Der effet utile in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs [1 ed.] 9783428525683, 9783428125685

Der effet utile wurde bislang in Literatur und Rechtsprechung kaum dogmatisch verortet. Sibylle Seyr unterzieht nahezu a

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Der effet utile in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs [1 ed.]
 9783428525683, 9783428125685

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Schriften zum Europäischen Recht Band 135

Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Von Sibylle Seyr

Duncker & Humblot · Berlin

SIBYLLE SEYR

Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 135

Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH Von Sibylle Seyr

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Stiftung Südtiroler Sparkasse/ Fondazione Cassa di Risparmio di Bolzano (gegründet 1854).

Die Juristische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen hat diese Arbeit im Wintersemester 2006/2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-12568-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2006/2007 von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Die wesentliche bis zum August 2007 erschienene Literatur wurde noch berücksichtigt, ebenso wie die wichtigsten bis zu diesem Zeitpunkt verkündeten Urteile des EuGH. Die Arbeit entstand während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Europarecht meines Doktorvaters Prof. Dr. Christian Calliess an der Georg-August-Universität Göttingen. Prof. Calliess gebührt einerseits mein Dank für die Möglichkeit, an seinem Lehrstuhl mitzuarbeiten, insbesondere aber für die Anregung zur Auseinandersetzung mit diesem spannenden Dissertationsthema, das mich während der gesamten Bearbeitungszeit begeistert und fasziniert hat. Außerdem möchte ich ihm dafür danken, dass er die Entstehung meiner Doktorarbeit stets wohlwollend gefördert und begleitet, mir in der Bearbeitung weitgehende Freiheiten zugestanden und meine eigenen Ansätze und Lösungen überzeugt mitgetragen hat. Frau Prof. Dr. Christine Langenfeld gilt mein Dank für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Meinen Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl, insbesondere Frau Dr. Stefanie Armbrecht, Frau Claudia Wolf, Herrn Norbert Schleper und Herrn Hans-Christian Rümke, danke ich sehr für die offene, herzliche und unvoreingenommene Aufnahme in ihren Kreis, durch die sie meine Zeit in Göttingen zu einem ganz besonderen Erlebnis haben werden lassen. Durch ihre Bereitschaft zu fachlicher Diskussion und abwechslungsreicher Freizeitgestaltung haben sie wesentlich zum Gelingen meines Promotionsvorhabens beigetragen. Ein ganz besonders herzlicher Dank gebührt dabei Frau Dr. Martina Lais, deren Freundschaft mich durch alle Phasen des Dissertationsprojekts begleitet hat. Ihre stete Unterstützung in fachlicher und persönlicher Hinsicht, ihr offenes Ohr und ihre Diskussionsbereitschaft haben mich immer wieder motiviert und in meinem Vorhaben bestärkt. Außerdem hat sie auch die Mühen des Korrekturlesens auf sich genommen und mir durch ihre fachkundigen Anmerkungen wertvolle Impulse gegeben. Einen besonders herzlichen Dank möchte ich an dieser Stelle auch Frau Prof. Dr. Waltraud Hakenberg, Kanzlerin des Gerichts für den öffentlichen Dienst der EU, aussprechen, die mich seit meiner Zeit in Saarbrücken bei meinen gemeinschaftsrechtlichen Projekten wohlwollend, motivierend und

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Vorwort

mit ehrlichem Interesse begleitet. Dank ihrer langjährigen Erfahrung in der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit konnte sie mir in vielen Gesprächen und bei gemeinsamen Projekten das notwendige Gespür für die sachkundige Auseinandersetzung mit den Urteilen des EuGH vermitteln. Meinem Bruder Fabian danke ich sehr herzlich für die verlässliche, geduldige und kompetente Unterstützung bei allen technischen Fragen und Schwierigkeiten. Mein größter und innigster Dank gilt meinen Eltern, die mich auf meinem bisherigen akademischen und beruflichen Weg unermüdlich, vorbehaltlos, wohlwollend und großzügig unterstützt haben. Ihre Geduld in schwierigen Phasen, ihre einfühlsame Art und ihr Vertrauen in meine Fähigkeiten und Entscheidungen waren der Grundstein für das Gelingen meines Dissertationsvorhabens. Ohne die Gewissheit, mich immer auf ihre Unterstützung und ihr Verständnis verlassen zu können, hätte ich dieses Ziel nicht erreicht. Deshalb ist es mir eine große Freude, ihnen diese Arbeit zu widmen. Herrn Prof. Dr. Siegfried Magiera, Herrn Prof. Dr. Dr. Detlef Merten, Herrn Prof. Dr. Matthias Niedobitek und Herrn Prof. Dr. Karl-Peter Sommermann danke ich schließlich für die Aufnahme meiner Dissertation in die Schriftenreihe zum Europäischen Recht, der Stiftung Südtiroler Sparkasse und insbesondere ihrem Präsidenten, Herrn RA Dr. Gerhard Brandstätter, gilt mein Dank für die großzügige finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung. Bozen, im August 2007

Sibylle Seyr

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 1 Die Auslegungsmethoden des EuGH

21

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Was versteht man unter Auslegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der besondere Charakter der Gemeinschaftsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . III. Die besondere Rolle und Funktion des Europäischen Gerichtshofs . . . . .

21 21 22 25

B. Die Auslegungsregeln des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ein spezifischer Methodenkanon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30 30 32 45 56 75 81 90

Teil 2 Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH A. Die Entstehung des effet utile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Römisch-rechtliche Wurzeln und moderne Zivilgesetzbücher. . . . . . . . . . II. Der Effektivitätsgrundsatz im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der I. II. III.

94 94 94 95

effet utile im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Meinungsstand in der Literatur zum möglichen Inhalt des effet utile . . . Meinungsstand in der Literatur bezüglich der Einordnung des effet utile in die gemeinschaftsrechtlichen Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Verhältnis zwischen effet utile und implied powers . . . . . . . . . . . . . . .

100 100 102 103 104

C. Analyse der Urteile des EuGH, in denen er mit dem effet utile auslegt . . . . . I. Ziel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zugrundegelegte Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111 111 111 114

8

Inhaltsübersicht Teil 3 Ergebnisse

272

effet utile als sechste Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts . . . . . Was versteht der EuGH selbst unter dem effet utile?. . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis der vorliegenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist für den EuGH „volle Wirksamkeit“ gleich „praktische Wirksamkeit“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anwendungsvoraussetzungen für den effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

272 272 275

B. Keine einseitige Handhabung des effet utile durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Rechtsprechung des EuGH zur horizontalen Richtlinienwirkung . . . III. Die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 230 Abs. 4 EGV . . . . . . . . . . . . . . IV. Hängt die effet utile-Rechtsprechung vom Entwicklungsstadium der Gemeinschaft ab? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

301 301 301 306

C. Gemeinschaftsrecht, effet utile und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Aufgabe des EuGH – die Wahrung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fortbildung des Rechts als Bestandteil der Aufgabe des EuGH . . . . . . . . IV. Grenzen für den EuGH bei der Weiterentwicklung des Rechts . . . . . . . . . V. Beurteilung der Ergebnisse des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Der effet utile als getarnte Weiterentwicklung des Rechts? . . . . . . . . . . . .

328 328 329 331 337 342 344

D. Der I. II. III.

346 346 348 354

A. Der I. II. III.

Begründungsstil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Praxis des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

281 292

314

E. Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 1 Die Auslegungsmethoden des EuGH A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Was versteht man unter Auslegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der besondere Charakter der Gemeinschaftsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . III. Die besondere Rolle und Funktion des Europäischen Gerichtshofs . . . . . 1. Zusammensetzung und Arbeitsweise des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Auslegungsregeln des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ein spezifischer Methodenkanon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Problem der Mehrsprachigkeit im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Notwendigkeit eines Textvergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorgehensweise des EuGH bei sprachlichen Divergenzen zwischen den Fassungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Autonome Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Begriffe. . . . . . . . . . . 4. Die Bedeutung der Wortlautauslegung in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Kontext im Rahmen der systematischen Auslegung . . . . . . . . . . . a) Enger Kontext. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weiter Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besondere Ausprägungen der systematischen Auslegungsmethode . . a) Die primärrechtskonforme Auslegung des sekundären Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Verweis auf die frühere Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Bedeutung der systematischen Auslegungsmethode in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 21 21 22 25 25 28 30 30 32 32 33 33 35 37 40 42 45 45 46 46 47 50 50 52 54

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Inhaltsverzeichnis IV. Die teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslegung anhand der allgemeinen und sektoriellen Vertragsziele . . a) Allgemeine Vertragsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art. 2 und 3 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Präambel zum EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Von der Wirtschaftsgemeinschaft zur politischen Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sektorielle Vertragsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besondere Ausprägungen der teleologischen Auslegungsmethode . . . a) Restriktive Auslegung von Ausnahmebestimmungen . . . . . . . . . . . b) Extensive Auslegung von Rechtsschutzbestimmungen . . . . . . . . . . c) Die dynamische Ausrichtung der teleologischen Auslegung . . . . . 4. Die Bedeutung der teleologischen Auslegungsmethode in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Verhältnis von teleologischer und systematischer Auslegungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die historische Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sekundärrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Bedeutung der historischen Auslegungsmethode in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Methode der wertenden Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendungsfälle der Rechtsvergleichung im Gemeinschaftsrecht . . . a) Autonome Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Begriffe . . . . . . . . b) Rechtsvergleichung zur Gewinnung von ungeschriebenem Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Bedeutung der rechtsvergleichenden Methode in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56 56 57 58 58 60 61 65 67 68 69 69 71 73 75 75 76 77 79 81 81 83 84 85 85 87 90

Teil 2 Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH A. Die Entstehung des effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Römisch-rechtliche Wurzeln und moderne Zivilgesetzbücher . . . . . . . . . . II. Der Effektivitätsgrundsatz im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Effektivitätsprinzip als völkerrechtliche Auslegungsregel . . . . . .

94 94 94 95 95 96

Inhaltsverzeichnis

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effet utile im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Meinungsstand in der Literatur zum möglichen Inhalt des effet utile . . . Meinungsstand in der Literatur bezüglich der Einordnung des effet utile in die gemeinschaftsrechtlichen Auslegungsmethoden. . . . . . . . . . . . IV. Das Verhältnis zwischen effet utile und implied powers . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ursprünge der implied powers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die implied powers im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verhältnis zum effet utile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100 100 102

B. Der I. II. III.

C. Analyse der Urteile des EuGH, in denen er mit dem effet utile auslegt . . . . . I. Ziel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zugrundegelegte Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlegendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der effet utile zur Begründung der Grundfesten des Gemeinschaftsrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Effet utile und Vorrang des Gemeinschaftsrechts. . . . . . . . . . . . . . . aa) Entwicklung der Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausgestaltung der Vorrangregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Effet utile und unmittelbare Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verordnungen und Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Staatengerichtete Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Richtlinien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Effet utile und Durchführung des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . aa) Art. 10 EGV als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die gemeinschaftsrechtskonforme bzw. richtlinienkonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die richtlinienkonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Stellungnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Pflichten der rechtsetzenden Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Umsetzung von Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Stellungnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Pflichten der Verwaltung und der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vollzug des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103 104 104 106 106 108 111 111 111 114 114 115 115 115 118 120 122 122 125 127 127 128 129 131 134 134 137 137 139 143 144 144 145 147 149 149

12

Inhaltsverzeichnis (2) Äquivalenz- und Effektivitätsgebot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Fallbeispiele aus der Rechtsprechung des EuGH und deren Auswirkungen auf das nationale Verfahrens- und Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Beihilfenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Fristenregelungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Effet utile und Haftung der Staaten bei Verletzung des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Urteil Francovich als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Begründung der Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Voraussetzungen für das Vorliegen einer Haftung. . . . . . . bb) Die Weiterentwicklung in der Folgerechtsprechung . . . . . . . . . cc) Das Urteil Köbler als dritter Markstein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schlussbetrachtung zum effet utile im Rahmen der Grundfesten des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der effet utile in spezifischen Bereichen des Gemeinschaftsrechts . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ausnahme für Tätigkeiten in Ausübung öffentlicher Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Dienstleistungsfreiheit als Beschränkungsverbot . . . . (3) Verschiedene Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Arbeitnehmerfreizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ausnahme für die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Aufenthaltsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit . . . . . (4) Rechtfertigung von Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Assoziierungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zum methodischen Vorgehen des EuGH. . . . . . . . . . . . . . . (2) Zu den inhaltlichen Ergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mittelbare Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf den Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Entwicklung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

158 158 162 164 175 182 182 182 186 187 191 195 199 203 203 204 204 204 204 205 208 210 210 212 213 214 214 217 217 219 223 223 223 223

Inhaltsverzeichnis

d)

e)

f) g)

(3) Stellungnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schadenersatz und Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beihilfenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verordnung Nr. 17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Öffentliche Unternehmen – Art. 86 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Verschiedene Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeits- und Sozialrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Art. 141 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Richtlinie 76/207 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Richtlinie 79/7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Harmonisierung von Individualschutzbestimmungen . . . . . . . dd) Verordnung 1408/71 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brüsseler Übereinkommen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auslegung des Übereinkommens im Allgemeinen . . . . . . . . . cc) Art. 5 des Übereinkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Art. 6 des Übereinkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Art. 16 des Übereinkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Art. 36 und 38 des Übereinkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Landwirtschaft und Fischerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussbetrachtung zum effet utile in spezifischen Bereichen des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 226 230 232 234 237 238 239 241 241 242 242 244 246 247 250 254 257 257 258 260 262 262 263 265 267 270

Teil 3 Ergebnisse A. Der effet utile als sechste Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts . . . . I. Was versteht der EuGH selbst unter dem effet utile? . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ergebnis der vorliegenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der effet utile als eigene Auslegungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Sicherung der Durchsetzbarkeit des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . III. Ist für den EuGH „volle Wirksamkeit“ gleich „praktische Wirksamkeit“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Analyse der Urteile, die beide Formulierungen enthalten . . . . . . . . . .

272 272 272 275 275 278 281 281 282

14

Inhaltsverzeichnis 3. Die Frage nach der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die übrigen Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anwendungsvoraussetzungen für den effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Vorgehensweise des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entwicklung eines Prüfungsschemas für die Anwendung des effet utile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

287 290 292 292 297

B. Keine einseitige Handhabung des effet utile durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Rechtsprechung des EuGH zur horizontalen Richtlinienwirkung . . . III. Die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 230 Abs. 4 EGV . . . . . . . . . . . . . . IV. Hängt die effet utile-Rechtsprechung vom Entwicklungsstadium der Gemeinschaft ab? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die zeitliche Streuung der effet utile-Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aktuelle Beispiele aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtssache Pupino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtssache Kommission gegen Rat zum Umweltstrafrecht

314 314 319 319 324

C. Gemeinschaftsrecht, effet utile und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Aufgabe des EuGH – die Wahrung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fortbildung des Rechts als Bestandteil der Aufgabe des EuGH . . . . . . . . 1. Das klassische Verständnis von Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinschaftsrecht und Rechtsfortbildung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Darstellung des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Grenzen für den EuGH bei der Weiterentwicklung des Rechts . . . . . . . . . V. Beurteilung der Ergebnisse des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Der effet utile als getarnte Weiterentwicklung des Rechts? . . . . . . . . . . . .

328 328 329 331 331 332 332 334 337 342 344

D. Der I. II. III.

346 346 348 354

Begründungsstil des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Praxis des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

301 301 301 306

E. Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458

Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. Abs. AöR Art. BayVBl. BB BVerfG BVerfGE bzgl. CDE CMLRev DÖV DRiZ DVBl. DZWir ECLR EEA EG EGV ELRev endg. EU EuGeI EuGH EuGRZ EuR EUV EuZW EWGV EWS Fn. GA GRUR Int. h. M. Hrsg.

anderer Ansicht Amtsblatt EG/EU Absatz Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Bayerische Verwaltungsblätter Betriebs-Berater Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich Cahiers de droit européen Common Market Law Review Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht European Competition Law Review Einheitliche Europäische Akte Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft European Law Review endgültig Europäische Union Europäisches Gericht erster Instanz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Vertrag zur Gründung der Europäischen Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Fußnote Generalanwalt Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil herrschende Meinung Herausgeber

16 insbes. i. V. m. JDI JÖR JURA JuS JZ m. w. N. NJW NVwZ RabelsZ RIDC RIW Rs. RTD eur. s. Slg. u. a. UAbs. VBlBW Verb. Rs. VerfO VerwArch vgl. VVDStRL VVE ZaöRV ZEuP ZEuS ZfRV ZGR ZHR ZIP ZÖR ZUR ZvglRWiss

Abkürzungsverzeichnis insbesondere in Verbindung mit Journal du droit international Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revue internationale de droit comparé Recht der Internationalen Wirtschaft Rechtsache Revue trimestrielle de droit européen siehe Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichtes erster Instanz unter anderem Unterabsatz Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg verbundene Rechtssachen Verfahrensordnung Verwaltungs-Archiv vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Vertrag über eine Verfassung für Europa Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für Umweltrecht Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft

Abkürzungsverzeichnis

Für die Tabellen in Anhang 1 und 2 gelten folgende Abkürzungen: ANF ASR Assoziierungsabk. DLF e.u. GemR ger. öff. Ordnung praWi RiLi Übersee. Dep. UVP WVF

Freizügigkeit der Arbeitnehmer Arbeits- und Sozialrecht Assoziierungsabkommen Dienstleistungsfreiheit effet utile Gemeinschaftsrecht gerichtlich öffentliche Ordnung praktische Wirksamkeit Richtlinie überseeische Departements Umweltverträglichkeitsprüfung Freier Warenverkehr

17

„Als wir den Europäischen Gerichtshof schufen, schwebte uns ein ehrgeiziger Gedanke vor: die Verfassungsstruktur der Gemeinschaft mit einem Obersten Gericht zu krönen [. . .]. Wir sind nicht enttäuscht worden. [. . .] Die Entwicklung unserer Gemeinschaft ist nicht denkbar ohne die unabhängige, präzisierende und konkretisierende, anpassende und Lücken ergänzende, kurz: ohne die führende Leistung unseres Gerichtshofs.“ Walter Hallstein (Die Europäische Gemeinschaft, 1973)

Einleitung Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) häufig verwendete Argumentationsfigur des effet utile anhand einer Analyse möglichst vieler Urteile zu untersuchen. Das erscheint angebracht, weil der Begriff des effet utile in europarechtlichen Publikationen häufig verwendet wird, jedoch in unterschiedlicher Weise und ohne ihn genau zu definieren. Die vorliegende Arbeit möchte somit in erster Linie zu mehr Klarheit über den effet utile beitragen. Dazu ist es zunächst hilfreich, in einem ersten Teil allgemein die Auslegungsmethoden des EuGH darzustellen. Der Großteil der Literatur sieht nämlich den effet utile als eine Unterart der teleologischen Methode an. Die Beschreibung der verschiedenen Interpretationsmethoden und ihres Verhältnisses zueinander soll dem Leser den nötigen Überblick für die folgende Auseinandersetzung mit den einzelnen effet utile-Urteilen verschaffen. Im Zentrum der Arbeit steht Teil 2, in dem die Urteile des EuGH, in denen er mit dem effet utile argumentiert, genau analysiert werden. Die Entscheidungen werden dabei in zwei großen Gruppen dargestellt. In die erste fallen die Urteile, in denen der Gerichtshof die Grundfesten des Gemeinschaftsrechts begründet, in die zweite diejenigen, die spezielle Kategorien des Gemeinschaftsrechts betreffen. Beide Gruppen können jeweils noch in Unterkategorien unterteilt werden. Im Mittelpunkt der Analyse der einzelnen Urteile steht die Frage, wann der EuGH auf den effet utile zurückgreift, wie er dabei vorgeht und wie er sein Verhältnis zu den anderen Auslegungsmethoden sieht. Durch einen Vergleich der einzelnen Kategorien sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in methodischer und inhaltlicher Hinsicht herausgearbeitet werden. Die Ergebnisse in Teil 3 beantworten die Frage, ob der effet utile als eine eigene Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts angesehen werden

20

Einleitung

kann und welche Voraussetzungen für seine Anwendung dann aufzustellen wären. Außerdem soll die zeitliche Verteilung der effet utile-Urteile seit Bestehen der Gemeinschaft einer genauen Analyse unterzogen werden. Zu klären ist überdies das Verhältnis des effet utile zur Rechtsfortbildung. Besonders interessant ist es auch der Frage nachzugehen, ob der Gerichtshof den effet utile einseitig, also lediglich zu Lasten der Mitgliedstaaten einsetzt. Zu ihrer Beantwortung sollen die Bereiche, in denen der EuGH häufig auf den effet utile zurückgreift, mit denjenigen verglichen werden, in welchen er explizit auf dessen Verwendung verzichtet. Einzugehen ist zuletzt noch auf die Anforderungen, denen die Begründung der Entscheidungen des Gerichtshofs genügen sollte. Gerade auf den effet utile gestützte Urteile sind nämlich immer wieder der Kritik ausgesetzt, sie seien zu wenig ausführlich und nachvollziehbar begründet. Im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen die Urteile des EuGH, in denen er nach dem effet utile auslegt. Bei der Bewertung der Ergebnisse wurde so weit als möglich darauf verzichtet, die Rechtsprechung in starre methodische Kategorien zu zwängen, trotzdem aber versucht, eine aussagekräftige Systematisierung vorzunehmen. Die dabei zu wählende Betrachtungsweise ist notwendig eine methodische, weil sie versucht, die Vorgehensweise des Gerichtshofs zu analysieren und daraus allgemeingültige Erkenntnisse abzuleiten. Die Arbeit ist um einen vermittelnden Ansatz zwischen Dogmatik und Pragmatik bemüht, der auch die Rechtsprechung des EuGH insgesamt kennzeichnet. Besonderes Augenmerk wurde darauf gelegt, die Tätigkeit des Gerichtshofs aus europäischer Sicht zu betrachten und Schlussfolgerungen zu vermeiden, die zu sehr vom Denken in nationalen Rechtskategorien und Systemen geprägt sind. Die vorliegende Arbeit möchte somit auch einen Beitrag zu einem differenzierten Umgang mit der Rechtsprechung des EuGH leisten.

Teil 1

Die Auslegungsmethoden des EuGH A. Einleitung I. Was versteht man unter Auslegung? Damit man das Recht verstehen und es anwenden kann, muss man es auslegen. Recht auslegen heißt den Sinn und normativen Gehalt geschriebener Rechtsvorschriften erkennen und konkretisieren.1 Savigny definierte Auslegung als „Rekonstruktion des dem Gesetze innewohnenden Gedankens“.2 Auslegung kann somit als eine Tätigkeit bezeichnet werden, durch die der Auslegende den Sinn des Textes zum Sprechen bringt. Der EuGH äußerte sich in der Rechtssache Denkavit italiana3 grundlegend zu seinem Verständnis von der Funktion der Auslegungstätigkeit: „Durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts [. . .] wird erläutert und erforderlichenfalls verdeutlicht, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre.“4

Rechtstexte bedürfen der Auslegung, weil sie in einer an die Umgangssprache angelehnten Rechtssprache verfasst sind, deren Ausdrücke verschiedene Bedeutungsvarianten haben können.5 Juristische Interpretation trägt immer schöpferische Züge, da sich der Inhalt der auszulegenden Norm erst mit deren Auslegung vollendet.6 Sie ist kein abstrakter Erkenntnisprozess, 1

Bernhardt, Zur Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts, FS Kutscher, S. 17; Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 176. Die vorliegende Arbeit befasst sich ausschließlich mit der Auslegung von geschriebenem Recht. 2 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 213 f. 3 Rs. 61/79 (Denkavit italiana), Slg. 1980, S. 1205. 4 Rs. 61/79 (Denkavit italiana), Slg. 1980, S. 1205, Rn. 16; vgl. auch verb. Rs. 28 bis 20/62 (Da Costa), Slg. 1963, S. 63, 81: „Gibt der Gerichtshof im Rahmen eines [. . .] schwebenden Rechtsstreits eine Auslegung des Vertrages, so beschränkt er sich darauf, die Bedeutung der Normen des Gemeinschaftsrechts aus Geist und Wortlaut des Vertrages abzuleiten.“ 5 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 26, 133, 141 f. 6 Colneric, Auslegung des Gemeinschaftsrechts und gemeinschaftskonforme Auslegung, ZEuP 2005, S. 225.

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dessen Ergebnis eindeutig vom Gesetzgeber vorhergesehen werden kann, weil sie auch durch subjektive Überzeugungen und persönliche Erfahrungen beeinflusst wird.7 Für die Auslegung des Rechts bedient man sich verschiedener Methoden, traditionellerweise der grammatischen, der systematischen, der historischen und der teleologischen.8 Besonderheiten bei der Anwendung der unterschiedlichen Auslegungsmethoden ergeben sich je nachdem, ob nationales, internationales oder europäisches Recht ausgelegt wird. Weil das Europarecht historisch gesehen das jüngste ist, lehnen sich die zu seiner Interpretation verwendeten Methoden an diejenigen des nationalen und des internationalen Rechts an. Aufgrund der spezifischen Merkmale der europäischen Rechtsordnung und der einmaligen Rolle des Europäischen Gerichtshofs (im Folgenden EuGH oder Gerichtshof) geht die Mehrheit der Autoren davon aus, dass im Gemeinschaftsrecht ein spezifischer Methodenkanon anzuwenden ist.9

II. Der besondere Charakter der Gemeinschaftsrechtsordnung Der besondere Charakter der Gemeinschaftsrechtsordnung besteht einerseits in den Unterschieden zu „klassischen“ internationalen Organisationen. Diese hat der EuGH schon früh in der Rechtssache Costa/ENEL10 treffend beschrieben: „Zum Unterschied von gewöhnlichen internationalen Verträgen hat der EWGV eine eigene Rechtsordnung geschaffen, die bei seinem Inkrafttreten in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden ist. Denn durch die Gründung einer Gemeinschaft für unbegrenzte Zeit, die mit eigenen Organen, mit der Rechts- und Geschäftsfähigkeit, mit internationaler Handlungsfähigkeit und insbesondere mit echten, aus der Beschränkung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der Übertragung von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft herrührenden Hoheitsrechten ausgestattet ist, haben die Mitgliedstaaten, wenn auch auf einem begrenzten Gebiet, ihre Souveränitätsrechte beschränkt und so einen Rechtskörper geschaffen, der für ihre Angehörigen und sie selbst verbindlich ist.“11 7 Hirsch, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei der europäischen Integration, JÖR 49 (2001), S. 79 (86). 8 Vgl. z. B. für die deutsche Methodenlehre schon Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, 1840, S. 213 f. 9 Vgl. ausführlich zu den verschiedenen Ansätzen Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 130 ff. 10 Rs. 6/64 (Costa/ENEL), Slg. 1964, S. 1253. 11 Rs. 6/64 (Costa/ENEL), Slg. 1964, S. 1253, 1269.

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Die Gründungsverträge der Gemeinschaften sind zwar völkerrechtliche Verträge, es war aber der Wille der Staaten eine eigenständige, auf Dauer angelegte Rechtsordnung zu schaffen, die für die Gemeinschaften selbst, ihre Organe, die Mitgliedstaaten und deren Bürger verbindlich ist.12 Im Gegensatz zu völkerrechtlichen Verträgen, durch die nur die Mitgliedstaaten als Völkerrechtssubjekte verpflichtet werden, kann das Gemeinschaftsrecht auch Rechte und Pflichten für die Bürger begründen.13 Die Gemeinschaftsverträge haben somit eine Doppelnatur. Einerseits begründen sie zwischenstaatliche Bindungen zwischen den Mitgliedstaaten. Andererseits konzipieren sie die Gemeinschaft als eigenständige Organisation mit eigenen Organen und Zuständigkeiten und begründen somit eine diesen Staaten gemeinsame Verfassung14 für einen Teilbereich ihrer hoheitlichen Aufgaben.15 Dass die Europäische Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft16 konstituiert ist, kommt u. a. darin zum Ausdruck, dass sich die Mitgliedstaaten der Gerichtsbarkeit des EuGH unterworfen haben und von ihm wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechts verurteilt werden können, was einen wesentlichen Faktor zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft darstellt. Das Vertragsverletzungsverfahren führt zwar grundsätzlich lediglich zur Feststellung, dass der betreffende Mitgliedstaat gegen bestimmte Vorschriften des Gemeinschaftsrechts verstoßen hat, weshalb die Durchsetzung des Urteils in erster Linie davon abhängt, inwieweit sich der Mitgliedstaat dem Spruch des Gerichtshofs freiwillig beugt. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde jedoch eine Bestimmung eingeführt (Art. 228 Abs. 2 UAbs. 3 EGV), die vorsieht, dass bei Nichtbeachtung eines EuGH-Urteils durch 12 Auch der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Gemeinschaften ein eigenständiges Rechtssystem darstellen; vgl. z. B. Rs. 13/61 (Bosch), Slg. 1961, S. 97, 110; Rs. 26/62 (van Gend und Loos), Slg. 1963, S. 3; zur Entwicklung der Rechtsprechung s. Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 107 ff. 13 Vgl. z. B. Art. 17 EGV zur Unionsbürgerschaft. 14 Everling, Der Beitrag des Europäischen Gerichtshofes zur Entwicklung der Gemeinschaft, S. 195 (203); Everling, Quis custodiet custodes ipsos?, EuZW 2002, S. 357 (363); derselbe, Richterliche Rechtsfortbildung in der Europäischen Gemeinschaft, JZ 2000, S. 217 (220); Streinz in: Streinz, Art. 1 EGV, Rn. 9; Huber in: Streinz, Art. 220 EGV, Rn. 4; Schwarze in: Schwarze, Art. 1 EGV, Rn. 6; vgl. dazu ausführlich Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL Bd. 60 (2001), S. 148 ff.; Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 332 ff.; ständige Rechtsprechung des EuGH vgl. z. B. Rs. 294/83 (Les Verts/Parlament), Slg. 1986, S. 1339, Rn. 23; Gutachten 1/91, EWR, Slg. 1991, I-6079, Rn. 21. 15 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-32. 16 Vgl. grundlegend zu diesem Begriff Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 51.

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einen Mitgliedstaat sogar ein Zwangsgeld gegen diesen verhängt werden kann. Die Besonderheiten, die die Europäische Gemeinschaft aus dem Kreis der internationalen Organisationen herausheben, werden als „Supranationalität“ bezeichnet.17 Diese drückt sich z. B. darin aus, dass die EG im Gegensatz zu den herkömmlichen internationalen Organisationen verbindliches Recht beschließen kann, das die Mitgliedstaaten auch gegen ihren Willen verpflichten kann.18 Aus der Eigenständigkeit der gemeinschaftlichen Rechtsordnung ergeben sich zwei zentrale Wesensmerkmale, die das Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht betreffen: die unmittelbare Geltung und Anwendbarkeit der gemeinschaftsrechtlichen Normen und deren Vorrang vor dem nationalen Recht.19 Zur Entwicklung dieser Merkmale, die ebenfalls Kennzeichen des supranationalen Charakters der Gemeinschaft sind, hat der EuGH mit seinen grundlegenden Urteilen in den Rechtssachen van Gend & Loos20 und Costa/E. N. E. L21 wesentlich beigetragen.22 In seiner Entstehung und Struktur unterscheidet sich das Gemeinschaftsrecht auch von nationalen Rechtsordnungen. Die Gründungsverträge der Gemeinschaften sind nämlich „mehr oder weniger Produkte aus der Retorte“. Sie formen keine gewachsene Rechtsordnung,23 kein kohärentes, in sich abgestimmtes System von Normen.24 Außerdem ist die Verfassung der Gemeinschaften im Gegensatz zu nationalen Rechtsordnungen eine „Wandelverfassung“25, da sie prinzipiell auf Entwicklung angelegt ist und die Mitgliedstaaten mehr und mehr zusammenführen soll.26 Diese evolutiv-dynamische Ausrichtung lässt sich beispielsweise der Präambel zum EGV ent17

Vgl. Calliess in: derselbe/Ruffert, Art. 1 EGV, Rn. 2. Vgl. z. B. Calliess in: derselbe/Ruffert, Art. 1 EGV, Rn. 2; Streinz, Europarecht, Rn. 126 f.; Streinz in: Streinz, Art. 1 EGV, Rn. 12 f., 17 f. 19 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-34. 20 Rs. 26/62 (van Gend & Loos) Slg. 1963, S. 3. 21 Rs. 6/64 (Costa/ENEL) Slg. 1964, S. 1253. 22 Vgl. dazu Teil 2 Kapitel C. III. 2. a) und b). 23 Nicolaysen, Der Gerichtshof – Funktion und Bewährung der Judikative, EuR 1972, S. 375 (381); Mertens de Wilmars, Le droit comparé dans la jurisprudence des la Cour de justice des Communautés européennes, Journal des Tribunaux, 1991, S. 37 (40). 24 Haltern, Europarecht, S. 5. 25 H. Ipsen, Die Verfassungsrolle des Europäischen Gerichtshofs für die Integration, in: Schwarze (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtschutzinstanz, S. 29 (50 f.). 26 Vgl. auch Millett, Rules of Interpretation of E. E. C. Legislation, Statute Law Review 1989, S. 163 f. 18

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nehmen, in der vom festen Willen der Vertragsparteien gesprochen wird, „die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen“. Die Gründungsverträge sind überdies Rahmenverträge27, die der Ausfüllung bedürfen, weil die primärrechtlichen Regelungen oft in der Festlegung von allgemeinen Zielen und Grundsätzen bestehen. Die Tatsache, dass sie von allen Vertragsparteien einstimmig verabschiedet werden müssen, begünstigt die Verwendung von Kompromissformulierungen. Es ist auch weder praktisch möglich noch gewollt, auf primärrechtlicher Ebene für alle betroffenen Bereiche detaillierte Regelungen festzulegen; die konkrete Ausformulierung und Ausgestaltung soll deshalb auf der sekundären Gesetzgebungsebene erfolgen. Auch das gemeinschaftliche Sekundärrecht ist nicht frei von Kompromissformulierungen, da es in einem Gesetzgebungsprozess erlassen wird, an dem sich verschiedene Entscheidungsträger mit unterschiedlichen Interessen beteiligen. So kommt der Vorschlag zum Erlass eines Rechtsakts von der Kommission, die aus Beamten aus den verschiedenen Mitgliedstaaten besteht. Verabschiedet wird der Rechtsakt vom Rat, also einem Entscheidungsgremium, das die nationalen Interessen vertritt und vom Parlament, das aus Vertretern der verschiedenen Mitgliedstaaten zusammengesetzt ist. Dadurch kommt es zu einer „Gemengelage“ von Interessen, die sich in den Formulierungen der verabschiedeten Texte niederschlägt.28 Die beschriebenen strukturellen Besonderheiten führen dazu, dass in der Gemeinschaftsrechtsordnung stärker als in nationalen Rechtsordnungen eine gewisse Verlagerung des Schwerpunkts von der Legislative zur Judikative stattfindet. Der Gerichtshof ist deshalb häufig aufgerufen, sowohl im Primär- als auch im Sekundärrecht die auszulegenden Normen zu präzisieren und zu konkretisieren.

III. Die besondere Rolle und Funktion des Europäischen Gerichtshofs 1. Zusammensetzung und Arbeitsweise des EuGH Der EuGH29 setzt sich aus jeweils einem Richter pro Mitgliedstaat zusammen, seit 1. Januar 2007 besteht er somit aus 27 Mitgliedern.30 Gemäß 27 Vgl. dazu z. B. Schwarze in: Schwarze, Art. 1 EGV, Rn. 8; Streinz, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH, ZEuS 2004, S. 387 (408). 28 Haltern, Europarecht, S. 6; vgl. dazu ausführlich Luttermann, Juristische Übersetzung als Rechtspolitik im Europa der Sprachen, EuZW 1998, S. 155 f. 29 In der vorliegenden Arbeit ist immer der Gerichthof gemeint, wenn von EuGH oder Gerichtshof gesprochen wird, nicht das Gericht erster Instanz. Nachdem in der Urteilsanalyse in Teil 2 nur die Urteile des EuGH, nicht diejenigen des Gerichtes

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Art. 223 Abs. 1 EGV müssen die Persönlichkeiten, die zu Richtern ernannt werden, jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und in ihrem Staat die für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen oder Juristen von anerkannt hervorragender Befähigung sein. Aufgrund dieser Voraussetzungen besteht der Spruchkörper des EuGH teilweise aus Universitätsprofessoren, teilweise aus Personen, die in ihren Heimatländern hohe Richterämter innehatten und teilweise aus Juristen, die hohe Positionen in nationalen Ministerien oder anderen europäischen Institutionen bekleideten. Diese Mischung gewährleistet, dass unterschiedliche Erfahrungen und Sichtweisen in die Tätigkeit des Gerichtshofs einfließen.31 Die Mitglieder des EuGH werden durch die Regierungen der Mitgliedstaaten für jeweils sechs Jahre ernannt, Wiederernennung ist möglich.32 Aus ihrer Mitte wählen die Richter für drei Jahre einen Präsidenten. Unterstützt wird der EuGH bei seiner Tätigkeit von acht sog. Generalanwälten,33 die ebenso wie die Richter Mitglieder des Gerichthofs und somit unabhängig und weisungsungebunden sind. Die Amtsperiode eines Generalanwalts beläuft sich ebenfalls auf sechs Jahre34 und kann verlängert werden; wie für Richter ist auch für Generalanwälte kein Höchstalter vorgesehen. Die Aufgabe der Generalanwälte besteht darin, dem Gerichtshof in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit unverbindliche Entscheidungsvorschläge zu unterbreiten, die sog. Schlussanträge.35 Diese sind wissenschaftlich fundierte Rechtsgutachten mit einem Urteilsvorschlag, durch die der Generalanwalt den Gerichtshof bei der Entscheidungsfindung unterstützt.36 Vor Inkrafttreten des Vertrages von Nizza unterbreiteten die Generalanwälte in allen Rechtssachen Schlussanträge. Nunmehr sieht Art. 20 Abs. 5 der Satzung des EuGH vor, dass der Gerichtshof beschließen kann, ohne Schlussanträge zu entscheiden, wenn er der Ansicht ist, dass eine Rechtssache keine neue Rechtsfrage aufwirft. In der Praxis wird von dieser erster Instanz berücksichtigt werden, soll an dieser Stelle auch nur die Zusammensetzung und Arbeitsweise des EuGH dargestellt werden. 30 Vgl. Art. 221 und 224 EGV. 31 Ähnlich sieht das Klinke, Der Gerichthof der EU – Ein Portrait, ZEuP 1995, S. 783 (789). 32 Art. 223 Abs. 1 und 4 EGV. 33 Vgl. zu den Vorbildern für die Figur des Generalanwalts Seyr, Der verfahrensrechtliche Ablauf vor dem EuGH am Beispiel der Rechtssache „Prosciutto di Parma“, JuS 2005, S. 315 f. 34 Art. 223 Abs. 2-4 EGV. 35 Vgl. Art. 222 Abs. 2 EGV; Mancini/Keeling, Language, culture and politics in the life of the European Court of Justice, Columbia Journal of European Law 1995, S. 397 f. 36 Zu den Gründen für die Einführung der Funktion des Generalanwalts vgl. Seyr, JuS 2005, S. 315 (316).

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Möglichkeit bereits vermehrt Gebrauch gemacht, vor allem bei den sog. unbestrittenen Vertragsverletzungen.37 Interessant ist es in diesem Zusammenhang auch, kurz auf die Praxis der Sprachenregelung am Europäischen Gerichtshof einzugehen38, da das Wissen um den Umgang mit den verschiedenen Sprachen ein wichtiger Schlüssel für das Verständnis der Auslegungstätigkeit durch den EuGH darstellt. Zu unterscheiden ist grundsätzlich die interne Arbeitssprache des Gerichtshofs von der Verfahrenssprache. Die Wahl der Verfahrenssprache ist in Art. 29 der Verfahrensordnung39 geregelt und lässt sich folgendermaßen zusammenfassen. In Klageverfahren kann der Kläger die Verfahrenssprache wählen. Wenn die Klage jedoch gegen einen Mitgliedstaat oder gegen eine natürliche oder juristische Person gerichtet ist, die einem Mitgliedstaat angehört, ist Verfahrenssprache die Amtssprache (gegebenenfalls eine der Amtssprachen) dieses Staates. In Vorabentscheidungsverfahren ist Verfahrenssprache immer die Sprache des nationalen Gerichts, das dem Gerichtshof vorgelegt hat. Die Mitgliedstaaten dürfen sich ihrer eigenen Sprache bedienen, wenn sie einem Rechtsstreit als Streithelfer beitreten oder sich an einem Vorabentscheidungsverfahren beteiligen. Die Richter und Generalanwälte unterliegen nicht den Regelungen über die Verfahrenssprache. Es steht ihnen frei, in der Verhandlung Fragen in einer Amtssprache der Gemeinschaften zu stellen, die nicht Verfahrenssprache ist. Die Sprachenregelung am EuGH verbindet somit die Einsprachigkeit des Verfahrensablaufs mit der Gleichberechtigung aller Sprachen bei der Wahl der Verfahrenssprache.40 Bereits in einem sehr frühen Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass er „wie alle Organe der drei Gemeinschaften kraft unwiderleglicher Vermutung als viersprachig anzusehen [ist].“41 Bei der internen Arbeitssprache des Gerichtshofes handelt es sich um die Sprache, derer sich seine Mitglieder sowie Bediensteten für die praktischen Bedürfnisse der internen Verständigung und der gemeinsamen Arbeit bedienen. Dies ist ausschließlich die französische Sprache. Deshalb werden Aktenstücke, die in einer anderen Sprache als dem Französischen vorgelegt werden, für die Zwecke der internen Arbeit von den Dienststellen des 37 Dabei handelt es sich um Vertragsverletzungsverfahren, in denen der betreffende Mitgliedstaat nicht bestreitet, die ihm von der Kommission zur Last gelegte Vertragsverletzung begangen zu haben. Nachdem diese Fälle somit in der Regel aus rechtlicher Sicht unproblematisch sind, wird auf die Erstellung von Schlussanträgen verzichtet. 38 Zu den anderen Organen s. Martiny, Babylon in Brüssel?, ZEuP 1998, S. 227 (236 ff. m. w. N.). 39 ABl. 2001, C 34, S. 1. 40 Martiny, ZEuP 1998, S. 227 (239). 41 Rs. 1/60 (FERAM) Slg. 1960, S. 353.

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EuGH ins Französische übersetzt. Auch die Urteilsberatungen der Richter finden in französischer Sprache statt, ebenso wie über den endgültigen Text des Urteils in französischer Sprache abgestimmt wird. Wenn der Urteilstext in französischer Sprache feststeht, wird er in alle anderen Amtssprachen übersetzt, das Urteil liegt am Tag seiner Verkündung in allen diesen Sprachen vor. Als Originalsprache des Urteils gilt die Verfahrenssprache. Eine Ausnahme gibt es bei den Schlussanträgen der Generalanwälte, da sie in der jeweiligen Muttersprache des Generalanwaltes abgefasst werden und diese als Originalsprache gilt. Die Originalsprache der Schlussanträge ist somit in der Regel eine andere als die Verfahrenssprache. In jüngster Zeit haben sich die Generalanwälte der kleineren Mitgliedstaaten bereit erklärt, ihre Schlussanträge in englischer oder französischer Sprache zu verkünden, um den Übersetzungsaufwand etwas geringer zu halten.42 2. Die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages Art. 220 EGV beschreibt in Verbindung mit Art. 7 EGV die Aufgaben des Gerichtshofs als Verfassungsorgan der Gemeinschaft, und zwar die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages. Der EuGH kann zu Recht als Verfassungsgericht der Gemeinschaften bezeichnet werden, da er Aufgaben erfüllt, die in den nationalen Rechtsordnungen die Verfassungsgerichte wahrnehmen.43 Art. 220 EGV ist keine eigene Kompetenzgrundlage für das Tätigwerden des Gerichtshofs, seine Zuständigkeiten bestimmen sich nach den einzelnen Vorschriften über seine Kompetenzen und die verschiedenen Verfahrensarten.44 Wer das Recht verbindlich ausgelegt, ist entscheidend. Im klassischen Völkerrecht erfolgt die Auslegung im Wesentlichen durch die staatlichen Vertragspartner, die Anrufung eines Gerichtes stellt die Ausnahme dar. Sie erfolgt nur, wenn sich die Staaten der Gerichtsbarkeit des Gerichtes freiwillig unterwerfen.45 Innerhalb des Gemeinschaftsrechtes hingegen ist die Aus42

Vgl. Seyr, JuS 2005, S. 315 (319). Vgl. z. B. Oppermann, Die Dritte Gewalt in der Europäischen Union, DVBl. 1994, S. 901 (902); Rodriguez Iglesias, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften als Verfassungsgericht, EuR 1992, S. 225 f.; Everling, Quis custodiet custodes ipsos?, EuZW 2002, S. 357 (363); derselbe, Richterliche Rechtsfortbildung in der Europäischen Gemeinschaft, JZ 2000, S. 217 (220); Huber in: Streinz, Art. 220 EGV, Rn. 4; vgl. dazu ausführlich Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 332 ff. 44 Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Art. 220 EGV, Rn. 1, 4; Gaitanides in: von der Groeben/Schwarze, Art. 220 EG, Rn. 2; Everling, JZ 2000, S. 217 (221). 45 K. Ipsen, Völkerrecht, § 62, Rn. 44. 43

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legung des Rechts durch ein Gericht die Regel, da sich die Staaten aufgrund ihrer relativ großen Homogenität untereinander bereit erklärt haben, die verbindliche Auslegung des Rechts dem EuGH anzuvertrauen.46 Art. 220 EGV spricht von der Auslegung und Anwendung des Vertrages. Unter Auslegung ist dabei die abstrakte, nicht fallbezogene Ermittlung des Inhalts einer Norm zu verstehen, die neben der Ermittlung des Inhalts geschriebener Worte auch die Aufgabe umfasst, Lücken in der Gemeinschaftsrechtsordnung zu schließen. Anwendung meint hingegen Subsumtion, d.h. die Feststellung, ob ein konkreter Sachverhalt von der betreffenden Norm erfasst ist.47 Nachdem vom Vertrag gesprochen wird, kommt klar zum Ausdruck, dass die Zuständigkeit des Gerichtshofs nur Fragen der gemeinschaftlichen Rechtsordnung und nicht Fragen der Auslegung oder Gültigkeit des nationalen Rechts umfassen kann. Der Gerichtshof ist ein „multifunktionales“48 Gericht, da er gemäß seinem Auftrag Aufgaben einer Verfassungsgerichtsbarkeit ebenso wie eines obersten Verwaltungs-, Zivil-, Arbeits-, Steuer- und Sozialgerichts wahrnimmt.49 Die „Wahrung des Rechts“ beinhaltet eine konservierende Komponente, nämlich die Beachtung der Rechtsprinzipien, die der Gemeinschaftsrechtsordnung zugrunde liegen.50 Aufgrund der Besonderheiten der Gemeinschaftsverträge als Rahmenverträge, die einerseits unvollständig und andererseits auf fortschreitende Integration und die Erreichung bestimmter Ziele ausgerichtet sind, kommt dem EuGH allerdings auch eine Integrationsfunktion zu. Nachdem die sekundäre Gesetzgebung ebenfalls nicht immer imstande war/ist, ein lückenloses und kohärentes Rechtssystem auszugestalten, übernimmt der EuGH zwangsläufig die Rolle eines „Ersatz- oder Nebengesetzgebers“.51 In dieser politischen „Befriedungsfunktion“ liegt eine wichtige Legitimation für die Tätigkeit des Gerichtshofs.52 Der EuGH hat somit auch insofern eine ungewöhnliche Rolle inne als er „in vielen Berei46 Bernhardt, Zur Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts, FS Kutscher, S. 17 (21). 47 Gaitanides in: von der Groeben/Schwarze, Art. 220 EG, Rn. 46. 48 So Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 15. 49 Statt vieler Wegener in: Calliess/Ruffert, Art. 220 EGV, Rn. 2; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 15 f. 50 Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Art. 220 EGV, Rn. 25. 51 Dänzer-Vanotti, Unzulässige Rechtsfortbildung des Europäischen Gerichtshofs, RIW 1992, S. 733 (734); vgl. Hummer/Obwexer, „Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat“ und wieder retour?, EuZW 1997, S. 295; Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 48; Everling, JZ 2000, S. 217 (221), der davon spricht, dass auch die Sekundärrechtsakte unvollkommen und lückenhaft sind und sie der EuGH oft erst durch Rechtsfortbildung anwendbar machen muss.

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Teil 1: Die Auslegungsmethoden des EuGH

chen offene Entwicklungen einer Gemeinschaft im Werden begleiten“53 muss.54

B. Die Auslegungsregeln des Gemeinschaftsrechts I. Ein spezifischer Methodenkanon Die überwiegende Mehrheit in der Literatur55 spricht sich dafür aus, im Europarecht einen eigenständigen Methodenkanon anzuwenden, da nur so den Besonderheiten der Gemeinschaftsrechtsordnung Rechnung getragen werden kann. So wie das Europarecht irgendwo zwischen Völkerrecht und staatlichem Recht steht,56 ist auch bei der Auslegung des Europarechts sowohl auf die völkerrechtlichen Auslegungsregeln als auch auf die Methoden der Verfassungsinterpretation in den Mitgliedstaaten zurückzugreifen.57 In der Praxis des Europäischen Gerichtshofs hat sich im Zusammenspiel völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Auslegungsmaximen eine eigene gemeinschaftsrechtliche Interpretation mit selbständigen Grundsätzen entwickelt. Dabei findet eine Anknüpfung an die bekannten Auslegungsarten statt, die jedoch anders gewichtet werden. Außerdem wurden auch neuartige Auslegungsregeln entwickelt. Der EuGH selbst hat sich beispielsweise in der Rechtssache Levin58 zu dem Rückgriff auf die allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätze, ausgehend vom gewöhnlichen Sinn der Begriffe in ihrem Kontext und im Lichte der Ziele des Vertrages bekannt. Überdies berücksichtigt er, wie z. B. bei der Auslegung des Begriffs „Arbeitnehmer“ 52 Everling, Rechtsvereinheitlichung durch Richterrecht in der Europäischen Gemeinschaft, RabelsZ 1986, S. 193 (213). 53 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 20. 54 Vgl. dazu ausführlich Teil 3 Kapitel C. 55 Vgl. z. B. Dumon, Kritische Prüfung der Auslegungsmethoden, S. III-83 ff.; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 20, 87 ff; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 5-71; Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 58 f.; Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 107 f.; derselbe, Die Auslegung des EU-Rechts, JuS 2004, S. 180 ff.; Streinz, ZEuS, 2004, S. 387 (401 f.); Oppermann, Europarecht, 8/1. 56 Vgl. z. B. Streinz in: Streinz, Art. 1 EGV, Rn. 10 ff. 57 Oppermann, Europarecht, 8/18; Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, 9/12; Monaco, Les principes d’interprétation suivis par la Cour, S. 177 (181); Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 179. 58 Rs. 53/81 (Levin), Slg. 1982, S. 1035, Rn. 9; vgl. auch verb. Rs. 212 bis 217/80 (Salumi), Slg. 1981, S. 2735, wo der EuGH in Rn. 8 ausführt, dass zur Ermittlung der zeitlichen Geltung der auszulegenden Verordnung unter Berücksichtigung ihres Wortlauts, ihrer Zielsetzung und ihrer Systematik auf allgemein anerkannte Auslegungsgrundsätze zurückzugreifen ist; ebenso Rs. C-261/96 (Conserchimica), Slg. 1997, I-6177, Rn. 16.

B. Die Auslegungsregeln des Gemeinschaftsrechts

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auch Anhaltspunkte, „die sich möglicherweise aus den gemeinschaftsrechtlichen Texten sowie den den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Auffassungen ergeben“.59 Die Ermittlung des Sinngehalts eines juristischen Textes kann nur anhand der Kombination der verschiedenen Auslegungsmethoden gelingen.60 Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene erfordert dies von den Richtern eine stärkere Flexibilität und Anpassungsfähigkeit als auf nationaler Ebene, da der Gerichtshof je nachdem, in welchem Bereich er Recht spricht, die Aufgaben eines Verfassungsgerichts, eines Zivilgerichts, eines Verwaltungsgerichts oder mitunter auch eines internationalen Gerichts wahrnimmt.61 Die Auslegung von primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht erfolgt grundsätzlich in ähnlicher Weise. Gewisse Unterschiede ergeben sich durch das Rangverhältnis der Normen untereinander, das sich z. B. in der primärrechtskonformen Auslegung des sekundären Gemeinschaftsrechts widerspiegelt.62 Die in Art. 253 EGV für Sekundärrechtsakte vorgesehene Begründungspflicht hat außerdem zur Folge, dass bei der Auslegung von Sekundärrecht ein verstärkter Rückgriff auf die Begründungserwägungen und damit auf die historische Auslegungsmethode festgestellt werden kann.63 In den folgenden Kapiteln sollen die einzelnen Auslegungsmethoden dargestellt werden, derer sich der EuGH bei seiner Tätigkeit bedient. Dazu zählen die grammatische oder Wortlautauslegung, die systematische, die teleologische, die historische Auslegung sowie die Rechtsvergleichung. Es ist interessant festzustellen, dass den Auslegungsregeln bzw. methodischen Fragen in der europarechtlichen Literatur nicht immer die gleiche Aufmerksamkeit zuteil wurde, sie waren nicht immer in gleichem Ausmaß Gegenstand juristischer Debatten. Auch die Einschätzung der Bedeutung der verschiedenen Methoden schwankt in Abhängigkeit von dem Zeitpunkt, zu dem die entsprechende Auseinandersetzung erfolgte. Viele Autoren64 sehen in der teleologischen Methode die Auslegungsmethode für das Gemeinschaftsrecht und sind der Ansicht, dass der Wortlaut einer Norm zwar als Ausgangspunkt für die Auslegungstätigkeit diene, aber daneben nur eine ge59 Rs. 105/84 (Foreningen af Arbejdsledete I Danmark), Slg. 1985, S. 2639, Rn. 23. 60 Zuleeg, Die Auslegung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, EuR 1969, S. 97 (99). 61 Monaco, Les principes d’interprétation suivis par la Cour, S. 177 (179). 62 Vgl. dazu Teil 1 Kapitel B. III. 3 a). 63 Vgl. dazu Teil 1 Kapitel B. V. 3. 64 Z. B. Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft.

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Teil 1: Die Auslegungsmethoden des EuGH

ringe Bedeutung habe. Neuere Untersuchungen65 kommen hingegen zu dem Ergebnis, dass diese Gewichtung nicht mehr stimme, weil der Gerichtshof dem Wortlautargument eine weit größere Bedeutung beimesse und die Rolle der teleologischen Auslegung in den Hintergrund trete. Zu diesen auf den ersten Blick widersprüchlichen Aussagen soll nach der Darstellung der einzelnen Auslegungsmethoden ausführlich Stellung genommen werden.

II. Die Wortlautauslegung 1. Allgemeines Am Beginn jeder Auslegungstätigkeit steht der Wortlaut des Textes, er stellt den Ausgangspunkt für das Verständnis der betreffenden Vorschrift dar. Unter Wortlautauslegung versteht man deshalb die Ermittlung der Bedeutung einer Rechtsnorm anhand ihres Wortlautes und des üblichen Sinns eines Wortes, Satzes oder Satzteils.66 Der EuGH lässt erkennen, dass er auf die Wortlautauslegung zurückgreift, wenn er sich ausdrücklich auf den Wortlaut oder einen genau bezeichneten Normtext beruft bzw. wenn er den Wortlaut einer Norm zitiert.67 Die einzelnen Worte dürfen nicht isoliert interpretiert werden, sondern im Zusammenhang mit dem ganzen Satz, dem Absatz oder dem ganzen Artikel, damit jedem Wort ein Sinn zukommt und keine Sätze, Wörter oder Absätze gegenstandslos werden.68 Diese systematische Dimension wird als Struktur der Norm bezeichnet, der EuGH spricht in seinen Urteilen vom „Artikel in seiner Gesamtheit69“ oder dem „Aufbau einer Vorschrift“.70 Auch die Zeichensetzung und logische Aspekte sind im Rahmen der grammatischen Auslegung zu berücksichtigen.71 65 Vgl. Dederichs, Die Methodik des EuGH; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht. 66 Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 152; Monaco, Les principes d’interprétation suivis par la Cour, S. 177 (182); Dumon, Kritische Prüfung der Auslegungsmethoden, S. III-115. 67 Vgl. auch Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 33. 68 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 145. 69 Vgl. z. B. Rs. 24/62 (Deutschland/Kommission) Slg. 1963, S. 143, 154. 70 Vgl. z. B. Rs. 59/75 (Manghera), Slg. 1976, S. 91, Rn. 9/12. Vgl. Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 146. 71 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 146; Dumon, Kritische Prüfung der Auslegungsmethoden, S. III-83; vgl. z. B. Rs. 15/60 (Simon) Slg. 1961, S. 241, 261: „bis zum Beweise des Gegen-

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2. Das Problem der Mehrsprachigkeit im Gemeinschaftsrecht72 a) Einführung Mehrsprachige Rechtssysteme bringen aus sprachlicher Sicht zwei unterschiedliche Herausforderungen mit sich, einerseits das Verfassen von Rechtstexten in verschiedenen verbindlichen Sprachen73 und andererseits deren Auslegung.74 Das Gemeinschaftsrecht ist in besonderer Weise von den Schwierigkeiten betroffen, die mit dem Verfassen und Auslegen von mehrsprachigen Rechtstexten einhergehen, da es in einer großen Anzahl von Sprachen verbindlich ist; seit dem 1. Januar 2007 liegt das Primärrecht in 23 Amtssprachen vor.75 Die Gleichwertigkeit der Sprachen der Mitgliedstaaten stellt im Gemeinschaftsrecht einen besonderen Wert dar, da sie gleichzeitig auch die Gleichwertigkeit der Rechtskulturen sowie die Beteiteils muss angenommen werden, dass jeder Textunterschied, der zu einer abweichenden Auslegung führen kann, auch einen Bedeutungsunterschied in sich birgt.“ 72 Die Literatur zu diesem Themenbereich ist äußerst umfangreich vgl. z. B. Luttermann/Luttermann, Ein Sprachenrecht für die Europäische Union, JZ 2004, S. 1002; Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht; Barents, Law and language in the European Union, EC-Tax Review 1997, S. 49; Braselmann, Übernationales Recht und Mehrsprachigkeit, EuR, 1992, S. 55; Héraud, La communauté européenne et la question linguistique, Revue d’intergration européenne, 1981, S. 5; Pescatore, Interprétation des lois et conventions plurilingues dans la Communauté européenne, Les Cahiers de droit, 1984, S. 989; van Calster, The EU’s Tower of Babel – The interpretation by the European Court of Justice of equally authentic texts drafted in more than one official language, Yearbook of European Law Nr. 17, 1997, S. 363. 73 Vgl. dazu auch Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 92 ff. 74 Vgl. ausführlich Pescatore, Recht in einem mehrsprachigen Raum, ZEuP 1998, S. 1 (5). 75 s. Art. 314 EGV, Art. 53 EUV, Art. 225 Euratom sowie Art. 290 EGV und die Verordnung Nr. 1 vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die europäische Wirtschaftsgemeinschaft, ABl. 1958, B 17, S. 385, geändert zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 920/2005 des Rates vom 13. Juni 2005, ABl. 2005, L 156, S. 3 und die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006, ABl. 2006, L 363, S. 1 anlässlich des Beitritts Rumäniens und Bulgariens. Nachdem durch die Verordnung (EG) Nr. 920/2005 mit Wirkung zum 1.1.2007 auch das Irische Amtssprache wurde, ist die bis dahin übliche Unterscheidung zwischen Vertrags- und Amtssprachen hinfällig geworden. Vgl. dazu Barents, EC-Tax Review 1997, S. 49 f.; Pescatore, Les Cahiers de droit, 1984, S. 989 (991 f.); Oppermann, Das Sprachenregime der Europäischen Union, ZEuS 2001, S. 1 (6). Zur Entwicklung der gemeinschaftlichen Sprachenregelung ausführlich Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 52 ff. Die Nichtbeachtung der Sprachenregelung kann zur Nichtigkeit eines Rechtsaktes nach Art. 230 EGV führen vgl. z. B. Rs. 41/69 (ACF Chemiefarma), Slg. 1970, S. 661; Rs. C-137/92 P (Kommission/BASF u. a.), Slg. 1994, I-2555.

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ligung jeder Sprache am Rechtserzeugungsprozess gewährleistet.76 Das Gemeinschaftsrecht folgt damit nicht der im Völkerrecht üblichen Praxis, dass nur eine bestimmte oder mehrere Sprachfassungen als Original gelten und die restlichen als Übersetzung anzusehen sind.77 Jede Sprache ist durch Eigenheiten gekennzeichnet, welche die Wortwahl und den Aufbau der Sätze beeinflussen und verfügt nicht in allen Bereichen über einen gleich großen Wortschatz.78 Aus der Verschiedenartigkeit der Sprachen erwächst somit die Gefahr, dass die Bedeutung bzw. der Inhalt einzelner Textpassagen voneinander abweichen. Die Bedeutung eines Wortes bestimmt sich außerdem zusätzlich auch in Abhängigkeit des Kontextes und des zeitlichen Moments, in dem es gebraucht wird,79 da „sprachliches Verstehen [. . .] durch implizites Kontextwissen“80 erfolgt. Beispielsweise ist der Begriff der Arbeitslosigkeit innerhalb der EG umstritten, da z. B. nach Ansicht der Griechen eine griechische Bäuerin arbeitslos ist, weil sie keinen Arbeitgeber hat.81 Wie dieses Beispiel zeigt, können sich aus den sprachlichen Unterschieden deshalb Fälle ergeben, in denen die Angehörigen verschiedener Mitgliedstaaten unterschiedlich behandelt werden. Die möglichen Auswirkungen sprachlicher Divergenzen sind somit nicht nur von rein linguistischer, sondern auch von wirtschaftlicher Bedeutung.82 Obwohl auf Gemeinschaftsebene besonders beim Erlass von Sekundärrecht größte Sorgfalt auf die zu verwendenden Begriffe und Formulierungen gelegt wird83, können semantische Unterschiede mitunter nur schwer von 76 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 207; Martiny, ZEuP 1998, S. 227 (235); kritisch Braselmann, EuR 1992, S. 55 (70 f.). Folge der Gleichwertigkeit aller Sprachen ist z. B., dass der Bürger jedes Mitgliedstaates das Recht hat, sich in einer dieser Sprachen an die Organe der Gemeinschaft zu wenden und auch eine Antwort in dieser Sprache zu erhalten; vgl. dazu Pfeil, Ein Grundrecht auf die eigene Rechtssprache im Gemeinschaftsrecht?, S. 125 (126); van Calster, Yearbook of European Law Nr. 17, 1997, S. 363 (391 f.); Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 376 f. 77 Martiny, ZEuP 1998, S. 227 (234). Zur historischen Entwicklung der gemeinschaftlichen Sprachenregelung: Pfeil, Mehrsprachigkeit und europäische Rechtsentwicklung, ZfRV 1996, S. 11 f. 78 van Calster, Yearbook of European Law Nr. 17, 1997, S. 363 (369). 79 van Calster, Yearbook of European Law Nr. 17, 1997, S. 363 (369). 80 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 212. 81 Armbrüster, Rechtliche Folgen von Übersetzungsfehlern oder Unrichtigkeiten in EG-Dokumenten, EuZW 1990, S. 246 82 Armbrüster, EuZW 1990, S. 246. Frosini, Gesetzgebung und Auslegung, S. 128, charakterisiert das Problem treffend, indem er feststellt, dass in den Gemeinschaften die Übereinstimmung von Rechtskultur und ihrem spezifischen Ausdrucksmittel, nämlich der Sprache, fehle. Es gebe in Europa zwar ein gemeinschaftliches Rechtsgefüge, aber keine eigenen angemessene Fachsprache; ähnlich auch Weir, Die Sprachen des europäischen Rechts, ZEuP 1995, S. 368 (368, 369).

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einer Sprache in die andere übertragen werden.84 Hinzu kommt als weiterer Faktor für sprachliche Ungereimtheiten im Gemeinschaftsrecht auch der Zeitdruck, unter dem Vertragsrevisionen und der Erlass von Sekundärrecht stehen.85 Sowohl die Primär- als auch die Sekundärrechtstexte sind deshalb – zwar in unterschiedlichem Ausmaß – durch die Verwendung von Kompromissformulierungen gekennzeichnet. b) Notwendigkeit eines Textvergleichs Die Auslegung mehrsprachiger Texte ist ein noch komplexerer Vorgang als ihre Redaktion, weil dabei kein Ausweichen auf sprachliche Kompromissformulierungen möglich ist.86 Die Herausforderung für den Interpreten besteht darin, die Gleichwertigkeit aller Sprachen mit dem Erfordernis der Rechtssicherheit in Einklang zu bringen.87 Die Tatsache, dass die verschiedenen Amtssprachen alle gleich verbindlich sind, führt nämlich zu einem Abhängigkeitsverhältnis der Sprachen untereinander. Nicht jede einzelne Sprache drückt den tatsächlichen Inhalt der betreffenden Bestimmung aus, sondern alle Sprachen formen ihn gemeinsam.88 Die Bedeutungen in den verschiedenen Sprachfassungen müssen somit zu einem „europäischen Wortsinn“89 verschmolzen werden. Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass „zunächst [. . .] dem Umstand Rechnung zu tragen [ist], dass die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts in mehreren Sprachen abgefasst sind und dass die verschiedenen sprachlichen Fassungen gleichermaßen verbindlich sind; die Auslegung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift erfordert somit einen Vergleich ihrer sprachlichen Fassungen.“90 Der Auslegungsvorgang beginnt 83

Dies ist Aufgabe des Juristischen Dienstes der Kommission: s. Rs. 44/59 (Fiddelaar), Slg. 1960, S. 1117, 1133, vgl. Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 99 f. 84 Armbrüster, EuZW 1990, S. 246; vgl. zu Begriffs- und Bedeutungsdivergenzen im Gemeinschaftsrecht Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 112 ff. 85 Vgl. dazu auch Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 154. 86 Pescatore, ZEuP 1998, S. 1 (5). 87 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 22. 88 van Calster, Yearbook of European Law Nr. 17, 1997, S. 363 (375). 89 Oppermann, Europarecht, 8/20. 90 Rs. 283/81 (C. I. L. F. I. T./Ministero della sanità), Slg. 1982, S. 4315, Rn. 18; vgl. auch Rs. 29/69 (Stauder), Slg. 1969, S. 419, Rn. 3 f.; Rs. C-372/88 (Milk Marketing Board), Slg. 1990, I-1345, Rn. 19; Rs. C-219/95 P (Ferriere Nord/Kommission), Slg. 1997, I-4411, Rn. 31; Rs. C-296/95 (EMU Tabac), Slg. 1998, I-1605, Rn. 36; Rs. C-48/98 (Söhl), Slg. 1999, I-7877, Rn. 46; vgl. Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 168 ff. mit ausführlichen Beispielen zu verschiedenen

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dabei aufgrund der Tatsache, dass Französisch die Arbeitssprache des Gerichtshofs ist, mit der französischen Fassung.91 In der Rechtssache Wendelboe92, die die Richtlinie zum Betriebsübergang93 betraf, kam der EuGH so z. B. zu dem Ergebnis, dass „in der deutschen, in der französischen, in der griechischen, in der italienischen und in der niederländischen Fassung der Satzteil „zum Zeitpunkt des Übergangs . . . bestehenden“ sich eindeutig auf den Ausdruck „Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis“ bezieht und in der englischen und in der dänischen Fassung dieselbe Auslegung jedenfalls möglich ist“.94 Im Rahmen der grammatischen Auslegung muss sich der Gerichtshof also zuerst die Bedeutung der Worte der auszulegenden Vorschrift in allen Amtssprachen erschließen.95 Nur der Vergleich der verschiedenen Fassungen garantiert eine Lösung, die der Verbindlichkeit und Gleichwertigkeit aller Sprachen gerecht wird.96 Der EuGH stellt dabei zunächst auf den wirklichen Willen der Urheber des Textes im Lichte der Fassung in allen Sprachen ab, berücksichtigt dann aber auch systematische und teleologische Gesichtspunkte. Seiner Ansicht nach kann er sich nämlich „nicht mit einer wörtlichen Auslegung begnügen. Es ist daher notwendig zu prüfen, ob diese Auslegung durch andere Gesichtspunkte, insbesondere den gemeinsamen Willen der vertragsschließenden Parteien und die Ratio legis, bestätigt wird.“97 Bei der Auslegung einer Vorschrift „ist nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden.“98 Sachbereichen sowie Grafiken zu Anzahl und Verteilung der sprachvergleichenden Urteile in der Rechtsprechung des EuGH. 91 Colneric, ZEuP 2005, S. 225 (227). 92 Rs. 19/83 (Wendelboe), Slg. 1985, S. 457. 93 Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen, ABl. 1977, L 61, S. 26 (im Folgenden Richtlinie 77/187 oder Richtlinie zum Betriebsübergang). 94 Rs. 19/83 (Wendelboe), Slg. 1985, S. 457, Rn. 13; vgl. auch Rs. 238/84 (Röser), Slg. 1986, S. 795, Rn. 22. 95 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 149. 96 Vgl. z. B. Rs. 9/79 (Koschniske), Slg. 1979, 2717, Rn. 5 f.; Rs. 125/79 (Denilauler), Slg. 1980, S. 1553, Rn. 8; Rs. 199/87 (Jensen), Slg. 1988, S. 5045, Rn. 15; Rs. 228/87 (Straverfahren gegen X), Slg. 1988, S. 5099, Rn. 14; Rs. C-305/88 (Lancray), Slg. 1990, I-2725, Rn. 16; Rs. C-121/90 (Lolkes), Slg. 1991, I-5833, Rn. 9. 97 Rs. 6/60 (Humblet), Slg. 1960, S. 1165, 1194. 98 Rs. 292/82 (Merck), Slg. 1983, S. 3781, Rn. 12; vgl. z. B. auch Rs. C-30/93 (AC-ATEL Electronics), Slg. 1994, I-2305, Rn. 21.

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In der Literatur ist umstritten, ob der EuGH auf weitere Auslegungsmethoden nur dann zurückgreift, wenn zwischen den verschiedenen Sprachen Divergenzen bestehen99 oder auch dann, wenn die Wortlautauslegung ein klares und eindeutiges Ergebnis liefert (sog. Grundsatz des „in claris non fit interpretatio“).100 Auf diese Problematik soll hier lediglich hingewiesen werden,101 zumal aufgrund der beschriebenen sprachlichen Besonderheiten des Gemeinschaftsrechts ein eindeutiger Wortlaut in allen sprachlichen Fassungen eher als Ausnahmefall zu betrachten ist.102 Die überwiegende Mehrheit der Urteile des EuGH legt den Schluss nahe, dass er auch im Falle eines eindeutigen und klaren Wortlauts noch andere Auslegungsmethoden heranzieht, um das gefundene Ergebnis anhand dieser zu überprüfen bzw. zu bestätigen. c) Vorgehensweise des EuGH bei sprachlichen Divergenzen zwischen den Fassungen Auslegungsprobleme tauchen bei mehrsprachigen Texten oft erst dann auf, wenn Sinn und Bedeutung der Worte in den verschiedenen Sprachen voneinander abweichen.103 Es stellt sich somit die Frage, wie die unterschiedlichen Varianten in diesem Fall in Einklang gebracht werden können. Möglich wäre es, diejenige Bedeutung zu wählen, die sich aus der Mehrheit der Sprachfassungen ergibt. Diese Variante wurde vom EuGH jedoch nie übernommen.104 Abgelehnt hat er es auch, der klarsten Fassung den Vor99

Vgl. dazu das folgende Kapitel B. II. 2. c). Bejahend: van Calster, Yearbook of European Law Nr. 17, 1997, S. 363 (371); Dederichs, Die Methodik des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, EuR 2004, S. 345 (353); ablehnend: Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (100); Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 162 f.; Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht, S. 58 f.; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 162 ff.; Monaco, Les principes d’interprétation suivis par la Cour, S. 177 (182); Dumon, Kritische Prüfung der Auslegungsmethoden, S. III-115 f.; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 34 f.; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 26 ff.; Millett, Statute Law Review 1989, S. 163 (168); eine vermittelnde Position einnehmend Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 244 f. 101 Für eine vertiefte Auseinandersetzung s. die in der vorherigen Fn. zitierten Autoren. 102 So auch Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (100). 103 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-18; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 147 f. 104 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 25; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, 100

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rang zu geben.105 Bedeutungsdifferenzen könnten außerdem aufgelöst werden, indem man aus den unterschiedlichen Varianten den kleinsten gemeinsamen Nenner bildet. Mit anderen Worten würde man diejenige Auslegung wählen, die sich auf die gleichen Bedeutungen in den verschiedenen sprachlichen Fassungen stützt,106 was wohl eine Orientierung an der engsten sprachlichen Fassung zur Folge hätte.107 Auch diese Auslegungsvariante wird deshalb vom EuGH zu Recht abgelehnt. Die Vorgehensweise des Gerichtshofs zur Auflösung von Textdivergenzen ist nicht ganz einheitlich.108 Er geht auf jeden Fall davon aus, dass der fundamentale Grundsatz der Gleichberechtigung aller Sprachen sowohl die isolierte109 Betrachtung einer einzelnen Sprache als auch den Vorrang einer Sprache vor den anderen verbietet. Es ist gefestigte Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass bei Zweifeln die Auslegung und Anwendung im Lichte der anderen verbindlichen Sprachfassungen erfolgen muss.110 Entscheidend ist, dass auf diese Weise auch die Rechtssicherheit am besten gewährleistet wird, da sich die Rechtsunterworfenen auf den Wortlaut der Norm in ihrer jeweiligen Sprache verlassen können111 und die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts gesichert wird.112 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich der EuGH durchwegs mehrerer Auslegungsmethoden bedient, um im S. 156; Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 267 f.; vgl. z. B. auch Rs. 80/76 (Kerry Milk), Slg. 1977, S. 425, Rn. 11/12, wo der EuGH ausführt, dass bei sprachlichen Unstimmigkeiten eine Auslegung vorgenommen werden sollte, bei der keinem der betreffenden Texte der Vorzug gegeben wird. 105 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 28 f.; Weber in: von der Groeben/Schwarze, Art. 314 EGV, Rn. 15; Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 275 f.; vgl. z. B. Rs. 76/77 (Auditeur du Travail), Slg. 1977, S. 2485. 106 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 29; Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 282 f. 107 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 156. 108 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 153; vgl. auch Pescatore, Les Cahiers de droit, 1984, S. 989 (997); vgl. ausführlich dazu auch Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 227 ff. 109 Vgl. z. B. Rs. 19/67 (Van der Vecht), Slg. 1967, S. 465, 473; Rs. C-372/88 (Milk Marketing Board), Slg. 1990, I-1345, Rn. 19. 110 Vgl. z. B. Rs. 80/76 (Kerry Milk), Slg. 1977, S. 425, Rn. 11/12; Rs. 55/87 (Moksel), Slg. 1988, S. 3845, Rn. 15; Rs. C-64/95 (Konservenfabrik Lubella), Slg. 1996, I-5105, Rn. 17. In den meisten Fällen bezieht der EuGH nicht ausdrücklich alle Amtssprachen in die Auslegung mit ein; vgl. dazu ausführlich Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 217 f. 111 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 156. 112 Vgl. van Calster, Yearbook of European Law Nr. 17, 1997, S. 363 (375).

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Einzelfall eine Lösung zu finden. Dies gilt umso mehr, wenn sich zwischen den verschiedenen Sprachen Divergenzen ergeben. Nur dieser Ansatz trägt dann den sprachlichen Mehrdeutigkeiten und den sich daraus ergebenden rechtlichen Unsicherheiten angemessen Rechnung. Er erfordert vom Gerichtshof aber auch eine flexible und einzelfallbezogene Anwendung der verschiedenen Auslegungsmethoden. Bei der Auflösung von Textdivergenzen geht der EuGH in der Regel in mehreren Stufen vor. Zuerst stellt er die verschiedenen Sprachen in ihrer unterschiedlichen Bedeutung dar, dann hebt er Bedeutungsdivergenzen heraus und schließlich trifft er eine Entscheidung zwischen diesen, indem er eine spezielle gemeinschaftliche Bedeutung bestimmt,113 die keiner der Sprachfassungen widersprechen darf.114 Diese Bedeutung rechtfertigt er zuletzt anhand anderer Auslegungsmethoden, wodurch das gefundene Ergebnis nachvollziehbar und nachprüfbar wird.115 Drei Beispiele aus der Rechtsprechung des EuGH sollen dies verdeutlichen. In der Rechtssache Roudolff116 untersuchte der Gerichtshof zuerst die Bedeutung der auszulegenden Worte in den verschiedenen Sprachfassungen. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass die verschiedenen Fassungen gewisse grammatische Merkmale aufwiesen, die für eine bestimmte Auslegung sprechen könnten. Insgesamt blieb der Text nach Ansicht des EuGH jedoch mehrdeutig, weshalb er es für nötig erachtete, „die Funktion der streitigen Wendung im Licht der Zielsetzungen der betreffenden Regelung zu prüfen“.117 In der Rechtssache 11/76118 kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass „der Wortlaut [. . .] in seinen verschiedenen sprachlichen Fassungen [. . .] im Lichte der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und der Vorarbeiten [. . .] in vieler Hinsicht zu widersprüchlich und mehrdeutig [ist], als dass sich aus ihm die Antwort auf die streitigen Fragen ergeben könnte. Für seine Auslegung ist somit auf den Zusammenhang, in dem er steht, und auf das mit der Regelung verfolgte Ziel abzustellen.“119 113 Vgl. auch Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 161; van Calster, Yearbook of European Law Nr. 17, 1997, S. 363 (383); Bredimas,, Methods of Interpretation and Community Law, S. 37; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 35, 223. 114 van Calster, Yearbook of European Law Nr. 17, 1997, S. 363 (377). 115 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 40, 41, 233. Sie erkennen in dieser Vorgehensweise Ansätze einer methodischen Struktur (vgl. S. 39); ähnlich auch Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 233 f. 116 Rs. 803/79 (Roudolff), Slg. 1980, S. 2015, insbes. Rn. 5 f. 117 Rs. 803/79 (Roudolff), Slg. 1980, S. 2015, Rn. 7. 118 Rs. 11/76 (Niederlande/Kommission), Slg. 1979, S. 245.

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In der Rechtssache Röser120 führte der EuGH Folgendes aus: „Zwar war die deutsche Fassung des Artikels 36 insoweit nicht eindeutig [. . .]. Eine vergleichende Untersuchung der verschiedenen sprachlichen Fassungen, insbesondere der unzweideutig formulierten englischen, französischen und italienischen Fassung, zeigt aber, dass diese Vorschrift dahin zu verstehen ist, dass sie diese Maßnahmen [. . .] ausschließlich bei der Verarbeitung der dort genannten Erzeugnisse zu für die Gewinnung von Tafelwein geeignetem Wein oder zu Tafelwein zulässt. Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck der Bestimmung [. . .].“121

Zusammenfassend kann man somit festhalten, dass der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, dass bei einer Abweichung der verschiedenen Sprachfassungen „die fragliche Vorschrift nach dem Zusammenhang und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden [muss], zu der sie gehört“.122 3. Autonome Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Begriffe Die Gemeinschaftsrechtsordnung hat ein offensichtliches Interesse daran, dass jede Bestimmung des Gemeinschaftsrechts unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewendet werden soll, eine einheitliche Auslegung erhält, damit künftige unterschiedliche Auslegungen verhindert werden.123 Wenn der EuGH eine Norm auslegt, stützt er sich zunächst auf den üblichen Wortsinn.124 Ob er dabei auf den aktuellen Sinn der auszulegenden Bestimmung abstellt oder auf den Sinn zum Zeitpunkt des Erlasses der Norm, ist seiner Rechtsprechung nicht zweifelsfrei zu entnehmen. Es scheint jedoch 119 Rs. 11/76 (Niederlande/Kommission), Slg. 1979, S. 245, Rn. 6; vgl. auch Rs. 30/77 (Bouchereau), Slg. 1977, S. 1999, Rn. 13/14; Rs. C-372/88 (Milk Marketing Board), Slg. 1990, I-1345, Rn. 19; Rs. C-72/95 (Kraaijeveld), Slg. 1996, I-5403, Rn. 28; Rs. C-437/97 (Evangelischer Krankenhausverein), Slg. 2000, I-1157, Rn. 42; Rs. C-6/98 (ARD/PRO Sieben), Slg. 1999, I-7599, Rn. 27; Rs. C-245/01 (RTL), Slg. 2003, I-12489, Rn. 97 f. 120 Rs. 238/84 (Röser), Slg. 1986, S. 795. 121 Rs. 238/84, (Röser), Slg. 1986, S. 795, Rn. 22. 122 Vgl. z. B. Rs. C-437/97 (EKW und Wein & Co.), Slg. 2000, I-1157, Rn. 42 oder Rs. C-1/02 (Privat-Molkerei Borgmann), Slg. 2004, I-3219, Rn. 25. 123 Vgl. Rs. C-126/97 (Eco Swiss), Slg. 1999, I-3055, Rn. 40. 124 Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht, S. 47 f.; Dumon, Kritische Prüfung der Auslegungsmethoden, S. III-115; vgl. z. B. Rs. 256/85 (Italien/Kommission), Slg. 1988, S. 521, Rn. 15 „Begriff[. . .] im üblichen Wortsinn“; a. A. Pescatore, ZEuP 1998, S. 1 (7), der davon ausgeht, dass die juristischen Begriffe ihren letzten und entscheidenden Sinn aus dem Rechtssystem und nicht aus der geläufigen Sprache erhalten.

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eine Bevorzugung der zweiten Variante vorzuliegen. Dies gilt auf jeden Fall für die Auslegung von Sekundärrecht, bei der sich der Gerichtshof oft auf die Begründungserwägungen und somit den Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers stützt.125 Gegen diese Auffassung spricht auch nicht die Tatsache, dass der EuGH z. B. den Begriff des Gesundheitsschutzes unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der Forschung auslegt oder auch bei anderen Begriffen die Situation im Zeitpunkt der Auslegung zugrundelegt. Dieses Vorgehen ist nämlich bei unbestimmten Rechtsbegriffen mit „raumzeitlich dynamischem Charakter“126 unerlässlich, da sie schon von ihrem Grundkonzept her auf zukünftige Entwicklungen ausgerichtet sind. Bei deren Auslegung ist die momentane Situation mit dem Willen des Gesetzgebers im Zeitpunkt des Erlasses der Norm in Einklang zu bringen. Zur Festlegung des Bedeutungsgehalts gemeinschaftsrechtlicher Begriffe hat der EuGH in der Rechtssache Corman127 grundlegend ausgeführt, dass „die Gemeinschaftsrechtsordnung ihre Begriffe [grundsätzlich] nicht in Anlehnung an eine oder mehrere nationale Rechtsordnungen definieren [will], sofern dies nicht ausdrücklich vorgesehen ist.“128 Die Begriffe des Gemeinschaftsrechts müssen folglich autonom und einheitlich unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und der mit der betreffenden Regelung verfolgten Zielsetzung ermittelt werden.129 Begrifflichkeiten und Inhalte des nationalen Rechts können nicht ohne weiteres auf die Gemeinschaftsebene übertragen werden, da sie relativ sind, d.h. in Bezug zu der Rechtsordnung, der sie entstammen, gesehen werden müssen.130 Eine eigenständige Begriffsbildung ist notwendig, um die Autonomie und den Vorrang des 125

Vgl. z. B. Rs. 2/70 (Acciaierie e ferriere Riva), Slg. 1971, S. 97, Rn. 13; Rs. C-28/91 (Haneberg), Slg. 1992, I-4165, Rn. 30; Rs. C-190/95 (ARO Lease), Slg. 1997, I-4383, Rn. 26; Rs. C-60/98 (Butterfly Music), Slg. 1999, I-3939, Rn. 19 f. Bzgl. der Auslegung von primärem Gemeinschaftsrecht gibt es nur vereinzelt Urteile aus den Anfangsjahren der Gemeinschaft, in denen sich der EuGH auf den Willen der vertragschließenden Parteien beruft; vgl. Rs. 1/58 (Stork), Slg. 1958, S. 45, 67; Rs. 6/60 (Humblet), Slg. 1960, S. 1165, 1194. 126 Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht, S. 50. 127 Rs. 64/81 (Corman), Slg. 1982, S. 13. 128 Rs. 64/81 (Corman), Slg. 1982, S. 13, Rn. 8. 129 Vgl. Rs. 327/82 (Ekro), Slg. 1984, S. 107, Rn. 11; vgl. auch Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 161; van Calster, Yearbook of European Law Nr. 17, 1997, S. 363 (383); Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 37; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 223 sprechen sich dafür aus, statt „autonomer Auslegung“ von gemeinschaftsbezogener zu sprechen, da die Bedeutung des Gemeinschaftsbegriffs nämlich nicht aus dem Nichts entstehe, sondern ihr die sprachliche Analyse der Wortlaute in allen Sprachfassungen vorausgehe. 130 Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 152; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law,

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Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.131 Der Rückgriff auf Bestimmungen der innerstaatlichen Rechtsordnung mit dem Ziel, die Tragweite der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu begrenzen, würde nach Ansicht des EuGH im Ergebnis die Einheit und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen und kann daher nicht zugelassen werden.132 Das bedeutet jedoch nicht, dass sich der Gerichtshof nicht in der Regel am üblichen Sprachgebrauch der nationalen Rechtskreise orientiert. Eine autonome Auslegung impliziert nämlich kein vollkommen unabhängiges Agieren von den Nationalsprachen.133 In seiner Rechtsprechung hat der EuGH eine Reihe von Begriffen mit speziell gemeinschaftsrechtlicher Bedeutung entwickelt, wie z. B. den gemeinschaftsrechtlichen Begriff des Arbeitnehmers.134 4. Die Bedeutung der Wortlautauslegung in der Rechtsprechung des EuGH Der Wortlaut einer Norm stellt einerseits den Ausgangspunkt jeglicher Auslegungstätigkeit dar.135 Der EuGH geht aber andererseits, wie dargestellt, in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das Auslegungsergebnis durch die Kombination verschiedener Auslegungsmethoden zu erzielen ist136. Außerdem greift er, selbst wenn der Wortlaut klar und eindeutig ist, auf weitere Interpretationsmethoden zurück. Die Bedeutung der Wortlautauslegung ist deshalb in der europarechtlichen Literatur umstritten. Die herrschende Meinung misst ihr im Vergleich zu den anderen Methoden eine untergeordnete Bedeutung bei.137 Dieser S. 37; vgl. auch Rs. 283/81 (C. I. L. F. I. T./Ministero della sanità), Slg. 1982, S. 4315, Rn. 19. 131 Vgl. Schroeder, JuS 2004, S. 180 (185). 132 Rs. 149/79 (Kommission/Belgien), Slg. 1980, S. 3881, Rn. 19. 133 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 42; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 164. 134 Vgl. dazu z. B. Rs. C-413/01 (Ninni-Orasche), Slg. 2003, I-13187, Rn 23.: „. . . der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne von Artikel 48 EGV nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Begriff des Gemeinschaftsrechts ist . . .“. Ausführlich zur Auslegung des Begriffs „Arbeitnehmers“ Scheibeler, Begriffsbildung durch den Europäischen Gerichtshof, S. 26 ff.; vgl. zur autonomen Auslegung im Rahmen des Brüsseler Übereinkommens Teil 2 Kapitel C. III. 3. e). 135 So z. B. auch Colneric, ZEuP 2005, S. 225 (226). 136 Vgl. z. B. Rs. 337/82 (St. Nikolaus Brennerei), Slg. 1984, S. 1051, Rn. 10; Rs. 292/82 (Merck), Slg. 1983, S. 3781, Rn. 12; Rs. C-156/98 (Deutschland/Kommission), Slg. 2000, I-6857, Rn. 50; vgl. auch Millett, Statute Law Review 1989, S. 163 (173).

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Schluss wird in der Regel hauptsächlich mit der Verbindlichkeit aller Sprachfassungen begründet und hängt wohl auch damit zusammen, dass vom Wortlaut mitunter zu viel erwartet wird. Er solle eine Bedeutung liefern und diese solle die richtige sein. Dies ist schlichtweg nicht möglich, weil der Wortlaut immer verschiedene Bedeutungen haben kann und der Sinn eines Wortes stets kontextabhängig ist und nicht schon von vorneherein in ihm drinnen steckt.138 In der neueren Literatur zu den Auslegungsmethoden des EuGH wird vermehrt die Ansicht vertreten, die Wortlautauslegung habe eine eigenständige Bedeutung und werde vom Gerichtshof häufig und nicht lediglich als reiner Einstieg für andere Auslegungsmethoden verwendet.139 Eine Untersuchung der Urteile des EuGH aus dem Jahre 1999 kommt zu dem Ergebnis, dass der Gerichtshof in diesem Zeitraum in 70% der Fälle mit dem Wortlaut der auszulegenden Bestimmung argumentierte und dass diese Methode somit die häufigste unter den vier klassischen Auslegungsmethoden war.140 Dies belege, dass ihr der EuGH eine gesteigerte Bedeutung beimesse, was sich auch daran zeige, dass er wiederholt auf einen klaren Wortlaut Bezug nehme oder diesen zitiere und ihn so für sich selbst sprechen lasse.141 Diese auf den ersten Blick widersprüchlichen Aussagen lassen sich in Einklang bringen, wenn man eine zeitliche Komponente in die Betrachtungsweise aufnimmt. Es ist nämlich nicht möglich, eine allgemeingültige Aussage über die Gewichtung der Auslegungsmethoden durch den Gerichtshof für die gesamte Lebensdauer der Gemeinschaften zu treffen. Die Auffassung von Dederichs und Müller/Christensen, dass die Bedeutung der Wortlautauslegung in der Literatur fast durchgängig unterschätzt142 werde 137 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 168; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 176; Wegener in: Calliess/Ruffert, Art. 220 EGV, Rn. 12; Dumon, Kritische Prüfung der Auslegungsmethoden, S. III-117; Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, 9/14; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-21; Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 367 f.; Pescatore, ZEuP 1998, S. 1 (10) für den alle Auslegung letztlich eine Frage der Teleologie ist, sprachliche Unstimmigkeiten können nur im Lichte von Sinn und Zweck der Vorschriften gelöst werden; Groh, Die Auslegungsbefugnis des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren, S. 136 ff. 138 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 33; Groh, Die Auslegungsbefugnis des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren, S. 127 f. 139 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 31; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 169; Bleckmann/Pieper in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, B.I., Rn. 10. 140 Dederichs, EuR 2004, S. 345 (349). 141 Dederichs, EuR 2004, S. 345 (354).

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bzw. dass eine „eklatante Fehleinschätzung der grammatischen Interpretation“143 vorliege, kann in dieser Absolutheit nicht bestätigt werden. Beide Ansichten stützen sich nämlich in erster Linie auf die Urteile des EuGH des Jahres 1999. Dabei handelt es sich aber um eine Momentaufnahme der Rechtsprechung, deren Charakteristiken nicht verallgemeinerungsfähig sind. Die erwähnte Untersuchung ist hilfreich, weil sie die „modernere“ Rechtsprechung des EuGH zutreffend beschreibt. Die Meinung der Autoren, für die die Wortlautauslegung keine große Rolle spielt, kann durch das Argument gestützt werden, dass der EuGH in den Anfangsjahren der Gemeinschaft der Wortlautargumentation zwangsläufig eine geringere Bedeutung beimaß als er es heute zu tun pflegt. Damals musste er zunächst aus dem durch Kompromisse und offene Formulierungen gekennzeichneten Primärrecht allgemeine Charakteristiken und Grundzüge des Gemeinschaftsrechts entwickeln, was einen raschen Übergang vom Wortlaut zu teleologischen Gesichtspunkten impliziert. Mit zunehmender Lebensdauer der Gemeinschaft stieg die Anzahl der Sekundärrechtsakte, die im Vergleich zum Primärrecht präziser formuliert sind. Außerdem betreffen diese häufig spezifische, vor allem auch technische Bereiche, in denen der Wortlaut notwendigerweise eher im Vordergrund steht. Vor allem bei der Auslegung von Sekundärrecht spielt der Wortlaut somit eine große Rolle, selbst wenn der EuGH auch dabei in der Regel die anderen Auslegungsmethoden noch zusätzlich heranzieht. Zusammenfassend kann man deshalb festhalten, dass die Bedeutung der Wortlautauslegung im Gemeinschaftsrecht mit zunehmender Entwicklung der Gemeinschaft zugenommen hat. Als Grundlage und Ausgangspunkt eines jeden Auslegungsvorgangs darf ihre Relevanz nicht unterschätzt werden, der Interpret muss nämlich den Rechtstext lesen, um ihn auslegen zu können; er wird also als erstes mit dem Wortlaut konfrontiert. Der Gerichtshof bleibt in seinen Urteilen nahezu ausnahmslos nicht bei der grammatischen Auslegung stehen, sondern kombiniert sie mit den anderen Methoden und überprüft das so gefundene Ergebnis wiederum mit dem Wortlaut in den verschiedenen Sprachen.144 Eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Wortlaut in den verschiedenen Sprachen ist notwendig, um die Gleichberechtigung aller Sprachen sicherzustellen. Außerdem trägt sie u. a. zur Rechtssicherheit und späteren Akzeptanz des Urteils in den verschiedenen Mitgliedstaaten bei.145 Die letzten beiden Erweiterungsrunden, durch die sich die Anzahl der verbindlichen Sprachen nahezu verdoppelt hat, stellen 142

Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 31. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 32. 144 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 43 f. sprechen von den einzelnen Nationalsprachen als „Überprüfungsinstanz.“ 143

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an den Gerichtshof noch größere Herausforderungen bezüglich des Vergleichs der verschiedenen Sprachfassungen. Davon betroffen ist aber auch der Gemeinschaftsgesetzgeber, der durch eine sorgfältige Formulierung dazu beitragen kann, die Arbeit der Richter bei der Auslegung der Texte zu erleichtern.

III. Die systematische Auslegung 1. Allgemeines Systematisch auslegen bedeutet, Schlüsse aus dem System des auszulegenden Textes zu ziehen, d.h. von der Stellung einer Norm im Regelungsgefüge auf ihren Inhalt zu schließen.146 Der systematischen Interpretationsmethode liegt die Annahme zugrunde, dass die Gründungsverträge ein Rechtssystem bilden, in das sich die einzelnen Normen einfügen.147 Die einzelnen Bestimmungen des geschriebenen Gemeinschaftsrechts stehen somit in einem Zusammenhang zueinander und sind so auszulegen, dass sie miteinander harmonieren. Die Berücksichtigung der systematischen Stellung einer Norm im Normgefüge ist entscheidend, um bei der Auslegung Widersprüche zwischen den verschiedenen Bestimmungen zu vermeiden.148 Daneben wird auch eine inhaltliche Anpassung der Norm an das innere System der Gemeinschaftsregelungen erzielt149 und gewährleistet, dass sie in das vom Vertrag verankerte Wertesystem passt.150 145 van Calster, Yearbook of European Law Nr. 17, 1997, S. 363 (391); Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 171. 146 Bleckmann, Die systematische Auslegung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 41 (47); Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 177. 147 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-38; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 44; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 173; Bleckmann, Die systematische Auslegung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 41 (47); Brown/Kennedy, The Court of Justice of the European Communities, S. 311; Meyer, Die Grundsätze der Auslegung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, JURA 1994, S. 455 (456). 148 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 172; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 177; Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (103); Bleckmann, Die systematische Auslegung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 41; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 55; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-40. 149 Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 177.

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Der Gerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Normen „ausgehend vom gewöhnlichen Sinn der Begriffe in ihrem Kontext auszulegen“151 sind und dass ihre Bedeutung und ihr Umfang „unter Berücksichtigung des allgemeinen Zusammenhangs, in dem sie verwendet werden [. . .] zu bestimmen“152 sind. Bei der Anwendung der systematischen Methode im Gemeinschaftsrecht ergeben sich gewisse Unterschiede zwischen der Auslegung von Primär- und der Auslegung von Sekundärrecht. 2. Der Kontext im Rahmen der systematischen Auslegung Bei der Berücksichtigung des Zusammenhangs der Vorschriften und der Struktur der Gemeinschaftsrechtsordnung kann man von einem engeren oder einem weiteren Kontext ausgehen.153 a) Enger Kontext Das Naheliegendste ist zunächst der Rückgriff auf den engeren Zusammenhang der Norm.154 Darunter fallen die Berücksichtigung der gesamten Rechtsnorm, der Nachbarnormen oder des gesamten Kapitels. Nachdem davon auszugehen ist, dass in allen Artikeln eines Kapitels und in allen Kapiteln eines Titels der Gründungsverträge dieselben Materien abschließend geregelt sind, besteht zwischen den auszulegenden Bestimmungen eine Wechselbezüglichkeit.155 Durch den Rückgriff auf die anderen Normen des Kapitels kann der Inhalt der auszulegenden Norm bestimmt werden, ihre Auslegung kann aber wiederum Hilfestellung für die Inhaltsbestimmung der anderen Normen des Kapitels oder des Titels leisten.156 Bei dem Rückgriff auf die Nachbarnormen wird implizit vorausgesetzt, dass der Gemein150 Bleckmann, Die systematische Auslegung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 4. 151 Rs. 53/81 (Levin), Slg. 1982, S. 1035, Rn. 9. 152 Rs. 349/85 (Kommission/Dänemark), Slg. 1988, S. 169, Rn. 9. 153 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, 2003, S. 45, 56; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 177 f.; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 173 f.; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 43; Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (102). 154 Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (102). 155 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 174; Bleckmann, Die systematische Auslegung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 41 (48). 156 Bleckmann/Pieper in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, B.I., Rn. 31 sprechen von Wechselbezüglichkeit der systematischen Auslegung.

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schaftsgesetzgeber die einzelnen Artikel eines Gesetzes rational logisch aufeinander aufbaut.157 Dabei ist aufgrund der unterschiedlichen Weise ihres Zustandekommens zwischen primären und sekundären gemeinschaftsrechtlichen Normen zu unterscheiden. Das sekundäre Gemeinschaftsrecht weist nämlich einen höheren Grad an normativer Strukturierung auf als das Primärrecht, weshalb ihm auch anhand der Systematik gesichertere Aussagen entnommen werden können als den Verträgen.158 Die Beispiele aus der Rechtsprechung des EuGH, in denen er auf die Nachbarnormen der auszulegenden Vorschrift zurückgreift, sind zahlreich. So vergleicht der Gerichtshof in der Rechtssache Gómez Rivero159 z. B. zwei Artikel der Verordnung 1408/71160 miteinander: „Artikel 16 der Verordnung Nr. 1408/71 ist eine Sonderregelung, die von der allgemeinen Regelung in Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung abweicht.“161 In der Rechtssache Costa/E. N. E. L162 führte er aus, dass „bei der beantragten Auslegung von Artikel 37163 [. . .] die Absätze 1 und 2 wegen ihrer schwierigen Fassung und ihrer Verzahnung im Zusammenhang des Kapitels zu betrachten [sind], in dem sie enthalten sind.“164 Ähnlich argumentierte der EuGH in Rechtssache Gemeente Almelo165: „Was zunächst den Anwendungsbereich dieses Artikels angeht, so folgt [. . .] aus seiner Stellung innerhalb des Kapitels über die Beseitigung der mengenmäßigen Beschränkungen [. . .], dass er den Handel mit Waren betrifft.“166

b) Weiter Kontext Neben dem Rückgriff auf den engeren Zusammenhang der Norm ist es im Rahmen der systematischen Auslegung auch möglich, entfernter liegende Bestimmungen oder den Gesamtzusammenhang des Vertrages zu be157 Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 178. 158 Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 181. 159 Rs. C-211/97 (Gómez Rivero), Slg. 1999, I-3219. 160 Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu – und abwandern, ABl. 1971, L 149, S. 2 (im Folgenden Verordnung 1408/71). 161 Rs. C-211/97 (Gómez Rivero), Slg. 1999, I-3219, Rn. 22. 162 Rs. 6/64 (Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1253. 163 Nun Art. 31 EGV. 164 Rs. 6/64 (Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1253, 1275; vgl. auch Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976, S. 497, Rn. 56/61. 165 Rs. C-393/92 (Gemente Almelo), Slg. 1994, I-1477. 166 Rs. C-393/92 (Gemente Almelo), Slg. 1994, I-1477, Rn. 27.

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rücksichtigen, sowie einen Vergleich mit den anderen Gründungsverträgen vorzunehmen.167 Im Gegensatz zu den Fällen, in denen Normen desselben Kapitels miteinander verglichen werden, kann man bei einem Vergleich mit Normen aus anderen Teilen des Vertrages davon ausgehen, dass sie eine andere Materie regeln als die auszulegende Norm und deshalb auch andere Rechtsfolgen beinhalten können.168 Deshalb darf die Norm A nicht so ausgelegt werden, dass ihr Inhalt auch nur teilweise mit dem Sachverhalt übereinstimmt, der von der Vergleichsnorm B geregelt wird.169 Auch im Falle der Heranziehung entfernter liegender Normen ist es Ziel der Auslegungstätigkeit, eine Bedeutung der auszulegenden Bestimmung zu finden, bei der die beiden verglichenen Normen miteinander harmonieren. Dadurch wird die Einheit des Gemeinschaftsrechts gewährleistet. Im Rahmen der Berücksichtigung des Gesamtzusammenhang des Vertrages kann für den EuGH z. B. die Tatsache eine Rolle spielen, dass ein Artikel am Anfang des den Grundlagen der Gemeinschaft gewidmeten Teils des Vertrages steht, woraus sich die zentrale Bedeutung dieser Bestimmung für die Errichtung des Gemeinsamen Marktes ableiten lässt.170 Im AETRUrteil171 bezog sich der Gerichtshof etwa auf den Gesamtzusammenhang des Vertrages, indem er Folgendes ausführte: „Da der Vertrag die Aushandlung und den Abschluss internationaler Abkommen für den Bereich der Verkehrspolitik [. . .] nicht durch besondere Vorschriften regelt, muss auf das allgemeine System des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der Beziehungen zu dritten Staaten zurückgegriffen werden.“172 Vergleichbar mit dieser Vorgehensweise beim Primärrecht ist im Sekundärrecht der Rückgriff auf den Gesamtzusammenhang einer Richtlinie oder Verordnung.173 So stellte der Gerichtshof beispielsweise in der Rechtssache Kro174 fest, dass „es [. . .] daher im Einklang mit dem System der Richt167

So auch Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (102). Bleckmann/Pieper in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, B.I., Rn. 32; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 182. 169 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 178. 170 So z. B. Rs. 87/75 (Bresciani), Slg. 1976, S. 129, Rn. 7. 171 Rs. 22/70 (Kommission/Rat), Slg. 1971, S. 263. 172 Rs. 22/70 (Kommission/Rat), Slg. 1971, S. 263, Rn. 12; vgl. auch Rs. 136/78 (Auer), Slg. 1979, S. 437, Rn. 15; verb. Rs. 35 und 36/82 (Morson), Slg. 1982, S. 3723, Rn. 13; Rs. 135/83 (Abels), Slg. 1985, S. 469, Rn. 13. 173 So auch Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 181. 174 Rs. 287/86 (Kro), Slg. 1987, S. 5465. 168

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linie175 [steht], sie so auszulegen, dass – wenn nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist – nur die Arbeitnehmer Ansprüche aus ihr herleiten können, deren Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Übergangs bestand“.176 In der Rechtssache Kühne177 argumentierte der EuGH damit, dass sich „aus dem Wortlaut und der Systematik des Artikels 7 der Verordnung Nr. 2081/92178 ergibt [. . .], dass der Einspruch gegen eine Eintragung nicht von dem Mitgliedstaat ausgehen kann, der den Eintragungsantrag gestellt hat“.179 Der Vergleich mit Bestimmungen anderer Gründungsverträge ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs eher selten. Ein Beispiel dafür findet sich in der Rechtssache Continental Can.180 Darin lehnte es der EuGH ab, aus der Tatsache, dass Unternehmenszusammenschlüsse in Art. 66 EGKSVertrag ausdrücklich geregelt seien, abzuleiten, dass diese im Rahmen des EG-Vertrages zulässig seien, weil dort eine solche Regelung fehle. Die „hier anstehenden Probleme lassen sich daher nicht durch einen Vergleich zwischen diesem Artikel und einigen Bestimmungen des EGKS-Vertrags lösen.“181 Immer wieder kombiniert der Gerichtshof im Rahmen der systematischen Auslegung auch den engeren und den weiteren Kontext der zu interpretierenden Norm. So führte er z. B. in der Rechtssache Manghera182 aus, dass bei der Auslegung „des Artikels 37 Absatz 1 [. . .]183 der Zusammenhang 175 Das Vorabentscheidungsverfahren betraf die Auslegung der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen, ABl. 1977, L 61, S. 26. 176 Rs. 287/86 (Kro), Slg. 1987, S. 5465, Rn. 25; vgl. z. B. auch Rs. C-385/02 (Kommission/Italien), Slg. 2004, I-8121, Rn. 36: „Diese Auslegung wird durch den Gegenstand der fraglichen Bestimmung und ihren Platz im System der Richtlinie bestätigt.“ 177 Rs. C-269/99 (Kühne GmbH/Jütro Konservenfabrik), Slg. 2001, I-9517. 178 Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, ABl. 1992, L 208, S. 1. 179 Rs. C-269/99 (Kühne GmbH/Jütro Konservenfabrik), Slg. 2001, I-9517, Rn. 55, vgl. auch Rn. 40: „Das Aufstellen einer solchen Bedingung, die die Anwendung des vereinfachten Verfahrens erheblich eingeschränkt hätte, findet im Wortlaut dieses Artikels nämlich keinerlei Grundlage und ergibt sich darüber hinaus auch nicht aus dem durch die Verordnung Nr. 2081/92 eingeführten System.“ 180 Rs. 6/72 (Continental Can), Slg. 1973, S. 215, insbes. Rn. 22 f.; s. auch Rs. 266/82 (Turner/Kommission), Slg. 1984, S. 1, Rn. 5. 181 Rs. 6/72 (Continental Can), Slg. 1973, S. 215, Rn. 22. 182 Rs. 59/75 (Manghera), Slg. 1976, S. 91. 183 Nun Art. 31 EGV.

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Teil 1: Die Auslegungsmethoden des EuGH

dieser Bestimmung mit den übrigen Absätzen des Artikels und ihr Platz innerhalb des allgemeinen Vertragssystems zu untersuchen“184 sei. 3. Besondere Ausprägungen der systematischen Auslegungsmethode a) Die primärrechtskonforme Auslegung des sekundären Gemeinschaftsrechts Die primärrechtskonforme Auslegung des sekundären Gemeinschaftsrechts spielt in der Rechtsprechung des EuGH eine wichtige Rolle.185 Die Pflicht dazu ergibt sich aus der Höherrangigkeit des Primärrechts gegenüber dem Sekundärrecht und ist Ausfluss der Hierarchie der Rechtsquellen.186 Der Unterschied zur „klassischen“ systematischen Auslegung besteht darin, dass bei der primärrechtskonformen Auslegung Normen miteinander verglichen werden, die hierarchisch nicht auf derselben Stufe stehen.187 Müller/ Christensen sprechen deshalb in diesem Zusammenhang treffend von vertikaler Systematik.188 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Bestimmungen des sekundären Gemeinschaftsrechts, wenn sie mehr als eine Auslegung zulassen, so auszulegen, dass sie mit dem EGV und den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts189 vereinbar sind.190 Eine Auslegung, 184

Rs. 59/75 (Manghera), Slg. 1976, S. 91, Rn. 6/8. So auch Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 195; Bleckmann, Zu den Auslegungsmethoden des Europäischen Gerichtshofs, NJW 1982, S. 1177 (1179). 186 Vgl. auch Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 322 f., 325; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 186 f. 187 So auch Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 186; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-40; genau aus diesem Grunde sprechen sich Müller/ Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 328 dafür aus, sie nicht als besonderen Fall der systematischen Auslegung anzusehen. Diese Methode weist Parallelen zur verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen im nationalen Recht auf. 188 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, 2003, S. 51. 189 Hierzu zählen z. B. die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes (vgl. z. B. verb. Rs. 212 bis 217/80 (Salumi), Slg. 1981, S. 2735, Rn. 10; verb. Rs. 205 bis 215/82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, S. 2633, Rn. 30; Rs. 98/78 (Racke), Slg. 1979, S. 69, Rn. 20; Rs. 99/78 (Decker), Slg. 1979, S. 101, Rn. 8) oder der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. z. B. Rs. 44/79 (Hauer) Slg. 1979, S. 3727, Rn. 5) und natürlich auch die Grundrechte (vgl. z. B. verb. Rs. 46/87 und 227/88 (Hoechst), Slg. 1989, S. 2859, Rn. 12 f.: „diese Vorschrift nicht in einer 185

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die zu einem Widerspruch mit dem höherrangigen Recht führen würde, muss außer Acht gelassen werden. So stellte der EuGH beispielsweise in der Rechtssache Athanasopoulos191 fest, dass „die Verordnung Nr. 1408/71 im Lichte des mit Artikel 51 EWG-Vertrag192 – ihrer Rechtsgrundlage – verfolgten Ziels auszulegen ist, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu sichern.“193 Im Rahmen der Konformauslegung spielt auch das Verhältnis des Gerichtshofs zu den rechtsetzenden Organen eine entscheidende Rolle. Hier kommt das unter dem Stichwort „judicial self restraint“ bekannte Prinzip der richterlichen Zurückhaltung zur Anwendung, das besagt, dass ein Gericht die Rechtsakte der Organe nur dann für ungültig oder unanwendbar erklären darf, wenn eine Auslegung, bei der sie mit dem höherrangigen Recht vereinbar und somit gültig bleiben, nicht möglich ist.194 Der EuGH versucht so weit als möglich eine Nichtigerklärung von Sekundärrechtsakten zu vermeiden. Er stellte diesbezüglich in der Rechtssache 218/82195 grundlegend fest: „Gestattet eine Bestimmung des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts mehr als eine Auslegung, so ist nach Auffassung des Gerichtshofes die Auslegung, bei der die Bestimmung mit dem Vertrag vereinbar ist, derjenigen vorzuziehen, die zur Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Vertrag führt.“196 Weise ausgelegt werden darf, die zu Ergebnissen führen würde, die mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts und insbesondere mit den Grundrechten unvereinbar wären.“). Vgl. auch GA Alber, Schlussanträge Rs. C-435/00 (GEHA Naftiliaki), Slg. 2002, I-10615, Rn. 40: „sind zur vertragskonformen Anwendung der Verordnung Nr. 4055/86 alle Grundsätze heranzuziehen, die der Gerichtshof bei der Auslegung von Artikel 49 EG entwickelt hat“. 190 Vgl. verb. Rs. 201/85 und 202/85 (Klensch), Slg. 1986, S. 3477, Rn. 21; Rs. C-414/89 (Rauh), Slg. 1991, I-1647, Rn. 17; Rs. C-98/91 (Herbrink), Slg. 1994, I-223, Rn. 9. 191 Rs. C-251/89 (Athanasopoulos), Slg. 1991, I-2797. 192 Nun Art. 42 EGV. 193 Rs. C-251/89 (Athanasopoulos), Slg. 1991, I-2797, Rn. 19; vgl. z. B. auch Rs. 246/80 (Broekmeulen), Slg. 1981, S. 2311, Rn. 20: „in Einklang mit den Erfordernissen der Freizügigkeit, der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs“; Rs. C-7/93 (Beune), Slg. 1994, I-4471, Rn. 65: „Diese Auslegung muß auch für Artikel 8 Absatz 2 gelten, der die Tragweite des Artikels 119 hinsichtlich der Rentenansprüche für Zeiträume vor der Änderung des betreffenden Systems nicht einschränken kann.“ 194 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-41; vgl. auch Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 188, 190; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 195. 195 Rs. 218/82 (Kommission/Rat), Slg. 1983, S. 4063. 196 Rs. 218/82 (Kommission/Rat), Slg. 1983, S. 4063, Rn. 15.

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Teil 1: Die Auslegungsmethoden des EuGH

b) Der Verweis auf die frühere Rechtsprechung Als Anwendungsfall der systematischen Auslegung ist auch der Verweis auf die frühere Rechtsprechung anzusehen. Der Gerichtshof hat mit zunehmender Anzahl seiner Urteile begonnen, mehr und mehr auf frühere Entscheidungen zu verweisen und so umfangreiche Rechtsprechungsketten aufgebaut, obwohl an sich keine Bindung an die Vorgängerentscheidungen besteht.197 Zur Veranschaulichung sei das Dosenpfand-Urteil198 des EuGH angeführt, in dem sich verschiedene Beispiele für den Verweis auf frühere Rechtsprechung finden. So führte der Gerichtshof zur Frage der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung aus, dass er „nach Artikel 61 seiner Verfahrensordnung die mündliche Verhandlung von Amts wegen, auf Vorschlag des Generalanwalts oder auch auf Antrag der Parteien wiedereröffnen kann, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder ein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen für entscheidungserheblich erachtet (vgl. Urteile vom 10. Februar 2000 in den Rechtssachen C-270/97 und C-271/97 Deutsche Post, Slg. 2000, I-929, Randnr. 30, vom 19. Februar 2002 in der Rechtssache C-309/99, Wouters u. a., Slg. 2002, I-1577, Randnr. 42, vom 18. Juni 2002 in der Rechtssache C-299/99, Philips, Slg. 2002, I-5475, Randnr. 20, und vom 12. Dezember 2002 in der Rechtssache C-273/00, Sieckmann, Slg. 2002, I-11737, Randnr. 22).“199

Bezüglich der Zulässigkeit der Vorlagefragen stellte der EuGH fest, „dass es unter Berücksichtigung der Verteilung der Aufgaben zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten nicht Sache des Gerichtshofes ist, nachzuprüfen, ob die Entscheidung, mit der er angerufen worden ist, den nationalen Vorschriften über die Gerichtsorganisation und das Gerichtsverfahren entspricht (vgl. Urteile vom 3. März 1994 in den Rechtssachen C-332/92, C-333/92 und C-335/92, Eurico Italia u. a., Slg. 1994, I-711, Randnr. 13, vom 16. September 1999 in der Rechtssache C-435/97, WWF u. a., Slg. 1999, I-5613, Randnr. 33, und vom 3. Oktober 2000 in der Rechtssache C-371/97, Gozza u. a., Slg. 2000, I-7881, Randnr. 30). Der Gerichtshof hat sich an die von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Vorlageentscheidung zu halten, solange sie nicht aufgrund eines im nationalen Recht eventuell vorgesehenen Rechtsbehelfs aufgehoben worden ist (Urteil vom 14. Januar 1982 in der Rechtssache 65/81, Reina, Slg. 1982, 33, Randnr. 7).“200 197 Vgl. dazu Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 197 f. 198 Rs. C-309/02 (Radlberger), Slg. 2004, I-11763; aus den unzähligen Beispielen vgl. z. B. auch Rs. C-104/98 (Buchner), Slg. 2000, I-3625, Rn. 25; Rs. C-333/97 (Lewen), Slg. 1999, I-7243, Rn. 19. 199 Rs. C-309/02 (Radlberger), Slg. 2004, I-11763, Rn. 22. 200 Rs. C-309/02 (Radlberger), Slg. 2004, I-11763, Rn. 26.

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Zur Frage, ob eine Verkaufsmodalität vorliege und somit der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit gar nicht eröffnet sei, hielt der EuGH Folgendes fest: „Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes schließt es nämlich das sich aus den fraglichen Maßnahmen ergebende Erfordernis, die Verpackung oder die Etikettierung der eingeführten Erzeugnisse zu ändern, aus, dass diese Maßnahmen im Sinne des Urteils Keck und Mithouard Verkaufsmodalitäten der Erzeugnisse betreffen (vgl. Urteile vom 3. Juni 1999 in der Rechtssache C-33/97, Colim, Slg. 1999, I-3175, Randnr. 37, vom 16. Januar 2003 in der Rechtssache C-12/00, Kommission/Spanien, Slg. 2003, I-459, Randnr. 76, und vom 18. September 2003 in der Rechtssache C-416/00, Morellato, Slg. 2003, I-9343, Randnr. 29).“201

Im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung, der Arbeitsersparnis und einer kontinuierlichen Entwicklung des Rechts ist der Verweis auf die frühere Rechtsprechung zu begrüßen.202 Der EuGH lässt sich dabei nicht primär von Überlegungen der Arbeitsersparnis leiten, sondern setzt sich mit seinen früheren Urteilen differenziert auseinander. Deshalb hält er auch nicht starr an seiner Rechtsprechung fest, sondern ändert sie, wenn dazu Anlass besteht.203 So führte er z. B. in der Rechtssache CNL-SUCAL204 aus, dass er es „für erforderlich hält, die in jenem Urteil [gemeint ist das Urteil in der Rs. 192/73205] vorgenommene Auslegung im Lichte der Rechtsprechung zu überprüfen“.206 Ein weiteres anschauliches Beispiel findet sich in der Rechtssache Keck und Mithouard,207 in der der EuGH für die Beschränkungen des freien Warenverkehrs die Unterscheidung zwischen produktund vertriebsbezogenen Maßnahmen einführte. Er äußerte sich zu dem Grund für die Änderung seiner Rechtsprechung folgendermaßen: „Da sich die Wirtschaftsteilnehmer immer häufiger auf Artikel 30 EWG-Vertrag208 berufen, um jedwede Regelung zu beanstanden, die sich als Beschränkung ihrer geschäftlichen Freiheit auswirkt, auch wenn sie nicht auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten gerichtet ist, hält es der Gerichtshof für notwendig, seine Rechtsprechung auf diesem Gebiet zu überprüfen und klarzustellen.“209 201

Rs. C-309/02 (Radlberger), Slg. 2004, I-11763, Rn. 71. Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 198; Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 42, 48, 51 f. 203 Vgl. auch Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 198; Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 59; Colneric, ZEuP 2005, S. 225 (229), die auf S. 230 darauf hinweist, dass der EuGH heutzutage Rechtsprechungsänderungen in der Regel offen zu erkennen gibt. 204 Rs. C-10/89 (CNL-SUCAL), Slg. 1990, I-3711. 205 Anmerkung der Verfasserin; Rs. 192/73 (Van Zuylen/HAG), Slg. 1974, S. 731. 206 Rs. C-10/89 (CNL-SUCAL), Slg. 1990, I-3711, Rn. 10. 207 Verb. Rs. C-267/91 und C-268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6097. 208 Nun Art. 28 EGV. 202

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Durch den Verweis auf frühere Entscheidungen kommt es zu einer horizontalen Vernetzung der Rechtsprechung des EuGH.210 In der Literatur wird zu Recht bemerkt, dass der Gerichtshof im Falle des Verweises auf seine frühere Rechtsprechung von einem Beobachter erster Ordnung zu einem Beobachter zweiter Ordnung wird. Wenn er die klassischen Auslegungsmethoden anwendet, beobachtet er das Recht, wenn er auf seine frühere Rechtsprechung verweist, beobachtet er sich selbst bzw. seine früheren Entscheidungen.211 Präjudizien sind gewissermaßen als Systematik zweiter Ordnung anzusehen, weil es dabei nicht um die Systematik des Rechtstextes geht, sondern um die Systematik der Rechtsprechung des betreffenden Gerichts.212 Mit dem Verweis auf die frühere Rechtsprechung in der Judikatur des EuGH setzte sich die methodenrechtliche Literatur bislang nur wenig auseinander.213 Dederichs kommt in ihrer grundlegenden Untersuchung der Urteile des EuGH aus dem Jahre 1999 zu dem Ergebnis, dass der Verweis auf die frühere Rechtsprechung die häufigste Methode sei, derer sich der Gerichtshof in diesem Zeitraum bediente und dass sie gegenüber den anderen Auslegungsmethoden herausragende Bedeutung habe.214 Der Verfasserin ist insofern zuzustimmen, dass sich der EuGH in der neueren Judikatur sehr häufig auf Vorgängerurteile beruft. Ob damit tatsächlich eine Neubewertung der Gewichtung der Auslegungsmethoden einhergehen muss, wie die Autorin vorschlägt, wird am Ende von Teil 1 eingehend behandelt, nachdem alle Auslegungsmethoden des Gerichthofs besprochen wurden.215 4. Die Bedeutung der systematischen Auslegungsmethode in der Rechtsprechung des EuGH Die systematische Auslegung spielt in der Rechtsprechung des EuGH eine wichtige Rolle. Dass der Gerichtshof häufig auf sie zurückgreift,216 209 Verb. Rs. C-267/91 und C-268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6097, Rn. 14. 210 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 51. 211 Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 53 f. 212 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 52 f. 213 Vgl. Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 198; grundlegend jetzt Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 37 ff.; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 224 ff. 214 Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 37; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 51 sind der Ansicht, dass der Verweis auf die frühere Rechtsprechung das wichtigste systematische Element in der Rechtsprechung des EuGH sei. 215 s. Teil 1 Kapitel B. VII. Fazit.

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hängt u. a. mit der Tatsache zusammen, dass diese Auslegungsmethode, wie gezeigt wurde, vielfältige Spielarten kennt und auch der Verweis auf die frühere Rechtsprechung darunter zu subsumieren ist. Die meisten Autoren sprechen deshalb der systematischen Auslegungsmethode im Gemeinschaftsrecht eine große Bedeutung zu.217 Auch in diesem Punkt widerspricht die bereits erwähnte Untersuchung der EuGH-Urteile des Jahres 1999 der herrschenden Meinung. Die Verfasserin kommt nämlich zu dem Ergebnis,218 dass nur 30% der Entscheidungen im betrachteten Zeitraum systematische Argumente enthielten, weshalb sie die systematische Methode von der Bedeutung her auf eine Stufe mit der historischen stellt. Wie noch zu zeigen ist, spielt die historische Auslegungsmethode für die Auslegung des Primärrechts eine vollkommen untergeordnete Rolle und ist auch für das Sekundärrecht nicht von zentraler Bedeutung.219 Das Ergebnis der Studie ist insofern „verfälscht“, als die Verfasserin den Verweis auf die frühere Rechtsprechung als eine eigene Auslegungsmethode anführt und nicht als Unterart der systematischen Methode ansieht. Außerdem ist es auch bei den Urteilen, in denen der Gerichtshof nach Ansicht der Autorin mit systematischen Überlegungen argumentiert, nicht gerechtfertigt, diese auf eine Stufe mit der historischen Auslegung zu stellen. Die Beurteilung der Bedeutung der systematischen Auslegungsmethode hängt nämlich eng mit der der teleologischen zusammen. Die herrschende Meinung in der Literatur geht zu Recht davon, dass die systematische und die teleologische Auslegung eng miteinander verwoben sind,220 da die Be216 Vgl. z. B. Bleckmann/Pieper in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, B.I., Rn. 30, die davon ausgehen, dass der EuGH in 50% der Fälle auf den Zusammenhang der Normen zurückgreift. 217 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-38; Brown/Kennedy, The Court of Justice of the European Communities, S. 311; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 200 f.; Bleckmann, Die systematische Auslegung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 41 (56); Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-31; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 53. 218 Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 103 f. 219 Vgl. Teil 1 Kapitel B. V. 220 Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 201; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-42 f.; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 200; Bleckmann, Die systematische Auslegung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 41 (56 f.); Everling, Rechtsanwendungs- und Auslegungsgrundsätze des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften, in: Kruse (Hrsg.), Zölle, Verbrauchssteuern, Europäisches Marktordnungsrecht, S. 51 (60); Streinz in: Streinz, Art. 2 EGV, Rn. 18; v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 2 EGV,

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rücksichtigung einer Norm im Gesamtsystem des Vertrages zugleich eine Berücksichtung der Vertragsziele impliziert.221 Auch der EuGH führt in vielen Urteilen aus, dass die Auslegung einer Norm anhand ihres Systems und ihrer Ziele zu erfolgen hat.222 Wie im folgenden Kapitel dargelegt wird, hat die teleologische Auslegungsmethode im Gemeinschaftsrecht zentrale Bedeutung. Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen der systematischen und der teleologischen Methode muss deshalb auch die Bedeutung der systematischen hoch eingeschätzt werden. Trotz der Verbindung zwischen den beiden Methoden darf der systematischen Auslegungsmethode eine eigenständige Bedeutung aber nicht abgesprochen werden. Aus diesem Grunde wurde in dem vorliegenden Kapitel auch bewusst darauf verzichtet, den Rückgriff auf die Vertragsziele zu erörterten, wie dies einige Autoren in ihren Darstellungen tun.223 Die Einbeziehung der Vertragsziele sollte nämlich ausschließlich der teleologischen Methode zugeordnet werden.224

IV. Die teleologische Auslegung 1. Allgemeines Der EuGH greift auf die teleologische Auslegungsmethode zurück, wenn er nach dem Sinn und Zweck, nach dem Ziel oder dem Geist der einzelnen Vertragsnormen fragt oder nach der ratio legis des Vertrages insgesamt.225 Um eine Norm teleologisch auslegen zu können, müssen zuerst deren Ziel und Zweck in objektiver Form ermittelt werden.226 Das bedeutet, dass es dabei nicht auf den Sinn oder die Ziele ankommt, die die vertragsschließenden Parteien oder der Gemeinschaftsgesetzgeber der Norm geben wollten, sondern auf die in der Norm selbst festgelegten objektiven Ziele.227 Der EuGH versucht dabei, den Platz zu ermitteln, den die Norm im anwendbaren VerRn. 14; Colneric, ZEuP 2005, S. 225 (227); Millett, Statute Law Review 1989, S. 163 (173); a. A. Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 102. 221 Ähnlich Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Art. 220 EGV, Rn. 43 f.; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 201. 222 Vgl. dazu ausführlich Teil 1 Kapitel B. IV. 5. 223 So z. B. Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 183 f. 224 s. dazu sogleich, ähnlich argumentiert auch Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 201. 225 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 198, 202; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 72. 226 Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 202; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 202 f.

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trags- oder Regelungswerk einnimmt, indem er den Gegenstand der Norm und des Vertrags- oder Regelungswerkes ermittelt, zu dem die auszulegende Bestimmung gehört. Wenn der Gerichthof den Sinn und Zweck einer Norm bestimmt, ist es sein Ziel, sinnlose oder unsinnige228 Schlussfolgerungen zu vermeiden.229 Er geht davon aus, dass festgestellt werden muss, was vernünftigerweise unter einem bestimmten Begriff zu verstehen ist.230 Grundsätzlich folgt die teleologische Methode beim Primär- und beim Sekundärrecht den gleichen Regeln.231 Aufgrund der Vielfalt und der Unterschiedlichkeit der Ziel- und Zweckinteressen der einzelnen Normen können verallgemeinernde Aussagen nur in bestimmten Grenzen getroffen werden, da die Eigenarten der Norm die Einordnung in ein methodisches Schema nicht immer ermöglichen.232 2. Auslegung anhand der allgemeinen und sektoriellen Vertragsziele Die allgemeinen Vertragsziele ergeben sich aus der Präambel und den Anfangsbestimmungen des EGV und bilden die Grundlage der teleologischen Ausrichtung der Rechtsprechung des EuGH.233 Die sektoriellen Ziele können den Einzelbestimmungen im EGV bzw. dem Sekundärrecht entnommen werden. Zwischen den beiden Arten von Zielen besteht eine Wechselbeziehung, da die sektoriellen Ziele als konkrete Anwendung der allgemeinen Ziele auf einen bestimmten Bereich anzusehen sind. Deshalb dürfen sie auch nicht ohne Berücksichtigung der allgemeinen Ziele ausgelegt werden.234 Der Gerichtshof geht davon aus, dass die allgemeinen Ziele mit den sektoriellen ein in sich geschlossenes System bilden, bei dem 227

Vgl. dazu auch Bleckmann, Das Recht der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaften, S. 205, Rn. 547. 228 Vgl. Rs. C-413/92 (Deutschland/Kommission), Slg. 1994, I-3781, Rn. 21; Rs. C-200/91 (Coloroll Pension Trustees), Slg. 1994, I-4389, Rn. 53; Rs. 74/82 (Kommission/Irland), Slg. 1984, S. 317, Rn. 12. 229 Vgl. auch Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht, S. 98 f.; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 207 f. 230 Rs. 8/55 (Fédération charbonnière de Belgique/Hohe Behörde), Slg. 1956, S. 199, 228; Rs. C-126/95 (Hallouzi-Choho), Slg. 1996, I-4807, Rn. 44. 231 Vgl. Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 1997, S. 205 f. 232 Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 203. 233 Everling, JZ 2000, S. 217 (223). 234 Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, Bd. I, S. 821; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 71; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 79.

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die allgemeinen nicht hinter die konkreter gefassten Ziele zurücktreten, sondern zumindest ergänzend bei der teleologischen Auslegung mit zu berücksichtigen sind.235 So hat er in der Rechtssache Continental Can236 z. B. festgehalten, dass die in den Art. 85 bis 90 des EWGV237 enthaltenen allgemeinen Vorschriften für Unternehmen der Wahrung der Grundsätze der Art. 2 und 3 desselben Vertrages und der Erreichung der dort aufgezeigten Ziele dienen. In der Praxis müssen die verschiedenen Ziele aufeinander abgestimmt werden, da es offensichtlich unmöglich ist, sie alle gleichzeitig und jedes einzelne bis zur äußersten Konsequenz zu verwirklichen. Sie enthalten nämlich allgemeine Grundsätze, die es im weitestmöglichen Umfang zu verwirklichen und miteinander in Einklang zu bringen gilt.238 a) Allgemeine Vertragsziele aa) Art. 2 und 3 EGV Zu den in Art. 2 EGV genannten rechtlich verbindlichen239 Zielen gehören z. B. die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschaftsund Währungsunion, eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Beschäftigungsniveau, die Gleichstellung von Männern und Frauen oder ein hohes Maß an Umweltschutz. Art. 3 EGV formuliert diese Ziele240 konkreter aus, wenn er beispielsweise eine gemeinsame Handelspolitik, die Errichtung eines Binnenmarktes, eine gemeinsame Politik auf dem Gebiet der Landwirtschaft und der Fischerei oder eine Politik auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit vorsieht. Zwischen den in den Art. 2 und 3 EGV genannten Zielsetzungen der Gemeinschaft besteht grundsätzlich keine bestimmte Reihenfolge, weshalb sie unter Wahrung der geringstmöglichen Beeinträchtigung aufeinander abzustimmen sind und nur in Ausnahmefällen einem Ziel vorübergehend Priorität vor den anderen eingeräumt werden darf.241 Der EuGH greift in den 235 Vgl. z. B. Rs. 9/57 (Chambre syndicale/Hohe Behörde), Slg. 1957, S. 383, 403; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 208. 236 Rs. 6/72 (Continental Can), Slg. 1973, S. 215, Rn. 25. 237 Nun Art. 81 bis 86 EGV. 238 Rs. 8/57 (Groupement des hauts Fourneaux), Slg. 1958, S. 233, 251. 239 Vgl. v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 2 EGV, Rn. 8; Streinz in: Streinz, Art. 2 EGV, Rn. 8. 240 Ebenfalls rechtlich verbindlich, vgl. Streinz in: Streinz, Art. 3 EGV, Rn. 3.

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meisten Fällen auf eine kombinierte Betrachtung der beiden Normen zurück,242 was sich daraus rechtfertigt, dass Art. 2 EGV eher allgemeine Handlungsmaximen und Zielprioritäten enthält,243 Art. 3 EGV hingegen präzisere Tätigkeitsvorgaben, wie beispielsweise das Verbot von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen bei der Ein- und Ausfuhr von Waren.244 Die allgemeinen Vertragsziele dienen als Auslegungsmaßstab, um den Sinngehalt anderer Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zu ermitteln,245 da sie an der Spitze der vertragsprägenden246 allgemeinen Grundsätze stehen und die Aufgaben der EG beschreiben.247 So stellte der EuGH z. B. in der Rechtssache Schul248 fest, dass „eine solche Auslegung [von Art. 95 EWGV249. . .] der Notwendigkeit [entspricht], den in den Artikeln 2 und 3 241 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 346; v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 2 EGV, Rn. 58; derselbe in: Grabitz/Hilf, Art. 3 EGV, Rn. 3; Streinz in: Streinz, Art. 2 EGV, Rn. 36; derselbe in: Streinz, Art. 3 EGV, Rn. 51; ausgenommen sind Fälle, in denen der Vertrag selbst einem Ziel Priorität gegenüber einem anderen einräumt, vgl. z. B. Art. 36 EGV, der einen Vorrang der Agrarpolitik vor dem Kapitel über die Wettbewerbsregeln vorsieht. 242 So auch Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 204 f.; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 210; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 80 f.; v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 3 EGV, Rn. 2; Bleckmann/Pieper in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, B.I., Rn. 16. 243 Z. B. „harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens“ oder „wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt“. Auch wenn es sich bei den in Art. 3 EGV genannten Prinzipien eigentlich um Mittel zur Erreichung der in Art. 2 genannten Ziele handelt, betrachtet sie der EuGH trotzdem als Ziele, deren Erreichung den wesentlichen Gegenstand des EGV bildet. Vgl. Rs. 126/86 (Gimenez Zaera), Slg. 1987, S. 3697, Rn. 10; Rs. C-293/03 (My), Slg. 2004, I-12013, Rn. 29; Rs. 6/72 (Continental Can), Slg. 1973, S. 215, Rn. 23: „Das Vorbringen der Klägerinnen, diese Bestimmung enthalte nur einen allgemeinen, rechtlich unverbindlichen Programmsatz, verkennt, dass Artikel 3 die Verfolgung der Ziele, die er aufstellt, als unerlässlich für die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinschaft ansieht.“ 244 So auch v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 2 EGV, Rn. 59; derselbe in: Grabitz/Hilf, Art. 3 EGV, Rn. 2. 245 Zuleeg in: von der Groeben/Schwarze, Art. 2 EGV, Rn. 3; v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 2 EGV, Rn. 13 f.; derselbe in: Grabitz/Hilf, Art. 3 EGV, Rn. 3; Streinz in: Streinz, Art. 2 EGV, Rn. 18; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 208. 246 Vgl. auch Rs. 67/73 (Kommission/Frankreich), Slg. 1974, S. 359, Rn. 17/23. 247 Vgl. Rs. 167/73 (Italien/Kommission), Slg. 1974, S. 25, Rn. 17/23; Rs. 67/73 (Kommission/Frankreich), Slg. 1974, S. 359, Rn. 17/23. 248 Rs. 15/81 (Schul), Slg. 1982, S. 1409, Rn. 33; s. auch Rs. 299/86 (Drexl), Slg. 1988, S. 1213, Rn. 24 oder Rs. C-312/91 (Matalsa), Slg. 1993, I-3751, Rn. 15.

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EWG-Vertrag zum Ausdruck gebrachten Zielen des Vertrages Rechnung zu tragen, zu denen an erster Stelle die Schaffung eines gemeinsamen Marktes gehört.“ In einem anderen Urteil hielt der Gerichthof fest, dass „die rechtliche Verbindlichkeit der in den genannten Rechtsakten aufgestellten Verfahrensregeln [. . .] im Lichte der Ziele der Gemeinschaft zu beurteilen [ist].“250 Außerdem führte er aus, dass „die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts nach den Artikeln 2 und 3 sowie 130a bis 130e EG-Vertrag251 eines der Ziele der Gemeinschaft ist und folglich bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts im wirtschaftlichen und sozialen Bereich einen wichtigen Gesichtspunkt darstellt“.252 bb) Die Präambel zum EGV253 Die Präambel ist Bestandteil des EGV und hat auch eine gewisse rechtliche Bedeutung, da sie die gemeinsame Überzeugung der Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrages wiedergibt.254 Der EuGH geht davon aus, dass der Präambel ebenfalls allgemeine Vertragsziele entnommen werden können, bezieht sich aber verhältnismäßig selten auf sie.255 In der Rechtssache 32/65256 stellte er z. B. fest, dass „die gesamten Bestimmungen des Artikel 85257 [. . .] daher in ihrem Zusammenhang mit den in der Präambel zum Vertrag niedergelegten Grundsätzen gesehen und von ihnen her ausgelegt werden [müssen].“ In seinem Defrenne II-Urteil258 249

Anmerkung der Verfasserin. Rs. 24/83 (Gewiese), Slg. 1984, S. 817, Rn. 11. 251 Nun Art. 158 bis 162 EGV. 252 Rs. C-149/96 (Portugal/Kommission), Slg. 1999, I-8395, Rn. 86; vgl. Bleckmann, Das Recht der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaften, S. 205, Rn. 549; Bleckmann/Pieper in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, B.I., Rn. 21 unterscheiden im Zusammenhang mit den Art. 2 und 3 des Vertrages die kausal-teleologische und die logisch-teleologische Art der Auslegung. Die erste Variante impliziert eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts, bei der durch eine „vorausberechnete Kausalkette“ die Ziele des Art. 2 EGV erreicht werden. Logisch-teleologisch auslegen bedeutet andererseits, dass die Einzelbestimmungen des Vertrages so auszulegen sind, dass der Inhalt des Art. 3 EGV anhand dieser Einzelbestimmungen durchgesetzt wird. 253 Auf die Präambeln zu den anderen Gründungsverträgen Euratom und EGKS soll im Rahmen der vorliegenden Darstellung nicht näher eingegangen werden. 254 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 212; Streinz in: Streinz, EGV Präambel, Rn. 10. 255 So auch Bleckmann/Pieper in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, B.I., Rn. 16. 256 Rs. 32/65 (Italien/Rat und Kommission), Slg. 1965, S. 458, 483. 257 Nun Art. 81 EGV. 258 Rs. 43/75 (Defrenne II), Slg. 1976, S. 455. 250

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führte er aus, dass Art. 119 EWGV (nun Art. 141 EGV) „den sozialen Zielen der Gemeinschaft [dient], die sich ja nicht auf eine Wirtschaftsunion beschränkt, sondern, wie die Präambel des Vertrages hervorhebt, zugleich durch gemeinsames Vorgehen den sozialen Fortschritt sichern und die ständige Besserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der europäischen Völker anstreben soll.“259 In der Rechtssache van Gend & Loos260 bezog sich der EuGH auf die Präambel, um festzustellen, dass der EWG-Vertrag nicht nur Verpflichtungen zwischen den vertragsschließenden Staaten begründet, sondern auch die der Gemeinschaft angehörigen Einzelnen unmittelbar betrifft. Der Gerichtshof kombiniert die Auslegung nach der Präambel in der Mehrzahl der Fälle mit den Art. 2 und 3 EGV, weil diese beiden Normen die in der Präambel in noch allgemeinerer Form enthaltenen Ziele konkretisieren. So führte er z. B. in der Rechtssache Firma Sloman Neptun261 aus, dass „die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, wie sich aus der Präambel sowie aus den Artikeln 2 und 117 EWG-Vertrag ergibt, [. . .] ein wesentliches Ziel des Vertrages [darstellt]“.262 cc) Von der Wirtschaftsgemeinschaft zur politischen Gemeinschaft263 Der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) lagen primär wirtschaftliche Ziele zugrunde, nämlich die Produktion der Schlüsselindustrien Kohle und Stahl von Frankreich und Deutschland sowie weiterer beitrittswilliger Staaten zusammenzulegen und einem unabhängigen supranationalen Organ zu unterstellen.264 Es gab zwar auch Versuche, darüber hinausgehende Ideen wie die einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu verwirklichen, es wurde aber schnell klar, dass in den Fünfziger-Jahren die Zeit für eine politische Einigung noch nicht reif war. Deshalb konzentrierte man sich auf eine wirtschaftliche Integration, allerdings in der Hoffnung, dass diese eine politische Integration nach sich 259 Rs. 43/75 (Defrenne II), Slg. 1976, S. 455, Rn. 8/11; vgl. auch verb. Rs. C-270/97 und C-271/97 (Sievers und Schrage), Slg. 2000, I-929, Rn. 55. 260 Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 3, 24. 261 Verb. Rs. C-71/91 und C-73/91 (Firma Sloman Neptun), Slg. 1993, I-887. 262 Verb. Rs. C-71/91 und C-73/91 (Firma Sloman Neptun), Slg. 1993, I-887, Rn. 28. 263 Zur Frage, ob sich die Gemeinschaft auch zu einer Wertegemeinschaft entwickelt hat, s. ausführlich Calliess, Europa als Wertegemeinschaft – Integration durch europäisches Verfassungsrecht?, JZ 2004, 1033. 264 Vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 17.

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zöge.265 So folgte auf die Gründung der EGKS die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) im Jahre 1957. Die Bedeutung der wirtschaftlichen Ziele im Rahmen der EWG kommt auch in den Urteilen des EuGH immer wieder zum Ausdruck, wie z. B. in der Rechtssache van Gend & Loos266: „Das Ziel des EWG-Vertrages ist die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes, dessen Funktionieren die der Gemeinschaft angehörigen Einzelnen unmittelbar betrifft.“267 So zählen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und die vier Grundfreiheiten zu den grundlegenden Zielen der Gemeinschaft. Der Gerichtshof spricht deshalb z. B. in der Rechtssache Bouchereau268 von „dem fundamentalen Grundsatz der Freizügigkeit“. Dass der freie Warenverkehr ein Grundprinzip der Anwendung der Vertrages ist, hat er beispielsweise im Urteil in der Rechtssache Rewe269 festgehalten. Im Urteil in der Rechtssache Reyners270 führte er aus, dass „der Grundsatz der Inländerbehandlung [. . .] einer der grundlegenden Rechtssätze der Gemeinschaft [ist].“ Von Anfang an war die wirtschaftliche Integration, wie bereits erwähnt, jedoch kein Selbstzweck, sondern Teil der größeren Idee der politischen Einigung.271 Auf der Gipfelkonferenz von Den Haag im Jahre 1969 wurde mit der Politischen Zusammenarbeit (EPZ) erstmals ein gemeinsames Vorgehen in einem neuen Bereich, nämlich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossen. Nach einer längeren Phase der Stagnation trat Ende der Siebziger Jahre auch die Idee der Gründung einer politischen Union wieder hervor.272 Sie setzte sich endgültig mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) von 1986 durch, die in ihrem Art. 1 Abs. 1 eine „Europäische Union“ als Ziel vorgibt.273 Die EEA bezog außerdem weitere Sachbereiche wie Umwelt, Forschung und Technologie in die Gemein265

Vgl. Hakenberg, Europarecht, Rn. 14; Streinz, Europarecht, Rn. 20; Herdegen, Europarecht, § 4, Rn. 5; Stern, Der Weg zur politischen Union Europas, Liber Amicorum Oppermann, S. 143 (147 f.). 266 Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 3. 267 Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 3, 24. 268 Rs. 30/77 (Bouchereau), Slg. 1977, S. 1999, Rn. 18. 269 Rs. 45/75 (Rewe), Slg. 1976, S. 181, Rn. 24. 270 Rs. 2/74 (Reyners), Slg. 1974, S. 631, Rn. 24/28. 271 So auch Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 233. 272 Vgl. Stern, Der Weg zur politischen Union Europas, Liber Amicorum Oppermann, S. 143 (153). 273 Vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 27 f.; Stern, Der Weg zur politischen Union Europas, Liber Amicorum Oppermann, S. 143 (154 f.).

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schaftskompetenzen mit ein. Zentral war die Tatsache, dass sie das Binnenmarktkonzept im EWGV verankerte. Gegründet wurde die Europäische Union mit dem Vertrag von Maastricht, der am 1.11.1993 in Kraft trat und dem europäischen Einigungsprozess so eine neue qualitative Richtung gab. Er begreift sich nämlich gemäß seinem Art. 1 Abs. 2 als „eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“. Dass sich die Gemeinschaft von einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft hin zu einer politischen Union entwickeln sollte, kommt auch durch die Änderung der Bezeichnung EWGV in EGV zum Ausdruck.274 Der Vertrag von Maastricht schuf die Europäische Union als Dach über den drei Säulen, der ersten Säule bestehend aus den drei Gemeinschaften (EGKS, EG und Euratom) und zwei intergouvernementalen Säulen, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI).275 Eines der Kernstücke des Maastrichter Vertrages war die Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion, außerdem wies er der EG neue Kompetenzen z. B. im Bereich der Kultur und Bildung zu. Überdies wurde eine Unionsbürgerschaft eingeführt, um auf die Fragen nach der Identität, der Legitimität und der Demokratie in der Gemeinschaft zu reagieren.276 Nachdem man in der Sozialpolitik keine Einigung erzielen konnte, kam es zum Abschluss eines außerhalb der Verträge stehenden Abkommens darüber. Nach Einlenken der britischen Regierung sind diese Bestimmungen jedoch seit dem Amsterdamer Vertrag Bestandteil des Vertrages (Art. 136 ff. EGV). Mit dem Vertrag von Amsterdam, der am 1.5.1999 in Kraft trat, wurden die Bereiche Visa, Asyl, Einwanderung und andere Bereiche betreffend den freien Personenverkehr vergemeinschaftet, die dritte Säule nennt sich seitdem polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Außerdem wurde auch der sog. Schengen Besitzstand in die erste Säule überführt. Zu den primär wirtschaftlichen Kompetenzen, die die EWG am Beginn hatte, sind somit im Laufe ihrer Entwicklung neue Bereiche dazugekommen, die den Binnenmarkt flankieren.277 Es zeigte sich mit der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung der Mitgliedstaaten untereinander, dass es 274 So z. B. auch Stern, Der Weg zur politischen Union Europas, Liber Amicorum Oppermann, S. 143 (157). 275 Vgl. zur Säulenstruktur z. B. Everling, Von den Europäischen Gemeinschaften zur Europäischen Union, Liber Amicorum Oppermann, S. 163 (175); Calliess in: derselbe/Ruffert, Art. 1 EGV, Rn. 17 f. 276 Vgl. Haltern, Europarecht, S. 57. 277 Vgl. auch Calliess, JZ 2004, S. 1033 (1035).

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sinnvoll ist, auch Kompetenzen im Bereich der Umwelt-,278 der Sozial-,279 der Verbraucher-,280 der Gesundheits-281 und der Beschäftigungspolitik282 auf die EG zu übertragen. Die ursprünglich rein markt- und wirtschaftspolitischen Ziele wurden im Laufe der Zeit durch eine Reihe von gesellschaftspolitischen Zielen ergänzt,283 worin sich eine erhebliche Vertiefung der Integration zeigt.284 Dieser Prozess wurde mit der Ausarbeitung eines Vertrages über eine Verfassung für Europa,285 der z. B. die Verbindlichkeit der Grundrechte-Charta festlegt, zu einem vorläufigen Abschluss gebracht. Die Tatsache, dass mit der Weiterentwicklung der Gemeinschaft zu den wirtschaftlichen Zielen eine Reihe gesellschaftspolitischer Ziele hinzukamen, kann nicht ohne Auswirkungen auf die teleologische Auslegungsmethode bleiben. Wie zu Beginn dieses Abschnitts erläutert wurde, müssen die einzelnen Ziele des Vertrages aufeinander abgestimmt und miteinander in Einklang gebracht werden, da es nicht möglich ist, alle gleichzeitig und im gleichen Umfang zu verwirklichen. Mit zunehmender Anzahl und Heterogenität der Ziele wird auch die Aufgabe, sie aufeinander abzustimmen, schwieriger. Als Folge der Entwicklung von einer reinen Wirtschafts- zu einer politischen Gemeinschaft befindet sich der EuGH daher vermehrt in der Situation, wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Ziele gegeneinander abwiegen zu müssen. Die zentrale Rolle des Gemeinsamen Marktes wird geringer,286 die wirtschaftlichen Ziele haben nicht mehr uneingeschränkt Priorität, sondern müssen stärker und öfter hinter die gesellschaftspolitischen wie z. B. den Umweltschutz zurücktreten. Der Gerichtshof bezeichnet ausgehend von der Rechtssache ADBHU287 den Umweltschutz als eines der 278

Vgl. Art. 174 EGV ursprünglich eingeführt mit der EEA. Vgl. Art. 136 f. EGV ursprünglich mit dem Vertrag von Amsterdam in den EGV übernommen. 280 Vgl. Art. 153 EGV ursprünglich eingeführt durch den Vertrag von Maastricht. 281 Vgl. Art. 152 EGV ursprünglich eingeführt durch den Vertrag von Maastricht. 282 Vgl. Art. 125 f. EGV ursprünglich eingeführt mit dem Vertrag von Amsterdam. 283 So erhöhte sich z. B. die Zahl der in Art. 2 EGV genannten Ziele mit dem Maastrichter und dem Amsterdamer Vertrag von fünf auf zehn; vgl. v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 2 EGV, Rn. 1. Art. 3 EGV nannte im ursprünglichen EWGV 3 Tätigkeitsbereiche, mit dem Maastrichter Vertrag wurden es 20, mit dem Amsterdamer Vertrag 21; vgl. v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 3 EGV, Rn. 1. 284 So auch Streinz in: Streinz, Art. 2 EGV, Rn. 1; v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 2 EGV, Rn. 1; Ukrow in: Calliess/Ruffert, 2. Auflage, Art. 2 EGV, Rn. 11 f. 285 ABl. 2004, C 310. 286 v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 2 EGV, Rn. 63. 287 Rs. 240/83 (Association de défense des brûleurs d’huiles usagées), Slg. 1985, S. 531. 279

B. Die Auslegungsregeln des Gemeinschaftsrechts

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wesentlichen Ziele der Gemeinschaft und nimmt auch ausdrücklich auf dessen Verankerung im Vertrag über die Europäische Union Bezug.288 So stellte er in der Rechtssache C-195/90289 fest, dass „der Umweltschutz nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ein wesentliches Ziel der Gemeinschaft ist, dessen Bedeutung im Übrigen durch die Einheitliche Europäische Akte bestätigt worden ist.“290 In der Rechtssache Outokumpu291 ergänzte er dann noch, dass es „seit dem Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union u. a. Aufgabe der Gemeinschaft [ist], ein beständiges, nichtinflationäres und umweltverträgliches Wachstum zu fördern (Artikel 2 EG-Vertrag), und ihre Tätigkeit umfasst eine Politik auf dem Gebiet der Umwelt (Artikel 3 Buchstabe k EG-Vertrag). Außerdem stellt [. . .] die Umweltverträglichkeit u. a. der Stromerzeugungsverfahren ein wichtiges Ziel der Energiepolitik der Gemeinschaft dar.“292 b) Sektorielle Vertragsziele Auch wenn sich der Gerichtshof bei der Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Normen auf die allgemeinen Ziele des Vertrages stützt, arbeitet er doch in der Regel das Ziel der konkreten Einzelbestimmung heraus. Die Auslegung der Norm unter teleologischen Gesichtspunkten erfolgt somit anhand einer Kombination der sektoriellen mit den allgemeinen Zielen. Der EuGH versucht dabei, die Norm so auszulegen, dass die sektoriellen Ziele am besten verwirklicht werden können, dadurch aber kein Widerspruch zu den allgemeinen Zielen entsteht.293 So führte er beispielsweise in der Rechtssache International Chemical Corporation294 bezüglich der Wirkung von Urteilen in Vorabentscheidungsverfahren aus, dass „die Tragweite der in diesem Verfahren ergangenen Urteile [. . .] im Lichte der Ziele des Art. 177295 und seiner Stellung innerhalb des gesamten durch die Verträge geschaffenen Rechtsschutzsystems zu beurteilen [ist].“296 In der Rechtssache Rossi297 stellte er fest, dass „die Ant288

Vgl. z. B. Rs. 302/86 (Kommission/Dänemark), Slg. 1988, S. 4607, Rn. 8. Rs. C-195/90 (Kommission/Deutschland), Slg. 1992, I-3141. 290 Rs. C-195/90 (Kommission/Deutschland), Slg. 1992, I-3141, Rn. 29. 291 Rs. C-213/96 (Outokumpu), Slg. 1998, I-1777. 292 Rs. C-213/96 (Outokumpu), Slg. 1998, I-1777, Rn. 32, 33. 293 Bestimmungen können auch einem doppelten Zweck dienen; vgl. Rs. 43/75 (Defrenne), Slg. 1976, S. 455, Rn. 8/11. 294 Rs. 66/80 (International Chemical Corporation), Slg. 1981, S. 1191. 295 Nun Art. 234 EGV. 296 Rs. 66/80 (International Chemical Corporation), Slg. 1981, S. 1191, Rn. 10. 297 Rs. 100/78 (Rossi), Slg. 1979, S. 831. 289

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wort auf diese Frage [. . .] in den Verordnungen über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer nicht ausdrücklich enthalten [ist]; sie muss sich somit aus deren Auslegung im Lichte der Ziele der Vertragsbestimmungen (Art. 48 bis 51298) ergeben, auf denen diese Verordnungen beruhen.“299 Ähnlich argumentierte der Gerichtshof in der Rechtssache Bonsignore,300 in der er ausführte, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 64/221301 „im Lichte der Ziele der Richtlinie auszulegen [sind]: Mit dieser sollen insbesondere die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (Art. 48 und 56 des Vertrages302) gerechtfertigten Maßnahmen koordiniert werden“.303 Die Vorgehensweise des EuGH bei der Ermittlung des Zwecks der auszulegenden Vorschrift ist sehr vielfältig.304 Zur Veranschaulichung seien einige typische Wendungen angeführt, auf die der Gerichtshof regelmäßig zurückgreift. So verwendet er z. B. den Ausdruck „wie sich aus dem Zweck dieser Bestimmung ergibt“305 oder er formuliert negativ „die Zulassung einer solchen Rechtfertigung widerspräche dem Zweck des Verfahrens nach Artikel 169 EG-Vertrag“.306 Der EuGH befindet sich auch im Rahmen der teleologischen Auslegung, wenn er die Verben „sollen“ oder „dienen“ verwendet, da sie den Zweck der auszulegenden Bestimmung beschreiben.307 Bei der Interpretation des Sekundärrechts bezieht sich der Gerichtshof oft auch auf die Begründungserwägungen, um den Sinn und Zweck einer Bestimmung zu ermitteln.308 298

Nun Art. 39 bis 42 EGV. Rs. 100/78 (Rossi), Slg. 1979, S. 831, Rn. 12. 300 Rs. 67/74 (Bonsignore), Slg. 1975, S. 297. 301 Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise oder den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, ABl. 1964, S. 850. 302 Rs. 67/74 (Bonsignore), Slg. 1975, S. 297, Rn. 5. 303 Nun Art. 39 und 46 EGV. 304 Vgl. dazu auch Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 80 ff. 305 Rs. C-109/99 (Association basco-béarnaise des opticiens indépendants), Slg. 2000, I-7247, Rn. 62. 306 Rs. C-475/98 (Kommission/Österreich), Slg. 2000, I-9797, Rn. 38; zusätzlich bezog er sich auch noch auf seine vorhergehende Rechtsprechung. 307 Vgl. z. B. Rs. C-319/97 (Kortas), Slg. 1999, I-3143, Rn. 27: „Das in dieser Bestimmung vorgesehene Verfahren soll gewährleisten, dass kein Mitgliedstaat eine von den harmonisierten Bestimmungen abweichende nationale Regelung anwenden kann, ohne dass dies von der Kommission bestätigt worden ist.“; Rs. C-131/97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 38: „Unstreitig dient die Anerkennungsrichtlinie insbesondere der gegenseitigen Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Facharztes“; vgl. auch Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 72 mit weiteren Beispielen. 299

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Der EuGH kombiniert, wie bereits erläutert, die teleologische Auslegung in der Regel mit anderen Auslegungsmethoden. So führte er z. B. in der Rechtssache C-49/00309 aus: „Zunächst geht sowohl aus dem Zweck der Richtlinie, die nach ihrer fünfzehnten Begründungserwägung für alle Gefahren gilt, als auch aus dem Wortlaut ihres Artikels 6 Absatz 3 Buchstabe a hervor, dass der Arbeitgeber zur Beurteilung aller Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer verpflichtet ist.“310

In der Rechtssache Prosciutto di Parma311 stellte er fest, dass sich „sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem Sinn und Zweck der Verordnung Nr. 2081/92 [ergibt], dass die Spezifikation das Instrument darstellt, das den Umfang des einheitlichen Schutzes festlegt, der mit dieser Verordnung in der Gemeinschaft eingeführt wird.“312

3. Besondere Ausprägungen der teleologischen Auslegungsmethode In der Literatur werden verschiedene Auslegungsvarianten als besondere Anwendungsfälle der teleologischen Auslegungsmethode angesehen. Dabei besteht zwischen den Autoren aber nur teilweise Übereinstimmung. So geht die herrschende Meinung davon aus, dass die Auslegung nach dem effet utile ein Unterfall der teleologischen Methode sei.313 Dasselbe gilt auch für die Berücksichtigung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften.314 Die 308 Vgl. z. B. Rs. C-114/99 (Roquette Frères), Slg. 2000, I-8823, Rn. 17: „Der Zweck des Artikels 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3665/87 besteht nach deren vierter Begründungserwägung darin . . .“; Rs. C-144/99 (Kommission/Niederlande), Slg. 2001, I-3541, Rn. 18: „. . . denn die Richtlinie bezweckt nach ihrer sechsten Begründungserwägung“. Vgl. dazu auch Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 85 f.; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 73, 83. s. dazu sogleich Kapitel B. V. 309 Rs. C-41/00 (Kommission/Italien), Slg. 2001, I-8575. 310 Rs. C-41/00 (Kommission/Italien), Slg. 2001, I-8575, Rn. 12. 311 Rs. C-108/01 (Consorzio del Prosciutto di Parma), Slg. 2003, I-5121. 312 Rs. C-108/01 (Consorzio del Prosciutto di Parma), Slg. 2003, I-5121, Rn. 42. 313 Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 212; Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 86 ff.; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 219; Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 27, 81 f.; Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 341, 369 f.; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-43; Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht, S. 109 f.; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 270 f. s. dazu ausführlich in Teil 2 und 3. 314 Vgl. z. B. Everling in: Kruse (Hrsg.), Zölle, Verbrauchssteuern, Europäisches Marktordnungsrecht, S. 51 (62); Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichts-

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meisten Autoren ordnen auch die dynamische Auslegung der teleologischen zu, weil sie sich an den Zielen der Verträge orientiert.315 Die restriktive Auslegung von Ausnahmebestimmungen und die extensive Auslegung von Rechtsschutzbestimmungen316 sowie die dynamische Auslegung317 gehören auf jeden Fall zur teleologischen Auslegungsmethode, weshalb sie im Folgenden kurz dargestellt werden sollen. Die Einordnung des effet utile in die gemeinschaftsrechtlichen Auslegungsmethoden wird nicht an dieser Stelle, sondern zu Beginn von Teil 2 einer ausführlichen Analyse unterzogen. a) Restriktive Auslegung von Ausnahmebestimmungen Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Ausnahmebestimmungen zu den grundlegenden Vertragsbestimmungen eng auszulegen sind.318 Die Anwendung dieses Prinzips finden wir z. B. bei den Grundfreiheiten, für die der Gerichtshof die Regel entwickelt hat, dass der Anwendungsbereich der Grundfreiheit weit, die Ausnahmen dazu jedoch eng ausgelegt werden müssen. Für die Niederlassungsfreiheit hat der EuGH zum Beispiel in der Rechtssache Reyners319 ausgeführt, dass „wegen der grundlegenden Bedeutung, hofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 227 f.; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-44 f.; Meyer, JURA 1994, S. 455 (457); Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 268 f. 315 Vgl. z. B. Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 213; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 238 f. 316 Vgl. Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 217 f.; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 231; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 276 f. 317 So auch Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (106); Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 213; Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 341; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 238 ff. scheint sie als eine eigene Auslegungsmethode anzusehen. 318 Vgl. z. B. Rs. C-241/99 (Sergas), Slg. 2001, I-5139, Rn. 29 zur Richtlinie 89/391/EWG über Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit; Rs. C-233/00 (Kommission/Frankreich), Slg. 2003, I-6625, Rn. 57 zur Richtlinie 90/313/EWG über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt; vgl. auch Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Art. 220 EGV, Rn. 45. 319 Rs. 2/74 (Reyners), Slg. 1974, S. 631, Rn. 42/43; vgl. z. B. zur Ausnahme aus Gründen der öffentlichen Ordnung Rs. C-355/98 (Kommission/Belgien), Slg. 2000, I-1221, Rn. 28; Rs. C-348/96 (Calfa), Slg. 1999, I-11, Rn. 23; vgl. zum freien Wa-

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die im Rahmen des Vertrages die Grundsätze der Niederlassungsfreiheit und der Inländerbehandlung haben, [. . .] die in Artikel 55 Absatz 1 zugelassenen Ausnahmen nicht weiter reichen [können], als der Zweck es erfordert, um dessentwillen sie vorgesehen sind.“ Der Hinweis auf den Zweck verdeutlicht die Zurechenbarkeit zur teleologischen Methode.320 b) Extensive Auslegung von Rechtsschutzbestimmungen Verwandt mit der soeben dargestellten Art der Auslegung ist die der extensiven Auslegung von Rechtsschutzbestimmungen, die der Gerichtshof aus den Zielsetzungen der Vorschriften über die Klagearten ableitet.321 Bereits in der Rechtssache Humblet322 hat der EuGH deshalb ausgeführt, dass der Grundsatz anzuwenden sei, wonach eine Vorschrift, die Rechtsschutz gewährt, im Zweifelsfall nicht zuungunsten des Rechtsunterworfenen einschränkend ausgelegt werden dürfe. Auch in der Rechtssache Plaumann323 entschied der Gerichtshof, dass die Bestimmungen des Vertrages über das Klagerecht nicht restriktiv interpretiert werden dürfen.324 c) Die dynamische Ausrichtung der teleologischen Auslegung Der Grundsatz der fortschreitenden Integration stellt ein wichtiges Prinzip der gemeinschaftlichen Rechtsordnung dar, weshalb auch im Rahmen der Auslegung von Rechtsnormen der Tatsache Rechnung zu tragen ist, dass die Gemeinschaft Ziele und Zwecke verfolgen soll, die einen Beitrag zur fortschreitenden Einigung Europas leisten.325 Dieser Gedanke kommt in der in der Präambel enthaltenen Formulierung von dem immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zum Ausdruck, ebenso wie in Art. 1 Abs. 2 EUV, der vorsieht, dass „dieser Vertrag [. . .] eine neue Stufe bei der renverkehr z. B. Rs. C-41/02 (Kommission/Niederlande), Slg. 2004, I-11375, Rn. 47; zur Arbeitnehmerfreizügigkeit Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337, Rn. 18/19. 320 Vgl. auch Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 231. 321 Dumon, Kritische Prüfung der Auslegungsmethoden, S. III-132; Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 216 ff.; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 114; Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht, S. 102 f. mit weiteren Beispielen. 322 Rs. 6/60 (Humblet), Slg. 1960, S. 1165, 1189. 323 Rs. 25/62 (Plaumann), Slg. 1963, S. 213, 237; vgl. zu den neueren Entwicklungen in diesem Bereich Teil 3 Kapitel B. III. 324 Vgl. dazu auch Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 236. 325 Vgl. Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-32.

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Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar[stellt].“ Die in Art. 2 EGV enthaltenen Ziele weisen ebenfalls in diese Richtung und zeigen, dass die Verfasser der Verträge zukunftsorientierte Vorstellungen von den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Zielen hatten.326 Art. 2 EGV kann zu Recht als „Grundnorm des Integrationsprogramms“327 bezeichnet werden. Die Natur der Gemeinschaftsverträge spricht für eine evolutive Interpretation,328 da der Grundsatz der fortschreitenden Integration der Mitgliedstaaten zur Verwirklichung der Vertragsziele nicht nur eine politische Forderung enthält, sondern vielmehr ein Rechtsprinzip der Gemeinschaft ist, das der EuGH bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu beachten hat.329 Wie der Gerichtshof festgestellt hat, sind die einzelnen Bestimmungen der Verträge „keineswegs ein Selbstzweck, sondern nur Mittel zur Verwirklichung [der] Ziele“330 des EGV. Das bedeutet, dass das Gemeinschaftsrecht die Aufgabe hat, die wirtschaftliche und politische Entwicklung in Europa rechtlich zu steuern und auf „einen entsprechenden Fortschritt programmiert ist.“331 Da die Ziele aufgrund ihrer weiten Formulierung einen gewissen Spielraum bei ihrer Auslegung zulassen, ist es Aufgabe des EuGH, die Normen auszugestalten, ihre korrekte Anwendung zu sichern und dabei die tatsächliche oder beabsichtigte Entwicklung einfließen zu lassen.332 Die Notwendigkeit einer dynamischen Interpretation besteht demnach vor allem beim Primärrecht. Der Gerichtshof wird dieser Anforderung in seiner Rechtsprechung auch gerecht, indem er bei der Auslegung von Primärrecht eher „intergrationsfreundlicher“ entscheidet als bei derjenigen von Sekundärrecht. Zu berücksichtigen ist dabei außerdem die Tatsache, dass das Sekundärrecht auf bedeutend einfacherem Wege geändert werden kann als das Primärrecht über das schwerfällige Vertragsänderungsverfahren. Folglich ist der Gerichtshof beim Primärrecht stärker aufgerufen, über den Weg der dynamischen Auslegung auf Veränderungen in der Wirklichkeit zu reagieren, allerdings immer unter Berücksichtigung der im Vertrag festgelegten Ziele.333 326 Vgl. auch Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 382. 327 Streinz in: Streinz, Art. 2 EGV, Rn. 2. 328 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 381; Kutscher, Über den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft, EuR 1981, S. 392 (400). 329 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-41 f. 330 Gutachten 1/91 (EWR I), Slg. 1991, I-6079, Rn. 18. 331 Schroeder, JuS 2004, S. 180 (186). 332 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 382; Bleckmann, NJW 1982, S. 1177 (1180).

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Der EuGH äußerte sich zur dynamischen Komponente im Rahmen seiner Auslegungstätigkeit in der Rechtssache C. I. L. F. I. T.,334 in der er feststellte, dass „[. . .] jede Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in ihrem Zusammenhang zu sehen und im Lichte des gesamten Gemeinschaftsrechts, seiner Ziele und seines Entwicklungsstands zur Zeit der Anwendung der betreffenden Vorschrift auszulegen [ist].“ Dynamisch auslegen bedeutet nicht, dass der EuGH mit fortschreitender Integration die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtes immer weiter auslegen und so die Souveränität der Mitgliedstaaten zusehends einschränken darf.335 Grundsätzlich ist es die Aufgabe des Gemeinschaftsgesetzgebers, durch den Erlass entsprechender Rechtsvorschriften den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechtes zu erweitern und ihn den sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Es empfiehlt sich daher bei der dynamischen Auslegung richterliche Zurückhaltung.336 Der EuGH verweist deshalb in zahlreichen Urteilen337 darauf, dass beim derzeitigen Stand der Entwicklung oder beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nur ein bestimmtes Auslegungsergebnis möglich ist. 4. Die Bedeutung der teleologischen Auslegungsmethode in der Rechtsprechung des EuGH Aus dem Charakter und den Besonderheiten des Gemeinschaftsrechts lässt sich die große Bedeutung der teleologischen Auslegung bereits ersehen. Die Gründungsverträge enthalten ein breit angelegtes Programm und keine detaillierten Vorgaben über die zu verwirklichenden Ziele.338 Einerseits liegt es somit im Wesen des EGV begründet, dass die verschiedenen Ziele durch den Erlass von sekundärrechtlichen Normen konkretisiert werden müssen. Andererseits ergibt sich daraus aber auch, dass die Inhalte primärrechtlicher Normen, weil sie eben „nur“ Ziele und Richtungen der Integration festlegen, durch die Rechtsprechung konkretisiert werden müssen, wobei Sinn und Zweck sowie Geist des Vertragswerkes im Zentrum stehen. 333 Bleckmann, Teleologie und dynamische Auslegung, EuR 1979, S. 239 (259 f.); Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 246. 334 Rs. 283/81 (C. I. L. F. I. T./Ministero della sanità), Slg. 1982, S. 4315, Rn. 20. 335 Vgl. Bleckmann, EuR 1979, S. 239 (255 f.); Meyer, JURA 1994, S. 455 (457). 336 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 245; Colneric, ZEuP 2005, S. 225 (229). 337 Vgl. z. B. Rs. 277/83 (Kommission/Italien), Slg. 1985, S. 2049, Rn. 12; Rs. 148/77 (Hansen), Slg. 1978, S. 1787, Rn. 16; Rs. C-317/91 (Deutsche Renault), Slg. 1993, I-6227, Rn. 20. 338 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 343; Brown/Kennedy, The Court of Justice of the European Communities, S. 317; Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (107).

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Dabei hat der EuGH einen nicht unbedeutenden Spielraum. Eine Kombination der teleologischen mit den anderen Methoden, vor allem der systematischen, verhindert aber Auslegungsergebnisse, die nicht mehr vom Wortlaut gedeckt wären.339 Pescatore hat zutreffend festgestellt, dass die teleologische Auslegungsmethode nicht eine Auslegungsmethode unter vielen ist, sondern eine besonders geeignete, an den spezifischen Merkmalen der Gründungsverträge orientierte Methode.340 Nachdem die teleologische Methode von ihrer Konzeption her eher in der Verfassungsrechtsprechung beheimatet ist, unterstreicht die häufige Heranziehung dieser Methode durch den EuGH den Verfassungscharakter der Gründungsverträge.341 Der Aufbau des EGV zeigt, dass die Verfasser des Vertrages zweckrational alle Mittel so festgelegt haben, dass dessen Ziele automatisch erreicht werden sollen. Diese Zweckrationalität rechtfertigt auch eine Bevorzugung der teleologischen Methode gegenüber der grammatischen und der systematischen Auslegung. Die äußere Grenze des Wortlauts stellt aber eine wichtige Garantie für die Souveränität der Mitgliedstaaten und die Grundrechte der Einzelnen dar. Je tiefer ein Eingriff in diese beiden Bereiche erfolgt, umso präziser muss dieser durch den Wortlaut gestattet sein.342 Die herrschende Meinung in der Literatur geht zu Recht davon aus, dass die teleologische Methode in der Rechtsprechung des EuGH eine große Rolle spielt und dass er in den meisten seiner Entscheidungen auf teleologische Erwägungen zurückgreift.343 Die teleologische Methode hat ent339 Vgl. auch Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 237. 340 Pescatore, Les objectifs de la Communauté européenne comme principes d’interprétation de la jurisprudence de la Cour de Justice, Miscellanea Ganshof van der Meersch, Bd. II, S. 325 (328). 341 Oppermann, Europarecht, 8/23. 342 Bleckmann, Das Recht der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaften, S. 205, Rn. 548. 343 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-42; Everling in: Kruse (Hrsg.), Zölle, Verbrauchssteuern, Europäisches Marktordnungsrecht, S. 51 (59); Pescatore, Les objectifs de la Communauté européenne comme principes d’interprétation de la jurisprudence de la Cour de Justice, Miscellanea Ganshof van der Meersch, Bd. II, S. 325 (326); Millett, Statute Law Review 1989, S. 163 (171); Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 364, 366, 394 f.; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 221; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 199; Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 209 f.; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 80 f; Groh, Die Auslegungsbefugnis des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren, S. 157; a. A. Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 90 f., 95, die zu dem Schluss kommt, dass die teleologische Auslegungsmethode

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scheidend zur Festigung, Sicherung und Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts beigetragen.344 Beispielsweise stützte der Gerichtshof die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 12 EWGV (jetzt Art. 25 EGV), nämlich des Verbots von Ein- und Ausfuhrzöllen und Abgaben gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten u. a. auf den Geist des Vertrages.345 Dederichs kommt in ihrer Untersuchung der EuGH-Urteile des Jahres 1999 im Gegensatz zu den meisten anderen Autoren zu dem Ergebnis, dass die Bedeutung der teleologischen Methode in der Literatur überschätzt werde.346 Diese Meinung kann u. a. vor dem Hintergrund des bereits erwähnten engen Zusammenhangs zwischen der teleologischen und der systematischen Methode nicht geteilt werden. Zur Frage, ob der vermehrte Rückgriff des EuGH auf Vorgänger-Urteile notwendigerweise zu Lasten teleologischer Gesichtspunkte gehen muss, soll im Fazit ausführlich Stellung genommen werden.347 5. Das Verhältnis von teleologischer und systematischer Auslegungsmethode Der enge Zusammenhang zwischen den beiden Methoden zeigt sich daran, dass sie in der Argumentation des Gerichtshofs oft zusammenwirken. So führte der EuGH z. B. in der Rechtssache Witt348 aus, „was den ersten Teil der Frage angeht, so ergibt sich zunächst aus dem System der Verordnung349 sowie deren Zielen, dass den Mitgliedstaaten bei der Ausweisung der Erzeugungsregionen ein weiter Spielraum zusteht.“350 Ähnlich ist die Vorgehensweise des Gerichtshofs in der Rechtssache Defrenne II:351 „Bei der Beantwortung der Frage nach der unmittelbaren Geltung von Artikel 119352 ist auf das Wesen des Grundsatzes des gleichen Entgelts, auf das Ziel dieser Bestimmung und auf ihren Platz im System des Vertrages abzustellen.“353 in den Urteilen aus dem Jahre 1999 an Bedeutung hinter den Verweis auf frühere Rechtsprechung und die grammatische Methode zurücktritt. 344 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 366. 345 Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 3, 24. 346 Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 90 f. 347 Vgl. Teil 1 Kapitel B. VII. 348 Rs. C-356/95 (Witt), Slg. 1997, I-6589. 349 Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 des Rates vom 30. Juni 1992 zur Einführung einer Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen, ABl. 1992, L 181, S. 12. 350 Rs. C-356/95 (Witt), Slg. 1997, I-6589, Rn. 32. 351 Rs. 43/75 (Defrenne II), Slg. 1976, S. 455. 352 Nun Art. 141 EGV. 353 Rs. 43/75 (Defrenne II), Slg. 1976, S. 455, Rn. 7.

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Teil 1: Die Auslegungsmethoden des EuGH

In beiden Fällen leitet er sein Auslegungsergebnis anhand der Systematik und der Ziele der Verordnung ab. Andererseits verwendet der EuGH systematische Argumente auch, um das Ziel einer Bestimmung festzulegen.354 So hielt er z. B. in der Rechtssache C-184/97355 Folgendes fest: „Wie sich aus den Artikeln 2 und 3 der Richtlinie356 ergibt, bezweckt die Regelung für die Stoffe aus der Liste I, die Verschmutzung der Gewässer durch diese Stoffe zu beseitigen“.357

Der Gerichtshof grenzt die Anwendung der beiden Methoden nicht immer genau voneinander ab, weshalb einige Autoren auch von der systematisch-teleologischen Auslegungsmethode sprechen.358 Bezieht sich der EuGH konkret auf die Präambel oder die Art. 2 und 3 des Vertrages, bewegt er sich eindeutig im Rahmen der teleologischen Auslegungsmethode.359 Die teleologische Auslegung fällt aber insoweit mit der systematischen zusammen, als alle Vertragsziele in die Verträge selbst aufgenommen worden sind360 und in einem gewissen systematischen Zusammenhang zueinander stehen. Ebenso wie die systematische Methode kann auch die teleologische einzelne Bestimmungen, den gesamten Rechtsakt oder einzelne Teile desselben als Bezugseinheiten verwenden, deren Zweck ermittelt werden soll.361 Die teleologische Methode entfernt sich jedoch in der Regel weiter vom Wortlaut des Textes als die systematische. Die syste354

So auch Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 30. Rs. C-184/97 (Kommission/Deutschland), Slg. 1999, I-7837. 356 Richtlinie 76/464/EWG des Rates vom 4. Mai 1976 betreffend die Verschmutzung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft, ABl. 1976, L 129, S. 23. 357 Rs. C-184/97 (Kommission/Deutschland), Slg. 1999, I-7837, Rn. 5. Vgl. z. B. auch Rs. C-161/97 P (Kernkraftwerke Lippe-Ems), Slg. 1999, I-2057, Rn. 85: „das durch Kapitel 6 des Vertrages geschaffene Versorgungssystem ist im Lichte der Ziele zu untersuchen, die der Gemeinschaft zugewiesen sind. Dabei ergibt sich aus der Systematik des Vertrages, dass die Aufgabe der Agentur darin besteht, die Erreichung eines der wesentlichen Ziele, die dieser Vertrag der Gemeinschaft in Artikel 2 Buchstabe d zuweist, nämlich das der Versorgungssicherheit [. . .] zu gewährleisten.“ 358 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 200 m. w. N.; Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 96; Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, S. 119, Rn. 280; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-42; Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, Bd. I, S. 820. 359 So auch Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 201. 360 Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, 9/19. 361 So auch Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 200; Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 83. 355

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matische und die teleologische Methode können auch in der Weise zusammenwirken, dass systematische Gesichtspunkte den Weg für die teleologische Auslegung bereiten.362 Gemeinsam ist den beiden Methoden auf jeden Fall das Ziel, Wertungswidersprüche zwischen verschiedenen Normen bzw. innerhalb des Systems des Gemeinschaftsrechts zu vermeiden. Sie behalten aber ungeschmälert eine eigenständige Bedeutung für das Auslegungsergebnis.363 Der EuGH hat wichtige Entscheidungen, die zu einer qualitativen Verbesserung des Gemeinschaftsrechts geführt haben, in der Regel mit teleologischen und systematischen Erwägungen begründet. So stützte er z. B. den Vorrang des Gemeinschaftsrechts, die unmittelbare Wirkung von Richtlinien im Verhältnis Bürger – Staat und die unter bestimmten Voraussetzungen eintretende Pflicht der Staaten zum Schadenersatz bei Nicht-Umsetzung von Richtlinien auf die Verbindlichkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck der jeweiligen Bestimmung im Gesamtsystem des Vertrages.364

V. Die historische Auslegung 1. Allgemeines Die historische Methode ermittelt die Bedeutung der auszulegenden Norm anhand ihrer Entstehungsgeschichte unter Heranziehung von Materialien, die darüber Aufschluss geben können.365 Grundsätzlich unterscheidet man dabei den subjektiv-historischen Ansatz, der auf den wahren Willen des historischen Gesetzgebers abstellt und den objektiv-historischen Ansatz, bei dem die Funktion der Norm zum Zeitpunkt ihres Erlasses im Zentrum steht.366 Die historische Auslegungsmethode spielt für die Auslegung des Primär- und des Sekundärrechts eine unterschiedlich große Rolle, weshalb sie für diese beiden Bereiche getrennt dargestellt werden soll. 362

Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften, Bd. I, S. 820. Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 202; Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 83 f. 364 Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, 9/18. 365 Kutscher, EuR 1981 392 (393); Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht, S. 136 f.; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-22; Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (101 f.). 366 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-22; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 143; Brown/Kennedy, The Court of Justice of the European Communities, S. 307. Für die hier auszuführenden Aspekte soll diese Unterscheidung nicht weiter vertieft werden. 363

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2. Primärrecht Für die Auslegung des Primärrechts hat die historische Auslegung eine geringe Bedeutung, da es wenig Materialien gibt, die dafür herangezogen werden können.367 In Betracht kämen zum Beispiel die Vorarbeiten zu den Gründungsverträgen, die jedoch mangels ihrer Veröffentlichung nicht verwendet werden können.368 Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs findet auch im Gemeinschaftsrecht Anwendung und verlangt, dass die Parteien in den vor dem Gerichtshof anhängigen Verfahren ungehinderten Zugang zu den Materialien haben.369 Gegen eine Berücksichtigung des Willens der vertragsschließenden Parteien spricht auch der Kompromisscharakter der Vertragsnormen, die aus pragmatischen Gründen und um eine schnelle Einigung zu erzielen, in einer bestimmten Art und Weise formuliert wurden.370 Würden die unterschiedlichen Verhandlungspositionen bei der Auslegung eines Textes berücksichtigt, verlöre die erzielte Kompromissformulierung einen Teil ihrer Bedeutung. Ähnliches gilt für die Berücksichtigung der Funktion der Norm im Moment ihres Erlasses,371 da der EGV ein auf Dauer angelegter Normenkomplex ist, der flexibel ausgelegt werden muss.372 Für eine Gemeinschaft, die von ihrer Konzeption her die Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den Mitgliedstaaten bewirken soll, spielen die ursprüngliche Funktion der Norm und der ursprüngliche Wille der vertragsschließenden Parteien keine entscheidende Rolle.373 Die historische Auslegung kann somit bei der Auslegung des Primärrechts vernachlässigt werden.374 367

Vgl. dazu auch Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, 9/15. So auch Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 249 f.; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-22; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 58 f.; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 63; Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 113 weist aber darauf hin, dass die Archive ab 1984 geöffnet wurden. 369 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-22; Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (101); Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 249. 370 So auch Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 145. 371 Dabei handelt es sich nach Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-22 und Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 146 um die objektiv-historische Auslegung. 372 Brown/Kennedy, The Court of Justice of the European Communities, S. 317; Bleckmann, Das Recht der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaften, S. 207, Rn. 554. 368

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3. Sekundärrecht Wesentlich häufiger greift der EuGH bei der Auslegung von Sekundärrecht auf die historische Methode zurück. So führte er beispielsweise in der Rechtssache Stauder375 aus, dass bei einer an alle Mitgliedstaaten gerichteten Entscheidung die Notwendigkeit einheitlicher Anwendung und damit Auslegung es gebiete, die Vorschrift u. a. nach dem „wirklichen Willen ihres Urhebers“ auszulegen. Der vermehrte Rückgriff auf die historische Methode bei der Auslegung von Sekundärrecht hängt einerseits mit der Zugänglichkeit der Materialien zusammen376 und andererseits mit der von Art. 253 EGV statuierten Begründungspflicht für Sekundärrechtsakte. Gemäß dieser Bestimmung sind Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen des Parlamentes und des Rates oder des Rates oder der Kommission mit Gründen zu versehen.377 Die Begründungserwägungen werden den Texten vorangestellt und gemeinsam mit ihnen im Amtsblatt veröffentlicht. Die Funktion der Begründungspflicht besteht für den EuGH in erster Linie in der externen Kontrolle des Handelns der Gemeinschaftsorgane; durch die Darlegung der Gründe werden die von einer Maßnahme Betroffenen in die Lage versetzt, Parlament, Kommission und Rat bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu kontrollieren und gegebenenfalls gerichtlich gegen sie vorzugehen.378 Nachdem die Begründungserwägungen Aufschluss über die Absichten, d.h. die Zielsetzungen geben, die die Urheber bei Erlass des Rechtsaktes verfolgt haben, sind sie Bestandteil seiner Entstehungsgeschichte und können im Rahmen der historischen Methode herangezogen werden.379 373 Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (102); Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht, S. 142; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-22; Streinz, ZEuS 2004, S. 387 (402). 374 So auch Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (102); Röttgen, Die Argumentation des Europäischen Gerichtshofes, S. 79; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 63; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 256; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-23; Streinz, ZEuS 2004, S. 387 (401); Bleckmann/Pieper in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, B.I., Rn. 41. 375 Rs. 29/69 (Stauder), Slg. 1969, S. 419, Rn. 3; vgl. auch Rs. 55/87 (Moksel), Slg. 1988 S. 3845, Rn. 15; Rs. C-268/99 (Jany), Slg. 2001, I-8615, Rn. 47. 376 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-23. 377 Vgl. z. B. Calliess in: derselbe/Ruffert, Art. 253 EGV, Rn. 1 f. 378 Calliess in: derselbe/Ruffert, Art. 253, Rn. 4; vgl. z. B. Rs. C-233/94 (Deutschland/Parlament und Rat), Slg. 1997, I-2405, Rn. 25. 379 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-23; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 253.

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Teil 1: Die Auslegungsmethoden des EuGH

Der EuGH greift bei der Auslegung von Sekundärrecht sehr häufig auf die Begründungserwägungen zurück.380 So führte er z. B. in der Rechtssache Artrada381 Folgendes aus: „Wie es in ihrer ersten Begründungserwägung heißt, unterscheidet die Richtlinie 92/46 zwischen Rohmilch, wärmebehandelter Konsummilch, Werkmilch und Erzeugnissen auf Milchbasis.“382 In der Rechtssache British American Tobacco383 stellte der Gerichtshof in Randnummer 6 fest: „Wie sich aus der zweiten und der dritten Begründungserwägung der Richtlinie ergibt, unterschieden sich die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen noch wesentlich und behinderten dadurch das Funktionieren des Binnenmarktes“.

Ebenso unter die historische Auslegungsmethode zu subsumieren ist der Fall, in dem der EuGH Bestimmungen im Einklang mit ihren VorgängerBestimmungen auslegt. Auch wenn die Vorgänger-Bestimmung außer Kraft ist, ist diese Vorgehensweise nach Ansicht des Gerichtshofs zulässig, wenn nichts darauf hindeutet, dass durch die neue Regelung ein durch den früheren Rechtsakt gewährtes Recht wieder entzogen werden soll.384 Dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Willen hatte, eine Änderung vorzusehen, lässt sich z. B. aus einer Änderung des Wortlautes ableiten. So hielt der EuGH in der Rechtssache Simon385 fest, dass „schon die Tatsache, dass vorliegend das Wort ‚Umkreis‘ durch das Wort ‚Entfernung‘ [. . .] ersetzt worden ist, [. . .] einwandfrei erkennen [lässt], dass die Verfasser 380 Vgl. auch Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 148, der darauf verweist, dass zwischen 1988 und 1992 beispielsweise der Gerichtshof in über der Hälfte der Fälle, die einen Organakt betrafen, auf die Begründungserwägungen abstellte; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 254; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 65; Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 116. 381 Rs. C-124/03 (Atrada), Slg. 2004, I-10297. 382 Rs. C-124/03 (Atrada), Slg. 2004, I-10297, Rn. 25. 383 Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Slg. 2002, I-11453; vgl. z. B. auch verb. Rs. C-184/02 und C-223/02 (Spanien und Finnland/Parlament und Rat), Slg. 2004, I-7789, Rn. 79; Rs. C-107/04 (Comité Andaluz de Agricultura Ecológica), Slg. 2005, I-7137, Rn. 25. 384 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 255 f.; Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht, S. 138 f.; Müller/ Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 62. Vgl. Rs. 23/68 (Klomp), Slg. 1969, S. 43, Rn. 13: „Nach einem den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen, auf das Römische Recht zurückgehenden Grundsatz ist bei Änderung der Gesetzgebung, soweit der Gesetzgeber nicht einen entgegenstehenden Willen zum Ausdruck gebracht hat, der Auslegung der Vorzug zu geben, welche die Kontinuität de Rechtsstrukturen gewährleistet.“ 385 Rs. 15/60 (Simon), Slg. 1961, S. 241.

B. Die Auslegungsregeln des Gemeinschaftsrechts

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des Textes von dem Begriff der ‚Luftlinie‘ [. . .] abgehen und demgegenüber den Begriff der [. . .] ‚Strecke‘ einführen wollten.“386

4. Die Bedeutung der historischen Auslegungsmethode in der Rechtsprechung des EuGH Die historische Auslegung spielt für das Sekundärrecht, wie gezeigt, eine wichtige Rolle. Trotzdem herrscht in der Literatur Einigkeit darüber, dass sie im Verhältnis zur wörtlichen, systematischen und telelogischen eine untergeordnete Bedeutung hat.387 Der Gerichtshof verwendet nämlich beispielsweise die Begründungserwägungen häufig, um den Zweck der auszulegenden Norm zu ermitteln.388 So führte er z. B. in der Rechtssache C-433/03389 aus, dass die auszulegende Richtlinie nach ihrer zweiten und ihrer siebten Begründungserwägung darauf abziele, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Seeleuten und die Sicherheit auf See zu verbessern. In seinem Celtec-Urteil390 kam der EuGH zu dem Schluss, dass die betreffende Richtlinie „nach ihrer zweiten Begründungserwägung [. . .] die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel schützen [soll]“.391 In der Rechtssache Dupuy und Rouvre392 führte der Gerichtshof aus, dass „dieses restriktive Verständnis der Reichweite der Abweichung [. . .] durch das mit der Richtlinie 76/769 verfolgte grundlegende Ziel bestätigt [wird], wie es in deren erster Begründungserwägung dargelegt wird.393 386

Rs. 15/60 (Simon), Slg. 1961, S. 241, 262. Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-23; Oppermann, Europarecht, 8/25; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 262; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 151; Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 113, 119; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 57, 256 f. 388 Vgl. auch Dederichs, Die Methodik des EuGH, S. 116, 122, die zu dem Ergebnis kommt, dass der EuGH im Jahre 1999 in 42% der Fälle die Begründungserwägungen zur Ermittlung von Sinn und Zweck verwendet. 389 Rs. C-433/03 (Kommission/Deutschland), Slg. 2005, I-6985, Rn. 40. 390 Rs. C-478/03 (Celtec), Slg. 2005, I-4389. 391 Rs. C-478/03 (Celtec), Slg. 2005, I-4389, Rn. 32. 392 Rs. C-404/03 (Dupuy und Rouvre), Slg. 2004, I-8557. 393 Rs. C-404/03 (Dupuy und Rouvre), Slg. 2004, I-8557, Rn. 33; vgl. z. B. auch Rs. C-206/01 (Arsenal Football Club), Slg. 2002, I-10273, Rn. 43, 44; Rs. 300/82 (Gesamthochschule Essen), Slg. 1983, S. 3643, Rn. 8, in der der EuGH feststellte dass mangels einer Definition des Begriffs „wissenschaftliches Element“ in der streitgegenständlichen Verordnung (Nr. 1798/75) die Definition dieses Begriffs „aus der Zielsetzung dieser Vorschrift abgeleitet werden [muss], wie sie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Vorschriften und der Begründungserwägungen der Verordnung [. . .] ergibt.“ 387

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In der Rechtssache Berliner Kindl Brauerei394 stellte der EuGH in Randnummer 20 fest: „Als Ziele der Richtlinie ergeben sich aus deren Begründungserwägungen zum Einen die Errichtung eines gemeinsamen Verbraucherkreditmarktes (dritte bis fünfte Begründungserwägung) und zum Anderen der Schutz der Verbraucher, die solche Kredite aufnehmen (sechste, siebte und neunte Begründungserwägung).“

In den beschriebenen Beispielen dienen die Begründungserwägungen der Feststellung des objektiven Zwecks der Sekundärrechtsakte, sind also gewissermaßen ein Hilfsmittel bei der Anwendung der teleologischen Methode.395 Für den Gerichtshof kann „eine Begründungserwägung einer Verordnung [. . .] zwar dazu beitragen, Aufschluss über die Auslegung einer Rechtsvorschrift zu geben, sie kann jedoch nicht selbst eine solche Vorschrift darstellen“.396 Die Begründungserwägungen sind demnach subsidiär gegenüber dem Zweck einer Norm, der sich aus ihr selbst ergibt. Sie sind ja eigentlich nicht Bestandteil der auszulegenden Verordnung, Richtlinie oder Entscheidung und enthalten so gesehen keine verbindlichen Aussagen.397 Der EuGH verwendet die historische Auslegungsmethode auch, um ein aufgrund anderer Methoden gefundenes Auslegungsergebnis mithilfe der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift zu bestätigen.398 So stellte er z. B. in der Rechtssache Novartis u. a.399 zunächst fest, dass „sich aus Artikel 13 der Verordnung Nr. 1768/92 in Verbindung mit Anhang II des EWR-Abkommens“ ein bestimmtes Auslegungsergebnis ergebe. Dann fuhr er fort: „Eine solche Auslegung der genannten Bestimmung entspricht im Übrigen dem in der achten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1768/92 genannten Ziel“.400 Auch in der Rechtssache Marca Mode401 nahm der EuGH 394

Rs. C-208/98 (Berliner Kindl Brauerei), Slg. 2000, I-1741. Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 255; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-23. 396 Rs. 215/88 (Casa Fleischhandel), Slg. 1989, S. 2789, Rn. 31. 397 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 254, 255; Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht, S. 142. 398 Vgl. z. B. Rs. 29/69 (Stauder), Slg. 1969, S. 419, Rn. 4, in der der EuGH das anhand der Ziele der Bestimmung gewonnene Auslegungsergebnis durch eine Erklärung der Kommission und die letzte Begründungserwägung bestätigt sieht; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 149; Colneric, ZEuP 2005, S. 225 (228); auch Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 254 relativiert deshalb die Bedeutung der historischen Auslegungsmethode. 399 Verb. Rs. C-207/03 und C-252/03 (Novartis u. a.), Slg. 2005, I-3209. 400 Verb. Rs. C-207/03 und C-252/03 (Novartis u. a.), Slg. 2005, I-3209, Rn. 30, 31. 401 Rs. C-425/98 (Marca Mode), Slg. 2000, I-4861. 395

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zunächst eine Auslegung anhand des Wortlauts der auszulegenden Bestimmung vor und kam dann zu dem Schluss, dass „für diese Auslegung [. . .] außerdem die zehnte Begründungserwägung der Richtlinie [spricht], wonach „die Verwechslungsgefahr [. . .] die spezifische Voraussetzung für den Schutz dar[stellt]“.402 Genau dieselbe Vorgehensweise wählte der Gerichtshof z. B. auch in der Rechtssache Söhl und Söhlke,403 als er feststellte, dass die von ihm anhand des Wortlauts vorgenommene Auslegung der Bestimmung der fünfzehnten Begründungserwägung der auszulegenden Verordnung entspreche.

VI. Die Rechtsvergleichung 1. Allgemeines Mit der herrschenden Meinung in der Literatur ist davon auszugehen, dass die Rechtsvergleichung im Gemeinschaftsrecht eine eigene, fünfte Auslegungsmethode darstellt404 und nicht lediglich als Auslegungshilfe bei der Anwendung der anderen Methoden anzusehen ist.405 Unter Rechtsvergleichung ist das Miteinandervergleichen verschiedener nationaler Rechtsordnungen zu verstehen.406 Dabei geht es nicht um einen rein formalen Vergleich von Normen, sondern darum eine Lösung des konkreten Problems zu finden, die bei verständiger Wertung der verglichenen Normen als die beste erscheint.407 402

Rs. C-425/98 (Marca Mode), Slg. 2000, I-4861, Rn. 35. Rs. C-48/98 (Söhl und Söhlke), Slg. 1999, I-7877, Rn. 85. 404 So z. B. Bleckmann, Die Rechtsvergleichung im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 105 (121 f.); Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 306; Lenaerts, Le droit comparé dans le travail du juge communautaire, RTD eur. 2001, S. 487 f.; Mertens de Wilmars, Journal des Tribunaux, 1991, S. 37 (37, 40); Jann, Der Rückgriff auf die nationalen Rechte in der Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofs, Mélanges Schockweiler, S. 255; vgl. grundlegend zur Rechtsvergleichung als fünfter Auslegungsmethode des Verfassungsrechts, Häberle, Grundrechtsgeltung und Grundrechtsinterpretation im Verfassungsstaat, JZ 1989, S. 913 ff.; derselbe, Europäische Verfassungslehre, S. 246 ff. 405 Vgl. z. B. Oppermann, Europarecht, 8/22, der die Rechtsvergleichung der systematischen Methode zuordnet; insoweit missverständlich Schroeder, JuS 2004, S. 180 (183, 184), der einerseits von einer Auslegungsmethode spricht und andererseits von der Rechtsvergleichung als Hilfsmittel bei der Auslegung. 406 Lenaerts, RTD eur. 2001, S. 487 (488); Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 313; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 277, auch zum Unterschied zwischen Makro- und Mikrovergleichung; vgl. dazu auch Sommermann, Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Fortentwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts in Europa, DÖV 1999, S. 1017; Starck, Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht, JZ 1997, S. 1021 (1026). 403

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Bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts spielt die Rechtsvergleichung eine wichtige Rolle, da es immer auch vor dem Hintergrund der nationalen Rechtsordnungen betrachtet werden sollte, in denen es verwurzelt ist.408 Der EuGH geht davon aus, dass das Gemeinschaftsrecht darauf beruht, „dass die Mitgliedstaaten nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern auch auf rechtlichem Gebiet miteinander verflochten sind, und [. . .] daher den Grundsätzen und Vorstellungen Rechnung tragen [muss], die den Rechtsordnungen dieser Staaten [. . .] gemeinsam sind.“409 Das Gemeinschaftsrecht kann aufgrund seiner speziellen Beschaffenheit nicht ausschließlich aus sich selbst entwickelt werden, weil ihm die eigenen Traditionen fehlen, auf denen seine Weiterentwicklung aufbauen könnte.410 Art. 288 Abs. 2 EGV – und seit dem Vertrag von Maastricht auch der jetzige Art. 6 Abs. 2 EUV – ermächtigt den EuGH im Zusammenspiel mit Art. 220 EGV ausdrücklich, bei der Auslegung die Traditionen der Mitgliedstaaten rechtsvergleichend zu berücksichtigen.411 Der Gerichtshof sieht es als seine Pflicht an, in Erfüllung der ihm durch Art. 220 EGV „übertragenen Aufgabe, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages zu sichern [. . .] gegebenenfalls auf allgemeine Grundsätze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, zurück[zugreifen]“, wenn der Vertrag keine Vorschriften für das zu lösende Problem enthält.412 Art. 288 Abs. 2 EGV ist somit Ausdruck des Prinzips, das der Aufgabe des EuGH zugrunde liegt413 und darin besteht, „aus den Vertragszielen und den allgemeinen, in den Mitgliedstaaten anerkannten Rechtsgrundsätzen die gemeinschaftsgültigen Prinzipien abzuleiten und aufzustellen, nach denen sich das Handeln der Gemeinschaftsorgane und der 407 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 278; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 126. 408 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 280. 409 Rs. 155/79 (AM & S Europe), Slg. 1982, S. 1575, Rn. 18. 410 Jann, Der Rückgriff auf die nationalen Rechte in der Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofs, Mélanges Schockweiler, S. 255 (258), s. auch S. 261 mit verschiedensten Beispielen des Rückgriffs auf die nationalen Rechte. 411 So auch Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 104, f. S. 306. 307; Lenaerts, RTD eur 2001, S. 487 (392 f.); Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 347; s. dazu sogleich bei den Anwendungsfällen der Rechtsvergleichung. 412 Verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame III), Slg. 1996, I-1029, Rn. 27. 413 Jann, Der Rückgriff auf die nationalen Rechte in der Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofs, Mélanges Schockweiler, S. 255 (257) spricht deshalb von der überragenden Bedeutung des Art. 288 Abs. 2 EGV.

B. Die Auslegungsregeln des Gemeinschaftsrechts

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mitgliedstaatlichen Behörden im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts zu richten hat“.414 Die rechtsvergleichende Tätigkeit wird dem EuGH durch eine eigene Abteilung „Forschung und Dokumentation“ erleichtert, in der Juristen aus allen Mitgliedsländern arbeiten. Diese erstellen auf Anfrage der Mitglieder des EuGH eine sog. „Note de recherche“, in der sie die Rechtlage in den einzelnen Mitgliedstaaten zu einem bestimmten Problem darstellen. Den einzelnen Länderberichten werden die Ergebnisse dieser rechtsvergleichenden Studie vorangestellt, ihre Bewertung nimmt aber dann ausschließlich das entscheidende Gremium vor.415 2. Die Methode der wertenden Rechtsvergleichung Rechtsvergleichung darf nicht mit der grammatischen Auslegung mehrsprachiger Texte verwechselt werden, da es sich bei letzterer um eine reine Sprachvergleichung handelt. Rechtsvergleichendes Vorgehen bei der Auslegung schließt aber notwendigerweise eine Sprachvergleichung mit ein, da Normen aus verschiedenen Rechtsordnungen miteinander vergleichen werden, die in der Regel in einer anderen Sprache abgefasst sind.416 Vergleichbar sind grundsätzlich nur Normen, die in den verschiedenen Rechtsordnungen dieselbe Funktion erfüllen.417 Theoretisch müsste man dabei so vorgehen, dass man in allen betroffenen Rechtsordnungen entsprechende Rechtsnormen identifiziert und aus diesen Normen den größten gemeinsamen Nenner herausfiltert. Dieses sog. Einheitlichkeitsprinzip418 wird im Gemeinschaftsrecht zugunsten der sog. wertenden Rechtsvergleichung gelockert, was bedeutet, dass es ausreicht, wenn entsprechende Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten in einigen der mitgliedstaatlichen 414 Schockweiler, Die richterliche Kontrollfunktion: Umfang und Grenzen in Bezug auf den Europäischen Gerichtshof, EuR 1995, S. 191 (194). 415 Vgl. Seyr, JuS 2005, S. 315 (316); ausführlich, Jann, Der Rückgriff auf die nationalen Rechte in der Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofs, Mélanges Schockweiler, S. 255 (260 f.) mit Beispielen. So bezog sich z. B. GA Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rs. C-135/03 (Kommission/Spanien), Slg. 2005, I-6909, Rn. 37 ausdrücklich auf die vom wissenschaftlichen Dienst des Gerichtshofs erstellte Studie. 416 So auch Daig, Zur Rechtsvergleichung und Methodenlehre im Europäischen Gemeinschaftsrecht, FS Zweigert, S. 395 (397). 417 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 278 f.; Sommermann, DÖV 1999, 1017 (1023) spricht deshalb vom funktionalistischen Ansatz der Rechtsvergleichung; ebenso Kischel, Vorsicht, Rechtsvergleichung!, ZvglRWiss, 2005, S. 10 (16). 418 Diese kennzeichnet die Gewinnung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Völkerrecht.

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Rechtsordnungen festgestellt werden können.419 Wie gesagt, kann es dabei nicht um einen lediglich formalen Vergleich der verschiedenen Rechtsnormen gehen. Vielmehr entscheidet sich der EuGH bei der Rechtsvergleichung weder für das gemeinsame Minimum noch das gemeinsame Maximum oder die von der Mehrheit der Rechtsordnungen getragene Lösung, sondern nimmt eine wertende Rechtsvergleichung vor, indem er diejenige Lösung wählt, die den Zielen und Strukturprinzipien der Gemeinschaft am besten gerecht wird.420 Der EuGH greift also die Traditionen der Mitgliedstaaten nicht einfach nur auf, er bildet sie rechtsschöpferisch fort,421 muss aber dabei darauf achten, dass die gefundene Lösung für die Mitgliedstaaten akzeptabel ist.422 Generalanwalt Roemer fasste die Charakteristika der Rechtsvergleichung im Gemeinschaftsrecht in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Schöppenstedt423 treffend zusammen: „[Es] ist [. . .] weithin anerkannt, dass [der Rückgriff auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind als] Rechtsfindungsmethode nicht zu wörtlich genommen werden darf. Es sind also für das Gemeinschaftsrecht nicht nur Regelungen maßgeblich, die sich in allen Mitgliedstaaten finden, es ist nicht das niedrigste gemeinsame Niveau ausschlaggebend. [. . .] Angezeigt ist vielmehr [. . .] ein wertendes Vorgehen, bei dem insbesondere die speziellen Vertragsziele und die Besonderheiten der Gemeinschaftsstruktur berücksichtigt werden müssen.“

3. Anwendungsfälle der Rechtsvergleichung im Gemeinschaftsrecht Die Rechtsvergleichung dient sowohl zur Auslegung von Begriffen, also zur Konkretisierung geschriebenen Gemeinschaftsrechts als auch zur Fül419

Schütz/Bruha/König, Casebook Europarecht, S. 37. Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-30; Mertens de Wilmars, Réflexions sur les méthodes d’interprétation de la Cour de justice des Communautés européennes, CDE 1986, S. 5 (17 f.); derselbe, Journal des Tribunaux, 1991, S. 37 (39); Bleckmann, Die wertende Rechtsvergleichung bei der Entwicklung europäischer Grundrechte, FS Börner, S. 29 (30); Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 126; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 316. 421 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 305 f.; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 127; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 339. 422 Lenaerts, RTD eur 2001, S. 487 (500), S. 500 ff., ausführlich zu den verschiedenen Situationen, mit denen die Richter dabei konfrontiert werden können. 423 Rs. 5/71 (Zuckerfabrik Schöppenstedt), Slg. 1971, S. 975, 990. 420

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lung von Regelungslücken, somit zur Gewinnung ungeschriebenen Gemeinschaftsrechts.424 a) Autonome Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Begriffe Im Rahmen der grammatischen Auslegung wurde bereits ausgeführt, dass das Gemeinschaftsrecht seine Begriffe in der Regel nicht in Anlehnung an eine oder mehrere nationale Rechtsordnungen definieren will, sofern dies nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Normalerweise haben die in den Gemeinschaftsrechtsakten verwendeten Begriffe eine besondere, vom nationalen Recht abweichende Bedeutung. Wenn das Gemeinschaftsrecht Begriffe verwendet, die auch den nationalen Rechtsordnungen bekannt sind, greift der EuGH rechtsvergleichend auf die Bedeutung dieser Begriffe in den verschiedenen Rechtsordnungen zurück, um daraus einen eigenständigen, gemeinschaftsrechtlichen Gehalt zu entwickeln.425 Zwischen autonomer und rechtsvergleichender Auslegung besteht insofern eine Wechselwirkung.426 b) Rechtsvergleichung zur Gewinnung von ungeschriebenem Gemeinschaftsrecht Die Rechtsvergleichung kommt auch in den Fällen zur Anwendung, in denen das Gemeinschaftsrecht zu bestimmten Fragen keine Regelungen enthält, diese aber im Recht der Mitgliedstaaten schon lange bekannt sind.427 424 Daig, Zur Rechtsvergleichung und Methodenlehre im Europäischen Gemeinschaftsrecht, FS Zweigert, S. 395 (402); Bleckmann, Die Rechtsvergleichung im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 105 (119 f.); Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 283 f.; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 314; Jann, Der Rückgriff auf die nationalen Rechte in der Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofs, Mélanges Schockweiler, S. 255 (264 f.). 425 Dazu ausführlich Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 249 ff.; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-26, f.; Bleckmann, Die Rechtsvergleichung im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 105 (120 f.); Mertens de Wilmars, Journal des Tribunaux, 1991, S. 37 (38). 426 Schübel-Pfister, Sprache und Gemeinschaftsrecht, S. 133. 427 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 283 f.; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-27; Daig, Zur Rechtsvergleichung und Methodenlehre im Europäischen Gemeinschaftsrecht, FS Zweigert, S. 395 (401); Mertens de Wilmars, Journal des Tribunaux, 1991, S. 37 (38); Bleckmann, Die Rechtsvergleichung im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 105 (120 f.).

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Art. 288 EGV ist dabei als Ausgangspunkt anzusehen, da er für die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft bestimmt, dass diese den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit entstandenen Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ersetzt, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Diese Vorschrift beinhaltet somit einen ausdrücklichen Verweis auf die Lösungen in den nationalen Rechtssystemen zur Feststellung der entscheidenden Haftungskriterien. Das Gemeinschaftsrecht enthält hier keine spezifische gemeinschaftsrechtliche Lösung, diese soll der Gerichtshof finden, indem er einen gemeinschaftsrechtlichen Haftungsstandard entwickelt.428 Eine zentrale Rolle spielt die Rechtsvergleichung für die Entwicklung ungeschriebener Rechtsgrundsätze,429 wie z. B. den Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren,430 des Vertrauensschutzes431 oder der Verhältnismäßigkeit432 und bei der Gewinnung der Gemeinschaftsgrundrechte.433 Die Entwicklung gemeinschaftseigener Grundrechte durch den Gerichtshof ist einer der wichtigsten Anwendungsfälle für die Methode der wertenden Rechtsvergleichung überhaupt.434 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH gehören die Grundrechte zu „den allgemeinen Rechtsgrundsätzen 428 Vgl. Gellermann in: Streinz, Art. 288 EGV, Rn. 8; Ruffert in: Calliess/Ruffert, Art. 288 EGV, Rn. 5; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 339. 429 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-24 f.; Meyer, JURA 1994, S. 455 (457); Bleckmann, Die Rechtsvergleichung im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 105; Daig, Zur Rechtsvergleichung und Methodenlehre im Europäischen Gemeinschaftsrecht, FS Zweigert, S. 395 (406); Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 309 f.; vgl. ausführlich dazu z. B. Schütz/Bruha/König, Casebook Europarecht, S. 36 ff.; Szczekalla, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. I, § 11 Allgemeine Rechtsgrundsätze. 430 Grundlegend Rs. 32/62 (Alvis), Slg. 1963, S. 107. 431 Z. B. Rs. C-90/95 (De Compte/Parlament), Slg. 1997, I-1999, Rn. 35 ff.; Rs. 120/86 (Mulder), Slg. 1988, S. 2321, Rn. 24; vgl. auch die Rechtsprechungsnachweise bei Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, nach Art. 6 EUV, Rn. 300 f. 432 Grundlegend Rs. 8/55 (Fèdèchar), Slg. 1955/56, S. 197. 433 Vgl. Bleckmann, Die wertende Rechtsvergleichung bei der Entwicklung europäischer Grundrechte, FS Börner S. 29; Mertens de Wilmars, Journal des Tribunaux, 1991, S. 37 (38); Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 307; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 357 f.; vgl. dazu ausführlich z. B. Kingreen in: Calliess/Ruffert, Art. 6 Abs. 2 EUV, Rn. 31 ff.; Pechstein in: Streinz, Art. 6 EUV, Rn. 8 f.; grundlegend Rs. 29/69 (Stauder), Slg. 1969, S. 419; Rs. 11/70 (Internationale Handelgesellschaft), Slg. 1970, S. 1125. 434 So auch Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 357.

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[. . .], deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Dabei lässt sich der Gerichtshof von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. Hierbei kommt der EMRK besondere Bedeutung zu“.435 Bei der Entwicklung des Grundrechtsschutzes stellt der Gerichtshof zunächst die zu berücksichtigenden Grundrechte rechtsvergleichend fest, dann „filtert“ er sie und zuletzt gestaltet er sie aus, indem er sie der Struktur und den Zielen der Gemeinschaft anpasst.436 4. Die Bedeutung der rechtsvergleichenden Methode in der Rechtsprechung des EuGH In den Urteilen des Gerichtshofs finden sich selten explizit rechtsvergleichende Überlegungen.437 Ein Beispiel dafür ist die Rechtssache Algera438 aus dem Jahre 1957, in der sich der EuGH zu der Frage äußerte, unter welchen Voraussetzungen ein Organ der Gemeinschaft berechtigt ist, einen von ihm erlassenen rechtswidrigen begünstigenden, subjektive Rechte verleihenden Verwaltungsakt zu widerrufen. Er stellte dazu fest, dass es sich dabei „um eine der Rechtsprechung und der Lehre in allen Ländern der Gemeinschaft wohlvertraute verwaltungsrechtliche Frage [handelt], für deren Lösung der Vertrag jedoch keine Vorschriften enthält. Um sich nicht dem Vorwurf der Rechtsverweigerung auszusetzen, ist der Gerichtshof daher verpflichtet, diese Frage von sich aus unter Berücksichtigung der in Gesetzgebung, Lehre und Rechtsprechung der Mitgliedstaaten anerkannten Regeln zu entscheiden. Eine rechtsvergleichende Untersuchung lässt erkennen, dass in den sechs Mitgliedstaaten ein Verwaltungsakt, der dem Betroffenen subjektive Rechte verliehen hat, grundsätzlich nicht widerrufen werden kann, sofern er rechtmäßig war“.439

Ein besonders erwähnenswertes Beispiel ist das Urteil in der für den gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsschutz grundlegenden Rechtssache Hauer,440 da es in sehr anschaulicher Weise die rechtsvergleichende metho435

Rs. C-112/00 (Schmidberger), Slg. 2003, I-5659, Rn. 71. Pechstein in: Streinz, Art. 6 EUV, Rn. 9. 437 Außer den sogleich dargestellten Fällen finden sich rechtsvergleichende Ausführungen auch in der Rs. 155/79 (AM & S), Slg. 1982, S. 1576, 1610 ff., den verb. Rs. 46/87 und 227/88 (Hoechst), Slg. 1989, S. 2859, 2922 ff. oder der Rs. 374/87 (Orkem), Slg. 1989, S. 3283, 3349 ff. 438 Verb. Rs. 7/56 und 3/57 bis 7/57 (Algera), Slg. 1957, S. 81. 439 Verb. Rs. 7/56 und 3/57 bis 7/57 (Algera), Slg. 1957, S. 81, 118; vgl. z. B. auch Rs. 129/83 (Zelger), Slg. 1984, S. 2397, Rn. 11; Rs. C-3/91 (Exportur SA), Slg. 1992, I-5529, Rn. 11. 436

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Teil 1: Die Auslegungsmethoden des EuGH

dische Vorgehensweise des EuGH bei der Herleitung des Eigentumsrechts und der Bestimmung seiner Schranken verdeutlicht.441 Der Gerichtshof stellte darin zunächst fest, dass das Eigentumsrecht in der Gemeinschaftsrechtsordnung gemäß den gemeinsamen Verfassungskonzeptionen der Mitgliedstaaten gewährleistet wird. Deshalb müssten auch die Hinweise beachtet werden, die den Verfassungsnormen und der Verfassungspraxis der neun Mitgliedstaaten zu entnehmen seien. Dann fuhr der EuGH fort: „Hierzu ist als erstes festzustellen, dass es dem Gesetzgeber nach diesen Normen und der erwähnten Praxis gestattet ist, die Benutzung des Privateigentums im Allgemeininteresse zu regeln. Zu diesem Zweck verweisen einige Verfassungen auf die immanenten Eigentumsverbindungen (Artikel 14 Absatz 2 Satz 1 des deutschen Grundgesetzes), auf die soziale Funktion des Eigentums (Artikel 42 Absatz 2 der italienischen Verfassung), auf die Abhängigkeit seines Gebrauchs von den Erfordernissen des Gemeinwohls (Artikel 14 Absatz 2 Satz 2 des deutschen Grundgesetzes und Artikel 43.2.2 der irischen Verfassung) und auf die soziale Gerechtigkeit (Artikel 43.2.1 der irischen Verfassung). In sämtlichen Mitgliedstaaten haben zahlreiche Gesetzgebungsakte dieser sozialen Funktion des Eigentumsrechts konkreten Ausdruck verliehen. So gibt es in allen Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft, des Wasserrechts, des Umweltschutzes, der Raumordnung und des Städtebaus, die die Benutzung des Grundeigentums – zuweilen erheblich – beschränken.“442

Deutlich häufiger als die Urteile des EuGH enthalten die Schlussanträge der Generalanwälte rechtsvergleichende Darstellungen, auf die sich der Gerichtshof in seiner Entscheidung dann stützen kann.443 So beschäftigte sich z. B. Generalanwalt Léger in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Köbler444 mit dem „Stand des innerstaatlichen Rechts der Mitgliedstaaten im Bereich der staatlichen Haftung für die Gerichte“.445 Auch in den Schriftsätzen der an den Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten und der Kommission finden sich regelmäßig rechtvergleichende Darstellungen.446 440

Rs. 44/79 (Hauer), Slg. 1979, S. 3727. Calliess in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Auflage 2005, § 17 Eigentumsgrundrecht, Rn. 6. 442 Rs. 44/79 (Hauer, Slg. 1979), S. 3727, Rn. 17, 20. 443 So z. B. auch Daig, Zur Rechtsvergleichung und Methodenlehre im Europäischen Gemeinschaftsrecht, FS Zweigert, S. 395 (413); Lenaerts, RTD eur 2001, S. 487 (490 f.); Jann, Der Rückgriff auf die nationalen Rechte in der Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofs, Mélanges Schockweiler, S. 255 (264). 444 Rs. C-224/01 (Köbler), Slg. 2003, I-10239. 445 Schlussanträge in der Rs. C-224/01 (Köbler), Slg. 2003, I-10239, Rz. 77 ff.; vgl. z. B. auch Schlussanträge des GA Roemer in den verb. Rs. 63 – 69/72 (Werhahn), Slg. 1973, 1254, 1258 f.; Schlussanträge des GA Jacobs in der Rs. C-26/91 (Handte), Slg. 1992, I-3967, Rz. 16 ff.; Schlussanträge des GA Geelhoed in der Rs. C-121/00 (Strafverfahren gegen W. Hahn), Slg. 2002, I-9193, Rz. 49; Schlussanträge des GA Léger in der Rs. C-341/93 (Danvaern Productions), Slg. 1995, I-2053. 441

B. Die Auslegungsregeln des Gemeinschaftsrechts

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Aus der Tatsache, dass neuere Urteile des EuGH so gut wie nie rechtsvergleichende Ausführungen enthalten,447 darf nicht unbedingt geschlossen werden, dass ihnen auch keine rechtsvergleichenden Überlegungen zugrunde liegen.448 Weil sich die Spruchkörper am EuGH aus Richtern aus den verschiedenen Mitgliedstaaten zusammensetzen, liegt automatisch in allen Urteilsberatungen ein gewisses rechtsvergleichendes Element.449 Die Rechtsvergleichung ist der Tätigkeit des Gerichtshofs gewissermaßen immanent.450 Trotzdem wäre es wünschenswert, wenn der Gerichtshof seine rechtsvergleichenden Überlegungen in den Urteilen offen legte, um sie für die Leser seiner Urteile zugänglich und so seine Methodik transparenter zu machen. Diese ist nämlich im Bereich der Rechtsvergleichung nicht von besonderer Stringenz gekennzeichnet, da sich in den Urteilen oft nur eine Ansammlung unterschiedlicher Hinweise auf mitgliedstaatliche Rechtsordnungen in Verbindung mit einer Analyse der besonderen Notwendigkeiten des Gemeinschaftsrechts findet.451

446

Vgl. Colneric, ZEuP 2005, S. 225 (229); Lenaerts, RTD eur 2001, S. 487

(491). 447

Vgl. Jann, Der Rückgriff auf die nationalen Rechte in der Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofs, Mélanges Schockweiler, S. 255 (261); Daig, Zur Rechtsvergleichung und Methodenlehre im Europäischen Gemeinschaftsrecht, FS Zweigert, S. 395 (412 f.). 448 Colneric, ZEuP 2005, S. 225 (229); Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-30; Jann, Der Rückgriff auf die nationalen Rechte in der Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofs, Mélanges Schockweiler, S. 255 (261); Everling, Zur Auslegung des durch EG-Recht angeglichenen nationalen Rechts, ZGR 1992, S. 376 (386); Kutscher, Über den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft, EuR 1981, S. 392 (401); Mertens de Wilmars, Journal des Tribunaux, 1991, S. 37; Lenaerts, RTD eur 2001, S. 487 (489, 490, 392); Pescatore, Le recours, dans la jurisprudence de la Cour de Justice des Communautés européennes, à des normes déduites de la comparaison des droits des États membres, RIDC 1980, S. 337 (358) spricht davon, dass die expliziten Ausführungen in den Urteilen nur „la ‚pointe visible de l’iceberg‘ “ seien. 449 So auch Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-30; Brown/Kennedy, The Court of Justice of the European Communities, S. 315; Daig, Zur Rechtsvergleichung und Methodenlehre im Europäischen Gemeinschaftsrecht, FS Zweigert, S. 395 (413). 450 So auch Mertens de Wilmars, Journal des Tribunaux, 1991, S. 37; Lenaerts, RTD eur 2001, S. 487 (392); Starck, JZ 1997, S. 1021 (1026); Pescatore, RIDC 1980, S. 337 (349); Jann, Der Rückgriff auf die nationalen Rechte in der Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofs, Mélanges Schockweiler, S. 255 (260); Streinz, ZEuS 2004, S. 387 (405). 451 So auch Schütz/Bruha/König, Casebook Europarecht, S. 38; vgl. aus der Rechtsprechung z. B. Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft), Slg. 1970, S. 1125, Rn. 4.

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Teil 1: Die Auslegungsmethoden des EuGH

Abschließend kann man festhalten, dass die Rechtsvergleichung im Rahmen der Auslegungstätigkeit des EuGH bei der Lückenfüllung und der Entwicklung von ungeschriebenen Rechtsgrundsätzen eine wichtige Rolle spielt.452 Außerdem ist sie als Basis der autonomen Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Begriffe Grundbedingung für die Wahrung der Rechtseinheit des Gemeinschaftsrechts.453 Auch für die Rechtsvergleichung gilt, dass sie in der Regel in Kombination mit den anderen Auslegungsmethoden zur Anwendung kommt.454

VII. Fazit Nach der Analyse der einzelnen Auslegungsmethoden lässt sich festhalten, dass der Gerichtshof im Rahmen seiner Auslegungstätigkeit nahezu ausnahmslos nicht auf eine einzige Methode zurückgreift, sondern diese miteinander kombiniert, um zu einem Ergebnis zu gelangen. Es gibt unzählige Beispiele aus seiner Rechtsprechung, in denen er auf die Notwendigkeit der Kombination hinweist.455 So führt er in vielen Urteilen aus, dass „bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen [sind], die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden“.456 Aus rein praktischen Gründen muss der Auslegungsvorgang mit dem Wortlaut beginnen. Bei der Anwendung der Methoden gibt es ansonsten keine bestimmte Hierarchie oder Rangfolge,457 da sie ein „flexibles Argumentationsgerüst“458 darstellen. Wie der ehemalige EuGH-Richter Ulrich Everling treffend festgestellt hat, ist die Urteilsfindung eines Gerichtes in der Praxis ein komple452 So auch Meyer, JURA 1994, S. 455 (457); Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Art. 220 EGV, Rn. 47. 453 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-23 ff.; Pescatore, RIDC 1980, S. 337 ff.; Mertens de Wilmars, Journal des Tribunaux, 1991, S. 37 (38). 454 Mertens de Wilmars, Journal des Tribunaux, 1991, S. 37 (40). 455 Vgl. z. B. Rs. C-183/00 (González Sánchez), Slg. 2002, I-3901, Rn. 25; Rs. C-284/03 (Temco Europe SA), Slg. 2004, I-11237, Rn. 18; Rs. C-256/00 (Besix SA), Slg. 2002, I-1699, Rn. 29, 44, 51; Rs. C-3/00 (Dänemark/Kommission), Slg. 2003, I-2643, Rn. 59. 456 Rs. C-156/98 (Deutschland/Kommission), Slg. 2000, I-6857, Rn. 50; vgl. auch Rs. 292/82 (Merck), Slg. 1983, S. 3781, Rn. 12; Rs. 337/82 (St. Nikolaus Brennerei und Likörfabrik), Slg. 1984, S. 1051, Rn. 10. 457 So z. B. auch Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 256; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 141 f.; Monaco, Les principes d’interprétation suivis par la Cour, S. 177 (179) spricht in diesem Zusammenhang von „eclectisme remarquable“. 458 Häberle, Europäische Verfassungslehre, S. 251.

B. Die Auslegungsregeln des Gemeinschaftsrechts

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xer, schwierig zu analysierender Vorgang, bei dem die Methoden wechseln und nicht leicht zu bestimmen sind.459 Beim EuGH als europäischem Gericht kommt als weiterer Faktor hinzu, dass seine Mitglieder aus verschiedenen Rechtskreisen stammen, in denen sich die Anwendung der Auslegungsmethoden auch voneinander unterscheiden kann.460 So ist zum Beispiel in den angelsächsischen Ländern die Bindung an den Wortlaut normalerweise strenger als in den kontinentaleuropäischen. Nachdem das Vorverständnis der Richter in etwa das gleiche ist, kommt man aber im konkreten Fall zu ähnlichen Ergebnissen.461 Wie gezeigt wurde, variiert die Beurteilung der Bedeutung der einzelnen Auslegungsmethoden in der einschlägigen Literatur mitunter stark. Diese Divergenzen können aufgelöst werden, wenn ein essenzielles Element in die Betrachtung miteinbezogen wird, und zwar der zeitliche Faktor. Die Häufigkeit der Verwendung einer bestimmten Auslegungsmethode durch den EuGH und die Bedeutung, die er dieser Methode beimisst, wird nämlich auch durch das Entwicklungsstadium beeinflusst, in dem sich die Gemeinschaft gerade befindet. Es ist einleuchtend, dass die teleologische Methode in den Anfangsjahren der Gemeinschaft bei der Auslegungstätigkeit eine besonders wichtige Rolle spielte, da der Gerichtshof viele primärrechtliche Normen zu interpretieren hatte. Aufgrund der Kompromissformulierungen bzw. der offenen Art der Formulierung dieser Bestimmungen führt die Auslegung schnell vom Wortlaut zum Sinn und Zweck der betreffenden Vorschrift. Nachdem der EuGH die Grundprinzipien der Gemeinschaftsordnung durch seine Rechtsprechung etabliert hatte, konnte er mehr und mehr auf diese verweisen, weshalb der Verweis auf die frühere Rechtsprechung mit zunehmender Lebensdauer der Gemeinschaften eine größere Rolle im Rahmen seiner Auslegungstätigkeit spielt. Dadurch dass der Gerichtshof viele Normen des Gemeinschaftsrechts in ihrem Umfang und Regelungsgehalt präzisiert hatte, hat sich seine Vorgehensweise insofern geändert als er „auf ein Reservoir“462 von Rechtsinstituten und Grundsätzen zurückgreifen kann. 459

Everling in: Kruse (Hrsg.), Zölle, Verbrauchssteuern, Europäisches Marktordnungsrecht, S. 51 (60). 460 s. hierzu z. B. die grundlegende Untersuchung von Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent, 2001, Bd. I und II; vgl. auch Colneric, ZEuP 2005, S. 225 (230), die darauf hinweist, dass sich z. B. Richter aus Common-Law Ländern kaum für systematische Überlegungen begeistern lassen, da ihr Bild von der Rechtsordnung nicht das eines Systems sei. 461 Everling in: Kruse (Hrsg.), Zölle, Verbrauchssteuern, Europäisches Marktordnungsrecht, S. 51 (61). 462 Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, S. 169.

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Teil 1: Die Auslegungsmethoden des EuGH

Dies bedeutet gleichzeitig, dass in gewissen Bereichen die Häufigkeit der anderen Auslegungsmethoden durch den Verweis auf die frühere Rechtsprechung zurückgedrängt wird. Daraus ergibt sich jedoch nicht zwangsläufig eine verminderte Bedeutung der restlichen Auslegungsmethoden. Wenn der EuGH auf seine früheren Urteile verweist, wird er nämlich zu einem Beobachter zweiter Ordnung, da er nicht das Recht, sondern seine vorhergehende Rechtsprechung analysiert. Die bereits ergangenen Urteile sind alle das Ergebnis eines Auslegungsprozesses, in dem der Gerichtshof verschiedene Methoden zur Anwendung gebracht hat. Weist er bei der Auslegung einer Norm auf ein früheres Urteil hin, bestätigt er gewissermaßen das Ergebnis dieses Urteils, aber auch sein methodisches Vorgehen zum damaligen Zeitpunkt. Der Verweis auf Vorgängerurteile darf deshalb nicht ausschließlich als ein mechanisches Übernehmen der Aussagen früherer Entscheidungen verstanden oder auf die reine Zitierung des Vorgängerurteils reduziert werden. Aufgrund der Besonderheit der Beobachtung zweiter Ordnung – die nur beim Verweis auf die frühere Rechtsprechung feststellbar ist – kann ein Urteil nur richtig bewertet und eingeordnet werden, wenn die Methodik des Urteils, auf das der EuGH verweist, miteinbezogen wird. Nachdem der Gerichtshof in den meisten seiner Urteile sein Ergebnis auf systematische und teleologische Argumente gestützt hat, führt der vermehrte Verweis auf frühere Urteile somit nicht zu einer geringeren Bedeutung der „klassischen“ systematischen463 und der teleologischen Auslegungsmethode. Der Verweis auf ein Urteil, das sich auf teleologische oder/und systematische Überlegungen stützt, macht sich nämlich gewissermaßen auch teleologische und systematische Überlegungen zueigen. Zutreffend ist die Einschätzung, dass dem Wortlautargument in den letzten Jahren größere Bedeutung beizumessen ist als in den Anfangsjahren der Gemeinschaft. Damals hatte der EuGH in erster Linie Primärrecht auszulegen, mit zunehmender Lebensdauer der Gemeinschaft hat die „Produktion“ von Sekundärrecht stark zugenommen. Außerdem bewegt sich die Gesetzgebung im Sekundärrecht mehr und mehr in sehr technischen oder speziellen Bereichen, in denen naturgemäß die Wortlautauslegung mehr im Mittelpunkt steht. Es lässt sich somit letzten Endes keine allgemeingültige Aussage über die Gewichtung der Auslegungsmethoden durch den Gerichtshof für die gesamte Lebensdauer der Gemeinschaften treffen. Gewisse zeitliche Schwankungen ergeben sich je nachdem, in welchem Stadium der Entwicklung die Bewertung der Auslegungsmethoden erfolgt. Trotzdem kann man festhalten, dass die teleologische Methode aufgrund der beschriebenen Besonderheiten 463 Gemeint sind damit alle Fälle systematischer Auslegung, bei denen der EuGH das Recht auslegt und nicht ein Beobachter seiner eigenen Rechtsprechung ist.

B. Die Auslegungsregeln des Gemeinschaftsrechts

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des Gemeinschaftsrechts bei dessen Auslegung immer einen wichtigen Rang eingenommen hat und einnimmt und dass der Wortlaut unabhängig von den soeben erwähnten Schwankungen aufgrund der Verbindlichkeit aller sprachlichen Fassungen im Gemeinschaftsrecht eine geringere Rolle spielt als beispielsweise im nationalen Recht.

Teil 2

Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH A. Die Entstehung des effet utile I. Römisch-rechtliche Wurzeln und moderne Zivilgesetzbücher Der Grundsatz des effet utile hat eine lange Geschichte,1 seine Wurzeln gehen nämlich bis auf das römische Recht2 zurück. Ausdruck fand er einerseits in verschiedenen Privatrechtsordnungen europäischer Staaten und andererseits, was im Rahmen der vorliegenden Arbeit von besonderem Interesse ist, im Völkerrecht. Im römischen Recht besagte der Grundsatz, dass doppeldeutige bzw. unklare Gesetzestexte oder auch Rechtsgeschäfte im Zweifel so auszulegen sind, dass sie wirksam sind.3 Der Jurist Julian aus dem 2. Jhd. n. Chr. führte deshalb aus, dass es angemessen sei, einen zweideutigen Ausdruck so auszulegen, dass die Sache, um die es geht, wirksam sei und nicht unwirksam.4 In Anlehnung an diese Textstelle wird der effet utile auch als Grundsatz des ut res magis valeat quam pereat bezeichnet.5 Ein etwas anderes Verständnis liegt der Aussage des römischen Juristen Ulpian aus dem 3. Jhd. n. Chr. zugrunde, der ausführt, dass bei zwei möglichen Auslegungen eines Ausdrucks, diejenige zu wählen sei, die im vorliegenden Fall passender ist.6 1 Honsell, Der „effet utile“ und der EuGH, FS Krejci, S. 1929 (1930); insofern nicht zutreffend Rittner, Wieviel Europa braucht Europa? EuR 1998, S. 3 (13). 2 Honsell, Der „effet utile“ und der EuGH, FS Krejci, S. 1929 (1930); Ormand, La notion de „l’effet utile“, S. 9. 3 Honsell, Der „effet utile“ und der EuGH, FS Krejci, S. 1929 (1930). 4 Der lateinische Text lautet: Quotiens in actionibus aut in exceptionibus ambigua oratio est, commodissimum est id accipi, quo res de qua agitur magis valeat quam pereat. Dig. 34, 5, 12; 45, 1, 80. 5 Vgl. z. B. Streinz, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH, ZEuS 2004, S. 387 (406 f.). 6 Dig. 50, 17, 67. Der lateinische Text lautet: Quotiens idem sermo duas sententias exprimit, ea potissimum excipiatur, quae rei gerendae aptior est.

A. Die Entstehung des effet utile

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Diese beiden Auslegungsregeln fanden fast wörtlich Eingang in das italienische und in das französische Zivilgesetzbuch. Art. 1367 Codice civile legt z. B. fest, dass im Zweifel der Vertrag oder dessen einzelne Klauseln so auszulegen sind, dass sie irgendeine Wirkung haben können und nicht so, dass sie keine haben.7 Beide Zivilrechtsordnungen haben auch die Regel übernommen, dass Ausdrücke, die mehrere Bedeutungen haben können, im Zweifel so auszulegen sind, wie es am ehesten der Natur und dem Gegenstand des Vertrages entspricht.8 Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (im Folgenden BGB) hat lediglich die Regel Julians für das Testament übernommen9 (sog. favor testamenti), das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (im Folgenden ABGB) kennt die beiden Auslegungsregeln aus dem römischen Recht nicht.10 Eine gewisse Nahebeziehung besteht zu der ebenfalls dem römischen Recht entstammenden Regel „utile per inutile non vitiatur“11, die sich z. B. in § 878 ABGB oder in ihrer Sinnrichtung umgekehrt in § 139 BGB oder Art. 1419 Codice civile wiederfindet. In diesem Kontext ist der Begriff „utile“ mit „wirksam“ oder „erfolgreich“ zu übersetzen.12

II. Der Effektivitätsgrundsatz im Völkerrecht 1. Allgemeines Im Völkerrecht findet das Effektivitätsprinzip in erster Linie nicht als Auslegungsregel Anwendung, sondern bezieht sich auf eine Reihe verschiedener Rechtsprobleme. Dabei geht es letztendlich um das „Verhältnis von Recht und Wirklichkeit, insbesondere um die Frage, wie weit sich das Recht durch die Wirklichkeit bestimmen lassen darf, ohne sein Wesen als Norm zu verlieren“.13 Die Frage nach der Effektivität völkerrechtlicher Normen ist nach wie vor zentraler Diskussionsgegenstand in der Wissenschaft.14 7

Art. 1157 Code civil ist nahezu wortgleich. Vgl. Art. 1158 Code civil und Art. 1369 Codice Civile. 9 Vgl. § 2084 BGB. 10 Honsell, Der „effet utile“ und der EuGH, FS Krejci, S. 1929 (1931). 11 Ulpian Dig. 41, 1, 1, 5. 12 Honsell, Der „effet utile“ und der EuGH, FS Krejci, S. 1929 (1931 f.). 13 Krüger, „Effektivität“ in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, S. 410. 14 Vgl. K. Ipsen, Völkerrecht, § 3, Rn. 10. 8

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Das Völkerrecht ist nämlich durch einen Spannungszustand zwischen Recht und Wirklichkeit in besonderem Ausmaße gekennzeichnet, da es über keine Bindung zu einem bestimmten Staat verfügt, der für die Durchsetzung der Normen sorgen könnte und auch über keine zentralen Organe zur zwangsweisen Durchsetzung.15 Das Völkerrecht muss deswegen aus eigener Kraft das bewirken, was für die staatlichen Rechtsordnungen der Staat übernimmt.16 Für die Einhaltung seiner Normen ist es folglich in großem Ausmaß auf den guten Willen der vertragschließenden Staaten angewiesen. In diesem Spannungszustand gilt es durch den Grundsatz der Effektivität, dem Völkerrecht soviel Wirksamkeit wie möglich zu verleihen.17 Krüger bezeichnet das Prinzip deshalb zutreffend als „eine Kompensation [der] unstaatlichen Natur“18 des Völkerrechts. Unter Effektivität ist folgerichtig die regelmäßige Wirksamkeit19 des Völkerrechts zu verstehen.20 Die wichtigsten Anwendungsbereiche des Effektivitätsprinzips sind der Bereich der Völkerrechtssubjektivität,21 der Bereich des objektiven Völkerrechts, somit die Frage, wie Recht hervorgebracht wird,22 und der Bereich der völkerrechtlichen Okkupation.23 Dabei kann das Prinzip der Effektivität als Element der Rechtsbegründung und des Rechtsbestandes selbst bezeichnet werden.24 2. Das Effektivitätsprinzip als völkerrechtliche Auslegungsregel Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge erfolgt grundsätzlich nach den in Art. 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) festgelegten Auslegungsregeln.25 Art. 31 WVRK ist mit „General Rule of interpretation“ 15

Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 68. Krüger, Das Prinzip der Effektivität, FS Spiropoulos, S. 265; vgl. auch K. Ipsen, Völkerrecht, § 3, Rn. 13. 17 Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S. 81. 18 Krüger, Das Prinzip der Effektivität, FS Spiropoulos, S. 265. 19 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 68. 20 Vgl. auch Krieger, Das Effektivitätsprinzip im Völkerrecht, S. 33. 21 Krüger, Das Prinzip der Effektivität, FS Spiropoulos, S. 265 (278); derselbe, „Effektivität“ in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, S. 410 (411). 22 Krüger, Das Prinzip der Effektivität, FS Spiropoulos, S. 265 f.; derselbe, „Effektivität“ in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, S. 410 (411). 23 Krüger, Das Prinzip der Effektivität, FS Spiropoulos, S. 265 (275); derselbe, „Effektivität“ in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, S. 410 (411). 24 Krüger, „Effektivität“ in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, S. 410 (412); vgl. auch Wörterbuch der Außenpolitik und des Völkerrechts, Stichwort Effektivität; vgl. ausführlich Krieger, Das Effektivitätsprinzip im Völkerrecht. 16

A. Die Entstehung des effet utile

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überschrieben und sieht vor, dass ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen ist. Gemäß Abs. 4 darf eine besondere Bedeutung eines Ausdrucks nur angenommen werden, wenn feststeht, dass die Vertragsparteien dies beabsichtigt haben. Art. 31 WVRK sieht somit eine Auslegung nach der grammatischen, der systematischen und der teleologischen Methode vor. Die Auslegung anhand der Vorarbeiten sowie der Umstände, unter denen der Vertrag zustande kam, hat gemäß Art. 32 WVRK gegenüber den in Art. 31 WVRK genannten Methoden nur subsidiären Charakter.26 Neben den in Art. 31 WVRK genannten Auslegungsmethoden haben sich in der Praxis der internationalen Gerichte weitere Regeln herauskristallisiert. Dazu zählen z. B. die implied-powers-Regel oder eben die Auslegung nach dem effet utile. Erste Hinweise auf den effet utile-Grundsatz im Bereich der völkerrechtlichen Vertragsauslegung finden sich schon bei Grotius in seinem grundlegenden Werk „De jure belli ac pacis“.27 Der französische Völkerrechtler Rosseau hat den effet utile dahingehend definiert, dass davon auszugehen sei, dass die Autoren eines Vertrages die Absicht hatten, sinnvolle Bestimmungen zu verabschieden und praktisch wirksame Regeln festzulegen.28 Auch im Bereich der völkerrechtlichen Vertragsauslegung ist der Grundsatz des effet utile somit gleichbedeutend mit der Maxime des ut res magis valeat quam pereat.29 Obwohl diese Regel nicht unmittelbar in die in Art. 31 WVRK genannten Auslegungsmethoden aufgenommen wurde, hat sie sich völkergewohnheitsrechtlich verfestigt.30 Sie ist als eine Ableitung des Effektivitätsgrundsatzes anzusehen.31 Im Völkerrecht besagt das Effektivitätsprinzip, dass bei verschiedenen möglichen Auslegungen derjenigen der Vorzug zu geben ist, die mit dem 25 Grundsätzlich unterscheidet man im Völkerrecht zwischen authentischer, judizieller und individueller Auslegung. Art. 31 WVRK kodifiziert die objektive Auslegungsmethode. Vgl. K. Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 1 ff. 26 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 779; K. Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 18. 27 Grotius, De jure belli ac pacis, Ch VI, Ch XII 2, Livre II Chap XVI Par XXII. 28 Rousseau, Principes généraux du droit international public, § 420, S. 680; vgl. auch Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 77, die auf die Ähnlichkeiten der effet utile-Regel mit der „golden rule of interpretation“ der englischen Gerichte hinweist. 29 Vgl. z. B. auch Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 96. 30 Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S. 82. 31 Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S. 82.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

erkennbaren Vertragszweck in Einklang steht und am besten zu seiner Erreichung beiträgt32 und bei der die Rechtsnormen ihren Zweck nicht verfehlen. Es geht darum zu gewährleisten, dass die Vertragsbestimmungen einen „praktischen Nutzen“ haben, dass ihre „Nutzwirkung“ zur Entfaltung gebracht wird.33 Voraussetzung für die Erkennbarkeit des Vertragszwecks ist naturgemäß, dass dieser im Vertragstext Ausdruck findet. Das Effektivitätsprinzip ist folglich als eine Spielart des Gebots zur Beachtung des Vertragszwecks anzusehen.34 Effektivität bedeutet mit anderen Worten, dass die Auslegung nicht dazu führen darf, „einen Vertrag oder einen seiner Teile seiner vollen Wirksamkeit zu berauben“.35 Diese Definition bzw. Einordnung des effet utile stützt sich auf die Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs (im Folgenden StIGH) und des Internationalen Gerichtshofs (im Folgenden IGH).36 So hielt der StIGH in einem Beschluss aus dem Jahre 192937 Folgendes fest: „. . . dans le doute, les clauses d’un compromis par lequel la Court est saisie d’un différend doivent, si cela n’est pas faire violence a leurs termes, être interprétées d’une manière permettant a ces clauses de déployer leurs effets utiles . . .“

Der IGH führte in einem Urteil aus dem Jahre 194938 ebenfalls etwas Ähnliches aus: „Il serait en effet contraire aux règles d’interprétation généralement reconnues de considérer qu’une disposition de ce genre, insérée dans un compromis, soit une disposition sans portée et sans effet.“

32 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 93 f., 96; Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 69 m. w. N.; Dumon, Kritische Prüfung der Auslegungsmethoden, S. III-91; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-43. 33 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-43. 34 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 93 f.; Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S. 82, spricht in diesem Zusammenhang vom „bezweckten Nutzeffekt“. s. zum Verhältnis zwischen teleologischer Auslegungsmethode und effet utile im Gemeinschsftsrecht ausführlich Teil 3 Kapitel A. 35 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 780; vgl. auch Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 349, 350. 36 Deshalb besteht in der Literatur grundsätzlich Einigkeit über die Bedeutung des effet utile im Völkerrecht. Vgl. Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 69 f. 37 Série A Nº 22, (Affaire des zones franches, Première phase) S. 13, s. auch Série A/B Nº 46 S. 137 (Affaire des zones franches, Arrêt). 38 C. I. J. Recueil 1949, (Détroit de Corfou, Fond), S. 23.

A. Die Entstehung des effet utile

99

Aussagekräftig ist auch ein Gutachten des IGH aus dem Jahre 1950:39 „Les traites prévoyant que tout différend sera soumis aux commissions ‚a la requête de l’une ou de l’autre des parties‘, il en résulte que chacune d’elles est tenue, a la requête de l’autre, de coopérer a la constitution de la commission, notamment en désignant son représentant. S’il en était autrement, la méthode de règlement par commissions instituées par les traites manquerait complètement son but.“

In einem weiteren Gutachten aus dem Jahre 1950 heißt es ganz allgemein: „Le principe d’interprétation exprime par la maxime ut res magis valeat quam pereat, principe souvent désigné sous le nom de principe de l’effet utile, ne serait autoriser la Cour a entendre la clause de règlement des différends insérées dans les traites de paix dans un sens qui, comme il vient d’être expose, contredirait sa lettre e son esprit.“40

Aus diesen Aussagen ergibt sich einerseits, dass kein Zweifel über die Anerkennung des Grundsatzes des effet utile im Völkerrecht besteht, andererseits aber auch, dass die Auslegung nicht losgelöst vom Vertragstext erfolgen darf, sondern immer eine Grundlage im Vertragstext und in den Vertragszielen haben muss.41 Die Anwendung des Grundsatzes der Effektivität darf somit nicht dazu führen, dass der Vertrag einen Sinn bekommt, der seinem Wortlaut und Geist widerspricht.42 Aus den oben zitierten Textpassagen kann man den Schluss ziehen, dass der Richter bei der Auslegung nach dem effet utile nach dem Ausschlussprinzip vorzugehen hat.43 Wenn eine Bestimmung eine doppelte Auslegung zulässt, hat er diejenige zu wählen, die der Norm einen Sinn verleiht. Im Extremfall muss der Richter zwischen zwei möglichen Auslegungen diejenige wählen, die dem Vertrag eine Wirksamkeit verleiht, die mit seinem Geist und seinem Zweck übereinstimmt.44 Einigkeit besteht in der Literatur dahingehend, dass die Anwendung des effet utile subsidiären Charakter im Rahmen des Auslegungsprozesses völkerrechtlicher Normen hat und nur darauf zurückgegriffen werden kann, wenn Zweifel über den wirklichen Willen der Vertragspartner bestehen oder 39

C. I. J. Recueil 1950 (Interprétation des Traites de Paix, Première phase), S. 77. C. I. J. Recueil 1950 (Interprétation des Traites de Paix) S. 221, 229. 41 Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 71. 42 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 780, S. 494; Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 93; K. Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 16. Für Dumon, Kritische Prüfung der Auslegungsmethoden, S. III-91 beruht der Grundsatz des effet utile deshalb auf dem „reinen gesunden Menschenverstand“. 43 Vgl. Ormand, La notion de „l’effet utile“, S. 11. 44 Ormand, La notion de „l’effet utile“, S. 11. 40

100

Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

der Text auf unterschiedliche Weise ausgelegt werden kann.45 Voraussetzung für seine Anwendbarkeit ist somit ein auslegungsbedürftiger und -fähiger Wortlaut.46

B. Der effet utile im Gemeinschaftsrecht I. Einführung Bevor eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem effet utile in der Rechtsprechung des EuGH erfolgen kann, ist es notwendig, einige allgemeine Ausführungen zum effet utile im Gemeinschaftsrecht voranzustellen. Der Gerichthof hat sich das erste Mal in der Rechtssache 34/62 47 auf den effet utile berufen.48 Seitdem ist er fester Bestandteil der Auslegungsmethodik des EuGH und wird von der europarechtlichen Literatur als Grundsatz im Rahmen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts anerkannt.49 Einigkeit besteht auch dahingehend, dass sich das effet utile-Argument im Gemeinschaftsrecht von seinen völkerrechtlichen Wurzeln gelöst und darüber hinaus entwickelt hat50 und ihm somit eine spezifisch gemeinschaftsrechtliche Funktion zukommt.51 Dies unterstreicht u. a. die Tatsache, dass 45 Vgl. z. B. Gutiérrez Posse, La maxime ut res magis valeat quam pereat, ZÖR 1972, S. 229 (230) oder Lauterpach, Restrictive interpretation and effectiveness, British Yearbook of International Law 1949, S. 48 (73). 46 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 97. 47 Rs. 34/62 (Kommission/Deutschland), Slg. 1963, S. 289, 318. 48 Insoweit a. A. Streinz, Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, FS Everling, Bd. II, S. 1491 (1492), der die Rs. 9/70 (Grad), Slg. 1970, S. 825 als die erste nennt. 49 Vgl. dazu z. B. Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-43 f.; Dumon, Kritische Prüfung der Auslegungsmethoden, S. III-90 f.; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften, S. 219 f.; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 77; Bleckmann, Zu den Auslegungsmethoden des Europäischen Gerichtshofs, NJW 1982, S. 1177 (1180); Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 208 f.; Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 72; Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 371; Meyer, Die Grundsätze der Auslegung im Gemeinschaftsrecht, JURA 1994, S. 455 (457); Streinz, ZEuS 2004, S. 387 (404); Schroeder, Die Auslegung des EU-Rechts, JuS 2004, S. 180 (186). 50 Vgl. Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 85. 51 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 7; v. Danwitz, Zur Entwicklung der gemeinschaftlichen Staatshaftung, JZ 1994, S. 334 (339), der davon spricht,

B. Der effet utile im Gemeinschaftsrecht

101

eine Übertragbarkeit der im Völkerrecht bekannten sog. souveränitätsfreundlichen Auslegung auf das Gemeinschaftsrecht in der Regel abgelehnt wird.52 Die souveränitätsfreundliche Auslegung wird im Völkerrecht teilweise als Gegenpol zum effet utile gesehen.53 Problematisch ist allerdings, dass über ihren Inhalt, ihre Tragweite sowie ihren möglichen Anwendungsbereich in der völkerrechtlichen Literatur große Uneinigkeit besteht und auch keine einheitliche Rechtsprechungslinie existiert.54 Vertreten wird beispielsweise, dass die souveränitätsschonende Auslegung nur bei Verträgen Anwendung finden könne, die in einem Austauschverhältnis stehende Leistungspflichten vorsehen.55 Andere Autoren sind der Ansicht, die souveränitätsfreundliche Auslegung sei nicht auf die Gründungsvertäge Internationaler Organisationen anwendbar, da diese ein anderes Ziel haben als herkömmliche rechtsgeschäftliche Verträge und die Souveränität in diesem Bereich eine geringere Rolle spielt.56 Bei allen terminologischen und inhaltlichen Unklarheiten über die souveränitätsfreundliche Auslegung im Völkerrecht spricht vor allem auch das letztgenannte Argument gegen eine Übertragbarkeit dieser Regel auf das Gemeinschaftsrecht. Ophüls führt diesbezüglich zu Recht aus, dass bei den Gemeinschaftsverträgen im Gegensatz zu den völkerrechtlichen Verträgen davon auszugehen sei, dass der Wille der Vertragsstaaten darauf gerichtet war, ihre Souveränitätsrechte auf dem Sachgebiet der Verträge zugunsten einer neu geschaffenen Hoheit aufzugeben.57 Außerdem sind die Verträge auf eine fortschreitende Integration ausgerichtet.58

dass eine gemeinschaftsrechtliche Konturierung dieses Grundsatzes unumgänglich ist. 52 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 7; Nicolaysen, Der Gerichtshof, Funktion und Bewährung der Judikative, EuR 1972, S. 375 (379). 53 Leibiger, Die souveränitätsfreundliche Auslegung, S. 162. 54 Vgl. hierzu grundlegend Leibiger, Die souveränitätsfreundliche Auslegung, S. 231 ff., 240; Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 41 f. 55 Herdegen, Völkerrecht, § 15, Rn. 31. 56 Leibiger, Die souveränitätsfreundliche Auslegung, S. 237 m. w. N. 57 Ophüls, Staatshoheit und Gemeinschaftshoheit, FS Heymanns Verlag, S. 519 (554 f.); er spricht an dieser Stelle auch von der Gemeinschaftshoheit als etwas revolutionär Neuem. Ähnlich auch Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S. 82 f., der die Ansicht vertritt, dass der souveränitätsfreundliche Grundsatz des „in dubio mitius“ nicht in einem unüberwindbaren Gegensatz zum effet utile stehe, da sich die Mitgliedstaaten bei der Gründung einer Organisation dieser freiwillig unterwerfen und zum Gelingen des Vertragszwecks beitragen wollen. 58 Vgl. statt vieler H. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 341; ausführlich dazu Teil 1 Kapitel B. IV. 3. c).

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

II. Meinungsstand in der Literatur zum möglichen Inhalt des effet utile Bezüglich des Inhalts des effet utile-Grundsatzes werden in der Literatur verschiedene Ansätze vertreten. Im Völkerrecht versucht man durch den Rückgriff auf die Nutzbringungsmaxime zu vermeiden, dass eine Norm jeglichen Sinn oder jegliche Wirksamkeit verliert. Lecourt59 bezeichnet dies als sog. obligation négative. Verschiedene Autoren gehen davon aus, dass der EuGH mit der Anwendung des effet utile aber auch anstrebt, der auszulegenden Norm die Fülle ihrer Wirkungen zu geben,60 da er in einigen Urteilen von der „vollen Wirksamkeit“61 oder dem „weitestmöglichen Umfang“62 spricht. Deshalb sind sie der Ansicht, dass der Gerichtshof jene Auslegung bevorzugt, bei der die Wirkung der Norm am stärksten und ihr praktischer Nutzen am größten sind.63 Lecourt bezeichnet diese Facette des Effektivitätsprinzips als obligation positive.64 Für ihn beinhaltet der Grundsatz des effet utile im Gemeinschaftsrecht demnach eine obligation négative und eine obligation positive. Ormand kommt in seiner Arbeit über den effet utile65 zu dem Ergebnis, dass der EuGH den effet utile in drei unterschiedlichen Konstellationen einsetzt: Erstens um zu verhindern, dass die Auslegung zu einem absurden oder unangemessenen Ergebnis führt, zweitens, um einer Norm ein Minimum an Effektivität zu verleihen und so zu verhindern, dass sie wirkungslos wird und drittens, um einer Bestimmung die Fülle ihrer Wirkungen zu verleihen.66 Einen sehr ähnlich strukturierten, dreifachen möglichen Bedeutungsinhalt vertritt auch Kutscher.67 Teilweise wird davon ausgegangen, dass der effet utile im Gemeinschaftsrecht bedeute, diejenige Auslegung zu wählen, die „am ehesten zum 59

Lecourt, L’Europe des juges, S. 240. So auch Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 8 f. und Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 29. 61 Vgl. z. B. Rs. 144/86 (Gubisch Maschinenfabrik), Slg. 1987, S. 4861, Rn. 7. 62 Vgl. z. B. Rs. C-348/89 (Mecanarte), Slg. 1991, I-3277, Rn. 44. 63 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-43; s. auch Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 209. 64 Lecourt, L’Europe des juges, S. 240. 65 Ormand, La notion de „l’effet utile“. 66 Ormand, La notion de „l’effet utile“, S. 41 ff. Im ersten Fall spricht er von „résultat impropre ou absurde“, im zweiten Fall von „efficacité minimale“ und im dritten Fall von „maximum d’efficacité“. 67 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-43. 60

B. Der effet utile im Gemeinschaftsrecht

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Gelingen des Integrationsvorhabens beiträgt“68 bzw. diejenige, welche die Verwirklichung der Vertragsziele am besten fördere69 und der effet utile insofern als „Optimierungsgebot“70 zu verstehen sei. Dieser Überblick zeigt, dass dem effet utile im Gemeinschaftsrecht verschiedene mögliche Inhalte zugeschrieben werden.71 Der EuGH selbst hat sich in keinem Urteil ausdrücklich dazu geäußert, welchen Bedeutungsgehalt er dem effet utile beimisst oder wann er auf ihn zurückgreift. Lediglich in einem Schlussantrag von Generalanwalt Léger aus dem Jahre 200472 finden sich einige grundsätzliche Bemerkungen zum effet utile. Auf diese soll in Teil 3 ausführlich eingegangen werden.

III. Meinungsstand in der Literatur bezüglich der Einordnung des effet utile in die gemeinschaftsrechtlichen Auslegungsmethoden Die herrschende Meinung in der europarechtlichen Literatur73 geht davon aus, dass der effet utile eine Ausprägung der teleologischen Auslegungsmethode darstellt bzw. dieser zuzuordnen ist. 68 Zuleeg, Die Auslegung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, EuR 1969, S. 97 (107). 69 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-44; Millett, Rules of Interpretation of E. E. C. Legislation, Statute Law Review 1989, S. 163 (181); Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 84; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 209; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 270; Wegener in: Calliess/Ruffert, Art. 220 EGV, Rn. 15. 70 Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht – wechselseitige Einwirkungen, DVBl. 1993, S. 924 (931). 71 So z. B. auch Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 72, 84 und Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 77, die von „polysemous character“ spricht; Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 88. 72 Rs. C-350/03 (Schulte), Slg. 2005, I-9215. 73 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 219; Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 208; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 77; Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 375; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-44; Meyer, JURA 1994, S. 455 (457); Röttgen, Die Argumentation des Europäischen Gerichtshofes, S. 87, 94; Streinz, ZEuS 2004, S. 387 (404); Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (107); Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 284; Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 89; Schroeder, JuS 2004, S. 180 (186); Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 6 f.; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht,

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Diese Überlegung wird damit begründet, dass der effet utile „im Sinne einer grundsätzlichen und vordringlichen Beachtung der angestrebten Integration“74 anzusehen sei. Nachdem Auslegung nach dem effet utile bedeute, den praktischen Nutzen einer Vorschrift zu sichern bzw. zu gewährleisten, dass sich ihre Wirkungen entfalten könnten, setze das voraus, dass die Ziele der auszulegenden Vorschrift in die Auslegung Eingang fänden. Der effet utile-Grundsatz bezwecke, dem Vertragstext die Fülle seiner Wirkungen75 zu geben und ermögliche so ein Einfließen Lassen der Vertragsziele.76 Den Vertragszielen komme „herausragende Bedeutung für die Effektivierung von Gemeinschaftsrecht“ zu.77 Für Schroeder versucht die teleologische Auslegungsmethode aufgrund des Gebots des effet utile deshalb, nicht nur das Ziel der auszulegenden Norm zu erkennen, sondern es auch zu verwirklichen.78 Abgelehnt wird es generell, den effet utile als autonomen Rechtsgrundsatz anzusehen79 oder ihm über den Gehalt einer bloßen Auslegungsregel hinaus kompetenzbegründenden Charakter zuzuschreiben.80

IV. Das Verhältnis zwischen effet utile und implied powers81 1. Ursprünge der implied powers Unter implied powers versteht man diejenigen Kompetenzen, „die bestehen, ohne in der betreffenden Rechtsgrundlage ausdrücklich genannt zu S. 270 f.; Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 103, der sogar davon ausgeht, dass teleologische Auslegung und effet utile weitgehend als identisch angesehen werden können. 74 Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 375. 75 Lecourt, L’Europe des juges, S. 240; Ormand, La notion de „l’effet utile“, S. 41, 45 f. 76 Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 85. 77 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 11. 78 Schroeder, JuS 2004, S. 180 (186). 79 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 9 f. m. w. N. 80 Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 86; Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 46. 81 Nicht näher eingegangen werden kann in diesem Zusammenhang auf die Figur der resulting powers, die in der Literatur teilweise auch als Unterfall der implied powers angesehen werden. Die resulting powers werden im Unterschied zu den implied powers nicht aus einer Kompetenznorm hergeleitet, sondern aus der Natur der Sache, aus mehreren oder allen ausdrücklichen Zuständigkeiten bzw. dem Wesen der Organisation (vgl. Nicolaysen, Zur Theorie von den implied powers in den Eu-

B. Der effet utile im Gemeinschaftsrecht

105

sein“.82 Implied powers können somit sowohl im staatlichen Recht als auch im Völkerrecht auftreten.83 Der Begriff der implied powers wurde ursprünglich im innerstaatlichen Recht entwickelt und zwar im Rahmen des Verfassungsrechts der Vereinigten Staaten von Amerika.84 Die implied powers-Lehre hat ihre Wurzeln somit im anglo-amerikanischen Recht, sie findet sich aber auch im Verfassungsrecht anderer Bundesstaaten85 und im Recht der internationalen Organisationen.86 Im Bereich des Völkerrechts kommen die implied powers vor allem in Zusammenhang mit den internationalen Organisationen und deren Organen zur Anwendung.87 Gemäß der oben gegebenen Definition sind die implied powers einer internationalen Organisation jene Kompetenzen, die der Organisation selbst oder ihren Organen zukommen, ohne in den auf die Organisation anwendbaren Rechtsvorschriften ausdrücklich genannt zu sein, die aber zur Erfüllung der in den Gründungsverträgen festgelegten Aufgaben notwendig sind.88 ropäischen Gemeinschaften, EuR 1966, S. 129 (140 f.)). Sie werden deshalb auch in der Literatur anders als die implied powers als ein Problem der Auslegung im weiteren Sinne bzw. der Rechtsfortbildung praeter legem betrachtet. Die resulting powers werden durch eine Gesamt- oder Rechtsanalogie gebildet, die implied powers hingegen durch Einzel- oder Gesetzesanalogie. Vgl. dazu ausführlich Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 198 ff., der grundsätzlich auch für die Zulässigkeit der resulting powers im Gemeinschaftsrecht plädiert, aber feststellt, dass der Anwendungsbereich dafür aufgrund der begrenzt übertragenen Kompetenzen gering ist. 82 Köck, Die „implied powers“ der Europäischen Gemeinschaften, FS Seidl-Hohenveldern, S. 279 (280). 83 Köck, Die „implied powers“ der Europäischen Gemeinschaften, FS Seidl-Hohenveldern, S. 279 (280). 84 Köck, Die „implied powers“ der Europäischen Gemeinschaften, FS Seidl-Hohenveldern, S. 279 (280); Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht, S. 59; Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 98; K. Ipsen, Völkerrecht, § 6, Rn. 8; s. dazu ausführlich auch Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 120 ff. 85 Das Prinzip der implied powers ist mit dem aus dem bundesstaatlichen Recht bekannten Grundsatz der ungeschriebenen Zuständigkeiten kraft Sachzusammenhangs verwandt; vgl. Oppermann, Europarecht, § 6, Rn. 69; Nicolaysen, EuR 1966, S. 129 (131). 86 Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 168. 87 Köck, Die „implied powers“ der Europäischen Gemeinschaften, FS Seidl-Hohenveldern, S. 279 (280). 88 K. Ipsen, Völkerrecht, § 6 Rn. 8; ausführlich zu den implied powers internationaler Organisationen und ihrer Organe: Köck, Die „implied powers“ der Europäischen Gemeinschaften, FS Seidl-Hohenveldern, S. 279 (281 ff.).

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

In der Theorie liegt der Lehre von den implied powers die logische Verknüpfung von Ziel und Mittel zugrunde.89 Sie nimmt an, dass der Staat, der einer internationalen Organisation bestimmte Aufgaben übertragen hat, auch die Mittel zur Erreichung dieser Ziele anerkennt.90 Aus dem Ziel bzw. Zweck einer internationalen Organisation ergeben sich somit zwangsläufig auch der Ursprung und die Grenzen ihrer implied powers.91 2. Die implied powers im Gemeinschaftsrecht a) Allgemeines Im Gemeinschaftsrecht gilt das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, das besagt, dass die Gemeinschaft nur über jene Kompetenzen verfügt, die ihr von den Mitgliedstaaten ausdrücklich zugewiesen wurden. Dieses Prinzip steht jedoch der Anerkennung von implied powers im Gemeinschaftsrecht nicht entgegen.92 Folglich sind in den ausdrücklichen Befugnissen der EG stillschweigend diejenigen Befugnisse eingeschlossen, ohne welche die ausdrücklichen Befugnisse nicht vollständig und wirksam ausgeübt werden können.93 In der Literatur war lange umstritten, ob es neben der Lückenfüllungsklausel des Art. 308 EGV im Gemeinschaftsrecht noch einen Anwendungsbereich für die implied powers geben kann.94 Heute ist allgemein anerkannt, dass die implied powers auch neben Art. 308 EGV bestehen können und sich Befugnisse der Gemeinschaft somit sowohl aus den implied powers als auch aus Art. 308 EGV herleiten lassen.95 Der Unterschied zwischen den beiden Konzepten besteht darin, dass die implied powers durch die Auslegung von Normen entstehen, die Kompetenzen vorsehen, während Art. 308 EGV unter Heranziehung der Zielbestimmungen der Gemeinschaftsverträge neue, nicht gegebene Befugnisse schafft.96 Die implied 89 Köck, Die „implied powers“ der Europäischen Gemeinschaften, FS Seidl-Hohenveldern, S. 279 (282); Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 159. 90 K. Ipsen, Völkerrecht, § 6, Rn. 9. 91 Vgl. Köck, Die „implied powers“ der Europäischen Gemeinschaften, FS SeidlHohenveldern, S. 279 (283); K. Ipsen, Völkerrecht, § 6, Rn. 9. 92 s. z. B. Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht, S. 61. 93 Schwartz in: von der Groeben/Schwarze, Art. 308 EGV, Rn. 70 f. (sog. enge Auslegung der implied powers). 94 Vgl. Calliess in: derselbe/Ruffert, Art. 5 EGV, Rn. 16. 95 Calliess in: derselbe/Ruffert, Art. 5 EGV, Rn. 16; Rossi in: Calliess/Ruffert, Art. 308 EGV, Rn. 63.

B. Der effet utile im Gemeinschaftsrecht

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powers sind somit Bestandteil der der Gemeinschaft zugewiesenen Befugnisse und deshalb selbst auch im Vertrag vorgesehene Befugnisse.97 Ausgangspunkt für die Ableitung von implied powers kann demnach nur eine ausdrückliche Kompetenznorm sein, die durch entsprechende Auslegung für die konkrete Anwendung fruchtbar gemacht werden soll.98 Der Anwendungsbereich der implied powers hängt von der Formulierung der jeweiligen Kompetenzen ab.99 Wenn das Gemeinschaftsziel durch die Ausübung impliziter Kompetenzen erreicht werden kann, ist eine Anwendung von Art. 308 EGV ausgeschlossen.100 Den implied powers gebührt somit der Vorrang gegenüber der Anwendung von Art. 308 EGV.101 Ein Zusammenhang zwischen den beiden Konzepten ergibt sich daraus, dass durch die Einführung des Art. 308 EGV der Anwendungsbereich für die implied powers geringer102 geworden ist.103 Der Gerichtshof hat sich in seiner Rechtsprechung immer wieder mit den implied powers beschäftigt und das Bestehen dieser bejaht. Grundlegend ist in diesem Zusammenhang das Urteil in der Rechtssache Fèdèchar,104 in dem der EuGH die Theorie von den implied powers anerkannte,105 indem er Folgendes ausgeführte: „Der Gerichtshof hält, ohne sich dabei an eine extensive Auslegung zu begeben, die Anerkennung einer sowohl im Völkerrecht als auch im innerstaatlichen Recht 96

Calliess in: derselbe/Ruffert, Art. 5 EGV, Rn. 16; Rossi in: Calliess/Ruffert, Art. 308 EGV, Rn. 63; Nicolaysen, EuR 1966, S. 129 (132); Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht, S. 60; Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 189; Dörr, Die Entwicklung der ungeschriebenen Außenkompetenzen der EG, EuZW 1996, S. 39 (40). 97 Calliess in: derselbe/Ruffert, Art. 5 EGV, Rn. 17; Schwartz in: von der Groeben/Schwarze, Art. 308 EG, Rn. 67 m. w. N. 98 Nicolaysen, EuR 1966, S. 129 (132); Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht, S. 59. 99 Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 183. 100 Schwartz in: von der Groeben/Schwarze, Art. 308 EGV, Rn. 69. 101 Rossi in: Calliess/Ruffert, Art. 308 EGV, Rn. 63; Dörr, EuZW 1996, S. 39 (40). 102 So auch Oppermann, Europarecht, § 6, Rn. 70; Toth, The Oxford Encyclopaedia of European Community Law, Volume I, Stichwort „implied powers“, S. 294. 103 H. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 347; K. Ipsen, Völkerrecht, § 6, Rn. 10; Köck, Die „implied powers“ der Europäischen Gemeinschaften, FS Seidl-Hohenveldern, S. 279 (299). 104 Rs. 8/55 (Fèdèchar), Slg. 1955/56, S. 197. 105 Calliess in: derselbe/Ruffert, Art. 5 EGV, Rn. 15; so auch Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 242.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

allgemein anerkannten Auslegungsregel für zulässig, wonach die Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrages oder eines Gesetzes zugleich diejenigen Vorschriften beinhalten, bei deren Fehlen sie sinnlos wären oder nicht in vernünftiger und zweckmäßiger Weise zur Anwendung kommen könnten.“106

Ähnlich argumentierte der EuGH im Frachttafeln-Fall,107 in dem er feststellte, dass „[. . .] Lehre und Rechtsprechung darin überein [stimmen], dass die von einem völkerrechtlichen Vertrag aufgestellten Vorschriften zugleich diejenigen Rechtssätze in sich schließen, ohne welche sie nicht sinnvoll und vernünftig angewendet werden können.“108

Grundsätzlich kann man festhalten, dass der Gerichtshof die implied powers bislang ausschließlich zur Begründung der Außenkompetenzen der EG herangezogen hat.109 b) Das Verhältnis zum effet utile Das Verhältnis zwischen implied powers und effet utile wird in der europarechtlichen Literatur nicht einheitlich gesehen. Zutreffend ist, dass die Abgrenzung zwischen teleologischer Auslegung, effet utile und implied powers vom EuGH in seiner Rechtsprechung nicht immer klar durchgeführt wird.110 Daraus erklärt sich auch die Tatsache, dass dieselben Urteile des Gerichtshofs von manchen Autoren unter der Rubrik des effet utile eingeordnet werden und von anderen unter der Rubrik der implied powers.111 Dass die Grenzziehung nicht immer eindeutig ist, zeigt sich ebenfalls daran, dass teilweise der EuGH und der für den Fall zuständige Generalanwalt zu demselben Auslegungsergebnis kommen, der eine unter Berufung auf den effet utile, der andere unter Berufung auf die implied powers.112 106

Rs. 8/55 (Fèdèchar), Slg. 1955/56, S. 197, 311. Rs. 20/59 (Italien/Hohe Behörde), Slg. 1960, S. 683. 108 Rs. 20/59 (Italien/Hohe Behörde), Slg. 1960, S. 683, 708. 109 Streinz in: Streinz, Art. 5 EGV, Rn. 11. 110 Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht, S. 61 f., s. dazu auch noch die Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Slg. 2005, I-7879, die in Teil 3 B IV 2. b) näher besprochen wird. 111 Z. B. Rs. 8/55 (Fèdèchar), Slg. 1955/56, S. 197. 112 s. verb. Rs. 281, 283, 284, 285 und 287/85 (Deutschland u. a./Kommission), Slg. 1987, S. 3203. In Rn. 28 führte der EuGH Folgendes aus: „Weist eine Bestimmung des EWG-Vertrags, im vorliegenden Fall Artikel 118, der Kommission eine bestimmte Aufgabe zu, so ist davon auszugehen, dass sie ihr dadurch notwendigerweise auch die zur Erfüllung dieser Aufgabe unerlässlichen Befugnisse verleiht; andernfalls würde der Bestimmung jede praktische Wirksamkeit genommen.“ Damit legt der Gerichtshof unter Berufung auf den effet utile aus. Vgl. die Schlussanträge des GA Mancini vom 31. März 1987, Rn. 13 f. 107

B. Der effet utile im Gemeinschaftsrecht

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Sehr treffend charakterisiert Bradley113 die Schwierigkeiten bei der Grenzziehung, indem er feststellt „One man’s implicit power is another man’s extensive interpretation.“ Erschwert wird die Auseinandersetzung mit diesem Thema zusätzlich noch durch terminologische Unklarheiten und Verwirrungen.114 Abzulehnen ist die Ansicht, dass zwischen den implied powers und dem effet utile kein wesentlicher Unterschied bestehe, sondern dass sich lediglich die Herkunft der beiden Konzepte voneinander unterscheide; der effet utile leite sich aus dem völkerrechtlichen Prinzip der Effektivität her, die implied powers kämen aus dem nationalen Verfassungsrecht.115 Eine Identität zwischen den beiden Auslegungsmethoden ist schon deshalb auszuschließen, weil sie eine unterschiedliche „Stoßrichtung“ haben. Bei den implied powers geht es darum, Kompetenznormen dahingehend auszulegen, dass die Gemeinschaft die ihr zugewiesenen Kompetenzen sinnvoll ausüben kann. Die Auslegung nach dem effet utile betrifft hingegen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts insgesamt, nicht nur jene von Kompetenznormen. Die Tatsache, dass ein und dasselbe Urteil in der Literatur teilweise als Anwendungsfall der implied powers gesehen wird und teilweise als Anwendungsfall des effet utile,116 kann die These von der Identität auch nicht stützen. Der EuGH unterscheidet nämlich in seinen Urteilen sehr wohl zwischen effet utile und implied powers und nennt den effet utile in der Regel ausdrücklich, wenn er auf ihn zurückgreift. 113 Bradley, The European Court and the legal Basis of Community legislation, ELRev 1988, S. 379 (400). 114 Bradley, ELRev 1988, S. 379 (400). 115 Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 192 f., 194, er spricht in diesem Zusammenhang sogar von „identisch“. Ähnlich Dumon, Kritische Prüfung der Auslegungsmethoden, S. III-93, der unter Hinweis auf das AETR-Urteil (EuGH Rs. 22/70, Slg. 1971, S. 263) feststellt, dass es sich immer um die Anwendung derselben Methode handle, auch wenn diese in der Literatur unterschiedlich bezeichnet werde; nicht eindeutig diesbezüglich v. Danwitz, JZ 1994, S. 334 (338), der ausführt, dass der effet utile als allgemeiner Vertragsauslegungsgrundsatz aus dem Völkervertragsrecht stammt und „im Gemeinschaftsrecht an der Seite der Lehre von den implied powers seinen festen Platz und seine Berechtigung gefunden hat.“ 116 Böhm, Kompetenzauslegung und Kompetenzlücken im Gemeinschaftsrecht, S. 192. Es handelt sich dabei um das Fèdèchar-Urteil (Rs. 8/55, Slg. 1955/56, S. 197), das von Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-43 f. als Beispiel für den effet utile und die implied powers angeführt wird, von anderen Autoren, wie Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (107) oder Calliess in: derselbe/Ruffert, Art. 5 EGV, Rn. 15 als Beispiel für die Anerkennung des Grundsatzes der implied powers durch den EuGH. Die h. M. in der Literatur zieht dieses Urteil zur Begründung der Anerkennung der implied powers Lehre durch den EuGH heran.

110

Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Überzeugender ist der Ansatz, die implied powers als eine besondere Art der Auslegung nach dem effet utile zu betrachten, die nur bei der Interpretation von Kompetenznormen zur Anwendung kommen kann. Die Ableitung von implied powers kann somit auch eine mögliche Folge der Auslegung von Kompetenznormen unter Berücksichtigung ihres effet utile sein. Wenn eine Kompetenznorm in einer bestimmten Art und Weise interpretiert werden muss, um ihre praktische Wirksamkeit entfalten zu können, kann sich daraus ergeben, dass der Gemeinschaft zusätzliche, ungeschriebene Kompetenzen zugedacht werden müssen. In gewisser Weise sind diese Kompetenzen notwendige Bedingung für die Wirksamkeit der betreffenden Vorschrift. Man könnte mit Oppermann den effet utile-Gedanken als „instrumentale Auslegungsmaxime“ definieren, mittels derer u. a. auch den implied powers zu ihrer Wirksamkeit verholfen werden soll.117 In diese Richtung scheint auch Mosiek118 zu tendieren, der die implied powers als einen speziellen Anwendungsfall der Nutzbringungsmaxime bezeichnet, als eine Sonderausprägung der teleologischen Auslegung für den Fall der Aktualisierung von Kompetenzen. Dörr vertritt ebenso die Ansicht, dass die Lehre von den implied powers für den Bereich der Gemeinschaftskompetenzen eine Ausprägung des effet utile darstellt.119 Zusammenfassend kann man festhalten, dass der effet utile eine Auslegungsmethode ist, die auch für die Auslegung von Kompetenznormen in Frage kommt. Befugnisnormen sind wie alle anderen Normen des Gemeinschaftsrechts nach den gängigen Auslegungsregeln zu interpretieren, also nach grammatischen, systematischen und teleologischen Gesichtspunkten, aber eben auch nach dem effet utile. Diese Auslegung kann zu dem Ergebnis führen, dass eine Kompetenznorm stillschweigende zusätzliche, ungenannte Befugnisse beinhaltet, implied powers. Diese stellen mit anderen Worten die Rechtsfolge der Auslegung nach dem effet utile dar. Der effet utile ist insofern als weniger weitreichend zu betrachten als die implied powers, da die letztgenannten auf jeden Fall zusätzliche Kompetenzen der Gemeinschaft implizieren, die Berücksichtigung des effet utile einer Norm in der Regel aber nicht notwendigerweise zu einer Erweiterung der Gemeinschaftskompetenzen führt.120 Gemeinsam ist beiden Prinzipien, dass 117

Oppermann, Europarecht, § 6, Rn. 70. Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 13 f.; so auch Bradley, ELRev 1988, S. 379 (401); Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Art. 220 EGV, Rn. 46. 119 Dörr, EuZW 1996, S. 39 (40); ähnlich Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 274 f., die die implied powers ebenso als Bereich des Effektivitätsgrundsatzes ansehen und einen engen Zusammenhang zwischen effet utile und implied powers annehmen. 120 Calliess in: derselbe/Ruffert, Art. 5 EGV, Rn. 17; Rossi in: Calliess/Ruffert, Art. 308 EGV, Rn. 63. 118

C. Analyse der Urteile des EuGH

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sie aufgrund bestehender Kompetenzen eine bestmögliche Erreichung der Ziele des EGV anstreben.121

C. Analyse der Urteile des EuGH, in denen er mit dem effet utile auslegt I. Ziel Soweit ersichtlich, gibt es keine grundsätzliche und systematische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der gesamten Rechtssprechung des EuGH unter dem Gesichtspunkt des effet utile. Eine genaue Auswertung der einschlägigen Urteile ist jedoch eine unerlässliche Voraussetzung dafür, gesicherte Aussagen über den Bedeutungsinhalt, die Verwendungszwecke und die Einordnung des effet utile im Gemeinschaftsrecht treffen zu können. Die vorliegende Arbeit versucht deshalb, alle Urteile, die als Auslegung nach dem effet utile anzusehen sind, ausfindig zu machen, sie zu analysieren und zu kategorisieren (Teil 2). Anschließend soll der effet utile anhand der gefundenen Ergebnisse in die in Teil 1 dargestellten Auslegungsmethoden eingeordnet werden (Teil 3).

II. Zugrundegelegte Methode Als Grundlage für die Rechtssprechungsanalyse wurden die auf den Internet-Seiten der Europäischen Gemeinschaft zur Verfügung stehenden Datenbanken verwendet.122 Durchsucht wurden alle Urteile des EuGH von den Anfängen seiner Rechtsprechungstätigkeit bis zum Stichtag des 1.1.2006; berücksichtigt wurden nur Entscheidungen des EuGH, keine des Gerichtes erster Instanz. Um die Urteile herauszufiltern, in denen der Gerichtshof sein Auslegungsergebnis auf den effet utile stützt, wurden verschiedene Schlagwörter und Phrasen verwendet, von denen in der europarechtlichen Literatur angenommen wird, dass sie als Indiz für den Rückgriff auf den effet utile anzusehen sind. Der Untersuchung liegt insofern ein weiter Begriff des effet utile zugrunde, da nicht nur diejenigen Urteile untersucht wurden, in denen der EuGH in der französischen Urteilsversion explizit „effet utile“ verwendet. 121

Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S. 87. Es handelt sich dabei um die Celex und die Eurlex Datenbank, sowie die Homepage des EuGH, auf der seine Urteile bereits am Tag ihrer Verkündung im Volltext abgerufen werden können. 122

112

Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Zunächst wurden in die Analyse alle Entscheidungen aufgenommen, in denen der Gerichtshof in der französischen Version von „effet utile“ spricht. Nachdem der Text der Urteile des EuGH zunächst in französischer Sprache verfasst und erst dann in die anderen Sprachen übersetzt wird, scheint es sinnvoll, mit diesen Urteilen zu beginnen. Berücksichtigt wurden natürlich auch die wenigen Urteile, in denen der EuGH in der deutschen Version explizit auf den französischen Ausdruck „effet utile“ zurückgreift. Nachdem in der Literatur der Begriff effet utile oft mit „praktischer Wirksamkeit“ bzw. „nützlicher Wirkung“ übersetzt wird,123 bestand der nächste Schritt in der Einbeziehung aller Urteile, in denen der EuGH in der deutschen Fassung von „praktischer Wirksamkeit“ oder „nützlicher Wirkung“ spricht. Dabei ergab sich, dass in den meisten Fällen, in denen im französischen Text effet utile steht, in der deutschen Version „praktische Wirksamkeit“ verwendet wurde. Sodann wurde der Kreis um die Urteile erweitert, in denen die Wendungen „volle Wirksamkeit“ und „volle Wirkung“ zu finden sind, sowie um diejenigen, in denen der Gerichtshof von „praktischer Wirkung“ spricht.124 Nachdem in der Literatur der Grundsatz des effet utile teilweise auch mit dem Grundsatz der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Gemeinschaftsrechts gleichgesetzt wird,125 wurde auch dieses Stichwort aufgenommen. Allerdings stellte sich heraus, dass der EuGH nur in einem Urteil explizit die „Funktionsfähigkeit“ der Gemeinschaft nannte. Nachdem einige Autoren unter effet utile die Gewährleistung der „größtmöglichen Wirksamkeit“ einer Gemeinschaftsrechtsnorm verstehen, wurde die Rechtsprechung des EuGH auch nach dieser Formulierung durchkämmt, wobei sich wiederum herausstellte, dass der Gerichtshof diese Wendung nur in einem Urteil verwendete. In der Regel werden die Prinzipien, an die sich die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts halten müssen, als Ausfluss des Effektivitätsprinzips betrachtet. Um auch in dieser Hinsicht ein vollständi123 Vgl. z. B. Streinz, Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, FS Everling, Bd. II, S. 1491 (1495). 124 Einbezogen wurden zur Sicherheit auch Abwandlungen dieser Ausdrücke, wie z. B. „jeder Wirksamkeit berauben“, „der Wirkung berauben“ „jeglicher Wirkung/ Wirksamkeit berauben“. 125 Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-44; Meyer, JURA 1994, S. 455 (457), bezeichnet den Grundsatz der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften als Unterfall der teleologischen Auslegung insgesamt. Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (107) vertritt in diesem Zusammenhang die Ansicht, dass der Grundsatz des effet utile mit dem Grundsatz der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft gleichzusetzen sei.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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ges Bild zu erhalten, wurden die EuGH-Urteile auch auf die Begriffe „Effektivität“ und „Äquivalenz“ hin untersucht, sowie auf die Wendung „praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren“, mit der der Gerichtshof die beiden genannten Grundsätze oft umschreibt, ohne sie direkt als solche zu bezeichnen. Als letztes wurden noch die Urteile einbezogen, in denen der EuGH vom „Wortlaut und Geist“ des Vertrages spricht und diejenigen, in denen er sich auf das „Wesen“ der mit dem EGV geschaffenen Rechtsordnung bezieht. Die von Streinz126 vorgeschlagene Einbeziehung der Urteile, in denen der Gerichtshof mit dem Sinn und Zweck einer Regelung argumentiert, erscheint zu weit. Es handelt sich dabei um einen Anwendungsfall der teleologischen Methode im Allgemeinen und nicht des effet utile im Speziellen. Deshalb wurden die Urteile, in denen der EuGH mit dem „Sinn und Zweck“ argumentiert, nicht in die vorliegende Untersuchung aufgenommen.127 Anhand der beschriebenen Methode ergab sich eine Gesamtzahl von 455 Urteilen, die als Anwendungsfälle der Auslegung nach dem effet utile anzusehen sind.128 Eine Tabelle, in der diese Urteile nach dem jeweiligen vom EuGH verwendeten Stichwort geordnet sind, findet sich als Anhang 1 am Ende der vorliegenden Arbeit. Die Tatsache, dass sich der EuGH in seiner Rechtsprechung häufig der Methode der Verweisung auf frühere Urteile bedient,129 wurde nicht außer Acht gelassen. Die in die Untersuchung aufgenommenen Urteile sind diejenigen, in denen der Gerichthof einen der oben angeführten Ausdrücke explizit verwendet. Die Entscheidungen, in denen er einfach nur auf ein früheres, mit dem effet utile begründetes Urteil verweist, ohne eines der erwähnten Stichworte ausdrücklich noch einmal zu nennen, wurden nicht miteinbezogen. Dieser Umstand dürfte das Ergebnis jedoch nicht wesentlich beeinflussen. Der EuGH führt nämlich in den Urteilen, in denen er sich auf eine der berücksichtigten Spielarten des effet utile stützt, um ein wichtiges 126

Streinz, Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, FS Everling, Bd. II, S. 1491 (1495). 127 Keine Rolle spielt auch der Begriff „Effizienz“. s. Krieger, Das Effektivitätsprinzip im Völkerrecht, S. 33 f. Effizienz ist von Effektivität abzugrenzen. Effizienz meint das Verhältnis zwischen Aufwand und Leistung, Effektivität hingegen den Zielerreichungsgrad, das Verhältnis zwischen einer Ist- und einer Sollensleistung. 128 Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie wurde anhand der zur Verfügung stehenden Datenbanken der EU durchgeführt und mehrfach überprüft. Trotzdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Urteile durch den Raster gefallen sind. 129 s. Teil 1 Kapitel B. III. 3. b).

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

oder neues Auslegungsergebnis zu belegen, das Argument explizit an bzw. kombiniert die explizite Erwähnung mit dem Verweis auf ein früheres Urteil. Die Anzahl der Urteile, in denen der EuGH kraft Verweises auf seine bestehende Rechtsprechung mit dem effet utile argumentiert, ohne dies explizit erkennen zu lassen, dürfte verschwindend klein sein.

III. Kategorisierung 1. Grundlegendes Die Darstellung der Urteile, die nach den oben beschriebenen Kriterien ausgewählt wurden, soll in zwei großen Blöcken erfolgen. Diese Unterteilung scheint den Besonderheiten des effet utile-Arguments in der Rechtsprechung des Gerichtshofs und auch den Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts insgesamt angemessen zu sein. Nicht wirklich zu überzeugen vermögen in diesem Zusammenhang die von Mosiek in seiner Arbeit130 entwickelten Kategorien des a) den mitgliedstaatlichen Zuständigkeitsbereich reduzierenden effet utile, des b) normverdrängenden effet utile, des c) normergänzenden und des d) normmodifizierenden effet utile.131 Eine Kategorisierung dieser Art entspricht nicht den Besonderheiten des Gemeinschaftsrechts, da sie von der mitgliedstaatlichen Perspektive ausgeht und auf formelle Gesichtspunkte abstellt. Außerdem ist zweifelhaft, ob diese Kategorien tatsächlich in der Lage sind, den hinter der effet utile-Auslegung stehenden Überlegungen gerecht zu werden. Streinz132 und Ormand133 teilen ihre Beiträge zum effet utile zwar nach inhaltlichen Kriterien ein, keiner nimmt jedoch eine grundsätzliche Unterteilung in zwei große Gruppen vor, wie es hingegen im Rahmen der vorliegenden Arbeit erfolgen soll. Eine genaue Analyse der Urteile hat nämlich ergeben, dass diese in zwei strukturell unterschiedliche Bereiche fallen. Der erste Block besteht aus den Urteilen, in denen der EuGH sich auf den effet utile gestützt hat, um diejenigen Rechtsinstitute zu entwickeln, die als Grundfesten des Gemeinschaftsrechts bezeichnet werden können. Es geht dabei um Rechtsfiguren, die das Gemeinschaftsrecht in seiner Besonderheit kennzeichnen und für das Bestehen und das Funktionieren der Gemeinschaftsrechtsordnung essenziell sind. Dazu zählen der Vorrang des Gemeinschaftsrechts, dessen 130

Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft. Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 22 ff. 132 Streinz, Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, FS Everling, Bd. II, S. 1491 ff. 133 Ormand, La notion de „l’effet utile“. 131

C. Analyse der Urteile des EuGH

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unmittelbare Anwendbarkeit, die Pflichten der Mitgliedstaaten, um eine effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten und konsequenterweise die Haftung der Mitgliedstaaten für die Verletzung von Gemeinschaftsrecht. Der zweite Bereich ist unspektakulärer als der erstgenannte. Er umfasst diejenigen Urteile, in denen der EuGH den effet utile benützt, um eine bestimmte Norm des Gemeinschaftsrechts auszulegen, z. B. einen Vertragsartikel zum Wettbewerbsrecht oder einen Artikel einer Verordnung im landwirtschaftlichen Bereich. Es handelt sich dabei nicht um zentrale Normen, die das Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten betreffen, sondern um Vorschriften, die in gewisser Hinsicht das Gemeinschaftsrecht im Kleinen regeln. Die Bedeutung der effet utile-Auslegung im Zusammenhang mit diesen Normen darf nicht unterschätzt werden. Eine umfassende Analyse des effet utile in der Rechtsprechung des EuGH hat sich auch mit diesem zweiten Bereich eingehend auseinander zu setzen, da die Urteile dazu zahlenmäßig sehr stark vertreten sind. Auslegung des Gemeinschaftsrechts bedeutet eben in vielen Fällen Auslegung von speziellen oder technischen, wenn man so will, alltäglichen Normen. Der effet utile kommt deshalb sehr breit gestreut zur Anwendung. 2. Der effet utile zur Begründung der Grundfesten des Gemeinschaftsrechts a) Effet utile und Vorrang des Gemeinschaftsrechts aa) Entwicklung der Rechtsprechung Wie bereits ausgeführt wurde, stellte der EuGH in der Rechtssache Costa/E. N. E. L.134 grundlegend fest, dass das Gemeinschaftsrecht eine autonome Rechtsordnung darstellt.135 Das Verhältnis zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht beschäftigte die Wissenschaft in den Anfangsjahren der Gemeinschaft in starkem Ausmaß, es kann aber aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs mittlerweile als geklärt angesehen werden.136 134

Rs. 6/64 (Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1251, 1269 f. Vgl. grundlegend zur Entwicklung der Rechtsprechung Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 107 ff. 136 So auch Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 37; vgl. zur Reaktion der nationalen Verfassungsgerichte auf die Rechtsprechung des EuGH zur Eigenständigkeit des Gemeinschaftsrechts Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 161 ff.; Craig, The ECJ, national courts and the supremacy of Community Law in: Miccffl/Pernice, The European Constitution in the Making, S. 35 (36 ff.); all135

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

In der Costa/E. N. E. L.-Entscheidung137 entwickelte der EuGH nämlich den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts, der in den Gründungsverträgen nicht ausdrücklich festgelegt ist. Er führte dazu Folgendes aus: „Diese Aufnahme der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts in das Recht der einzelnen Mitgliedstaaten und, allgemeiner, Wortlaut und Geist des Vertrages haben zur Folge, dass es den Staaten unmöglich ist, gegen eine von ihnen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit angenommene Rechtsordnung nachträglich einseitige Maßnahmen ins Feld zu führen. [. . .] Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts wird durch Artikel 189138 bestätigt. Diese Bestimmung, die durch nichts eingeschränkt wird, wäre ohne Bedeutung, wenn die Mitgliedstaaten sie durch Gesetzgebungsakte, die den gemeinschaftsrechtlichen Normen vorgingen, einseitig ihrer Wirksamkeit berauben139 könnten. Aus alledem folgt, dass dem vom Vertrag geschaffenen, somit aus einer autonomen Rechtsquelle fließenden Recht wegen dieser seiner Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen können, wenn ihm nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt werden und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll.“140

Der Gerichtshof begründet den Vorrang des Gemeinschaftsrechts unter Berufung auf „Wortlaut und Geist des Vertrages“141 und stellt fest, dass er unerlässlich ist, um zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts nicht durch innerstaatliche Gesetzgebungsakte einseitig „ihrer Wirksamkeit berauben“142 können. Die Begründung des Vorrangs erfolgt somit auf der Grundlage teleologischer Überlegungen und stützt sich auf den Grundsatz der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften und den Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts.143 Nur durch den Vorrang kann sichergestellt werden, dass der Charakter des Gemeinschaftsrechts und die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft nicht gefährdet werden. Die Frage nach dem Vorrang ist somit letztlich eine Frage der Effektivität des Gemeinschaftsrechts.144 Der Verweis auf Art. 249 EGV (ex Art. 189) ist interessant, da entstehungsgeschichtlich nachgewiesen ist, dass diese Norm die gemein zur Bedeutung der Vorrangregel in den Mitgliedstaaten Everling, Zum Vorrang des EG-Rechts, DVBl. 1985, S. 1201 ff. 137 Rs. 6/64 (Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1251. 138 Nun Art. 249 EGV. 139 Hervorhebung durch die Verfasserin. 140 Rs. 6/64 (Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1251, 1269 f. 141 In der französischen Version lautet die betreffende Textstelle „les termes et l’esprit du traité“. 142 In der französischen Version lautet die betreffende Textstelle „annihiler les effets“. 143 Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 39; Gellermann in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 34, Rn. 8.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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Aufgabe hat, die Funktionsfähigkeit des durch den EGV geschaffenen Rechtssystems zu sichern.145 Ausgehend von seinem Urteil in der Rechtssache Costa/E. N. E. L.146 hat der EuGH die Rechtsprechung zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts in verschiedenen Urteilen bestätigt und weiterentwickelt.147 So präzisierte er in der Rechtssache Simmenthal148 seine Rechtsprechung und stellte fest, dass der Vorrang des Gemeinschaftsrechts auch impliziert, dass die Mitgliedstaaten keine neuen staatlichen Gesetzgebungsakte erlassen dürfen, die mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sind. Wären diese Gesetzgebungsakte anwendbar, würde die „Effektivität der Verpflichtungen“, die die Mitgliedstaaten nach dem Vertrag übernommen haben, verneint, womit die Grundlagen der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt würden. Der EuGH leitet den Anspruch des Vorrangs mit anderen Worten aus der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft selbst ab.149 Die Vorrangregel wurde 1997 im Protokoll zum EGV über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit positivrechtlich verankert.150 144 So auch Frank, Altes und Neues zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor staatlichem Recht, ZÖR 2000, S. 1 (8). 145 s. dazu Frank, ZÖR 2000, S. 1 (13 m. w. N.). 146 Rs. 6/64 (Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1251. De Witte bezeichnet deshalb das Urteil zutreffend als „un des piliers de l’ordre juridique communautaire“ in: Retour à „Costa“, La primauté du droit communautaire a la lumière du droit international, RTDE 1984, S. 425. 147 Vgl. z. B. Rs. 14/68 (Walt Wilhelm), Slg. 1969, S. 1; Rs. 48/71 (Kommission/ Italien), Slg. 1972, S. 529; Rs. 103/88 (Fratelli Costanzo), Slg. 1989, S. 1839, in der der EuGH festgestellt hat, dass der Vorrang des Gemeinschaftsrechts von den mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörden ebenso zu beachten ist wie von den mitgliedstaatlichen Gerichten; Rs. C-224/97 (Ciola), Slg. 1999, I-2517, in der der EuGH entschieden hat, dass der Vorrang nicht nur gegenüber generell-abstrakten Rechtsvorschriften, sondern auch gegenüber einer individuell-konkreten, bestandskräftig gewordenen Verwaltungsentscheidung gilt. In den beiden letztgenannten Entscheidungen stütze sich der EuGH nicht explizit auf das effet utile Argument. 148 Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, S. 629, Rn. 17 f. Anlass zu diesem Urteil gab die Judikatur des italienischen Verfassungsgerichtshofs (vgl. dazu Sentenza Nr. 232 vom 30.10.1975); vgl. zum Verhältnis der nationalen Höchstgerichte zum Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts z. B. Nicolaysen, Europarecht I, S. 94 f.; Olmi, Les rapports entre droit communautaire et droit nationale dans les arrêts des juridictions supérieures des états membres, RMC, 1981, S. 178 ff., 242 ff. und 379 ff.; für Italien z. B. La Pergola, Das Verhältnis von nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht in der Rechtsprechung des italienischen Verfassungsgerichtshofes, FS Zeidler, 1987, S. 1695 ff. 149 H. Ipsen, Die Rolle des Prozessrichters in der Vorrang-Frage, zur Bedeutung des II. Simmenthal-Urteils (Rs. 106/77) des Europäischen Gerichtshofs, EuR 1979, S. 223 (227 f.).

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

bb) Ausgestaltung der Vorrangregel Der Gerichtshof versteht unter der Vorrangregel des Gemeinschaftsrechts einen Anwendungsvorrang.151 Das bedeutet, dass im Kollisionsfall152 dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende nationale Rechtsvorschriften nicht ihre Gültigkeit verlieren, sondern nur von der gemeinschaftlichen Norm verdrängt werden, die damit Vorrang genießt. Diese Konzeption ist schlüssig, da es zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften nicht notwendig ist, dem mitgliedstaatlichen Recht die Geltung abzusprechen.153 Außerdem hat sie den positiven Nebeneffekt, dass die innerstaatlichen Bestimmungen nach wie vor für rein innerstaatliche Sachverhalte ohne Berührungspunkte zum Gemeinschaftsrecht anwendbar bleiben. Die nationale Norm kann so auch wieder zur Anwendung kommen, sollte die gemeinschaftsrechtliche Vorschrift, der sie entgegensteht beispielsweise wieder aufgehoben werden.154 Aus dieser Konzeption leitet sich somit keine Rangregel, sondern eine Kollisionsregel her, nach Auffassung des EuGH kommt die Vorrangregel nur im Falle eines Konflikts zwischen nationalem und unmittelbar anwendbarem EG-Recht zum Tragen.155

150 Der Vertrag über eine Verfassung für Europa (im Folgenden VVE) sieht in Art. I-6 erstmals ausdrücklich Folgendes vor: „Die Verfassung und das von den Organen der Union in Ausübung der der Union übertragenen Zuständigkeiten gesetzte Recht haben Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten.“ s. dazu auch Erklärung Nr. 1 zu Art. I-6. 151 S. z. B. aus der neueren Rechtsprechung verb. Rs. C-10/97 bis C-22/97 (IN.CO.GE. ’90), Slg. 1998, I-6307, wo der EuGH in Rn. 21 ausführte, dass aus dem Urteil Simmenthal nicht hergeleitet werden könne, dass die Unvereinbarkeit einer später ergangenen Vorschrift des innerstaatlichen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht dazu führe, dass diese Vorschrift inexistent sei, das nationale Gericht sei in dieser Situation vielmehr verpflichtet, die betreffende Vorschrift unangewendet zu lassen; vgl. Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 42; Wegener in: Calliess/Ruffert, Art. 220 EGV, Rn. 28; Nicolaysen, Europarecht I, S. 90; Beljin, Vorrang, innerstaatliche Beachtlichkeit und Durchführung des Gemeinschaftsrechts, EuR 2002, S. 351 (353); Jarass/Beljin, Die Bedeutung von Vorrang und Durchführung des EG-Rechts für die nationale Rechtssetzung und Rechtsanwendung, NVwZ 2004, S. 1 (4); Oppermann, Europarecht, § 7, Rn. 12; Gellermann in: Rengeling/ Middecke/Gellermann, § 34, Rn. 10; Frank, ZÖR 2000, S. 1 (31 f.); a. A. Streinz in: Streinz, Art. 1 EGV, Rn. 20, für den der EuGH zu einem Geltungsvorrang tendiert. Jarass/Beljin, NVwZ 2004, S. 1 (2) sprechen in Zusammenhang mit dem Anwendungsvorrang von „Vorrang im engeren Sinn“. 152 s. dazu auch Frank, ZÖR 2000, S. 1 (21). 153 Zuleeg, Die föderativen Grundsätze der Europäischen Union, NJW 2000, S. 2846 (2849). 154 Gellermann in: Rengeling/Middecke/Gellermann, § 34, Rn. 10. 155 Frank, ZÖR 2000, S. 1 (21).

C. Analyse der Urteile des EuGH

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Das entgegenstehende nationale Recht wird „ohne weiteres“ unanwendbar.156 Die nationalen Gerichte, die die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen anwenden, sind angehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen zu sorgen; sie müssen dafür nicht die vorherige Beseitigung der Bestimmung beantragen oder abwarten, sondern lassen gegebenenfalls die entgegenstehende Bestimmung nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet.157 Der EuGH geht davon aus, dass der Vorrang primäres und sekundäres Gemeinschaftsrecht betrifft und gegenüber allen Normen des nationalen Rechts gilt, somit auch gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht.158 Zu beachten ist der Vorrang von den nationalen Gerichten, aber auch den Verwaltungsbehörden.159 In seinem Urteil in der Rechtssache Factortame160 hat der EuGH entschieden, dass der Vorrang des Gemeinschaftsrechts auch die Verpflichtung für die mitgliedstaatlichen Gerichte einschließt, das nationale Prozessrecht unangewendet zu lassen, wenn bei Anwendung der nationalen Regelung die gemeinschaftsrechtlich gewährte Position nicht effektiv geschützt werden könnte. Er begründete dies wiederum unter Rückgriff auf den Wirksamkeitsgedanken und führte dazu Folgendes aus: „Die volle Wirksamkeit161 des Gemeinschaftsrechts würde auch dann abgeschwächt, wenn ein mit einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasstes Gericht durch eine Vorschrift des nationalen Rechts daran gehindert werden könnte, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen. Ein Gericht, das unter diesen Umständen einstweilige Anordnungen erlassen würde, wenn dem nicht eine Vorschrift des nationalen Rechts entgegenstünde, darf diese Vorschrift somit nicht anwenden. Für diese Auslegung spricht auch das durch Artikel 177 EWGVertrag geschaffene System, dessen praktische Wirksamkeit162 beeinträchtigt 156

Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, S. 629, Rn. 17/18. Vgl. z. B. Rs. 170/88 (Ford Espana), Slg. 1989, S. 2305; Rs. C-184/89 (Nimz), Slg. 1991, I-297, Rn. 20; Rs. C-358/95 (Morellato), Slg. 1997, I-1431, Rn. 18; verb. Rs. C-13/91 und C-113/91 (Debus), Slg. 1992, I-3617, Rn. 32; Rs. C-158/91 (Levy), Slg. 1993, I-4287, Rn. 9; Rs. C-347/96 (Solred), Slg. 1998, I-937, Rn. 30; Rs. C-258/98 (Carra), Slg. 2000, I-4217, Rn. 16. 158 Vgl. Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft), Slg. 1970, S. 1125, Rn. 3; aus der Literatur z. B. Oppermann, Europarecht, § 7, Rn. 12, Rn. 620; Grabitz, Das Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht, in: Kruse (Hrsg.), Zölle, Verbrauchssteuern, Europäisches Marktordnungsrecht, S. 33 (43); Zuleeg, NJW 2000, S. 2846 (2848); Schroeder in: Streinz, Art. 249 EGV, Rn. 44; Jarass/Beljin,, NVwZ 2004, S. 1 (2). 159 Vgl. Jarass/Beljin, NVwZ 2004, S. 1 (4). 160 Rs. C-213/89 (Factortame I), Slg. 1990, I-2433. 161 Hervorhebung durch die Verfasserin. 162 Hervorhebung durch die Verfasserin. 157

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

würde, wenn ein nationales Gericht, das das Verfahren bis zur Beantwortung seiner Vorlagefrage durch den Gerichtshof aussetzt, nicht so lange einstweiligen Rechtsschutz gewähren könnte, bis es auf der Grundlage der Antwort des Gerichtshofes seine eigene Entscheidung erlässt.“163

Der EuGH hat seine Rechtsprechung zum Vorrang in einem Urteil aus dem Jahre 2001164 sehr anschaulich zusammengefasst: „[. . .] jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis [wäre] mit den in der Natur des Gemeinschaftsrechts liegenden Erfordernissen unvereinbar [. . .], die dadurch zu einer Abschwächung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts165 führen würde, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften auszuschalten, die unter Umständen ein auch nur vorübergehendes Hindernis für die volle Wirksamkeit166 der Gemeinschaftsnormen bilden [. . .]. Dieser grundsätzliche Vorrang des Gemeinschaftsrechts verpflichtet nicht nur die Gerichte, sondern alle zuständigen Stellen des Mitgliedstaats, der Gemeinschaftsnorm volle Wirksamkeit167 zu verschaffen.“

cc) Stellungnahme Der EuGH leitet den Vorrang des Gemeinschaftsrechts aus dem Prinzip der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften her.168 Die dargestellten Urteile haben alle eine herausragende Rolle für die Weiterentwicklung des Gemeinschaftsrechts gespielt. Ipsen stellte beispielsweise zu dem Simmenthal-Urteil169 fest, dass der Gerichtshof darin dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts eine „in solcher Intensität und Effizienz noch nicht verlautbarte Wirksamkeit und Tragweite zugemessen“ habe.170 Im Costa/E. N. E. L.-Urteil begründet der EuGH den Vorrang des Gemeinschaftsrechts materiell aus den Vertragszielen und rechtfertigt ihn aus Art. 5 Abs. 2 EWGV (nunmehr Art. 10 EGV).171 Wenn man diese Vorschrift teleologisch auslegt, indem man auf die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften abstellt, kommt man zwingend zu dem Schluss, dass das Abweichen des staatlichen Rechts vom Gemeinschaftsrecht das wesentliche Ziel der 163

Rs. C-213/89 (Factortame I), Slg. 1990, I-2433, Rn. 21, 22. Rs. C-118/00 (Larsy), Slg. 2001, I-5063, Rn. 51, 52. 165 Hervorhebung durch die Verfasserin. 166 Hervorhebung durch die Verfasserin. 167 Hervorhebung durch die Verfasserin. 168 So auch Nicolaysen, Europarecht I, S. 90; H. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 10/43, S. 282 f.; Streinz in: Streinz, Art. 1 EGV, Rn. 19. 169 Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, S. 629. 170 H. Ipsen, EuR 1979, S. 223. 171 H. Ipsen, EuR 1979, S. 223 (227). 164

C. Analyse der Urteile des EuGH

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Gemeinschaft gefährdet.172 Die einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts kann nur gewährleistet werden, wenn es Vorrang vor den nationalen Rechtsordnungen hat. Der Vorrang kann für den Bestand der Gemeinschaft als solcher als „evident unerlässlich“173 bezeichnet werden. Wie Nettesheim zutreffend betont, beschreibt die Vorrang-Doktrin den „wichtigsten Faktor der Wirkungsmächtigkeit und Integrationsfähigkeit der Gemeinschaft.“174 Nachdem die Gemeinschaft ihre politischen Ziele nur in den Formen des Rechts zu verwirklichen suchen kann, fehlte ohne den Vorrang eine wesentliche Grundvoraussetzung für die Effektivität und Einheitlichkeit der gemeinschaftlichen Rechtsordnung.175 Der EuGH hat sich in den Urteilen, in denen er den Vorrang des Gemeinschaftsrechts anerkannt bzw. näher ausgebaut hat, in der Regel auf zwei Argumentationsstränge gestützt, auf den Charakter der Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft und auf die Auslegung der Verträge nach dem effet utile.176 Die Tatsache, dass er in den dargestellten Entscheidungen auf Formulierungen wie „volle Wirksamkeit“, „Effektivität der Verpflichtungen“ und ganz allgemein „Wortlaut und Geist des Vertrages“ zurückgreift, zeigt die Bedeutung, die er dem effet utile-Gedanken in diesem essenziellen Bereich des Gemeinschaftsrechts beimisst.177 Es kommt dabei aber nicht zu einer Überbetonung des Wirksamkeitsgedankens, da der EuGH von einem Anwendungsvorrang ausgeht und es nicht für notwendig erachtet, den mitgliedstaatlichen Normen die Geltung abzusprechen, um die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft zu gewährleisten. Dies ist ein angemessener Ausgleich zwischen der Notwendigkeit, die Effektivität des Gemeinschaftsrechts zu sichern und die Souveränität der Mitgliedstaaten zu respektieren.178

172 Grabitz, Das Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht, in: Kruse (Hrsg.), Zölle, Verbrauchssteuern, Europäisches Marktordnungsrecht, S. 33 (42). 173 Streinz, Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, FS Everling, Bd. II, S. 1491 (1499). 174 Nettesheim, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, GS Grabitz, S. 447 (458). 175 Nettesheim, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, GS Grabitz, S. 447 (458). 176 Vgl. z. B. Ormand, La notion de „l’effet utile“, S. 158, 164; Bredimas, Methods of Interpretation and Community Law, S. 88. 177 Ähnlich Carreau, Droit communautaire et droits nationaux: concurrence ou primauté?, RTDE 1978, S. 379 (392) und Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 27. 178 Zustimmend auch Streinz in: Streinz, Art. 1 EGV, Rn. 20.

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b) Effet utile und unmittelbare Anwendbarkeit aa) Allgemeines In engem Zusammenhang mit dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts steht dessen unmittelbare Anwendbarkeit. Nachdem dabei für das Primär- und das Sekundärrecht Unterschiede gelten, sollen diese Bereiche nach einigen Vorbemerkungen allgemeiner Natur getrennt dargestellt werden. Bezüglich des Phänomens, das hier als unmittelbare Anwendbarkeit bezeichnet wird, trifft man in der Literatur auf keine einheitliche Terminologie. Verwendet werden die Bezeichnungen „unmittelbare Geltung“, „unmittelbare Anwendbarkeit“ und „unmittelbare Wirkung“.179 Zu unterscheiden ist grundsätzlich zwischen der Geltung einer gemeinschaftsrechtlichen Norm und ihrer Anwendbarkeit. Unmittelbare Geltung meint, dass die Norm als Bestandteil der autonomen Rechtsordnung des Gemeinschaftsrechts, also kraft ihrer Erzeugung durch die Gemeinschaftsorgane Teil der nationalen Rechtsordnung wird. Unter unmittelbarer Anwendbarkeit versteht man hingegen die Fähigkeit der Norm, in einem konkreten Fall zur Anwendung zu kommen, sozusagen im innerstaatlichen Rechtsraum unmittelbare Wirkungen zu erzeugen.180 Die Geltung der Norm ist mit anderen Worten die Voraussetzung für ihre Anwendbarkeit.181 Die Rechtsnormen des Gemeinschaftsrechts können sich an die Mitgliedstaaten richten und diese berechtigen oder verpflichten.182 Sie können zusätzlich dazu aber auch ohne Transformationsakt des Mitgliedstaates in des179 s. ausführlich zu diesen drei Begriffen Klein, Unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung von europäischem Gemeinschaftsrecht; vgl. auch Winter, Direct Applicability and Direct Effect – Two distinct and different concepts in Community Law, CMLRev 1972, S. 425 f (438); Nicolaysen, EuR 1984, S. 380 (390). 180 Langenfeld, Zur Direktwirkung von EG-Richtlinien, DÖV 1992, S. 955 (956); Klein, Unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung von europäischem Gemeinschaftsrecht, S. 8; Gellermann in: Rengeling/Middecke/Gellermann, § 33, Rn. 9 f.; Grabitz, Das Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht, in: Kruse (Hrsg.), Zölle, Verbrauchssteuern, Europäisches Marktordnungsrecht, S. 33 (38); Schroeder in: Streinz, Art. 249 EGV, Rn. 48, 101 f. Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 31, spricht von unmittelbarer Wirkung bzw. Wirksamkeit und nicht von unmittelbarer Anwendbarkeit. Zur Unterscheidung zwischen Geltung und Anwendbarkeit s. auch Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 19 f.; Pescatore, The Doctrine of „Direct Effect“: An Infant Disease of Community Law, ELRev 1983, S. 155 führt aus, dass die direkte Anwendbarkeit der „normale Gesundheitszustand“ des Rechts sei. 181 Klein, Unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung von europäischem Gemeinschaftsrecht, S. 8. 182 Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 28.

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sen Rechtsraum Wirkungen entfalten, wobei sie sich an den Mitgliedstaat und seine Organe, aber auch an natürliche und juristische Personen in den Mitgliedstaaten wenden.183 Es kommt dadurch zu einem „Durchgriff“ des Gemeinschaftsrechts,184 die vom Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechtspositionen sind denen des nationalen Rechts gleichgestellt und können vor den nationalen Gerichten eingeklagt werden. Der EuGH führte im Simmenthal-Urteil185 diesbezüglich aus, dass „die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ihre volle Wirkung einheitlich in sämtlichen Mitgliedstaaten vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an und während der gesamten Dauer ihrer Gültigkeit entfalten müssen. Diese Bestimmungen sind somit unmittelbare Quelle von Rechten und Pflichten für alle diejenigen, die sie betreffen, einerlei, ob es sich um die Mitgliedstaaten oder um solche Einzelpersonen handelt, die an Rechtsverhältnissen beteiligt sind, welche dem Gemeinschaftsrecht unterliegen. Diese Wirkung erstreckt sich auch auf jedes Gericht, das, angerufen, im Rahmen seiner Zuständigkeit, als Organ eines Mitgliedstaats die Aufgabe hat, die Rechte zu schützen, die das Gemeinschaftsrecht den einzelnen verleiht“.186 Unmittelbare Anwendbarkeit bedeutet somit, dass gemeinschaftsrechtliche Normen ohne Umsetzungs- oder Ausführungsakte der Mitgliedstaaten in der innerstaatlichen Rechtsordnung wirken, vom Rechtsanwender gleich wie innerstaatliches Recht zur Anwendung gebracht werden müssen und zugleich unmittelbare Rechte oder Pflichten des Einzelnen begründen.187 Die gemeinschaftsrechtlichen Normen können somit unmittelbar Grundlage gerichtlicher oder verwaltungsbehördlicher Entscheidungen sein.188 Die Berechtigung des Einzelnen, sich auf die Normen des Gemeinschaftsrechts zu berufen, ist also die Folge aus deren unmittelbarer Anwendbarkeit.189 Gemeinschaftsrechtliche Normen sind nicht ohne weiteres unmittelbar anwendbar, sie müssen dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllen, die vom EuGH entwickelt wurden. Seine Rechtsprechung lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass die betreffende Norm hinreichend klar und eindeutig 183

Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 28. Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 28; so auch Nicolaysen, Europarecht I, S. 83; Oppermann, Europarecht, § 7, Rn. 10; Gellermann in: Rengeling/ Middecke/Gellermann, § 33, Rn. 13; Streinz in: Streinz, Art. 1 EGV, Rn. 22. 185 Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, S. 629. 186 Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, S. 629, Rn. 14/16. 187 Pescatore, ELRev 1983, S. 155 (156); Gellermann in: Rengeling/Middecke/ Gellermann, § 33, Rn. 13; Schroeder in: Streinz, Art. 249 EGV, Rn. 51; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 19 f.; Frank, ZÖR 2000, S. 1 (22). 188 Frank, ZÖR 2000, S. 1 (22). 189 Schroeder in: Streinz, Art. 249 EGV, Rn. 51; Schmidt in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 249 EG Rn. 10 f. 184

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sein muss, dass ihre Ausführung nicht an materielle Bedingungen geknüpft sein darf und dass sie vollständig sein muss, d.h. ihre Anwendung darf nicht von weiteren Maßnahmen abhängen, die im Ermessen der Gemeinschaftsorgane oder der Mitgliedstaaten liegen. Struktur und Inhalt einer gemeinschaftsrechtlichen Norm sind somit grundlegend für die Frage ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit.190 Die Struktur der Norm verlangt Unbedingtheit und hinreichende Genauigkeit. Beide Kriterien legt der EuGH weit aus. Er bejaht die erforderliche Unbedingtheit, wenn die Norm nicht mehr von den mitgliedstaatlichen oder den gemeinschaftlichen Behörden durchgeführt werden muss, und die hinreichende Genauigkeit, wenn ein mitgliedstaatliches Gericht die Konformität des nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht kontrollieren und die gemeinschaftlichen Vorschriften auf den Einzelfall anwenden kann.191 Die Norm muss ein hinreichend klares, eindeutiges und uneingeschränktes Verbot aussprechen192 oder eine hinreichend klare, eindeutige und uneingeschränkte Handlungspflicht193 begründen, der Vollzug darf keinen Akt des nationalen Gesetzgebers erfordern194 und den mitgliedstaatlichen Organen bei der Ausführung keinen Spielraum lassen.195 Entscheidend ist letztendlich eine funktionale Betrachtungsweise.196 Keine Rolle spielt für die unmittelbare Anwenbarkeit die Tatsache, ob die betreffende Vorschrift positive Handlungspflichten oder Unterlassungspflichten der Mitgliedstaaten enthält. Zwischen dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts und dessen unmittelbarer Anwendbarkeit besteht ein Zusammenhang dahingehend, dass eine Kollisionslage zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht, die den Vorrang auslöst, nur dann entstehen kann, wenn die betreffende Norm unmittelbar anwendbar ist.197 Deshalb kommt auch der Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit für die Durchsetzung der Vorrangregel in der Praxis eine große Bedeutung zu.198 190 Gellermann in: Rengeling/Middecke/Gellermann, § 33, Rn. 14; Nicolaysen, Europarecht I, S. 83; Frank, ZÖR 2000, S. 1 (23); Schroeder in: Streinz, Art. 249 EGV, Rn. 48. 191 So auch Frank, ZÖR 2000, S. 1 (29 f.). 192 Vgl. z. B. Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 3, 25. 193 Vgl. z. B. Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337, Rn. 5/7. 194 Vgl. z. B. Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 3, 26. 195 Vgl. z. B. Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337, Rn. 5/7. 196 Oppermann, Europarecht, § 7, Rn. 10. 197 Vgl. Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 28, unter Zitierung von Brenner bezeichnet er deshalb das Institut der unmittelbaren Anwendbarkeit als „rechtliches Scharnier“, das dem Anwendungsvorrang zum Durchbruch verhilft. Einen Konnex zwischen Vorrang und unmittelbarer Anwendbarkeit betont auch Frank, ZÖR 2000 S. 1 (12); ausführlich zum Zusammenhang auch Beljin, EuR 2002, S. 351 f.

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bb) Primärrecht Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung die unmittelbare Anwendbarkeit verschiedener Normen des primären Gemeinschaftsrechts anerkannt.199 Der grundlegende Fall hierzu ist die Rechtssache van Gend & Loos,200 die die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit des damaligen Art. 12 EWGV, jetzt Art. 25 EGV, zum Gegenstand hatte. Der Gerichtshof führte in seinem Urteil zunächst aus, dass die Gemeinschaft eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts darstelle, die auch den Einzelnen Pflichten auferlegen und Rechte verleihen könne.201 Dann fuhr er fort, dass sich das Verbot der Zölle und Abgaben gleicher Wirkung des Art. 12 EWGV seinem Wesen nach „vorzüglich“ dazu eigne, unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den ihrem Recht unterworfenen Einzelnen zu erzeugen. Es sei nämlich klar und uneingeschränkt und beinhalte eine Verpflichtung zum Unterlassen, die durch keinen Vorbehalt der Staaten eingeschränkt sei, der ihre Erfüllung von einem internen Rechtssetzungsakt abhängig mache. Zur Begründung der unmittelbaren Anwendbarkeit führt der EuGH an, dass Art. 169 und 170 EWGV202 zwar der Kommission und den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumten, gegen einen Mitgliedstaat ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, sich daraus aber nicht ergebe, dass sich ein Einzelner vor einem nationalen Gericht nicht auf die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten berufen könne. „Würden die Garantien gegen Verletzungen von Artikel 12 durch die Mitgliedstaaten auf die in den Artikeln 169 und 170 vorgesehenen Verfahren allein beschränkt, so wäre jeder unmittelbare gerichtliche Schutz der individuellen Rechte der Einzelnen ausgeschlossen. Die Anwendung dieser Vorschriften wäre im Übrigen wirkungslos,203 wenn sie nach dem Vollzug einer in Verkennung der Vertragsvorschriften ergangenen staatlichen Entscheidung erfolgte. Die Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen stellt eine wirksame204 Kontrolle dar, welche die durch die Kommission und die 198 Everling, DVBl. 1985, S. 1201 (1203). Aus Gründen der Rechtssicherheit sind Normen des nationalen Rechts, die mit unmittelbar anwendbaren gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen kollidieren, von den Mitgliedstaaten aufzuheben; vgl. z. B. Rs. C-307/89 (Kommission/Frankreich), Slg. 1991, I-2903, Rn. 13; Rs. C-185/96 (Kommission/Griechenland), Slg. 1998, I-6601, Rn. 30, 32. 199 s. die Aufstellung bei Grabitz in: Grabitz/Hilf, Art. 189 EGV, Rn. 13. 200 Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 3; Ormand, La notion de „l’effet utile“, S. 137 schreibt deswegen zutreffend, dass mit diesem Urteil „une véritable brêche“ geschlagen wurde. 201 Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 3, 25. 202 Nun Art. 226 und 227 EGV. 203 Hervorhebung durch die Verfasserin. 204 Hervorhebung durch die Verfasserin.

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Mitgliedstaaten gemäß den Artikeln 169 und 170 ausgeübte Kontrolle ergänzt.“205

Die zwei wesentlichen Begründungsstränge des Urteils sind die Wirksamkeit der Rechtsbestimmungen, also eine Auslegung, die ihren effet utile gewährleistet, und die Einbeziehung des Bürgers in das Gemeinschaftsrecht.206 Der Doktrin der unmittelbaren Anwendbarkeit liegt nämlich der Gedanke zugrunde, die Einzelnen anders als im klassischen Völkerrecht zu Rechtssubjekten zu erheben, die Inhaber von Rechten sind, die sie auch durchsetzen können. Entscheidend ist dieser Ansatz, da das Gemeinschaftsrecht Sachbereiche regelt, die wie in den innerstaatlichen Rechtsordnungen die individuellen Interessen als Bezugspunkt nehmen. Deshalb ist als „Sekundärfunktion“207 der Theorie der unmittelbaren Anwendbarkeit das Ziel der effektiven und gleichen Wirkung des Gemeinschaftsrechts, also dessen effet utile anzusehen.208 Eindeutig entnommen werden kann die unmittelbare Anwendbarkeit Normen des Gemeinschaftsrechts, die sich an private Wirtschaftsteilnehmer richten, wie z. B. den gemeinschaftlichen Vorschriften zum Wettbewerbsrecht209 oder Art. 141 EGV. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit des Gleichstellungsgebots in Art. 141 EGV hat sich der EuGH grundlegend im Urteil Defrenne II210 geäußert, in dem er ausführte, dass diese Bestimmung in ihrer Wirksamkeit nicht dadurch beeinträchtigt werden dürfe, dass einige Mitgliedstaaten die ihnen vom Vertrag auferlegte Verpflichtung nicht erfüllt hätten und dass die Gemeinschaftsorgane gegen diese Untätigkeit nicht mit der erforderlichen Schärfe eingeschritten seien. Deshalb kam er zu Ergebnis, dass diese Norm auch Privatpersonen Rechte verleihe. Der EuGH hat sich aber nicht auf diese Art von Normen beschränkt, sondern unmittelbare Anwendbarkeit auch Bestimmungen zugesprochen, die sich an die Mitgliedstaaten richten, aber in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den Rechtsunterworfenen Wirkungen entfalten können.211 Dazu zählen z. B. die Grundfreiheiten212 und das allgemeine Diskri205

Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 3, 26. So auch Everling, Zur direkten innerstaatlichen Wirkung der EG-Richtlinien, FS Carstens, Bd. 1, S. 95 (97). 207 Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 34. 208 Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 34. 209 Art. 81 und 82 EGV. Man spricht von horizontaler Direktwirkung, wenn die unmittelbare Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrecht in privatrechtliche Beziehungen eingreift, indem sie für die privaten Rechtssubjekte Pflichten begründet (z. B. Art. 81 EGV), vgl. Nicolaysen, Europarecht I, S. 87, Gellermann in: Rengeling/ Middecke/Gellermann, § 33, Rn. 16. 210 Rs. 43/75 (Defrenne II), Slg. 1976, S. 455, Rn. 30/34. 211 Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 29. 206

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minierungsverbot.213 Auch in der ersten grundlegenden Entscheidung zur unmittelbaren Anwendbarkeit, der Rechtssache van Gend & Loos,214 stellte der Gerichtshof die unmittelbare Anwendbarkeit einer Norm fest, die an sich nur an die Mitgliedstaaten gerichtet ist. cc) Sekundärrecht (1) Verordnungen und Entscheidungen Art. 249 Abs. 2 EGV legt ausdrücklich fest, dass Verordnungen in allen ihren Teilen verbindlich sind und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat „gelten“. Die deutsche Sprachfassung scheint auf den ersten Blick somit nicht nicht unmittelbare Anwendbarkeit zu meinen, da explizit das Verb „gelten“ verwendet wird. Wie in Teil 1 ausführlich dargestellt wurde, darf sich die Wortlautauslegung im Gemeinschaftsrecht jedoch nicht auf eine einzelne Sprachfassung beschränken. Die französische und die englische Version sprechen von „directement applicable“ bzw. „directly applicable“. Dies legt den Schluss nahe, dass die Formulierung in einem umfassenderen Sinn zu verstehen ist und nicht Geltung im engen Sinn meint, sondern die Fähigkeit, im innerstaatlichen Rechtsraum unmittelbare Wirkungen zu erzeugen. Es geht somit um den unmittelbaren Zugriff des Gemeinschaftsrechts auf den Einzelnen.215 Unmittelbare Wirkungen entfalten Verordnungen jedoch nicht, wenn sie inhaltlich unbedingt und unbestimmt sind, wie z. B. Grundverordnungen, die noch durch die Mitgliedstaaten konkretisiert werden müssen.216 Die in Art. 249 Abs. 4 EGV genannten Entscheidungen, die sich an Einzelne richten, sind ebenfalls unmittelbar anwendbar.217

212

Art. 28 EGV, Art. 39 EGV, Art. 43 EGV, Art. 49 EGV, Art. 56 EGV. Art. 12 EGV. 214 Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, S. 3. 215 Langenfeld, Zur Direktwirkung von EG-Richtlinien, DÖV 1992, S. 955 (956, 957); Grabitz, Das Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht, in: Kruse (Hrsg.), Zölle, Verbrauchssteuern, Europäisches Marktordnungsrecht, S. 33 (44). 216 Gellermann in: Rengeling/Middecke/Gellermann, § 33, Rn. 21. 217 Nicolaysen, Europarecht I, S. 83. Die Verwendung des Ausdrucks „nützliche Wirkung“ lässt sich am ehesten der Fallgruppe der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien und Entscheidungen zuordnen; vgl. Streinz, Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, FS Everling, Bd. II, S. 1491 (1496). 213

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(2) Staatengerichtete Entscheidungen In der Rechtssache Grad218 erkannte der Gerichtshof die unmittelbare Anwendbarkeit staatengerichteter Entscheidungen an. Er führte dazu Folgendes aus: „Zwar gelten nach Artikel 189 Verordnungen unmittelbar und können infolgedessen schon wegen ihrer Rechtsnatur unmittelbare Wirkungen erzeugen. Hieraus folgt [. . .] nicht, dass andere in diesem Artikel genannte Kategorien von Rechtsakten niemals ähnliche Wirkungen erzeugen könnten. [. . .] Mit der den Entscheidungen durch Artikel 189 zuerkannten verbindlichen Wirkung wäre es unvereinbar, grundsätzlich auszuschließen, dass betroffene Personen sich auf die durch die Entscheidung auferlegte Verpflichtung berufen können. Insbesondere in den Fällen, in denen etwa die Gemeinschaftsbehörden einen Mitgliedstaat oder alle Mitgliedstaaten durch Entscheidung zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, würde die nützliche Wirkung (‚effet utile‘)219 einer solchen Maßnahme abgeschwächt, wenn die Angehörigen dieses Staates sich vor Gericht hierauf nicht berufen und die staatlichen Gerichte sie nicht als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts berücksichtigen könnten.“220

Dieses Urteil ist eines der ersten, in dem der EuGH die Argumentation mit dem effet utile wörtlich verwendet. Daraus lässt sich erklären, warum er den Begriff „nützliche Wirkung“ neben den des „effet utile“ stellt. Diese Praxis hat der Gerichtshof noch in einigen weiteren Urteilen beibehalten,221 dann hielt er die entsprechende Ausdrucksweise in deutscher Sprache wohl für so etabliert, dass er auf den französischen Ausdruck verzichtete. Die Argumentation des EuGH in der Rechtssache Grad geht deutlich über den Wortlaut der auszulegenden Bestimmung hinaus, da diese unmittelbare Wirkungen explizit nur für Verordnungen und an Einzelne gerichtete Entscheidungen vorsieht.222 Für den Gerichtshof ist diese Schlussfolgerung aus teleologischen Gründen geboten bzw. um den effet utile zu sichern. Wie auch Generalanwalt Roemer in seinen Schlussanträgen in dieser Rechtssache223 ausführte, „ist die Annahme unmittelbarer Anwendbarkeit mancher an die Mitgliedstaaten gerichteter Entscheidungen [. . .] ohne jeden Zweifel eminent integrationsfördernd und geeignet, den durch die nationa218

Rs. 9/70 (Grad), Slg. 1970, S. 825, Rn. 5 (sog. Leberpfennig-Urteil). Hervorhebung durch die Verfasserin. 220 Dieselbe Formulierung verwendete der EuGH auch in den Rechtssachen 23/70 (Haselhorst), Slg. 1970, S. 881, Rn. 5 und 20/70 (Lesage), Slg. 1970, S. 861, Rn. 5. 221 Das letzte Urteil, in dem der EuGH in der deutschen Version den Ausdruck effet utile verwendet, ist das Urteil in der Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976, S. 497. 222 So auch Ormand, La notion de „l’effet utile“, S. 149, 152 f. Für ihn ist dieses Urteil zweifelsohne das wichtigste, um die Tragweite zu zeigen, die die Auslegung nach dem effet utile haben kann. 223 Schlussanträge, Slg. 1970, S. 844 (848). 219

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len Gerichte gewährten Rechtsschutz zu verstärken.“224 Dadurch tragen die genannten Entscheidungen auch in stärkerem Ausmaß zur Erreichung der Ziele des Vertrages bei. (3) Richtlinien Die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen war lange Zeit umstritten.225 Unterschiedliche Ansätze gibt es in der Literatur nach wie vor bei der sog. horizontalen Richtlinienwirkung.226 Die Richtlinie ist im Gegensatz zur Verordnung ein Rechtsakt, der in einem zweistufigen Verfahren umgesetzt werden muss. Gemäß Art. 249 Abs. 2 EGV ist eine Richtlinie hinsichtlich der zu erreichenden Ziele verbindlich, dem Mitgliedstaat steht bei der Auswahl der Form und der Mittel ein Ermessensspielraum zu. Grundlegende Bedeutung zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen hat die Rechtssache van Duyn.227 In diesem Urteil stellte der EuGH fest, dass zwar „nach 189 Verordnungen unmittelbar [gelten] und [. . .] infolgedessen schon wegen ihrer Rechtsnatur unmittelbare Wirkungen erzeugen [können]. Hieraus folgt indessen nicht, dass andere in diesem Artikel genannten Kategorien von Rechtsakten niemals ähnliche Wirkungen erzeugen könnten.“228

Deshalb kam er zu dem Schluss, dass es „mit der den Richtlinien durch Artikel 189 zuerkannten verbindlichen Wirkung [. . .] unvereinbar [wäre], grundsätzlich auszuschließen, dass betroffene Personen 224 Zustimmend auch Grabitz, Entscheidungen und Richtlinien als ummittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht, EuR 1971, S. 9 (10). Für Ormand, La notion de „l’effet utile“, S. 153 ist dieses Urteil zweifelsohne das wichtigste, um die Tragweite zu zeigen, die die Auslegung nach dem effet utile haben kann. 225 Vgl. auch Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 156 zur Reaktion der nationalen Gerichtsbarkeit auf die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien. 226 Vgl. dazu z. B. Hakenberg, Keine horizontale Richtlinienwirkung, ZIP 1994, S. 1510 f.; s. auch Teil 3 Kapitel B. II. 227 Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337, Rn. 12; s. auch schon Rs. 33/70 (S. A. C. E.), Slg. 1970, S. 1213, 1224; vgl. weiters Rs. 38/77 (Enka BV), Slg. 1977, S. 2203, Rn. 9; Rs. 51/76 (Verbond van nederlandse Ondernemingen), Slg. 1977, S. 113, Rn. 23; Rs. 21/78 (Delkvist), Slg. 1978, S. 2327, Rn. 21; Rs. 148/78 (Ratti), Slg. 1979, S. 1629, Rn. 21; Rs. 8/81 (Becker), Slg. 1982, S. 53, Rn. 23; Rs. 221/88 (Busseni), Slg. 1990, I-495, Rn. 21; Rs. C-188/89 (Foster), Slg. 1990, I-3313, Rn. 16; Rs. C-118/94 (Associazione Italiana per il World Wildlife Fund), Slg. 1996, I-1223, Rn. 19; Rs. C-72/95 (Aannemersbedrijf), Slg. 1996, I-5403, Rn. 56; Rs. C-435/97 (WWF), Slg. 1999, I-5613, Rn. 69; Rs. C-287/98 (Linster), Slg. 2000, I-6917, Rn. 32; Rs. C-365/98 (Brinkmann), Slg. 2000, I-4619, Rn. 32; Rs. C-157/02 (Rieser), Slg. 2004, I-1477, Rn. 22. 228 Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337, Rn. 12.

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sich auf die durch die Richtlinie auferlegte Verpflichtung berufen können. Insbesondere in den Fällen, in denen etwa die Gemeinschaftsbehörden die Mitgliedstaaten durch Richtlinie zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, würde die nützliche Wirkung (‚effet utile‘)229 einer solchen Maßnahme abgeschwächt, wenn die einzelnen sich vor Gericht hierauf nicht berufen und die staatlichen Gerichte sie nicht als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts berücksichtigen könnten.“

Der EuGH begründet die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien somit in zwei Schritten und zieht dazu ihre Verbindlichkeit und die Sicherstellung ihrer praktischen Wirksamkeit heran.230 Für den Gerichtshof erfordert die einheitliche und unbedingte Wirkung des Gemeinschaftsrechts eine effektive Reaktion, wenn die Mitgliedstaaten ihren Umsetzungspflichten nicht nachkommen. Die Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien entspricht somit dem Grundsatz der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft.231 Der Kern der Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen liegt letztlich in der Sicherung der Rechte, die das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen zuerkennt, gegenüber dem nicht vertragskonform handelnden Mitgliedstaat. Sie findet somit im Rechtsschutzgedanken ihre eigentliche Rechtfertigung.232 Voraussetzung für die unmittelbare Anwendbarkeit ist eine nicht ordnungsgemäße Umsetzung durch den Mitgliedstaat, d.h keine oder keine fristgerechte oder nur eine unzureichende Umsetzung.233 Außerdem muss die betreffende Bestimmung hinreichend bestimmt und genau sein.234 In der Rechtssache van Duyn hat der EuGH festgehalten, dass dies der Fall ist, wenn die Bestimmung „weder mit einem Vorbehalt noch mit einer Bedingung versehen ist und ihrem Wesen nach keiner weiteren Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf.“235 Für die un229

Hervorhebung durch die Verfasserin. So auch Gellermann in: Rengeling/Middecke/Gellermann, § 33, Rn. 27; Hakenberg, ZIP 1994, S. 1510 (1511); Langenfeld, DÖV 1992, S. 955 (958); Emmert, Horizontale Drittwirkung von Richtlinien?, EWS 1992, S. 56 (57); Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 157; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, S. 42; a. A. insofern Hilf, Die Richtlinie der EG – ohne Richtung, ohne Linie?, EuR 1993, S. 1 (9), der in der Rechtsprechung des EuGH eine Linie der größtmöglichen Wirksamkeit nicht umgesetzter Richtlinien erkennt. 231 Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 157. 232 Everling, Zur direkten innerstaatlichen Wirkung der EG-Richtlinien, FS Carstens, Bd. 1, S. 95 (108). 233 Vgl. aus der Rechtsprechung Rs. 152/84 (Marshall), Slg. 1986, S. 723, Rn. 46; Rs. C-157/02 (Rieser), Slg. 2004, I-1477, Rn. 34; vgl. ausführlich zu den einzelnen Voraussetzungen Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, S. 46 ff. 234 Rs. 152/84 (Marshall), Slg. 1986, S. 723, Rn. 46; Rs. 8/81 (Becker), Slg. 1982, S. 53, Rn. 25; vgl. Pescatore, ELRev 1983, S. 155 (174 f.). 235 Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337, Rn. 13/14. 230

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mittelbare Anwendbarkeit einer Richtlinienbestimmung ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob diese nach Rechtsnatur, Systematik und Wortlaut geeignet ist, unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den Einzelnen zu begründen.236 Die Grenze der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen verläuft nach Ansicht des EuGH dort, wo ein Mitgliedstaat eine noch nicht umgesetzte Richtlinie zum Anlass nimmt, um daraus negative Folgen für den einzelnen Bürger abzuleiten. Er verneint in ständiger Rechtsprechung die sog. vertikal belastende Richtlinienwirkung.237 Dasselbe gilt auch für die horizontale Wirkung von Richtlinienbestimmungen,238 d.h. die Möglichkeit sich bei fehlender oder fehlerhafter Umsetzung einer Richtlinie in Rechtsverhältnissen zwischen Privaten auf diese berufen zu können. Anders als die Bestimmungen des Primärrechts und die Verordnungen können somit Richtlinien, da sie sich nur an die Mitgliedstaaten wenden, keine Verpflichtungen für die Einzelnen begründen.239 dd) Stellungnahme Wie schon für die Begründung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts hat sich gezeigt, dass der Gerichtshof auch im Bereich der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts seine Argumentation auf effet utileÜberlegungen aufbaut.240 Die praktische Bedeutung des Instituts der unmittelbaren Anwendbarkeit kann, um mit Nicolaysen zu sprechen, „kaum überschätzt werden“,241 da sie die Position des Einzelnen erheblich stärkt und verbessert.242 Außerdem ist sie ein Indikator für die Intensität und Dichte der Gemeinschaftsrechtsordnung.243 Hirsch bezeichnet die Anerkennung der 236

Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337, Rn. 12; eine ähnliche Formulierung hatte er auch in der Rs. 9/70 (Grad, Slg. 1970, S. 825, Rn. 6) verwendet; da es dabei aber um eine staatengerichtete Entscheidung ging, stellte der Gerichtshof auf die unmittelbare Wirkung zwischen dem Adressaten der Handlung und Dritten ab. 237 Gellermann in: Rengeling/Middecke/Gellermann, § 33, Rn. 35; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, S. 61 f.; aus der Rechtsprechung s. z. B. Rs. 80/86 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, S. 3969, Rn. 9. 238 s. Rs. 152/84 (Marshall), Slg. 1986, S. 723, Rn. 48; Rs. C-91/92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325; vgl. dazu Teil 3 Kapitel B. II. 239 So auch Schmidt in: von der Groeben/Schwarze Art. 249 EGV, Rn. 42. 240 So auch Mosiek, Effet utile und Rechtgemeinschaft, S. 29, 31; Easson, Can Directives Impose Obligations in Individuals?, ELRev 1979, 67 (75); ähnlich Emmert, EWS 1992, S. 56 (59), der aber das effet utile-Argument bzgl. der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien nur in den älteren Urteilen ausmacht. 241 Nicolaysen, Europarecht I, S. 84. 242 Nicolaysen, Europarecht I, S. 84. 243 Nicolaysen, Europarecht I, S. 84.

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unmittelbaren Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts plastisch als „Urknall für das Entstehen der Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft.“244 Wie der EuGH im Gutachten 1/91 selbst ausdrücklich festgehalten hat, sind „die wesentlichen Merkmale der so verfaßten Rechtsordnung der Gemeinschaft [. . .] ihr Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten und die unmittelbare Wirkung zahlreicher für ihre Staatsangehörigen und für sie selbst geltender Bestimmungen.“245 Durch die Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit erhöht der Gerichtshof die Wirksamkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung durch eine Stärkung der Position des Einzelnen. Dieser wird in die Lage versetzt, zur effektiven Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten beizutragen und diese so zu sichern.246 Die Berücksichtigung des effet utile gewährleistet, dass den Rechtsakten des Gemeinschaftsrechts derjenige Grad und Umfang an Rechtwirksamkeit beigemessen wird, der den Zielen der Integration am ehesten gerecht wird.247 Interessant sind vor allem die Urteile zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien, die eine besonders fortschrittliche Ausprägung der Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit darstellen. Die Anerkennung der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmung durch den EuGH ist angesichts des Wortlauts von Art. 249 Abs. 2 und 3 auf den ersten Blick nicht nahe liegend. Diese Bestimmung unterscheidet nämlich explizit zwischen den Wirkungen einer Verordnung und denen einer Richtlinie, indem sie vorsieht, dass „die Verordnung [. . .] allgemeine Geltung [hat]. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.“ Bezüglich der Richtlinie bestimmt Art. 249 Abs. 3 EGV, dass sie „für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich [ist], [. . .] jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel“ überlässt. Er ordnet somit für die Richtlinie ausdrücklich ein zweistufiges Rechtssetzungsverfahren an. Unmittelbare Geltung erkennt Art. 249 EGV explizit nur den Verordnungen zu. Es wurde bereits ausgeführt, dass zwischen der unmittelbaren Geltung einer Norm und ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit zu unterscheiden ist und dass ein Vergleich der deutschen mit der englischen und französischen Sprachfassung ergibt, dass Art. 249 Abs. 2 EGV die unmittelbare Anwendbarkeit von Verordnungen meint. Der Unterschied, den der Wortlaut zwischen der Wirkung von Verordnungen und der Wirkung von Richtlinien macht, bleibt aber trotzdem bestehen. 244 Hirsch, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei der europäischen Integration, JÖR 49 (2001), S. 79 (80). 245 Gutachten 1/91 (EWR), Slg. 1991, I-6079, Rn. 21. 246 Vgl. Schroeder in: Streinz, Art. 249 EGV, Rn. 49. 247 Grabitz, EuR 1971, S. 9 (10).

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Art. 249 Abs. 3 und 4 EGV ordnet eben gerade nicht an, dass Richtlinien und staatengerichtete Entscheidungen unmittelbar anwendbar sind.248 Die Tatsache, dass der EuGH auch den Richtlinien ungeachtet des Wortlauts249 unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Anwendbarkeit zuschreibt, trug ihm deshalb die Einschätzung ein, er sei dabei „particulièrement novateur et audacieux“250 gewesen. Seine Rechtsprechung stieß zunächst auch auf Widerstand in der Literatur und in der Rechtsprechung,251 mit der Zeit setzte sich aber vermehrt die Ansicht durch, dass der Wortlaut hinter das Argument der Sicherung der einheitlichen und effektiven Geltung des Gemeinschaftsrechts zurücktreten müsse.252 An der Anerkennung der unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen wird einmal mehr ersichtlich, dass die Auslegung des Gerichthofs eine an den Zielen des Vertrages und an ihrer praktischen Verwirklichung orientierte ist.253 Bei Richtlinienbestimmungen bedeutet deren unmittelbare Anwendbarkeit nämlich einen Ausgleich für das Fehlverhalten des Mitgliedstaats, der die Richtlinie nicht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat. Wie dargestellt wurde, kommt es allerdings nur zu diesem Ausgleich, wenn sich die betreffende Bestimmung von ihrem Inhalt her für die unmittelbare Anwendbarkeit eignet und wenn sie nicht zu Lasten eines Bürgers geht.254 Durch die vertikale Richtlinienwirkung soll verhindert werden, dass der Staat aus seinem eigenen Fehlverhalten einen Nutzen ziehen kann, die Staatsbürger sollen so gestellt werden, als hätte der Mitgliedstaat die Richtlinie ordnungsgemäß umgesetzt.255 Die unmittelbare Anwendbarkeit ge248

So auch Grabitz, Das Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht, in: Kruse (Hrsg.), Zölle, Verbrauchssteuern, Europäisches Marktordnungsrecht, S. 33 (44). 249 So auch Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 155; Everling, Zur direkten innerstaatlichen Wirkung der EG-Richtlinien, FS Carstens, Bd. 1, S. 95 (113) spricht von „exemplarischen Fall richterlicher Rechtsfortbildung des Gemeinschaftsrechts“. 250 Ormand, La notion de „l’effet utile“, S. 142. 251 Vgl. z. B. Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 156. 252 Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 157; vgl. auch Schlussanträge des GA Roemer in der Rs. 9/70 (Grad), Slg. 1970, S. 844 (848), der sich ebenfalls für das Zurücktreten des formalen Aspekts ausspricht und dem Wortlaut insofern eine untergeordnete Bedeutung beimisst. 253 Everling, Zur direkten innerstaatlichen Wirkung der EG-Richtlinien, FS Carstens, Bd. 1, S. 95 (109). 254 Ähnlich Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 30; Magiera, Die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts im europäischen Integrationsprozeß, DÖV 1998, S. 173 (180 f.); Haltern, Europarecht, S. 151; Emmert, EWS 1992, S. 56. 255 Vgl. Rs. 152/84 (Marshall), Slg. 1986, S. 723, Rn. 48; vgl. auch GA Roemer, Schlussanträge in der Rs. 9/70, Slg. 1970, S. 844 (849), der ausführt, dass die Gewährung unmittelbarer Rechte zugunsten einzelner ein Rechtsreflex aus der Aner-

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währleistet somit, dass die Richtlinienbestimmungen möglichst große Wirksamkeit entfalten.256 Aufschlussreich ist es festzustellen, dass der EuGH durch die Ablehnung einer unmittelbaren Wirkung von Richtlinien im Verhältnis zwischen Privaten deutlich macht, dass es nicht möglich bzw. gewünscht ist, die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts um jeden Preis zu gewährleisten. Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang das effet utile-Argument bewusst zurückgewiesen, das z. B. die Generalanwälte257 in ihren Schlussanträgen wiederholt vorgebracht hatten. Er hat ausdrücklich festgehalten, dass eine Ausdehnung der Rechtsprechung auf den Bereich der Beziehungen zwischen Einzelnen der Gemeinschaft die Befugnis zuerkennen würde, mit unmittelbarer Wirkung Verpflichtungen zu Lasten Einzelner zu schaffen, obwohl sie dazu ausschließlich in den Fällen berechtigt sei, in denen sie die Befugnis zum Erlass von Verordnungen oder Entscheidungen besitze.258 Aus dieser Argumentation kann man ableiten, dass das Gesetzmäßigkeitsprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts vom EuGH anerkannt wird und so einer Überdehnung des Effektivitätsprinzips Einhalt gebietet.259 c) Effet utile und Durchführung des Gemeinschaftsrechts aa) Art. 10 EGV als Ausgangspunkt Es gehört zu den Pflichten der Gemeinschaft für eine einheitliche und effektive Anwendung ihres Rechts gegenüber den Rechtsunterworfenen zu sorgen.260 Die Durchführung des Gemeinschaftsrechts erfolgt in erster Linie durch die Mitgliedstaaten, da die Gemeinschaft größtenteils über keine eigenen Vollzugsorgane verfügt.261 Unter Durchführung ist die Verwirkkennung des venire-Arguments gegen den Staat sei, Hauptgrund sei jedoch die Sicherung der Effektivität. 256 Grabitz, Das Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht, in: Kruse (Hrsg.), Zölle, Verbrauchssteuern, Europäisches Marktordnungsrecht, S. 33 (47). Zum kritikwürdigen methodischen Vorgehen des EuGH dabei vgl. ausführlich Teil 3 Kapitel A. III. 257 Vgl. Schlussanträge des GA Lenz in der Rs. C-91/92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 56. 258 Vgl. Rs. C-91/92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 24; Rs. C-192/94 (El Corte Ingles), Slg. 1996, I-1281, Rn. 17. 259 Schroeder, Nationale Maßnahmen zur Durchführung von EG-Recht und das Gebot der einheitlichen Wirkung, AöR 129 (2004), S. 3 (21). Vgl. dazu ausführlich Teil 3. 260 v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV Rn. 1. 261 Eine Ausnahme ist z. B. das Wettbewerbsrecht.

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lichung des Gemeinschaftsrechts im innerstaatlichen Bereich zu verstehen, seine planmäßige Ausführung durch Rechtsnormen und seine Anwendung durch rechtliche Einzelakte.262 Art. 10 EGV ist die „Schlüsselbestimmung“263 des Vertrages zur Regelung des Verhältnisses zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem Recht der Mitgliedstaaten. Er sieht vor, dass die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen treffen, die sich aus dem Vertrag oder den Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Außerdem bestimmt er, dass die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft die Erfüllung ihrer Aufgabe erleichtern sowie alle Maßnahmen unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährden könnten. Art. 10 EGV betrifft somit grunsätzlich drei verschiedene Beziehungsebenen, nämlich die Pflichten der Mitgliedstaaten gegenüber der Gemeinschaft, die Pflichten der Gemeinschaft gegenüber den Mitgliedstaaten und die Pflichten der Mitgliedstaaten untereinander.264 Für die vorliegende Untersuchung ist ausschließlich der Bereich der Pflichten der Mitgliedstaaten gegenüber der Gemeinschaft von Interesse. Art. 10 EGV stellt also die rechtliche Basis für die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts dar und hat in diesem Bereich auch besondere Bedeutung erlangt.265 Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung aus Art. 10 EGV verschiedene Pflichten abgeleitet, die die Mitgliedstaaten einzuhalten haben, um den Bestand der Gemeinschaft zu sichern. Dabei werden sie in ihrer Gestaltungsautonomie eingeschränkt,266 was aber als Grundvoraussetzung für das Gelingen des Integrationsprojekts267 und die Verwirklichung der Gemeinwohlinteressen und so262 Vgl. Zuleeg, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften im innerstaatlichen Bereich, S. 47; derselbe, NJW 2000, S. 2846 (2849); Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 17. Auch der EGV spricht von der Durchführung, ebenso wie der EuGH z. B. in den verb. Rs. 205-215/82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, S. 2633, Rn. 17. Zu den teilweise anderen Bezeichnungen in Österreich und Deutschland Schroeder, AöR 129 (2004), S. 10 m. w. N. 263 v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 1; Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 8 spricht von der „Geschäftsgrundlage“ des Integrationsprojekts. 264 v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 9; Streinz in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 2; vgl. auch Unruh, Die Unionstreue – Anmerkungen zu einem Rechtsgrundsatz der Europäischen Union, EuR 2002, S. 41 (62); ausführlich dazu Lais, Das Solidaritätsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, S. 168 ff. 265 v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 1, 2; derselbe, Rechtsfortbildung mit Art. 5 EG-Vertrag, GS Grabitz, S. 17 (19). Daneben verwendet der EuGH Art. 10 EGV auch zur Begründung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts, der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien und der Staatshaftung. s. dazu Kapitel C. III. 2. e). 266 v. Bogdandy, Rechtsfortbildung mit Art. 5 EG-Vertrag, GS Grabitz, S. 17 (25); Unruh, EuR 2002, S. 41 (61).

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

mit das Erreichen der Gemeinschaftsziele angesehen werden kann.268 Zu den allgemeinen Pflichten der Mitgliedstaaten gehören die ordnungsgemäße Anwendung des Gemeinschaftsrechts und die Sicherung seiner einheitlichen Geltung und Anwendung als Basis für die Entwicklung einer gemeinschaftlichen Rechtsordnung.269 Die gleichmäßige Durchsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Rechte und Pflichten ist nicht ein rechtspolitisches Postulat, sondern ein rechtsstaatliches Mindestgebot.270 Zusammenfassend werden die Pflichten der Mitgliedstaaten als Pflicht zur Gemeinschaftstreue bezeichnet.271 Die Gemeinschaftstreue ist fundamental für die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft als einer Rechtsgemeinschaft, da diese für die Einheit und Wirksamkeit ihres Rechts auf die vertragskonforme Durchführung angewiesen ist.272 Die EG und die Mitgliedstaaten müssen dafür zusammenarbeiten (Kooperationsprinzip) und aufeinander Rücksicht nehmen (Prinzip der Rücksichtnahme).273 Das Kooperationsprinzip umfaßt dabei sowohl Handlungs- als auch Unterlassungspflichten.274 Damit aus Art. 10 EGV Pflichten für die Mitgliedstaaten abgeleitet werden können, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens muss die Verpflichtung zur Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft beitragen, sodann muss sie hinreichend bestimmt sein und darf schließlich nicht die Kompetenzverteilung gemäß Art. 5 EGV überschreiten.275 Die Pflichten aus Art. 10 EGV sind von allen Trägern der öffentlichen Gewalt zu erfüllen, somit von der Legislative, der Exekutive und der Judikative.276 Gewisse Handlungspflichten der Mitgliedstaaten betreffen alle Staatfunktionen, an267

v. Bogdandy, Rechtsfortbildung mit Art. 5 EG-Vertrag, GS Grabitz, S. 17

(26). 268

Due, Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue in der Europäischen Gemeinschaft, S. 3; v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 7; derselbe, Rechtsfortbildung mit Art. 5 EG-Vertrag, GS Grabitz, S. 17 (23, 24). 269 Streinz in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 14 f., 16. 270 Hatje, Europäische Rechtseinheit durch einheitliche Rechtssetzung, EuR, Beiheft 1, 1998, S. 7 (27). 271 S. z. B. Zuleeg in: von der Groeben/Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 1; Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 2 und 3; Blanquet, L’article 5 du traité C. E. E., S. 19, 371; Streinz in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 1; Lück, Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip im Recht der Europäischen Gemeinschaft, z. B. S. 79; kritisch v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 6, der die vom EuGH verwendete Terminologie der „gegenseitigen Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit“ bevorzugt. 272 Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 8. 273 Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 110 EGV, Rn. 12 und 13; Streinz in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 1. 274 Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 110 EGV, Rn. 12; vgl. Art. 10 Abs. 1 EGV zu den Handlungsverpflichtungen und Abs. 2 zu den Unterlassungspflichten. 275 v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 11, 12.

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dere speziell die einzelnen. Die Pflichten können verschiedene Konsequenzen haben: Wenn das nationale Recht den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts entspricht, kann es Anwendung finden. Andererseits ist es möglich, dass aus dem Gemeinschaftsrecht die Verpflichtung zur Fortbildung bzw. Weiterentwicklung des nationalen Rechts folgt. Im Falle einer Kollision kommt es schließlich zu Ersetzung der nationalen durch die einschlägige gemeinschaftsrechtliche Norm.277 Die Befugnisse der Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts werden von verschiedenen Prinzipien gesteuert. Zu den wichtigsten zählen dabei das Prinzip der einheitlichen Anwendung und der praktischen Wirksamkeit. In der Literatur werden diese Grundsätze mitunter zum Prinzip der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zusammengefasst,278 der Gerichtshof verwendet sie in seiner Rechtsprechung jedoch getrennt. Der unterschiedliche Gehalt der beiden Prinzipien drückt sich in den vom EuGH für die Mitgliedstaaten entwickelten Schranken bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts aus. So entspricht der Grundsatz der „einheitlichen Anwendbarkeit“ dem Äquivalenzprinzip279 und derjenige der „praktischen Wirksamkeit“ dem Effektivitätsprinzip.280 bb) Die gemeinschaftsrechtskonforme bzw. richtlinienkonforme Auslegung (1) Allgemeines Aus Art. 10 EGV ergibt sich die Pflicht zur gemeinschaftskonformen Auslegung des nationalen Rechts, die alle mitgliedstaatlichen Behörden, aber insbesondere die nationalen Gerichte trifft.281 Sie lässt sich dem EG276

So auch Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S. 399; Zuleeg, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht – wechselseitige Einwirkungen, VVDStRL 53 (1994), S. 154 (188, 189), der betont, dass dies zur Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beiträgt; derselbe, NJW 2000, S. 2846 (2847). 277 v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 56. 278 Schroeder, AöR 129 (2004), S. 3 (14); Nettesheim, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, GS Grabitz, S. 447; die Bedeutung des Effektivitätsprinzips ist natürlich nicht auf den Bereich der Durchführung des Gemeinschaftsrechts beschränkt, sondern betrifft das gesamte institutionelle Gemeinschaftsrecht. 279 Dieses Prinzip spielt nicht nur bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts eine Rolle, sondern ist auch Grundvoraussetzung für dessen unmittelbare Geltung und Anwendbarkeit sowie den Vorrang; vgl. Schroeder, AöR 129 (2004), S. 3 (16). 280 Schroeder, AöR 129 (2004), S. 3 (14 f.); s. dazu sogleich ausführlich. 281 Vgl. Rs. 80/86 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, S. 3969, Rn. 12; aus der Literatur z. B. Götz, Europäische Gesetzgebung durch Richtlinien – Zusammenwir-

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Recht nicht unmittelbar entnehmen, sondern wurde vom EuGH in seiner Rechtsprechung entwickelt.282 Aufgrund des engen Zusammenhangs mit dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts setzt die Verpflichtung zur gemeinschaftskonformen Auslegung eine Kollision zwischen EG-Recht und nationalem Recht voraus. Gibt es keine Kollision, können die Mitgliedstaaten das nationale Recht gemeinschaftskonform auslegen.283 Eine gemeinschaftskonforme Auslegung ist dann möglich, wenn das mitgliedstaatliche Recht verschiedene Auslegungsmöglichkeiten zulässt und mindestens eine dieser mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.284 Der Gesetzesanwender muß also über einen gewissen Spielraum bei der Auslegung verfügen.285 Die gemeinschaftskonforme Auslegung findet ihre Grenzen deshalb in den nationalen Auslegungsregeln. Ob das nationale Recht ihr zugänglich ist, liegt in der Kompetenz des nationalen Rechtsanwenders.286 Die mitgliedstaatlichen Gerichte haben daher die Grenze der Auslegungsfähigkeit einer Norm nach dem nationalen Methodenrecht als die Grenze ihrer Pflicht zur gemeinschaftskonformen Auslegung zu betrachten.287

ken von Gemeinschaft und Staat, NJW 1992, S. 1849 (1853); Ress, Die richtlinienkonforme „Interpretation“ innerstaatlichen Rechts, DÖV 1994, S. 489 (490); Rodríguez Iglesias/Riechenberg, Zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, FS Everling, Bd. II, S. 1213 (1215); Nettesheim, Auslegung und Fortbildung nationalen Rechts im Lichte des Gemeinschaftsrechts, AöR 119 (1994), S. 261 (268 f.); van Gerven, Briding the gap between Community and National Laws: Towards a principle of homongeneity in the field of legal remedies?, CML Rev 1995, S. 679 (681); a. A. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 257, der der Ansicht ist, es brauche Art. 10 EGV nicht zur Begründung, es reiche Art. 249 EGV. 282 So auch Jarass, Richtlinienkonforme bzw. EG-rechtskonforme Auslegung nationalen Rechts, EuR 1991, S. 211 (216); kritisch zu den Grenzen dieser Rechtsfortbildung Scherzberg, Die innerstaatlichen Wirkungen von EG-Richtlinien, JURA 1993 S. 225 (332). 283 Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 57, 58. Im Falle der freiwilligen gemeinschaftskonformen Auslegung spricht dieser von der sog. „gemeinschaftsorientierten Auslegung“. 284 Zuleeg, NJW 2000, S. 2846 (2849). 285 Vgl. z. B. Rs. 79/83 (Dorit Harz), Slg. 1984, S. 1921, Rn. 28; allgemein zur gemeinschaftskonformen Auslegung Rs. C-200/91 (Coloroll Pension), Slg. 1994, I-4389, Rn. 29; Rs. C-8/02 (Leichtle), Slg. 2004, I-2641, Rn. 58. 286 Langenfeld, DÖV 1992, S. 955 (964, 965); Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 94 f., auf S. 90 f. weist er auf den Unterschied zwischen der richtlinienkonformen Auslegung kraft EG-Rechts und derjenigen kraft nationalen Rechts hin; Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 61. 287 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 284; Grundmann, EGRichtlinie und nationales Privatrecht, JZ 1996, S. 274 (282).

C. Analyse der Urteile des EuGH

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(2) Die richtlinienkonforme Auslegung Der wichtigste Anwendungsfall der gemeinschaftskonformen Auslegung ist die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung.288 Eine EG-Richtlinie verliert nicht mit der Umsetzung in das nationale Recht ihre Wirkung, sondern bleibt der Maßstab für die Auslegung des gesamten nationalen Rechts.289 Der EuGH hat diesbezüglich in den Rechtssachen von Colson und Kamann290 sowie Harz291 grundlegend ausgeführt, dass die Pflicht der Mitgliedstaaten, alle zur Erreichung des Richtlinienziels notwendigen Maßnahmen zu treffen, alle Träger der öffentlichen Gewalt betreffe, also auch die mitgliedstaatlichen Gerichte. Deshalb habe das nationale Gericht das „nationale Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen“,292 um das in Art. 249 Abs. 3 EGV genannte Ziel zu erreichen. Der Gerichtshof stützt das Gebot zur richtlinienkonformen Auslegung maßgeblich auf die in Art. 249 Abs. 3 vorgesehene Umsetzungspflicht.293 In der Rechtssache Johnston294 fügte er explizit hinzu, dass die richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts so zu erfolgen habe, dass die „Richtlinie ihre volle Wirksamkeit“295 entfalte.296 In seiner späteren Rechtsprechung hat der EuGH präzisiert, dass die Auslegung soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten sei.297 Die gewählte Formulierung impliziert eine sehr weit gehende Auslegungsverpflichtung der nationalen Gerichte, macht aber andererseits deutlich, dass diese Ver288

s. zur Unterscheidung zwischen gemeinschaftsrechtskonformer und richtlinienkonformer Auslegung Ehricke, Die richtlinienkonforme und die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nationalen Rechts, RabelsZ 59 (1995) S. 598 (603). 289 Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 57. 290 Rs. 14/83 (von Colson und Kamann), Slg. 1984, S. 1891. 291 Rs. 79/84 (Harz), Slg. 1984, S. 1921; zur Entwicklung der Rechtsprechung ausführlich Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 46 f. 292 Rs. 14/83 (von Colson und Kamann), 1984, S. 1891, Rn. 26; Rs. 79/84 (Harz), Slg. 1984, S. 1921, Rn. 26; vgl. z. B. auch Rs. 222/84 (Johnston), Slg. 1986, S. 1651, Rn. 53; Rs. C-54/96 (Dorsch Consult), Slg. 1997, I-4961, Rn. 43. 293 Vgl. z. B. Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, S. 105 ff, 108, 128. 294 Rs. 222/84 (Johnston), Slg. 1986, S. 1651. 295 Rs. 222/84 (Johnston), Slg. 1986, S. 1651, Rn. 53. 296 Vgl. auch Rs. C-131/97 (Carbonari), Slg. 1999, I-1103, Rn. 48; Rs. C-106/89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8; Rs. C-334/92 (Wagner Miret), Slg. 1993, I-6911, Rn. 20. s. dazu auch Nettesheim, AöR 119 (1994), S. 261 (270 f.), der darstellt, was unter Gemeinschaftskonformität verstanden werden kann bzw. wohl zu verstehen ist. 297 Vgl. Rs. C-334/92 (Wagner Miret), Slg. 1993, I-6911, Rn. 20; Rs. C-160/01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 34 f.; ausführlich dazu Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, S. 128 ff.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

pflichtung nicht schrankenlos ist.298 In der Rechtssache Marleasing299 zeigte sich die Tragweite dieser Verpflichtung in vollem Ausmaß, da die Pflicht zur Auslegung des spanischen bürgerlichen Rechts unter Berücksichtigung von „Wortlaut und Zweck“300 der anzuwendenden Richtlinie301 bewirkte, dass die betreffende nationale Norm nicht angewendet werden konnte.302 In der im Oktober 2004 entschiedenen Rechtssache Pfeiffer303 hat der Gerichtshof die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zur richtlinienkonformen Auslegung weiter entwickelt, indem er von den mitgliedstaatlichen Gerichten deutlicher als bislang äußerste methodische Anstrengungen verlangt, um das nationale Recht richtlinienkonform auszulegen.304 In seinem Urteil in der Rechtssache Adeneler305 hat er im Juli 2006 aber explizit ausgeführt, dass die Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung „nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen“ darf.306 An dem soeben genannten Urteil in der Rechtssache Pfeiffer ist auch die Tatsache erwähnenswert, dass der EuGH, obwohl es sich um die Auslegung einer Richtlinienbestimmung handelt, stets von der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung spricht. Die Pflicht dazu stützt er in seiner Entscheidung allgemein auf die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts. So führt er 298 Rodríguez Iglesias/Riechenberg, Zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, FS Everling, Bd. II, S. 1213 (1224); Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 31 f., führt aus, dass sich die Rechtsprechung des EuGH zur richtlinienkonformen Auslegung in drei Phasen unterscheiden lässt, und dass der EuGH in jeder Phase die Pflicht weiter ausgedehnt hat. Vgl. dazu auch Riesenhuber/Domröse, Richtlinienkonforme Rechtsfindung und nationale Methodenlehre, RIW 2005, S. 47 f. 299 Rs. C-106/89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135. 300 Rs. C-106/89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8. 301 Es handelte sich um die Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. 1968, L 65, S. 8. 302 So auch Hakenberg, ZIP 1994, S. 1510 (1511). 303 Verb. Rs. C-397/01 bis C-403/01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835. 304 Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, S. 47 (54); Hakenberg/Seyr, Gemeinschaftsrecht und Privatrecht – Zur Rechtsprechung des EuGH im Jahre 2004, ZEuP 2005, S. 832 (837 f.); Thüsing/Heßeler, Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht 2004, 1147 (1148). 305 Rs. C-212/04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057. 306 Rs. C-212/04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 110; vgl. dazu Hakenberg/ Seyr, Gemeinschaftsrecht und Privatrecht – Zur Rechtsprechung des EuGH im Jahre 2006, ZEuP 2007, S. 1038 (1050 f.).

C. Analyse der Urteile des EuGH

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in Randnummer 114 Folgendes aus: „Das Gebot einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts ist dem EG-Vertrag immanent, da dem nationalen Gericht dadurch ermöglicht wird, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit307 des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, wenn es über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheidet.“ Soweit ersichtlich, handelt es sich dabei um die erste Aussage, in der sich der EuGH in diesem Zusammenhang direkt auf die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beruft, bisher bezog er sich immer auf die Gewährleistung der vollen Wirksamkeit der betreffenden Richtlinie.308 Der Grund für diese Aussage könnte wohl darin liegen, dass der EuGH das Gebot auf das weiter gefasste Gesamtsystem der Effektuierung des Gemeinschaftsrechts stützen möchte.309 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung trifft die nationalen Gerichte, wenn die Richtlinie nicht oder nur unzureichend in das nationale Recht umgesetzt wurde, aber aufgrund der angesprochenen Maßstabswirkung der Richtlinie auch bei korrekter Umsetzung. Richtlinienkonform auszulegen ist das gesamte nationale Recht, nicht nur das in Umsetzung der Richtlinie ergangene.310 Die Pflicht besteht z. B. also auch dann, wenn der Mitgliedstaat der Ansicht ist, dass das nationale Recht bereits den Anforderungen der Richtlinie entspricht.311 Die nationalen Gerichte kann im Rahmen der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch die Verpflichtung treffen, gegebenenfalls Lücken im nationalen Recht durch Rechtsfortbildung zu schließen. Ist dies nicht möglich, müssen sie das nationale Recht unangewendet lassen.312 Im Gegensatz zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien kann die richtlinienkonforme Auslegung gemäß der Rechtsprechung des EuGH auch zu Lasten der betroffenen Bürger gehen313 und ebenso in einem Rechtsverhältnis zwischen Privatpersonen zur Anwendung 307

Hervorhebung durch die Verfasserin. So auch Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, S. 47 (49). Bisher sprach der EuGH davon, dass durch die richtlinienkonforme Auslegung gewährleistet werden müsse, dass die Richtlinie ihre volle Wirksamkeit entfalten könne. 309 Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, S. 47 (49). 310 Rs. C-106/89 (Marleasing), Slg. 1990, I-4135, Rn. 8 f.; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 92; Langenfeld, DÖV 1992, S. 955 (964); Ehricke, RabelsZ 59 (1995) S. 598 (603 f.); Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 72 f.; s. zur schrittweisen Entwicklung dieser Rechtsprechung Everling, Zur Auslegung des durch EG-Richtlinien angeglichenen nationalen Rechts, ZGR 3/1992, S. 376 (378 f.). 311 Vgl. Rs. C-334/92 (Wagner Miret), Slg. 1993, I-6911, Rn. 21. 312 Streinz in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 35; Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 60. 313 Vgl. Rs. 80/86 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, S. 3969; Jarass, EuR 1991, S. 211 (222); a. A. Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 277 f. 308

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

kommen.314 Die richtlinienkonforme Auslegung ist unabhängig von einer eventuellen unmittelbaren Wirkung der Richtlinie, ihre Bedeutung entfaltet sich gerade in den Fällen, in denen die Richtlinienbestimmungen nicht unmittelbar anwendbar sind.315 Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung immer wieder betont,316 dass zuerst eine richtlinienkonforme Auslegung vorzunehmen sei, und nur wenn der Widerspruch zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht so nicht überbrückt werden könne, eine unmittelbare Wirkung geprüft werden müsse.317 Ob bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist die Pflicht oder die Möglichkeit zur richtlinienkonformen Auslegung besteht, war in der Literatur lange umstritten.318 Teilweise wurde aus dem Urteil in der Rechtssache Kolpinghuis319 abgeleitet, dass der EuGH von einer diesbezüglichen Pflicht ausgehe.320 Dieser Schluss überzeugt jedoch nicht, da die Aussagen, die zu seiner Untermauerung herangezogen werden, aus dem Zusammenhang gerissen sind.321 In dem bereits erwähnten Urteil in der Rechtssache Adeneler322 hat der Gerichtshof in der Zusammensetzung der Großen Kammer nun im Jahre 2006 erfreulicherweise endgültig klargestellt, dass die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung erst mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist eintritt.323

314

Vgl. z. B. Rs. 79/83 (Dorit Harz), Slg. 1984, S. 1921; Jarass, EuR 1991, S. 211 (222); Wegener, Rechte des Einzelnen, S. 237; z. B. Ress, DÖV 1994, S. 489 (490, 494), sieht sie deshalb für diese Fälle als Alternative zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie an; ähnlich Everling, ZGR 1992, S. 376 (383), der davon spricht, dass die richtlinienkonforme Auslegung teilsweise als Ersatz für die fehlende unmittelbare horizontale Richtlinienwirkung dient. 315 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 45; Jarass, EuR 1991, S. 211 (212); Ress, DÖV 1994, S. 489 (490); Schlussanträge des GA Darmon in der Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941, Rn. 15. 316 Vgl. Rs. 222/84 (Johnston), Slg. 1986, S. 1651, Rn. 51. 317 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, S. 62; Everling, ZGR 1992, S. 376 (382). 318 s. dazu ausführlich Ehricke, Die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts vor Ende der Umsetzungsfrist einer Richtlinie, EuZW 1999, S. 553 (555 f.) m. w. N. 319 Vgl. Rs. 80/86 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, S. 3969. 320 Z. B. v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 55. 321 Vgl. Rs. 80/86 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, S. 3969, Rn. 15; der EuGH bezieht seine Aussagen ausschließlich auf die vierte Vorlagefrage. So zutreffend auch Ehricke, EuZW 1999, S. 553 (556 f.); Götz, NJW 1992, S. 1849 (1854). 322 Rs. C-212/04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057. 323 Rs. C-212/04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057, Rn. 115.

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(3) Stellungnahme Der aus Art. 10 EGV entwickelte Grundsatz der Gemeinschaftstreue dient der Begründung sowohl der richtlinienkonformen als auch der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung. Dahinter steht das Verständnis des EuGH von Art. 10 EGV als der Verbindungsnorm zwischen dem Gemeinschaftsrecht und den nationalen Rechtsordnungen, die die Verzahnung der beiden Rechtsordnungen und damit die vollständige Wirksamkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung im nationalen Rechtsbereich gewährleistet. Die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung ist im Gegensatz zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts bzw. dessen unmittelbarer Anwendbarkeit die „mitgliedstaatsfreundlichere Lösung“,324 da sie in gewisser Weise zu einer Schonung des nationalen Normenbestands beiträgt.325 Der EuGH hat in dem Urteil in der Rechtssache INNO326 klargestellt, dass Art. 10 EGV den mitgliedstaatlichen Gerichten untersagt, das nationale Recht so anzuwenden, dass der effet utile des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt wird.327 Daraus ergeben sich für die mitgliedstaatlichen Gerichte vielfältige Verpflichtungen, zu denen auch die Verpflichtung zur gemeinschaftsrechtskonformen und zur richtlinienkonformen Auslegung zählt. Beide basieren somit letztendlich auf effet utile-Überlegungen.328 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung trägt zur Effektuierung des Gemeinschaftsrechts bei, indem sie unabhängig von einer unmittelbaren Wirkung der Richtlinie zur Anwendung kommt.329 Sie hat die Aufgabe, Ungereimtheiten zwischen den Vorgaben der Richtlinie und dem nationalen Recht, das diese umsetzt, zu vermeiden und gewährleistet so, dass der Inhalt der Richtlinie nicht im nationalen Rahmen „leerläuft“.330 Dadurch sichert sie die effektive Umsetzung der Vorgaben und Zielsetzungen der Richtlinie in nationales Recht ab.331

324

Nettesheim, AöR 119 (1994), S. 261 (264). Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 35. 326 Rs. 13/77 (G.B.-INNO-BM), Slg. 1977, S. 2115, Rn. 30/35. 327 Ehricke, RabelsZ 59 (1995) S. 598 (625 f.) Vgl. zur Abgrenzung der Pflicht zur gemeinschaftsrechtkonformen Auslegung und der Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Rechtsfortbildung ausführlich Nettesheim, AöR 119 (1994), S. 261 (265 f., 282), der überzeugend ausführt, dass der EuGH zwischen diesen nicht ausdrücklich unterscheidet. 328 So auch Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 35. 329 Langenfeld, DÖV 1992, S. 955 (964); Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 91; derselbe, EuR 1991, S. 211 (212). 330 Ehricke, EuZW 1999, S. 553 (554). 331 Ehricke, EuZW 1999, S. 553 (554). 325

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

cc) Pflichten der rechtsetzenden Organe (1) Allgemeines Die rechtsetzenden Organe in den Mitgliedstaaten trifft die Pflicht, das nationale Recht so zu ändern, zu erlassen oder aufzuheben, dass das Gemeinschaftsrecht seine praktische Wirksamkeit entfalten kann.332 Diese Pflicht betrifft in erster Linie die Umsetzung von Richtlinien. Der Gerichtshof geht davon aus, dass eine bloße Verwaltungspraxis, die beliebig geändert werden kann, nicht als rechtswirksame Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Vertrag anzusehen ist. Die Unvereinbarkeit von nationalem Recht mit den Gemeinschaftsvorschriften, auch soweit diese unmittelbar anwendbar sind, lässt sich seiner Ansicht nach nur durch verbindliche nationale Bestimmungen ausräumen, die denselben rechtlichen Rang haben wie die zu ändernden Bestimmungen. Deshalb müssen beispielsweise die Bestimmungen einer Richtlinie mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit durchgeführt werden, die notwendig sind, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen. Dieses verlangt, dass die Begünstigten in die Lage versetzt werden, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen.333 Die Mitgliedstaaten trifft auch die Pflicht, dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehendes nationales Recht aufzuheben, nach der Rechtsprechung des EuGH334 reicht es nämlich nicht aus, dass das nationale Recht nicht angewendet wird. Diese Pflicht besteht jedoch wohl nur bei regelmäßigen und erheblichen Konflikten,335 da ansonsten ein Widerspruch zum Grundsatz des Anwendungsvorrangs vorläge. 332 Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 24; Streinz in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 14 f.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 143 f.; Lück, Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip im Recht der Europäischen Gemeinschaft, S. 25 f. Zur ergänzenden Tätigkeit des Gesetzgebers s. ausführlich Blanquet, L’article 5 du traité C. E. E., S. 45. 333 Vgl. aus der Rechtsprechung z. B. Rs. C-197/96 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-1489, Rn. 14, 15; Rs. C-334/94 (Kommission/Frankreich), Slg. 1996, I-1307, Rn. 30; Rs. C-207/96 (Kommission/Italien), Slg. 1997, I-6869, Rn. 26 f. 334 Vgl. z. B. Rs. 74/86 (Kommission/Deutschland), Slg. 1988, S. 2139, Rn. 10: „Wie der Gerichtshof wiederholt [. . .] ausgeführt hat, ergeben sich aus der Einführung oder unveränderten Beibehaltung einer gegen eine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts verstoßenden Bestimmung in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, selbst wenn diese Gemeinschaftsvorschrift in der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten unmittelbar gilt, Unklarheiten tatsächlicher Art, weil die betroffenen Normadressaten bezüglich der ihnen eröffneten Möglichkeiten, sich auf das Gemeinschaftsrecht zu berufen, in einem Zustand der Ungewissheit gelassen werden. Eine solche Beibehaltung stellt deshalb eine Verletzung der Verpflichtungen des genannten Mitgliedstaats aus dem EWG-Vertrag dar.“

C. Analyse der Urteile des EuGH

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(2) Umsetzung von Richtlinien Die Handlungsform der Richtlinie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, dem Mitgliedstaat aber die Wahl der Form und der Mittel überlässt, um die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zu erfüllen. Die Umsetzungsverpflichtung von Richtlinien stützt sich auf Art. 249 EGV und Art. 10 EGV.336 Die Pflicht zur Umsetzung, also das „Ob“ ergibt sich aus Art. 249 EGV. Anhand von Art. 10 EGV hat der EuGH konkrete Anforderungen an den Umsetzungsakt, also das „Wie“ der Umsetzung entwickelt.337 Er leitet aus Art. 10 EGV ab, dass die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen treffen müssen, die zur Erfüllung der Umsetzungspflicht geeignet sind, um „die volle Wirksamkeit338 der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten.“339 Er geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Mitgliedstaaten „verpflichtet sind, innerhalb der ihnen nach Artikel 189340 belassenen Entscheidungsfreiheit die Formen und Mittel zu wählen, die sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit (effet utile)341 der Richtlinien unter Berücksichtigung des mit ihnen verfolgten Zwecks am besten eignen.“342 Die Pflicht zur Umsetzung von Richtlinien beinhaltet auch die Verpflichtung zum Erlass wirksamer Sanktionen, wenn diese zur vollständigen Durchführung notwendig sind. Der EuGH hat hierzu beispielsweise in der Rechtssache 68/88343 ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten, wenn eine gemeinschafts335

v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 41. So Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 24; vgl. Fn. 127 zum Meinungsspektrum in der Literatur. 337 Streinz in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 20; Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 24; Lück, Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip im Recht der Europäischen Gemeinschaft, S. 33. 338 Hervorhebung durch die Verfasserin. 339 Rs. C-97/00 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-2053, Rn. 9; Rs. C-119/00 (Kommission/Luxemburg), Slg. 2001, I-4795, Rn. 12; Rs. C-478/99 (Kommission/Schweden), Slg. 2002, I-4147, Rn. 15; Rs. C-72/02 (Kommission/Portugal), Slg. 2003, I-6597, Rn. 18; s. auch Rs. 14/83 (von Colson und Kamann), 1984, S. 1891, Rn. 15; Rs. C-208/90 (Emmott), Slg. 1991, I-4269, Rn. 18; Rs. C-336/97 (Kommission/Italien), Slg. 1999, I-3771, Rn. 19; Rs. 79/83 (Harz), Slg. 1984, S. 1921, Rn. 15, in denen der EuGH von „vollständiger Wirksamkeit“ spricht. 340 Nun Art. 249 EGV. 341 Hervorhebung durch die Verfasserin. 342 Rs. 48/75 (Royer), Slg. 1976, S. 497, Rn. 69/73; s. auch verb. Rs. C-58/95, C-75/95, C-112/95, C-119/95, C-123/95, C-135/95, C-140/95, C-141/95, C-154/95 und C-157/95 (Gallotti u. a.), Slg. 1996, I-4345, Rn. 14; kritisch zu dieser Verpflichtung Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 152, der davon ausgeht, dass der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten durch den EuGH zu Unrecht weiter als nötig eingeschränkt werde und sich dies auch nicht unter Rückgriff auf den Effektivitätsgrundsatz rechtfertigen lasse. 336

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

rechtliche Regelung keine besondere Vorschrift enthält, die für den Fall eines Verstoßes gegen die Regelung eine Sanktion vorsieht, oder wenn sie insoweit auf die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften verweist, nach Art. 10 EGV verpflichtet sind, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.344 Dabei müssten die Mitgliedstaaten, denen allerdings die Wahl der Sanktionen verbleibe,345 namentlich darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet würden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht, wobei die Sanktion jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müsse.346 Außerdem trifft die Mitgliedstaaten auch bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist die Pflicht, das Richtlinienziel nicht durch den Erlass entgegenstehender nationaler Rechtsvorschriften zu gefährden (sog. Frustrationsverbot). Dies hat der EuGH grundlegend in der Rechtssache Inter-Environnement Wallonie347 entschieden, in der er ausführte, dass sich aus Art. 10 Abs. 2 EGV in Verbindung mit Art. 249 Abs. 3 EGV und der betreffenden Richtlinie selbst ergebe, dass die Mitgliedstaaten während der Umsetzungsfrist den Erlass von Vorschriften unterlassen müssten, die geeignet sind, das in dieser Richtlinie vorgeschriebene Ziel ernstlich in Frage zu stellen.348 343

Rs. 68/88 (Kommission/Griechenland), Slg. 1989, S. 2965, Rn. 23, 24. So auch Rs. C-230/01 (Penycoed), Slg. 2004, I-937, Rn. 36; Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, S I-10155, Rn. 62. 345 Vgl. z. B. Rs. 77/81 (Zuckerfabrik Franken), Slg. 1982, S. 681, Rn. 19. 346 Vgl. z. B. Vgl. z. B. Rs. 14/83 (von Colson und Kamann), Rn. 23 f.: „Auch wenn eine vollständige Durchführung der Richtlinie nicht [. . .] eine bestimmte Sanktion für Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot erfordert, so setzt sie doch voraus, dass diese Sanktion geeignet ist, einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten. Sie muss ferner eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben. Entscheidet sich der Mitgliedstaat dafür, als Sanktion für den Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot eine Entschädigung zu gewähren, so muss diese deshalb jedenfalls in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen. Folglich würde eine nationale Rechtsvorschrift, die die Schadenersatzansprüche von Personen, die Opfer einer Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung wurden, auf eine rein symbolische Entschädigung wie etwa die Erstattung ihrer Bewerbungskosten beschränkt, den Erfordernissen einer wirksamen Umsetzung der Richtlinie nicht gerecht.“ s. auch Rs. C-326/88 (Hansen), Slg. 1990, I-2911, Rn. 17; Rs. C-36/94 (Siesse), Slg. 1995, I-3573, Rn. 20; verb. Rs. C-58/95 u. a. (Gallotti u. a.), Slg. 1996, I-4345, Rn. 15; Rs. C-213/99 (de Andrade), Slg. 2000, I-11083, Rn. 19. 347 Rs. C-129/96 (Inter-Environnement Wallonie), Slg. 1997, I-7411. 348 Rs. C-129/96 (Inter-Environnement Wallonie), Slg. 1997, I-7411, Rn. 45; Rs. C-157/02 (Rieser), Slg. 2004, I-1477, Rn. 66. In der Rs. Adeneler (Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057, Rn. 121, 122) hat der EuGH nun klargestellt, dass das Frustra344

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Wurde ein Mitgliedstaat wegen mangelnder Umsetzung von Richtlinien im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens verurteilt, hat er die Pflicht, das Urteil umzusetzen, bzw. die Maßnahmen legislativer Art zu ergreifen, die dafür notwendig sind.349 (3) Stellungnahme Bezüglich der soeben angesprochenen Vorwirkung von Richtlinien, stellt sich die Frage, ob diese nötig ist, um den effet utile des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Dies ist zu bejahen. Die Mitgliedstaaten müssen das von der Richtlinie vorgesehene Ziel spätestens mit Ablauf der Umsetzungsfrist erreichen. Die Umsetzungsverpflichtung entsteht jedoch bereits mit Inkrafttreten der Richtlinie, nicht erst mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist. Die Mitgliedstaaten müssen somit sicherstellen, dass nach diesem Zeitpunkt kein in Widerspruch zur Richtlinie stehendes nationales Recht mehr besteht.350 Die in der Richtlinie vorgesehene Umsetzungsfrist soll den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, ihr geltendes Recht dahingehend zu überprüfen, ob es bereits den Vorgaben der Richtlinie entspricht und falls dies nicht der Fall sein sollte, entsprechendes nationales Recht zu erlassen. Es steht den Mitgliedstaaten dabei frei, vor Ablauf der Umsetzungsfrist ihr Recht anzupassen. Hätte ein Mitgliedstaat die Möglichkeit, vor Ablauf der Umsetzungsfrist neues, dem Ziel der Richtlinie entgegenstehendes Recht zu erlassen, so wäre die rechtzeitige Umsetzung der Richtlinie an sich in Frage gestellt. Die Praxis der Richtlinienumsetzung zeigt, dass die Mitgliedstaaten trotz ausreichend erscheinender Umsetzungsfristen oft nicht in der Lage sind, rechtzeitig Rechtsnormen zur Umsetzung der Richtlinien zu erlassen. Hätte der Mitgliedstaat die Möglichkeit, entgegenstehendes Recht zu erlassen, wäre er gezwungen, daran anschließend noch vor Ablauf der Frist ein zweites Mal eine Vorschrift zu erlassen, die die Richtlinie umsetzt bzw. das entgegenstehende nationale Recht aufhebt. Eine derartige Vorgehensweise würde das Richtlinienziel in Frage stellen, der Mitgliedstaat die Umsetzung unnötig hinauszögern. Der Erlaß entgegenstehender Maßnahme gefährdete das fristgemäße Umsetzen der Richtlinie somit ernstlich.351 Eine solche Vorgehensweise ginge überdies zu Lasten der Rechtsicherheit, da sich die Rechtsunterworfenen innerhalb kurzer Zeit auf zwei widertionsgebot für alle Träger der öffentlichen Gewalt in den Mitgliedstaaten gilt, also auch für die mitgliedstaatlichen Gerichte. 349 Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 26. 350 Vgl. Schlussanträge des GA Jacobs in der Rs. C-129/96 (Inter-Environnement Wallonie), Slg. 1997, I-7411, Rn. 30. 351 Vgl. Schlussanträge des GA Jacobs in der Rs. C-129/96 (Inter-Environnement Wallonie), Slg. 1997, I-7411, Rn. 39.

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sprüchliche Normen einstellen müssten. Das würde die Sinnhaftigkeit der Richtlinie in Frage stellen und die Erreichung ihres Ziels gefährden. Außerdem widerspräche dies dem Sinn des zweistufigen Systems der Richtlinienumsetzung, das eine langsame Anpassung des nationalen Rechts ermöglichen soll. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre davon auszugehen, dass eine nicht fristgemäße Umsetzung erfolgen würde, wenn der Mitgliedstaat die Möglichkeit hätte, vorher noch entgegenstehendes Recht zu erlassen. Jede verzögerte Umsetzung der Richtlinie gefährdet deren Zweck und somit ihre Wirksamkeit und die des Gemeinschaftsrechts insgesamt. Zu bedenken ist auch, dass ohne die beschriebenen Vorwirkungen der Richtlinie eine noch stärker verzerrte Rechtslage in den einzelnen Mitgliedstaaten entstehen würde. Der Erlaß einer Richtlinie ist gerade durch den Wunsch bzw. die Notwendigkeit gekennzeichnet, die bestehenden Unterschiede in den Mitgliedstaaten bis zu einem bestimmten – je nach Richtlinie unterschiedlichen – Grad anzugleichen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass es schon während der Umsetzungsfrist zu einer Annäherung der Rechtsordnungen kommt. Natürlich ist diese erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist verpflichtend, bis zu diesem Zeitpunkt behalten die Mitgliedstaaten ihre Handlungsfreiheit.352 Hätte ein Mitgliedstaat die Möglichkeit während der Umsetzungsfrist der Richtlinie entgegenstehendes nationales Recht zu erlassen, würde er letztendlich aktiv bzw. positiv dazu beitragen, die Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen noch zu vergrößern.353 Dem EuGH ist somit gänzlich zuzustimmen, dass die Vorwirkungen der Richtlinie nötig sind, um die Verwirklichung des Richtlinienziels nicht ernsthaft zu gefährden und den effet utile der Richtlinie sicherzustellen.354

352 Vgl. Rs. 148/78 (Ratti), Slg. 1979, S. 1629, Rn. 43 und 44; Rs. C-316/93 (Vaneetveld), Slg. 1994, I-763, Rn. 16; Rs. C-129/96 (Inter-Environnement Wallonie), Slg. 1997, I-7411, Rn. 43. 353 Ähnlich ist auch die Argumentation von GA Mancini in seinen Schlussanträgen in der Rs. 30/85 (Teuling), Slg. 1987, S. 2497, Rn. 7: „[Unter diese Freiheit fällt] nicht die Befugnis [. . .], die Unterschiede zu verstärken, die die Richtlinie beseitigen soll. So ist unter anderem davon auszugehen, dass Vorschriften, die innerhalb dieser Frist erlassen werden, notwendigerweise als Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie anzusehen sind; derartige Maßnahmen müssen zumindest so beschaffen sein, dass sie den Vorschriften der Richtlinie nicht zuwiderlaufen.“ 354 Auch Mosiek, Effet utile und Rechtgemeinschaft, S. 30, Fn. 136 geht davon aus, dass die Handlungsform der Richtlinie damit bereits im Vorfeld ihrer Umsetzung durch Erwägungen des effet utile abgesichert wird.

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dd) Pflichten der Verwaltung und der Gerichte (1) Vollzug des Gemeinschaftsrechts Unter Vollzug des Gemeinschaftsrechts versteht man dessen Anwendung durch die Verwaltung,355 wobei verschiedene Arten zu unterscheiden sind. Von einem direkten Vollzug spricht man, wenn die Gemeinschaftsbehörden selbst das Gemeinschaftsrecht vollziehen. Dies stellt die Ausnahme dar und betrifft neben der internen Organisation der Gemeinschaftsbehörden nur die Bereiche des Wettbewerbs- und Beihilfenrechts, der Handelspolitik, der Entwicklungspolitik sowie die Verwaltung verschiedener Fonds.356 Im Regelfall wird das Gemeinschaftsrecht von den Mitgliedstaaten vollzogen, dann spricht man vom indirekten Vollzug.357 Dabei lassen sich, je nach dem, ob die Mitgliedstaaten Gemeinschaftsrecht oder das zu seiner Umsetzung ergangene nationale Recht vollziehen, zwei Unterarten unterscheiden; im ersten Fall spricht man vom sog. unmittelbaren indirekten Vollzug, im zweiten Fall vom mittelbaren indirekten Vollzug.358

355 Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 17, wie bereits erläutert versteht man hingegen unter Durchführung des Gemeinschaftsrechts allgemein dessen Anwendung im innerstaatlichen Bereich. 356 Vgl. aus der umfangreichen Literatur z. B. Gellermann in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 34, Rn. 26; v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 43; Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 29; Magiera, DÖV, 1998, S. 173 (175); Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 (925); derselbe, Verwaltungskooperation und Verwaltungskooperationsrecht in der Europäischen Gemeinschaft, EuR 1996, S. 270; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 27; Stern, Die Einwirkung des europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit, JuS 1998, S. 769 (773); Classen, Strukturunterschiede zwischen deutschem und europäischem Verwaltungsrecht, NJW 1995, S. 2457 (2458); Hirsch, Europarechtliche Perspektiven der Verwaltungsgerichtsbarkeit, VBlBW 2000 S. 71 (72). 357 Vgl. aus der Literatur Hatje, EuR, Beiheft 1, 1998, S. 7 (8); Kokott, Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, Die Verwaltung 31 (1998), S. 335; Magiera, DÖV, 1998, S. 173 (175); Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 25, 33; Hauser, Europarecht im deutschen Verwaltungsprozess (3): Vorläufiger Rechtsschutz und Gemeinschaftsrecht, VBlBW 2000, S. 377 (378); Schmidt-Aßmann, Einleitende Problemskizze, in: derselbe/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des europäischen Verwaltungsrechts, S. 10 (19); Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 18 f.; Schoch, Die Europäisierung des verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzes, DVBl. 1997, S. 289 (290). 358 Vgl. Gellermann in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 34, Rn. 27; Magiera, DÖV, 1998, S. 173 (176), diese Unterscheidung geht im Wesentlichen auf Rengeling zurück; vgl. Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug des Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 9 ff.; Scheuing, Rechtsprechungsanalyse – Europäisierung des Verwaltungsrechts, Die Verwaltung 34 (2001), S. 107 (108) unterscheidet noch eine dritte Kategorie, diejenige des „respektierenden Vollzugs“.

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Die Aufteilung des Vollzugs zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten entspricht dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung, nach dem die Gemeinschaftsorgane nur in den Bereichen für den Vollzug des Gemeinschaftsrecht zuständig sind, in denen ihnen die Mitgliedstaaten diese Kompetenz übertragen haben, und dem Subsidiaritätsprinzip.359 Aus diesem leitet sich letztlich eine „Kompetenzvermutung“ zugunsten der Mitgliedstaaten ab.360 Es ist folglich grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts zu sorgen.361 Wenn das Gemeinschaftsrecht keine eigenen Regelungen enthält,362 vollziehen es die Mitgliedstaaten nach ihrem nationalen Recht.363 Man spricht in diesem Zusammenhang vom Grundsatz der Anwendung nationaler Verfahrens- und Prozessordnungen.364 Die Mitgliedstaaten sind allerdings verpflichtet, einen 359 So auch Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 239; Hatje in: Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 34; Schmidt-Aßmann, Einleitende Problemskizze, in: derselbe/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des europäischen Verwaltungsrechts, S. 10 (18); Wegener, Rechte des Einzelnen, S. 84, der davon spricht, dass diese Aufteilung nicht nur entwicklungspolitisch bedingt sei, sondern wenigstens zum Teil eine bewusste, konzeptionelle Entscheidung; Scheuing, Die Verwaltung 34 (2001), S. 107 (110). 360 Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 110. 361 Rs. C-290/91 (Johannes Peter), Slg. 1993, I-2981, Rn. 8. 362 Hierzu zählen z. B. der Zollkodex (VO (EWG) 2913/92 des Rates vom 12.10. 1992 zur Festlegung des Zollkodexes der Gemeinschaften, ABl. 1992, L 302, S. 1) oder die Erstattungs- und Erlassverordnung (VO (EWG) 1430/79 des Rates vom 2.7.1979 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben, ABl. 1979, L 175, S. 1). 363 Vgl. Rs. 26/74 (Roquette), Slg. 1976, S. 677, Rn. 9/13; verb. Rs. 205-215/82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, S. 2633, Rn. 17; Rs. 265/78 (Ferwerda), Slg. 1980, S. 617, Rn. 10; Rs. C-290/91 (Johannes Peter), Slg. 1993, I-2981, Rn. 8; aus der Literatur z. B. Gellermann in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 34, Rn. 28; Streinz in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 23; Ehlers, Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, DVBl. 2004, S. 1441; Schwarze, Europäische Rahmenbedingungen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2000, S. 241 (244). 364 Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 31, mit weiteren Ausführungen, warum es sich empfiehlt, nicht vom „Grundsatz der Autonomie der Mitgliedstaaten“ zu sprechen; ähnlich Wegener, Die Rechte des Einzelnen, S. 83; Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 242; v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 43, der von einer irreführenden Begriffsbildung spricht, die den tatsächlichen Grad rechtlicher Verzahnung verschleiere. Wohl auch Gellermann in: Rengeling/ Middeke/Gellermann, § 34, Rn. 28, 29; Schroeder, AöR 129 (2004), S. 3 (37); a. A. Rodríguez Iglesias, Zu den Grenzen der verfahrensrechtlichen Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, EuGRZ 1997, S. 289; Götz, Europarechtliche Vorgaben für das Verwaltungsprozessrecht, DVBl. 2002 S. 1 (2); Stern, JuS 1998, S. 769; Hirsch, VBlBW 2000 S. 71 (72); Kadelbach, All-

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vollständigen, einheitlichen und effektiven Vollzug des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.365 Beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts treffen somit das Gebot einer möglichst einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts und der Grundsatz der institutionellen und verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten aufeinander.366 Der EuGH hat dies in der sog. „Soweit“-Formel367 festgehalten: „Soweit das Gemeinschaftsrecht einschließlich der allgemeinen gemeinschaftlichen Grundsätze [. . .] keine gemeinsamen Vorschriften enthält, gehen die nationalen Behörden bei [der] Durchführung der Gemeinschaftsregelungen nach den formellen und materiellen Bestimmungen ihres nationalen Rechts vor, wobei dieser Rechtssatz [. . .] mit den Erfordernissen der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Einklang gebracht werden muss, die notwendig ist, um zu vermeiden, dass die Wirtschaftsteilnehmer ungleich behandelt werden.“368

Beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts müssen die Mitgliedstaaten somit gemeinschaftsrechtliche Vorgaben beachten, die mit dem Begriff des Gemeinschaftsverwaltungsrechts bezeichnet werden.369 Das Gemeinschaftsverwaltungsrecht umfasst die Verwaltungsrechtsregelungen, die in allen oder für alle Mitgliedstaaten kraft Gemeinschaftsrecht verbindlich sind und sich mittelbar oder unmittelbar auf das Handeln nationaler Verwaltungen beziehen.370 Die Vorgaben für die Mitgliedstaaten beruhen teilweise auf Sekundärrecht,371 wurden aber größtenteils vom EuGH auf der Basis von Art. 10 EGV entwickelt.372 Die Eingriffe des Gerichtshofs in das nationale Verwaltungsrecht sind punktueller Natur, da sie sich auf Sachverhalte mit gemeinschaftsrechtlichem Bezug beschränken.373 Die Vorgaben betreffen z. B. die Verwaltungsorganisation374 und die Festlegung der Zuständigkeiten sowie gemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 113 f., der ausführt, dass mit dem Ausdruck der verfahrensrechtlichen Autonomie die Kompetenzvermutung zugunsten der Mitgliedstaaten gemeint ist. 365 Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 31. 366 Hauser, VBlBW 2000, S. 377 (378). 367 v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 44; Gellermann in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 34, Rn. 34; Burgi, Verwaltungsprozess und Europa, S. 48. 368 Verb. Rs. 205-215/82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, S. 2633, Rn. 17. 369 v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 43, 44. 370 Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 (926). 371 Z. B. im Zoll- oder im Agrarrecht, s. dazu auch Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289. 372 So auch Schroeder, AöR 129 (2004), S. 3 (5). 373 Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), S. 335, 336; Classen, Die Europäisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 186 f., der den punktuellen Eingriffen den Vorteil abgewinnt, dass sie in zeitlicher Hinsicht flexibel sind. Durch die dem EuGH gegebene Steuerungsmöglichkeit könnten so auch Brüche vermieden werden, wie beispielsweise im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes.

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das Verwaltungsverfahren.375 Nachdem das Verfahrensrecht die Funktion hat zu gewährleisten, dass das materielle Recht möglichst effizient angewendet werden kann, muss es auch die Gemeinschaftsinteressen berücksichtigen und darf die Durchführung des Gemeinschaftsrechts nicht verhindern oder erschweren.376 Zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem nationalen Vollzugsrecht, d.h. dem Verwaltungsorganisations- und Verfahrensrecht können sich leicht Kollisionen ergeben. Den Hauptanwendungsfall bilden dabei die sog. indirekten Kollisionen, bei denen eine nationale Vollzugsnorm im konkreten Anwendungsfall mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben kollidiert.377 Es sind diejenigen Fälle, in denen sich die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich nach dem nationalen Recht richtet, wo es aber durch dessen unterschiedliche Ausgestaltung zu einer Gefährdung eines einheitlichen Vollzugs kommt.378 Plastisches Beispiel für eine indirekte Kollision ist der Konflikt zwischen den gemeinschaftlichen Vorgaben über die Rückforderung unrechtmäßig vergebener Beihilfen und den nationalen Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit im Verwaltungsverfahren.379 Die Defizite im Bereich des Verwaltungsrechts treten besonders häufig bei der Verwaltung der gemeinschaftlichen Finanzmittel oder der Vergabe von staatlichen Beihilfen auf.380 Sie beruhen in erster Linie auf den großen Unterschieden zwischen den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, das Ver374 v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 43a unter Verweis auf das Urteil in den verb. Rs. 51-54/71 (International Fruit), Slg. 1971, S. 1107, Rn. 3/4; Gellermann in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 34, Rn. 28. 375 So auch Hatje in: Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 36, 37. 376 Hirsch, VBlBW 2000 S. 71 (72, 75). Darin drückt sich das Effektivitätsgebot aus, s. dazu sogleich. 377 Gellermann in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 34, Rn. 23, 24; Lück, Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip im Recht der Europäischen Gemeinschaft, S. 29. Bei einer direkten Kollision kommt die Regel vom Anwendungsvorrang zum Tragen. Es kommt sozusagen zu einem Normwiderspruch ohne dass die betreffende gemeinschaftsrechtliche und die betreffende nationale Norm unmittelbar auf ein und denselben Sachverhalt anwendbar sind; vgl. Stern, JuS 1998, S. 769 (773); v. Danwitz, Die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten für die Durchführung von Gemeinschaftsrecht, DVBl. 1998, S. 421 (422); Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 26 f., eine indirekte Kollision liegt vor, wenn es zum Konflikt zwischen zwei Normen kommt, die verschiedene Materien regeln. 378 Schwarze, Vorläufiger Rechtsschutz im Widerstreit von Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsverfahrens- und Prozessrecht, FS Börner, S. 389 (391). 379 Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 26. 380 Magiera, DÖV, 1998, S. 173 (178); s. ausführlich zu den Defiziten beim mitgliedstaatlichen Vollzug, Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S. 110 ff.

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waltungsrecht ist nämlich durch den nationalen Charakter seiner Regelungen geprägt.381 Hatje bezeichnet die Vollzugsdefizite treffend als „offene Flanke des Grundsatzes der einheitlichen Geltung und Anwendbarkeit“ des Gemeinschaftsrechts.382 Der Vollzug des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten hat von Beginn an für Schwierigkeiten gesorgt, da sich die Mitgliedstaaten dabei in einer konfliktgeladenen Doppelrolle befinden. Einerseits sind sie beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 10 EGV zur Loyalität gegenüber der Gemeinschaft verpflichtet, andererseits besteht die Versuchung, dabei eigene Interessen zu verfolgen.383 Diese Problematik ergibt sich in erster Linie aus der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, die Gemeinschaft ist nämlich in erster Linie Rechtsetzungsgemeinschaft.384 (2) Äquivalenz- und Effektivitätsgebot Eine Gefährdung der Durchführung des Gemeinschaftsrechts stellt zugleich eine Gefährdung seiner Wirksamkeit dar. Neben einer wirksamen Durchführung ist es nach Auffassung des EuGH auch essenziell, eine einheitliche Anwendung385 zu gewährleisten, um eine potentielle Diskriminierung der Marktbürger untereinander zu vermeiden. Diesen zwei Aspekten tragen die vom EuGH auf der Basis von Art. 10 EGV entwickelten Prinzipien386 des Äquivalenz-387 und des Effektivitätsgebots388 Rechnung. Sie 381 Schwarze, Konvergenz im Verwaltungsrecht der EU-Mitgliedstaaten, DVBl. 1996, S. 881. 382 Hatje, EuR, Beiheft 1, 1998, S. 7 (8). 383 Schroeder, AöR 129 (2004) S. 3 (4). 384 Scheuing, Die Verwaltung 34 (2001), S. 107; v. Danwitz, DVBl. 1998, S. 421 (431). 385 Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), S. 335, zur Bedeutung der einheitlichen Anwendung auch Schroeder, AöR 129 (2004), S. 3 (14 ff.), der die Prinzipien der „einheitlichen Anwendung“ und der „praktischen Wirksamkeit“ unter dem Grundsatz der „einheitlichen Wirksamkeit“ zusammenfasst. 386 Gellermann in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 34, Rn. 34 spricht von „Doppelschranke“; ebenso wie z. B. v. Danwitz, DVBl. 1998, S. 421 (422). 387 Früher vom EuGH Diskriminierungsverbot genannt. Seit der Rs. Palmisani (C-261/95, Slg. 1997, I-4025) spricht er vom Gleichwertigkeits- oder Äquivalenzgebot. V. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 45, stellt weitere Überlegungen dazu an, ob sich aus der begrifflichen Änderung auch inhaltliche Änderungen ergeben könnten, ähnlich wohl auch Gellermann in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 34, Rn. 35. Zuzustimmen ist jedoch Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 31, der der Ansicht ist, dass sich aus der Begriffsänderung keine inhaltliche Änderung ergibt; ebenso Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter euro-

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sind Maßstab im nationalen Verwaltungs- und Prozessrecht, indem sie dessen Anwendung Grenzen setzen.389 Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten endet mit anderen Worten dort, wo die Anwendung der nationalen Verfahrensregeln sich in diskriminierender Weise auf das Gemeinschaftsrecht auswirkt oder dessen Effektivität beeinträchtigt.390 Das Äquivalenzgebot verbietet, dass bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts „Unterschiede im Vergleich zu Verfahren gemacht werden, in denen über gleichartige, aber rein nationale Rechtsstreitigkeiten entschieden wird.“391 Die Betroffenen sollen keinen Nachteil dadurch erleiden, dass sie sich auf das Gemeinschaftsrecht anstelle des nationalen Rechts berufen.392 Der Äquivalenzgrundsatz verlangt deshalb, dass die Verfahren zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts nicht weniger günstig ausgestaltet sein dürfen, als Verfahren, die nur innerstaatliche Sachverhalte betreffen. Die Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften darf gegenüber den Verfahren zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts nicht in einer diskriminierenden Weise erfolgen.393 päischem Einfluss, S. 115 f.; v. Danwitz, Anmerkung, JZ 1999, S. 198; Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 195 f. 388 Früher vom EuGH Beeinträchtigungsverbot genannt, in der Literatur teilweise auch als Effizienzgebot bezeichnet; so z. B. Burgi, Verwaltungsprozess und Europa, z. B. S. 48; zu Recht kritisch diesbezüglich Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 115, Fn. 365. 389 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 63, 64; der EuGH hat diese beiden Prinzipien in den Rs. Rewe (33/76, Slg. 1976, S. 1989) und Comet (45/76, Slg. 1976, S. 2043) entwickelt, in denen er sich zum ersten Mal zu den gemeinschaftlichen Anforderungen an das nationale Verfahrensrecht äußerte; s. dazu auch Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 193 f.; Oliver, Interim Measures: Some recent developments, CMLRev. 1992, S. 7 (13). Zu Recht weist Scheuing, Die Verwaltung 34 (2001), S. 107 (109) darauf hin, dass es nicht um eine Verdrängung oder Ersetzung des mitgliedstaatlichen Rechts geht. 390 So Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 (295); vgl. auch Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 291, für den die Kompetenz der Mitgliedstaaten zum Vollzug des Gemeinschaftsrechts mit deren Verantwortung für dessen Effektivität einhergeht. 391 Verb. Rs. 205-215/82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, S. 2633, Rn. 23, 19. 392 So auch Berninghausen, Die Europäisierung des Vertrauensschutzes, S. 50. 393 Rs. 54/81 (Fromme), Slg. 1982, S. 1449, Rn. 7; verb. Rs. 119 und 126/79 (Lippische Hauptgenossenschaft), Slg. 1980, S. 1863, Rn. 10; Rs. C-343/96 (Dilexport), Slg. 1999, I-579, Rn. 27. Nicht unproblematisch ist die Frage, welches nationale Verfahren den Vergleichsmaßstab bilden soll, vgl. v. Bogdandy in: Grabitz/ Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 45. Darauf kann im vorliegenden Zusammenhang allerdings nicht näher eingegangen werden. Vgl. zur näheren Ausgestaltung des Äquivalenzgrundsatzes z. B. verb. Rs. C-279/96, C-280/96 und C-281/96 (Ansaldo), Slg. 1998, I-5025, Rn. 29; Rs. C-231/96 (Edis), Slg. 1998, I-4951, Rn. 36; Rs. C-260/96 (Spac), Slg. 1998, I-4997,

C. Analyse der Urteile des EuGH

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Das Effektivitätsgebot verlangt darüber hinaus, dass „die Anwendung des nationalen Rechts die Tragweite und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht beeinträchtig[t]“;394 die Verwirklichung der Gemeinschaftsregelung darf somit nicht praktisch unmöglich gemacht werden.395 Dieses Gebot korrespondiert mit der Pflicht der Mitgliedstaaten, für die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu sorgen und gewährleistet die Sicherstellung eines gewissen Mindeststandards.396 Der Begriff der praktischen Unmöglichkeit ist dehnbar und beinhaltet einen beträchtlichen Spielraum für den EuGH,397 weshalb man dem Effektivitätsgrundsatz durchaus „erhebliche Sprengkraft“398 zuschreiben kann. Das Effektivitätsgebot impliziert nicht, dass jede nationale Regelung, die das Gemeinschaftsrecht behindert, als unzulässig anzusehen ist; gewisse Besonderheiten des nationalen Verwaltungsrechts können bestehen bleiben. Festzulegen ist, wann eine nationale Vorschrift die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts praktisch unmöglich macht. Für den EuGH ist das entscheidende Kriterium, dass die nationale Vorschrift eine gewissen „Grad empirischer Wirksamkeitsschmälerung“ nicht überschreiten darf.399 Seine Rechtsprechung ist deshalb wohl so zu verstehen: je mehr eine nationale Vorschrift dem Gemeinschaftsrecht bzw. den anderen Rechtsordungnen entspricht, desto weniger Einfluss haben ihre empirischen Wirkungen auf die Entscheidung, ob sie mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.400 Die Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes setzt somit eine Abwägung zwischen der Gestaltungsautonomie der Mitgliedstaaten und dem gemeinschaftlichen Interesse an einem wirksamen Recht voraus. Er ist im Sinne eines Optimierungsgebots zu verstehen, demzufolge die Verwaltungs- und Gerichtsorgane der Mitgliedstaaten die Wahrscheinlichkeit zu minimieren haben, dass ein gemeinschaftsrechtswidriger Zustand entsteht bzw. andauert.401 Die nationale Vorschrift darf nicht angewendet werden, wenn bei Rn. 20; Rs. C-228/96 (Aprile Srl), Slg. 1998, I-7141, Rn. 20; Rs. C-326/96 (Levez), Slg. 1998, I-7835, Rn. 39, 41. 394 Verb. Rs. 205-215/82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, S. 2633, Rn. 22. 395 Verb. Rs. 205-215/82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, S. 2633, Rn. 19; Rs. 309/85 (Barra), Slg. 1988, S. 355, Rn. 18. 396 Magiera, DÖV 1998, S. 173 (177). 397 So auch Gellermann in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 34, Rn. 42; Schmidt-Aßmann, Die Europäisierung des Verwaltungsverfahrensrechts, Festgabe Bundesverwaltungsgericht, S. 487 (489) spricht von Unbestimmtheit des Begriffs. 398 Ehlers, DVBl. 2004, S. 1441 (1442); Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 (931) spricht von der dem Effektivitätsgebot innewohnenden Dynamik. 399 Nettesheim, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, GS Grabitz, S. 447 (459). 400 Nettesheim, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, GS Grabitz, S. 447 (460).

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

einem hypothetischen Vergleich zwischen dem Zustand bei Anwendung der nationalen Regelung und dem bei Nichtanwendung derselben Regelung Wirksamkeitsunterschiede entstehen, die im Sinne der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht mehr akzeptiert werden können.402 Das Effektivitätsgebot hat also eine negative Schrankenfunktion im Anwendungsbereich des nationalen Rechts.403 Problematisch ist, dass der EuGH in seiner Rechtsprechung keine Kriterien entwickelt hat, wann eine nationale Regelung dem Effektivitätsgebot nicht mehr entspricht. Erste Ansätze zu einer Konkretisierung lassen sich wohl der Rechtssache Peterbroeck404 entnehmen.405 Das Diskriminierungsverbot verlangt, wie bereits dargestellt, dass nationale und gemeinschaftsrechtliche Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden und betont dadurch die Unterschiede zwischen den Verwaltungsrechten der Mitgliedstaaten. Das Effektivitätsgebot verlangt andererseits gerade eine unterschiedliche Anwendung des mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechts, um eine einheitliche Durchführung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen.406 Das Diskriminierungsverbot steht somit in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Effektivitätsgebot, das in dem Sinne aufgelöst werden kann, dass man einen Vorrang des Gebots der Vermeidung der praktischen Unmöglichkeit vor dem Diskriminierungsverbot annimmt.407 Das heißt sozusagen, dass das nationale Vollzugsrecht nur so 401 Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 117; Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 (931); Scheuing, Europarechtliche Impulse für innovative Ansätze im deutschen Verwaltungsrecht, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 289 (290, 308) spricht von „Koordinierungsformel“. 402 Berninghausen, Die Europäisierung des Vertrauensschutzes, S. 53; Nettesheim, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, GS Grabitz, S. 447 (459). 403 Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 115. 404 Rs. C-312/93 (Peterbroeck), Slg. 1995, I-4599. 405 s. dazu sogleich Kapitel C. III. 2. c) dd) (4). 406 v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, S. 346. 407 Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 135; Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 65; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, S. 347; vgl. Rs. 199/82 (San Giorgio), Slg. 1983, S. 3595, Rn. 17 und die Schlussanträge von GA Darmon in der Rs. 94/87 (Kommission/Deutschland), Slg. 1989, S. 175, Rn. 10: „Hinzuweisen ist jedoch auf das Urteil in der Rechtssache San Giorgio, das [. . .] eine entscheidende Klarstellung von meiner Meinung nach allgemeiner Tragweite enthält. Das Verbot, die Ausübung eines auf eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift gegründeten Rechts praktisch unmöglich zu machen, hat Vorrang vor dem Verbot der ungleichen Be-

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lange in nicht-diskriminierender Weise angewendet werden muss, wie das nicht zur praktischen Unmöglichkeit des Gemeinschaftsrechts führt. Das Diskriminierungsverbot muss also nicht weiter gehen als der effet utile das erfordert.408 Der EuGH erwähnt die beiden Prinzipien in der Regel in seinen Urteilen gemeinsam. So hat er unzählige Male festgehalten, dass in Ermangelung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie die mitgliedstaatlichen Vorschriften Anwendung finden, dass diese aber „zum einen nicht weniger günstig gestaltet sein dürfen als diejenigen für entsprechende Fälle (Äquivalenzgrundsatz) und zum anderen die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz).“409 Die beiden Grundsätze gelten z. B. für die Einzelheiten des Verfahrens der Umweltverträglichkeitsprüfung410 oder für die Festlegung der Folgen einer Fristüberschreitung.411 In vielen Fällen hat der Gerichtshof außerdem festgestellt, dass das Effektivitäts- und das Äquivalenzgebot für die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von Verfahren gelten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen.412 Die Mitgliedstaaten müssen überdies natürlich grundsätzlich dafür sorgen, dass sie über ein effektives Rechtsschutzsystem verfügen, mittels dessen die gehandlung von Klagen, die auf einen Verstoß gegen Gemeinschaftsvorschriften, und solchen, die ausschließlich auf innerstaatliche Rechtsvorschriften gestützt werden.“ 408 Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 119; Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 66. 409 Vgl. Rs. C-245/03 (Merck, Sharp & Dohme BV), Slg. 2005, I-637, Rn. 29. 410 Z. B. Rs. C-201/02 (Wells), Slg. 2004, I-723, Rn. 67. 411 Z. B. Rs. C-245/03 (Merck, Sharp & Dohme BV), Slg. 2005, I-637, Rn. 29. 412 Rs. C-231/96 (Edis), Slg. 1998, I-4951, Rn. 34; so auch Rs. C-120/97 (Upjohn), Slg. 1999, I-223, Rn. 32; Rs. C-260/96 (Spac), Slg. 1998, I-4997, Rn. 18; Rs. C-228/96 (Aprile Srl), Slg. 1998, I-7141, Rn. 18; Rs. C-326/96 (Levez), Slg. 1998, I-7835, Rn. 18; Rs. C-343/96 (Dilexport), Slg. 1999, I-579, Rn. 25; Rs. C-78/98 (Preston), Slg. 2000, I-3201, Rn. 31; Rs. C-88/99 (Roquette II), Slg. 2000, I-10465, Rn. 21; verb. Rs. C-52/99 und C-53/99 (Camarotto), Slg. 2001, I-1395, Rn. 21; verb. Rs. C-397/98 und C-410/98 (Hoechst), Slg. 2001, I-1727, Rn. 85; Rs. C-255/00 (Grundig Italiana), Slg. 2002, I-8003, Rn. 33; Rs. C-63/01 (Evans), Slg. 2003, I-14447, Rn. 45; verb. Rs. C-279/96, C-280/96 und C-281/96 (Ansaldo), Slg. 1998, I-5025, Rn. 27; Rs. C-261/95 (Palmisani), Slg. 1997, I-4025, Rn. 27; Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297, Rn. 29; Rs. C-62/00 (Marks & Spencer), Slg. 2002 I-6325, Rn. 34; Rs. C-246/96 (Magorrian), Slg. 1997, I-7153, Rn. 37; Rs. C-312/93 (Peterbroeck), Slg. 1995, I-4599, Rn. 12; verb. Rs. C-10/97 bis C-22/97 (IN.CO.GE.’90), Slg. 1998, I-6307, Rn. 25; Rs. C-394/93 (Alonso-Perez), Slg. 1995, I-4101, Rn. 28; Rs. C-467/01 (Eribrand), Slg. 2003, I-6471, Rn. 62; Rs. C-30/02 (Recheio), Slg. 2004, I-6051, Rn. 17.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

meinschaftsrechtlich begründeten Rechte auch tatsächlich verfolgt werden können413 und die Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts sichergestellt werden kann.414 (3) Fallbeispiele aus der Rechtsprechung des EuGH und deren Auswirkungen auf das nationale Verfahrens- und Prozessrecht Nachdem bereits auf die dem Effektivitätsprinzip innewohnende Sprengkraft hingewiesen wurde, soll nun die Rechtsprechung des EuGH auf die Folgen hin untersucht werden, die sich aus dem Effektivitätsgebot für das nationale Verfahrensrecht ergeben.415 Von Kritikern wird dem Gerichtshof dabei immer wieder vorgeworfen, er entscheide nur zugunsten der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und berücksichtige den Grundsatz der Anwendung der nationalen Prozessrechte nicht in angemessener Weise. Anhand einiger Fallbeispiele aus der Rechtsprechung soll geprüft werden, ob die geäußerte Kritik berechtigt ist. (a) Beihilfenrecht Ein wichtiger Bereich, in dem der EuGH in verschiedenen Urteilen in das nationale Verwaltungsrecht eingegriffen hat, ist das Beihilfenrecht. Nach der Rechtsprechung des Gerichthofs ist dabei, was die Eingriffstiefe in das nationale Recht anbelangt, grundsätzlich zwischen der Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Gemeinschaftsbeihilfen416 und der Rückforderung von nationalen Beihilfen417 zu unterscheiden. 413 Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S. 404, vgl. dazu Rs. 222/84 (Johnston), Slg. 1986, S. 1651, Rn. 13 f., insbes. Rn. 17 und Rs. 222/86 (Heylens), Slg. 1987, S. 4097, Rn. 14 f.; s. auch schon die Rs. 13/68 (Salgoil), Slg. 1968, S. 680, in der der EuGH festgehalten hat, dass „die Behörden und insbesondere die zuständigen Gerichte der Mitgliedstaaten dazu [verpflichtet sind], die Interessen der durch eine etwaige Verletzung der genannten Vorschriften betroffenen Einzelnen zu wahren, indem sie diesen einen unmittelbaren und sofortigen Schutz gewähren.“ 414 Rs. C-467/01 (Eribrand), Slg. 2003, I-6471, Rn. 61; Rs. 222/84 (Johnston), Slg. 1986, S. 1651, Rn. 19. 415 Die Auswirkungen des Effektivitätsgebots auf das Verwaltungsorganisationsrecht können in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden, da dort Konflikte nur ausnahmsweise auftreten, so auch Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 131; vgl. z. B. auch den Rechtsprechungsbericht „Die Rechtsprechung des EuGH zum allgemeinen Verwaltungsrecht – Teil 2“ von Gornig/Trüe, JZ 1993, S. 934 ff. 416 Vgl. dazu die verb. Rs. 205-215/82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, S. 2633 und die Rs. C-298/96 (Ölmühle), Slg. 1998, I-4767. 417 Vgl. Rs. C-24/95 (Alcan), Slg. 1997, I-1591.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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Die Rechtssache Alcan418 betraf die staatliche Subventionierung einer Aluminiumhütte, die jedoch der Kommission entgegen Art. 88 Abs. 3 EGV nicht notifiziert worden war. Strittig war in dem Ausgangsverfahren, ob sich der Beihilfenempfänger auf den nach deutschem Recht vorgesehenen Vertrauensschutz berufen und die Rückzahlung der Beihilfe verweigern könne. Der EuGH entschied auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichtshofs, dass die Rückforderung einer nationalen Beihilfe grundsätzlich nach nationalem Recht erfolge, der im nationalen Recht vorgesehene Vertrauensschutz die vorgeschriebene Rückforderung aber nicht praktisch unmöglich machen dürfe. In dem Ausgangsverfahren sei kein berechtigtes Vertrauen des Beihilfeempfängers anzunehmen, da die Notifizierung an die Kommission nicht erfolgt sei.419 Der Gerichtshof hat damit klargestellt, dass der Mitgliedstaat für die rechtswidrige Beihilfe verantwortlich ist und sich nicht auf den Vertrauensschutz des Empfängers berufen kann. Der Empfänger kann andererseits nicht auf die Rechtsmäßigkeit der Beihilfe vertrauen und die unterbliebene Notifizierung nicht geltend machen. Der EuGH verlangt von den Betroffenen, dass sie sich selber entsprechend informieren. Mögliche Entreicherungs- oder Treuwidrigkeitseinwände kommen nicht zur Anwendung.420 Die Behörden müssen außerdem auch nationale Fristenbestimmungen unangewendet lassen, wenn sie die Rücknahme eines gemeinschaftsrechtswidrigen Bescheides über eine staatliche Beihilfe verhindern, mit dem eine bestandskräftige Entscheidung der Kommission ausgeführt wird. Um die Rückforderung von Beiträgen aufgrund einer EG-Verordnung ging es u. a. in den Rechtssachen Deutsche Milchkontor421 und Ölmühle.422 In dem erstgenannten Urteil hatte der EuGH entschieden, dass das Gemeinschaftsrecht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die für den Ausschluss einer Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Beiträgen z. B. auf den Vertrauensschutz abstellen, wenn dafür die gleichen Voraussetzungen gelten wie für die Wiedereinziehung rein nationaler Geldleistungen und das Interesse der Gemeinschaft berücksichtigt wird.423 In seinem Urteil in der Rechtssache Ölmühle424 stellte der EuGH klar, dass sich die Aussagen 418

Rs. C-24/95 (Alcan), Slg. 1997, I-1591. Vgl. Rn. 42 des Urteils: „Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens würde die Nichtrücknahme des Beihilfebescheids das Gemeinschaftsinteresse schwer beeinträchtigen und die gemeinschaftsrechtlich gebotene Rückforderung praktisch unmöglich machen.“ 420 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 74, bezeichnet sie als „unbeachtlich“; v. Danwitz, JZ 1999, S. 198 (200) bezeichnet das Urteil deshalb als „strikt vertrauensschutznegierende Judikatur“. 421 Verb. Rs. 205-215/82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, S. 2633. 422 Rs. C-298/96 (Ölmühle), Slg. 1998, I-4767. 419

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

aus dem Alcan-Urteil425 nicht auf die Rückforderung von Gemeinschaftsbeihilfen übertragen lassen. Die Sachverhalte seien unterschiedlich gelagert, bei den Gemeinschaftsbeihilfen fehle der den nationalen Unternehmen eingeräumte Wettbewerbsvorteil, der typisch für staatliche Beihilfen sei. Staatliche Beihilfen stehen sozusagen unter Protektionismusverdacht, Gemeinschaftsbeihilfen sind erwünschte Steuerungsinstrumente.426 Im Falle der Rückforderung zu Unrecht gezahlter Gemeinschaftsbeihilfen sei somit eine Berufung auf den Vertrauensschutz oder den guten Glauben möglich. Für den Fall der Rückforderung nationaler Beihilfen legt der EuGH somit strengere Maßstäbe an. Er verfolgt dabei eine „unnachgiebige Linie“,427 die sich u. a. aus der Rolle der nationalen Behörden bei der Gewährung von gemeinschaftswidrigen nationalen Beihilfen erklärt. Es besteht somit ein „fundamentaler Unterschied“428 zwischen der Rückforderung rechtswidriger nationaler Subventionen und der Rückabwicklung rechtswidriger Gemeinschafsbeihilfen. Die Rückforderung von nationalen Beihilfen liegt nur im Interesse der Mitgliedstaaten, woraus sich die Geltung strengerer Kriterien rechtfertigt.429 Könnte sich der Beihilfenempfänger bei den zu Unrecht gezahlten nationalen Beihilfen auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen, würde der ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteil geschützt, der gerade durch die gemeinschaftsrechtlichen Regeln unterbunden werden soll.430 Das Alcan-Urteil431 des EuGH wurde in der Literatur teilweise scharf kritisiert.432 Es wurde z. B. bemängelt, dass der Gerichtshof die Rolle der na423 Vgl. Urteil Rn. 30. Dort hält der EuGH fest, dass die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit Bestandteil der Rechtsordnung der Gemeinschaft sind, und deshalb auch von den Mitgliedstaaten geschützt werden können. „Eine Untersuchung der nationalen Regelungen der Mitgliedstaaten über die Rücknahme von Verwaltungsakten und die Rückforderung von zu Unrecht gewährten öffentlichen Geldleistungen zeigt im Übrigen, dass das Bestreben, in der einen oder anderen Form ein Gleichgewicht zwischen dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung einerseits sowie dem Grundsatz der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes andererseits herzustellen, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam ist.“ 424 Rs. C-298/96 (Ölmühle), Slg. 1998, I-4767. 425 Rs. C-24/95 (Alcan), Slg. 1997, I-1591. 426 Scheuing, Die Verwaltung 34 (2001), S. 107 (126). 427 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 74. 428 Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 (293); s. auch Hoenike, Anmerkung zu der Rs. C-24/95 (Alcan), Slg. 1997, I-1591, EuZW 1997, S. 279 (280); Berninghausen, Die Europäisierung des Vertrauensschutzes, S. 64. 429 s. ausführlich zu der unterschiedlichen Handhabung durch den EuGH und deren Rechtfertigung: Scheuing, Die Verwaltung 34 (2001), S. 107 (123 f.); vgl. auch Schmidt-Aßmann, Die Europäisierung des Verwaltungsverfahrensrechts, Festgabe Bundesverwaltungsgericht, S. 487 (498). 430 Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 (294).

C. Analyse der Urteile des EuGH

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tionalen Behörden auf die Durchführung der Entscheidung der Kommission reduziere und dass diese bezüglich der Rücknahme des Bewilligungsbescheids über keinerlei Ermessen verfügten.433 Andererseits warf man dem EuGH vor, er räume dem Gemeinschaftsinteresse an der Rückgängigmachung gemeinschaftswidriger nationaler Beihilfen den absoluten Vorrang vor den Individualinteressen ein und setze damit praktisch das nationale Verwaltungsverfahrensrecht in wesentlichen Teilen außer Kraft.434 Er sei mit diesem Urteil an die Grenzen dessen gegangen, was akzeptanzfähig erscheine.435 Solch scharfe Töne sind angesichts der vom EuGH vorgenommenen ausgewogenen Entscheidung nicht angebracht. Er hält fest, dass das Gemeinschaftsrecht nationalen Rechtsvorschriften nicht widerspricht, die das berechtigte Vertrauen und die Rechtssicherheit schützen. Er kommt hingegen zu dem Schluß, dass ein berechtigtes Vertrauen nicht vorliegt, wenn eine Beihilfe unter Verletzung der Notifizierungspflicht gewährt worden ist und deshalb auch kein Vertrauensschutz geltend gemacht werden könne.436 Der Gerichtshof verlangt somit von den Begünstigten einer Beihilfe eine größere Sorgfaltspflicht, begeht dadurch aber nicht, wie ihm teilweise vorgeworfen wurde,437 eine Überschreitung seiner Kompetenzen.438 Er nimmt auch keine „Überstrapazierung“439 des Effektivitätsgebots vor. Der Gerichtshof hat nämlich damit Recht, dass die beschriebenen Einschränkungen nötig sind, um die Effektivität des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen. Die vom EuGH getroffene Unterscheidung zwischen nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Beihilfen basiert auf nachvollziehbaren Gründen und zeugt von einer ausgewogenen Argumentation und seinem Bestreben, die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten so weit als möglich zu schonen bzw. zu respektieren.440

431

Rs. C-24/95 (Alcan), Slg. 1997, I-1591. s. z. B. Scholz, Zum Verhältnis von europäischem Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsverfahrensrecht, DÖV 1998, S. 261 f. mit sehr scharfer, größtenteils nicht nachvollziehbarer Kritik. 433 Schroeder, AöR 129 (2004), S. 3 (9). 434 So Scholz, DÖV 1998, S. 261 f.; Schroeder, AöR 129 (2004), S. 3 (9). 435 Kahl in: Calliess/Ruffert, 2. Auflage, Art. 10 EGV, Rn. 59. 436 Vgl. Rs. C-24/95 (Alcan), Slg. 1997, I-1591, Rn. 25. 437 Scholz, DÖV 1998, S. 261 (265). 438 So zutreffend auch Winkler, Das „Alcan“-Urteil des EuGH – eine Katastrophe für den Rechtsstaat?, DÖV 1999, S. 148 (149) m. w. N. 439 Winkler, DÖV 1999, S. 148 (151), der aber hier fälschlicherweise von Effizienzgebot spricht. 440 Zustimmend auch Scheuing, Die Verwaltung 34 (2001), S. 107 (123). 432

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

(b) Fristenregelungen Angemessene nationale Klage- oder andere Ausschlussfristen für die Geltendmachung eines Rechts sind grundsätzlich mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, sofern sie den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität entsprechen, da sie der Rechtssicherheit dienen.441 Diese Fristen sind selbst dann zulässig, wenn sie in Einzelfällen dazu führen, dass gemeinschaftsrechtlich begründete Ansprüche nicht geltend gemacht werden können.442 Der Gerichtshof hat für den Fall der Rückgewähr gemeinschaftswidrig eingezogener Beträge anerkannt, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit, die sowohl den Abgabenpflichtigen als auch die Behörde schützt, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.443 Solche Fristen seien nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren.444 Der EuGH hat außerdem entschieden, dass sich die Frage der Möglichkeit einer rückwirkenden Anwendung der Modalitäten zur Geltendmachung der Erstattung gemeinschaftsrechtswidriger nationaler Abgaben nach nationalem Recht richtet, solange sie die Wahrung des Effektivitätsgrundsatzes nicht beeinträchtigt.445 Es sei möglich, die Frist zu verkürzen, die neue Frist müsse jedoch angemessen sein und es müsse eine Übergangsregelung vorgesehen werden.446 Eine Ausschlussfrist ist nach Ansicht des Gerichtshofs mit dem Grundsatz der Effektivität vereinbar, weil die Festsetzung angemessener Rechtsbehelfsfristen in Form von Ausschlussfristen ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist.447 Für Diskussionsstoff im Bereich nationaler Fristenregelungen hatte die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Emmott448 gesorgt. Im Aus441

Rs. C-261/95 (Palmisani), Slg. 1997, I-4025, Rn. 28. Vgl. Rs. 386/87 (Bessin und Salson), Slg. 1989, S. 3551. 443 Rs. C-343/96 (Dilexport), Slg. 1999, I-579, Rn. 26; Rs. 33/76 (Rewe), Slg. 1976, S. 1989, Rn. 5; Rs. 45/76 (Comet), Slg. 1976, S. 2043, Rn. 17, 18; Rs. 61/79 (Denkavit italiana), Slg. 1980, S. 1205, Rn. 23; Rs. C-261/95 (Palmisani), Slg. 1997, I-4025, Rn. 28; Rs. C-90/94 (Haahr Petroleum), Slg. 1997, I-4085, Rn. 48. 444 Rs. C-231/96 (Edis), Slg. 1998, I-4951, Rn. 35; C-260/96 (Spac), Slg. 1998, I-4997, Rn. 19; Rs. C-228/96 (Aprile Srl.), Slg. 1998, I-7141, Rn. 19; Rs. C-255/00 (Grundig Italiana), Slg. 2002, I-8003, Rn. 34; Rs. 33/76 (Rewe), Slg. 1976, S. 1989, Rn. 5; Rs. 45/76 (Comet), Slg. 1976, S. 2043, Rn. 17, 18; Rs. C-188/95 (Fantask), Slg. 1997, I-6783, Rn. 48. 445 Rs. C-255/00 (Grundig Italiana), Slg. 2002, I-8003, Rn. 36. 446 Rs. C-255/00 (Grundig Italiana), Slg. 2002, I-8003, Rn. 37; Rs. C-62/00 (Marks & Spencer), Slg. 2002, I-6325, Rn. 38. 447 Rs. C-261/95 (Palmisani), Slg. 1997, I-4025, Rn. 28; Rs. C-30/02 (Recheio), Slg. 2004, I-6051, Rn. 18, 24, 25. 442

C. Analyse der Urteile des EuGH

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gangsverfahren hatte sich die Klägerin auf die in der Richtlinie 79/7449 vorgesehenen Leistungsansprüche berufen, die nationalen Behörden hingegen auf die Nichteinhaltung der im EG-Recht vorgesehenen Fristen. Das vorlegende Gericht wollte wissen, ob diese Fristbestimmungen bei unzureichender Umsetzung der Richtlinie dem Anspruchsberechtigten entgegengehalten werden können. Der EuGH entschied, dass die Frist für die Erstattung von Abgaben, die unter Verstoß gegen eine Richtlinie erhoben wurden, erst mit der ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie zu laufen beginnt. Das bedeutet sozusagen, dass sich der säumige Mitgliedstaat bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie nicht auf die Verspätung einer Klage berufen kann, die ein Einzelner zum Schutz seiner ihm durch die Richtlinie verliehenen Rechte gegen ihn erhoben hat. Die Klagefrist des nationalen Rechts kann somit erst zu diesem Zeitpunkt beginnen. Die Reaktionen auf diese Entscheidung fielen größtenteils negativ aus. Man warf dem EuGH einen einseitigen Umgang mit dem Wirksamkeitsgedanken vor,450 da er die Rechtssicherheit nicht ausreichend berücksichtigt habe und hinter die Durchsetzung des materiellen Richtlinienrechts stelle,451 indem er der Durchsetzung der durch die Richtlinie begründeten Rechte der Marktbürger den Vorrang einräume. Der EuGH habe keine ausreichende Auseinandersetzung mit den Grundsätzen der Bestandskraft von Verwaltungsakten oder der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen vorgenommen,452 weshalb ihm vorgeworfen wurde, er greife zu sehr in das nationale Verfahrensrecht ein.453 Die Tragweite der Aussagen des Gerichtshofs war aber geringer als ursprünglich befürchtet,454 da er in der Folgerechtsprechung, vor allem mit seinem Urteil in der Rechtssache Fanatsk455 zur Klärung beigetragen hat. Darin entschied er nämlich, dass aus dem Emmott-Urteil keine allgemeine 448

Rs. C-208/90 (Emmott), Slg. 1991, I-4269. Richtlinie 79/7 des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit, ABl. 1979, L 6, S. 24 (im Folgenden Richtlinie 79/7). 450 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 76. 451 Götz, DVBl. 2002, S. 1 (5), der davon spricht, dass die Emmott-Doktrin „hochbedenklich“ war. 452 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 76. 453 Gundel, Keine Durchbrechung nationaler Verfahrensfristen zugunsten von Rechten aus nicht umgesetzten EG-Richtlinien, NVwZ 1998, S. 910 (912 f.) m. w. N. 454 Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 (292). 455 Rs. C-188/95 (Fantask), Slg. 1997, I-6783; Gundel, NVwZ 1998, S. 910 (913, 915), der eine erste Relativierung in den Rechtssachen Steenhorst-Neerings (Rs. C-338/91, Slg. 1993, I-5475) und Johnson (Rs. C-410/92, Slg. 1994, I-5483) fest449

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Regel abgeleitet werden könne und die Entscheidung durch die Umstände des Einzelfalls bedingt gewesen sei.456 Er hat somit eine allgemeine Fristenhemmung zugunsten nicht umgesetzter Richtlinien abgelehnt. Das bedeutet, dass nunmehr auch für die Durchsetzung von Rechten aus Richtlinien gilt, dass angemessene Ausschlussfristen, die im Interesse der Rechtssicherheit vorgesehen sind, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.457 (c) Einstweiliger Rechtsschutz Die Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH auf die mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie sind im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes besonders intensiv,458 was auch damit zusammenhängt, dass gerade dort große Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsordnungen bestehen.459 Die Konflikte zwischen einem effektiven Verwaltungsvollzug und der Gewährleistung der Rechtsschutzinteressen der Bürger sind hier besonders deutlich,460 die Berührung zwischen den nationalen Rechtsgrundsätzen und den gemeinschaftsrechtlichen Interessen, vor allem dem Gebot möglichst einheitlicher Anwendung des Gemeinschaftsrechts, besonders offensichtlich.461 Die mitgliedstaatlichen Gerichte haben keine Verwerfungskompetenz für das Gemeinschaftsrecht, diese liegt allein beim EuGH. Sie haben aber eine Prüfungskompetenz. In der Rechtssache Foto-Frost462 hat der Gerichtshof stellt, die endgültige Klärung aber auch durch die Rechtssache Fantask (Rs. C-188/95, Slg. 1997, I-6783) herbeigeführt sieht. 456 So auch Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 76; Lecheler, Einführung in das Europarecht, 2. Auflage, S. 167; zustimmend auch v. Danwitz, JZ 1999, S. 198 (200). 457 Götz, DVBl. 2002, S. 1 (5). 458 So auch Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 (294). 459 Schwarze, Vorläufiger Rechtsschutz im Widerstreit von Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsverfahrens- und Prozessrecht, FS Börner, S. 389 (390). 460 Schwarze, Vorläufiger Rechtsschutz im Widerstreit von Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsverfahrens- und Prozessrecht, FS Börner, S. 389 (390); ähnlich auch Schmidt-Aßmann, Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, S. 131 (138) m.w.N; Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), S. 335 (344) spricht von einem Spannungsverhältnis zwischen dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes und der Notwendigkeit, eine effiziente Verwaltung sicherzustellen. Auch Hirsch, VBlBW 2000, S. 71 (73) weist darauf hin, dass man bei der gerichtlichen Kontrolle zwei verschiedene Ansätze verfolgen könne, entweder man gebe dem effizienten Verwaltungsvollzug den Vorrang oder einer lückenlosen Kontrolle der Verwaltung im Interesse der Bürger. 461 Hirsch, VBlBW 2000, S. 71 (74); Hauser, VBlBW 2000, S. 377 (378). 462 Rs. 314/85 (Foto-Frost), Slg. 1987, S. 4199, Rn. 19: „ Es ist hinzuzufügen, dass Abweichungen von der Regel, nach der die nationalen Gerichte nicht befugt

C. Analyse der Urteile des EuGH

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entschieden, dass sich aus der dieser Kompetenzverteilung immanenten Verzögerung Abweichungen bei den Regelungen über den vorläufigen Rechtsschutz ergeben. Beim vorläufigen Rechtsschutz hat sich der EuGH zunächst darauf konzentriert, eher „Randkorrekturen“463 an den nationalen Systemen vorzunehmen. In der neueren Rechtsprechung kommt es jedoch zu erheblichen Eingriffen in die mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie, sodass es durchaus berechtigt ist, von einer starken Beeinflussung bzw. Determinierung des Rechtsschutzes durch europarechtliche Vorgaben zu sprechen.464 Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang besonders die Urteile des EuGH in den Rechtssachen Süderdithmarschen,465 Atlanta466 und Factortame467, die im Folgenden näher dargestellt werden sollen. Den genannten Urteilen liegen zwei unterschiedliche Konstellationen zugrunde. Die erste Konstallation betrifft den Fall, in dem das nationale Recht vorläufigen Rechtsschutz sozusagen „im Übermaß“468 gewährt. Der EuGH hat in der Rechtssache Süderdithmarschen entschieden, dass die Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Pflichten dann in Gefahr ist, wenn ein mitgliedstaatliches Gericht den Vollzug eines Verwaltungsaktes aussetzt, weil es die zugrundliegende gemeinschaftsrechtliche Verordnung für ungültig hält. Der Gerichtshof erkannte grundsätzlich die Aussetzungsbefugnis der nationalen Gerichte an,469 stellte aber Voraussetzungen für deren Ausübung auf.470 Ein nationales Gericht könne gegen einen Verwaltungsakt, der auf einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung basiere, einstweiligen Rechtsschutz gewähren, wenn es das für nötig erachte und von einer nationalen Vorschrift daran gehindert werde.471 Voraussetzung dafür sei, dass erhebliche Zweifel an der sind, selbst die Ungültigkeit von Gemeinschaftshandlungen festzustellen, unter bestimmten Umständen im Falle eines Verfahrens der einstweiligen Anordnung geboten sein können.“ 463 Gellermann in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 34, Rn. 54. 464 So auch Gellermann in: Rengeling/Middeke/Gellermann, § 34, Rn. 54; v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 53. 465 Verb. Rs. C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Slg. 1991, I-415. 466 Rs. C-465/93 (Atlanta III), Slg. 1995, I-3761; vgl. auch die Besprechung der wichtigsten Urteile des EuGH in diesem Bereich bei Jannasch, Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf den vorläufigen Rechtsschutz, NVwZ 1999, S. 495 f. und Hauser, VBlBW 2000, S. 377 (378 f.). 467 Rs. C-213/89 (Factortame I), Slg. 1990, I-2433. 468 Götz, DVBl. 2002, S. 1 (6). 469 Verb. Rs. C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Slg. 1991, I-415, Rn. 17. 470 Vgl. dazu auch die Vorgänger-Rechtssache 217/88 (Kommission/Deutschland), Slg. 1990, I-2879, „Tafelwein-Destillation“.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Gültigkeit des gemeinschaftlichen Rechtsakts bestünden472 und eine Dringlichkeit gegeben sei, um zu verhindern, dass dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstehe.473 Dabei sei das Gemeinschaftsinteresse zu berücksichtigen, um die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.474 Außerdem müsse das nationale Gericht dem EuGH die Frage nach der Gültigkeit der gemeinschaftsrechtlichen Norm vorlegen. Hat dieser die fragliche Regelung bereits für gemeinschaftskonform erklärt, darf kein einstweiliger Rechtsschutz mehr gewährt werden. In der Rechtssache Atlanta475 präzisierte der EuGH seine im Süderdithmarschen-Urteil aufgestellten Anforderungen an die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.476 Er führte aus, dass das nationale Gericht zu dem Zeitpunkt, in dem es die Maßnahme einstweiligen Rechtsschutzes erlassen will, angeben müsse, warum es der Ansicht sei, dass der EuGH die Ungültigkeit der Verordnung feststellen müsse.477 Außerdem entschied der Gerichtshof, dass das Gericht auch eine einstweilige Anordnung erlassen kann, um die streitigen Rechtspositionen oder -verhältnisse vorläufig zu gestalten oder zu regeln. Dafür müssen die im Süderdithmarschen-Urteil aufgestellten Anforderungen erfüllt sein.478 Ferner hat der EuGH klargestellt, dass das nationale Gericht im Rahmen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes einstweilige Anordnungen nur solange treffen und aufrechterhalten kann, bis er über die Gültigkeit des Rechtsaktes entschieden hat. Die nationalen Gerichte können einstweilige Anordnungen nur unter denselben Voraussetzungen erlassen, die für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Gerichtshof gelten. In der Rechtssache T-Port479 knüpfte der EuGH an seine Ergebnisse in den Urteilen Süderdithmarschen und Atlanta an. Er entschied, dass die 471

v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 54. Vgl. verb. Rs. C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Slg. 1991, I-415, Rn. 23. 473 Vgl. verb. Rs. C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Slg. 1991, I-415, Rn. 28. 474 Vgl. verb. Rs. C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Slg. 1991, I-415, Rn. 30 f. 475 Rs. C-465/93 (Atlanta III), Slg. 1995, I-3761. 476 So auch Burmeister/Miersch, EuZW 1995, S. 840 (841). 477 Rs. C-465/93 (Atlanta III), Slg. 1995, I-3761, Rn. 36. 478 Das sind: erhebliche Zweifel an der Gültigkeit, Vorlage an den EuGH, Dringlichkeit der Entscheidung, drohender schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden, angemessene Berücksichtigung des Interesses der Gemeinschaft, vgl. Urteil Atlanta III, Rn. 32. 479 Rs. C-68/95 (T. Port), Slg. 1996, I-6065, dem Ergebnis des EuGH zustimmend Jannasch, NVwZ 1999, S. 495 (499); kritisch Koenig/Zeiss, JZ 1997, 472

C. Analyse der Urteile des EuGH

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einstweiligen Anordnungen, die die nationalen Gerichte erlassen können, sich nur auf den Schutz von Rechten beziehen können, die dem Betroffenen nach der Gemeinschaftsrechtsordnung zustehen, nicht hingegen auf solche, deren Bestehen oder Umfang erst durch einen weiteren gemeinschaftsrechtlichen Akt festgelegt werden müssten.480 In diesem Fall ist der nationale Rechtsschutz subsidiär gegenüber dem gemeinschaftsrechtlichen vor dem EuGH.481 Die Rechtssachen Süderdithmarschen482 und Atlanta483 betrafen beide die Frage nach der Zulässigkeit der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch mitgliedstaatliche Gerichte gegenüber Verwaltungsakten, die in Umsetzung von Gemeinschaftsrecht erlassen wurden. Der EuGH erklärte den Erlass einstweiliger Maßnahmen in beiden Fällen für gemeinschaftsrechtskonform. Zur Gewährleistung der einheitlichen Anwendung und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts verlangte er jedoch die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens und legte bestimmte Vorgaben fest, die die mitgliedstaatlichen Gerichte beim Erlass einstweiligen Rechtsschutzes zu berücksichtigen haben. Diese betreffen sowohl die Aussetzung der Vollziehung eines auf einer EG-Verordnung beruhenden nationalen Verwaltungsakts als auch den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung der streitigen Rechtsposition. Dem EuGH wird in der Literatur vorgeworfen, er sei durch diese Urteile zu Ungunsten der Mitgliedstaaten von seiner bisherigen Linie abgerückt, die grundsätzlich deren Zuständigkeit für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts annahm.484 Er lege dieser Rechtsprechung ein „grundsätzlich verändertes Verständnis vom Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht“485 zugrunde und begründe dieses allein durch das Postulat der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, das geeignet sei, sämtliche Unterschiede im nationalen Verwaltungsrecht zu „nivellieren“.486 S. 461 f.; Ohler/Weiß, Einstweiliger Rechtsschutz vor nationalen Gerichten und Gemeinschaftsrecht, NJW 1997, S. 2221 (2222), die von vielen Ungereimtheiten und Brüchen im Vergleich zu früheren Urteilen sprechen. 480 Vgl. Rs. C-68/95 (T. Port), Slg. 1996, I-6065, Rn. 52 f. 481 Rs. C-68/95 (T. Port), Slg. 1996, I-6065, Rn. 53 f. 482 Verb. Rs. C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Slg. 1991, I-415. 483 Rs. C-465/93 (Atlanta III), Slg. 1995, I-3761. 484 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 70; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, S. 302 f.; a. A. wohl Oliver, CMLRev. 1992, S. 7 (25), der davon ausgeht, dass den nationalen Gerichten ein erheblicher Spielraum bleibt. 485 v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, S. 302, spricht deshalb von einer „kopernikanischen Wende“, was wohl zu stark akzentuiert ist.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Diese Kritik greift jedoch zu weit. Hätte der Gerichtshof im Süderdithmarschen-Urteil entschieden, dass grundsätzlich kein vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden könne, wäre für den betroffenen Marktteilnehmer ein „unzumutbarer Nachteil“487 entstanden. Es galt, das Auslegung- bzw. Verwerfungsmonopol des EuGH mit dem Ziel der effektiven und einheitlichen Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts und mit der Notwendigkeit, dem Einzelnen effektiven Rechtsschutz zu gewähren, in Einklang zu bringen.488 Die Aussetzung des Rechtsaktes durch das mitgliedstaatliche Gericht bedeutet letztlich, dass dieses die Feststellung der Ungültigkeit des Rechtsaktes, die eigentlich dem EuGH vorbehalten ist, vorläufig übernimmt. Die Abweichung von seinem Monopol muss nach Ansicht des Gerichtshofs hingenommen werden, auch wenn dadurch der wirksame und einheitliche Vollzug des Gemeinschaftsrechts gefährdet wird, aber andererseits ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden für den Einzelnen verhindert werden kann. Das Spannungsverhältnis zwischen der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts und der Notwendigkeit, auf nationaler Ebene vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, löst der EuGH auf, indem er das nationale Gericht, das den nationalen Verwaltungsakt aussetzen möchte, verpflichtet, eine Vorlage zu machen. Dadurch baut er den nationalen vorläufigen Rechtsschutz zu einem gemeinschaftsrechtlichen vorläufigen Rechtsschutz aus.489 Der EuGH hat durch die beiden Entscheidungen letztendlich die Effektivität des Individualrechtsschutzes gegen ungültiges Gemeinschaftsrecht erhöht und damit eine Lücke im Rechtsschutzsystem der Gemeinschaft geschlossen.490 Der Rechtsschutz der privaten Marktteilnehmer fungiert als Grenze für einen uneingeschränkt effektiven Vollzug des Gemeinschaftsrechts. Durch die Möglichkeit der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes kann für die Marktteilnehmer der Eintritt von nicht wiedergutzumachenden Schäden verhindert werden.491 Dieses Ziel rechtfertigt es, dass der EuGH 486

v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, S. 302; ähnlich auch Gornig, JZ 1992, S. 39 (40), der davon spricht, dass der EuGH versucht, in zulässiger Weise die Vorschriften der Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen; ähnlich auch Kahl in: Calliess/Ruffert, 2. Auflage, Art. 10 EGV, Rn. 59, der von unitarisierender Rechtsprechung des EuGH spricht. 487 Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S. 416. 488 Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S. 416 f. 489 Schlemmer-Schulte, Gemeinschaftsrechtlicher vorläufiger Rechtsschutz und Vorlagepflicht, EuZW 1991, S. 307 (308, 309). 490 Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S. 418; Sedemund/Montag, Die Entwicklungen des Gemeinschaftsrechts, NJW 1994, S. 625 (626); Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 264, 273; Schermers, CMLRev. 1992, S. 133 (137). 491 Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, S. 418 f.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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die Voraussetzungen aufstellt, unter denen die nationalen Gerichte vorläufigen Rechtsschutz gewähren dürfen.492 Bei einer Entscheidung, in der der Gerichtshof die Möglichkeit ausgeschlossen hätte, dass nationale Gerichte einstweiligen Rechtsschutz gewähren dürfen, wäre ihm vonseiten der Literatur wahrscheinlich vorgeworfen worden, er habe nur die effektive Durchführung des Gemeinschaftsrechts im Auge gehabt und den Schutz des einzelnen Marktteilnehmers nicht ausreichend berücksichtigt. Gerade dieses letzte Argument spricht gegen eine einseitige Handhabung des effet utileArguments durch den EuGH, denn das Prinzip des effet utile stünde tendenziell einer Aussetzung entgegen.493 Wenn der Gerichtshof somit die Möglichkeit einer Aussetzung durch die nationalen Gerichte anerkennt, akzeptiert er letztendlich eine geringere Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zugunsten des Schutzes der Position des Einzelnen. Die zweite Konstellation ist dadurch gekennzeichnet, dass das nationale Verfahrensrecht keinen oder nur einen unzureichenden Rechtsschutz vorsieht.494 Eine Gefahr für die gemeinschaftlichen Rechte besteht nämlich auch dann, wenn der Rechtsschutz durch ein Hauptsacheverfahren zu spät kommt und diese Rechte nicht mehr verwirklicht werden können. Ursprünglich ging der Gerichtshof davon aus, dass es nicht notwendig sei, dafür neue Rechtsbehelfe zu schaffen, die im nationalen Recht nicht vorgesehen sind.495 Diese Rechtsprechung modifizierte er jedoch in der Rechtssache Factortame.496 Dort hielt er fest, dass die Verpflichtung der nationalen Gerichte, die auf dem Gemeinschaftsrecht beruhenden Rechtspositionen wirksam zu schützen, die Pflicht zum Erlass vorläufiger Maßnahmen einschließe, und zwar auch dann, wenn diese nach nationalem Recht nicht vorgesehen sind.497 Daraus ergaben sich starke Eingriffe in das nationale Recht; der 492

GA Lenz hatte sich in seinen Schlussanträgen in den verb. Rs. C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Slg. 1991, I-415 in Rn. 88 im Gegensatz zum Gerichtshof darauf beschränkt, festzuhalten, dass das nationale Gericht bei „Art und Umfang der Aussetzung“ an das Gemeinschaftsrecht gebunden sei. 493 Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), S. 335 (345). 494 Götz, DVBl. 2002, S. 1 (6). 495 Rs. 158/80 (Rewe), Slg. 1981, S. 1805, Rn. 44. 496 Rs. C-213/89 (Factortame I), Slg. 1990, I-2433, Rn. 21; so auch v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 54 a. Vgl. dazu auch das Urteil in der Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297 im Teil über das Wettbewerbsrecht, C. III. 3. c). 497 Auf einen interessanten Aspekt weist in diesem Zusammenhang Nettesheim, AöR 119 (1994) S. 261 (289 f.) hin. Der EuGH hat die Vorlagefrage geringfügig umformuliert, was auf den ersten Blick unbedeutend erscheint. Das House of Lords hatte gefragt, ob sich dem Gemeinschaftsrecht eine Pflicht zur richterrechtlichen Schaffung effektiven Rechtsschutzes entnehmen lasse, der EuGH verstand die Frage

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

EuGH erklärte nämlich den Verfassungsgrundsatz des Common Law der absoluten parlamentarischen Souveränität für gemeinschaftsrechtswidrig, nach dem kein einstweiliger Rechtschutz gegen die Krone möglich ist. So forderte er letzten Endes die Einführung dieser Möglichkeit, also die Weiterentwicklung der nationalen Rechtsbehelfe.498 Großbritannien musste somit nach diesem Urteil entgegen der nationalen Rechtslage zum Schutz gemeinschaftsrechtlicher Ansprüche vorläufigen Rechtsschutz gegen Parlamentsgesetze gewähren.499 Der Grundsatz, dass bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts das nationale Verwaltungs- bzw. Verfahrensrecht zur Anwendung kommt, wurde somit in einem entscheidenden Punkt eingeschränkt.500 Schmidt-Aßmann bezeichnet das Factortame-Urteil deshalb als einen „Markstein“ für die nachhaltigen strukturellen Veränderungen in den mitgliedstaatlichen Verwaltungsrechtsordnungen.501 In seiner Begründung stützt sich der Gerichtshof auf die Wirksamkeit des unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts und des Vorabentscheidungsverfahrens, lässt aber erstaunlicherweise den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes unerwähnt.502 Dies verwundert, da in dem vorliegenden Fall im Gegensatz zu den Rechtssachen Süderdithmarschen503 und Atlanta504 so, dass es im Kern darum ging, ob eine Vorschrift des nationalen Rechts, die dem Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegenstehe, von nationalen Gerichten unangewendet bleiben müsse. Somit konnte der EuGH sich „in den Bahnen“ seiner Rechtsprechung zum Anwendungsvorrang bewegen und musste sich nicht direkt zur Frage der Problematik der Rechtsfortbildungskompetenz äußern, indirekt hat er das trotzdem getan und die Richtung angedeutet, in die er gehen möchte. In der Praxis nahm das House of Lords die Rechtsfortbildungskompetenz in Anspruch und erließ die beantragte einstweilige Anordnung. Auf die Umformulierung und die Hintergründe dafür weist auch Toth, CMLRev. 1990, S. 573 (585 f.) hin. 498 Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 135 spricht deshalb zutreffend von weitreichenden Konsequenzen; ebenso Schoch, DVBl. 1997, S. 289 (290); Jowell/Birkinshaw, Vereinigtes Königreich, in: Schwarze (Hrsg.), Das Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, S. 273 (302 f.). 499 Vgl. die Reaktionen in der englischen Tagespresse dargestellt bei Toth, CMLRev. 1990, S. 573 (582 f.). 500 Schwarze, Vorläufiger Rechtsschutz im Widerstreit von Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsverfahrens- und Prozessrecht, FS Börner, S. 389 (394); Jacobs, Interim Measures in the Law and Practice of the Court of Justice of the European Communities in: Bernhardt (Ed.): Interim Measures Indicated by International Courts, S. 37 (64 f.). 501 In: Einleitende Problemskizze, S. 10 (11), in: Schmidt-Aßmann/HoffmannRiem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts. 502 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 73; Burgi, Verwaltungsprozess und Europa, S. 67; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, S. 299. 503 Verb. Rs. C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Slg. 1991, I-415.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes tatsächlich zur Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beiträgt. Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, den gemeinschaftlichen Rechtsschutzgrundsatz nicht gebührend berücksichtigt zu haben, hätte der Gerichtshof auch das Rechtsschutzargument erwähnen sollen.505 Der Hintergrund für die Stärkung der Position des rechtsschutzsuchenden Einzelnen in der Rechtssache Factortame506 ist der effet utile, weil hier das Individualinteresse und das Gemeinschaftsinteresse parallel liegen.507 Wenn der Einzelne einstweiligen Rechtsschutz beantragt, damit er seine Rechte aus dem Gemeinschaftsrecht geltend machen kann, dann handelt er nicht nur in seinem eigenen Interesse, sondern fungiert gleichzeitig als Instrument zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts. In dieser Position hat der EuGH den Einzelnen konsequent gestärkt und lässt ihn so zur Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beitragen bzw. diese erhöhen.508 Eine großzügige Handhabung der subjektiven Rechte ist deshalb unter Wirksamkeitsgesichtspunkten konsequent und folgerichtig.509 Mit dem Schutz individueller Rechte ist also der Anspruch des Gemeinschaftsrechts auf eine effektive Durchsetzung eng verbunden.510 Das Ergebnis, zu dem der EuGH in der Rechtssache Factortame kommt, ist nicht so überraschend, wie es vielleicht auf den ersten Blick scheinen mag. Die Schlussfolgerung, die der Gerichtshof zieht, ist letztlich die logische Konsequenz aus dem Prinzip des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts, dem Prinzips des effektiven Rechtsschutzes und der Verpflichtung der mitgliedstaatlichen Gerichte für den Schutz der Rechte der Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht zu sorgen.511 Für den einstweiligen Rechtsschutz kann die Entwicklung der Rechtsprechungslinie des Gerichtshofs zusammenfassend nämlich wie folgt nachgezeichnet werden. In den Rechtssachen Rewe und Comet512 verzichtete der EuGH ausdrücklich auf eine Harmonisierung der nationalen Vorschriften und erkannte die Unterschiede in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnun504

Rs. C-465/93 (Atlanta III), Slg. 1995, I-3761. Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 73. 506 Rs. C-213/89 (Factortame I), Slg. 1990, I-2433. 507 Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), S. 335 (343, 344). 508 Calliess, Grundlagen, Grenzen und Perspektiven europäischen Richterrechts, NJW 2005, S. 929 (931); Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 (934); Zuleeg, VVDStRL 53 (1994), S. 154 (191); Nettesheim in: Grabitz Hilf, Art. 249 Rn. 34. 509 Eine entscheidende Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch die unmittelbare Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts. 510 Wegener, Rechte des Einzelnen, S. 90. 511 So überzeugend Toth, CMLRev. 1990, S. 573 (583 f.). 512 Rs. 33/76 (Rewe), Slg. 1976, S. 1989; Rs. 45/76 (Comet), Slg. 1976, S. 2043. 505

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

gen an.513 Mitte der 70er und Anfang der 80er Jahre änderte der Gerichtshof seine Haltung, indem er zwar nach wie vor die Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen akzeptierte, aber einen bestimmten Rahmen vorgab, innerhalb dessen das nationale Recht bleiben müsse. Dies lässt sich vor allem bei den Entscheidungen Denkavit Italiana514 und Deutsche Milchkontor515 feststellen.516 Die bereits ausführlich behandelten Urteile in den Rechtssachen Factortame,517 Tafelwein518 und Süderdithmarschen519 brachten sodann die Wende. In den beiden erstgenannten Urteilen präzisierte der EuGH, dass dem Gemeinschaftsrecht und seiner Durchführung Vorrang vor dem nationalen Recht gebühre und begann, den Mitgliedstaaten Vorgaben für die Ausgestaltung ihrer Verfahrensordnungen zu machen.520 Seine anfängliche Zurückhaltung gibt er in der Süderdithmarschen-Entscheidung auf, in der er klarstellt, dass der Vorrang des Gemeinschaftsrechts sowie dessen unmittelbare Anwendbarkeit und die Sicherung 513 Knoll, Grundzüge eines europäischen Standards für den einstweiligen Rechtsschutz gegen Verwaltungsrechtsakte, S. 184, 186; vgl. Rs. 33/76 (Rewe), Slg. 1976, 1989, Rn. 5: „Die Artikel 100 bis 102 und Artikel 135 EWG-Vertrag gestatten es gegebenenfalls, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Unterschiede in den Rechts- oder Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in diesem Bereich auszuräumen, wenn sich erweisen sollte, dass sie Verzerrungen hervorrufen oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zu beeinträchtigen geeignet sind. In Ermangelung solcher Harmonisierungsmaßnahmen müssen die durch das Gemeinschaftsrecht gewährten Rechte vor den innerstaatlichen Gerichten nach den Verfahrensregeln des innerstaatlichen Rechts verfolgt werden. Anders wäre es nur, wenn diese Verfahrensregeln und Fristen die Verfolgung von Rechten, die die innerstaatlichen Gerichte zu schützen verpflichtet sind, praktisch unmöglich machten.“; (Rs. 45/76 (Comet), Slg. 1976, S. 2043, Rn. 11/18 mit identischem Wortlaut); vgl. auch verb. Rs. 205-215/82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, S. 2633, Rn. 21: „Zwar kann diese Verweisung auf das nationale Recht dazu führen, dass die Voraussetzungen für die Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beihilfen sich in gewissem Umfang von einem Mitgliedstaat zum anderen unterscheidet. Das Ausmaß solcher, beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts übrigens unvermeidlicher Unterschiede wird jedoch durch die Grenzen vermindert, die der Gerichtshof [. . .] der Anwendung nationalen Rechts gezogen hat.“ 514 Rs. 61/79 (Denkavit italiana), Slg. 1980, S. 1205. 515 Verb. Rs. 205-215/82 (Deutsche Milchkontor), Slg. 1983, S. 2633. 516 Knoll, Grundzüge eines europäischen Standards für den einstweiligen Rechtsschutz gegen Verwaltungsrechtsakte, S. 187 ff. 517 Rs. C-213/89 (Factortame I), Slg. 1990, I-2433. 518 Rs. 217/88 (Kommission/Deutschland), Slg. 1990, I-2879, „Tafelwein-Destillation“. 519 Verb. Rs. C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Slg. 1991, I-415. 520 Knoll, Grundzüge eines europäischen Standards für den einstweiligen Rechtsschutz gegen Verwaltungsrechtsakte, S. 191 f., insbes. 195.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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seiner Effektivität eine Einschränkung der Kompetenzen der Mitgliedstaaten notwendig machen.521 Die Rechtsprechung des EuGH kann man somit als dreistufig beschreiben. Zunächst überließ er den nationalen Institutionen die Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes, dann legte er einen Maßstab fest, den diese bei der Gewährung oder Ablehnung dessen zu beachten haben, auch unter Nichtanwendung entgegenstehender nationaler Vorschriften. Auf der dritten Stufe lehnte der EuGH schließlich die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab, wenn die Rechtsposition des Einzelnen noch nicht durch ein EG-Organ festgelegt wurde.522 Die Urteile in den Rechtssachen Factortame,523 Süderdithmarschen524 und Atlanta525 haben insgesamt eine Stärkung des Rechtsschutzes des Einzelnen auf Gemeinschaftsebene bewirkt.526 Er wäre verfehlt zu sagen, dass die Rechtsprechung des EuGH zu einer Absenkung des Niveaus des Rechtsschutzes in der Gemeinschaft geführt hat. Das mag u. U. für Deutschland zutreffen, aber nicht für alle anderen Länder. So hat z. B. das Urteil in der Rechtssache Factortame527 in Großbritannien zu einer Anhebung des Rechtsschutzniveaus geführt.528 Im Ergebnis wurde der nationale Richter verpflichtet, einen umfassenden Rechtsschutz zu gewährleisten, um die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen.529 521 Knoll, Grundzüge eines europäischen Standards für den einstweiligen Rechtsschutz gegen Verwaltungsrechtsakte, S. 196 f., 198. 522 Rs. C-68/95 (T. Port), Slg. 1996, I-6065; Knoll, Grundzüge eines europäischen Standards für den einstweiligen Rechtsschutz gegen Verwaltungsrechtsakte, S. 216. 523 Rs. C-213/89 (Factortame I), Slg. 1990, I-2433. 524 Verb. Rs. C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Slg. 1991, I-415. 525 Rs. C-465/93 (Atlanta III), Slg. 1995, I-3761. 526 Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 (294). 527 Rs. C-213/89 (Factortame I), Slg. 1990, I-2433. 528 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 72 m. w. N.; Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), S. 335 (340, 344); Jannasch, NVwZ 1999, S. 495 (500); zu den Strukturen des Verwaltungsrechtsschutzes in den verschiedenen Mitgliedstaaten s. Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 47 ff.; das deutsche Recht stuft beispielsweise die Interessen des Einzelnen im Vergleich zu denen des Europarechts höher ein, der EuGH hat es in der Rs. Süderdithmarschen genau umgekehrt gemacht; s. zu den Auswirkungen der Factortame-Rechtsprechung in den einzelnen Mitgliedstaaten auch Weber, Entwicklungen im europäischen Verwaltungsrecht, in: Ipsen/Stüer (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung in Europa, S. 35 (46 f.); Götz, DVBl. 2002, S. 1 (6) weist treffend darauf hin, dass Deutschland im europäischen Vergleich über einen vorläufigen Verwaltungsrechtsschutz de luxe verfüge; ähnlich Oliver, CMLRev. 1992, S. 7 (21).

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Richtig ist, dass die vom EuGH entwickelten Bedingungen, unter denen die mitgliedstaatlichen Gerichte einstweiligen Rechtsschutz gewähren dürfen, in rechtsschöpferischer Weise herausgebildet wurden530 und sich daraus weitreichende Konsequenzen für das nationale Recht ergeben.531 In der Literatur wird daher teilweise die Ansicht vertreten, der Gerichtshof habe in der Rechtssache Süderdithmarschen532 die Grenzen seiner Rechtsfortbildungsbefugnis überschritten und in die Kompetenz des Rates eingegriffen.533 Andererseits finden sich auch Stimmen, die davon ausgehen, dass gewisse Einschränkungen im Interesse der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts hingenommen werden müssen.534 Wenn man nach einer gemeinsamen Linie in den dargestellten Urteilen zum vorläufigen Rechtsschutz sucht, dann findet sich diese in der effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts gegenüber abweichendem nationalem Recht.535 Sichergestellt werden soll der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts und dessen effektive, möglichst unverzügliche, gleichzeitige Umsetzung in den Mitgliedstaaten.536 Der EuGH verfolgt damit das legitime Ziel, dass das Europarecht als höherrangige Rechtsordnung gegenüber dem nationalen Recht für seine Durchsetzung sorgen muss.537 Es ist jedoch festzuhalten, dass europarechtlichen Belangen nicht alleine aufgrund ihrer Höherrangigkeit auch im Einzelfall eine größere Be529 So auch Lück, Die Gemeinschaftstreue als allgemeines Rechtsprinzip im Recht der Europäischen Gemeinschaft, S. 43. 530 So z. B. Hatje in: Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 41; bzgl. des Süderdithmarschen-Urteils Schoch, DVBl. 1997, S. 289 (292); Dänzer-Vanotti, BB 1991, S. 1015 (1016 f.), der auch bemängelt, dass der EuGH in diesem Fall keinen Vergleich der verschiedenen Regelungen in den Mitgliedstaaten vorgenommen habe. 531 Plastisch spricht Gellermann in: Rengeling/Middecke/Gellermann, § 34, Rn. 54, von einer beträchtlichen gemeinschaftsrechtlichen Überformung des einstweiligen Rechtsschutzes. 532 Verb. Rs. C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Slg. 1991, I-415. 533 So z. B. Dänzer-Vanotti, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften beschränkt vorläufigen Rechtsschutz, BB 1991, S. 1015 (1017); v. Danwitz, DVBl. 1998, S. 421 (427); kritisch auch Nettesheim, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, GS Grabitz, S. 447 (462 f.); s. ausführlich die Darstellung der Resonanz der Entscheidungen des EuGH zum einstweiligen Rechtsschutz bei Knoll, Grundzüge eines europäischen Standards für den einstweiligen Rechtsschutz, S. 198 f.; Hauser, VBlBW 2000, S. 377 (382). 534 Z. B. Jacobs, Interim Measures in the Law and Practice of the Court of Justice of the European Communities in: Bernhardt (Ed.) Interim Measures Indicated by International Courts, S. 37 (66). 535 Jannasch, NVwZ 1999, S. 495 (500). 536 Hauser, VBlBW 2000, S. 377 (381). 537 Jannasch, NVwZ 1999, S. 495 (501).

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deutung zukommt. Hier gilt es eine angemessene Abwägung vorzunehmen und die betroffenen Interessen im Wege praktischer Konkordanz in Einklang zu bringen.538 (4) Stellungnahme Der Rechtsprechung des EuGH, welche die Pflichten der Mitgliedstaaten beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts zum Gegenstand hat, lässt sich unter dem Gesichtspunkt des Effektivitätsgebots keine einheitliche Linie entnehmen.539 Urteile, die stärker in die mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie eingreifen, wechseln sich mit solchen ab, in denen der Gerichtshof den nationalen Normenbestand weitgehend schont. Anfänglich kann so beispielsweise eine zurückhaltende Handhabung des Prinzips der praktischen Unmöglichkeit festgestellt werden, die in der Literatur größtenteils Zustimmung fand,540 da der Gerichtshof die Eigenständigkeit der Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts respektierte. Von dieser Linie entfernte sich der EuGH aber mit der Zeit teilweise.541 Spätestens seit Beginn der achtziger Jahre finden sich auch Entscheidungen, in denen der Gerichtshof feststellte, dass eine Nichtanwendung oder Modifikation des nationalen Rechts nötig sei, um die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.542 Diese Urteile 538

Jannasch, NVwZ 1999, S. 495 (501). So auch Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 89; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, S. 393 spricht von „insgesamt konturenunscharfen Zwischenzustand“. 540 Vgl. Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 67; Schwarze, Vorläufiger Rechtsschutz im Widerstreit von Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsverfahrens- und Prozessrecht, FS Börner, S. 389 (393); v. Danwitz, DVBl. 1998, S. 421 (423); derselbe, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, S. 352 „intersystemarer Rechtsfrieden“. 541 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 68; Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 (291 f.); Schwarze, Vorläufiger Rechtsschutz im Widerstreit von Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsverfahrens- und Prozessrecht, FS Börner, S. 389 (393); Wegener, Rechte des Einzelnen, S. 90. v. Danwitz, DVBl. 1998, S. 421 (423) spricht auch von einer zunehmenden Intensität der Vorgaben des Gerichtshofs für das nationale Verwaltungsrecht. 542 Rs. 199/82 (San Giorgio), Slg. 1983, S. 3595; so auch Wegener, Rechte des Einzelnen, S. 91; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, S. 352 sieht die Kehrtwende in der Rechtsprechung in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Eine Änderung der Rechtsprechungslinie wird teilweise auch darin gesehen, dass der EuGH unter dem Effektivitätsgrundsatz nicht mehr nur das Verhindern einer praktischen Unmöglichkeit versteht, sondern auch einer übermäßigen Erschwerung; vgl. z. B. Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 68; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 116 m. w. N., 539

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stießen in der Literatur mitunter auf heftigen Widerstand. Man warf dem Gerichtshof z. B. vor, er sei von seiner ursprünglichen Konfliktvermeidungsstrategie abgerückt und habe begonnen, die Bedingungen, die die Mitgliedstaaten beachten müssten, positiv zu formulieren.543 Er sei dazu übergegangen, das Äquivalenz- und das Effektivitätsgebot, die ursprünglich als negative Schranken formuliert waren, sukzessive unter Rückgriff auf den effet utile zu einem Wirksamkeitsgebot auszubauen.544 Es komme zu einer Überbetonung des Grundsatzes der einheitlichen Wirksamkeit,545 weshalb eine Nivellierung der verfahrensrechtlichen Unterschiede in den Mitgliedstaaten drohe.546 Diese Kritik wird durch verschiedene Urteile des EuGH aus jüngster Zeit entkräftet, in denen er auf die Belange der Mitgliedstaaten wieder mehr Rücksicht nimmt und deren Gestaltungsräume stärker respektiert.547 Als Beleg dafür können die Entscheidungen Peterbroeck548 und van Schijndel549 angeführt werden, in denen der Gerichtshof erstmals eine Konder den Wechsel am Urteil in der Rs. 40/69 (Paul G. Bollmann), Slg. 1970, S. 69 festmacht. 543 v. Danwitz, DVBl. 1998, S. 421 (423, 424); von einer Wandlung der Ziele des EuGH spricht auch Bleckmann, Methoden der Bildung europäischen Verwaltungsrechts, DÖV 1993, S. 837 (837 f.). In den Rs. Rewe (33/76, Slg. 1976, S. 1989) und Comet (45/76, Slg. 1976, S. 2043) verzichtete der EuGH noch ausdrücklich auf eine Harmonisierung der Verfahrensvorschriften; vgl. Knoll, Grundzüge eines europäischen Standards für den einstweiligen Rechtsschutz gegen Verwaltungsrechtsakte, S. 184. 544 So Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts – Perspektiven der Systembildung, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, S. 317 (352); v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, S. 345 f., auf S. 352 spricht er deshalb von einer „Kehrtwende“ in der Rechtsprechung des EuGH; Schmidt-Aßmann, Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, S. 131 (141). 545 So Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 70, 80; v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, S. 302; zum vorläufigen Rechtsschutz vgl. derselbe, JZ 1999, S. 198 (200), der die Urteile in den Rs. Süderdithmarschen, Atlanta und T-Port als effet utile lastig bezeichnet; Dänzer-Vanotti, BB 1991, S. 1015 (insbes. 1017 f.). Von einer politisch wünschenswerten, aber rechtlich bedenklichen Weiterentwicklung der Rechtsprechung spricht auch Schlemmer-Schulte, EuZW 1991, S. 307 (309, 310). 546 Schmidt-Aßmann, Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, S. 131 (141); Schwarze, Vorläufiger Rechtsschutz im Widerstreit von Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsverfahrens- und Prozessrecht, FS Börner, S. 389 (397, 398); auch v. Danwitz, DVBl. 1998, S. 421 (423) spricht von Ansätzen einer richterrechtlichen Harmonisierung des Gemeinschaftsverwaltungsrechts. 547 v. Danwitz, JZ 1999, S. 198 (199); Gellermann in: Rengeling/Middecke/Gellermann, § 34, Rn. 55; Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 10 EGV, Rn. 84. 548 Rs. C-312/93 (Peterbroeck), Slg. 1995, I-4599.

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kretisierung des Verbots der praktischen Unmöglichkeit bzw. der übermäßigen Erschwerung vornimmt. In der erstgenannten Rechtssache ging es um die Frage der Vereinbarkeit einer nationalen Verfahrensvorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht, die dem nationalen Gericht verbietet, die Vereinbarkeit eines innerstaatlichen Rechtsakts mit dem Gemeinschaftsrecht von Amts wegen zu prüfen, wenn sich kein Verfahrensbeteiligter innerhalb einer bestimmten Frist auf diese Vorschrift berufen hat. Der EuGH verwies in seinem Urteil auf den Effektivitätsgrundsatz, fügte dann aber einen neuen Aspekt550 hinzu, indem er festhielt, dass die Stellung der betreffenden Vorschrift im gesamten Verfahren, der Verfahrensablauf und die Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu berücksichtigen seien. Dabei seien auch die Grundsätze zu beachten, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde lägen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens.551 Aufgrund der Besonderheiten des Verfahrens552 kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass eine Prüfung von Amts wegen möglich sein und die innerstaatliche Vorschrift unangewendet bleiben müsse, wenn sie das nicht zulasse. In der Rechtssache Van Schijndel553 gelangte der Gerichtshof unter Anwendung der Kriterien, die er im Peterbroeck-Urteil554 entwickelt hatte, zu einem entgegengesetzten Schluss,555 nämlich dass „die Initiative in einem Prozess den Parteien zusteht und das Gericht nur in Ausnahmefällen von Amts wegen tätig werden darf.“ Beide Urteile zeigen letztendlich die Bereitschaft des EuGH zu richterlicher Zurückhaltung. Er beschränkt die Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf das mitgliedstaatliche Verfahrensrecht in konsequenter Weise und misst der Autonomie der Mitgliedstaaten eine größere Bedeutung bei.556 Von Zurückhaltung geprägt ist beispielsweise auch die dargestellte 549 Verb. Rs. C-430/93 und C-431/93 (van Schijndel), Slg. 1995, I-4705; v. Danwitz, JZ 1999, S. 198 (199) bezeichnet diese beiden Urteile als eigentlichen Höheund Wendepunkt der bisherigen Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf das staatliche Verwaltungs- und Gerichtsverfahrensrecht. 550 So Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 (293); ähnlich auch Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 81. 551 Rs. C-312/93 (Peterbroeck), Slg. 1995, I-4599, Rn. 14; Rs. C-63/01 (Evans), Slg. 2003, I-14447, Rn. 46. 552 Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 (293). 553 Verb. Rs. C-430/93 und C-431/93 (van Schijndel), Slg. 1995, I-4705. 554 Rs. C-312/93 (Peterbroeck), Slg. 1995, I-4599. 555 Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 (292); kritisch Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 83 für den das unterschiedliche Ergebnis nicht nachvollziehbar ist.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Rechtsprechungskorrektur bezüglich der Vereinbarkeit nationaler Fristenregelungen mit dem Gemeinschaftsrecht im Anschluss an das Urteil in der Rechtssache Emmott.557 Grundsätzlich von einer abgewogenen Entscheidungspraxis des Gerichtshofs zeugt auch die Unterscheidung zwischen der Rechtsprechung zur Rückforderung gemeinschaftswidriger Gemeinschaftsbeihilfen und jener zur Rückforderung gemeinschaftswidriger nationaler Beihilfen. Das Urteil in der Rechtssache Upjohn558 schont ebenfalls den mitgliedstaatlichen Normenbestand, weil der EuGH darin entschieden hat, dass das Gemeinschaftsrecht nicht verlangt, „dass die Mitgliedstaaten ein Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung nationaler Entscheidungen [. . .] einführen, das eine weitergehende Nachprüfung umfaßt, als sie der Gerichtshof in vergleichbaren Fällen vornimmt“.559 Daraus ergibt sich, dass die Urteile des EuGH im analysierten Bereich keinen einseitigen Einsatz des effet utile-Arguments aufweisen.560 Es trifft allerdings zu, dass der Gerichtshof bei der Abgrenzung im Bereich des Verwaltungsvollzugs eine eher pragmatische, denn dogmatische Linie verfolgt und nach der Funktionsnotwendigkeit der getroffenen Kompetenzentscheidung fragt.561 Den Kritikern seiner Rechtsprechung ist außerdem zu entgegnen, dass es zu den Aufgaben der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten zählt, ein Mindestmaß an Einheitlichkeit bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen.562 Der EuGH strebt dabei nicht – wie ihm teilweise vorgeworfen wird – an, die größtmögliche Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Er spricht in seinen Urteilen ausnahmslos von der Gewährleistung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts bzw. 556 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 81; v. Danwitz, JZ 1999, S. 198 (199), der dem EuGH attestiert, er sei zu seiner ursprünglichen Konfliktvermeidungsstrategie zurückgekehrt. 557 Rs. C-208/90 (Emmott), Slg. 1991, I-4269. 558 Rs. C-120/97 (Upjohn), Slg. 1999, I-223. 559 Vgl. Rs. C-120/97 (Upjohn), Slg. 1999, I-223, Rn. 35; s. dazu auch Schwarze, NVwZ 2000, S. 241 (248 f.); Götz, DVBl. 2002, S. 1 (5). Weitere Beispiele für die ausgleichende Linie des Gerichthofs sind auch die Rs. C-343/96 (Dilexport), Slg. 1999, I-579 und die verb. Rs. C-10/97 bis C-22/97 (IN.CO.GE), Slg. 1998, I-6307; vgl. dazu z. B. v. Danwitz, JZ 1999, S. 198 (199). 560 Wohl auch Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 80 f.; a. A. v. Danwitz, DVBl. 1998, S. 421 (432), der grundsätzlich von einer effet-utile lastigen Handhabung des Vereitelungsverbots ausgeht. 561 Schmidt-Aßmann, Einleitende Problemskizze, in: derselbe/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des europäischen Verwaltungsrechts, S. 10 (18). 562 Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts – Perspektiven der Systembildung, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, S. 317 (353); ausdrücklich eine Bedrohung der mitgliedstaatlichen Systeme des Verwaltungsvollzugs durch die Europäisierung ablehnend Zuleeg, NJW 2000, S. 2846 (2850).

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von der Vermeidung der praktischen Unmöglichkeit oder der übermäßigen Erschwerung. Die vom Gerichtshof vorgenommene Weiterentwicklung der nationalen Prozess- und Verfahrensrechte stützt sich auf grundlegende Prinzipien wie den Vorrang des Gemeinschaftsrechts und den effektiven Rechtsschutz des Einzelnen. Deshalb ist sie nicht als so überraschend und weitreichend anzusehen, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Die Ergebnisse, zu denen der EuGH gelangt, sind konsequent,563 die Sicherstellung der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und eines effektiven Rechtsschutzes für den Einzelnen legitimieren sein Vorgehen.564 Dies trifft z. B. auf die vom Gerichtshof im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes entwickelten Pflichten der Mitgliedstaaten zu.565 Die Einheit und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts wäre durch die unterschiedlichen nationalen Regelungen für den einstweiligen Rechtsschutz in Gefahr, deshalb muss der EuGH in das Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten eingreifen können.566 Obwohl es dadurch zu einer Verstärkung der mitgliedstaatlichen Pflichten kommt, lässt sich durchaus das Bemühen des Gerichtshofs feststellen, die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten nicht in Frage stellen zu wollen. Er hat mit seiner Rechtsprechung das Wesen der Gemeinschaft nicht angetastet und ist seiner Rolle als Verfassungsgericht gerecht geworden.567 Die Akzeptanz der großen Unterschiede in den nationalen Rechtsvorschriften bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts würde letztlich das System des Gemeinschaftsrechts an sich in Frage stellen. Eine Benachteiligung der Marktteilnehmer der anderen Mitgliedstaaten, die sich durch den unterschiedlichen Vollzug in den Mitgliedstaaten ergeben könnte, ginge zuletzt auf Kosten der Glaubwürdigkeit des gesamten Integrationsprojekts, weshalb die Mitgliedstaaten nur bei schwerwiegenden Gründen eine Befolgung des Gemeinschaftsrechts verwehren können.568 Außerdem ist festzuhalten, dass der EuGH immer nur punktuelle Anpassungen vornimmt, und zwar dann, wenn das Gemeinschaftsrecht Rechte Einzelner begründet oder wettbewerbsverzerrende Vollzugsdefizite vermieden werden sollen.569 Deshalb greift er auch in der Regel nicht unzulässigerweise in die Kompetenzen der Legislative ein.570 Der partielle Eingriff 563 Schwarze, Vorläufiger Rechtsschutz im Widerstreit von Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsverfahrens- und Prozessrecht, FS Börner, S. 389 (398). 564 Zustimmend auch Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 139 unter Betonung des Verwerfungsmonopols des EuGH. 565 Zustimmend auch Stern, JuS 1998, S. 769 (776). 566 Stern, JuS 1998, S. 769 (776). 567 Due, Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue in der Europäischen Gemeinschaft, S. 18. 568 Pühs, Der Vollzug von Gemeinschaftsrecht, 1996, S. 201, 202.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

durch den EuGH hat zur Folge, dass die gemeinschaftsrechtlichen Regeln neben den nationalen heranzuziehen sind und nicht statt dieser. Die mitgliedstaatlichen Verwaltungen wenden somit teilweise Gemeinschaftsrecht und teilweise nationales Verwaltungsrecht an. Die sich daraus ergebenden Divergenzen müssen insoweit hingenommen werden, als nicht die einheitliche Geltung und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts in Gefahr ist.571 Auch wenn die Eingriffe in die mitgliedstaatlichen Verwaltungs- und Verfahrensrechte zum Teil weitreichend sind, kann die einheitliche Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nur durch die Europäisierung der nationalen Verwaltungsrechte sichergestellt werden.572 Europäisierung meint dabei die zunehmende Beeinflussung des nationalen Verwaltungsrechts durch europarechtliche Vorgaben.573 Das bedeutet, dass nationales Recht im Hinblick auf die Anwendung von Gemeinschaftsrecht angepasst bzw. verändert werden muss.574 Mit anderen Worten geht es darum, ein „einheitliches administratives Klima“ innerhalb der Gemeinschaft herzustellen.575 Der EuGH hat dabei eine Schlüsselrolle inne, da die Tätigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers in diesem Bereich nach wie vor nicht besonders ausgeprägt ist.576 Deshalb muss der Gerichtshof eingreifen,577 um Kollisionen zu verhindern und die gemeinschaftliche Rechtsordnung auch für den Einzelnen nutzbar 569 Classen, NJW 1995, S. 2457 (2462), der zum Schluss kommt, dass dem EuGH die Systembildung gelungen ist. 570 Schwarze, Vorläufiger Rechtsschutz im Widerstreit von Gemeinschaftsrecht und nationalem Verwaltungsverfahrens- und Prozessrecht, FS Börner, S. 389 (401); Classen, NJW 1995, S. 2457 (2462); Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 43. 571 Scheuing, Die Verwaltung 34 (2001), S. 107 (108). 572 Schroeder, AöR 129 (2004), S. 3 (5). 573 Vgl. Weber, Entwicklungen im europäischen Verwaltungsrecht, in: Ipsen/Stüer (Hrsg.), Öffentliche Verwaltung in Europa, S. 35 (36). 574 Hirsch, VBlBW 2000, S. 71. 575 Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924 (926). 576 Eine Kodifikation des Verwaltungsrechts ist in naher Zukunft wohl nicht zu erwarten; vgl. Schwarze, DVBl. 1996, S. 881 (887); zur Kompetenz der Gemeinschaft für eine Regelung des Verfahrensrecht s. z. B. Schroeder, AöR 129 (2004), S. 3 (13). In der Literatur ist grundsätzlich umstritten, ob überhaupt eine Kodifikation angestrebt werden soll. Beispiel für eine erfolgreiche Kodifikation von Verwaltungsrecht ist der Zollkodex. Der Vorteil einer Kodifikation liegt in der größeren Rechtssicherheit. 577 Vgl. auch Bleckmann, DÖV 1993, S. 837 (840), der vorschlägt sich zu überlegen, ob die Rechtsvergleichung die Funktion haben könnte, die Rechtsschöpfungsbefugnis des EuGH im Rahmen des Effektivitäts- und des Rechtsstaatsprinzips zu beschränken. Man könnte zu dem Schluss kommen, dass der EuGH diese beiden Prinzipien nicht heranziehen darf, um völlig neue, den Mitgliedstaaten unbekannte Regeln zu entwickeln.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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zu machen.578 Die Anpassung ist aufgrund der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Konzeptionen allerdings nicht einfach. Das Eingreifen des EuGH führt grundsätzlich zu einer Zweiteilung der Sachverhalte, in solche die einen Gemeinschaftsbezug aufweisen und solche ohne Gemeinschaftsbezug. Auf längere Sicht ergibt sich aber daraus wohl ein Druck für den nationalen Gesetzgeber, auch das auf die rein innerstaatlichen Sachverhalte anwendbare Recht den europarechtlichen Vorgaben anzupassen, da die unterschiedliche Behandlung nicht gerechtfertigt und auch aus praktischen Gründen nicht beibehalten werden kann.579 Langfristig gesehen wird es zu einer Annäherung der beiden Rechtssysteme kommen.580 Die Beeinflussung ist dabei wechselseitig, erfolgt also nicht ausschließlich vom Gemeinschaftsrecht aus. Auch das nationale Verwaltungsrecht wirkt auf das Gemeinschaftsrecht ein. Bei der Frage, ob im Einzelfall eine nationale Verfahrens- oder Prozessrechtsvorschrift zur Anwendung kommen kann, auch wenn sie die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt, geht es letztlich darum, welchen Gehalt man der Forderung nach Effektivität des Gemeinschaftsrechts beimisst. Der Konflikt zwischen dem Gemeinschaftsrecht und der nationalen Norm kann dabei am besten über die allgemeinen Rechtsgrundsätze gelöst werden,581 indem eine Abwägung des Grundsatzes der Effektivität des Gemeinschaftsrechts mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen vorgenommen wird. Das bedeutet, dass z. B. der Grundsatz der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes oder des rechtlichen Gehörs nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit dem Ziel der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts abgewogen werden muss.582 So kann es sein, dass natio578

Zuleeg, VVDStRL 53 (1994), S. 154 (194). Darauf weist z. B. Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts – Perspektiven der Systembildung, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, S. 317 (351 f.) hin. Das ist z. B. im englischen Recht als Reaktion auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Factortame I erfolgt, eine einstweilige Anordnung gegen die Krone wurde auch für das nationale Recht für zulässig erklärt; vgl. Hauser, VBlBW 2000, S. 377 (379); Jannasch, NVwZ 1999, S. 495 (496); Schwarze, Die gerichtliche Kontrolle der Verwaltung in England, DÖV 1996, S. 771 (775), der in diesem Zusammenhang von einem „Schrittmachereffekt des Gemeinschaftsrechts“ spricht; van Gerven, CMLRev 1995, S. 679 (700 f.). 580 Hirsch, VBlBW 2000 S. 71 (75); Jannasch, NVwZ 1999, S. 495 (502). 581 Die nationale Verwaltung ist grundsätzlich auch an die allgemeinen Rechtsgrundsätze gebunden, die ja Bestandteil des Gemeinschaftsrechts sind; so auch Schroeder, AöR 129 (2004), S. 3 (24); Burgi, Verwaltungsprozess und Europa, S. 49 f. 582 Schroeder, AöR 129 (2004), S. 3 (35, 36); Rodríguez Iglesias, EuGRZ 1997, S. 289 (292); Burgi, Verwaltungsprozess und Europa, S. 49 f.; Nettesheim, Der 579

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

nale Verwaltungsvorschriften mit Gemeinschaftsrecht vereinbar sind, obwohl sie dessen Effektivität schmälern, wenn sich ihr Zweck mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen deckt. Auch der EuGH löst den Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach einheitlicher Wirksamkeit und der Berücksichtigung allgemeiner Rechtsgrundsätze unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.583 Plastisches Beispiel für diese Vorgehensweise ist der Unterschied, den der Gerichtshof zwischen dem gemeinschaftsrechtlich determinierten vorläufigen Rechtsschutz gegen Gemeinschaftsrecht auf der einen und gegen nationales Recht auf der anderen Seite macht.584 Es ist nachvollziehbar, dass von der vorläufigen Vollziehung einer gemeinschaftswidrigen nationalen Vorschrift eine größere Gefahr für die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts ausgeht als von der vorläufigen Vollziehung einer gemeinschaftswidrigen Gemeinschaftshandlung.585 d) Effet utile und Haftung der Staaten bei Verletzung des Gemeinschaftsrechts aa) Das Urteil Francovich als Ausgangspunkt (1) Begründung der Staatshaftung Mit seiner grundlegenden und wegweisenden Entscheidung in der Rechtssache Francovich586 hat der EuGH eine Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht begründet.587 Die große praktische Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, GS Grabitz, S. 447 (459 f.). 583 Zu Recht weist Schroeder, AöR 129 (2004), S. 3 (36) darauf hin, dass man dem EuGH nicht wie Schoch, DVBl. 1997, S. 289 (295) vorwerfen kann, er postuliere zweckorientiert rechtspolitisch und argumentiere nicht rechtsdogmatisch. 584 Vgl. die Rs. Süderdithmarschen und Atlanta auf der einen und die Rs. Factortame I auf der anderen Seite. 585 Schroeder, AöR 129 (2004), S. 3 (36); außerdem kommt es im ersten Fall zu einem Konflikt zwischen dem Rechtsschutzprinzip und der Notwenigkeit, die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, im zweiten Fall ermöglichen die Prinzipien gemeinsam die Durchführung des Gemeinschaftsrechts (Rs. Factortame). 586 Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a.), Slg. 1991, I-5357. 587 In den Rs. Humblet (Rs. 6/60, Slg. 1960, S. 1165), Russo (Rs. 60/75, Slg. 1976, S. 45) und Rewe/Landwirtschaftskammer für das Saarland (33/76, Slg. 1976, S. 1989) hatte sich der EuGH schon in Ansätzen mit Staatshaftungsfragen auseinandergesetzt, das Urteil in der Rechtssache Francovich geht aber in Qualität und Bedeutung weit über die bisherigen Aussagen des EuGH hinaus; vgl. dazu Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 8 f., insbes. 11.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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Bedeutung dieses Urteils reicht weit über den konkreten Anlassfall hinaus,588 da es eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einer stärker akzentuierten Autonomie der Gemeinschaftsrechtsordnung markiert.589 Der Sachverhalt, der diesem Urteil zugrundelag, führt eindrücklich vor Augen, warum der Anspruch des Einzelnen auf Entschädigung bei Verstößen des Mitgliedstaates gegen Gemeinschaftsrecht für die Wirksamkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung eine zentrale Rolle spielt. Die Vorlage an den Gerichtshof in der Rechtssache Francovich590 stammte von einem italienischen Gericht. Italien hatte die Richtlinie über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigeit des Arbeitgebers591 zum Zeitpunkt der Vorlage noch nicht in das nationale Recht umgesetzt, obwohl der EuGH bereits knapp ein Jahr zuvor die Vertragsverletzung festgestellt hatte.592 Italien verhielt sich somit seit geraumer Zeit593 gemeinschaftsrechtswidrig und schien auch nicht gewillt, diesen Zustand zu ändern. Die Leidtragenden waren die italienischen Arbeitnehmer, die den von der Richtlinie gewährten Schutz aufgrund der Säumigkeit ihres Staates nicht in Anspruch nehmen konnten. Der EuGH stellte deshalb in seinem Francovich-Urteil grundsätzlich Folgendes fest:594 „Nach ständiger Rechtsprechung müssen die nationalen Gerichte, die im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden haben, die volle Wirkung dieser Bestimmungen gewährleisten und die Rechte schützen, die das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen verleiht [. . .]. Die volle Wirksamkeit595 der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen wäre beeinträchtigt und der Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert, wenn der Einzelne nicht die Möglichkeit hätte, für den Fall eine Entschädigung zu erlangen, dass seine Rechte durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verletzt werden, der einem Mitgliedstaat zuzurechnen ist. Die Möglichkeit einer Entschädigung 588

Gellermann, Staatshaftung und Gemeinschaftsrecht, EuR 1994, S. 342 (343). Tomuschat, Das Francovich-Urteil des EuGH, FS Everling, Bd. II, S. 1585; Schlemmer-Schulte/Ukrow, Haftung des Staates gegenüber dem Marktbürger für gemeinschaftsrechtswidriges Verhalten, EuR 1992, S. 82 (88) bezeichnen es als weiteren „Meilenstein in der Integrationsgeschichte der Rechtsprechung des EuGH“. 590 Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a.), Slg. 1991, I-5357. 591 Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, ABl. 1980, L 283, S. 23. 592 Rs. 22/87 (Kommission/Italien), Slg. 1989, S. 143. 593 Die Richtlinie hätte bis zum 23. Oktober 1983 umgesetzt werden müssen. Ossenbühl, Der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch, DVBl. 1992, S. 993 (995) spricht deshalb zu Recht von einer „skandalösen Untätigkeit des italienischen Gesetzgebers“. 594 Vgl. verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a.), Slg. 1991, I-5357, Rn. 32 f. 595 Hervorhebung durch die Verfasserin. 589

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durch den Mitgliedstaat ist vor allem dann unerläßlich, wenn die volle Wirkung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen wie im vorliegenden Fall davon abhängt, dass der Staat tätig wird, und der Einzelne deshalb im Falle einer Untätigkeit des Staates die ihm durch das Gemeinschaftsrecht zuerkannten Rechte vor den nationalen Gerichten nicht geltend machen kann. Der Grundsatz einer Haftung des Staates für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zurechenbare Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, folgt somit aus dem Wesen der mit dem EWG-Vertrag geschaffenen Rechtsordnung.596 Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Ersatz dieser Schäden findet auch in Artikel 5 EWG-Vertrag eine Stütze, nach dem die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht zu treffen haben. Zu diesen Verpflichtungen gehört auch diejenige, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht zu beheben [. . .]. Es ist nach alledem ein Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, dass die Mitgliedstaaten zum Ersatz der Schäden verpflichtet sind, die dem Einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, die diesen Staaten zuzurechnen sind.“

Der Argumentation des Gerichtshofs liegt das Ansinnen zugrunde, das Durchsetzungsdefizit des Gemeinschaftsrechts, das sich durch die fehlende Richtlininenumsetzung vonseiten Italiens ergab, durch ein zusätzliches Instrument auszugleichen.597 Die beschriebene „bedenklich lasche Gemeinschaftsmoral“598 betraf nicht nur Italien, auch andere Mitgliedstaaten überschritten immer öfter die gesetzten Fristen um Jahre, bis sie ihrer gemeinschaftsrechtlichen Pflicht zur Umsetzung der Richtlinien nachkamen.599 Die Folge dieser Umsetzungsdefizite waren Ungleichheiten in der faktischen Geltung des Gemeinschaftsrechts und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaaten.600 Der EuGH stützt sich in seinem Urteil zur Begründung der Staatshaftung zunächst auf das Wesen der mit dem EGV geschaffenen Rechtsordnung.601 Mit diesem Begründungsstrang knüpft er an die Rechte an, die das Gemeinschaftsrecht den Einzelnen verleiht sowie an die Gewährleistung der vollen Wirksamkeit der gemeinschaftlichen Bestimmungen und der von ihnen verliehenen individuellen Rechte.602 Durch die Berufung auf den effet utile stellt der EuGH eine Verbindung zu seiner Rechtsprechung zur unmittel596

Hervorhebung durch die Verfasserin. Deckert, Zur Haftung des Mitgliedstaates bei Verstößen seiner Organe gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, EuR 1997, S. 203 (207). 598 Hailbronner, Staatshaftung bei säumiger Umsetzung von EG-Richtlinien, JZ 1992, S. 284 (285). 599 Hailbronner, JZ 1992, S. 284 (285). 600 Hailbronner, JZ 1992, S. 284 (285). 601 Formulierung in Anlehnung an das Urteil Costa/E. N. E. L. 602 So auch Zuleeg, Die Wirksamkeit des Europarechts, FS Rodríguez Iglesias, S. 221 (227). 597

C. Analyse der Urteile des EuGH

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baren Anwendbarkeit von Richtlinien her, bei deren Begründung er sich auch im Wesentlichen auf dieses Argument stützte.603 Daraus wird die Systematik erkennbar, die den Überlegungen des Gerichtshofs zugrundeliegt. Durch die unmittelbare Anwendung des Gemeinschaftsrechts werden den Einzelnen Rechte verliehen, deren Wirksamkeit wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts von den nationalen Gerichten gewährleistet werden muss. Ist die Durchsetzung der Rechte des Einzelnen auf diesem Wege nicht möglich, greift der Staatshaftungsanspruch gegenüber dem Mitgliedstaat. Damit wird dem Rechtsschutzgebot zu mehr Wirkung verholfen und gleichzeitig die Effektivität des Gemeinschaftsrechts gestärkt. Dieser Begründungungsschritt stellt damit eine Bekräftigung und maßvolle Fortführung der bestehenden Rechtsprechung dar,604 das Urteil reiht sich konsequent und nahtlos in die bisherige Rechtsprechung zur Stärkung des gemeinschaftlichen Rechtsschutzsystems und zum effet utile ein.605 Durch die Anerkennung der Staatshaftung soll die praktische Wirksamkeit von Art. 249 Abs. 3 EGV sichergestellt werden, der die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinien vorsieht. Verstößt ein Mitgliedstaat gegen diese Verpflichtung, führt das zu einer Wirksamkeitseinbuße des Gemeinschaftsrechts, die nach Ansicht des EuGH nicht hingenommen werden kann. Der Gerichtshof beruft sich außerdem auf Art. 10 EGV, also die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Gemeinschaftstreue. Wie bereits dargestellt wurde, ist diese Vorschrift Ausdruck des Wirksamkeitsgedankens und deshalb geeignet, die auf dem Wesen der mit dem EGV geschaffenen Rechtsordnung beruhende Begründung zu untermauern. Der EuGH führt in dem Urteil Art. 10 EGV aber nach der Formulierung des Grundsatzes der Staatshaftung an, woraus wohl geschlossen werden kann, dass die Berufung auf Art. 10 EGV eine unterstützende Funktion in der Urteilsbegründung erfüllt. Die Argumente, auf die der Gerichtshof die Begründung der Staatshaftung stützt, sind somit bekannt, neu ist aber die in dem Urteil verwendete Kombination aus dem Rechtsschutzprinzip, dem effet utile und Art. 10 EGV.606 603 So auch Martin-Ehlers, Grundlagen einer gemeinschaftsrechtlich entwickelten Staatshaftung, EuR 1996, S. 376 (381). s. Kapitel C. III. 2. d). 604 Gellermann, EuR 1994, S. 342 (347); Wathelet/Van Raepenbusch, La responsabilité des états membres en cas de violation du droit communautaire, CDE 1997, S. 13 (14); Fischer, Staatshaftung nach Gemeinschaftsrecht, EuZW 1992, S. 41 (42). 605 So auch Schlemmer-Schulte/Ukrow, EuR 1992, S. 82; Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 23 f., 110 f.; Streinz, Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften, FS Everling, Bd. II, S. 1491 (1506). 606 Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 77.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Die vom EuGH verwendete Formulierung, dass die Haftung der Staaten einen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts darstellt und ganz allgemein bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht ausgelöst wird, zeigt, dass der Gerichtshof von einem sehr weiten Anwendungsbereich der Staatshaftung ausgeht.607 Wie die spätere Rechtsprechung belegt hat, ist ein Anspruch des Geschädigten bei Verstößen der Legislative, der Exekutive und der Judikative möglich, und zwar sowohl bei Verstößen gegen primäres als auch gegen sekundäres Gemeinschaftsrecht.608 (2) Voraussetzungen für das Vorliegen einer Haftung Nachdem der EuGH den Grundsatz der Staatshaftung gemäß seinen Aussagen im Francovich-Urteil als Grundsatz des Gemeinschaftsrechts ansieht, sind auch die Bedingungen, unter denen die Haftung geltend gemacht werden kann, dem Gemeinschaftsrecht zu entnehmen.609 Der Gerichtshof stellte zunächst klar, dass die Voraussetzungen von der Art des Verstoßes gegen das Gemeinschafstrecht abhängen, der dem verursachten Schaden zugrunde liegt,610 im Einzelnen beschrieb er die Voraussetzungen folgendermaßen. Erstens muss das durch die Richtlinie vorgeschriebene Ziel die Verleihung von Rechten an Einzelne beinhalten, zweitens muss der Inhalt dieser Rechte auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden können und drittens muß ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem den Geschädigten entstandenen Schaden bestehen.611 Die ersten beiden Voraussetzungen spiegeln wieder, dass der EuGH mit der Staatshaftung den Individualrechtsschutz zu stärken beabsichtigt.612 Es ist dabei nicht notwendig, dass es durch das Verhalten des Staates zu einer Verletzung des Indiviualrechts kommt. Auch wenn dieses auf nationaler Ebene noch gar nicht 607

So auch Deckert, EuR 1997, S. 203 (205); Hailbronner, JZ 1992, S. 284 (289); Tomuschat, Das Francovich-Urteil des EuGH – ein Lehrstück zum Europarecht, FS Everling, S. 1585 (1597); Schockweiler, Die Haftung der EG-Mitgliedstaaten gegenüber dem einzelnen bei Verletzung des Gemeinschaftsrechts, EuR 1993, S. 107 (111). 608 Emiliou, State Liability under Community Law, ELRev. 1996, S. 399 (405); Deckert, EuR 1997, S. 203 (208). 609 Vgl. Schockweiler, EuR 1993, S. 107 (113); Deckert, EuR 1997, S. 203 (216 f.). 610 Vgl. verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a.), Slg. 1991, I-5357, Rn. 38. 611 Vgl. verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a.), Slg. 1991, I-5357, Rn. 40. 612 Martin-Ehlers, EuR 1996, S. 376 (387).

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entstanden ist, kann eine Haftung des Staates ausgelöst werden, und zwar dann eben nicht für eine Verletzung des Rechts des Einzelnen, sondern für die „Verweigerung“ dieses Rechtes. Der Begriff der „Rechte des Einzelnen“ ist als gemeinschaftsrechtlicher Begriff anzusehen, dessen Auslegung dem EuGH zusteht. Darunter sind nicht nur subjektive öffentliche Rechte zu verstehen, sondern auch rechtlich geschützte Interessen.613 Der Anspruch auf Schadenersatz gründet sich unmittelbar im Gemeinschaftsrecht, die Folgen des verursachten Schadens hat der Mitgliedstaat im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei der Äquivalenzund der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind. Deshalb kommt es bei der Ausformung der Staatshaftungspflicht in den verschiedenen Mitgliedstaaten auch zwangsläufig zu unterschiedlich ausgestalteten Staatshaftungsansprüchen, soweit die nationalen Systeme unterschiedlich ausgebildet sind. Hier zeigt sich wiederum die bereits in dem Kapitel über den mitgliedstaatlichen Vollzug angesprochene Bereitschaft des EuGH, einen uneinheitlichen Vollzug des Gemeinschaftsrechts hinzunehmen, wenn den Mindestgeboten des Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatz entsprochen wird.614 Der effet utile-Gedanke spielt somit nicht nur bei der Begründung der Staatshaftung eine wesentliche Rolle, sondern auch bei der Ausgestaltung des Haftungsanspruchs in den Mitgliedstaaten.615 bb) Die Weiterentwicklung in der Folgerechtsprechung Besondere Bedeutung hat die Rechtssache Brasserie du Pêcheur und Factortame616 erlangt, in der der EuGH seine im Francovich-Urteil aufgestellten Grundlagen zur Staatshaftung weiterentwickelte und seine Rechtsprechung konsequent und überzeugend fortführte.617 613 Vgl. dazu die Schlussanträge des GA Mischo in den verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a.), Slg. 1991, I-5357, Rn. 77. s. auch die Schlussanträge des GA Tesauro in den verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame III), Slg. 1996, I-1029. Dieser spricht in Rn. 46, Fn. 56 davon, dass die Möglichkeit des Schadenersatzes für die Verletzung von Positionen, die herkömmlicherweise der Kategorie der berechtigten Interessen und nicht der subjektiven Rechte zugerechnet werden, im italienischen Recht eine regelrechte Kulturrevolution darstellt, obwohl das italienische System zu denjenigen zählt, in denen die Garantie am ausgeprägtesten ist. 614 Deckert, EuR 1997, S. 203 (215). 615 Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 51 spricht deshalb von „mehrstufigem“ effet utile. 616 Verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame III), Slg. 1996, I-1029. 617 Zustimmend z. B. auch Streinz, EuZW 1996, S. 201 (202).

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Bezüglich der Begründung der Haftung stützte der Gerichtshof den Anspruch zusätzlich auf Art. 288 Abs. 2 EGV (ex Art. 215 Abs. 2 EGV)618 zur außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft. Diesbezügliche Anregungen des Generalanwalts hatte er hingegen im Francovich-Urteil nicht aufgegriffen. Nunmehr wollten die Richter wohl klarstellen, dass sie an die Pflichten der Mitgliedstaaten und an jene der Gemeinschaft bzw. deren Organe den gleichen Maßstab anlegen und nicht den Eindruck erwecken, als würden sie von den Mitgliedstaaten mehr verlangen.619 So schließt sich in dieser Argumentation der Kreis, indem die Haftung der Gemeinschaft, die ihren Ausgangspunkt in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hat, zurückwirkt und einen Rahmen für die Haftungsansprüche gegen die Mitgliedstaaten bei Verletzung des Gemeinschaftsrechts bildet.620 Den im Francovich-Urteil dargelegten Gedanken der Stärkung der Position des Einzelnen kann man auch in der Brasserie du Pêcheur und Factortame-Entscheidung wieder antreffen: „Nach ständiger Rechtsprechung stellt die dem Einzelnen eingeräumte Möglichkeit, sich vor den nationalen Gerichten auf unmittelbar anwendbare Vertragsvorschriften zu berufen, nur eine Mindestgarantie dar [. . .]. Diese Möglichkeit, die der Anwendung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften den Vorrang gegenüber nationalen Vorschriften verschaffen soll, ist nicht in allen Fällen geeignet, dem Einzelnen die Inanspruchnahme der Rechte zu sichern, die ihm das Gemeinschaftsrecht verleiht [. . .]. [. . .] die volle Wirksamkeit621 des Gemeinschaftsrechts [wäre] aber in Frage gestellt, wenn der Einzelne nicht die Möglichkeit hätte, für den Fall, dass seine Rechte durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verletzt worden sind, eine Entschädigung zu erlangen.“622

Der EuGH hat in der Rechtssache Brasserie du Pêcheur und Factortame überdies klargestellt, dass die Haftung nicht auf die mangelnde oder fehlerhafte Umsetzung von Richtlinien beschränkt ist, sondern auch für die Ver618 Geändert hat sich nach Meinung einiger Autoren auch die Rolle, die der EuGH Art. 10 EGV im Rahmen der Begründung des Staatshaftungsanspruchs zuweist. Während im Francovich-Urteil Art. 10 EGV noch eine untergeordnete Rolle zufiel, bezeichnete der Gerichtshof in der Brasserie du Pêcheur und Factortame-Entscheidung Art. 10 EGV als eine Grundlage der Staatshaftung und machte ihn so zu einem selbständigen und bedeutenden dogmatischen Pfeiler seiner Konstruktion (vgl. dazu Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 125 f.; Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, S. 42). 619 So auch Streinz, EuZW 1996, S. 201 (203); vgl. dazu auch Wathelet/Van Raepenbusch, CDE 1997, S. 13 (insbes. 24 f.). 620 Böhm, Voraussetzungen einer Staatshaftung bei Verstößen gegen primäres Gemeinschaftsrecht, JZ 1997, S. 53 (55). 621 Hervorhebung durch die Verfasserin. 622 Verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame III), Slg. 1996, I-1029, Rn. 20.

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letzung unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts, also auch des Primärrechts gilt. Implizit konnte dies schon der Francovich-Entscheidung entnommen werden, da der EuGH dort von einem allgemeinen Grundsatz der Haftung für Schäden aus der Verletzung von Gemeinschaftsrecht sprach. Im ersten Fall soll die Entschädigung die nachteiligen Folgen beseitigen, die sich für die von einer Richtlinie begünstigten Personen aus der Nichtumsetzung der Richtlinie durch einen Mitgliedstaat ergeben. Im zweiten Fall stellt der Entschädigungsanspruch die notwendige Ergänzung der unmittelbaren Wirkung dar. Der Haftungsanspruch deckt die Zeitspanne zwischen der Geltendmachung des betreffenden Rechts sowie seiner Durchsetzung, also der Feststellung des mitgliedstaatlichen Verstoßes durch den EuGH, und der Entscheidung durch das nationale Gericht ab. Es handelt sich dabei um die Zeitspanne, die notwendig ist, um die praktische Wirksamkeit der unmittelbaren Anwendbarkeit des betreffenden Rechts sicherzustellen. Während dieses Zeitraums kann dem Marktteilnehmer, dadurch dass er sein Recht nicht geltend machen kann, ein Schaden entstehen und es ist nicht nachvollziehbar, warum er diesen Schaden tragen sollte. Die Konzeption der Staatshaftung als Ergänzung der unmittelbaren Anwendbarkeit ist also naheliegend.623 Bezüglich der Voraussetzungen für das Vorliegen der Haftung blieben nach dem Francovich-Urteil verschiedene Fragen offen, die der EuGH in der Rechtssache Brasserie du Pêcheur und Factortame624 und weiteren Folgeentscheidungen klärte. So präzisierte er z. B., dass ein „hinreichend qualifizierter Verstoß“ vorliegen müsse, das Verhalten des Staates also eine bestimmte Schwere aufweisen muss, um die Haftung auszulösen. Er führte somit ein haftungsbeschränkendes Element ein.625 Zur Bestimmung dieses Tatbestandsmerkmals zieht der EuGH im Wesentlichen seine Rechtsprechung zur außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft heran. Durch eine flexiblere Handhabung des Verschuldensmaßstabes können im konkreten Einzelfall der effet utile des Gemeinschaftsrechts und die Interessen des Mitgliedstaats in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden.626 Auf weitere Details soll in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen wer623

Bröhmer, Die Weiterentwicklung des europäischen Staatshaftungsrechts, JuS 1997, S. 117 (121). 624 Verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame III), Slg. 1996, I-1029, Rn. 32. 625 Vgl. verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame III), Slg. 1996, I-1029, Rn. 55 f. s. auch Martin-Ehlers, EuR 1996, S. 376 (390); Bröhmer, JuS 1997, S. 117 (122); Hermes, Der Grundsatz der Staatshaftung für Gemeinschaftsrechtsverletzungen, Die Verwaltung 31 (1998), S. 371 (376); v. Bogdandy, Europäisches Recht der Ersatzleistungen, EuR 1997 S. 321 (332). 626 Herdegen/Rensmann, Die neuen Konturen der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung, ZHR 161 (1997), S. 522 (545).

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

den, da sie unter dem Gesichtspunkt der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts keine entscheidende Rolle spielen. Die Voraussetzungen, die der Gerichtshof aufstellt, sind Mindestvoraussetzungen, das nationale Recht kann auch darüber hinausgehen.627 Unabhängig von der Tatsache, ob das mitgliedstaatliche Recht einen Anspruch auf Schadenersatz kennt oder nicht, muß aufgrund des Gebots der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts die Auslegung so erfolgen, dass die vom EuGH aufgestellten Mindestvoraussetzungen einfließen.628 Zu erwähnen ist aus der Folgerechtsprechung noch die Rechtssache Hedley Lomas,629 in der der EuGH erstmals entschieden hat, dass auch eine mitgliedstaatliche Haftung für ein der Exekutive zurechenbares Handeln besteht. In dem Dillenkofer-Urteil630 war der Gerichtshof mit der verspäteten Umsetzung einer Richtlinie konfrontiert, in den Rechtssachen British Telecommunications631 und Denkavit632 mit der fehlerhaften Umsetzung einer Richtlinie. Die nicht erfolgte Umsetzung einer Richtlinie war schon Gegenstand der Francovich-Entscheidung gewesen, über Verstöße gegen unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht hatte der EuGH in den Rechtssachen Brasserie du Pêcheur und Factortame entschieden. Fehlte nur noch eine Entscheidung des Gerichtshofs bezüglich der Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht durch die Judikative.

627 Vgl. verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame III), Slg. 1996, I-1029, Rn. 66. 628 Vgl. dazu auch Ehlers, Die Weiterentwicklung des Staatshaftungsrechts durch das europäische Gemeinschaftsrecht, JZ 1996, S. 776 (777 f.). 629 Rs. C-5/94 (Hedley Lomas), Slg. 1996, I-2553. 630 Verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 und C-190/94 (Dillenkofer), Slg. 1996, I-4845. 631 Rs. C-392/93 (British Telecommunications), Slg. 1996, I-1631. 632 Verb. Rs. C-283/94, C-291/94 und C-292/94 (Denkavit), Slg. 1996, I-5063. Den Grundsatz der Staatshaftung erwähnt und prüft der EuGH unter Berufung auf das Wesen der mit dem EGV geschaffenen Rechtsordnung auch in den Rs. C-66/95 (Sutton), Slg. 1997, I-2163, Rn. 31 f.; verb. Rs. C-94/95 und C-95/95 (Bonifici), Slg. 1997, I-3969, Rn. 46 f.; Rs. C-127/95 (Norbrook Laboratories), Slg. 1998, I-1531, Rn. 106 f.; Rs. C-261/95 (Palmisani), Slg. 1997, I-4025, Rn. 24 f.; Rs. C-373/95 (Maso), Slg. 1997, I-4051, Rn. 34 f.; Rs. C-319/96 (Brinkmann Tabakfabriken), Slg. 1998, I-5255, Rn. 24 f.; Rs. C-140/97 (Rechberger), Slg. 1999, I-3499; Rs. C-150/99 (Lindöpark), Slg. 2001, I-493, Rn. 36 f.; Rs. C-424/97 (Haim), Slg. 2000, I-5123, Rn. 26 f. und Rs. C-118/00 (Larsy), Slg. 2001, I-5063, Rn. 35 f.

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cc) Das Urteil Köbler als dritter Markstein Diesen letzten Mark- und zugleich Schlussstein633 in der Rechtsprechung zur Staatshaftung setzte der EuGH mit seinem Urteil in der Rechtssache Köbler634 aus dem Jahre 2003, in dem er sich zum ersten Mal zur Staatshaftung bei einem Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht durch die nationale Judikative äußerte. Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde. Ein deutscher Staatsbürger, der in Innsbruck als ordentlicher Universitätsprofessor tätig ist, steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum österreichischen Staat. Das österreichische Gehaltsgesetz für den öffentlichen Dienst sieht vor, dass Universitätsprofessoren nach 15-jähriger Dienstzeit eine besondere Dienstalterszulage bekommen. Diese beantragte Herr Köbler im Jahre 1996. Er hatte zwar an österreichischen Universitäten nicht 15 Jahre an Dienstzeit abgelegt, aber gewisse Zeiträume an deutschen Universitäten. Er vertrat deshalb die Ansicht, dass auch diese Zeiten anzurechnen seien, da es sonst zu einem Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht komme. Sein Antrag wurde jedoch abgelehnt, worauf Herr Köbler gegen die Entscheidung beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerde einlegte. Dieser legte daraufhin dem EuGH die betreffende Frage zur Vorabentscheidung vor. Der Gerichtshof hatte allerdings inzwischen in der Rechtssache Schöning – Kougebetopoulou635 ein Urteil erlassen, das sich mit ähnlich gelagerten Rechtsfragen beschäftigte, weshalb er den Verwaltungsgerichtshof fragte, ob er das Ersuchen aufrechterhalten wolle. Dieser nahm das Vorabentscheidungsersuchen zurück und lehnte wenig später den Antrag von Herrn Köbler ab, woraufhin dieser Haftungsklage vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien gegen die Republik Österreich erhob. Er war nämlich der Ansicht, die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs verstoße gegen Gemeinschaftsrecht und die Republik Österreich müsse ihm den Schaden ersetzen, der ihm durch die gemeinschaftsrechtswidrige Gerichtsentscheidung entstanden sei. Nachdem das Landesgericht Wien die Situation für klärungsbedürftig hielt, legte es dem EuGH die Rechtssache zur Vorabentscheidung vor. Der Gerichtshof entschied unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung, dass es ohne Belang sei, welchem staatlichen Organ der Verstoß ge633 Kluth, Die Haftung der Mitgliedstaaten für gemeinschaftsrechtswidrige höchstrichterliche Entscheidungen, DVBl. 2004, S. 393. 634 Rs. C-224/01 (Köbler), Slg. 2003, I-10239. Bereits seit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Francovich wurde eine mögliche Haftung der Mitgliedstaaten für die Verletzung von Gemeinschaftsrecht durch nationale Gerichte in der Literatur lebhaft diskutiert; vgl. Wegener, Staatshaftung für die Verletzung von Gemeinschaftsrecht durch nationale Gerichte?, EuR 2002, S. 785 (786 f.) m. w. N. 635 Rs. C-15/96 (Schöning – Kougebetopoulou), Slg. 1998, I-47.

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gen das Gemeinschaftsrecht zuzurechnen sei. Dieses Argument stützte er interessanterweise u. a. auf die völkerrechtliche Staatenverantwortlichkeit636 und ein Urteil des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte (im Folgenden EGMR).637 Außerdem verwies der EuGH auf das Recht der Mitgliedstaaten, da in den meisten von ihnen der Grundsatz der Staatshaftung für Gerichtsentscheidungen bekannt sei.638 Deshalb kam er zu dem Schluss, dass „der Schutz der Rechte des Einzelnen, der sich auf das Gemeinschaftsrecht beruft, zwingend [verlangt], dass diesem das Recht zustehen muss, vor einem nationalen Gericht den Ersatz des Schadens zu verlangen, der auf die Verletzung seiner Rechte durch eine Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts zurückzuführen ist.“639 Nach Ansicht des Gerichtshofs sprechen weder der Grundsatz der Rechtskraft noch die richterliche Unabhängigkeit gegen eine solche Schlussfolgerung. Der EuGH betont die Bedeutung der Rechtskraft zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege. Ein Verfahren zur Feststellung der Haftung des Staates hat aber seiner Ansicht nach nicht denselben Gegenstand und nicht zwangsläufig dieselben Parteien wie das Verfahren, das zur rechtskräftigen Entscheidung geführt hat.640 Die richterliche Unabhängigkeit ist für den EuGH nicht gefährdet, da sich die Haftung gegen den Staat und nicht gegen den einzelnen Richter richtet.641 Bezüglich der Haftungsvoraussetzungen hält der Gerichtshof an den bereits beschriebenen fest, modifiziert sie aber für die Haftung der Judikative. 636

Rs. C-224/01 (Köbler), Slg. 2003, I-10239, Rn. 32; auf dieses Argument hatte der EuGH auch schon in der Rechtssache Brasserie du Pêcheur zurückgegriffen (vgl. verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame III), Slg. 1996, I-1029, Rn. 34). 637 Rs. C-224/01 (Köbler), Slg. 2003, I-10239, Rn. 49. 638 Rs. C-224/01 (Köbler), Slg. 2003, I-10239, Rn. 48. Vgl. auch die Schlussanträge des GA Léger, Slg. 2003, I-10239, Rn. 77 f.; Breuer, State liability for judicial wrongs and Commmunity law, ELRev 2004, S. 243 (250) m. w. N.; teilweise kritisch zu den verschiedenen Begründungsansätzen des EuGH Wegener, (Fehl-)Urteilsverantwortung und Richterspruchprivileg in der Haftung der Mitgliedstaaten für die Verletzung von Gemeinschaftsrecht, EuR 2004, S. 84 (86 f.) und Classen, CMLRev 2004, S. 813 (817 f.). 639 Rs. C-224/01 (Köbler), Slg. 2003, I-10239, Rn. 36. 640 Vgl. Rs. C-224/01 (Köbler), Slg. 2003, I-10239, Rn. 37 f.; vgl. auch Skouris, Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch oberste Gerichte, FS Götz, S. 223 (226 f.); kritisch Classen, CMLRev 2004, S. 813 (818); Gundel, Gemeinschaftsrechtliche Haftungsvorgaben für judikatives Unrecht, EWS 2004, S. 8 (16). 641 Wie Hakenberg, Zur Staatshaftung von Gerichten bei Verletzung von europäischem Gemeinschaftsrecht, DRiZ 2004, S. 113 (115) zutreffend bemerkt, ein möglicherweise etwas theoretischer Ansatz.

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Entscheidend ist, dass er unter Berücksichtigung der Besonderheit der richterlichen Funktion sowie der berechtigten Belange der Rechtssicherheit zu dem Ergebnis kommt, dass „[d]er Staat [. . .] für eine solche gemeinschaftsrechtswidrige Entscheidung nur in dem Ausnahmefall [haftet], dass das Gericht offenkundig gegen das geltende Recht verstoßen hat.“642 Ein Verstoß ist auf jeden Fall hinreichend qualifiziert, wenn die fragliche Entscheidung die einschlägige Rechtsprechung des EuGH offenkundig verkennt.643 Dass sich der Gerichtshof der Besonderheiten der richterlichen Funktion durchaus bewusst ist, zeigt die Tatsache, dass er an die Offenkundigkeit des Verstoßes hohe Anforderungen stellt und die Haftung des Staates für judikatives Unrecht als „Ausnahmefall“644 bezeichnet. Dieser Ansatz verdient Zustimmung.645 Zu einer weiteren Konkretisierung des Begriffs des offenkundigen Rechtsverstoßes hatte der EuGH bereits im Jahre 2006 in der Rechtssache Traghetti del Mediterraneo646 Gelegenheit, in der er ausführte, dass sich ein offenkundiger Verstoß sowohl aus einer fehlerhaften Auslegung von Rechtsvorschriften als auch aus einer fehlerhaften Sachverhalts- und Beweiswürdigung ergeben könne. Im Übrigen könne die Haftung von Seiten des nationalen Rechts nicht auf Fälle von Vorsatz und grob fehlerhaftem Verhalten des betroffenen Richters begrenzt werden.647 Für den Ausgangsfall in der Rechtssache Köbler kam der EuGH, anders als Generalanwalt Léger in seinen Schlussanträgen,648 zu dem Ergebnis, dass kein offenkundiger und damit hinreichend qualifizierter Verstoß vorlag, weil die umstrittene Frage der gemeinschaftsrechtlichen Einordnung der Dienstalterszulage weder anhand der Normen des primären Gemeinschaftsrechts noch anhand der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zweifelsfrei und eindeutig zu beantworten war.649 Diese zurückhaltende Linie des EuGH teilen nicht alle, dem Gerichtshof wird teilweise vorgeworfen, er sei zu zögerlich gewesen.650 Dem Urteil liegt wohl die Überlegung zu642

Rs. C-224/01 (Köbler), Slg. 2003, I-10239, Rn. 53. Rs. C-224/01 (Köbler), Slg. 2003, I-10239, Rn. 56. 644 Rs. C-224/01 (Köbler), Slg. 2003, I-10239, Rn. 53. 645 So auch z. B. Wegener, EuR 2004, S. 84 (91); Gundel, EWS 2004, S. 8 (16). 646 Rs. C-173/03 (Traghetti del Mediterraneo), Slg. 2006, I-5177. 647 Vgl. dazu z. B. Hakenberg/Seyr, Gemeinschaftsrecht und Privatrecht – Zur Rechtsprechung des EuGH im Jahre 2006, ZEuP 2007, S. 1038 (1047 f.); Tietjen, Die Bedeutung der deutschen Richterprivilegien im System des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsrechts, EWS 2007, S. 15. 648 Schlussanträge des GA Léger vom 8. April 2003, Slg. 2003, I-10239. 649 Rs. C-224/01 (Köbler), Slg. 2003, I-10239, Rn. 121 ff. 650 Z. B. Obwexer, EuZW 2003, S. 726 (728), der von „ungewohnter Milde“ spricht, durch die der EuGH die Zusammenarbeit mit den mitgliedstaatlichen Gerichten sichern wollte, die aber im Ergebnis nicht überzeuge; Frenz, DVBl. 2004, S. 1522 (1524). 643

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grunde, bei der ersten Entscheidung zur Staatshaftung für judikatives Unrecht einen weniger strengen Maßstab anzulegen.651 Mit seiner Köbler-Entscheidung hat der EuGH das Haftungsrechtssystem formal vollendet, indem er entschieden hat, dass die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung auch durch Entscheidungen der Höchstgerichte der Mitgliedstaaten ausgelöst werden kann.652 Das Urteil ist deshalb von grundsätzlicher Bedeutung. Gemäß der Vorlagefrage äußerte sich der Gerichtshof explizit nur zur Haftung letztinstanzlicher Gerichte. Dabei überträgt er seine Definition der konkret zu beurteilenden Letztinstanzlichkeit im Rahmen der Vorlagepflicht auch auf das Haftungsrecht, wodurch sich der Kreis der für eine Haftung in Frage kommenden Gerichte erweitert.653 Der EuGH betont in seinem Köbler-Urteil erneut die Bedeutung der Staatshaftung für die Rechtsdurchsetzung. Dass es aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht konsequent ist, die nationalen Gerichte in die Staatshaftung einzubeziehen, folgt aus der Tatsache, dass die Gemeinschaftsorgane nicht direkt auf die nationalen Gerichte einwirken können, weil dadurch deren Unabhängigkeit gefährdet wäre. Außerdem gäbe es ansonsten keine wirksamen Sanktionen, da die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens zwar möglich wäre, aber nicht dem betroffenen Bürger direkt zugute käme.654 Den nationalen Gerichten und dem Vorabentscheidungsersuchen kommt deshalb die „praktisch wichtigste Garantiefunktion“ zu.655 Auch die Begründung der Staatshaftung bei Verstößen durch die Judikative stützt der EuGH im Wesentlichen auf effet utile-Überlegungen. So führt er in Randnummer 33 des Köbler-Urteils Folgendes aus: „In Anbetracht der entscheidenden Rolle, die die Judikative beim Schutz der dem Einzelnen aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen zustehenden Rechte spielt, wäre die volle Wirksamkeit656 dieser Bestimmungen beeinträchtigt und der Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert, wenn der Einzelne unter bestimmten Voraussetzungen dann keine Entschädigung erlangen könnte, wenn seine Rechte durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verletzt werden, der einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts eines Mitgliedstaats zuzurechnen ist.“ 651 Zustimmend Wegener, EuR 2004, S. 84 (85, 91); Hakenberg, DRiZ 2004, S. 113 (116); v. Danwitz, JZ 2004, S. 301 (303); Breuer, ELRev 2004, S. 243 (250). 652 Kluth, DVBl. 2004, S. 393 (399). 653 Hakenberg, DRiZ 2004, S. 113 (115). 654 Kluth, DVBl. 2004, S. 393 (400). 655 Wegener, EuR 2004, S. 84 (87); ähnlich Botella, La responsabilité du juge national, RTD eur. 2004, 283 (286, 292 f.,) „. . . la fonction du juge national dont elle sait qu’il constitue le pivot sur lequel elle doit compter pour parvenir à une intégration du droit communautaire dans les ordres juridiques nationaux.“ (S. 315). 656 Hervorhebung durch die Verfasserin.

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Der EuGH bekräftigt diese Schlussfolgerung, indem er betont, „dass ein letztinstanzliches Gericht definitionsgemäß die letzte Instanz ist, vor der der Einzelne die ihm aufgrund des Gemeinschaftsrechts zustehenden Rechte geltend machen kann. Da eine durch eine rechtskräftige Entscheidung eines solchen Gerichts erfolgte Verletzung dieser Rechte regelmäßig nicht rückgängig gemacht werden kann, darf dem Einzelnen nicht die Befugnis genommen werden, den Staat haftbar zu machen, um auf diesem Wege den gerichtlichen Schutz seiner Rechte zu erlangen.“657

Das bedeutet mit anderen Worten, dass über das Prinzip der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts die Haftung auf solche Verstöße beschränkt wird, die einem letztinstanzlichen Gericht zuzurechnen sind.658 dd) Stellungnahme Die Begründung der Staatshaftung durch den EuGH erscheint aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht als logischer Baustein in der Kette der Rechtsprechung, die der Gerichtshof mit der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien begonnen hat und mit der er das Rechtsschutzsystem im Gemeinschaftsrecht konsequent gestärkt hat. Mit dem Francovich-Urteil hat der EuGH eine Entwicklung vollendet, die sich schon länger abgezeichnet hat659 und die aus integrationspolitischer Sicht auf jeden Fall zu begrüßen ist.660 Diese Weiterentwicklung stützt der Gerichtshof im Wesentlichen auf den Effektivitätsgedanken. Als Grundlage für die Begründung der Staatshaftung verwendet er dabei Art. 249 Abs. 3 EGV für den Fall der mangelnden oder fehlerhaften Umsetzung von Richtlinien, in allen anderen Konstellationen Art. 10 EGV. Wie bereits erläutert, zog der EuGH die Gemeinschaftstreue zwar auch schon im Francovich-Urteil heran, aber lediglich in unterstützender Funktion. In den Fällen, in denen nicht Richtlinien betroffen sind, sondern eine Verletzung von Primärrecht vorliegt, kommt eine Berufung auf Art. 249 Abs. 3 EGV nicht in Betracht, weshalb sich der EuGH ausschließlich auf Art. 10 EGV stützt.661 In der Rechtssache Brasserie du Pêcheur 657

Rs. C-224/01 (Köbler), Slg. 2003, I-10239, Rn. 34. Kremer, Staatshaftung für Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht durch letztinstanzliche Gerichte, NJW 2004, S. 480 (481). 659 So auch Schockweiler, EuR 1993, S. 107 (110); Botella, RTD eur. 2004, S. 283 (289 f.); Fischer, EuZW 1992, S. 41 (42); Häde, Staatshaftung für legislatives Unterlassen, BayVBl. 1992, S. 449 (453). 660 So auch Schlemmer-Schulte/Ukrow, EuR 1992, S. 82 (88). Zustimmend auch van Gerven, The Role and Structure of the European Judiciary now and in the future, ELRev 1996, S. 211 (212); Streinz, Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften, FS Everling, S. 1491 (1506). 658

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und Factortame nannte der Gerichtshof selbst als Grundlagen der Staatshaftung „zum einen die volle Wirksamkeit der Gemeinschaftsnormen und de[n] effektive[n] Schutz der durch sie verliehenen Rechte und zum anderen die den Mitgliedstaaten nach Artikel 5 des Vertrages obliegende Mitwirkungspflicht“.662 Die Begründung der Staatshaftung durch den EuGH wird teilweise als bedeutender qualitativer Sprung im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung angesehen.663 Der Grund dafür kann in einem Vergleich der Rechtslage in den Mitgliedstaaten liegen, von denen nur die wenigsten eine Haftung für legislatives Unrecht kennen.664 Die Entwicklung einer gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung war unter diesem Gesichtspunkt aus mitgliedstaatlicher Sicht nicht zwingend nahe liegend. Die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten kennen das Institut der Staatshaftung jedoch als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips, woraus sich die Berechtigtung des EuGH zur Begründung dieses Instituts auf der gemeinschaftsrechtlichen Ebene ableiten und rechtfertigen lässt.665 Das Francovich-Urteil des EuGH stieß unter methodischen Gesichtspunkten vor allem in der deutschen Literatur auf Kritik,666 was mit der Tatsache zusammenhängt, dass die deutsche Methodenlehre zwischen Auslegung und Fortbildung des Rechts unterscheidet. Nachdem das Institut der Staatshaftung in den Gründungsverträgen nicht vorgesehen ist, sondern vom EuGH entwickelt worden war, stellte man sich in der deutschen Literatur die Frage, ob dessen Begründung eine unzulässige Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof darstelle.667 Ossenbühl warf dem EuGH beispielsweise „freie 661 Vgl. z. B. verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame III), Slg. 1996, I-1029, Rn. 39; Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 106 f., 126 f., 134 f. 662 Verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame III), Slg. 1996, I-1029, Rn. 39. 663 So z. B. Hailbronner, JZ 1992, S. 284 (287). 664 Vgl. zur Rechtslage in der verschiedenen Mitgliedstaaten Hermes, Die Verwaltung 31 (1998), S. 371 (395 f.). 665 So auch Detterbeck, Staatshaftung für die Missachtung von EG-Recht, VerwArch 85 (1994), S. 159 (183); Säuberlich, Staatliche Haftung unter europäischem Einfluss, EuR 2004, S. 954 (958); Pieper, Mitgliedstaatliche Haftung für die Nichtbeachtung von Gemeinschaftsrecht, NJW 1992, S. 2454 (2457 f.). 666 s. z. B. v. Danwitz, JZ 1994, S. 335 (338 f.) und derselbe, Die gemeinschaftliche Staatshaftung der Mitgliedstaaten, DVBl. 1997, S. 2. 667 Die Diskussion kreist dabei u. a. um die Frage, ob das Fehlen einer Norm zur Staatshaftung im primären Gemeinschaftsrechts als planvolle oder planwidrige Lücke anzusehen ist; vgl. dazu z. B. Schlemmer-Schulte/Ukrow, EuR 1992, S. 82 (90 f.); Martin-Ehlers, EuR 1996, S. 376 (393 f.). Es erscheint jedoch nicht unproblematisch, diese aus dem deutschen Recht stammende Unterscheidung auf die Ge-

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Rechtsschöpfung“668 und einen unzulässigen Eingriff in die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten vor.669 Die am Gerichtshof geäußerte Kritik basierte u. a. auf dem Versuch, nationale methodenrechtliche Anforderungen auf die Gemeinschaftsrechtsebene zu übertragen, ohne die Besonderheiten in der Rolle und Funktion des EuGH genügend zu berücksichtigen.670 In den meisten anderen Mitgliedsländern akzeptierte man das Urteil als Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts und beschäftigte sich primär mit dem Inhalt und den Auswirkungen des neuen Rechtsinstituts.671 Dies mag auch mit der Tatsache zusammenhängen, dass der Schritt in Richtung Staatshaftung schon aus vorhergehenden Urteilen ersichtlich und somit vorhersehbar war. Dass der EuGH das Gemeinschaftsrecht durch die Entwicklung des Instituts der Staatshaftung fortentwickelt hat, steht außer Zweifel, weil es in den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften nicht ausdrücklich bzw. direkt verankert ist.672 Die Mitgliedstaaten haben sich bei der Verabschiedung des Vertrages von Maastricht aber nicht ausdrücklich gegen die vom EuGH geschaffene Staatshaftung ausgesprochen, was darauf hindeutet, dass sie das zum damaligen Zeitpunkt bereits ergangene Francovich-Urteil und die damit einhergehende Entwicklung akzeptieren wollten.673 Der EuGH verfolgt mit seiner Rechtsprechung zur Staatshaftung einerseits die Stärkung des Individualrechtsschutzes und andererseits die Sicherung der praktischen Wirksamkeit der Normen des Gemeinschaftsrechts.674 meinschaftsrechtsordnung zu übertragen. Vgl. dazu Martin-Ehlers, EuR 1996, S. 376 (393 f.); Henrichs, Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Verletzung von Gemeinschaftsrecht, S. 185. s. Teil 3 Kapitel C. 668 Ossenbühl, DVBl. 1992, S. 993. 669 Ossenbühl, DVBl. 1992, S. 993 (995), bezüglich der Begründung des EuGH spricht er von geistiger Diät, das Francovich-Urteil stellt für ihn einen überraschenden dezisionären Kraftakt dar. 670 So auch Wehlau, Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft zur Staatshaftung der Mitgliedstaaten nach dem Gemeinschaftsrecht, S. 116; s. dazu ausführlich Teil 3. 671 Tomuschat, Das Francovich-Urteil des EuGH, FS Everling, Bd. II, S. 1585 f., s. auch die ausführlichen Hinweise zu den Anmerkungen in den anderen Mitgliedstaaten in Fn. 8. 672 s. hierzu ausführlich Wehlau, Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft zur Staatshaftung der Mitgliedstaaten nach dem Gemeinschaftsrecht, S. 99 ff. 673 So auch Gellermann, EuR 1994, S. 342 (352); Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 23; Bröhmer, JuS 1997, S. 117 (120); Böhm, JZ 1997, S. 53 (55). 674 Vgl. Deckert, EuR 1997, S. 203 (205, 216 f.); Martin-Ehlers, EuR 1996, S. 376 (379 f.); Kling, Die Haftung der Mitgliedstaaten der EG bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht, JURA 2004, S. 298 (299); Geiger, Der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der Staatshaftung, S. 59.

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Dem effet utile-Gedanken kommt somit bei der Begründung der Staatshaftung eine zentrale Bedeutung zu. Wenn das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen bestimmte Rechte verleiht, soll er nach Ansicht des Gerichtshofs auch die Möglichkeit haben, diese unabhängig von einer unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts wirksam durchzusetzen. Die Begründung der Staatshaftung lässt sich somit auch als ein Mittel zur effektiven Anwendung des Gemeinschaftsrechts begreifen.675 In den dargestellten Fallkonstellationen konnte der Einzelne jeweils seine Rechte nicht geltend machen, entweder weil eine Richtlinie, die nicht unmittelbar wirkt, nicht umgesetzt worden war oder weil das Individualrecht auf andere Weise durch einen nationalen Rechtsakt verletzt worden war. Nachdem die Durchsetzung seines Rechts für den Einzelnen auf den bestehenden Wegen nicht möglich war, entwickelte der EuGH unter Rückgriff auf den effet utile als Substitut die Haftung des Staates.676 Mit der Begründung der Staatshaftung hat der Gerichtshof den Einzelnen somit eine weitere Handhabe gegen den säumigen Mitgliedstaat gegeben. Auch im Bereich der Staatshaftung findet sich folglich der bereits bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts angesprochene Gedanke, dass dem Gemeinschaftsrecht durch den Individualrechtsschutz zu mehr Wirksamkeit verholfen wird. Effektiver Rechtsschutz bedeutet somit auch die Effektivität des Gemeinschaftsrechts sichernder Rechtsschutz.677 Die vom EuGH vorgenommene Weiterentwicklung des Gemeinschaftsrechts rechtfertigt sich aufgrund der gravierenden Umsetzungs- und Vollzugsdefizite der Mitgliedstaaten.678 Mit der Begründung der Staatshaftung wird die einheitliche, vorrangige und effektive Geltung des Gemeinschaftsrechts sichergestellt.679 Durch die abschreckende Wirkung einer eventuell drohenden Haftung werden Wirksamkeitsbeeinträchtigungen auch von vornherein reduziert.680 Zu Recht weist Lembach darauf hin, dass in der Rechts675

So auch Beljin, EuR 2002, S. 351 (357 f.); Säuberlich, EuR 2004, S. 954

(958). 676 Martin-Ehlers, EuR 1996, S. 376 (382 f.); zustimmend auch Schockweiler, EuR 1993, S. 107 (124) für den sich die Staatshaftung aus den Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten und aus der bisherigen Judikatur des EuGH ergibt und deshalb die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung nicht überschreitet und auch das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts nicht verletzt. 677 Geiger, Der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der Staatshaftung, S. 58. 678 So auch Ruffert in: Calliess/Ruffert, Art. 288 EGV, Rn. 39; vgl. auch Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 63 f., 115, 117 f.; Gellermann, EuR 1994, S. 342 (347). 679 Alber, Mitgliedstaatliche Haftung bei Verletzung des Gemeinschaftsrechts, FS Rodríguez Iglesias, S. 295 (303); Hailbronner, JZ 1992, S. 284 (286); so auch Kling, JURA 2004, S. 298 (299). 680 Geiger, Der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der Staatshaftung, S. 81 f.

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sache Francovich die Rechtsprechungslinien des EuGH von der unmittelbaren Anwendbarkeit und von der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu einem gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch zusammengeführt werden, der gemeinschaftlichen Rechtsordnung in diesem Sinne also nichts „Fremdes“ beigefügt wird.681 Außerdem hat der Gerichtshof nicht in ungerechtfertigter Weise in die Regelungshoheit der Mitgliedstaaten eingegriffen, da er die Ausgestaltung der Haftung den Mitgliedstaaten überlässt und nur die notwendigen Grundlagen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene festlegt.682 e) Schlussbetrachtung zum effet utile im Rahmen der Grundfesten des Gemeinschaftsrechts Die Auseinandersetzung mit den Urteilen des EuGH, in denen er die Grundfesten des Gemeinschaftsrechts begründet, unterstreicht die herausragende Bedeutung, die der effet utile dabei hat. Aufgrund des allgemein gehaltenen und offenen Wortlauts der betreffenden primärrechtlichen Normen benötigte der Gerichtshof ein spezielles methodisches Werkzeug für seine Auslegungstätigkeit, das er mit dem effet utile gefunden hat. Bei der Begründung der Grundfesten des Gemeinschaftsrechts spielt er eine tragende Rolle und erweist sich als das die Ausrichtung der Rechtsprechung umspannende Leitmotiv.683 Die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist grundsätzlich von dem Bemühen gekennzeichnet, die wirksame Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Dazu braucht es flankierende Institute, die sicherstellen, dass die gemeinschaftsrechtlichen Normen von den Mitgliedstaaten respektiert werden und die durch sie gewährten Rechte auch tatsächlich geltend gemacht werden können.684 Vorrang, unmittelbare Anwendbarkeit, die Gebote der Äquivalenz und Effektivität sowie die Staatshaftung erfüllen diese Funktion und tragen so zu einer einheitlichen Anwendung und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts bei.685 Sie wirken Wirksamkeitseinbußen ent681 Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 63, vgl. auch S. 106, verhältnismäßige Lösung durch den EuGH. 682 Ähnlich sieht das auch Gellermann, EuR 1994, S. 342 (352). 683 So auch Henrichs, Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Verletzung von Gemeinschaftsrecht, S. 62. 684 Detterbeck, VerwArch 85 (1994), S. 159 (180). 685 Vgl. v. Bogdandy, Rechtsfortbildung mit Art. 5 EG-Vertrag, GS Grabitz, S. 17 (20); Berninghausen, Die Europäisierung des Vertrauensschutzes, S. 52; v. Bogdandy/Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 1 EGV, Rn. 37; Krieger, Haftung des Richters für Verletzung des Gemeinschaftsrechts, JuS 2004, S. 855 (856).

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gegen, die durch Normenkollisionen und die unterschiedliche Ausgestaltung der nationalen Verfahrensrechte entstehen können. Das Anliegen des Gerichtshofs für die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu sorgen, wird – wie ausführlich beschrieben wurde – von dem Gedanken der Stärkung der Position des Einzelnen flankiert und beeinflusst.686 Die „nachdrückliche Bejahung“ der dem Gemeinschaftsbürger gegen Gemeinschaftsrechtsverletzungen der Mitgliedstaaten zustehenden Rechte kann als eine der größten Leistungen des Gerichtshofs bezeichnet werden.687 Durch den Ausbau des individuellen Rechtsschutzes verhilft der EuGH dem Gemeinschaftsrecht allgemein zu seiner Wirksamkeit und stellt seinen bindenden Charakter auch vor den nationalen Gerichten sicher. Die vom Gerichtshof entwickelten Rechtsinstitute haben mit der Zeit eine gewisse Eigendynamik entwickelt, sie lassen sich miteinander kombinieren und so zu neuen Schutzdimensionen verknüpfen.688 Die vier dargestellten Bereiche betreffen zentrale Konstellationen im Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft. Um dieses zu regeln, greift der EuGH auf das Prinzip der Gewährleistung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zurück und weist ihm eine Schlüsselrolle zu.689 Deshalb zieht sich auch die Berufung auf Art. 10 EGV, den Grundsatz der Gemeinschaftstreue, wie ein roter Faden durch die Argumentation des Gerichtshofs. Diese Bestimmung kann insoweit als vertraglich normierte Ausprägung des Nutzbringungsgedanken verstanden werden.690 Ihre offene und allgemein gehaltene Formulierung impliziert eine Delegierung der konkreten Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft an den EuGH. Seine auf den effet utile gestützte Rechtsprechung, die die Grundfesten des Gemeinschaftsrechts hervorgebracht hat, hat deshalb auch wesentlich dazu beigetragen, Art. 10 EGV deutlichere Konturen zu verleihen und ihn zu konkretisieren. Die Bedeutung, die Art. 10 EGV für das Bestehen der Gemeinschaft an sich hat, kommt z. B. darin zum Aus686 Darauf weist auch Zuleeg, Die Wirksamkeit des Europarechts, FS Rodríguez Iglesias, S. 221 (225) ausdrücklich hin. 687 Daig, Die Rechtsprechung des Gerichthofes der Europäischen Gemeinschaften zur unmittelbaren Wirkung von EWG-Bestimmungen auf die Rechtsbeziehungen zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaftsbürgern, EuR 1970, S. 1 (31). 688 Henrichs, Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Verletzung von Gemeinschaftsrecht, S. 61; vgl. aus der Rechtsprechung die verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame III), Slg. 1996, I-1029, in der Rechtssache Factortame III kam es zu einer Verknüpfung der Elemente des vorläufigen Rechtsschutzes und des Schadenersatzes. 689 Kremer, NJW 2004, S. 480 (481); Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Die Europäische Union, Rechtsordnung und Politik, 5. Auflage, Rn. 158 sprechen von „Zentralbegriff“. 690 So Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 15.

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druck, dass der Gerichtshof festgehalten hat, dass eine Verletzung der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten die Rechtsordnung der Gemeinschaft bis in ihre Grundfesten beeinträchtigt691 und die wesentlichen Grundlagen der Gemeinschaftsrechtsordnung gefährdet.692 Der EuGH hat somit insbesondere durch die Auslegung von Art. 10 EGV unter Berücksichtigung des effet utile und von Geist und System des Vertrages die notwendigen Instrumente geschaffen, um den Bestand des Gemeinschaftsrechts zu sichern.693 Es ist verständlich, dass die Judikate des Gerichtshofs, mit denen er die Grundfesten des Gemeinschaftsrechts begründet hat, in den Mitgliedstaaten teilweise auf Kritik gestoßen sind. Art. 10 EGV, der wie gesagt u. a. Grundlage der meisten Entscheidungen war, ist wenig konkret und sehr allgemein formuliert und lässt dem Auslegenden folglich einen großen Spielraum. Kritisiert wurde deshalb bisweilen, dass die Urteile des EuGH nicht mehr vom Wortaut der Bestimmung getragen seien, sondern schon in den Bereich der Rechtsfortbildung fielen. Auf diese Problematik soll abschließend in Teil 3 ausführlich eingegangen werden. Eine Rolle spielt auch die Tatsache, dass mit den Urteilen des EuGH in teilweise empfindlichen Bereichen, wie z. B. dem einstweiligen Rechtsschutz im deutschen Recht, die Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten beschnitten wird. Die mitunter heftigen Reaktionen in der Literatur lassen sich somit daraus erklären, dass durch die Eingriffe des Gerichtshofs teilweise in langen Rechtstraditionen gewachsene Strukturen in Frage gestellt werden. Die zunehmende Verzahnung des Gemeinschaftsrechts und des Rechts der Mitgliedstaaten beinhaltet eben ein erhebliches Konfliktpotential. Andererseits muss es ein Grundanliegen einer jeden Rechtsordnung sein, dass sie wirksam ist, also ihre Normen durchgesetzt werden können. Dies gilt ebenso wie für die staatlichen Rechtsordnungen auch für die gemeinschaftsrechtliche.694 Nachdem die EG eine Rechtsgemeinschaft ist,695 muss das Gemeinschaftsrecht von allen Mitgliedstaaten anerkannt und einheitlich angewandt werden, da ansonsten das Bestehen der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt wird.696 Im Rahmen der ihm von den Mitgliedstaaten in Art. 220 EGV zugewiesenen Aufgabe der Wahrung des Rechts trifft den EuGH die Pflicht einzugreifen, wenn sich die Mitgliedstaaten disziplinlos 691 Rs. 93/72 (Kommission/Italien), Slg. 1973, S. 101, Rn. 25 und Rs. 128/78 (Kommission/Großbritannien), Slg. 1979, S. 419, Rn. 12. 692 Rs. C-101/91 (Kommission/Italien), Slg. 1993, I-191, Rn. 23. 693 Streinz in: Streinz, Art. 10 EGV, Rn. 16. 694 s. dazu auch Teil 3 Kapitel A. II. 695 Vgl. Rs. 6/64 (Costa/E. N. E. L.), Slg. 1964, S. 1251, 1269 f. 696 So z. B. Hirsch, VBlBW 2000, S. 71.

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und manchmal über Jahre hinweg gemeinschaftsrechtswidrig verhalten und so die Wirksamkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung ernstlich beeinträchtigen. Die Funktionsweise dieses Mechanismus zeigt sich besonders eindrucksvoll am Beispiel der Staatshaftung. Die Auffassung der Autoren, die dem EuGH vorwerfen, er setze den effet utile einseitig, also lediglich zu Lasten der Mitgliedstaaten und zugunsten der Gemeinschaft ein, kann nicht geteilt werden. Angesichts der besonderen Aufgabe des Gerichtshofs, der für den Ausgleich zwischen der Gewährleistung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts einerseits und der Respektierung der mitgliedstaatlichen Kompetenzen andererseits sorgen muss, erscheint seine im Bereich der Grundfesten gewählte Linie logisch konsequent und überzeugend. Man kann zwar einzelne Entscheidungen, vor allem im Bereich des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts kritisieren, weil sie in die mitgliedstaatlichen Kompetenzbereiche eingreifen, obwohl das zur Gewährleistung der wirksamen Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts nicht unbedingt notwendig war. Trotzdem ist die Rechtsprechung des EuGH in allen vier Bereichen grundsätzlich von einem starken Bestreben nach Ausgleich und dem Wunsch getragen, das Gleichgewicht und die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten nicht aufs Spiel zu setzen. Der Gerichtshof ist nicht der Versuchung erlegen, auch wenn dies bei einigen Kritikern so anklingen mag, die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zum alles dominierenden Postulat zu erheben. Die Darstellung der vier Grundfesten hat gezeigt, dass die Kooperation mit den nationalen Organen und vor allem auch die Akzeptanz und die damit einhergehende Befolgung seiner Urteile für den EuGH ein zentrales Anliegen ist. Im Gerichtshof werden die Reaktionen auf die Entscheidungen und die Entwicklungen in den Mitgliedstaaten mit wachsamen Augen beobachtet und zur Kenntnis genommen. Der Vorwurf, der EuGH berücksichtige lediglich die gemeinschaftsrechtliche Sicht und sei unsensibel für die Anliegen der Mitgliedstaaten, geht deshalb in der Regel ins Leere. Die Auseinandersetzung mit den Urteilen des Gerichtshofs, in denen er die Grundfesten des Gemeinschaftsrechts entwickelte, hat ergeben, dass das effet utile-Argument auch in neuen Entscheidungen regelmäßig anzutreffen ist.697 So unterstreicht beispielsweise die Köbler-Entscheidung aus dem Jahre 2003 noch einmal seine Schlüsselrolle für die Begründung der Staatshaftung. Allerdings ist einzuräumen, dass die Urteile, die die Grundzüge des Verhältnisses zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft betreffen, zum größten Teil bereits ergangen sind. Sie hatten Grundfragen der Gemeinschaftsrechtsordnung zum Gegenstand, die folglich auch in den Anfangsjahren der Gemeinschaft geklärt werden mussten. Die Haftung der 697

Vgl. zur zeitlichen Streuung des effet utile Arguments Teil 3 Kapitel B. IV.

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Mitgliedstaaten für judikatives Unrecht war ein Schlussstein im Bereich der Staatshaftung, der noch fehlte. Entscheidungen, die der EuGH in Zukunft zu diesem Bereich erlassen wird, haben nur mehr Details des Anspruchs zu klären. Revolutionäre Entwicklungen im Rahmen der Grundfesten der Gemeinschaft sind in Zukunft folglich nicht mehr in demselben Ausmaß zu erwarten wie bisher. Bereits in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Entscheidungen des Gerichtshofs, die vermehrt in die Schlagzeilen oder in die Kritik der Literatur geraten sind, in erster Linie andere Bereiche betreffen als die Grundfesten. 3. Der effet utile in spezifischen Bereichen des Gemeinschaftsrechts a) Allgemeines Neben den „spektakulären“ Urteilen im Bereich der Grundfesten des Gemeinschaftsrechts gibt es viele weitere Entscheidungen, in denen der EuGH gemeinschaftsrechtliche Normen anhand des effet utile auslegt. Es handelt sich dabei um Fälle, in denen es nicht primär darum geht, das Verhältnis zwischen mitgliedstaatlichem Recht und Gemeinschaftsrecht zu regeln; vielmehr soll einzelnen Vertragsartikeln in spezifischen Bereichen oder bestimmten sekundärrechtlichen Normen zu ihrer Wirksamkeit verholfen werden. Von den insgesamt 455 untersuchten und analysierten Urteilen fallen nach den hier zugrundgelegten Kriterien 289 in diese 2. Kategorie, also etwas mehr als 63%. Zahlenmäßig am stärksten vertreten sind dabei die Urteile im Bereich der Grundfreiheiten (57)698 und im Bereich des Wettbewerbsrechts (54), die jeweils ungefähr ein Fünftel ausmachen. Darauf folgen die Urteile im Bereich Arbeits- und Sozialrecht (44), dann diejenigen, welche die Auslegung des Brüsseler Übereinkommens betreffen (27) und diejenigen im Bereich Landwirtschaft und Fischerei (27). Die restlichen Urteile sind auf verschiedenste Bereiche verteilt, z. B. das öffentliche Auftragswesen, den Verkehr oder die UVP-Richtlinie.699 698

Für die vorliegende Untersuchung wurden die Urteile zu Assoziierungs- und Partnerschaftsabkommen zu den Urteilen im Bereich der Grundfreiheiten gezählt, da sie allesamt Fragestellungen betreffen, die in Anlehnung an und unter Verweis auf die zu den Grundfreiheiten des Vertrages entwickelte Rechtsprechung beantwortet wurden. 699 Im Anhang, in dem die gesamten Urteile gesondert nach den einzelnen Kategorien, in die sie fallen dargestellt werden, findet der interessierte Leser auch diese kleineren Gruppen vollständig aufgezählt. Die Zuordnung zu einer bestimmten Kategorie erfolgte ausschließlich nach dem effet utile. Betrifft ein Urteil z. B. eine gesellschaftsrechtliche Richtlinie, die Passage mit dem effet utile bezieht sich aber auf

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Die Urteile in den fünf genannten großen Bereichen sollen im Folgenden näher dargestellt werden, um sehen zu können, wie der EuGH das effet utile-Argument dabei einsetzt und zu welchen Ergebnissen er gelangt. b) Grundfreiheiten aa) Allgemeines Die Analyse der Urteile, die in diesen Bereich fallen, hat ergeben, dass interessanterweise die grundlegenden Entscheidungen des Gerichtshofs zur Warenverkehrsfreiheit nicht unter expliziter Berufung auf den effet utile begründet wurden.700 Die meisten Urteile betreffen hingegen die Dienstleistungsfreiheit und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. bb) Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit (1) Ausnahme für Tätigkeiten in Ausübung öffentlicher Gewalt In der Rechtssache Reyners701 stellte der EuGH fest, dass die von Art. 55 Abs. 1 des Vertrages (nunmehr Art. 45 Abs. 1 EGV) zugelassenen Ausnahdie Pflichten der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien, so fällt das Urteil unter die Kategorie „Durchführung des Gemeinschaftsrechts“. 700 Lediglich zwei Urteile betreffen diesen Bereich. In der Rechtssache 21/84 (Kommission/Frankreich, Slg. 1985, S. 1355) hat der EuGH entschieden, dass die formale Übereinstimmung einer Vorschrift mit Art. 30 EWGV (nunmehr Art. 28 EGV), die wie im Ausgangsfall für das Inverkehrbringen von Frankiermaschinen das Erfordernis einer vorherigen Zulassung aufstellt, nicht für die Erfüllung der Verpflichtungen eines Mitgliedstaats aus dieser Bestimmung ausreiche. Unter dem Deckmantel einer Vorschrift von allgemeiner Geltung, die die Zulassung aus anderen Mitgliedstaaten eingeführter Maschinen gestatte, könnte die Verwaltung nämlich eine gegenüber importierten Maschinen systematisch ungünstige Haltung einnehmen, indem sie es bei der Bescheidung der Zulassungsanträge oder der Durchführung des Prüfungsverfahrens zu erheblichen Verzögerungen kommen ließe oder die Zulassung unter Hinweis auf verschiedene technische Mängel ablehne. Das Verbot der Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen würde seine praktische Wirksamkeit weitgehend einbüßen, wenn sich mit ihm protektionistische oder diskriminierende Praktiken dieser Art nicht erfassen ließen (vgl. Urteil Rn. 11, 12). Die Rechtssache 34/62 (Deutschland/Kommission, Slg. 1963, S. 289) betraf den Gemeinsamen Zolltarif, und zwar die Auslegung von Art. 29 EGV. Der EuGH führte Folgendes aus: „Was [. . .] die Förderung des Handelsverkehrs mit dritten Ländern anbetrifft, so müsste die Kommission, wollte sie sich in jedem Fall allein von diesem Gesichtspunkte leiten lassen, allen Anträgen auf Ausnahmeermächtigung stattgeben, was den Gemeinsamen Zolltarif jeder Wirksamkeit berauben würde.“ (vgl. Urteil, S. 318).

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men von der Niederlassungsfreiheit wegen der grundlegenden Bedeutung, die dieser Grundsatz im Rahmen des Vertrages hat, nicht weiter reichen können, als der Zweck es erfordert, um dessentwillen sie vorgesehen sind. Deshalb entschied er, dass eine Ausweitung der gestatteten Ausnahmen auf einen Beruf als ganzen nur in Betracht komme, falls die vom Beruf erfassten Tätigkeiten derart miteinander verknüpft sind, dass die Liberalisierung der Niederlassung für den betreffenden Mitgliedstaat die Verpflichtung mit sich bringen würde, die – wenn auch nur zeitweise – Ausübung öffentlicher Gewalt durch Ausländer zuzulassen. Eine derartige Ausweitung sei dagegen nicht zu billigen, wenn im Rahmen eines freien Berufes die Tätigkeiten, die gegebenenfalls mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, einen abtrennbaren Teil der betreffenden Berufstätigkeit insgesamt darstellten.702 Ein Rückgriff des Mitgliedstaates auf die in Art. 55 (nunmehr Art. 45 EGV) vorgesehenen Ausnahmen sei anhand der nationalen Bestimmungen über die Struktur und die Ausübung des betreffenden Berufes zu würdigen.703 Dabei „ist jedoch zu berücksichtigen, dass den anerkannten Ausnahmen vom Grundsatz der Niederlassungsfreiheit durch Artikel 55 gemeinschaftsrechtliche Grenzen gesetzt sind, durch die verhindert werden soll, dass der Vertrag durch einseitige Maßnahmen der Mitgliedstaaten seiner Wirksamkeit beraubt wird.“704 (2) Die Dienstleistungsfreiheit als Beschränkungsverbot In der Rechtssache van Binsbergen705 klingt zum ersten Mal an, dass die Dienstleistungsfreiheit nach Ansicht des EuGH auch unverhältnismäßige Beschränkungen verbietet. Der Gerichtshof führte in diesem Urteil aus, dass unter die Beschränkungen, deren Beseitigung die Art. 59 und 60 des Vertrages (nunmehr 49 und 50 EGV) vorsehen, alle Anforderungen fallen, die an den Leistenden namentlich aus Gründen seiner Staatsangehörigkeit oder wegen des Fehlens eines ständigen Aufenthalts in dem Staate, in dem die Leistung erbracht wird, gestellt werden und nicht für im Staatsgebiet ansässige Personen gelten oder in anderer Weise geeignet sind, die Tätigkeiten des Leistenden zu unterbinden oder zu behindern. Insbesondere könne das für den Leistungserbringer aufgestellte Erfordernis eines ständigen Aufent701

Rs. 2/74 (Reyners), Slg. 1974, S. 631. Rs. 2/74 (Reyners), Slg. 1974, S. 631, Rn. 46/47. 703 Im Ausgangsverfahren handelte es sich um den Beruf des Rechtsanwalts, für die Zulassung als Rechtsanwalt verlangte das belgische Recht als Voraussetzung den Besitz der belgischen Staatsangehörigkeit. 704 Rs. 2/74 (Reyners), Slg. 1974, S. 631, Rn. 48/50; so auch Rs. 147/86 (Kommission/Griechenland), Slg. 1988, S. 1637, Rn. 8. 705 Rs. 33/74 (van Binsbergen), Slg. 1974, S. 1299. 702

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halts im Hoheitsgebiet des Staates, in dem die Leistung zu erbringen sei, unter Umständen Art. 59 (nunmehr Art. 49 EGV), der gerade die Beseitigung der Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit nicht in dem Staate, in dessen Hoheitsgebiet die Leistung zu erbringen sei, ansässiger Personen bezwecke, jeder Wirksamkeit berauben.706 Der EuGH kommt also mit anderen Worten zu dem Schluss, dass das Erfordernis eines Wohnsitzes grundsätzlich mit der Dienstleistungsfreiheit unvereinbar ist. Wie er erstmals in der Rechtssache 205/84707 ausgeführt hat, stellt das Erfordernis einer festen Niederlassung „praktisch die Negation dieser Freiheit dar. Es hat nämlich zur Folge, dass Artikel 59 EWG-Vertrag,708 dessen Ziel es gerade ist, die Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit solcher Personen zu beseitigen, die nicht in dem Staat niedergelassen sind, in dessen Gebiet die Dienstleistung erbracht werden soll, jede praktische Wirksamkeit genommen wird.“709 Ein solches Erfordernis sei demnach nur zulässig, wenn es für die Erreichung des verfolgten Ziels unerlässlich sei. In ständiger Rechtsprechung710 betont der EuGH, dass die Mitgliedstaaten für die Erbringung der Dienstleistungen in ihrem Hoheitsgebiet nicht die Einhaltung aller für eine Niederlassung erforderlichen Bedingungen verlangen können, weil damit den Bestimmungen, die den freien Dienstleistungsverkehr gewährleisten sollen, ihre praktische Wirksamkeit völlig genommen würde.711 So hat der Gerichtshof z. B. in der Rechtssache Säger/ 706 Rs. 33/74 (van Binsbergen), Slg. 1974, S. 1299, Rn. 10/12; so auch Rs. 39/75 (Coenen), Slg. 1975, S. 1547, Rn. 7; Rs. 76/81 (Transporoute), Slg. 1982, S. 417, Rn. 14 zum Erfordernis einer Genehmigung für die Niederlassung in dem betreffenden Mitgliedstaat besitzen zu müssen, um in ihm Dienstleistungen erbringen zu können. 707 Rs. 205/84 (Kommission/Deutschland), Slg. 1986, S. 3755. 708 Nunmehr Art. 49 EGV. 709 Rs. 205/84 (Kommission/Deutschland), Slg. 1986, S. 3755, Rn. 52; so auch Rs. C-222/95 (Parodi), Slg. 1997, I-3899, Rn. 31; Rs. C-493/99 (Kommission/ Deutschland), Slg. 2001, I-8163, Rn. 19; Rs. C-439/99 (Kommission/Italien), Slg. 2002, I-305, Rn. 30. 710 Rs. C-76/90 (Säger/Dennemeyer), Slg. 1991, I-4221, Rn. 13; Rs. C-43/93 (Vander Elst), Slg. 1994, I-3803, Rn. 17; Rs. C-165/98 (Mazzoleni), Slg. 2001, I-2189, Rn. 23; Rs. C-164/99 (Portugaia Construções), Slg. 2002, I-787, Rn. 17; Rs. C-58/98 (Corsten), Slg. 2000, I-7919, Rn. 43. 711 Rs. C-154/89 (Kommission/Frankreich), Slg. 1991, I-659, Rn. 12; im Ausgangsverfahren hatte Frankreich für die Erbringung von Dienstleistungen von Fremdenführern, die mit einer Reisegruppe aus einem anderen Mitgliedstaat anreisen, den Besitz eines Gewerbeausweises, der eine in der Regel durch Bestehen einer Prüfung nachzuweisende bestimmte Qualifikation voraussetzt, verlangt; ein ähnliches Erfordernis betreffend auch Rs. C-180/89 (Kommission/Italien), Slg. 1991, I-709, Rn. 15 und Rs. C-198/89 (Kommission/Griechenland), Slg. 1991, I-727, Rn. 16.

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Dennemeyer712 entschieden, dass Art. 59 des Vertrages (nunmehr Art. 49 EGV) einer nationalen Regelung entgegensteht, die es einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen deshalb verbietet, für Patentinhaber im Inland Dienstleistungen zur Überwachung und zur Aufrechterhaltung ihrer Patente durch Entrichtung der vorgesehenen Gebühren zu erbringen, weil diese Tätigkeit nach der nationalen Regelung Personen vorbehalten ist, die über eine besondere berufliche Qualifikation wie die des Patentanwalts verfügen.713 In der Rechtssache Vander Elst714 kam der EuGH zu dem Schluss, dass es den Art. 59 und 60 EWGV (nunmehr Art. 49 und 50 EGV) zuwiderlaufe, dass ein Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Unternehmen, die zur Erbringung von Dienstleistungen auf seinem Gebiet tätig werden und die Angehörige von Drittstaaten ordnungsgemäß und dauerhaft beschäftigen, unter Androhung einer Geldbuße dazu verpflichte, für diese Arbeitnehmer bei einer nationalen Einwanderungsbehörde eine Arbeitserlaubnis einzuholen und die damit verbundenen Kosten zu tragen.715 Mit dem Erfordernis einer vorherigen Genehmigung setzte sich der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Analir716 auseinander, das die Verordnung Nr. 3577/92 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den Mitgliedstaaten (Seekabotage)717 betraf. In diesem Verfahren stellte sich die Frage, ob die Einführung eines Systems vorheriger behördlicher Genehmigungen als Mittel zur Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen gerechtfertigt sein könne.718 Der Gerichtshof entschied, dass ein solches System nur dann gerechtfertigt sei, wenn nachgewiesen werde, dass es zur Auferlegung ge712

Rs. C-76/90 (Säger/Dennemeyer), Slg. 1991, I-4221. Rs. C-76/90 (Säger/Dennemeyer), Slg. 1991, I-4221, Rn. 21. In dieser Rechtssache hat sich der EuGH nach herrschender Meinung eindeutig für die Geltung eines Beschränkungsverbotes ausgesprochen; vgl. Randelzhofer/Forsthoff in: Grabitz/ Hilf, Art. 49/59 EGV, Rn. 90. 714 Rs. C-43/93 (Vander Elst), Slg. 1994, I-3803. 715 Rs. C-43/93 (Vander Elst), Slg. 1994, I-3803, Rn. 26; ähnlich auch Rs. C-165/98 (Mazzoleni), Slg. 2001, I-2189, Rn. 24 und Rs. C-58/98 (Corsten), Slg. 2000, I-7919, Rn. 43, 45 f. zur Pflicht zur Eintragung in die Handwerksrolle. 716 Rs. C-205/99 (Analir), Slg. 2001, I-1271. 717 Verordnung (EWG) Nr. 3577/92 des Rates vom 7. Dezember 1992 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den Mitgliedstaaten (Seekabotage), ABl. 1992, L 364, S. 7. 718 Vgl. Art. 4 der genannten Verordnung: 1) Ein Mitgliedstaat kann mit Schifffahrtsgesellschaften, die sich an Liniendiensten von, zwischen und nach Inseln beteiligen, als Voraussetzung für das Recht zur Erbringung von Kabotageleistungen Verträge über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes schließen oder ihnen entsprechende Verpflichtungen auferlegen. Beim Abschluss von Verträgen über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen 713

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meinwirtschaftlicher Verpflichtungen erforderlich sei und in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehe.719 Es könne jedoch keine Ermessensausübung der nationalen Behörden rechtfertigen, „die geeignet ist, den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere wenn sie eine Grundfreiheit wie die hier in Rede stehende betreffen, ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen.“720 Damit ein System vorheriger behördlicher Genehmigungen trotz des Eingriffs in eine Grundfreiheit gerechtfertigt sei, müsse es daher jedenfalls auf objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien beruhen, die den betroffenen Unternehmen im Voraus bekannt sind, damit dem Ermessen der nationalen Behörden Grenzen gesetzt würden, die seine missbräuchliche Ausübung verhinderten. Diese Aussagen bestätigte der EuGH in der Rechtssache Smits und Peerbooms721 in Bezug auf eine vorherige behördliche Genehmigung für die Übernahme der Kosten für die Versorgung in einer Krankenanstalt in einem anderen Mitgliedstaat durch die Krankenkasse, der der Versicherte angeschlossen ist. Auch bei der Rechtssache Leichtle722 handelt es sich um einen Fall, der die Erstattung von Kosten für eine medizinische Behandlung betraf. Unter Verweis auf sein zum Arbeitsrecht entschiedenes Urteil Vanbraekel723 kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass es die praktische Wirksamkeit der Art. 49 und 50 EGV erfordere, sie so auszulegen, dass sie der Anwendung einer nationalen Regelung entgegenstünden, nach der die Übernahme von Aufwendungen für Unterkunft, Verpflegung, Fahrtkosten, Kurtaxe u. ä. bei einer in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Heilkur ausgeschlossen sei, wenn der Betroffene nicht vor Antritt der fraglichen Kur den Abschluss des gerichtlichen Verfahrens abgewartet habe, das er gegen eine Entscheidung angestrengt habe, mit der die Anerkennung der Beihilfefähigkeit dieser Aufwendungen abgelehnt worden sei.724 (3) Verschiedene Konstellationen Kurz erwähnt seien noch die folgenden Urteile, in denen der EuGH den effet utile zur Begründung seines Auslegungsergebnisses heranzog. In der Rechtssache Bobadilla725 stellte er fest, dass es die praktische Wirksamkeit Dienstes sowie bei der Auferlegung entsprechender Verpflichtungen haben die Mitgliedstaaten darauf zu achten, dass kein Gemeinschaftsreeder diskriminiert wird. 719 Rs. C-205/99 (Analir), Slg. 2001, I-1271, Rn. 34 f. 720 Rs. C-205/99 (Analir), Slg. 2001, I-1271, Rn. 37. 721 Rs. C-157/99 (Smits und Peerbooms), Slg. 2001, I-5473, Rn. 90; vgl. auch Rs. C-385/99 (Müller-Fauré und van Riet), Slg. 2003, I-4509, Rn. 84. 722 Rs. C-8/02 (Leichtle), Slg. 2004, I-2641. 723 Rs. C-368/98 (Vanbraekel), Slg. 2001, I-5363, Rn. 34. 724 Rs. C-8/02 (Leichtle), Slg. 2004, I-2641, Rn. 57 f.

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der Richtlinien 89/48726 und 92/51727 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung von Hochschuldiplomen und beruflichen Befähigungsnachweisen beeinträchtigen würde, wenn sie in den durch Tarifverträge geregelten Bereichen keine Geltung hätten.728 Zu den Befugnissen der Mitgliedstaaten in Zusammenhang mit den Vorschriften über die Dienstleistungs- und die Niederlassungsfreiheit äußerte sich der Gerichtshof in den verbundenen Rechtssachen De Castro Freitas und Escallier.729 Darin stellte er fest, dass die Mitgliedstaaten ihre Befugnisse unter Beachtung der durch die Art. 52 und 59 EGV (nunmehr Art. 43 und 49 EGV) garantierten Grundfreiheiten wie auch der praktischen Wirksamkeit der Bestimmungen einer Richtlinie, die Übergangsmaßnahmen enthalte, ausüben müssten.730 In der Rechtssache Auer731 beschäftigte sich der EuGH mit dem Erfordernis der obligatorischen Eintragung oder der Pflichtmitgliedschaft bei Berufsverbänden oder -körperschaften gemäß der Richtlinie 78/1026732 über die Anerkennung der Diplome für Tierärzte. Der Gerichtshof entschied, dass dieses Erfordernis als rechtmäßig anzusehen sei, da damit die Zuverlässigkeit und die Beachtung der standesrechtlichen Grundsätze sowie die disziplinarische Kontrolle der Tätigkeit der Tierärzte und damit schutzwürdige Interessen gewährleistet werden sollen.733 Wurde die Eintragung des Betroffenen hingegen unter Verletzung des Gemeinschaftsrechts abgelehnt, wären nationale Rechtsvorschriften, die Straf- oder Verwaltungsmaßnahmen gegen einen Tierarzt vorsehen, der seinen Beruf ausübt, ohne Mitglied der 725

Rs. C-234/97 (Bobadilla), Slg. 1999, I-4773. Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, ABl. 1989, L 19, S. 16. 727 Richtlinie 92/51/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48, ABl. 1992, L 209, S. 25. 728 Rs. C-234/97 (Bobadilla), Slg. 1999, I-4773, Rn. 21. 729 Verb. Rs. C-193/97 und C-194/97 (De Castro Freitas und Escallier), Slg. 1998, I-6747. 730 Verb. Rs. C-193/97 und C-194/97 (De Castro Freitas und Escallier), Slg. 1998, I-6747, Rn. 23; so auch Rs. C-58/98 (Corsten), Slg. 2000, I-7919, Rn. 31; vgl. auch Rs. C-424/98 (Kommission/Italien), Slg. 2000, I-4001, Rn. 35 im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer. 731 Rs. 271/82 (Auer), Slg. 1983, S. 2727. 732 Richtlinie 78/1026 des Rates vom 18. Dezember 1979 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Tierarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr. 733 Rs. 271/82 (Auer), Slg. 1983, S. 2727, Rn. 18. 726

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

berufsständischen Kammer zu sein, mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar. Sie würden dann nämlich „den Vorschriften des Vertrags und der Richtlinie 78/1026, die nach ihrer zweiten Begründungserwägung den Tierärzten die ‚tatsächliche‘ Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf einen freien Dienstleistungsverkehr erleichtern soll, im Ergebnis jede praktische Wirksamkeit nehmen.“734 In den Rechtssachen Singh735 und Carpenter736 prüfte der Gerichtshof nationale Vorschriften, die Hindernisse für die Einreise und den Aufenthalt von aus Drittländern stammenden Ehegatten enthielten und so für Gemeinschaftsangehörige die Ausübung der Grundfreiheiten beeinträchtigen. In beiden Fällen kam der EuGH zu dem Schluss, dass diese Freiheiten „ihre volle Wirkung nicht entfalten [können], wenn der Gemeinschaftsbürger von ihrer Ausübung durch Hindernisse abgehalten werden kann, die in seinem Herkunftsland für die Einreise und den Aufenthalt seines Ehegatten bestehen.“ Der Gerichtshof entschied deshalb, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet sei, dem Ehegatten eines seiner Staatsangehörigen ohne Rücksicht auf seine Staatsangehörigkeit die Einreise in sein Hoheitsgebiet und den Aufenthalt dort zu gestatten, wenn der Angehörige dieses Staates von den Grundfreiheiten Gebrauch macht.737 cc) Arbeitnehmerfreizügigkeit (1) Ausnahme für die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung Art. 39 EGV sieht in Abs. 4 vor, dass die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung finden. Mit dieser Ausnahme beschäftigte sich der Gerichtshof u. a. in der Rechtssache 149/79.738 Darin führte er aus, dass bei der Prüfung der Frage, ob bestimmte Tätigkeiten unter den Begriff der Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung im Sinne der genannten Bestimmung fielen, zu untersuchen sei, „ob die betreffenden Stellen typisch für die spezifischen Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung insoweit sind, als diese mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und mit der Verantwortung für die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates betraut ist.“ Die Aus734 Rs. 271/82 (Auer), Slg. 1983, S. 2727, Rn. 19; so auch Rs. 5/83 (Rienks), Slg. 1983, S. 4233, Rn. 10. 735 Rs. C-370/90 (Singh), Slg. 1992, I-4265, Rn. 23. 736 Rs. C-60/00 (Carpenter), Slg. 2002, I-6279, Rn. 39. 737 Rs. C-370/90 (Singh), Slg. 1992, I-4265, Rn. 25 die Niederlassungsfreiheit und Freizügigkeit der Arbeitnehmer betreffend; Rs. C-60/00 (Carpenter), Slg. 2002, I-6279, Rn. 46 die Dienstleistungsfreiheit betreffend. 738 Rs. 149/79 (Kommission/Belgien), Slg. 1980, S. 3881.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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legung sei somit funktionell und müsse auf die Natur der mit der Stelle verbundenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten abstellen.739 Er wies darauf hin, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung der Rückgriff auf Bestimmungen der innerstaatlichen Rechtsordnung mit dem Ziel, die Tragweite der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu begrenzen, im Ergebnis die Einheit und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen würde und daher nicht zugelassen werden könne. Dieser für den Bestand der Gemeinschaft wesentliche Grundsatz gelte auch für die Bestimmung von Tragweite und Grenzen des Art. 48 Abs. 4 EWGV (nunmehr Art. 39 Abs. 4 EGV). Diese Vorschrift trage zwar dem berechtigten Interesse der Mitgliedstaaten Rechnung, ihren eigenen Staatsangehörigen diejenigen Stellen vorzubehalten, die einen Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und der Wahrung allgemeiner Belange aufwiesen; es müsse jedoch zugleich verhindert werden, dass die praktische Wirksamkeit und die Tragweite der Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und über die Gleichbehandlung der Angehörigen aller Mitgliedstaaten durch Auslegungen des Begriffs der öffentlichen Verwaltung begrenzt würden, die allein aus dem nationalen Recht gewonnen und die Anwendung des Gemeinschaftsrechts vereiteln würden.740 In der Rechtssache C-173/94741 entschied der EuGH, dass ein Mitgliedstaat sich nicht im Rahmen der Ausnahme des Art. 48 Abs. 4 EGV (nunmehr Art. 39 Abs. 4 EGV) halte, wenn er allgemein für sämtliche Stellen in den betroffenen Bereichen ein Staatsangehörigkeitserfordernis aufstelle. Dass bestimmte Stellen in diesen Bereichen unter Art. 48 Abs. 4 EGV (Art. 39 Abs. 4 EGV) fallen könnten, könne ein solches allgemeines Verbot nicht rechtfertigen.742 Die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, den Grundsätzen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Gleichbehandlung beim Zugang zur Beschäftigung volle Wirksamkeit zu verschaffen und die in Rede stehenden Bereiche den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten dadurch zu öffnen, dass sie nur den Zugang zu denjenigen Stellen von der Staatsangehörigkeit abhängig machten, die tatsächlich eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse oder an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich brächten, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet seien.743 739 Rs. 149/79 (Kommission/Belgien), Slg. 1980, S. 3881, Rn. 3; so auch Rs. C-473/93 (Kommission/Luxemburg), Slg. 1996, I-3207, Rn. 27. 740 Rs. 149/79 (Kommission/Belgien), Slg. 1980, S. 3881, Rn. 19; so auch Rs. 307/84 (Kommission/Frankreich), Slg. 1986, S. 1725, Rn. 12. 741 Rs. C-173/94 (Kommission/Belgien), Slg. 1996, I-3265. 742 Rs. C-173/94 (Kommission/Belgien), Slg. 1996, I-3265, Rn. 18 f.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

(2) Aufenthaltsrecht Mit dem Aufenthaltsrecht zum Zweck der Stellensuche beschäftigte sich der Gerichtshof grundlegend in der Rechtssache Antonissen.744 In dem Ausgangsverfahren stellte sich die Frage, ob es das Gemeinschaftsrecht einem Mitgliedstaat verwehrt, einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaates, der zum Zweck der Stellensuche in sein Gebiet einreist, auszuweisen, wenn er nach sechs Monaten keine Stelle gefunden hat. Der EuGH hielt fest, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu den Grundlagen der Gemeinschaft gehöre und die einschlägigen Bestimmungen daher weit auszulegen seien. Eine enge Auslegung von Art. 48 Abs. 3 EWGV (nunmehr Art. 39 Abs. 3 EGV), in dem Sinne, dass das Aufenthaltsrecht in einem anderen Mitgliedstaat an die Ausübung einer Beschäftigung gebunden sei, schlösse für die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats das Recht aus, sich frei in die anderen Staaten zu begeben und sich dort aufzuhalten, um eine Stelle zu suchen; sie sei somit irrig. Außerdem würde sie die Chancen eines arbeitssuchenden Angehörigen eines Mitgliedstaats vermindern, in den anderen Mitgliedstaaten eine Stelle zu finden und nähme dieser Bestimmung damit ihre praktische Wirksamkeit.745 Zur Möglichkeit einer zeitlichen Begrenzung des Aufenthaltsrechts führte der EuGH aus, dass die praktische Wirksamkeit des Art. 39 EGV gewahrt sei, wenn der Zeitraum, den das Gemeinschaftsrecht oder in Ermangelung einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung das Recht eines Mitgliedstaats dem Betroffenen einräume, um im jeweiligen Mitgliedstaat von Stellenangeboten, die seinen beruflichen Qualifikationen entsprechen, Kenntnis zu nehmen und sich gegebenenfalls bewerben zu können, angemessen sei.746 Das für das Ausgangsverfahren maßgebliche Recht sah einen Zeitraum von sechs Monaten vor, der nach Ansicht des Gerichtshofs ausreichend war. Er kam deshalb zu dem Schluss, dass eine solche zeitliche Begrenzung daher nicht die praktische Wirksamkeit des Grundsatzes der Freizügigkeit gefährde; erbringe der Betroffene nach Ablauf dieses Zeitraums den Nachweis, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit suche, so dürfe er vom Aufnahmemitgliedstaat trotzdem nicht ausgewiesen werden.747

743 Rs. C-173/94 (Kommission/Belgien), Slg. 1996, I-3265, Rn. 20; so auch Rs. C-290/94 (Kommission/Griechenland), Slg. 1996, I-3285, Rn. 37; Rs. C-473/93 (Kommission/Luxemburg), Slg. 1996, I-3207, Rn. 48. 744 Rs. C-292/89 (Antonissen), Slg. 1991, I-745. 745 Rs. C-292/89 (Antonissen), Slg. 1991, I-745, Rn. 12. 746 Rs. C-292/89 (Antonissen), Slg. 1991, I-745, Rn. 16.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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(3) Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit Zur Auslegung der Begriffe „Arbeitnehmer“ und „Tätigkeit im Lohnoder Gehaltsverhältnis“ äußerte sich der EuGH grundlegend in der Rechtssache Levin.748 Darin verwies er zunächst auf sein Urteil Unger,749 in dem er bereits festgestellt hatte, dass diese Begriffe nicht durch Verweisung auf das nationale Recht definiert werden dürften, sondern eine gemeinschaftsrechtliche Bedeutung hätten und deshalb anhand der Grundsätze der Gemeinschaftsordnung bestimmt werden müssten.750 Nachdem diese Begriffe den Anwendungsbereich einer der vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten festlegten, dürften sie nicht einschränkend ausgelegt werden. Eine Auslegung, die diesen Begriffen ihre volle Wirkungskraft gebe, entspreche auch den Zielen des Vertrages. Dazu gehöre nach Art. 2 und 3 die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, damit u. a. eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft und eine Hebung der Lebenshaltung gefördert würden. Die Teilzeitbeschäftigung stelle für eine große Anzahl von Personen ein wirksames Mittel zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen dar, weshalb die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt und die Erreichung der Vertragsziele in Frage gestellt wäre, wenn allein die Personen in den Genuss der mit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zuerkannten Rechte kämen, die einer Vollbeschäftigung nachgingen.751 In der Rechtssache Clean Car Autoservice752 entschied der EuGH, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht nur die Arbeitnehmer begünstige, sondern auch die Arbeitgeber. Er begründet das damit, dass Art. 39 EGV kein Hinweis zu entnehmen sei, dass sich nur Arbeitnehmer und keine anderen Personen, insbesondere Arbeitgeber darauf berufen könnten. Außerdem „kann das Recht der Arbeitnehmer, bei Einstellung und Beschäftigung nicht diskriminiert zu werden, nur dann seine volle Wirkung entfalten, wenn die Arbeitgeber ein entsprechendes Recht darauf haben, Arbeitnehmer nach Maßgabe der Bestimmungen über die Freizügigkeit einstellen zu können. Diese Bestimmungen würden nämlich leicht um ihre Wirkung gebracht, wenn die Mitgliedstaaten die dort enthaltenen Verbote schon dadurch umgehen könnten, dass sie 747 Rs. C-292/89 (Antonissen), Slg. 1991, I-745, Rn. 21; so auch Rs. C-171/91 (Tsiotras), Slg. 1993, I-2925, Rn. 13; Rs. C-344/95 (Kommission/Belgien), Slg. 1997, I-1035, Rn. 16. 748 Rs. 53/81 (Levin), Slg. 1982, S. 1035. 749 Rs. 75/63 (Unger), Slg. 1963, S. 379. 750 Rs. 53/81 (Levin), Slg. 1982, S. 1035, Rn. 11 f. 751 Rs. 53/81 (Levin), Slg. 1982, S. 1035, Rn. 14, 15. 752 Rs. C-350/96 (Clean Car Autoservice), Slg. 1998, I-2521.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

den Arbeitgebern die Einstellung eines Arbeitnehmers verböten, der gewisse Voraussetzungen nicht erfüllte, die, wenn er unmittelbar zu ihrer Erfüllung verpflichtet würde, Beschränkungen seines Rechts auf Freizügigkeit [. . .] darstellen würden.“753

(4) Rechtfertigung von Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit In der Rechtssache Bosman754 stützte der EuGH seinen Schluss, dass die Ausländerklauseln nationaler Fußballverbände755 nicht als vereinbar mit den Regelungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit angesehen werden können, auf den effet utile. Er erinnerte zunächst an sein Urteil in der Rechtssache Donà,756 in dem er anerkannt hatte, dass die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit Regelungen oder Praktiken nicht entgegenstehen, die ausländische Spieler von bestimmten Begegnungen aus nichtwirtschaftlichen Gründen ausschließen, die mit dem spezifischen Charakter und Rahmen dieser Begegnungen zusammenhängen und deshalb nur den Sport als solchen betreffen. Dies sei z. B. bei Spielen zwischen den Nationalmannschaften verschiedener Länder der Fall. Diese Beschränkung des Geltungsbereichs der fraglichen Bestimmungen dürfe jedoch nicht weiter gehen, als ihr Zweck es erfordere. Im Ausgangsverfahren bezögen sich die Ausländerklauseln nicht auf spezielle Begegnungen zwischen Mannschaften, die ihre Länder repräsentierten, sondern würden für alle offiziellen Begegnungen zwischen Vereinen gelten und beträfen somit den Kern der von den Berufsspielern ausgeübten Tätigkeit. Unter diesen Umständen könnten die Ausländerklauseln nicht als vereinbar mit Art. 48 (nunmehr Art. 39) des Vertrages angesehen werden, da diese Bestimmung sonst ihre praktische Wirksamkeit verlöre und das Grundrecht auf freien Zugang zur Beschäftigung zunichte gemacht wäre.757 (5) Assoziierungsabkommen Nachdem sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung von Assoziierungsabkommen eine deutliche Tendenz erkennen lässt, diese an die Arbeitnehmerfreizügigkeit des EG-Vertrages anzulehnen,758 sollen diese Fälle hier noch kurz besprochen werden. 753

Rs. C-350/96 (Clean Car Autoservice), Slg. 1998, I-2521, Rn. 20, 21. Rs. C-415/93 (Bosman), Slg. 1995, I-4921. 755 Diese beschränken die Möglichkeit, Spieler ausländischer Staatsangehörigkeit zu verpflichten oder in Wettkämpfen aufzustellen. 756 Rs. 13/76 (Donà), Slg. 1976, S. 1333, Rn. 14, 15. 757 Rs. C-415/93 (Bosman), Slg. 1995, I-4921, Rn. 127 f., 129. 754

C. Analyse der Urteile des EuGH

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In einer Reihe von Urteilen beschäftigte sich der EuGH mit dem Beschluss 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980, der die Rechte der türkischen Arbeitnehmer betrifft.759 Türkische Arbeitnehmer genießen im Gegensatz zu den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten keine Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft, sondern nur bestimmte Rechte in dem Aufnahmemitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sie ordnungsgemäß eingereist sind und in dem sie eine bestimmte Zeit lang eine ordnungsgemäße Beschäftigung ausgeübt haben.760 Die Vorschriften des Beschlusses 1/80 vermitteln ihrem Wortlaut nach nicht ein Aufenthaltsrecht, sondern betreffen in erster Linie die Erteilung einer Arbeitserlaubnis. Der EuGH hat, beginnend mit der Rechtssache Sevince761 in zahlreichen Urteilen festgehalten, dass der Arbeitnehmer Träger eines individuellen Rechts auf freien Zugang zur Beschäftigung ist, wenn er die Voraussetzungen des Beschlusses erfüllt. Dieses Recht setze aber zwangsläufig auch voraus, dass dem Arbeitnehmer ein Aufenthaltsrecht zustehe, da sonst sein Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt völlig wirkungslos wäre.762 Bezüglich der Dauer des Aufenthaltsrechts äußerte sich der Gerichtshof in der Rechtssache Tetik.763 Er verwies dazu auf seine Ausführungen in der bereits dargestellten Rechtssache Antonissen764 und betonte, dass die im Rahmen der Art. 39, 40 und 41 des Vertrages geltenden Grundsätze soweit wie möglich als Leitlinien für die Behandlung türkischer Arbeitnehmer, die die im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten Rechte besäßen, herangezogen werden müssten. Ein türkischer Arbeitnehmer müsse deshalb die Möglichkeit haben, innerhalb eines angemessenen Zeitraums im Aufnahmemitgliedstaat tatsächlich eine neue Beschäftigung zu suchen, und entsprechend müsse ihm während dieses Zeitraums ein Aufenthaltsrecht zustehen. Die 758 So auch Randelzhofer/Forsthoff in: Grabitz/Hilf, Art. 39 EGV, Rn. 87; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. I, Grundfreiheiten, Rn. 1298. 759 Keine amtliche Veröffentlichung, auszugsweise abgedruckt bei Randelzhofer/ Forsthoff in: Grabitz/Hilf, Art. 39 EGV, Rn. 88. 760 Rs. C-171/95 (Tetik), Slg. 1997, I-329, Rn. 29. 761 Rs. C-192/89 (Sevince), Slg. 1990, I-3461. 762 Rs. C-192/89 (Sevince), Slg. 1990, I-3461, Rn. 29; so auch Rs. C-237/91 (Kus), Slg. 1992, I-6782, Rn. 29, 30; Rs. C-355/93 (Eroglu), Slg. 1994, I-5113, Rn. 18 und 19; Rs. C-434/93 (Bozkurt), Slg. 1995, I-1475, Rn. 28; Rs. C-210/97 (Akman), Slg. 1998, I-7519, Rn. 24; Rs. C-340/97 (Nazli), Slg. 2000, I-957, Rn. 28; Rs. C-383/03 (Dogan), Slg. 2005, I-6237, Rn. 14, entsprechend für Art. 7 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 Rs. C-329/97 (Ergat), Slg. 2000, I-1487, Rn. 40; Rs. C-467/02 (Cetinkaya), Slg. 2004, I-10895, Rn. 31; Rs. C-373/03 (Aydinli), Slg. 2005, I-6181, Rn. 25. 763 Rs. C-171/95 (Tetik), Slg. 1997, I-329. 764 Rs. C-292/89 (Antonissen), Slg. 1991, I-745; Rs. C-171/95 (Tetik), Slg. 1997, I-329, Rn. 27.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

praktische Wirksamkeit des Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 erfordere es somit, dass ein türkischer Arbeitnehmer nach mindestens vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung in einem Mitgliedstaat seine derzeitige Beschäftigung aus persönlichen Gründen aufgeben und innerhalb eines angemessenen Zeitraums in demselben Mitgliedstaat eine neue Beschäftigung suchen können müsse, wenn sein Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Sinne dieser Vorschrift nicht ausgehöhlt werden solle.765 In ständiger Rechtsprechung betont der EuGH auch, dass die Mitgliedstaaten nicht die Befugnis hätten, den türkischen Arbeitnehmern die ihnen durch den Beschluss verliehenen Rechte zu nehmen. Wenn der Beschluss in der Weise ausgelegt werden könnte, dass er es einem Mitgliedstaat gestatte, einseitig den Inhalt des Systems der schrittweisen Eingliederung der türkischen Staatsangehörigen in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats zu verändern und ihnen so die Rechte vorzuenthalten, die ihnen der Beschluss abgestuft nach der Dauer der Beschäftigung als Arbeitnehmer verleihe, würde der Beschluss letztendlich ausgehöhlt und jeder praktischen Wirksamkeit beraubt.766 Mit Auslegungsfragen bezüglich des Art. 7 des Beschlusses 1/80, der die Rechte der nachgezogenen Familienangehörigen betrifft, beschäftigte sich der EuGH in den Rechtssachen Kadiman767 und Akman,768 mit Artikel 9 (Schulunterricht für Kinder türkischer Arbeitnehmer) in der Rechtssache Gürol.769

765

Rs. C-171/95 (Tetik), Slg. 1997, I-329, Rn. 31. Rs. C-36/96 (Günaydin), Slg. 1997, I-5143, Rn. 36 f., 38; so auch Rs. C-98/96 (Ertanir), Slg. 1997, I-5179, Rn. 32; Rs. C-1/97 (Birden), Slg. 1998, I-7747, Rn. 37; Rs. C-188/00 (Kurz), Slg. 2002, I-10691, Rn. 55, 68. 767 Rs. C-351/95 (Kadiman), Slg. 1997, I-2133, insbes. Rn. 40 – Nachzugsrecht von Familienangehörigen. 768 Rs. C-210/97 (Akman), Slg. 1998, I-7519, insbes. Rn. 47 f. 769 Rs. C-374/03 (Gürol), Slg. 2005, I-6199, insbes. Rn. 41. Der Vollständigkeit halber zu erwähnen sind noch die Rs. El-Yassini (C-416/96, Slg. 1999, I-1209), die das Abkommen zwischen der EWG und Marokko betraf (bezgl. des effet utile vgl. Rn. 66), die Rs. Kondova (C-235/99, Slg. 2001, I-6427) eine bulgarische Staatsangehörige betreffend (bezgl. des effet utile vgl. Rn. 77) sowie die Rs. Gloszczuk (C-63/99, Slg. 2001, I-6369, bezgl. des effet utile vgl. Rn. 74), die Rs. Pokrzeptowicz-Meyer (C-162/00, Slg. 2002, I-1049, bezgl. des effet utile vgl. Rn. 24) polnische Staatsangehörige betreffend; die Rs. Simutenkov (C-265/03, Slg. 2005, I-2579, insbes. Rn. 24 und 40) betraf ein Partnerschaftabkommen der Gemeinschaft mit Russland, der EuGH berief sich in seinem Urteil auf die Rs. Pokrzeptowicz-Meyer. 766

C. Analyse der Urteile des EuGH

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dd) Stellungnahme (1) Zum methodischen Vorgehen des EuGH Die analysierten Urteile im Bereich der Grundfreiheiten betreffen nahezu ausschließlich die Auslegung von Primärrecht.770 Diese Tatsache prägt und beeinflusst das methodische Vorgehen des EuGH. In Teil 1 der vorliegenden Arbeit wurden die strukturellen Unterschiede zwischen Primär- und Sekundärrecht erläutert, die auch eine unterschiedliche methodische Vorgehensweise zur Folge haben. Es wurde bereits ausgeführt, dass beispielsweise die Auslegung von Sekundärrecht durch einen verstärkten Rückgriff auf die Begründungserwägungen gekennzeichnet ist, aus denen der Gerichtshof z. B. den Zweck einer bestimmten Norm abzuleiten versucht. Die Auseinandersetzung mit den dargestellten Urteilen zu den Grundfreiheiten hat ergeben, dass der Gerichtshof in der überwiegenden Anzahl der Fälle zunächst vom Wortlaut der auszulegenden Bestimmung ausgeht771 sowie die Auslegung nach dem effet utile mit der grammatischen und der teleologischen Auslegung kombiniert.772 Nur ganz vereinzelt entsteht der Eindruck, dass das Argument der praktischen Wirksamkeit in gewisser Weise aus der Luft gegriffen wurde.773 Festgestellt werden konnte außerdem, dass der Gerichtshof bei der Auslegung der Art. 49 EGV und 39 EGV meistens die praktische Wirksamkeit der Grundfreiheit als solcher im Auge hatte und auch auf ihre Stellung und ihre Bedeutung im gesamten Vertrag Bezug nimmt. Die Grundfreiheiten stellen das „Kernstück“ des Binnenmarktes774 dar und tragen somit zur Verwirklichung eines der Hauptziele des Vertrages bei. So spricht der Gerichtshof z. B. in der Rechtssache Antonissen von der praktischen Wirksamkeit des Grundsatzes der Freizügigkeit, die nach ständiger Rechtsprechung zu den Grundlagen der Gemeinschaft gehört.775 Wie bereits im Rahmen der teleologischen Auslegungsmethode besprochen wurde, bilden die Grundfreiheiten auch einen der wichtigsten Anwendungsbereiche für den Grundsatz, dass der Schutzbereich der Grundfreiheit weit und die Ausnahmebestimmungen dazu im Interesse der praktischen 770

Vereinzelte Urteile betrafen Harmonisierungsrichtlinien. So z. B. Rs. 2/74 (Reyners), Slg. 1974, S. 631; Rs. 149/79 (Kommission/Belgien), Slg. 1980, S. 3881; Rs. 53/81 (Levin), Slg. 1982, S. 1035; Rs. C-205/99 (Analir), Slg. 2001, I-1271. 772 Vgl. z. B. Rs. C-292/89 (Antonissen), Slg. 1991, I-745, Rn. 9 f.; Rs. C-205/99 (Analir), Slg. 2001, I-1271; Rs. 149/79 (Kommission/Belgien), Slg. 1980, S. 388). 773 So erscheint die Argumentation in der Rs. C-154/89 (Kommission/Frankreich), Slg. 1991, I-659, Rn. 12. 774 Kahl in: Calliess/Ruffert, Art. 14 EGV, Rn. 11. 775 Vgl. Rs. C-292/89 (Antonissen), Slg. 1991, I-745, Rn. 11, 12, 21. 771

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Wirksamkeit eng auszulegen sind.776 So stellte der EuGH z. B. in der Rechtssache Levin777 zur Arbeitnehmerfreizügigkeit fest, dass die Begriffe Arbeitnehmer“ und „Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis“ den Anwendungsbereich einer der vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten festlegten und deshalb nicht einschränkend ausgelegt werden dürften. Eine Auslegung, die diesen Begriffen ihre volle Wirkungskraft gebe, entspreche auch den Zielen des Vertrages. Dazu gehöre nach Art. 2 und 3 die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, damit u. a. eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft und eine Hebung der Lebenshaltung gefördert würden.778 Auch im Bereich der Grundfreiheiten kann man feststellen, dass der EuGH soweit dies möglich ist, auf seine bestehende Rechtsprechung bzw. auf vorhergehende Urteile, in denen er bereits mit vergleichbaren Problemen befasst war, verweist. Bei der Abgrenzung von Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit argumentiert der Gerichtshof in der Regel zuerst mit der Tatsache, dass die Dienstleistungsfreiheit nicht nur ein Diskriminierungs-, sondern auch ein Beschränkungsverbot beinhalte. Dann führt er aus, dass ein Mitgliedstaat für die Erbringung von Dienstleistungen in seinem Gebiet nicht die Erfüllung aller Bedingungen einer Niederlassung verlangen könne, weil den Bestimmungen, die den freien Dienstleistungsverkehr gewährleisten sollen, andernfalls ihre praktische Wirksamkeit völlig genommen würde.779 Erwähnt sei noch ein bestimmter Argumentationstypus, den der EuGH im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Zusammenhang mit dem Beschluss 1/80 verwendet. Der Gerichthof stellte dabei fest, dass Art. 6 des Beschlusses von seinem Wortlaut her lediglich die beschäftigungsrechtliche und nicht die aufenthaltsrechtliche Stellung der türkischen Arbeitnehmer 776

Zu weit geht in dieser Hinsicht die Meinung Mosieks (Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 55 f.), dass grundsätzlich die weite Auslegung der Grundfreiheiten und die enge Auslegung der Ausnahmetatbestände ein Anwendungsfall des effet utile seien, obwohl er einräumt, dass der EuGH sich in vielen Fällen nicht ausdrücklich auf den effet utile bezieht. Es ist nicht möglich, von einer Orientierung am effet utile zu sprechen, wenn in den Texten der Urteile überhaupt keine diesbezüglichen Anhaltspunkte zu finden sind. Die hier vorliegende Arbeit geht grundsätzlich davon aus, dass der EuGH den effet utile explizit nennt, wenn er sich darauf berufen möchte, andere Kriterien sind zu unscharf und ermöglichen keine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung. 777 Rs. 53/81 (Levin), Slg. 1982, S. 1035. 778 Vgl. auch Rs. C-292/89 (Antonissen), Slg. 1991, I-745. 779 So z. B. in der Rs. C-43/93 (Vander Elst), Slg. 1994, I-3803; Rs. C-165/98 (Mazzoleni), Slg. 2001, I-2189; Rs. C-164/99 (Portugaia Construções), Slg. 2002, I-787.

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regle, dass diese beiden Aspekte jedoch eng miteinander verknüpft seien und die fraglichen Bestimmungen deshalb zwangsläufig implizierten, dass den türkischen Arbeitnehmern auch ein Aufenthaltsrecht zustehe, weil anderenfalls das Recht, das sie diesen Arbeitnehmern zuerkannten, völlig wirkungslos wäre.780 In diesem Zusammenhang verwendet der EuGH somit das effet utile-Argument, um das ansonsten unpraktikable Ergebnis der Wortlautauslegung zu korrigieren. (2) Zu den inhaltlichen Ergebnissen Bei den analysierten Urteilen im Bereich der Grundfreiheiten fällt auf, dass keines dabei ist, das den freien Warenverkehr betrifft. Diese Erkenntnis erstaunt, weil die Warenverkehrsfreiheit diejenige Grundfreiheit ist, für die der Gerichtshof verschiedene Strukturmerkmale als erstes entwickelt und dann auf die übrigen Grundfreiheiten übertragen hat. Der freie Warenverkehr hatte also in gewisser Hinsicht eine Leitfunktion für die Entwicklung der Struktur der Grundfreiheiten inne.781 So ist es z. B. interessant festzustellen, dass sich der EuGH in dem grundlegenden Urteil in der Rechtssache Dassonville,782 in dem er zum ersten Mal eine allgemeine Definition der Maßnahme gleicher Wirkung in Art. 28 EGV gegeben hat,783 nicht ausdrücklich auf den effet utile berufen hat, obwohl es doch gerade in diesem Fall nahe liegend gewesen wäre, mit der praktischen Wirksamkeit von Art. 28 EGV zu argumentieren. Der Gerichtshof stellte in Randnummer 5 dieses Urteils aber lediglich Folgendes fest: „Jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, ist als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen.“ 780

So z. B. Rs. C-237/91 (Kus), Slg. 1992, I-6782. So auch Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 21, S. 40, der von der „Pionierfunktion“ der Warenverkehrsfreiheit spricht; zur sog. Konvergenz der Grundfreiheiten bzw. der Entwicklung einer einheitlichen Dogmatik der Grundfreiheiten; vgl. auch Ehlers, § 7 Allgemeine Lehren; Jarass, Elemente einer Dogmatik der Grundfreiheiten II, EuR 2000, S. 705; Schleper, Auf dem Weg zu einer einheitlichen Dogmatik der Grundfreiheiten? Göttinger Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 16. 782 Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, S. 837. 783 Vgl. zu den ersten Versuchen der Konkretisierung des Begriffs „Maßnahme gleicher Wirkung“ die von der Kommission auf den damaligen Art. 33 Abs. 7 EWGV gestützten Richtlinien und die darauf folgende Diskussion im Schrifttum Veelken, Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen, EuR 1977, S. 311 (312 f.); s. auch die Schlussanträge des GA Trabucchi in der Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, S. 855, 859 f. 781

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Genau genommen dient diese Definition gerade dazu, die praktische Wirksamkeit des Art. 28 EGV zu gewährleisten, indem eine Umgehung des Verbots durch die Mitgliedstaaten verhindert werden sollte. Der EuGH wählte bewusst eine weite Definition des Begriffs der Maßnahme gleicher Wirkung, um wirklich alle mitgliedstaatlichen Maßnahmen, die dem Grundsatz des freien Warenverkehrs entgegenstehen könnten, zu erfassen und so die Wirksamkeit des Verbots zu gewährleisten. Dass der Gerichtshof sich in späteren Urteilen dazu veranlasst sah, diese sehr weite Formel zu korrigieren, ändert nichts an seiner ursprünglichen Absicht. Mit diesen Korrekturen wollte er vermeiden, dass nationale Regelungen, die allgemein die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Warenabsatz regeln, an Art. 28 EGV gemessen werden müssen, obwohl sie gemeinschaftsrechtlich oft unproblematisch sind, auch wenn sie an sich unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell handelsbehindernd im Sinne der Dassonville-Formel wären.784 Mitunter wird in der Literatur vertreten, dass sich der EuGH im Dassonville-Urteil, auch wenn er sich nicht ausdrücklich auf den Wirksamkeitsgedanken berufe, doch der Sache nach am effet utile orientiere.785 Dies mag insofern zutreffend sein, als der Gerichtshof das soeben beschriebene Ziel vor Augen hatte, eine Umgehung der Vorschriften über den freien Warenverkehr zu vermeiden. Trotzdem hat die zitierte Literaturmeinung einen gewissen „spekulativen“ Beigeschmack, weil so eine Grenzziehung zwischen den Fällen, in denen der EuGH bei der Auslegung auf den effet utile zurückgreift und denjenigen, in denen er das nicht tut, kaum möglich ist. Die vorliegende Untersuchung hat ergeben, dass der Gerichtshof sich sehr oft in seinen Urteilen explizit auf den effet utile beruft, mit der Wirksamkeit einer Norm argumentiert oder festhält, dass diese bei einer gewissen Auslegung völlig wirkungslos wäre bzw. ihre Wirkung nicht entfalten könnte. Diese Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass der EuGH grundsätzlich, wenn er mit dem effet utile argumentiert, dies auch in irgendeiner Weise zu erkennen gibt. Es ist auch nicht ersichtlich geworden, dass sich der Gerichtshof scheuen würde, das effet utileArgument zur Begründung seiner Urteile heranzuziehen. Deshalb kann man eigentlich eine Argumentation anhand der Wirksamkeit einer Norm nur dann annehmen, wenn dies an einer Aussage des Gerichtshofs festgemacht werden kann. Diese Schlussfolgerung wird auch durch einen Vergleich mit den „klassischen“ Auslegungsmethoden gestützt, der zeigt, dass der EuGH grundsätzlich gewisse Signalwörter verwendet, die dem Leser 784 Vgl. insbesondere verb. Rs. C-267/91 und C-268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6097, Rn. 16; Rs. C-339/89 (Alsthom Atlantique), Slg. 1991, I-107. 785 So Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 56.

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seiner Urteile zu verstehen geben, wie er bei der Auslegung vorgeht. So gibt der EuGH z. B. zu erkennen, dass er teleologisch auslegt, wenn er sich auf den „Zweck“ einer Vorschrift beruft oder die Formulierung verwendet „diese Bestimmung soll . . .“ Die Frage, warum sich der Gerichtshof in den Urteilen zum Bereich des freien Warenverkehrs nicht explizit auf den effet utile beruft, lässt sich nicht mit letzter Gewissheit beantworten. Man kann aber verschiedene Faktoren untersuchen, die diese Tatsache beeinflusst haben könnten. Was das Dassonville-Urteil anbelangt, könnte z. B. der Zeitpunkt eine Rolle spielen, zu dem das Urteil ergangen ist, nämlich das Jahr 1974. Man könnte mutmaßen, dass es für den EuGH damals nicht üblich war, mit dem effet utile zu argumentieren. Dieser Ansatz überzeugt jedoch nicht, da es andere Urteile, wie in den Rechtssachen Reyners786 oder van Binsbergen787 aus demselben Jahr gibt, in denen sich der Gerichtshof explizit auf den Wirksamkeitsgedanken beruft. Auch die Rechtssache van Duyn,788 in der der EuGH erstmals unmittelbar wirkende Rechte Einzelner aus einer Richtlinie gegenüber einem Mitgliedstaat ableitete, entschied er im Jahre 1974, indem er sich explizit auf „die nützliche Wirkung (‚effet utile‘)“ berief.789 Der Zeitpunkt der Urteilsverkündung scheint also keinen Aufschluss über die mangelnde Berufung auf den effet utile in der Rechtssache Dassoville zu geben. In allen genannten Urteilen aus dem Jahre 1974 beschäftigte sich der EuGH außerdem mit der Auslegung von Primärrecht, weshalb wohl auch hieraus der Unterschied nicht erklärt werden kann. Der Wortlaut der Bestimmungen, die der EuGH in den genannten vier Urteilen auslegt, weist auch keine so gravierenden strukturellen Unterschiede auf, als dass der Gerichtshof deshalb bei der Auslegung von Art. 28 EGV auf einen Rückgriff auf das Wirksamkeitsargument verzichtet hätte. In den drei, im Jahre 1974 entschiedenen Rechtssachen, in denen sich der EuGH explizit auf den Wirksamkeitsgedanken beruft, wurden die Schlussanträge ausnahmslos von Generalanwalt Mayras erstellt. Nachdem sich der Gerichtshof in seiner Entscheidungsfindung in sehr vielen Fällen an den Schlussanträgen des Generalanwalts orientiert, könnte darin der Schlüssel zur Erklärung liegen. Dieser Ansatz muss jedoch ebenfalls verneint werden. Lediglich in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Van Duyn790 nimmt der Generalanwalt auf eine Urteilspassage des Gerichtshofs 786 787 788 789 790

Rs. 2/74 (Reyners), Slg. 1974, S. 631. Rs. 33/74 (van Binsbergen), Slg. 1974, S. 1299. Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337. Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337, Rn. 12. Schlussanträge in der Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1353, 1356.

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in den Rechtssachen Grad,791 Lesage792 und Haselhost793 Bezug, in welcher der EuGH explizit auf die „nützliche Wirkung („effet utile“)“ zurückgreift. In den anderen Schlussanträgen findet sich kein Hinweis auf den effet utile. Entscheidend könnte somit der Einfluss des Berichterstatters in den verschiedenen Rechtssachen sein. In den Rechtssache Reyners und van Binsbergen war Richter Pescatore Berichterstatter, in der Rechtssache van Duyn Richter Sorensen, in der Rechtssache Dassonville Richter Mackenzie Stuart. Somit lässt sich wohl auch hieraus keine Erklärung ableiten. Formale Argumente vermögen somit den fehlenden Rückgriff auf den effet utile im Dassonville-Urteil nicht zu erklären. Auf eine inhaltliche Erkenntnis soll jedoch noch hingewiesen werden. Auffallend ist, dass der EuGH sich sowohl im Bereich des freien Warenverkehrs als auch im Bereich des freien Kapitalverkehrs in seinen Urteilen nicht explizit auf den effet utile beruft, mithin also bei den Grundfreiheiten, die keine personenenbezogenen Komponenten aufweisen. Bei der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und insbesondere auch an der Schnittstelle zwischen Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit finden wir hingegen eine häufige Verwendung des Wirksamkeitsgedankens. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit gehören zu den Personenfreizügigkeiten, die Dienstleistungsfreiheit hat einen doppelten Charakter als Personen- und als Produktverkehrsfreiheit, in den analysierten Urteilen ist sie in der Regel in ihrer Dimension als Personenverkehrsfreiheit betroffen. Es könnte somit sein, dass der Gerichthofs sich im Bereich der Grundfreiheiten nur in denjenigen Fällen ausdrücklich auf den effet utile berufen wollte, in denen personenfreizügigkeitsrelevante Aspekte zu entscheiden waren. Diese Überlegung findet auch in der Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfesten des Gemeinschaftsrechts eine Stütze. Wie ausführlich dargestellt wurde, ist sie durch das Bestreben gekennzeichnet, die Position des rechtsschutzsuchenden Einzelnen zu stärken. Eine Übertragung dieses Gedankengangs der Kombination des Wirksamkeitsarguments mit der Stärkung des Einzelnen auf den Bereich der Grundfreiheiten liegt also nicht ganz fern. Sie stünde auch im Einklang mit der Dogmatik der Grundfreiheiten, in der grundsätzlich beim persönlichen bzw. sachlichen Anwendungsbereich zwischen dem freien Warenverkehr und den Personenfreizügigkeiten unterschieden wird. In den Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit fallen Waren, die aus der Gemeinschaft stammen oder Waren aus Drittstaaten, die in der Gemeinschaft im freien Verkehr sind.794 Der persönliche 791

Rs. 1/70 (Grad), Slg. 1970, S. 825. Rs. 20/70 (Lesage), Slg. 1970, S. 861. 793 Rs. 23/70 (Haselhorst), Slg. 1970, S. 881. 794 Streinz, Europarecht, Rn. 660; vgl. Art. 24 EGV; Ehlers, Allgemeine Lehren, Rn. 35 f. 792

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Anwendungsbereich der Personenverkehrsfreiheiten betrifft hingegen die Frage, welche Personen Berechtigte aus den Grundfreiheiten sind. Man kann somit zum Schluss kommen, dass sich der EuGH im Rahmen der Grundfreiheiten nur dann auf den effet utile beruft, wenn der einzelne Bürger unmittelbar und in seiner Eigenschaft als Berechtigter aus den Grundfreiheiten betroffen ist. Ob dahinter wirklich eine bewusste methodische Absicht des EuGH steckt oder ob sich diese Besonderheit anfangs eher zufällig ergeben und dann einfach dadurch fortgesetzt hat, dass der Gerichtshof in seinen Urteilen oft auf seine vorherige Rechtsprechung verweist und somit die Argumentation ohne expliziten Bezug auf den Wirksamkeitsgedanken von Urteil zu Urteil weitergetragen hat, kann nicht mit letzter Sicherheit beantwortet werden. Eher ist von einer unbewussten Vorgehensweise des EuGH auszugehen, zumal auch keine Stellungnahmen von Mitgliedern des Gerichtshofs ausfindig gemacht werden konnten, die die These von der bewussten methodischen Entscheidung stützen würden. c) Wettbewerbsrecht aa) Mittelbare Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf den Staat (1) Allgemeines Diese Unterkategorie der Urteile zum Wettbewerbsrechts weist als einzige im 2. großen Bereich gewisse Ähnlichkeiten mit dem effet utile im Bereich der Grundfesten auf, weil der EuGH auf Art. 10 EGV gestützt eine Ausdehnung der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften auf mitgliedstaatliche wirtschaftspolitische Maßnahmen vorgenommen hat.795 Eine große Anzahl an Urteilen im Bereich des Wettbewerbsrecht, bei denen sich der EuGH auf den effet utile beruft, betreffen die Frage, ob Art. 81 und 82 EGV (ehemals Art. 85 und 86) nur die Unternehmen in den Mitgliedstaaten verpflichten oder auch die Mitgliedstaaten selbst. (2) Entwicklung der Rechtsprechung Ausgangspunkt für die Frage, ob die Wettbewerbsvorschriften des Vertrages mittelbar auf staatliches Handeln anwendbar sind, war das Urteil des EuGH in der Rechtssache Inno796 aus dem Jahr 1977.797 Dort führte der Gerichtshof Folgendes aus: 795 796

Vgl. v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 58. Rs. 13/77 (G.B.-Inno-BM), Slg. 1977, S. 2115.

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„Artikel 5 Absatz 2 des Vertrages798 bestimmt, dass die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährden könnten. Obgleich sich Artikel 86799 an die Unternehmen richtet, begründet deshalb der Vertrag doch auch für die Mitgliedstaaten die Verpflichtung, keine Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten, die die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung ausschalten könnten.“800

Ob im konkreten Fall, der die Vereinbarkeit einer staatlichen Festsetzung von Mindestverkaufspreisen für Tabakerzeugnisse mit den Art. 3 Abs. 1 g), 10 und 82 EGV betraf, der effet utile der Wettbewerbsbestimmungen tatsächlich beeinträchtigt werden könnte, beantwortete der EuGH nicht. Der Gerichtshof hielt in seinem Urteil fest, dass die Adressaten der Bestimmungen über die Wettbewerbsregeln grundsätzlich die Unternehmen sind und durch Gesetz oder Verordnungen der Mitgliedstaaten getroffene Maßnahmen nicht eingeschlossen sind.801 Dem mitgliedstaatlichen Handeln sind aber nach Ansicht des EuGH Grenzen gesetzt, die bei einer Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit dieser Bestimmungen zutage treten. Zunächst blieb ungeklärt, welches staatliche Verhalten geeignet ist, den effet utile der Wettbewerbsvorschriften zu beeinträchtigen,802 da der EuGH einige Gelegenheiten ungenutzt verstreichen ließ, in denen er eine Präzisierung seiner Rechtsprechung hätte vornehmen können.803 Diese zurückhaltende Linie änderte sich erst im Jahre 1985 mit dem Urteil in der Rechtssache Leclerc/Au blé vert, einem Verfahren, das ein nationales System der Buchpreisbindung zum Gegenstand hatte, das die Einzelhändler verpflichtete, Bücher zu einem vom Verleger oder Importeur festgesetzten Preis zu verkaufen.804 In seinem Urteil stellte der EuGH klar, dass die Mitgliedstaa797

A. A. Pappalardo, Der Europäische Gerichtshof auf der Suche nach einem Kriterium für die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf staatliche Maßnahmen, FS von der Groeben, S. 303 (306 f.). 798 Nun Art. 10 Abs. 2 EGV. 799 Nun Art. 82 EGV. 800 Rs. 13/77 (G.B.-Inno-BM), Slg. 1977, S. 2115, Rn. 30/35; vgl. auch Rs. C-266/96 (Corsica Ferries), Slg. 1998, I-3949, Rn. 35; Rs. C-38/97 (Autotrasporti Librandi), Slg. 1998, I-5955, Rn. 44; Rs. C-260/89 (Elliniki Radiophonia), Slg. 1991, I-2925, Rn. 35; Rs. C-320/91 (Corbeau), Slg. 1993, I-2533, Rn. 11; so auch Rs. C-55/96 (Job Centre), Slg. 1997, I-7119, Rn. 28; verb. Rs. C-147/97 und C-148/97 (Deutsche Post), Slg. 2000, I-825, Rn. 39. 801 In diesem Fall käme eine Anwendbarkeit der Bestimmungen über den freien Warenverkehr oder die anderen Grundfreiheiten in Frage. 802 Schwarze, Der Staat als Adressat des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2000, S. 613 (617). 803 Vgl. dazu ausführlich Schwarze, EuZW 2000, S. 613 (617 f.); Bach, Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht, S. 129 f.; Bauer, Wettbewerbsbeschränkungen durch Staaten?, S. 59 f. 804 Schwarze, EuZW 2000, S. 613 (618).

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ten „keine Maßnahmen, auch nicht in Form von Gesetzen oder Verordnungen,805 ergreifen oder beibehalten“806 dürfen, die die praktische Wirksamkeit der Wettbewerbsvorschriften ausschalten könnten und bezog so die Legislative explizit mit ein. In der Folgerechtsprechung führte der Gerichtshof aus, indem er bereits auf seine ständige Rechtsprechung verwies, dass eine Verletzung der praktischen Wirksamkeit der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften „insbesondere [dann] gegeben [ist], wenn ein Mitgliedstaat Artikel 85807 zuwiderlaufende Kartellabsprachen vorschreibt oder erleichtert oder deren Auswirkungen verstärkt“808 oder „wenn [er] die Wirkungen von gegen Artikel 85 verstoßenden Vereinbarungen durch eine Allgemeinverbindlicherklärung verstärkt“.809 Die gebildeten Fallgruppen sind nicht als abschließend zu verstehen, da der Gerichtshof seine Aussage mit der Einleitung „insbesondere“ beginnt. Untersagt werden somit sowohl die hoheitliche Genehmigung solcher privater Praktiken als auch die tatsächliche hoheitliche Unterstützung. Die Mitgliedstaaten dürfen z. B. nicht eine bereits praktizierte, unzulässige Verhaltensweise durch Genehmigung verstärken.810 Als Weiterentwicklung der Rechtsprechung ist auch das Urteil Van Eycke811 zu nennen, in dem der EuGH ein weiteres Merkmal für das staatliche Handeln hinzufügte, durch das die praktische Wirksamkeit der Wettbewerbsvorschriften beeinträchtigt werden kann, und zwar dann, „wenn [. . .] [der Mitgliedstaat] der eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nimmt, dass er die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern überträgt.“812 Zu nennen ist in diesem Zusammenhang 805

Hervorhebung durch die Verfasserin. Rs. 229/83 (Leclerc/Au blé vert), Slg. 1985, S. 1, Rn. 14, Hervorhebung durch die Verfasserin; vgl. auch Rs. 231/83 (Cullet), Slg. 1985, S. 305, Rn. 16; Rs. C-60/91 (Morais), Slg. 1992, I-2085, Rn. 11. 807 Nun Art. 81 EGV. 808 Verb. Rs. 209 bis 213/84 (Asjes), Slg. 1986, S. 1425, Rn. 71; vgl. auch Rs. 311/85 (Vlamse Reisebureaus), Slg. 1987, S. 3801, Rn. 10; Rs. 66/86 (Ahmed Saeed Flugreisen), Slg. 1989, S. 803, Rn. 48; Rs. 254/87 (Syndicat des libraires de Normandie/Centre Leclerc), Slg. 1987, S. 3801, Rn. 10; Rs. C-339/89 (Alsthom Atlantique), Slg. 1991, I-107, Rn. 11. 809 Rs. 136/86 (Aubert), Slg. 1987, S. 4789, Rn. 24. 810 v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 60 f.; Rs. 66/86 (Ahmed Saeed Flugreisen), Slg. 1989, S. 803, Rn. 48. 811 Rs. 267/86 (Van Eycke), Slg. 1988, S. 4769. 812 Rs. 267/86 (Van Eycke), Slg. 1988, S. 4769, Rn. 16; Rs. C-332/89 (Marchandise), Slg. 1991, I-1027, Rn. 22; Rs. C-2/91 (Meng), Slg. 1993, I-5751, Rn. 14; Rs. C-185/91 (Gebrüder Reiff), Slg. 1993, I-5801, Rn. 14; Rs. C-245/91 (Ohra Schadeverzekeringen), Slg. 1993, I-5851, Rn. 10; Rs. C-379/92 (Peralta), Slg. 1994, I-3453, Rn. 21; Rs. C-153/93 (Delta Schiffahrts- und Speditionsgesellschaft), Slg. 1994, I-2517, Rn. 14; Rs. C-412/93 (Leclerc-Siplec), Slg. 1995, I-179, Rn. 25; Rs. 806

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auch die Rechtssache Kommission/Italien,813 in der der Gerichtshof erstmals in einem Vertragsverletzungsverfahren einen Verstoß eines Mitgliedstaats gegen die sich aus Art. 10 EGV i. V. m. Art. 81 EGV ergebenden Verpflichtungen festgestellt hat.814 Die von ihm aufgestellten Fallgruppen bzw. Voraussetzungen hat der EuGH seitdem in ständiger Rechtsprechung bestätigt.815 (3) Stellungnahme Wenn man die Entwicklung der Rechtsprechung in zeitlicher Hinsicht betrachtet, so lassen sich drei unterschiedliche Phasen feststellen. Als erstes ist das Urteil in der Rechtssache Inno816 zu nennen, mit dem der EuGH sozusagen den ersten Vorstoß in die Richtung wagte, auch staatliches Handeln unter gewissen Umständen an den Vorschriften über das Wettbewerbsrecht zu messen. Die folgende Phase war, wie bereits angesprochen, von Zurückhaltung des Gerichtshofs geprägt, der nicht auf die „neue Norm“817 zurückgriff. Die Wende kam mit dem Verfahren in der Rechtsache Leclerc/Au blé vert,818 daran anschließend nahm der EuGH mehr und mehr auf die von ihm entwickelte „Formel“819 Bezug. Das zeigen die untersuchten C-96/94 (Centro Servizi Spediporto), Slg. 1995, I-2883, Rn. 20 f.; Rs. C-134/94 (Esso Espanola), Slg. 1995, I-4223, Rn. 18; verb. Rs. C-140/94, C-141/94 und C-142/94 (DIP Spa), Slg. 1995, I-3257, Rn. 14 f.; Rs. C-70/95 (Sodemare), Slg. 1997, I-3395, Rn. 41 f.; Rs. C-35/99 (Arduino), Slg. 2002, I-1529, Rn. 34 f.; vgl. dazu auch Hoffman, Anti-competitive State Legislation Condemned Under Articles 5, 85 and 86 of the EEC Treaty, ECLR 1990, Vol. 11, S. 11 (22 f.). 813 Rs. C-35/96 (Kommission/Italien), Slg. 1998, I-3851. 814 Rs. C-35/96 (Kommission/Italien), Slg. 1998, I-3851, Rn. 53. 815 Verb. Rs. C-401/92 und C-402/92 (Tankstation ’T Heuske), Slg. 1994, I-2199, Rn. 16; Rs. C-67/96 (Albany), Slg. 1999, I-5751, Rn. 65; verb. Rs. C-115/97 bis C-117/97 (Brentjens’ Handelsonderneming), Slg. 1999, I-6025, Rn. 65; Rs. C-219/97 (Maatschappij Drijvende Bokken), Slg. 1999, I-6121, Rn. 55; vgl. dazu auch Gyselen, State action and the effectiveness of the EEC Treaty’s competition provisions, CML Rev. 1989, S. 32 (36 f.). 816 Rs. 13/77 (G.B.-Inno-BM), Slg. 1977, S. 2115. 817 Slot, The Application of Art. 3 (f), 5 and 85 to 94 ECC, ELR 1987, S. 179 (182). 818 Rs. 229/83 (Leclerc/Au blé vert), Slg. 1985, S. 1. 819 „Hierzu ist festzustellen, dass die Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag an sich nur das Verhalten von Unternehmen und nicht durch Gesetz oder Verordnung getroffene Maßnahmen der Mitgliedstaaten betreffen. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes dürfen die Mitgliedstaaten jedoch aufgrund der Artikel 85 und 86 in Verbindung mit Artikel 5 EWG-Vertrag keine Maßnahmen, und zwar auch nicht in Form von Gesetzen oder Verordnungen, treffen oder beibehalten, die die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln aufheben könnten.“

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Urteile, die nach diesem Zeitpunkt in gehäufter Anzahl anzutreffen sind. Seit dem Urteil in der Rechtssache Asjes820 bezeichnet der Gerichtshof die mittelbare Verantwortung des Staates im wettbewerbsrechtlichen Bereich als „ständige Rechtsprechung“.821 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der EuGH vier Fallgruppen822 herausgebildet hat, bei denen ein Verstoß des Staates gegen die Wettbewerbsregeln vorliegen kann. Grundvoraussetzung für alle Fallgruppen ist zunächst, dass ein wettbewerbswidriges Verhalten eines Unternehmens vorliegt, nur dann kann auch der Staat in die Verantwortung genommen werden. Dieser Zusammenhang wird in der Literatur mit dem Stichwort der Akzessorietät bezeichnet.823 Entscheidend ist für den Gerichtshof, wer der Urheber der wettbewerbsbeschränkenden Maßnahme ist; kann das Verhalten ausschließlich dem Staat zugerechnet werden, ist der Anwendungsbereich für die vom EuGH entwickelte „Formel“ nicht eröffnet. Liegt die Verantwortung hingegen beim Unternehmen, das folglich über einen gewissen Spielraum verfügt,824 und dessen Verhalten kann dem Staat zugerechnet werden, dann greifen die Wettbewerbsvorschriften auch für den Staat.825 Die beschriebenen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten entstehen aus der Notwendigkeit heraus, die Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsbestimmungen abzusichern. Die praktische Wirksamkeit der Art. 81 und 82 EGV ist deshalb auch der Schlüsselbegriff, den der Gerichtshof in 820

Verb. Rs. 209 bis 213/84 (Asjes), Slg. 1986, S. 1425. Schwarze, EuZW 2000, S. 613 (620). 822 (1) Der Mitgliedstaat schreibt ein wettbewerbswidriges Verhalten vor oder (2) er erleichtert bzw. fördert ein derartiges unternehmerisches Verhalten oder (3) er verstärkt die Wirkung eines solchen Verhaltens, z. B. durch eine Allgemeinverbindlicherklärung oder (4) der Mitgliedstaat nimmt der eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter, dass er die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern überträgt. Diese vier Gruppen unterscheiden auch Bach, Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht, S. 149 f. und Schwarze, EuZW 2000, S. 613 (621). 823 Es ist in der Literatur allerdings nicht unumstritten, ob dieser Zusammenhang bestehen muss; vgl. Schwarze, EuZW 2000, S. 613 (620), Fn. 107 m. w. N. bezüglich der Befürworter und Fn. 108 bezüglich der Gegner. Vorzugswürdig scheint die Ansicht, die von der Notwendigkeit des Vorliegens der Akzessorietät ausgeht. Auch der EuGH scheint sich in seinem Urteil in der Rechtssache Cullet (231/83, Slg. 1985, S. 305) und insbesondere auch in seinem Urteil in der Rechtssache VlamseReisebureaus (Rs. 311/85, Slg. 1987, S. 3801) dafür auszusprechen, an dem Erfordernis der Akzessorietät festzuhalten. So auch Mestmäcker, Staat und Unternehmen im EG-Recht, RabelsZ 52 (1988), S. 526 (551 f.). 824 Dem EuGH scheint es auszureichen, wenn das Unternehmen ein sog. Auswahlermessen hat, also lediglich das „Wie“ bestimmen kann. 825 So auch Schwarze, EuZW 2000, S. 613 (621). 821

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

den dargestellten Urteilen verwendet.826 Die Linie, die der EuGH dabei eingeschlagen hat, ist angemessen und nicht effet utile-lastig. Eine einseitige Handhabung des effet utile würde bedeuten, dass der Gerichtshof vermehrt die Notwendigkeit bejaht, auch das mittelbare Verhalten des Staates an den Wettbewerbsbestimmungen zu messen. Anhand einiger Beispiele soll belegt werden, dass der EuGH diesbezüglich einen überzeugenden vermittelnden Ansatz verfolgt. Einen Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften bejahte der Gerichtshof in der Rechtssache Ajes,827 die ein Genehmigungsverfahren für Flugtarife zum Gegenstand hatte. Er sah in dieser Praxis eine Verstärkung einer Kartellabsprache. Nach einer Absprache zwischen den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern über die Tarife war nämlich ein Genehmigungsverfahren eingeleitet worden, das die so vereinbarten Tarife bestätigte. Dies stellte nach Ansicht des EuGH zu Recht eine Verstärkung einer Kartellabsprache dar. Einen Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften stellte der Gerichtshof auch in der Rechtssache Vlaamse Reisebureaus828 fest, die eine staatliche Regelung betraf, die es den Reisevermittlern untersagte, die ihnen zustehende Provision an die Verbraucher weiterzugeben. Auch die Entscheidung in der Rechtssache Meng829 hatte ein gesetzliches Verbot der Weitergabe der Provison für Geschäftsvermittler zum Gegenstand. Anders als in der Rechtssache Vllaamse Reisebureaus830 hatten die betroffenen Unternehmen hier das Verbot zunächst nicht privatrechtlich vereinbart, es ging ausschließlich auf staatliche Maßnahmen zurück, weshalb der EuGH in diesem Fall konsequenterweise keinen Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften annahm. In der Rechtssache Van Eycke,831 in der der Gerichtshof, wie bereits dargestellt, die vierte mögliche Fallgruppe einer mittelbaren Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf staatliches Verhalten entwickelte, sah er trotzdem in der betreffenden Regelung keinen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln. Nach seiner Ansicht bezweckte die im Ausgangsverfahren streitige Regelung nicht, die Auswirkungen der zuvor bestehenden Kartellabsprachen zu verstärken.832 Einen Verstoß verneinte er auch in den Rechtssachen 826

So auch Bach, Wettbewerbsrechtliche Schranken für staatliche Maßnahmen nach europäischem Gemeinschaftsrecht, S. 173. 827 Verb. Rs. 209 bis 213/84 (Asjes), Slg. 1986, S. 1425. 828 Rs. 311/85 (Vlaamse Reisebureaus), Slg. 1987, S. 3801. 829 Rs. C-2/91 (Meng), Slg. 1993, I-5751. 830 Rs. 311/85 (Vlaamse Reisebureaus), Slg. 1987, S. 3801. 831 Rs. 267/86 (Van Eycke), Slg. 1988, S. 4769. 832 Das Verfahren hatte eine Regelung zum Gegenstand, die eine im Rahmen der Einkommensteuer vorgesehene Steuerbefreiung für Vergütungen aus einer bestimmten Art von Spareinlagen auf solche Spareinlagen beschränkte, bei denen die im Verordnungswege festgelegten Zinssätze und Höchstprämien eingehalten werden.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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Gebrüder Reiff833 und Corsica Ferries.834 In der erstgenannten Rechtssache, die gesetzlich festgelegte Mindesttarife für den Güterfernverkehr betraf, entschied der EuGH, dass die Verantwortung für die Festlegung ausschließlich beim Staat lag. Die Tarife wurden zwar von einer Kommission aus Sachverständigen festgelegt, bedurften aber der Zustimmung des Bundesminsters für Verkehr, der die Tarife unter bestimmten Bedingungen auch selbst festlegen konnte. In der Rechtssache Corsica Ferries war die Höhe der Tarife für Festmachmanöver in italienischen Häfen Streitgegenstand. Nachdem die Gebühren nach Ansicht des EuGH von den staatlichen Stellen diktiert werden konnten, entschied er, dass kein Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften vorlag. Dieser Vergleich zeigt, dass der Gerichtshof die von ihm entwickelte Formel nicht dazu verwendet, mitgliedstaatliche Maßnahmen in unangemessener Weise an den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über den Wettbewerb zu messen. Dass er staatliches Verhalten unter bestimmten Umständen einbezieht, ist konsequent, da ansonsten die Gefahr einer Umgehung der Wettbewerbsbestimmungen bestünde. Die zurückhaltende Linie des EuGH hängt vermutlich auch damit zusammen, dass das staatliche Verhalten, wenn es ausschließlich dem Staat zuzurechnen ist und somit nach der Formel des Gerichtshofs nicht anhand der Vorschriften über den Wettbewerb geprüft werden kann, möglicherweise unter andere Vorschriften des Vertrages fällt, insbesondere unter die Regelungen zu den Grundfreiheiten.835 So hat der EuGH z. B. in der Rechtssache Corsica Ferries836 die Einschlägigkeit der Vorschriften über den Wettbewerb abgelehnt, aber einen möglichen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit geprüft oder in der Rechtssache Cullet837 mangels Einschlägigkeit der Wettbewerbsbestimmungen die staatliche Preisregulierung für Treibstoffe in Frankreich an den Vorschriften über den freien Warenverkehr gemessen.838 Auch im Urteil Leclerc/Au blé vert839 bejahte der Gerichtshof einen Verstoß gegen den freien Warenverkehr. 833 834 835

Rs. C-185/91 (Gebrüder Reiff), Slg. 1993, I-5801. Rs. C-266/96 (Corsica Ferries), Slg. 1998, I-3949. So auch Schwarze, EuZW 2000, S. 613 (622); Slot, ELRev 1987, S. 179

(185). 836

Rs. C-266/96 (Corsica Ferries), Slg. 1998, I-3949, Rn. 55 f. Rs. 231/83 (Cullet), Slg. 1985, S. 305. 838 Ähnlich argumentierte er in der Rechtssache Leclerc/Au blé vert (Rs. 229/83, Slg. 1985, S. 1), in der er feststellte, dass beim damaligen Stand des Gemeinschaftsrechts die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Art. 10 EGV i. V. m. den Art. 3 f) und 81 EGV nicht hinreichend bestimmt waren, um das Verhalten des Staates im Ausgangsfall zu erfassen. Es ging um eine Vorschrift, gemäß der jeder Einzelhändler für den Verkauf von Büchern einen vom Verleger oder Importeur festgesetzten Preis einhalten musste. 837

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

bb) Schadenersatz und Wettbewerbsrecht Erwähnenswert ist im Bereich des Wettbewerbsrechts das Urteil in der Rechtssache Courage,840 in dem der EuGH verschiedene Anwendungsfälle des effet utile kombiniert. Zunächst führt er unter Verweis auf seine frühere Rechtsprechung aus, dass Art. 81 Abs. 1 und Art. 82 EGV unmittelbar anwendbar sind. Ein Einzelner sei somit berechtigt, sich auf einen Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EGV zu berufen, auch wenn er Partei eines Vertrages sei, der den Wettbewerb im Sinne dieser Vorschrift beschränken oder verfälschen könne.841 Sodann führt der Gerichtshof Folgendes aus: „Was die Befugnis angeht, Ersatz des Schadens zu verlangen, der durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder ein entsprechendes Verhalten verursacht worden ist, so müssen die nationalen Gerichte, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Gemeinschaftsrecht anzuwenden haben, die volle Wirkung von dessen Bestimmungen gewährleisten und die Rechte schützen, die das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen verleiht [. . .]. 26 Die volle Wirksamkeit des Artikels 85 EG-Vertrag842 und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in Artikel 85 Absatz 1 ausgesprochenen Verbots wären beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist. 27 Ein solcher Schadensersatzanspruch erhöht nämlich die Durchsetzungskraft der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln und ist geeignet, von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können. Aus dieser Sicht können Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen.“843

Nachdem es diesbezüglich keine Gemeinschaftsregelung gibt, verweist der EuGH darauf, dass es Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten sei, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Dabei sind der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu berücksichtigen.844 839

Rs. 229/83 (Leclerc/Au blé vert), Slg. 1985, S. 1, Rn. 21 f. Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297. Der EuGH entschied diese Rechtssache im Plenum. 841 Vgl. Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297, Rn. 24. 842 Nun Art. 81 EGV. 843 Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297, Rn. 25 f.; kritisch dazu Monti, Anticompetitive agreements: the innocent party’s right to damages, ELRev 2002, S. 282 (286 f., 301 f.). 840

C. Analyse der Urteile des EuGH

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In seinem Urteil instrumentalisiert der Gerichtshof zum ersten Mal ausdrücklich die Parteien eines Vertrages, der gegen das Kartellverbot verstößt, um über eine Schadenersatzklage vor den nationalen Gerichten für die dezentrale Durchsetzung des Verbots zu sorgen.845 Durch die Begründung eines gemeinschaftsrechtlichen Schadenersatzanspruchs kommt es zu einer Stärkung des europäischen Kartellrechts, da ein gemeinschaftsweit einheitlicher Rahmen für die Ansprüche die dezentrale Durchsetzung des Kartellrechts fördert.846 Zur Begründung der Schadenersatzansprüche stützt sich der EuGH, wie dargelegt, auf die volle Wirksamkeit des Art. 81 EGV.847 Das Urteil ist in seinem Ergebnis nicht überraschend, zumal es sich mit der Tendenz deckt, die Durchsetzung von Art. 81 EGV von der Kommission in Richtung der nationalen Gerichte zu dezentralisieren. Mit seiner Entscheidung hat der Gerichtshof einen wichtigen praktischen Beitrag dazu geleistet.848 Seine Schlussfolgerung und die Begründung des Schadenersatzanspruchs unter Berufung auf die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts weisen Parallelen zur Rechtssache Factortame849 auf. Auch in der Rechtssache Courage schloss der EuGH eine echte Rechtsschutzlücke im englischen Recht, das bis zu seinem Urteil nicht die Möglichkeit vorsah, als Partei eines Vertrages, der gegen das Kartellverbot verstößt, eine Scha-

844 Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297, Rn. 29. Zwei Einschränkungen der Schadenersatzansprüche akzeptiert der EuGH, wenn der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz beachtet werden und zwar im Falle ungerechtfertigter Bereicherung des Anspruchsberechtigten (vgl. Urteil Rn. 30) und wenn dieser eine „erhebliche Verantwortung für die Wettbewerbsverzerrung trägt“, da die meisten Mitgliedstaaten nämlich den Grundsatz kennen, dass niemand aus seinem eigenen rechtswidrigen Verhalten Nutzen ziehen darf (vgl. Urteil Rn. 31). s. dazu ausführlich Odudu/Edelmann, Compensatory damages for breach of Article 81, ELRev 2002, S. 327 (330 f.). 845 Nowak, EuZW 2001, S. 717. 846 Mäsch, Private Ansprüche bei Verstößen gegen das europäische Kartellverbot – „Courage“ und die Folgen, EuR 2003, S. 825 (846). 847 So auch Cumming, ECLR 2002, S. 199. Diese Vorgehensweise wird mitunter kritisiert, da der EuGH vor dieser Entscheidung die Schadenersatzansprüche Dritter in erster Linie als Ausfluss des unmittelbaren Schutzes ihrer Rechte aus Art. 81 EGV begriff und die volle Wirksamkeit des Art. 81 EGV nur ergänzend heranzog. Vgl. dazu Weyer, GRUR Int. 2002, S. 57 (58 f.), der von einem „fundamental abweichenden Ansatz“ spricht und eine Begründung verlangt, warum auf die Schutzwürdigkeit einer Partei verzichtet und nur mehr auf die Pflichtwidrigkeit des Handelns der anderen Partei abgestellt wird. Interessant ist in Zusammenhang mit diesem Urteil auch die Frage, ob Dritte als Wettbewerber oder Verbraucher einen Schadenersatzanspruch haben; vgl. z. B. Micklitz, Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht 2001, S. 1141 (1142). 848 Cumming, ECLR 2002, S. 199 (201, 204). 849 Rs. C-213/89 (Factortame I), Slg. 1990, I-2433.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

denersatzklage vor den nationalen Gerichten unter Berufung auf Art. 81 Abs. 1 zu erheben.850 cc) Beihilfenrecht Eine beträchtliche Anzahl an Urteilen fällt in den Bereich des Beihilfenrechts. Mit der Wirksamkeit des Beihilfenverbotes im Allgemeinen beschäftigte sich der EuGH in der Rechtssache 70/72,851 in der er feststellte, dass „[. . .] die Kommission [. . .], wenn sie die Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt feststellt, befugt [ist] zu entscheiden, dass der betreffende Staat sie aufzuheben oder umzugestalten hat. Diese Aufhebung oder Umgestaltung kann, damit sie einen praktischen Nutzen hat, die Verpflichtung umfassen, die unter Verletzung des Vertrages gewährten Beihilfen zurückzufordern, so dass die Kommisison den Gerichtshof anrufen kann, wenn die Rückforderung unterbleibt.“852

Ähnlich argumentierte der EuGH in der Rechtssache WestLB,853 in der er ausführte, dass nur durch die Befugnis der Kommission eine Aufhebung oder Umgestaltung zu verlangen, die Wirksamkeit des Beihilfenverbots gemäß Art. 87 Abs. 1 EGV gewährleistet werden könne. Die Aufhebung oder Umgestaltung könne, damit sie praktische Wirksamkeit habe, die Verpflichtung umfassen, die unter Verletzung des Vertrages gewährten Beihilfen zurückzufordern.854 Zum Grundsatz des Vertrauensschutzes im Falle der Rückforderung einer zu Unrecht gewährten Beihilfe äußerte sich der EuGH in mehreren Verfahren. So stellte er in der Rechtssache 5/89855 erstmals Folgendes fest: „Ein Mitgliedstaat, dessen Behörden eine Beihilfe unter Verletzung des Verfahrens des Artikels 93856 gewährt haben, kann sich hingegen nicht unter Berufung auf das geschützte Vertrauen der Begünstigten der Verpflichtung entziehen, Maßnahmen zur Durchführung einer Entscheidung der Kommission zu ergreifen, die die Rückforderung der Beihilfe anordnet. Andernfalls wären die Artikel 92 und 93 EWG-Vertrag857 insoweit wirkungslos, als die nationalen Behörden sich auf ihr 850

Nowak, EuZW 2001, S. 717 (718). Rs. 70/72 (Kommission/Deutschland), Slg. 1973, S. 813. 852 Rs. 70/72 (Kommission/Deutschland), Slg. 1973, S. 813, Rn. 13. 853 Rs. C-209/00 (WestLB), Slg. 2002, I-11695. 854 Rs. C-209/00 (WestLB), Slg. 2002, I-11695, Rn. 30. Vgl. zu den Modalitäten der Rückforderung Rs. 94/87 (Kommission/Deutschland), Slg. 1989, S. 175, Rn. 12 und Rs. 142/87 (Belgien/Kommission), Slg. 1990, I-959, Rn. 61; es handelt sich dabei um eine Anwendung der Rechtsprechung in der Rs. Milchkontor (verb. Rs. 205 bis 215/82, Slg. 1983, S. 2633) auf den Bereich des Beihilfenrechts. 855 Rs. C-5/89 (Kommission/Deutschland), Slg. 1990, I-3437. 856 Nunmehr Art. 88 EGV. 851

C. Analyse der Urteile des EuGH

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eigenes rechtswidriges Verhalten stützen könnten, um Entscheidungen der Kommission nach diesen Bestimmungen ihrer Wirkung zu berauben. [. . .] Eine Bestimmung, die die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts nur binnen einer bestimmten Frist zulässt, muss wie alles andere nationale Recht dergestalt angewandt werden, dass die gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung nicht praktisch unmöglich und das Gemeinschaftsinteresse voll berücksichtigt wird.“858

Zu dem in Art. 88 Abs. 3 EGV vorgesehenen Verfahren äußerte sich der Gerichtshof in der Rechtssache 301/87.859 Er entschied, dass die Kommission im Falle einer von einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Verfahren des Art. 88 Abs. 3 EGV eingeführten oder umgestalteten Beihilfe nicht lediglich dieselben Rechte und Pflichten wie im Falle einer in der Planungsphase ordnungsgemäß gemeldeten Beihilfe habe. Eine solche Auslegung würde nämlich im Ergebnis denjenigen Mitgliedstaat begünstigen, der Art. 88 Abs. 3 EGV nicht beachtet, und diese Bestimmung somit ihrer praktischen Wirksamkeit berauben.860 Mit der Wirksamkeit des Verbots der Durchführung von beabsichtigten Beihilfen setzte sich der EuGH in der Rechtssache SFEI861 auseinander. Darin stellte er fest, dass die Einleitung eines Vorprüfungsverfahrens gemäß Art. 88 Abs. 3 EGV oder des kontradiktorischen Prüfungsverfahrens gemäß Art. 88 Abs. 2 EGV durch die Kommission die nationalen Gerichte nicht von ihrer Verpflichtung entbinde, die Rechte der Einzelnen bei Verletzung der Verpflichtung zur vorherigen Unterrichtung zu schützen.862 „Jede andere Auslegung würde dazu führen, dass die Nichtbeachtung des Verbots der Durchführung von beabsichtigten Beihilfemaßnahmen durch die Mitgliedstaaten gefördert würde. Da die Kommission, solange sie ihre abschließende Sachentscheidung nicht erlassen hat, nur die Aussetzung zusätzlicher Zahlungen anordnen kann, wäre die praktische Wirksamkeit des Artikels 93 Absatz 3 des Vertrages863 gemindert, wenn die Anrufung der Kommission die nationalen Gerichte daran hindern würde, alle Konsequenzen aus einer Verletzung dieser Bestimmung zu ziehen.“864 857

Nunmehr Art. 87 und 88 EGV. Rs. C-5/89 (Kommission/Deutschland), Slg. 1990, I-3437, Rn. 17; diese Rechtsprechung wurde bestätigt in den Rs. C-310/99 (Kommission/Italien), Slg. 2002, I-2289, Rn. 104; Rs. C-334/99 (Deutschland/Kommission), Slg. 2003, I-1139, Rn. 42; Rs. C-303/88 (Italien/Kommission), Slg. 1991, I-1433, Rn. 43; Rs. C-183/91 (Kommission/Griechenland), Slg. 1993, I-3131, Rn. 18; Rs. C-169/95 (Spanien/Kommission), Slg. 1997, I-135, Rn. 48. 859 Rs. C-301/87 (Frankreich/Kommission), Slg. 1990, I-307. 860 Rs. C-301/87 (Frankreich/Kommission), Slg. 1990, I-307, Rn. 11. 861 Rs. C-39/94 (SFEI), Slg. 1996, I-3547. 862 Rs. C-39/94 (SFEI), Slg. 1996, I-3547, Rn. 44. 863 Nun Art. 88 Abs. 3 EGV. 864 Rs. C-39/94 (SFEI), Slg. 1996, I-3547, Rn. 45. 858

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Mit den möglichen Auswirkungen einer abschließenden Entscheidung der Kommission, mit der die Beihilfemaßnahmen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt werden, beschäftigte sich der EuGH in der Rechtssache FNCE.865 Er kam zu dem Schluss, dass die Entscheidung der Kommission nicht die Heilung der unter Verstoß gegen Art. 88 Abs. 3 EGV ergangenen und deshalb ungültigen Durchführungsmaßnahmen zur Folge hat, da sie andernfalls die unmittelbare Wirkung der Vorschrift beeinträchtigen und die Interessen der Einzelnen, deren Wahrung Aufgabe der nationalen Gerichte ist, verletzen würde. Jede andere Auslegung würde nach Ansicht des Gerichtshofs die Missachtung von Art. 88 Abs. 3 Satz 3 durch die Mitgliedstaaten begünstigen und der Vorschrift ihre praktische Wirksamkeit nehmen.866 In diesem Zusammenhang ist auch noch auf die Rechtssache Alcan867 hinzuweisen, die bereits im Teil über die Durchführung des Gemeinschaftsrechts868 ausführlich besprochen wurde. Der EuGH entschied darin, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit der Rückforderung von Beihilfen nicht deshalb entgegenstehen könne, weil die nationalen Behörden der Entscheidung, in der die Rückforderung angeordnet wird, verspätet nachgekommen sind. Andernfalls würde die Rückforderung der zu Unrecht gezahlten Beträge praktisch unmöglich gemacht und den Gemeinschaftsvorschriften über die staatlichen Beihilfen jede praktische Wirksamkeit genommen.869 dd) Verordnung Nr. 17 Ein weiterer Bereich im Rahmen des Wettbewerbsrechts, in dem der EuGH auf den effet utile zurückgreift, ist die Auslegung der Verordnung Nr. 17/62,870 der sog. Fusionskontrollverordnung (im Folgenden FKVO oder Verordnung Nr. 17). Die Urteile, die in diese Kategorie fallen, haben eher technische Details zum Gegenstand, sollen aber dennoch kurz dargestellt werden. Festzuhalten ist außerdem, dass die Verordnung Nr. 17 mittlerweile durch die Verordnung 1/2003871 ersetzt wurde. 865

Rs. C-354/90 (FNCE), Slg. 1991, I-5505. Rs. C-354/90 (FNCE), Slg. 1991, I-5505, Rn. 16. Vgl. auch Rs. C-174/02 (Streekgewest Westelijk Noord-Brabant), Slg. 2005, I-85, Rn. 20. 867 Rs. C-24/95 (Alcan), Slg. 1997, I-1591. 868 Vgl. Teil 2 Kapitel C. III. 2. c) dd). 869 Rs. C-24/95 (Alcan), Slg. 1997, I-1591, Rn. 37. Der Vollständigkeit halber zu erwähnen sind noch die verb. Rs. C-356/90 und C-180/91 (Belgien/Kommission), Slg. 1993, I-2323, die Produktionsbeihilfen zugunsten des Schiffbaus und des Schiffsumbaus zum Gegenstand hatten; zum effet utile vgl. Rn. 33. 870 Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages, ABl. 1962, Nr. 13, S. 204. 866

C. Analyse der Urteile des EuGH

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Zu erwähnen ist zunächst der Beschluss des Gerichthofs in der Rechtssache Camera Care.872 Der EuGH entschied darin über den Wortlaut der Verordnung Nr. 17 hinausgehend, dass die Kommission die Befugnis zum Erlaß einstweiliger Maßnahmen haben müsse. Dazu führte er aus: „Hinsichtlich der der Kommission im ersten Absatz dieses Artikels [gemeint ist Art. 3 der Verordnung] verliehenen Entscheidungsbefugnis kommt es darauf an, dass sie auf die wirksamste und den Umständen des Einzelfalls am ehesten angemessene Weise ausgeübt werden kann. [. . .] Unter diesem Gesichtspunkt muss die Kommission im Rahmen der ihr im Vertrag und in der Verordnung Nr. 17 verliehenen Kontrollbefugnis in Wettbewerbsangelegenheiten auch sichernde Maßnahmen ergreifen können, sofern diese als unerlässlich erscheinen, um zu verhindern, dass die Ausübung der in Artikel 3 vorgesehenen Entscheidungsbefugnis durch das Verhalten gewisser Unternehmen unwirksam oder sogar illusorisch gemacht wird. Die Zuständigkeiten der Kommission gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 umfassen demnach die Befugnis, diejenigen einstweiligen Maßnahmen zu ergreifen, die unerlässlich sind, um ihr die wirksame Erfüllung ihrer Aufgaben zu ermöglichen und insbesondere die praktische Wirksamkeit der Entscheidungen zu gewährleisten, durch die die Unternehmen gegebenenfalls verpflichtet werden, die festgestellten Zuwiderhandlungen abzustellen.“873

In der Rechtssache SCPA874 äußerte sich der EuGH zum Anwendungsbereich der Verordnung. Diese solle im Gegensatz zu den Artikeln 81 und 82 EGV auf alle Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung angewandt werden, sofern sich diese wegen ihrer Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur in der Gemeinschaft als unvereinbar mit dem vom Vertrag geforderten System des unverfälschten Wettbewerbs erweisen könnten.875 Deshalb könne auch ein Zusammenschluß, der eine beherrschende Stellung der Beteiligten gemeinsam mit einer am Zusammenschluß unbeteiligten Einheit begründe oder verstärke, unter die Verordnung fallen. Wenn man hingegen nur solche Zusammenschlüsse einbezöge, die eine beherrschende Stellung der an ihnen Beteiligten begründen oder verstärken, wäre die Zielsetzung der Verordnung teilweise gefährdet und der Verordnung würde „ein nicht unerheblicher Teil ihrer praktischen Wirksamkeit genommen“.876 Zwei Urteile beschäftigen sich mit den Auskunftsersuchen der Kommission. In der Rechtssache Orkem877 stellte der EuGH fest, zur Erhaltung der 871 Verordnung Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003, L 1, S. 1. 872 Rs. 792/79 R (Camera Care), Slg. 1980, S. 119. 873 Rs. 792/79 R (Camera Care), Slg. 1980, S. 119, Rn. 17, 18. 874 Verb. Rs. C-68/94 und C-30/95 (SCPA), Slg. 1998, I-1375. 875 Verb. Rs. C-68/94 und C-30/95 (SCPA), Slg. 1998, I-1375, Rn. 170. 876 Verb. Rs. C-68/94 und C-30/95 (SCPA), Slg. 1998, I-1375, Rn. 171.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

praktischen Wirksamkeit des Art. 11 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 17878 sei die Kommission berechtigt, „das Unternehmen zu verpflichten, ihr alle erforderlichen Auskünfte über ihm eventuell bekannte Tatsachen zu erteilen und ihr erforderlichenfalls die in seinem Besitz befindlichen Schriftstücke [. . .] zu übermitteln, selbst wenn sie dazu verwendet werden können, den Beweis für ein wettbewerbswidriges Verhalten des betreffenden oder eines anderen Unternehmens zu erbringen. Jedoch darf die Kommission durch eine Entscheidung, mit der Auskünfte angefordert werden, nicht die Verteidigungsrechte des Unternehmens beeinträchtigen.“879

In der Rechtssache Asociacion Espanola de Banca Privada880 entschied der Gerichtshof, dass Art. 15 Abs. 5 der Verordnung881 teilweise die praktische Wirksamkeit genommen würde, wenn den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt würde, die im Formblatt A/B enthaltenen Informationen zu verwerten.882 Unter Berücksichtigung der aus der Beachtung der Verteidigungsrechte und des Berufsgeheimnisses resultierenden Erfordernisse könne das Schweigen der Verordnung nicht dahin ausgelegt werden, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Unternehmen nicht die gleichen Rechte zuerkennen wollte, wie er sie ihnen zum Schutz der Informationen einräumt, die in Antworten auf Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung enthalten sind.883 877

Rs. 374/87 (Orkem), Slg. 1989, S. 3283. Art. 11 ist mit „Auskunftsersuchen“ überschrieben. Abs. 2 lautet: Richtet die Kommission ein Auskunftsverlangen an ein Unternehmen oder an eine Unternehmensvereinigung, so übermittelt sie der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sich der Sitz des Unternehmens oder der Unternehmensvereinigung befindet, gleichzeitig eine Abschrift dieses Verlangens. Abs. 3 lautet: In ihrem Verlangen weist die Kommission auf die Rechtsgrundlage und den Zweck des Verlangens sowie auf die in Artikel 15 Absatz (1) Buchstabe b) für den Fall der Erteilung einer unrichtigen Auskunft vorgesehenen Zwangsmaßnahmen hin. 879 Rs. 374/87 (Orkem), Slg. 1989, S. 3283, Rn. 34. 880 Rs. C-67/91 (Asociacion Espanola de Banca Privada), Slg. 1992, I-4785. 881 Art. 15 regelt die Geldbußen. Abs. 5 lautet: Die in Absatz (2) Buchstabe a) vorgesehene Geldbuße darf nicht für Handlungen festgesetzt werden: a) die nach der bei der Kommission vorgenommenen Anmeldung und vor der Entscheidung der Kommission nach Artikel 85 Absatz (3) des Vertrages begangen werden, soweit sie in den Grenzen der in der Anmeldung dargelegten Tätigkeit liegen, b) die im Rahmen von bei Inkrafttreten dieser Verordnung bestehenden Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen vor der Anmeldung begangen werden, falls diese innerhalb der in Artikel 5 Absatz (1) und Artikel 7 Absatz (2) vorgesehenen Fristen erfolgt. 882 Rs. C-67/91 (Asociacion Espanola de Banca Privada), Slg. 1992, I-4785, Rn. 51. 883 Rs. C-67/91 (Asociacion Espanola de Banca Privada), Slg. 1992, I-4785, Rn. 50. Art. 11 betrifft das Auskunftsersuchen der Kommission. 878

C. Analyse der Urteile des EuGH

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Die Rechtssache Stichting Sigarettenindustrie884 hatte die fakultative Anmeldung der unter Art. 4 Abs. 2885 fallenden Vereinbarungen zum Gegenstand. Der EuGH entschied, dass dieser eine praktische Wirksamkeit zuerkannt werden müsse, „was nur möglich ist, wenn denjenigen Unternehmen, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, daraus ein Vorteil erwächst. Abgesehen davon, dass die Betroffenen auf diese Weise Gewissheit darüber erlangen können, ob sie eine Freistellung erhalten, ohne abwarten zu müssen, bis von Amts wegen ein Verfahren gegen sie eingeleitet wird, kann dieser Vorteil nur darin bestehen, dass sie sich unter Ausnutzung des Verbots gemäß Artikel 15 Absatz 5 Buchstabe a der Verordnung Nr. 17/62 gegen Geldbußen der Kommission absichern.“886

ee) Öffentliche Unternehmen – Art. 86 EGV In der Rechtssache Koninklijke PTT Nederland887 kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die praktische Wirksamkeit der der Kommission in Art. 86 Abs. 3 verliehenen Zuständigkeit es erfordere, dass sie befugt sei, festzustellen, dass eine bestimmte staatliche Maßnahme mit den Vorschriften des EG-Vertrags unvereinbar sei und anzugeben, welche Maßnahmen der Mitgliedstaat, an den die Entscheidung gerichtet ist, zu treffen habe, um seinen gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.888 Die Kommission könnte ihre Aufgabe, über die Anwendung der Wettbewerbsregeln zu wachen und so zu einem System unverfälschten Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt beizutragen, nicht erfüllen, wenn sie nur wettbewerbswidrige Verhaltensweisen von Unternehmen ahnden dürfte, ohne nach Art. 86 Abs. 3 unmittelbar gegen Mitgliedstaaten vorgehen zu können, die in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, Maßnahmen mit ganz ähnlicher wettbewerbswidriger Wirkung treffen oder beibehalten.889 884 Verb. Rs. 240, 241, 242, 261, 262, 268 und 269/82 (Stichting Sigarettenindustrie), Slg. 1985, S. 3831. 885 Diese Bestimmung sieht vor, dass gewisse Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen nicht angemeldet werden müssen, aber angemeldet werden können. Dies ist z. B. der Fall, wenn an ihnen nur Unternehmen aus einem Mitgliedstaat beteiligt sind und die Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen nicht die Ein- oder Ausfuhr zwischen Mitgliedstaaten betreffen (Ziffer 1) oder wenn sie dem Erwerber oder Benutzer von gewerblichen Schutzrechten Beschränkungen hinsichtlich der Ausübung dieser Schutzrechte auferlegen (Ziffer 2 b). 886 Verb. Rs. 240, 241, 242, 261, 262, 268 und 269/82 (Stichting Sigarettenindustrie), Slg. 1985, S. 3831, Rn. 76. 887 Verb. Rs. C-48/90 und C-66/90 (Koninklijke PTT Nederland), Slg. 1992, I-565. 888 Verb. Rs. C-48/90 und C-66/90 (Koninklijke PTT Nederland), Slg. 1992, I-565, Rn. 28.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

ff) Verschiedene Konstellationen Zum Verhältnis von nationalem und gemeinschaftlichem Wettbewerbsrecht äußerte sich der EuGH grundlegend in der Rechtssache Walt Wilhelm.890 Dort hielt er fest, dass eine gleichzeitige Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts nur statthaft sei, „soweit sie die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftskartellrechts und die volle Wirksamkeit der zu seinem Vollzug ergangenen Maßnahmen auf dem gesamten Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt.“891 In den verbundenen Rechtssachen C-271/90, C-281/90 und C-289/90892 hatten Spanien, Belgien und Italien Klage auf Nichtigerklärung der Richtlinie 90/388/EWG893 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste erhoben. Die Richtlinie wurde auf der Grundlage von Art. 86 Abs. 3 EGV erlassen. Die klagenden Mitgliedstaaten waren der Ansicht, die Kommission habe gemäß der genannten Bestimmung keine Rechtsetzungsbefugnis, diese weise ihr lediglich die Aufgabe zu, die Anwendung der bereits bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zu überwachen. Der Gerichtshof verwies auf seine Rechtsprechung, nach der die auf Art. 86 Abs. 3 gestützte Aufsichtsbefugnis der Kommission die Möglichkeit umfasse, die sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen zu konkretisieren. Der Umfang dieser Befugnis hänge folglich von der Tragweite der Vorschriften ab, deren Beachtung sichergestellt werden solle.894 Sodann unterstrich der EuGH die Tatsache, dass Art. 49 EGV eine genau bestimmte Verpflichtung zur Herbeiführung eines bestimmten Ergebnisses enthalte und unmittelbar anwendbar sei. Deshalb „konnte die Kommission zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr die sich aus diesem Artikel ergebenden Verpflichtungen konkretisieren, ohne dass zuvor eine Rechtsetzung durch den Rat erforderlich gewesen wäre. Angesichts dessen würde eine Beschränkung der Befugnis der Kommission [. . .], dazu führen, dass Artikel 90 Absatz 3895 seine praktische Wirksamkeit genommen würde.“896 889 Verb. Rs. C-48/90 und C-66/90 (Koninklijke PTT Nederland), Slg. 1992, I-565, Rn. 29, 30. 890 Rs. 14/68 (Walt Wilhelm), Slg. 1969, S. 1. 891 Rs. 14/68 (Walt Wilhelm), Slg. 1969, S. 1, Rn. 4. So auch verb. Rs. 253/78 und 1 bis 3/79 (Giry), Slg. 1980, S. 2327, Rn. 16 und Rs. C-67/91 (Asociacion Espanola de Banca Privada), Slg. 1992, I-4785, Rn. 12. 892 Verb. Rs. C-271/90, C-281/90 und C-289/90 (Spanien, Belgien und Italien/ Kommission), Slg. 1992, I- 5833. 893 Richtlinie 90/388/EWG der Kommission vom 28. Juni 1990 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste. 894 Rs. C-202/88 (Kommission/Frankreich), Slg. 1991, I-1223, Rn. 21. 895 Nunmehr Art. 86 Abs. 3 EGV.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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gg) Stellungnahme Die im Bereich des Wettbewerbsrechts dargestellten Urteile zeigen eindrucksvoll die Breite der Anwendungsfälle für den effet utile. Abgesehen von der ersten Unterkategorie, die wie bereits erläutert, Ähnlichkeiten mit den Urteilen zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts aufweist, sind die übrigen Bereiche nicht durch den Zusammenhang mit Art. 10 EGV gekennzeichnet. Was das methodische Vorgehen des EuGH anbelangt, so begründete er die mittelbare staatliche Bindung an die Wettbewerbsregeln unter Berufung auf den Wortlaut von Art. 82 EGV und dessen Zusammenhang mit den allgemeinen, in Art. 3 des Vertrages festgelegten Zielen. Wie bereits angesprochen, zieht der Gerichtshof auch Art. 10 EGV heran und kommt so zu dem Schluß, dass obgleich sich Art. 82 EGV an die Unternehmen richtet, der Vertrag doch auch für die Mitgliedstaaten die Verpflichtung begründet, keine Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten, die die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung ausschalten könnten.897 In den Folgeurteilen, in denen der EuGH dieses Auslegungsergebnis bestätigt bzw. seiner Rechtsprechung weitere Nuancen hinzufügt, ändert er sein methodisches Vorgehen nicht, sondern begründet seine Urteile vor allem unter Rückgriff auf die bereits entschiedenen Rechtssachen.898 Die Vorgehensweise, so weit als möglich auf bestehende Rechtsprechung zu verweisen, kennzeichnet auch die anderen, das Wettbewerbsrecht betreffenden Bereiche. Unterscheiden kann man dabei noch zwischen den Urteilen, in denen der EuGH die Verordnung Nr. 17 auslegt, also sekundäres Gemeinschaftsrecht und den Urteilen, in denen er Primärrecht auslegt. Wie auch noch in den folgenden Gebieten wie z. B. dem Arbeits- und Sozialrecht gezeigt werden wird, ist die Vorgehensweise des EuGH bei der Auslegung von Sekundärrecht in der Regel aufgrund der strukturellen Unterschiede zum Primärrecht logisch stringenter. So führte der Gerichtshof z. B. in der Rechtssache SCPA899 aus, dass sich die von den Parteien vorgeschlagene Auslegung dem Wortlaut von Art. 2 der Verordnung Nr. 17 nicht entnehmen lasse und auch die vorbereitenden Arbeiten zur Verordnung keine sachdienlichen Anhaltspunkte für die Auslegung des streitigen Begriffs liefern könnten. 896 Verb. Rs. C-271/90, C-281/90 und C-289/90 (Spanien, Belgien und Italien/ Kommission), Slg. 1992, I- 5833, Rn. 21. 897 Rs. 13/77 (G.B.-INNO-BM), Slg. 1977, S. 2115, Rn. 30/35. 898 So z. B. in der Rs. C-96/94 (Centro Servizi Spediporto), Slg. 1995, I-2883, Rn. 20 f. 899 Verb. Rs. C-68/94 und C-30/95 (SCPA), Slg. 1998, I-1375.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

„Da die wörtliche und die historische Auslegung der Verordnung, insbesondere des Artikels 2, nicht die Beurteilung ihrer genauen Bedeutung in Bezug auf die Art der erfassten beherrschenden Stellung ermöglichen, ist für die Auslegung der betreffenden Regelung sowohl auf ihre Zielsetzung als auch auf ihre Systematik abzustellen.“900

Nachdem der Gerichtshof den Zweck der auszulegenden Bestimmung anhand der Begründungserwägungen abgeleitet hatte, führt er Folgendes aus: „Wenn daher davon ausgegangen würde, dass nur solche Zusammenschlüsse, die eine beherrschende Stellung der an ihnen Beteiligten begründen oder verstärken, von der Verordnung erfasst würden, so wäre deren Zielsetzung so, wie sie sich insbesondere aus den erwähnten Begründungserwägungen ergibt, teilweise gefährdet. Der Verordnung würde auf diese Weise ein nicht unerheblicher Teil ihrer praktischen Wirksamkeit genommen, ohne dass dies in Anbetracht der allgemeinen Systematik der gemeinschaftlichen Fusionskontrollregelung geboten wäre.“901

Die analysierten Urteile erwecken in der Regel nicht den Eindruck eines ungerechtfertigten Einsatzes des effet utile-Arguments, sondern überzeugen durch eine abgewogene Berücksichtigung der verschiedenen betroffenen Interessen und nachvollziehbare Ergebnisse. In einzelnen Fällen hätte man sich eine etwas ausführlichere Begründung durch den EuGH gewünscht, wie z. B. in der Rechtssache 301/87.902 Dort stellte der Gerichtshof lediglich kurz und knapp Folgendes fest: „Legte man die Ansicht der Kommission zugrunde, würde letztlich anerkannt, dass mit dem Gemeinsamen Markt vereinbare Beihilfen wegen formeller Mängel untersagt werden können. Andererseits kann auch der Auffassung der französischen Regierung nicht gefolgt werden, der zufolge die Kommission im Falle einer von einem Mitgliedstaat unter Verstoss gegen das Verfahren des Artikels 93 Absatz 3 EWG-Vertrag eingeführten oder umgestalteten Beihilfe lediglich dieselben Rechte und Pflichten wie im Falle einer in der Planungsphase ordnungsgemäß gemeldeten Beihilfe hätte. Eine solche Auslegung würde im Ergebnis denjenigen Mitgliedstaat begünstigen, der Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag nicht beachtet, und diese Bestimmung ihrer praktischen Wirksamkeit berauben.“903

900 901 902 903

Verb. Rs. C-68/94 und C-30/95 (SCPA), Slg. 1998, I-1375, Rn. 168. Verb. Rs. C-68/94 und C-30/95 (SCPA), Slg. 1998, I-1375, Rn. 171. Rs. C-301/87 (Frankreich/Kommission), Slg. 1990, I-307. Rs. C-301/87 (Frankreich/Kommission), Slg. 1990, I-307, Rn. 11.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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d) Arbeits- und Sozialrecht aa) Einleitung In dieser Kategorie sollen die Urteile dargestellt werden, die die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben betreffen, sich also mit Art. 141 EGV904 und den Richtlinien 79/7905 und 76/207906 befassen. Besprochen werden sollen auch die Entscheidungen, die die Verordnung 1408/71907 zum Gegenstand haben, sowie diejenigen zu Richtlinien, die Individualschutzbestimmungen harmonisieren, wie die Richtlinie zum Betriebsübergang,908 die Richtlinie über Massenentlassungen,909 die Richtlinie über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers910 und die Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat.911 904 Vgl. zur Wirksamkeit und der Gleichberechtigung von Männern und Frauen im Arbeitsleben Zuleeg, Die Wirksamkeit des Europarechts, FS Rodríguez Iglesias, S. 221 (230 f.). 905 Richtlinie 79/7 des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit, ABl. 1979, L 6, S. 24 (im Folgenden Richtlinie 79/7). 906 Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. 1976, L 39, S. 40 (im Folgenden Richtlinie 76/207). 907 Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu – und abwandern, ABl. 1971, L 149, S. 2 (im Folgenden Verordnung 1408/71). 908 Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen, ABl. 1977, L 61, S. 26 (im Folgenden Richtlinie 77/187 oder Richtlinie zum Betriebsübergang). 909 Richtlinie 75/129/EWG des Rates vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABl. 1975, L 48, S. 29 (im Folgenden Richtlinie 75/129 oder Richtlinie über Massenentlassungen). 910 Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, ABl. 1980, L 283, S. 23 (im Folgenden Richtlinie 89/987 oder Richtlinie über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers). 911 Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen, ABl. 1994, L 254, S. 64 (im Folgenden Richtlinie 94/45 oder Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat).

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

bb) Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben (1) Art. 141 EGV Art. 141 EGV verbietet es, Arbeitnehmern eines bestimmten Geschlechts, die eine der von den Arbeitnehmern des anderen Geschlechts ausgeübten Tätigkeit gleichwertige Arbeit verrichten, aufgrund des Geschlechts ein niedrigeres Entgelt zu zahlen. In der Rechtssache Murphy912 entschied der EuGH, dass Art. 141 EGV [damals Art. 119 EWGV] deshalb „einem solchen unterschiedlichen Entgelt erst recht entgegen [steht], wenn die niedriger entlohnte Gruppe von Arbeitnehmern eine höherwertige Arbeit verrichtet.“913 Eine gegenteilige Auslegung würde „dem Grundsatz des gleichen Entgelts seine praktische Wirksamkeit nehmen und ihn aushöhlen“, da der Arbeitgeber den Grundsatz leicht dadurch umgehen könnte, dass er den Arbeitnehmern eines bestimmten Geschlechts zusätzliche oder schwerere Aufgaben überträgt, um ihnen dann ein geringeres Entgelt zu bezahlen.914 Der Gerichtshof kam somit zu dem Ergebnis, dass der Grundsatz des gleichen Entgelts auch dann anwendbar ist, wenn der Arbeitnehmer, der sich auf Art. 141 EGV beruft, um das gleiche Entgelt zu erhalten, eine höherwertige Arbeit verrichtet als die Vergleichsperson. Große Bedeutung erlangte das Urteil des EuGH in der Rechtssache Barber,915 das einen Mann betraf, der im Vergleich zu weiblichen Rentenberechtigten benachteiligt war. Der Gerichtshof entschied, dass auch betriebliche Systeme der Altersversorgung, die teilweise an die Stelle der gesetzlichen treten, von Art. 141 EGV erfasst sind.916 Für lebhafte Diskussionen sorgte im Anschluss an das Urteil vor allem die zeitliche Begrenzung der Wirkungen, die der EuGH vorgenommen hatte, indem er feststellte, dass seine Auslegung für die Zeit nach Ergehen des Urteils gelte, außer für Rechtssachen, die bereits vorher anhängig waren.917 Unter Heranziehung des effet utile äußerte sich der Gerichtshof in dem genannten Urteil zur Methode der Prüfung in Zusammenhang mit dem gleichen Entgelt. Das vor912

Rs. 157/86 (Murphy), Slg. 1988, S. 673. Rs. 157/86 (Murphy), Slg. 1988, S. 673, Rn. 9. 914 Rs. 157/86 (Murphy), Slg. 1988, S. 673, Rn. 10. 915 Rs. 262/88 (Barber), Slg. 1990, I-1889. 916 Rs. 262/88 (Barber), Slg. 1990, I-1889, Rn. 21 f. 917 Rs. 262/88 (Barber), Slg. 1990, I-1889, Rn. 40 f. insbes. 44. Auf diese Problematik kann im vorliegenden Zusammenhang nicht näher eingegangen werden; vgl. dazu aus der umfangreichen Literatur z. B. Langenfeld in: Grabitz/Hilf, Art. 141 EGV, Rn. 70 f.; Kollatz, Der Fall „Barber“ und die Folgen, DZWir 1995, S. 284 (285 f.); Moore, „Justice doesn’t mean a free lunch“, ELRev 1996, S. 159 (164 f.); Hudson, Some reflections on the implications of the Barber decision, ELRev 1992, S. 163. 913

C. Analyse der Urteile des EuGH

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legende Gericht wollte wissen, ob der Grundsatz des gleichen Entgelts für jeden einzelnen Bestandteil des Entgelts oder lediglich nach Maßgabe einer Gesamtbewertung der den Arbeitnehmern gezahlten Vergütungen gewährleistet sein müsse. Der EuGH führte aus, dass „diese gerichtliche Kontrolle schwierig und die praktische Wirksamkeit von Artikel 119918 dementsprechend gemindert wäre, wenn die staatlichen Gerichte verpflichtet wären, die Gesamtheit der verschiedenartigen den männlichen oder den weiblichen Arbeitnehmern im Einzelfall gewährten Vergütungen zu bewerten und miteinander zu vergleichen. Eine echte Durchschaubarkeit, die eine wirksame Kontrolle erlaubt, ist folglich nur gewährleistet, wenn der Grundsatz des gleichen Entgelts für jeden einzelnen Bestandteil des den männlichen oder den weiblichen Arbeitnehmern gezahlten Entgelts gilt.“919

Mit den Adressaten des Diskriminierungsverbots beschäftigte sich der Gerichtshof in der Rechtssache Fisscher,920 in der er sich zu der Frage äußerte, ob die Verpflichtung zur Beachtung von Art. 141 EGV nur den Arbeitgeber treffe oder auch die Verwalter eines Betriebsrentensystems. Unter Verweis auf sein Urteil in der Rechtssache Barber, entschied der Gerichtshof, dass „die praktische Wirksamkeit von Artikel 119 [. . .] beträchtlich geschmälert und der für eine wirkliche Gleichstellung notwendige Rechtsschutz stark eingeschränkt [würde], wenn sich ein Arbeitnehmer auf diese Bestimmung nur gegenüber dem Arbeitgeber berufen könnte und nicht gegenüber den Verwaltern des Systems, die ausdrücklich mit der Erfüllung der Verpflichtungen des Arbeitgebers betraut sind.“921

In seinem Urteil in der Rechtssache Coloroll Pensions,922 das vom selben Tag datiert wie das Urteil in der Rechtssache Fisscher, beschäftigte sich der EuGH zusätzlich noch mit der Frage, ob sich nur der Arbeitnehmer selbst oder auch seine anspruchsberechtigten Angehörigen auf die unmittelbare Wirkung von Art. 141 EGV berufen können. Der Gerichtshof entschied, dass im Falle eines Anspruchs auf Hinterbliebenenrente, der mit dem Tod des dem System angeschlossenen Arbeitnehmer entstehe, der Hinterbliebene der einzige sei, der ihn geltend machen könne. Würde ihm diese 918

Nun Art. 141 EGV. Rs. 262/88 (Barber), Slg. 1990, I-1889, Rn. 34, 35; so auch in der Rs. C-236/98 (Jämställdhetsombudsmannen), Slg. 2000, I-2189, Rn. 43 und Rs. C-226/98 (Jørgensen), Slg. 2000, I-2447, Rn. 27. In Rn. 28 des letztgenannten Urteils stellte der EuGH noch klar, dass dies grundsätzlich für alle Aspekte des Gleichbehandlungsgrundsatzes gilt und nicht nur für diejenigen, die die Gleichheit des Entgelts betreffen. 920 Rs. C-128/93 (Fisscher), Slg. 1994, I-4583. 921 Rs. C-128/93 (Fisscher), Slg. 1994, I-4583, Rn. 31; so auch Rs. C-435/93 (Dietz), Slg. 1996, I-5223, Rn. 31. 922 Rs. C-200/91 (Coloroll Pensions), Slg. 1994, I-4389. 919

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Möglichkeit versagt, nähme man Art. 141 EGV in Bezug auf Hinterbliebenenrenten jede praktische Wirksamkeit.923 In der Rechtssache Menauer924 war der EuGH mit der Frage befasst, ob Art. 141 EGV auch auf Pensionskassen deutschen Rechts abwendbar sei. Auch in diesem Fall bejahte er die Anwendbarkeit unter Berufung auf die praktische Wirksamkeit der Bestimmung, die geschmälert wäre, wenn sich der Arbeitnehmer oder seine anspruchsberechtigten Angehörigen nur an den Arbeitgeber wenden könnten und nicht auch an die mit der Erbringung der Leistungen betraute Einrichtung.925 (2) Richtlinie 76/207 Mit dieser Richtlinie werden die Verpflichtungen an die Mitgliedstaaten im Bereich der Gleichbehandlung von Männern und Frauen über das primärrechtlich verankerte Gebot der Entgeltgleichheit hinaus auf das Berufsund Arbeitsleben im Allgemeinen erweitert.926 In der Rechtssache Dekker927 äußerte sich der EuGH zur Haftung des Arbeitgebers bei Diskriminierungen. Er betonte, dass die Richtlinie die Haftung des Urhebers einer Diskriminierung nicht davon abhängig mache, dass ein Verschulden nachgewiesen werde oder kein Rechtfertigungsgrund vorliege.928 Wenn dem so wäre, würde dies „die praktische Wirksamkeit dieser Grundsätze erheblich beeinträchtigen.“929 Daraus zieht der Gerichtshof den Schluss, „dass dann, wenn sich ein Mitgliedstaat für eine Sanktion entscheidet, [. . .] jeder Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot für sich genommen ausreichen muss, um die volle Haftung seines Urhebers auszulösen, ohne dass die im nationalen Recht vorgesehenen Rechtfertigungsgründe berücksichtigt werden können“.930

Einige Urteile zur Richtlinie 76/207, in denen sich der EuGH auf den effet utile stützt, betreffen Benachteiligungen von Arbeitnehmerinnen aufgrund einer Schwangerschaft. So befasste sich der Gerichtshof in der Rechtssache Habermann-Beltermann931 mit der Frage, ob ein Arbeitsvertrag, der auf unbestimmte Zeit und in beiderseitiger Unkenntnis der 923 924 925 926 927 928 929 930 931

Rs. C-200/91 (Coloroll Pensions), Slg. 1994, I-4389, Rn. 18, 19. Rs. C-379/99 (Menauer), Slg. 2001, I-7275. Rs. C-379/99 (Menauer), Slg. 2001, I-7275, Rn. 31. Langenfeld in: Grabitz/Hilf, Art. 141 EGV, Rn. 87. Rs. 177/88 (Dekker), Slg. 1990, I-3941. Rs. 177/88 (Dekker), Slg. 1990, I-3941, Rn. 22. Rs. 177/88 (Dekker), Slg. 1990, I-3941, Rn. 24. Rs. 177/88 (Dekker), Slg. 1990, I-3941, Rn. 25. Rs. C-421/92 (Habermann-Beltermann), Slg. 1994, I-1657.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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Schwangerschaft der Arbeitnehmerin geschlossen wurde und der sich auf eine nachts zu verrichtende Arbeit bezieht, für nichtig erklärt werden könne, da das nationale Recht ein Nachtarbeitsverbot für Schwangere vorsieht.932 Nach Ansicht der Richter „würde es dem mit Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie933 verfolgten Schutzzweck zuwiderlaufen und dieser Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit nehmen, wenn man es zuließe, dass der Vertrag wegen der zeitweiligen Verhinderung der schwangeren Arbeitnehmerin, die Nachtarbeit zu verrichten, für die sie eingestellt wurde, für nichtig erklärt oder angefochten werden könnte.“934

In der Rechtssache Webb,935 die auch einen unbefristeten Arbeitsvertrag betraf, bestätigte der EuGH diese Auslegung und führte weiter aus, dass die Verfügbarkeit des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber zwangsläufig eine wesentliche Voraussetzung für die ordnungsgemäße Erfüllung des Arbeitsvertrages sei. Der vom Gemeinschaftsrecht gewährte Schutz der Frau während der Schwangerschaft und nach der Entbindung könne jedoch nicht davon abhängen, ob die Anwesenheit der Betroffenen in dem ihrem Mutterschaftsurlaub entsprechenden Zeitraum für das ordnungsgemäße Funktionieren des Unternehmens, in dem sie beschäftigt ist, unerlässlich sei. Die gegenteilige Auslegung nähme nach Ansicht des Gerichtshofs den Bestimmungen der Richtlinie 76/207 ihre praktische Wirksamkeit.936 Deshalb kam er zu dem Schluss, dass die Entlassung einer Arbeitnehmerin nicht durch deren zeitweise Unfähigkeit, ihre Arbeit zu verrichten, gerechtfertigt werden könne.937 Ähnlich argumentierte der EuGH auch in der Rechtssache 932

Rs. C-421/92 (Habermann-Beltermann), Slg. 1994, I-1657, Rn. 26. Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie sieht vor, dass die Richtlinie nicht den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, entgegensteht. 934 Rs. C-421/92 (Habermann-Beltermann), Slg. 1994, I-1657, Rn. 25; so auch Rs. C-32/93 (Webb), Slg. 1994, I-3567, Rn. 27. Für den EuGH lässt sich die Beendigung des Vertrages wegen der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin nicht dadurch rechtfertigen, dass ein gesetzliches Verbot sie zeitweilig daran hindert, eine Nachtarbeit zu verrichten. Es spielte für ihn wohl einen entscheidende Rolle, dass ein unbefristeter Arbeitsvertrag geschlossen wurde und das Nachtarbeitsverbot somit im Verhältnis zur Gesamtdauer des Vertrages nur eine beschränkte Zeit betrifft (vgl. Rn. 23 des Urteils). In späteren Urteilen rückte der EuGH von dieser Unterscheidung ab und dehnte seine Rechtsprechung auch auf befristete Arbeitsverhältnisse aus (vgl. z. B. Rs. C-394/96 (Brown), Slg. 1998, I-4185). 935 Rs. C-32/93 (Webb), Slg. 1994, I-3567. 936 Rs. C-32/93 (Webb), Slg. 1994, I-3567, Rn. 26; so auch Rs. C-109/00 (Tele Danmark), Slg. 2001, I-6993, Rn. 29; dort erklärte der EuGH zusätzlich, dass für diese Auslegung die Tatsache, ob der Arbeitsvertrag auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geschlossen wurde, unerheblich ist (vgl. Rn. 30, 31). 937 Er führte u. a. auch aus, dass die Tatsache zu berücksichtigen sei, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber in Art. 10 der Richtlinie 92/85 einen besonderen Schutz für die Frau vorgesehen habe, indem er das Verbot der Kündigung während der Zeit 933

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Brown.938 In der Rechtssache Larsson939 stellte er fest, dass die Frau während des ihr nach nationalem Recht zustehenden Mutterschaftsurlaubs gegen eine Entlassung wegen Fernbleibens von der Arbeit geschützt sei. Ließe man zu, dass Fehlzeiten während dieses Zeitraums berücksichtigt werden könnten, um eine spätere Entlassung zu rechtfertigen, so würde dies dem Zweck des Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie zuwiderlaufen, der nationale Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, erlaubt, und dieser Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit nehmen.940 (3) Richtlinie 79/7 Die Richtlinie 79/7 schließt sich an Art. 1 der Richtlinie 76/207 an und erweitert die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf den Bereich gesetzlicher Sozialversicherungssysteme. Mit der in Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a) der Richtlinie vorgesehenen Ausnahme beschäftigte sich der EuGH in den Rechtssachen Hepple,941 Buchner942 und Haackert.943 Diese Bestimmung sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Alters- oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausschließen können, d.h. z. B. zeitvom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs verfügt habe. Die Richtlinie musste zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils Webb noch nicht in nationales Recht umgesetzt worden sein. Das Urteil erging am 14. Juli 1994, die Umsetzungsfrist lief am 19. Oktober 1994 ab. 938 Rs. C-394/96 (Brown), Slg. 1998, I-4185, Rn. 21; so auch Rs. C-207/98 (Mahlburg), Slg. 2000, I-549, Rn. 24, die ein Beschäftigungsverbot für Schwangere nach dem deutschen Mutterschutzgesetz betraf. Auch in diesem Fall gab der EuGH dem Schutzzweck der Richtlinie Vorrang vor den entgegenstehenden Interessen des Arbeitgebers. 939 Rs. C-400/95 (Larsson), Slg. 1997, I-2757. 940 Rs. C-400/95 (Larsson), Slg. 1997, I-2757, Rn. 22. Er entschied jedoch, dass die Arbeitnehmerinnen außerhalb des Mutterschaftsurlaubs aufgrund der Richtlinie keinen Schutz gegen eine Entlassung wegen Fernbleibens von der Arbeit infolge einer durch die Schwangerschaft verursachten Krankheit hätten. Die Richtlinie stehe somit der Berücksichtigung von Fehlzeiten einer Arbeitnehmerin vom Beginn ihrer Schwangerschaft bis zum Beginn des Mutterschaftsurlaubs bei der Berechnung des Zeitraums, der ihre Entlassung nach nationalem Recht rechtfertige, nicht entgegen. Diese Entscheidung scheint inhaltlich durch das Urteil in der Rechtssache Brown überholt zu sein. Vgl. zu dieser Richtlinie auch das Urteil in der Rs. C-320/01 (Busch), Slg. 2003, I-2041, Rn. 43, 49. 941 Rs. C-196/98 (Hepple), Slg. 2000, I-3701. 942 Rs. C-104/98 (Buchner), Slg. 2000, I-3625. 943 Rs. C-303/02 (Haackert), Slg. 2004, I-2195.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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lich begrenzt ein unterschiedliches Rentenalter für Frauen und Männer beibehalten dürfen. Der EuGH entschied, dass die Aufrechterhaltung des unterschiedlichen Alters auch nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie den Erlaß von Maßnahmen, die untrennbar mit dieser Ausnahmeregelung verbunden sind, sowie die Änderung derartiger Maßnahmen erforderlich machen könne. Der Ausnahme „würde nämlich ihre praktische Wirksamkeit genommen, wenn ein Mitgliedstaat, der für Männer und Frauen ein unterschiedliches Rentenalter festgesetzt hat, nach Ablauf der Umsetzungsfrist keine damit zusammenhängenden Maßnahmen erlassen oder ändern dürfte.“944

cc) Harmonisierung von Individualschutzbestimmungen Mit der Richtlinie zum Betriebsübergang945 beschäftigte sich der Gerichtshof in der Rechtssache C-382/92.946 Darin führte er aus, dass die Richtlinie nur eine teilweise Harmonisierung der Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Arbeitgebers vornehme und somit die nationalen Systeme der Arbeitnehmervertretung in einem Betrieb nicht vollständig harmonisieren solle. „Die Begrenztheit dieser Harmonisierung kann den Bestimmungen der Richtlinie, insbesondere ihrem Artikel 6, jedoch nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen. Insbesondere kann sie die Mitgliedstaaten nicht von der Verpflichtung befreien, die Maßnahmen zu treffen, die für die Bestellung von Arbeitnehmervertretern im Hinblick auf die Information und Konsultation gemäß Artikel 6 der Richtlinie zweckmäßig sind.“947

Art. 6 der Richtlinie sieht vor, dass den Veräußerer und den Erwerber bestimmte Informations- und Konsultationspflichten gegenüber den vom Übergang betroffenen Arbeitnehmern treffen.948 In der Rechtssache Bofrost949 beschäftigte sich der EuGH erstmals mit der Richtlinie zum Europäischen Betriebsrat.950 Er äußerte sich in diesem 944 Rs. C-196/98 (Hepple), Slg. 2000, I-3701, Rn. 24; vgl. Rs. C-104/98 (Buchner), Slg. 2000, I-3625, Rn. 24, und Rs. C-303/02 (Haackert), Slg. 2004, I-2195, Rn. 29. Lediglich erwähnt werden soll an dieser Stelle ein weiteres Urteil zur Richtlinie 79/7, die Rechtssache Steenhorst-Neerings (C-338/91, Slg. 1993, I-5475); vgl. zum effet utile Rn. 34 des Urteils. 945 Richtlinie 77/187 zum Betriebsübergang. 946 Rs. C-382/92 (Kommission/Großbritannien), Slg. 1994, I-2435. 947 Rs. C-382/92 (Kommission/Großbritannien), Slg. 1994, I-2435, Rn. 28. 948 Sie sind z. B. verpflichtet, die Arbeitnehmer über den Grund für den Übergang zu informieren, über die Folgen des Übergangs und über die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen. 949 Rs. C-62/99 (Bofrost), Slg. 2001, I-2579.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Verfahren zu der Frage, ob ein Unternehmen, das zu einer Unternehmensgruppe gehört, auch dann zur Auskunftserteilung an die Organe der internen Arbeitnehmervertretung verpflichtet ist, wenn noch nicht feststeht, ob es innerhalb der Unternehmensgruppe ein herrschendes Unternehmen gibt. Der EuGH kam zu dem Schluss, dass es „aus Gründen der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie [. . .] unerlässlich [sei], den betroffenen Arbeitnehmern Zugang zu den Informationen zu verschaffen, aufgrund deren sie feststellen können, ob sie einen Anspruch auf Aufnahme von Verhandlungen zwischen der zentralen Leitung [. . .] und ihren eigenen Vertretern haben.“951

Das Recht auf Unterrichtung steht ihnen somit nach Ansicht des Gerichtshofs bereits dann zu, wenn noch nicht feststeht, ob es innerhalb der Gruppe ein herrschendes Unternehmen im Sinne von Art. 3 der Richtlinie gibt. Im Jahre 2004 befasste sich der EuGH mit zwei weiteren Verfahren zu dieser Richtlinie. In der Rechtssache Kühne&Nagel952 bestand die Besonderheit darin, dass die zentrale Leitung des Unternehmes außerhalb der Gemeinschaft ihren Sitz hatte. Das vorlegende Gericht wollte vom Gerichtshof wissen, ob in solch einem Fall die fingierte zentrale Leitung eines Unternehmens953 gehalten ist, von den anderen in der Gemeinschaft ansässigen Unternehmen der Gruppe die zur Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats unerlässlichen Auskünfte zu verlangen. Der EuGH bejahte die Frage und somit einen horizontalen Auskunftsanspruch, obwohl dieser nach dem Wortlaut der Richtlinie an sich nicht vorgesehen ist. Diese Auslegung ist nach Ansicht des Gerichtshofs durch den Zweck und die Systematik der Richtlinie geboten und wird durch Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie bestätigt.954 Außerdem könne die praktische Wirksamkeit der Richtlinie nur sichergestellt werden, wenn die anderen der Gruppe angehörenden und in der Gemeinschaft ansässigen Unternehmen verpflichtet seien, der fingierten zentralen Leitung die betreffenden Informationen zur Verfügung zu stellen.955 Das zweite, vom EuGH entschiedene Verfahren, die Rechtssache Anker956 950

Richtlinie 94/45 über den Europäischen Betriebsrat. Rs. C-62/99 (Bofrost), Slg. 2001, I-2579, Rn. 32; diese Auslegung bestätigte der EuGH in der Rs. C-440/00 (Kühne&Nagel), Slg. 2004, I-787, Rn. 46 und in der Rs. C-349/01 (Anker), Slg. 2004, I-6803, Rn. 50. 952 Rs. C-440/00 (Kühne&Nagel), Slg. 2004, I-787. 953 Befindet sich die zentrale Leitung eines Unternehmens außerhalb der Gemeinschaft, so ist die fingierte zentrale Leitung die Leitung des zur Unternehmensgruppe gehörenden Unternehmens mit der höchsten Anzahl von Beschäftigten in einem Mitgliedstaat. 954 Rs. C-440/00 (Kühne&Nagel), Slg. 2004, I-787, Rn. 54 f. 955 Rs. C-440/00 (Kühne&Nagel), Slg. 2004, I-787, Rn. 59. 956 Rs. C-349/01 (Anker), Slg. 2004, I-6803. 951

C. Analyse der Urteile des EuGH

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betraf einen sehr ähnlich gelagerten Fall, weshalb der Gerichtshof seine im Urteil Kühne&Nagel vorgenommene Auslegung bestätigte.957 Mit der Richtlinie über Massenentlassungen958 beschäftigte sich der EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien.959 Er entschied auch in diesem Fall, dass die Richtlinie nur eine Teilharmonisierung der Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmer vornehme, diese Begrenztheit jedoch den Bestimmungen der Richtlinie, insbesondere deren Art. 2 und 3960 nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen könne. Insbesondere könne sie die Mitgliedstaaten nicht von der Verpflichtung befreien, die Maßnahmen zu treffen, die für die Bestellung von Arbeitnehmervertretern im Hinblick auf die Erfüllung der Verpflichtungen aus den genannten Artikeln zweckmäßig seien.961 In der Rechtssache Junk962 kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass der Arbeitgeber Arbeitsverträge nicht kündigen dürfe, bevor er das Konsultationsverfahren nach Art. 2 der Richtlinie und das Anzeigeverfahren nach Art. 3 und 4 der Richtlinie durchgeführt habe. Art. 2 enthalte nämlich eine Verpflichtung zur Verhandlung, deren praktische Wirksamkeit beeinträchtigt wäre, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsverträge während oder sogar schon zu Beginn des Verfahrens kündigen dürfte.963 In der Rechtssache Mosbæk964 setzte sich der EuGH mit der Richtlinie über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers965 auseinander. Das vorlegende Gericht hatte die Frage gestellt, welche Garantieeinrichtung nach Art. 3 der Richtlinie dafür zuständig sei, die Befriedigung der Ansprüche eines Arbeitnehmers bei Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers sicherzustellen, wenn dieser in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niedergelassen sei, in dem der Arbeitnehmer wohne und seine Arbeitnehmertätigkeit ausgeübt habe. Der EuGH entschied, dass die Richtlinie zwar keine ausdrücklichen Regelungen für diesen Fall enthalte, dass sie aber trotzdem darauf anwendbar sei.966 Sie wolle nämlich 957 Rs. C-349/01 (Anker), Slg. 2004, I-6803, Rn. 54; vgl. zum Ganzen Hakenberg/Seyr, ZEuP 2005, S. 832 (849 f.). 958 Richtlinie 75/129 über Massenentlassungen. 959 Rs. C-383/92 (Kommission/Großbritannien), Slg. 1994, I-2479. 960 Art. 2 regelt das Konsultationsverfahren zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern im Falle eine beabsichtigten Massenentlassung, Art. 3 das Massenentlassungsverfahren an sich. 961 Rs. C-383/92 (Kommission/Großbritannien), Slg. 1994, I-2479, Rn. 25. 962 Rs. C-188/03 (Junk), Slg. 2005, I-885. 963 Rs. C-188/03 (Junk), Slg. 2005, I-885, Rn. 40 f., 44. 964 Rs. C-117/96 (Mosbæk), Slg. 1997, I-5017. 965 Richtlinie 80/987 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. 966 Rs. C-117/96 (Mosbæk), Slg. 1997, I-5017, Rn. 16.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

den Arbeitnehmern, die Opfer der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers geworden seien, ein Mindestmaß an Schutz gewähren, ohne dass sie dabei spezielle Beschränkungen ihres Anwendungsbereichs vorsehe. „Die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, das [. . .] Sachverhalte fördert, die [. . .] einen Auslandsbezug aufweisen, erfordert diese Auslegung der Richtlinie, die nach ihrer zweiten Begründungserwägung darauf gerichtet ist, die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede zu verringern, ‚die sich auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes unmittelbar auswirken können‘.“967

Zu erwähnen sind auch noch zwei Urteile zur Richtlinie 93/104 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung.968 In den Rechtssachen Jaeger969 und Dellas970 stellte der EuGH fest, dass die Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ im Sinne der Richtlinie autonom auszulegen seien, da „nur eine solche autonome Auslegung [. . .] die volle Wirksamkeit dieser Richtlinie und eine einheitliche Anwendung der genannten Begriffe in sämtlichen Mitgliedstaaten sicherstellen [kann].“971 dd) Verordnung 1408/71 Die Verordnung 1408/71 ist die Grundlage für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Diese weisen in der Regel einen engen Bezug zum staatlichen Hoheitsgebiet auf, woraus sich für Wanderarbeitnehmer Nachteile ergeben können, die durch eine Abstimmung der Systeme untereinander vermieden werden sollen. Die Verordnung 1408/71 bezieht sich auf die Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft, Invalidität, Alter, Tod, Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie Arbeitslosengeld.972 967

Rs. C-117/96 (Mosbæk), Slg. 1997, I-5017, Rn. 18. Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. 1993, L 307, S. 18. 969 Rs. C-151/02 (Jaeger), Slg. 2003, I-8389. 970 Rs. C-14/04 (Dellas), Slg. 2005, I-10253. 971 Rs. C-151/02 (Jaeger), Slg. 2003, I-8389, Rn. 58; Rs. C-14/04 (Dellas), Slg. 2005, I-10253, Rn. 40. In der Rechtssache Dietrich (C-11/99, Slg. 2000, I-5589) beschäftigte sich der EuGH mit der Auslegung der Richtlinie 90/270/EWG des Rates vom 29. Mai 1990 über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (ABl. 1990, L 156, S. 14). Er entschied, dass der Begriff des Bildschirms im Sinne des Art. 2 a) der Richtlinie auch Bildschirme zur Wiedergabe von Filmaufzeichnungen umfassen müssen, da ansonsten eine beträchtliche Anzahl von Arbeitnehmern aus dem durch die Richtlinie vorgesehenen Schutz herausfielen. Eine weite Auslegung sei geboten, da ansonsten die praktische Wirksamkeit der Richtlinie erheblich beeinträchtigt wäre (vgl. Rn. 38 des Urteils). 968

C. Analyse der Urteile des EuGH

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In der Rechtssache Kits van Heijningen973 setzte sich der EuGH mit der Bedeutung von Art. 13 Abs. 2 a) der Verordnung 1408/71974 auseinander. Diese Bestimmung sieht vor, dass eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt. Nach Ansicht des Gerichtshofs würde dieser Bestimmung jede praktische Wirksamkeit genommen, wenn den betroffenen Personen die Wohnsitzvoraussetzung entgegengehalten werden könnte, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt sind, für die Aufnahme in das System der sozialen Sicherheit vorgesehen sind. Für diese Personen bewirke Art. 13 Abs. 2 a), dass an die Stelle der Wohnsitzvoraussetzung die Voraussetzung trete, dass im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt werde.975 Mit den Vorschriften des Titels II der Verordnung 1408/71 (Bestimmung der anzuwendenden Vorschriften) beschäftigte sich der Gerichtshof in der 972 Die Verordnung wurde aufgehoben durch die Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. 2004, L 200, S. 1. 973 Rs. 2/89 (Kits van Heijningen), Slg. 1990, I-1755. 974 Zitiert in Fn. 907. 975 Rs. C-2/89 (Kits van Heijningen), Slg. 1990, I-1755, Rn. 21; so auch Rs. C-275/96 (Kuusijärvi), Slg. 1998, I-3419, Rn. 31. In der letztgenannten Rechtssache ergänzte der Gerichtshof noch dass die praktische Wirksamkeit des Art. 13 Abs. 2 f) der Verordnung nicht beeinträchtig sei, wenn eine Person, die im Gebiet des betroffenen Staates nicht mehr im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt sei und damit die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 a) der Verordnung nicht mehr erfülle, nur dann Anspruch auf Aufnahme oder Verbleib im System der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats habe, wenn sie in dessen Gebiet wohne (vgl. Rn. 32 des Urteils Kuusijärvi). Mit Art. 13 der Verordnung beschäftigte sich der EuGH auch in der Rs. C-34/98 (Slg. 2000, I-995), einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich. Die Rechtssache betraf den sog. CDRS, einen Beitrag zur Begleichung der Sozialschuld, der dazu dient, die Defizite des allgemeinen Systems der sozialen Sicherheit auszugleichen. Frankreich wendete ihn auf die Erwerbs- und Ersatzeinkünfte der Arbeitnehmer und Selbständigen an, die in Frankreich wohnten, aber in einem anderen Mitgliedstaat arbeiteten und somit nach der Verordnung Nr. 1408/71 nicht den Rechtsvorschriften des Wohnstaats über die soziale Sicherheit unterlagen. Da ein solcher Beitrag speziell und unmittelbar für die Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit des betroffenen Staates verwendet werde, falle er in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 und stelle eine Abgabe dar, die von dem Verbot der doppelten Beitragsleistung erfasst werden (Art. 13 der Verordnung). Dieser Zusammenhang könne nicht durch die Wahl der konkreten Modalitäten der Verwendung der erhobenen Beiträge beseitigt werden, solle das Verbot der Kumulierung der anwendbaren Rechtsvorschriften nicht jede praktische Wirksamkeit verlieren (vgl. Rn. 38 des Urteils).

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Rechtssache De Paep.976 Zunächst bestätigte er, dass die Vorschriften des Titels II der Verordnung ein geschlossenes und einheitliches System von Kollisionsnormen bilden. Mit diesen Vorschriften solle verhindert werden, dass Personen, die in den Geltungsbereich der Verordnung fielen, der Schutz auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorenthalten werde, weil keine nationalen Rechtsvorschriften auf sie anwendbar seien. Insbesondere dürften die von den Mitgliedstaaten für die Zugehörigkeit zu einem System der sozialen Sicherheit festgelegten Voraussetzungen nicht dazu führen, diese Personen vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen.977 Daher würde Art. 14 Abs. 2 c) der Verordnung978 „jede praktische Wirksamkeit genommen, wenn den dort genannten Personen solche Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats entgegengehalten werden könnten, in dessen Gebiet das Unternehmen seinen Sitz hat, das den Arbeitnehmer entlohnt, nach denen die Zugehörigkeit zu einem System der sozialen Sicherheit von der Flagge des Schiffs abhängt.“979

Die Rechtssache Laererstandens Brandforsikring980 betraf Art. 93 der Verordnung, der die Ansprüche des verpflichteten Trägers gegen haftende Dritte regelt. Diese Bestimmung ist nach Ansicht des EuGH eine Kollisionsnorm, die das nationale Gericht verpflichtet, das Recht des Mitgliedstaats, dem der verpflichtete Träger angehört, auch auf die Frage nach Art und Umfang der Forderungen anzuwenden, die auf den verpflichteten Träger übergegangen sind oder die er unmittelbar gegen den Dritten geltend machen kann.981 „Wenn nämlich das nationale Gericht das Recht des Mitgliedstaats anwendete, in dessen Gebiet der Schaden entstanden ist, um den Umfang des Regressanspruchs des verpflichteten Trägers zu bestimmen [. . .], könnte es dadurch Artikel 93 Absatz 1 der Verordnung ganz oder teilweise die praktische Wirksamkeit nehmen.“

In der Rechtssache Martinez982 wandte sich das vorlegende Gericht mit mehreren Fragen zur Auslegung von Art. 73 der Verordnung an den EuGH. Diese Bestimmung sieht vor, dass ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, 976

Rs. C-196/90 (De Paep), Slg. 1991, I-4815. Vgl. auch Rs. C-2/89 (Kits van Heijningen), Slg. 1990, I-1755, Rn. 12 und 20. 978 Diese Bestimmung ist Teil von Titel II und sieht Folgendes vor: „ein Arbeitnehmer, der an Bord eines Schiffes beschäftigt wird, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, und das Entgelt für diese Beschäftigung von einem Unternehmen oder einer Person mit Sitz oder Wohnsitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats erhält, unterliegt den Rechtsvorschriften des letzteren Staates, sofern er in dessen Gebiet wohnt; das Unternehmen oder die Person, die das Entgelt zahlt, gilt für die Anwendung dieser Rechtsvorschriften als Arbeitgeber.“ 979 Rs. C-196/90 (De Paep), Slg. 1991, I-4815, Rn. 19, vgl. auch Rn. 21. 980 Rs. C-428/92 (Laererstandens Brandforsikring), Slg. 1994, I-2259. 981 Vgl. Rn. 18 des Urteils Laererstandens Brandforsikring. 982 Rs. C-321/93 (Martinez), Slg. 1995, I-2821. 977

C. Analyse der Urteile des EuGH

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der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates hat, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten. Wenn eine nationale Rechtsvorschrift, wie diejenige im Ausgangsverfahren die Gewährung und die Höhe einer Leistung für ein unterhaltsberechtigtes Kind davon abhängig mache, dass das Kind einen Wohnsitz im Inland habe, so sei diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen, wenn das Kind in einem anderen Mitgliedstaat wohne. Diesem Ergebnis könne nicht der Umstand entgegenstehen, dass sich die Wohnsitzvoraussetzung aus steuerrechtlichen Vorschriften ergebe, auf die die anwendbaren sozialrechtlichen Vorschriften verwiesen. „Denn der in Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 enthaltenen Wohnsitzfiktion würde ein Großteil ihrer praktischen Wirksamkeit genommen, wenn sie durch den bloßen Verweis auf steuerrechtliche Vorschriften unterlaufen werden könnte.“983

Die Rechtssache Vanbraekel984 betraf Art. 22 Abs. 1 c) der Verordnung, der vorsieht, dass ein Sozialversicherter beim zuständigen Träger eine Genehmigung beantragen kann, um sich im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats einer medizinischen Behandlung zu unterziehen. Wird diese Genehmigung unbegründet abgelehnt, und diese Unbegründetheit später vom zuständigen Träger selbst oder durch ein Gericht festgestellt, hat der Betroffene nach Ansicht des EuGH einen unmittelbaren Anspruch gegen den Träger auf Erstattung in derselben Höhe, wie sie bei sofortiger ordnungsgemäßer Erteilung der Genehmigung entstanden wäre. Diese Auslegung gebiete die praktische Wirksamkeit.985

983

Rs. C-321/93 (Martinez), Slg. 1995, I-2821, Rn. 23. Rs. C-368/98 (Vanbraekel), Slg. 2001, I-5363. 985 Rs. C-368/98 (Vanbraekel), Slg. 2001, I-5363, Rn. 34. Eine ähnliche Konstellation betraf die Rs. Keller (C-145/03, Slg. 2005, I-2529); zum effet utile vgl. Rn. 69. Der Vollständigkeit halber zu erwähnen sind noch die verb. Rs. C-4/95 und C-5/95 (Stöber und Pereira), Slg. 1997, I-511, Rn. 31, 32 sowie die Rs. C-266/95 (Merino García), Slg. 1997, I-3279, Rn. 24, 25 und die Rs. C-28/00 (Kauer), Slg. 2002, I-1343, Rn. 36. Lediglich erwähnt werden soll, dass sich der EuGH in der Rs. Knöller (93/81, Slg. 1982, S. 951) mit der Verordnung Nr. 4 des Rates vom 3. Dezember 1958 zur Durchführung und Ergänzung der Verordnung Nr. 3 des Rates vom 25. September 1958 über die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer (ABl. 1958, 17, S. 406) beschäftigte; zum effet utile-Argument vgl. Rn. 9 des Urteils. In der Rs. 152/73 (Sotgiu), Slg. 1974, S. 153 äußerte sich der EuGH zur Auslegung der Verordnung 1612/68 (des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABl 1968, L 257, S. 2); zum effet utile vgl. Rn. 11. 984

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

ee) Stellungnahme Die Analyse der Urteile des Gerichtshofs zum Arbeits- und Sozialrecht, in denen er sein Auslegungsergebnis anhand des effet utile begründet, ergibt in methodischer Hinsicht folgendes Bild. Die Vorgehensweise des EuGH bei der Auslegung des Primärrechts unterscheidet sich leicht von jener beim Sekundärrecht. In den Urteilen zu Art. 141 EGV geht der Gerichtshof zumeist auf den Wortlaut dieser Bestimmung ein und nimmt dann direkt auf den effet utile Bezug. Erlässt er ein Urteil zu einem Problem, mit dem er sich schon in anderen Entscheidungen beschäftigt hat, verweist er auf diese Rechtsprechung und baut sie logisch in seine Argmuentation mit ein. Bei den Urteilen, die sich mit den Richtlinien im Bereich der Gleichbehandlung beschäftigen, fällt auf, dass der EuGH im Vergleich zu den Urteilen zu Art. 141 EGV vermehrt auf den Zweck oder die Zielsetzung der verschiedenen Richtlinien bzw. einzelner Artikel dieser Bezug nimmt. Zumeist belässt er es nicht bei einem einfachen Verweis, sondern stellt die Ziele auch explizit dar. Ansonsten stützt sich der EuGH auch in diesem Bereich soweit als möglich auf seine bestehende Rechtsprechung. Bei den Urteilen zu den Richtlinien im Bereich der Harmonisierung von Individualschutzbestimmungen konnte festgestellt werden, dass der Gerichtshof methodisch besonders konsequent und logisch vorgeht. In nahezu allen untersuchten Urteilen prüfte er den Wortlaut, den Zweck und die Systematik der betreffenden Richtlinie und nahm, wenn möglich auf Vorgängerurteile Bezug. Die praktische Wirksamkeit der betreffenden Bestimmung prüfte der EuGH in der Regel am Ende seiner Argumentation.986 Auch bei den Urteilen im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts bestätigt sich der Eindruck, dass der Gerichtshof das effet utile-Argument ausgewogen und nachvollziehbar einsetzt. In der Regel nimmt er am Ende seiner Argumentationskette auf die praktische Wirksamkeit Bezug, bestätigt also gewissermaßen das Ergebnis, zu dem er anhand des Wortlauts, der Systematik und des Zwecks gelangte, durch ein zusätzliches Argument. Das methodische Vorgehen des Gerichtshofs ist natürlich nicht einheitlich. Es gibt auch Fälle, in denen er fast ausschließlich auf seine bestehende Rechtsprechung verweist987 oder in denen er ohne viele andere Argumente mit der praktischen Wirksamkeit einer Bestimmung argumentiert.988 Besonders gut 986

Diese Tatsache könnte u. U. damit zusammenhängen, dass die Urteile, die in diesen Bereich fallen, alle neueren Datums sind (die älteste der Rechtssachen stammt aus dem Jahr 1992) und der EuGH vielleicht auf die teilweise aus den Mitgliedstaaten geäußerte Kritik reagieren wollte, seine Urteile seine unvollständig begründet und nicht leicht nachvollziehbar. 987 So z. B. Rs. C-379/99 (Menauer), Slg. 2001, I-7275.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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ersichtlich wird die logische Argumentationsführung des Gerichtshofs in den Rechtssachen Habermann-Beltermann989 und Bofrost.990 Die erstgenannte Rechtssache betraf, wie bereits dargestellt, die Auslegung der Richtlinie 76/207 in Zusammenhang mit einem nationalen Nachtarbeitsverbot für Schwangere. Der EuGH stellt in seinem Urteil zuerst das allgemeine Ziel der Richtlinie nach ihrem Art. 1 Abs. 1 dar. Sodann verweist er auf die Tatsache, dass dieses Ziel in den Art. 2, 3 und 5 der Richtlinie näher ausgeführt wird und führt den Wortlaut dieser Bestimmungen an.991 Zur Frage, ob die Einhaltung des Nachtarbeitsverbots für Schwangere zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit eines Arbeitsvertrages führen könne, analysiert der Gerichtshof zunächst die Zielsetzung von Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie und stellt seine bestehende Rechtsprechung dazu dar. Dann unterstreicht er die Tatsache, dass der Arbeitsvertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen wurde und das Nachtarbeitsverbot daher nur für eine gegenüber der Gesamtdauer des Vertrages beschränkte Zeit wirke. Unter diesen Voraussetzungen würde es nach Ansicht des EuGH dem mit Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie verfolgten Schutzzweck zuwiderlaufen und dieser Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit nehmen, wenn man eine Nichtigerklärung oder Anfechtung des Vertrages zulassen würde.992 In der Rechtssache Bofrost993 legt der EuGH die Richtlinie zum Europäischen Betriebsrat aus. Zunächst führt er die 11. Begründungserwägung der Richtlinie an994 und greift dann auf das System der Richtlinie zurück, das die länderübergreifende Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer durch ein System von Verhandlungen zwischen der zentralen Leitung und den Arbeitnehmervertretern gewährleistet.995 Sodann zitiert der Gerichtshof Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie996 und legt diesen zuerst nach seinem Wortlaut aus.997 Dann greift er auf das Argument der praktischen Wirksamkeit zurück, anschließend führt er aus, dass das von ihm anerkannte Recht auf 988 So z. B. Rs. C-128/93 (Fisscher), Slg. 1994, I-4583; Rs. C-117/96 (Mosbæk), Slg. 1997, I-5017. 989 Rs. C-421/92 (Habermann-Beltermann), Slg. 1994, I-1657. 990 Rs. C-62/99 (Bofrost), Slg. 2001, I-2579. 991 Rs. C-421/92 (Habermann-Beltermann), Slg. 1994, I-1657, Rn. 13. 992 Rs. C-421/92 (Habermann-Beltermann), Slg. 1994, I-1657, Rn. 24. 993 Rs. C-62/99 (Bofrost), Slg. 2001, I-2579. 994 Rs. C-62/99 (Bofrost), Slg. 2001, I-2579, Rn. 28. 995 Rs. C-62/99 (Bofrost), Slg. 2001, I-2579, Rn. 29. 996 Diese Bestimmung sieht vor, dass jeder Mitgliedstaat dafür Sorge trägt, dass die Leitung der in seinem Hoheitsgebiet befindlichen Betriebe eines gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens und ihre Arbeitnehmer den in der Richtlinie festgelegten Verpflichtungen nachkommen. 997 Rs. C-62/99 (Bofrost), Slg. 2001, I-2579, Rn. 30, 31.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Unterrichtung eine notwendige Voraussetzung für die Feststellung des Bestehens eines gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens sei, das seinerseits Voraussetzung für die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder für ein länderübergreifendes Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer sei.998 Seine Schlussfolgerung, dass den Arbeitnehmern999 das Recht auf Unterrichtung bereits dann zusteht, wenn noch nicht feststeht, ob es innerhalb der Gruppe ein herrschendes Unternehmen gibt, bestätigt der EuGH durch den Wortlaut von Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie.1000 Bei den analysierten Urteilen, die den Bereich des Arbeits- und Sozialrechts betreffen, fällt deutlich auf, dass der EuGH die praktische Wirksamkeit einer Norm neben, also zusätzlich zu ihrem Zweck oder ihrer Zielsetzung prüft. Diese Vorgehensweise hatte sich auch schon bei den Urteilen zu den Grundfreiheiten und stärker noch bei denen zum Wettbewerbsrecht angedeutet. Angesichts dieser Erkenntnis stellt sich die Frage, ob die These der herrschenden Meinung, der effet utile sei eine Unterart der teleologischen Auslegung, aufrechterhalten werden kann. Die Vorgehensweise des Gerichtshofs legt eher die Vermutung nahe, die praktische Wirksamkeit trete neben Wortlaut, Systematik und Zweck – und für das sekundäre Gemeinschaftsrecht auch die Historie der Norm – als weitere Auslegungsmethode hinzu. Diese Frage kann hier nicht abschließend beantwortet werden, dazu müssen noch die Urteile zum Brüsseler Übereinkommen und zur Landwirtschaft und Fischerei analysiert werden. Zuletzt sei noch kurz auf die inhaltlichen Ergebnisse eingegangen, zu denen der EuGH im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts durch die effet utile-Auslegung gelangt ist. Die untersuchten Urteile zur Gleichbehandlung zeigen das Bestreben des Gerichtshofs, die Wirksamkeit des Grundrechts auf Gleichbehandlung zu stärken.1001 Die Schlussfolgerungen, zu denen er gelangt, überzeugen im Großen und Ganzen,1002 was auch für die anderen im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts besprochenen Urteile gilt. Tatsächlich über den Wortlaut der auszulegenden Bestimmung hinausgegangen ist der EuGH, ohne dies ausdrücklich festzuhalten, in der Rechtssache 998

Rs. C-62/99 (Bofrost), Slg. 2001, I-2579, Rn. 33. Wenn sie Arbeitnehmer eines Unternehmens sind, das zu einer Unternehmensgruppe im Sinn von Art. 2 Abs. 1 b) der Richtlinie gehört. 1000 Abs. 2 lautet: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Angaben zu der in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a) und c) erwähnten Beschäftigtenzahl auf Anfrage der Parteien, auf die die Richtlinie Anwendung findet, von den Unternehmen vorgelegt werden.“ 1001 So auch Zuleeg, VVDStRL 53 (1994), S. 155 (187). 1002 Aspekte, die in der Literatur zu den einzelnen Urteilen mitunter kritisiert werden, betreffen in der Regel nicht die Passagen der Urteile, in denen der EuGH mit dem effet utile argumentiert. 999

C. Analyse der Urteile des EuGH

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Kühne&Nagel.1003 Er bejahte dort das Bestehen eines horizontalen Auskunftsanspruchs, obwohl dieser vom Wortlaut der Richtlinie nicht vorgesehen ist. Dieses Ergebnis begründete er jedoch schlüssig; die Einschätzung, dass die Richtlinie ohne diesen Anspruch einen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit verlöre, überzeugt. e) Brüsseler Übereinkommen aa) Allgemeines Das Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen1004 (EuGVÜ) wurde in Ausführung des Art. 220 EWG-Vertrag [nunmehr Art. 293 EGV]1005 geschlossen. Es bezweckt nach dem Wortlaut seiner Präambel die Vereinfachung der Förmlichkeiten für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen zu verwirklichen und innerhalb der Gemeinschaft den Rechtsschutz der dort ansässigen Personen zu verstärken. Es enthält u. a. Vorschriften, anhand deren die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten im Rahmen der innergemeinschaftlichen Beziehungen auf dem Gebiet des Zivil- und Handelsrechts bestimmt und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen erleichtert werden kann. In einem von allen Mitgliedstaaten ratifizierten Protokoll aus dem Jahre 1971 wurde die Auslegungszuständigkeit des EuGH für das Übereinkommen festgelegt.1006 Mit der Verordnung (EG) 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen1007 wurde das EuGVÜ weiterentwickelt und vergemeinschaftet.

1003

Rs. C-440/00 (Kühne&Nagel), Slg. 2004, I-787. ABl. 1972, L 299, S. 32. 1005 Diese Bestimmung sieht die Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, soweit erforderlich untereinander Verhandlungen einzuleiten, um zugunsten ihrer Staatsangehörigen den Erlass von Vorschriften sicherzustellen, die auf den in der Bestimmung genannten Gebieten (z. B. die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft oder eben die Vereinfachung der Förmlichkeiten für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung richterlicher Entscheidungen und Schiedssprüche) die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes erleichtern. 1006 Vgl. dazu Kropholler, Die Auslegung von EG-Verordnungen zum Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, in: Basedow u. a. (Hrsg.): Aufbruch nach Europa, S. 583 f. 1007 Vom 22. Dezember 2000, ABl. 2001, L 12, S. 1. 1004

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

bb) Auslegung des Übereinkommens im Allgemeinen In einer Reihe von Urteilen beschäftigte sich der Gerichtshof mit der Auslegung des Übereinkommens im Allgemeinen. Das EuGVÜ ist nach herrschender Meinung ein völkerrechtlicher Vertrag, der aber durch seine auf den EGV gegründete Entstehung und die dem EuGH übertragene Auslegungskompetenz dem Gemeinschaftsrecht in gewisser Weise angenähert ist. Der Gerichtshof wendet bei der Auslegung des EuGVÜ auch die gemeinschaftsrechtlichen Auslegungsmethoden an.1008 Nachdem das Übereinkommen häufig Ausdrücke und Rechtsbegriffe aus dem Bereich des Zivil-, Handels- und Verfahrensrecht verwendet, deren Bedeutung in den einzelnen Mitgliedstaaten verschieden sein kann, stellt sich als Kernproblem die Frage, ob diese Ausdrücke und Begriffe autonom, also für alle Mitgliedstaaten gemeinsam ausgelegt oder als Verweisung auf das Recht verstanden werden müssen, das von dem zuerst befassten Gericht angewendet werden muss.1009 Der Gerichtshof äußerte sich dazu erstmalig in der Rechtssache Industrie Tessili.1010 Er unterstrich die Bedeutung der Entstehungsgeschichte des Übereinkommens, vor allem die Tatsache, dass es in Ausführung des Art. 220 EWG-Vertrag [Art. 293 EGV] geschlossen wurde. Sein Zweck bestehe in der Vereinfachung der Förmlichkeiten für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und einer Stärkung des Rechtsschutzes der innerhalb der Gemeinschaft ansässigen Personen. Bei seiner Auslegung müsse deshalb „sowohl seinem Regelungsgehalt und seinen Zielsetzungen als auch seinem Zusammenhang mit dem Vertrag Rechnung getragen werden.“1011 Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass weder einer autonomen Auslegung noch einem Verweis auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen „der Vorrang [gebührt], da eine sachgerechte Entscheidung nur für jede Bestimmung des Übereinkommens gesondert getroffen werden kann; hierbei ist jedoch dessen volle Wirksamkeit unter dem Gesichtspunkt der Ziele des Artikels 220 des Vertrages1012 sicherzustellen. Hervorzuheben ist jedenfalls, dass die Auslegung jener Ausdrücke und Begriffe für die Zwecke des Übereinkommens der Frage der auf das streitige Rechtsverhältnis anwendbaren Sachnorm nicht vorgreift.“1013 1008 Vgl. Kropholler, Die Auslegung von EG-Verordnungen zum Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, in Basedow u. a. (Hrsg.): Aufbruch nach Europa, S. 583 (589). 1009 So auch Bleckmann/Pieper in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, B.I., Rn. 53 f. 1010 Rs. 12/76 (Industrie Tessili), Slg. 1976, S. 1473. 1011 Rs. 12/76 (Industrie Tessili), Slg. 1976, S. 1473, Rn. 9. 1012 Nunmehr Art. 293 EGV.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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In späteren Urteilen hat der EuGH im Rahmen der Auslegung des Übereinkommens immer wieder betont, dass er in ständiger Rechtsprechung eine autonome Auslegung der Begriffe des Übereinkommens befürworte, „um deren volle Wirksamkeit im Hinblick auf die Zielsetzungen des Artikels 220 EWG-Vertrag sicherzustellen, in Ausführung dessen das Übereinkommen zustandegekommen ist. Nur eine solche autonome Auslegung kann nämlich die einheitliche Anwendung des Übereinkommens sicherstellen, zu dessen Zielen es gehört, die Zuständigkeitsregeln für die Gerichte der Vertragsstaaten zu vereinheitlichen, wobei so weit wie möglich eine Häufung der Gerichtsstände in Bezug auf ein und dasselbe Rechtsverhältnis verhindert werden soll, und den Rechtsschutz für die in der Gemeinschaft niedergelassenen Personen dadurch zu verstärken, dass dem Kläger die Feststellung erleichtert wird, welches Gericht er anrufen kann, und dem Beklagten ermöglicht wird, bei vernünftiger Betrachtung vorherzusehen, vor welchem Gericht er verklagt werden kann.“1014

Das Übereinkommen ist somit nach Ansicht des Gerichtshofs vor allem anhand seiner Systematik und der mit ihm verfolgten Ziele auszulegen, um seine volle Wirksamkeit zu gewährleisten.1015 1013 Rs. 12/76 (Industrie Tessili), Slg. 1976, S. 1473, Rn. 11; so auch Rs. 33/78 (Somafer) Slg. 1978, S. 2183, Rn. 5 zum Begriff der „Zweigniederlassung, der Agentur oder der sonstigen Niederlassung“ und dem Begriff „aus dem Betrieb“ in Art. 17 des Übereinkommens. Der EuGH legte beide Begriffe autonom aus; Rs. 144/86 (Gubisch Maschinenfabrik), Slg. 1987, S. 4861, Rn. 7 zum Begriff der „Rechtshängigkeit“ in Art. 21 des Übereinkommens, der nach Ansicht des EuGH auch autonom auszulegen ist. Rs. C-214/89 (Powell Duffryn PLC), Slg. 1992, I-1745, Rn. 12 bezüglich der Auslegung des Begriffs „Gerichtsstandsvereinbarung“ in Art. 17 des Übereinkommens. Der EuGH kam zu dem Schluss, dass er aufgrund seiner zentralen Bedeutung sowie in Anbetracht der Ziele und der allgemeinen Systematik des Übereinkommens als autonomer Begriff anzusehen sei. 1014 Rs. C-125/92 (Mulox), Slg. 1993, I-4075, Rn. 10 f. zur Auslegung von Art. 5 Nr. 1 des Übereinkommens in Zusammenhang mit Arbeitsverträgen; so auch Rs. C-383/95 (Rutten), Slg. 1997, I-57, Rn. 12 und Rs. C-37/00 (Weber), Slg. 2002, I-2013, Rn. 60 und Rs. C-440/97 (GIE Groupe Concorde), Slg. 1999, I-6307, Rn. 11 bezüglich der Auslegung der Wendung „Ort . . ., an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre“ in Art. 5 Nr. 1; Rs. C-295/95 (Farrell), Slg. 1997, I-1683, Rn. 12 zur Auslegung des Begriffs „Unterhaltsberechtigter“ in Art. 5 Nr. 2. 1015 Vgl. Rs. 201/82 (Gerling), Slg. 1983, S. 2503, Rn. 11 zur Frage, ob Art. 17 des Übereinkommens so auszulegen ist, dass ein Versicherter und Begünstigter eines Versicherungsvertrages, der an diesem Vertrag nicht beteiligt und vom Versicherungsnehmer verschieden sei, sich auf eine zu seinen Gunsten vereinbarte Gerichtsstandsklausel berufen könne, obwohl er sie nicht unterzeichnet habe, während der Versicherer und der Versicherungsnehmer sie ordnungsgemäß unterzeichnet hätten. Ähnlich argumentierte der EuGH in der Rs. 221/84 (Berghoeffer), Slg. 1985, S. 2699, Rn. 12, in der das vorlegende Gericht wiederum Art. 17 betreffend nach der Wirksamkeit einer mündlichen Gerichtsstandsvereinbarung fragte, die nur von einer Partei schriftlich bestätigt worden war; Rs. 34/82 (Peters), Slg. 1983, S. 987, Rn. 9, 10 zur Auslegung des Begriffs „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ in Art. 5 Nr. 1, in der der EuGH zugunsten einer autonomen Auslegung entschied,

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

cc) Art. 5 des Übereinkommens Mit der Auslegung von Art. 5 des Übereinkommens befaßte sich der EuGH in mehreren Fällen. Art. 2 des Übereinkommens sieht eine allgemeine Zuständigkeit des Gerichts des Staates vor, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat. Art. 5 hingegen legt Ausnahmen von dieser grundsätzlichen Regel fest, die nach Wahl des Klägers zur Anwendung kommen. In dem soeben beschriebenen Verfahren Industrie Tessili wurde der EuGH vom vorlegenden Gericht nach der Auslegung von Art. 5 Nr. 1 des Übereinkommens gefragt. Diese Bestimmung sieht in Abweichung von den allgemeinen Regelungen vor, dass eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden kann. Wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, ist dies vor dem Gericht des Ortes möglich, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Der EuGH kam aufgrund seiner soeben dargestellten Argumentation zu dem Ergebnis, dass angesichts der Unterschiede, die nach wie vor zwischen den einzelnen nationalen Rechten bei der Regelung von Verträgen bestehen und in Ermangelung einer Vereinheitlichung des anwendbaren materiellen Rechts beim damaligen Stand der Rechtsentwicklung, das Übereinkommen bezüglich der Auslegung des Begriffs „Erfüllungsort“ auf das materielle Recht verweise, das nach den Kollisionsnormen des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts anwendbar sei.1016 Mit Art. 5 beschäftigte sich der Gerichtshof auch in der Rechtssache Mines de potasse d’Alsace,1017 und zwar mit der in Nr. 3 vorgesehenen Ausnahme, nach der der Kläger Klagen aus unerlaubter Handlung beim Gericht des Ortes erheben kann, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist. Die Bedeutung dieses Begriffs im Textzusammenhang ist nach Ansicht des EuGH unklar, wenn der Ort des dem Schaden zugrunde liegenden Geschehens sich in einem anderen Staat befindet als der Ort, an dem der Schaden eingetreten ist.1018 Nachdem auch ein Vergleich der verschiedenen Sprachfassungen kein eindeutiges Resultat ergebe und sich Art. 5 Nr. 3 durch seinen weitgefassten Wortlaut auf sehr vielfältige Typen der Schadenersatzpflicht erstrecke, sei die Bestimmung so auszulegen, dass dem Kläger die so auch Rs. 9/87 (Arcado), Slg. 1988, S. 1539, Rn. 10, 11; dieselbe Argumentation verwendet der EuGH in der Rs. 189/87 (Kalfelis), Slg. 1988, S. 5565, Rn. 15, 16 zum Begriff der „unerlaubten Handlung“ in Art. 5 Nr. 3; so auch Rs. C-261/90 (Reichert), Slg. 1992, I-2149, Rn. 15 bezüglich einer Gläubigeranfechtungsklage. 1016 Rs. 12/76 (Industrie Tessili), Slg. 1976, S. 1473, Rn. 14 f. 1017 Rs. 21/76 (Mines de potasse d’Alsace), Slg. 1975, S. 1735. 1018 Der Sachverhalt betraf grenzüberschreitende Wasserverschmutzung.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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Wahlmöglichkeit eingeräumt werde, die Klage an einem der beiden genannten Orte zu erheben. „Dieses Ergebnis wird durch die Erwägung gestützt, dass einerseits die Auswahl allein des Ortes des ursächlichen Geschehens in einer beträchtlichen Anzahl von Fällen dazu führen würde, dass die in Artikel 2 und Artikel 5 Nr. 3 des Übereinkommens vorgesehenen Gerichtsstände zusammenfielen, die letztgenannte Bestimmung verlöre damit insoweit ihre praktische Wirksamkeit.“1019 Die in Art. 5 Nr. 5 des Übereinkommens vorgesehene Ausnahme war Gegenstand des Verfahrens Lloyd’s Register.1020 Diese Bestimmung sieht vor, dass Ausnahmen auch dann möglich sind, wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung handelt. In diesem Fall kann der Kläger vor dem Gericht des Ortes klagen, an dem sich diese befindet. Der EuGH konnte der von den Klägern im Ausgangsverfahren vorgetragenen Auslegung nicht zustimmen, weil diese „Artikel 5 Nr. 5 beinahe völlig um seine praktische Wirksamkeit bringen“ würde.1021 Die Kläger hatten vorgebracht, eine Streitigkeit aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung im Sinne dieser Vorschrift liege nur vor, wenn die von einem solchen Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit eingegangenen Verpflichtungen in dem Vertragsstaat erfüllt werden müssen, in dem sich dieser Mittelpunkt befindet. Der Gerichtshof führte dazu Folgendes aus: „Da Artikel 5 Nr. 1 es dem Kläger bereits erlaubt, eine Vertragsklage bei dem Gericht des Erfüllungsorts der Verpflichtung, die Gegenstand seiner Klage ist, zu erheben, wäre Artikel 5 Nr. 5 eine unnötige Wiederholung dieser Vorschrift, wenn er nur für die von der Zweigniederlassung eingegangenen Verpflichtungen gelten würde, die im Gebiet des Vertragsstaats zu erfüllen sind, in dem sich diese befindet.“ Verpflichtungen könnten daher auch dann zum Betrieb einer Niederlassung im Sinne des Artikels 5 Nr. 5 des Übereinkommens gehören, wenn sie außerhalb des Vertragsstaats dieser Niederlassung – gegebenenfalls von einer anderen Niederlassung – erfüllt werden. Diese Auslegung entspreche im Übrigen dem Zweck der besonderen Zuständigkeitsregeln.1022

1019 Rs. 21/76 (Mines de potasse d’Alsace), Slg. 1975, S. 1735, Rn. 20; so auch Rs. C-68/93 (Shevill), Slg. 1995, I-415, Rn. 22 und Rs. C-364/93 (Marinari), Slg. 1995, I-2719, Rn. 12. 1020 Rs. C-439/93 (Lloyd’s Register), Slg. 1995, I-961. 1021 Rs. C-439/93 (Lloyd’s Register), Slg. 1995, I-961, Rn. 17. 1022 Rs. C-439/93 (Lloyd’s Register), Slg. 1995, I-961, Rn. 18 f.; vgl. dazu auch Rs. 33/78 (Somafer), Slg. 1978, S. 2183, Rn. 12.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

dd) Art. 6 des Übereinkommens Auch Art. 6 des Übereinkommens sieht besondere Zuständigkeiten vor. In der Rechtssache Kongress Agentur Hagen1023 beschäftigte sich der EuGH mit Art. 6 Nr. 2. Gemäß dieser Vorschrift kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, wenn es sich um eine Klage auf Gewährleistung oder um eine Interventionsklage handelt, auch vor dem Gericht des Hauptprozesses verklagt werden, es sei denn, dass diese Klage nur erhoben worden ist, um diese Person, dem für sie zuständigen Gericht zu entziehen. Das vorlegende Gericht wollte vom EuGH wissen, ob es gemäß Artikel 6 Nr. 2 verpflichtet sei, dem Antrag auf Zulassung der Gewährleistungsklage stattzugeben, wenn er nicht gestellt wurde, um den Antragsgegner dem für ihn zuständigen Gericht zu entziehen, oder ob das Gericht die Zulässigkeit der Klage nach seinem nationalen Prozessrecht beurteilen könne. Der Gerichtshof entschied, dass das Übereinkommen nicht die Vereinheitlichung der Verfahrensregeln zum Gegenstand habe, sondern die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten für Zivil- und Handelssachen innerhalb der Gemeinschaft sowie die Erleichterung der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen. Daher sei die Zuständigkeit klar zu trennen von den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage. Hinsichtlich der Gewährleistungsklage beschränke sich Artikel 6 Nr. 2 somit auf die Bestimmung des zuständigen Gerichts und betreffe nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen im eigentlichen Sinne. Nach ständiger Rechtsprechung sei hinsichtlich der Verfahrensregeln auf die für das nationale Gericht geltenden nationalen Rechtsvorschriften zurückzugreifen,1024 die Anwendung dieser dürfe jedoch die praktische Wirksamkeit des Übereinkommens nicht beeinträchtigen. Das Gericht dürfe somit keine Zulässigkeitsvoraussetzungen des nationalen Rechts anwenden, die die Wirkung der Zuständigkeitsregeln des Übereinkommens einschränken würden.1025 ee) Art. 16 des Übereinkommens Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens sieht für Klagen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, abweichend vom allgemeinen Grundsatz des Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens die ausschließliche Zu1023

Rs. C-365/88 (Kongress Agentur Hagen), Slg. 1990, I-1845. Rs. C-365/88 (Kongress Agentur Hagen), Slg. 1990, I-1845, Rn. 17, 18, 19. 1025 Rs. C-365/88 (Kongress Agentur Hagen), Slg. 1990, I-1845, Rn. 20, 21; so auch Rs. C-68/93 (Shevill), Slg. 1995, I-415, Rn. 36. 1024

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ständigkeit der Gerichte des Vertragsstaats vor, in dem die unbewegliche Sache belegen ist. In der Rechtssache Dansommer1026 entschied der EuGH dazu, dass Art. 16 als Ausnahme von der allgemeinen Zuständigkeitsregel des Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens nicht weiter ausgelegt werden dürfe, als sein Ziel es erfordere, da er bewirke, dass den Parteien die ihnen sonst mögliche Wahl des Gerichtsstands genommen werde und sie in bestimmten Fällen vor einem Gericht zu verklagen seien, das für keine von ihnen das Gericht ihres Wohnsitzes sei. Deshalb genüge für die Anwendbarkeit des Art. 16 Nr. 1 nicht, dass die Klage mit einer unbeweglichen Sache im Zusammenhang stehe.1027 Der Ausgangsrechtsstreit, der sich auf die Miete einer unbeweglichen Sache beziehe, falle unter in die Art. 16 Nr. 1 vorgesehene ausschließliche Zuständigkeit. Für diese Auslegung sprechen nach Ansicht des EuGH auch Sinn und Zweck der genannten Norm, nur sie nehme dieser Vorschrift nicht die praktische Wirksamkeit.1028 ff) Art. 36 und 38 des Übereinkommens Mit Art. 36 des Übereinkommens setzte sich der EuGH in der Rechtssache Hoffmann1029 auseinander. Diese Bestimmung betrifft die Zwangsvollstreckung und sieht vor, dass der Schuldner gegen die Entscheidung, mit der die Zwangsvollstreckung zugelassen wurde, innerhalb eines Monats nach ihrer Zustellung einen Rechtsbehelf einlegen kann. Hat der Schuldner seinen Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat als dem, in dem die Entscheidung über die Zulassung der Zwangsvollstreckung ergangen ist, so beträgt die Frist für den Rechtsbefehl zwei Monate und beginnt von dem Tag an zu laufen, an dem die Entscheidung dem Schuldner entweder in Person oder in seiner Wohnung zugestellt worden ist. Im Ausgangsverfahren stellte sich die Frage, ob Art. 36 so auszulegen sei, dass die Partei, die nicht den in dieser Vorschrift vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung eingelegt habe, einen stichhaltigen Grund, den sie im Rahmen dieses Rechtsbehelfs gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung hätte vorbringen können, im Stadium der Vollstreckung der Entscheidung nicht mehr geltend machen könne, und ob diese Regel von den Gerichten des Vollstreckungsstaats von Amts wegen anzuwenden sei. 1026 1027 1028 1029

Rs. Rs. Rs. Rs.

C-8/98 C-8/98 C-8/98 145/86

(Dansommer), Slg. 2000, I-393. (Dansommer), Slg. 2000, I-393, Rn. 21, 22. (Dansommer), Slg. 2000, I-393, Rn. 23 f, 26. (Hoffmann), Slg. 1988, S. 645.

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Der EuGH führte aus, dass das Übereinkommen nur die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus ausländischen vollstreckbaren Titeln regle und die eigentliche Zwangsvollstreckung unberührt lasse, die nach wie vor nach den Verfahrensvorschriften des nationalen Rechts des Vollstreckungsstaats einschließlich derjenigen über die Rechtsbehelfe erfolge. Die Anwendung der Verfahrensvorschriften des Vollstreckungsstaats im Rahmen der Zwangsvollstreckung dürfe jedoch die praktische Wirksamkeit der Regelung des Übereinkommens über die Zulassung der Zwangsvollstreckung nicht beeinträchtigen.1030 Die nach dem nationalen Recht gegebenen Rechtsbehelfe müssten somit ausgeschlossen sein, wenn der Rechtsbehelf gegen die Vollstreckung einer mit der Vollstreckungsklausel versehenen ausländischen Entscheidung von der Person eingelegt werde, die auch gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung einen Rechtsbehelf hätte einlegen können, und auf einen Grund gestützt werde, der im Rahmen des letztgenannten Rechtsbehelfs hätte vorgebracht werden können. Anderenfalls hätte nämlich die Vollstreckungsstreitigkeit zur Folge, dass die erteilte Zulassung der Zwangsvollstreckung nach Ablauf der strikt einzuhaltenden Frist des Art. 36 Abs. 2 des Übereinkommens wieder in Frage gestellt und dieser Vorschrift damit die praktische Wirksamkeit genommen würde.1031 Art. 38 des Übereinkommens betrifft die Rechtsbehelfe bei der Zwangsvollstreckung. Das mit dem Rechtsbehelf befaßte Gericht kann auf Antrag der Partei, die ihn eingelegt hat, seine Entscheidung aussetzen, wenn gegen die Entscheidung im Urteilsstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt oder die Frist für einen solchen Rechtsbehelf noch nicht verstrichen ist; in letzerem Fall kann das Gericht eine Frist bestimmen, innerhalb der der Rechtsbehelf einzulegen ist. In der Rechtssache Van Dalfsen1032 stellte das vorlegende Gericht dem EuGH die Frage, ob das mit dem Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Vollstreckung einer in einem anderen Vertragsstaat ergangenen Entscheidung befasste Gericht bei seiner Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nur die Gründe berücksichtigen darf, die der Rechtsbehelfsführer im Verfahren vor dem Gericht des Ursprungsstaats nicht vorbringen konnte, oder ob es bei dieser Entscheidung auch Gründe berücksichtigen darf, die bei dem ausländischen Gericht bereits vorgebracht wurden. Der Gerichtshof stellte diesbezüglich fest, Art. 31 Abs. 1 des Übereinkommens folge dem Grundsatz, dass die im Ursprungsstaat ergangenen und dort vollstreckbaren Entscheidungen in einem anderen Vertragsstaat voll1030 1031 1032

Rs. 145/86 (Hoffmann), Slg. 1988, S. 645, Rn. 29. Rs. 145/86 (Hoffmann), Slg. 1988, S. 645, Rn. 30. Rs. C-183/90 (Van Dalfsen), Slg. 1991, I-4743.

C. Analyse der Urteile des EuGH

265

streckt werden können, auch wenn sie nicht rechtskräftig sind. Die Befugnis zur Aussetzung des Verfahrens nach Art. 38 stelle eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar und solle den Schutz des Schuldners vor Schäden ermöglichen, die aus der Vollstreckung noch nicht rechtskräftiger, später abgeänderter Entscheidungen entstehen könnten und diene somit als Gegengewicht zu dem einseitigen Charakter des Anerkennungsverfahrens nach den Art. 31 ff. des Übereinkommens. Deshalb müsse Art. 38 Abs. 1 als Ausnahmevorschrift eng ausgelegt werden, „weil sonst die Wirksamkeit des Artikels 31 des Übereinkommens beeinträchtigt und das Ziel des Übereinkommens gefährdet würde, die Freizügigkeit der Entscheidungen dadurch sicherzustellen, dass vollstreckbare Entscheidungen eines Vertragsstaats in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt werden können.“1033 Art. 38 Abs. 1 könne deshalb nicht dahin ausgelegt werden, dass das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht bei einer Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens Gründe berücksichtigen dürfe, die bereits vor dem ausländischen Gericht vorgebracht wurden.1034 gg) Stellungnahme Die analysierten Urteile zeigen eine Präferenz des Gerichtshofs für die autonome Auslegung der Begriffe im Rahmen des Übereinkommens. In der Rechtssache Industrie Tessili1035 hatte sich der EuGH allgemein zur Auslegung des EuGVÜ geäußert und dabei festgehalten, dass weder der autonomen Auslegung noch einer Verweisung auf die nationalen Rechtsordnungen allgemein und grundsätzlich der Vorzug zu geben sei, sondern dass diese Entscheidung für jede einzelne Norm gesondert getroffen werden müsse. In der Folgerechtsprechung zeichnet sich eine Tendenz zur autonomen Auslegung ab,1036 die der EuGH in der Regel mit der Bedeutung der auszulegenden Norm für das Übereinkommen bzw. der Notwendigkeit, eine einheitliche Anwendung des Übereinkommens in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu gewährleisten, begründet.1037 Dieser Vorgehensweise ist grundsätzlich zuzustimmen.1038 So führte der Gerichtshof z. B. in der 1033

Rs. C-183/90 (Van Dalfsen), Slg. 1991, I-4743, Rn. 30. Rs. C-183/90 (Van Dalfsen), Slg. 1991, I-4743, Rn. 33. Der Vollständigkeit halber zu erwähnen ist noch die Rs. C-106/95 (Mainschiffahrts-Genossenschaft), Slg. 1997, I-911, die Art. 17 des Übereinkommens betraf und im speziellen die Modalitäten des Abschlusses einer Gerichtsstandvereinbarung nach den Regeln des internationalen Handelsverkehrs (zum effet utile vgl. Rn. 18). 1035 Rs. 12/76 (Industrie Tessili), Slg. 1976, S. 1473. 1036 Vgl. z. B. die Rs. 33/78 (Somafer), Slg. 1978, S. 2183; Rs. 34/82 (Peters), Slg. 1983, S. 987; Rs. 144/86 (Gubisch Maschinenfabrik), Slg. 1987, S. 4861; Rs. 9/87 (Arcado), Slg. 1988, S. 1539; Rs. C-214/89 (Powell Duffryn PLC), Slg. 1992, I-1745 oder Rs. C-37/00 (Weber), Slg. 2002, I-2013. 1034

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

Rechtssache Somafer1039 aus, dass „das Bestreben, die Rechtssicherheit und die Gleichheit der Rechte und Pflichten der Parteien im Hinblick auf die Möglichkeit der Abweichung von der allgemeinen Zuständigkeitsvorschrift des Artikels 2 zu gewährleisten, [. . .] eine autonome und damit allen Vertragsstaaten gemeinsame Auslegung der in Artikel 5 Nr. 5 des Übereinkommens aufgeführten Begriffe [gebietet], die Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens sind.“ Eine autonome Auslegung ist nach Ansicht des EuGH notwendig, um die volle Wirksamkeit des Übereinkommens sicherzustellen.1040 In mehreren Urteilen konnte festgestellt werden, dass sich der Gerichtshof auch im Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens für die Anwendung nationaler Verfahrensregeln ausspricht, dies jedoch unter die Bedingung stellt, dass die praktische Wirksamkeit des Übereinkommens dadurch nicht gefährdet wird.1041 Vom methodischen Gesichtspunkt aus lässt sich bei den besprochenen Urteilen zum EuGVÜ in der Regel ebenfalls eine logisch konsequente und nachvollziehbare Argumentation des EuGH feststellen. Er verwendet das Argument der praktischen Wirksamkeit im Zusammenspiel mit den anderen Auslegungsmethoden. Außerdem greift er auch in diesem Bereich, soweit vorhanden, auf seine bestehende Rechtsprechung zurück. In nahezu allen Urteilen hat der EuGH direkt oder durch Verweis auf die bestehende Rechtsprechung auf den Zweck der auszulegenden Bestimmung oder den Zweck des Übereinkommens Bezug genommen. Ferner konnte eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Wortlaut der einzelnen Bestimmungen festgestellt werden. Auffallend ist die besondere Beziehung bzw. enge Verknüpfung, die der EuGH zwischen den Zielen oder dem Zweck einer Regelung und ihrer praktischen Wirksamkeit annimmt. Dies wird z. B. deutlich, wenn der Gerichtshof ausführt, dass die Auslegung anhand der Systematik und der mit dem Übereinkommen verfolgten Ziele vorzunehmen sei, um seine volle Wirksamkeit zu gewährleisten1042 oder wenn er betont, dass die volle Wirk1037 In der Rs. 12/76 (Industrie Tessili), Slg. 1976, S. 1473, Rn. 14 f. war der EuGH noch zu dem Ergebnis gekommen, dass das Übereinkommen bezüglich der Auslegung des Begriffs „Erfüllungsort“ auf das nationale Recht verweise. 1038 Zustimmend z. B. Hogan, The Brussels Convention, Forum Non Conveniens and the Connecting Factors Problem, ELRev 1995, S. 471 (491); Huet, JDI 1988, S. 537 (538) für die Rs. 144/86 (Gubisch Maschinenfabrik), Slg. 1987, S. 4861; kritisch in Bezug auf die Rs. 9/87 (Arcado), Slg. 1988, S. 1539: Allwood, ELRev. 1988, S. 366 (368). 1039 Rs. 33/78 (Somafer), Slg. 1978, S. 2183, Rn. 8. 1040 So auch Polak, CMLRev. 1993, S. 406 (414 f.), der bezgl. der Formulierung des EuGH von „sacred formula“ spricht. 1041 So z. B. Rs. C-365/88 (Kongress Agentur Hagen), Slg. 1990, I-1845.

C. Analyse der Urteile des EuGH

267

samkeit des Übereinkommens unter dem Gesichtspunkt der Ziele des Artikels 293 EGV sicherzustellen sei.1043 Anhand der Urteile zum EuGVÜ erhärtet sich jedoch die bereits geäußerte Vermutung, dass der effet utile eine eigene Auslegungsmethode darstellen könnte. So führte der EuGH in der Rechtssache Dansommer1044 z. B. aus, dass für die von ihm vorgenommene Auslegung auch Sinn und Zweck der genannten Norm sprächen und nur sie dieser Vorschrift nicht die praktische Wirksamkeit nehme. Noch deutlicher kommt die Unterscheidung in der Rechtsache Van Dalfsen1045 zum Ausdruck, in der der Gerichtshof festhält, dass bei einer anderen Auslegung die Wirksamkeit des Artikels 31 des Übereinkommens beeinträchtigt und das Ziel des Übereinkommens gefährdet würde. f) Landwirtschaft und Fischerei Als letzter Bereich, in dem der EuGH vermehrt Urteile unter Heranziehung des effet utile entschieden hat, ist der Bereich der Landwirtschaft und Fischerei zu nennen. Aufgrund des mitunter äußerst technischen Charakters der Verordnungen, die dabei zur Anwendung kommen, wird auf eine gesonderte Darstellung der einzelnen Urteile verzichtet.1046 Zum methodischen Vorgehen des Gerichtshofs ist zunächst festzuhalten, dass er in diesem Bereich nahezu ausschließlich Sekundärrecht auszulegen hat und wie üblich eine Kombination aus den verschiedenen Methoden wählt. In zwei Fällen hätte eine Auslegung allein nach dem Wortlaut zu einem Ergebnis geführt, das nach Ansicht des EuGH nicht vertretbar gewesen wäre. Daraus lässt sich ableiten, dass er davon ausgeht, dass bei der Auslegung einer Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen ist, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung verfolgt werden.1047 Wie es für die Auslegung von Sekundärrecht typisch ist, greift der EuGH in den analysierten Urteilen oft auf die Systematik eines Artikels einer Verordnung oder der Verordnung insgesamt zurück.1048 Bezüglich der Verwendung des effet utile-Arguments zeigte sich auch im Bereich der Landwirtschaft und Fischerei, dass es der Gerichtshof mit den anderen Auslegungsmethoden kombiniert und nicht als „Totschlagargu1042

Z. B. Rs. 201/82 (Gerling), Slg. 1983, S. 2503. Z. B. Rs. 33/78 (Somafer), Slg. 1978, S. 2183. 1044 Rs. C-8/98 (Dansommer), Slg. 2000, I-393. 1045 Rs. C-183/90 (Van Dalfsen), Slg. 1991, I-4743. 1046 Sie können dem Anhang 2 zu dieser Arbeit entnommen werden. 1047 Vgl. Rs. 292/82 (Merck), Slg. 1983, S. 3781, Rn. 12 f., 17; Rs. C-334/95 (Krüger), Slg. 1997, I-4517, Rn. 24 f., 31. 1048 Vgl. z. B. Rs. 358/87 (Drewes), Slg. 1989, S. 891, Rn. 24 f. 1043

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Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

ment“ verwendet, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das er anhand der anderen Methoden nicht erreichen kann.1049 So beginnt der Gerichtshof z. B. in der Rechtssache Drewes,1050 deren Gegenstand die Auslegung von Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1307/77 mit Durchführungsbestimmungen zur Prämienregelung für die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen1051 war, zunächst mit dem Wortlaut der Bestimmungen. Er stellt verschiedene andere Vorschriften der Verordnung dar und damit sozusagen den Rahmen bzw. den Zusammenhang, in den sich die auszulegende Bestimmung einfügt. Sodann analysiert er den Wortlaut von Art. 8 Abs. 3 und erläutert anschließend, wie diese Vorschrift zu verstehen ist. Die Richtigkeit seiner Auslegung sieht der Gerichtshof durch einen Vergleich mit einer anderen Bestimmung derselben Verordnung und mit einer Bestimmung einer anderen Verordnung bestätigt. Aufgrund dessen kommt er zu dem Schluss, dass eine andere als die von ihm vorgeschlagene Auslegung den Erzeuger von jeder Verpflichtung befreien würde, die bereits ausgezahlten Prämienbeträge auch nur teilweise zurückzuzahlen und so die praktische Wirksamkeit der Prämienregelung beeinträchtigen würde.1052 In anderen Urteilen argumentiert der Gerichtshof, indem er ein anhand der anderen Auslegungsmethoden gefundenes Ergebnis mit Hilfe der praktischen bzw. vollen Wirksamkeit der auszulegenden Vorschrift gegenprüft. So geht er beispielsweise in den Rechtssachen Krüger,1053 O’Brien1054 oder Frankreich und Irland gegen Kommission1055 vor. In der letztgenannten Rechtssache befasst sich der EuGH zunächst mit dem Wortlaut der auszule1049 In der Rechtssache COPPI (Rs. C-271/01, Slg. 2004, I-1029) scheint der EuGH die praktische Wirksamkeit etwas zusammenhanglos zu verwenden. Er setzt sich mit dem Wortlaut der auszulegenden Bestimmung auseinander, setzt Normen anderer Verordnungen in Bezug dazu und verweist auf die sechste Begründungserwägung. Dann kommt er eher abrupt zu dem Schluss, dass „es [. . .] zwar richtig [ist], dass dieser Artikel nicht ausdrücklich die Rückforderung einer finanziellen Beteiligung des EAGFL durch einen Mitgliedstaat vorsieht. Diese Bestimmung würde jedoch ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt, wenn ein Mitgliedstaat nicht selbst solche Maßnahmen treffen könnte, obwohl die Zahlung der Beteiligung an die Endbegünstigten durch diesen Mitgliedstaat erfolgte, der Kenntnis von dem fraglichen Programm hatte und die Kontrolle darüber ausüben konnte.“ (vgl. Rn. 41 des Urteils). Der EuGH belässt es aber nicht bei dieser Schlussfolgerung, sondern führt seinen Gedankengang in der Folge noch weiter aus. 1050 Rs. 358/87 (Drewes), Slg. 1989, S. 891. 1051 Verordnung Nr. 1307/77 der Kommission vom 15. Juni 1977 mit Durchführungsbestimmungen zur Prämienregelung für die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen und die Umstellung der Milchkuhbestände, ABl. 1977, L 150, S. 24. 1052 Rs. 358/87 (Drewes), Slg. 1989, S. 891, Rn. 27. 1053 Rs. C-334/95 (Krüger), Slg. 1997, I-4517. 1054 Rs. C-86/90 (O’Brien), Slg. Slg. 1992, I-6251.

C. Analyse der Urteile des EuGH

269

genden Bestimmung und zeigt dabei die Unterschiede bzw. Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Gedankenstrichen der Norm auf. Sodann stellt er fest, dass der von ihm vertretenen Auslegung auch die übrigen Bestimmungen der Verordnung nicht entgegenstünden und erläutert, warum dies so sei. Abschließend hält er fest, dass „im übrigen [. . .] Artikel 6 Absatz 7 fünfter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 805/68 für das Ziel, eine rückläufige Marktpreisspirale zu vermeiden, weitgehend ohne praktische Wirkung [wäre], wenn die Kommission durch diese Bestimmung nur zum Erlaß von Maßnahmen ermächtigt würde, die bereits nach anderen Vorschriften zulässig sind. Dies gilt [. . .] um so mehr, als die Kommission ohne offensichtlichen Beurteilungsfehler zu dem Schluss kommen konnte, dass es keine mildere Maßnahme gab, um eine rückläufige Marktpreisspirale zu vermeiden.“1056

In der Rechtssache Krüger fügt der EuGH, nachdem er die Zielsetzung, den Wortlaut und die Struktur der Verordnung geprüft hat, noch Folgendes hinzu: „Nur dieses Verständnis der Verordnung Nr. 804/68 kann ihr im übrigen zu praktischer Wirksamkeit verhelfen. Die streitigen Vorschriften dieser Verordnung wären nämlich gegenstandslos, wenn sie dahin auszulegen wären, dass sie die Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr von Milchprodukten nur für Zubereitungen auf der Grundlage von Kaffee vorsehen, für die, wie sich aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen ergibt, nicht erwiesen ist, ob es sie auf dem Markt gibt.“1057

Eine ähnliche Vorgangsweise wählt der Gerichtshof in der Rechtssache O’Brien. Er setzt sich zunächst mit dem Wortlaut der auszulegenden Bestimmung auseinander, bezieht in seine Betrachtung auch die Begründungserwägungen mit ein und erläutert anschließend den Zweck der Norm. Dann führt er weiter aus: „Keine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts sieht jedoch vor, dass für die endgültige Zuteilung einer spezifischen Referenzmenge nur solche Verkäufe oder Lieferungen von Milch berücksichtigt werden dürfen, die aus dem Betrieb stammen, so wie er zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem er Gegenstand der Verpflichtung zur Nichtvermarktung oder zur Umstellung war. Eine derartige Beschränkung wäre im Übrigen der nützlichen Wirkung der erwähnten Bestimmungen abträglich, gemäß denen die Erzeuger bei der Übertragung eines Teils ihres Betriebes ihren Anspruch auf Zuteilung einer spezifischen Referenzmenge behalten.“1058 1055 Verb. Rs. C-296/93 und C-307/93 (Frankreich und Irland gegen Kommission), Slg. 1996, I-795. 1056 Verb. Rs. C-296/93 und C-307/93 (Frankreich und Irland gegen Kommission), Slg. 1996, I-795, Rn. 21. 1057 Rs. C-334/95 (Krüger), Slg. 1997, I-4517, Rn. 33. 1058 Rs. C-86/90 (O’Brien), Slg. Slg. 1992, I-6251, Rn. 15.

270

Teil 2: Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH

In anderen Urteilen geht der EuGH in gewisser Hinsicht auch einen umgekehrten Weg, indem er z. B. die vom Kläger vorgetragene Auslegung einer Bestimmung darstellt und dann festhält, dass diese Auslegung der betroffenen Vorschrift jede praktische Wirksamkeit nehmen würde. Warum dies so wäre, erläutert der Gerichtshof, indem er die praktischen Folgen der abzulehnenden Auslegung darstellt und so demonstriert, warum sie zurückzuweisen ist.1059 In der Regel bleibt er jedoch nicht bei der Beschreibung der praktischen Folgen stehen, sondern zeigt auch, dass die vom Kläger oder von einer anderen Partei vorgeschlagene Auslegung den Zielen bzw. dem Wortlaut der Vorschrift widerspräche. Er verlässt sich also auch in diesem Zusammenhang nicht einzig und allein auf die Prüfung der praktischen Wirksamkeit der Vorschrift.1060 Für den Bereich der Landwirtschaft und Fischerei lässt sich somit in den analysierten Urteilen ebenfalls ein enger Zusammenhang zwischen den Zielen einer Norm und deren praktischer Wirksamkeit feststellen. g) Schlussbetrachtung zum effet utile in spezifischen Bereichen des Gemeinschaftsrechts Die fünf dargestellten Bereiche zeigen die große Rolle, die der effet utile bei der Auslegung von spezifischen Gemeinschaftsrechtsvorschriften spielt. Die Bedeutung dieser Argumentationsfigur darf also nicht nur anhand der Ergebnisse bewertet werden, welche die Rechtsprechung im Bereich der Grundfesten des Gemeinschaftsrechts hervorgebracht hat. Die Zahlen, die der vorliegenden Analyse zugrunde gelegt wurden, bestätigen diese Einschätzung. Es wurde bereits zu Beginn erläutert, dass etwas mehr als 63% der Urteile des Gerichtshofs, in denen er mit dem effet utile argumentiert, nicht die Grundfesten des Gemeinschaftsrechts betreffen. Die Urteile in den dargestellten Bereichen haben zu einem großen Teil die Auslegung von Sekundärrecht zum Gegenstand. Die Analyse der Entscheidungen hat ergeben, dass der EuGH bei der Interpretation von Sekundärrecht logisch besonders konsequent vorgeht und den Leser der Urteile durch seine Überlegungen durchführt. Damit hängt wohl auch die Tatsache zusammen, dass die Entscheidungen in den fünf Bereichen selten aus methodischen Gründen in der Kritik der Fachpresse standen. Darin zeigt sich ein großer Unterschied zu den Urteilen, die die Grundfesten der Gemeinschaft betreffen, es sei an dieser Stelle nur an die „geistige Diät“1061 erin1059

Vgl. z. B. verb. Rs. C-296/93 und C-307/93 (Frankreich und Irland gegen Kommission), Slg. 1996, I-795, Rn. 21; Rs. C-334/95 (Krüger), Slg. 1997, I-4517, Rn 33; Rs. C-146/89 (Kommission/Großbritannien), Slg. 1991, I-3533, Rn. 28. 1060 Vgl. z. B. Rs. 315/88 (Bagli Penacchiotti), Slg. 1990, I-1323, Rn. 23 f.

C. Analyse der Urteile des EuGH

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nert, die dem Gerichtshof dort vorgeworfen wurde. Natürlich darf auch nicht verkannt werden, dass ein Urteil des EuGH, das Details zur Anwendung einer arbeitsrechtlichen Bestimmung klärt, in der Regel an sich schon weniger geeignet ist, die Gemüter zu erhitzen, als eine Entscheidung, die einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch begründet. Die Analyse der Entscheidungen in den spezifischen Gebieten des Gemeinschaftsrechts hat gezeigt, dass der effet utile zum Auslegungsinstrumentarium des Gerichtshofs gehört und von ihm bereichsübergreifend eingesetzt wird. Nachdem er sich gewissermaßen wie ein roter Faden durch die gesamte Rechtsprechung zieht, darf bei der Bestimmung seines Verhältnisses zu den anderen Auslegungsmethoden auch nicht nach Sachgebieten unterschieden werden. Die herrschende Meinung in der europarechtlichen Literatur verortet den effet utile im Rahmen der teleologischen Auslegungsmethode. Es wurde in den Schlussbemerkungen zu den einzelnen Bereichen immer wieder auf den engen Zusammenhang hingewiesen, den der Gerichtshof zwischen dem Zweck einer Norm und deren praktischer Wirksamkeit sieht. Dieser Zusammenhang soll auch keineswegs in Frage gestellt werden. Trotzdem liegt nach der Analyse der einzelnen Urteile der Schluss nahe, der effet utile könnte vielleicht mehr sein als eine Ausprägung der teleologischen Auslegung. Diese These soll im folgenden Teil 3 ausführlich durch Urteilspassagen belegt und begründet werden.

1061

Ossenbühl, DVBl. 1992, S. 993 (995).

Teil 3

Ergebnisse A. Der effet utile als sechste Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts I. Was versteht der EuGH selbst unter dem effet utile? Zunächst ist festzuhalten, dass es kein Urteil des Gerichtshofs gibt, in dem er sich explizit zu der Frage äußert, was er unter dem effet utile versteht und wie er ihn im Verhältnis zu den anderen Auslegungsmethoden des Gemeinschaftsrechts bewertet. In einigen Entscheidungen lässt der EuGH jedoch indirekt sein Verständnis von dieser Argumentationsfigur erkennen. In der Rechtssache Schilling und Nehring1 stellte er beispielsweise zunächst fest, dass der Wortlaut der auszulegenden Norm nicht eindeutig sei, weshalb die Vorschrift im Lichte der mit der Verordnung verfolgten Zwecke zu prüfen sei. Unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung führt der Gerichtshof dann aus, dass dabei „unter verschiedenen möglichen Auslegungen diejenige zu wählen [ist], die die praktische Wirksamkeit der Bestimmung zu wahren geeignet ist.“2

In seinem Urteil in der Rechtssache Adidas3 drückte es der EuGH so ähnlich aus: „Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes sind bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift nicht nur deren Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch der Zusammenhang, in dem sie steht, und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden [. . .]. Dabei ist von mehreren möglichen Auslegungen einer Gemeinschaftsvorschrift diejenige zu wählen, die allein geeignet ist, ihre praktische Wirksamkeit zu sichern.“4 1

Rs. C-63/00 (Schilling und Nehring), Slg. 2002, I-4483. Rs. C-63/00 (Schilling und Nehring), Slg. 2002, I-4483, Rn. 24; vgl. auch Rs. C-434/97 (Kommission/Frankreich), Slg. 2000, I-1129, Rn. 21; Rs. C-403/99 (Italien/Kommission), Slg. 2001, I-6883, Rn. 28; Rs. C-437/97 (Evangelischer Krankenhausverein), Slg. 2000, I-1157, Rn. 41. 3 Rs. C-223/98 (Adidas), Slg. 1999, I-7081. 4 Rs. C-223/98 (Adidas), Slg. 1999, I-7081, Rn. 24. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass auch das deutsche Bundesverfassungsgericht davon ausgeht, dass bei mehreren möglichen Auslegungsmöglichkeiten diejenige zu wählen ist, die es dem Gericht ermöglicht, die Grundrechte der Verfahrensbeteiligten durchzusetzen 2

A. Der effet utile als 6. Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts

273

Interessant ist es festzustellen, dass der EuGH in dem letztgenannten Urteil verlangt, diejenige Auslegung zu wählen, die allein geeignet ist, die praktische Wirksamkeit zu sichern. Soweit ersichtlich, ist die Rechtssache Adidas die einzige, in der der Gerichtshof diese Formulierung verwendet. Der Tatsache, dass er das Wort „allein“ eingefügt hat, dürfte keine besondere Bedeutung beizumessen sein, zumal er selbst bei dieser Urteilspassage auf seine frühere Rechtsprechung5 verweist, in der er lediglich davon spricht, dass derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben sei, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren geeignet ist. Ein Vergleich mit den anderen Sprachfassungen, insbesondere der französischen6 und der italienischen7 zeigt, dass der EuGH mit „allein“ Folgendes meint: Wenn eine Norm mehreren Auslegungen zugänglich ist und nur eine davon geeignet ist, ihre praktische Wirksamkeit sicherzustellen, dann ist dieser Auslegung der Vorzug zu geben. Nur die deutsche Übersetzung scheint somit auf den ersten Blick etwas anderes auszudrücken. Die Tatsache, dass der Gerichtshof selbst in keinem Urteil definiert, was er unter dem effet utile versteht, belegt, dass er diesem Grundsatz eine gewisse Elastizität beimisst.8 Aufschlussreicher sind diesbezüglich die Schlussanträge von Generalanwalt Léger vom 28. September 2004 in der Rechtssache Schulte,9 einem Verfahren im Bereich des Verbraucherrechts. Unter Verweis auf seine Schlussanträge in der Rechtssache Schilling und Nehring10 betont der Generalanwalt, dass die teleologische Auslegung und der Begriff „praktische Wirksamkeit“ vom Gerichtshof nicht unter allen Umständen verwendet werden. Sodann führt er aus, dass die Rechtsprechung des EuGH zeige, dass eine teleologische Auslegung nur dann angewendet werde, wenn verschiedene Auslegungen der fraglichen Vorschrift möglich seien. Diese Methode werde daher oft zur Bestätigung des Wortsinns einer Vorschrift verwendet, der, ohne völlig klar und eindeutig zu und zu verwirklichen. Vgl. BVerfGE 49, 252. s. auch Thoma, Die Grundrechte und Grundfreiheiten der Reichsverfassung Bd. 1, 1929, S. 1/9 der die Forderung aufstellt, dass stets derjenigen Normauslegung der Vorzug zu geben sei, die die juristische Wirkungskraft der betreffenden Norm am stärksten entfaltet. 5 Rs. 187/87 (Saarland u. a.), Slg. 1988, S. 5013, Rn. 19. 6 „ . . . lorsqu’une disposition de droit communautaire est susceptible de plusieurs interprétations dont une seule est de nature à sauvegarder son effet utile, c’est à celle-ci qu’il faut donner la priorité.“ 7 „ . . . allorché una disposizione di diritto comunitario è suscettibile di svariate interpretazioni delle quali una sola idonea a salvaguardare l’effetto utile della norma, è a questa che occorre dare priorità.“ 8 So auch Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 91. 9 Rs. C-350/03 (Schulte), Slg. 2005, I-9215. 10 Rs. C-63/00 (Schilling und Nehring), Slg. 2002, I-4483.

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Teil 3: Ergebnisse

sein, für Zweifel nur wenig Raum lasse. Die Heranziehung des Wortlauts und die Prüfung des Zwecks von Gemeinschaftsvorschriften ergänzten in diesem Fall einander im Auslegungsvorgang. Die teleologische Auslegung spiele ferner eine – dann ausschlaggebende – Rolle, wenn die fragliche Vorschrift allein anhand ihres Wortlauts nur schwer auszulegen sei. So verhalte es sich, wenn die streitige Vorschrift mehrdeutig sei oder wenn sie einen „rechtlichen Standard“ setze und damit den Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringe, dem Richter die Auslegung ihres Inhalts im Einzelfall zu überlassen, um eine dem Sachverhalt, mit dem er befasst ist, angepasste Anwendung der Bestimmung zu ermöglichen.11 In Bezug auf den effet utile führt der Generalanwalt dann Folgendes aus: „Das Gleiche gilt für den Begriff ‚praktische Wirksamkeit‘ im Gemeinschaftsrecht. Bekanntlich veranlasst das Bestreben, die Effektivität des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, den Gerichtshof oft, bei verschiedenen möglichen Auslegungen einer Gemeinschaftsvorschrift derjenigen den Vorzug zu geben, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift am besten zu wahren geeignet ist. Diese Rechtsprechung ist jedoch naturgemäß nur bei ‚verschiedenen möglichen Auslegungen‘ anwendbar. Sie lässt sich deshalb nicht auf eine Vorschrift anwenden, die wie im vorliegenden Fall alle Merkmale der erforderlichen Klarheit und Eindeutigkeit aufweist. Meines Erachtens ist diese Analyse in Bezug auf die finalistische Auslegung und die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts auch dann vorzunehmen, wenn wie im vorliegenden Fall der Wortlaut der Vorschrift dem Zweck der Richtlinie, zu der sie gehört, zuwiderläuft. [. . .] Es wäre mit dem Erfordernis der Rechtssicherheit nämlich nicht vereinbar, auf die teleologische Auslegung oder den Begriff ‚praktische Wirksamkeit‘ zurückzugreifen, um einer Gemeinschaftsrechtsvorschrift aufgrund dessen, dass ihr Wortlaut nicht zur Erreichung des Zieles beiträgt, das mit der Richtlinie, zu der sie gehört, verfolgt wird, einen Sinn zu verleihen, den sie offensichtlich nicht haben kann.“12

11 Vgl. Schlussanträge in der Rs. C-350/03 (Schulte), Slg. 2005, I-9215, Rn. 85 ff. 12 Vgl. Schlussanträge in der Rs. C-350/03 (Schulte), Slg. 2005, I-9215, Rn. 89 ff. Der Gerichtshof äußerte sich in seinem Urteil nicht in umfassender Weise zum effet utile. Er stellte unter Verweis auf seine Rechtsprechung fest, dass „es zwar Sache der Mitgliedstaaten [ist], die Rechtsfolgen des Widerrufs zu regeln, doch muss diese Befugnis unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts und insbesondere der Vorschriften der Richtlinie ausgeübt werden, die im Licht der Zielsetzung der Richtlinie und in einer Weise, die ihre praktische Wirksamkeit gewährleistet, auszulegen sind. Die Mitgliedstaaten müssen zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus einer Richtlinie alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie gemäß ihrer Zielsetzung zu gewährleisten.“ (Vgl. Urteil, Rn. 69.)

A. Der effet utile als 6. Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts

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II. Ergebnis der vorliegenden Untersuchung 1. Der effet utile als eigene Auslegungsmethode Bei einigen der dargestellten Bereiche wurde bereits angedeutet, dass aufgrund der Analyse der Urteile, in denen der EuGH nach dem effet utile auslegt, die berechtigte Vermutung besteht, dass es sich beim effet utile um eine eigene, von der teleologischen zu unterscheidende Auslegungsmethode handelt. Zu dieser Annahme geben verschiedene Anhaltspunkte Anlass. Zunächst sind die zahlreichen Urteile des EuGH zu erwähnen, in denen er sich vornehmlich mit der Auslegung von sekundärem Gemeinschaftsrecht beschäftigt. Wie bereits in den Schlussfolgerungen zu den einzelnen Kategorien beschrieben, setzt sich der Gerichtshof dort in vielen Fällen mit den verschiedenen klassischen Auslegungsmethoden auseinander und prüft dann zusätzlich noch, ob eine gewisse Auslegung die praktische Wirksamkeit einer Bestimmung beeinträchtigen würde. So entschied der EuGH z. B. in der Rechtssache Habermann-Beltermann:13 „Unter diesen Voraussetzungen würde es dem mit Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie [76/207 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung] verfolgten Schutzzweck zuwiderlaufen und14 dieser Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit nehmen, wenn man es zuließe, dass der Vertrag wegen der zeitweiligen Verhinderung der schwangeren Arbeitnehmerin, die Nachtarbeit zu verrichten, für die sie eingestellt wurde, für nichtig erklärt oder angefochten werden könnte.“15

In seinem Urteil in der Rechtssache SCPA,16 das die Auslegung der Verordnung Nr. 17 zum Gegenstand hatte und in dem sich der EuGH zum Anwendungsbereich der Verordnung äußerte, stellte er fest, dass auch ein Zusammenschluss, der eine beherrschende Stellung der Beteiligten gemeinsam mit einer am Zusammenschluss unbeteiligten Einheit begründe oder verstärke, unter die Verordnung fallen könne. Wenn man hingegen nur solche Zusammenschlüsse einbezöge, die eine beherrschende Stellung der an ihnen Beteiligten begründen oder verstärken, wäre die Zielsetzung der Verordnung teilweise gefährdet und der Verordnung würde „ein nicht unerheblicher Teil ihrer praktischen Wirksamkeit genommen“.17 13 14 15 16 17

Rs. C-421/92 (Habermann-Beltermann), Slg. 1994, I-1657. Hervorhebung durch die Verfasserin. Rs. C-421/92 (Habermann-Beltermann), Slg. 1994, I-1657, Rn. 24. Verb. Rs. C-68/94 und C-30/95 (SCPA), Slg. 1998, I-1375. Verb. Rs. C-68/94 und C-30/95 (SCPA), Slg. 1998, I-1375, Rn. 171.

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Teil 3: Ergebnisse

Bei den Urteilen des EuGH, die die Grundfesten des Gemeinschaftsrechts betreffen, lässt sich das Nebeneinander von Zweck und praktischer Wirksamkeit der Formulierung des Gerichtshof meist nicht so offensichtlich entnehmen, aber trotzdem aus seiner Argumentation ableiten. In der Rechtssache van Duyn,18 in der der Gerichtshof die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen zum ersten Mal anerkannt hat, führte er z. B. aus, dass es „mit der den Richtlinien durch Artikel 189 zuerkannten verbindlichen Wirkung [. . .] unvereinbar [wäre], grundsätzlich auszuschließen, dass betroffene Personen sich auf die durch die Richtlinie auferlegte Verpflichtung berufen können. Insbesondere in den Fällen, in denen etwa die Gemeinschaftsbehörden die Mitgliedstaaten durch Richtlinie zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, würde die nützliche Wirkung (‚effet utile‘) einer solchen Maßnahme abgeschwächt, wenn die Einzelnen sich vor Gericht hierauf nicht berufen und die staatlichen Gerichte sie nicht als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts berücksichtigen könnten“.19

In seinem Urteil in der Rechtssache Johnston,20 in dem sich der EuGH zur richtlinienkonformen Auslegung äußerte, stellte er fest, dass „das nationale Gericht bei der Anwendung des nationalen Rechts [. . .] dieses [. . .] im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen hat, um das in Artikel 189 Absatz 321 genannte Ziel zu erreichen. Daher ist es Sache des Industrial Tribunal, die Sex Discrimination Order [. . .] im Lichte der Bestimmungen der Richtlinie in ihrer vorstehend gegebenen Auslegung auszulegen, um der Richtlinie ihre volle Wirksamkeit zu verleihen.“22

Die Tatsache, dass es der Gerichtshof für notwendig erachtet, die praktische Wirksamkeit der auszulegenden Bestimmung neben deren Ziel und Zweck anzusprechen bzw. explizit zu prüfen, ob diese gewährleistet ist, lässt vermuten, dass er zwischen dem Sinn oder Zweck einer Norm und deren praktischer Wirksamkeit unterscheidet. Nachdem zwischen diesen beiden Parametern aber ein sehr enger Zusammenhang besteht, kann der Unterschied nur gradueller Natur sein. Geht man von der Bedeutung des Wortes „Zweck“ aus, so beschreibt er, was die Norm erreichen und welchem Ziel sie dienen soll. Dem Zweck einer Norm wohnt somit in gewisser Weise eine abstrakte Komponente inne, weil er ein Sollen ausdrückt. Die „praktische Wirksamkeit“ einer Vorschrift geht über ihren Zweck hinaus, da sie gewährleistet, dass das Ziel, das die Norm gemäß ihrem Zweck erfüllen soll, auch tatsächlich erreicht wird. Wenn der Gerichtshof nach dem Effektivitätsgrundsatz auslegt, verfolgt er 18 19 20 21 22

Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337. Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337, Rn. 12. Rs. 222/84 (Johnston), Slg. 1986, S. 1651. Nun Art. 249 Abs. 3 EGV. Rs. 222/84 (Johnston), Slg. 1986, S. 1651, Rn. 53.

A. Der effet utile als 6. Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts

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nämlich die vollständige Verwirklichung eines bestimmten inhaltlichen Ziels.23 Die Berücksichtigung der praktischen Wirksamkeit einer Norm kann mit anderen Worten als eine gesteigerte, potenzierte Form der Teleologie bezeichnet werden. Die Rechtsprechung des EuGH bestätigt diese unterschiedliche Definition von „Zweck“ und „praktischer Wirksamkeit“. So stellte er z. B. in der Rechtssache Martinez24 zunächst den Wortlaut von Art. 73 der Verordnung 1408/71 dar und führte dann aus, dass mit dieser Bestimmung „vor allem verhindert werden [soll], dass ein Mitgliedstaat die Gewährung oder die Höhe von Familienleistungen davon abhängig machen kann, dass die Familienangehörigen des Erwerbstätigen in dem die Leistungen erbringenden Mitgliedstaat wohnen; auf diese Weise soll vermieden werden, dass der EGErwerbstätige davon abgehalten wird, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen.“ Er kam dann zu dem Ergebnis, dass der in dieser Bestimmung enthaltenen Wohnsitzfiktion ein Großteil ihrer praktischen Wirksamkeit genommen würde, wenn sie durch den bloßen Verweis auf steuerrechtliche Vorschriften unterlaufen werden könnte.25 Auch in der Rechtssache Säger/Dennemeyer26 wird der Unterschied deutlich: „Ein Mitgliedstaat darf insbesondere die Erbringung von Dienstleistungen in seinem Hoheitsgebiet nicht von der Einhaltung aller Voraussetzungen abhängig machen, die für eine Niederlassung gelten, und damit den Bestimmungen des EWGVertrags, deren Ziel27 es gerade ist, die Dienstleistungsfreiheit zu gewährleisten, jede praktische Wirksamkeit28 nehmen.“29

Der EuGH unterscheidet zwischen dem Ziel der Regelung, nämlich die Dienstleistungsfreiheit zu gewährleisten, und der praktischen Wirksamkeit der Regelungen über die Dienstleistungsfreiheit. In der Rechtssache Levin,30 die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer betraf, führte der Gerichtshof aus, dass die Begriffe „Arbeitnehmer“ und „Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis“ autonom auszulegen seien. Nachdem diese Begriffe den Anwendungsbereich einer der vom Vertrag garantierten Grundfreiheiten festlegten, dürften sie nicht einschränkend ausgelegt werden. Die Teilzeitbeschäftigung stelle für eine große Anzahl von Personen ein wirksames Mittel zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen dar, weshalb die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigt und die Erreichung der Vertragsziele 23 24 25 26 27 28 29 30

So auch Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 155. Rs. C-321/93 (Martinez), Slg. 1995, I-2821. Vgl. Rs. C-321/93 (Martinez), Slg. 1995, I-2821, Rn. 21 f. Rs. C-76/90 (Säger/Dennemeyer), Slg. 1991, I-4221. Hervorhebung durch die Verfasserin. Hervorhebung durch die Verfasserin. Rs. C-76/90 (Säger/Dennemeyer), Slg. 1991, I-4221, Rn. 13. Rs. 53/81 (Levin), Slg. 1982, S. 1035.

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Teil 3: Ergebnisse

in Frage gestellt wäre, wenn allein die Personen in den Genuss der mit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zuerkannten Rechte kämen, die einer Vollbeschäftigung nachgingen.31 2. Die Sicherung der Durchsetzbarkeit des Gemeinschaftsrechts Diese soeben dargestellten Beispiele zeigen, dass der EuGH mit der Berücksichtigung des effet utile die Durchsetzbarkeit der auszulegenden Norm sichern will.32 Ganz generell kann man festhalten, dass Recht, wenn es wirksam ist, Auswirkungen auf das politische, ökonomische und soziale Leben außerhalb des Rechts hat. Diese Definition impliziert ein breites Verständnis von Wirksamkeit, das die Umsetzung, die Durchsetzung, die Auswirkungen und die Befolgung des Rechts miteinschließt.33 Die Durchsetzung des Rechts erfolgt dabei über Konflikte, Verhandlungen, Kompromisse und wechselseitige Anpassung. Es geht somit um politische und rechtliche Prozesse sowie strukturellen Wandel.34 Die Durchsetzung der Rechtsordnung insgesamt ist durch die Effektivität des Rechtsschutzes geboten.35 Im mitgliedstaatlichen Rechtsraum bedeutet sie zeitliche und förmliche Garantie wie den uneingeschränkten Zugang zum Gericht oder eine rechtzeitige Entscheidung, damit ein ausreichender Schutz der Rechte gewährleistet ist. Andererseits bedeutet das Erfordernis der Effektivität aber auch, dass die Gerichte im jeweiligen Verfahren der normativen Geltung der Rechte tatsächlich Wirkung verschaffen müssen, also die Verpflichtung diese durchzusetzen.36 Die Durchsetzung der Rechtsordnung ist in einem Staat Aufgabe der Staatsorgane, somit auch der rechtsprechenden Gewalt und schließt deren Befugnis zur Rechtsfortbildung mit ein.37 31

Rs. 53/81 (Levin), Slg. 1982, S. 1035, Rn. 14, 15. Auch für Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 288 spielt die Komponente der effektiven Durchsetzung in das Effektivitätsprinzip hinein; ebenso geht Lecheler, Der Grundsatz der Effektivität im Gemeinschaftsrecht, S. 2 davon aus, dass Recht „durchsetzbar, effektiv d.h. wirksam sein“ muss. 33 Snyder, The Effectiveness of European Community Law: Institutions, Processes, Tools and Techniques, The Modern Law Review, 1993, S. 19 (26). 34 Snyder, The Modern Law Review, 1993, S. 19 (19, 24 f.). 35 Tilch/Arloth (Hrsg.), Deutsches Rechts-Lexikon, Stichwort: Durchsetzung der Rechtsordnung, Bd. 1, S. 1158. 36 Tilch/Arloth (Hrsg.), Deutsches Rechts-Lexikon, Stichwort: Effektivität des Rechtsschutzes, Bd. 1, S. 1165. 37 Tilch/Arloth (Hrsg.), Deutsches Rechts-Lexikon, Stichwort: Durchsetzung der Rechtsordnung, Bd. 1, S. 1158. 32

A. Der effet utile als 6. Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts

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Bezüglich der gemeinschaftlichen Rechtsordnung stellt sich die Frage, warum es der zusätzlichen und ständigen Berücksichtigung der praktischen Wirksamkeit der Normen durch die Rechtsprechung viel stärker bedarf als in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Zur ihrer Beantwortung sind die Besonderheiten der Gemeinschaftsrechtsordnung zu berücksichtigen, denn grundsätzlich muss jede Rechtsordnung wirksam sein, eine mitgliedstaatliche wie die gemeinschaftliche. Die EG ist eine Rechtsgemeinschaft, die aber im Gegensatz zu den Mitgliedstaaten ausschließlich auf dem Respekt vor dem Recht basiert. Das Gemeinschaftsrecht sieht nämlich keine speziellen Mittel zu seiner Durchsetzung gegenüber den Mitgliedstaaten vor, sondern gründet auf der Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten.38 Wie Schroeder zutreffend ausführt, wird die Funktion des Gemeinschaftsrechtssystems durch seine soziale Wirksamkeit gewahrt, die z. B. durch die Eigeninteressen der Mitgliedstaaten, durch institutionelle Verflechtungen, aber auch durch die idealistische Überzeugung vom Nutzen des europäischen Einigungsprozesses getragen wird.39 Ihre Wirksamkeit ist also für eine Rechtsordnung wie die gemeinschaftliche von besonderer Bedeutung, da sie sich im Verhältnis zu den etablierten Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten durchsetzen muss, weil die Unterwerfung unter die supranationale Gemeinschaft nur zögerlich erfolgt.40 Die Wirksamkeit als rechtlicher Erfolg ist somit ein Strukturmerkmal der Europäischen Gemeinschaft. Die in der vorliegenden Arbeit analysierten Urteile belegen dies eindrucksvoll, da sie gezeigt haben, dass sich die Sicherung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts wie ein roter Faden durch seine verschiedenen Bereiche zieht.41 Die Bedingungen für die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sind vielfältig, so erfordert sie z. B. die Umsetzung der Gemeinschaftsziele auf politischer Ebene, die Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht durch die Mitgliedstaaten und die Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die mitgliedstaatlichen Gerichte.42 Nachdem Wirksamkeit impliziert, dass bestimmte Adressaten ihr Verhalten so auszurichten haben, dass eine Rechtsnorm erfolgreich ist,43 ist der Wille 38 Vgl. auch Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 220; Snyder, The Modern Law Review, 1993, S. 19 (22). 39 Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 221; ausführlich dazu Lais, Das Solidaritätsprinzip im Europäischen Verfassungsverbund, S. 91 ff. 40 Zuleeg, Die Wirksamkeit des Europarechts, FS Rodríguez Iglesias, S. 221; auch Lecheler, Der Grundsatz der Effektivität im Gemeinschaftsrecht, S. 4 weist darauf hin, dass Effektivitätsprobleme im Gemeinschaftsrecht noch viel spürbarer sind als in den normativ vollständig ausgearbeiteten Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. 41 Vgl. dazu die Tabelle im Anhang 2. 42 Snyder, The Modern Law Review, 1993, S. 19 (25 f.).

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Teil 3: Ergebnisse

zur Mitarbeit vonseiten der Mitgliedstaaten auf unterschiedlichste Weise notwendig. Die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts ist deshalb auch eine politische Angelegenheit.44 Die beschriebene Beziehung zwischen Rechtsschutz und Effektivität im nationalen Rechtsraum findet sich auch auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene. Wie in Teil 2 der vorliegenden Arbeit ausführlich dargestellt wurde, ist die auf den effet utile gestützte Rechtsprechung des Gerichtshofs im Bereich der Grundfesten des Gemeinschaftsrechts durch das Bestreben gekennzeichnet, die Position des einzelnen, rechtsschutzsuchenden Bürgers zu stärken. Man trifft also auch im Gemeinschaftsrecht in vielen Fällen auf ein Zusammenwirken zwischen der Effektivität des Gemeinschaftsrechts insgesamt bzw. einzelner Normen und der Stärkung des betroffenen Einzelnen; diese zwei Aspekte sind die wesentlichen Komponenten der effet utile-Auslegung im Rahmen der Grundfesten des Gemeinschaftsrechts.45 Beginnend mit dem Urteil van Gend & Loos bis zur Rechtssache Francovich hat der EuGH das Rechtsschutzbegehren des Einzelnen in den Dienst der Durchsetzung und Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts gestellt und dem Gemeinschaftsrecht gegenüber der Nachlässigkeit der Mitgliedstaaten46 zu praktischer Wirksamkeit verholfen. Es kommt dabei zu einer Verbindung der subjektiven Rechtsschutzfunktion mit der objektiven Wächterrolle, um das Funktionieren der Gemeinschaft zu ermöglichen.47 Die Festlegung dieser Rechtsschutzfunktion in Kombination mit dem Effektivitätsprinzip legitimiert die rechtsgestalterische Tätigkeit des EuGH.48

43 Zuleeg, Die Wirksamkeit des Europarechts, FS Rodríguez Iglesias, S. 221 (222). 44 Snyder, The Modern Law Review, 1993, S. 19 (22, 24). 45 Ähnlich auch Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 84, 117, 118. 46 So auch Streinz, Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften, FS Everling, Bd. II, S. 1491 (1506); Nettesheim, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, GS Grabitz, S. 447 (451). 47 Pernice, Die Dritte Gewalt im europäischen Verfassungsverbund, EuR 1996, S. 27 (37). 48 Pernice, EuR 1996, S. 27 (37).

A. Der effet utile als 6. Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts

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III. Ist für den EuGH „volle Wirksamkeit“ gleich „praktische Wirksamkeit“? 1. Einführung Wie in Teil 2 Kapitel C II ausgeführt wurde, liegen der vorliegenden Arbeit diejenigen Urteile des Gerichtshofs zugrunde, die aufgrund bestimmter Signalwörter oder -formulierungen darauf schließen lassen, dass der EuGH mit dem Wirksamkeitsgedanken argumentiert. Es gilt nun der Frage nachzugehen, ob der Gerichtshof durch die Verwendung unterschiedlicher Formulierungen auch unterschiedliche Inhalte bzw. Stufen von Effektivität ausdrücken möchte oder ob diese stilistischen Gründen oder auch lediglich dem Zufall geschuldet ist. In terminologischer Hinsicht ergibt sich folgendes Bild. Von den 455 untersuchten Entscheidungen verwendete der EuGH in der deutschen Sprachfassung in 245 Urteilen die Wendung „praktische Wirksamkeit“, in 65 sprach er von der „vollen Wirksamkeit“, in 14 Urteilen verwendete er beide Wendungen. Die übrigen Formulierungen kamen in geringerer Anzahl vor und sollen deswegen hier nicht näher analysiert werden.49 Möchte der Gerichtshof etwas Unterschiedliches ausdrücken, wenn er von der vollen statt von der praktischen Wirksamkeit spricht? Zunächst konnte festgestellt werden, dass diese sprachliche Variante nicht nur die deutsche Urteilsversion betrifft, sondern auch die französische. Fast ausnahmslos entspricht der „praktischen Wirksamkeit“ im Deutschen „effet utile“ im Französischen. Interessanterweise verwendet der EuGH hingegen in den Urteilen, die im Deutschen den Ausdruck „volle Wirksamkeit“ enthalten, in der französischen Version nie den Ausdruck „effet utile“, sondern spricht etwa in der Hälfte der Fälle von „pleine efficacité“ und in der anderen Hälfte von „plein effet“. Bei der Auswahl einer dieser beiden Formulierungen scheint der Gerichtshof keinen besonderen Regeln zu folgen, es konnten auf jeden Fall keine Gesetzmäßigkeiten festgestellt werden.50 Be49 Zu den verschiedenen Wendungen vgl. die Tabelle im Anhang 1. Relativ häufig verwendet der EuGH auch die Formulierung, dass eine bestimmte nationale Regelung, die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfe. Wie in Teil 2 Kapitel C. III. 2. c) gezeigt wurde, lässt sich diese Formulierung ausnahmslos den Anforderungen der Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts zuordnen, weshalb sie hier nicht näher untersucht werden soll. 50 Vgl. z. B. die Urteile in den Rs. C-97/00 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-2053, Rn. 9; Rs. C-173/94 (Kommission/Belgien), Slg. 1996, I-3265, Rn. 20; Rs. 48/74 (Charmasson), Slg. 1974, S. 1383, Rn. 20; Rs. C-306/97 (Connemara), Slg. 1998, I-8761, Rn. 31.

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Teil 3: Ergebnisse

züglich der zeitlichen Verteilung lässt sich festhalten, dass der EuGH in den Anfangsjahren seiner Rechtsprechung nur auf den Begriff des effet utile zurückgriff, soweit ersichtlich verwendete er den Begriff „plein effet“ erstmals in einem Urteil aus dem Jahre 1974,51 den Begriff „pleine efficacité“ zum ersten Mal in einem Urteil aus dem Jahre 1976.52 Eine häufigere Berufung auf die „volle Wirksamkeit“ lässt sich zu Beginn der 80er Jahre und dann noch stärker seit Mitte der 90er Jahre feststellen.53 Trotzdem sind die Urteile, in denen sich der EuGH auf die praktische Wirksamkeit beruft, deutlich zahlreicher, es sind ungefähr vier Mal so viele. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob der EuGH unter „praktischer Wirksamkeit“ und unter „voller Wirksamkeit“ etwas Unterschiedliches versteht, ob unter Umständen die „volle Wirksamkeit“ einer Norm oder des Gemeinschaftsrechts mehr sein könnte als lediglich die „praktische“.54 Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass der Gerichtshof den Begriff „nützliche Wirkung“ nur in wenigen Urteilen am Beginn seiner Tätigkeit verwendete, in neueren ist er nicht mehr zu finden und scheint durch den Begriff „praktische Wirksamkeit“ ersetzt worden zu sein. Daraus lässt sich aber keine Veränderung in der Bedeutung feststellen.55 2. Analyse der Urteile, die beide Formulierungen enthalten Um die Frage des Bedeutungsgehalts der Formulierungen „praktische Wirksamkeit“ und „volle Wirksamkeit“ zu klären, ist es zunächst hilfreich, die Urteile zu untersuchen, in denen der EuGH auf beide Wendungen zurückgreift. Sollte ein Unterschied bestehen, müsste sich dieser durch einen direkten Vergleich der Textstellen offenbaren. Von den 14 Urteilen, die beide Formulierungen enthalten, sollen deshalb die aussagekräftigsten kurz dargestellt werden. 51

Rs. 48/74 (Charmasson), Slg. 1974, S. 1383. Rs. 12/76 (Industrie Tessili), Slg. 1976, S. 1473. 53 Insoweit nicht ganz zutreffend Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 84 f., die der Ansicht ist, dass der Ausdruck der „vollen Wirksamkeit“ erst im Laufe der 90 er Jahre hinzugekommen ist, sie vertritt – allerdings ohne nähere Begründung – auch die Meinung, dass es durch einen Wechsel in der Formulierung von „effet utile“ zu „pleine efficacité“ nicht zu einer Änderung des Bedeutungsgehalts komme. 54 Diese Frage spricht auch Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 245 an. 55 So auch Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 79 f., 82. 52

A. Der effet utile als 6. Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts

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In der das Kartellrecht betreffenden Rechtssache Walt Wilhelm56 führte der EuGH zunächst aus: „Mit Rücksicht auf die allgemeine Zielsetzung des Vertrages ist diese gleichzeitige Anwendung des nationalen Rechts allerdings nur statthaft, soweit sie die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftskartellrechts und die volle Wirksamkeit57 der zu seinem Vollzug ergangenen Maßnahmen auf dem gesamten Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt.“58

In Randnummer 6 stellte der Gerichtshof unter Berufung auf die Tatsache, dass der EWG-Vertrag eine eigenständige Rechtsordnung geschaffen habe, fest, dass es „dem Wesen dieser Rechtsordnung widersprechen [würde], wenn es den Mitgliedstaaten gestattet wäre, Maßnahmen zu ergreifen oder aufrechtzuerhalten, welche die praktische Wirksamkeit 59 des Vertrages beeinträchtigen könnten.“

Auf den ersten Blick kann in diesem Fall kann kein Bedeutungsunterschied festgestellt werden, auffallend ist lediglich die Tatsache, dass sich der Ausdruck einmal auf das Gemeinschaftskartellrecht und einmal auf den Vertrag als Ganzen bezieht. Die Rechtssache C-473/93 60 betraf die in Art. 39 Abs. 4 EGV vorgesehene Ausnahme von der Freizügigkeit der Arbeitnehmer für die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung. In Randnummer 27 führte der EuGH aus: „Aus diesem Grund ist Artikel 48 Absatz 461 im funktionellen Sinne auszulegen; dabei ist auf die Art der mit der Stelle verbundenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten abzustellen, um zu verhindern, dass die praktische Wirksamkeit62 und die Bedeutung der Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und über die Gleichbehandlung der Angehörigen aller Mitgliedstaaten durch Auslegungen des Begriffs der öffentlichen Verwaltung geschmälert werden, die allein aus dem nationalen Recht gewonnen werden und die Anwendung des Gemeinschaftsrechts vereiteln würden.“

Deshalb kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass Luxemburg verpflichtet war, „den Grundsätzen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Gleichbehandlung beim Zugang zur Beschäftigung volle Wirksamkeit 63 zu verschaffen und die in Rede stehenden Bereiche den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten [. . .] zu öffnen.“64 56 57 58 59 60 61 62 63 64

Rs. 14/68 (Walt Wilhelm), Slg. 1969, S. 1. Hervorhebung durch die Verfasserin. Rs. 14/68 (Walt Wilhelm), Slg. 1969, S. 1, Rn. 4. Hervorhebung durch die Verfasserin. Rs. C-473/93 (Kommission/Luxemburg), Slg. 1996, I-3207. Nun Art. 39 Abs. 3 EGV. Hervorhebung durch die Verfasserin. Hervorhebung durch die Verfasserin. Rs. C-473/93 (Kommission/Luxemburg), Slg. 1996, I-3207, Rn. 48.

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Teil 3: Ergebnisse

Vergleicht man die beiden Textpassagen, so fällt auf, dass der EuGH in beiden Fällen die Wirksamkeit der Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer meint. Ein geringer Bedeutungsunterschied könnte darin bestehen, dass die „volle Wirksamkeit“ impliziert, dass der Mitgliedstaat alles tun muss, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer voll zur Entfaltung kommen kann, und andererseits, dass die „praktische Wirksamkeit“ meint, dass die Bestimmungen auch im einzelnen Anwendungsfall ihren Zweck erfüllen können müssen. Die volle Wirksamkeit bezöge sich somit mehr auf die allgemeine Pflicht zur Beachtung und Einhaltung der Grundsätze, die praktische eher auf den konkreten Einzelfall. Diese These wird auch durch das Urteil in der Rechtssache BFI Holding65 gestützt, in dem der EuGH in Zusammenhang mit dem freien Dienstleistungsverkehr als tragendem Grundsatz des Gemeinschaftsrechts davon spricht, dass der Begriff des „öffentlichen Auftraggebers „im funktionellen Sinne zu verstehen [sei], um dem Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs seine volle Wirksamkeit 66 zu sichern.“67 Die Textpassage dieser Entscheidung, in der sich der EuGH auf die praktische Wirksamkeit 68 bezieht, betrifft eine einzelne Bestimmung der Richtlinie 92/5069 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge. In der Rechtssache De Paep70 beschäftigte sich der Gerichtshof mit der Verordnung 1408/7171 und kam zu dem Schluss, dass Art. 14 Abs. 2 c) der Verordnung „jede praktische Wirksamkeit72 genommen [würde], wenn den dort genannten Personen solche Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats entgegengehalten werden könnten, in dessen Gebiet das Unternehmen seinen Sitz hat, das den Arbeitnehmer entlohnt, nach denen die Zugehörigkeit zu einem System der sozialen Sicherheit von der Flagge des Schiffs abhängt.“73 In Randnummer 21 stellt er deshalb fest, dass nach der genannten 65

Rs. C-360/96 (BFI Holding), Slg. 1998, I-6821. Hervorhebung durch die Verfasserin. 67 Rs. C-360/96 (BFI Holding), Slg. 1998, I-6821, Rn. 62. 68 Hervorhebung durch die Verfasserin. 69 Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, ABl. 1992, L 209, S. 1. 70 Rs. C-196/90 (De Paep), Slg. 1991, I-4815. 71 Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu – und abwandern, ABl. 1977, L 149, S. 2. 72 Hervorhebung durch die Verfasserin. 73 Vgl. Rs. C-196/90 (De Paep), Slg. 1991, I-4815, Rn. 19. 66

A. Der effet utile als 6. Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts

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Bestimmung die streitgegenständlichen Regelungen den darin aufgeführten Personen und ihren Rechtsnachfolgern „nicht entgegengehalten werden können, sofern sie verhindern, dass die in diesem Artikel enthaltene Kollisionsnorm ihre volle Wirksamkeit 74 entfaltet.“ Hier bezieht sich der Gerichtshof in beiden Fällen auf dasselbe, er möchte beide Male ausdrücken, dass die streitgegenständlichen Regelungen die Wirksamkeit von Art. 14 Abs. 2 c) der Verordnung, bei dem es sich um die genannte Kollisionsnorm handelt, beeinträchtigen würden. Hier scheinen kein bestimmter Grund und keine besondere Absicht hinter der unterschiedlichen Wortwahl zu stehen. In der Rechtssache Simmenthal 75 stellte der EuGH fest, dass „die praktische Wirksamkeit 76 dieser Bestimmung77 [. . .] geschmälert [würde], wenn es dem Gericht78 verwehrt wäre, das Gemeinschaftsrecht nach Maßgabe der Entscheidung oder der Rechtsprechung des Gerichtshofs unmittelbar anzuwenden.“79 Sodann kam er zu dem Schluss, dass jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung mit den Erfordernissen des Gemeinschaftsrechts unvereinbar wäre, die dadurch zu einer Abschwächung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts führen würde, dass dem zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften auszuschalten, „die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit 80 der Gemeinschaftsnormen bilden.“81 Hier lässt sich feststellen, dass der EuGH die volle Wirksamkeit auf die Gemeinschaftsrechtsnormen insgesamt bezieht, die praktische Wirksamkeit hingegen auf Art. 234 EGV.82 In der Rechtssache Factortame I 83 verwies der Gerichtshof zunächst auf seine soeben dargestellten Aussagen im Simmenthal-Urteil.84 Dann führte er aus, dass 74

Hervorhebung durch die Verfasserin. Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, S. 629. 76 Hervorhebung durch die Verfasserin. 77 Gemeint ist ex Art. 177, nun Art. 234 EGV. 78 Gemeint ist das nationale Gericht. 79 Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, S. 629, Rn. 19/20. 80 Hervorhebung durch die Verfasserin. 81 Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, S. 629, Rn. 21/23. 82 Vgl. auch die Rs. C-177/95 (Ebony Maritime), Slg. 1997, I-1111. In Rn. 25 spricht der EuGH von der praktischen Wirksamkeit des Verbots in Art. 1 Abs. 1 b) der Verordnung (EWG) Nr. 990/93 (des Rates vom 26. April 1993 über den Handel zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro), ABl. 1993, L 102, S. 14), in Rn. 35 von der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, gemäß Art. 10 EGV die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. 83 Rs. C-213/89 (Factortame I), Slg. 1990, I-2433, Rn. 20. 84 Vgl. Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, S. 629, Rn. 21 bis 23. 75

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Teil 3: Ergebnisse

„die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts [. . .] auch dann abgeschwächt [würde], wenn ein mit einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasstes Gericht durch eine Vorschrift des nationalen Rechts daran gehindert werden könnte, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit 85 der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen. Ein Gericht, das unter diesen Umständen einstweilige Anordnungen erlassen würde, wenn dem nicht eine Vorschrift des nationalen Rechts entgegenstünde, darf diese Vorschrift somit nicht anwenden. Für diese Auslegung spricht auch das durch Artikel 177 EWG-Vertrag86 geschaffene System, dessen praktische Wirksamkeit 87 beeinträchtigt würde, wenn ein nationales Gericht, das das Verfahren bis zur Beantwortung seiner Vorlagefrage durch den Gerichtshof aussetzt, nicht so lange einstweiligen Rechtsschutz gewähren könnte, bis es auf der Grundlage der Antwort des Gerichtshofes seine eigene Entscheidung erlässt.“88

Die Wortwahl des EuGH ist hier ähnlich wie in der Rechtssache Simmenthal. Er spricht wieder von der „vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts“, aber in diesem Urteil von der „praktischen Wirksamkeit“ des Systems, das durch Art. 234 EGV geschaffen wurde, bezieht sich also nicht nur auf die einzelne Vertragsnorm. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Formulierung des Gerichtshofs in der Rechtssache Courage,89 in der er Folgendes ausführte: „Die volle Wirksamkeit 90 des Artikels 85 EG-Vertrag und insbesondere die praktische Wirksamkeit 91 des in Artikel 85 Absatz 1 ausgesprochenen Verbots wären beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist.“92

In der französischen Version verwendet der EuGH auch verschiedene Ausdrücke, er spricht von „pleine efficacité de l’article 85 du traité et, en particulier, l’effet utile de l’interdiction énoncée à son paragraphe 1.“ Hier stellt sich die Frage, ob es sich ähnlich verhält wie in den vorher beschriebenen Beispielen. Man kann wohl auch in diesem Fall sagen, dass der EuGH für die größere Einheit oder das Allgemeinere, in diesem Fall den gesamten Artikel 81 (ex Art. 85) EGV, von der vollen Wirksamkeit spricht und für die kleinere Einheit oder das Speziellere, nämlich das Verbot des 85 86 87 88 89 90 91 92

Hervorhebung durch die Verfasserin. Nun Art. 234 EGV. Hervorhebung durch die Verfasserin. Rs. C-213/89 (Factortame I), Slg. 1990, I-2433, Rn. 21, 22. Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297. Hervorhebung durch die Verfasserin. Hervorhebung durch die Verfasserin. Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297, Rn. 26.

A. Der effet utile als 6. Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts

287

Art. 81 Abs. 1 EGV, von der praktischen Wirksamkeit. Diese These wird auch durch die Aussagen des Gerichtshofs in der Rechtssache Muñoz93 bestätigt. Dort stellte er nämlich Folgendes fest: „Folglich setzt die volle Wirksamkeit 94 der Regelung der Qualitätsnormen, insbesondere die praktische Wirksamkeit 95 der Verpflichtung nach den Artikeln 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1035/72 und der Verordnung Nr. 2200/9696 voraus, dass deren Beachtung im Wege eines Zivilprozesses durchgesetzt werden kann, den ein Wirtschaftsteilnehmer gegen einen Konkurrenten anstrengt.“

Zusammenfassend lässt sich somit für die Urteile, die beide Formulierungen enthalten, feststellen, dass der Gerichtshof, wenn er sich auf das Gemeinschaftsrecht als Ganzes oder das Gemeinschaftskartellrecht bezieht, eher den Ausdruck „volle Wirksamkeit“ verwendet. Bezieht er sich hingegen auf einzelnen Normen des Vertrages oder des Sekundärrechts oder Teile dieser Normen, dann tendiert er dazu, auf den Ausdruck „praktische Wirksamkeit“ zurückzugreifen. Ein wesentlicher inhaltlicher Unterschied zwischen den verschiedenen Wendungen lässt sich in den dargestellten Urteilen nicht feststellen. 3. Die Frage nach der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die übrigen Urteile Es soll nun untersucht werden, ob diese Erkenntnis verallgemeinert, also auch auf diejenigen Urteile ausgedehnt werden kann, in denen der EuGH nur eine der beiden Formulierungen verwendet. Die Analyse weiterer Entscheidungen bestätigt die These, dass der Gerichtshof keine bewusste inhaltliche Unterscheidung treffen möchte, wenn er von der vollen statt von der praktischen Wirksamkeit spricht. Es scheint auch nicht so, als ob der Gerichtshof unter der vollen Wirksamkeit einer Norm mehr verstehen würde als unter deren praktischer, sie mit anderen Worten sozusagen als Oberbegriff ansehen würde.97 Zur Untermauerung dieser Annahme seien exemplarisch einige „Vergleichspaare“ an Urteilen des EuGH dargestellt. 93

C-253/00 (Muñoz), Slg. 2002, I-7289, Rn. 30. Hervorhebung durch die Verfasserin. 95 Hervorhebung durch die Verfasserin. 96 Verordnung Nr. 1035/72 des Rates vom 18. Mai 1972 und Nr. 2200/96 des Rates vom 28. Oktober 1996 über eine gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse, ABl. 1972, L 118, S. 1 und ABl. 1996, L 297, S. 1. 97 Das andeutend auch Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 85 f.; a. A. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 245. 94

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Teil 3: Ergebnisse

In der Rechtssache C-382/92 98 beschäftigte sich der Gerichtshof mit der Richtlinie zum Betriebsübergang.99 In Randnummer 28 führte er Folgendes aus: „Die Richtlinie nimmt zwar nur eine teilweise Harmonisierung der Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Arbeitgebers vor [. . .]. Sie sollte also die nationalen Systeme der Arbeitnehmervertretung in einem Betrieb nicht vollständig harmonisieren. Die Begrenztheit dieser Harmonisierung kann den Bestimmungen der Richtlinie, insbesondere ihrem Artikel 6, jedoch nicht ihre praktische Wirksamkeit 100 nehmen.“

Zum Vergleich sei die Argumentation des EuGH in der Rechtssache Steenhorst-Neerings 101 angeführt: „Wenn eine solche Vorschrift jedoch nach nationaler ständiger Rechtsprechung trotz ihres Wortlauts ohne Unterschied auf Frauen und auf Männer in der gleichen Lage angewandt wird, steht dem nichts entgegen, dass ein nationales Gericht in bei ihm anhängigen Verfahren diese Vorschrift im Rahmen einer solchen Rechtsprechung, die es ihm ermöglicht, die volle Wirksamkeit 102 des Artikels 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7 zu gewährleisten, weiter anwendet, solange der Mitgliedstaat die zu ihrer vollständigen Umsetzung erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen noch nicht erlassen hat.“

In beiden Fällen handelt es sich um die Auslegung einer Richtlinienbestimmung aus dem Bereich des Arbeitsrechts, in beiden Fällen betreffen die Aussagen des Gerichtshofs die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten. Es soll nicht verkannt werden, dass in dem zuerst dargestellten Urteil allgemein die Verpflichtungen gemeint sind, in dem zweiten insbesondere diejenigen der nationalen Gerichte. Trotzdem scheint es, als ob der EuGH nicht etwas Unterschiedliches ausdrücken möchte, weil er einmal den Begriff „praktische Wirksamkeit“ verwendet und das andere Mal den Begriff „volle Wirksamkeit“. Hingewiesen sei auch auf die Tatsache, dass der Gerichtshof im zweiten Beispiel im Zusammenhang mit einer einzelnen Richtlinienbestimmung von der vollen Wirksamkeit spricht. In den folgenden zwei Urteilen setzte sich der EuGH mit den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten in Zusammenhang mit der Umsetzung von Richtlinien auseinander. Es ist ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass für jeden Mitgliedstaat, „an den eine Richtlinie gerichtet ist, die Ver98

Rs. C-382/92 (Kommission/Großbritannien), Slg. 1994, I-2435. Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen, ABl. 1977, L 61, S. 26. 100 Hervorhebung durch die Verfasserin. 101 Rs. C-338/91 (Steenhorst-Neerings), Slg. 1993, I-5475, Rn. 34. 102 Hervorhebung durch die Verfasserin. 99

A. Der effet utile als 6. Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts

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pflichtung [impliziert ist], im Rahmen seiner nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die volle Wirksamkeit 103 der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten.“104 Ebenso ständige Rechtsprechung ist es andererseits, dass „die Mitgliedstaaten [. . .] im Rahmen der ihnen durch Artikel 189 Absatz 3 [nunmehr Art. 249 Abs. 3] des Vertrages belassenen Freiheit verpflichtet [sind], diejenigen Formen und Mittel zu wählen, die für die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit 105 der Richtlinien am geeignetsten sind.“106 Auch hier ist kein bedeutender inhaltlicher Unterschied zwischen den beiden Textpassagen feststellbar. Zum Schluss seien noch zwei Beispiele für das Primärrecht angeführt. Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass „die Mitgliedstaaten nach Art. 10 EG verpflichtet [sind], alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die volle Wirksamkeit 107 des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.“108 Andererseits stellte der Gerichtshof in der Rechtssache Walt Wilhelm109 zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts110 fest, dass „der EWGVertrag [. . .] eine eigenständige Rechtsordnung geschaffen [hat . . .. und] es [. . .] dem Wesen dieser Rechtsordnung widersprechen [würde], wenn es den Mitgliedstaaten gestattet wäre, Maßnahmen zu ergreifen oder aufrechtzuerhalten, welche die praktische Wirksamkeit 111 des Vertrages beeinträchtigen könnten.“ Auch hier scheint der EuGH im Grunde das gleiche zu meinen. Einmal spricht er von der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, in dem zweiten Fall davon, dass die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen ergreifen dürfen, welche die praktische Wirksamkeit des Vertrages beeinträchtigen könnten. Der Gerichtshof kann hier eigentlich inhaltlich nur dasselbe meinen, es dürfte auch keinen Unterschied machen, dass 103

Hervorhebung durch die Verfasserin. Vgl. z. B. Rs. C-207/00 (Kommission/Italien), Slg. 2001, I-4571, Rn. 25; vgl. auch Rs. 165/82 (Kommission/Großbritannien), Slg. 1983, S. 3431, Rn. 11: „Das Erfordernis, der Richtlinie volle Wirksamkeit zu verschaffen, macht es somit erforderlich, dass die mit den Verpflichtungen, die die Richtlinie den Mitgliedstaaten auferlegt, unvereinbaren Bestimmungen dieser Verträge auf geeignetem Wege für unwirksam erklärt, aufgehoben oder geändert werden können.“ 105 Hervorhebung durch die Verfasserin. 106 Vgl. z. B. verb. Rs. C-58/95, C-75/95, C-112/95, C-119/95, C-123/95, C-135/95, C-140/95, C-141/95, C-154/95 und C-157/95 (Gallotti u. a.), Slg. 1996, I-4345, Rn. 14. 107 Hervorhebung durch die Verfasserin. 108 Vgl. z. B. Rs. C-230/01 (Penycoed), Slg. 2004, I-937, Rn. 36. 109 Rs. 14/68 (Walt Wilhelm), Slg. 1969, S. 1, Rn. 6. 110 s. dazu ausführlich Teil 2 Kapitel C. III. 2. a). 111 Hervorhebung durch die Verfasserin. 104

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Teil 3: Ergebnisse

er einmal vom Gemeinschaftsrecht spricht und einmal vom Vertrag, obwohl der Terminus Gemeinschaftsrecht weiter gefasst ist, weil er zusätzlich zum Vertrag auch die ungeschriebenen Rechtsgrundsätze und das Sekundärrecht umfasst. Dass der EuGH diesen Unterschied bewusst herausstreichen wollte, ist kaum verlässlich nachzuweisen. 4. Fazit Als Ergebnis kann man somit festhalten, dass der EuGH dadurch, dass er manchmal den Begriff „praktische Wirksamkeit“ verwendet und manchmal den Begriff „volle Wirksamkeit“ keine unterschiedlichen Inhalte bzw. Stufen der Wirksamkeit zum Ausdruck bringen möchte.112 Es konnte auch kein Unterschied in der Verwendung der beiden Formulierungen in Abhängigkeit von der Tatsache festgestellt werden, ob es sich um die Auslegung von Primär- oder Sekundärrecht handelt. Es ist generell das Ansinnen des Gerichtshofs, dem Gemeinschaftsrecht zu seiner Wirksamkeit zu verhelfen, wobei er sich meistens auf die praktische Wirksamkeit beruft und manchmal eben auf die volle. In den Urteilen, die beide Wendungen enthalten, scheint der EuGH für die größere Einheit den Ausdruck „volle Wirksamkeit“ zu benutzen und für die kleinere den Ausdruck „praktische Wirksamkeit“. Dass der Gerichtshof auf die Wendung „volle Wirksamkeit“ nur zurückgreift, wenn er von dem Gemeinschaftsrecht insgesamt oder vom Vertrag spricht, kann nicht als allgemeingültige Schlussfolgerung aufgestellt werden. Dies sei noch durch ein letztes Beispiel belegt. Der EuGH führte in der Rechtssache Francovich113 aus, dass die „volle Wirksamkeit 114 der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen“ beeinträchtigt und der Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert wäre, wenn der Einzelne keinen Ersatz des Schadens erlangen könnte, der ihm durch einen Verstoß des Mitgliedstaats gegen Gemeinschaftsrecht entstanden ist.115 Andererseits stellte er in der Rechtssache Mau116 fest, dass eine bestimmte Auslegung geboten sei, „um der Richtlinie ihre volle Wirksamkeit 117 zu verleihen“,118 bezog sich in diesem Fall also nur auf einen einzelnen Sekundärrechtsakt. 112 A. A. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 245, der davon ausgeht, dass der EuGH die „praktische Wirksamkeit“ als ein Minus gegenüber der „vollen Wirksamkeit“ einordnet. 113 Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a.), Slg. 1991, I-5357. 114 Hervorhebung durch die Verfasserin. 115 Vgl. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a.), Slg. 1991, I-5357, Rn. 33. 116 Rs. C-160/01 (Mau), Slg. 2003, I-4791, Rn. 53. 117 Hervorhebung durch die Verfasserin.

A. Der effet utile als 6. Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts

291

Die Tatsache, dass der EuGH mit der Verwendung der Begriffe „praktische Wirksamkeit“ oder „volle Wirksamkeit“ keine inhaltliche Abstufung des Wirksamkeitsgedankens vornehmen möchte, führt notwendigerweise zu der Frage, warum er dann in seinen Urteilen überhaupt auf unterschiedliche Wendungen zurückgreift. Wie die Darstellung im vorliegenden Kapitel gezeigt hat, betrifft die uneinheitliche Begrifflichkeit auch die französische Version der Urteile, was insofern noch aussagekräftiger ist, als Französisch die Arbeitssprache des Gerichtshofs ist. Nachdem nachgewiesen werden konnte, dass der EuGH auf den Ausdruck „praktische Wirksamkeit“ viel häufiger zurückgreift als auf die Wendung „volle Wirksamkeit“, könnte man ihm vorschlagen, zukünftig auf die Verwendung des Ausdrucks „volle Wirksamkeit“ gänzlich zu verzichten. Dies würde insoweit zu mehr Klarheit in seiner Rechtsprechung beitragen, als auf den ersten Blick das Adjektiv „voll“ schon eine stärkere Konnotation hat als das Adjektiv „praktisch“. Auch im Französischen ist man geneigt, unter „pleine efficacité“ oder „plein effet“ mehr zu verstehen als unter „effet utile“. Wenn der Gerichtshof mit den unterschiedlichen Wendungen keine unterschiedlichen Stufen von Wirksamkeit ausdrücken möchte, stiftet die uneinheitliche Begrifflichkeit eher Verwirrung. Wie die vorliegenden Ausführungen gezeigt haben, ist die Begrifflichkeit nicht nur in jener Hinsicht uneinheitlich als sie dasselbe inhaltliche Konzept ausdrückt, sondern auch insofern als für die Verwendung der unterschiedlichen Begriffe keine Regel- oder Gesetzmäßigkeiten ausgemacht werden konnten. Eine gewisse Einheitlichkeit konnte insofern nur bei den Urteilen festgestellt werden, die beide Wendungen enthalten, als der EuGH dort, wenn er sich auf das Gemeinschaftsrecht als Ganzes bezieht, eher den Ausdruck „volle Wirksamkeit“ verwendet und auf die „praktische Wirksamkeit“ zurückgreift, wenn er sich auf einzelne Normen des Vertrages oder des Sekundärrechts oder Teile dieser bezieht. Nachdem aber auch bei diesen Urteilen kein inhaltlicher Unterschied festgestellt werden konnte, wäre auch hier der Verzicht auf die Wendung „volle Wirksamkeit“ problemlos möglich. So würde sich die Passage aus dem dargestellten Courage-Urteil in Zukunft so anhören: „Die praktische Wirksamkeit des Artikels 85 EG-Vertrag und insbesondere des in Artikel 85 Absatz 1 ausgesprochenen Verbots wären beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der 118 Insoweit nicht nachvollziehbar das Beispiel von Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 245, der sich auf die Rs. C-213/89 (Factortame I), Slg. 1990, I-2433, bezieht. Soweit ersichtlich bezieht sich der EuGH aber auch dort immer nur auf die volle Wirksamkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung und nicht einzelner Normen.

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Teil 3: Ergebnisse

den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist.“119

Auch die französische Version gewänne an Klarheit und Einheitlichkeit, lautete sie „l’effet utile de l’article 85 du traité et, en particulier, de l’interdiction énoncée à son paragraphe 1.“

IV. Anwendungsvoraussetzungen für den effet utile Nachdem die Analyse der Urteile des Gerichtshofs ergeben hat, dass er den effet utile als eine eigenständige, wenn auch mit der teleologischen eng verwandte Auslegungsmethode120 verwendet, muss man sich in einem nächsten Schritt mit den Anwendungsvoraussetzungen für diese Methode befassen. 1. Zur Vorgehensweise des EuGH Vorauszuschicken ist zunächst, dass die Urteile, in denen sich der EuGH auf den effet utile stützt, kein methodisch eindeutig identifizierbares Vorgehen erkennen lassen. Der Gerichtshof setzt den effet utile breit gestreut ein, weshalb es schwierig ist, allgemeine Kriterien für seine Anwendung festzulegen.121 Wie in Teil 2 ausführlich dargestellt wurde, geht der EuGH davon aus, dass das Auslegungsergebnis durch die Kombination der verschiedenen Auslegungsmethoden gewonnen wird. Ein Unterschied zwischen den „klassischen Auslegungsmethoden“ und dem effet utile besteht darin, dass der Gerichtshof annimmt, dass bei mehreren möglichen Auslegungen derjenigen der Vorzug zu geben ist, die die praktische Wirksamkeit der Norm zu wahren geeignet ist. Insofern wirkt der effet utile wie das Zünglein an der Waage, er kann bewirken, dass eine Auslegungsvariante abzulehnen ist, weil sie die praktische Wirksamkeit der zu interpretierenden Norm nicht entsprechend gewährleistet. Deshalb kann man auch zu Recht behaupten, 119

Rs. C-453/99 (Courage), Slg. 2001, I-6297, Rn. 26. Dies wohl auch andeutend Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Art. 220 EGV, Rn. 46, allerdings ohne nähere Begründung. „Der teleologischen Auslegung verwandt und den Besonderheiten der Gemeinschaftsverträge besonders angemessen ist die Berücksichtigung der nützlichen Wirkung („effet utile“)“. Auch sie scheinen somit den effet utile außerhalb der teleologischen Methode anzusiedeln. Vgl. auch Millett, Rules of Interpretation of E. E. C. Legislation, Statute Law Review 1989, S. 163 (181), der allerdings auch ohne nähere Begründung davon spricht, dass der effet utile als „an extension of the teleological approach“ gesehen werden kann. 121 So auch Grundmann, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof, S. 374. 120

A. Der effet utile als 6. Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts

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dass der effet utile gegenüber den anderen Auslegungsmethoden im Gemeinschaftsrecht eine herausragende Stellung innehat. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die starke Betonung und Berücksichtigung der praktischen Wirksamkeit nicht zu Widersprüchen mit dem Zweck der auszulegenden Norm führt. Wie bereits dargestellt wurde, liegen der Zweck und die praktische Wirksamkeit eng beieinander, weshalb grundsätzlich anzunehmen ist, dass eine Auslegung, die die praktische Wirksamkeit einer Vorschrift gewährleistet, auch mit ihrem Zweck in Einklang steht. Die Aussage des EuGH, dass bei mehreren möglichen Auslegungen derjenigen der Vorzug gebührt, die die praktische Wirksamkeit zu gewährleisten imstande ist, lässt aber vermuten, dass im Falle der Nichtübereinstimmung von Zweck und praktischer Wirksamkeit dem effet utile der Norm der Vorzug gebührte, natürlich unter der Prämisse, dass die Auslegung nach dem effet utile nicht dem Wortlaut der auszulegenden Bestimmung widerspricht. Nachdem sich der EuGH in keinem Urteil explizit zu seinem methodischen Vorgehen im Zusammenhang mit dem effet utile geäußert hat, ist es in diesem Zusammenhang hilfreich, auf die bereits dargestellten Schlussanträge von Generalanwalt Léger in der Rechtssache Schulte122 zurückzugreifen. Zuzustimmen ist dem Generalanwalt zunächst bei der Aussage, dass der Gerichtshof auf die praktische Wirksamkeit einer Norm dann zurückgreift, wenn die betreffende Vorschrift mehrere Auslegungsmöglichkeiten zulässt. Wie in Teil 1 dargestellt wurde, kommt der EuGH aufgrund der Verbindlichkeit aller Sprachfassungen in den meisten Fällen zu dem Ergebnis, dass der Wortlaut einer Norm mehrdeutig ist. Für den effet utile bleibt deswegen ein weiter Anwendungsbereich. Mit den Schlussfolgerungen aus der vorliegenden Untersuchung deckt sich auch prinzipiell die Einschätzung des Generalanwalts, dass der Gerichtshof nicht auf die praktische Wirksamkeit der auszulegenden Norm zurückgreift, um dieser einen Sinn zu verleihen, den sie aufgrund ihres Wortlauts gar nicht haben kann oder der ihrem Wortlaut sogar entgegenstünde. Dies widerspräche nämlich der Rechtssicherheit, einen eindeutig entgegenstehenden Wortlaut darf auch der effet utile nicht aushebeln. Die Analyse der Urteile des EuGH, in denen er sich auf den effet utile stützt, ergab, dass sich die Richter grundsätzlich an diese Vorgabe halten. Als problematisch ist diesbezüglich aber – wie bereits in Teil 2 ausgeführt – die Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien anzusehen. Der Gerichtshof entwickelte nämlich in seiner Rechtsprechung trotz des entgegenstehenden Wortlauts von Art. 249 Abs. 2 und 3 die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen und stützte sich dabei maß122

Rs. C-350/03 (Schulte), Slg. 2005, I-9215.

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Teil 3: Ergebnisse

geblich auf den effet utile. Warum die Anerkennung einer unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen aus inhaltlichen Gründen gerechtfertigt ist, wurde bereits in Teil 2 ausführlich dargestellt. Ist auch das inhaltliche Ergebnis, zu dem der EuGH gelangte, für die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft von grundlegender Bedeutung und mittlerweile in Rechtsprechung und Literatur unumstritten,123 so ist sein methodisches Vorgehen unbefriedigend. Eines seiner Argumente bestand, wie gezeigt, darin, dass er ausführte, dass aus der Tatsache, dass Verordnungen unmittelbar wirken und schon wegen ihrer Rechtsnatur unmittelbare Wirkungen erzeugen können, nicht folge, dass andere in diesem Artikel genannte Kategorien von Rechtsakten niemals ähnliche Wirkungen erzeugen könnten.124 Er stellte sich damit gegen den Wortlaut der auszulegenden Norm125 und griff auf Wirksamkeitsüberlegungen zurück, um das von ihm als richtig und vernünftig empfundene Auslegungsergebnis erzielen zu können. Aufgrund dieser Vorgehensweise sprach man in der Literatur auch davon, dass es sich „methodisch um einen klassischen Fall des Aufspürens und Füllens einer Lücke mittels der teleologischen Methode“126 handle oder dass ein „exemplarischer Fall richterlicher Rechtsfortbildung des Gemeinschaftsrechts“127 vorliege. Zur Frage, wie effet utile und Rechtsfortbildung im Gemeinschaftsrecht zueinander stehen, wird im folgenden Kapitel C. noch ausführlich Stellung genommen. Der Gefahr, dass durch seine Auslegung die Unterschiede zwischen Richtlinie und Verordnung verwischt und die beiden Figuren vollkommen gleichgestellt würden, gebietet der Gerichtshof durch die Unterscheidung zwischen vertikaler und horizontaler Richtlinienwirkung Einhalt. Ob der EuGH allerdings durch die von ihm entwickelten weitgehenden Verpflichtungen zur richtlinienkonformen Auslegung diese Grenzen nicht doch auf anderem Wege aufweicht, wird sogleich in Kapitel B. II. ausführlich beleuchtet. Die Analyse der effet utile-Urteile, die die Auslegung von Primärrecht zum Gegenstand haben, hat grundsätzlich ergeben, dass der Gerichtshof in ihnen seltener auf den Zweck der Norm und deren praktische Wirksamkeit explizit Bezug nimmt. Er prüft nicht immer stringent alle Auslegungsmethoden durch, bis er zur praktischen Wirksamkeit gelangt, eine Vor123 Vgl. statt vieler z. B. Grabitz, Das Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht, in: Kruse (Hrsg.), Zölle, Verbrauchssteuern, Europäisches Marktordnungsrecht, S. 33 (46); Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 156. 124 Vgl. Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, S. 1337, Rn. 12. 125 So auch Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 157. 126 Grabitz, Das Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht, in: Kruse (Hrsg.), Zölle, Verbrauchssteuern, Europäisches Marktordnungsrecht, S. 33 (46). 127 Everling, Zur direkten innerstaatlichen Wirkung der EG-Richtlinien, FS Carstens, Bd. 1, S. 95 (113).

A. Der effet utile als 6. Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts

295

gehensweise, die hingegen für die Auslegung von Sekundärrecht typisch ist.128 Diese Tatsache hängt mit der unterschiedlichen Struktur der beiden Rechtsquellen zusammen. Im Bereich des Primärrechts geht es aufgrund der offen und allgemein formulierten Zielbestimmungen oft darum, allgemeine Prinzipien oder Grundsätze des Gemeinschaftsrechts zu entwickeln. Diese stehen notwendigerweise eher mit der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts insgesamt in Zusammenhang, weswegen die Bindung an den Normtext weniger offensichtlich ist. Weil der Gerichtshof in den Urteilen, die in den Bereich der Grundfesten fallen, allgemeine Regeln entwickelte, die die Gemeinschaftsrechtsordnung insgesamt kennzeichnen, konnte er auf den Zweck der einzelnen Bestimmungen weniger Bezug nehmen als auf die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts insgesamt. Aufgrund der strukturellen Besonderheiten des Primärrechts ist es nämlich unerlässlich, in größeren Zusammenhängen oder Kategorien zu denken. Nachdem die Bindung an den Normtext aber eine Grundvoraussetzung jeglicher Auslegungstätigkeit ist, wird sie vom EuGH in der Regel129 beachtet. Die beschriebene Vorgehensweise lässt sich teilweise auch bei den Urteilen feststellen, die Primärrecht betreffen und nicht in den Bereich der Grundfesten fallen, wie z. B. denjenigen zum Wettbewerbsrecht oder zu Art. 141 EGV. So bezog sich der EuGH beispielsweise in den Urteilen, in denen er die mittelbare Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf den Staat begründete, unmittelbar auf den effet utile. „Artikel 5 Absatz 2 des Vertrages130 bestimmt, dass die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährden. Obgleich sich Artikel 86131 an die Unternehmen richtet, begründet deshalb der Vertrag doch auch für die Mitgliedstaaten die Verpflichtung, keine Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten, die die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung ausschalten könnten.“132 Erwähnt sei noch ein Beispiel aus dem Bereich der Gleichbehandlung von Frauen und Männern, die Rechtssache 128 Zur Erinnerung sei z. B. auf die Rs. Habermann-Beltermann (Rs. C-421/92, Slg. 1994, I-1657, Rn. 13 ff.) hingewiesen. Der EuGH prüfte das Ziel der Richtlinie insgesamt, den Wortlaut der einschlägigen Bestimmung, deren Zielsetzung, verwies auf die bestehende Rechtsprechung und berief sich auf den Schutzzweck und die praktische Wirksamkeit der betreffenden Bestimmung. 129 Zur weniger strikten Bindung an den Wortlaut der Norm bei der Entwicklung des Vorrang des Gemeinschaftsrechts oder der Staatshaftung s. sogleich in Kapitel C. zur Rechtsfortbildung. 130 Nun Art. 10 Abs. 2 EGV. 131 Nun Art. 81 EGV. 132 Rs. 13/77 (G.B.-Inno-BM), Slg. 1977, S. 2115, Rn. 30/35.

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Teil 3: Ergebnisse

Murphy.133 Darin entschied der Gerichtshof, dass Art. 141 EGV einem unterschiedlichen Entgelt erst recht entgegenstehe, wenn die niedriger entlohnte Gruppe von Arbeitnehmern eine höherwertige Arbeit verrichte.134 Eine gegenteilige Auslegung würde „dem Grundsatz des gleichen Entgelts seine praktische Wirksamkeit nehmen und ihn aushöhlen“, da der Arbeitgeber den Grundsatz leicht dadurch umgehen könnte, dass er den Arbeitnehmern eines bestimmten Geschlechts zusätzliche oder schwerere Aufgaben überträgt, um ihnen dann ein geringeres Entgelt zu bezahlen.135 Bot sich die Möglichkeit, unmittelbar auf den Zweck einer konkreten Vertragsbestimmung Bezug zu nehmen, dann machte der EuGH davon auch Gebrauch, wie z. B. in der Rechtssache Simmenthal:136 „Die gleiche Auffassung ergibt sich aus Sinn und Wesen des Artikels 177 des Vertrages,137 wonach jedes staatliche Gericht berechtigt ist, sich stets dann an den Gerichtshof zu wenden, wenn es eine Vorabentscheidung über eine Frage nach der Auslegung oder der Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts zum Erlass seines Urteils für erforderlich hält. Die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung würde geschmälert, wenn es dem Gericht verwehrt wäre, das Gemeinschaftsrecht nach Maßgabe der Entscheidung oder der Rechtsprechung des Gerichtshofes unmittelbar anzuwenden.“138

Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass der EuGH sowohl in den Urteilen, in denen er Primärrecht auslegt als auch in denjenigen, in denen er Sekundärrecht auslegt, zwischen dem Zweck einer Norm und deren praktischer Wirksamkeit unterscheidet. Bei der Verwendung des effet utile zur Auslegung von Primärrecht und zur Auslegung von Sekundärrecht können Abweichungen in der Vorgehensweise des Gerichtshofs festgestellt werden, die sich aus den strukturellen Unterschieden zwischen den verschiedenen Rechtsquellen ergeben. Was den Inhalt des Wirksamkeitsgedankens anbelangt, gibt es keine wesentlichen Unterschiede. Im Vergleich zum Sekundärrecht lässt sich bei den Urteilen, die die Grundfesten betreffen, in der Argumentation des EuGH nicht immer eine so trennscharfe Linie zwischen dem teleologischen Argument und dem Argument der praktischen Wirksamkeit ziehen. Die Entscheidungen im Bereich der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts weisen teilweise in der Vorgehensweise des Gerichtshofs eher Ähnlichkeiten mit der Auslegung von Sekundärrecht auf, weil die Struktur bzw. Offenheit der auszulegenden Primärrechtsnorm entscheidenden Einfluss auf die Argumentationslinie des EuGH hat. 133 134 135 136 137 138

Rs. 157/86 (Murphy), Slg. 1988, S. 673. Rs. 157/86 (Murphy), Slg. 1988, S. 673, Rn. 9. Rs. 157/86 (Murphy), Slg. 1988, S. 673, Rn. 10. Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, S. 629. Nun Art. 234 EGV. Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, S. 629, Rn. 19/20.

A. Der effet utile als 6. Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts

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Die Pflicht, sein Auslegungsergebnis nachvollziehbar zu begründen, trifft den Gerichtshof bei allen seinen Entscheidungen. Aufgrund der Tatsache, dass er bei der Anwendung des effet utile eine gewisse Flexibilität beansprucht, trägt er im Gegenzug dazu eine besonders große Verantwortung im Umgang mit dieser Auslegungsmethode. Ihr kohärenter und nachvollziehbarer Einsatz ist essenziell, um der Versuchung zu widerstehen, immer dann auf den effet utile zurückzugreifen, wenn ein Auslegungsergebnis anhand der anderen Methoden nicht begründet werden kann, aber wünschenswert erscheint. Nur auf diese Weise kann der Gerichtshof auch das Vertrauen in die Angemessenheit, Ausgeglichenheit und Korrektheit seiner Rechtsprechung gewinnen und aufrechterhalten. 2. Entwicklung eines Prüfungsschemas für die Anwendung des effet utile Der Gerichtshof hält als Anwendungsvoraussetzung für den effet utile in seinen Urteilen explizit nur fest, dass bei mehreren möglichen Auslegungen derjenigen der Vorzug zu geben ist, die geeignet ist, die praktische Wirksamkeit der Norm zu gewährleisten. Er beruft sich auf den effet utile, wenn er die Einheitlichkeit und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts durch eine bestimmte Auslegung oder durch das mitgliedstaatliche Verhalten gefährdet sieht. Problematisch ist dabei allerdings, dass Effektivität keine absolut messbare Größe ist, sondern ein Relationsbegriff, der einen Bezug zwischen zwei Vergleichsgrößen herstellt.139 Er drückt das Maß der Verwirklichung einer bestimmten Zielvorgabe aus, also das Verhältnis zwischen einer Istund einer Sollensleistung. Der Gerichtshof hat in seinen Urteilen keine genaueren Maßstäbe dafür entwickelt, wann er die Berufung auf die Wirksamkeit einer Norm als gerechtfertigt ansieht. Dies mag damit zusammenhängen, dass es einerseits kaum möglich ist, eine abstrakte Definition davon zu geben, wann eine Wirksamkeitseinbuße unter Anbetracht der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht mehr hingenommen werden kann. Andererseits möchte sich der Gerichtshof aber auch eine gewisse Flexibilität beim Rückgriff auf das effet utile-Argument erhalten. Unter dem Aspekt der Vorhersehbarkeit seiner Rechtsprechung und der Rechtssicherheit ist das Fehlen klarerer Konturen zur Definition des Begriffs des effet utile allerdings heikel. Wenn es keine exakten Kriterien gibt, nach denen der effet utile zur Anwendung kommen kann, dann haftet der Rechtsprechung des Gerichtshofs grundsätzlich jedenfalls eine gewisse Beliebigkeit an. Deshalb ist es 139 So auch Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 295.

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Teil 3: Ergebnisse

lohnenswert zu versuchen, ein Schema für die genaue und somit vorhersehbare Handhabung des effet utile zu entwickeln. Zunächst ist festzuhalten, dass die Frage, ob die Berufung auf die praktische Wirksamkeit einer Norm in einem Urteil des EuGH gerechtfertigt ist, nur anhand eines Vergleichs mit der Situation ohne ihre Berücksichtigung entschieden werden kann. Entstünden dadurch Wirksamkeitseinbußen, die im Sinne der einheitlichen Wirksamkeit und der Funktionsfähigkeit des Gemeinschaftsrechts nicht hingenommen werden können, muss das Argument der praktischen Wirksamkeit herangezogen werden. Die Berücksichtigung der Effektivität kann insofern als wirkungserhaltende140 Interpretation bezeichnet werden. Es ist eine Bewertung anhand des konkreten Falls vorzunehmen, wobei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört,141 die Schlüsselrolle einnimmt. Der EuGH muss sich deshalb fragen, ob die Auslegung, die er der betreffenden Norm geben möchte, geeignet, erforderlich und angemessen142 ist, um ihre Effektivität bzw. diejenige des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Damit wird in den Auslegungsvorgang ein Sicherheitsnetz eingezogen, mit dem man verhindern kann, dass es zu einer Überbetonung der Effektivitätsargumente im Verhältnis zu den Argumenten zugunsten der mitgliedstaatlichen Souveränität kommt. Anhand zweier Beispiele aus der Rechtsprechung des EuGH soll die Praktikabilität der hier vorgeschlagenen Prüfung vorgeführt werden. Der Gerichtshof hat, wie in Teil 2 ausführlich dargestellt wurde, den Vorrang des Gemeinschaftsrechts entwickelt und sich dabei maßgeblich auf Effektivitätsüberlegungen gestützt. War dieser Eingriff in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen verhältnismäßig? Die Entwicklung des Vorrangs ist zunächst geeignet, um die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften zu gewährleisten. Könnten sich die Mitgliedstaaten auf ihre Normen berufen, um eine entgegenstehende Norm des Gemeinschaftsrechts auszuhebeln, könnten die gemeinschaftsrechtlichen Normen nicht regelmäßig, ordnungsgemäß und einheitlich wirken. Die Frage nach der Erforderlichkeit der vom EuGH gewählten Lösung ist die Frage danach, ob es ein milderes Mittel gäbe, das genauso effektiv wäre. Die vom Gerichtshof entwickelte Konstruktion ist das mildeste Mit140 Ähnlich Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 287. 141 Vgl. grundlegend Rs. 265/87 (Schräder), Slg. 1989, S. 2237. 142 Vgl. z. B. Rs. 265/87 (Schräder), Slg. 1989, S. 2237, Rn. 2.

A. Der effet utile als 6. Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts

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tel, da er unter dem Vorrang einen Anwendungsvorrang versteht, was bedeutet, dass im Kollisionsfall dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende nationale Rechtsvorschriften nicht ihre Gültigkeit verlieren, sondern nur von der gemeinschaftlichen Norm verdrängt werden, die damit Vorrang genießt. Dies hat den positiven Nebeneffekt, dass die innerstaatlichen Bestimmungen nach wie vor für rein innerstaatliche Sachverhalte ohne Berührungspunkte zum Gemeinschaftsrecht anwendbar bleiben. Die vom EuGH entwickelte Konzeption ist somit zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften erforderlich; bei einem Geltungsvorrang wäre die Frage nach der Erforderlichkeit hingegen wohl zu verneinen. Bleibt noch die Verhältnismäßigkeit i. e. S. oder Angemessenheit bzw. Zumutbarkeit der vorgenommenen Auslegung zu prüfen; hierbei geht es darum festzustellen, ob sie an sich verhältnismäßig ist, also kein grobes Missverhältnis zum verfolgten Ziel vorliegt. Auch dieses Kriterium erfüllt die vom EuGH entwickelte Lösung, denn hier ist wiederum die Tatsache entscheidend, dass der Gerichtshof von einem Anwendungsvorrang ausgeht. Das Ergebnis der Prüfung lautet somit: Bei der Nichtberücksichtigung des effet utile würden die gemeinschaftsrechtlichen Normen einen so großen Teil ihrer Wirksamkeit einbüßen, dass das im Sinne der Funktionsfähigkeit des Gemeinschaftsrechtssystems nicht hingenommen werden kann. Deshalb ist der Rückgriff auf den effet utile verhältnismäßig und daher gerechtfertigt. Auch bei der Entwicklung des gemeinschaftlichen Staatshaftungsanspruchs, bei der sich der EuGH ebenfalls maßgeblich auf den effet utile gestützt hat, zeigt sich die Praktikabilität der Verhältnismäßigkeitsprüfung für die Beantwortung der Frage, ob diese Vorgehensweise gerechtfertigt war. Die Haftung der Mitgliedstaaten für die Verletzung von Gemeinschaftsrecht ist zunächst geeignet, dessen Effektivität zu erhöhen. Durch die Androhung einer Sanktion sind die Mitgliedstaaten eher bereit, das Gemeinschaftsrecht zu respektieren. Je mehr und regelmäßiger sie es befolgen und umsetzen, umso effektiver ist es. Außerdem werden durch die abschreckende Wirkung einer eventuell drohenden Haftung Wirksamkeitsbeeinträchtigungen auch von vornherein reduziert. Die Lösung des EuGH ist auch erforderlich, da sich nämlich gezeigt hatte, dass das Instrument der unmittelbaren Anwendbarkeit allein nicht ausreichend ist. Ist die Durchsetzung der Rechte des Einzelnen auf diesem Wege nämlich nicht möglich, bliebe er schutzlos, gäbe es nicht das zusätzliche Instrument des Staatshaftungsanspruchs gegenüber dem säumigen Mitgliedstaat. Dem Gemeinschaftsrecht wird somit durch den Individualrechtsschutz zu mehr Wirksamkeit verholfen.

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Teil 3: Ergebnisse

Außerdem legte der EuGH in seiner Rechtsprechung nur die Grundlagen des gemeinschaftsrechtlichen Haftungsregimes fest, die Ausgestaltung des Haftungsanspruchs bleibt den Mitgliedstaaten überlassen. Die Lösung des EuGH ist ferner angemessen und zumutbar. Verschiedene Mitgliedstaaten hatten sich teilweise über Jahre hinweg gemeinschaftsrechtswidrig verhalten und sich auch durch Verurteilungen in Vertragsverletzungsverfahren durch den EuGH nicht davon abhalten lassen. Die Folge dieser Umsetzungsdefizite waren Ungleichheiten in der faktischen Geltung des Gemeinschaftsrechts und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten. Die Leidtragenden dieses Verhaltens waren die Rechtsunterworfenen, die ihre vom Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Rechte nicht in Anspruch nehmen konnten. Auch in diesem Fall lautet das Ergebnis der Prüfung somit, dass die Nichtberücksichtigung des effet utile zu einer nicht-hinnehmbaren Wirksamkeits- und Funktionsfähigkeitseinbuße des Gemeinschaftsrechts geführt hätte und die Entwicklung des Staatshaftungsanspruchs deshalb verhältnismäßig und damit gerechtfertigt ist. Abschließend kann man festhalten, dass der EuGH die Verhältnismäßigkeitsprüfung umso stringenter und genauer vornehmen muss, je weiter er sich bei der von ihm geplanten Auslegung vom Wortlaut der betreffenden Norm entfernen möchte und je tiefer deshalb der Eingriff in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ist. Die Kriterien für die einwandfreie Anwendung des effet utile lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Der Wortlaut der auszulegenden Norm darf nicht klar und eindeutig sein, sondern muss mehrere Auslegungen zulassen. • Bei einer ausschließlichen Berücksichtigung der klassischen Auslegungsmethoden, besteht die ernsthafte Gefahr, dass die Norm ihre praktische Wirksamkeit nicht entfalten kann, also nicht effektiv ist oder die Funktionsfähigkeit des Gemeinschaftsrechts nicht gewährleistet werden kann. Es entstünden Wirksamkeitseinbußen, die im Interesse der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht hingenommen werden können. • Das anhand des effet utile gefundene Auslegungsergebnis muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen, also geeignet, erforderlich und angemessen sein, um die Effektivität der auszulegenden Norm bzw. des Gemeinschaftsrechts insgesamt sicherzustellen. • Die gefundene Lösung darf dem Wortlaut der auszulegenden Norm nicht widersprechen, einen eindeutig entgegenstehenden Wortlaut darf auch der effet utile nicht aushebeln.

B. Keine einseitige Handhabung des effet utile durch den EuGH

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B. Keine einseitige Handhabung des effet utile durch den EuGH I. Einführung Dem Gerichtshof wird in der Literatur immer wieder vorgeworfen, er setze den effet utile einseitig, d.h. zu Lasten der Kompetenzen der Mitgliedstaaten ein.143 Wie bereits ausführlich dargestellt wurde, bezieht sich dieser Vorwurf großteils auf die Rechtsprechung des EuGH zu den Pflichten der Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts.144 Die vorliegende Untersuchung konnte tendenziell keine einseitige Handhabung des effet utile feststellen.145 Es gibt Urteile des Gerichtshofs, in denen er die Kompetenzen der Mitgliedstaaten stärker einschränkt und solche, in denen er sich mehr zurückhält. Im Folgenden sollen exemplarisch zwei Bereiche dargestellt werden, die durch einen schonenden Umgang mit den mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten geprägt sind. Außerdem ist zum Schluss der Frage nachzugehen, ob ein stärkerer bzw. schwächerer Einsatz des effet utile-Arguments mit dem unterschiedlichen Entwicklungsstadium der Gemeinschaft zusammenhängen könnte, in dem das betreffende Urteil erging.

II. Die Rechtsprechung des EuGH zur horizontalen Richtlinienwirkung Als Paradebeispiel für die Zurückhaltung des EuGH kann seine Rechtsprechung zur horizontalen Wirkung von Richtlinienbestimmungen angeführt werden. Nachdem der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung die sog. vertikale Richtlinienwirkung und parallel dazu die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur richtlinienkonformen Auslegung entwickelt hatte,146 war in den Mitgliedstaaten eine angeregte Diskussion darüber entstanden, ob in der weiteren Folge nicht auch eine horizontale Richtlinienwirkung anzuerkennen wäre, wozu auch verschiedene Urteile des EuGH Anlass gaben.147 143 So z. B. Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 76, 80; v. Danwitz, Die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten für die Durchführung von Gemeinschaftsrecht, DVBl. 1998, S. 421 (432). 144 Vgl. Teil 2 Kapitel C. III. 2. c). 145 Zur der Frage der Einseitigkeit des effet utile bei den Pflichten der Mitgliedstaaten im Rahmen der Durchführung des Gemeinschaftsrechts vgl. ausführlich Teil 2 Kapitel C. III. 2. c) dd). 146 Vgl. dazu Teil 2 Kapitel C. III. 2. c) bb). 147 So z. B. Rs. 152/84 (Marshall I), Slg. 1986, S. 723, mit Anmerkung von Nicolaysen, EuR 1986, 370; Rs. 80/86 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, S. 3969; vgl.

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Teil 3: Ergebnisse

Befürworter der horizontalen Richtlinienwirkung fanden sich vor allem in den südlichen Mitgliedstaaten, in Frankreich und in den Common-Law-Ländern, Gegner in erster Linie in Deutschland.148 Eine Entscheidung des EuGH, in der er zu dieser Frage klar Position beziehen würde, wurde deshalb von allen Seiten erhofft. Diese Klärung brachte die Rechtssache Faccini Dori,149 in der der Gerichtshof entschied, dass er keine unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen im Verhältnis von Privaten anerkenne. Die Begründung des EuGH fiel im Vergleich zu den umfangreichen Schlussanträgen von Generalanwalt Lenz eher kurz aus. Dieser hatte sich im Interesse einer „einheitlichen und effizienten Anwendung des Gemeinschaftsrechts“150 für die Anerkennung der horizontalen Richtlinienwirkung ausgesprochen.151 Der EuGH folgte dieser Forderung nicht und verneint eine solche Wirkung bis heute. Die Entscheidung des Gerichthofs in der Rechtssache Faccini Dori wird in der Literatur teilweise der Tatsache zugeschrieben, dass sie in „ein Wellental nach der schwierigen Ratifizierung des Vertrages von Maastricht fällt“ und sich der EuGH deshalb zurückgehalten habe.152 Dazu ist jedoch zu bemerken, dass der Gerichtshof auch in Folgeurteilen nicht von seiner Linie abrückte. Ob die Zurückhaltung also wirklich durch den schwierigen historischen Moment bedingt war, in dem das Urteil erlassen wurde, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden.153 auch schon Rs. 148/78 (Ratti), Slg. 1979, S. 1629; Rs. 8/81 (Becker), Slg. 1982, S. 53. Vgl. die Darstellung der Entwicklung der Rechtsprechung bei Emmert, Horizontale Drittwirkung von Richtlinien?, EWS 1992, S. 56 (58 ff). 148 Vgl. hierzu ausführlich Hakenberg, Keine horizontale Richtlinienwirkung, ZIP 1994, 1510 (1511) m. w. N. aus der Literatur in den verschiedenen Mitgliedsländern; dafür z. B. Tridimas, Horizontal effect of directives, ELRev 1994, S. 621 (636); Nicolaysen, EuR 1984, S. 380 (391). 149 Rs. C-91/92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325. 150 Vgl. Schlussanträge zur Rs. C-91/92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 56. 151 Allerdings nur für die Zukunft, eine horizontale Wirkung für die Vergangenheit lehnte er aus Gründen der Rechtssicherheit ab. Die Kommission sowie die Mitgliedstaaten, die sich an dem Verfahren beteiligt hatten, sprachen sich mit Ausnahme von Griechenland gegen horizontale Richtlinienwirkung und damit für die Beibehaltung der bestehenden Rechtsprechung aus. Vgl. auch schon die Andeutungen in den Schlussanträgen des GA Van Gerven in der Rs. C-271/91 (Marshall II), Slg. 1993, I-4367, Rn. 12 und in den Schlussanträgen des GA Jacobs in der Rs. C-316/93 (Vaneetveld), Slg. 1994, I-763, Rn. 18 f. 152 So z. B. Calliess, Grundlagen, Grenzen und Perspektiven europäischen Richterrechts, NJW 2005, S. 929 (931); Tridimas, ELRev 1994, S. 621 (635), der das Faccini Dori-Urteil als Produkt einer Konsolidierungsphase nach einer Phase des „judicial activism“ ansieht. 153 Vgl. auch Hess, JZ 1995, S. 150.

B. Keine einseitige Handhabung des effet utile durch den EuGH

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Eine Änderung seiner Linie wurde dem EuGH von einigen Autoren anlässlich des vor kurzem ergangenen Urteils in der Rechtssache Pfeiffer 154 attestiert. Diese Entscheidung wurde teilweise so interpretiert, dass der Gerichtshof durch eine Ausweitung der Verpflichtungen der mitgliedstaatlichen Gerichte zur richtlinienkonformen Auslegung seine Rechtsprechung zur horizontalen Richtlinienwirkung stillschweigend aufgeweicht habe.155 Dazu gaben wohl auch gewisse kryptische Aussagen in den Schlussanträgen von Generalanwalt Ruiz-Jarabo156 Anlass, die bei manchen Prozessbeobachtern den Eindruck dieser Kursänderung erweckten. Tatsächlich nahm der EuGH keine Änderung seiner Rechtsprechung zur horizontalen Richtlinienwirkung vor. Seine Aussagen, wie intensiv die Verpflichtungen zur richtlinienkonformen Auslegung durch das nationale Gericht sind, gehen jedoch über das hinaus, was der Gerichthof bislang von den nationalen Gerichten erwartete und verlangte.157 Damit hat der EuGH eine weitere Annäherung zwischen 154

Verb. Rs. C-397/01 bis C-403/01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835. Vgl. dazu Hakenberg/Seyr, Gemeinschaftsrecht und Privatrecht – Zur Rechtsprechung des EuGH im Jahre 2004, ZEuP 2005, S. 832 (837 f.), vgl. auch F. A. Z. vom 10.11.2004 156 s. die Kommentierung der Schlussanträge von Abele, BB 2004, S. 555. 157 Vgl. Rn. 111 des Urteils: „Vor allem den nationalen Gerichten obliegt es nämlich, den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den Einzelnen aus den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen ergibt, und deren volle Wirkung sicherzustellen.“ Rn. 112: „Dies gilt umso mehr, wenn das nationale Gericht mit einem Rechtsstreit über die Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften befasst ist, die – wie hier – speziell zur Umsetzung einer Richtlinie erlassen wurden, die dem Einzelnen Rechte verleihen soll. Das Gericht hat [. . .] davon auszugehen, dass der Staat, wenn er von dem ihm durch diese Bestimmung eingeräumten Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht hat, die Absicht hatte, den sich aus der betreffenden Richtlinie ergebenden Verpflichtungen in vollem Umfang nachzukommen.“ Rn. 116: „Ermöglicht es das nationale Recht durch die Anwendung seiner Auslegungsmethoden, eine innerstaatliche Bestimmung unter bestimmten Umständen so auszulegen, dass eine Kollision mit einer anderen Norm innerstaatlichen Rechts vermieden wird, oder die Reichweite dieser Bestimmung zu diesem Zweck einzuschränken und sie nur insoweit anzuwenden, als sie mit dieser Norm vereinbar ist, so ist das nationale Gericht verpflichtet, die gleichen Methoden anzuwenden, um das von der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen.“ Rn. 119: „Ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privaten anhängig ist, muss bei der Anwendung der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die zur Umsetzung der in einer Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen erlassen worden sind, das gesamte nationale Recht berücksichtigen und es so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie auslegen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel vereinbar ist. In den Ausgangsverfahren muss das vorlegende Gericht somit alles tun, was in seiner Zuständigkeit liegt, um die Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit zu verhindern.“ So auch Thüsing/Heßeler, Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht 2004, S. 1147 (1148); Riesenhuber/Domröse, Richtlinienkonforme Rechtsfindung und nationale Methodenlehre, RIW 2005, S. 47 (51, 54). 155

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Teil 3: Ergebnisse

richtlinienkonformer Auslegung und horizontaler Richtlinienwirkung vorgenommen.158 Der Haltung des EuGH, grundsätzlich keine horizontale Wirkung von Richtlinien anzuerkennen, ist zuzustimmen. Der Gerichtshof bewegt sich damit im Rahmen des Primärrechts, seine Rechtsprechung respektiert den Unterschied zwischen den in Art. 249 EGV vorgesehenen Instrumenten der Richtlinie und der Verordnung.159 In der Rechtssache Faccini Dori führte er dazu Folgendes aus: „Eine Ausdehnung dieser Rechtsprechung auf den Bereich der Beziehungen zwischen den Bürgern hieße, der Gemeinschaft die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zu Lasten der Bürger Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist.“160 Damit stellt der EuGH klar, dass die Ausdehnung dieser Kompetenz eine Verletzung der Souveränität der Mitgliedstaaten bedeutete.161 Den Unterschied zwischen Richtlinie und Verordnung zu respektieren, heißt auch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Richtlinie an die Mitgliedstaaten adressiert und von diesen umzusetzen ist, also durch eine zweistufige Wirkungsweise162 gekennzeichnet ist. Beizupflichten ist außerdem der Überlegung des EuGH, dass ein Unterschied zwischen der unmittelbaren Wirkung einer Richtlinienbestimmung gegenüber einem Mitgliedstaat und gegenüber einer anderen Privatperson besteht. In der vertikalen Richtlinienwirkung steckt der Sanktionsgedanke gegenüber dem Staat, der die Richtlinie nicht oder nur unzureichend umgesetzt hat, da Adressaten der Richtlinie die Mitgliedstaaten sind.163 Deshalb ist hinzunehmen, dass im Verhältnis zwischen zwei Privaten einer der beiden durch das säumige Verhalten des Mitgliedstaates benachteiligt wird. Auch aus Gründen der Rechtssicherheit wäre es nicht tragbar, dass Private durch eine unmittelbar wirkende Richtlinienbestimmung belastet würden, wenn sie auf eine abweichende, nicht oder nur unzureichend angepasste nationale Norm vertraut haben.164 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH165 können sich außerdem aus einer nicht oder nur unzureichend umgesetzten Richtlinie keine Pflichten Privater ergeben. 158 So auch Frenz, DVBl. 2005, S. 40; Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, S. 47 (54). Vgl. auch die Ausführungen in Teil 2 Kapitel C. III. 2. c) bb) zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung. 159 Vgl. zu diesem Argument, aber a. A. Emmert, EWS 1992, S. 56 (64). 160 Rs. C-91/92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 24; vgl. auch Rs. C-192/94 (El Corte Ingles), Slg. 1996, I-1281, Rn. 17. 161 So auch Herber, ZEuP 1996, S. 121. 162 Begriff nach Nicolaysen, Europarecht I, 1. Auflage 1991, S. 161. 163 Vgl. Rs. 152/84 (Marshall I), Slg. 1986, S. 723, Rn. 48. 164 A. A. z. B. Emmert, EWS 1992, S. 56 (65).

B. Keine einseitige Handhabung des effet utile durch den EuGH

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Der Gerichtshof stützt seine ablehnende Haltung gegenüber einer horizontalen Richtlinienwirkung somit auf den Wortlaut des Art. 249 Abs. 3 EGV, auf systematische Überlegungen hinsichtlich der Unterscheidung von Richtlinie und Verordnung und auf teleologische Argumente, d.h. die fehlende Möglichkeit, den Sanktionsgedanken gegenüber dem säumigen Mitgliedstaat auf Privatpersonen übertragen zu können.166 Der EuGH lässt den Privaten letztendlich nicht schutzlos, zumal er in der Rechtssache Faccini Dori ausdrücklich auf seine Francovich-Rechtsprechung Bezug nahm. Nachdem er die Verpflichtung der nationalen Gerichte zur richtlinienkonformen Auslegung hervorgehoben hatte, stellte er fest, dass „für den Fall, dass das von der Richtlinie vorgeschriebene Ziel nicht im Wege der Auslegung erreicht werden kann, [. . .] außerdem darauf hinzuweisen [ist], dass das Gemeinschaftsrecht gemäß dem Urteil [. . .] Francovich [. . .] die Mitgliedstaaten zum Ersatz der den Bürgern durch die Nichtumsetzung einer Richtlinie verursachten Schäden verpflichtet, sofern drei Voraussetzungen vorliegen.“167 Dadurch werden Fälle eklatanter Benachteiligung Privater ausgeschlossen.168 Mit der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung und der Begründung einer gemeinschaftlichen Staatshaftung schützt der EuGH die Rechte Einzelner aus dem Gemeinschaftsrecht in Ermangelung einer Anerkennung der horizontalen Richtlinienwirkung.169 Der Gerichtshof hätte sich auf effet utile-Überlegungen stützen können, um die horizontale Richtlinienwirkung anzuerkennen.170 Der Druck auf den Mitgliedstaat zur fristgerechten Umsetzung der Richtlinie würde nämlich erhöht, wenn sich der Einzelne nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber anderen Privaten auf die Richtlinienbestimmungen berufen könnte. Dadurch würde letztendlich die Effektivität der Richtlinie vergrößert.171 In besonderem Maße beträfe das Richtlinien, bei denen sich die Staaten selten als Adressaten der Verpflichtungen eignen, wie beispielsweise im Verbraucher- oder Gesellschaftsrecht.172 Außerdem würde man durch eine horizontale Richtlinienwirkung willkürliche Diskriminierungen 165 Vgl. Rs. 80/86 (Kolpinghuis Nijmegen), Slg. 1987, S. 3969; s. dazu ausführlich Nettesheim in: Grabitz/Hilf, Art. 249 EGV, Rn. 172 ff. 166 Vgl. Schroeder in: Streinz, Art. 249 EGV, Rn. 116; Emmert, EWS 1992, S. 56 (58). 167 Rs. C-91/92 (Faccini Dori), Slg. 1994, I-3325, Rn. 27; kritisch dazu Herber, ZEuP 1996, S. 121 (123); Tridimas, ELRev 1994, S. 621 (633 f.). 168 Hakenberg, ZIP 1994, S. 1510 (1513). 169 Vgl. auch Robinson, CMLRev 1995, S. 634 (635). 170 So auch Schroeder in: Streinz, Art. 249 EGV, Rn. 116, 117; Emmert, EWS 1992, S. 56 (58, 66). 171 So Easson, Can Directives Impose Obligations in Individuals?, ELRev 1979, S. 67 (75). 172 Vgl. Bach, Direkte Wirkung von EG-Richtlinien, JZ 1990, S. 1108 (1115).

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Teil 3: Ergebnisse

z. B. zwischen öffentlichen und privaten Arbeitgebern in Zusammenhang mit den Gleichbehandlungsrichtlinien vermeiden.173 Angesichts der Unzulänglichkeiten bei der Umsetzung der Richtlinien durch die Mitgliedstaaten könnte einiges für die Anerkennung einer horizontalen Richtlinienwirkung sprechen.174 Durch seine diesbezüglich ablehnende Haltung sorgt der EuGH aber letztendlich für ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Gemeinschaft, Mitgliedstaaten und Bürgern,175 respektiert die jeweiligen Kompetenzen und kommt so seiner Friedensfunktion176 nach.

III. Die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 230 Abs. 4 EGV Ein weiterer Bereich, in dem man an eine Verwendung des effet utile-Arguments denken könnte, ist die Klagebefugnis natürlicher und juristischer Personen im Rahmen der in Art. 230 Abs. 4 EGV vorgesehenen Nichtigkeitsklage. Die genannte Bestimmung sieht vor, dass „jede natürliche oder juristische Person unter den gleichen Voraussetzungen gegen die an sie ergangenen Entscheidungen sowie gegen diejenigen Entscheidungen Klage erheben [kann], die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen.“ Natürliche und juristische Personen zählen somit zu den nicht-privilegierten Klägern und müssen weitere Zulassungsvoraussetzungen erfüllen. Zu unterscheiden ist dabei der zulässige Klagegegenstand von der Klagebefugnis natürlicher und juristischer Personen, wobei jedoch ein enger Zusammenhang zwischen diesen beiden besteht.177 Von Interesse für die 173 Nicolaysen, Keine horizontale Richtlinienwirkung, EuR 1986, S. 370 (371); Schroeder in: Streinz, Art. 249 EGV, Rn. 116; Emmert, EWS 1992, S. 56 (61). 174 Everling, Zur direkten innerstaatlichen Wirkung der EG-Richtlinien, FS Carstens, Bd. 1, S. 95 (110); dafür z. B. auch Nicolaysen, EuR 1984, S. 380 (385 f., 387) spricht davon, dass die horizontale Direktwirkung „unausweichlich“ sei. 175 Diese betont auch Everling, Zur direkten innerstaatlichen Wirkung der EGRichtlinien, FS Carstens, Bd. 1, S. 95 (111). 176 Everling, Zur direkten innerstaatlichen Wirkung der EG-Richtlinien, FS Carstens, Bd. 1, S. 95 (113); vgl. auch Bach, JZ 1990, S. 1108 (1115), der von der Entschärfung eines Konflikts spricht, der die Autorität des EuGH zu gefährden drohte. 177 Vgl. z. B. die Aussagen des EuGH in der Rs. C-50/00 P (Unión de Pequeños Agricultores, im Folgenden UPA), Slg. 2002, I-6677, Rn. 36. Unter Verweis auf die Rs. C-309/89 (Codorniu), Slg. 1994, I-1853, Rn. 19, führte der EuGH aus: „Eine Handlung allgemeiner Geltung wie eine Verordnung kann allerdings unter Umständen bestimmte natürliche oder juristische Personen individuell betreffen und damit ihnen gegenüber Entscheidungscharakter haben.“ Damit wird der Einstieg zur Klagebefugnis Einzelner erleichtert, aber vom Grundsatz, dass Individualklagen gegen

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hier aufgeworfene Fragestellung ist die Klagebefugnis, weshalb diese im Zentrum der folgenden Ausführungen steht.178 Ist der betreffende Rechtsakt nicht als Entscheidung an den Kläger adressiert, so muss dieser von ihm betroffen sein. Das ist der Fall, wenn der Kläger durch ihn beschwert ist, also ein Interesse an der Aufhebung des Rechtsakts hat und dies darlegt.179 Der Rechtsakt muss den Kläger in tatsächlicher Hinsicht qualifiziert beeinträchtigen, was anhand der Merkmale „individuell“ und „unmittelbar“ beurteilt wird.180 Diskussionen ranken sich dabei in erster Linie um das Kriterium der individuellen Betroffenheit und die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH. Der Gerichtshof legt nämlich das Merkmal der Individualität in ständiger Rechtsprechung restriktiv aus, da er von einem „eindeutig engen Wortlaut“181 ausgeht. Grundlegend stellte er dazu in der sog. Plaumann-Formel fest: „Wer nicht Adressat einer Entscheidung ist, kann nur dann geltend machen, von ihr individuell betroffen zu sein, wenn die Entscheidung ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten.“182 Von seiner engen Auslegung rückte der EuGH nur selten ab, wenn in Einzelfällen ein effektiver Rechtsschutz trotz eines berechtigten Rechtsschutzinteresses vollkommen ausgeschlossen gewesen wäre.183 Diese Ausnahmen betreffen hauptsächlich den Bereich der staatlichen Beihilfen, des Wettbewerbs und des Antidumpings.184 Verordnungen nicht zulässig sind, nicht abgewichen. Vgl. Götz, Anmerkung zum Urteil in der Rs. C-50/00 P (UPA), Slg. 2002, I-6677, DVBl. 2002, S. 1350; Nowak, Zentraler und dezentraler Individualrechtsschutz in der EG, in: derselbe/Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO, S. 47 (55 f.). 178 Vgl. zum Klagegegenstand beispielsweise Cremer in: Calliess/Ruffert, Art. 230 EGV, Rn. 29 ff. 179 Ehricke in: Streinz, Art. 230 EGV, Rn. 52; Calliess, Kohärenz und Konvergenz beim europäischen Individualrechtsschutz, NJW 2002, S. 3577 (3579); Cremer in: Calliess/Ruffert, Art. 230 EGV, Rn. 45. 180 Ehricke in: Streinz, Art. 230 EGV, Rn. 52. 181 Rs. 40/64 (Sgarlata), Slg. 1965, S. 296, 312. 182 Rs. 25/62 (Plaumann), Slg. 1963, S. 213, 238; seitdem ständige Rechtsprechung vgl. z. B. Rs. C-50/00 P (UPA), Slg. 2002, I-6677, Rn. 36. Zu den Fallgruppen, in denen eine Verordnung Individuen wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie daher in ähnlicher Weise wie einen Adressaten betrifft vgl. Nettesheim, Effektive Rechtsschutzgewährleistung im arbeitsteiligen System europäischen Rechtsschutzes, JZ 2002, S. 928 (930); Haltern, Europarecht, S. 238 f. 183 Schwarze, Der Rechtsschutz Privater vor dem Europäischen Gerichtshof, DVBl. 2002, S. 1297 (1302); Cremer in: Calliess/Ruffert, Art. 230 EGV, Rn. 51 ff. m. w. N. aus der Rechtsprechung; Haltern, Europarecht, S. 238.

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Teil 3: Ergebnisse

Die Haltung des Gerichtshofs stößt in der Literatur immer wieder auf Kritik. Einerseits wird bemängelt, dass die umfangreiche Kasuistik zu diesem Problembereich nicht immer ein klares System erkennen lasse und so zu einer gewissen Unübersichtlichkeit185 führe. Deshalb sei auch der Ausgang eines Rechtsstreits für den einzelnen Kläger wenig transparent und vorhersehbar.186 Vor allem wird jedoch kritisiert, dass es aufgrund der engen Auslegung des Merkmals der individuellen Betroffenheit durch den Gerichtshof zu einer Diskrepanz zwischen den hohen Anforderungen komme, die der EuGH an die Effektivität des nationalen Rechtsschutzes gegenüber möglicherweise gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Rechtshandlungen stelle, und der zurückhaltenden Linie, die er beim Rechtsschutz gegen Rechtsakte der Gemeinschaft selbst einschlage.187 Diese Bedenken teilten auch Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Unión de Pequeños Agricultores188 (im Folgenden UPA) sowie das EuGeI in seinem Urteil in der Rechtssache Jégo-Quéré.189 Sie schlugen deshalb einen Richtungswechsel vor und plädierten für eine Ausdehnung der Klagebefugnis.190 Der Generalanwalt war der Ansicht, dass ein Kläger bereits dann individuell betroffen und somit klagebefugt sein solle, wenn eine Verordnung „erhebliche nachteilige Auswirkungen auf seine Interessen hat oder haben kann.“191 Das EuGeI erweiterte in seinem JégoQuéré-Urteil die Klagebefugnis noch stärker als Generalanwalt Jacobs, indem es sozusagen vollständig auf eine Individualisierung verzichtete. Für das Gericht sollte eine Person bereits dann individuell betroffen sein, wenn die betreffende Bestimmung ihre Rechtsposition unzweifelhaft und gegenwärtig beeinträchtige, indem sie ihre Rechte einschränke oder ihr Pflichten auferlege und andernfalls kein wirksamer Rechtsbehelf möglich sei.192 184

Vgl. z. B. Haltern, Europarecht, S. 238. So Schwarze, DVBl. 2002, S. 1297 (1302); Calliess, NJW 2002, S. 3577 (3579 f.) („Verwirrspiel“); Nettesheim, JZ 2002, S. 928 (930) spricht davon, dass es an „einer kohärenten und geschlossenen Dogmatik“ fehle; Haltern, Europarecht, S. 239. 186 Calliess, NJW 2002, S. 3577 (3581). 187 Calliess, NJW 2002, S. 3577 (3581) spricht von „augenfällige[r] Divergenz“; Nettesheim, JZ 2002, S. 928 von „doppeltem Standard“; Jacobs, The Evolution of the European Legal Order, CMLRev 2004, S. 303 (314); derselbe, Schlussanträge in der Rs. C-50/00 P (UPA), Slg. 2002, I-6677, Rn. 36; diesen Unterschied nur feststellend, aber weniger kritisch Schwarze, DVBl. 2002, S. 1297 (1307). 188 Rs. C-50/00 P (UPA), Slg. 2002, I-6677. 189 EuG, Rs. T-177/01 (Jégo-Quéré), Slg. 2002, II-2365. 190 Vgl. die wesentlichen Gründe bei Calliess, NJW 2002, S. 3577 (3580); Braun/Kettner, Die Absage des EuGH an eine richterrechtliche Reform des EGRechtsschutzsystems, DÖV 2003, S. 58 (60 ff.). 191 Schlussanträge Rs. C-50/00 P (UPA), Slg. 2002, I-6677, Rn. 103. 185

B. Keine einseitige Handhabung des effet utile durch den EuGH

309

Der Gerichtshof hat diesen Vorschlägen in seinem UPA-Urteil aus dem Jahre 2002 definitiv eine Absage erteilt, indem er an seiner restriktiven Auslegung festhielt. Er betonte, dass die Voraussetzung der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit im Lichte des Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes unter Berücksichtigung der verschiedenen Umstände, die einen Kläger individualisieren können, auszulegen sei;193 „doch kann eine solche Auslegung nicht, ohne dass die den Gemeinschaftsgerichten durch den Vertrag verliehenen Befugnisse überschritten würden, zum Wegfall der fraglichen Voraussetzung, die ausdrücklich im EG-Vertrag vorgesehen ist, führen.“194 Der EuGH geht davon aus, dass der EGV „ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen [hat], das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe, mit der der Gemeinschaftsrichter betraut wird, gewährleisten soll.“195 Natürliche oder juristische Personen, die wegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 230 Abs. 4 EGV Gemeinschaftshandlungen nicht unmittelbar anfechten können, haben die Möglichkeit, je nach den Umständen des Falles die Gültigkeit solcher Handlungen inzident nach Art. 241 EGV vor dem Gemeinschaftsrichter oder aber vor den nationalen Gerichten geltend zu machen. Außerdem können sie letztere dazu veranlassen, dem EuGH diesbezügliche Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.196 Einer Änderung der Klagebefugnis verschließt sich der Gerichtshof aber nicht grundsätzlich: „Auch wenn ein anderes System der Rechtmäßigkeitskontrolle der Gemeinschaftshandlungen allgemeiner Geltung als das durch den ursprünglichen Vertrag geschaffene, das in seinen Grundzügen nie geändert wurde, sicherlich vorstellbar ist, so wäre es doch Sache der Mitgliedstaaten, das derzeit geltende System gegebenenfalls gemäß Artikel 48 EU zu reformieren.“197 192

Rs. T-177/01 (Jégo-Quéré), Slg. 2002, II-2365, Rn. 51. Vgl. z. B. Rs. C-309/89 (Codorniu/Rat), Slg. 1994, I-1853, Rn. 19. 194 Rs. C-50/00 P (UPA), Slg. 2002, I-6677, Rn. 42. 195 Rs. C-50/00 P (UPA), Slg. 2002, I-6677, Rn. 40 unter Verweis auf das Urteil in der Rs. 294/83 (Les Verts/Parlament), Slg. 1986, S. 1339, Rn. 23. 196 Rs. C-50/00 P (UPA), Slg. 2002, I-6677, Rn. 40; Rs. 314/85 (Foto-Frost), Slg. 1987, S. 4199, Rn. 20. Kritisch dazu z. B. Schohe/Arhold, Betroffen und kein Klagerecht?, EWS 2002, S. 320 (322 f.). Im Rahmen der Verpflichtungen aus Art. 10 EGV haben die mitgliedstaatlichen Gerichte die nationalen Verfahrensvorschriften so auszulegen und anzuwenden, „dass natürliche und juristische Personen die Rechtmäßigkeit jeder nationalen Entscheidung oder anderen Maßnahme, mit der eine Gemeinschaftshandlung allgemeiner Geltung auf sie angewandt wird, gerichtlich anfechten und sich dabei auf die Ungültigkeit dieser Handlung berufen können.“ Rs. C-50/00 P (UPA), Slg. 2002, I-6677, Rn. 42; vgl. zu den Anforderungen an die mitgliedstaatliche Rechtsschutzgewährleistung Nettesheim, JZ 2002, S. 928 (933). 197 Rs. C-50/00 P (UPA), Slg. 2002, I-6677, Rn. 45. Darin könnte man einen Hinweis auf den zur damaligen Zeit tagenden Verfassungskonvent vermuten; so auch Mayer, Individualrechtsschutz im Europäischen Verfassungsrecht, DVBl. 2004, 193

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Teil 3: Ergebnisse

Die Rechtsprechung des Gerichtshofs verdient Zustimmung, mit seinem Urteil in der Rechtssache UPA zeigt er „vollkommene Kontinuität und Konstanz“.198 Er kann sich nicht über den Wortlaut der auszulegenden Bestimmung hinwegsetzen und unabhängig von einer unmittelbaren und individuellen Betroffenheit einen allgemeinen Rechtsschutz gegen Rechtsnormen begründen.199 Die Änderungen, die vom EuGeI und von Generalanwalt Jacobs vorgeschlagen wurden, stoßen angesichts des Wortlauts des Art. 230 Abs. 4 EGV an die Grenzen dessen, was im Rahmen der Auslegungstätigkeit zulässig ist.200 Sie bedeuteten im Endeffekt einen Wegfall des Erfordernisses der individuellen Betroffenheit.201 Auch die Kommission war im Rechtsmittelverfahren in der Rechtssache Jégo-Quéré202 der Ansicht, dass die vom EuGeI vorgenommene Auslegung so weit sei, dass sie die Voraussetzung der individuellen Betroffenheit im Sinne von Art. 230 Abs. 4 EGV praktisch aufhebe. Teile der Literatur sind der Ansicht, dass der enge Wortlaut kein überzeugendes Argument sei. Auch in anderen Fällen habe ein solcher für den Gerichtshof keine „ernsthafte Grenze richterlicher Rechtsfortbildung“203 dargestellt. Abgesehen davon, dass diese Kritik ziemlich pauschal formuliert S. 606 (609); Haltern, Europarecht, S. 252. Zu den Ergebnissen des Verfassungskonvents s. sogleich. 198 So Götz, DVBl. 2002, S. 1350. Zustimmend auch Ehricke in: Streinz, Art. 230 EGV, Rn. 60; Nettesheim, JZ 2002, S. 928, (932); Streinz, Europarecht, Rn. 608; a. A. Schohe/Arhold, EWS 2002, S. 320; Lübbig, Anmerkung zur Rs. T-177/01 (Jégo-Quéré), Slg. 2002, II-2365, EuZW 2002, S. 415 f.; Calliess, NJW 2002, S. 3577 (3579). 199 Zustimmend auch Schwarze, DVBl. 2002, S. 1297 (1310). 200 So auch Ehricke in: Streinz, Art. 230 EGV, Rn. 60; Köngeter, Erweiterte Klageberechtigung bei Individualnichtigkeitsklagen gegen EG-Verordnungen?, NJW 2002, S. 2216 (2217) spricht im Hinblick auf das Urteil des EuG von contra legem Auslegung; a. A. z. B. Calliess, NJW 2002, S. 3577 (3580 f.); Haltern, Europarecht, S. 247; Mayer, DVBl. 2004, S. 606 (609); Schohe/Arhold, EWS 2002, S. 320 (323) die davon ausgehen, dass das EuG in Jégo-Quéré „im Rahmen zulässiger Auslegung des EG-Vertrags“ bleibt; differenzierend Nettesheim, JZ 2002, S. 928 (932), der davon ausgeht, dass eine ausweitende Auslegung von Abs. 4 zulässig, aber nicht unbedingt rechtlich geboten ist und der Lösung des EuGH im Grundsatz den Vorzug gibt. Vgl. den Formulierungsvorschlag für eine Neufassung der Bestimmung bei Schwarze, DVBl. 2002, S. 1297 (1310). s. auch Braun/Kettner, DÖV 2003, S. 58 (66), die vorschlagen, die weniger restriktive Formulierung des Art. 33 Abs. 2 EGKS-Vertrag als Vorbild zu nehmen. 201 Vgl. Götz, DVBl. 2002, S. 1350, unter Verweis auf Rn. 44 des Urteils; Nettesheim, JZ 2002, S. 928 (932). 202 Rs. C-263/02 P (Jégo-Quéré), Slg. 2004, I-3425. Der EuGH bestätigte in diesem Verfahren die von ihm eingeschlagene Richtung. Das EuG kehrte mit der Rs. T-231/02 (Gonelli), Slg. 2004, II-1051 einen Tag nach dem Berufungsurteil in der Rs. Jégo-Quéré zum klassischen restriktiven Ansatz zurück.

B. Keine einseitige Handhabung des effet utile durch den EuGH

311

ist, kann im vorliegenden Fall eine genaue Benennung der zulässigen „Angriffsgegenstände“ nicht durch eine weite Auslegung der Klagebefugnis „übergangen“ werden.204 Der Wortlaut sieht nur die Einbeziehung von Verordnungen vor, bei denen es sich im Kern um Entscheidungen handelt. Zu Recht weist der EuGH überdies darauf hin, dass sich das System der Rechtmäßigkeitskontrolle beim Individualrechtsschutz seit den Anfängen der Gemeinschaft nicht verändert habe, weshalb sich auch das Resultat seiner Rechtsprechung nicht ändern könne.205 Trotz der teilweise scharfen Kritik in der Literatur206 ist es zu begrüßen, dass sich der EuGH nicht dazu verleiten ließ, seinen Ansatz zugunsten einer größeren Effektivität des Individualrechtsschutzes gegen Rechtsnormen aufzugeben.207 Er geht davon aus, dass primär die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaftsorgane die Hüter des Gemeinschaftsrechts sind, weshalb sie jedes Handeln der Gemeinschaft auf seine Vertragskonformität überprüfen lassen können. Der Einzelne soll hingegen nur gegen Entscheidungen klagen können, die ihn unmittelbar und individuell berühren. Normative Rechtsakte sollen nämlich wegen ihrer allgemeinen Geltung nicht von einer großen Zahl von privaten Klägern angegriffen werden.208 Der Einzelne wird nach Ansicht des EuGH gemäß dem EGV nur gegen die Anwendung rechtswidriger Rechtssetzungsakte oder gegen einen durch sie herbeigeführten Schaden geschützt, nicht aber bereits gegen deren Erlass.209 Mit dieser Haltung will der Gerichtshof dem Einzelnen den Rechtsschutz nicht grundsätzlich verwehren, dieser soll sich aber sowohl auf nationaler als auch auf gemeinschaftlicher Ebene verwirklichen, die Aufgabe der Rechtsschutzgewährleistung mithin in „loyaler Kooperation“210 erfolgen. Die Effektivität des Rechtsschutzes muss folgerichtig auch im Hinblick auf das Gesamtsystem bewertet werden. Die vom EuGH vertretene Position steht somit im Einklang mit der „Kontrollsystematik“211 von Art. 230 Abs. 4 EGV und Art. 234 EGV.212 203 Haltern, Europarecht, S. 247; kritisch auch Calliess, NJW 2002, S. 3577 (3581). 204 Schwarze, DVBl. 2002, S. 1297 (1302); Köngeter, NJW 2002, S. 2216 (2217). 205 Zustimmend auch Götz, DVBl. 2002, S. 1350. 206 Vgl. die Nachweise bei Nettesheim, JZ 2002, S. 928, Fn. 6, Fn. 12. 207 So auch Schwarze, DVBl. 2002, S. 1297 (1302). Explizit unter Berufung auf die effet-utile Auslegung fordert das hingegen Calliess, NJW 2002, S. 3577 (3581). 208 Schwarze, DVBl. 2002, S. 1297 (1308); Ehricke in: Streinz, Art. 230 EGV, Rn. 60. 209 Schwarze, DVBl. 2002, S. 1297 (1309). 210 Nettesheim, JZ 2002, S. 928 (929, 932). 211 Ehricke in: Streinz, Art. 230 EGV, Rn. 60.

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Teil 3: Ergebnisse

Die nationalen Gerichte haben die Pflicht, das sekundäre Gemeinschaftsrecht auf seine Vereinbarkeit mit dem höherrangigen Recht zu überprüfen, wenn es für ihre Entscheidung auf dessen Gültigkeit ankommt. Das Verwerfungsmonopol für ungültige gemeinschaftsrechtliche Rechtsakte hat der EuGH, weshalb die Gültigkeitskontrolle mit dem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EGV gekoppelt ist.213 Um effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist eine Erweiterung der Klagebefugnis somit nicht nötig. Dieser kann auch anhand des bestehenden Systems abgestuften Rechtsschutzes sichergestellt werden.214 Über die tatsächlichen Gründe, warum der EuGH nach wie vor an der beschriebenen restriktiven Linie festhält, wird in der Literatur spekuliert.215 Restlos aufgeklärt werden können die Ursachen wohl nicht. Es ist davon auszugehen, dass die dargestellten Argumente zusammenwirken und in diesem Bereich die Wortlautgrenze für den Gerichtshof wirklich einer der entscheidenden Anhaltspunkte ist. Dass er nicht auf den effet utile zurückgreift, um eine erweiterte Klagebefugnis zu begründen, fügt sich in die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit ein und vermag den mitunter geäußerten Vorwurf einer einseitigen Verwendung des effet utile zu entkräften. Wie man der Diskussion zu diesem Problembereich entnehmen kann, stößt die Vorgehensweise des EuGH in der Literatur teilweise sowohl dann auf Kritik, wenn er sich des effet utile-Arguments bedient, als auch, wenn er von dessen Verwendung absieht. Mayer sieht in der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 230 Abs. 4 ebenfalls einen Beleg dafür, dass „das Bild des EuGH als eines aktivistischen Gerichtes, das nur auf interpretatorische Ausweitung europäischer Zuständigkeiten ausgerichtet ist, die europäische Realität nicht trifft.“216 Zum Schluss soll noch ein Blick auf den Individualrechtsschutz geworfen werden, so wie ihn der Konvent in seinem Entwurf für den Verfassungsvertrag (VVE) vorgesehen hat. Der Verfassungskonvent hat sich angesichts der umstrittenen Rechtsprechung des EuGH ausführlich und kontrovers mit dem Problem auseinandergesetzt.217 Der im VVE vorgesehene Individualrechtsschutz beruht letztendlich aber im Wesentlichen auf dem 212

Ehricke in: Streinz, Art. 230 EGV, Rn. 60. Vgl. auch Götz, DVBl. 2002, S. 1350; Nettesheim, JZ 2002, S. 928 (933 f.). Haltern, Europarecht, S. 250, vergleicht die Plaumann-Formel mit einem Trichter, der die Klageerhebung gemäß Art. 230 Abs. 4 EGV zu Art. 234 Abs. 1 b) umleitet. 214 Köngeter, NJW 2002, S. 2216 (2218). 215 Vgl. z. B. die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten bei Haltern, Europarecht, S. 247 ff. Dieser sieht in einer kulturtheoretischen Überlegung zur Rolle der Verfassungsgerichte den Grund für die Vorgehensweise des EuGH, vgl. S. 252 f. 216 Mayer, DVBl. 2004, S. 606 (609). 213

B. Keine einseitige Handhabung des effet utile durch den EuGH

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geltenden System.218 Bezüglich des Merkmals der individuellen Betroffenheit einigte man sich im Konvent auf folgende Formulierung (Art. III-365 Abs. 4): „Jede natürliche oder juristische Person kann unter den gleichen Voraussetzungen gegen die an sie ergangenen oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben.“219

Diese Textpassage wurde nahezu unverändert220 in den Vertrag von Lissabon221 übernommen, der am 13. Dezember 2007 von den Staats- und Regierungschefs unterzeichnet wurde und sich nun in der Ratifizierungsphase befindet. Maßgeblich bleiben also die Plaumann-Formel und damit die enge Auslegung des Gerichtshofs222. Es erstaunt, dass die Chance, eine erweiterte Klagebefugnis vorzusehen, nicht genutzt wurde, zumal der EuGH angesichts seiner restriktiven Linie oft harter Kritik ausgesetzt ist.223 Außerdem konnte man den expliziten Verweis des Gerichtshofs auf das Vertragsänderungsverfahren in dem UPA-Urteil durchaus als Anregung an den Konvent verstehen, der zum Zeitpunkt der Verkündung des Urteils bereits tagte. Sein Mandat bestand zwar nicht in einer allgemeinen Reform des Europarechts,224 sondern umfasste spezifische Aufgaben, wie beispiels217 Cremer, Der Rechtsschutz des Einzelnen gegen Sekundärrechtsakte der Union gem. Art. III-270 Abs. 4 Konventsentwurf des Vertrages über eine Verfassung für Europa, EuGRZ 2004, 577 (578). 218 Mayer, DVBl. 2004, S. 606 (614); vgl. dazu ausführlich Fredriksen, Individualklagemöglichkeiten vor den Gerichten der EU nach dem Vertrag über eine Verfassung für Europa, ZEuS 2005, S. 99 ff., 101 m. w. N., zum Klagegegenstand, S. 110, 113. 219 Der Konventsentwurf unterscheidet folgenden Rechtsakttypen: Europäisches Gesetz, Europäisches Rahmengesetz, Europäische Verordnung, Europäischer Beschluss, Empfehlung und Stellungnahme. 220 Die Passage „unter den gleichen Voraussetzungen“ wurde durch „unter den Bedingungen nach den Absätzen 1 und 2“ ersetzt, „an sie ergangene“ durch „an sie gerichtete“ Handlungen. 221 ABl 2007, C 306. 222 Cremer, EuGRZ 2004, S. 577 (578 f., 583); Fredriksen, ZEuS 2005, S. 99 (117); ähnlich auch Mayer, DVBl. 2004, S. 606 (610), der aber davon ausgeht, dass Raum besteht, das Kriterium „unmittelbar und individuell“ inhaltlich neu zu bestimmen. Vgl. zur Klagebefugnis gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter ausführlich Cremer, EuGRZ 2004, 577 (579 f.). 223 Vgl. z. B. Calliess, NJW 2002, S. 3577 (3580), der von einem „bemerkenswerten Tunnelblick“ spricht, mit dem der EuGH das Urteil des EuG und die gründlich ausgearbeiteten und wohl abgewogenen Schlussanträge von GA Jacobs ignoriert. 224 So auch Mayer, DVBl. 2004, S. 606.

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Teil 3: Ergebnisse

weise eine bessere Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten. Trotzdem wäre im Rahmen dessen wohl auch eine weitergehende Formulierung der Klagebefugnis natürlicher und juristischer Personen möglich gewesen.

IV. Hängt die effet utile-Rechtsprechung vom Entwicklungsstadium der Gemeinschaft ab? 1. Die zeitliche Streuung der effet utile-Urteile In Zusammenhang mit den dargestellten Beispielen, bei denen der EuGH auf einen Einsatz des effet utile-Arguments verzichtet hat, ist abschließend der Frage nachzugehen, ob der Gerichtshof bei seiner Entscheidung für oder gegen den effet utile vom Entwicklungsstadium beeinflusst wird, in dem sich die Gemeinschaft bei Erlass des Urteils befindet. Grundsätzlich ist es sicher zutreffend, dass man in der Rechtsprechung des EuGH gewisse Phasen feststellen kann und die Entwicklung teilweise wellenförmig verläuft. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Anfangsjahren der Gemeinschaft ist durch spektakuläre Urteile gekennzeichnet, in denen er die Prinzipien entwickelt hat, mit denen er die Gemeinschaft von ihren völkerrechtlichen Wurzeln gelöst und als eine eigenständige Rechtsgemeinschaft ausgebaut hat.225 Mitte der 60er bis Mitte der 80er Jahre hat der EuGH die wichtigsten Elemente des Gemeinschaftsrechtssystem, wie den Vorrang und die unmittelbare Anwendbarkeit entwickelt, die wesentlich zur Herausbildung einer Verfassungsstruktur der Gemeinschaft beigetragen haben.226 Diese Phase war durch eine schwache Aktivität des Gemeinschaftsgesetzgebers bedingt, die von dem Luxemburger Kompromiss und der damit einhergehenden Möglichkeit eines jederzeitigen nationalen Vetos gekennzeichnet war. Die Untätigkeit des Gesetzgebers und die Tätigkeit des EuGH können also in einen Zusammenhang gestellt werden.227 Zutreffend könnte auch die Einschätzung sein, dass die Urteile in den Rechtssachen ERASMUS 228 und Francovich in die „Binnenmarkt-Euphorie“229 nach der Verabschiedung der EEA fielen.230 Verschiedene Autoren 225 Vgl. z. B. Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 107 ff., 130; Haltern, Europarecht, S. 14 f. 226 Vgl. z. B. H. Ipsen, Die Verfassungsrolle des Europäischen Gerichtshofs für die Integration, in: Schwarze (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtschutzinstanz, S. 29 (52 f.); Everling, 50 Jahre Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, DVBl. 2002, S. 1293 (1295); Stotz, Die Rolle des Gerichtshofs bei der Integration, in: Rengeling/von Borries (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 21 (22 f.). 227 Haltern, Europarecht, S. 6.

B. Keine einseitige Handhabung des effet utile durch den EuGH

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sind außerdem der Ansicht, dass das Ergebnis des Urteils in der Rechtssache Faccini Dori durch die schwierige Phase bedingt sei, in der sich die Gemeinschaft im Zuge der Ratifizierung des Vertrages von Maastricht befand.231 Der EuGH judiziert nicht unabhängig von äußeren Faktoren, wie z. B. dem Verhalten der Mitgliedstaaten oder der Marktbürger bei der Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Normen. Dieses hat ihn in verschiedenen Fällen dazu veranlasst, seine Rechtsprechung in eine bestimmte Richtung zu lenken oder auch zu korrigieren. So ist, wie in dem Kapitel zur Staatshaftung ausführlich dargestellt wurde, die Entwicklung der gemeinschaftlichen Staatshaftung als eine Reaktion des Gerichtshofs auf das gemeinschaftsrechtswidrige Verhalten der Mitgliedsstaaten zu verstehen, durch welches die Bürger daran gehindert wurden, ihre Rechte aus dem Gemeinschaftsrecht tatsächlich in Anspruch zu nehmen. In der Rechtssache Keck und Mithouard,232 mit der der EuGH eine tatbestandliche Einschränkung von Art. 28 EGV vornahm, begründete er dies ausdrücklich mit dem Verhalten der Wirtschaftsteilnehmer, durch das er sich veranlasst sah, „seine Rechtsprechung auf diesem Gebiet zu überprüfen und klarzustellen.“233 Der Gerichtshof nimmt auch Reaktionen aus der Politik, der Wissenschaft oder den betroffenen Kreisen durchaus wahr und bedenkt sie in seiner Entscheidungspraxis.234 Dass der EuGH seine Rechtsprechung nicht vollkommen losgelöst von äußeren Faktoren entwickelt, ist umso bedeutender in einem System, das in großen Teilen auf der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den mitgliedstaatlichen Gerichten beruht. Der EuGH ist auf deren Vorlagefragen angewiesen, um seine Rechtsprechung entwickeln zu können. Aus diesen Fragen kann er aber auch entnehmen, wie seine Rechtsprechung von den nationalen Gerichten angewendet wird und gegebenenfalls darauf reagieren, sollten sich Schwierigkeiten ergeben. Recht ist in diesem Zusammenhang als Kommunikationsprozess zu begreifen.235 Die Rechtsprechung findet so228 Rs. 242/87 (Kommission/Rat, „ERASMUS“), Slg. 1989, S. 1425. Mit diesem Urteil legte der EuGH den Grundstein für eine eigenständige Bildungspolitik der Gemeinschaft, vgl. dazu noch Teil 3 Kapitel D. III. 229 Everling, Richterliche Rechtsfortbildung in der Europäischen Gemeinschaft, JZ 2000, S. 217 (224). 230 Everling, JZ 2000, S. 217 (224). 231 So z. B. Calliess, NJW 2005, S. 929 (931); Everling, JZ 2000, S. 217 (224). 232 Verb. Rs. C-267 und 268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6097. 233 Verb. Rs. C-267 und 268/91 (Keck und Mithouard), Slg. 1993, I-6097, Rn. 14. 234 Darauf weist auch Hirsch, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei der europäischen Integration, JÖR 49 (2001), S. 79 (87) hin. 235 Vgl. dazu auch Snyder, The Modern Law Review, 1993, S. 19 (50).

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mit nicht im luftleeren Raum statt, sondern hat Auswirkungen auf das soziale, ökonomische und politische Umfeld,236 wird andererseits aber auch von diesen Faktoren beeinflusst. Dadurch entsteht eine Wechselbezüglichkeit. Deshalb ist es zutreffend, dass die Rechtsprechung des EuGH im jeweiligen Kontext betrachtet werden sollte, weil der Kontext auf die Arbeit an der Dogmatik zurückwirkt.237 An dieser Stelle scheint es sinnvoll zu untersuchen, wie sich die Rechtsprechung des EuGH zum effet utile seit der Entstehung der Gemeinschaften entwickelt hat. Lassen sich Wellenbewegungen feststellen oder kann eine konstante Verwendung durch den Gerichtshof verzeichnet werden? Das Diagramm auf der nächsten Seite zeigt die zeitliche Streuung der analysierten Urteile. Die Grafik zeigt, dass der EuGH nach zögerlichem Beginn in den 60er Jahren (1963, 1964 und 1969 jeweils ein Urteil) zwischen 1970 und 1980 vermehrt auf den effet utile zurückgriff. Diese Steigerung setzte sich auch in den Folgejahren weiter fort, bis sie im Jahre 1991 mit 18 Urteilen eine vorläufige Spitze erreichte. Zwischen 1992 und 1994 ging die Anzahl der Entscheidungen leicht zurück, im Jahre 1995 erreichte sie wieder denselben Stand wie 1991. Der Zeitraum von 1997 bis 2005 ist von größeren Schwankungen in der Anzahl der effet utile-Urteile gekennzeichnet. So folgten auf 34 Urteile im Jahre 1997 18 Entscheidungen im Jahre 1999 und dann wiederum 31 im Jahre 2000. Seitdem liegt die Anzahl konstant bei über 20 Urteilen pro Jahr, das Jahr 2005 ist mit 37 Urteilen der absolute Spitzenreiter. Der Darstellung lässt sich entnehmen, dass es über den gesamten Zeitraum gesehen ein ständiges Auf und Ab in der Anzahl der effet utile-Urteile gibt. Eine etwas konstantere Entwicklung lässt sich zwischen 1977 und 1979, 1984 und 1987, 1992 und 1996 sowie 2001 und 2004 feststellen. Dass die Anzahl der jährlichen Urteile, in denen sich der Gerichtshof auf den effet utile stützt, mit längerer Lebensdauer der Gemeinschaft zugenommen hat, ist natürlich auch dadurch bedingt, dass der EuGH von Jahr zu Jahr insgesamt mehr Rechtssachen entscheidet. Es soll nicht verkannt werden, dass die Anzahl der Urteile keine Auskunft über das Entscheidungsergebnis beinhaltet, der zeitlichen Streuung der Entscheidungen können aber trotzdem interessante und aufschlussreiche Erkenntnisse entnommen werden. Der EuGH verwendet nämlich in den Urteilen, in denen er stärkere Zurückhaltung gegenüber den mitgliedstaatlichen Kompetenzen übt, in der 236

Hirsch, JÖR 49 (2001), S. 79 (87); Snyder, The Modern Law Review, 1993, S. 19 (53). Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 204 subsumieren diese Faktoren unter den Begriff „Wirklichkeit“. 237 Haltern, Europarecht, S. 5, 8.

Anzahl Urteile

0 1963

5

10

15

20

25

30

35

40

1968

1973 Jahr

1983

1988

Verteilung der effet utile-Urteile

1978

1993

1998

2003

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Teil 3: Ergebnisse

Regel keines der Signalwörter, die auf den Wirksamkeitsgedanken hinweisen.238 Anhand der Grafik soll nun überprüft werden, ob die großen Vertragsrevisionen einen Einfluss auf die effet utile-Rechtsprechung ausgeübt haben. Zunächst ist hierfür die EEA zu betrachten, die Ende Februar 1986 unterzeichnet wurde und am 1.7.1987 in Kraft trat. Feststellen lässt sich, dass in dem Jahr, das auf ihr Inkrafttreten folgte (1988) sehr viele auf den effet utile gestützte Urteile verkündet wurden. In den Jahren 1989 und 1990 ging die Anzahl jedoch wieder zurück. Möchte man tatsächlich eine Wechselwirkung mit der EEA annehmen, so wäre diese auf jeden Fall nur von sehr kurzer Dauer gewesen. Die Annahme, der EuGH sei in seiner effet utile-Rechtsprechung durch die schwierige Phase der Ratifizierung des Vertrages von Maastricht gebremst gewesen, kann nicht bestätigt werden. Der Vertrag von Maastricht wurde am 7.2.1992 unterzeichnet und trat am 1.11.1993 in Kraft. In der Grafik kann für diesen Zeitraum kein signifikanter Unterschied in der Anzahl der effet utile-Urteile festgestellt werden. 1991 waren es 18, 1992 und 1993 15 und 1994 16 Entscheidungen. Die nächste größere Vertragsrevision erfolgte durch den Vertrag von Amsterdam, der am 2.10.1997 unterzeichnet wurde und am 1.5.1999 in Kraft trat. Wie bereits erwähnt, wurden im Jahre 1997 sehr viele effet utileUrteile verkündet. Bis 1999 sank die Zahl von 34 auf 19, im Jahre 2000 stieg sie wieder auf 32 an. Vermutlich ist diese Schwankung also nicht durch die Ratifizierungsphase des Amsterdamer Vertrages bedingt, da dieser bereits im Mai 1999 in Kraft trat, eine Tatsache, die somit schon einige Zeit früher feststand. Für eine starke Zurückhaltung im Jahre 1999 hätte so gesehen keine besondere Veranlassung bestanden. Beeinflusst haben könnte die effet utile-Rechtsprechung die Ratifizierung des Vertrages von Nizza. Dieser wurde am 26.2.2001 unterzeichnet und trat nach der Abhaltung eines zweiten Referendums in Irland am 1.2.2003 in Kraft. Das Jahr 2002 war ein Jahr mit verhältnismäßig wenigen effet utileUrteilen, diese Tatsache könnte also durchaus mit den Schwierigkeiten bei der Ratifizierung des Vertrages zusammenhängen. Aufgrund dieser Beobachtungen kann man festhalten, dass sich der Gerichtshof grundsätzlich von bloßen Stimmungen in den Mitgliedstaaten, wie der erwähnten Binnenmarkt-Euphorie, nicht beeinflussen lässt.239 Dies wäre auch sehr bedenklich, schließlich ist er ein Gericht, welches das geltende Gemeinschaftsrecht objektiv auszulegen hat. Dass der effet utile auch in der 238 Diese findet man in den betreffenden Rechtssachen eher in den Parteivorträgen oder den Schlussanträgen der Generalanwälte.

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neuesten Rechtsprechung des EuGH einen festen Platz hat und sich der Gerichtshof nicht wesentlich von der europakritischen Stimmung beeindrucken lässt, die in verschiedenen Mitgliedstaaten in Zusammenhang mit der Ratifizierung der Europäischen Verfassung zu spüren war, sei anhand zweier aktueller Urteile gezeigt. Es handelt sich dabei um die Rechtssache Pupino240 und die Rechtssache Kommission gegen Rat 241 zum Umweltstrafrecht.242 2. Aktuelle Beispiele aus der Rechtsprechung a) Die Rechtssache Pupino In der Rechtssache Pupino243 hat der Gerichtshof eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung244 entwickelt. Brisanz erhält diese Entscheidung dadurch, dass ihr Gegenstand ein Beschluss im Rahmen der Dritten Säule ist. Das Ergebnis, zu dem der EuGH gelangt, konnte nicht ohne weiteres vorhergesehen werden, und wurde deshalb auch als „Paukenschlag“ bezeichnet.245 Was die Wirkungen der Rechtsakte anbelangt, bestehen nämlich zwischen erster Säule auf der einen und zweiter und dritter Säule auf der anderen Seite doch erhebliche Abweichungen;246 bei bestehender Rechtslage dürfen die Unterschiede zwischen supranationa239

Das andeutend auch Everling, Der Gerichtshof als Entscheidungsinstanz, in: Schwarze (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtsschutzinstanz, S. 137 (158). 240 C-105/03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285. 241 C-176/03 (Kommission/Rat), Slg. 2005, I-7879. 242 Eine bewusst zurückhaltende Entscheidung wäre aus praktischen Gründen allerdings nur in der Rechtssache Kommission gegen Rat möglich gewesen, da das Pupino-Urteil bereits im Juni 2005 verkündet wurde. Zum Zeitpunkt der ablehnenden Referenden stand es in seinem Wortlaut somit bereits fest und befand sich in der Übersetzungsabteilung des EuGH. Zu dem Zeitraum, der in der Regel zwischen dem Feststehen des Urteilstexts in französischer Sprache und der Verkündung des Urteils liegt; vgl. Seyr, Der verfahrensrechtliche Ablauf vor dem EuGH am Beispiel Rechtssache „Prosciutto di Parma“, JuS 2005, S. 315 (319). Normalerweise sind das vier bis sechs Wochen. Die tendenziell ablehnende Haltung gegenüber der Europäischen Verfassung war freilich schon vor den ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden spürbar. 243 C-105/03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285. 244 Ausdruck nach GA Kokott, Schlussanträge vom 11. November 2004 in der Rs. Pupino (Slg. 2005, I-5285). 245 So Adam, Die Wirkung von EU-Rahmenbeschlüssen im mitgliedstaatlichen Recht, EuZW 2005, S. 558 (560). 246 Vgl. zur Säulenstruktur und dem unterschiedlichen Charakter der verschiedenen Säulen z. B. Pechstein in: Streinz, Art. 1 EUV, Rn. 21 f.

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lem Gemeinschaftsrecht und intergouvernementalem Unionsrecht nicht verwischt werden.247 Die Rechtssache Pupino248 ist die erste, in der der EuGH aufgerufen war, einen Rahmenbeschluss nach Art. 34 EUV auszulegen. Rahmenbeschlüsse bilden eine der möglichen Handlungsformen im Rahmen der Polizeilichen und Justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen (im Folgenden PJZS). Art. 34 Abs. 2 b) EUV sieht vor, dass Rahmenbeschlüsse für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind, den innerstaatlichen Stellen jedoch die Wahl der Form und der Mittel überlassen. Außerdem hält die genannte Bestimmung ausdrücklich fest, dass Rahmenbeschlüsse nicht unmittelbar wirksam sind.249 Die Formulierung erinnert abgesehen von der Präzisierung bezüglich der unmittelbaren Wirksamkeit an die Formulierung des Art. 249 Abs. 3 EGV über die Richtlinie.250 Die Rechtsnatur von Rahmenbeschlüssen, die erst mit dem Amsterdamer Vertrag eingeführt wurden, ist in der Literatur umstritten.251 Einigkeit besteht allerdings darüber, dass Rahmenbeschlüsse bei der Auslegung nationalen Rechts im Rahmen der völkerrechtskonformen Auslegung zu berücksichtigen sind.252 Davon zu unterscheiden ist jedoch eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung, die der EuGH statuiert hat.253 247 Vgl. Pechstein in: Streinz, Art. 1 EUV, Rn. 25. Der Vertrag über eine Verfassung für Europa (ABl. 2004, C 310) sieht eine Aufhebung der Säulenstruktur vor. Vgl. Streinz/Ohler/Herrmann, Die neue Verfassung für Europa, S. 19. 248 C-105/03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285. 249 Vgl. zu dem Meinungsspektrum in der Literatur bzgl. der Frage, welche Konsequenzen sich aus dem Ausschluss der unmittelbaren Wirkung ergeben: Wasmeier in: von der Groeben/Schwarze, Art. 34 EU, Rn. 10. 250 Diese Nähe wurde auch in der Literatur schon vor diesem Urteil des EuGH gesehen und ausdrücklich betont. So z. B. Wasmeier in: von der Groeben/Schwarze, Art. 34 EU, Rn. 6, 8; Röben in: Grabitz/Hilf, Art. 34 EUV, Rn. 13 f.; Suhr in: Calliess/Ruffert, Art. 34 EUV, Rn. 13; Satzger in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9, der davon spricht, dass der Rahmenbeschluss „ganz offensichtlich“ „parallel“ zur Richtlinie im Gemeinschaftsrecht konstruiert ist; Zimmerling in: Lenz/Borchardt, 3. Auflage, Art. 34 EUV, Rn. 7; Hillgruber, JZ 2005, S. 841 (842) betont, dass gerade in der fehlenden unmittelbaren Wirkung der Schlüssel für die richtige Interpretation der Reichweite der Rahmenbeschlüsse läge, der EuGH auf dieses Argument aber mit keinem Wort eingeht. 251 Vgl. Wasmeier in: von der Groeben/Schwarze, Art. 34 EU, Rn. 10 f.; Röben in: Grabitz/Hilf, Art. 34 EUV, Rn. 13; Adam, EuZW 2005, S. 558 (559 f. m. w. N.); Herrmann, EuZW 2005, S. 436 (437 m. w. N.). 252 Herrmann, EuZW 2005, S. 436 (437); Adam, EuZW 2005, S. 558 (560); Röben in: Grabitz/Hilf, Art. 34 EUV, Rn. 15; Wasmeier in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 34 EU, Rn. 12 m. w. N.; Satzger in: Streinz, Art. 34 EUV, Rn. 9; vgl. auch die Schlussanträge in der Rs. Pupino, (Slg. 2005, I-5285, Rn. 37). 253 Herrmann, EuZW 2005, S. 436 (437).

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Der Gerichtshof begründet diese Pflicht über die Nähe der Formulierung in Art. 34 Abs. 2 b) EUV zu der in Art. 249 Abs. 3 EGV.254 Die Tatsache, dass die Kompetenzen des EuGH im Rahmen des EUV weniger weit reichen als im Rahmen des EGV und dass es kein vollständiges Rechtsschutzsystem gibt, steht nach Ansicht des Gerichtshofs dieser Schlussfolgerung nicht entgegen.255 Er stellt sodann Folgendes fest: „Unabhängig von dem durch den Vertrag von Amsterdam angestrebten Integrationsgrad bei der Verwirklichung einer immer engeren Union zwischen den Völkern Europas im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 EU ist es nämlich völlig verständlich, dass die Verfasser des Vertrages über die Europäische Union es für angebracht hielten, im Rahmen von Titel VI dieses Vertrages den Rückgriff auf Rechtsinstrumente mit analogen Wirkungen wie im EG-Vertrag vorzusehen, um einen wirksamen Beitrag zur Verfolgung der Ziele der Union zu leisten.[. . .] Diese Zuständigkeit [des Gerichtshofs für Vorabentscheidungen nach Art. 35 EUV256] würde ihrer praktischen Wirksamkeit 257 im Wesentlichen beraubt, wenn die Einzelnen nicht berechtigt wären, sich auf Rahmenbeschlüsse zu berufen, um vor den Gerichten der Mitgliedstaaten eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts zu erreichen.“258

Das Ergebnis und die Begründung des EuGH verdienen Zustimmung.259 Die Tatsache, dass Art. 34 EUV gerade die unmittelbare Wirkung für Rahmenbeschlüsse ausschließt, ist kein Hindernis, um eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung zu statuieren, da sie die unmittelbare Wirkung eben gerade nicht voraussetzt.260 Das gilt auch im Rahmen des Ge254 Rs. C-105/03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 34; vgl. auch Schlussanträge in der Rs. Pupino (Slg. 2005, I-5285, Rn. 34); Adam, EuZW 2005, S. 558 (560) findet die Feststellung dieser Parallele bemerkenswert. 255 C-105/03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 35. 256 Anmerkung der Verfasserin. 257 Hervorhebung durch die Verfasserin. 258 C-105/03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 36, 38. 259 So auch Herrmann, EuZW 2005, S. 436 (437, 438); Adam, EuZW 2005, S. 558 (561); im Ergebnis wohl auch Fetzer/Groß, Die Pupino-Entscheidung des EuGH – Abkehr vom intergouvernementalen Charakter der EU? – Erwiderung auf Herrmann, EuZW 2005, S. 550 (551); a. A. Hillgruber, JZ 2005, S. 841 (844), der der Ansicht ist, der EuGH habe hier „Europapolitik“ betrieben, dieses Urteil stelle einen „ausbrechenden Rechtsakt“ im Sinne des Maastricht-Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 89, 155, 188) dar und der EuGH betreibe „Kompetenzusurpation“. Den ersten Vorwurf kann man u. U. gelten lassen, der zweite ist nicht gerechtfertigt und greift eindeutig zu weit. 260 So auch Röben in: Grabitz/Hilf, Art. 34 EUV, Rn. 15; Egger, Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte in der III. Säule, EuZW 2005, S. 652 (653); a. A. und nicht überzeugend Hillgruber, JZ 2005, S. 841 (842), der davon ausgeht, dass die Mitgliedstaaten durch den Ausschluss der unmittelbaren Wirkung von Rahmenbeschlüssen „auch eine unionsrechtliche Verpflichtung zu einer vorrangigen rahmenbeschlusskonformen Auslegung vermeiden wollten“.

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meinschaftsrechts für die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung. Der Gerichtshof spricht somit den Rahmenbeschlüssen im Gegensatz zu der im Völkerrecht üblichen abstrakt bleibenden Bindung der Mitgliedstaaten Durchgriffswirkung auf die innerstaatlichen Stellen zu.261 Sein Urteil zeigt, dass das Unionsrecht kein Völkerrecht im klassischen Sinne ist, sondern auch – zwar in geringerem Maße als das Gemeinschaftsrecht – in der Lage ist, in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einzugreifen.262 Dies ist konsequent, weil die Rahmenbeschlüsse nicht einer aus dem Völkerrecht bekannten Transformation bedürfen, sondern mit ihrer Annahme in den Mitgliedstaaten gelten, was über eine Anpassung der nationalen Rechtsund Verwaltungsvorschriften erfolgt.263 Somit sind sie auch bei der Auslegung des nationalen Rechts zu beachten.264 Die Grenzen der rahmenbeschlusskonformen Auslegung zieht der EuGH ebenfalls in Anlehnung an seine Rechtsprechung zur richtlinienkonformen Auslegung. Deshalb muss das mitgliedstaatliche Gericht das nationale Recht „so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck des Rahmenbeschlusses auslegen“.265 Wie im Bereich der richtlinienkonformen Auslegung ist auch bei der rahmenbeschlusskonformen Auslegung eine rechtsfortbildende Tätigkeit des nationalen Gerichts eingeschlossen, wenn es dazu nach den nationalen Regeln befugt ist. Eine Auslegung contra legem ist jedoch ausgeschlossen.266 Problematisch ist allerdings die Tatsache, dass der Gerichtshof von den mitgliedstaatlichen Gerichten bei der richtlinienkonformen Auslegung so intensive Anstrengungen verlangt, dass nicht ausgeschlossen ist, dass das Auslegungsergebnis sehr nahe an eine unmittelbare Wirkung herankommt. Wie in Kapitel B. II. bereits dargestellt wurde, spielt dieser Umstand vor allem bei der sog. horizontalen Direktwirkung von Richtlinien eine Rolle, die der EuGH überzeugenderweise verneint. Mit dem bereits analysierten Urteil in der Rechtssache Pfeiffer267 hat der Gerichtshof aber wie gezeigt eine weitere Annäherung zwischen richtlinienkonformer Aus261

Herrmann, EuZW 2005, S. 436 (437). Herrmann, EuZW 2005, S. 436 (438). 263 Zimmerling in: Lenz/Borchardt, 3. Auflage, Art. 34 EUV, Rn. 7. 264 Vgl. auch Herrmann, EuZW 2005, S. 436 (437). 265 C-105/03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 43. 266 Vgl. C-105/03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 47. Im konkreten Ausgangsrechtsstreit dürfte keine rahmenbeschlusskonforme Auslegung möglich sein. Der nationale Richter war nämlich der Ansicht, dass das anzuwendende italienische Recht keine Interpretationsspielräume biete und dass es den Rahmenbeschluss „verletze“. Vgl. dazu Adam, EuZW 2005, S. 558 (560); Fetzer/Groß, EuZW 2005, S. 550 (551); Hillgruber, JZ 2005, S. 841 (843 f.). 267 Vgl. diesbezüglich auch die Klarstellungen in der Rs. C-212/04 (Adeneler), Slg. 2006, I-6057. 262

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legung und horizontaler Direktwirkung vorgenommen. Wenn er seine Rechtsprechung zu den Wirkungen von Rahmenbeschlüssen an seine Rechtsprechung zur Wirkung von Richtlinien anlehnt, dann bedeutet das somit, dass auch die von ihm geforderte gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung von Rahmenbeschlüssen in die Nähe ihrer unmittelbaren Wirkung kommt. In der Literatur wird deshalb teilweise befürchtet, die vorliegende Entscheidung des EuGH könnte nur ein erster Schritt einer längeren Entwicklung sein, die bei der Anerkennung einer unmittelbaren Wirkung und des Vorrangs des EU-Vertrages und der auf seiner Rechtsgrundlage ergangenen Rechtsakte enden würde.268 Die Integrationsdichte, die grundsätzlich eines der primären Unterscheidungskriterien zwischen Unions- und Gemeinschaftsrecht darstellt, würde damit für die Wirkung der Rechtsinstrumente im Rahmen des Unionsrechts keine Relevanz mehr haben.269 Es ist zutreffend, dass eine solche Entwicklung angesichts der geltenden Rechtslage nicht vom Rechtsprechungsauftrag des EuGH gedeckt wäre und über die Kompetenzen, die der EU zustehen, hinausgehen würde. Der Gerichtshof bezieht sich zwar in seinem Urteil explizit auf die „neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“, nimmt seine Auslegung aber ausdrücklich „unabhängig“ davon vor.270 Damit stellt er klar, dass es für sein Ergebnis gerade nicht darauf ankommt, dass sich die Union in ihrem Charakter der Gemeinschaft annähert.271 Auf die Frage, ob tatsächlich die Gefahr besteht, dass der EuGH die Unterschiede zwischen Gemeinschafts- und Unionsrecht aufhebt, können nur weitere zukünftige Urteile eine Antwort geben. Aus der Pupino-Entscheidung herauszulesen, dass der Gerichtshof eine unmittelbare Wirkung von Rahmenbeschlüssen eingeführt habe, ginge auf jeden Fall zu weit. Überzeugenderweise ist in dem Urteil in der Rechtssache Pupino letztendlich keine Aufweichung des intergouvernementalen Charakters der EU zu sehen, sondern eine Folge aus dem Kohärenzgebot des Art. 3 EUV.272 Der EuGH beruft sich auch auf die Loyalitäts- und Treupflichten der Mitgliedstaaten. Die Union könnte seiner Ansicht nach ihre Aufgaben kaum erfüllen, wenn der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Rahmen der PJZS nicht gelten würde.273 268 Herrmann, EuZW 2005, S. 436 (438); Adam, EuZW 2005, S. 558 (560, 561); a. A. Fetzer/Groß, EuZW 2005, S. 550. 269 Adam, EuZW 2005, S. 558 (560). 270 Vgl. C-105/03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 36; dies hervorhebend auch Fetzer/Groß, EuZW 2005, S. 550; a. A. wohl Herrmann, EuZW 2005, S. 436 (438). 271 So zutreffend auch Fetzer/Groß, EuZW 2005, S. 550 (551). 272 So auch Fetzer/Groß, EuZW 2005, S. 550 (551); a. A. Herrmann, EuZW 2005, S. 436 (438). 273 Rs. C-105/03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 42. Vgl. dazu auch die Schlussanträge in der Rs. Pupino (Slg. 2005, I-5285, Rn. 26); Adam, EuZW 2005,

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Die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung begründet der EuGH auch mit der praktischen Wirksamkeit des Vorabentscheidungsverfahrens. Dieses Argument trifft in der Literatur in der Regel auf Zustimmung, auch wenn teilweise festgehalten wird, dass sich daraus nicht notwendigerweise eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ergeben müsse.274 Dieser Einwand überzeugt, die Wirksamkeit des Vorabentscheidungsverfahrens erfordert nicht zwingend die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung. Das effet utile-Argument spielt für die Begründung des Auslegungsergebnisses im Pupino-Urteil somit keine tragende Rolle. b) Die Rechtssache Kommission gegen Rat zum Umweltstrafrecht Als weiteres Beispiel aus der jüngsten Rechtsprechung des EuGH soll das Urteil in der Rechtssache Kommission gegen Rat 275 zum Umweltstrafrecht noch kurz dargestellt werden. Hintergrund dieser Rechtssache war eine Auseinandersetzung zwischen der EG-Kommission und dem Parlament auf der einen und dem Rat auf der anderen Seite über die Reichweite der Kompetenzen der Gemeinschaft. Kommission und Parlament waren der Ansicht, dass die Gemeinschaft ihre Kompetenzen zur Regelung einzelner Politikbereiche auch mit dem Erlass von Strafvorschriften verbinden könne. Die Mitgliedstaaten glaubten hingegen, dass die Gemeinschaft keine Kompetenz im strafrechtlichen Bereich habe. Der Rat erließ im Jahre 2003 den Rahmenbeschluss 2003/80/JI über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht,276 der Regelungen zur Vereinheitlichung des Umweltstrafrechts der Mitgliedstaaten enthält und als Reaktion auf die Besorgnis erregende Zunahme der Umweltkriminalität anzusehen ist.277 Kommission und Europäisches Parlament vertraten die Position, dass diese Maßnahmen als eine auf Art. 175 Abs. 1 EGV gestützte Richtlinie erlassen hätten werden müssen und nicht als Rahmenbeschluss nach Art. 34 EUV i. V. m. Art. 29 und 31 e) EUV. Deshalb erhob die Kommission Nichtigkeitsklage gegen den Rahmenbeschluss. Die Wahl der Rechtsgrundlage für die zu erlassende Maßnahme hat erhebliche Auswirkungen, weil sie die Möglichkeiten der Beteiligung der S. 558 (561); a. A. und kritisch zu diesem Argument Hillgruber, JZ 2005, S. 841 (843). 274 So z. B. Hillgruber, JZ 2005, S. 841 (842 f.). 275 Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Slg. 2005, I-7879. 276 Rahmenbeschluss 2003/80/JI des Rates vom 27. Januar 2003 über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht, ABl. 2003 L 29, S. 55, im Folgenden Rahmenbeschluss. 277 Vgl. die ersten drei Begründungserwägungen des Rahmenbeschlusses.

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Kommission und des Parlaments beeinflusst. Beim Erlass einer Richtlinie wäre die Initiative von der Kommission ausgegangen und die Maßnahme von Rat und Parlament mit Mehrheit beschlossen worden. Durch den Erlass als Rahmenbeschluss hatten die Mitgliedstaaten eine ungleich höhere Möglichkeit der Einflussnahme, das Parlament blieb vollkommen außen vor. Der EuGH folgte in seinem Urteil dem Vorbringen von Kommission und Parlament und erklärte den Rahmenbeschluss für nichtig, da die richtige Rechtsgrundlage zum Erlass der Maßnahme Art. 175 EGV gewesen wäre.278 Der Rahmenbeschluss verfolge gemäß seinen ersten drei Begründungserwägungen Umweltschutzziele, in Art. 2 enthalte er eine Aufzählung besonders schwerwiegender Handlungen zum Nachteil der Umwelt, die die Mitgliedstaaten strafrechtlich ahnden müssten.279 Der Gerichtshof hält weiter fest, dass „die Artikel 2 bis 7 dieses Beschlusses eine Teilharmonisierung der Strafrechtsvorschriften der Mitgliedstaaten [enthalten], insbesondere in Bezug auf die Tatbestandsmerkmale verschiedener Umweltstraftaten. Grundsätzlich fällt das Strafrecht ebenso wie das Strafprozessrecht auch nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft.“280 Nach Ansicht der Richter kann das „den Gemeinschaftsgesetzgeber jedoch nicht daran hindern, Maßnahmen in Bezug auf das Strafrecht der Mitgliedstaaten zu ergreifen, die seiner Meinung nach erforderlich sind, um die volle Wirksamkeit 281 der von ihm zum Schutz der Umwelt erlassenen Rechtsnormen zu gewährleisten, wenn die Anwendung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen durch die zuständigen nationalen Behörden eine zur Bekämpfung schwerer Beeinträchtigungen der Umwelt unerlässliche Maßnahme darstellt.“282 Der EuGH kommt deshalb zu dem Schluss, dass der Hauptzweck der Artikel 1 bis 7 des Rahmenbeschlusses im Schutz der Umwelt besteht und dass diese Vorschriften wirksam auf der Grundlage von Artikel 175 EGV hätten erlassen werden können.283 Interessant ist noch das Argument, das der Gerichtshof zuletzt anführt. Er bezieht sich auf die Art. 135 EGV und 280 Abs. 4 EGV, die die Anwendung des Strafrechts und des Strafverfolgungsrechts in den Bereichen der Zusammenarbeit im Zollwesen und der Bekämpfung der gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft gerichteten Handlungen den Mitglied278 Auch der GA kam zu demselben Ergebnis, s. Schlussanträge von GA Ruiz-Jarabo Colomer in der Rs. C-176/03, Slg. 2005, I-7879. 279 Vgl. Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Slg. 2005, I-7879, Rn. 46, 47. 280 Vgl. Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Slg. 2005, I-7879, Rn. 47. 281 Hervorhebung durch die Verfasserin. 282 Vgl. Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Slg. 2005, I-7879, Rn. 48. 283 Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Slg. 2005, I-7879, Rn. 51.

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staaten vorbehalten. Diese Vorschriften stehen nach Ansicht des EuGH seiner Auslegung nicht entgegen,284 da sich ihnen nicht entnehmen lasse, „dass im Rahmen der Durchführung der Umweltpolitik jede strafrechtliche Harmonisierung, und sei sie auch so begrenzt wie die des Rahmenbeschlusses, unzulässig wäre, selbst wenn sie zur Sicherstellung der Wirksamkeit 285 des Gemeinschaftsrechts erforderlich ist.“286 Das Urteil des Gerichtshofs betrifft einen sensiblen Bereich mitgliedstaatlicher Zuständigkeit.287 Angesichts dessen hätte der Leser eine ausführlichere Auseinandersetzung mit den verschiedenen Argumenten und eine längere Begründung erwartet.288 Der EuGH leitet nämlich eine gewisse Befugnis zur Harmonisierung des Strafrechts aus den Sachkompetenzen der Gemeinschaft ab und begründet dies mit der Gewährleistung der vollen Wirksamkeit der vom Gemeinschaftsgesetzgeber zum Schutz der Umwelt erlassenen Rechtsnormen. Die Betonung, dass die Gemeinschaft eigentlich keine Kompetenzen im Strafrecht ebenso wie im Strafprozessrecht habe, mutet angesichts der gezogenen Schlussfolgerung wenig plausibel an. Auch die Feststellung, dass die Art. 135 EGV und 280 Abs. 4 EGV diesem Ergebnis nicht entgegenstehen, vermag nicht wirklich zu überzeugen. Auch wenn dem Ergebnis des EuGH zuzustimmen ist, so wünschte man sich angesichts des betroffenen Bereichs mitgliedstaatlicher Zuständigkeit, eine stringentere und besser aufgebaute Argumentation. Der Schlussfolgerung des Gerichtshofs kann eigentlich nur das in Teil 2 der vorliegenden Arbeit289 beschriebene Zusammenspiel zwischen der effet utile-Auslegung und den implied powers zugrunde liegen. Kompetenznormen sind so auszulegen, dass die Gemeinschaft die ihr zugewiesenen Befugnisse sinnvoll ausüben kann. Dazu bedient man sich der klassischen Auslegungsmethoden, aber auch des effet utile. Im vorliegenden Fall kommt man durch die Auslegung von Art. 175 EGV zu dem Ergebnis, dass die Gemeinschaft ihre Kompetenzen im Bereich des Umweltrechts nicht sinnvoll ausüben kann, wenn ihr nicht auch eine gewisse Befugnis zur Harmonisierung des Strafrechts der Mitgliedstaaten zusteht. Diese Kompetenzen im strafrechtlichen 284 So auch Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer, Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Slg. 2005, I-7879, Rn. 78. Kritisch dazu Wegener/ Greenawalt, (Umwelt-)Strafrecht in europäischer Kompetenz!, ZUR 2005, S. 585 (587). 285 Hervorhebung durch die Verfasserin. 286 Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Slg. 2005, I-7879, Rn. 52. 287 Vgl. zu den bisherigen Urteilen, die sich mit eventuellen Kompetenzen der Gemeinschaft im strafrechtlichen Bereich beschäftigen, die Schlussanträge von GA Ruiz-Jarabo Colomer in der Rs. C-176/03 Slg. 2005, I-7879, Rn. 30 ff. 288 So auch Wegener/Greenawalt, ZUR 2005, S. 585 (587). 289 Teil 2 Kapitel B. IV.

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Bereich sind somit notwendige Bedingung für die Wirksamkeit von Art. 175 EGV und stellen die Rechtsfolge seiner Auslegung unter Berücksichtigung des effet utile dar.290 Eine so klare und deutliche Darstellung dieses Zusammenhangs fehlt im Urteil des EuGH, seine Argumentation ist leider eher sprunghaft. So gehen die Richter nach einigen einleitenden Bemerkungen auf die gemeinschaftlichen Kompetenzen im Bereich des Umweltschutzes ein und führen aus, dass die in Art. 175 Abs. 2 UAbs. 1 EGV genannten Maßnahmen ein Tätigwerden der Gemeinschaftsorgane auf Gebieten wie der Steuer-, der Energieoder der Raumordnungspolitik implizieren, für die außerhalb der gemeinschaftlichen Umweltpolitik entweder keine Gesetzgebungszuständigkeit der Gemeinschaft besteht oder im Rat Einstimmigkeit erforderlich ist.291 Dann werden die Zielsetzung und den Inhalt des Rahmenbeschlusses kurz beschrieben. Anschließend halten die Richter fest, dass „das Strafrecht ebenso wie das Strafprozessrecht [. . .] nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft“292 fällt, um dann direkt im Anschluss auszuführen, dass „[d]ies [. . .]den Gemeinschaftsgesetzgeber jedoch nicht daran hindern [kann], Maßnahmen in Bezug auf das Strafrecht der Mitgliedstaaten zu ergreifen, die seiner Meinung nach erforderlich sind, um die volle Wirksamkeit der von ihm zum Schutz der Umwelt erlassenen Rechtsnormen zu gewährleisten, wenn die Anwendung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen durch die zuständigen nationalen Behörden eine zur Bekämpfung schwerer Beeinträchtigungen der Umwelt unerlässliche Maßnahme darstellt.“293

Der Gerichtshof kommt sodann zu dem Schluss, dass der Hauptzweck der Art. 1 bis 7 des Rahmenbeschlusses im Schutz der Umwelt besteht und dass diese Vorschriften wirksam auf der Grundlage des Art. 175 EGV hätten erlassen werden können.294 Er ergänzt sodann noch, dass die Art. 135 EGV und 280 Abs. 4 EGV, die die Anwendung des Strafrechts und des Strafverfolgungsrechts in den Bereichen der Zusammenarbeit im Zollwesen und der Bekämpfung der gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft gerichteten Handlungen den Mitgliedstaaten vorbehalten, diesem Ergebnis nicht entgegenstehen. Diesen Vorschriften lasse sich nämlich nicht entnehmen, dass im Rahmen der Durchführung der Umweltpolitik jede strafrechtliche Harmonisierung, und sei sie auch so begrenzt wie die des Rahmenbeschlusses, unzulässig wäre, selbst wenn sie zur Sicherstellung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts erforderlich sei. Angesichts der Tat290

Mit anderen Worten könnte man sie als Annex des umweltrechtlichen Schwerpunkts des Rechtsaktes bezeichnen. 291 Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Slg. 2005, I-7879, Rn. 44. 292 Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Slg. 2005, I-7879, Rn. 47. 293 Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Slg. 2005, I-7879, Rn. 48. 294 Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Slg. 2005, I-7879, Rn. 51.

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Teil 3: Ergebnisse

sache, dass der EuGH sein Ergebnis – wie gezeigt – schlüssig aus dem Zusammenspiel zwischen effet utile und implied powers hätte ableiten können, erscheint vor allem dieses letzte Argument eher formal. Auch die Berufung auf die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, welche die Grundlage für die Ableitung der strafrechtlichen Befugnisse bildet, hätte der EuGH deutlicher in Zusammenhang mit der betreffenden Kompetenznorm des Art. 175 EGV stellen sollen.

C. Gemeinschaftsrecht, effet utile und Rechtsfortbildung I. Einführung In diesem Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, ob der EuGH in den Urteilen, in denen er seine Argumentation auf den effet utile stützt, unter Umständen rechtsfortbildend tätig wird. Eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik, die vor allem in der deutschsprachigen Literatur thematisiert wird, scheint angebracht, da verschiedene Urteile im Bereich der Grundfesten von vielen Autoren als Ergebnis von Rechtsfortbildung angesehen werden.295 Dies betrifft vor allem die Entscheidungen zum Vorrang des 295 Vgl. z. B. Calliess, NJW 2005, S. 929 (930 f.) für die unmittelbare Anwendbarkeit und den Vorrang des Gemeinschaftsrechts, die Staatshaftung und den einstweiligen Rechtsschutz; Potacs, Auslegung im öffentlichen Recht, S. 279 f. für den Vorrang, die unmittelbare Anwendbarkeit und die Staatshaftung; Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 59 f. sowie Henrichs, Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Verletzung von Gemeinschaftsrecht, S. 182 und Wehlau, Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft zur Staatshaftung der Mitgliedstaaten nach dem Gemeinschaftsrecht, S. 116 für den Staatshaftungsanspruch (für alle drei ist das Ergebnis des EuGH zulässig). Für Borchardt, Richterrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, GS Grabitz, S. 29 handelt es sich bei der unmittelbaren Anwendbarkeit, dem Vorrang und der Staatshaftung sogar um richterliche Rechtsschöpfung (vgl. S. 31, 35 f.); Dänzer-Vanotti, Unzulässige Rechtsfortbildung des Europäischen Gerichtshofs, RIW 1992, S. 733 (741) bezeichnet die Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen als zulässigerweise rechtsfortbildend, äußert sich hingegen sehr kritisch zu den Urteilen des EuGH in den verb. Rs. C-143/88 und C-92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Slg. 1991, I-415 und in den verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a.), Slg. 1991, I-5357, er bezeichnet die Urteilsgründe als „höchst ungenügend“; so auch Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 328, in Bezug auf das Süderdithmarschen Urteil aber a. A. vgl. S. 273. Kritisch zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen und zur Begründung eines gemeinschaftlichen Staatshaftungsanspruch Mittmann, Die Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S. 234. Hatje in: Schwarze, Art. 10 Rn. 4 nimmt ein rechtsfortbil-

C. Gemeinschaftsrecht, effet utile und Rechtsfortbildung

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Gemeinschaftsrechts, zu dessen unmittelbarer Anwendbarkeit und diejenigen, in denen der EuGH die Staatshaftung begründet hat.296 Nach einer kurzen Darstellung der Aufgabe des EuGH soll das Hauptaugenmerk auf die Frage gelegt werden, ob man im Gemeinschaftsrecht generell von Rechtsfortbildung sprechen kann bzw. sollte oder ob es nicht sinnvoller wäre, dem Vorbild des Gerichtshofs folgend, alles unter den Begriff der Auslegungstätigkeit zu fassen. Zu klären ist dabei gleichzeitig auch, welche Rolle der effet utile in diesem Zusammenhang spielt.

II. Die Aufgabe des EuGH – die Wahrung des Rechts Die Rolle des EuGH als Verfassungsorgan der Gemeinschaft wurde bereits in Teil 1 der vorliegenden Arbeit erörtert.297 Seine Aufgabe besteht gemäß Art. 220 EGV in der Wahrung des Rechtes bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages. Diese Bestimmung spricht von der Wahrung des Rechts, der Begriff kann somit nicht ausschließlich auf das Gemeinschaftsrecht bezogen werden, sondern ist als „Inbegriff der Gerechtigkeitsidee der abendländischen Verfassungskultur“ zu verstehen.298 Außerdem ist diese Wendung als Absage an einen engen Gesetzespositivismus zu werten und bezieht sich im Sinne einer Rechtsbindung auch auf die Berücksichtigung von Rechtsprinzipien, allgemeinen Rechtsgrundsätzen und Gemeinschaftsgewohnheitsrecht, die zur Schließung von Lücken und zur Ergänzung des unvollständigen Gemeinschaftsrechts notwendig sind.299 Eingeschlossen sind in den Begriff des Rechts auch die Gerichtsentscheidungen, also das Richterrecht.300 Die Aufgabe der Wahrung des Rechts besteht in dessen Auslegung und Anwendung.301 Unter Auslegung ist dabei die abstrakte, nicht fallbezogene Ermittlung des Inhalts einer Norm zu verstehen, die neben der Ermittlung des Inhalts geschriebener Worte auch die Aufgabe umfasst, Lücken in der dendes Vorgehen des EuGH für den Vorrang, die unmittelbare Anwendbarkeit, wesentliche Teile des Verwaltungsrechts und die Staatshaftung an. 296 Vgl. zur Problematik der Rechtsfortbildung im Bereich des Verwaltungsrechts ausführlich Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 41 f. 297 Vgl. Teil 1 Kapitel A. III. 298 Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Art. 220 EGV, Rn. 17; Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 91, Everling, JZ 2000, S. 217 (221). 299 Vgl. z. B. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 92 f.; Hummer/Obwexer, „Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat“ und wieder retour?, EuZW 1997, S. 295. 300 Möllers, Doppelte Rechtsfortbildung contra legem?, EuR 1998, S. 20 (25). 301 Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Art. 220 EGV, Rn. 31.

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Teil 3: Ergebnisse

Gemeinschaftsrechtsordnung zu schließen. Anwendung meint hingegen Subsumtion, d.h. die Feststellung, ob ein konkreter Sachverhalt von der betreffenden Norm erfasst ist.302 Durch die Verwendung des Wortes „Vertrag“ bringt Art. 220 EGV zum Ausdruck, dass die Zuständigkeit des Gerichtshofs nur Fragen der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsordnung, und nicht Fragen der Auslegung oder Gültigkeit des nationalen Rechts umfassen kann. Wie in Teil 1 bereits ausgeführt wurde, beinhaltet die Wahrung des Rechts eine konservierende und eine integrierende Komponente. Die spezielle Rolle des EuGH ist im Wesentlichen durch zwei Faktoren bedingt. Einerseits sind die Gemeinschaftsverträge unvollständig und gleichzeitig auf fortschreitende Integration sowie die Erreichung bestimmter Ziele ausgerichtet. Es besteht somit ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen Dynamik und Lückenhaftigkeit.303 Durch ihre Dynamik, die z. B. dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Präambel zum EGV von einem „immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker“ spricht, sind die Gemeinschaftsverträge von Natur aus stärker „rechtsfortbildungsorientiert“ als die nationalen Verfassungen.304 Der zweite Faktor liegt in der Tatsache, dass der gemeinschaftliche Gesetzgeber nicht immer imstande war bzw. ist, seiner Aufgabe nachzukommen und die Gemeinschaftsverträge als Rahmenverträge durch die Setzung von Sekundärrecht näher auszugestalten. Dies ist u. a. auch durch die Komplexität und Schwerfälligkeit des Rechtssetzungsverfahrens bedingt.305 Nachdem das Gemeinschaftsrecht somit kein lückenloses und kohärentes Rechtssystem darstellt, kommt dem EuGH auch die Rolle eines „Ersatz- oder Nebengesetzgebers“306 zu,307 wodurch sich eine Gewichtsverlagerung zugunsten des Gerichtshofs ergibt. Zwischen dem Bestimmtheitsgrad einer Norm und der Kompetenz des EuGH zur Weiterentwicklung des Rechts besteht insofern ein Zusammenhang als ein hoher 302

Gaitanides in: von der Groeben/Schwarze, Art. 220 EG, Rn. 46. Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 61. 304 Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 94, 155 m. w. N.; Stein, Richterrecht wie anderswo auch?, FS Juristische Fakultät Heidelberg, S. 619; Everling, JZ 2000, S. 217 (220); diese Logik nicht akzeptierend Mittmann, Die Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S. 245; Dauses, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs als Verfassungsgericht der Europäischen Union, integration 1994, S. 215 (221). 305 So auch Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Art. 220 EGV, Rn. 57. 306 Dänzer-Vanotti, RIW 1992, S. 733 (734). 307 Hummer/Obwexer, EuZW 1997, S. 295; Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 48; Everling, JZ 2000, S. 217 (221), der davon spricht, dass auch die Sekundärrechtsakte unvollkommen und lückenhaft sind und sie der EuGH oft erst durch Rechtsfortbildung anwendbar machen muss. 303

C. Gemeinschaftsrecht, effet utile und Rechtsfortbildung

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Grad an Unbestimmtheit eine Delegationsentscheidung an die Judikative impliziert.308 Der EuGH befindet sich vermehrt in der Situation, im Einzelfall Entscheidungen treffen zu müssen, die eigentlich dem Gesetzgeber zustünden, weil eine ausdrückliche Regelung fehlt oder der Gesetzgeber untätig bleibt. Bis auf weiteres besteht u. a. aus diesem Grunde die Notwendigkeit einer starken Stellung des Gerichtshofs für den Schutz der Rechtsunterworfenen und die Wahrung und Förderung der Rechtseinheit. Die Aufgabe des Gerichtshofs, Lücken im Gemeinschaftsrecht zu füllen, steht folglich in Einklang mit dem Wortlaut und dem Ziel von Art. 220 EGV. Zwei Tore öffnen den Weg zur Fortentwicklung des Rechts. Einerseits ist das die Absage an einen engen Gesetzespositivismus und andererseits die beschriebene dynamische Ausrichtung der Gemeinschaftsverträge.309 Aus Art. 220 EGV ergeben sich gleichzeitig aber auch die Grenzen der Rechtsprechungsfunktion des Gerichtshofs. Die Tätigkeit der Setzung von Gemeinschaftsrecht obliegt nämlich grundsätzlich dem Gemeinschaftsgesetzgeber, dem EuGH kommt die nachträgliche Kontroll- und Auslegungsbefugnis zu.

III. Fortbildung des Rechts als Bestandteil der Aufgabe des EuGH 1. Das klassische Verständnis von Rechtsfortbildung Der Begriff der Rechtsfortbildung entstammt der deutschen Methodenlehre, die zwischen der Auslegung und der ergänzenden Rechtsfortbildung unterscheidet. Die Grenze bildet dabei der Wortlaut bzw. Wortsinn.310 Un308 Calliess, NJW 2005, S. 929 (932); Sander, Der Europäische Gerichtshof als Förderer und Hüter der Integration, S. 39. 309 Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 93. 310 Von einer „von der Auslegung verschiedenen Fortbildung des Rechts“ sprach erstmals von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I, S. 238, 329 f. Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 187; Dänzer-Vanotti, RIW 1992, S. 733 (734); Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 451; Möllers, EuR 1998, S. 20 (26); Colneric, Auslegung des Gemeinschaftsrechts und gemeinschaftskonforme Auslegung, ZEuP 2005, S. 225 (230); Hillgruber, Grenzen der Rechtsfortbildung durch den EuGH, in: v. Danwitz u. a. (Hrsg.), Auf dem Wege zu einer europäischen Staatlichkeit, S. 31; Nettesheim, Auslegung und Fortbildung nationalen Rechts im Lichte des Gemeinschaftsrechts, AöR 119 (1994), S. 261 (263); Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent, Bd. II, S. 1280 f.; Henrichs, Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Verletzung von Gemeinschaftsrecht, S. 178 der davon spricht, dass Terminologie und Dogmatik zu Begriffen wie Rechtsfortbildung und Rechtsschöpfung „ein genuines Betätigungsfeld der deutschen Rechtsdogmatik“ seien.

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Teil 3: Ergebnisse

ter Rechtsfortbildung versteht man demnach ein Ergebnis, das sich nicht mehr mit den klassischen Auslegungsmethoden begründen lässt. Basiert die Rechtsfortbildung auf teleologischen und systematischen Argumenten, gestaltet sich die Grenzziehung schwierig. Entscheidend bleibt die Frage, ob sich das Ergebnis noch im Rahmen des Wortsinns der Norm hält.311 Die Unterscheidung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung ist im nationalen Recht von Bedeutung, weil für ein Ergebnis, das im Wege der Rechtsfortbildung gefunden wurde, ein höherer Rechtfertigungsbedarf besteht als für eines, das im Rahmen der normalen Auslegung erzielt wird.312 Zu Recht weist jedoch von Bogdandy darauf hin, dass sich die Argumentationserfordernisse bei teleologischer Auslegung und Rechtsfortbildung gleichen.313 Die Wahrung des Rechts durch ein Gericht muss notwendigerweise auch dessen Kompetenz umfassen, das Recht fortzubilden. Die Fortbildung stellt in gewisser Weise einen „Anbau“ zur Auslegung314 dar, da alle Rechtssysteme Lücken enthalten, die von der Rechtsprechung bei der Auslegung geschlossen werden müssen. Wie Larenz ausführt, dürfen Gesetzesauslegung und richterliche Rechtsfortbildung nicht als wesentlich verschieden angesehen werden, sondern nur als voneinander verschiedene Stufen desselben gedanklichen Vorgangs.315 2. Gemeinschaftsrecht und Rechtsfortbildung? a) Darstellung des Problems Die Gemeinschaftsrechtsordnung weist Besonderheiten auf, weil sie nicht durch die klassischen Integrationsmechanismen, wie eine gemeinsame Kultur, Geschichte oder Sprache zusammengehalten wird, sondern durch das Recht.316 Der EuGH ist darum auch in besonderer Weise legitimiert, die Wahrung des Rechts durch dessen Weiterentwicklung zu gewährleisten.317 311 Wehlau, Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft zur Staatshaftung der Mitgliedstaaten nach dem Gemeinschaftsrecht, S. 100; Bleckmann, Richterliche Rechtsschöpfung im EG-Recht, GS Constantinesco, S. 61 (65). 312 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 191. 313 v. Bogdandy, Rechtsfortbildung mit Art. 5 EG-Vertrag, GS Grabitz, S. 17 (20). 314 Calliess, NJW 2005, S. 929 (930). 315 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 187. 316 Vgl. auch v. Bogdandy, Europäische Verfassung und europäische Identität, JZ 2004, S. 53 f.; Pache, Europäische und nationale Identität, DVBl. 2002, S. 1154 f. 317 Calliess, NJW 2005, S. 929 (930); Dauses, integration 1994, S. 215 (221) bezeichnet den EuGH als „Paradebeispiel einer rechtsschöpferischen Gerichtsbarkeit“.

C. Gemeinschaftsrecht, effet utile und Rechtsfortbildung

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Das Richterrecht hat für die Ausgestaltung des Gemeinschaftsrechts deshalb grundlegende Bedeutung.318 Die Existenz der Rechtsfortbildungskompetenz des EuGH wird in der Literatur grundsätzlich nicht in Frage gestellt.319 Die Voraussetzungen für deren Anwendung sowie das Ausmaß sind jedoch nach wie vor umstritten. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Maastricht-Entscheidung nicht das Ob, also die Zulässigkeit der Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof in Zweifel gezogen, sondern es warnt vor einer exzessiven Wahrnehmung rechtsschöpferischer Kompetenzen.320 Im Gemeinschaftsrecht ist es grundsätzlich schwieriger, Voraussetzungen und Anwendungsfälle für die Rechtsfortbildung festzulegen, zumal es dort im Gegensatz zum nationalen Recht erst Ansätze einer Methodenlehre gibt.321 Es scheint daher problematisch und nicht zielführend zu versuchen, die aus dem nationalen Recht stammende Unterscheidung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung auf das Gemeinschaft zu übertragen. Zunächst erweist sich eine zu sehr an der Wortlautgrenze orientierte Abgrenzung bei mehreren authentischen Sprachfassungen als ungeeignet. Außerdem enthält der EGV rechtliche Wertungen, die die Rechtsprechung zu kontrollieren hat. Wenn der EuGH unbestimmte Rechtsbegriffe oder Generalklauseln auslegt, so bildet er beispielsweise das Recht gleichzeitig immer ein Stückchen fort.322 Die Organe auf Gemeinschaftsebene sind überdies nicht wie im Rahmen der klassischen staatlichen Gewaltenteilung organi318 So auch Hummer/Obwexer, EuZW 1997, S. 295; Dänzer-Vanotti, RIW 1992, S. 733. 319 So auch Borchardt, Richterrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, GS Grabitz, S. 29 (30); Huber in: Streinz, Art. 220 EGV, Rn. 12; Hummer/Obwexer, EuZW 1997, S. 295 (297); Dänzer-Vanotti, RIW 1992, S. 733 (735); Henrichs, Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Verletzung von Gemeinschaftsrecht, S. 179; Pernice, EuR 1996, S. 27 (35); ausdrücklich z. B. auch das Bundesverfassungsgericht in der Kloppenburg-Entscheidung (BVerfGE 75, 223, 234 ff., 243) „die Mitgliedstaaten die Gemeinschaft mit einem Gericht ausstatten wollten, dem Rechtsfindungswege offen stehen sollten, wie sie in Jahrhunderte langer gemeineuropäischer Rechtsüberlieferung und Rechtskultur ausgeformt worden sind. Zu meinen, dem Gerichtshof der Gemeinschaften wäre die Methode der Rechtfortbildung verwehrt, ist angesichts dessen verfehlt.“ Vgl. zu den anderen Mitgliedstaaten Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 99 f. 320 BVerfGE 89, S. 155 (Maastricht). 321 So auch Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 69 f., 109 f.; vgl. aus jüngster Zeit Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht; nicht nachvollziehbar ist der Ansatz von Mittmann, Die Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S. 241 f. die Tätigkeit des EuGH nach den Grundsätzen der internationalen Gerichtsbarkeit zu beurteilen. 322 Borchardt, Richterrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, GS Grabitz, S. 29 (37).

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Teil 3: Ergebnisse

siert, sondern danach, wie geeignet sie zur Wahrnehmung der unterschiedlichen Aufgaben sind. Die EG ist aber trotzdem rechtsstaatlich organisiert, weshalb z. B. der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung oder der Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts das Fehlen der klassischen Gewaltenteilung ausgleichen.323 Die Aufgabenteilung zwischen Rechtsprechung und Gesetzgebung folgt deshalb im Gemeinschaftsrecht nicht den Ansätzen nationaler Methodenlehren.324 b) Eigener Ansatz Es gibt in den Mitgliedstaaten verschiedene Auffassungen, was die Unterscheidung zwischen Rechtsfortbildung und Auslegung anbelangt bzw. die Voraussetzungen, unter denen Rechtsfortbildung stattfinden kann. In vielen Mitgliedstaaten wird der Rechtsfortbildung nicht die gleiche Aufmerksamkeit zuteil wie in Deutschland.325 In Frankreich wird die Tätigkeit, die man in Deutschland als Rechtsfortbildung bezeichnet, unter die Auslegung gefasst, es gibt keine strenge Unterscheidung zwischen einer am Wortlaut orientierten Auslegung und einer ergänzenden Rechtsfortbildung.326 Auch in den Common-Law-Ländern sieht man das Richterrecht eher als gegeben an, das Hauptaugenmerk liegt dabei weniger auf der Dogmatik als auf den Auswirkungen und dem Einfluss auf die Rechtspolitik.327 Der EuGH äußert sich in seinen Urteilen nicht explizit zu der Frage, ob er „rechtsfortbildend“ vorgeht oder nicht, sondern bettet sein Ergebnis in die Auslegungsmethoden ein.328 Die aus der deutschen Methodenlehre stammende Unterscheidung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung 323

Hummer/Obwexer, EuZW 1997, S. 295 (298). Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 63, 66, der darauf hinweist, dass auch andere Verfassungsgerichte Entscheidungen treffen, die sich an politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Zielsetzungen orientieren. 325 Calliess, NJW 2005, S. 929 (933); vgl. zu den Grundlagen des Richterrechts in den verschiedenen europäischen Staaten Everling, JZ 2000, S. 217 (218 f.). Kahl in: Calliess/Ruffert, 2. Auflage, Art. 10 EGV, Rn. 57 führt plastisch aus, dass sich der EuGH in der schwierigen Situation befindet, „zwischen den verschiedenen Methodenlehren der Mitgliedstaaten, die sich zwischen den Polen eines nüchtern-pragmatischen case law-approach einerseits und eines zur prinzipienhaften Überhöhung und innovativen Fortentwicklung neigenden Ansatzes andererseits bewegen, einen (Mittel-)Weg zu finden.“ 326 So auch Hummer/Obwexer, EuZW 1997, S. 295 (296); Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Band I, S. 543 f.; Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent, Bd. II S. 1280 f., Bd. I, S. 438-442, S. 606 f. In Frankreich unterscheidet man im Gegensatz zu Deutschland nur zwischen der grammatischen und der logischen Interpretation. 327 Henrichs, Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Verletzung von Gemeinschaftsrecht, S. 178 m. w. N. 324

C. Gemeinschaftsrecht, effet utile und Rechtsfortbildung

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scheint sich somit für eine Übertragung auf das Gemeinschaftsrecht nicht zu eignen. In der französischen Lehre hat das Ineinanderübergehen von Auslegung und Rechtsfortbildung, wie gesagt, dazu geführt, dass alle Vorgänge unter den Begriff der „interprétation“ gefasst werden.329 Dieser Ansatz passt besser zur Vorgehensweise des Gerichtshofs. Es ist aber trotzdem sinnvoll, die Urteile des EuGH in zwei Kategorien zu unterteilen. Dabei soll aber nicht die Wortlautgrenze als Kriterium dienen, da sie vor allem im primären Gemeinschaftsrecht ein unpraktikables Instrument darstellt. Zielführender ist es, die Grenze dort zu ziehen, wo der EuGH zu einem Ergebnis gelangt, das im gesamten Vertrag nicht ausdrücklich vorgesehen ist, also aus einer Zusammenschau der verschiedenen Primärrechtsnormen nicht direkt abgeleitet werden kann. Jenseits dieser Grenze kann man von Weiterentwicklung des Rechts oder auch Richterrecht sprechen, diesseits sollten alle Vorgänge unter den Begriff der Auslegung subsumiert werden.330 Das Unterscheidungskriterium besteht somit darin, ob der EuGH eine Konkretisierung und fortschreitende Ausgestaltung von vorhandenem Recht vornimmt. Er befindet sich also auch im Rahmen der Auslegungstätigkeit, wenn er vorhandenes Recht konkretisiert, indem er Rechtssätze des Gemeinschaftsrechts inhaltlich ausgestaltet, die an die vorhandenen Rechtssätze anknüpfen und diesen einen Sinn verleiht, der sich aus den Grundnormen der Gemeinschaftsrechtsordnung ergibt.331 In die Kategorie der Weiterentwicklung des Rechts fallen demnach die vom Ge328 So auch Calliess, NJW 2005, S. 929 (931); Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 451, die von einer „dynamischen – vermengenden – Interpretationsmethode“ sprechen. Ebenso Martin-Ehlers, Grundlagen einer gemeinschaftsrechtlich entwickelten Staatshaftung, EuR 1996, S. 376 (394); Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 70 f.; Nettesheim, AöR 119 (1994), S. 261 (265 f.). 329 Vgl. auch Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 63 m. w. N.; Constantinesco, Das Recht der EG I, Rn. 718. 330 Die deutsche Methodenlehre würde die Weiterentwicklung des Rechts wohl unter die Kategorie der Rechtsschöpfung subsumieren, der Begriff der Rechtsfortbildung träfe nicht zu, weil er enger ist. Es ist in diesem Zusammenhang sinnvoll, einen Begriff zu wählen, der nicht bereits nach der nationalen Methodenlehre eine bestimmte Bedeutung hat. „Weiterentwicklung des Rechts“ ist eine neutrale Formulierung, die diesen Anforderungen genügt. Vermieden werden sollte möglichst auch der Ausdruck der Lückenfüllung. Zur Unterscheidung zwischen planwidriger und fehlerhafter Lücke im nationalen Recht und der Schwierigkeit, wenn nicht Unmöglichkeit der Übertragung auf das Gemeinschaftsrecht; vgl. Stein, Richterrecht wie anderswo auch?, FS Juristische Fakultät Heidelberg, S. 619 (627 f., 633); Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 122 f.; Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 59; Vogenauer, Eine gemeineuropäische Methodenlehre des Rechts – Plädoyer und Programm, ZEuP 2005, S. 234 (254); van Gerven, The Role and Structure of the European Judiciary now and in the future, ELRev 1996, S. 211 (212).

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Teil 3: Ergebnisse

richtshof entwickelten Institute des Vorrangs, der Staatshaftung und der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen. Die Entwicklung der unmittelbaren Anwendbarkeit von primärrechtlichen Normen, Verordnungen und Entscheidungen ist hingegen als Auslegung zu qualifizieren, da sie auf expliziten Anknüpfungspunkten im Primärrecht beruht.332 Die Einordnung der Entscheidungen zum Vorrang, zur Staatshaftung und zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinienbestimmungen in die Kategorie der Weiterentwicklung des Rechts bezieht sich nicht auf die Frage, ob diese Weiterentwicklungen zulässig sind. Dazu sind die Grenzen zu untersuchen, die dem EuGH in seiner rechtsprechenden Tätigkeit gesetzt sind und die im folgenden Kapitel näher dargestellt werden. Man mag einwenden, dass es in der Praxis u. U. schwierig sein kann festzustellen, ob der EuGH an bestehendes Recht anknüpft oder nicht.333 Dieser Einwand ist berechtigt, aber Grenzfälle können bei keiner Kategorisierung ausgeschlossen werden und stellen deshalb die vorgeschlagene Unterteilung nicht grundsätzlich in Frage. Die Praktikabilität der vorgeschlagenen Einteilung findet auch in der Rechtsprechung des EuGH eine Stütze. In der Rechtssache Brasserie du pêcheur und Factortame334 beschrieb er seine Vorgehensweise zur Begründung der Staatshaftung nämlich wie folgt: „Soweit der Vertrag keine Vorschriften enthält, die die Folgen von Verstößen der Mitgliedstaaten gegen das Gemeinschaftsrecht ausdrücklich und genau regeln, hat der Gerichtshof in Erfüllung der ihm durch Artikel 164 des Vertrages [nunmehr Art. 220 EGV]335 übertragenen Aufgabe, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages zu sichern, über eine solche Frage nach 331 Vgl. Borchardt, Richterrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, GS Grabitz, 1995, S. 29, s. auch die Unterscheidung zwischen Rechtsfortbildung und Rechtsschöpfung. 332 Vgl. dazu Teil 2 Kapitel C. III. 2. b). 333 Zur Abgrenzung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung vgl. Schroeder, Die Auslegung des EU-Rechts, JuS 2004, S. 180 (184), der die Unterscheidung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung als einen der schwierigsten Aspekte der Methodenlehre bezeichnet. Everling, JZ 2000, S. 217 (218) weist darauf hin, dass eine Abgrenzung zwischen der am effet utile orientierten Auslegung und der „Rechtsfortbildung“ letztlich nur eine Frage der Terminologie sei; ähnlich Streinz, Europarecht, Rn. 667, für den eine strikte Trennung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung fragwürdig ist. Vgl. auch Millett, Statute Law Review 1989, S. 163 (181) „With the use of this potent principle [effet utile], interpreting might be said to shade off into judicial law-making“; Borchardt, Richterrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, GS Grabitz, S. 29 (37); Calliess, NJW 2005, S. 929 (931). 334 Verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame III), Slg. 1996, I-1029, Rn. 27. 335 Anmerkung der Verfasserin.

C. Gemeinschaftsrecht, effet utile und Rechtsfortbildung

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den allgemein anerkannten Auslegungsmethoden zu entscheiden, insbesondere indem er auf die Grundprinzipien der Gemeinschaftsrechtsordnung und gegebenenfalls auf allgemeine Grundsätze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, zurückgreift.“

Aus der hier vorgeschlagenen Einteilung in Auslegung und Weiterentwicklung des Rechts ergeben sich für den EuGH unterschiedliche Begründungsanforderungen, je nachdem in welcher der beiden Kategorien er sich bewegt. Wie im folgenden Kapitel dargestellt wird, hat sich der EuGH im Rahmen seiner Auslegungstätigkeit an die ihm gemäß Art. 220 EGV zugewiesenen Befugnisse zu halten und die Grenzen in zwei verschiedene Richtungen zu respektieren, gegenüber den Kompetenzen der anderen Gemeinschaftsorgane und gegenüber den Kompetenzen der Mitgliedstaaten. Diese Grenzen gelten für ihn sowohl, wenn er einfach nur auslegt, als auch wenn er bei der Auslegung das Recht weiterentwickelt. Der Gerichtshof muss seine Urteile generell umfassend und nachfolgend begründen. Wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, kommt er dieser Verpflichtung in den effet utile-Urteilen auch in der Regel nach.336 Die Urteile, die nach der hier vorgeschlagenen Unterteilung als Weiterentwicklung des Rechts oder Rechtsschöpfung bezeichnet werden, muss der EuGH genauer und ausführlicher begründen, da die Begründung in diesen Fällen in ganz besonderem Maße dazu dient, beurteilen zu können, ob sich der Gerichtshof innerhalb seiner Grenzen bewegt.337

IV. Grenzen für den EuGH bei der Weiterentwicklung des Rechts Die Schranken der Tätigkeit des EuGH folgen aus der an Gewaltenteilung, Rechtsstaatsprinzip und Demokratie orientierten Werteordnung der Gemeinschaft sowie dem sich daraus ergebenden Homogenitätsgebot, die in Art. 6 Abs. 1 EUV primärrechtlich verankert sind.338 Bei der Ausübung seiner Kompetenz zur Weiterentwicklung des Rechts sind dem EuGH Grenzen in zwei verschiedene Richtungen gesetzt, einerseits im Rahmen der Organkompetenz, also im Verhältnis zu den anderen Gemeinschaftsorganen und andererseits im Rahmen der Verbandskompetenz im Verhältnis zu den Kompetenzen der Mitgliedstaaten.339 Außerdem darf die Entwicklung den 336

s. hierzu noch das folgende Kapitel D. Vgl. dazu auch Teil 3 Kapitel A. IV. 2. (Verhältnismäßigkeit). 338 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 355; vgl. dazu ausführlich z. B. Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EUV. 339 Vgl. auch z. B. Martin-Ehlers, EuR 1996, S. 376 (394); Sander, Der Europäische Gerichtshof als Förderer und Hüter der Integration, S. 53 ff.; Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemein337

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Teil 3: Ergebnisse

Grundstrukturen des geschriebenen Rechts nicht widersprechen und der EuGH muss eine Folgenabwägung in zweifacher Hinsicht vornehmen. Erstens ist zu prüfen, ob durch die Weiterentwicklung des Rechts die Rechtssicherheit verstärkt wird. Zweitens ist auf die Akzeptanz zu achten, weil Gerichtsentscheidungen nur dann zu Gewohnheitsrecht führen, wenn ein Gericht über eine längere Zeit in einem bestimmten Sinn entscheidet und sich eine Rechtsüberzeugung gebildet hat, dass es sich um eine bindende Norm handelt.340 Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist die Nachvollziehbarkeit des Ergebnisses, zu dem der Richter gelangt, entscheidend.341 Überdies ist eine Weiterentwicklung nur zulässig, wenn sie im Anwendungsbereich des Vertrages der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften dient.342 Im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten muss das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung beachtet werden, das besagt, dass die Gemeinschaft nur dort Kompetenzen hat, wo ihr die Mitgliedstaaten diese ausdrücklich eingeräumt haben. Die Abgrenzung zu den Kompetenzen der Mitgliedstaaten ist insofern essenziell als jede weite Auslegung bzw. Weiterentwicklung des Gemeinschaftsrechts zu einer Einschränkung der Befugnisse der Mitgliedstaaten führt. Der Gerichtshof braucht somit bei seiner Tätigkeit Gespür für die „Machtbalance“ in dem mehrstufigen politischen System der Gemeinschaft.343 Ob der EuGH auch an das Subsidiaritätsprinzip gebunden ist, wird in der Literatur nicht einheitlich gesehen.344 Das Subsidiaritätsprinzip gilt grundschaftsrechts, S. 330 f., 341 f.; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 278 f. Everling, JZ 2000, S. 217 (225) weist zu Recht darauf hin, dass die Problematik des Richterrechts in der Gemeinschaft in erster Linie im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten besteht. 340 Möllers, EuR 1998, S. 20 (27, 29, 30); auch Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 56 weist zu Recht darauf hin, dass die Akzeptanz nur entscheidend ist für die Frage, ob aus dem Richterrecht Gewohnheitsrecht entstehen kann, da die Zulässigkeit der Rechtsfortbildung im Zeitpunkt der Entscheidung beurteilt werden muss. Kritisch zum Argument der Akzeptanz Dänzer-Vanotti, Der Europäische Gerichtshof zwischen Rechtsprechung und Rechtsetzung, FS Everling, Bd. I, S. 205 (209 f.). 341 Vgl. dazu ausführlich das folgende Kapitel D. zum Begründungsstil des EuGH. 342 v. Bogdandy, Rechtsfortbildung mit Art. 5 EG-Vertrag, GS Grabitz, S. 17 (21); so auch Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 48; für Dänzer-Vanotti, RIW 1992, S. 733 (736) braucht es zur Rechtsfortbildung eine Lücke, die Zwangslage der Gerichte, eine Dringlichkeit und die plausible Darlegung, warum durch Zuwarten auf eine Regelung des Gesetzgebers der Gemeinschaft Schaden zugefügt würde. 343 Everling, JZ 2000, S. 217 (226 f.).

C. Gemeinschaftsrecht, effet utile und Rechtsfortbildung

339

sätzlich für alle Institutionen der Gemeinschaft, sofern ihnen nicht ausschließliche Kompetenzen zugewiesen werden, wie z. B. dem EuGH hinsichtlich der ihm übertragenen Rechtsstreitigkeiten.345 Überzeugend ist es anzunehmen, dass das Subsidiaritätsprinzip für den Gerichtshof in dem Sinne gilt, dass er die Maßnahmen der übrigen Gemeinschaftsorgane an dieser Regel zu messen hat, wenn er damit befasst ist. Es geht hierbei mit anderen Worten um die Justiziabilität des Subsidiaritätsprinzips.346 Der EuGH hat das Subsidiaritätsprinzip aber nicht auf seine eigenen Entscheidungen anzuwenden,347 Maßstäbe der Effizienz sind bei Gerichtsentscheidungen nicht angebracht.348 Sinnvoll ist es hingegen, Entscheidungen des EuGH, mit denen er das Recht weiterentwickelt, auf ihre Verhältnismäßigkeit hin zu überprüfen.349 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dient nämlich allgemein als Schranke für das Handeln von EG-Organen, insbesondere auch als Kompetenzausübungsschranke gegenüber den Mitgliedstaaten.350 Für das Verhältnis der Gemeinschaftsorgane untereinander gilt das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts, nach dem jedes Organ seine Befugnisse unter Beachtung der Befugnisse der anderen Organe auszuüben hat.351 Die Aufgabe, das Gemeinschaftsrecht inhaltlich auszugestalten, obliegt in erster Linie dem Gemeinschaftsgesetzgeber.352 Der EuGH ist grundsätzlich 344 Dafür z. B. Borchardt, Richterrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, GS Grabitz, S. 29 (33); Hummer/Obwexer, EuZW 1997, S. 295 (303); Mittmann, Die Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S. 186; Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 216 f.; Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 317 f. Dagegen z. B. Zuleeg in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 3 b EGV, Rn. 26; Langguth in: Lenz, Art. 5 EGV, Rn. 27. 345 Streinz in: Streinz, Art. 5 EGV, Rn. 34; Zuleeg in: von der Groeben/Thiesing/ Ehlermann, Art. 3 b EGV, Rn. 26. Die Zuständigkeiten des Gerichtshofs bestimmen sich nach den einzelnen Vorschriften über seine Zuständigkeiten und die verschiedenen Verfahrensarten, Art. 220 EGV ist somit keine eigene Kompetenzgrundlage für sein Tätigwerden; vgl. Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Art. 220 EGV, Rn. 1, 4; Gaitanides in: von der Groeben/Schwarze, Art. 220 EG, Rn. 2. 346 Vgl. dazu ausführlich Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, S. 297 ff. 347 Zuleeg in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 3 b EGV, Rn. 26; Langguth in: Lenz, Art. 5 EGV, Rn. 27. 348 Zuleeg in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 3 b EGV, Rn. 26. 349 So auch Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 102. 350 Vgl. ausführlich zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Zusammenhang mit dem Rückgriff auf das effet utile-Argument Teil 3 Kapitel A. IV. 2. 351 Calliess in: derselbe/Ruffert, Art. 7 EGV, Rn. 8 f. 352 A. A. in Bezug auf Art. 10 EGV v. Bogdandy, Rechtsfortbildung mit Art. 5 EG-Vertrag, GS Grabitz, S. 17 (24).

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Teil 3: Ergebnisse

nicht für die Erzeugung des Rechts zuständig, sondern für dessen Wahrung.353 Sofern und soweit der Gemeinschaftsgesetzgeber aber seinem Auftrag aus sachlich nicht gerechtfertigten Gründen nur unzureichend oder gar nicht nachkommt, ist der EuGH befugt, „Unterschreitungen“ des Integrationsauftrags entgegenzuwirken und die Untätigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers oder der Mitgliedstaaten auszugleichen.354 Auf diese Weise verhindert er eine Blockierung der Gemeinschaft durch den Willen der Mitgliedstaaten.355 Im Rahmen seines Auftrags der Wahrung des Rechts kann der EuGH somit in eine gewisse Konkurrenz zum Gemeinschaftsgesetzgeber treten. Darin liegt jedoch kein Verstoß gegen das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts.356 Auch die im Vergleich zum gemeinschaftlichen Gesetzgeber schwächere demokratische Legitimation des EuGH357 ist kein Grund dafür, seine Befugnis zur Weiterentwicklung des Gemeinschaftsrechts einzuschränken. Demokratie drückt sich nämlich nicht nur durch die Rückbindung der Hoheitsgewalt an das Volk aus, sondern auch durch Faktoren wie Gewaltenteilung, Transparenz, Bürgerrechte und effektiven Rechtsschutz.358 Gerade weil in der Gemeinschaft die Elemente einer parlamentarischen Demokratie noch lückenhaft sind, trägt der EuGH eine besondere Verantwortung für den Ausbau und die Sicherung einer freiheitlichen, rechtsstaatlichen Ordnung.359 353 Dänzer-Vanotti, RIW 1992, S. 733 (735); auf die Gefahren einer Verwischung der Grenzen zwischen Rechtsauslegung und Rechtssetzung weist auch Mittmann, Die Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S. 219 hin. 354 Hummer/Obwexer, EuZW 1997, S. 295 (297); Calliess, NJW 2005, S. 929 (930); Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 95; Borchardt, Richterrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, GS Grabitz, S. 29 (38 f.). 355 Henrichs, Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Verletzung von Gemeinschaftsrecht, S. 186; Bleckmann, Richterliche Rechtsschöpfung im EG-Recht, GS Constantinesco, S. 61 (74); vgl. hierzu ausführlich Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 365 ff. 356 A. A. wohl Dänzer-Vanotti, RIW 1992, S. 733 (737). 357 So z. B. Dänzer-Vanotti, RIW 1992, S. 733 (735); Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 127. Hinzuweisen ist außerdem darauf, dass die Richter des EuGH im Gegensatz zu den nationalen Richtern, die in der Regel Karrierebeamte sind, stärker demokratisch legitimiert sind, weil sie von den Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt werden. Vgl. Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 141. 358 Vgl. auch Hilf/Schorkopf in: Grabitz/Hilf, Art. 6 EUV, Rn. 23, KOM (98) 146 endg. 359 Everling, JZ 2000, S. 217 (221). Vgl. zum Argument der Rechtsverweigerung als Rechtfertigung für das Eingreifen des EuGH in die Kompetenzen des Gemein-

C. Gemeinschaftsrecht, effet utile und Rechtsfortbildung

341

Fehlt eine ausdrückliche gemeinschaftsrechtliche Regelung, kann der Gerichtshof sie nur in dem Maße entwickeln, wie elementare Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, wie dessen einheitliche Geltung und Funktionsfähigkeit es erfordern.360 Die vom ihm im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft vorgenommene schrittweise Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts macht ihn nicht zu einem politischen Gestaltungsfaktor. Er bleibt dabei in der Rolle eines rechtsprechenden Organs, so lange er sich innerhalb des Regelwerks der Verträge bewegt und damit auch innerhalb des „Integrationsprogramms“.361 Die Vertragsziele verkörpern den „Geist des Vertrages“, und sind deshalb die Basis für die Kompetenzen des EuGH;362 würde er neue Ziele schaffen, ginge er über seine Kompetenzen hinaus.363 Problematisch ist dabei allerdings, dass angesichts der Vielzahl und Weite der Zielbestimmungen des Vertrages aus ihnen nur sehr schwer Grenzen für die Weiterentwicklung des Rechts gewonnen werden können. Deshalb muss die Bestimmung der Grenzen in der Zusammenschau der Zielbestimmungen mit den jeweiligen Kompetenznormen in den einzelnen Bereichen des Gemeinschaftsrechts erfolgen. Dadurch kann man erkennen, wie viele Kompetenzen die Mitgliedstaaten in den jeweiligen Bereichen tatsächlich auf die Gemeinschaft übertragen wollten. Eine Überschreitung der so gefundenen Zulässigkeitsgrenzen durch den Gerichtshof bedeutete, dass seine Urteile nicht mehr akzeptiert würden; ein Autoritätsverlust wäre die Folge.364 schaftsgesetzgebers z. B. Borchardt, Richterrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, GS Grabitz, S. 29 (30); Stein, Richterrecht wie anderswo auch?, FS Juristische Fakultät Heidelberg, S. 619 (635); Pernice/Mayer in: Grabitz/ Hilf, Art. 220 EGV, Rn. 57, unter Verweis auf das Urteil des EuGH in den verb. Rs. 7/56 und 3-7/57 (Algera), Slg. 1957, S. 83, 118; kritisch dazu Mittmann, Die Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S. 257; Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 51. Vgl. dazu auch Pescatore, La carence du législateur communautaire et le devoir du juge, GS Constantinesco, S. 559 (576); Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 152 f. 360 Borchardt, Richterrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, GS Grabitz, S. 29 (42); Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 189, der von einer Pflicht des EuGH spricht, die Funktionsfähigkeit als übergeordnetes Verfassungsprinzip zu wahren. 361 Stein, Richterrecht wie anderswo auch?, FS Juristische Fakultät Heidelberg, S. 619 (621); a. A. Henrichs, Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Verletzung von Gemeinschaftsrecht, S. 181. 362 Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 159. 363 Auch der EuGH erkennt diese Grenze an, vgl. Rs. 10/73 (Rewe-Zentral AG), Slg. 1973, S. 1175; Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 292 f. 364 Vgl. Borchardt, Richterrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, GS Grabitz, S. 29 (39); s. ausführlich zu diesem Argument Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 53 ff.

342

Teil 3: Ergebnisse

V. Beurteilung der Ergebnisse des EuGH Die Beantwortung der Frage, ob der EuGH in einzelnen Fällen die Grenzen der Zulässigkeit der Weiterentwicklung des Rechts überschritten hat, muss unter Berücksichtigung der Ziele und Aufgaben der Gemeinschaft erfolgen.365 Eine Beurteilung kann dabei nur anhand des einzelnen Falles erfolgen, pauschale Kritik ist nicht angemessen.366 Die Rolle des Gerichtshofs besteht in dem Ausgleich zwischen dem gemeinschaftlichen Interesse an der fortschreitenden Integration und dem Interesse der Mitgliedstaaten an der Wahrung ihrer Souveränität. Ein weites Verständnis der Rolle des EuGH bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist notwendig, um dessen Funktionsfähigkeit zu sichern. Bei seiner Tätigkeit bemüht sich der Gerichtshof in der Regel, die Ermessensspielräume der Verwaltung, die politische Gestaltungsfreiheit des Gemeinschaftsgesetzgebers und die Kompetenzen der Mitgliedstaaten zu respektieren. Beispiele dafür sind diejenigen Urteile, in denen er auf den „derzeitigen“ oder „gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts“367 verweist oder feststellt, dass es „Sache der zuständigen Organe der Gemeinschaft sei“, bestimmte Maßnahmen zu treffen368. Der EuGH respektiert im Rahmen seines Richterrechts das gemeinschaftliche Integrationsprogramm und dessen m. w. N. Nettesheim, AöR 119 (1994), S. 261 (291) weist zutreffend darauf hin, dass je häufiger der EuGH die nationalen Gerichte auf Kollisionskurs zum nationalen Gesetzgeber zwingt, desto eher er seine Autorität verlieren wird. Zurückhaltung kann seiner Ansicht nach so gerade die Sache der Integration vorantreiben. 365 Wie Stein, Richterrecht wie anderswo auch?, FS Juristische Fakultät Heidelberg, S. 619 (621) zutreffend ausführt, unterscheidet sich die Konkretisierung und fortschreitende Ausgestaltung des Rechts durch eine am effet utile orientierte Auslegung durch den EuGH nicht wesentlich von der Tätigkeit der Common-Law Gerichte. 366 Vgl. die Aussagen des Präsidenten des EuGH Prof. Skouris in einem Interview mit der FAZ, 15.1.2004, S. 5, in dem er ausführt, „auch wirklich kein konkretes Beispiel [zu kennen], wo man sagen könnte, hier habe der Gerichtshof tatsächlich seine Befugnisse überschritten.“ 367 Vgl. z. B. die Rs. 62/72 (Bollmann), Slg. 1973, S. 269, Rn. 6; Rs. 811/79 (Ariete), Slg. 1980, S. 2545, Rn. 12; Rs. 144/81 (Keurkoop), Slg. 1982, S. 2835, Rn. 18; Rs. 112/84 (Humblot), Slg. 1985, S. 1367, Rn. 12; Rs. C-211/89 (Factortame), Slg. 1991, I-3105, Rn. 13, 17; verb. Rs. 1/90 und C-176/90 (Aragonesa de Pubicidad), Slg. 1991, I-4151, Rn. 16; Rs. C-191/90 (Generics), Slg. 1992, I-5335, Rn. 39; verb. Rs. C-92/92 und C-326/92 (Phil Collins), Slg. 1993, I-5145, Rn. 19; Rs. C-309/96 (Annibaldi), Slg. 1997, I-7439, Rn. 24. 368 Vgl. verb. Rs. 117/76 und 16/77 (Ruckdeschel), Slg. 1977, S. 1753, Rn. 13; Rs. 122/80 (Analog Devices), Slg. 1981, S. 2781, Rn. 12. Borchardt, Richterrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, GS Grabitz, S. 29 (41); Everling, Der Beitrag des Europäischen Gerichtshofes zur Entwicklung der Gemeinschaft, S. 195 (214).

C. Gemeinschaftsrecht, effet utile und Rechtsfortbildung

343

Grenzen.369 Er hat mit zunehmender Lebensdauer der Gemeinschaft die Rolle eines Wächters eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen den Gemeinschaftsorganen, den Mitgliedstaaten und den Unionsbürgern übernommen.370 Zu berücksichtigen ist außerdem, dass das Phänomen der Weiterentwicklung des Rechts grundsätzlich stark abhängig vom Anlassfall ist. Der EuGH kann das Recht nur weiterentwickeln, wenn er mit einem Fall befasst ist, der sich dafür eignet.371 In der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann deshalb festgestellt werden, dass neue Entwicklungen nicht plötzlich in einem Urteil zutage treten, sondern sich langsam in einer Reihe von Urteilen entwickeln. So hat der EuGH auch die Möglichkeit, die Kriterien in der notwendigen Allgemeinheit und Differenziertheit herauszuarbeiten.372 Wenn er eine neue Entwicklung anstößt, entscheidet er oft zuerst in einem allgemein formulierten Urteil, das er sodann in späteren Fällen anhand der Diskussion in der Wissenschaft und eventuell in der Praxis auftretender Schwierigkeiten weiterentwickelt oder auch korrigiert.373 Die Unbestimmtheit in seinen Aussagen ermöglicht dem EuGH somit einen schrittweisen Ausbau der richterrechtlichen Institute „in enger Rückkoppelung an die zentralen Instanzen der nationalen Rechtssysteme“.374 Der Gerichtshof zeigt sich somit durchaus sensibel bei der Reaktion auf Kritik aus der Fachpresse oder den betroffenen Kreisen.375 Vermieden werden auf diese Weise häufige Kurs369 So auch v. Bogdandy, Rechtsfortbildung mit Art. 5 EG-Vertrag, GS Grabitz, S. 17 (27); Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 435, 438. 370 Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Art. 220 EGV, Rn. 31. 371 Stein, Richterrecht wie anderswo auch?, FS Juristische Fakultät Heidelberg, S. 619 (640). 372 Ein Urteil des EuGH hat an sich nur Wirkung für den entschiedenen Einzelfall, aber mittelbar auch für zukünftige gleichartige Fälle, auf die die aufgestellten Regeln dann Anwendung finden. Das Urteil hat also die Funktion eines Musters oder Vorbilds, sog. Präjudizwirkung. Die Richter sind bei neuen Fällen verpflichtet zu überprüfen, ob die Kriterien noch angemessen sind oder ob ein Wandel in der Rechtsordnung auch eine Änderung der Kriterien erfordert (vgl. Hummer/Obwexer, EuZW 1997, S. 295 (297)). 373 Borchardt, Richterrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, GS Grabitz, S. 29 (43); Hummer/Obwexer, EuZW 1997, S. 295 (297); Everling, JZ 2000, S. 217 (224). Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auch darauf, dass am EuGH regelmäßig Treffen zwischen den Mitgliedern des EuGH und nationalen Richtern von Gerichten verschiedener Instanzen stattfinden, die das Problembewusstsein und Verständnis für die jeweils andere Situation fördern sollen. 374 v. Bogdandy, Rechtsfortbildung mit Art. 5 EG-Vertrag, GS Grabitz, S. 17 (25). 375 So auch Everling, JZ 2000, S. 217 (224); ähnlich Streinz, Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH, ZEuS 2004, S. 387 (395).

344

Teil 3: Ergebnisse

wechsel und damit eine Beeinträchtigung der Konsistenz des Rechtssystems.376 Ein Paradebeispiel für diese Vorgehensweise ist die Entwicklung der gemeinschaftlichen Staatshaftung, die der EuGH mit dem Urteil Francovich377 erstmals begründete und die er u. a. in der Rechtssache Brasserie du pêcheur und Factortame378 präzisierte.379

VI. Der effet utile als getarnte Weiterentwicklung des Rechts? In Kapitel A wurde bereits ausführlich erläutert, warum der effet utile als eigene Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts anzusehen ist. Es gilt nun sein Verhältnis zur Weiterentwicklung des Rechts zu klären, wobei insbesondere die Urteile zu den Grundfesten des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen sind. Mit der hier vorgeschlagenen Unterscheidung zwischen Auslegung und Weiterentwicklung des Rechts kommt man, wie gezeigt, zu dem Ergebnis, dass die Entscheidungen zu den Grundfesten des Gemeinschaftsrechts mit Ausnahme derer zum Vorrang, zur Staatshaftung und zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien das Ergebnis von Auslegungstätigkeit sind. Der EuGH verwendet in den Urteilen, mit denen er die Grundfesten des Gemeinschaftsrechts begründet hat, als Argumentationstopos auch den effet utile. Er stützt sich aber nicht allein auf die praktische Wirksamkeit, sondern kombiniert sie in der Regel mit den Loyalitätspflichten der Mitgliedstaaten aus Art. 10 EGV.380 Außerdem kann man eine Stärkung der individuellen Rechtsschutzmöglichkeiten des Marktbürgers feststellen, der Gerichtshof verbindet die subjektive Rechtsschutzfunktion und die objektive Wächterrolle.381 Es geht ihm also insgesamt 376

v. Bogdandy, Rechtsfortbildung mit Art. 5 EG-Vertrag, GS Grabitz, S. 17

(25). 377

Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a.), Slg. 1991, I-5357. Verb. Rs. C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du Pêcheur und Factortame III), Slg. 1996, I-1029. 379 Vgl. dazu ausführlich Teil 2 Kapitel C. III. 2. d). 380 Vgl. v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 2, der darauf hinweist, dass Art. 10 EGV die richterliche Rechtsfortbildung im Verhältnis Union – Mitgliedstaaten erlaubt. Auch Zuleeg in: von der Groeben/Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 4 geht davon aus, dass in der Treueklausel ein Baustein zur Rechtsfortbildung liegt; ähnlich auch v. Bogdandy, Rechtsfortbildung mit Art. 5 EG-Vertrag, GS Grabitz, S. 17 (21). Vgl. auch Snyder, The Modern Law Review, 1993, S. 19 (40 f., 50). 381 Pernice, EuR 1996, 27 (37); Dauses, integration 1994, S. 215 spricht vom EuGH als „Gralshüter der grundlegenden Rechte und Freiheiten der Gemeinschaftsbürger“. Vgl. auch Henrichs, Haftung der EG-Mitgliedstaaten für Verletzung des 378

C. Gemeinschaftsrecht, effet utile und Rechtsfortbildung

345

um die Erhöhung der Effektivität und die Wahrung der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts.382 Der effet utile ist eine Auslegungsmethode, die den Besonderheiten des Gemeinschaftsrechts als einer auf Integration ausgerichteten und sich in ständiger Entwicklung befindlichen Rechtsordnung in besonderem Maße Rechnung trägt.383 Er kann als Brücke, als Bindeglied zwischen der Auslegung und der Weiterentwicklung des Rechts gesehen werden. Der effet utile hängt mit der teleologischen Auslegung sehr eng zusammen, geht aber über sie hinaus, weil die Berücksichtigung bzw. Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit einer Norm mehr, also eine weitere Stufe bei der Berücksichtigung der Ziele bedeutet.384 Die inhaltlichen Orientierungspunkte in Bezug auf die gemeinschaftsrechtlichen Grundwerte und Zielvorstellungen sind bei teleologischer Auslegung, effet utile und Weiterentwicklung des Gemeinschaftsrechts aber dieselben.385 Es wäre also zu verallgemeinernd, den effet utile als eine getarnte Weiterentwicklung des Gemeinschaftsrechts zu bezeichnen. Nach dem hier zugrunde gelegten weiten Auslegungsbegriff greift der EuGH in den meisten Fällen im Rahmen der normalen Auslegungstätigkeit auf den effet utile zurück. Die Urteile, in denen es durch den Einsatz des effet utile zu einer Weiterentwicklung des Rechts kommt, stellen die Ausnahme dar. So verwendete der EuGH, wie in Teil 2 dargestellt wurde, in den Urteilen zum Vorrang, zur Staatshaftung und zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien als einen wesentlichen Begründungsstrang den effet utile. Er benützt ihn jedoch nicht, um Weiterentwicklungen des Gemeinschaftsrechts zu verschleiern.

Gemeinschaftsrechts, S. 62, der eine Konvergenz zwischen der kontinuierlichen Fortentwicklung der individuellen Rechtsschutzmöglichkeiten und dem effet utile sieht. Kritisch zu hinterfragen ist jedoch seine Ansicht, dass „die Individualrechte zu einem offensiv benutzten Vehikel für das Integrationsprogramm des Gerichtshofs“ würden. Die Unterstellung, dass der Gerichtshof sein eigenes Integrationsprogramm zu verwirklichen suche, ist nicht haltbar, sie würde eine dauerhafte Loslösung vom Vertragstext und somit vom Willen der Mitgliedstaaten implizieren, eine These, die angesichts der im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersuchten Urteile nicht bestätigt werden kann. 382 Calliess, NJW 2005, S. 929 (931); Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 145, 151. 383 Calliess, NJW 2005, S. 929 (929). 384 Vgl. auch Millett, Statute Law Review 1989, S. 163 (181) „the principle [effet utile] can be seen as an extension of the teleological approach“. 385 Borchardt, Richterrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, GS Grabitz, S. 29 (37); Everling, JZ 2000, S. 217 (218).

346

Teil 3: Ergebnisse

D. Der Begründungsstil des EuGH Nachdem der Begründungsstil des EuGH gerade auch bei den Urteilen, in denen er sich auf den effet utile stützt, immer wieder Anlass zu Diskussionen gibt, ist es angebracht, sich abschließend noch kurz mit diesem Thema zu befassen.

I. Einleitung Richterliche Argumentation ist durch verschiedene Parameter gekennzeichnet, die wesentlich mit der Rechtskultur und der sich daraus entwickelnden Rechtsprechung zusammenhängen. Der richterliche Rechtsgewinnungsprozess ergibt sich in einem Zusammenspiel zwischen Dogmatik und Pragmatik.386 Unter Dogmatik ist dabei eine Kategorisierung zur Systematisierung und begrifflichen Entfaltung des Rechts zu verstehen, die Lehrsätze, Grundregeln und Prinzipien im Rahmen eines rationalen Diskurses bereitstellt. Sie versucht Lösungsmuster und Schemata zu entwickeln und dadurch das Verständnis des positiven Rechts zu erleichtern. Außerdem setzt sie einen Standard, der auf lange Sicht zu einer Optimierung der entwickelten Muster führt.387 Pragmatik meint hingegen einen am Einzelfall orientierten Ansatz, der sich auf die Begründung im Einzelfall konzentriert und die Einordnung in vorgegebene Schemata ablehnt.388 Die Arbeit von Gerichten wird grundsätzlich danach bewertet, was man von ihr erwartet. Der Bogen reicht dabei von vorhersehbarer Rechtssicherheit bis zur Einzelfallgerechtigkeit. Darauf können die einzelnen Auslegungsmethoden Einfluss nehmen, indem z. B. eine große Rechtssicherheit durch eine Bevorzugung von Wortlaut und Systematik erreicht wird, Einzelfallgerechtigkeit hingegen durch die Bevorzugung von Zweckargumenten. Der erste Weg birgt das Risiko von Formalismus bzw. einer Versteinerung, der zweite von mangelnder Vorhersehbarkeit.389 Zweifelsohne muss ein Gericht seine Entscheidungen angemessen begründen, da nur so die betroffene Öffentlichkeit sie nachvollziehen und dadurch beurteilen kann, ob seine Lösungen für die entschiedenen Streitfragen als gerecht anzusehen 386

Kühling/Lieth, Dogmatik und Pragmatik als leitende Parameter der Rechtsgewinnung im Gemeinschaftsrecht, EuR 2003, S. 371 (380). 387 Kühling/Lieth, EuR 2003, S. 371 (380 f.); Dann, Überlegungen zu einer Methodik des europäischen Verfassungsrechts, in: Becker u. a. (Hrsg.), Die Europäische Verfassung – Verfassungen in Europa, S. 161 (183). 388 Kühling/Lieth, EuR 2003, S. 371 (377, 380, 382); Dann, Überlegungen zu einer Methodik des europäischen Verfassungsrechts, in: Becker u. a. (Hrsg.), Europäische Verfassung – Verfassungen in Europa, S. 161 (166). 389 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 173.

D. Der Begründungsstil des EuGH

347

sind.390 Die Begründungspflicht der Gerichte ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, dem Grundsatz einer geordneten Rechtspflege und dem Prinzip der Gewaltenteilung.391 Verschiedene Autoren unterscheiden im Zusammenhang mit der Begründung von Gerichtsentscheidungen auch zwischen der inneren und der äußeren Rechtmäßigkeit der Urteile. Wenn das Urteil die Entscheidungsgründe enthält und die Schlussentscheidung aus diesen abgeleitet werden kann, dann ist es in sich rechtmäßig. Ob das Urteil auch korrekt begründet ist, betrifft eine andere Ebene, nämlich die der externen Rechtmäßigkeit. Bei der internen Rechtmäßigkeit geht es um die Frage, ob das Urteil rechtmäßig im Sinne des Rechts ist, bei der äußeren kommt es hingegen darauf an, ob es auch dem Gerechtigkeitsempfinden entspricht. Hier werden also neben rechtlichen Aspekten auch praktische einbezogen. Das Urteil soll nicht nur in rechtlicher Hinsicht als die richtige Antwort verstanden werden, sondern ebenso unter politischen und moralischen Gesichtspunkten. Zwischen den beiden unterschiedlichen Aspekten der Rechtmäßigkeit besteht eine Wechselbeziehung. Ein Urteil kann nicht nach außen hin rechtmäßig sein, wenn es nicht auch in sich rechtmäßig ist. Andererseits entspricht ein Urteil, dass in sich rechtmäßig ist, nicht notwendigerweise auch dem Gerechtigkeitsempfinden, also der äußeren Rechtmäßigkeit.392 Diese Überlegungen führen zu der Frage, was eine Begründung überhaupt leisten kann. Eine Argumentation ist gut, wenn sie gilt, sich also nicht am Meinungsstand der Beteiligten, sondern an dem Stand der Argumente orientiert. Geltung meint in diesem Zusammenhang die Freiheit von Einwänden, eine Entscheidung ist somit gut begründet, wenn sie die vorgebrachten Argumente „integriert oder ausräumt“. Wenn der Richter die vorgebrachten Sachargumente prüft und anhand dieser entscheidet, ist seine Entscheidung objektiv, also nicht willkürlich.393

390

Everling, Zur Begründung der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, EuR 1994, S. 127; Bengoetxea/Maccormick/Moral Soriano, Integration and integrity in the legal reasoning of the European Court of Justice in: De Bfflrca and Weiler (ed.), The European Court of Justice, S. 42 (49); Colneric, ZEuP 2005, S. 225 Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 175. 391 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 173 f., 185, 202. 392 Bengoetxea/Maccormick/Moral Soriano, Integration and integrity in the legal reasoning of the European Court of Justice in: De Bfflrca and Weiler (ed.), The European Court of Justice, S. 42 (60); vgl. dazu auch Bengoetxea, The legal reasoning of the European Court of Justice, insbes. S. 148 ff. 393 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 202 f., 430, vgl. auf S. 202 auch deren kritische Position zum Argument der Akzeptanz.

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Teil 3: Ergebnisse

II. Die Praxis des EuGH Art. 33 der Satzung des Gerichtshofs sieht vor, dass die Urteile mit Gründen zu versehen sind und dass sie die Namen der Richter enthalten, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben. Etwas detailliertere Informationen finden sich in Art. 63 der EuGH-Verfahrensordnung, der bestimmt, dass das Urteil u. a. eine kurze Darstellung des Sachverhalts sowie die Entscheidungsgründe zu enthalten hat. Welchen genauen Anforderungen die Begründung der Urteile genügen muss, lässt sich diesen beiden Bestimmungen freilich nicht entnehmen.394 Wie bereits bei einigen der besprochenen Urteile ausgeführt wurde, wird der EuGH mitunter in der Fachpresse in den Mitgliedstaaten wegen seines Begründungsstils kritisiert. Die Urteile seien von apodiktischer Kürze,395 die Argumente würden nicht genügend gegeneinander abgewogen,396 die Entscheidungen bestünden weniger aus Argumenten als aus bloßen Behauptungen.397 Diese Kritik, die großteils in der deutschsprachigen Literatur geäußert wird,398 legt die Vermutung nahe, dass es dem EuGH nicht immer gelingt, seine Urteile als Ergebnis rationaler Rechtsgewinnung darzustellen.399 Die Kritik am Urteilsstil des Gerichtshofs basiert in der Regel auf einem Vergleich mit dem Urteilsstil der nationalen Höchstgerichte. Wenige Bereiche des nationalen Rechts sind so von Traditionen geprägt wie Urteilsstil 394 Ähnlich auch Everling, EuR 1994, S. 127 (132), der von „breitem Spielraum“ des EuGH spricht. 395 So z. B. Blanke in: Grabitz/Hilf, vor Art. 149, 150 EGV, Rn. 39; Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts, S. I-6; Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent, Bd. I, S. 345; Ossenbühl, Der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch, DVBl. 1992, S. 993 (995) spricht bei den Begründung des EuGH von „geistiger Diät“. 396 So z. B. Wegener/Greenawalt, ZUR, S. 585 (587). 397 So auch Everling, EuR 1994, S. 127 (140). 398 So auch Everling, EuR 1994, S. 127 (128); Due, Understanding the reasoning of the Court of Justice, Mélanges Schockweiler, S. 73. Vgl. auch Kühling/Lieth, EuR 2003, S. 371 (374), die darauf hinweisen, dass das dogmatische Arbeiten in vielerlei Hinsicht für die deutsche Rechtskultur typischer ist als für andere. Sehr kritisch gegenüber dem EuGH z. B. Hailbronner, Die Unionsbürgerschaft und das Ende rationaler Jurisprudenz durch den EuGH? NJW 2004, S. 2185, der in der Rechtsprechung des EuGH eine Tendenz zum Verzicht auf herkömmliche juristische Methoden festzustellen glaubt. Außerdem sieht er in der Rechtsprechung des EuGH eine gewisse Tendenz, etablierte juristische Auslegungsmethoden jedenfalls dann zu vernachlässigen, wenn sie dem rechtspolitischen Sendungsbewusstsein entgegenstehen (vgl. S. 2187). 399 Everling, EuR 1994, S. 127 (129). Zur Forderung nach Rationalität vgl. auch Kühling/Lieth, EuR 2003, S. 371 (374).

D. Der Begründungsstil des EuGH

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und Urteilspraxis und beeinflussen deshalb stark auch das äußere Erscheinungsbild der Entscheidungen.400 Die Urteile deutscher Gerichte beispielsweise zeichnen sich im Gegensatz zu denen des Gerichtshofs durch eine Auseinandersetzung mit allen entscheidungsrelevanten Aspekten aus und beschäftigen sich auch mit dem Meinungsspektrum in der Literatur und eigenen oder fremden Vorgängerentscheidungen.401 Die deutschen Gerichte sind bemüht, Lehre und Praxis durch Argumente zu überzeugen,402 ihre Urteile sind deshalb in der Regel sehr umfangreich. Juristen aus den Common-Law-Ländern hingegen kennen einen persönlicheren Stil der Urteilsgestaltung und auch die Veröffentlichung abweichender Meinungen.403 Außerdem ist der Begründungsstil dort durch den Rückgriff auf Präjudizien gekennzeichnet und in den Ausführungen umfassender als z. B. derjenige französischer Gerichte.404 In der angelsächsischen Tradition genießt der Richter überdies eine herausragende Stellung.405 Dänische Juristen kennen von den Urteilen ihrer Gerichte die Berücksichtigung praktischer Konsequenzen.406 Die Höchstgerichte in den romanischen Ländern haben einen tendenziell autoritativeren Stil, deren Entscheidungen bestehen oft mehr aus Behauptungen denn aus schlüssig abgeleiteten Schlussfolgerungen.407 Die Überzeugung von der Autorität des Richters ist dort deutlich stärker ausgeprägt als in anderen Mitgliedstaaten.408 Bezüglich der Urteile französischer Gerichte kann man insbesondere festhalten, dass diese kurz sind und 400 Everling, EuR 1994, S. 127 (131); Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 418. 401 Due, Understanding the reasoning of the Court of Justice, Mélanges Schockweiler, S. 73 (74); Everling, EuR 1994, S. 127 (134); Lashöfer, Zum Stilwandel richterlicher Entscheidungen, S. 104. 402 Müller, Verfassungsgerichtsbarkeit im Gefüge der Staatsfunktionen, VVDStRL 39, 1981, S. 53, 84. 403 Due, Understanding the reasoning of the Court of Justice, Mélanges Schockweiler, S. 73 (74); Everling, EuR 1994, S. 127 (136) spricht von „bewundernswert lebendig und plastisch.“ Vgl. dazu auch Lashöfer, Zum Stilwandel richterlicher Entscheidungen, S. 9 ff., 15, 19. 404 Everling, EuR 1994, S. 127 (135 f.); Lashöfer, Zum Stilwandel richterlicher Entscheidungen, S. 11; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 423. 405 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 422, im Gegensatz zum Beispiel zur romanischen Tradition, obwohl sich auch in diesem Bereich Annäherungen ergeben haben. Vgl. auch Atiyah, Judgments in England in: La sentenza in Europa, S. 140 ff. 406 Due, Understanding the reasoning of the Court of Justice, Mélanges Schockweiler, S. 73 (74). 407 So auch Everling, EuR 1994, S. 127 (134); vgl. Taruffo, La fisionomia della sentenza in Italia in: La sentenza in Europa, S. 180 ff. 408 Everling, EuR 1994, S. 127 (140); Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 420.

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Teil 3: Ergebnisse

durch eine strenge, disziplinierte Form sowie durch präzise Ausdrücke und eine durchschlagend kurze Begründung gekennzeichnet sind.409 Vergeblich sucht man nach Auseinandersetzungen mit dem Meinungsspektrum in der Literatur, rechts- oder gesellschaftspolitische Überlegungen, die bei der Entscheidungsfindung eine Rolle gespielt haben könnten, werden nicht offenbart.410 Trotz der beschriebenen Unterschiede gibt es in den verschiedenen Rechtsordnungen auch viele Gemeinsamkeiten, die sich beispielsweise darin ausdrücken, dass grundsätzlich eine argumentative Vorgehensweise der Gerichte bei der Entscheidungsfindung erwartet wird.411 Nachdem sich der EuGH aus Mitgliedern zusammensetzt, die aus den verschiedenen Mitgliedstaaten und somit aus unterschiedlichen Rechtskulturen stammen, bringen diese ihre Traditionen und Erfahrungen in die Arbeit am Gerichtshof mit ein. Der EuGH musste deshalb erst seinen persönlichen Urteilsstil unabhängig von dem der nationalen Gerichte entwickeln, indem er die verschiedenen methodischen Hintergründe seiner Mitglieder zu einer europäischen Vorgehensweise verschmolz. Dass dieses stilistische Vorgehen dann teilweise kritisiert wird, weil es nicht den aus dem nationalen Recht bekannten Vorstellungen entspricht, liegt in der Natur der Sache, da Juristen lange Zeit eine primär national orientierte Ausbildung genossen und vielen von ihnen die Urteile des EuGH zunächst fremd erscheinen mussten. Die Verfahrens- und Formvorschriften des Gerichtshofs orientieren sich am französischen Vorbild,412 interne Arbeitssprache ist das Französische. Über die französische Sprache findet also auch die französische Art zu formulieren und zu denken in die Praxis des EuGH Eingang.413 Außerdem 409 Lashöfer, Zum Stilwandel richterlicher Entscheidungen, S. 43; die Rigorosität des französischen Urteilsstils ist eine Nachwirkung der gesellschaftlichen Veränderungen, die die französische Revolution hervorgebracht hat, vgl. S. 44 f. 410 Vgl. Cornu, La sentence in France, in: La sentenza in Europa, S. 159 ff.; Due, Pourquoi cette solution?, FS Everling, Bd. I, S. 273 (274) beschreibt plastisch „L’antipode de la tradition allemande se trouve en France.“ Lashöfer, Zum Stilwandel richterlicher Entscheidungen, S. 45, zu den Unterschieden zwischen der Entscheidungspraxis der Cour de Cassation und den Cours d’appel vgl. S. 47 ff. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 422 sehen das deutsche Modell in einer Mittlerrolle zwischen dem romanischen und dem angelsächsischen. 411 Vgl. dazu ausführlich Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent, Bd. II, S. 1295 ff. 412 So auch Everling, EuR 1994, S. 127 (136); Klinke, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S. 64. 413 Due, Understanding the reasoning of the Court of Justice, Mélanges Schockweiler, S. 73 (81); Everling, EuR 1994, S. 127 (140); ausführlich dazu Mancini/ Keeling, Language, culture and politics in the life of the European Court of Justice, Columbia Journal of European Law, 1995, S. 397 f.

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werden die Urteilsberatungen in französischer Sprache abgehalten und der Entwurf des Urteilstexts wird in dieser Sprache erstellt.414 Wenn der Text auf Französisch feststeht, wird er von der Übersetzungsabteilung des EuGH in die anderen Amtssprachen übersetzt. Das bedeutet mit anderen Worten, dass der Großteil der Juristen in den Mitgliedstaaten das Urteil in einer übersetzten Fassung liest und nicht in der Sprache, in der es verfasst wurde. Obwohl die Kompetenz der am EuGH beschäftigten Übersetzer sehr hoch ist,415 lässt es sich nicht vermeiden, dass sich die übersetzten Versionen nicht immer so klar und flüssig lesen wie die französische. Hinzu kommt noch, dass Rechtsbegriffe in den verschiedenen Rechtsordnungen auch unterschiedliche Bedeutungen haben. Eine Erklärung für die teilweise als zu wenig weitgehend empfundene Begründung der Urteile des EuGH mag auch darin liegen, dass in dem zuständigen Richtergremium einerseits eine Einigung über das Ergebnis erzielt werden muss, andererseits aber auch über einen verbindlichen Text bezüglich der Begründung. Das kann dazu führen, dass Passagen aus der Argumentation gestrichen werden, weil die Mehrheit der Richter sie nicht in die Endfassung aufnehmen möchte. Dabei können verschiedene Gründe eine Rolle spielen. Es ist z. B. möglich, dass der Gerichtshof mit dem zu fällenden Urteil juristisches Neuland betritt und die Richter es für zweckmäßiger halten, in der Begründung nicht alle Details aufzuführen, um in zukünftigen ähnlichen Fällen noch Spielraum für Reaktionen zu haben.416 Die Wahl der Begründung hat möglicherweise starke Auswirkungen auf die künftige Rechtsprechung. Eine zu allgemein gehaltene Begründung kann in anderen Rechtssachen zu Ergebnissen führen, die die Richter zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils nicht vorhersehen konnten oder zu Ergebnissen, die einzelne Richter außerhalb der speziell entschiedenen Fallkonstellation nicht zu akzeptieren bereit sind. Andererseits können einzelne Richter einer sehr spezifischen Begründung ablehnend gegenüber stehen, wenn sie der Ansicht sind, der Fall erfordere eine grundlegende Entscheidung. In den Urteilen des EuGH findet man je nach Fallkonstellation die beiden beschriebenen Wege bei der Begründung. Es gibt Fälle, in denen der Gerichtshof von den spezifischen Umständen des Einzelfalls ausgeht und Schritt für Schritt eine Lösung entwickelt.417 Andererseits gibt es Rechtssachen, in denen er ver414 Vgl. dazu Seyr, JuS 2005, S. 315 (319); Klinke, Der Gerichtshof der EU- ein Portrait, ZEuP 1995, S. 783 (790); Hirsch, Der Europäische Gerichtshof, S. 4. Auf den Einfluss, den diese Tatsache auf das Verständnis der Begründung der Urteile des EuGH hat, weist auch Due, Understanding the reasoning of the Court of Justice, Mélanges Schockweiler, S. 73 (77 f.) ausdrücklich hin. 415 Diese verfügen neben ihren Sprachkenntnissen alle über ein abgeschlossenes Studium der Rechte. 416 Ähnlich Klinke, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S. 65.

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Teil 3: Ergebnisse

sucht, gleich ein allgemeines Prinzip aufzustellen, das auch in zukünftigen ähnlich gelagerten Fällen zur Anwendung kommen kann. Die letztgenannte Methode eignet sich besonders, wenn der zu entscheidende Fall für eine Vielzahl ähnlicher Fälle steht.418 Der Gerichtshof wählt je nach Fall die geeignetere Vorgangsweise.419 Auch die Tatsache, dass es am EuGH keine abweichenden Voten gibt, beeinflusst seinen Begründungsstil.420 Obwohl § 27 Abs. 5 VerfO EuGH vorsieht, dass der Spruchkörper grundsätzlich mit einfacher Mehrheit entscheidet, wird in den Urteilsberatungen versucht, einen möglichst breiten Konsens zu finden. Auch wenn ein Argument in den Urteilsberatungen von allen oder den meisten Richtern akzeptiert wird, ist es möglich, dass bei dessen genauer schriftlicher Redaktion noch Unstimmigkeiten auftreten. Es kommt also durchaus vor, dass Überlegungen, die spezielle Schwierigkeiten in der Abstimmung entfalten könnten, nicht in die Begründung aufgenommen werden, weil keine Verständigung über sie erreicht wurde. Diese Argumente können aber für die logische Nachvollziehbarkeit der Begründung durchaus eine Hilfe darstellen, weshalb Due sie plastisch als „verschwundene Argumente“421 bezeichnet. Ein fehlendes Argument in der Begründung kann somit der Preis für den Konsens oder die wünschenswerte Mehrheit in der Abstimmung sein.422 Nachdem sich die Urteile des Gerichtshofs stilistisch von denen nationaler Gerichte unterscheiden, muss er darauf achten, dass seine Entscheidungen von den Juristen in den Mitgliedstaaten nachvollzogen werden können.423 Die Begründung der Urteile des EuGH hat nämlich neben einer technischen und formalen Funktion auch eine zentrale Bedeutung für deren Geltung und Akzeptanz in den Mitgliedstaaten. Es geht dabei nicht um die Zustimmung zu einzelnen Urteilen, sondern um die Anerkennung des Gerichtshofs als Beschlussinstanz und seiner Entscheidungen als insgesamt legitim, sodass diese auch befolgt werden.424 417 Die Fälle, die die Richtlinien und Verordnungen im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts betreffen, sind in der Regel durch diese Vorgehensweise gekennzeichnet. 418 Beispielsweise wählte der EuGH diese Methode bei der Entwicklung der gemeinschaftlichen Staatshaftung oder bei der Einführung der sog. Dassonville-Formel oder der sog. Keck-Formel in die Rechtsprechung zum freien Warenverkehr. 419 Due, Pourquoi cette solution?, FS Everling, Bd. I, S. 273 (276 f.); Capotorti, Le sentenze della Corte di Giustizia delle Comunità Europee, in: La sentenza in Europa, S. 230 (240 f.). 420 s. dazu Seyr, JuS 2005, S. 315 (316). 421 Due, Pourquoi cette solution?, FS Everling, Bd. I, S. 273 (274). 422 Due, Pourquoi cette solution?, FS Everling, Bd. I, S. 273 (275). 423 Vgl. auch Due, Understanding the reasoning of the Court of Justice, Mélanges Schockweiler, S. 73 (74).

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Gerichte legitimieren sich nämlich durch die Qualität ihrer Rechtsprechung.425 Ihre Entscheidungen werden akzeptiert, weil dem Richter institutionell die Befugnis zur Entscheidung zugeordnet ist, weil sie auf das normative Recht gestützt sind und weil sie gemäß den Prozessregeln unter Mitwirkung aller Beteiligten zustande gekommen sind.426 Der Urteilsstil des EuGH hat verschiedene Entwicklungsschritte durchgemacht.427 Der Gerichtshof bleibt nach wie vor in der Argumentation hinter der Praxis deutscher und britischer Gerichte zurück, begründet aber mittlerweile ausführlicher als die Gerichte in den romanischen Ländern.428 Er verzichtet in seinen Entscheidungen größtenteils darauf, Urteile anderer, vor allem nationaler Gerichte zu zitieren, auch auf das Meinungsspektrum in der Literatur geht er nicht ein,429 was unter Umständen die Generalanwälte in ihren Schlussanträgen tun.430 In den Urteilen des EuGH lässt sich, wie ausführlich dargestellt wurde, eine starke Tendenz erkennen, an frühere Urteile anzuknüpfen und so regelrechte Rechtsprechungsketten zu entwickeln.431 Dass der Gerichtshof die Frage der Begründung pragmatisch handhabt, indem er seine Urteile durch die Kritik aus Wissenschaft und Praxis überprüfen lässt, ist angemessen.432 Reaktionen in der Fachpresse und den betroffenen Kreisen sind für ein Höchstgericht des Typs EuGH eine wichtige Kontrolle seiner Rechtsprechung. Der Gerichtshof kann im 424

Everling, EuR 1994, S. 127 (130 f.); Pernice, EuR 1996, S. 27 (38). Everling, Der Gerichtshof als Entscheidungsinstanz, in: Schwarze (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtsschutzinstanz, S. 137 (155). Vgl. zur Akzeptanz auch Sander, Der Europäische Gerichtshof als Förderer und Hüter der Integration, S. 70 ff mit verschiedenen Beispielen. 426 Pernice, EuR 1996, S. 27 (38). 427 Vgl. dazu Lashöfer, Zum Stilwandel richterlicher Entscheidungen, S. 130 ff.; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 419 f., 432 f. 428 Vgl. dazu Everling, EuR 1994, S. 127 (137). 429 So auch Klinke, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S. 65, der zurecht darauf hinweist, dass das am EuGH vom Umfang her nicht möglich ist, da man fairerweise das Schrifttum in allen Mitgliedsländern berücksichtigen müsste. 430 Vgl. z. B. die Schlussanträge des GA Ruiz-Jarabo Colomer in der Rs. C-176/03 Slg. 2005, I-7879, Rn. 73. 431 Vgl. dazu Teil 1 Kapitel B. III. 3. b), aus der Literatur z. B. Dederichs, Die Methodik des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften, EuR 2004, S. 42, 48, 51 f., die den Verweis auf frühere Urteile als die häufigste Argumentationsform des EuGH bezeichnet. Klinke, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S. 65 weist zutreffend darauf hin, dass der Rückgriff auf die frühere Rechtsprechung systembedingt sei und „nicht Frucht richterlicher Eitelkeit.“ Das Gemeinschaftsrecht wurde in vielen Bereichen durch das Richterrecht des EuGH entwickelt, was von Rechtssache zu Rechtssache durch den Rückgriff auf Vorgängerentscheidungen erfolgt. 432 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 432. 425

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Teil 3: Ergebnisse

Gegensatz zu nationalen Höchstgerichten nicht auf der Grundlage von Entscheidungen unterinstanzlicher Gerichte judizieren, deshalb ist die Reaktion auf seine Urteile die einzige Kontrollinstanz.433 Dabei gilt es einen Ausgleich zu finden zwischen den Erwartungen, die die Juristen in den verschiedenen Ländern an Urteilsstil und -praxis der Höchstgerichte haben und dem, was der EuGH angesichts seiner besonderen Zusammensetzung und Prägung durch die französische Rechtskultur und -sprache zu bieten imstande ist. Angedacht werden könnte, die Begründung der Urteile des Gerichtshofs ausführlicher zu gestalten, indem die Passagen der Schlussanträge der Generalanwälte in den Urteilstext aufgenommen würden, wenn der EuGH sich die Argumentation der Generalanwälte durch Zitierung zueigen macht.434

III. Stellungnahme Die Behauptung, der EuGH begründe seine Urteile nicht umfassend, kann in dieser allgemeinen Form nicht bestätigt werden.435 Hier ist eine differenzierte Betrachtungsweise angebracht, die den beschriebenen Besonderheiten in der Tätigkeit des Gerichtshofs Rechnung trägt. Auch der Leser, der die Urteile des EuGH (so weit als möglich) unbeeinflusst von seinem nationalen Rechtsrahmen zu lesen versucht, hat bisweilen das Gefühl, er könne dem Gerichtshof in seinem Ergebnis nicht ganz folgen oder er könne nicht alle seine Argumente nachvollziehen. Dies gilt auch für die Urteile, in denen sich der EuGH auf den effet utile stützt. Bei einigen Entscheidungen entsteht der Eindruck, der Gerichtshof habe dieses Argument irgendwie aus dem Ärmel gezaubert. So erscheint z. B. im Urteil in der Rechtssache Pupino436 die Berufung auf den effet utile zusammenhanglos. Der EuGH stellt nämlich einfach fest, dass die Zuständigkeit des Gerichtshofs für Vorabentscheidungen nach Art. 35 EUV „ihrer praktischen Wirksamkeit im Wesentlichen beraubt [würde], wenn die Einzelnen nicht berechtigt wären, sich auf Rahmenbeschlüsse zu berufen, um vor den Gerichten der Mitgliedstaaten eine ihnen konforme Auslegung des nationalen Rechts zu erreichen.“437 Ähnliches gilt, wie gezeigt, für das Urteil zum Rahmenbeschluss über den 433 Everling, EuR 1994, S. 127 (142); Pernice, EuR 1996, S. 27 (38) spricht von kommunikativem Prozess; Hirsch, JÖR 49 (2001), S. 79 (87); Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 425. 434 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 433 f., sprechen von den Schlussanträgen als „wissenschaftlichen Schätzen“. 435 So auch Everling, EuR 1994, S. 127 (139); Streinz, Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften, FS Everling, Bd. II, S. 1491 (1508). 436 C-105/03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285. 437 C-105/03 (Pupino), Slg. 2005, I-5285, Rn. 38.

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Schutz der Umwelt durch das Strafrecht. Auch dort erfolgt die Berufung auf die volle Wirksamkeit der vom Gemeinschaftsgesetzgeber zum Schutz der Umwelt erlassenen Normen eher unvermittelt, nachdem der Gerichtshof zunächst noch betont hat, dass das Strafrecht und das Strafprozessrecht nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen.438 Als weiteres Beispiel einer Entscheidung, in der die Begründung ausführlicher hätte ausfallen sollen, ist das ERASMUS-Urteil439 zu nennen. Es betraf ein auf Art. 128 EWGV gestütztes Aktionsprogramm der Gemeinschaft für die Berufsbildung, nach dem Gemeinschaftsmittel für einen spezifischen Förderungszweck zur Verfügung gestellt werden.440 In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit stellte sich die Frage nach der richtigen Rechtsgrundlage für den Erlass dieses Aktionsprogramms, möglich waren Art. 128 EWGV und Art. 235 EWGV.441 Entgegen der Ansicht des Rates und der beteiligten Mitgliedstaaten kam der EuGH in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass die Gemeinschaft befugt sei, „Rechtsakte zu erlassen, die gemeinschaftliche Aktionen auf dem Gebiet der Berufsausbildung vorsehen und den Mitgliedstaaten entsprechende Mitwirkungspflichten auferlegen. Eine solche Auslegung steht im Einklang mit dem Wortlaut des Artikels 128 und gewährleistet auch dessen praktische Wirksamkeit.“442 In seiner Entscheidung bezieht sich der EuGH lediglich auf den Wortlaut und die praktische Wirksamkeit von Art. 128 EWGV, über dessen Zweck verliert er z. B. kein Wort. Mit der praktischen Wirksamkeit rechtfertigt er die extensive Auslegung von Art. 128 EWGV443 und leitet so die Befugnis der Gemeinschaft ab, auch Aktionsprogramme im Bildungsbereich zu erlassen.444 Selbst wenn die Grundlagen für diese Schlussfolgerung bereits im Gravier-Urteil445 gelegt worden waren, erscheint diese Auslegung dennoch problema438

Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Slg. 2005, I-7879, Rn. 47, 48. Rs. 242/87 (Kommission/Rat, „ERASMUS“), Slg. 1989, S. 1425. 440 Vgl. auch Niedobitek, Kultur und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 125 f. zu den Einzelheiten des ERASMUS-Programms. 441 In dem Beschluss waren als Rechtsgrundlage ex Art. 128 EWGV und ex Art. 235 EWGV (nunmehr Art. 308 EGV) angeführt. Die klagende Kommission und die Streithelfer Deutschland, Großbritannien und Frankreich waren der Ansicht, dass ex Art. 235 EWGV nicht als Rechtgrundlage gegenüber dem Vorschlag der Kommission hinzugefügt hätte werden dürfen. Der Unterschied ist erheblich, nach ex Art. 128 EWGV brauchte es die einfache Mehrheit, nach ex Art. 235 Einstimmigkeit zur Annahme des Beschlusses. Auch die Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments unterscheiden sich in den beiden Verfahren. Der Gerichtshof sah in seinem Urteil letztendlich ex Art. 128 EWGV als ausreichende Rechtsgrundlage an. 442 Rs. 242/87 (Kommission/Rat, „ERASMUS“), Slg. 1989, S. 1425, Rn. 11. 443 So auch Mosiek, Effet utile und Rechtsgemeinschaft, S. 54. 444 Kritisch zur Verwendung des effet utile-Arguments Classen, Bildungspolitische Förderprogramme der EG, EuR 1990, S. 10 (17 f.). 439

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Teil 3: Ergebnisse

tisch.446 Mit dem ERASMUS-Urteil sowie den Urteilen zum Petra-Programm447 und in der Rechtssache Commett II 448 legte der EuGH nämlich den Grundstein für eine eigenständige Bildungspolitik der Gemeinschaft449 und erweiterte dadurch deren Kompetenzen im Verhältnis zu denen der Mitgliedstaaten deutlich. Angesichts dieses Ergebnisses hätte es einer überzeugenderen Begründung bedurft. Auf der anderen Seite gibt es unzählige effet utile-Urteile, in denen das Auslegungsergebnis des EuGH schlüssig begründet sowie gut nachvollziehbar ist und die durch eine logisch aufgebaute Argumentationskette gekennzeichnet sind. Wie die vorliegende Arbeit zeigen konnte, sind das vor allem die Urteile, in denen Sekundärrecht ausgelegt wird. Auf die strukturellen Unterschiede zwischen Primär- und Sekundärrecht, die zur Folge haben, dass die gleiche Vorgehensweise nicht 1:1 auf das Primärrecht übertragen werden kann, wurde bereits an gegebener Stelle hingewiesen. Trotzdem kann als Ergebnis der vorliegenden Untersuchung festgehalten werden, dass der Gerichtshof auch bei der Auslegung von Primärrecht in der Regel um eine plausible Argumentation bemüht ist. Urteile, bei denen das Ergebnis vom Leser nicht nachvollzogen werden kann, bilden die Ausnahme.450 Wie Everling zu Recht bemerkt, stehen die relativ seltenen spektakulären Fälle im Zentrum der öffentlichen Meinung.451 445

Rs. 293/83 (Gravier), Slg. 1985, S. 593. Blanke in: Grabitz/Hilf, vor Art. 149, 150 EGV, Rn. 43 spricht vom Kompetenzauslegung prater legem; Streinz, Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften, FS Everling, Bd. II, S. 1491 (1504) und Schweitzer, EG-Kompetenzen im Bereich von Kultur und Bildung, in: Merten (Hrsg.), Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, S. 147 (153) von dynamischer Interpretation. Kritisch auch Hillgruber, Grenzen der Rechtsfortbildung durch den EuGH, in: v. Danwitz u. a. (Hrsg.), Auf dem Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, S. 31 (39); Classen, EuR 1990, S. 10 (15). 447 Rs. 56/88 (Großbritannien und Nordirland/Rat, „Petra-Programm“), Slg. 1989, S. 1615. 448 Verb. Rs. C-51/89, C-90/89 und C-94/89 (Großbritannien, Frankreich und Deutschland/Rat, „Commett II“), Slg. 1991, I-2757. 449 Blanke in: Grabitz/Hilf, vor Art. 149, 150 EGV, Rn. 45. 450 Vgl. die Stellungnahmen zu den einzelnen Kategorien in Teil 2 der vorliegenden Arbeit. 451 Everling, EuR 1994, S. 127 (130); derselbe, Der Gerichtshof als Entscheidungsinstanz, in: Schwarze (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtsschutzinstanz, S. 137 (138) weist zutreffend auf den Gegensatz hin zwischen einerseits der Intensität, der Sachkenntnis und dem Ernst, mit denen am EuGH in jedem einzelnen Fall nach einer Lösung gerungen wird und andererseits der Leichtfertigkeit, Verständnislosigkeit und Überheblichkeit, mit der sich manche über die Rechtsprechung zu äußern glauben können. Nach Oppermann, Die Dritte Gewalt in der Europäischen Union, DVBl. 1994, S. 901 (906) hat der EuGH seine Entscheidungen lege artis rechtlich nachvollziehbar begründet. 446

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Wie bereits im Kapitel über das Verhältnis zwischen effet utile und Weiterentwicklung des Rechts ausgeführt wurde, besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Anforderungen an die Urteilsbegründung und dem Auslegungsergebnis, zu dem der EuGH gelangt. Dieser Zusammenhang kann auf folgende Formel gebracht werden: Je weiter sich der EuGH durch eine am effet utile ausgerichtete Auslegung vom Wortlaut der konkreten Norm löst, desto höher sind die Anforderungen an die Begründungspflicht. Im Kapitel über die Weiterentwicklung des Rechts wurde gezeigt, dass die Urteile, die nach der hier vorgeschlagenen Unterscheidung als Weiterentwicklung des Rechts anzusehen sind, besonders ausführlich begründet werden müssen. Dies hängt mit der Tatsache zusammen, dass der Gerichtshof in diesen Urteilen mit dem Argument der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft neue Institute entwickelt hat. Um diese Entwicklungen nachvollziehbar zu machen und beurteilen zu können, ob der EuGH dabei seine Grenzen respektiert hat, ist eine besonders ausführliche Begründung essenziell. Dies betrifft also vor allem den Bereich der Grundfesten des Gemeinschaftsrechts. Zu Beginn dieses Kapitels wurden der dogmatische und der pragmatische Ansatz einander gegenübergestellt. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist wie gesehen zwar grundsätzlich von pragmatischen Gesichtspunkten geprägt, enthält aber auch dogmatische Elemente. Stimmen in der Literatur fordern immer wieder, der EuGH solle sich vermehrt dogmatischer Strukturen bedienen. Dies führte zu einer größeren Vorhersehbarkeit seiner Entscheidungen und erleichterte es den Mitgliedstaaten, ihr Recht so auszugestalten, dass eine Kollision mit dem Gemeinschaftsrecht vermieden würde. Außerdem wäre so die Rationalität und Transparenz der Entscheidungen größer.452 Im Rahmen seiner Auslegungstätigkeit verfügt der Gerichtshof über eine Befugnis zur Abstraktion. Die Abstraktion ist ein notwendiges Element juristischer Technik, da sie es Gerichten ermöglichen soll, den zu entscheidenden Einzelfall zu einer Vielzahl weiterer Fälle in Bezug zu setzen, die künftig zu entscheiden sein werden.453 Im Gemeinschaftsrecht gewinnt die Befugnis zur Abstraktion besondere Bedeutung, weil es eine unvollständige, auf Fortentwicklung ausgerichtete Rechtsordnung darstellt. Die Aussagen des EuGH im Rahmen seiner Auslegungstätigkeit müssen deshalb ein gewisses Maß an Allgemeingültigkeit haben. Insbesondere bei Vorabentscheidungsersuchen entscheidet er z. B. nicht über den konkreten Sachverhalt, sondern gibt dem nationalen Gericht die Kriterien an die Hand, die es benö452

Vgl. z. B. Kühling/Lieth, EuR 2003, S. 371 (385, 388). Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 13, 15 f. 453

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Teil 3: Ergebnisse

tigt, um den Rechtsstreit zu entscheiden.454 Dabei muss er gewissermaßen eine Befugnis zur Abstraktion in Anspruch nehmen.455 Wenn der EuGH dann feststellt, dass die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Normen keine Lösung enthalten, geht er davon aus, dass er diese „Lücke“ schließen kann. Er nimmt somit eine „Befugnis zur Abstraktion und zur nachfolgenden Re-Konkretisierung“456 in Anspruch. Dem Erfordernis der Lückenfüllung korrespondiert die Befugnis zur Abstraktion.457 Durch diese Vorgehensweise versucht der EuGH, Zusammenhänge zwischen seinen Entscheidungen herzustellen und allgemeingültige Aussagen zu bestimmten Problemfeldern zu treffen. Dadurch kommt es zu einer gewissen Systematisierung,458 die durch die häufigen Verweise auf Vorgängerurteile verstärkt wird. Es ist davon auszugehen, dass der EuGH – wie alle Gerichte – vom Ideal des Rechts als System überzeugt ist und dieses erreichen möchte. Deshalb versucht er, rationale Entscheidungen zu erlassen, die an frühere Entscheidungen anschließen, woraus sich ein zusammenhängendes, kohärentes Fallrecht ergibt.459 Dadurch nähern sich in der Rechtsprechung des EuGH der dogmatische und der pragmatische Ansatz einander an,460 der Gerichtshof hat sie zu einem angemessenen Ausgleich gebracht.461 So entzieht er sich u. a. auch der Gefahr, in einen starren Dogmatismus zu verfallen, die man bisweilen in der deutschsprachigen europarechtlichen Literatur festzustellen vermag.462

E. Abschließende Bewertung Die Auslegungsmethode des effet utile war essenziell für die Entwicklung der Gemeinschaft, nur sie konnte das gegenwärtige hohe Maß an Integra454 Vgl. zur Unterscheidung zwischen Auslegung und Anwendung im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens Groh, Die Auslegungsbefugnis des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren, S. 32 ff. 455 Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 111, (S. 112 „Pflicht zur Abstraktion“). 456 Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 44. 457 Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 41 f. 458 Kühling/Lieth, EuR 2003, S. 371 (380) weisen darauf hin, dass es dogmatisches bzw. pragmatisches Vorgehen in Reinform nicht gibt. 459 Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 197. 460 So auch Kühling/Lieth, EuR 2003, S. 371 (383). 461 Vgl. z. B. als positives Beispiel die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten. A.A. Kühling/Lieth, EuR 2003, S. 371 (378), die auch dort mehr dogmatische Klarheit vom EuGH fordern. 462 Auf diese Gefahr weisen auch Kühling/Lieth, EuR 2003, S. 371 (389) hin, sie plädieren aber trotzdem für einen stärkeren dogmatischen Ansatz für das Gemeinschaftsrecht und die Rechtsprechung des EuGH.

E. Abschließende Bewertung

359

tion gewährleisten.463 Durch seine auf den effet utile aufbauenden Urteile im Bereich der Grundfesten des Gemeinschaftsrechts hat der EuGH zur Konstitutionalisierung der Gemeinschaft beigetragen,464 sie zu einer handlungsfähigen politischen Einheit ausgebaut und dadurch ihren Bestand gesichert.465 Eine der Grundlagen für die an der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts orientierte Auslegung ist die in der Präambel zum EGV enthaltene Formulierung von dem „immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker“. Diese greift Art. 1 Abs. 2 EUV auf, indem er vorsieht, dass dieser Vertrag „eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“ darstellt. In dieselbe Richtung weisen die in Art. 2 EUV enthaltenen Ziele, zu denen z. B. die Erhaltung und Weiterentwicklung der Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts oder die volle Wahrung und Weiterentwicklung des gemeinschaftlichen Besitzstandes gehören, sowie die in Art. 2 EGV beschriebenen Aufgaben der Gemeinschaft.466 In den genannten Bestimmungen ist also eine Dynamik enthalten, die eine Entwicklung hin von einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft zu einem Europa der Bürger vorsieht. Das Gemeinschaftsrecht ist in besonderer Weise ziel- bzw. ergebnisorientiert, also darauf angewiesen, dass die in den Verträgen vorgesehenen Ziele auch in der Praxis umgesetzt werden. Die Effektivität des Gemeinschaftsrechts ist in der Systematik der Verträge begründet, die keine Gemeinschaft schaffen wollten, die nur Programmsätze oder unverbindliche Maßnahmen erlassen kann.467 Die Ziele der Gemeinschaft sind vielmehr „Dreh- und Angelpunkt ihrer gesamten Aktivitäten“,468 der rechtliche 463 Vgl. z. B. auch Lembach, Grundlagen und Ausgestaltung gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftung, S. 234, die davon ausgeht, dass die Bedeutung des effet utile für die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann; Jacobs, CMLRev 2004, S. 303 (315); Lecheler, Der Grundsatz der Effektivität im Gemeinschaftsrecht, S. 29 f.; Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, S. 47 spricht von „überaus machtvollem Auslegungsinstrument“. 464 Oppermann, DVBl. 1997, S. 901 (905) attestiert dem EuGH Weitsicht in der Aufbauphase der Gemeinschaft und ein Erkennen der Zeichen der Zeit. 465 Everling, JZ 2000, S. 217. 466 Interessant ist es festzustellen, dass im VVE die Formulierung einer „immer engeren Union der europäischen Völker“ gestrichen und durch die Formulierung „in Vielfalt geeint“ ersetzt wurde. Daraus hätte sich bei Inkrafttreten der Verfassung nicht zwangsläufig eine andere Rolle des EuGH ergeben, da auch im geltenden Recht der in der Präambel enthaltene Hinweis auf die immer engere Union nur eine zusätzliche Legitimierung für die dynamische Auslegung durch den EuGH ist. 467 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 272. 468 Basedow, Zielkonflikte und Zielhierarchien im Vertrag über die Europäische Gemeinschaft, FS Everling, Bd. I, S. 49.

360

Teil 3: Ergebnisse

Rahmen für die Entwicklung von gemeinschaftsrechtlichen Prinzipien und Grundsätzen.469 Der EuGH hat in diesem System eine Schlüsselposition inne. Seine Aufgabe besteht darin, sicherzustellen, dass die Ziele tatsächlich erreicht werden470 und von ihnen somit in möglichst effektiver Weise Gebrauch gemacht werden kann.471 So gewährleistet er die Durchsetzung der Ordnungsregeln des gemeinschaftlichen Rechtssystems und die Verwirklichung der Forderung materieller Gerechtigkeit.472 Hinter den einzelnen technischen Auslegungsproblemen verbirgt sich letztendlich die Frage nach der allgemeinen Finalität und nach dem Wertesystem,473 das in der Gemeinschaft gelten soll.474 Die Rolle und die Bedeutung des Gerichtshofs hängen wesentlich mit der Frage zusammen, welche Funktion man dem Recht für die Integration zuschreibt. Recht gibt der Integration nämlich erst Gestalt, Form und Bestand.475 Insofern hat der Gerichtshof für die Entwicklung der Gemeinschaft eine zentrale Rolle als „Integrationsorgan“476 gespielt477 und sich durch eine zielgerichtete, dynamische Auslegung des Gemeinschaftsrechts bewährt.478 Seine Rechtsprechung ist 469

Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 156. Classen, Strukturunterschiede zwischen deutschem und europäischem Verwaltungsrecht, NJW 1995, S. 2457 (2462); Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, S. 47. 471 Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band II, Europarecht, S. 272, sie sprechen allerdings von möglichst „effizienter“ Weise. 472 Everling, Der Gerichtshof als Entscheidungsinstanz, in: Schwarze (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtsschutzinstanz, S. 137. 473 Vgl. dazu ausführlich Calliess, Europa als Wertegemeinschaft – Integration durch europäisches Verfassungsrecht? JZ 2004, 1033 ff. 474 Everling, Der Gerichtshof als Entscheidungsinstanz, in: Schwarze (Hrsg.), Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht und Rechtsschutzinstanz, S. 137. 475 Everling, Der Beitrag des Europäischen Gerichtshofes zur Entwicklung der Gemeinschaft, S. 195 (215). Vgl. dazu grundlegend Möllers, Die Rolle des Rechts im Rahmen der europäischen Integration. 476 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 15/24 ff.; problematisch ist die Bezeichnung des EuGH als „Motor der Integration“ vgl. Everling, JZ 2000, S. 217 (224); derselbe, DVBl. 2002, S. 1293 (1296); kritisch zu dieser Rolle des EuGH auch Streinz, Europarecht, Rn. 566; Mittmann, Die Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, S. 189; v. Danwitz, DVBl. 1998, S. 421 (431); Hirsch, JÖR 49 (2001), S. 79 (83 f.); vgl. dazu auch Dauses, integration 1994, S. 215 (222) über die veränderte Rolle des EuGH nach der Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im EG-Vertrag. 477 So auch Nicolaysen, Der Gerichtshof – Funktion und Bewährung der Judikative, EuR 1972, S. 375; Hirsch, JÖR 49 (2001), S. 79 (83 f.); Pirrung, Die Rolle des Richters in der europäischen Gerichtsbarkeit, FS Sonnenberger, S. 865 (870); Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im europäischen Gemeinschaftsrecht, 1976, S. 239; Tridimas, ELRev 1996, S. 199. 470

E. Abschließende Bewertung

361

durch zwei große Linien gekennzeichnet, die Stärkung des Gemeinschaftsbürgers und die Sicherung des rechtlichen Zusammenhalts der Gemeinschaft.479 Schon früh entwickelte Ipsen die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften als tragendes Rechtsprinzip,480 das seinen Ursprung in der Definition der Verträge als Integrationsinstrument hat. Den Verträgen liegen verschiedene Ziele zugrunde, deren Verwirklichung als „verbindliche Richtschnur“ Bestandteil der gemeinschaftlichen Rechtsordnung ist.481 Zunächst beruht die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften auf der Vertragstreue der Mitgliedstaaten und auf deren gemeinsamem Interesse am Funktionieren der Gemeinschaft.482 Wenn dem EuGH die Aufgabe der Wahrung des Rechts übertragen wurde, dann impliziert das auch die Sicherung der Integration im Rahmen seiner Zuständigkeiten.483 Ein Gericht, das die Entwicklung des Rechts mitgestaltet, ist für das Bestehen einer Rechtsordnung wie der gemeinschaftlichen, die verschiedene Rechtssysteme vereint, unerlässlich.484 Dadurch dass der Gerichtshof im Gemeinschaftsrecht nur teilweise verankerte Grundsätze wie den Anwendungsvorrang entwickelt hat, sichert er die Einheitlichkeit der Rechtsordnung, deren Funktionsfähigkeit insgesamt und die praktische Wirksamkeit ihrer Regeln.485 Der effet utile stellt eine eigene Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts dar. Der EuGH verwendet ihn für die Auslegung primärrechtlicher und sekundärrechtlicher Bestimmungen. Dabei beruft er sich manchmal auf die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit einzelner Normen, wie z. B. bei der Auslegung von Richtlinienbestimmungen.486 In anderen Fällen 478 Rodríguez Iglesias, Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften als Verfassungsgericht, EuR 1992, S. 225 (233); Oppermann, DVBl. 1994, S. 901 (902, 905); Sander, Der Europäische Gerichtshof als Förderer und Hüter der Integration, S. 108. 479 Vgl. Stotz, Die Rolle des Gerichtshofs bei der Integration, in: Rengeling/von Borries (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 21 (22 f.). 480 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 10/40 f., S. 280 f. 481 Nicolaysen, EuR 1972, S. 375 (379). 482 Oppermann, DVBl. 1994, S. 901 (902). 483 Nicolaysen, EuR 1972, S. 375 (379); Oppermann, DVBl. 1994, S. 901 (902). 484 Pernice, EuR 1996, S. 27 (34); zustimmend zur „aktiven“ Rolle des EuGH auch Tridimas, ELRev 1996, S. 199 (209). 485 Pernice, EuR 1996, S. 27 (28 f.). Kritisch Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 287, der den Ausdruck des „effet necessaire“ statt dem des „effet utile“ bevorzugt, weil dieser eine engere Bindung an das Kriterium der Funktionsfähigkeit herbeiführen und das Wünschbare besser vom Gebotenen abgrenzte.

362

Teil 3: Ergebnisse

argumentiert er mit der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts insgesamt oder des gemeinschaftsrechtlichen Systems, wie etwa bei der Begründung der gemeinschaftlichen Staatshaftung, die für den Gerichtshof aus dem Wesen der mit dem EWG-Vertrag geschaffenen Rechtsordnung folgt.487 Die Urteile, in denen der EuGH mit der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts insgesamt oder des gemeinschaftsrechtlichen Systems argumentiert, betreffen, wie gezeigt, meistens die Auslegung zentraler Normen des Primärrechts. In diesen Fällen scheint der Gerichtshof den effet utile als einen übergeordneten Leitsatz des Gemeinschaftsrechts zu verstehen,488 der die Ausrichtung und Entwicklung der Rechtsordnung insgesamt bestimmt.489 Ob der EuGH mit der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts insgesamt oder jener einzelner Normen argumentiert, hängt wesentlich von der Struktur der auszulegenden Bestimmung ab. Nachdem die Normen, die der Gerichtshof zur Auslegung vorfindet, unterschiedlich formuliert und konzipiert sind, kann er schon aus formalen Gründen nicht eine identische Herangehensweise wählen. Es handelt sich aber bei beiden Arten der Berücksichtigung der praktischen Wirksamkeit um unterschiedliche Spielarten desselben Grundsatzes. Hervorzuheben ist, dass der EuGH, wenn er mit der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts insgesamt oder des Systems argumentiert, leichter an die Grenzen seiner Befugnisse und der Kompetenzen der Gemeinschaft gelangen kann. Ob es in diesem Zusammenhang durch eine am effet utile orientierte Auslegung zu einer Weiterentwicklung des Gemeinschaftsrechts kommt, ist, wie ausführlich gezeigt wurde, eine Frage des Grades der Anbindung des Ergebnisses an die bestehenden Normen. Je 486 Vgl. z. B. Rs. C-130/01 (Kommission/Frankreich), Slg. 2003, I-5829, Rn. 64: „Wahrung der praktischen Wirksamkeit dieses Artikels“; Rs. C-439/01 (Cipra und Kvasnicka), Slg. 2003, I-745, Rn. 37; Rs. C-102/97 (Kommission/Deutschland), Slg. 1999, I-5051, Rn. 41; Rs. C-229/00 (Kommission/Finnland), Slg. 2003, I-5727, Rn. 39 oder Rs. C-92/00 (Hospital Ingenieure), Slg. 2002, I-5553, Rn. 52. 487 Vgl. verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a.), Slg. 1991, I-5357, Rn. 32 f. 488 Vgl. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 10/40, S. 280 in Bezug auf das Prinzip der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften. 489 Von einem allgemeinen Grundsatz der Effektivität im Gemeinschaftsrecht gehen Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Art. 10 EGV, Rn. 46; Zuleeg, Die Wirksamkeit des Europarechts, FS Rodríguez Iglesias, S. 221 f.; Nettesheim, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, GS Grabitz, S. 447 f.; Lecheler, Der Grundsatz der Effektivität im Gemeinschaftsrecht, aus. A.A. wohl Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 227 f., der der Ansicht ist, dass man das Prinzip der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaften nicht mit dem effet utile gleichsetzen kann, weil der effet utile nur auf einen einzelne Kompetenzvorschrift und nicht die Gemeinschaft als Ganzes bezogen werden könne.

E. Abschließende Bewertung

363

weiter sich die Schlussfolgerung des Gerichthofs dabei vom Text weg bewegt, umso schwerer fällt es, einen schlüssigen Ableitungszusammenhang zwischen dem effet utile und dem Auslegungsergebnis herzustellen.490 Deshalb steigen mit zunehmender Entfernung vom Text die Anforderungen an die Ausführlichkeit und Schlüssigkeit der Urteilsbegründung. Der Europäische Einigungsprozess ist von einer zunehmenden Verzahnung des Gemeinschaftsrechts mit dem Recht der Mitgliedstaaten gekennzeichnet. Die restriktive oder extensive Auslegung der vertraglich vorgesehenen Zuständigkeiten kann deshalb als „nervus rerum“ bezeichnet werden, an dem sich die Entwicklung und der Umfang des Einigungsprozesses entscheiden.491 Ein extensives Verständnis der gemeinschaftlichen Kompetenzen geht notwendigerweise zu Lasten der Mitgliedstaaten.492 Die Rechtsprechung des EuGH ist gerade im Zusammenhang mit dem effet utile immer wieder in der Hinsicht kritisiert worden, dass sie tendenziell zu einer Ausweitung der Gemeinschaftskompetenzen führe. So begreift beispielsweise das Bundesverfassungsgericht die Auslegung nach dem effet utile als „Vertragsauslegung im Sinne einer größtmöglichen Ausschöpfung der Gemeinschaftsbefugnisse“.493 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden, da der Gerichtshof unter dem effet utile die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts bzw. einer Gemeinschaftsrechtsnorm versteht und nicht die größtmögliche Ausschöpfung der Vertragskompetenzen.494 Es geht ihm also um eine Auslegung, die den Normcharakter der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ernst nimmt und versucht, die mit den Bestimmungen verfolgten Ziele effektiv zu verwirklichen,495 somit um die Sachgerechtig490

So auch Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, S. 47 f. Er kommt daher zu dem Schluss, dass der effet utile keine geeignete Grundlage zur Begründung der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung sei, weil kein eindeutiger Ableitungszusammenhang zwischen dem effet utile und der Feststellung der Rechtsfolge gegeben sei. Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen, s. ausführlich Teil 2 Kapitel C. III. 2. d). 491 Oppermann, DVBl. 1994, S. 901 (905). 492 Oppermann, DVBl. 1994, S. 901 (905). 493 BVerfGE 89, 155, 210 (Maastricht), diese Tendenz sieht auch Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, S. 46, zwar nicht in der Anfangsphase der Rechtsprechung, aber in späteren Entscheidungen. 494 So auch Pernice/Mayer in: Grabitz/Hilf, Art. 220 EGV, Rn. 46; Pescatore, Monisme, dualisme et „effet utile“ dans la jurisprudence de la Cour de justice de la Commuauté européenne, FS Rodríguez Iglesias, 2003, S. 329 (340 f.); Gaitanides in: von der Groeben/Schwarze, Art. 220 EG, Rn. 55; Everling, JZ 2000, S. 217 (220); kritisch gegenüber dem BVerfG auch Borchardt, Richterrecht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, GS Grabitz, S. 29 (32). 495 Wegener in: Calliess/Ruffert, Art. 220 EGV, Rn. 15; vgl. dazu, dass der EuGH seine Aufgabe als europäisches Kompetenzgericht wahrnimmt und seine Rechtsprechung nicht tendenziell zu einer Ausweitung der Gemeinschaftskompeten-

364

Teil 3: Ergebnisse

keit der auszulegenden Bestimmung.496 Der EuGH versucht nicht, ein Maximum an Wirksamkeit zu erzielen, sondern dosiert den effet utile in der Regel so, dass die auszulegende Norm so viel Wirksamkeit erhält als im Interesse der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft notwendig ist.497 Die Auslegung nach dem effet utile kann zu einer Erweiterung der Kompetenzen der Gemeinschaft führen. Erfordert es die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts oder einzelner Normen, weil z. B. der Gemeinschaftsgesetzgeber seiner Aufgabe nicht nachkommt oder sich die Mitgliedstaaten beständig gemeinschaftswidrig verhalten,498 kann der EuGH auf der Grundlage der auszulegenden Normen über oder mithilfe des effet utile unter Beachtung seiner eigenen und der Kompetenzen der Gemeinschaft auch neue Rechtsinstitute entwickeln. Dies war z. B. bei der Begründung der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung der Fall. Dabei kommt dem effet utile neben einer materiell-rechtlichen auch eine organisationsrechtliche Bedeutung zu, da der Gerichtshof die Aufgaben übernimmt, für die eigentlich die anderen Organe bzw. die Mitgliedstaaten zuständig sind.499 Auch im Rahmen der effet utile-Auslegung geht es somit um einen Ausgleich der Beziehungen zwischen Gemeinschaft, Staat und Individuum.500 Die vorliegende Arbeit konnte somit zeigen, dass der effet utile nicht mit dem Prinzip „in dubio pro comunitate“ gleichzusetzen ist.501 Die Rechtsprechung des Gerichtshofs enthält dafür keine Anzeichen, wie u. a. die Darstellung der Bereiche gezeigt hat, in denen der EuGH bewusst auf Effektivitätsüberlegungen verzichtet hat.502 Der Gerichtshof respektiert, dass eine an der Effektivität des Rechts ausgerichtete Auslegung nicht so weit gehen darf, dass die Objektivität des Rechts gebeugt wird. Er gewährleistet zu Recht keine Effektivität um jeden Preis, sondern hält sich an die Grenzen, die sich z. B. aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftszen führt, Mayer, Die drei Dimensionen der europäischen Kompetenzdebatte, ZaöRV 61 (2001), S. 577 (594 f. m. w. N.). 496 Ähnlich Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 297. 497 Ähnlich Pescatore, Monisme, dualisme et „effet utile“ dans la jurisprudence de la Cour de justice de la Commuauté européenne, FS Rodríguez Iglesias, 2003, S. 329 (340). 498 Wie z. B. im Falle der Begründung der horizontalen Direktwirkung von Richtlinien durch den EuGH. 499 Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 145. 500 Ähnlich Tonne, Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 297. 501 So auch Schroeder, Nationale Maßnahmen zur Durchführung von EG-Recht und das Gebot der einheitlichen Wirkung, AöR 129 (2004) S. 3 (20). 502 Vgl. Teil 3 Kapitel B.

E. Abschließende Bewertung

365

rechts ergeben.503 In Interesse einer größeren Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Vorhersehbarkeit seiner auf den effet utile gestützten Auslegungsergebnisse wäre es jedoch wünschenswert, wenn der Gerichtshof explizit auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip504 Bezug nähme und es in seine Abwägung miteinbezöge. Das hier vorgeschlagene Prüfungsschema könnte als Grundlage dafür dienen, dem „schillernden“505 Begriff des effet utile im Gemeinschaftsrecht klarere Konturen zu verleihen.

503 Vgl. Rs. 43/75 (Defrenne), Slg. 1976, S. 455, Rn. 71/73; Schroeder, AöR 129 (2004) S. 3 (20 f.). Scheuing Europarechtliche Impulse für innovative Ansätze im deutschen Verwaltungsrecht, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, S. 289 (351) betont zutreffend, dass es nicht um eine grenzenlose, sondern eine rechtsstaatliche gebundene Effektivitätsvorstellung geht; Lecheler, Der Grundsatz der Effektivität im Gemeinschaftsrecht, S. 30; Streinz, Der „effet utile“ in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften, FS Everling, Bd. II, S. 1491 (1509), Tridimas, ELRev 1996, S. 199 (200, 210). 504 Auf seine wichtige Bedeutung weist auch Lecheler, Der Grundsatz der Effektivität im Gemeinschaftsrecht, S. 3 f. hin. 505 Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 245.

Zusammenfassung in Thesen 1. Durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts wird erläutert und erforderlichenfalls verdeutlicht, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. 2. Der EuGH greift bei der Auslegung des Gemeinschaftsrecht auf sechs Methoden zurück: die Wortlautauslegung, die systematische Methode, die teleologische Methode, die historische Methode, die Rechtsvergleichung und den effet utile. Er geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die verschiedenen Methoden miteinander kombiniert werden müssen, um ein Auslegungsergebnis zu erzielen. 3. Den einzelnen Auslegungsmethoden kommt im Laufe der Geschichte der Gemeinschaft nicht immer dieselbe Bedeutung zu. Die Häufigkeit der Verwendung einer bestimmten Auslegungsmethode durch den EuGH und die Wichtigkeit, die er dieser Methode beimisst, wird nämlich u. a. durch das Entwicklungsstadium beeinflusst, in dem sich die Gemeinschaft gerade befindet. So spielte die teleologische Methode in den Anfangsjahren eine ganz besonders große Rolle, mit zunehmender Gesetzgebungstätigkeit auf Gemeinschaftsebene rückte auch die Wortlautauslegung stärker als zu Beginn in den Vordergrund. Außerdem nützt der EuGH, seit er die Grundprinzipien der Gemeinschaftsordnung durch seine Rechtsprechung etabliert hat, mehr und mehr den Verweis auf seine bestehende Rechtsprechung. 4. Der effet utile, der vom Großteil der Literatur als Unterart der teleologischen Auslegungsmethode angesehen wird, ist nach einer Analyse aller Urteile des EuGH, in denen er auf ihn zurückgreift, als eine eigene Auslegungsmethode des Gemeinschaftsrechts anzusehen. 5. Der Gerichtshof greift in seiner Rechtsprechung sehr häufig auf den effet utile zurück, der breit gestreut zum Einsatz kommt. Die effet utileUrteile des EuGH können in zwei große Blöcke unterteilt werden. Den ersten bilden diejenigen Entscheidungen, mit denen der Gerichtshof die Grundfesten des Gemeinschaftsrechts, wie z. B. den Vorrang und die Staatshaftung entwickelt hat. Dabei stehen zentrale Aspekte des Verhältnisses zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten im Vordergrund. Der zweite Block umfasst die Urteile, die das Gemeinschaftsrecht „im

Zusammenfassung in Thesen

367

Kleinen“ betreffen, also diejenigen, in denen der Gerichtshof den effet utile benützt, um eine bestimmte Norm des Gemeinschaftsrechts auszulegen, z. B. einen Vertragsartikel zum Wettbewerbsrecht oder einen Artikel einer Verordnung im landwirtschaftlichen Bereich. 6. Der Gerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass „unter verschiedenen möglichen Auslegungen diejenige zu wählen ist, die die praktische Wirksamkeit der Bestimmung zu wahren geeignet ist.“ Das bedeutet, dass der effet utile unter den Auslegungsmethoden eine hervorgehobene Stellung genießt. Er kann wie das Zünglein an der Waage wirken und dazu führen, dass eine Auslegungsvariante abzulehnen ist, weil sie die praktische Wirksamkeit der zu interpretierenden Norm nicht entsprechend gewährleistet. 7. Der effet utile unterscheidet sich von der teleologischen Auslegungsmethode dadurch, dass der Zweck einer Norm beschreibt, was sie erreichen und welchem Ziel sie dienen soll. Die praktische Wirksamkeit einer Vorschrift geht hingegen über ihren Zweck hinaus, da sie gewährleistet, dass das Ziel, das die Norm gemäß ihrem Zweck erfüllen soll, auch tatsächlich erreicht wird. Die Berücksichtigung der praktischen Wirksamkeit einer Norm kann mit anderen Worten als eine gesteigerte, potenzierte Form der Teleologie bezeichnet werden. 8. Der Gerichtshof will mit der Berücksichtigung des effet utile die Durchsetzbarkeit der auszulegenden Norm sichern. In der Gemeinschaftsrechtsordnung bedarf es der Berücksichtigung der praktischen Wirksamkeit viel stärker als in den nationalen Rechtsordnungen, da die EG im Gegensatz zu den Mitgliedstaaten ausschließlich auf dem Respekt vor dem Recht basiert. Das Gemeinschaftsrecht sieht nämlich keine speziellen Mittel zu seiner Durchsetzung gegenüber den Mitgliedstaaten vor, sondern gründet auf deren Kooperation. 9. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung die Anwendungsvoraussetzungen für den effet utile nicht präzisiert. Dies ist unter Aspekten der Rechtssicherheit problematisch, da Effektivität keine absolut messbare Größe ist, sondern ein Relationsbegriff, der einen Bezug zwischen zwei Vergleichsgrößen herstellt. Er drückt das Maß der Verwirklichung einer bestimmten Zielvorgabe aus, also das Verhältnis zwischen einer Istund einer Sollensleistung. 10. Um dem effet utile klarere Konturen zu verleihen, empfiehlt sich der Rückgriff auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das als Schlüssel für einen abgewogenen und nachvollziehbaren Einsatz des effet utile dienen kann. Die Voraussetzungen für seine einwandfreie Anwendung lassen sich wie folgt darstellen:

368

Zusammenfassung in Thesen

• Der Wortlaut der auszulegenden Norm darf nicht klar und eindeutig sein, sondern muss mehrere Auslegungen zulassen. • Bei einer ausschließlichen Berücksichtigung der klassischen Auslegungsmethoden, besteht die ernsthafte Gefahr, dass die Norm ihre praktische Wirksamkeit nicht entfalten kann, also nicht effektiv ist oder die Funktionsfähigkeit des Gemeinschaftsrechts nicht gewährleistet werden kann. Es entstünden Wirksamkeitseinbußen, die im Interesse der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht hingenommen werden können. • Das anhand des effet utile gefundene Auslegungsergebnis muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen, also geeignet, erforderlich und angemessen sein, um die Effektivität der auszulegenden Norm bzw. des Gemeinschaftsrechts insgesamt sicherzustellen. • Die gefundene Lösung darf dem Wortlaut der auszulegenden Norm nicht widersprechen, einen eindeutig entgegenstehenden Wortlaut darf auch der effet utile nicht aushebeln. 11. Der EuGH wendet den effet utile nicht einseitig zulasten der Mitgliedstaaten an, wie z. B. seine zurückhaltende Rechtsprechung zur horizontalen Richtlinienwirkung zeigt. Er respektiert, dass eine an der Effektivität des Rechts ausgerichtete Auslegung nicht so weit gehen darf, dass die Objektivität des Rechts gebeugt wird und gewährleistet zu Recht keine Effektivität um jeden Preis. Er bemüht sich im Rahmen seiner effet utile-Auslegung um einen Ausgleich der Beziehungen zwischen Gemeinschaft, Staat und Individuum.

Anhang 1

Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

370

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-228/96

Aprile Srl

Durchführung GemR

C-231/96

Edis

Durchführung GemR

C-260/96

Spac

Durchführung GemR

C-279/96 et al.

Ansaldo

Durchführung GemR

C-326/96

Levez

Durchführung GemR

C-343/96

Dilexport

Durchführung GemR

C-120/97

Upjohn

Durchführung GemR

C-78/98

Preston

Durchführung GemR

C-397/98 und C-410/98

Hoechst

Durchführung GemR

C-88/99

Roquette Freres II

Durchführung GemR

C-52/99 und C-53/99

Camarotto

Durchführung GemR

C-255/00

Grundig Italiana

Durchführung GemR

C-63/01

Evans II

Durchführung GemR

C-30/02

Recheio

Durchführung GemR

C-286/90

Poulsen

Landwirtschaft & Fischerei

33/74

Van Binsbergen

Grundfreiheiten (DLF)

39/75

Coenen

Grundfreiheiten (DLF)

C-376/98

Deutschland/Kommission

ger. Kontrolle Rechtsgrundlage

9/70

Grad (Leberpfenning)

unmittelbare Anwendbarkeit

20/70

Lesage

unmittelbare Anwendbarkeit

23/70

Haselhorst

unmittelbare Anwendbarkeit

41/74

van Duyn

unmittelbare Anwendbarkeit

C-86/90

O’Brien

Landwirtschaft & Fischerei

6 und 7/73

Istituto chemioterapico italiano

Wettbewerbsrecht

33/76

Rewe-Zentralfinanz

Durchführung GemR

45/76

Comet

Durchführung GemR

61/79

Denkavit

Durchführung GemR

68/79

Just

Durchführung GemR

811/79

Ariete

Durchführung GemR

826/79

S. A. S. Mediterranea

Durchführung GemR

54/81

Fromme

Durchführung GemR

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet Randnummer

Französisch

371

Deutsch

18, 19, 28

Effektivität

34, 35

Effektivität

18, 19

Effektivität

27

Effektivität

18, 32, 38

Effektivität

25, 26, 42

Effektivität

32

Effektivität

31, 40

Effektivität

85

Effektivität

21, 22

Effektivität

21

Effektivität

19, 33, 35, 36, 37, 40, 41

Effektivität

45, 46, 54, 76, 78

Effektivität

17, 18, 24, 26

Effektivität

11

effet utile

grösstmögliche Wirksamkeit

11

effet utile

jeder Wirksamkeit berauben

7

effet utile

jeder Wirksamkeit berauben

84

être privé de toute efficacité

jede Wirksamkeit genommen

effet utile

nützliche Wirkung (effet utile)

5

effet utile

nützliche Wirkung (effet utile)

5

effet utile

nützliche Wirkung (effet utile)

12

effet utile

nützliche Wirkung (effet utile)

15

effet utile

nützliche Wirkung

46

effet utile

Nutzwirkung

5

praktisch unmöglich

11/18

praktisch unmöglich

25, 28

praktisch unmöglich

25, 27

praktisch unmöglich

12, 16, 17

praktisch unmöglich

13, 16

praktisch unmöglich

6

praktisch unmöglich

372

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

199/82

San Giorgio

Durchführung GemR

205 bis 215/82

Deutsche Milchkontor

Durchführung GemR

309/85

Barra

Durchführung GemR

331/85, 376/85 u. 378/85

Jules Bianco

Durchführung GemR

104/86

Kommission/Italien

Durchführung GemR

142/87

Belgien/Kommission

Durchführung GemR

240/87

Deville

Durchführung GemR

94/87

Kommission/Deutschland

Durchführung GemR

C-208/90

Emmott

Durchführung GemR

C-87/90, 88/90 u. 89/90

Verholen

Durchführung GemR

C-290/91

Peter

Durchführung GemR

C-285/93

Dominikanerinnenkloster

Durchführung GemR

C-312/93

Peterbroeck

Durchführung GemR

C-367/93 bis 377/93

Roders BV

Durchführung GemR

C-394/93

Alonso-Perez

Durchführung GemR

C-430/93 u. 431/93

van Schijndel u. van Veen

Durchführung GemR

C-62/93

BP Soupergaz

Durchführung GemR

C-153/94 u. 204/94

Faroe Seafood

Durchführung GemR

C-90/94

Haahr Petoleum

Durchführung GemR

C-114/95 u. 115/95

Texaco

Durchführung GemR

C-188/95

Fantask

Durchführung GemR

C-242/95

GT-Links

Durchführung GemR

C-366/95

Steff-Houlberg

Durchführung GemR

C-246/96

Magorrian

Durchführung GemR

C-298/96

Oelmühle

Durchführung GemR

C-10/97 bis 22/97

IN.CO.GE.’ 90

Durchführung GemR

C-126/97

Eco Swiss

Durchführung GemR

C-404/97

Kommission/Portugal

Durchführung GemR

C-424/97

Haim

Staatshaftung

C-85/97

SFI

Durchführung GemR

C-228/98

Charalampos

Durchführung GemR

C-441/98 u. 442/98

Michailidis

Durchführung GemR

C-48/98

Söhlke

Durchführung GemR

C-480/98

Spanien/Kommission

Durchführung GemR

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet Randnummer

Französisch

Deutsch

12, 14, 17, 18

praktisch unmöglich

19, 22

praktisch unmöglich

18

praktisch unmöglich

12

praktisch unmöglich

7

praktisch unmöglich

61

praktisch unmöglich

12

praktisch unmöglich

12

praktisch unmöglich

16

praktisch unmöglich

24

praktisch unmöglich

8

praktisch unmöglich

26

praktisch unmöglich

12

praktisch unmöglich

49

praktisch unmöglich

28

praktisch unmöglich

17

praktisch unmöglich

41, 42

praktisch unmöglich

70

praktisch unmöglich

46, 48

praktisch unmöglich

41, 43, 45, 46

praktisch unmöglich

39, 47, 48, 52

praktisch unmöglich

24, 25, 27

praktisch unmöglich

15

praktisch unmöglich

37

praktisch unmöglich

24

praktisch unmöglich

25, 29

praktisch unmöglich

45

praktisch unmöglich

55

praktisch unmöglich

33

praktisch unmöglich

26

praktisch unmöglich

58, 60, 61, 64, 69, 71

praktisch unmöglich

36

praktisch unmöglich

66

praktisch unmöglich

34, 37

praktisch unmöglich

373

374

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-134/99

IGI

Durchführung GemR

C-216/99 u. 222/99

Prisco

Durchführung GemR

C-340/99

TNT Traco

Durchführung GemR

C-374/99

Spanien/Kommission

Durchführung GemR

C-382/99

Niederlande/Kommission

Durchführung GemR

C-472/99

Clean Car

Durchführung GemR

C-129/00

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-159/00

Sapod Audic

Durchführung GemR

C-336/00

Huber

Durchführung GemR

C-404/00

Kommission/Spanien

Durchführung GemR

C-62/00

Marks & Spencer

Durchführung GemR

C-125/01

Pflücke

Durchführung GemR

C-13/01

Safalero

Durchführung GemR

C-147/01

Weber’s Wine World

Durchführung GemR

C-276/01

Steffensen

Durchführung GemR

C-467/01

Eribrand

Durchführung GemR

C-482/01 u. 493/01

Orfanopooulos

Durchführung GemR

C-201/02

Wells

Durchführung GemR

C-224/02

Pusa

Durchführung GemR

C-34/02

Pasquini

Durchführung GemR

C-245/03

Merck, Sharp & Dome

Durchführung GemR

C-291/03

My Travel

Durchführung GemR

C-183/91

Kommission/Griechenland Wettbewerbsrecht

C-296/93 et C-307/93

Frankreich u. Irland/ Kommission

Landwirtschaft & Fischerei

70/72

Kommission/Deutschland

Wettbewerbsrecht

34/62

Deutschland/Kommission

Zoll

14/68

Walt Wilhelm

Vorrang

48/75

Royer

Durchführung GemR

21/76

Mines de potasse d’Alsace Brüsseler Übereinkommen

51/76

Nederlandse Ondernemingen

unmittelbare Anwendbarkeit

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet Randnummer

Französisch

375

Deutsch

34

praktisch unmöglich

69

praktisch unmöglich

60, 63

praktisch unmöglich

33

praktisch unmöglich

90

praktisch unmöglich

28, 29

praktisch unmöglich

25, 27

praktisch unmöglich

52, 53

praktisch unmöglich

55

praktisch unmöglich

51

praktisch unmöglich

34, 35

praktisch unmöglich

34, 46

praktisch unmöglich

49

praktisch unmöglich

103, 117, 118

praktisch unmöglich

60, 80

praktisch unmöglich

62

praktisch unmöglich

80

praktisch unmöglich

67, 70

praktisch unmöglich

44

praktisch unmöglich

58, 73

praktisch unmöglich

29

praktisch unmöglich

17

praktisch unmöglich

18

effet utile

praktische Wirkung

21

effet utile

praktische Wirkung

13

effet utile

praktischer Nutzen

S. 318

effet utile

praWi

6

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 4

6

effet utile

praktische Wirksamkeit (effet utile)

20

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

376

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

106/77

Simmenthal

unmittelb. Anw./Vorrang

38/77

Enka

unmittelbare Anwendbarkeit

148/78

Ratti

unmittelbare Anwendbarkeit

21/78

Delkvist

unmittelbare Anwendbarkeit

149/79

Kommission/Belgien

Grundfreiheiten (ANF Art. 39/4)

98/79

Pecastaing

Aufenthaltsrecht u. öff. Ordnung

112/80

Dürbeck

Landwirtschaft & Fischerei

246/80

Broekmeulen

Vorabentscheidungsverfahren

8/81

Becker

unmittelbare Anwendbarkeit

53/81

Levin

Grundfreiheiten (ANF)

76/81

Transporoute

Grundfreiheiten (DLF)

84/81

Staple Diary

Währungsausgleich

93/81

Knöller

ASR

12/82

Trinon

Verkehr

240 et al./82

Stiching

Wettbewerbsrecht

271/82

Auer

Grundfreiheiten (DLF/NLF)

276/82

Roomboterfabriek

Landwirtschaft & Fischerei

281/82

Unifrex

Währungsausgleich

292/82

Merck

Landwirtschaft & Fischerei

344/82

Gambetta

RiLi Haftung Kraftfahrzeuge

88/82

Leonelli

Handelsverkehr mit Geflügel

90/82

Kommission/Frankreich

Verbrauchssteuern Tabakwaren

5/83

Rienks

Grundfreiheiten (DLF/NLF)

229/83

Leclerc/Au blé vert

Wettbewerbsrecht

231/83

Cullet

Wettbewerbsrecht

205/84

Kommission/Deutschland

Grundfreiheiten (DLF)

209-213/84

Asjes

Wettbewerbsrecht

21/84

Kommission/Frankreich

Grundfreiheiten (WVF)

214/84

Stinnes

Eigenmittel der Gemeinschaft

307/84

Kommission/Frankreich

Grundfreiheiten (ANF Art. 39/4)

281, 283, 284, 285, 287/85

Deutschland u. a./ Kommission

Implied powers/effet utile

311/85

Vlamse Reisebureaus

Wettbewerbsrecht

93/85

Kommission/GB

Eigenmittel der Gemeinschaft

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

377

Randnummer

Französisch

Deutsch

20

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 21/23

9

effet utile

praWi

21

effet utile

praWi

21

effet utile

praWi

19

effet utile

praWi

17

effet utile

praWi

50

tout effet pratique

praWi

16

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

15

effet utile

praWi

14

effet utile

praWi

18

effet utile

praWi

9

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

76

effet utile

praWi

19

effet utile

praWi

15, 19

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

17

effet utile

praWi

13

effet utile

praWi

10

effet utile

praWi

21

effet utile

praWi

10

effet utile

praWi

14, 15

effet utile

praWi

16, 17

effet utile

praWi

52

effet utile

praWi

71

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 61

12

effet utile

praWi

12

effet utile

praWi

12

effet utile

praWi

28

effet utile

praWi

10

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi berauben

378

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

136/86

Aubert

Wettbewerbsrecht

145/86

Hoffmann

Brüsseler Übereinkommen

147/86

Kommission/Griechenland Grundfreiheiten (Art. 45 EGV)

157/86

Murphy

ASR

267/86

Van Eycke

Wettbewerbsrecht

66/86

Ahmed Saeed Flugreisen

Wettbewerbsrecht

242/87

ERASMUS

Bildungspolitik

254/87

Buchpreisbindung

Wettbewerbsrecht

358/87

Drewes

Landwirtschaft & Fischerei

374/87

Orkem

Wettbewerbsrecht

C-301/87

Kommission/Frankreich

Wettbewerbsrecht

5/88

Wachauf

Landwirtschaft & Fischerei

C-143/88 et C-92/89

Zuckerfabrik Süderdithmarschen

Durchführung GemR

C-177/88

Dekker

ASR

C-262/88

Barber

ASR

C-315/88

Bagli Pennacchiotti

Landwirtschaft & Fischerei

C-365/88

Kongress Agentur Hagen

Brüsseler Übereinkommen

C-146/89

Kommission/Großbritannien

Landwirtschaft & Fischerei

C-154/89

Kommission/Frankreich

Grundfreiheiten (DLF)

C-180/89

Kommission/Italien

Grundfreiheiten (DLF)

C-188/89

Foster

unmittelbare Anwendbarkeit

C-198/89

Kommission/Griechenland Grundfreiheiten (DLF)

C-2/89

Kits van Heijningen

ASR

C-213/89

Factortame I

Durchführung GemR

C-260/89

Elliniki Radiophonia

Wettbewerbsrecht

C-332/89

Marchandise

Wettbewerbsrecht

C-339/89

Alsthom Atlantique

Wettbewerbsrecht

C-163/90

Legros

übersee. Dep. Steuerregelung

C-196/90

De Paep

ASR

C-271/90 et al.

Spanien u. a./Kommission

Wettbewerbsrecht

C-354/90

FNCE

Wettbewerbsrecht

C-356/90 et C-180/91

Belgien/Kommission

Wettbewerbsrecht

C-48/90 et C-66/90

Niederlande/Kommission

Wettbewerbsrecht

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

379

Randnummer

Französisch

Deutsch

23

effet utile

praWi

29, 30

effet utile

praWi

8

effet utile

praWi

10

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

48

effet utile

praWi

11

effet utile

praWi

10

effet utile

praWi

27

effet utile

praWi

34

effet utile

praWi

11

effet utile

praWi

10

effet utile

praWi

19, 31

effet utile

praWi/volle Wirkung Rn. 30

24

effet utile

praWi

34

effet utile

praWi

25

effet utile

praWi

20, 22

effet utile

praWi

28

effet utile

praWi

12

effet utile

praWi

15

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

21

effet utile

praWi

22

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 20, 21

35

effet utile

praWi

22

effet utile

praWi

11

effet utile

praWi

26

effet utile

praWi

19

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 21

21

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

33

effet utile

praWi

28

effet utile

praWi

380

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-76/90

Säger/Dennemeyer

Grundfreiheiten (DLF)

C-171/91

Tsiotras

Grundfreiheiten (ANF)

C-185/91

Gebrüder Reiff

Wettbewerbsrecht

C-2/91

Meng

Wettbewerbsrecht

C-200/91

Coloroll Pension

ASR

C-207/91

Eurim-Pharm

Arzneimittel

C-245/91

Ohra Schadeverzekeringen Wettbewerbsrecht

C-320/91

Corbeau

Wettbewerbsrecht

C-50/91

Commerz-Credit-Bank

Gesellschaftssteuer

C-60/91

Morais

Wettbewerbsrecht

C-67/91

Asociacion Esp. de Banca Privada

Wettbewerbsrecht

C-228/92

Roquette Freres

Vorabentscheidungsverfahren

C-313/92

Van Swieten

Verkehr

C-379/92

Peralta

Wettbewerbsrecht

C-382/92

Kommission/Großbritannien

ASR

C-383/92

Kommission/Großbritannien

ASR

C-401/92 et C-402/92

Tankstation’ T Heuske

Wettbewerbsrecht

C-421/92

Habermann – Beltermann

ASR

C-428/92

Laererstandens Brandforsikring

ASR

C-431/92

Großkrotzenburg (Kom/D) UVP-RiLi

C-83/92

Pierrel

Arzneimittel

C-128/93

Fisscher

ASR

C-153/93

Delta

Wettbewerbsrecht

C-32/93

Webb

ASR

C-321/93

Martinez

ASR

C-363/93 et al.

Lancry SA

übersee. Dep. Steuerregelung

C-364/93

Marinari

Brüsseler Übereinkommen

C-381/93

Kommission/Frankreich

Verkehr

C-412/93

Leclerc-Siplec

Wettbewerbsrecht

C-415/93

Bosman

Grundfreiheiten (ANF)

C-43/93

Vander Elst

Grundfreiheiten (DLF)

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

381

Randnummer

Französisch

Deutsch

13

effet utile

praWi

13

effet utile

praWi

14

effet utile

praWi

14, 21

effet utile

praWi

19

effet utile

praWi

25

effet utile

praWi

10, 14

effet utile

praWi

11

effet utile

praWi

12

effet utile

praWi

11

effet utile

praWi

51

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 12

27

effet utile

praWi

17

effet utile

praWi

21

effet utile

praWi

28

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 19

25

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

19

effet utile

praWi

32

effet utile

praWi

28

effet utile

praWi

31

effet utile

praWi

14

effet utile

praWi

26

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

37

effet utile

praWi

12

effet utile

praWi

20

effet utile

praWi

25

effet utile

praWi

129

effet utile

praWi

17

effet utile

praWi

382

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-435/93

Dietz

ASR

C-439/93

Lloyd’s Register

Brüsseler Übereinkommen

C-465/93

Atlanta

Durchführung GemR

C-473/93

Kommission/Luxemburg

Grundfreiheiten (ANF)

C-68/93

Shevill

Brüsseler Übereinkommen

C-118/94

Associazione italiana per il WWF

unmittelbare Anwendbarkeit

C-125/94

Aprile

Zoll

C-129/94

Bernaldez

RiLi Haftung Kraftfahrzeuge

C-134/94

Esso Espanola

Wettbewerbsrecht

C-140/94 et al.

DIP SpA

Wettbewerbsrecht

C-212/94

FMC

Vorabentscheidungsverfahren

C-311/94

IJssel-Vliet Combinatie

Landwirtschaft & Fischerei

C-39/94

SFEI

Wettbewerbsrecht

C-68/94 et C-30/95

SCPA

Wettbewerbsrecht

C-106/95

Mainschiffahrts-Genossen- Brüsseler Übereinkommen schaft

C-171/95

Tetik

Assoziierungsabk. ANF

C-177/95

Ebony Maritime

Sanktionen Jugoslawien

C-181/95

Biogen

Arzneimittel

C-222/95

Parodi

Grundfreiheiten (DLF)

C-24/95

Alcan

Durchführung GemR

C-266/95

Merino García

ASR

C-334/95

Krüger

Landwirtschaft & Fischerei

C-344/95

Kommission/Belgien

Grundfreiheiten (ANF)

C-351/95

Kadiman

Assoziierungsabk. ANF

C-4/95 et C-5/95

Stöber u. Pereira

ASR

C-400/95

Larsson

ASR

C-58/95 et al.

Gallotti

Durchführung GemR

C-68/95

T. Port

Durchführung GemR

C-70/95

Sodemare

Wettbewerbsrecht

C-71/95, C-155/95, C-271/95

Belgien/Kommission

Landwirtschaft & Fischerei

C-72/95

Aannemersbedrijf

unmittelbare Anwendbarkeit

C-117/96

Mosbæk

ASR

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

383

Randnummer

Französisch

Deutsch

31

effet utile

praWi

17

effet utile

praWi

23, 43

effet utile

praWi/volle Wirkung Rn. 42

27

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 48

22, 36

effet utile

praWi

19

effet utile

praWi

40

effet utile

praWi

19

effet utile

praWi

18

effet utile

praWi

14

effet utile

praWi

58

effet utile

praWi

32

effet utile

praWi

45

effet utile

praWi

171

effet utile

praWi

18

effet utile

praWi

27, 31

effet utile

praWi

25

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 35

45

effet utile

praWi

31

effet utile

praWi

37

effet utile

praWi

25

effet utile

praWi

33

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

40

effet utile

praWi

32

effet utile

praWi

22

effet utile

praWi

14, 15, 17

effet utile

praWi

50

effet utile

praWi

41

effet utile

praWi

42

effet utile

praWi

56

effet utile

praWi

18

effet utile

praWi

384

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-212/96

Chevassus – Marche

übersee. Dep. Steuerregelung

C-266/96

Corsica Ferries

Wettbewerbsrecht

C-275/96

Kuusijärvi

ASR

C-328/96

Kommission/Österreich

öff. Auftragswesen

C-35/96

Kommission/Italien

Wettbewerbsrecht

C-353/96

Kommission/Irland

öff. Auftragswesen

C-36/96

Günaydin

Assoziierungsabk. ANF

C-360/96

BFI Holding

öff. Auftragswesen

C-394/96

Brown

ASR

C-411/96

Boyle

ASR

C-413/96

Sportsgoods

Zoll

C-416/96

El-Yassini

Assoziierungsabk. ANF

C-55/96

Job Centre

Wettbewerbsrecht

C-67/96

Albany

Wettbewerbsrecht

C-81/96

Gedeputeerde Staten

UVP-RiLi

C-98/96

Ertanir

Assoziierungsabk. ANF

C-1/97

Birden

Assoziierungsabk. ANF

C-102/97

Kommission/Deutschland

Altölbeseitigung

C-115/97 – C-117/97

Brentjens’ Handelsonderneming

Wettbewerbsrecht

C-147/97 und C-148/97

Deutsche Post AG

Wettbewerbsrecht

C-189/97

Parlament/Rat

Fischereiabkommen

C-193/97 und C-194/97

De Castro Freitas

Grundfreiheiten (DLF/NLF)

C-210/97

Akman

Assoziierungsabk. ANF

C-219/97

Maatschappij Drijvende Bokken

Wettbewerbsrecht

C-234/97

Bobadilla

Grundfreiheiten (DLF)

C-329/97

Ergat

Assoziierungsabk. ANF

C-340/97

Nazli

Assoziierungsabk. ANF

C-346/97

Braathens Sverige

Verbrauchsteuern Mineralöle

C-348/97

Kommission/Deutschland

Auslegung e. u. allgemein

C-38/97

Autotrasporti Librandi

Wettbewerbsrecht

C-434/97

Kommission/Frankreich

Auslegung e. u. allgemein

C-435/97

WWF/Provinz Bozen

unmittelbare Anwendbarkeit

C-437/97

Evangelischer Krankenhausverein

Auslegung e. u. allgemein

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

385

Randnummer

Französisch

Deutsch

36

effet utile

praWi

35

effet utile

praWi

31, 32

effet utile

praWi

75

effet utile

praWi

53

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

38

effet utile

praWi

34

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 62

21

effet utile

praWi

30

effet utile

praWi

33

effet utile

praWi

66

effet utile

praWi Verweis auf SA

28

effet utile

praWi

65, 69

effet utile

praWi

23, 27

effet utile

praWi

32

effet utile

praWi

37

effet utile

praWi

41, 43

effet utile

praWi

65, 69

effet utile

praWi

39

effet utile

praWi

26

effet utile

praWi

23, 29

effet utile

praWi

49

effet utile

praWi

55, 59

effet utile

praWi

21

effet utile

praWi

40

effet utile

praWi

28

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

53

effet utile

praWi

44

effet utile

praWi

21

effet utile

praWi

69

effet utile

praWi

41

effet utile

praWi

386

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-104/98

Buchner

ASR

C-156/98

Kommission/Deutschland

Wettbewerbsrecht

C-165/98

Mazzoleni

Grundfreiheiten (DLF)

C-196/98

Hepple

ASR

C-205/98

Kommission/Österreich

RiLi Mauterhebung

C-207/98

Mahlburg

ASR

C-223/98

Adidas

Auslegung e.u. allgemein

C-226/98

Jørgensen

ASR

C-236/98

Jämställdhetsombudsmannen

ASR

C-287/98

Linster

unmittelbare Anwendbarkeit

C-34/98

Kommission/Frankreich

ASR

C-365/98

Brinkmann

unmittelbare Anwendbarkeit

C-368/98

Vanbraekel

ASR

C-424/98

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-58/98

Corsten

Grundfreiheiten (DLF/NLF)

C-8/98

Dansommer

Brüsseler Übereinkommen

C-11/99

Dietrich

ASR

C-157/99

Smits & Peerbooms

Grundfreiheiten (DLF)

C-164/99

Portugaia Construcoes

Grundfreiheiten (DLF)

C-205/99

Analir

Grundfreiheiten (DLF)

C-285/99 und C-286/99

Impresa Lombardini

öff. Auftragswesen

C-339/99

Steiermark Energie Holding

Gesellschaftssteuer

C-353/99 P

Hautala

Zugang zu Dokumenten

C-379/99

Menauer

ASR

C-385/99

Müller-Fauré und van Riet Grundfreiheiten (DLF)

C-403/99

Kommission/Italien

Auslegung e. u. allgemein

C-439/99

Kommission/Italien

Grundfreiheiten (DLF)

C-453/99

Courage

Wettbewerbsrecht

C-493/99

Kommission/Deutschland

Grundfreiheiten (DLF)

C-500/99 P

Conserve Italia

Landwirtschaft & Fischerei

C-62/99

Bofrost

ASR

C-66/99

Wandel

Zoll

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

387

Randnummer

Französisch

Deutsch

24

effet utile

praWi

48

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

131

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

27

effet utile

praWi

43

effet utile

praWi

32

effet utile

praWi

38

effet utile

praWi

32

effet utile

praWi

34

effet utile

praWi

35

effet utile

praWi

31, 32, 43, 46

effet utile

praWi

26

effet utile

praWi

38

effet utile

praWi

90

effet utile

praWi

17

effet utile

praWi

37

effet utile

praWi

72

effet utile

praWi

40

effet utile

praWi

26

effet utile

praWi

29, 30, 31

effet utile

praWi

84

effet utile

praWi

28

effet utile

praWi

30

effet utile

praWi

26

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 25

19

effet utile

praWi

88

effet utile

praWi

32

effet utile

praWi

43

effet utile

praWi

388

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-109/00

Tele Danmark

ASR

C-162/00

Pokrzeptowicz – Meyer

Assoziierungsabk. ANF

C-188/00

Kurz

Assoziierungsabk. ANF

C-209/00

WestLB

Wettbewerbsrecht

C-229/00

Kommission/Finnland

Arzneimittel

C-246/00

Kommission/Niederlande

Anerkennung Führerschein

C-253/00

Munoz

Durchführung GemR

C-28/00

Kauer

ASR

C-363/00

Kommission/Italien

Eigenmittel der Gemeinschaft

C-440/00

Kühne&Nagel

ASR

C-63/00

Schilling

Auslegung e. u. allgemein

C-92/00

Hospital Ingenieure

öff. Auftragswesen

C-130/01

Kommission/Frankreich

Gewässerschutz

C-187/01 und C-385/01

Gözütok und Brügge

Schengener Abkommen

C-271/01

Coppi

Landwirtschaft & Fischerei

C-290/01

Derudder

Zoll

C-320/01

Busch

ASR

C-332/01

Griechenland/Kommission Landwirtschaft & Fischerei

C-349/01

Anker

ASR

C-439/01

Cipra

Verkehr

C-464/01

Gruber

Brüsseler Übereinkommen

C-59/01

Kommission/Italien

Versicherung

C-157/02

Rieser

unmittelbare Anwendbarkeit

C-174/02

Streekgewest

Wettbewerbsrecht

C-200/02

Chen

Unionsbürgerschaft

C-230/02

Grossmann

öff. Auftragswesen

C-282/02

Kommission/Irland

Durchführung GemR

C-303/02

Haackert

ASR

C-312/02

Kommission/Schweden

Landwirtschaft & Fischerei

C-327/02

Panayotova

Assoziierungsabk.

C-384/02

Grøngaard

RiLi Insider Geschäfte,

C-460/02

Kommission/Italien

RiLi Bodenabfertigung

C-467/02

Cetinkaya

Assoziierungsabk. ANF

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

389

Randnummer

Französisch

Deutsch

29

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

55, 68

effet utile

praWi

30

effet utile

praWi

39

effet utile

praWi

48, 85, 86

effet utile

praWi

30

effet utile

praWi

36

priver de toute utilité

praWi

46

priver de tout efficacité pratique

praWi

46, 59

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

52

effet utile

praWi

64, 65

effet utile

praWi

45

effet utile

praWi

41

effet utile

praWi berauben

43

effet utile

praWi

43, 49

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 49

142

effet utile

praWi

50, 57

effet utile

praWi

37

effet utile

praWi

50

effet utile

praWi

31

effet utile

praWi

22

effet utile

praWi

20

effet utile

praWi

45

effet utile

praWi

39, 42

effet utile

praWi berauben

31, 33

effet utile

praWi

29

effet utile

praWi

41

effet utile

praWi

33

effet utile

praWi

26

effet utile

praWi

32

effet utile

praWi

31

effet utile

praWi

390

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-8/02

Leichtle

Grundfreiheiten (DLF)

C-105/03

Pupino

Durchführung GemR

C-111/03

Kommission/Schweden

Landwirtschaft & Fischerei

C-145/03

Keller

ASR

C-15/03

Kommission/Österreich

Altölbeseitigung

C-188/03

Junk

ASR

C-21/03 u. C-34/03

Fabricom

öff. Auftragswesen

C-220/03

EZB/Deutschland

Sitzabkommen EZB

C-26/03

Stadt Halle

öff. Auftragswesen

C-264/03

Kommission/Frankreich

öff. Auftragswesen/DLF NLF

C-265/03

Simutenkov

Partnerschaftsabkommen ANF

C-272/03

Siig

Zoll

C-350/03

Schulte

Durchführung GemR

C-373/03

Aydinli

Assoziierungsabk. ANF

C-374/03

Gürol

Assoziierungsabk. ANF

C-383/03

Dogan

Assoziierungsabk. ANF

C-386/03

Kommission/Deutschland

RiLi Bodenabfertigung

C-537/03

Candolin

Kraftfahrzeugversicherung

C-84/03

Kommission/Spanien

öff. Auftragswesen

C-86/03

Griechenland/Kommission Schwefelgehalt-RiLi

C-92/03

Kommission/Portugal

Altölbeseitigung

C-128/04

Raemdonck

Verkehr

C-14/04

Dellas

ASR

C-144/04

Mangold

Durchführung GemR

C-186/04

Housieaux

Umweltinformations-RiLi

C-29/04

Kommission/Österreich

öff. Auftragswesen

C-40/04

Yonemoto

Durchführung GemR

C-77/04

GIE

Brüsseler Übereinkommen

2/74

Reyners

Grundfreiheiten (Art. 45 EGV)

C-260/90

Leplat

übersee. Dep. Steuerregelung

23/78

Meeth

Brüsseler Übereinkommen

48/74

Charmasson

Landwirtschaft & Fischerei

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

391

Randnummer

Französisch

Deutsch

55, 57

effet utile

praWi

38

effet utile

praWi

63

effet utile

praWi

69

effet utile

praWi

38

effet utile

praWi

44

effet utile

praWi

42

effet utile

praWi

31

effet utile

praWi

34

effet utile

praWi

56, 67

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

69

effet utile

praWi

25

effet utile

praWi

41

effet utile

praWi

14, 20

effet utile

praWi

28, 29

effet utile

praWi

28

effet utile

praWi

48

effet utile

praWi

61

effet utile

praWi

35

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

45, 53

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 44

72

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 77

26, 33

effet utile

praWi

42

effet utile

praWi

58

effet utile

praWi

35

effet utile

praWi

50

effet utile

seiner Wirksamkeit beraubt

18

effet utile

Sinn und Wirksamkeit

6

effet utile

sinnvoll

20

plein effet

volle Wirksamkeit

392

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

12/76

Industrie tessili

Brüsseler Übereinkommen

231/78

Kartoffeln (Kom/GB)

Landwirtschaft & Fischerei

232/78

Schaffleisch (Kom/Frankreich)

Landwirtschaft & Fischerei

253/78 und 1 bis 3/79

Giry

Wettbewerbsrecht

33/78

Somafer

Brüsseler Übereinkommen

77/79

Damas

Landwirtschaft & Fischerei

804/79

Kommission/Großbritannien

Landwirtschaft & Fischerei

165/82

Kommission/Großbritannien

ASR

201/82

Gerling

Brüsseler Übereinkommen

34/82

Peters

Brüsseler Übereinkommen

87/82

Rogers

Landwirtschaft & Fischerei

221/84

Berghoeffer

Brüsseler Übereinkommen

222/84

Johnston

Durchführung GemR

144/86

Gubisch

Brüsseler Übereinkommen

252/86

Bergandi

Mehrwertsteuer

9/87

Arcado

Brüsseler Übereinkommen

189/87

Kalfelis

Brüsseler Übereinkommen

170/88

Ford Espana

Vorrang

267/88 bis 285/88

Wuidart

Landwirtschaft & Fischerei

C-184/89

Nimz

Vorrang

C-214/89

Powell Duffryn

Brüsseler Übereinkommen

C-261/90

Reichert

Brüsseler Übereinkommen

C-6/90 u. 9/90

Francovich

Staatshaftung

C-13/91 und C-113/91

Debus

Vorrang

C-338/91

Steenhorst

ASR

C-125/92

Mulox

Brüsseler Übereinkommen

C-324/93

Evans Medical

Vorrang

C-441/93

Panagis Pafitis

RiLi Gesellschaftsrecht

C-46/93 und C-48/93

Brasserie du Pecheur

Staatshaftung

C-173/94

Kommission/Belgien

Grundfreiheiten (ANF Art. 39/4)

C-178/94 et al

Dillenkofer

Staatshaftung

C-290/94

Kommission/Griechenland Grundfreiheiten (ANF Art. 39/4)

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet Randnummer

Französisch

Deutsch

11

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

15

plein effet

volle Wirksamkeit

7

plein effet

volle Wirksamkeit

16

plein effet

volle Wirksamkeit

5

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

7

plein effet

volle Wirksamkeit

27

plein effet

volle Wirksamkeit

11

compet effet

volle Wirksamkeit

11

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

10

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

12

plein effet

volle Wirksamkeit

12

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

53

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

7

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

13

plein effet

volle Wirksamkeit

11

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

16

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

Tenor somm

plein effet

volle Wirksamkeit

11

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

19, 20

plein effet, pleine efficiacité

volle Wirksamkeit

12

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

15

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

33

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

32

plein effet

volle Wirksamkeit

34

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

10

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

33

plein effet

volle Wirksamkeit

68, 70

plein effet

volle Wirksamkeit

20, 39, 52, 72, 95

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

20

plein effet

volle Wirksamkeit

22, 49

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

37

plein effet

volle Wirksamkeit

393

394

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-295/95

Farrell

Brüsseler Übereinkommen

C-358/95

Morellato

Vorrang

C-383/95

Rutten

Brüsseler Übereinkommen

C-197/96

Kommission/Frankreich

Durchführung GemR

C-207/96

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-350/96

Clean Car Autoservice

Grundfreiheiten (ANF)

C-367/96

Kefalas

RiLi Gesellschaftsrecht

C-306/97

Connemara

öffentl. Auftragswesen

C-440/97

GIE Groupe Concorde

Brüsseler Übereinkommen

C-63/97

BMW

Markenrecht

C-258/98

Carra

Vorrang

C-1/99

Kofisa

Durchführung GemR

C-226/99

Siples

Durchführung GemR

C-478/99

Kommission/Schweden

Durchführung GemR

C-118/00

Larsy

Vorrang

C-119/00

Kommission/Luxemburg

Durchführung GemR

C-207/00

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-37/00

Weber

Brüsseler Übereinkommen

C-60/00

Carpenter

Grundfreiheiten (DLF)

C-97/00

Kommission/Frankreich

Durchführung GemR

C-160/01

Mau

Durchführung GemR

C-167/01

Inspire Art

Durchführung GemR

C-230/01

Penycoed

Durchführung GemR

C-397/01 bis C-403/01

Pfeiffer

Durchführung GemR

C-103/02

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-151/02

Jaeger

ASR

C-72/02

Kommssion/Portugal

Durchführung GemR

C-176/03

Kommission/Rat

Strafrecht, Umweltrecht

C-410/03

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-443/03

Leffler

Vorrang

C-456/03

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-477/03

Kommission/Deutschland

Durchführung GemR

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet Randnummer

Französisch

Deutsch

12

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

18, 20

plein effet

volle Wirksamkeit

12

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

16

plein effet

volle Wirksamkeit

27

plein effet

volle Wirksamkeit

20

être efficace et utile

volle Wirksamkeit

22, 23

plein effet

volle Wirksamkeit

31

plein effet

volle Wirksamkeit

11

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

23

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

16

plein effet

volle Wirksamkeit

48

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

19

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

15, 21

plein effet

volle Wirksamkeit

51, 52

pleine efficacité, plein effet

volle Wirksamkeit

12

plein effet

volle Wirksamkeit

25

plein effet

volle Wirksamkeit

60

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

39

plein effet

volle Wirksamkeit

9

plein effet

volle Wirksamkeit

34

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

62

la portée et l’efficacité

volle Wirksamkeit

36

portée et efficacité

volle Wirksamkeit

114, 118

pleine efficacité, plein effectivité

volle Wirksamkeit

33

plein effet

volle Wirksamkeit

58

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

18

plein effet

volle Wirksamkeit

48

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

39, 40

plein effet

volle Wirksamkeit

51

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

50

plein effet

volle Wirksamkeit

9

plein effet

volle Wirksamkeit

395

396

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

14/83

von Colson und Kamann

Durchführung GemR

79/83

Harz

Durchführung GemR

C-143/91

Van der Tas

Durchführung GemR

C-320/99

Kommission/Frankreich

Durchführung GemR

22/87

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-370/90

Singh

Grundfreiheiten (NLF/ANF)

C-84/90

Dent

Landwirtschaft & Fischerei

C-158/91

Levy

Durchführung GemR

C-271/91

Marshall

Durchführung GemR

C-383/92

Kommission/Großbritannien

ASR

C-379/04

Dahms

Durchführung GemR

3/86

Kommission/Italien

Landwirtschaft & Fischerei

C-169/95

Spanien/Kommission

Wettbewerbsrecht

C-392/93

British Telecommunications

Staatshaftung

C-283/94 et al.

Denkavit

Staatshaftung

C-5/94

Lomas

Staatshaftung

C-127/95

Norbrook Laboratories

Staatshaftung

C-261/95

Palmisani

Staatshaftung

C-373/95

Maso

Staatshaftung

C-66/95

Sutton

Staatshaftung

C-94/95 und C-95/95

Bonifaci

Staatshaftung

C-319/96

Brinkmann Tabakfabriken

Staatshaftung

C-140/97

Rechberger

Staatshaftung

C-150/99

Lindöpark

Staatshaftung

C-348/89

Mecanarte

Vorabentscheidungsverfahren

C-183/90

Van Dalfsen

Brüsseler Übereinkommen

C-373/97

Diamantis

Rili Gesellschaftsrecht

C-303/88

Italien/Kommission

Wettbewerbsrecht

C-5/89

Kommission/Deutschland

Wettbewerbsrecht

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet Randnummer

Französisch

Deutsch

15

plein effet

vollständige Wirksamkeit

15

plein effet

vollständige Wirksamkeit

16, 18

plein effet

vollständige Wirksamkeit

9

plein effet

vollständige Wirksamkeit

6

plein effet

volle Wirkung

23

plein effet

volle Wirkung

12

plein effet

volle Wirkung

9

plein effet

volle Wirkung

17

plein effet

volle Wirkung

20

plein effet

volle Wirkung

14

plein effet

volle Wirkung

21

effet utile

wäre nutzlos

48

effet utile

wären wirkungslos

38

Wesen der mit dem

47

Wesen der mit dem

24

Wesen der mit dem

106

Wesen der mit dem

24

Wesen der mit dem

34

Wesen der mit dem

31

Wesen der mit dem

46

Wesen der mit dem

24

Wesen der mit dem

21

Wesen der mit dem

36

Wesen der mit dem

45

effet utile

Wirksamkeit

30

effet utile

Wirksamkeit

34

plein effet

Wirksamkeit

43

effet utile

wirkungslos

17

effet utile

wirkungslos

397

398

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-71/91 et C-178/91

Ponente Carni

Steuer

C-235/99

Kondova

Assoziierungsabk. ANF

C-310/99

Italien/Kommission

Wettbewerbsrecht

C-334/99

Deutschland/Kommission

Wettbewerbsrecht

C-63/99

Gloszczuk

Assoziierungsabk. ANF

6/64

Costa/E. N. E. L.

Vorrang

C-301/95

Road Air

UVP-RiLi

30/70

Scheer

Durchführung GemR

Anhang 1: Effet utile-Urteile nach Stichwort geordnet Randnummer

Französisch

Deutsch

31

effet utile

Wirkung

79

effet utile

wirkungslos

194

effet utile

wirkungslos und ihrer Wirksamkeit berauben

42

effet utile

wirkungslos

74

effet utile

wirkungslos

399

Wortlaut und Geist des Vertrages

S. 1269 44

effet utile

würde praktisch ins Leere laufen lassen

10

effet utile

die ihnen zukommende Wirkung

Anhang 2

Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

402

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-102/97

Kommission/Deutschland

Altölbeseitigung

C-15/03

Kommission/Österreich

Altölbeseitigung

C-92/03

Kommission/Portugal

Altölbeseitigung

C-246/00

Kommission/Niederlande

Anerkennung Führerschein

C-207/91

Eurim-Pharm

Arzneimittel

C-83/92

Pierrel

Arzneimittel

C-181/95

Biogen

Arzneimittel

C-229/00

Kommission/Finnland

Arzneimittel

93/81

Knöller

ASR

165/82

Kommission/Großbritannien

ASR

157/86

Murphy

ASR

C-177/88

Dekker

ASR

C-262/88

Barber

ASR

C-2/89

Kits van Heijningen

ASR

C-196/90

De Paep

ASR

C-200/91

Coloroll Pension

ASR

C-338/91

Steenhorst

ASR

C-382/92

Kommission/Großbritannien

ASR

C-383/92

Kommission/Großbritannien

ASR

C-383/92

Kommission/Großbritannien

ASR

C-421/92

Habermann – Beltermann

ASR

C-428/92

Laererstandens Brandforsikring

ASR

C-128/93

Fisscher

ASR

C-32/93

Webb

ASR

C-321/93

Martinez

ASR

C-435/93

Dietz

ASR

C-266/95

Merino García

ASR

C-4/95 et C-5/95

Stöber u. Pereira

ASR

C-400/95

Larsson

ASR

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

403

Randnummer

Französisch

Deutsch

41, 43

effet utile

praWi

38

effet utile

praWi

35

effet utile

praWi

48, 85, 86

effet utile

praWi

25

effet utile

praWi

28

effet utile

praWi

45

effet utile

praWi

39

effet utile

praWi

9

effet utile

praWi

11

complet effet

volle Wirksamkeit

10

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

34

effet utile

praWi

21

effet utile

praWi

19

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 21

19

effet utile

praWi

34

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

28

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 19

25

effet utile

praWi

20

plein effet

volle Wirkung

24

effet utile

praWi

19

effet utile

praWi

31

effet utile

praWi

26

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

31

effet utile

praWi

25

effet utile

praWi

32

effet utile

praWi

22

effet utile

praWi

404

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-117/96

Mosbæk

ASR

C-275/96

Kuusijärvi

ASR

C-394/96

Brown

ASR

C-411/96

Boyle

ASR

C-104/98

Buchner

ASR

C-196/98

Hepple

ASR

C-207/98

Mahlburg

ASR

C-226/98

Jørgensen

ASR

C-236/98

Jämställdhetsombudsmannen

ASR

C-34/98

Kommission/Frankreich

ASR

C-368/98

Vanbraekel

ASR

C-11/99

Dietrich

ASR

C-379/99

Menauer

ASR

C-62/99

Bofrost

ASR

C-109/00

Tele Danmark

ASR

C-28/00

Kauer

ASR

C-440/00

Kühne&Nagel

ASR

C-320/01

Busch

ASR

C-349/01

Anker

ASR

C-151/02

Jaeger

ASR

C-303/02

Haackert

ASR

C-145/03

Keller

ASR

C-188/03

Junk

ASR

C-14/04

Dellas

ASR

C-171/95

Tetik

Assoziierungsabk. ANF

C-351/95

Kadiman

Assoziierungsabk. ANF

C-36/96

Günaydin

Assoziierungsabk. ANF

C-416/96

El-Yassini

Assoziierungsabk. ANF

C-98/96

Ertanir

Assoziierungsabk. ANF

C-1/97

Birden

Assoziierungsabk. ANF

C-210/97

Akman

Assoziierungsabk. ANF

C-329/97

Ergat

Assoziierungsabk. ANF

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

405

Randnummer

Französisch

Deutsch

18

effet utile

praWi

31, 32

effet utile

praWi

21

effet utile

praWi

30

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

27

effet utile

praWi

43

effet utile

praWi

38

effet utile

praWi

34

effet utile

praWi

38

effet utile

praWi

29, 30, 31

effet utile

praWi

32

effet utile

praWi

29

effet utile

praWi

36

priver de toute utilité

praWi

46, 59

effet utile

praWi

43, 49

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 49

50, 57

effet utile

praWi

58

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

29

effet utile

praWi

69

effet utile

praWi

44

effet utile

praWi

45, 53

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 44

27, 31

effet utile

praWi

40

effet utile

praWi

38

effet utile

praWi

66

effet utile

praWi Verweis auf SA

32

effet utile

praWi

37

effet utile

praWi

49

effet utile

praWi

40

effet utile

praWi

406

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-340/97

Nazli

Assoziierungsabk. ANF

C-235/99

Kondova

Assoziierungsabk. ANF

C-63/99

Gloszczuk

Assoziierungsabk. ANF

C-162/00

Pokrzeptowicz – Meyer

Assoziierungsabk. ANF

C-188/00

Kurz

Assoziierungsabk. ANF

C-327/02

Panayotova

Assoziierungsabk.

C-467/02

Cetinkaya

Assoziierungsabk. ANF

C-373/03

Aydinli

Assoziierungsabk. ANF

C-374/03

Gürol

Assoziierungsabk. ANF

C-383/03

Dogan

Assoziierungsabk. ANF

98/79

Pecastaing

Aufenthaltsrecht u. öff. Ordnung

C-348/97

Kommission/Deutschland

Auslegung e. u. allgemein

C-434/97

Kommission/Frankreich

Auslegung e. u. allgemein

C-437/97

Evangelischer Krankenhausverein

Auslegung e. u. allgemein

C-223/98

Adidas

Auslegung e. u. allgemein

C-403/99

Kommission/Italien

Auslegung e. u.allgemein

C-63/00

Schilling

Auslegung e. u. allgemein

242/87

ERASMUS

Bildungspolitik

12/76

Industrie tessili

Brüsseler Übereinkommen

21/76

Mines de potasse d’Alsace Brüsseler Übereinkommen

23/78

Meeth

Brüsseler Übereinkommen

33/78

Somafer

Brüsseler Übereinkommen

201/82

Gerling

Brüsseler Übereinkommen

34/82

Peters

Brüsseler Übereinkommen

221/84

Berghoeffer

Brüsseler Übereinkommen

144/86

Gubisch

Brüsseler Übereinkommen

145/86

Hoffmann

Brüsseler Übereinkommen

9/87

Arcado

Brüsseler Übereinkommen

189/87

Kalfelis

Brüsseler Übereinkommen

C-365/88

Kongress Agentur Hagen

Brüsseler Übereinkommen

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet Randnummer

Französisch

Deutsch

28

effet utile

praWi

79

effet utile

wirkungslos

74

effet utile

wirkungslos

24

effet utile

praWi

55, 68

effet utile

praWi

33

effet utile

praWi

31

effet utile

praWi

25

effet utile

praWi

41

effet utile

praWi

14, 20

effet utile

praWi

17

effet utile

praWi

53

effet utile

praWi

21

effet utile

praWi

41

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

28

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

11

effet utile

praWi

11

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

20

effet utile

praWi

6

effet utile

sinnvoll

5

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

11

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

10

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

12

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

7

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

29, 30

effet utile

praWi

11

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

16

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

20, 22

effet utile

praWi

407

408

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-214/89

Powell Duffryn

Brüsseler Übereinkommen

C-183/90

Van Dalfsen

Brüsseler Übereinkommen

C-261/90

Reichert

Brüsseler Übereinkommen

C-125/92

Mulox

Brüsseler Übereinkommen

C-364/93

Marinari

Brüsseler Übereinkommen

C-439/93

Lloyd’s Register

Brüsseler Übereinkommen

C-68/93

Shevill

Brüsseler Übereinkommen

C-106/95

Mainschiffahrts-Genossen- Brüsseler Übereinkommen schaft

C-295/95

Farrell

Brüsseler Übereinkommen

C-383/95

Rutten

Brüsseler Übereinkommen

C-440/97

GIE Groupe Concorde

Brüsseler Übereinkommen

C-8/98

Dansommer

Brüsseler Übereinkommen

C-37/00

Weber

Brüsseler Übereinkommen

C-464/01

Gruber

Brüsseler Übereinkommen

C-77/04

GIE

Brüsseler Übereinkommen

30/70

Scheer

Durchführung GemR

48/75

Royer

Durchführung GemR

33/76

Rewe-Zentralfinanz

Durchführung GemR

45/76

Comet

Durchführung GemR

61/79

Denkavit

Durchführung GemR

68/79

Just

Durchführung GemR

811/79

Ariete

Durchführung GemR

826/79

S. A. S. Mediterranea

Durchführung GemR

54/81

Fromme

Durchführung GemR

199/82

San Giorgio

Durchführung GemR

205 bis 215/82

Deutsche Milchkontor

Durchführung GemR

14/83

von Colson und Kamann

Durchführung GemR

79/83

Harz

Durchführung GemR

222/84

Johnston

Durchführung GemR

309/85

Barra

Durchführung GemR

331/85, 376/85 u. 378/85

Jules Bianco

Durchführung GemR

104/86

Kommission/Italien

Durchführung GemR

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

409

Randnummer

Französisch

Deutsch

12

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

30

effet utile

Wirksamkeit

15

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

10

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

12

effet utile

praWi

17

effet utile

praWi

22, 36

effet utile

praWi

18

effet utile

praWi

12

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

12

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

11

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

26

effet utile

praWi

60

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

50

effet utile

praWi

35

effet utile

praWi

10

effet utile

die ihnen zukommende Wirkung

6

effet utile

praktische Wirksamkeit (effet utile)

5

praktisch unmöglich

11/18

praktisch unmöglich

25, 28

praktisch unmöglich

25, 27

praktisch unmöglich

12, 16, 17

praktisch unmöglich

13, 16

praktisch unmöglich

6

praktisch unmöglich

12, 14, 17, 18

praktisch unmöglich

19, 22

praktisch unmöglich

15

plein effet

vollständige Wirksamkeit

15

plein effet

vollständige Wirksamkeit

53

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

18

praktisch unmöglich

12

praktisch unmöglich

7

praktisch unmöglich

410

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

142/87

Belgien/Kommission

Durchführung GemR

22/87

Kommission/Italien

Durchführung GemR

240/87

Deville

Durchführung GemR

94/87

Kommission/Deutschland

Durchführung GemR

C-143/88 et C-92/89

Zuckerfabrik Süderdithmarschen

Durchführung GemR

C-213/89

Factortame I

Durchführung GemR

C-208/90

Emmott

Durchführung GemR

C-87/90, 88/90 u.89/90

Verholen

Durchführung GemR

C-143/91

Van der Tas

Durchführung GemR

C-158/91

Levy

Durchführung GemR

C-271/91

Marshall

Durchführung GemR

C-290/91

Peter

Durchführung GemR

C-285/93

Dominikanerinnenkloster

Durchführung GemR

C-312/93

Peterbroeck

Durchführung GemR

C-367/93 bis 377/93

Roders BV

Durchführung GemR

C-394/93

Alonso-Perez

Durchführung GemR

C-430/93 u. 431/93

van Schijndel u. van Veen

Durchführung GemR

C-465/93

Atlanta

Durchführung GemR

C-62/93

BP Soupergaz

Durchführung GemR

C-153/94 u. 204/94

Faroe Seafood

Durchführung GemR

C-90/94

Haahr Petoleum

Durchführung GemR

C-114/95 u. 115/95

Texaco

Durchführung GemR

C-188/95

Fantask

Durchführung GemR

C-24/95

Alcan

Durchführung GemR

C-242/95

GT-Links

Durchführung GemR

C-366/95

Steff-Houlberg

Durchführung GemR

C-58/95 et al.

Gallotti

Durchführung GemR

C-68/95

T. Port

Durchführung GemR

C-197/96

Kommission/Frankreich

Durchführung GemR

C-207/96

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-228/96

Aprile Srl

Durchführung GemR

C-231/96

Edis

Durchführung GemR

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet Randnummer

Französisch

praktisch unmöglich

61 6

Deutsch

plein effet

volle Wirkung

12

praktisch unmöglich

12

praktisch unmöglich

19, 31

effet utile

praWi

22

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 20, 21

16

praktisch unmöglich

24

praktisch unmöglich

16, 18

plein effet

vollständige Wirksamkeit

plein effet

volle Wirkung

volle Wirkung

9 17 8

praktisch unmöglich

26

praktisch unmöglich

12

praktisch unmöglich

49

praktisch unmöglich

28

praktisch unmöglich

17

praktisch unmöglich

23, 43

effet utile

praWi

41, 42

praktisch unmöglich

70

praktisch unmöglich

46, 48

praktisch unmöglich

41, 43, 45, 46

praktisch unmöglich praktisch unmöglich

39, 47, 48, 52 37

effet utile

praWi

24, 25, 27

praktisch unmöglich

15

praktisch unmöglich

14, 15, 17

effet utile

praWi

50

effet utile

praWi

16

plein effet

volle Wirksamkeit

27

plein effet

volle Wirksamkeit

18, 19, 28

Effektivität

34, 35

Effektivität

411

412

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-246/96

Magorrian

Durchführung GemR

C-260/96

Spac

Durchführung GemR

C-279/96 et al.

Ansaldo

Durchführung GemR

C-298/96

Oelmühle

Durchführung GemR

C-326/96

Levez

Durchführung GemR

C-343/96

Dilexport

Durchführung GemR

C-10/97 bis 22/97

IN.CO.GE.’ 90

Durchführung GemR

C-120/97

Upjohn

Durchführung GemR

C-126/97

Eco Swiss

Durchführung GemR

C-404/97

Kommission/Portugal

Durchführung GemR

C-85/97

SFI

Durchführung GemR

C-228/98

Charalampos

Durchführung GemR

C-397/98 und C-410/98

Hoechst

Durchführung GemR

C-424/98

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-441/98 u. 442/98

Michailidis

Durchführung GemR

C-48/98

Söhlke

Durchführung GemR

C-480/98

Spanien/Kommission

Durchführung GemR

C-78/98

Preston

Durchführung GemR

C-1/99

Kofisa

Durchführung GemR

C-134/99

IGI

Durchführung GemR

C-216/99 u. 222/99

Prisco

Durchführung GemR

C-226/99

Siples

Durchführung GemR

C-320/99

Kommission/Frankreich

Durchführung GemR

C-340/99

TNT Traco

Durchführung GemR

C-374/99

Spanien/Kommission

Durchführung GemR

C-382/99

Niederlande/Kommission

Durchführung GemR

C-472/99

Clean Car

Durchführung GemR

C-478/99

Kommission/Schweden

Durchführung GemR

C-52/99 und C-53/99

Camarotto

Durchführung GemR

C-88/99

Roquette Freres II

Durchführung GemR

C-119/00

Kommission/Luxemburg

Durchführung GemR

C-129/00

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-159/00

Sapod Audic

Durchführung GemR

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet Randnummer

Französisch

Deutsch

37

praktisch unmöglich

18, 19

Effektivität

27

Effektivität

24

praktisch unmöglich

18, 32, 38

Effektivität

25, 26, 42

Effektivität

25, 29

praktisch unmöglich

32

Effektivität

45

praktisch unmöglich

55

praktisch unmöglich

26

praktisch unmöglich

58, 60, 61, 64, 69, 71

praktisch unmöglich Effektivität

85 35

effet utile

praWi

36

praktisch unmöglich

66

praktisch unmöglich

34, 37

praktisch unmöglich Effektivität

31, 40 48

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

34

praktisch unmöglich

69

praktisch unmöglich

19

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

9

plein effet

vollständige Wirksamkeit

60, 63

praktisch unmöglich

33

praktisch unmöglich

90

praktisch unmöglich praktisch unmöglich

28, 29 15, 21

plein effet

volle Wirksamkeit

21

Effektivität

21, 22

Effektivität

12

plein effet

volle Wirksamkeit

25, 27

praktisch unmöglich

52, 53

praktisch unmöglich

413

414

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-207/00

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-253/00

Munoz

Durchführung GemR

C-255/00

Grundig Italiana

Durchführung GemR

C-336/00

Huber

Durchführung GemR

C-404/00

Kommission/Spanien

Durchführung GemR

C-62/00

Marks & Spencer

Durchführung GemR

C-97/00

Kommission/Frankreich

Durchführung GemR

C-125/01

Pflücke

Durchführung GemR

C-13/01

Safalero

Durchführung GemR

C-147/01

Weber’s Wine World

Durchführung GemR

C-160/01

Mau

Durchführung GemR

C-167/01

Inspire Art

Durchführung GemR

C-230/01

Penycoed

Durchführung GemR

C-276/01

Steffensen

Durchführung GemR

C-397/01 bis C-403/01

Pfeiffer

Durchführung GemR

C-467/01

Eribrand

Durchführung GemR

C-482/01 u. 493/01

Orfanopooulos

Durchführung GemR

C-63/01

Evans II

Durchführung GemR

C-103/02

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-201/02

Wells

Durchführung GemR

C-224/02

Pusa

Durchführung GemR

C-282/02

Kommission/Irland

Durchführung GemR

C-30/02

Recheio

Durchführung GemR

C-34/02

Pasquini

Durchführung GemR

C-72/02

Kommssion/Portugal

Durchführung GemR

C-105/03

Pupino

Durchführung GemR

C-245/03

Merck, Sharp & Dome

Durchführung GemR

C-291/03

My Travel

Durchführung GemR

C-350/03

Schulte

Durchführung GemR

C-410/03

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-456/03

Kommission/Italien

Durchführung GemR

C-477/03

Kommission/Deutschland

Durchführung GemR

C-144/04

Mangold

Durchführung GemR

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet Randnummer

Französisch

Deutsch

25

plein effet

volle Wirksamkeit

30

effet utile

praWi

19, 33, 35, 36, 37, 40, 41

Effektivität

55

praktisch unmöglich

51

praktisch unmöglich praktisch unmöglich

34, 35 9

plein effet

volle Wirksamkeit

34, 46

praktisch unmöglich

49

praktisch unmöglich

103, 117, 118

praktisch unmöglich

34

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

62

la portée et l’efficacité

volle Wirksamkeit

36

portée et efficacité

volle Wirksamkeit praktisch unmöglich

60, 80 114, 118

pleine efficacité, plein effectivité

volle Wirksamkeit

62

praktisch unmöglich

80

praktisch unmöglich

45, 46, 54, 76, 78

Effektivität

33

plein effet

volle Wirksamkeit

67, 70

praktisch unmöglich

44

praktisch unmöglich

31, 33

415

effet utile

praWi Effektivität

17, 18, 24, 26

praktisch unmöglich

58, 73 18

plein effet

volle Wirksamkeit

38

effet utile

praWi

29

praktisch unmöglich

17

praktisch unmöglich

69

effet utile

praWi

39, 40

plein effet

volle Wirksamkeit

50

plein effet

volle Wirksamkeit

9

plein effet

volle Wirksamkeit

72

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 7

416

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-379/04

Dahms

Durchführung GemR

C-40/04

Yonemoto

Durchführung GemR

214/84

Stinnes

Eigenmittel der Gemeinschaft

93/85

Kommission/GB

Eigenmittel der Gemeinschaft

C-363/00

Kommission/Italien

Eigenmittel der Gemeinschaft

C-189/97

Parlament/Rat

Fischereiabkommen

C-376/98

Deutschland/Kommission

ger. Kontrolle Rechtsgrundlage

C-50/91

Commerz-Credit-Bank

Gesellschaftssteuer

C-339/99

Steiermark Energie Holding

Gesellschaftssteuer

C-130/01

Kommission/Frankreich

Gewässerschutz

2/74

Reyners

Grundfreiheiten (Art. 45 EGV)

33/74

Van Binsbergen

Grundfreiheiten (DLF)

39/75

Coenen

Grundfreiheiten (DLF)

149/79

Kommission/Belgien

Grundfreiheiten (ANF Art. 39/4)

53/81

Levin

Grundfreiheiten (ANF)

76/81

Transporoute

Grundfreiheiten (DLF)

271/82

Auer

Grundfreiheiten (DLF/NLF)

5/83

Rienks

Grundfreiheiten (DLF/NLF)

205/84

Kommission/Deutschland

Grundfreiheiten (DLF)

21/84

Kommission/Frankreich

Grundfreiheiten (WVF)

307/84

Kommission/Frankreich

Grundfreiheiten (ANF Art. 39/4)

147/86

Kommission/Griechenland Grundfreiheiten (Art. 45 EGV)

C-154/89

Kommission/Frankreich

Grundfreiheiten (DLF)

C-180/89

Kommission/Italien

Grundfreiheiten (DLF)

C-198/89

Kommission/Griechenland Grundfreiheiten (DLF)

C-370/90

Singh

Grundfreiheiten (NLF/ANF)

C-76/90

Säger/Dennemeyer

Grundfreiheiten (DLF)

C-171/91

Tsiotras

Grundfreiheiten (ANF)

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet Randnummer

Französisch

Deutsch

14

plein effet

volle Wirkung

58

effet utile

praWi

12

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi berauben

46

priver de tout efficacité pratique

praWi

26

effet utile

praWi

84

être privé de toute efficacité

jede Wirksamkeit genommen

12

effet utile

praWi

40

effet utile

praWi

64, 65

effet utile

praWi

50

effet utile

seiner Wirksamkeit beraubt

11

effet utile

jeder Wirksamkeit berauben

7

effet utile

jeder Wirksamkeit berauben

19

effet utile

praWi

15

effet utile

praWi

14

effet utile

praWi

19

effet utile

praWi

10

effet utile

praWi

52

effet utile

praWi

12

effet utile

praWi

12

effet utile

praWi

8

effet utile

praWi

12

effet utile

praWi

15

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

23

plein effet

volle Wirkung

13

effet utile

praWi

13

effet utile

praWi

417

418

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-415/93

Bosman

Grundfreiheiten (ANF)

C-43/93

Vander Elst

Grundfreiheiten (DLF)

C-473/93

Kommission/Luxemburg

Grundfreiheiten (ANF)

C-173/94

Kommission/Belgien

Grundfreiheiten (ANF Art. 39/4)

C-290/94

Kommission/Griechenland Grundfreiheiten (ANF Art. 39/4)

C-222/95

Parodi

Grundfreiheiten (DLF)

C-344/95

Kommission/Belgien

Grundfreiheiten (ANF)

C-350/96

Clean Car Autoservice

Grundfreiheiten (ANF)

C-193/97 und C-194/97

De Castro Freitas

Grundfreiheiten (DLF/NLF)

C-234/97

Bobadilla

Grundfreiheiten (DLF)

C-165/98

Mazzoleni

Grundfreiheiten (DLF)

C-58/98

Corsten

Grundfreiheiten (DLF/NLF)

C-157/99

Smits & Peerbooms

Grundfreiheiten (DLF)

C-164/99

Portugaia Construcoes

Grundfreiheiten (DLF)

C-205/99

Analir

Grundfreiheiten (DLF)

C-385/99

Müller-Fauré und van Riet

Grundfreiheiten (DLF)

C-439/99

Kommission/Italien

Grundfreiheiten (DLF)

C-493/99

Kommission/Deutschland

Grundfreiheiten (DLF)

C-60/00

Carpenter

Grundfreiheiten (DLF)

C-8/02

Leichtle

Grundfreiheiten (DLF)

88/82

Leonelli

Handelsverkehr mit Geflügel

281, 283, 284, 285, 287/85

Deutschland u. a./ Kommission

Implied powers/effet utile

C-537/03

Candolin

Kraftfahrzeugversicherung

48/74

Charmasson

Landwirtschaft & Fischerei

231/78

Kartoffeln (Kom/GB)

Landwirtschaft & Fischerei

232/78

Schaffleisch (Kom/Frankreich)

Landwirtschaft & Fischerei

77/79

Damas

Landwirtschaft & Fischerei

804/79

Kommission/Großbritannien

Landwirtschaft & Fischerei

112/80

Dürbeck

Landwirtschaft & Fischerei

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

419

Randnummer

Französisch

Deutsch

129

effet utile

praWi

17

effet utile

praWi

27

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 48

20

plein effet

volle Wirksamkeit

37

plein effet

volle Wirksamkeit

31

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

20

être efficace et utile

volle Wirksamkeit

23, 29

effet utile

praWi

21

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

31, 32, 43, 46

effet utile

praWi

90

effet utile

praWi

17

effet utile

praWi

37

effet utile

praWi

84

effet utile

praWi

30

effet utile

praWi

19

effet utile

praWi

39

plein effet

volle Wirksamkeit

55, 57

effet utile

praWi

10

effet utile

praWi

28

effet utile

praWi

28

effet utile

praWi

20

plein effet

volle Wirksamkeit

15

plein effet

volle Wirksamkeit

7

plein effet

volle Wirksamkeit

7

plein effet

volle Wirksamkeit

27

plein effet

volle Wirksamkeit

50

tout effet pratique

praWi

420

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

276/82

Roomboterfabriek

Landwirtschaft & Fischerei

292/82

Merck

Landwirtschaft & Fischerei

87/82

Rogers

Landwirtschaft & Fischerei

3/86

Kommission/Italien

Landwirtschaft & Fischerei

358/87

Drewes

Landwirtschaft & Fischerei

5/88

Wachauf

Landwirtschaft & Fischerei

267/88 bis 285/88

Wuidart

Landwirtschaft & Fischerei

C-315/88

Bagli Pennacchiotti

Landwirtschaft & Fischerei

C-146/89

Kommission/Großbritannien

Landwirtschaft & Fischerei

C-286/90

Poulsen

Landwirtschaft & Fischerei

C-84/90

Dent

Landwirtschaft & Fischerei

C-86/90

O’Brien

Landwirtschaft & Fischerei

C-296/93 et C-307/93

Frankreich u. Irland/ Kommission

Landwirtschaft & Fischerei

C-311/94

IJssel-Vliet Combinatie

Landwirtschaft & Fischerei

C-334/95

Krüger

Landwirtschaft & Fischerei

C-71/95, C-155/95, C-271/95

Belgien/Kommission

Landwirtschaft & Fischerei

C-500/99 P

Conserve Italia

Landwirtschaft & Fischerei

C-271/01

Coppi

Landwirtschaft & Fischerei

C-332/01

Griechenland/Kommission Landwirtschaft & Fischerei

C-312/02

Kommission/Schweden

Landwirtschaft & Fischerei

C-111/03

Kommission/Schweden

Landwirtschaft & Fischerei

C-63/97

BMW

Markenrecht

252/86

Bergandi

Mehrwertsteuer

C-328/96

Kommission/Österreich

öff. Auftragswesen

C-353/96

Kommission/Irland

öff. Auftragswesen

C-360/96

BFI Holding

öff. Auftragswesen

C-306/97

Connemara

öff. Auftragswesen

C-285/99 und C-286/99

Impresa Lombardini

öff. Auftragswesen

C-92/00

Hospital Ingenieure

öff. Auftragswesen

C-230/02

Grossmann

öff. Auftragswesen

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

421

Randnummer

Französisch

Deutsch

15, 19

effet utile

praWi

17

effet utile

praWi

12

plein effet

volle Wirksamkeit

21

effet utile

wäre nutzlos

27

effet utile

praWi

10

effet utile

praWi

11

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

25

effet utile

praWi

28

effet utile

praWi

11

effet utile

grösstmögliche Wirksamkeit

12

plein effet

volle Wirkung

15

effet utile

nützliche Wirkung

21

effet utile

praktische Wirkung

32

effet utile

praWi

33

effet utile

praWi

42

effet utile

praWi

88

effet utile

praWi

41

effet utile

praWi berauben

142

effet utile

praWi

41

effet utile

praWi

63

effet utile

praWi

23

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

13

plein effet

volle Wirksamkeit

75

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

34

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 62

31

plein effet

volle Wirksamkeit

72

effet utile

praWi

52

effet utile

praWi

39, 42

effet utile

praWi berauben

422

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-21/03 u. C-34/03

Fabricom

öff. Auftragswesen

C-26/03

Stadt Halle

öff. Auftragswesen

C-264/03

Kommission/Frankreich

öff. Auftragswesen/DLF NLF

C-84/03

Kommission/Spanien

öff. Auftragswesen

C-29/04

Kommission/Österreich

öff. Auftragswesen

C-265/03

Simutenkov

Partnerschaftsabkommen ANF

344/82

Gambetta

RiLi Haftung Kraftfahrzeuge

C-431/92

Großkrotzenburg (Kom/D)

UVP-RiLi

C-441/93

Panagis Pafitis

RiLi Gesellschaftsrecht

C-129/94

Bernaldez

RiLi Haftung Kraftfahrzeuge

C-301/95

Road Air

UVP-RiLi

C-367/96

Kefalas

RiLi Gesellschaftsrecht

C-81/96

Gedeputeerde Staten

UVP-RiLi

C-373/97

Diamantis

RiLi Gesellschaftsrecht

C-205/98

Kommission/Österreich

RiLi Mauterhebung

C-384/02

Grøngaard

RiLi Insider Geschäfte,

C-460/02

Kommission/Italien

RiLi Bodenabfertigung

C-386/03

Kommission/Deutschland

RiLi Bodenabfertigung

C-86/03

Griechenland/Kommission RiLi Schwefelgehalt

C-186/04

Housieaux

RiLi Umweltinformation

C-177/95

Ebony Maritime

Sanktionen Jugoslawien

C-187/01 und C-385/01

Gözütok und Brügge

Schengener Abkommen

C-220/03

EZB/Deutschland

Sitzabkommen EZB

C-6/90 u. 9/90

Francovich

Staatshaftung

C-392/93

British Telecommunications

Staatshaftung

C-46/93 und C-48/93

Brasserie du Pecheur

Staatshaftung

C-178/94 et al.

Dillenkofer

Staatshaftung

C-283/94 et al.

Denkavit

Staatshaftung

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

423

Randnummer

Französisch

Deutsch

42

effet utile

praWi

34

effet utile

praWi

56, 67

effet utile

praWi

48

effet utile

praWi

42

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

13

effet utile

praWi

32

effet utile

praWi

68, 70

plein effet

volle Wirksamkeit

19

effet utile

praWi

44

effet utile

würde praktisch ins Leere laufen lassen

22, 23

plein effet

volle Wirksamkeit

23, 27

effet utile

praWi

34

plein effet

Wirksamkeit

131

effet utile

praWi

26

effet utile

praWi

32

effet utile

praWi

28, 29

effet utile

praWi

61

effet utile

praWi

26, 33

effet utile

praWi

25

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 35

45

effet utile

praWi

31

effet utile

praWi

33

pleine efficacité

volle Wirksamkeit Wesen der mit dem

38 20, 39, 52, 72, 95

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

22, 49

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

47

Wesen der mit dem

424

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-5/94

Lomas

Staatshaftung

C-127/95

Norbrook Laboratories

Staatshaftung

C-261/95

Palmisani

Staatshaftung

C-373/95

Maso

Staatshaftung

C-66/95

Sutton

Staatshaftung

C-94/95 und C-95/95

Bonifaci

Staatshaftung

C-319/96

Brinkmann Tabakfabriken

Staatshaftung

C-140/97

Rechberger

Staatshaftung

C-424/97

Haim

Staatshaftung

C-150/99

Lindöpark

Staatshaftung

C-71/91 et C-178/91

Ponente Carni

Steuer

C-176/03

Kommission/Rat

Strafrecht, Umweltrecht

C-163/90

Legros

übersee. Dep. Steuerregelung

C-260/90

Leplat

übersee. Dep. Steuerregelung

C-363/93 et al.

Lancry SA

übersee. Dep. Steuerregelung

C-212/96

Chevassus – Marche

übersee. Dep. Steuerregelung

C-200/02

Chen

Unionsbürgerschaft

9/70

Grad (Leberpfenning)

unmittelbare Anwendbarkeit

20/70

Lesage

unmittelbare Anwendbarkeit

23/70

Haselhorst

unmittelbare Anwendbarkeit

41/74

van Duyn

unmittelbare Anwendbarkeit

51/76

Nederlandse Ondernemingen

unmittelbare Anwendbarkeit

106/77

Simmenthal

unmittelbare. Anw./Vorrang

38/77

Enka

unmittelbare Anwendbarkeit

148/78

Ratti

unmittelbare Anwendbarkeit

21/78

Delkvist

unmittelbare Anwendbarkeit

8/81

Becker

unmittelbare Anwendbarkeit

C-188/89

Foster

unmittelbare Anwendbarkeit

C-118/94

Associazione italiana per il WWF

unmittelbare Anwendbarkeit

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet Randnummer

Französisch

425

Deutsch

24

Wesen der mit dem

106

Wesen der mit dem

24

Wesen der mit dem

34

Wesen der mit dem

31

Wesen der mit dem

46

Wesen der mit dem

24

Wesen der mit dem

21

Wesen der mit dem

33

praktisch unmöglich

36

Wesen der mit dem

31

effet utile

Wirkung

48

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

26

effet utile

praWi

18

effet utile

Sinn und Wirksamkeit

37

effet utile

praWi

36

effet utile

praWi

45

effet utile

praWi

effet utile

nützliche Wirkung (effet utile)

5

effet utile

nützliche Wirkung (effet utile)

5

effet utile

nützliche Wirkung (effet utile)

12

effet utile

nützliche Wirkung (effet utile)

23

effet utile

praWi

20

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 21/23

9

effet utile

praWi

21

effet utile

praWi

21

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

19

effet utile

praWi

426

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-72/95

Aannemersbedrijf

unmittelbare Anwendbarkeit

C-435/97

WWF/Provinz Bozen

unmittelbare Anwendbarkeit

C-287/98

Linster

unmittelbare Anwendbarkeit

C-365/98

Brinkmann

unmittelbare Anwendbarkeit

C-157/02

Rieser

unmittelbare Anwendbarkeit

90/82

Kommission/Frankreich

Verbrauchssteuern Tabakwaren

C-346/97

Braathens Sverige

Verbrauchsteuern Mineralöle

12/82

Trinon

Verkehr

C-313/92

Van Swieten

Verkehr

C-381/93

Kommission/Frankreich

Verkehr

C-439/01

Cipra

Verkehr

C-128/04

Raemdonck

Verkehr

C-59/01

Kommission/Italien

Versicherung

246/80

Broekmeulen

Vorabentscheidungsverfahren

C-348/89

Mecanarte

Vorabentscheidungsverfahren

C-228/92

Roquette Freres

Vorabentscheidungsverfahren

C-212/94

FMC

Vorabentscheidungsverfahren

6/64

Costa/E. N. E. L.

Vorrang

14/68

Walt Wilhelm

Vorrang

170/88

Ford Espana

Vorrang

C-184/89

Nimz

Vorrang

C-13/91 und C-113/91

Debus

Vorrang

C-324/93

Evans Medical

Vorrang

C-358/95

Morellato

Vorrang

C-258/98

Carra

Vorrang

C-118/00

Larsy

Vorrang

C-443/03

Leffler

Vorrang

84/81

Staple Diary

Währungsausgleich

281/82

Unifrex

Währungsausgleich

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet Randnummer

Französisch

Deutsch

56

effet utile

praWi

69

effet utile

praWi

32

effet utile

praWi

32

effet utile

praWi

22

effet utile

praWi

21

effet utile

praWi

24

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

17

effet utile

praWi

20

effet utile

praWi

37

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

31

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

45

effet utile

Wirksamkeit

27

effet utile

praWi

58

effet utile

praWi

427

Wortlaut und Geist des Vertrages

S. 1269 6

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 4

Tenor somm

plein effet

volle Wirksamkeit

19, 20

plein effet, pleine efficiacité

volle Wirksamkeit

32

plein effet

volle Wirksamkeit

33

plein effet

volle Wirksamkeit

18, 20

plein effet

volle Wirksamkeit

16

plein effet

volle Wirksamkeit

51, 52

pleine efficacité, plein effet

volle Wirksamkeit

51

pleine efficacité

volle Wirksamkeit

18

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

428

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

70/72

Kommission/Deutschland

Wettbewerbsrecht

6 und 7/73

Istituto chemioterapico italiano

Wettbewerbsrecht

253/78 und 1 bis 3/79

Giry

Wettbewerbsrecht

240 et al./82

Stiching

Wettbewerbsrecht

229/83

Leclerc/Au blé vert

Wettbewerbsrecht

231/83

Cullet

Wettbewerbsrecht

209-213/84

Asjes

Wettbewerbsrecht

311/85

Vlamse Reisebureaus

Wettbewerbsrecht

136/86

Aubert

Wettbewerbsrecht

267/86

Van Eycke

Wettbewerbsrecht

66/86

Ahmed Saeed Flugreisen

Wettbewerbsrecht

254/87

Buchpreisbindung

Wettbewerbsrecht

374/87

Orkem

Wettbewerbsrecht

C-301/87

Kommission/Frankreich

Wettbewerbsrecht

C-303/88

Italien/Kommission

Wettbewerbsrecht

C-260/89

Elliniki Radiophonia

Wettbewerbsrecht

C-332/89

Marchandise

Wettbewerbsrecht

C-339/89

Alsthom Atlantique

Wettbewerbsrecht

C-5/89

Kommission/Deutschland

Wettbewerbsrecht

C-271/90 et al.

Spanien u. a./Kommission

Wettbewerbsrecht

C-354/90

FNCE

Wettbewerbsrecht

C-356/90 et C-180/91

Belgien/Kommission

Wettbewerbsrecht

C-48/90 et C-66/90

Niederlande/Kommission

Wettbewerbsrecht

C-183/91

Kommission/Griechenland

Wettbewerbsrecht

C-185/91

Gebrüder Reiff

Wettbewerbsrecht

C-2/91

Meng

Wettbewerbsrecht

C-245/91

Ohra Schadeverzekeringen

Wettbewerbsrecht

C-320/91

Corbeau

Wettbewerbsrecht

C-60/91

Morais

Wettbewerbsrecht

C-67/91

Asociacion Esp. de Banca Privada

Wettbewerbsrecht

C-379/92

Peralta

Wettbewerbsrecht

C-401/92 et C-402/92

Tankstation’ T Heuske

Wettbewerbsrecht

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

429

Randnummer

Französisch

Deutsch

13

effet utile

praktischer Nutzen

46

effet utile

Nutzwirkung

16

plein effet

volle Wirksamkeit

76

effet utile

praWi

14, 15

effet utile

praWi

16, 17

effet utile

praWi

71

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 61

10

effet utile

praWi

23

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

48

effet utile

praWi

10

effet utile

praWi

34

effet utile

praWi

11

effet utile

praWi

43

effet utile

wirkungslos

35

effet utile

praWi

22

effet utile

praWi

11

effet utile

praWi

17

effet utile

wirkungslos

21

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

33

effet utile

praWi

28

effet utile

praWi

18

effet utile

praktische Wirkung

14

effet utile

praWi

14, 21

effet utile

praWi

10, 14

effet utile

praWi

11

effet utile

praWi

11

effet utile

praWi

51

effet utile

praWi/volle Wirksamkeit Rn. 12

21

effet utile

praWi

16

effet utile

praWi

430

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

Rs-Nummer

Name

Kategorie

C-153/93

Delta

Wettbewerbsrecht

C-412/93

Leclerc-Siplec

Wettbewerbsrecht

C-134/94

Esso Espanola

Wettbewerbsrecht

C-140/94 et al.

DIP SpA

Wettbewerbsrecht

C-39/94

SFEI

Wettbewerbsrecht

C-68/94 et C-30/95

SCPA

Wettbewerbsrecht

C-169/95

Spanien/Kommission

Wettbewerbsrecht

C-70/95

Sodemare

Wettbewerbsrecht

C-266/96

Corsica Ferries

Wettbewerbsrecht

C-35/96

Kommission/Italien

Wettbewerbsrecht

C-55/96

Job Centre

Wettbewerbsrecht

C-67/96

Albany

Wettbewerbsrecht

C-115/97 – C-117/97

Brentjens’ Handelsonderneming

Wettbewerbsrecht

C-147/97 und C-148/97

Deutsche Post AG

Wettbewerbsrecht

C-219/97

Maatschappij Drijvende Bokken

Wettbewerbsrecht

C-38/97

Autotrasporti Librandi

Wettbewerbsrecht

C-156/98

Kommission/Deutschland

Wettbewerbsrecht

C-310/99

Italien/Kommission

Wettbewerbsrecht

C-334/99

Deutschland/Kommission

Wettbewerbsrecht

C-453/99

Courage

Wettbewerbsrecht

C-209/00

WestLB

Wettbewerbsrecht

C-174/02

Streekgewest

Wettbewerbsrecht

34/62

Deutschland/Kommission

Zoll

C-125/94

Aprile

Zoll

C-413/96

Sportsgoods

Zoll

C-66/99

Wandel

Zoll

C-290/01

Derudder

Zoll

C-272/03

Siig

Zoll

C-353/99 P

Hautala

Zugang zu Dokumenten

Anhang 2: Effet utile-Urteile nach Kategorien geordnet

431

Randnummer

Französisch

Deutsch

14

effet utile

praWi

25

effet utile

praWi

18

effet utile

praWi

14

effet utile

praWi

45

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Sachverzeichnis Alcan 159 f. allgemeine Vertragsziele 58 ff. Amtssprache 27 f., 33 Angemessenheit 297 ff. Anwendungsvoraussetzungen 292 ff. Anwendungsvorrang 118 f., 299 Äquivalenzgebot 137, 153 ff., 162, 187, 230 Arbeitnehmerfreizügigkeit 210 ff. Aufenthaltsrecht 212 f. Auslegung 21 f., 28 ff., 96 f., 329 ff., 358 ff. autonome Auslegung 40 f., 258 ff. Begründungspflicht 77 f. Begründungsstil 346 ff. Beihilfenrecht 158 ff., 232 ff. Beobachter zweiter Ordnung 54, 92 Beschränkungsverbot 205 ff. Brasserie du Pêcheur und Factortame 187 ff., 336 f. Brüsseler Übereinkommen 257 ff. Costa/E.N.E.L. 22, 47, 115 ff. Courage 230 ff., 286 f., 291 Deutsche Milchkontor 159, 172 Dienstleistungsfreiheit 204 ff. Durchführung des Gemeinschaftsrechts 134 ff. Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts 278 ff. dynamische Ausrichtung 24, 68, 69 ff. Effektivität 95 ff., 102 ff., 116 f., 121, 168 f., 185, 198, 278 ff., 297 ff., 344 f., 358, 364 Effektivitätsgebot 153 ff., 175 ff., 230

eindeutiger Wortlaut 37, 42 einstweiliger Rechtsschutz 164 ff. Einzelner 61, 122 ff., 168, 171 f., 179, 183 ff., 188 f., 198 f., 222, 280, 305, 311 f. Entstehungsgeschichte einer Norm 75 ff. Entwicklungsstadium der Gemeinschaft 91 ff., 314 ff. Erforderlichkeit 298 EuGH – Arbeitsweise 25 ff. – Sprachenregelung 27 ff., 350 ff. – Zusammensetzung 25 ff. extensive Auslegung 69 Factortame 119, 165, 169 ff., 187 ff., 336 f. Francovich 182 ff., 280 Fristenregelungen 162 ff. Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft 23, 67, 112, 116 f., 120 f., 130, 136, 294, 298 ff., 338, 341 f., 357, 361 ff. Geeignetheit 273 ff., 292 ff., 298 ff. gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung 137 ff. Gemeinschaftstreue 134 ff., 143 ff., 195, 200 Generalanwälte 26 f., 88 f., 353 f. Gleichbehandlung 211, 242 ff., 254 f. Grenzen 138, 174, 322 f., 331, 336, 337 ff., 362 Grundfesten des Gemeinschaftsrechts 114 ff., 199 f., 270 f., 276, 280, 295 f., 328 f., 344 f., 359 Grundfreiheiten 68 f., 204 ff., 217 ff. historische Methode 55, 75 ff.

Sachverzeichnis horizontale Richtlinienwirkung 294, 301 ff., 322 implied powers 104 ff., 326 f. in claris non fit interpretatio 37 Individualrechtsschutz 168 f., 186 f., 197 ff., 311 f. individuelle Betroffenheit 306 ff. institutionelles Gleichgewicht 334, 340 Inter-Environnement Wallonie 146 f. Köbler 88, 191 ff., 202 Kontext einer Norm 30, 46 ff. Marleasing 140 f. Mehrsprachigkeit 33 ff. Methodenkanon 30 f. Niederlassungsfreiheit 68 f., 204 ff., 222 öffentliche Unternehmen 237 ff. Plaumann-Formel 69, 307 f., 313 praktische Wirksamkeit 110, 112, 119, 130, 137, 144 f., 166, 185, 189, 197, 206 f., 217 f., 224 f., 239 f., 254 f., 266 f., 270, 272 ff., 281 ff., 292 ff., 358 ff. Primärrecht 31, 33 ff., 44 f., 57, 70, 76 f., 92, 125 f., 217 f., 239 f., 254 f., 289, 292 f., 335, 356, 361 primärrechtskonforme Auslegung 50 f. Rahmenbeschluss 319 ff., 354 Rechtsfortbildung 174, 201, 278, 294, 310, 328 ff., 331 ff. Rechtsvergleichung 81 ff. restriktive Auslegung 68 f., 363 richtliniekonforme Auslegung 137 ff. Schulte 273 f., 293 sektorielle Vertragsziele 57 f., 65 ff. Sekundärrecht 25, 29, 31, 34 f., 40 f., 44, 47, 50 f., 66, 70, 77 f., 127 ff., 239, 254 f., 270 f., 290 f., 356 Simmenthal 117, 120 f., 285 f., 296

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Staatshaftung 182 ff., 299 f., 315, 336 f., 344 Subsidiarität 150, 339 Süderdithmarschen 165 f. Supranationalität 24 f. systematische Methode 45 ff., 54 f., 73 f., 90 f. teleologische Methode 56 ff., 67 ff., 73 f., 90 f., 108, 217 f., 271, 275 f., 345 Textvergleich 35 ff. ungeschriebenes Gemeinschaftsrecht 85 f. Unión de Pequeños Agricultores 308 ff. unmittelbare Anwendbarkeit 122 ff., 168, 185, 195 f., 199 f., 293 f., 336 f. Van Duyn 129 f., 221 f. Van Gend & Loos 24, 61 f., 125 f. Verfahrenssprache 27 f. Verhältnismäßigkeitsprinzip 86, 181 f., 298 ff., 339 Verordnung Nr. 17 234 ff. Vertragsziele 57 ff., 277 f., 341 Verweis auf die frühere Rechtsprechung 52 ff., 90 f., 113, 358 volle Wirksamkeit 102, 281 ff. Vollzug des Gemeinschaftsrechts 149 ff. – direkter 149 – indirekter 149 Vorrang des Gemeinschaftsrechts siehe Anwendungsvorrang Wahrung des Rechts 25 ff., 201, 329 ff., 339 f., 361 Wandelverfassung 24 Weiterentwicklung des Rechts 335 f., 344 ff., 357 wertende Rechtsvergleichung 83 f. Wettbewerbsrecht 223 ff. Wortlautauslegung 32 ff., 44, 92