Der Durchgriff im deutschen Außensteuerrecht [1 ed.] 9783428441877, 9783428041879

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Der Durchgriff im deutschen Außensteuerrecht [1 ed.]
 9783428441877, 9783428041879

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H A N S - J O C H E M V. B E C K E R A T H

Der Durchgriff im deutschen Außeneteuerrecht

Schriften zum Steuerrecht Band 18

Der Durchgriff i m deutschen Aufiensteuerrecht

Von Hans-Jochem v. Beckerath

DÜNCKER

&

HUMBLOT

/

BERLIN

D6 Alle Rechte vorbehalten © 1978 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1978 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 04187 9

Vorwort Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist es, das Problem des Durchgriffs i n seiner spezifischen Erscheinungsform i m deutschen Außensteuerrecht zu behandeln. Die besondere Bedeutung, die der Frage des Durchgriffs i m deutschen Außensteuerrecht zukommt und auch die Entwicklung, die sich i n der Zwischenzeit vollzogen hat, bieten hinreichenden Anlaß, diese Problematik erneut aufzugreifen und i n einer eigenen Abhandlung zu vertiefen. I m Vordergrund der Untersuchung steht zunächst der Versuch, die Grundlagen für eine Diskussion der Durchgriffsproblematik i m deutschen Außensteuerrecht zu erarbeiten. Es ist zu klären, welcher Inhalt dem Begriff „Durchgriff" i m deutschen Außensteuerrecht zu geben ist, insbesondere inwieweit man nach der Einführung des Anrechnungsverfahrens überhaupt noch von einem „Durchgriff" sprechen kann. Aus dem Charakter des Durchgriffs als Ausnahme von dem Grundsatz der Selbständigkeit ergibt sich sodann das Erfordernis, sich m i t diesem Grundsatz näher zu beschäftigen, u m den Anwendungsbereich und die inhaltliche Bedeutung des Durchgriffs erfassen zu können. I n Gegenüberstellung zu dem Grundsatz der Selbständigkeit ist auch die allgemeine Problematik des Durchgriffs zu behandeln, die Frage nämlich, ob ein prinzipielles, rechtlich verbindliches Durchgriffsverbot besteht, ob dem Durchgriff vielleicht rechtliche Schranken gezogen sind, die i h n letztlich weitgehend ausschließen oder ob dem Grundsatz der Selbständigkeit gegenüber dem Durchgriff möglicherweise eine „tatsächliche Verbindlichkeit" zukommt. A u f der Grundlage eines solchen „Allgemeinen Teils" wendet sich die Darstellung dann den Einzelproblemen zu: der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von K ö r perschaften, der Bekämpfung der Steuerflucht und der Frage des Durchgriffs bei Auslandinvestmentgesellschaften. Die Arbeit hat der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster i m Sommersemester 1977 als Dissertation vorgelegen. Mein Dank gilt Herrn Professor Dr. Bernhard Großfeld, der die vorliegende Arbeit angeregt und durch zahlreiche Gespräche und Ratschläge gefördert hat, und Herrn Professor Dr. Paul Kirchhof, der mich durch eine Vielzahl von Hinweisen und vor allem durch seine k r i t i schen Anmerkungen unterstützt hat. Münster, Mai 1978

H . - J . v.

Beckerath

Inhaltsübersicht

Teil I Grundlagen

1. Kapitel: Der Durchgriff im Zivilrecht außersteuerlichen Reditsb er eichen

und der Durchgriff

13

in

anderen

15

1. Abschnitt: Der Durchgriff i m Zivilrecht

15

2. Abschnitt: Der Durchgriff i n anderen außersteuerlichen Rechtsbereichen

30

2. Kapitel:

Der Durchgriff

im nationalen

Steuerrecht

35

1. Abschnitt: Überblick über die Arbeiten v o n Wilser u n d Raupach

35

2. Abschnitt: Z u den Ansichten v o n Wilser u n d Raupach sowie allgemein zur Frage des Durchgriffs i m nationalen Steuerrecht

38

3. Kapitel: stellung

Der Durchgriff

im deutschen

Außensteuerrecht



Problem-

51

1. Abschnitt: Bestimmung der f ü r den Durchgriff i m deutschen Außensteuerrecht entscheidenden „Normenkollision"

51

2. Abschnitt: Präzisierung des Trennungsprinzips u n d F i x i e r u n g der Durchgriffsfälle

62

3. Abschnitt: Z u m Anwendungsbereich des Durchgriffs i m deutschen Außensteuerrecht

66

4. Abschnitt: Terminologische Fragen

72

5. Abschnitt: Z u r nachfolgenden Darstellung

75

8

Inhaltsübersicht Teil I I Der Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht

1. Kapitel: Die einheitliche Behandlung Grundsatz der Selbständigkeit

77

von Körperschaften

nach

dem

77

1. Abschnitt: Die Verselbständigung i m Steuerrecht der verschiedenen Staaten

79

2. Abschnitt: Der Grundsatz der Selbständigkeit i m Außensteuerrecht der Staaten ,

83

3. Abschnitt: Der Grundsatz der Selbständigkeit i n den Modellverträgen

84

4. Abschnitt: Der Grundsatz der Selbständigkeit i n den D B A

84

5. Abschnitt: Die Anerkennung des Grundsatzes der auf internationalen Kongressen

86

2. Kapitel: Die Funktionen der Verselbständigung im Internationalen Steuerrecht

von

Selbständigkeit

Körperschaften

87

1. Abschnitt: Die durch den Grundsatz der Selbständigkeit bedingte Steuergutverteilung

87

2. Abschnitt: Die durch die Verselbständigung der Körperschaft dingte Steuerbelastung

90

be-

3. Kapitel: Die Unterschiede in den Auffassungen der verschiedenen Staaten über die Selbständigkeit von Körperschaften im Internationalen Steuerrecht

93

1. Abschnitt: Die Unterschiede i n den Auffassungen über die als selbständig zu behandelnden „Körperschaften"

93

2. Abschnitt: Die steuerliche Behandlung des ausgeschütteten Gewinns 112 3. Abschnitt: Weitere Unterschiede i n den Auffassungen über die steuerliche Behandlung v o n Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht 119

4. Kapitel: Die Grundlagen des Grundsatzes der Selbständigkeit perschaften im Internationalen Steuerrecht

von Kör-

121

1. Abschnitt: E i n allgemeiner Rechtsgrundsatz als Grundlage

121

2. Abschnitt: Völkergewohnheitsrecht als Grundlage

123

3. Abschnitt: Völkerrechtliche Übung u n d Völkervertragsrecht als G r u n d lagen , 128

Inhaltsübersicht

9

Teil I I I Die Durchbrechung des internationalen Grundsatzes der Selbständigkeit durch das deutsche Außensteuerrecht 1. Kapitel: Die allgemeine Außensteuerrecht

Problematik

des Durchgriffs

135 im

deutschen

1. Abschnitt: Die dem Durchgriff gezogenen rechtlichen Schranken

135 136

A. Die v o m innerstaatlichen Recht gezogenen Schranken

136

B. Die völkerrechtlichen Schranken

142

2. Abschnitt: Die Abweichung von dem international tatsächlich beachteten Grundsatz der Selbständigkeit 157 A. Die prinzipiellen Bedenken gegen einen einseitigen Durchgriff . . 157 B. Z u r Berechtigung des Durchgriffs

163

C. Die Notwendigkeit der internationalen Verständigung über die Durchgriffsfälle 163

2. Kapitel:

Die einzelnen

Durchgriffsfälle

165

1. Abschnitt: Der Durchgriff zur Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit 166 A. Die Durchgriffsmaßnahmen der Filialtheorie, der indirekten Gewinnermittlung, des § 15 I I StAnpG 167 B. Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit v o n Körperschaften i m gegenwärtigen Recht 188 C. Rechtspolitische Überlegungen zur Berücksichtigung schaftlichen Unselbständigkeit v o n Körperschaften

der

wirt-

2. Abschnitt: Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht A . Vorbemerkung

..

201 237 237

B. Der Durchgriff auf G r u n d der allgemeinen Vorschriften

249

C. Die Sondervorschriften des Außensteuergesetzes

280

3. Abschnitt: Der Durchgriff bei ausländischen Investmentgesellschaften 315 A. Die Regelung des Auslandsinvestmentgesetzes f ü r Investmentfonds B. Die Regelung i n verfassungsrechtlicher Sicht

ausländische

315 320

C. Die Regelung i n internationaler Sicht

324

D. Die Vereinbarkeit m i t D B A

326

Literaturverzeichnis

329

Abkürzungsverzeichnis a. Α . Anm. AcP AO AÖR AStG Außensteuerreformgesetz AT AWD BB BFH BFHE BT-Drucks. BStBl. BVerfG BVerfGE CDDFI DB DBA DStR DStZ/A EFG EStG EStDV EuStZ FAZ FinArch. FG FN FR FS IFA inc. IPR IStR IWB JFfSt. JW

= = = = = = =

= = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = =

anderer Ansicht Anmerkung A r c h i v f ü r die civilistische Praxis Abgabenordnung A r c h i v des öffentlichen Rechts Außensteuergesetz Gesetz zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen u n d zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen Allgemeiner T e i l Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Betriebsberater Bundesfinanzhof Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bundestagsdrucksache Bundessteuerblatt Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverf assungsgerichts Cahiers de droit fiscal international Der Betrieb Doppelbesteuerungsabkommen Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuerzeitung, Ausgabe A Entscheidungen der Finanzgerichte Einkommensteuergesetz Einkommensteuer-Durchführungsverordnung Europäische Steuerzeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung Finanz-Archiv Finanzgericht Fußnote Finanz-Rundschau Festschrift International Fiscal Association incorporated Internationales Privatrecht Internationales Steuerrecht Internationale Wirtschaftsbriefe Jahrbuch der Fachanwälte f ü r Steuerrecht Juristische Wochenschrift

Abkürzungsverzeichnis JZ KStDV KStG KVStG m. w . N. NJW OECD OFD Rdnr. RFH RFHE StAnpG StbJb. StlBp. StuW WM ZHR

11

Juristenzeitung Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung Körperschaftsteuergesetz = Kapitalverkehrsteuergesetz = m i t weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift = = Organisation for European Cooperation and Development = Oberfinanzdirektion Randnummer = Reichsfinanzhof = = Entscheidungen des Reichsfinanzhofs = Steueranpassungsgesetz =5 Steuerberater-Jahrbuch = Steuerliche Betriebsprüfung = Steuer u n d Wirtschaft = Wertpapiermitteilungen Zeitschrift f ü r das gesamte Handels- u n d Wirtschaftsrecht = = =

TEIL I

Grundlagen Die Problematik des „Durchgriffs i m deutschen Außensteuerrecht" ist kein Thema, das sich isoliert für den Bereich des Außensteuerrechts behandeln ließe. Die Frage nach Begriffsinhalt und Zulässigkeit des Durchgriffs w i r d i n den verschiedensten Rechtsbereichen gestellt. Dieser Beschäftigung mit dem Durchgriff auch i n anderen Rechtsbereichen w i r d man bei der Frage nach dem Durchgriff i m deutschen Außensteuerrecht Rechnung tragen müssen. So w i r d vor allem seit Jahrzehnten die Durchgriffsproblematik i m Zivilrecht diskutiert. Die Bedeutung dieser zivilrechtlichen Diskussion für die entsprechende steuerrechtliche Fragestellung hat Raupach in seiner Untersuchung über den „Durchgriff i m Steuerrecht" besonders herausgestellt. Nach seiner Auffassung führen die Durchgriffsfälle auf die gemeinsame Fragestellung, „ob und gegebenenfalls wann die Trennung zwischen zivilrechtlicher Rechtsfähigkeit der Gesellschaft und der ihrer Gesellschafter eingeschränkt oder aufgehoben werden kann". Darin liege zugleich die Berechtigung, auch i m Steuerrecht von „Durchgriff" zu sprechen 1. Die dementsprechend von Raupach aufgestellte Definition des steuerlichen Durchgriffs als einer Abweichung von der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit ist i n der Folge allgemein übernommen worden. Selbst wenn man — anders als Raupach — nicht eine derart enge Verbindung zwischen dem Durchgriff i m Zivilrecht und dem Durchgriff i m Steuerrecht annimmt, so hat i n jedem Fall doch die Diskussion i m Zivilrecht und anderen, wiederum durch die zivilrechtliche Diskussion beeinflußten, außersteuerlichen Rechtsbereichen die Durchgriffsvorstellung, d. h. die Vorstellung darüber, was ein „Durchgriff" ist, derart geprägt, daß es notwendig ist, sich m i t dieser Diskussion zu beschäftigen. Es sind i n diesen Bereichen — den „Durchgriff" betreffend — Erkenntnisse erarbeitet worden, bei denen es sich zum Teil anbietet, diese für den Bereich des Außensteuerrechts zu übernehmen, m i t denen es zum Teil aber auch gilt, sich auseinanderzusetzen, da sie auch für den Bereich des Außensteuerrechts gültige Aussagen enthalten (hierzu i m 1. Kapitel). 1

Raupach, Der Durchgriff i m Steuerrecht, S. 43 f.

14

Teil I : Grundlagen

Außerdem ist die Frage nach dem Durchgriff i m deutschen Außensteuerrecht Teil der Problematik des „Durchgriffs i m Steuerrecht", m i t der sich vor allem Wilser und Raupach eingehend beschäftigt haben 2 (hierzu i m 2. Kapitel). A u f der Grundlage der aus der Diskussion des Durchgriffs i m Z i v i l recht und anderen außersteuerlichen Rechtsbereichen und insbesondere der aus der Durchgriffsdiskussion i m nationalen Steuerrecht gewonnenen Erkenntnisse ist sodann die Problemstellung des Durchgriffs i m deutschen Außensteuerrecht zu formulieren (hierzu i m 3. Kapitel).

2 Wilser, Der Durchgriff bei Kapitalgesellschaften i m Steuerrecht; pach, Der Durchgriff i m Steuerrecht.

Rau-

1. Kapitel

Der Durchgriff im Zivilrecht und der Durchgriff in anderen außersteuerlichen Rechtebereichen 1. Abschnitt: Der Durchgriff im Zivilrecht A. Überblick über die zivilrechtliche Durchgriffslehre 1

Die Problematik des Durchgriffs w i r d i m Zivilrecht seit Jahrzehnten diskutiert. Dennoch stellt der Durchgriff i m Zivilrecht keineswegs ein gefestigtes Rechtsinstitut dar 2 . Dazu ist — nach Rehbinder — die gemeinsame dogmatische Basis dieser Lehre zu schwach3. Insbesondere beruht die Durchgriffslehre nicht auf allgemein anerkannten, gesicherten Erkenntnissen. J. Die Durchgriffslehre

Sericks (1955)

Die gesamte — nicht nur die zivilrechtliche — Durchgriffsdiskussion steht unter dem Einfluß der Untersuchung von Serick über „Rechtsform und Realität juristischer Personen". Wenn sich auch erste Ansätze bereits bei Curt Fischer und L u d w i g Raiser finden 4, so stellt doch die Arbeit von Serick die erste umfassende und zugleich grundlegende Arbeit zum Problem des Durchgriffs dar 5 . I m ersten Teil seiner Arbeit untersucht Serick die „Durchgriffsmöglichkeiten beim Mißbrauch der Rechtsform der juristischen Person" nach der deutschen Auffassung und der amerikanischen Lehre vom ,Disregard of Legal Entity 4 . Er versucht zu klären, ob und wann die Handlungen einer juristischen Person den hinter der juristischen Per1 Z u r zivilrechtlichen Durchgriffslehre i m Überblick auch: Schanze, E i n manngesellschaft u n d Durchgriffshaftung als Konzeptionalisierungsprobleme gesellschaftsrechtlicher Zurechnung, S. 56 ff.; Rehbinder, Konzernaußenrecht u n d allgemeines Privatrecht, S. 94 ff.; zur Durchgriffslehre i n der Rechtsprechung vgl. Schanze, S. 67 ff. 2 Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 91. 8 Rehbinder, ebd., S. 91. 4 Vgl. hierzu Schanze, S. 56 ff. 5 Serick, Rechtsform u n d Realität juristischer Personen; zur Ansicht v o n Serick vgl. auch die Darstellung bei Müller-Freienfels A c P 156 S. 522/524; Raupach, Durchgriff, S. 23 f.; Schanze, S. 58 ff.; Ottmar Kuhn, Strohmanngründung bei Kapitalgesellschaften, S. 209.

.

: Der Durchgriff in außersteuerlichen

e e i c h e n

son stehenden natürlichen Personen zuzurechnen sind bzw. ob und wann das Vermögen einer juristischen Person m i t dem der dahinter stehenden natürlichen Personen zu identifizieren sei. Er gelangt hierbei zu dem Ergebnis, daß die Rechtsform der juristischen Person nur „mißachtet" werden dürfe, wenn sie von den hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen objektiv und subjektiv mißbraucht worden sei — etwa zur Vertrags- oder Gesetzesumgehung, zur f raudulösen Schädigung Dritter oder zu sonstigen unlauteren Zwecken. Lediglich i n diesen „allerseltensten, ganz außergewöhnlichen Ausnahmefällen" dürfe von der Trennung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter abgewichen werden. Serick geht davon aus, daß das „Rechtssubjekt juristische Person" einen selbständigen Wert verkörpert. Nach seiner Auffassung hat der Gesetzgeber dadurch, daß er die juristische Person i n einer bestimmten Form geschaffen und ausgestaltet hat, schon selbst eine Wertabwägung vorgenommen®. Die juristische Person soll i n dem Bereich, für den sie geschaffen ist, als vollwertiges Rechtssubjekt geachtet werden 7 . I m zweiten Teil seiner Arbeit beschäftigt sich Serick m i t der Frage, ob und inwieweit für natürliche Personen geltende Rechtsregeln auch auf juristische Personen anwendbar sind (Normanwendungs- und Normauslegungsprobleme). Er begründet hierbei die Geltung bestimmter Normen, die auf natürliche Personen ausgerichtet sind, auch für juristische Personen, indem er die Eigenschaften der natürlichen Personen, die hinter der juristischen Person stehen, der juristischen Person zuordnet. Er identifiziert eine natürliche Person m i t einer juristischen Person, wenn die juristische Person verdecke, daß an einer Rechtshandlung auf beiden Seiten die gleichen natürlichen Personen beteiligt sind und die Norm von der tatsächlichen Personenverschiedenheit der Beteiligten ausgeht. II. Die Entwicklung der Durchgriffslehre im Zivilrecht nach Serick's Untersuchung Die Durchgriffslehre Sericks hat nicht nur die zivilrechtliche Diskussion, sondern vor allem auch die Vorstellung über den „Durchgriff" i m Steuerrecht entscheidend bestimmt. Wie bereits Raupach festgestellt hat 8 — und w o r i n sich auch bis zur Gegenwart noch kein entscheidender Wandel vollzogen hat 9 —, ist aber die weitere Entwicklung der Durch6

Vgl. Serick, S. 24; hierzu auch Müller-Freienfels S. 522/525. Serick, S. 38. 8 Raupach, Durchgriff, S. 24. 9 Was vor allem w o h l auch seinen G r u n d i n dem U r t e i l des Bundesverfassungsgerichts zu § 8 Ziff. 6 GewStG v o m 24.1.1962 (BVerfGE Bd. 13 S. 331 ff.) haben dürfte; hierzu noch i m einzelnen i m 2. Kapitel. 7

1. Abschn.: Der Durchgriff im Zivilrecht

17

griffsdiskussion i m Zivilrecht, vor allem die K r i t i k an der Arbeit Sericks, i n der steuerrechtlichen Diskussion weitgehend außer Betracht gelassen worden. Es w i r d übersehen, daß sich die Arbeiten, die nach der Untersuchung von Serick veröffentlicht wurden, gegenüber der Auffassung von Serick — abgesehen von der Arbeit Drobnigs 10 , die sich lediglich i n der Verfeinerung des Ansatzpunktes von der subjektiven Lehre Sericks abhebt — sämtlich durch eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der „Durchgriffs"-vorstellung auszeichnen. Wenn überhaupt, so kann man nur bedingt bei diesen Auffassungen von „Durchgriffstheorien" 11 sprechen 12 . Soweit der Begriff „Durchgriff" akzeptiert wird, erfüllt er lediglich die Funktion, „die recht unterschiedlichen Sachverhalte unter einem einheitlichen Kennwort zusammenzufassen" 13 . 1. Die Auffassung von Müller-Freienfels (1957): „Durchgriff" als Normanwendung Gegen die Auffassung von Serick hat sich vom Standpunkt moderner Interessenjurisprudenz 14 Müller-Freienfels gewandt 15 . Müller-Freienfels kritisiert vor allem die von Serick seiner Auffassung zugrunde gelegte Einheitsfigur der juristischen Person und den Schematismus der von i h m aufgestellten subjektiven Mißbrauchsformel 16 . Die Bildung eines Einheitsbegriffs „juristische Person", für den sich beim Durchgriff allgemeingültige Regeln aufstellen lassen sollen und die Parallelstellung von juristischen und natürlichen Personen gingen von keiner klaren praktischen Fragestellung aus 17 . Die juristischen Personen seien keine feststehenden, einmaligen Wesen, sondern „Endpunkte einer komplexen Stufenfolge", die vielfach Ubergangs- und Variationsmöglichkeiten offenlasse. So gebe es auch eine Vorstufe der juristischen Person, eine Rechtspersönlichkeit zweiter Ordnung: die Offene Handelsgesellschaft 18 . 10

Drobnig, Haftungsdurchgriff bei Kapitalgesellschaften. Vgl. Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 95 ff. 12 Vgl. Müller-Freienfels, Z u r Lehre v o m sogenannten „Durchgriff" bei juristischen Personen i m Privatrecht, A c P 156 S. 522; vgl. auch Schanze, S. 56 („Durchgriff oder Normanwendung? Z u m methodologischen Stellenwert der Kontroverse Serick — Müller-Freienfels"). 13 Vgl. Ottmar Kuhn, S. 204; Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 98. 14 Vgl. Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 95. 15 Müller-Freienfels, S. 522; vgl. auch Siebel J Z 1953 S. 724/725; v. Bieberstein J Z 1965 S. 403/404. 16 Allerdings t r i f f t der Einwand, daß Sericks Theorie unzulässigerweise von einer Einheitsfigur der juristischen Person ausgehe, Sericks Konzept n u r bedingt, denn sein Z i e l ist eine Beschreibung der Erscheinungsformen „der Durchgriffe"; die juristische Person dient dabei n u r als einheitliche Folie zu Darstellungszwecken — vgl. Schanze, S. 59; zweifelnd insoweit auch: Böckstiegel, Der Durchgriff auf den Staat, S. 11 F N 46. 17 Müller-Freienfels, S. 522/526. 18 Müller-Freienfels, S. 522/527. 11

2 v. Beckerath

.

: Der Durchgriff in außersteuerlichen

e e i c h e n

Es lasse sich kein einziges durchgängiges Organisationselement für juristische Personen feststellen. Auch die Haftungsbeschränkung sei durchaus kein notwendiges A t t r i b u t der juristischen Person. Die j u r i stische Person sei nur ein bequemer, zusammenfassender Ausdruck für bestimmte Einheiten, ein „passendes Symbol", eine „konstruktive Abbreviatur", aus der sich keine juristischen Urteile gewinnen ließen 19 . Infolgedessen gebe es keine schematische, generelle Lösung für die j u r i stische Person 20 . Deshalb könne eine Generalformel, die ein für allemal subjektive Erfordernisse aufstellt oder ablehnt, nicht weiterhelfen. Ob durchzugreifen sei, müsse sich „aus Sinn und Tragweite der konkreten Norm i m Verhältnis zu einer bestimmten Zuordnungseinheit" i m Rahmen des ordre public der jeweiligen Rechtsordnung ergeben 21 . A l l e i n der Durchgriffsdiskussion aufgeworfenen Fragen bildeten Normanwendungsprobleme 22. Durchgriff sei allein Normanwendung, i m Konfliktfall i m Wege der Normabwägung 2 8 . 2. Die Ansichten von Reinhardt (1956), Erlinghagen (1960), K u h n (1964): Die „institutionelle Betrachtungsweise" Einen gemeinsamen Ansatz weisen die Arbeiten von Reinhardt 2 4 , K u h n 2 5 und Erlinghagen 2 8 auf. Nach Rehbinder handelt es sich gegenüber der Auffassung von Serick und der von Müller-Freienfels u m eine „dritte, m i t Vorbehalt als Mittelmeinung zu bezeichnende Lehre", die von einer institutionellen Betrachtungsweise geprägt sei 27 . Was diese Ansicht von der Interessenjurispudenz trennt, ist nach Rehbinder die Höhereinschätzung der juristischen Person, der sie einen institutionellen Eigenwert zuerkennt 28 . Bei der Frage des Durchgriffs gehe es darum, die immanenten Grenzen der juristischen Person als einer i n die Rechtsund Wirtschaftsordnung eingebetteten Institution zu erarbeiten. Institu19

Müller-Freienfels, S. 522/529. Müller-Freienfels, S. 522/531. 21 Müller-Freienfels, S. 522/537 f. 22 Müller-Freienfels, S. 522/543. 23 Vgl. Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 96. 24 Reinhardt^ Gedanken z u m Identitätsproblem bei der Einmanngesellschaft, S. 576. 25 Ottmar Kuhn, passim. 2β Erlinghagen, Der Organschaftsvertrag m i t Ergebnisausschluß-Klausel i m Aktienrecht, S. 55 ff. 27 Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 96; vgl. insoweit auch Schanze, S. 63; zur institutionellen Betrachtungsweise vgl. auch Kalbe, Herrschaft u n d H a f tung bei juristischen Personen u n d Caflisch, Die Bedeutung u n d die Grenzen der rechtlichen Selbständigkeit der abhängigen Gesellschaft. 28 Vgl. v o r allem Caflisch, S. 171. 20

1. Abschn.: Der Durchgriff i m Zivilrecht

19

tionell verstanden diene der Durchgriff der Wahrung der grundlegenden, die Funktionsfähigkeit der Kapitalgesellschaft erst ermöglichenden Strukturelemente. Rehbinder weist darauf hin, daß i n die Richtung der institutionellen Theorie auch die Rechtsprechung zielt, die allerdings unter bewußtem Verzicht auf die Aufstellung fester Maßstäbe seit BGHZ 20 (S. 4/14) ausgesprochen habe, die Rechtsform der juristischen Person verdiene nur Beachtung, wenn ihre Verwendung m i t dem Zweck der Rechtsordnung übereinstimme 29 . 3. Rehbinder (1969): Der bürgerlich-rechtliche Ansatz Rehbinder versucht, „das Durchgriffsschema durch Bezüge auf spezifische Wertungszusammenhänge der Zurechnung zumindest weitgehend zu ersetzen, wie sie i m allgemeinen bürgerlichen Recht, namentlich i m Vertrags-, Vertretungs-, Delikts- und Bereicherungsrecht entwickelt vorliegen" 3 0 . Rehbinder w i l l die Möglichkeiten des „arg vernachlässigten allgemeinen Zivilrechts", die nicht zu verwechseln seien m i t Generalklauseln, die der dogmatischen Abstützung des Durchgriffs dienten, bei der Lösung von Interessenkonflikten zwischen dem Konzern und seinen Vertrags- und Verhandlungspartnern, seinen Arbeitnehmern und deliktisch geschädigten Dritten empirisch, am (typischen) Einzelfall erforschen 31 . Nach Schanze entspricht dieser bürgerlichrechtliche Ansatz Rehbinders i n seiner Durchführung den Forderungen der sogenannten „Normzwecklehre"; er untermauere die These der Entbehrlichkeit abstrakter Durchgriffsformeln, wenngleich Rehbinder insoweit vorsichtig von „sich überschneidenden Kreisen" spreche 32 . 4. Schanze (1975): Konzeptionalisierungsprobleme gesellschaftrechtlicher Zurechnung am Beispiel der Durchgriffshaftung I n jüngerer Zeit hat sich erneut Schanze m i t dem Problem des Durchgriffs i n einer umfangreichen Untersuchung beschäftigt 33 . Schanze entwickelt jedoch keine neue „Durchgriffstheorie" 34 , sondern unternimmt 29

Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 97. Vgl. Schanze, S. 64. 81 Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 103; z u m Gedanken einer A n w e n dung der allgemeinen Rechtsgrundlagen vgl. bereits Müller-Freienfels, S. 522/536 ff. 82 Schanze, S. 66. 38 Schanze, „Einmanngesellschaft u n d Durchgriffshaftung"; vgl. aus j ü n gerer Zeit auch Wiedemann Sonderbeil. Nr. 4 zu W M 1975 Heft 34 u n d Unger B B 1976 S. 290; sowie Bauschke B B 1975 S. 1322. 34 Vgl. Reich N J W 1976 S. 1018/1019. 30



.

: Der Durchgriff in außersteuerlichen

e e i c h e n

am Beispiel Einmanngesellschaft und Durchgriffshaftung den Versuch, „einzelne Konzeptionalisierungsprobleme gesellschaftrechtlicher Zurechnung näher zu bestimmen, d. h. m i t historischer und rechtsvergleichender Beobachtung Aufschluß zu suchen, unter welchen Voraussetzungen und m i t welchen Funktionen hier die ,ersten Entwürfe' von praktizierter Dogmatik entwickelt wurden, die unsere heutige Sprachverwendung prägen, u n d i n welchem Verhältnis sie zu aktuellen Erscheinungen stehen" 35 . Das wesentliche Ergebnis von Schanzes Untersuchung für die Durchgriffsproblematik liegt i n der Ablehnung jeder geschlossenen, sowohl subjektiven als auch objektiven „Durchgriffs"-Konzeption 3e . Nach Schanze lassen sich die Konzeptionalisierungsprobleme gesellschaftsrechtlicher Zurechnung nicht auf eine vorverstandene Figur der juristischen Person, auf ein bereits festgelegtes Regel-Ausnahme-Verhältnis von Trennung und Durchgriff bei der juristischen Person zurückführen. Nur bei einer Lösung von bildlichen Allgemeinvorstellungen von „juristischer Person" und bei einer Thematisierung der veränderten Prämissen von Normanwendung i n diesem Bereich erschienen gesetzesorientierte, differenzierte Auflösungen möglich, die den von der Rechtsprechung formelhaft zur Entscheidungsgrundlage erhobenen „Zweck der Rechtsordnung" konkretisieren. III. Zum gegenwärtigen Stand der zivilrechtlichen Durchgriffsdiskussion Zusammenfassend läßt sich zur zivilrechtlichen Durchgriffsdiskussion feststellen, daß das Problem des Durchgriffs i m Zivilrecht, obwohl seit Jahrzehnten diskutiert, bisher nicht gelöst erscheint. Es gilt auch heute noch, was Rehbinder 1969 festgestellt hat, daß nämlich erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen sowohl über die Bedeutung der Rechtspersönlichkeit der juristischen Person als Durchgriffsfaktor und damit verbunden über die Durchgriffsvoraussetzungen, als auch über Begriff und Umfang des Durchgriffs, den Durchgriffsvorgang, über die Rechtsgrundlagen und nicht zuletzt über die aus dem Durchgriff sich ergebenden Rechtsfolgen 37 . Unsicherheit auf Schritt und T r i t t kennzeichne die Stellungnahmen zur Wirkungsweise und zum Anwendungsbereich des Durchgriffs. Durchgriff sei Grenzbestimmung der juristischen Person. Darüber bestehe Einigkeit; nicht jedoch darüber, was tatsächlich geschieht, wenn 35 36 37

Schanze, S. 18. Reich N J W 1976 S. 1018/1019. Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 92.

1. Abschn.: Der Durchgriff i m Zivilrecht

21

der Richter „durchgreift". Schiebt er eine Einzelwirkung der Rechtspersönlichkeit beiseite? Identifiziert er Mitglied und Verband? Oder „bewahrt" er lediglich durch restriktive Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen über die juristische Person diese Institution i n ihrem Eigenwert 38 ? Wie wenig der Durchgriff dogmatisch gesichert sei, zeige sich auch i n der fehlenden Übereinstimmung über Rechtsgrundlagen und über Rechtsfolgen des Durchgriffs. I n der dogmatischen Begründung schwanke die Lehre zwischen Ordre public, Normenauslegung, Sittenwidrigkeit, Treu und Glauben in der Form des Rechtsmißbrauchs oder des venire contra factum proprium, Institutsmißbrauch etc. h i n und her 3 9 . Erreicht wurde bisher eine Ablehnung methodisch unkontrollierbarer Billigkeitslösungen 40 , eine Ablehnung jeder geschlossenen, sei es subjektiven, sei es objektiven „Durchgriffs"-konzeption 41 . Es wurde die Verselbständigung des Durchgriffskonzepts als solche aufgezeigt und i n Frage gestellt (Rehbinder, Schanze). B. Einzelfragen

I. Der Begriff

des Durchgriffs

Von besonderem Interesse für die vorliegende Fragestellung nach dem Durchgriff i m deutschen Außensteuerrecht ist aus der zivilrechtlichen Diskussion die Frage nach dem Begriff des Durchgriffs, seiner Berechtigung und seinem Inhalt. 1. Die Berechtigung des Durchgriffsbegriffs i m Zivilrecht Die Entwicklung der zivilrechtlichen Durchgriffslehre, welche die Einheitsfigur der juristischen Person m i t ihrer „wesensmäßigen Undurchdringlichkeit" abgelehnt hat, hat auch die Frage nach der Berechtigung des Durchgriffsbegriffs selbst entstehen lassen. 38

Rehbinder, ebd., S. 97. Rehbinder, ebd., S. 100; vgl. v o r allem auch Rüfner (Formen öffentlicher Verwaltung, S. 415) z u m Begriff des Durchgriffs: „ E r ist der Z i v i l i s t i k geläufig, w e n n auch Voraussetzungen u n d Folgen noch nicht dogmatisch befriedigend geklärt sind"; vgl. i n diesem Zusammenhang auch den Fragenkreis der Geltendmachung eines Schadens der Ges. durch den Gesellschafter als eigenen Schaden i m Wege des Durchgriffs, hierzu B G H N J W 1974 S. 134 (Kreditkündigung gegenüber Ges.) m. A n m . v o n Mann N J W 1974 S. 492; Roll N J W 1974 S. 492 f.; Berg N J W 1974 S. 933/934; Reinelt B B 1974 S. 1145; Frank N J W 1974 S. 2313; Hüffer JuS 1976 S. 83/84 sowie B G H D B 1977 S. 902 (Schaden der Gesellschaft als Schaden des Gesellschafters bei Verletzung des Gesellschafters). 40 Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 91. 41 Schanze, Einmanngesellschaft u n d Durchgriffshaftung. 39

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a) Bärmann hat den Begriff „Durchgriff" als einen „Slogan" bezeichnet, der „zu Irreführungen und zu fahrlässiger Benutzung durch eilfertige, oberflächliche Juristen verführen muß" 4 2 . Nach Kuhn ist die Theorie gezwungen, alle Bestandteile auszusondern, die auf die unrichtige Vorstellung zurückgehen, beim Haftungsdurchgriff werde i m Wege der Normkorrektur durch eine „an sich" undurchdringliche juristische Person „hindurchgegriffen". Darum passe zum neuen Verständnis i m Grunde die alte Bezeichnung „Durchgriffshaftung" nicht; der Eindruck, den sie von der juristischen Person und der Wirkungsweise des „Durchgriffs" erwecke, sei irreführend 4 3 . Pestalozza stellt fest: „ M a n kann darüber streiten, ob Rechtsprechung und Lehre sich nicht durch die Bilder der »juristischen Person 4 und des ,Durchgriffs' haben irreführen lassen. Daß die Haftung der Gesellschafter i m Ergebnis b i l l i g erscheint, w i r d kaum bezweifelt; aber gerade dieser Umstand gäbe Anlaß nachzuprüfen, wie es u m das vorausgesetzte Dogma der Selbständigkeit der juristischen Person eigentlich steht, ob nicht von vornherein nicht von einer rundum rechtsfähigen — wenn auch nicht juristischen — Person gesprochen werden sollte, sondern es nur um bestimmte, jeweils nachzuweisende Zurechnungsendpunkte geht, über deren Einsatz von Fall zu Fall zu entscheiden wäre 4 4 ." b) Trotz dieser K r i t i k hält man aber am Begriff des Durchgriffs fest 45 , halten vor allem auch die K r i t i k e r der Durchgriffs-Vorstellung an diesem Begriff fest 46 , m i t der Folge, daß der Begriff „Durchgriff" i m Z i v i l recht aktuelle Bedeutung hat 4 7 . Böckstiegel wendet sich gegen die K r i t i k von Bärmann: „Diese K r i t i k erscheint unberechtigt, soweit sie sich gegen den Terminus selbst richtet, denn dieser bezeichnet w o h l am besten und zusammenfassend das gemeinsame Ergebnis sehr unterschiedlicher rechtlicher Beurteilungen, deren Gemeinsamkeiten vor der Arbeit von Serick kaum gesehen w u r den 4 8 ." 42

Bärmann A c P 159 S. 365/366. Ottmar Kuhn, S. 203; vgl. auch Reinhardt und Erlinghagen bei: Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 98. 44 Pestalozza, Formenmißbrauch des Staates, S. 111. 45 Vgl. Raupach, Durchgriff, S. 28; Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 89; Ottmar Kuhn, S. 204; Böckstiegel, Der Durchgriff auf den Staat, S. 11 F N 45; Bausehl ce B B 1975 S. 1322; Wiedemann, Beüage Nr. 4 zu W M 1975, Heft 34; Unger B B 1976 S. 290. 48 Vgl. v o r allem Ottmar Kuhn, S. 204; Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 89; vgl. auch Schanze der sich zwar gegen die „Durchgriffs" Vorstellung ausspricht (vgl. S. 114), aber i m Grunde diesen Begriff weiter verfestigt. 47 Schanze (1975); Unger (1976); Wiedemann (1975); Bauschke (1975). 48 Böckstiegel, Der Durchgriff auf den Staat, S. 11 F N 45. 48

1. Abschn.: Der Durchgriff im Zivilrecht

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Den entscheidenden Grund für das Festhalten an dem Begriff „Durchgriff" führt aber w o h l Raupach an, wenn er feststellt, daß dann, wenn sich einmal die wissenschaftliche Auseinandersetzung eines Begriffs bemächtigt habe, es nicht sinnvoll — jedenfalls nicht realistisch — sei, diesen Begriff abschaffen zu wollen 4 9 . Auch Raupach ist deshalb der A u f fassung, daß die Durchgriffsfälle durchaus soviel Gemeinsames aufweisen, daß ein zusammenfassender Begriff gerechtfertigt sei 50 . Nach Rehbinder (im Anschluß an Kuhn) kann man den Terminus immerhin als M i t t e l akzeptieren, die recht unterschiedlichen Sachverhalte unter einem einheitlichen Kennwort zusammenzufassen 51. c) Auch wenn Böckstiegel, Raupach und Rehbinder trotz der an dem Begriff des Durchgriffs geäußerten K r i t i k an diesem festhalten wollen, so w i r d aber doch aus der von ihnen hierfür gegebenen Begründung deutlich, daß die zivilrechtliche Dogmatik zur Zeit m i t dem Durchgriffsbegriff i n einem gewissen Dilemma steckt: Einerseits hat man den Durchgriffsbegriff für die zivilrechtliche Diskussion als irreführend erkannt, geht zumindest davon aus, daß er den Inhalt, der ihm, bedingt durch die Durchgriffslehre Sericks, beigelegt wird, nicht haben kann und seine Verwendung deshalb „mehr Schaden als Nutzen stiftet". Z u m anderen aber ist der Begriff des Durchgriffs aus der zivilrechtlichen L i t e ratur, aus dem zivilrechtlichen Wortschatz, der zivilrechtlichen Begriffswelt „nicht mehr wegzudenken" 52 und ist vor allem auch ein derart griffiger „Slogan", daß sich die Verwendung dieses Begriffs geradezu aufdrängt. Man hält an dem Begriff „Durchgriff" fest, w e i l „die Durchgriffsfälle durchaus soviel Gemeinsames aufweisen, daß ein zusammenfassender Begriff gerechtfertigt sei", w e i l man den Terminus immerhin „als M i t t e l akzeptieren könne, die recht unterschiedlichen Sachverhalte unter einem einheitlichen Kennwort zusammenzufassen". Wie sich die zivilrechtliche Diskussion bezüglich des Durchgriffsbegriffs weiterentwickeln wird, erscheint gegenwärtig offen 53 . A u f jeden Fall fehlt dem Begriff des Durchgriffs i m Zivilrecht, von dem aus er i n andere Bereiche übernommen worden ist, gegenwärtig eine gesicherte Grundlage. Die Durchgriffslehre Sericks wurde aufgegeben, der Begriff aber ist geblieben. W i l l man weiterhin an dem Begriff des Durchgriffs 49

Raupach, Durchgriff, S. 28. Raupach, ebd., S. 28 f. 51 Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 89; Ottmar Kuhn, S. 204. 52 Schanze, S. 59. 68 Vgl. Schanze, S. 114: „ D i e Suggestivkraft des Denkens i n Durchgriffen ist ebensowenig unüberwindbar w i e die Lösung v o n anderen Naturalismen i m Recht", andererseits dersS. 59: „Bekanntlich läßt sich die naturalistische Vorstellung, daß das »Trennungsprinzip 1 Ausnahmen i n F o r m v o n Durchgriffen gebiete, k a u m aus der juristischen L i t e r a t u r wegdenken". 50

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festhalten, so gilt es, diesem einen neuen Bedeutungsinhalt zuzuordnen, „bei einer Lösung von bildlichen Allgemeinvorstellungen von »juristischer Person' und bei einer Thematisierung der veränderten Prämissen von Normanwendung i n diesem Bereich . . . gesetzesorientierte, differenzierte Auflösungen (vorzunehmen), die den von der Rechtsprechung formelhaft zur Entscheidungsgrundlage erhobenen Zweck der Rechtsordnung konkretisieren" 5 4 . Für die Verwendung des Durchgriffsbegriffs i n anderen Rechtsbereichen lassen sich aus der Problematik des Durchgriffsbegriffs i m Zivilrecht aber gewisse Konsequenzen ziehen: Man w i r d — veranlaßt durch die K r i t i k an dem Durchgriffsbegriff i n der zivilrechtlichen Literatur — auch i n anderen Rechtsbereichen die Frage stellen müssen, inwieweit das von dem Begriff Durchgriff vermittelte „Schema von Regel und Ausnahme" 5 5 einer sachgerechten Problemerfassung dient oder ob der griffige Slogan „Durchgriff" diese nicht vielmehr behindert. Es ist zu prüfen, ob es sachlich gerechtfertigt ist, normative Ausdifferenzierungen . . . didaktisch wirksam i n einem äußerlichen Regel/Ausnahme-Raster darzustellen 56 . (Man w i r d dabei allerdings feststellen, daß die Verwendung des Durchgriffsbegriffs i n anderen Bereichen als dem Zivilrecht weitaus eher — zumindest als „Kennw o r t " — eine Berechtigung hat als i m Zivilrecht 5 7 .) Z u m anderen w i r d man aber auch i n anderen Rechtsbereichen dem Umstand Rechnung tragen müssen, daß sich „die naturalistische Vorstellung, daß das ,Trennungsprinzip' Ausnahmen i n Form von ,Durchgriffen' gebiete, kaum aus der juristischen Literatur wegdenken" läßt 5 8 . Unter Umständen bietet sich dabei gerade i n einem Rechtsbereich wie dem des Außensteuerrechts, i n dem der Begriff „Durchgriff" zum gängigen Vokabular gehört, andererseits aber dogmatisch noch wandlungsfähig ist, noch nicht m i t Fehlvorstellungen wie i m Zivilrecht belastet ist, die Möglichkeit, dem Begriff des Durchgriffs einen problemgerechten Bedeutungsinhalt zuzuordnen. 2. Der Inhalt des zivilrechtlichen Durchgriffsbegriffs Aus den bisherigen Ausführungen deutet sich bereits an, daß es nur schwer möglich sein kann, den „ I n h a l t " des zivilrechtlichen Durchgriffsbegriffs zu bestimmen. 54 Schanze, S. 114; vgl. i n diesem Zusammenhang v o r allem auch die V e r wendung des Durchgriffsbegriffs durch Wiedemann, Sonderbeilage Nr. 4 zu W M 1975 Heft 34 S. 17 ff. u n d hierzu ebenfalls Schanze, S. 66. 65 Schanze, S. 63. 58 Schanze, S. 59. 57 Z u r Verwendung des Durchgriffsbegriffs i n anderen Bereichen vgl. noch i m 2. Abschnitt.

1. Abschn. : Der Durchgriff im Zivilrecht

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Nach Rehbinder lassen sich die unterschiedlichen materiellen Deutungen auf einen gemeinsamen Nenner reduzieren: Durchgriff sei die Nichtanwendung einer ausdrücklichen oder aus dem Gesamtkomplex der für die juristische Person (in ihrer jeweiligen Gestaltungsform) geltenden Normen erschlossenen Norm, die den Zuordnungsumfang der Rechtsfähigkeit oder den Zurechnungsumfang der Handlungsfähigkeit der typischen (Mehrmann-)AG oder G m b H festlegt. Die Frage, ob es sich dabei u m Inhaltsbestimmung oder die Anlegung von Außenschranken handele, könne bei dieser weitmaschigen Definition offen bleiben; ihr Kern gehe — wertungsneutral — allein dahin, daß das Trennungsprinzip nicht gilt. Methodisch handele es sich dabei u m eine Restriktion der Norm über das Trennungsprinzip: Die abstrakt-generell alle Tatbestände der juristischen Person erfassende Norm w i r d so korrigiert, daß sie auf solche Tatbestände nicht mehr anwendbar ist, die der (objektive) Gesetzgeber, hätte er sie bedacht, nicht der Norm unterworfen hätte 5 9 . Hofmann betont, daß man unter der Bezeichnung „Durchgriff" i m Schrifttum sehr heterogene Sachverhalte erfasse. Gemeinsam sei allen nur die Tendenz, das Trennungsprinzip aufzugeben, somit: auf die klare Unterscheidung zwischen Gesellschaft einerseits und Gesellschaftern andererseits zu verzichten. Besonders deutlich werde dies bei der sog. Durchgriffshaftung. Dort werde ein Anspruch gegen die Gesellschaft auf die rechtlich, aber nicht wirtschaftlich von i h r getrennten Gesellschafter erstreckt (man greift also durch die Gesellschaft hindurch auf die „hinter" i h r stehenden Personen). Eine solche Haftungserstreckung sei freilich nur eine der Erscheinungsformen des Durchgriffs. Eventuell könne sich der Durchgriff auch „lediglich" dahin auswirken, daß man den Gesellschafter juristisch anders behandelt, als wenn er irgendein (im Verhältnis zur Gesellschaft) Außenstehender wäre 6 0 . Als „ I n h a l t " des „Durchgriffs"-Begriffs läßt sich vom Zivilrecht her danach nur angeben, daß „Durchgriff" Aufgabe des Trennungsprinzips ist, für wen auch immer dieses Trennungsprinzip gelten mag und welchen Inhalt es auch haben mag. Es geht hier — wie Schanze formuliert hat — u m die naturalistische Vorstellung, daß das „Trennungsprinzip" 58

Schanze, S.59. Rehbinder (Konzernaußenrecht, S. 98), der darauf hinweist, daß selbst dieser gemeinsame Nenner keinen ungeteüten Beifall findet, w e n n es darum geht, aus i h m Folgerungen zu ziehen. 80 Paul Hof mann N J W 1966 S. 1941; vgl. auch Wiedemann Sonderbeilage zu W M 1975, Heft 34, S. 17: „ U n t e r den Bezeichnungen »Durchgriff durch die juristische Person 4 u n d ,Mißachtung der juristischen Person 1 werden sehr v e r schiedenartige Problemlagen zusammengefaßt, denen n u r das Regelwidrige gemeinsam ist"; vgl. auch Kamm, Gesellschafterdarlehen u n d Kapitalgesellschaften, S. 63 f. 59

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: Der Durchgriff in außersteuerlichen

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Ausnahmen i n Form von „Durchgriffen" gebiete®1. Von „Durchgriff" w i r d dabei nicht nur beim sogenannten „Haftungs-Durchgriff" gesprochen, sondern auch dann, wenn Rechtsfolgen für die juristische Person aus Tatbeständen i m Kreis ihrer Mitglieder abgeleitet werden, oder auch dann, wenn die Gesellschafter lediglich juristisch anders behandelt werden als außenstehende Dritte® 2. Von der Durchgriffsvorstellung des Zivilrechts her bestehen für eine Definition des Durchgriffs i m deutschen Außensteuerrecht also äußerst weitgehende Möglichkeiten. IL Zu den unterschiedlichen

Durchgriffskonzeptionen

Von Rehbinder werden drei Durchgriffs-„Konzeptionen" oder Durchgriffs-„Theorien" unterschieden® 3: die von Serick vertretene Auffassung, die von der Einheitsfigur der juristischen Person ausgeht, die von Müller-Freienfels geführte Auffassung, die Durchgriff als eine Frage der Normanwendung sieht (und die von Rehbinder und Schanze weitergeführt worden ist®4), und die dritte Ansicht, vertreten von Reinhardt, Erlinghagen und Kuhn, welche die immanenten Grenzen der juristischen Person als einer i n die Rechts- und Wirtschaftsordnung eingebetteten Institution erarbeiten w i l l (vgl. hierzu bereits i m 1. Abschnitt). Diese unterschiedlichen Ansatzpunkte enthalten Überlegungen, die auch für die Frage des Durchgriffs i m deutschen Außensteuerrecht von Interesse sind: Die Überlegungen Sericks haben auch die Vorstellungen über den „Durchgriff" i m deutschen Außensteuerrecht beeinflußt. Von besonderer Bedeutung sind deshalb für den Bereich des Zivilrechts getroffene Feststellungen, die auf die Lehre Sericks zurückgehende Fehlvorstellungen betreffen: daß es nicht „die" juristische Person gibt, für die sich schematische, generelle Lösungen erarbeiten lassen®5; daß sich aus dem „Wesen" der juristischen Person keine Schlußfolgerungen ableiten lassen, es vielmehr einer problemgebundenen Rechtsbetrachtung bedarf®®; daß überhaupt „jede geschlossene, sei es subjektive, sei es objektive Durchgriffskonzeption" abzulehnen ist®7; daß man sich zunächst, bevor man sich m i t 61 Schanze, S. 59; vgl. auch Schanze, S. 63: „Durchgriffsschema v o n Regel u n d Ausnahme". 62 Z u m Ganzen vgl. auch Raupach, Durchgriff, S. 29 f.; vgl. i n diesem Z u sammenhang v o r allem a u d i den Fragenkreis der Geltendmachung eines Schadens der Ges. als eigenen Schaden des Gesellschafters — Nachweise zu diesem Fragenkreis s. o. 63 Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 94 ff. 64 Reich N J W 1976 S. 1018/1019. 65 Müller-Freienfels, S. 522/531. ββ Müller-Freienfels, S. 522/526 f. 87 Schanze, Einmanngesellschaft u n d Durchgriffshaftung; vgl. hierzu Reich N J W 1976 S. 1018/1019.

1. Abschn.: Der Durchgriff i m Zivilrecht

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dem „Durchgriff" beschäftigt, Klarheit über das Wesen der juristischen Person verschaffen muß, besser: Klarheit über das Trennungsprinzip verschaffen muß, als dessen Ausnahme man den Durchgriff auffassen will88. Müller-Freienfels sieht den Durchgriff als eine Frage der Normanwendung, i m Konfliktfall i m Wege der Normabwägung. Gerade i m Außensteuerrecht hat man es anders als i m Zivilrecht vor allem m i t normierten Durchgriffen zu tun, so daß sich dieses Durchgriffskonzept für die Formulierung des Durchgriffsproblems i m Außensteuerrecht anbieten könnte. Auch die Aussagen der dritten, von Rehbinder angeführten Durchgriffstheorie w i r d man für den Bereich des Außensteuerrechts nicht außer Betracht lassen können. Was diese Lehre nach Rehbinder von der lnteressenjurisprudenz trennt, ist die Höhereinschätzung der juristischen Person, der sie einen institutionellen Eigenwert zuerkennt 89 . Diese Betonung des Eigenwerts der juristischen Person ist zumindest — wenn auch vielleicht i n veränderter Form — bei der Frage der Zulässigkeit des Durchgriffs zu berücksichtigen, kann u. U. eine Aufrechterhaltung des Trennungsprinzips allein u m der Einhaltung der Regel w i l l e n fordern bzw. rechtfertigen. I I I . Der Anwendungsbereich

des Durchgriffs

Von erheblichem Interesse für die Frage des Durchgriffs i m Steuerrecht ist es, ob sich das Problem des Durchgriffs als ein spezifisches Problem der juristischen Person bzw. von juristischen Personen darstellt oder ob auch durch andere Gebilde, vielleicht sogar durch natürliche Personen, durchgegriffen werden kann. Allerdings läßt sich auch hier feststellen, daß es zu dieser Frage ebenfalls an einer gefestigten Auffassung i m Zivilrecht fehlt. 1. Z u den verschiedenen Möglichkeiten I m allgemeinen spricht man auch heute noch von dem „Durchgriff bei juristischen Personen". Von Bauschke w i r d noch 1975 ein Aufsatz m i t dem T i t e l „Durchgriff bei juristischen Personen" veröffentlicht 70 . Nach Rehbinder ist „Durchgriff" die Nichtanwendung einer ausdrücklichen oder aus dem Gesamtkomplex der für die juristische Person geltenden Normen erschlossenen Norm, die den Zuordnungsumfang der Rechts• 8 Vgl. Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 93 f. Vgl. Rehbinder, ebd., S. 96; vgl. v o r allem auch Cafisch, S. 171. 70 Bauschke B B 1975 S. 1322. M

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: Der Durchgriff in außersteuerlichen

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fähigkeit der typischen (Mehrmann-)AG oder G m b H festlegt 71 . I n ähnlicher Weise äußert sich auch Wiedemann i n seiner Untersuchung „juristische Person und Gesamthand als Sondervermögen" 72 . Auch er spricht von dem „Durchgriff durch die juristische Person" 73 . Diese Äußerungen sind nicht dahin zu verstehen, daß hier eine Einheitsfigur der juristischen Person zugrunde gelegt, eine Durchgriffsformel für „die" juristische Person gefunden werden soll. Man sucht sehr wohl der unterschiedlichen Ausgestaltung der verschiedenen Gebilde gerecht zu werden. Man beschränkt jedoch die Untersuchung auf Gebilde, denen eigene Rechtspersönlichkeit zukommt, auf „juristische Personen". Wenn man aber auch heute überwiegend von einem Durchgriff nur bei der juristischen Person spricht, so hat doch bereits Müller-Freienfels darauf hingewiesen, daß die juristische Person nur „Endpunkt einer komplexen Stufenfolge" ist, es auch eine „Vorstufe der juristischen Person", eine „Rechtspersönlichkeit zweiter Ordnung" gebe: die Offene Handelsgesellschaft 74 . Raupach weist darauf hin, daß, wenn man bei der Durchgriffsfrage nach A r t und Ausgestaltung der einzelnen juristischen Personen differenziert, kein Grund bestehe, warum die Durchgriffslehre nicht auch auf Personengesellschaften bezogen werden sollte 75 . Wesensmäßig geschehe beim Beiseiteschieben der handelsrechtlichen Verselbständigung einer OHG nichts anderes als beim Durchgriff bei einer j u r i stischen Person, so daß sich die Zusammenfassung dieser vergleichbaren Erscheinungen anbiete 76 . Unger hat den Begriff der „Durchgriffshaftung" wie folgt definiert: „Durchgriffshaftung ist die rechtliche Möglichkeit, dem durch ein Rechtsgeschäft oder eine Rechtshandlung Geschädigten (Gläubiger) neben der Inanspruchnahme seines unmittelbaren Kontrahenten (Schuldner) unter bestimmten Voraussetzungen den Durchgriff auf den hinter dem Schuldner stehenden verdeckten Kapitalgeber (Dritten) zu gestatten 77 ." M i t dieser Definition sei zugleich der Weg frei geworden, den Durchgriff nicht mehr auf den Bereich der Gesellschaften m i t beschränkter Haftung, wo er ein Schattendasein führte, oder auf das Gebiet der juristischen Personen, wie dies teilweise noch heute vertreten werde, zu beschränken, sondern „darüber hinaus überall da anzuwenden, wo sich jemand bei riskanten Geschäften oder i n wagnisreichen Branchen einer 71

Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 98. Vgl. Wiedemann, Sonderbeilage Nr. 4 zu W M 1975 Heft 34. 73 Wiedemann, ebd., S. 17. 74 Müller-Freienfels, S. 522/527. 75 Raupach, Durchgriff, S. 31. 76 Raupach, ebd., S. 31 f. 77 Unger, Die Inanspruchnahme des verdeckten Kapitalgebers, S. 33 f.; ders. B B 1976 S. 290. 72

1. Abschn.: Der Durchgriff im Zivilrecht

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zwischengeschobenen Person (oder Gesellschaft) bedient, auf die bei nachteiliger Entwicklung der Geschäfte die gesetzliche Verantwortung abgewälzt werde" 7 8 . 2. Stellungnahme Welche der aufgeführten Möglichkeiten zu befürworten ist, läßt sich bei dem gegenwärtigen Stand der zivilrechtlichen Diskussion nicht beantworten. A u f der Grundlage der zivilrechtlichen Diskussion kann man jedoch für den Zweck der vorliegenden Untersuchung folgende Aussage treffen: Es ist tatsächlich nicht ersichtlich, w a r u m man nicht auch OHG und K G i n den Durchgriffsbegriff einbeziehen sollte, wenn man nach A r t und Ausgestaltung der juristischen Person differenziert. Das Gleiche gilt aber i m Grunde auch für die natürliche Person. Auch hier kann man von „Durchgriff" sprechen. Bei der Frage der Durchgriffshaftung etwa besteht kein wesentlicher Unterschied, ob man auf die hinter der juristischen Person stehenden Anteilseigner oder den hinter dem Schuldner stehenden Kapitalgeber „durchgreift". Selbst wenn man aber nicht nur bei juristischen, sondern auch bei den handelsrechtlich verselbständigten Personengesellschaften und auch bei natürlichen Personen von einem „Durchgriff" sprechen kann — man könnte vielleicht hier von einem Durchgriff i. w. S. sprechen —, so bestehen doch gewisse Unterschiede, die es rechtfertigen können, den Durchgriffsbegriff i m Einzelfall enger zu fassen: Die juristischen Personen (einschließlich der handelsrechtlich verselbständigten Personengesellschaften) stehen als „juristische" Personen i n einer besonderen Abhängigkeit von ihren Gesellschaftern. Die A b hängigkeit ist hier von anderer A r t als die mögliche Abhängigkeit einer natürlichen Person von einer anderen natürlichen Person oder auch einer Gesellschaft gegenüber Nicht-Gesellschaftern. Die juristische Person ist lediglich ein „juristisches" Gebilde. Die Gesellschafter sind die eigentlichen Träger dieses Gebildes. Sie sind das „menschliche Substrat" der juristischen Person. So stellt sich vor allem bei der juristischen Person i m Zivilrecht auch nicht nur das Problem des Haftungsdurchgriffs, sondern treten auch die sogenannten Normanwendungsprobleme auf, die Fälle, i n denen „die juristische Person bei ihrem menschlichen Substrat i n einem Punkte eine Anleihe (aufnimmt), u m die volle Rechtssubjektivität i n bezug auf eine Norm zu gewinnen" 7 0 . Von daher kann es durchaus berechtigt sein, die Frage zu untersuchen, inwieweit durch 78 Unger B B 1976 S. 290; vgl. i n diesem Zusammenhang allerdings auch bereits Müller-Freienfels, S. 522/540. 79 Bauschke B B 1975 S. 1322/1323.

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: Der Durchgriff in außersteuerlichen

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die „juristische" Person auf ihre Gesellschafter durchgegriffen werden darf oder durchgegriffen werden muß. Die Berechtigung zu einer derartigen Beschränkung der Durchgriffsproblematik auf das Verhältnis von juristischer Person und Gesellschafter kann sich dabei einmal daraus ergeben, daß man die spezifische Abhängigkeit i m Verhältnis von juristischer Person und Gesellschafter untersucht, zum andern daraus, daß man umfassend sämtliche Fälle untersucht, i n denen rechtlich die Abhängigkeit der juristischen Person von ihren Gesellschaftern aufgezeigt w i r d , unabhängig davon, ob es sich dabei u m eine spezifische Frage der juristischen Person handelt, also auch die Durchgriffsfälle einbezieht, die i n gleicher Weise bei der natürlichen Person auftreten können. I n letzterem F a l l sollte man allerdings die Parallelen zu dem Durchgriff bei natürlichen Personen und dem Durchgriff auf Nichtgesellschafter beachten und die für den Durchgriff bei juristischen Personen erarbeiteten Ergebnisse m i t den möglichen Ergebnissen für den „Durchgriff auf den Hintermann" vergleichen. Ob man auch zwischen vollen juristischen Personen und den nur handelsrechtlich verselbständigten Formen der OHG und K G bei der Frage des Durchgriffs differenzieren kann, richtet sich nach der jeweiligen Problemstellung. Immerhin hängt die praktische Bedeutung des Durchgriffs von dem Grad der Verselbständigung ab, hängt insbesondere die wesentliche Frage des „Haftungsdurchgriffs" von dem Bestehen einer Haftungsbeschränkung ab.

2. Abschnitt: Der Durchgriff in anderen außersteuerlichen Rechtsbereichen Nicht nur i m Zivilrecht — und i m Steuerrecht —, auch i n anderen Rechtsbereichen findet sich der Begriff des Durchgriffs: A . „Der Durchgriff auf den Staat"

Böckstiegel untersucht unter dem Thema „Der Durchgriff auf den Staat" die Frage, inwieweit es i n Fällen, i n denen sich der Staat einer juristischen Person des Privatrechts bedient, u m m i t dem einzelnen Rechtsbeziehungen herzustellen, möglich ist, die privatrechtliche j u r i stische Person hinsichtlich der zu beantwortenden Rechtsfrage m i t dem hinter i h r stehenden Staat gleichzusetzen. „Ist diese Frage zu bejahen, so liege ein F a l l des rechtlichen Phänomens vor, das hier m i t dem i m Privatrecht seit Serick eingebürgerten plastischen Begriff des ,Durchgriffs 4 bezeichnet werden soll 8 0 ." 80

Böckstiegel, Der Durchgriff auf den Staat, S. 10 f.

2. Abschn. : Der Durchgriff in anderen außersteuerlichen Bereichen

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Als Kriterien für die Feststellung der „funktionellen Staatlichkeit" einer juristischen Person des privaten Rechts, die „den Rechtsgrund für eine eventuelle Identifizierung präzisieren" sollen, werden von Böckstiegel für den „Durchgriff auf den Staat im nationalen deutschen Recht" genannt 81 : 1. Rechtsschein der Identifizierung 2. Ausübung hoheitlicher Aufgaben 3. Umgehung allgemeiner Schranken staatlicher Tätigkeit 4. Zurechenbarkeit bestimmter A k t e aus dem übrigen staatlichen Bereich. Neben dem Durchgriff auf den Staat i m nationalen deutschen Recht behandelt Böckstiegel den „internationalen Durchgriff auf den Staat", die Fälle, i n denen sich der Staat einer vom Staat selbst separaten juristischen Person für den Abschluß von Verträgen m i t ausländischen Privatunternehmen bedient. Er unterscheidet hier ebenfalls vier „Rechtsgründe" für einen Durchgriff 8 2 : 1. Autorisiertes Auftreten wie der Staat selbst (Durchgriff kraft Vertrauensschutz) 2. Durchführung von hoheitlichen Aufgaben (Durchgriff kraft Funktionsausübung) 3. Umgehung völkerrechtlicher Pflichten des Staates (Durchgriff kraft völkerrechtlicher Verantwortlichkeit) 4. Zurechenbarkeit bestimmter A k t e der Gesetzgebung und Verwaltung (Durchgriff kraft Einflußsphäre). I n ähnlicher Weise wie Böckstiegel verwendet auch Rüfner den Begriff „Durchgriff": „Als M i t t e l zur Realisierung der besonderen Pflichten des Fiskus bietet sich die Mißachtung der juristischen Person i m Einzelfall, der sogenannte ,Durchgriff' an 8 3 ." Durchgriff ist bei Rüfner „Durchgriff zur Verwirklichung verwaltungsprivatrechtlicher Bindungen" 8 4 : „Wenn die Verwaltung, u m ihren besonderen Pflichten zu entgehen, in die Eigengesellschaft ausweicht, so kann ihr das nichts nützen 8 5 ." B. Der „Durchgriff " i m Bereich des Art. 19 I I I G G

„ I n umgekehrter Richtung" 8 6 gegenüber dem Durchgriffsbegriff von Böckstiegel und Rüfner findet der Begriff bei Dürig Verwendung i m 81

Böckstiegel, ebd., S. 18 ff. Böckstiegel, ebd., S. 29 ff. 83 Rüfner, Formen öffentlicher Verwaltung, S. 445; vgl. aber auch Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 153 f. 84 Rüfner, S. 416. 85 Rüfner, S. 415. 86 Vgl. Böckstiegel, Der Durchgriff auf den Staat, S. 11 F N 46. 82

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: Der Durchgriff in außersteuerlichen

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Rahmen der Frage, ob sich die öffentliche Hand bei ihrer wirtschaftlichen Betätigung auf Grundrechte berufen kann 8 7 . Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind nach Dürig auch bei fiskalischem Handeln grundsätzlich nicht als Inhaber subjektiver Grundrechte anzusprechen. „ N u r wo ein ,Durchgriff' durch die formale äußere Rechtsform ergibt, daß die juristische Person des öffentlichen Rechts eigentlich nur Sachwalterin der Individualrechte der hinter i h r stehenden natürlichen Personen ist, kann sie sich über A r t . 19 Abs. I I I auf die einschlägigen Grundrechte . . . berufen. Führt dagegen dieser Durchgriff zu dem Ergebnis, daß materiell Identität zwischen Hoheitssubjekt und Wirtschaftssubjekt besteht... versagt trotz A r t . 19 I I I der Individualgrundrechtsschutz 88 ." Es geht hier also nicht u m einen Durchgriff „auf den Staat", sondern u m einen Durchgriff „durch den Staat" (durch die juristische Person des öffentlichen Rechts) auf die hinter ihr stehenden natürlichen Personen. Darüber hinaus findet der Begriff des Durchgriffs i m Bereich des A r t . 19 I I I GG Anwendung bei der Frage, ob man für die Abgrenzung ausländischer und inländischer juristischer Personen i m Sinne von A r t . 19 I I I GG entsprechend der sogenannten Kontrolltheorie i m Wege des Durchgriffs auf die Staatsangehörigkeit der sie beherrschenden Gesellschafter abstellen kann 8 9 . Nach Schmidt ist dies nur dann möglich, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift besteht 90 . Der durchweg exzeptionelle Charakter aller Vorschriften, die die Behandlung einer juristischen Person als inländisch oder ausländisch von der Staatsangehörigkeit der beteiligten natürlichen Personen abhängig machen, stehe der Bewertung der Einfluß- oder Kontrolltheorie als eines allgemeinen, für alle Zwecke i n gleicher Weise anwendbaren Rechtsprinzips entgegen 91 . C. Die „Durchgriffsakte" i m Recht der Europäischen Gemeinschaften

Eine weitere Form des „Durchgriffs" findet sich i m Recht der Europäischen Gemeinschaften. Bandilla hat sich m i t diesem Fragenkreis beschäftigt 92 . Der Begriff der Durchgriffsakte — oder auch Direktakte — 87

Dürig i n Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 19 Abs. I I I A n m . 46. Dürig, ebd., A r t . 19 I I I A n m . 46. 89 Vgl. Walther Wieland Schmidt, Grundrechte u n d Nationalität j u r i s t i scher Personen, S. 123 ff.; die Frage, ob die Eigenschaften der hinter den juristischen Personen stehenden natürlichen Personen maßgebend sein sollen, stellt sich i m übrigen noch bei einer Reihe sonstiger Normen (vgl. etwa § 35 GewO, § 13 I Z. 2 PBefG) — vgl. hierzu auch Raupach, Durchgriff, S. 40 f. 90 Walther Wieland Schmidt, S. 126. 91 Walther Wieland Schmidt, S. 124. 92 Bandilla, Das Klagrecht der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften gegen Durchgriffsakte. 88

2. Abschn. : Der Durchgriff in anderen außersteuerlichen Bereichen

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beruht nach Bandilla auf der Unterscheidung der Gemeinschaftsakte nach dem K r i t e r i u m der möglichen Adressaten 93 . A k t e der Gemeinschaftsorgane können an die Mitgliedstaaten gerichtet sein und allein diese verpflichten. Der einzelne Bürger w i r d hiervon zunächst noch nicht betroffen. Es können aber auch Gemeinschaftsakte ergehen, die dem einzelnen unmittelbar ein bestimmtes Verhalten vorschreiben, die also für den einzelnen verbindliches Recht enthalten, ohne einer Transformation i n das jeweilige nationale Recht zu bedürfen. „Durch die Staaten hindurch — oder über die Staaten hinweg — ergreifen sie unmittelbar den einzelnen 94 ." D. Der Durchgriff in sonstigen Fragenbereichen

Auch i n anderen Fragenbereichen spielt der Begriff des Durchgriffs eine — wenn auch vielleicht weniger bedeutsame — Rolle. Hiervon sollen beispielhaft noch zwei Fragenbereiche angesprochen werden: Papier führt i n seiner Untersuchung über „Die finanzrechtlichen Gesetzvorbehalte und das grundgesetzliche Demokratieprinzip" aus, daß wegen der rechtsstaatlichen Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes eine Bindung an den möglichen Wortsinn des Steuertatbestandes bestehe. Als Gegensatz hierzu spricht er i m Zusammenhang m i t der wirtschaftlichen Betrachtungsweise i m Steuerrecht von dem „Durchgriff auf den ökonomischen Vorgang und das legislatorische Motiv trotz eindeutigen, nicht auslegungsfähigen, auf (bürgerliche) Rechtsgestaltung abstellenden Gesetzeswortlauts" 95 . Dürig beschäftigt sich i n der Kommentierung des A r t . 3 1 GG damit, daß Gegenstand des Vergleichens bei A r t . 3 1 stets Personen und/oder Personengruppen sind, A r t . 3 I also eine „Verdinglichung" des Vergleichens verhindert 9 6 . Bei einer Betrachtung der Gesetzgebung dränge sich aber der Eindruck auf, als beziehe sich das Vergleichen und Unterscheiden i m Rahmen des A r t . 3 1 auf Waren, Güter, Produkte. Nach seiner Auffassung „darf der stets nötige ,Durchgriff' auf die ,Personen' beim Vergleichen derartiger abstrakter Vergegenständlichungen i n der äußeren Güterwelt nicht aus dem Blick geraten". So gehe es beim Vergleichen i. S. des A r t . 3 1 nicht u m „Waren", sondern u m die sie produzierenden und konsumierenden Personen 97 . 93

Bandilla, S. 17. Bandilla, S. 17. 95 Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte u n d das grundgesetzliche Demokratieprinzip, S. 186. 96 Vgl. Dürig i n Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 3 I, A n m . 306. 97 Vgl. Dürig, ebd. 94

3 v. Beckerath

34

1.1. Kap. : Der Durchgriff in außersteuerlichen Rechtsbereichen Έ. Z u den verschiedenen Verwendungsformen des „Durchgriffs"

Zusammenfassend läßt sich bei einer Betrachtung der Verwendung des Begriffs „Durchgriff" feststellen, daß i n der Tat sehr heterogene Sachverhalte diesem Begriff zugeordnet werden, man sogar die bereits für das Zivilrecht sehr w e i t gefaßte Definition des Durchgriffs noch verallgemeinern muß. Andererseits aber weisen sämtliche Durchgriffsfälle Gemeinsamkeiten auf: Bei der Frage des „Durchgriffs auf den Staat" (vgl. oben zu A) und bei den i m Zusammenhang m i t A r t . 19 I I I GG diskutierten Durchgriffsfragen (vgl. oben zu B) w i r d man eine enge Verbindung zu den zivilrechtlichen Durchgriffsfällen ziehen können. I n beiden Fällen geht es u m einen Durchgriff durch die juristische Person auf die dahinter stehenden „Gesellschafter". Einen erweiterten Durchgriffsbegriff w i r d man dagegen bei der Frage der „Durchgriffsakte i m Recht der EG" zugrunde legen müssen (vgl. oben zu C). Hier trifft am ehesten die Feststellung Wiedemanns zu, daß unter dem Begriff „Durchgriff" sehr verschiedenartige Problemlagen zusammengefaßt werden, denen nur das Regelwidrige gemeinsam ist 9 8 . Sehr weit entfernt von der zivilrechtlichen Durchgriffs-Vorstellung erscheinen die Auffassungen von Papier und Dürig (vgl. oben zu D). Wenn Papier von einem „Durchgriff auf den ökonomischen Vorgang und das legislatorische M o t i v " spricht, so liegt auch dem wohl das B i l d einer Trennwand zugrunde. Durchgriff ist aber hier w o h l nur noch ein „Durchgreifen auf etwas, was dahinter steckt", ein Durchgriff durch den Wortlaut auf den ökonomischen Vorgang und das legislatorische Motiv. Ähnliches w i r d man auch für die Verwendung des Begriffs „Durchgriff" bei Dürig feststellen können, von dem durch den Vergleichsgegenstand Ware, Produkt etc. auf die Personen, die Produzenten und Konsumenten, durchgegriffen wird. Danach erscheint bei einer Betrachtung der verschiedenen Verwendungsformen des Begriffs „Durchgriff" die Definition des Durchgriffs als „Aufgabe des Trennungsprinzips", obwohl bereits sehr weit gefaßt, i m Grunde noch zu eng. Das Gemeinsame, was sich lediglich für die verschiedenen Verwendungsformen feststellen läßt, ist, daß es bei dem „Durchgriff" darum geht, auf etwas „durchzugreifen, was dahinter steckt", wobei der Durchgriff durch eine juristische Person, sonstige verselbständigte Gebilde, natürliche Personen (Unger), Sachen (Dürig) oder auch den Gesetzeswortlaut (Papier) erfolgen kann.

98

Wiedemann,

Sonderbeilage zu W M 1975, Heft 34, S. 1.

2. Kapitel

Der Durchgriff im nationalen Steuerrecht Wilser (I960) 1 und Raupach (1968)2 haben m i t ihren Arbeiten die Grundlagen für die Diskussion der Durchgriffsproblematik i m nationalen Steuerrecht gelegt. 1. Abschnitt: Überblick über die Arbeiten von Wilser und Raupach A. Wilsers Untersuchung

Ziel der Arbeit Wilsers ist es, i n Fortführung der Untersuchung Sericks die Diskussion über „Rechtsform und Realität juristischer Personen" auf das deutsche Steuerrecht auszudehnen 8 . Er w i l l die „Mißachtung der (zivilrechtlichen) juristischen Person i m Steuerrecht" untersuchen; allerdings, da der Durchgriff stets Ausnahmecharakter trage, nur, soweit die juristische Person auch i m Steuerrecht grundsätzlich anerkannt werde, also nicht i m Einkommen- und Umsatzsteuerrecht. A u f der Grundlage dieser Problemstellung erörtert Wilser drei Formen von Durchgriffen: 1. Durchgriffe auf Grund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise 2. Durchgriffe bei Steuerumgehungen 3. Durchgriffe zur Bestimmung von Normvoraussetzungen. Bei der Frage der „Durchgriffe auf Grund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise" unterscheidet Wilser zwischen Durchgriffen auf Grund der Generalklausel des damaligen § 1 StAnpG und den besonderen A n wendungsfällen der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, wie der Organtheorie oder den verschiedenen Fällen des Kapitalverkehrsteuergesetzes. Er stellt hierbei fest, daß das Steuerrecht durch die stärkere Betonung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise gerade bei der Frage, wann die Rechtsform der juristischen Person mißachtet werden darf, zu einer größeren Rechtssicherheit gelangt ist als das Zivilrecht 4 . 1 2 8 4



Wilser, Der Durchgriff bei Kapitalgesellschaften i m Steuerrecht. Raupach, Der Durchgriff i m Steuerrecht. Wilser, S.16. Vgl. Wilser, S. 71.

.2. Kap. : Der Durchgriff im nationalen Steuerrecht

36

Bei der Frage der „Durchgriffe bei Steuerumgehungen" behandelt Wilser die Generalklausel des § 6 StAnpG a. F. sowie Spezialnormen der Einzelsteuergesetze, betreffend etwa die Frage der verdeckten Gewinnausschüttung oder das Problem der Gesellschafterdarlehen. Wilser stellt auch hier ein ähnliches Ergebnis fest wie bei der Frage des Durchgriffs auf Grund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise: „Der Ausgangspunkt ist i m Zivilrecht wie i m Steuerrecht der gleiche; hier wie dort geht es darum, Gesetzesumgehungen zu verhindern. Das entscheidende Problem aber, wann eine Gesetzesumgehung angenommen werden muß, ist bisher nur i m Steuerrecht endgültig geklärt 5 ." I m dritten Komplex untersucht Wilser schließlich die Frage des „Durchgriffs zur Bestimmung von Normvoraussetzungen" und damit einen Fragenkreis, „dessen Problematik i m Steuerrecht wie auch i m Zivilrecht völlig gleichgeartet ist". Wie i m Zivilrecht dürfen auch i m Steuerrecht Normen, die auf menschliche Eigenschaften, Fähigkeiten oder Werte abstellen, m i t der juristischen Person verknüpft werden, wenn sich der Zweck der Norm m i t dem Zweck der juristischen Person vertrage®. B. Die Untersuchung Raupachs

Raupach unternimmt i n seiner Arbeit den Versuch, die zivilrechtliche und die steuerrechtliche Durchgriffslehre, die sich nach seiner Ansicht weitgehend isoliert entwickelt haben, „zusammenzuführen oder wenigstens anzunähern und daraus neue Gesichtspunkte für die steuerliche Durchgriffslehre zu gewinnen". Er untersucht deshalb nicht nur die Frage des Durchgriffs i m Steuerrecht, sondern beschäftigt sich auch ausführlich m i t der Frage des Durchgriffs i m Zivilrecht, übernimmt zahlreiche Ansatzpunkte aus der zivilrechtlichen Diskussion für die Frage des Durchgriffs i m Steuerrecht 7 . I m Hauptteil seiner Untersuchung, bei der Frage des Durchgriffs i m Steuerrecht, unterscheidet Raupach (wie auch vorher bereits für die Frage des Durchgriffs i m Zivilrecht) zwei Fragenkomplexe: die Frage nach dem Begriff des Durchgriffs und die Frage nach der Zulässigkeit des Durchgriffs. I. Der Begriff

des Durchgriffs

Raupach definiert den „Durchgriff" abweichend von Wilser als „jede Mißachtung der bürgerlich-rechtlichen Rechtsfähigkeit durch das Steuerrecht", schränkt also den Durchgriffsbegriff nicht durch das Erfordernis der grundsätzlichen steuerlichen Anerkennung der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit ein. 5 6

Wilser, S. 143. Wilser, S. 144.

1. Abschn. : Überblick über die Arbeiten von Wilser und Raupach

II. Die Zulässigkeit

37

des Durchgriffs

Der durch die Definition des Durchgriffs vorgegebenen Problemstellung entsprechend erörtert Raupach die Frage der Zulässigkeit des Durchgriffs: Da Raupach unter steuerlichem Durchgriff die steuerrechtliche A b weichung vom zivilrechtlichen Trennungsprinzip versteht, erweist es sich für i h n als „erforderlich, die Frage der Zulässigkeit zu sehen i m Rahmen des problematischen Verhältnisses von Steuer- und Zivilrecht" 8. Er gelangt hierbei zu dem Ergebnis, daß eine prizipielle Bindung des Steuerrechts an das Zivilrecht nicht besteht, es eine generelle A n t w o r t auf die Frage, wann das Steuerrecht vom zivilrechtlichen Trennungsprinzip abweichen darf, nicht geben kann. Es sei vielmehr von den Normen der Einzelsteuergesetze auszugehen9. Raupach prüft dementsprechend i n der Folge die Frage, welche Ausgestaltung das Trennungsprinzip in den verschiedenen Einzelsteuergesetzen gefunden hat 1 0 . Gehe man für die Frage nach der Zulässigkeit von steuerlichen Durchgriffen nicht vom Wesen der juristischen Person aus, sondern stelle man auf die anzuwendenden Normen ab, dann komme es entscheidend auf die Ausgestaltung des Trennungsprinzips bei den einzelnen Steuern an. Die Schärfe, m i t der das Trennungsprinzip i m System des einzelnen Steuergesetzes ausgebildet sei, könne als Richtschnur bei der Prüfung dienen, inwieweit i m Einzelfall ein Durchgriff bei der betreffenden Steuer zulässig sei 11 . Neben der Ausgestaltung des Trennungsprinzips komme es entscheidend auf die Rechtsgrundlage an, auf die i m Einzelfall der Durchgriff gestützt werden soll. Hierbei könne man vier Fälle unterscheiden: ,Normierte Durchgriffe' seien nicht schlechthin unzulässig, da das Steuerrecht nicht Folgerecht des Zivilrechts sei. Der Gesetzgeber habe hier Gestaltungsfreiheit. Er müsse jedoch die verfassungsrechtlichen Schranken (insbesondere: A r t . 3 1 und 20 GG) beachten 12 . Für die ,Durchgriffe auf Grund von Normauslegung 4 stellt Raupach fest, daß Durchgriffe auch dann zulässig seien, wenn eine Norm sie nicht 7 Z u r Ansicht Raupachs zur Frage des Durchgriffs i m Zivilrecht vgl. bereits die Nachweise i m Voraufgehenden, zur Ansicht Raupachs zur Frage des Durchgriffs i m Internationalen Steuerrecht vgl. noch i m 3. Kapitel. 8 Raupach, Durchgriff, S. 48. 9 Raupach, ebd., S. 71. 10 Raupach, ebd., S. 71 ff. 11 Raupach, ebd., S. 89 f., 194 f. 12 Raupach, ebd., S. 91 ff., 195.

38

.2. Kap.: Der Durchgriff im nationalen Steuerrecht

ausdrücklich anordne, wenn aber die Auslegung der Norm ergebe, daß ein Durchgriff zu ihrer Anwendung erforderlich sei. Wichtigste Fälle dieser A r t seien: 1. wenn Normen auf menschliche Eigenschaften oder Fähigkeiten abstellen 2. wenn Normen nicht von der rechtlichen, sondern der tatsächlichen Personenverschiedenheit oder -einheit ausgehen 18 . ,Durchgriffe auf Grund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise* als Sachverhalts Würdigung könnten nicht allein auf § 1 I I I StAnpG gestützt werden. Die Frage nach dem wirtschaftlichen K e r n eines Sachverhalts könne nur i m Hinblick auf die Elemente des betreffenden Steuertatbestandes beantwortet werden 1 4 . ,Durchgriffe auf Grund des Steuerumgehungsverbotes 4 seien unzweifelhaft allgemein zulässig 15 .

2. Abschnitt: Zu den Ansichten von Wilser und Raupach sowie allgemein zur Frage des Durchgriffs im nationalen Steuerrecht Zwischen nationalem Steuerrecht und Außensteuerrecht besteht bei der Frage des Durchgriffs — vor allem von der grundsätzlichen Problemstellung her — eine enge Verwandtschaft. A. Begriff und Problemstellung des Durchgriffs i m nationalen Steuerrecht

Vor allem die Frage nach dem Begriff des Durchgriffs und die damit verbundene Fixierung der Problemstellung i m nationalen Steuerrecht beinhaltet bereits eine gewisse Vorentscheidung für die außensteuerrechtliche Fragestellung. I. Durchgriff als ausnahmsweise Durchbrechung der grundsätzlich durch das Steuerrecht anerkannten zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit (Wilser) Wilser geht davon aus, daß ein Durchgriff dann vorliegt, wenn die Rechtspersönlichkeit der juristischen Person anerkannt, i m Einzelfall jedoch unter bestimmten Voraussetzungen beiseite geschoben wird. Da der Durchgriff stets Ausnahmecharakter habe und die Feststellung von 13 14 15

Raupach, ebd., S. 109 ff., 196. Raupach, ebd., S. 119 ff., 196 f. Raupach, ebd., S. 126 ff., 197.

2. Abschn. : Z u den Ansichten von Wilser und Raupach

39

Ausnahmen das Bestehen einer Regel voraussetze, könne „das Problem der Mißachtung der Rechtsform der juristischen Person nur i n denjenigen Rechtsbereichen auftreten, die die juristische Person grundsätzlich als rechtsfähiges Gebilde anerkennen" 18 . Deshalb komme es für die Frage, inwieweit man i m Steuerrecht von „Durchgriff" sprechen könne, darauf an, ob die juristische Person auch i m Steuerrecht als rechtsfähiges Gebilde anerkannt sei. Nach Wilser w i r d die (zivilrechtliche 17 ) j u r i stische Person auch i m Steuerrecht m i t Ausnahme des Einkommen- und Umsatzsteuerrechts anerkannt: „Alle anderen Steuerarten haben sich der zivilrechtlichen Auffassung angeschlossen und erkennen der juristischen Person grundsätzlich volle steuerliche Rechtsfähigkeit zu 1 8 ." Nach Wilser kann man deshalb auch i m Steuerrecht m i t Ausnahme des Einkommen« und Umsatzsteuerrechts von „Durchgriff" sprechen. Wilser versteht damit den „Durchgriff" i m Steuerrecht als ausnahmsweise Durchbrechung der grundsätzlich auch vom Steuerrecht anerkannten Rechtspersönlichkeit der (zivilrechtlichen) juristischen Person. Durchgriff ist nach seiner Auffassung Durchbrechung der Selbständigkeit der zivilrechtlichen juristischen Person, allerdings nur, soweit das Steuerrecht die juristische Person grundsätzlich anerkennt 19 . II. Durchgriff als Mißachtung der bürgerlich-rechtlichen Rechtsfähigkeit durch das Steuerrecht (Raupach) Raupach unterscheidet drei „Möglichkeiten zur begrifflichen Fixierung des Durchgriffs i m Steuerrecht" 20 : 1. Durchgriff ist jede Durchbrechung des Zivilrechts durch das Steuerrecht 2. Durchgriff ist die Mißachtung der Rechtsfähigkeit einer juristischen Person — aber nur dann, wenn die steuerliche Rechtsfähigkeit an die bürgerlich-rechtliche Rechtsform anknüpft 3. Durchgriff ist jede Mißachtung der bürgerlich-rechtlichen Rechtsfähigkeit durch das Steuerrecht. Durchgriff allgemein als „jede Durchbrechung des Zivilrechts durch das Steuerrecht" aufzufassen, w i r d von Raupach mit der Begründung 16

Wilser, S. 17. Daß Wilser die zivilrechtliche, nicht etwa die „steuerliche juristische Person" meint, w i r d deutlich aus den Ausführungen Wilsers auf den Seiten 20 u n d 21. 18 Wilser, S. 22. 19 So auch die Auffassung Wilsers i n der W e r t u n g v o n Raupach — vgl. Raupach, Durchgriff, S. 41 f.; gleicher Ansicht w i e Wilser i m übrigen auch: Klaus Vogel JFfSt. 1970/71 S. 49/62. 20 Raupach, Durchgriff, S. 41 ff. 17

40

.2. Kap. : Der Durchgriff im nationalen Steuerrecht

abgelehnt, daß dann der Durchgriffsbegriff i n die Gefahr gerate, nur als andere Bezeichnung für die „wirtschaftliche Betrachtungsweise" verstanden zu werden. Es bliebe gerade die Besonderheit außer Betracht, die Rechtsprechung und Literatur i m Zivilrecht beschäftige, daß nämlich beim Durchgriff die (aus der selbständigen Rechtsfähigkeit der j u r i stischen Person folgende) rechtliche Trennung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter aufgegeben werde. Raupach lehnt auch die Ansicht Wilsers ab, der das Durchgriffsproblem (auch nach Raupachs Verständnis der Auffassung Wilsers) auf Fälle beschränkt, i n denen die steuerliche Rechtsfähigkeit an die bürgerlich-rechtliche Rechtsfähigkeit anknüpft Wilser sehe den steuerlichen Durchgriff stenggenommen nicht i m „Beiseiteschieben der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit", sondern i n der „Mißachtung der steuerlichen Rechtsfähigkeit" juristischer Personen. Nach Raupach könne man aber durchaus verschiedener Auffassung sein, ob i m Einzelfall eine Verknüpfung m i t dem bürgerlichen Recht vorliegt. Jedenfalls aber sei die Frage der Verknüpfung von Steuer- und Zivilrecht ein Problem der Auslegung, von dem die Fassung des Durchgriffs-Begriffs nicht abhängig gemacht werden sollte. Raupach definiert den Durchgriff als „Mißachtung der bürgerlichrechtlichen Rechtsfähigkeit durch das SteuerrechtNach Raupach sollte bei der Festlegung des steuerlichen Durchgriffsbegriffs berücksichtigt werden, daß Durchgriffsprobleme i n den verschiedensten Rechtsgebieten auftreten können. Die Durchgriffsfälle führten auf die gemeinsame Fragestellung, „ob und gegebenenfalls wann die Trennung zwischen zivilrechtlicher Rechtsfähigkeit der Gesellschaft und der ihrer Gesellschafter eingeschränkt oder aufgehoben werden kann". Das Steuerrecht finde zivilrechtlich „geformte" Sachverhalte vor und habe sich m i t diesen auseinanderzusetzen. Es erscheine daher zweckmäßig, jede steuerliche „Mißachtung" der bürgerlich-rechtlichen Rechtsfähigkeit juristischer Personen (sowie der handelsrechtlich verselbständigten Personengesellschaften 21 ) als Durchgriff zu bezeichnen 22 . III.

Stellungnahme

1. Z u der Ansicht von Raupach Wenn Raupach den steuerlichen Durchgriff als Durchbrechung der zivilrechtlichen Selbständigkeit definiert, so erheben sich hiergegen verschiedene Bedenken: 21 22

Hierzu Raupach, ebd., S. 44 f. Vgl. Raupach, ebd., S. 42 ff.

2. Abschn. : Z u den Ansichten von Wilser und Raupach

41

a) Raupachs Definition und Problemstellung des steuerlichen „Durchgriffs" als Abweichung von dem zivilrechtlichen Trennungsprinzip ist vor allem beeinflußt durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24.1.1962 23 , i n dem das Bundesverfassungsgericht § 8 Ziff. 6 GewStG für verfassungswidrig erklärt hat 2 4 . aa) Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts lag ein unzulässiger Durchgriff durch die Rechtsform der juristischen Person darin, daß i n §8 Ziff. 6 GewStG Besteuerungsmerkmale aus der Sphäre der hinter der Gesellschaft stehenden Gesellschafter herangezogen wurden, während das Gewerbesteuergesetz grundsätzlich an die Rechtsform der Gesellschaft anknüpft. Das Bundesverfassungsgericht sah diese Durchbrechung der Selbständigkeit der Gesellschaft i m Rahmen des Verhältnisses von Steuerrecht und Zivilrecht und betonte die enge Bindung des Steuerrechts an das Zivilrecht: Wegen der Eigenart des i n erster Linie fiskalischen Zwecken dienenden Steuerrechts brauche der Steuergesetzgeber zwar nicht durchgängig an die bürgerlich-rechtliche Ordnung anzuknüpfen. Privat- und Steuerrecht seien aber dort tiefgreifend verbunden, wo das Steuerrecht nicht nur an die gegebenen Lebensverhältnisse und damit auch an ihre zivilrechtliche Ordnung anknüpfe, sondern den Steuergegenstand prinzipiell nach Rechtsformen des bürgerlichen Rechts bestimme. Gewiß schließe auch solche qualifizierte Verbindung nicht schlechthin steuerrechtliche Abweichungen von der zivilrechtlichen Gestaltung i m einzelnen aus: „sachlich hinreichend gerechtfertigt" i m Sinne der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts sei eine Abweichung jedoch nur dann, wenn sie „von überzeugenden Gründen" getragen sei. Wenn es schon bei jeder derartigen Anknüpfung „nicht nur i m Interesse der Klarheit und Einheit, sondern vor allem der inneren Autorität der Rechtsordnung liege, die Entsprechung von Privat- und Steuerrecht durchgehend zu wahren, also die Ordnungsstruktur des Zivilrechts zu achten", so sei es besonders bedenklich, „wenn die benützte zivilrechtliche Ordnung vom Steuerrecht gerade an der Stelle durchbrochen werde, die ihre eigentliche rechtliche Bedeutung ausmache". Das Bundesverfassungsgericht betont i n der Folge, daß hier die zivilrechtliche Ordnung „gerade an einer Stelle durchbrochen wird, die ihre eigentliche Bedeutung ausmacht", daß die juristische Person gegen Durchgriffe wesensmäßig grundsätzlich abgeschirmt und ein Durchgriff 23

Vgl. BVerfGE Bd. 13 S. 331. Raupachs Untersuchung w u r d e 1968 veröffentlicht! Z u dem U r t e i l des Bundesverfassungsgerichts vgl. Raupach, Durchgriff, S. 7 ff.; allerdings hat Raupach bereits die sich andeutende Akzentverschiebung i n den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts v o m 11.11.1964 u n d v o m 14.12.1966 deutlich gesehen (hierzu Raupach, ebd., S. 15 ff.). 24

42

I. 2. Kap.: Der Durchgriff im nationalen Steuerrecht

nach der zivilrechtlichen Durchgriffslehre nur i m engsten Rahmen zulässig sei: Es gehöre zum Wesen juristischer Personen wie der GmbH und der AG, „daß diese Kapitalgesellschaften m i t ihrer Verselbständigung gegen ,Durchgriffe 4 auf Tatbestände i m Kreis oder i n der Person ihrer Gesellschafter grundsätzlich abgeschirmt seien". Davon gehe auch die Literatur und Rechtsprechung zur Frage des Durchgriffs aus. Immer werde betont, daß es sich i n jedem Fall u m einen „schweren Eingriff i n eine Grundform unserer Rechtsordnung" handele, durch den „die Bedeutung der Rechtsfigur der juristischen Person beeinträchtigt werde" und der deshalb nur „ i m engsten Rahmen und aus dringlichsten Gründen" zulässig erscheine. bb) Diese i n dem U r t e i l vom 24.1.1962 vertretene Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht i n der Folge aber i n zweifacher Hinsicht modifiziert: Während das Bundesverfassungsgericht i n seiner Entscheidung zu § 8 Ziff. 6 GewStG von einer engen Bindung des Steuerrechts an das Zivilrecht ausgegangen war, hat es diesen anfangs eingenommenen Standpunkt i n nachfolgenden Entscheidungen erheblich abgemildert zugunsten der Annahme der Eigenständigkeit des Steuerrechts 25 . Während das Bundesverfassungsgericht i n seiner Entscheidung vom 24.1. 1962 davon gesprochen hatte, es liege i m Interesse der inneren Autorität der Rechtsordnung, „die Entsprechung von Privat- und Steuerrecht durchgehend zu wahren, also die Ordnungsstruktur des Zivilrechts zu achten" 26 , geht das Bundesverfassungsgericht i n nachfolgenden Entscheidungen davon aus, das Steuerrecht könne „vom Zivilrecht aus sachlich einleuchtenden Gründen ohne weiteres abweichen" 27 . Vor allem aber hat das Bundesverfassungsgericht seine ursprüngliche Auffassung, wonach Durchgriffe nur i n Sonderfällen verfassungsrechtlich zulässig seien, i n späteren Entscheidungen aufgegeben 28 . A n die Stelle der kategorischen Formel, es gehöre zum Wesen der juristischen Person, daß sie gegen Durchgriffe grundsätzlich abgeschirmt sei, ist eine auf den Zweck der einzelnen Norm abstellende, differenzierende A u f 25 Großfeld, Basisgesellschaften i m Internationalen Steuerrecht, S. 51 unter Hinweis auf BVerfGE Bd. 24 S. 112; Bd. 26 S. 327; vgl. auch Kluge, Ertragsteuerliche Zurechnungsprobleme bei internationaler Unternehmenstätigkeit u n d ihre Beeinflussung durch Doppelsteuerungsabkommen, S. 25 unter H i n weis auf B V e r f G E Bd. 18 S. 224 ff. 26 Vgl. B V e r f G E Bd. 13 S. 331/340; vgl. hierzu a u d i Kruse, Steuerrecht A T , S. 102, der i n dieser Entscheidung den „Höhepunkt einer E n t w i c k l u n g " sieht, bürgerlich-rechtliche Begriffe möglichst i. S. des bürgerlichen Rechts auszulegen. 27 Vgl. Kruse, Steuerrecht A T , S. 103 unter Hinweis auf B V e r f G E Bd. 25 S. 309/313; Bd. 29 S. 104/117. 28 Vgl. B V e r f G E v. 11.11.1964 Bd. 18 S. 224/232; vgl. BVerfGE v. 14.12.1966 Bd. 21 S. 6/10; sowie hierzu Harald Weber, Besteuerung selbständiger U n t e r nehmen. S. 296 f.

2. Abschn.: Z u den Ansichten von Wilser und Raupach

43

fassung über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Durchgriffs getreten 2 9 : „ Z u einem völligen Verbot des Durchgriffs i m Steuerrecht besteht u m so weniger Grund, als sogar das Zivilrecht i n gewissen Fällen solche Durchgriffe bei juristischen Personen kennt. So ordnet ζ. B. das geltende A k t i e n recht ein abhängiges Unternehmen i n einzelnen Fällen m i t Außerachtlassung seiner juristischen selbständigen F o r m der herrschenden Gesellschaft z u . . . Darüber hinaus haben auch das Reichsgericht u n d der Bundesgerichtshof i n ständiger Rechtsprechung die Rechtsform der juristischen Person außer acht gelassen, w e n n dies etwa ,die N a t u r der Sache', ,die W i r k l i c h k e i t des Lebens, die wirtschaftlichen Bedürfnisse u n d die Macht der Tatsachen' geboten 3 0 ." Offensichtlich h a t das B u n d e s v e r f a s s u n g s g e r i c h t — so s t e l l t auch R a u pach fest — die z i v i l r e c h t l i c h e D u r c h g r i f f s l e h r e gegenüber d e r Entscheid u n g v o m 24.1.1962 i n e i n e m v ö l l i g a n d e r e n L i c h t gesehen 8 1 .

M i t dieser „Abmilderung" oder „Aufgabe" seiner ursprünglichen A u f fassung ist aus einem „verfassungsrechtlichen Verbot des Durchgriffs von dem man auf Grund der Entscheidung vom 24.1.1962 hätte sprechen können, eine bloße allgemeine verfassungsrechtliche Schranke geworden, die es dem Steuergesetzgeber lediglich verbietet, die von dem Steuergesetz selbst statuierte Sachgesetzlichkeit ohne sachlichen Grund zu durchbrechen. Das Steuerrecht kann bei Vorliegen eines sachlichen Grundes „ohne weiteres" vom Zivilrecht abweichen. cc) Möglicherweise könnte man aber selbst in dieser abgeschwächten Form die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer Definition des Durchgriffs als Abweichung von der zivilrechtlichen Selbständigkeit zugrunde legen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß i m Grunde die vom Bundesverfassungsgericht betonte Bindung an A r t . 3 1 GG ein Abstellen auf das zivilrechtliche Trennungsprinzip nicht rechtfertigen kann: Bereits i n dem Urteil vom 24.1.1962 hat das Bundesverfassungsgericht betont, daß das Steuergesetz „die von i h m selbst statuierte Sachgesetzlichkeit aufgibt". Eine derartige Aufgabe der vom Steuergesetz selbst statuierten Sachgesetzlichkeit sei nur dann gerechtfertigt, wenn sie von überzeugenden Gründen getragen sei. Das entscheidende Bedenken richtet sich also auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. 1. 1962 nicht dagegen, daß das Steuerrecht allgemein vom Zivilrecht abweicht — sondern dagegen, daß das Steuerrecht vom Zivilrecht abweicht, „obwohl es grundsätzlich an dieses anknüpft": „Wegen der Eigenart des i n erster Linie fiskalischen Zwecken dienenden Steuerrechts braucht der Steuergesetzgeber zwar nicht durchgängig an die bürgerlich-rechtliche Ordnung anzuknüpfen. Privat- und Steuerrecht sind aber dort tiefgreifend verbunden, wo das 19 30 51

Harald Weber, Besteuerung selbständiger Unternehmen, S. 296 f. Vgl. BVerfGE v. 11.11.1964 Bd. 18 S. 224 ff.; ähnlich Bd. 24 S. 112/118. Vgl. Raupach, Durchgriff, S. 18.

I. 2. Kap. : Der Durchgriff im nationalen Steuerrecht

44

Steuerrecht... den Steuergegenstand prinzipiell nach Rechtsformen des bürgerlichen Rechts bestimmt." (1) Von dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichtes her hätte es bereits nahe gelegen, nicht, wie Raupach, allgemein auf die Abweichung von der zivilrechtlichen Selbständigkeit abzustellen, sondern vielmehr der Auffassung von Wilser zu folgen und den Durchgriff nur insoweit als Aufgabe des zivilrechtlichen Trennungsprinzips zu definieren, „als das Steuerrecht grundsätzlich überhaupt an das Z i v i l recht anknüpft". Definiert man das Problem des Durchgriffs allgemein als Aufgabe des zivilrechtlichen Trennungsprinzips, so ist von dieser Problemstellung her nur die Frage nach dem Verhältnis von Steuerrecht und Privatrecht allgemein angesprochen, nicht die spezifische Problemstellung, die das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hat, ob nämlich ein Abweichen von der zivilrechtlichen Ordnung zulässig ist, wenn das Steuergesetz selbst grundsätzlich an diese zivilrechtliche Ordnung anknüpft. (2) Darüber hinaus aber zeigt bereits das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24.1.1962, daß das eigentliche Problem i m Grunde nicht i n dem Abweichen von der zivilrechtlichen Verselbständigung liegt, sondern i n dem Abweichen von der steuerrechtlichen Verselbständigung: Das Bundesverfassungsgericht sagt deutlich, daß die verfassungsrechtlichen Bedenken sich nicht dagegen richten, daß das Steuergesetz allgemein von dem zivilrechtlichen Trennungsprinzip abweicht, sondern dagegen, daß das Steuergesetz von dieser zivilrechtlichen Ordnungsstruktur abweicht, „obwohl es grundsätzlich an diese anknüpft". Das Entscheidende ist die Aufgabe der „selbst statuierten Sachgesetzlichkeit". Die „selbst statuierte Sachgesetzlichkeit" aber ist nichts anderes als die steuerliche Verselbständigung. Auch Raupach hat insoweit festgestellt, daß Wilser, wenn er das Durchgriffsproblem auf Fälle beschränkt, i n denen die steuerliche Rechtsfähigkeit an die bürgerlichrechtliche Rechtsfähigkeit anknüpft, den steuerlichen Durchgriff „strenggenommen nicht i m ,Beiseiteschieben der bürgerlichen Rechtsfähigkeit', sondern i n der,Mißachtung' der steuerlichen Rechtsfähigkeit sieht" 3 2 . Daß das Bundesverfassungsgericht i n diesem Zusammenhang überhaupt von einer Aufgabe der zivilrechtlichen Ordnung spricht, beruht allein darauf, daß das Bundesverfassungsgericht i n seinem U r t e i l vom 24.1.1962 der „eigenen steuerlichen Rechtsfähigkeit" nicht ausreichend Rechnung trägt, sondern die „selbst statuierte Sachgesetzlichkeit" i n einer Anknüpfung an die zivilrechtliche Selbständigkeit sieht. Laule und Fuss haben aber bereits i n ihren Stellungnahmen zu dem damaligen 32

Raupach, Durchgriff, S. 42 f.

2. Abschn.: Zu den Ansichten von Wilser und Raupach

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Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezweifelt, ob der Gesetzgeber tatsächlich „vorbehaltlos" der Ordnungsstruktur des Zivilrechts gefolgt sei (Fuss) 33 , bzw. ob das Gewerbesteuerrecht überhaupt an die zivilrechtliche Form anknüpfe (Laule) 34 . Nach Kruse knüpft die Körperschaftsteuer an wirtschaftliche Gestaltungen an, beschreibt diese wirtschaftlichen Gestaltungen lediglich m i t ihren bürgerlich-rechtlichen Bezeichnungen 35 . Auch Raupach hat schließlich festgestellt: „Das bei der Körperschaftsteuer geltende Trennungsprinzip kann i n seiner spezifischen A r t nicht als bloße Übernahme der bürgerlich-rechtlichen Trennung zwischen juristischen Personen und ihrem Substrat aufgefaßt werden. Das ergibt sich auch daraus, daß die Körperschaftsteuer das Trennungsprinzip bei nicht rechtsfähigen, aber körperschaftsteuerpflichtigen Gebilden beachtet 86 ." Als Ergebnis läßt sich danach festhalten, daß die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts es nicht rechtfertigen kann, auf die A b weichung von dem zivilrechtlichen Trennungsprinzip abzustellen. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Durchgriffsrechtsprechung von der Annahme eines „verfassungsrechtlichen Durchgriffsverbots" zur A n nahme einer bloßen „verfassungsrechtlichen Schranke" gewandelt. Selbst diese verfassungsrechtliche Schranke (des Abweichens von einer „selbst statuierten Sachgesetzlichkeit") aber besteht nicht gegenüber einem Abweichen von dem zivilrechtlichen Trennungsprinzip, sondern gegenüber einem Abweichen von der steuerlichen Verselbständigung. Die Problematik eines Abweichens von dem zivilrechtlichen Trennungsprinzip greift demgegenüber lediglich die allgemeine Frage nach dem Verhältnis von Steuerrecht und Zivilrecht auf. Es werden i m Steuerrecht bestimmte Gebilde als unselbständig behandelt, während diese i m Zivilrecht dem Grundsatz nach als selbständig behandelt werden, wobei das Zivilrecht selbst aber diesen Grundsatz i n zahlreichen Fällen durchbricht. b) Es spricht aber nicht nur die „Durchgriffsrechtsprechung" des Bundesverfassungsgerichts nicht für eine Definition des steuerlichen Durchgriffs als Abweichung von der zivilrechtlichen, sondern vielmehr für eine Definition des Durchgriffs als eine Ausnahme von der grundsätzlichen steuerlichen Selbständigkeit. Es steht vor allem bei nicht normierten Durchgriffen — die i m Bereich des nationalen Steuerrechts einen erheblichen Teil der Problematik ausmachen — die Durchbrechung der 33

Fuss, JZ 1962 S. 737/742. Laule, S t R K Rdnr. 35 zu § 8 Ziff. 2 - 9 GewStG, S. 3. 35 Vgl. Kruse (Steuerrecht A T , S. 105), der ausdrücklich auf das U r t e i l des Bundesverfassungsgerichts Bezug n i m m t , das seiner Ansicht nach allein i n dem obigen Sinne verstanden werden dürfe. 36 Vgl. auch Raupach, Durchgriff, S. 75. 34

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I. 2. Kap. : Der Durchgriff im nationalen Steuerrecht

steuerlichen Selbständigkeit gegenüber der Durchbrechung der zivilrechtlichen Selbständigkeit von der Problematik her i m Vordergrund: Gegenüber der zivilrechtlichen Selbständigkeit enthält die steuerliche Verselbständigung eine konkrete gesetzliche Geltungsanordnung. Vor allem bei nicht normierten Durchgriffen wäre es unverständlich, wollte man nicht auf diese konkrete gesetzliche Geltungsanordnung, sondern auf die zivilrechtliche Selbständigkeit abstellen. Bei einem nicht normierten Durchgriff ergeben sich Bedenken gegen diesen Durchgriff nicht deshalb, w e i l hierbei ein Gebilde steuerlich als unselbständig behandelt wird, das i m Zivilrecht (dem Grundsatz nach!) als selbständig behandelt wird. Bedenken ergeben sich vielmehr deshalb, w e i l der Gesetzgeber die Behandlung dieses Gebildes als selbständig angeordnet hat 8 7 . c) Es ist auch ein weiterer Gesichtspunkt gegen eine Definition des steuerlichen Durchgriffs als Durchbrechung der zivilrechtlichen Selbständigkeit anzuführen: Eine Definition des steuerlichen Durchgriffs als Durchbrechung der zivilrechtlichen Selbständigkeit würde der „eigenen steuerlichen Rechtsfähigkeit" nicht gerecht. Die steuerliche Verselbständigung läßt sich nicht als bloße Übernahme des zivilrechtlichen Trennungsprinzips auffassen 38 . Vor allem w i r d ein Abstellen auf die zivilrechtliche Selbständigkeit nicht dem Umstand gerecht, daß die Körperschaftsteuer das Trennungsprinzip auch bei zivilrechtlich nicht rechtsfähigen Gebilden beachtet. I m Bereich des Steuerrechts haben diejenigen Gebilde, die allein steuerlich rechtsfähig sind, grundsätzlich dieselbe Bedeutung wie Gebilde, die zugleich auch zivilrechtliche Rechtsfähigkeit besitzen. Das Steuerrecht behandelt beide gleich, so daß es nicht gerechtfertigt wäre, zwischen diesen beiden Formen danach zu differenzieren, ob sie zivilrechtlich selbständig sind 39 . 87 Auch aus der A r b e i t v o n Raupach selbst w i r d i m Grunde deutlich, daß die eigentliche Problematik des steuerlichen Durchgriffs i n der Durchbrechung der steuerlichen Selbständigkeit liegt. Raupach gelangt zu dem Ergebnis, daß es eine generelle A n t w o r t auf die Frage, w a n n das Steuerrecht v o m zivilrechtlichen Trennungsprinzip abweichen darf, nicht geben kann. Es sei vielmehr erforderlich, von den Normen der Einzelsteuergesetze auszugeben. (ebd., S. 71) Dementsprechend p r ü f t Raupach eingehend die Frage, welche Ausgestaltung das Trennungsprinzip i n den verschiedenen Einzelsteuergesetzen gefunden hat u n d stellt fest, die Schärfe, m i t der das T r e n nungsprinzip i m System des einzelnen Steuergesetzes ausgebildet sei, könne als Richtschnur bei der P r ü f u n g dienen, i n w i e w e i t i m Einzelfall ein Durchgriff zulässig sei (ebd., S. 89; 194 f.). 38 Vgl. auch Raupach, ebd., S. 75. 89 V o n Mutze (Ist der Begriff der steuerlichen Rechtsfähigkeit nötig?) u n d Plotter (Die steuerliche Rechtsfähigkeit) ist zwar vertreten worden, die steuerliche Gleichstellung v o n zivilrechtlich nichtrechtsfähigen Gebilden m i t zivilrechtlichen j . P . beziehe sich n u r auf das Außenverhältnis, i m I n n e n verhältnis dagegen bleibe es bei der Behandlung w i e i m Zivilrecht. Dieser Vorschlag hat sich jedoch nicht durchsetzen können. Die absolut h. M . behandelt vielmehr die zivilrechtlich n u r teilweise verselbständigten Gebilde

2. Abschn. : Zu den Ansichten von Wilser und Raupach

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d) Schließlich entspräche auch eine Definition des Durchgriffs als Ausnahme von der zivilrechtlichen Verselbständigung nicht der Ausrichtung der einzelnen Durchgriffsfälle. Die Durchgriffsfälle beziehen sich nicht nur inhaltlich, sondern auch hinsichtlich der verselbständigten Gebilde auf die steuerliche, nicht die zivilrechtliche Verselbständigung. W i r d etwa i m Rahmen des Körperschaftsteuergesetzes m i t der Regelung der Organschaft der wirtschaftlichen Unselbständigkeit Rechnung getragen, so betrifft dieser Durchgriff die Körperschaftsteuerpflicht, die steuerliche Verselbständigung, nicht die zivilrechtliche Selbständigkeit. So stellt sich auch das Problem der Nichtanerkennung von Scheingestaltungen oder von Steuerumgehungen bei allen steuerlich verselbständigten Gebilden i n gleicher Weise, unabhängig davon, ob eine zivilrechtliche Verselbständigung besteht oder nicht. Eine Definition des Durchgriffs als Ausnahme von der zivilrechtlichen Selbständigkeit ließe die Durchbrechung der ausschließlich steuerlichen Verselbständigung außerhalb der Betrachtung, obwohl steuerlich i n beiden Fällen, unabhängig von der zivilrechtlichen Verselbständigung, die gleiche Problematik besteht. e) Vor allem aber ergibt sich folgendes Bedenken: Wenn Raupach den steuerlichen Durchgriff als Durchbrechung der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit durch das Steuerrecht definiert, so erfaßt er hiermit zum einen die Fälle, i n denen das Steuerrecht von vornherein hinter der zivilrechtlichen Verselbständigung zurückbleibt, wie i m Fall der Mitunternehmerschaft. Z u m anderen erfaßt er die Fälle, i n denen das Steuerrecht die zivilrechtlich selbständigen Gebilde zwar grundsätzlich auch als steuerlich selbständig behandelt, diese Selbständigkeit jedoch i n Ausnahmefällen durchbricht, so etwa i m Fall der Organschaft. Er untersucht für diese Fallgruppen, inwieweit das Steuerrecht von der grundsätzlichen zivilrechtlichen Verselbständigung abweicht. Diese Fragestellung steht jedoch i n engem Zusammenhang zu der Frage, inwieweit umgekehrt das Steuerrecht über die zivilrechtliche Verselbständigung hinausgeht, wie i n den Fällen des § 1 KStG, i n denen Gebilden steuerliche Rechtsfähigkeit oder „Steuerfähigkeit" zuerkannt wird, ohne daß sie zivilrechtlich i n gleichem Maße verselbständigt wären. Von der Problematik her gehört diese Frage, daß das Steuerrecht über die zivilrechtliche Verselbständigung hinausgeht, i n einen Zusammenhang m i t dem Problem, daß das Steuerrecht hinter der zivilrechtlichen Verselbständigung zurückbleibt. Vom Zivilrecht aus betrachtet kann man drei Formen unterscheiden, i n denen das Steuerrecht von der zivilrechtlichen Selbständigkeit abweichen kann: als volle steuerliche j . P . (vgl. hierzu Tipke/Kruse, Tipke, Steuerrecht, S. 106 f.).

§97 A O a. F. A n m . 17;

48

I. 2. Kap. : Der Durchgriff im nationalen Steuerrecht

1. Die steuerliche Verselbständigung bleibt von vornherein hinter der zivilrechtlichen Verselbständigung zurück (Bsp. Mitnehmerschaft) 2. Die steuerliche Verselbständigung „entspricht" grundsätzlich der zivilrechtlichen Verselbständigung, diese Selbständigkeit w i r d jedoch durch Ausnahmetatbestände durchbrochen (Bsp. Organschaft) 3. Die steuerliche Verselbständigung geht über die zivilrechtliche Verselbständigung hinaus, wobei diese Selbständigkeit ihrerseits wieder durch Ausnahmetatbestände durchbrochen werden kann (Bsp. Nichtanerkennung einer steuerlichen juristischen Person). Wollte man bei dieser gesamten, das Verhältnis von Steuerrecht und Zivilrecht betreffenden Problematik zwischen einzelnen Fragen differenzieren, so kann man i m Grunde nur zwischen der grundsätzlichen und der ausnahmsweisen Behandlung von zivilrechtlich selbständigen Gebilden i m Steuerrecht unterscheiden. Die Frage, daß das Steuerrecht i n der grundsätzlichen Behandlung bereits hinter der zivilrechtlichen Verselbständigung zurückbleibt und die Frage, daß das Steuerrecht über die zivilrechtliche Verselbständigung hinausgeht, gehören i n jedem Fall zusammen. Sie bilden den einheitlichen Problemkreis der „eigenen steuerlichen Rechtsfähigkeit". 2. Z u der Ansicht von Wilser Auch die Ansicht von Wilser, den steuerlichen Durchgriff als „Mißachtung" der (zivilrechtlichen) juristischen Person aufzufassen, „soweit diese vom Steuerrecht grundsätzlich anerkannt w i r d " , stößt auf Bedenken: a) Zwar bezieht Wilser, wenn er den steuerlichen Durchgriff definiert als „Abweichung von der zivilrechtlichen Selbständigkeit, soweit diese vom Steuerrecht anerkannt w i r d " , von der Problemstellung her die Problematik des Abweichens von der i m Steuerrecht gegebenen konkreten gesetzlichen Geltungsanordnung sowie des Abweichens von einer „selbst statuierten Sachgesetzlichkeit" ein. b) Die Bedenken, daß das Steuerrecht nicht nur gegenüber dem Z i v i l recht eine geringere, sondern auch eine weitergehende Verselbständigung kennt, bestehen aber auch gegenüber der Definition von Wilser. Wilser klammert zwar die Fälle aus, i n denen das Steuerrecht von vornherein hinter der zivilrechtlichen Verselbständigung zurückbleibt. Von daher erscheint es berechtigt, wenn er nicht die Problematik der über das Zivilrecht hinausgehenden Verselbständigung behandelt — also den Fragenkreis der „eigenen steuerlichen Rechtsfähigkeit" außer Betracht läßt. Nicht gerechtfertigt ist es jedoch, die Durchbrechung der

2. Abschn. : Zu den Ansichten von Wilser und Raupach

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ausschließlich steuerlichen Verselbständigung nicht als Durchgriff zu erfassen. Vor allem von den Durchgriffsfällen her ist es nicht gerechtfertigt, wenn die Fälle, i n denen eine Selbständigkeit nach Steuerrecht, aber nicht nach Zivilrecht gegeben ist, außer Betracht bleiben. c) I m übrigen w i r d auch die Definition von Wilser der „eigenen steuerlichen Rechtsfähigkeit" nicht gerecht. Auch Wilsers Definition nimmt zu Unrecht an, daß sich das Steuerrecht darauf beschränkt, die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit „anzuerkennen", und klammert zu Unrecht die ausschließlich steuerlich selbständigen Gebilde aus der Problematik aus. 3. Z u r eigenen Auffassung Sieht man den Durchgriff als eine Frage der Normenkollision, so bedeutet dies, daß man i m Grunde nicht von dem Durchgriff, sondern nur von dem Durchgriff entgegen dem zivilrechtlichen oder dem steuerlichen Trennungsprinzip sprechen kann. Dementsprechend könnte man sowohl untersuchen, inwieweit eine Behandlung von bestimmten Gebilden als unselbständig gegen das zivilrechtliche als auch, inwieweit sie gegen das steuerliche Trennungsprinzip „verstößt". Wenn man aber den Durchgriff nur auf ein bestimmtes Trennungsprinzip bezieht und die A b weichung von diesem Trennungsprinzip als „die" Problematik des steuerlichen Durchgriffs ansehen w i l l , so kommt hierfür — wie i m einzelnen dargelegt wurde — nur die Abweichung von der steuerlichen Selbständigkeit i n Frage. Der Durchgriff i m nationalen Steuerrecht wäre danach zu definieren als Durchbrechung des steuerlichen Trennungsprinzips 40 . B. Zur weiteren Behandlung des Durchgriifs auf der Grundlage der erörterten Problemstellung

Wie i m übrigen das Problem des Durchgriffs i m nationalen Steuerrecht zu behandeln ist, ergibt sich aus der jeweiligen Problemstellung: Raupach, der den steuerlichen Durchgriff als Abweichung vom zivilrechtlichen Trennungsprinzip definiert, untersucht, inwieweit das Steuerrecht allgemein an das Zivilrecht gebunden ist und inwieweit die einzelne Steuerrechtsnorm an das Zivilrecht anknüpft. Definiert man den Durchgriff als Aufgabe des steuerlichen Trennungsprinzips, so w i r d man sich zunächst über die Ausgestaltung des steuer40 Vgl. auch Tipke, Steuerrecht, S. 107 ( „ W i r d die Gründung u n d Existenz einer an sich steuerrechtsfähigen Gesellschaft auf G r u n d des § 6 S t A n p G [entspr. § 45 EA O 1974] nicht anerkannt, so w i r d auf die Gesellschafter durchgegriffen.") vgl. auch RädlerIRaupach, Auslandsbeziehungen, S. 23 (wonach die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit einer j . P. eine Abschirmung gegen steuerliche Durchgriffe bedeutet).

4 v. Beckerath

50

.2. Kap. : Der Durchgriff im nationalen Steuerrecht

liehen Trennungsprinzips Klarheit verschaffen und dann zu fragen haben, inwieweit Abweichungen von diesem Trennungsprinzip gegeben sind und inwieweit Bedenken gegen diese Abweichungen bestehen. I m praktischen Ergebnis werden sich dabei allerdings die verschiedenen Ansatzpunkte sehr stark annähern, da auch Raupach auf die konkrete Ausgestaltung des steuerlichen Trennungsprinzips abstellt.

3. Kapitel

Der Durchgriff im deutschen Außensteuerrecht — Problemeteilung Der Begriff des „Durchgriffs" gehört zu einem der meistgebrauchten „Schlagworte" auch i m deutschen Internationalen Steuerrecht. Was der Begriff „Durchgriff" meint und wann ein derartiger „Durchgriff" zulässig ist, ist i m Bereich des deutschen Internationalen Steuerrechts aber noch weit weniger geklärt als i m Bereich des nationalen Steuerrechts.

1. Abschnitt: Bestimmung der für den Durchgriff im deutschen Außensteuerrecht entscheidenden „Normenkollision" Während i m Zivilrecht der Durchgriff ohne weiteres als Ausnahme vom zivilrechtlichen Trennungsprinzip erscheint, i m nationalen Steuerrecht die Möglichkeit besteht, auf die zivilrechtliche oder die steuerliche Verselbständigung abzustellen, vervielfachen sich i m Bereich des Außensteuerrechts die Möglichkeiten: Das Außensteuerrecht hat sich sowohl m i t inländischen als auch m i t ausländischen juristischen Personen auseinanderzusetzen, m i t inländischen „juristischen Personen", die Auslandsbeziehungen unterhalten, und ausländischen „juristischen Personen", die Inlandsbeziehungen unterhalten. Damit kann man nicht nur auf das inländische Recht, sondern auch auf das ausländische Recht wie auch möglicherweise auf zwischenstaatliches Recht abstellen. A. Die Ansicht Raupachs über die „begriffliche Fixierung des Durchgriffs i m Internationalen Steuerrecht"

Nach Raupach bestehen bei inländischen juristischen Personen hinsichtlich des Durchgriffsbegriffs auch bei Auslandsbeziehungen keine Besonderheiten. Es frage sich aber, wann bei ausländischen juristischen Personen von einem Durchgriff gesprochen werden könne. Nach Raupach kann der Durchgriff entweder 1. i n der „Mißachtung" der durch die ausländische Rechtsordnung verliehenen Rechtsform oder 2. i n der „Mißachtung" der international-privatrechtlichen Anerkennung der ausländischen Rechtsform gesehen werden. 4*

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Ι · 3. Kap. : Der Durchgriff i m dt. Außensteuerrecht-Problemstellung

Nach Raupach besteht außerdem die Möglichkeit, den Durchgriffsbegriff dahingehend einzuengen, daß man (wie Wilser) nur dann von „Durchgriff" spricht, wenn das Steuerrecht an das Internationale Privatrecht oder das ausländische Privatrecht anknüpft 1 , also nicht i n jedem Fall von Durchgriff zu sprechen, wenn das Steuerrecht vom Internationalen oder vom ausländischen Privatrecht abweicht, sondern nur dann, wenn eine Verknüpfung von Z i v i l - und Steuerrecht vorliegt. Nach Raupach wäre es jedoch unzweckmäßig, den Durchgriffsbegriff i n dieser Weise von der Verknüpfung zwischen Steuer- und Zivilrecht abhängig zu machen. Ergäbe nämlich eine nähere Untersuchung, daß zwischen Steuerrecht einerseits und Internationalem Privatrecht bzw. ausländischem Privatrecht andererseits keine Verknüpfung bestehe, so würde es bei ausländischen juristischen Personen i m Steuerrecht überhaupt kein Durchgriffsproblem geben. I. „Durchgriff bei Mißachtung der international-privatrechtlichen Anerkennung ausländischer juristischer Personen?" Nach Raupach erscheint es aus ähnlichen Erwägungen auch nicht zweckmäßig, den Durchgriff i n der Mißachtung der international-privatrechtlichen Anerkennung ausländischer juristischer Personen durch das Steuerrecht zu sehen. Eine derartige Definition des Begriffs „Durchgriff" würde voraussetzen, daß das Internationale Privatrecht i m Rahmen des Internationalen Steuerrechts überhaupt zu beachten ist. Vertrete man dagegen die Auffassung, daß das Internationale Steuerrecht gegenüber dem Internationalen Privatrecht unabhängig ist, so wäre ein Durchgriffsbegriff, der sich entgegen dieser Auffassung am Internationalen Privatrecht orientierte, wenig sinnvoll. IL „Durchgriff bei Mißachtung der vom ausländischen Recht verliehenen Rechtsfähigkeit?" Raupach geht vielmehr bei ausländischen juristischen Personen von der vom ausländischen (Privat-) 2 Recht verliehenen Rechtsfähigkeit aus. Da sich bei der Besteuerung ausländischer juristischer Personen der Sachverhalt, der der Besteuerung unterworfen werden soll, i n den Rechtsformen des ausländischen Rechts darstelle, habe sich das Steuerrecht i n erster Linie m i t diesem ausländischen Recht auseinanderzusetzen3. 1 2 3

Vgl. Raupach, Durchgriff, S. 132. Vgl. Raupach, ebd., S. 132. Vgl. Raupach, ebd., S. 133.

1. Abschn. : Bestimmung der entscheidenden „Normenkollision"

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B. Eigene Auffassung

7. Die Durchgriffsdefinition bei ausländischen juristischen Personen Raupach ist zuzustimmen, daß i n erster Linie bei den ausländischen juristischen Personen die Definition des Durchgriffs Schwierigkeiten bereitet. Anders als Raupach w i r d man sogar nicht nur zwei bzw. drei Möglichkeiten für eine begriffliche Fixierung bei ausländischen juristischen Personen unterscheiden können, denen nicht nur theoretische Bedeutung zukommt. Nach den bisherigen Ausführungen bieten sich bereits folgende Möglichkeiten für eine Definition des Durchgriffs bei ausländischen „juristischen Personen" an: Durchgriff als Abweichung von der Selbständigkeit nach ausländischem Zivilrecht; als Abweichung von der Selbständigkeit nach ausländischem Steuerrecht; als Abweichung von der Selbständigkeit nach Internationalem Privatrecht; als A b weichung von der Selbständigkeit nach ausländischem Zivilrecht, soweit durch das inländische Steuerrecht anerkannt; als Abweichung von der Selbständigkeit nach ausländischem Steuerrecht, soweit durch das inländische Steuerrecht anerkannt; als Abweichung von der Selbständigkeit nach Internationalem Privatrecht, soweit durch das inländische Steuerrecht anerkannt; als Abweichung von der Selbständigkeit nach inländischem Zivilrecht; als Abweichung von der Selbständigkeit nach inländischem Zivilrecht, soweit durch das inländische Steuerrecht anerkannt; als Abweichung von der Selbständigkeit nach inländischem Steuerrecht. Bei der Mehrzahl der aufgeführten Möglichkeiten sind die m i t den verschiedenen Definitionen i m einzelnen bezeichneten Gebilde nicht identisch. So wären etwa die nach ausländischem Steuerrecht selbständigen Gebilde nur dann m i t den nach inländischem Steuerrecht selbständigen Gebilden identisch, wenn das inländische Steuerrecht an die Verselbständigung des ausländischen Steuerrechts anknüpfte. Oder es unterscheiden sich auch die nach inländischem Steuerrecht selbständigen Gebilde von denen, die nach inländischem Zivilrecht selbständig sind und die als solche vom inländischen Steuerrecht anerkannt werden. Aber auch wenn die durch die verschiedenen Definitionen bezeichneten Gebilde identisch sind, so liegt doch eine unterschiedliche Problemstellung vor. So mögen vielleicht die nach ausländischem Zivilrecht und die nach Internationalem Privatrecht selbständigen Gebilde i m wesentlichen identisch sein, wenn man davon ausgeht, daß sich das Internationale Privatrecht auf Grund der sogenannten Sitztheorie nach dem ausländischen Zivilrecht richtet 4 . Die Problemstellung ist aber eine andere, ob 4

Ausnahmsweise k a n n auch dann das I P R durchaus ausländischen j . P .

54

. Kap. : Der Durchgriff im dt. Außensteuerrecht-Problemstellung

man als Durchgriff die steuerliche Durchbrechung der nach Internationalem Privatrecht gegebenen Selbständigkeit ansieht oder die A b weichung von der nach ausländischem Zivilrecht gegebenen Selbständigkeit 5 . Die verschiedenen Möglichkeiten für eine Definition des Durchgriffs i m deutschen Außensteuerrecht stehen sich dabei durchaus nicht alternativ gegenüber. Es ist also nicht notwendig, den „Durchgriff i m deutschen Außensteuerrecht" beispielsweise entweder als Durchbrechung des Trennungsprinzips nach ausländischem Zivilrecht oder als Durchbrechung des Trennungsprinzips nach inländischem Steuerrecht zu definieren. Gerade wenn man den Durchgriff i m Sinne der „Normzwecklehre" interpretiert und auf die Normenkollision, den Widerspruch der Durchgriffsnorm zu der verselbständigenden Norm, abstellt, können sich durchaus mehrere Problemstellungen — „Normenkollisionen" — ergeben. Man könnte also durchaus fragen, inwieweit eine bestimmte Durchgriffsnorm von der Verselbständigung nach ausländischem Z i v i l recht und inwieweit sie von der Verselbständigung nach inländischem Steuerrecht abweicht. „Durchgriff" ist insoweit immer „relativ", ist nicht Durchbrechung „des" Trennungsprinzips, sondern immer nur Durchbrechung der zivilrechtlichen Verselbständigung, der steuerlichen Verselbständigung etc. Demgegenüber bietet es sich jedoch an, die Untersuchung der Durchgriffsproblematik auf ein bestimmtes Trennungsprinzip zu fixieren, sofern die Frage der Durchbrechung dieses bestimmten Trennungsprinzips von ihrer Problematik her derart i m Vordergrund steht, daß es berechtigt erscheint, bei i h r von „der" Problematik des Durchgriffs i m deutschen Außensteuerrecht zu sprechen. I n diesem Fall könnte man die Frage der Abweichimg von anderen Verselbständigungsnormen i n diese Fragestellung einbeziehen. 1. Durchgriff als Abweichung von der Selbständigkeit nach inländischem Zivilrecht Man könnte den Durchgriff als Abweichung von der Selbständigkeit nach inländischem Zivilrecht definieren. Die Fragestellung dieser Definition wäre, inwieweit das inländische Steuerrecht ausländische „ j u r i stische Personen", die das inländische Zivilrecht als selbständig behandelt, als unselbständig ansieht. Es ginge also u m die Frage, inwieweit das inländische Zivilrecht und das inländische Steuerrecht eine einheitliche Betrachtungsweise haben. die Anerkennung versagen; so etwa, w e n n statuarischer u n d faktischer Sitz auseinanderfallen — hierzu Raupach, ebd., S. 131 f. 5 Vgl. insbesondere auch: inländisches Zivilrecht einerseits u n d I P R andererseits.

1. Abschn. : Bestimmung der entscheidenden „Normenkollision"

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Eine derartige Problemstellung würde aber lediglich die allgemeine Frage nach dem Verhältnis von Zivilrecht und Steuerrecht aufgreifen, sie trüge weder spezifisch außensteuerlichen Charakter noch wäre es gerechtfertigt, sie als Durchgriffsproblematik aus der allgemeinen Frage nach dem Verhältnis von Steuerrecht und Zivilrecht herauszulösen. Vor allem aber besteht hier wieder das gleiche Bedenken wie bei der entsprechenden Fragestellung i m nationalen Steuerrecht: Es wäre nicht gerechtfertigt, allein die gegenüber dem Zivilrecht geringere steuerliche Verselbständigung zu berücksichtigen, sondern man müßte zugleich die Frage nach der über das Zivilrecht hinausgehenden steuerlichen Verselbständigung stellen®. 2. Durchgriff als Abweichung von der Selbständigkeit nach Internationalem Privatrecht Ähnliches gilt für eine Definition des Durchgriffs als Abweichung von der Selbständigkeit nach Internationalem Privatrecht. Die Frage, inwieweit das inländische Steuerrecht von der Selbständigkeit nach Internationalem Privatrecht abweicht, führt ebenfalls nur auf die Frage der unterschiedlichen Zielsetzungen von Internationalem Privatrecht und Steuerrecht zurück 7 . Außerdem erscheint es auch hier nicht gerechtfertigt, allein die geringere steuerliche Verselbständigung zu behandeln 8 . A l l e i n schon aus diesem Grunde, w e i l i m inländischen Steuerrecht grundsätzlich nicht nur ein „Weniger", sondern auch ein „Mehr" an Verselbständigung besteht, erscheint es auch nicht gerechtfertigt, den Durchgriff aufzufassen als Durchbrechung der Selbständigkeit nach Internationalem Privatrecht, „soweit die Selbständigkeit nach Internationalem Privatrecht vom inländischen Steuerrecht »anerkannt 4 w i r d " . 3. Durchgriff als Abweichung von der Selbständigkeit nach ausländischem Zivilrecht Auch für ein Abstellen auf das ausländische Zivilrecht (Raupach) ergibt sich nichts wesentlich anderes. Wenn das inländische Steuerrecht selbst von dem inländischen Zivilrecht bei Vorliegen eines sachlichen 6

Vgl. auch § 7 I A S t G — hierzu noch unter 4. Vgl. auch hier § 7 I A S t G — hierzu unter 4. 8 Allerdings erscheint es nicht überzeugend, w e n n Raupach es m i t der Begründung ablehnt, auf das Internationale Privatrecht abzustellen, daß das Internationale Steuerrecht gegenüber dem Internationalen Privatrecht u n a b hängig ist = nicht an das Internationale Privatrecht gebunden ist. Auch an das ausländische Zivilrecht, auf das Raupach abstellen w i l l , ist das i n l ä n dische Steuerrecht nicht „gebunden", ist gegenüber diesem „unabhängig". 7

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. Kap. : Der Durchgriff im dt. Außensteuerrecht-Problemstellung

Grundes „ohne weiteres" abweichen kann, können erst recht keine wesentlichen Bedenken dagegen bestehen, vom ausländischen Zivilrecht abzuweichen; zumal man davon ausgehen muß, daß vielleicht auch das ausländische Steuerrecht selbst — ebenso wie das inländische Steuerrecht vom inländischen Zivilrecht — vom ausländischen Zivilrecht abweicht. Außerdem gilt auch hier wieder die Überlegung, daß die über das ausländische Zivilrecht hinausgehende Verselbständigung nach inländischem Steuerrecht nicht berücksichtigt würde 9 . Aus diesen Überlegungen heraus w i r d man sowohl die Möglichkeit ausschließen können, den Durchgriff i m deutschen Außensteuerrecht zu definieren als Durchbrechung der Selbständigkeit nach ausländischem Zivilrecht als auch die Möglichkeit, i h n zu definieren als Durchbrechung der Selbständigkeit nach ausländischem Zivilrecht, „soweit das inländische Steuerrecht an dieses anknüpft". 4. Durchgriff als Abweichung von der Selbständigkeit nach inländischem Steuerrecht Als weitere Möglichkeit kommt i n Betracht — wie es sich nach den Ausführungen i m voraufgehenden Abschnitt für das nationale Steuerrecht anbietet — den Durchgriff aufzufassen als Abweichung von der grundsätzlichen Selbständigkeit nach inländischem Steuerrecht. Hierfür spräche, daß damit für nationales und Außensteuerrecht die gleiche Problemstellung vorläge. Das Problem des Durchgriffs läge darin, daß der deutsche Gesetzgeber Gebilde, die er grundsätzlich als selbständig behandelt, ausnahmsweise als unselbständig behandelt. Diese Problemstellung entspräche auch den §§ 7 ff. AStG, die nach der ausdrücklichen Formulierung des §7 AStG diejenigen Gebilde als unselbständig ansehen, die §§ 1 ff. K S t G als selbständig aufführen 10 . Anders als i m nationalen Steuerrecht handelt es sich jedoch bei den Durchgriffsfällen des Außensteuerrechts überwiegend u m ausdrücklich normierte Durchgriffsfälle. Der Steuergesetzgeber würde damit lediglich von der von i h m selbst vorgenommenen Verselbständigung abweichen. Die außensteuerliche Durchgriffsproblematik würde sich auf die Frage beschränken, ob für die Abweichung von dem Trennungsprinzip ein sachlicher Grund vorliegt.

9

Vgl. auch hierzu § 7 I A S t G — hierzu unter 4. Vgl. § 7 1 A S t G : „Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i m Sinne des Körperschaftsteuergesetzes". 10

1. Abschn. : Bestimmung der entscheidenden „Normenkollision"

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5. Durchgriff als Abweichung von der Selbständigkeit nach ausländischem Steuerrecht a) Problematisch erscheint demgegenüber die Abweichung von der Selbständigkeit nach ausländischem Steuerrecht. Behandelt das ausländische Steuerrecht ein bestimmtes Gebilde als selbständig, unterwirft den von diesem Gebilde erzielten Gewinn der Körperschaftsteuer, und weicht jetzt das inländische Steuerrecht hiervon ab, behandelt dieses Gebilde als unselbständig, sieht beispielsweise den von diesem Gebilde erzielten Gewinn als Gewinn der „Gesellschafter" an, so w i r d ein und derselbe Gewinn gleichzeitig von dem einen Staat als Gewinn der Gesellschaft, von dem anderen Staat als Gewinn des Gesellschafters besteuert. Es kann damit zu einer „Doppelbesteuerung", zumindest zu einer Doppelbesteuerung i m wirtschaftlichen Sinne, kommen. Es w i r d auf Steuergut zugegriffen, das bereits von dem anderen Staat besteuert wird. b) Auch einer Definition des Durchgriffs als Abweichung von der Selbständigkeit nach ausländischem Steuerrecht stehen aber Bedenken entgegen: aa) Es ist zu berücksichtigen, daß unter Umständen auch das ausländische Steuerrecht die nach ausländischem Steuerrecht gegebene grundsätzliche Selbständigkeit durch einen Ausnahmetatbestand durchbricht. Liegt aber ein derartiger Ausnahmetatbestand vor, so kommt es nicht zu einer widersprüchlichen Behandlung der juristischen Person als selbständig i m Ausland und unselbständig i m Inland. Man könnte deshalb nicht allein von der grundsätzlichen Behandlung ausgehen, sondern müßte das Vorliegen von Ausnahmetatbeständen berücksichtigen. Man könnte also nur die konkrete Behandlung i m Ausland zugrunde legen und danach fragen, ob die Körperschaft i m Ausland als selbständig oder als unselbständig behandelt wird. Damit aber handelte es sich nicht mehr u m eine „Durchgriffs"-Problematik, es ginge nicht mehr u m die Frage einer Durchbrechung einer grundsätzlichen Selbständigkeit. bb) Es ist aus der Problemstellung heraus auch nicht einsichtig, w a r u m das inländische Steuerrecht das nach ausländischem Steuerrecht selbständige Gebilde nicht als unselbständig behandeln soll, w a r u m sich das inländische Steuerrecht also nach dem ausländischen Steuerrecht richten soll und nicht umgekehrt das ausländische Steuerrecht nach dem inländischen. cc) Außerdem stellt sich auch hier wiederum das Problem, daß das inländische Steuerrecht nicht nur insoweit von dem ausländischen Steuerrecht abweicht, als es Gebilde, die vom ausländischen Steuerrecht als selbständig angesehen werden, als unselbständig behandelt. Denkbar

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. Kap. : Der Durchgriff im dt. Außensteuerrecht-Problemstellung

ist vielmehr auch, daß die Verselbständigung nach inländischem Steuerrecht über die nach ausländischem Steuerrecht hinausgeht. Z u Unrecht würde man diese letzteren Fälle nicht erfassen, da doch das Problem, daß ein bestimmtes Gebilde i m Ausland als selbständig behandelt w i r d i m Zusammenhang steht m i t dem umgekehrten Fall, daß ein Gebilde i m Ausland als unselbständig behandelt wird, i m Inland dagegen als selbständig. Das sogenannte Qualifikationsproblem, die Frage, nach welchen Kriterien sich die steuerliche Selbständigkeit ausländischer Gebilde beurteilt, als ein Durchgriffsproblem zu sehen 11 , w i r d der i n beide Richtungen gehenden Fragestellung dieses Problemkreises nicht gerecht. dd) I m übrigen unterscheiden sich auch die Fälle der Nichtanerkennung i m Rahmen der Qualifikationsfrage i n ihrer Problematik von den Fällen wie etwa § 15 Π StAnpG, §§ 7 ff. AStG. Bei den Qualifikationsfällen w i r d die ausländische juristische Person als solche von vornherein nicht anerkannt, bei den anderen Fällen das betreffende Gebilde als juristische Person grundsätzlich anerkannt, aber ihre Selbständigkeit ausnahmsweise durchbrochen 12 . ee) Weiterhin spricht gegen eine Definition des Durchgriffs als A b weichen von der Selbständigkeit nach ausländischem Steuerrecht, daß etwa die §§ 7 ff. AStG sich nicht als Ausnahmen von der Selbständigkeit nach ausländischem Steuerrecht begreifen, sondern sich ausdrücklich auf die §§ 1 ff. K S t G beziehen. 6. Durchgriff als Abweichung von der Selbständigkeit nach ausländischem Steuerrecht, soweit vom inländischen Steuerrecht grundsätzlich anerkannt A u f Grund dieser Bedenken könnte man die Maßgeblichkeit des ausländischen (Steuer-)Rechts insoweit einschränken, als man zwar auf die Selbständigkeit nach ausländischem Steuerrecht abstellt, aber nur, „soweit das inländische Steuerrecht diese grundsätzlich anerkennt". Das Problem des Durchgriffs ließe sich danach formulieren als Frage der Durchbrechung der von den beteiligten Staaten übereinstimmend anerkannten Selbständigkeit. a) A u f diese Weise könnte man dem Bedenken Rechnung tragen, daß sich die §§ 7 AStG auf die nach den §§ 1 ff. K S t G selbständigen Gebilde und damit auf die nach inländischem Steuerrecht selbständigen Gebilde beziehen. Auch würde auf diese Weise das sogenannte Qualifikations11 12

Raupach, Durchgriff, S. 135 ff. Vgl. auch RädlerIRaupach,

Auslandsbeziehungen, S. 23.

1. Abschn. : Bestimmung der entscheidenden „Normenkollision"

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problem aus der Durchgriffsproblematik ausgeklammert. Die Durchgriffsfälle wie §§ 7 ff. AStG erhielten i n stärkerem Maße Ausnahmecharakter und würden i n ihrer Problematik schärfer erfaßt. b) Es bleiben aber folgende Bedenken bestehen: aa) Zwar ist es notwendig, die Fälle, i n denen nach ausländischem Steuerrecht selbständige Gebilde vom inländischen Steuerrecht von vornherein nicht als Körperschaften anerkannt werden, aus der Durchgriffsproblematik auszuklammern — vor allem deswegen, w e i l man sonst auch die Fälle einbeziehen müßte, i n denen nach ausländischem Steuerrecht unselbständige Gebilde vom inländischen Steuerrecht als selbständig behandelt werden, die Problematik damit aber ihren Charakter als „Durchgriffs"-Problematik verlieren würde. Bei der Definition des Durchgriffs als Durchbrechung der Selbständigkeit nach ausländischem Steuerrecht, „soweit sie vom inländischen Steuerrecht grundsätzlich anerkannt w i r d " , stellt sich aber von der sachlichen Problematik her sofort die Frage, w a r u m nicht auch das Problem der grundsätzlichen Nichtanerkennung i n den Problemkreis einbezogen wird. Die insoweit vorgenommene Beschränkung erscheint nicht einsichtig. bb) Weiterhin müßte man auch bei der Definition des Durchgriffs als Durchbrechung der nach ausländischem Steuerrecht gegebenen und vom inländischen Steuerrecht grundsätzlich anerkannten Selbständigkeit der Möglichkeit von auch i m Domizilland der Körperschaft eingreifenden Ausnahmetatbeständen Rechnung tragen. cc) Schließlich ist nicht ersichtlich, w a r u m das inländische Steuerrecht nicht von der nach ausländischem Steuerrecht gegebenen grundsätzlichen Selbständigkeit abweichen soll, selbst wenn das inländische Steuerrecht ebenfalls das ausländische Gebilde grundsätzlich als selbständig behandelt. Warum soll sich das inländische Steuerrecht nach dem ausländischen Recht richten und nicht umgekehrt? dd) Eine Definition des Durchgriffs als Abweichung von der Selbständigkeit nach ausländischem Steuerrecht, „soweit diese vom inländischen Steuerrecht grundsätzlich anerkannt w i r d " , ließe darüber hinaus auch die über das ausländische Steuerrecht hinausgehende Verselbständigung nach inländischem Steuerrecht außer Betracht. Z u Unrecht würden die Fälle einer Durchbrechung der ausschließlich nach inländischem Steuerrecht gegebenen Selbständigkeit nicht als Durchgriffsfälle erfaßt.

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. Kap. : Der Durchgriff im dt. Außensteuerrecht-Problemstellung

7. Durchgriff als Abweichung von einem i m Internationalen Steuerrecht allgemein beachteten Grundsatz der steuerlichen Selbständigkeit von „juristischen Personen" a) Wenn das inländische Steuerrecht ausländische „juristische Personen", die es grundsätzlich als solche anerkennt, ausnahmsweise als unselbständig behandelt, so weicht es damit nicht nur von der grundsätzlichen Verselbständigung i m ausländischen und auch i m inländischen Steuerrecht ab. Juristische Personen werden ja nicht nur mehr oder weniger zufällig von einzelnen Staaten als steuerlich selbständig behandelt. Die übereinstimmende Behandlung von juristischen Personen als i m Grundsatz steuerlich selbständig i n einem bestimmten ausländischen Staat und i m Inland ist vielmehr Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes, nach dem „juristische Personen" allgemein als steuerlich selbständig behandelt werden 1 3 . Wenn das inländische Steuerrecht Gebilde, die — wie etwa Kapitalgesellschaften — allgemein als „juristische Personen" anerkannt werden, als unselbständig behandelt, so weicht es damit von einem allgemein von den Staaten anerkannten Grundsatz ab, den die Staaten grundsätzlich auch ihrer außensteuerlichen Behandlung zugrunde legen. Diesen Umstand aber w i r d man bei der Definition des Durchgriffs und damit i m Rahmen der Problemstellung berücksichtigen müssen, da sich für den Durchgriff von vornherein stärkere Bedenken ergeben, wenn es sich bei diesem u m eine Ausnahme von einem allgemein beachteten Grundsatz handelt, als wenn es sich lediglich u m eine Abweichung von der Behandlung durch die i n dem konkreten Fall beteiligten Staaten handelt. b) Stellt man darauf ab, daß das inländische Steuerrecht, wenn es juristische Personen ausnahmsweise als unselbständig behandelt, von einem allgemein anerkannten Grundsatz der steuerlichen Selbständigkeit von juristischen Personen abweicht, so löst sich auch das Bedenken, daß möglicherweise auch i m Domizilland der ausländischen Körperschaft diese ebenfalls ausnahmsweise als unselbständig behandelt wird. Stellt man auf den allgemeinen Grundsatz der Selbständigkeit ab, so kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Körperschaft auch i m Ausland ausnahmsweise als unselbständig behandelt wird. Es geht vielmehr u m die Durchbrechung eines allgemein beachteten Grundsatzes — (zunächst) unabhängig davon, ob dieser Grundsatz auch i n einem anderen Staate oder anderen Staaten durchbrochen wird. c) Außerdem entfallen auch die Bedenken, die sich i m Hinblick auf die Einordnung des sogenannten Qualifikationsproblems i n die Durch13

Hierzu noch i m einzelnen I m 2. Teil, 1. Kapitel.

1. Abschn. : Bestimmung der entscheidenden „Normenkollision"

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griffsproblematik ergeben. Definiert man den Durchgriff als Abweichung von einem allgemein anerkannten Grundsatz der steuerlichen Selbständigkeit von juristischen Personen, so geht es bei dem Qualifikationsproblem lediglich u m die Frage, welche Gebilde überhaupt als „ j u r i stische Personen" angesehen werden. M i t dem Begriff „Durchgriff" dagegeben w i r d das Problem angesprochen, daß „juristische Personen", die grundsätzlich vom inländischen Steuerrecht als solche anerkannt werden, abweichend von dem allgemein von den Staaten gehandhabten Grundsatz der Selbständigkeit als steuerlich unselbständig behandelt werden. Es liegen insoweit also zwei getrennte Problemkreise vor: einmal die Frage, wie juristische Personen grundsätzlich behandelt werden (hier: welche Gebilde überhaupt als selbständige juristische Personen anzusehen sind), zum anderen das Problem, daß dieser Grundsatz i m Wege des Durchgriffs ausnahmsweise durchbrochen wird, daß also Gebilde, für welche die Geltung des Grundsatzes der Selbständigkeit anerkannt wird, ausnahmsweise als unselbständig behandelt werden. Es geht u m die Ausnahmen von dem internationalen Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften i m deutschen Außensteuerrecht. Der „Durchgriff i m deutschen Außensteuerrecht" hat damit eine eigene spezifisch außensteuerliche Problemstellung, eine andere Problemstellung als der Durchgriff i m nationalen Steuerrecht. IL Die Durchgriffsdefinition bei inländischen juristischen Personen Nach Raupach bestehen bei inländischen juristischen Personen hinsichtlich des Durchgriffsbegriffs bei Auslandsbeziehungen keine Besonderheiten. Auch hier sei der Durchgriff als Aufgabe des zivilrechtlichen Trennungsprinzips zu definieren. Nach dem für die ausländische juristische Person gefundenen Ergebnis w i r d man dem nicht zustimmen können: Den Durchgriff zu definieren als Aufgabe der Selbständigkeit nach inländischem Zivilrecht, Internationalem Privatrecht oder ausländischem Zivilrecht w i r d man von vornherein ablehnen müssen. Bei all diesen Fragestellungen ginge es nicht u m mehr als einen Vergleich dieser Rechtsbereiche m i t dem Bereich des Außensteuerrechts. Außerdem könnte man diesen Vergleich nur i n beiderlei Richtung ziehen, also als Frage sowohl nach der stärkeren als auch nach der schwächeren Verselbständigung i m Steuerrecht gegenüber diesen Bereichen. Diese Problematik wiederum stellt aber keine „Durchgriffs"problematik dar. Die Definition des Durchgriffs als Abweichung von der Selbständigkeit nach inländischem Steuerrecht schöpft die außensteuerliche Pro-

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. Kap. : Der Durchgriff im dt. Außensteuerrecht-Problemstellung

blematik nicht aus. Bei den Durchgriffsfällen des Außensteuerrechts geht es u m mehr als darum, daß der Gesetzgeber einen von i h m selbst aufgestellten Grundsatz m i t Ausnahmen durchbricht. Bei inländischen juristischen Personen kann man auch den Durchgriff nicht auffassen als Aufgabe der Verselbständigung nach ausländischem Steuerrecht. Bei ausländischen juristischen Personen spricht für eine Definition als Durchbrechung der Selbständigkeit nach ausländischem Steuerrecht immerhin, daß es sich u m eine ausländische j u r i stische Person handelt und man, wenn man zu einer einheitlichen steuerlichen Behandlung gelangen w i l l , w o h l die Behandlung des Sitzstaates der juristischen Person als maßgeblich anerkennen muß. Bei inländischen juristischen Personen jedoch ist nicht einzusehen, warum hier die Bestimmungen des ausländischen Rechts „maßgeblich" sein sollten, inwieweit Bedenken bestehen sollten, wenn das inländische Steuerrecht bei inländischen juristischen Personen von der steuerlichen Behandlung dieser juristischen Person als selbständiger Rechtsträger i m ausländischen Recht abweicht. Bedenken bestehen auch hier bei inländischen juristischen Personen allein deswegen, w e i l die Selbständigkeit juristischer Personen einem allgemein gehandhabten Grundsatz entspricht.

2. Abschnitt: Präzisierung des Trennungsprinzips und Fixierung der Durchgriffsfälle W i l l man den Durchgriff i m deutschen Außensteuerrecht als Ausnahme von einem Grundsatz der Selbständigkeit definieren, dem allgemein die Staaten folgen, so stellt sich folgende Schwierigkeit: man kann feststellen, daß sich die Vorstellung einer steuerlichen Selbständigkeit der juristischen Person nicht nur i n der Bundesrepublik, sondern auch i n anderen Staaten findet (hierauf w i r d i m 2. Teil noch einzugehen sein). A r t und Umfang der steuerlichen Verselbständigung i n den einzelnen Staaten unterscheidet sich jedoch erheblich und vor allem w i r d auch die „juristische Person" von den Staaten i n erheblichem Umfang bereits von vornherein als unselbständig behandelt. Dies drückt sich schon i n den verschiedenen Körperschaftsteuersystemen aus: System der Doppelbelastung, Anrechnungsverfahren, Abzugsverfahren. Es fragt sich, inwieweit man unter diesen Umständen von einem Grundsatz der Selbständigkeit sprechen kann, als dessen Ausnahme sich der Durchgriff darstellt, der von den Staaten allgemein anerkannt wird.

2. Abschn.: Präzisierung des Trennungsprinzips

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A. Umfassender Grundsatz der Selbständigkeit

Man könnte zunächst erwägen, von einem umfassenden Grundsatz der Selbständigkeit auszugehen und jede Behandlung als unselbständig als Durchgriff aufzufassen. I. Zur möglichen Grundlage für die Annahme eines umfassenden Grundsatzes der Selbständigkeit Gegen die Annahme eines derartigen umfassenden Grundsatzes der Selbständigkeit könnte man anführen, daß die einzelnen Staaten bereits von ihren Steuersystemen her „juristische Personen" nicht als umfassend verselbständigt ansehen. So werden von den Staaten, welche dem Anrechnungsverfahren folgen, die „juristischen Personen" von vornherein insoweit als unselbständig behandelt, als die von der K ö r perschaft gezahlte Körperschaftsteuer beim Anteilseigner angerechnet wird. Auch von den Staaten, die dem System der Doppelbelastung folgen, werden „juristische Personen" von vornherein nicht als umfassend selbständig behandelt. Auch die Doppelbelastung enthält bereits ein Element der Unselbständigkeit insoweit, als die von der Körperschaft an die Anteilseigner ausgeschütteten Gewinne nicht wie Fremdkapitalzinsen als Betriebsausgabe behandelt, sondern bei der Körperschaft i n die Besteuerungsgrundlage einbezogen werden. Würde die Körperschaft als umfassend selbständig angesehen, so könnten nicht Zahlungen an die Anteilseigner bei der Körperschaft als Einkommen der Körperschaft besteuert werden 14 . Von daher könnte man annehmen, daß von vornherein nicht die Möglichkeit besteht, einen umfassenden Grundsatz der Selbständigkeit aufzustellen. Die Möglichkeit, einen umfassenden Grundsatz der Selbständigkeit aufzustellen, w i r d man aber grundsätzlich bejahen müssen. Man könnte die Annahme einer umfassenden Selbständigkeit allein auf die Verwendung des Instituts der juristischen Person stützen. Man könnte, i n A n lehnung an die Ausführungen von Serick 15 , annehmen, der Gesetzgeber habe eine juristische Person geschaffen; das aber bedeute, daß die juristische Person i n dem Bereich, für den sie geschaffen sei, als vollwertiges Rechtssubjekt geachtet werden müsse. M i t der Verleihung eigener Rechtspersönlichkeit habe der Gesetzgeber die juristische Person als dem Menschen gleichwertiges und gleichberechtigtes Steuersubjekt geschaffen, das damit grundsätzlich umfassend verselbständigt sei. Jegliche Ausnahme von dieser Selbständigkeit sei ein Durchgriff. Auch die Anrechnung der von der Körperschaft gezahlten Körperschaft14 Vgl. hierzu Vodrazka StuW 1971 S. 235/239; sowie Rasenack, Theorie der Körperschaftsteuer, S. 187 F N 48. 15 Vgl. hierzu oben i m 1. Kapitel.

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. Kap. Der Durchgriff im dt. Außensteuerrecht-Problemstellung

Steuer beim Anteilseigner und die Einbeziehung des auszuschüttenden Gewinns i n die Besteuerungsgrundlage bei dem System der Doppelbelastung könnte man so als Ausnahme von einer grundsätzlich umfassenden Selbständigkeit, also als Durchgriff, auffassen. IL Ablehnung der Annahme eines umfassenden Grundsatzes der Selbständigkeit A l l e i n wegen der Verwendung des Instituts der „juristischen Person" von einem umfassenden Grundsatz der Selbständigkeit auszugehen, w i r d man aber doch i m Ergebnis ablehnen müssen: Ein derartiges Durchgriffsmodell wäre an keiner konkreten Problemstellung orientiert. Es ginge lediglich u m eine bloße Darstellung, inwieweit die j u r i stische Person als selbständig behandelt wird. Der Begriff des „Durchgriffs" hätte hier keine Berechtigung. Dem „Trennungsprinzip" fehlte jegliche Verfestigung. Außerdem könnte die Annahme einer umfassenden Verselbständigung, und damit die Einordnung von Anrechnung und Doppelbelastung als Ausnahmen ( = als Durchgriff), kein überzeugendes Erklärungsmodell für das Nebeneinander von Selbständigkeit und Unselbständigkeit bieten. B. Grundsatz der Selbständigkeit m i t dem I n h a l t der Doppelbelastung von Körperschaft u n d Anteilseigner

W i l l man nicht die Geltung eines umfassenden Grundsatzes der Selbständigkeit annehmen, so könnte man aber von einem einheitlichen Grundsatz der Selbständigkeit ausgehen, der eine Doppelbelastung von Körperschaft und Anteilseigner zum Inhalt hat. A u f diese Weise könnte man die Fälle zur Milderung dieser Doppelbelastung ohne weiteres als Durchgriffsfälle erfassen. I. Der Grundsatz der Doppelbelastung

im Außenverhältnis

Gegen die Annahme eines von den Staaten allgemein anerkannten Grundsatzes der Selbständigkeit m i t dem Inhalt der Doppelbelastung könnte man anführen, daß sich ein derartiger Grundsatz nur für die Staaten aufstellen lasse, die dem Grundsatz der Doppelbelastung folgen, nicht dagegen für Staaten, die dem Anrechnungs- (oder dem A b zugs-)system folgen; die grundsätzliche Anrechnung nach dem Anrechnungssystem stelle keine „Ausnahme" von einem Grundsatz der Doppelbelastung dar. Es ist aber zu berücksichtigen, daß man selbst i n den Staaten, die dem Anrechnungsverfahren folgen, eine Anrechnung der von der K ö r perschaft gezahlten Körperschaftsteuer regelmäßig nur i m Innenver-

2. Abschn. : Präzisierung des Trennungsprinzips

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hältnis zuläßt, i m Außenverhältnis dagegen an der Doppelbelastung festhält 16 . Für internationale Verhältnisse könnte man deshalb von einem Grundsatz der Doppelbelastung sprechen. IL Bedenken gegen die Annahme eines Grundsatzes der Selbständigkeit mit dem Inhalt der Doppelbelastung Es sprechen aber erhebliche Bedenken dagegen — i m Hinblick vor allem auf die beim Anrechnungsverfahren anzutreffende „Definitivsteuer" —, den Durchgriff als Ausnahme von einem Grundsatz der Selbständigkeit m i t dem Inhalt der Doppelbelastung zu definieren: Stellte man auf die gegenwärtig anzutreffende Doppelbelastung bei grenzüberschreitenden Beteiligungsverhältnissen ab, so läge das Problem des Durchgriffs darin, daß das deutsche Außensteuerrecht i n den Durchgriffsfällen ausnahmsweise von einem gegenwärtig rein tatsächlich gehandhabten Grundsatz abweicht, dem jedoch jegliche Verfestigung fehlt, der vielmehr zur Beseitigung der unterschiedlichen Behandlung von Inlands- und Auslandsbeziehungen notwendig der Änderung bedarf. M i t einem derart formulierten Grundsatz der Selbständigkeit würde man jedoch kaum Fällen gerecht wie § 15 I I StAnpG, §§ 7 ff. AStG. Diese Fälle stellen sich als Ausnahmen von einem Grundsatz der Selbständigkeit dar, über den grundsätzlich Übereinstimmung besteht, der als grundsätzlich allgemein beachtetes Prinzip eine „Verfestigung" aufweist, der eine gesicherte Besteuerungsgrundlage bietet und nicht i n Zweifel gezogen ist und der tatsächlich „durchbrochen" wird. Von diesen Fällen her stellt sich die Doppelbelastung als ein Punkt dar, über den bereits bei der grundsätzlichen Behandlung der Körperschaft noch keine Einigkeit besteht. Das eigentliche Problem liegt bei der Frage der grundsätzlichen Doppelbelastung selbst, nicht bei den Ausnahmen von dieser Doppelbelastung. Man w i r d erst eine grundsätzliche Einigung über die Frage der Doppelbelastung bei grenzüberschreitenden Beziehungen erzielen müssen, bevor man sich m i t den Ausnahmen von dieser grundsätzlichen Doppelbelastung beschäftigt. Ein weiteres Bedenken dagegen, auf die Doppelbelastung als Grundsatz abzustellen, ergibt sich daraus, daß die Definitivsteuer bei dem Anrechnungsverfahren i m Grunde keinen Regel-, sondern vielmehr selbst Ausnahmecharakter trägt gegenüber der grundsätzlichen, dem System entsprechenden Anrechnung. Erfolgte etwa eine Anrechnung auch i m Außenverhältnis, insbesondere auf Grund einer entsprechenden DBA-Vereinbarung, so müßte diese Anrechnung als Durchgriff quali16 Vgl. hierzu Klaus Vogel, Der Aktionär, S. 65 ff.; sowie i m einzelnen noch unten i m 2. Teil, 3. Kapitel, 2. Abschnitt.

5 v. Beckerath

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1.3. Kap. : Der Durchgriff i m dt. Außensteuerrecht-Problemstellung

fiziert werden, obwohl m i t dieser Anrechnung doch nur der Regel entsprochen würde. Außerdem ergeben sich Bedenken daraus, daß ein Grundsatz der Selbständigkeit m i t dem Inhalt einer Doppelbelastung von vornherein nicht für Staaten gelten kann, die eine derartige Doppelbelastung i m Außenverhältnis nicht aufrechterhalten bzw. i n Zukunft aufgeben. Es läßt sich eine von einem Staat als Regel auch i m Außenverhältnis praktizierte Anrechnimg nicht als Durchgriff einordnen. Ein weiteres Problem stellt die Einordnung des Abzugssystems dar. Geht man von einem international allgemein gehandhabten Grundsatz der Selbständigkeit m i t dem Inhalt der Doppelbelastung aus, so läßt sich das Abzugsverfahren nicht einordnen. Das Abzugsverfahren stellt gegenüber der Doppelbelastung kein „Weniger" an Verselbständigung dar ( = Durchgriff), sondern höchstens ein „Mehr" an Verselbständigung. C. Der Grundsatz der Selbständigkeit auf der Grundlage gemeinsamer Auffassungen

Selbst wenn Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht von den Staaten grundsätzlich als selbständig behandelt werden, so handelt es sich hierbei doch nur u m ein allgemeines Prinzip, über dessen Ausgestaltung i m einzelnen höchst unterschiedliche Auffassungen bestehen. So ist selbst bei der grundsätzlichen Behandlung von Körperschaften eben nicht nur noch nicht geklärt, welche Gebilde i m einzelnen als Körperschaft anzusehen sind (Qualifikationsproblem) oder was als „Gew i n n " der Körperschaft anzusehen ist, sondern es ist eben auch die Frage der Doppelbelastung noch nicht geklärt, ob der ausgeschüttete Gewinn sowohl von der Körperschaft als auch von den Anteilseignern zu versteuern ist oder nicht. Übereinstimmimg besteht nur i m Grundsatz, daß Körperschaften als selbständig zu behandeln sind, einer selbständigen Körperschaftsteuer unterliegen. Das Problem des Durchgriffs besteht dann darin, daß ausnahmsweise von dem Grundsatz der Selbständigkeit abgewichen wird, der Grundsatz der Selbständigkeit ausnahmsweise an Punkten durchbrochen wird, über die an sich grundsätzlich Übereinstimmung besteht. Über diese Ausnahmen gilt es nun, erneut eine Übereinstimmung zu erzielen. 3. Abschnitt: Zum Anwendungsbereich des Durchgriffs im deutschen Außensteuerrecht I n der Folge gilt es, die Frage zu untersuchen, welchen Anwendungsbereich der „Durchgriff" hat. Es ist zu fragen, ob die Durchgriffsproble-

3. Abschn.: Zum Anwendungsbereich des Durchgriffs

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matik auf juristische Personen bzw. Körperschaften beschränkt ist, oder ob auch Betriebstätten einzubeziehen sind, vielleicht sogar auch bei natürlichen Personen von einem „Durchgriff" gesprochen werden kann (hierzu unter A). Außerdem gilt es, die Frage zu klären, für welche Steuerarten das Problem des Durchgriffs zu untersuchen ist (hierzu unter B). A. Der Durchgriff bei der Körperschaft, bei der Betriebstätte, der Durchgriff auf den Hintermann

I. Überlegungen für eine Ausdehnung auf den „Durchgriff bei der Betriebstätte" und den „Durchgriff auf den Hintermann" 1. Die Einbeziehung der Betriebstätte Von dem Ausgangspunkt, daß sich der Durchgriff i m deutschen Außensteuerrecht als Abweichung von einem internationalen Grundsatz der steuerlichen Selbständigkeit von juristischen Personen darstellt, käme i n Betracht, nicht nur die Durchbrechung der Selbständigkeit der juristischen Person, sondern auch die Durchbrechung der Verselbständigung der Betriebstätte als „Durchgriff" aufzufassen 17 . a) Für eine Einbeziehung der Betriebstätte würde vor allem die weitreichende, der Selbständigkeit der juristischen Person verwandte Verselbständigung der Betriebstätte sprechen: Nach Striegel 18 w i r d die nichtkörperschaftsteuerrechtsfähige Betriebstätte als selbständiges internationales Steuersubjekt behandelt. Nach Baehren1® muß die privatrechtlich unselbständige Betriebstätte infolge der Fiktion der Selbständigkeit steuerlich als ein vollkommen selbständiger Organismus behandelt werden 20 . „ A l l e der Selbständigkeit eigenen Merkmale, die aus i h r resultierenden tatsächlichen und möglichen Gestaltungen werden Inhalt der Fiktion 2 1 ." b) Bedingt durch diese Selbständigkeit der Betriebstätte stellen sich bei der Betriebstätte prinzipiell auch die gleichen Probleme wie bei der juristischen Person. So besteht die Problematik der Gewinnverlagerung zwischen wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, die § 1 AStG — das arms'-length-Prinzip allgemein — zum Gegenstand hat, 17 Vgl. auch Killius, Die Behandlung der Personenunternehmen i m Recht der D B A , S. 61 ff. (für die Einbeziehung der Personengesellschaften i n die Durchgriffsproblematik i m Steuerrecht). 18 Striegel, Steuerflucht durch Basisunternehmen, S. 76. 19 Baehren, Die Behandlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb i m i n t e r nationalen Steuerrecht, S. 159 if. 20 Vgl. Bahr, G e w i n n e r m i t t l u n g ausländischer Zweigbetriebe, S. 83. 21 Baehren, S. 166; vgl. auch Bellstedt, Die Besteuerung international v e r flochtener Gesellschaften, S. 234.

5*

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1.3. Kap. : Der Durchgriff im dt. Außensteuerrecht-Problemstellung

nicht nur bei der juristischen Person, sondern infolge des Prinzips der direkten Gewinnermittlung bei der Betriebstätte auch für diese. Auch erscheint ein Einsatz der Betriebstätte als Auslandsbasis, die den auf die Betriebstätte verlagerten Gewinn vor der inländischen Besteuerung abschirmt, grundsätzlich möglich. Auch die Betriebstätte bietet die Möglichkeit, Gewinn durch Verlagerung auf die ausländische Betriebstätte vor der inländischen Besteuerung abzuschirmen und damit Basisfunktionen zu übernehmen 22 . Man könnte also die Frage des Durchgriffs über die juristische Person hinaus auf sonstige Verselbständigungsformen ausdehnen, unter Umständen hierbei nicht nur die Betriebstätte erfassen, sondern den Durchgriffsbegriff auch grundsätzlich offen halten für Verselbständigungsformen wie sie etwa dem Gedanken der „overseas trade corporations" entsprechen 23 . 2. Die Ausweitung zur Frage des Durchgriffs auf den „Hintermann" Man könnte sogar erwägen, die zivilrechtliche Definition von Unger aufzugreifen und nicht nur bei juristischen Personen oder sonstigen verselbständigten Gebilden von einem Durchgriff zu sprechen, sondern auch bei natürlichen Personen, also auch von einem Durchgriff auf den hinter einer natürlichen Person stehenden „Hintermann" 2 4 . Konsequenterweise müßte man dann auch bei der juristischen Person nicht nur den Durchgriff auf die hinter der juristischen Person stehenden A n teilseigner erfassen, sondern es käme auch ein Durchgriff auf sonstige natürliche oder auch juristische Personen als „Hintermänner" der j u r i stischen Person i n Betracht, die nicht Gesellschafter der juristischen Person zu sein brauchten. a) Eine derartige Möglichkeit eines Durchgriffs durch die natürliche Person wäre etwa denkbar, wenn das Unternehmen einer natürlichen Person derart i n einen Unternehmensverband integriert ist, daß dieses einzelne Unternehmen nur noch als unselbständiger Teil des Ganzen erscheint und man es nun dementsprechend steuerlich behandelt. 22 Vgl. hierzu Wöhrle, Vorbemerkungen vor § § 7 - 1 4 AStG, A n m . X I V (zur Ausweichbewegung auf Betriebstätten infolge der Hinzurechnungsbesteuerung der §§ 7 if. AStG); ebenso Striegel, S. 145 f. u n d S. 20 f. 23 Hierzu Flick FinArch. Bd. 21 (1961) S. 87/92. 24 Vgl. hierzu auch Mutén (CDDFI X L I X b H a m b u r g 1964, Generalbericht, S. 19), der eine derartige Möglichkeit bei einer Besteuerung ausländischer Kapitalgesellschaften entsprechend §15 I I S t A n p G andeutet: „ H i e r i n finden w i r auch eine Schwäche des Systems, denn m i t steuerrechtlichen M i t t e l n w i r d es w o h l k a u m ganz effektiv verhindert werden können, daß ausländische Strohmänner zwecks Internationalisierung des Besitzes eingesetzt werden

3. Abschn. : Zum Anwendungsbereich des Durchgriffs

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b) Eine andere Möglichkeit wäre ein Durchgriff durch die natürliche Person zur Bekämpfung der Steuerflucht. Es erscheint möglich, auf eine i m Ausland ansässige natürliche Person Einkommen und Vermögen zu verlagern und so der inländischen Besteuerung zu entziehen. Von daher stellt sich weder von der Verselbständigung her, noch prinzipiell von der Problematik her die Frage des Durchgriffs i m deutschen Außensteuerrecht als ein spezifisches Problem der „Körperschaft" oder der „juristischen Person" dar. IL Die Besonderheit des Durchgriffs

bei der juristischen Person

Was es dennoch rechtfertigt, die Frage des Durchgriffs allein bei der juristischen Person bzw. bei der „Körperschaft" zu untersuchen, ist die Tatsache, daß zwar auch bei sonstigen Formen prinzipiell die gleichen Probleme bestehen, es bei diesen aber „praktisch" keinen Durchgriff gibt. Ein Durchgriff findet sich nur bei „juristischen Personen", der Durchgriff stellt nur hier gegenwärtig ein Problem dar. 1. Die fehlende praktische Bedeutung des Durchgriffs bei der Betriebstätte Die Betriebstättendefinition ist von vornherein stärker durch w i r t schaftliche Gesichtspunkte bestimmt, nicht wie die Definition der K ö r perschaft durch die notwendige Anknüpfung an das Zivilrecht einer rechtlichen Betrachtungsweise verhaftet. Hierdurch fehlt es zum einen bereits an der Notwendigkeit zum Durchgriff. Zum anderen besteht die Möglichkeit, Fragen, die bei der juristischen Person zum Durchgriff führen können, durch eine entsprechende Abänderung der Betriebstättendefinition zu berücksichtigen. a) So findet sich zwar gerade auch bei der Betriebstätte das Problem der Gewinnabgrenzung, bedingt dadurch, daß die Betriebstätte als ein unselbständiger Teil eines Unternehmens ihren Gewinn ausweisen soll wie ein völlig unabhängiges Rechtssubjekt. Etwaige Änderungen i n der steuerlichen Betrachtungsweise — etwa die Einführung der indirekten Gewinnermittlungsmethode — aber stellen hier keinen Durchgriff dar, sondern würden von vornherein die Verselbständigung der Betriebstätte selbst betreffen, während bei Körperschaften eine entsprechende Regelung als Ausnahmetatbestand für wirtschaftlich verbundene K ö r perschaften ausgestaltet würde. b) Ebenso liegt es bei der Frage der Steuerflucht: Zwar besteht die Möglichkeit, Gewinne auf die ausländische Betriebstätte zu verlagern und damit vor der inländischen Besteuerung abzuschirmen. Eine der-

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1.3. Kap. : Der Durchgriff i m dt. Außensteuerrecht-Problemstellung

artige Abschirmung erfolgt jedoch nur dann, wenn das inländische Steuerrecht der sogenannten Freistellungsmethode folgt 2 5 . Dies ist jedoch gegenüber Steueroasenländern regelmäßig nicht der Fall. Außerdem ist die Betriebstättendefinition dermaßen stark an wirtschaftlichen Gesichtspunkten orientiert, daß sie auch deswegen schon gegenüber der Möglichkeit der Gründung einer Tochtergesellschaft praktisch kaum i n Frage kommt2®. Dementsprechend beschränken sich auch die §§7 ff. AStG auf den Durchgriff bei „juristischen Personen", ist auch § 15 AStG und war auch § 15 I I StAnpG allein auf den Durchgriff bei „juristischen Personen" ausgerichtet. 2. Die fehlende praktische Bedeutung des Durchgriffs auf den „Hintermann" Ähnlich ist es bei der Frage des Durchgriffs durch die natürliche Person, den Durchgriff auf den „Hintermann". Das Durchgriffsproblem, das sich bei juristischen Personen stellt, t r i t t hier praktisch überhaupt nicht auf. W i l l man die wirtschaftliche Unselbständigkeit eines Unternehmens gegenüber seiner rechtlichen Behandlung als selbständiger Rechtsträger berücksichtigen, so kommt hierbei i n erster Linie die j u r i stische Person i n Betracht, die von vornherein bereits die Problematik der Zwitterstellung zwischen rechtlicher Selbständigkeit und w i r t schaftlicher Unselbständigkeit gegenüber ihren Gesellschaftern i n sich trägt 2 7 . So kommt auch der Möglichkeit der Einschaltung einer natürlichen Person zur Verlagerung von Gewinn i n Steueroasenländer bisher eher theoretische Bedeutung zu. Vor allem i m Hinblick auf die tatsächliche und rechtliche Beherrschbarkeit der ausländischen Person durch den inländischen Steuerpflichtigen bietet hier die juristische Person erhebliche Vorteile, so daß bisher auch von daher für einen „Durchgriff" kein praktischer Anlaß bestand, wenn auch vielleicht eine Ausweichbewegung i n dieser Richtung — vor allem i n Richtung auf die Betriebstätte — möglich erscheint. Es erscheint deshalb gerechtfertigt, das Durchgriffsproblem allein für Körperschaften zu untersuchen, zumal man ohnehin zwischen den verschiedenen Formen und Prinzipien der Verselbständigung differenzieren müßte. Allerdings sollte man die Parallelität der verschiedenen Kollisionslagen bei der Prüfung berücksichtigen unter dem Gesichtspunkt, ob nicht gerade der Umstand, daß bestimmte Durchgriffstatbe25

Striegel, S. 145 u n d S. 20 f. Hierzu Radier/Raupach, Auslandsbeziehungen, S. 380; Wöhrle zu § § 7 - 1 4 Vorbem. X I V , S. 105 - 107. 27 Vgl. hierzu v o r allem Girnth, Ertragsbesteuerimg v o n Konzernen, S. 25. 26

3. Abschn.: Zum Anwendungsbereich des Durchgriffs

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stände auf juristische Personen beschränkt sind, möglicherweise zu Bedenken Anlaß gibt. B. Der Durchgriff i m Bereich der verschiedenen Steuerarten

I. Die Ansicht Wilsers Wilser bestimmt seinen Untersuchungsbereich danach, ob die j u r i stische Person i n dem betreffenden Rechtsbereich, bei der betreffenden Steuerart, als rechtsfähiges Gebilde anerkannt wird. Dies sei grundsätzlich i m Steuerrecht m i t Ausnahme des Einkommen- und Umsatzsteuerrechts der Fall. Daher erstreckt er seine Untersuchung grundsätzlich auf alle Steuerarten m i t Ausnahme des Einkommen- und Umsatzsteuerrechts 88 . IL Die Ansicht Raupachs Raupach w i l l entgegen der Ansicht Wilsers grundsätzlich auch Steuern, die nicht an das Zivilrecht anknüpfen, i n seine Untersuchung einbeziehen. Auch wenn das Steuerrecht nicht an die bürgerlich-rechtliche Rechtsform anknüpfe, so bedeute das noch nicht, daß es generell der juristischen Person die Anerkennung versage 29 . Er möchte nicht nur bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer, sondern auch i m Bereich der Umsatzsteuer von „Durchgriff" sprechen. Damit werde es möglich, Rechtsinstitute, die ihre — wenn auch abweichende — Ausprägung bei verschiedenen Steuerarten gefunden haben (wie z.B. die Organlehre) einheitlich unter dem Gesichtspunkt des Durchgriffsproblems zu betrachten. III. Zum Untersuchungsbereich

nach dem hier vertretenen

Ansatz

Für welche Steuerarten das Problem des Durchgriffs sich stellt, beurteilt sich bei der hier vertretenen Problemstellung danach, bei welchen Steuern juristische Personen grundsätzlich als selbständig behandelt werden. Hierbei aber w i r d man davon ausgehen können, daß juristische Personen grundsätzlich allgemein im Steuerrecht als selbständig angesehen werden. Dies w i r d man sogar für die Einkommensteuer feststellen können. Daraus, daß die juristische Person nicht Schuldner der Einkommensteuer ist, kann man nicht schließen, daß sie als unselbständig angesehen w i r d (vgl. insbesondere auch § 17 EStG). Auch i m Bereich der Umsatzsteuer werden nicht etwa die Gesellschafter als diejenigen angesehen, die den Umsatz tätigen, sondern die „juristischen Personen". 28 29

Wilser, S. 22. Raupach, Durchgriff, S. 43.

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1.3. Kap. : Der Durchgriff im dt. Außensteuerrecht-Problemstellung

Andererseits hat infolge des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer und der Umsatzsteuer etwa hier das Problem des Durchgriffs eine weitaus geringere Bedeutung als bei den Subjektsteuerarten. Für den Bereich des Außensteuerrechts kommt außerdem dem Umstand entscheidende Bedeutung zu, daß Gewerbesteuer und Umsatzsteuer etwa, unabhängig davon, ob es sich bei dem Gewerbetreibenden bzw. dem Unternehmer u m einen Inländer oder Ausländer handelt, allein auf das Vorliegen eines inländischen Gewerbebetriebes bzw. eines inländischen Umsatzes abstellen. Außensteuerliche Fragen treten dementsprechend nicht bei der Frage des Steuerschuldners, sondern höchstens bei der Frage des Steuergegenstandes auf. Soweit es überhaupt i m Bereich dieser Steuern zu einem „Durchgriff" kommt, hat er deshalb keine spezifisch außensteuerrechtliche Bedeutung. Das Problem des Durchgriffs i m deutschen Außensteuerrecht stellt sich deshalb vor allem bei der Körperschaftsteuer, Einkommensteuer, Vermögensteuer und Kapitalverkehrsteuer.

4. Abschnitt: Terminologische Fragen A. Zur begrifflichen Erfassung der Durchgriffsbeteiligten

Es wurde bisher gesprochen von der i m Steuerrecht, Zivilrecht etc. selbständigen „juristischen Person", „Gesellschaft" oder von verselbständigten „Gebilden" und von ihren „Beteiligten", „Gesellschaftern", „Teilhabern", „Anteilseignern" oder „Trägern". Es erscheint notwendig, hier eine einheitliche Begriffsbestimmung vorzunehmen. Auszugehen ist hierbei davon, daß es darum geht, diejenigen Gebilde (und die an ihnen „Beteiligten") zu bezeichnen, die i m Internationalen Steuerrecht allgemein als selbständig behandelt werden. I. Juristische Personen — Beteiligte, Träger, Teilhaber Man könnte von der „juristischen Person" und ihren Beteiligten, Trägern oder Teilhabern sprechen 30 . Der Begriff der „juristischen Person" w i r d jedoch regelmäßig zur Bezeichnung der zivilrechtlich selbständigen juristischen Person verwandt. I m vorliegenden Zusammenhang geht es jedoch allein u m die steuerliche Selbständigkeit. Außerdem 30 Vgl. etwa Korn/Dietz/Debatin, Vorbemerkungen I I I C Rdnr. 7 „Der Wohnsitz der nicht natürlichen Person": Rechtsträger, die nicht natürliche Personen sind (juristische Personen, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen, die als solche der Besteuerung w i e eine natürliche Person unterliegen, — nachfolgend wie in den meisten DBA als juristische Person bezeichnet —)...

4. Abschn. : Terminologische Fragen

73

bereitet es auch Schwierigkeiten, die „Träger" der juristischen Person zu bezeichnen, nicht zuletzt deswegen, w e i l der Begriff „juristische Person" an dem Gegensatz zur natürlichen Person orientiert ist. Auch das OECD-Musterabkommen zeigt sich gegenüber dem Begriff der „juristischen Person" skeptisch, wenn es i n A r t . 3 Abs. 1 c formuliert: „juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden" 3 1 . IL Gesellschaft — Gesellschafter Anbieten könnte sich der Begriff der „Gesellschaft". Die Bezeichnung „Gesellschaft" findet sich i n den D B A zur Bezeichnung der Gebilde, die steuerlich wie natürliche Personen behandelt werden, für die also der Grundsatz der Selbständigkeit gelten soll. Nach A r t . 3 des OECDMusterabkommens bedeutet der Ausdruck „Gesellschaft": „juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden". Dennoch ergeben sich gegen die Verwendung des Begriffs der „Gesellschaft" Bedenken. Vor allem deswegen, w e i l der Begriff der Gesellschaft i m sonstigen Sprachgebrauch anders verstanden, insbesondere auch auf Personengesellschaften bezogen wird. Es fällt auch schwer, die rechtsfähige Stiftung etwa, u m die es bei § 15 AStG geht, als „Gesellschaft" zu bezeichnen. III. Körperschaft

— Anteilseigner

Es erscheint besser, den Begriff der „Körperschaft" zu wählen. Auch wenn i n § 1 K S t G und entsprechend auch i n § 7 AStG die Rede ist von: „Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen", so ist doch der Begriff der „Körperschaft" als Leitbegriff für die vom „Körperschaft"-Steuergesetz verselbständigten Gebilde anerkannt. Die Träger der Körperschaft w i r d man entsprechend als „Anteilseigner" bezeichnen können 32 . B. Einseitiger und zweiseitiger Durchgriff

Müller spricht davon, daß es nicht nur einen einseitigen, sondern auch einen zweiseitigen Durchgriff gebe. Von einem zweiseitigen Durchgriff könne man i n den Fällen sprechen, i n denen i n den D B A ein Durch31 OECD—Musterabkommen bei KornlDietz/Debatin, Vorbemerkungen Anh. A. 32 Vgl. auch Großfeld, S. 3; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 90; sowie vor allem auch der Sprachgebrauch bei den Erörterungen zur K S t Reform.

74

I. 3. Kap.: Der Durchgriff im dt. Außensteuerrecht-Problemstellung

griff vorgesehen sei. Müller verweist hierbei auf das i n den D B A vereinbarte internationale Schachtelprivileg und vor allem auf die Vereinbarung der internationalen Organtheorie, die sich i n einigen älteren Abkommen finde 83. Hier von einem zweiseitigen Durchgriff zu sprechen, erscheint jedoch nicht gerechtfertigt. Die D B A normieren i m Grunde keinen Durchgriff, sondern lassen höchstens einen solchen Durchgriff zu (vgl. internationale Organtheorie) 34 . Man w i r d also insoweit nur von einem (einseitigen) Durchgriff sprechen, der m i t den D B A vereinbar ist bzw. von diesen gefordert w i r d . C. Durchgriff i m Internationalen Steuerrecht — Durchgriff i m Außensteuerrecht

Geht man davon aus, daß es nur einen einseitigen Durchgriff gibt, der unter Umständen i n einem D B A für zulässig erklärt wird, so w i r d man entsprechend auch nicht von einem „Durchgriff i m Internationalen Steuerrecht", sondern von einem „Durchgriff i m deutschen Außensteuerrecht" sprechen 35 . Die besondere Problematik der hier zu behandelnden Fälle liegt gerade darin, daß sie einseitig erfolgen, daß es sich nicht u m Fälle des Durchgriffs durch die juristische Person i m Internationalen Steuerrecht handelt, bei denen etwa einvernehmlich die juristische Person i n einzelnen Beziehungen als unselbständig behandelt wird. Es geht vielmehr i m wesentlichen gerade u m die Fälle, i n denen einseitig, ohne Abstimmung mit dem ausländischen Staat, das inländische Steuerrecht von dem Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften abweicht D. Durchgriff zu Gunsten — Durchgriff zu Lasten

Bühler hat den Durchgriff wie folgt definiert: „Durchgriff bedeutet sachlich ein Beiseiteschieben der Hülle, die man sich traditionellerweise zur Sicherung vor Zugriff auf die Mitglieder als eine wesentliche W i r kung der juristischen Person dachte 38 ." Flume folgert aus dem Sprachsinn, daß der Terminus „Durchgriff" darauf zu beschränken sei, daß 83 Vgl. Peter Müller, Deutsche Steuerhoheit über ausländische Tochtergesellschaften, S.148 ff. 84 Das internationale Schachtelprivileg, bei dem allein m a n u . U . m i t einer gewissen Berechtigung v o n einem zweiseitigen Durchgriff sprechen könnte, stellt nach obiger Definition gerade keinen Durchgriff dar. 35 Z u m Unterschied der Begriffe „Internationales Steuerrecht" (völkerrechtliche Normen auf dem Gebiet des Steuerrechts insbesondere D B A = IStR i m engeren Sinne) u n d Außensteuerrecht, vgl. Raupach, Durchgriff, S. 130 F N 1 m. w . Ν . ; aus neuerer Zeit: Schöne FR 1976 S. 32 (Intern. Steuerrecht u n d Außensteuerrecht). 36 Bühler, Prinzipien, S. 13.

5. Abschn. : Zur nachfolgenden Darstellung

75 37

das Mitglied statt der juristischen Person „ergriffen" wird . Man könnte also von dem Durchgriff nur dann sprechen, wenn es sich u m einen Zugriff auf die Mitglieder handelt, i n jedem Fall aber nur bei einem Durchgriff zu Lasten der Betroffenen. I n dieser Weise w i r d man aber den Begriff „Durchgriff" kaum begrenzen können: „Durchgriff" m i t einem „Zugriff" auf die Gesellschafter gleichzusetzen würde den F a l l des § 15 StAnpG a. F. zu Unrecht aus der Problematik ausklammern, bei dem nicht auf die Gesellschafter, sondern auf die ausländische Gesellschaft zugegriffen wird. Raupach hat der Ansicht von Flume zu Recht entgegengehalten, daß „Durchgriff" nicht gleichbedeutend sei m i t „Zugriff" 8 8 . Gleiches gilt aber auch allgemein für die Möglichkeit, den Durchgriff auf den „Durchgriff zu Lasten" zu beschränken. Ob ein bestimmter Ausnahmetatbestand zu Lasten oder zu Gunsten w i r k t , läßt sich oft nur i m Einzelfall entscheiden (vgl. § 15 StAnpG a. F., Filialtheorie, indirekte Gewinnermittlung). I m übrigen wäre eine derartige Beschränkung auch weder von der Problematik dieser Tatbestände noch von dem Begriff des Durchgriffs her gerechtfertigt 8 9 . 5. Abschnitt: Z u r nachfolgenden Darstellung

Definiert man den Durchgriff als Ausnahme von einem bestimmten Trennungsprinzip, so gilt es zunächst, sich m i t dem Trennungsprinzip zu befassen, bevor man sich m i t den Ausnahmen von diesem Prinzip, dem „Durchgriff", beschäftigt. Für das Zivilrecht ist anerkannt, daß man sich zunächst über das „Wesen der juristischen Person" Klarheit verschaffen muß, bevor man sich m i t dem „Durchgriff" befaßt 40 .

87

Flume D B 1962 S. 382 (zitiert bei Raupach, Durchgriff, S. 29). Raupach, Durchgriff, S. 30. 89 Vgl. i n diesem Zusammenhang v o r allem auch i m Zivilrecht den Fragenkreis des Durchgriffs „ z u Gunsten", dadurch daß der Gesellschafter einen Schaden der Ges. als eigenen Schaden der Ges. geltend macht — Nachweise hierzu s. o. 40 Eine Fragestellung, die i m übrigen i m Zivilrecht zu der weiteren Frage führen muß, ob „Durchgriff" überhaupt eine „Durchbrechung" der Selbständigkeit ist oder vielmehr eine Bestimmung v o n vornherein gegebenen Grenzen — vgl. Ottmar Kuhn, S. 201 : „Zuerst hätte daher geprüft werden müssen, w i e w e i t die Selbständigkeit der i n die Rechtsordnimg eingegliederten, v o n ihren zwingenden Vorschriften u n d Wertungen abhängigen juristischen Personen überhaupt reicht u n d w o ihre Grenzen verlaufen."; zur Frage nach dem Trennungsprinzip vgl. auch Erlinghagen, Organschaf tsvertrag, S. 58: „Werden aber m i t der Zurechnimg einer eigenen Rechtspersönlichkeit gewisse Zwecke verfolgt, so erscheint es allein sinnvoll, auch die Grenzen dieser 88

76

1.3. Kap. : Der Durchgriff im dt. Außensteuerrecht-Problemstellung

Für das nationale Steuerrecht w i r d die Notwendigkeit einer vorrangigen Beschäftigung m i t dem Trennungsprinzip von Raupach anerkannt, wenn er die Ausgestaltung des Trennungsprinzips als wichtige Richtschnur für die Zulässigkeit von Durchgriffen untersucht. Gerade bei der vorliegenden außensteuerrechtlichen Problemstellung w i r d man der Frage des Trennungsprinzips besondere Bedeutung zumessen müssen. Z u m einen, w e i l die bezüglich der grundsätzlichen Behandlung von Körperschaften noch ungeklärten Fragen, wie das sogenannte Qualifikationsproblem oder das Problem der Doppelbelastung des ausgeschütteten Gewinns, eine enge Verwandtschaft zu den als Durchgriffsfälle zu behandelnden Ausnahmetatbeständen aufweisen. Vor allem aber, w e i l der Grundsatz der Selbständigkeit als solcher noch der genaueren Darlegung bedarf, u m den Bereich der Durchgriffstatbestände bestimmen zu können und die Durchgriffsfälle überhaupt i n ihrer Problematik erfassen zu können.

eigenen Rechtspersönlichkeit juristischer Personen i m Zusammenhang m i t diesen Zwecken zu bestimmen."; vgl. hierzu auch Drobnig, Haftungsdurchgriff bei Kapitalgesellschaften, S. 21 ff.

TEIL I I

Der Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften im Internationalen Steuerrecht 1. Kapitel

Die einheitliche Behandlung von Körperschaften nach dem Grundsatz der Selbständigkeit Es finden sich zahlreiche Stimmen i n der Literatur, die von einem international anerkannten Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften sprechen. Mersmann stellt fest: „Einer der wichtigsten Grundsätze, der sich sowohl aus der modernen Vertragspraxis als auch aus den Musterverträgen von Mexiko, London und auch aus den Entwürfen der OEEC ergibt, ist die internationale Anerkennung der Formen der juristischen Personen. Nach dem Inhalt der meisten Abkommen w i r d eine Tochtergesellschaft m i t Ort der Leitung i n einem anderen Staate als dem der Muttergesellschaft als selbständiges Steuersubjekt anerkannt, auch wenn sie praktisch dieselbe Tätigkeit ausübt wie eine Betriebstätte der ausländischen Muttergesellschaft 1 ." Muten als Generalberichterstatter der I F A 1964 hat festgestellt, daß auch i n den Ländern, i n denen die selbständige steuerrechtliche Existenz der Kapitalgesellschaften systematisch i n besonders geringem Maße zutage träte — die Einkommensteuer der Kapitalgesellschaften werde der Einkommensteuer der Aktionäre auf das Dividendeneinkommen angerechnet —, man das System der gesonderten Gewinnberechnung der Kapitalgesellschaften beibehalte und nicht etwa zu dem vielerorts für Personengesellschaften herrschenden System der anteilweisen Besteuerung der Teilhaber übergehe 2 . Rädler weist darauf hin, „daß heute auch das Internationale Steuerrecht die selbständige Rechtspersönlichkeit der ausländischen Tochtergesellschaft i n der Regel anerkennt" 3 . Nach 1 Mersmann StbJb. 1959/60 S. 35/63; vgl. auch ders. Hdb. d. Finanz-Wiss., Bd. I V , S. 113,125. 2 Muten C D D F I X L I X b (Hamburg 1964), Generalbericht S. 11 f.; vgl. i n diesem Zusammenhang auch Wöhrle, Vorbemerkungen zu §§ 7 - 1 4 AStG, A n m . I (S. 77); Seidel, Gewinnverschiebungen über die Grenze, S. 65. 3 Rädler D B 1962 S. 809/810; ebenso Menck D S t Z / A 1972 S. 65/66; Ludwig, Generalbericht C D D F I L V I I I a, S. 11.

78

I I . . Kap. : Die

ung des Grundsatzes der Selbständigkeit

Rädler/Raupach hat sich i n der Nachkriegszeit unter dem Einfluß der Praxis der D B A — trotz mancher Gegentendenzen — i m Steuerrecht der europäischen Staaten der Grundsatz gefestigt, daß die eigene Rechtspersönlichkeit von inländischen Tochtergesellschaften ausländischer Konzerne auch i m Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht zu respektieren ist 4 . Halpern führt als österreichischer IFA-Berichterstatter aus: „Das österreichische Steuersystem behandelt, wie die meisten europäischen Steuersysteme, die Kapitalgesellschaft als selbständiges Rechts- und Steuersubjekt 5 ." Nach Kraushaar bildet die juristische Person auch i n den Staaten, die eine besondere Körperschaftsteuer nicht kennen, stets ein selbständiges Steuersubjekt®. Ähnlich betont Bühler, daß die Scheidung der juristischen Person von den „Partnerships", i m Steuerrecht der meisten Länder heute bestimmend und von da aus auch i n die D B A gedrungen sei7. I n den Ausführungen der Steuerreformkommission, die sich m i t dem Entwurf des Außensteuergesetzes befaßte, heißt es: „Errichtet ein Inländer eine Kapitalgesellschaft m i t Sitz und Geschäftsleitung i m Ausland, so unterliegt das Einkommen und das Vermögen dieser Kapitalgesellschaft nach den Konventionen des internationalen Steuerrechts ausschließlich der Besteuerung i m Sitzstaat. Auch das deutsche Steuerrecht respektiert grundsätzlich eine solche Kapitalgesellschaft als ein nur i m Sitzstaat steuerpflichtiges Rechtsgebilde 8 ." Aus diesen Überlegungen heraus wurde der „volle Durchgriff auf die von der Auslandsgesellschaft thesaurierten Gewinne, der auch i n keinem anderen Land der westlichen Welt praktiziert w i r d " , abgelehnt®. Ausführlich hat sich Müller i n seiner völkerrechtlichen Untersuchung zu § 1 5 I I S t A n p G m i t dem Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht beschäftigt. Auch nach seiner Auffassung ist die Selbständigkeit von Kapitalgesellschaften i m Internationalen Steuerrecht allgemein anerkannt 10 .

4

Rädler/Raupach, Auslandsbeziehungen, S. 16 u n d 349. Halpern C D D F I X X I X (Amsterdam 1955, 3ème sujet), S. 21. β Kraushaar, Die steuerlichen Vorteile ausländischer Kapitalgesellschaften, S. 21. 7 Bühler, Prinzipien, S. 10, 11; vgl. auch ders. i n : Internationales Steuerrecht u n d Internationales Privatrecht, S. 51. 8 Steuerreformkommission, Abschnitt V I Außensteuerrecht, Rdnr. 32; vgl. vor allem auch Heining/Krohne Die Aussprache 1970 S. 152/154: „ D i e N o t wendigkeit der steuerlichen Anerkennung u n d Respektierung der i m A u s l a n d dominizilierenden Kapitalgesellschaften u n d der Grundsatz ihrer ausschließlichen Besteuerung a m O r t ihres Sitzes bzw. a m O r t der tatsächlichen L e i t u n g ist allgemein international anerkannt u n d i m m e r wieder bestätigt worden." 9 Steuerreformkommission, Abschnitt V I Außensteuerrecht, S. 39 T Z 41. 10 Peter Müller, S. 135 ff.; zur Ansicht v o n M ü l l e r vgl. noch i m einzelnen i n der Folge. 5

1. Abschn. : Das Steuerrecht der verschiedenen Staaten

79

1. Abschnitt: Die Verselbständigung von Körperschaften im Steuerrecht der verschiedenen Staaten Welche Auffassung die einzelnen Staaten allgemein über die steuerliche Selbständigkeit von Körperschaften haben, läßt sich zunächst aus den verschiedenen Steuersystemen entnehmen: Der IFA-Kongreß von 1964 beschäftigte sich m i t der „Abgrenzung der Besteuerungsbefugnisse des Sitz- bzw. Wohnsitzstaates und anderer Staaten i n bezug auf Kapitalgesellschaften und ihre Anteilseigner" 1 1 . Mutén, als Generalberichterstatter, stellte nach Auswertung der Landesberichte zwar fest, daß erhebliche Unterschiede i n den Auffassungen über das steuerrechtliche Verhältnis zwischen Kapitalgesellschaften und Aktionären bestehen 12 . Andererseits behalte man jedoch auch i n den Ländern, wo die selbständige steuerrechtliche Existenz der Kapitalgesellschaften systematisch i n besonders geringem Maße zutage trete, das System der gesonderten Gewinnberechnung der Kapitalgesellschaften bei und gehe nicht etwa zu dem vielerorts für Personengesellschaften herrschenden System der anteilweisen Besteuerung der Teilhaber über. „Der Grund dazu dürfte primär der praktische sein, daß bei Gesellschaften m i t einem weiten Aktionärkreis eine solche A r t der Besteuerung auf große Schwierigkeiten stoßen würde, besonders i n Fällen einer durch Einspruchsverfahren verzögerten Veranlagung 13 ." Diese Ausführungen werden durch eine aktuelle Betrachtung der Gewinnbesteuerung von Körperschaften i n den westlichen Industriestaaten bestätigt: Wenn auch erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Ausgestaltung i m einzelnen bestehen, sich Struktur und Tarife unterscheiden, so besteht doch i n allen EG-Staaten und auch i n allen EFTAStaaten m i t Ausnahme Portugals eine einheitliche Körperschaftsteuer auf das Gesamteinkommen juristischer Personen 14 . (Lediglich das portugiesische Einkommensteuersystem beruht noch auf einzelnen Schedulensteuern, das heißt objektsteuerartigen Ertragsteuern 15 .) Bei einem internationalen Vergleich der Körperschaftsteuer lassen sich je nach dem Grad der Doppelbelastung sechs Systeme unterscheiden: das sogenannte klassische System mit voller Doppelbelastung i n Italien, Luxemburg, den Niederlanden, der Schweiz und den USA, das System des gespaltenen Steuersatzes wie es bis zur Steuerreform vor allem i n der Bundesrepublik und Österreich bestand, das System der Teilanrech11 12 13 14 15

Vgl. C D D F I X L I X b, H a m b u r g 1964. Vgl. C D D F I X L I X b, H a m b u r g 1964, Generalbericht, S. 10 f. Vgl. Mutén, ebd., S. 12. Herrmann/Heuer, Einf. i n das K S t G , A n m . 22. Herrmann/Heuer, ebd.

80

I I . . Kap. : Die

ung des Grundsatzes der Selbständigkeit

nung der auf Ausschüttungen entfallenden Körperschaftsteuern auf die Einkommensteuer der Anteilseigner, wie es i n Belgien, Frankreich, Großbritannien und Island besteht, eine Kombination von Teilanrechnungssystem mit gespaltenem Steuersatz, wie sie bisher i n Japan bestand und nunmehr auch i n der Bundesrepublik besteht, das System des Abzugs einer „Primärdividende" bis zu bestimmten Höchstsätzen des Nominalkapitals i n Dänemark und Schweden und das System des Vollabzugs der Ausschüttung vom Gewinn i n Norwegen 16 . Auch wenn die einzelnen Steuersysteme sich bezüglich der Behandlung des ausgeschütteten Gewinns erheblich unterscheiden, so w i r d doch nach allen Steuersystemen i n den westlichen Industriestaaten die Körperschaft grundsätzlich als selbständiges Steuersubjekt behandelt und damit die Grundlage geschaffen für eine Behandlung der Körperschaften als selbständige Rechtssubjekte auch bei grenzüberschreitenden Verbindungen i m Außensteuerrecht und i n den D B A 1 7 . Bei den deutschen Überlegungen zur Reform der Körperschaftsteuer wurde dieser Grundsatz der steuerlichen Selbständigkeit von Körperschaften i n Frage gestellt, wurde diskutiert, ob eine selbständige Besteuerung der juristischen Personen, die Ausschüttungen vornehmen, überhaupt gerechtfertigt ist. Erwogen wurde, die Doppelbelastung dadurch zu beseitigen, daß die Körperschaftsteuer ersatzlos abgeschafft wird. Der von den Körperschaften erzielte Gewinn, auch der nicht ausgeschüttete Gewinn, hätte dann den Anteilseignern i m Verhältnis der Beteiligung zugerechnet und der Einkommensteuer unterworfen werden müssen. Das Besteuerungsverfahren für Körperschaften wäre dann das gleiche wie bei Personengesellschaften gewesen 18 . Nach den Vorschlägen zur Einführung einer Teilhabersteuer sollte das Einkommen der Körperschaften einer proportionalen Quellensteuer (Teilhabersteuer) unterworfen werden. Das Einkommen sollte unabhängig davon, inwieweit die erzielten Gewinne von der Gesellschaft ausgeschüttet oder einbehalten werden, i n vollem Umfang nach dem Verhältnis der Beteiligung den Anteilseignern zugerechnet werden. Die Anteilseigner 16 Nach den Angaben i m Gesetzentwurf der Bundesregierung z u m E n t w u r f eines D r i t t e n Steuerreformgesetzes (Einführung des Anrechnungsverfahren) BT-Drucks. 7/1470 S. 333, 334 v o m 9.1.1974; zum Ganzen auch: Mennel, Die Steuersysteme i n EWG-Staaten, E F T A - S t a a t e n u n d den USA, S. 82 ff. 17 Die Körperschaftsteuer steht als ESt. der Kapitalgesellschaften selbständig neben der ESt. der nat. P. — hierzu Halpern C D D F I X L I X b S. 135/141 (Österreich); Lidstone C D D F I X L I X b , S. 153/164 (USA); Lheureux CDDFI X L I X b S. 231/242 (Frankreich); Nest C D D F I X L I X b , S. 260/274 (Italien); Arendt, Hoss C D D F I X L I X b S. 291/304( Luxemburg); Brunt C D D F I X L I X b S. 311/325 (Niederlanden); Crowe C D D F I X L I X b S. 346/355. 18 Vgl. Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Abschnitt I V K ö r p e r schaftsteuer, Rdnr. 101.

1. Abschn. : Das Steuerrecht der verschiedenen Staaten

81

sollten dann m i t diesem Teilhaberertrag zur Einkommensteuer herangezogen werden, bei der die bereits von der Gesellschaft entrichtete Teilhabersteuer anzurechnen gewesen wäre 1 9 . Auch nach diesem Vorschlag wäre der i n der Körperschaft erzielte Gewinn i m Ergebnis stets i n der Höhe belastet worden, die sich durch die Anwendung der persönlichen Einkommensteuersätze der Anteilseigner ergeben hätte. Die Teilhabersteuer wäre lediglich eine Vorauszahlung auf die Einkommensteuer der Aktionäre gewesen. Auch bei dem System der Teilhabersteuer wäre also keine Besteuerung von eine eigene Rechtssubjektivität besitzenden Körperschaften erfolgt, sondern es wäre allein auf die Verhältnisse der Anteilseigner abgestellt und damit allein das Rechtssubjekt Anteilseigner besteuert worden. Beide Möglichkeiten wurden jedoch i m Ergebnis abgelehnt, eine selbständige Körperschaftsteuer beibehalten 20 . Eine unmittelbare Zurechnung nicht ausgeschütteter Gewinne einer juristischen Person bei ihren Anteilseignern hätte nach Ansicht der Steuerreformkommission nicht nur den Gesetzgeber, sondern auch Wirtschaft und Verwaltung vor kaum lösbare Aufgaben, vor „unüberwindbare praktische Schwierigkeiten", gestellt 21 . Auch die Bundesregierung sah die „Beibehaltung einer Körperschaftsteuer für die Einkommenbesteuerung der juristischen Person (als) unerläßlich" an. Die unmittelbare Erfassung der nicht ausgeschütteten Gewinne bei den Anteilseignern würde „einen Durchgriff durch die juristische Person bedeuten und damit einen Eingriff in eine Grundform unserer Rechtsordnung darstellen". Auch zur Wahrung der Wettbewerbsneutralität sei es unerläßlich, „den von einer Körperschaft i m Konzernbereich erwirtschafteten Gewinn, zumindest soweit er i m Unternehmen verbleibt und nicht ausgeschüttet wird, angemessen zu belasten". Dem Grundgedanken der wettbewerbsgerechten Besteuerung müsse i m Prinzip durch eine einheitliche Normbesteuerung Rechnung getragen werden:

19

Gutachten der Steuerreformkommission, ebd., Rdnr. 104 ff. Vgl. hierzu Wohlschlegel F R 1976 S. 243: „Gleich dem geltenden K ö r p e r schaftsteuerrecht behandelt der Reformentwurf die Kapitalgesellschaften als selbständige Steuersubjekte. I h r e Besteuerung w i r d nach w i e v o r v o n der Besteuerung der Anteilseigner streng getrennt." Vgl. auch: Gutachten der Steuerreformkommission, ebd., Rdnr. 111 ff.: B e i m (Teil-)Anrechnungsverfahren k a n n „ i m Gegensatz zur T e i l h a b e r s t e u e r . . . die v o m Unternehmen gezahlte S t e u e r . . . nicht generell als Vorauszahlung auf die Einkommensteuer der Anteilseigner qualifiziert werden. Z u m mindesten ist die Steuer f ü r den v o n der Gesellschaft einbehaltenen G e w i n n als Körperschaftsteuer anzusprechen, da sie — sieht m a n v o m Sonderfall einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln ab — während des Bestehens der Gesellschaft nicht an die persönliche Einkommensteuer der Anteilseigner angepaßt w i r d " . 21 Vgl. i m einzelnen Gutachten der Steuerreformkommission, ebd., Rdnr. 135 ff. 20

6 v. Beckerath

I I . . Kap. : Die

ung des Grundsatzes der Selbständigkeit

„Dabei ist jeweils derjenige als Steuersubjekt heranzuziehen, der im Wettbewerb tätig ist. Das k a n n sowohl eine natürliche als auch eine juristische Person sein, nicht jedoch der Anteilseigner. W e n n dieser auch i m Einzelfall auf die Tätigkeit der juristischen Person Einfluß nehmen kann, so stellt sich doch typischerweise die juristische Person als eigenständiger, i m Wettbewerb tätiger Organismus dar, i m Einzelfall k a n n dessen wirtschaftliches Verhalten sogar i n höherem Maße v o m Management als v o n den einzelnen A n t e i l s eignern bestimmt werden. Das trifft besonders bei den großen P u b l i k u m s gesellschaften zu. Der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität erfordert es deshalb, daß der v o n diesen Gesellschaften i m Wettbewerb erwirtschaftete u n d wieder i n i h m eingesetzte G e w i n n dem gleichen Steuersatz unterliegt w i e der G e w i n n vergleichbar leistungsfähiger natürlicher Personen. D e m gegenüber wäre es m i t dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität nicht zu vereinbaren, diesen i m Unternehmen verbleibenden G e w i n n nach der L e i stungsfähigkeit der einzelnen Anteilseigner zu besteuern." I m ü b r i g e n k ö n n e n i c h t u n b e a c h t e t b l e i b e n , daß sich in allen westlichen Industrieländern, insbesondere auch in den Ländern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die Körperschaftsteuer als Besteuerungsform für Kapitalgesellschaften und andere juristische Personen durchgesetzt habe. W e n n d i e B u n d e s r e g i e r u n g d i e b i s h e r i g e D o p p e l b e l a s t u n g ausgeschütteter G e w i n n e aufgebe, so w o l l e sie h i e r d u r c h n i c h t d i e K ö r p e r schaftsteuer selbst i n F r a g e stellen, s o n d e r n die n a c h t e i l i g e n W i r k u n g e n beseitigen oder z u m i n d e s t abschwächen, d i e v o m S y s t e m d e r B e s t e u e r u n g ausgeschütteter G e w i n n e ausgehe 2 2 . Dieses E r g e b n i s d e r deutschen S t e u e r r e f o r m ü b e r l e g u n g e n i. Z. m i t d e r Tatsache, daß a u c h i n d e n a n d e r e n S t a a t e n das E r g e b n i s d e r R e f o r m Ü b e r l e g u n g e n e i n e E i n f ü h r u n g des A n r e c h n u n g s s y s t e m s , n i c h t e i n e A u f g a b e der K ö r p e r s c h a f t s t e u e r w a r , l ä ß t d e n Schluß zu, daß d e r G r u n d s a t z d e r S e l b s t ä n d i g k e i t n i c h t n u r g e g e n w ä r t i g i n d e n verschiedenen S t e u e r o r d n u n g e n v e r a n k e r t ist, s o n d e r n offensichtlich auch e i n e ausreichende i n n e r e B e r e c h t i g u n g h a t , d i e i h n i n s e i n e m F o r t b e s t a n d gewährleistet23.

22

Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 7/1470 S. 326. Vgl. hierzu vor allem Rasenack (Die Theorie der Körperschaftsteuer), der sehr deutlich an H a n d der historischen E n t w i c k l u n g der Körperschaftsteuer die Berechtigung der Vorstellung v o n einer grundsätzlichen Inkongruenz zwischen Körperschaft u n d Anteilseigner gegenüber den Reformvorstellungen nachweist, die v o n den Vorstellungen der Identitätstheorie getragen werden u n d v o n der Identifizierung der körperschaftlichen Gewinne m i t dem späteren (Dividenden —) E i n k o m m e n der jeweüigen Teilhaber ausgehen; vgl. etwa S. 15: „Sollte m a n demgegenüber nicht v i e l l e i c h t . . . fragen, woher die gegenwärtige Reformdiskussion m i t i h r e m Z i e l der Re-Integration der Körperschaftsteuer i n die Einkommensteuer eigentlich die Überzeugung n i m m t , daß das, w o r a u f die Körperschaftsteuer greift, i m m e r u n d ausschließlich als E i n k o m m e n konkreter natürlicher Personen zu gelten habe? Noch i m m e r vergleicht m a n den A k t i o n ä r einer Publikumsgesellschaft etwa m i t dem Inhaber eines Unternehmens, i n dem der Eigentümer selbst m i t a r b e i t e t " ; vgl. i n diesem Zusammenhang auch Fischer D B 1962 S. 82/84 f. 23

2. Abschn.: Das Außensteuerrecht der Staaten

83

2. Abschnitt: Der Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften im Außensteuerrecht der Staaten 24 A. Die grundsätzliche Anerkennung der Selbständigkeit von Körperschaften auch i m Außensteuerrecht der Staaten

Der -allgemein i n den verschiedenen Steuersystemen zum Ausdruck kommende Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften findet sich entsprechend i m Außensteuerrecht der Staaten. Auch hier ziehen die Staaten, entsprechend dem sich aus dem gesamten Steuersystem ergebenden Gedanken der Selbständigkeit von Körperschaften, auch außensteuerrechtlich 'die Konsequenz. Zum einen halten sie die Doppelbelastung auch bei grenzüberschreitenden Verbindungen aufrecht, zum andern sind sie aber auch bereit, die Konsequenzen aus dem Gedanken der Selbständigkeit von Körperschaften soweit zu ziehen, daß sie den nicht ausgeschütteten Gewinn der ausländischen Körperschaft grundsätzlich nicht als Gewinn der Anteilseigner ansehen, sondern aus ihrer Besteuerung ausklammern. Die Steuerreformkommission hat insoweit festgestellt: „Errichtet ein Inländer eine Kapitalgesellschaft m i t Sitz und Geschäftsleitung i m Ausland, so unterliegt das Einkommen und das Vermögen dieser Kapitalgesellschaft nach den Konventionen des Internationalen Steuerrechts ausschließlich der Besteuerung i m Sitzstaat. Auch das deutsche Steuerrecht respektiert grundsätzlich eine solche Kapitalgesellschaft als ein niur i m Sitzstaat steuerpflichtiges Gebilde 25 ." B. Die besondere Betonung der Selbständigkeit von Körperschaften i m Außensteuerrecht

Körperschaften wenden aber nicht nur i m Außensteuerrecht der Staaten ebenso wie i m nationalen Steuerrecht als selbständig behandelt, der Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften w i r d i m Außensteuerrecht i n verschiedener Beziehung sogar weitaus strenger durchgeführt als i m nationalen Steuerrecht. Ein Beispiel bietet insoweit die Ablehnung der internationalen Organtheorie 26 . Das Internationale Steuerrecht hat es abgelehnt, wirtschaftlich unselbständige Körperschaften als bloßes Organ, als bloße Filiale oder Betriebstätte des M u t terunternehmens zu behandeln. Diese Ablehnung der internationalen Organtheorie ist zum einen ein wichtiges Indiz für das Bestehen eines international anerkannten Grundsatzes der Selbständigkeit und seiner Wirkkraft. Zum andern zeigt sich an Hand der Ablehnung der internationalen Organtheorie, daß hier international die Selbständigkeit i n 24

Vgl. hierzu auch Peter Müller, S. 151 ff. Vgl. Gutachten Steuerreformkommission steuerrecht, Rdnr. 32. 26 Vgl. hierzu Peter Müller, S. 151 ff. 25



1971, Abschnitt V I

Außen-

84

I I . . Kap. : Die

ung des Grundsatzes der Selbständigkeit

diesem Punkt beachtet wird, während national, so auf jeden Fall i m deutschen Steuerrecht, die „Organtheorie" anerkannt ist.

3. Abschnitt: Der Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften in den Modellverträgen Müller hat 'darauf hingewiesen, daß die rechtliche Selbständigkeit von Körperschaften auch i n den verschiedenen Modellverträgen Anerkennung gefunden hat. Bereits i m Modellvertrag von Genua von 1928 wurde die rechtliche Selbständigkeit der Tochtergesellschaft herausgestellt: „ A local subsidiary of a foreign company shall be treated as an indépendant e n t i t y . . . 2 7 ." Ebenso folgten die „London and Mexiko Model Tax Conventions" von 1943 und 1946 dem Grundsatz, daß Tochtergesellschaften eine unabhängige Rechtspersönlichkeit haben u n d steuerlich als solche behandelt werden sollten: „These rules follow the principle that a subsidiary constitutes a distinct legal entity and should therefore be taxed separately 28 ." Der Steuerausschuß der OEEC hat sich dem 1958 i n seinem ersten Bericht angeschlossen29. Dieser Bericht ist dann später i n das Musterabkommen der OECD von 1963 übernommen worden 30 .

4. Abschnitt: Der Grundsatz der Selbständigkeit in den DBA Die Bestimmungen des OECD-Musterabkommens sind zur Grundlage der i n der Folge abgeschlossenen D B A geworden, der i m OECDMusterabkommen niedergelegte Grundsatz der Selbständigkeit entsprechend i n die D B A übernommen worden. A. Die Gleichstellung mit der natürlichen Person bei der Zuweisung des Besteuerungsrechts in den D B A

So stellen die D B A entsprechend dem OECD-Musterabkommen natürliche Personen und Körperschaften bei der Frage der Zuweisung des Besteuerungsrechts gleich. A r t . 7 des OECD-Musterabkommens be27 28 29 30

Peter Müller, S. 144. Peter Müller, S. 145. Peter Müller, S. 145. Vgl. hierzu noch i m einzelnen i m 4. Abschnitt.

. Abschn. : Die

B

85

stimmt, daß Gewinne eines Unternehmens eines Vertragstaates nur i n diesem Staat besteuert werden können, es sei denn, daß das Unternehmen seine Tätigkeit i m anderen Vertragstaat durch eine dort belegene Betriebstätte ausübt. „Unternehmen eines Vertragstaates" aber ist nach A r t . 3 d i. V . m . A r t . 3 b des OECD-Musterabkommens ein Unternehmen, das von einer natürlichen Person, Gesellschaft oder sonstigen Personenvereinigung betrieben wird. Als „Gesellschaften" gelten nach A r t . 3 c OECD-Musterabkommen „juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden". B. Das arm's-length-Prinzip als Ausdruck der Selbständigkeit

Weiterhin enthalten die D B A „ i n folgerichtiger Durchführung des Grundsatzes der Selbständigkeit von Tochtergesellschaften" 81 eine dem A r t . 9 des OECD-Musterabkommens entsprechende Regel, wonach jeder Vertragstaat das Recht hat, das Betriebsergebnis eines Unternehmens m i t steuerlicher Wirkung zu korrigieren, wenn bei verbundenen Unternehmen Bedingungen vereinbart werden, die voneinander (unabhängige Unternehmen nicht vereinbart hätten. Körperschaften haben i h r Betriebsergebnis als i n jeder Hinsicht selbständiges Rechtssubjekt zu ermitteln und zu versteuern 32 . C. Die Ablehnung der internationalen Organtheorie in den D B A

Ferner findet der Grundsatz der Selbständigkeit i n den D B A vor allem seine Bestätigung in der Ablehnung der internationalen Organtheorie 33 . A r t . 5 Abs. 6 OECD-Musterabkommen bestimmt, daß allein dadurch, daß eine i n einem Vertragstaat ansässige Gesellschaft eine Gesellschaft beherrscht oder von einer Gesellschaft beherrscht wird, die i n dem anderen Vertragstaat ansässig ist oder dort ihre Tätigkeit ausübt, nicht eine der beiden Gesellschaften zur Betriebstätte der anderen wird. Nach dem Kommentar zum OECD-Musterabkommen ergibt sich dies „aus dem Grundsatz, daß die Tochtergesellschaft steuerlich ein selbständiger Rechtsträger ist" 3 4 . So w i r d die Tochtergesellschaft i n allen Nachkriegs—DBA als rechtlich selbständiges Unternehmen behandelt 35 . „Die rechtliche Selbständigkeit der ausländischen Tochtergesellschaft w i r d durch die D B A v o l l anerkannt 3 8 ." 31 32 33 34

22). 35

Peter Müller, S. 148. Vgl. Korn/DietzlDebatin, Vorbem. I V G Rdnr. 6. Vgl. hierzu auch Peter Müller, S. 145 if. Vgl. Kommentar zum OECD-Musterabkommen, Vgl. Peter Müller,

S. 148 m. w . N.

zu A r t . 5 Abs. 6 (Anm.

86

I I . . Kap. : Die

ung des Grundsatzes der Selbständigkeit

5. Abschnitt: Die Anerkennung des Grundsatzes der Selbständigkeit auf internationalen Kongressen Die steuerliche Selbständigkeit von ausländischen Tochtergesellschaften wurde auch stets auf den Kongressen der „International Fiscal Association" betont, auf den Jahreskongressen i n K ö l n 1954, Wien 1957, Hamburg 1964 und Lausanne 197387. Die Resolution des IFA-Kongresses von 1964 forderte, die Nichtanerkennung ausländischer Kapitalgesellschaften auf Fälle zu beschränken, i n welchen die wirtschaftliche A n knüpfung zum Wohnsitzstaat der Kapitalgesellschaft lediglich formeller Natur ist 3 8 . I m Generalbericht von 1973 heißt es ausdrücklich, „daß heute die Tochtergesellschaften steuerlich allgemein als selbständige Rechtssubjekte anerkannt werden" 3 9 . Müller weist darauf hin, daß die Resolutionen der I F A zwar nicht denselben völkerrechtlichen Erkenntniswert wie die Ergebnisse internationaler Konferenzen hätten, die I F A aber ein hohes internationales Ansehen genießt und ihre Resolutionen i n den Musterverträgen berücksichtigt werden und so die DBA-Praxis beeinflussen 40 . Danach kann man — zumindest für die westlichen Industriestaaten — von einem allgemein anerkannten, internationalen Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften sprechen.

3e 87 38 89 40

Horst Vogel StbJb. 1962/63 S. 290. Vgl. C D D F I X X V I , X X V I I , X X X I V , X L I X b, L V I I I a. Vgl. Resolution des Kongresses, C D D F I X L I X b, S. 30. Vgl. Ludwig, CDDFI, L V I I I a, Premier sujet, Generalbericht, S. 11. Peter Müller, S. 151.

2. Kapitel

Die Funktionen der Vereelbständigung von Körperschaften im Internationalen Steuerrecht I n der Folge soll nunmehr versucht werden, die Funktionen der Verselbständigung von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht frstzustellen, u m von diesen Funktionen der Verselbständigung her — dem Zweck, der m i t der Verselbständigung verfolgt w i r d — 'die einzelnen Durchgriffsfälle i n ihrer Problematik angemesssen erfassen zu können.

1. Abschnitt: Die durch den Grundsatz der Selbständigkeit bedingte Steuergutverteilung Die Selbständigkeit von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht ist vor allem insoweit von Bedeutung, als sie eine bestimmte Steuergutverteilung zwischen den beteiligten Staaten bedingt. A. Wesentlicher Inhalt

Daß die Verselbständigung von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht eine bestimmte Steuergutverteilung bedingt, w i r d deutlich, wenn man die Besteuerung von Körperschaft und Anteilseigner m i t der Besteuerung einer Personengesellschaft vergleicht u n d hierbei einmal von der, der Selbständigkeit der Körperschaft vergleichbaren Verselbständigung der Betriebstätte absieht: Die Selbständigkeit der Körperschaft bedeutet, daß der von der Körperschaft erzielte Gewinn grundsätzlich (soweit nicht eine Ursprungsbesteuerung der Körperschaft eingreift) ausschließlich i m Sitzstaat der Körperschaft besteuert, i m Land des Anteilseigners nur der an den Anteilseigner ausgeschüttete Gewinn erfaßt w i r d (der außerdem noch i m Land der Körperschaft i n aller Regel einer Kapitalertragsteuer unterworfen wird). Gegenüber der Besteuerung der Personengesellschaften — das Betriebstättenprinzip außer acht gelassen — -bedeutet diese Verselbständigung der Körperschaften vor allem, daß der Sitzstaat des Anteilseigners auf eine Besteuerung des nicht ausgeschütteten Gewinns der Körperschaft verzichtet und nur den an den Anteilseigner ausgeschüttenen Gewinn be-

88

I I . 2. Kap. : Die Funktionen der Verselbständigung

steuert. Für den Sitzstaat der Körperschaft bedeutet die Verselbständigung, daß er nicht nur den Anteilseigner als beschränkt Steuerpflichtigen einer Besteuerung nach dem Ursprungsprinzip unterwerfen kann, sondern die Körperschaft als selbständiges Steuersubjekt i m Rahmen der unbeschränkten Steuerpfiicht heranzieht — und zwar neben der beschränkten Steuerpflicht des Anteilseigners für die an i h n ausgeschütteten Gewinne. Die Besteuerung des Rechtssubjekts „Körperschaft" w i r d dem Sitzstaat der Körperschaft überlassen. B. Der Gedanke des Ursprungsprinzips

Vergleicht man die Verselbständigung der Körperschaft m i t der Möglichkeit, den i n Körperschaftsform erwirtschafteten Gewinn den Anteilseignern zuzurechnen, so erscheint die Verselbständigung der Körperschaft als ein Ausfluß des Ursprungsprinzips. I. Besteuerung im Ursprungsland Durch die Verselbständigung der Körperschaft w i r d erreicht, daß der i n Körperschaftsform erwirtschaftete Gewinn dort besteuert wird, wo er erwirtschaftet worden ist. Demgegenüber würde der Körperschaftsgewinn, sieht man von der Verselbständigung der Betriebstätte ab, ausschließlich i m Sitzstaat der Anteilseigner besteuert, wenn man den Körperschaftsgewinn als Gewinn der Anteilseigner behandelte. IL Parallele zum Betriebstättenprinzip Die Verselbständigung der Körperschaft i m Internationalen Steuerrecht weist insoweit eine enge Verwandtschaft zur Verselbständigung der Betriehstätte auf. Nach dem Betriebstättenprinzip w i r d der Betriebstättengewinn dem Betriebstättenstaat zugewiesen. Der Wohnsitzstaat rechnet entweder die i m Betriebstättenstaat gezahlte Steuer auf die inländische Steuerschuld an — das Ursprungsprinzip w i r d hierbei durch das Wohnsitzprinzip eingeschränkt — oder aber stellt den Betriebstättengewinn völlig von der inländischen Besteuerung frei. Die Fiktion der Selbständigkeit der Betriebstätte soll es ermöglichen, „ i n jedem Staat bestimmungsgemäß den Teil des Gewinns zu versteuern, der nach dem Prinzip der staatswirtschaftlichen Zuständigkeit auf i h n entfällt" 1 . Nach Rädler/Raupach liegt das Wesen des Betriebstättenprinzips darin, daß die gegebene wirtschaftliche Einheit des Gesamtunternehmens zum Zwecke der Abgrenzung konkurrierender Steueransprüche künstlich aufgespalten wird 2 . Es sollen „zur verbesser1 2

Bahr, G e w i n n e r m i t t l u n g ausländischer Zweigbetriebe, S. 81. KornlDietz/Debatin, Vorbem. I V E S. 91.

. Abschn. : Die

u i u n g e

e t e t e i n 8 9

ten Besteuerung der Gewinne internationaler Unternehmen und zur Beseitigung der Mehrfachbesteuerung dieser Gewinne nationale Steuersubjekte und Steuerobjekte gebildet werden" 3 . C. Die Bedeutung der Verselbständigung von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht über den Gedanken des Ursprungsprinzips hinaus

Die Bedeutung der Verselbständigung von Körperschaften geht aber über den Gedanken des Ursprungsprinzips hinaus. Es erfolgt bei der Körperschaft nicht nur eine Verselbständigung bestimmter Einkunftsteile des Unternehmens zum Zweck der Aufteilung der Besteuerungskompetenzen, sondern es w i r d ein selbständiges Steuersubjekt geschaffen, das prinzipiell der natürlichen Person gleichsteht. Der Unterschied zeigt sich deutlich bei einem Vergleich m i t der Verselbständigung der Betriebstätte: Die Verselbständigung der Körperschaft gilt nicht nur für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb, wie die Verselbständigung der Betriebstätte, sondern auch für andere Einkunftsarten. Die Verselbständigung der Körperschaften betrifft außerdem nicht nur den i n dem Sitzstaat der Körperschaft erwirtschafteten Gewinn, sondern erfaßt w i r d der gesamte, dem Steuersubjekt Körperschaft zuzuordnende Gewinn. So w i r d auch der i n anderen Staaten, insbesondere auch der i n dem Wohnsitzstaat der Anteilseigner von der Körperschaft erwirtschaftete Gewinn dieser zugerechnet. Die Körperschaft kann ihrerseits Betriebstätten i n anderen Staaten haben. Als weiterer wesentlicher Punkt ergibt sich: Vermögen und Gewinn der Körperschaft w i r d als nicht identisch m i t dem Vermögen und Gew i n n ihrer Anteilseigner angesehen. Hieraus w i r d zum einen die Folge einer selbständigen Köperschaftsteuer abgeleitet, »die unabhängig von den persönlichen Verhältnissen (Tarif etc.) der Anteilseigner erhoben wird. Außerdem w i r d regelmäßig noch — anders als bei nationalen Beteiligungsverhältnissen, bei denen eine Anrechnung erfolgt — unter Hinweis auf die Steuersubjekteigenschaft der Körperschaft der Gewinn der Körperschaft der Körperschaftsteuer unterworfen und gleichzeitig der an die Anteilseigner ausgeschüttete Gewinn bei diesen als ihr Einkommen zur Besteuerung herangezogen. So unterliegt bei grenzüberschreitenden Beteiligungsverhältnissen der Gewinn der Körperschaft regelmäßig i m Land der Körperschaft einer Körperschaftsteuer. Zusätzlich erhebt der Sitzstaat der Körperschaft von dem an den Anteils3 Baehren, Die Behandlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb i m i n t e r nationalen Steuerrecht, S. 168.

I I . 2. Kap.: Die Funktionen der Verselbständigung

90

eigner ausgeschütteten Gewinn Kapitalertragsteuer. I m Wohnsitzstaat des Anteilseigners w i r d dieser m i t dem an i h n ausgeschütteten Gewinn besteuert.

2. Abschnitt: Die durch die Verselbständigung der Körperschaft bedingte Steuerbelastung Neben der Bedeutung der Verselbständigung der Körperschaft für die Frage der Steuergutverteilung zwischen den beteiligten Staaten hat die steuerliche Verselbständigung der Körperschaft die Bedeutung einer bestimmten Steuerbelastung des i n Körperschaftform erwirtschafteten Gewinns. A. Die Besteuerung der Körperschaft auf dem Steuerniveau ihres Sitzstaates

Wesentlicher Inhalt der Verselbständigung der Körperschaft ist, daß der Gewinn der Körperschaft, solange er nicht an die Anteilseigner ausgeschüttet wird, grundsätzlich nur i n dem Staat besteuert wird, i n dem die Körperschaft ihren Sitz hat. Für Körperschaft u n d Anteilseigner gewährleistet diese Ausklammerung des Gewinns der Körperschaft aus der Besteuerung der Anteilseigner vor allem — insoweit dem Gedanken des Ursprungsprinzips entsprechend —, daß die Körperschaft keiner höheren steuerlichen Belastung unterliegt als ihre i m gleichen Land ansässigen Konkurrenten 4 . Besonders deutlich wurde die Bedeutung dieser gleichen Steuerbelastung auch von der Steuerreformkommission zum Außensteuerrecht herausgestellt. Sie lehnte den Vorschlag einer Minderheit ab, zur Verhinderung der Steuerflucht Erträge aus deutschen Auslandsinvestitionen ohne Ausnahme i n die deutsche Besteuerung einzubeziehen 6 . Die Mehrheit der Steuerreformkommission sah hierin eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft i m Ausland: „Die Kommission lehnt den von der Minderheit vorgeschlagenen vollen Durchgriff auf die von der Auslandsgesellschaft thesaurierten Gewinne ab. Der volle Durchgriff, der auch in keinem anderen Land der westlichen Welt praktiziert wird, würde nach Auffassung der Mehrheit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Ausland entscheidend beeinträchtigen . . . Die deutschen Unternehmen im Ausland müssen unter den Bedingungen des Gastlandes arbeiten. Die dort bestehenden wirtschaftlichen Bedingungen sind oft völlig anders geartet als in der BRD. Es sind andere soziale Verhältnisse, andere Währungs- und Kaufkraftverhältnisse, eine andere Arbeitsmoral, andere Investitionserfordernisse zu berücksichtigen... Es be4

Hierzu Jakobs StuW 1970 S. 598. Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Abschnitt V I Außensteuerrecht, Rdnr. 41 f.; hierzu auch Großfeld, S. 122 f. 5

2. Abschn. : Die

u i u n g e

e t e e e s

91

steht i n vielen Staaten auch ein anderes Verhältnis zwischen direkten u n d indirekten Steuern als i n der BRD. Manche Staaten haben ein niedrigeres Steuerniveau als die BRD, dafür sind dort aber die staatlichen Leistungen nicht so vielfältig. Was der ausländische Staat weniger bietet, muß der B e trieb i m Ausland unter Hinnahme entsprechender Mehrkosten selbst schaffen. Aus diesen Gründen darf nach Auffassung der Kommission ein niedrigeres Steuerniveau nicht isoliert gesehen, es müssen vielmehr die gesamten Verhältnisse des Gastlandes berücksichtigt werden. Greift m a n n u r die der deutschen Einkommensteuer u n d Körperschaftsteuer entsprechenden ausländischen Steuern heraus u n d stockt diese i m Wege einer Inlandsbesteuerung auf die Höhe des deutschen Steuerniveaus auf, so ergibt sich u . U . eine so starke Mehrbelastung einer v o n I n l ä n d e r n beherrschten Auslandsgesellschaft, daß diese sehr b a l d aus dem Wettbewerb ausscheiden muß."

B. Die Doppelbelastung von Körperschaft und Anteilseigner

Zweite wesentliche Wirkung der Verselbständigung der Körperschaft, die Frage der Steuerbelastung des i n Körperschaftsform erwirtschafteten Gewinns betreffend, ist die Doppelbelastung von Körperschaft und Anteilseigner. Gegenüber der Besteuerung der Personengesellschaften unterliegt der ausgeschüttete Körperschaftsgewinn regelmäßig einer Doppelbelastung. Eine Doppelbelastung des ausgeschütteten Gewinns besteht zunächst i n a l l den Fällen, i n denen 'die Staaten bereits von ihrem innerstaatlichen Steuersystem her den ausgeschütteten Gewinn einer Doppelbelastung unterwerfen. Darüber hinaus aber erhalten die Staaten, die bei innerstaatlichen Beziehungen eine Anrechnung der von der Körperschaft auf den ausgeschütteten Gewinn gezahlten Steuern bei der Besteuerung des Anteilseigners zulassen, die Doppelbelastung i m Außenverhältnis aufrecht. Es kommt so zu einer spezifischen Doppelbelastung grenzüberschreitender Beziehungen. C. Die fehlende Möglichkeit einer Verlustverrechnung

Eine weitere Konsequenz aus der Selbständigkeit der Körperschaft ist etwa, daß es dem Anteilseigner regelmäßig verweigert wird, einen von der Körperschaft ausgewiesenen Verlust von seinem eigenen Gewinn abzuziehen. D. Die Besteuerung von i m Verhältnis von Körperschaft und Anteilseigner entstandenem Gewinn

Erhebliche Bedeutung für die Steuerbelastung von Körperschaft und Anteilseigner kann auch der sich aus der Selbständigkeit der Körperschaft ergebenden Konsequenz zukommen, daß Körperschaft und A n teilseigner bei einem Austausch von Leistung und Gegenleistung steuerlich wie voneinander unabhängige Dritte zu behandeln sind. Bei einem Leistungsaustausch von Körperschaft u n d Anteilseigner sind nach dem

92

I I . 2. Kap.: Die Funktionen der Verselbständigung

sogenannten arm's-length-Prinzip Preise anzusetzen, wie sie voneinander unabhängige Dritte vereinbart hätten. Die sich hieraus ergebenden „internen" Gewinne müssen von Körperschaft und Anteilseigner versteuert werden. Es erfolgt also eine Besteuerung, bevor Gewinne durch Leistungsaustausch m i t einem (gegenüber Körperschaft und A n teilseigner) Dritten realisiert worden sind.

3. Kapitel

Die Unterschiede in den Auffassungen der verschiedenen Staaten über die Selbständigkeit von Körperschaften im Internationalen Steuerrecht Man w i r d davon ausgehen können, daß — wenn nicht bei allen Staaten, so doch zumindest bei den westlichen Industrienationen — soweit einheitliche Vorstellungen bestehen, daß man von einem „Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht" sprechen kann, gegenüber idem sich eine Behandlung von Körperschaften als unselbständig als ein „Durchgriff" darstellt. Dieser „Grundsatz der Selbständigkeit" ist jedoch nur ein „Prinzip" für die grundsätzliche Behandlung von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht, das i m einzelnen von den verschiedenen Staaten unterschiedlich konkretisiert wird.

1. Abschnitt: D i e Unterschiede i n den Auffassungen über die als selbständig z u behandelnden „Körperschaften"

A. Die internationale Qualifikation Wenn auch die Staaten übereinstimmend Körperschaften als selbständig behandeln, so bestehen doch darüber, welche Gebilde als „Körperschaften" anzusehen sind, unterschiedliche Auffassungen i n den verschiedenen Staaten. Allerdings beziehen sich dabei die Unterschiede i n den Auffassungen i m wesentlichen nur auf Misch- und Ubergangsformen 1 . Die Selbständigkeit der reinen Kapitalgesellschaften, bei denen die Mitgliedschaft durch eine Vermögenseinlage vermittelt und hieran gebunden w i r d und bei der die persönlichen Beziehungen der Mitglieder „völlig i n den Hintergrund treten", w i r d nicht i n Frage gestellt 2 .

1

Vgl. Peter Müller, S. 136. Peter Müller, S. 136 unter Berufung auf die Ergebnisse der I F A — K o n gresse v o n 1954, 1961 u n d 1964; vgl. auch Großfeld, S. 54. 2

94

I I . 3. Kap. : Die Unterschiede in den Auffassungen der Staaten

I. Die Unterschiede in den Auffassungen und ihre Folgen Während das deutsche Steuerrecht etwa Personengesellschaften wie OHG und K G als Mitunternehmerschaften -behandelt, werden vergleichbare Gebilde i m romanischen Rechtskreis als Körperschaften besteuert 8 (bzw. besteht, wie i n Frankreich, ein entsprechendes Wahlrecht). Diese unterschiedlichen Auffassungen über die als „Körperschaften" zu behandelnden Gebilde führen dazu, daß vergleichbare Gebilde in den einzelnen Staaten steuerlich unterschiedlich behandelt werden. Außerdem sind die Staaten aber — vor allem u m der Gleichbehandlung von inländischen u n d ausländischen Gebilden w i l l e n — i n der Regel (die Niederlande etwa machen hier eine Ausnahme 4 ) nicht bereit, die steuerliche Behandlung des ausländischen Rechts als für das inländische Steuerrecht maßgeblich zu übernehmen m i t der möglichen Folge, daß ein und dasselbe Gebilde von dem einen Staat als „Körperschaft'' behandelt, von dem anderen Staat dieses Gebilde als steuerlich unselbständig angesehen und die Anteilseigner herangezogen werden. Es besteht i m Internationalen Steuerrecht wie auch i m Internationalen Privatrecht keine allgemeine völkerrechtliche Pflicht zur Anerkennung von bestimmten Gebilden als „Körperschaften" 5 . Es folgt eine derartige Verpflichtung zur steuerlichen Anerkennung auch weder für den EG-Bereich aus dem Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften u n d juristischen Personen i n der EG. Wortlaut und Entstehungsgeschichte zeigen, daß bei diesem Abkommen eine Beschränkung auf die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit gewollt war®. Ebenso enthalten auch die D B A allgemein keine Regel, nach der die Staaten verpflichtet wären, die von einem anderen Staat zuerkannte Körperschaftsteuerrechtsfähigkeit als für das inländische Steuerrecht verbindlich zu beachten 7 . Die Staaten bestimmen die Körperschaftsteuerrechtsfähigkeit inländischer und ausländischer Gebilde entsprechend der Regel von der lex fori nach den Merkmalen des inländischen Rechts. Die Folge hiervon kann sein, daß ein und dasselbe Gebilde von dem einen Staat als inländische „Körperschaft" besteuert wird, von dem 3

Großfeld, S. 48 m. w . N. Vgl. hierzu Hintzen DStR 1971 S. 327/331, der darauf hinweist, daß die niederländische L i t e r a t u r w i e auch die niederländische Finanzverwaltung davon ausgeht, daß die Frage, ob eine Gesellschaft Rechtspersönlichkeit hat oder nicht, i n erster L i n i e nach ausländischem Recht zu beurteilen ist (allerdings soll i n gewissen Fällen das niederländische Recht „das letzte W o r t haben"). 6 Vgl. hierzu Klaus Vogel, Verwaltungsrechtsnorm, S. 116. • Vgl. Großfeld, S. 61 f.; a. A . Hintzen DStR 1971 S. 334. 7 Vgl. hierzu noch ausführlich u n t e n Β I I . 4

1. Abschn. : Die als selbständig zu behandelnden Körperschaften

95

anderen Staat dieses Gebilde als steuerlich unselbständig angesehen w i r d und die Anteilseigner herangezogen werden. Der Staat, der das betreffende Gebilde als inländische Körperschaft ansieht, w i r d den von der Körperschaft erwirtschafteten Gewinn der Körperschaftsteuer unterwerfen u n d von dem ausgeschütteten Gewinn einen Kapitalertragsteuerabzug vornehmen. Sieht demgegenüber der Staat, i n dem die „Anteilseigner" ihren Sitz haben, dieses betreffende Gebilde als unselbständig an, so w i r d dieser den angefallenen Gewinn als Gewinn der Anteilseigner besteuern, höchstens unter Abzug des Betriebstättengewinns. Es kommt zu einer durch die unterschiedlichen Auffassungen bedingten steuerlichen Mehrfachbelastung. Umgekehrt ist aber auch der Fall denkbar, daß von einem Staat ein bestimmtes Gebilde als i m Ausland ansässige Körperschaft behandelt und nur der an die inländischen Anteilseigner „ausgeschüttete" Gewinn besteuert wird, der Staat, i n dem das Gebilde seinen Sitz hat, aber davon ausgeht, daß es sich nicht u m eine Körperschaft handelt und deshalb, lediglich soweit eine Betriebstätte besteht u n d dieser der Gewinn zuzurechnen ist, auf den Gewinn zugreift. I n (diesem F a l l käme es zu einer steuerlichen Minderbelastung und damit zu einem allein durch die unterschiedlichen Qualifikation bedingten Wettbewerbsvorteil für die Beteiligten. IL Möglichkeiten

für eine einheitliche Behandlung in der Zukunft

1. Die i n Frage kommenden Möglichkeiten Um eine unterschiedliche Behandlung zu vermeiden, bestehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten: einmal, über eine allgemein anerkannte abstrakte Definition zu einer einheitlichen Handhabung zu gelangen, zum andern idie Möglichkeit, die Entscheidung über die bisher von den Staaten unterschiedlich beantwortete Frage der Qualifikation als „ K ö r perschaft" nach einer generellen Regel einem der beteiligten Staaten zu überlassen, dessen Bestimmung von den anderen Staaten als maßgeblich übernommen wird. a) Nach Wengler ist eine Vermeidung der Qualifikationskonflikte nur durch eine internationale Einigung möglich, „inwieweit das Steuerrecht eines jeden Staates juristische Personen des Privatrechts als Steuersubjekte verwenden oder Juristische Personen des Steuerrechts 4 erzeugen darf" 8 . Rädler/Raupach betonen, daß es gilt, den Gedanken des OECDSteuerausschusses aufzugreifen und i n verstärktem Maße „internationale Definitionen" auszuarbeiten 9 . 8 Wengler, Beiträge zum Problem der internationalen Doppelbesteuerung, S. 108/109. 9 RädlerIRaupach, Auslandsbeziehungen, S. 375.

96

I I . 3. Kap. : Die Unterschiede in den Auffassungen der Staaten

Einer einheitlichen Definition der „Körperschaft" stehen aber von Seiten der Staaten nicht unerhebliche Schwierigkeiten entgegen. Vor allem ist die steuerliche Rechtsfähigkeit regelmäßig an der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit orientiert. Die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit aber ist i n den verschiedenen Staaten recht unterschiedlich traditionell gewachsen. Die steuerliche Selbständigkeit w i r d sich nur schwer u m einer international einheitlichen steuerlichen Selbständigkeit w i l l e n aus der i m Einzelfall bestehenden „Abhängigkeit" von der zivilrechtlichen Ausgestaltung lösen lassen. Selbst wenn man jedoch eine für 'die einzelnen Staaten akzeptable Definition der „Körperschaft" aufstellen könnte, so bliebe das Problem, daß wiederum erhebliche Unterschiede bei der Konkretisierung der Definition zu erwarten wären. b) Diese Schwierigkeiten, die bei der Aufstellung einer einheitlichen, von allen Staaten anzunehmenden Definition bestünden, könnte man vermeiden, wenn die Behandlung eines bestimmten Gebildes als Körperschaft von den anderen Staaten als maßgeblich übernommen würde. I n Frage käme, daß die Staaten, i n denen 'die Anteilseigner ihren Sitz haben, die Bestimmung des Staates als für sich maßgeblich übernehmen, i n dem die Körperschaft ihren steuerlichen Sitz hat oder aber auch, nach dessen Recht sie errichtet worden ist. A u f 'diese Weise wären n u n aber zwar die Schwierigkeiten zu vermeiden, die der Aufstellung einer einheitlichen Definition entgegenstünden. Die Staaten könnten grundsätzlich weiterhin selbst darüber entscheiden, welche Gebilde ihres Rechtskreises bzw. m i t Sitz i n ihrem Staat sie als „Körperschaften" ansehen wollen. Außerdem wäre auch gewährleistet, daß nicht ein u n d dasselbe Gebilde i n dem einen Staat als selbständig /behandelt wird, i n dem anderen als unselbständig. Die Maßgeblichkeit der Bestimmung eines Staates über die Eigenschaft eines bestimmten Gebildes als Körperschaft m i t W i r k u n g für die übrigen -beteiligten Staaten würde jedoch bei den gegebenen unterschiedlichen Auffassungen über die als Körperschaften zu -behandelnden Gebilde zu einer unterschiedlichen Behandlung von Gebilden gleicher wirtschaftlicher Struktur und zu einer Gleichbehandlung von Gebilden m i t unterschiedlicher Struktur führen. Während etwa eine nach inländischem Recht errichtete und i m Inland ansässige Personengesellschaft als Mitunternehmerschaft behandelt würde, müßte eine i m Ausland errichtete und dort ansässige Gesellschaft gleicher Struktur als Körperschaft besteuert werden. Zu einer derartigen Gleich- bzw. Ungleicbbehandkung werden aber nicht n u r die beteiligten Staaten nicht bereit sein. Eine derartige Gleich- bzw. Ungleichbehandlung wäre auch nicht wünschenswert.

1. Abschn. : Die als selbständig zu behandelnden Körperschaften

97

c) Eine einheitliche Handhabung w i r d sich deshalb wohl am ehesten durch eine Kombination aus den angeführten Möglichkeiten erreichen lassen. Zunächst w i r d eine Anpassung der verschiedenen Auffassungen über die als „Körperschaften" zu behandelnden Gebilde notwendig sein, u m damit die Grundlage zu schaffen für die Annahme einer Maßgeblichkeit der Qualifikation des Staates, i n dem die Körperschaft ihren Sitz hat bzw. nach dessen Recht sie errichtet worden ist. Durch diese Annäherung der Auffassungen w i r d man vermeiden können, daß Gebilde von wesentlich unterschiedlicher Struktur nur deswegen gleich behandelt werden, weil sich das inländische Steuerrecht nach dem ausländischen Recht richtet. Eine i n jedem F a l l gleiche Behandlung ein und desselben Gebildes in den verschiedenen Staaten könnte man dann dadurch erreichen, daß man — auf der Grundlage einander angenäherter Auffassungen — die Bestimmung des Staates, i n dem die Körperschaft ihren steuerlichen Sitz hat bzw. nach dessen Recht sie errichtet worden ist, allgemein zugrunde legt. Eine derartige „Definitionskompetenz" wäre auf der Grundlage einer i m wesentlichen einheitlichen Definition für die Staaten der Anteilseigner akzeptabel. 2. Zur Verwirklichung dieser Möglichkeiten Krabbe hat ebenfalls die Möglichkeit angedeutet, „de lege ferenda" die Qualifikation nach der lex fori einzuschränken bzw. aufzugeben und der Körperschaftsteuerrechtsfähigkeit nach ausländischem Recht Rechnung zu tragen. Nach Krabbe sollte diese Rechtsetzung jedoch „wie bisher den D B A überlassen bleiben" 1 0 . Die D B A allein können aber lediglich eine steuerliche Mehrfachbelastung verhindern. Sie können verhindern, daß ein Staat ein bestimmtes Gebilde als Körperschaft besteuert, ein anderer Staat das Gebilde nicht als Körperschaft anerkennt und die Anteilseigner besteuert. Die D B A können aber nicht erreichen, daß auch eine der Qualifikation nach den D B A entsprechende Besteuerung durchgeführt wird. Insoweit bedürfen die D B A i n jedem F a l l der Ergänzung durch entsprechende innerstaatliche Bestimmungen. Erfolgsversprechend erscheint i n diesem Zusammenhang die Anbahnung einer Entwicklung i n der EG. Hier könnte über entsprechende Vereinbarungen eine Umgestaltung des Steuerrechts der verschiedenen 10

Vgl. Krabbe R i W / A W D 1976 S. 135/137.

7 v. Beckerath

98

I I . 3. Kap. : Die Unterschiede in den Auffassungen der Staaten

Staaten erreicht werden. Ansätze i n dieser Richtung sind in den §§ 2 I Z. 5, 6 a K V S t G vorhanden 11 . B. Das „Qualifikationsproblem" i m deutschen Außensteuerrecht

Überwiegend spricht man i m deutschen Außensteuerrecht bei der Frage, wonach sich 'die steuerliche Rechtsfähigkeit von Gebilden ausländischen Rechts beurteilt — welche ausländischen Gebilde also als „Körperschaften" zu behandeln sind —, i n Anlehnung an das Internationale Privatrecht von einem „Qualifikationsproblem" 1 2 : „Es w i r d die Rechtsnatur eines Instituts der ausländischen Rechtsordnung untersucht, u m die für dieses Rechtsinstitut zutreffenden Normen einer anderen, nämlich der inländischen Rechtsordnung zu ermitteln 1 8 ." Großfeld möchte i m Anschluß an Lewald 1 4 „zur leichteren Abgrenzung und präziseren Erfassung i m Bereich innerstaatlicher Sachnormen" den Ausdruck „Substitution" verwenden 15 . I m Unterschied zu dem i m Internationalen Privatrecht bekannten Qualifikationsproblem stünden i m Internationalen Steuerrecht weithin Sachnormen i m Vordergrund gegenüber den Kollisionsnormen des Internationalen Privatrechts. Für den vorliegenden Zusammenhang kommt der Diskussion des Qualifikationsproblems i m deutschen Außensteuerrecht vor allem Bedeutung zu wegen der engen Verbindung zu den Durchgriffsfällen, die Raupach immerhin veranlaßt hat, das Qualifikationsproblem als Durchgriffsproblem aufzufassen. Während es bei dem Qualifikationsproblem u m die Frage geht, inwieweit das deutsche Außensteuerrecht ausländische Gebilde grundsätzlich überhaupt als „Körperschaften" anerkennt, geht es bei den Durchgriffsfällen darum, daß das deutsche Außensteuerrecht die betreffenden Gebilde zwar grundsätzlich als steuerlich selbständig anerkennt, diese Selbständigkeit aber ausnahmsweise durchbricht. I. Die Lösung des Qualifikationsproblems nach deutschem Außensteuerrecht Einigkeit besteht darüber, daß sich die steuerliche Rechtsfähigkeit ausländischer Gebilde i m Inland allein nach den Abgrenzungen des Körperschaftsteuergesetzes richtet, also entscheidend ist, ob das betreffende Gebilde eine Körperschaft i m Sinne der § § 1 - 3 K S t G dar11

Vgl. hierzu auch Großfeld, S. 63 f. F N 107. Vgl. Raupach, Durchgriff, S. 135. 18 Vgl. Kluge, Ertragsteuerliche Zurechnungsprobleme, S. 20 unter r u f u n g auf Klaus Vogel A ö R Bd. 84 S. 63. 14 Nachweise bei Großfeld, S. 62. 15 Großfeld, S. 62. 12

Be-

1. Abschn. : Die als selbständig zu behandelnden Körperschaften

99

stellt 1 6 . A l l e i n die Tatsache, daß das betreffende Gebilde vom Internationalen Privatrecht als selbständig anerkannt w i r d oder daß das Gebilde vom ausländischen Z i v i l - u n d Steuerrecht als selbständig behandelt wird, kann nicht dazu führen, daß dieses Gebilde allein deswegen schon i m inländischen Steuerrecht als selbständig angesehen werden muß. Das inländische Steuerrecht nimmt insoweit gegenüber dem Internationalen Privatrecht, dem ausländischen Z i v i l - und Steuerrecht zumindest eine ebenso freie Stellung ein wie gegenüber dem inländischen Zivilrecht. Die Anerkennung durch das Internationale Privatrecht, die Selbständigkeit nach ausländischem Zivil- oder Steuerrecht ist nicht von vornherein für das inländische Steuerrecht verbindlich 17 . Entscheidend ist allein die Auslegung der § § 1 - 3 KStG. 1. Die i n Literatur u n d Rechtsprechung überwiegend vertretene Ansicht Nach § 1 I K S t G sind i m Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht steuerrechtsfähig: Kapitalgesellschaften, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, sonstige juristische Personen des privaten Rechts, nichtrechtsfähige Anstalten, Stiftungen und andere Zweckvermögen des privaten Rechts sowie Betriebe gewerblicher A r t von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Beschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind nach §2 K S t G „Körperschaften, Personenvereinigungen u n d Vermögensmassen, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz i m Inland haben". a) Aus diesem Wortlaut der §§ 1, 2 K S t G könnte man den Schluß ziehen, daß dem Internationalen Privatrecht entsprechend ausländische juristische Personen auch steuerlich ohne weiteres als rechtsfähig behandelt werden sollen, da § 1 I Z. 4 K S t G ausdrücklich „sonstige juristische Personen des privaten Rechts" als steuerrechtsfähig anführt und § 2 K S t G offensichtlich an die Aufzählung i n § 1 K S t G anknüpft 1 8 . Man könnte i n § 1 I Z. 4 K S t G eine Verweisung auf das ausländische Privatrecht sehen, § 1 I Z. 4 K S t G also lesen als: sonstige juristische Personen (auch) des (ausländischen) privaten Rechts 19 . Es besteht aber auch die Möglichkeit, i n § 1 I Z. 4 K S t G lediglich eine Verweisung auf das deutsche private Recht zu sehen u n d diejenigen Gebilde als körperschaftsteuerrechtsfähig anzusehen, die vom deutschen privaten Recht als 1β

Vgl. Großfeld, S. 47. Z u m Ganzen ausführlich Großfeld, S. 45 if. m i t zahlreichen weiteren Nachweisen. 18 Vgl. Großfeld, S. 49. 19 So w o h l Großfeld, S. 49 (allerdings nicht eindeutig, da Großfeld zugleich v o n einer Verweisung auf das I P R spricht). 17



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I I . 3. Kap. : Die Unterschiede in den Auffassungen der Staaten

juristische Personen angesehen werden 2 0 . Auch diese Lesart führte zum gleichen Ergebnis, da sich nach der sogeniannten Sitztheorie die inländische zivilrechtliche Rechtsfähigkeit ausländischer juristischer Personen nach dem Recht des Staates richtet, i n dem sie ihren tatsächlichen Sitz haben 21 . b) Die ganz überwiegende Ansicht i n der Literatur und auch die Rechtsprechung lehnt jedoch unter Bezugnahme auf die sogenannte „Venezuela-Entscheidung" des RFH 2 2 eine Fixierung auf den Wortlaut des § 1 I Z. 4 K S t G ab 23 . § 1 I Z. 4 K S t G könne als eine „zu weit geratene Gesetzesvorschrift" 24 die Qualifikation nach der lex fori nicht beseitigen 25 . Das entscheidende Argument dagegen, dem Wortlaut des § 1 1 Z. 4 K S t G zu folgen und ausländische juristische Personen ohne weiteres als steuerrechtsfähig anzusehen, sieht man i n der m i t einer derartigen A n knüpfung an die ausländische zivilrechtliche Rechtsfähigkeit drohenden Ungleichbehandlung wirtschaftlich gleicher bzw. Gleichbehandlung wirtschaftlich ungleicher Sachverhalte 26 . So wären etwa auch ausländische Personengesellschaften nach § 1 I Z. 4 K S t G als „sonstige juristische Personen des privaten Rechts" körperschaftsteuerpflichtig, wenn ihnen eine ausländische Rechtsordnung — wie z.B. i m romanischen Rechtskreis — Rechtsfähigkeit verleihe. Es würde trotz i m wesentlichen gleicher Organisationsformen nur wegen der unterschiedlichen Regelung der Rechtsfähigkeit zu einer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Personengesellschaften der verschiedenen Rechtsordnungen kommen 27 . Die überwiegend vertretene Ansicht i n Literatur und Rechtsprechung stellt deshalb nicht auf den Wortlaut der §§ 1, 2 K S t G ab, sondern beantwortet die Frage nach der Steuerrechtsfähigkeit ausländischer Gebilde danach, ob sie einer der i n § 1 K S t G genannten Körperschaften, Personenvereinigungen u n d Vermögensmassen vergleichbar sind. Man spricht entsprechend der Terminologie des Internationalen Privatrechts von einer „Substitution nach der lex fori". Allerdings handle es sich 20 So w o h l Hintzen, der feststellt, die internationalprivatrechtliche A n erkennung bewirke, daß eine „juristische Person des p r i v a t e n Rechts" besteht (vgl. Hintzen DStR 1971 S. 327/333 f.). 21 Vgl. Großfeld, S. 45 f.; Raupach, Durchgriff, S. 137. 22 Vgl. R F H E Bd. 27 S. 73/79. 23 Vgl. Großfeld, S. 48 ff.; Raupach, Durchgriff, S. 135 ££. — jeweils m. w . N.; vgl. auch Kluge, Ertragsteuerliche Zurechnungsprobleme, S. 23. 24 Salditt StuW 1971 S. 194. 25 Kluge, Ertragsteuerliche Zurechnungsprobleme, S. 25. 26 Kluge, ebd., S. 22. 27 Z u m Ganzen v o r allem Raupach, Durchgriff, S. 137; vgl. auch bereits der R F H i n der Venezuela-Entscheidung: R F H E Bd. 27 S. 73/79.

1. Abschn. : Die als selbständig zu behandelnden Körperschaften

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dabei u m eine Substitution unter starker Berücksichtigung der ausländischen Rechtsverhältnisse, u m eine „rechtsvergleichende, funktionelle Substitution" 2 8 . Wenn auch die Qualifikation des ausländischen Rechts nicht ohne weiteres übernommen werde, so sei doch das ausländische Recht bei der Einordnung des jeweiligen Gebildes i n eine der Kategorien des deutschen Rechts als wesentliches Element der Gestaltung zu berücksichtigen 29 . 2. Die Ansicht von Hintzen Von «dieser allgemein i n Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansicht ist Hintzen abgewichen 30 . Nach der Auffassung von Hintzen sind mit dem Begriff „juristische Personen" i n § 1 I Z. 4 K S t G auch ausländische juristischs Personen gemeint. Zwar gelte § 1 I Z. 4 K S t G nur für ausländische juristische Personen, die ihren Sitz i m Inland haben. Für juristische Personen m i t Sitz i m Ausland, für die eine Norm fehle, sei aber die dem § 1 K S t G zugrunde liegende Wertung heranzuziehen, nach der juristische Personen immer körperschaftsteuerpflichtig und nie bei ihren Gesellschaftern einkommensteuerpflichtig sind 81 . Nach Hintzen läßt die i n der Literatur und Rechtsprechung vertretene A n sicht, die auf eine Vergleichbarkeit des ausländischen Gebildes m i t den i n § 1 K S t G aufgeführten inländischen Rechtsformen abstellt, das ausländische Steuerrecht, das ausländische Privatrecht und das Internationale Privatrecht außer Betracht 32 . Hintzen weist zur Begründung seiner Auffassung zunächst auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 24.1.1962 hin. Danach sei davon auszugehen, daß das Steuergesetz einen Begriff, den es aus dem bürgerlichen Recht übernehme, auch grundsätzlich i n diesem Sinne versteht. I n § 1 K S t G habe der Steuergesetzgeber den Begriff „juristische 28

Großfeld, S. 63 m. w . N. Großfeld, S. 63 f.; vgl. auch Wengler, Beiträge zum Problem der i n t e r nationalen Doppelbesteuerung, S. 70 ff. 30 Vgl. Hintzen DStR 1971 S.327; ders. StuW 1971 S.319; vgl. allerdings auch Heining, Besteuerung der Ausländer, S. 18 f. u n d auch Wöhrle, § 7 A n m . I 2, S. 111: „Es ist also nicht Voraussetzung, daß die ausländische Gesellschaft Rechtsfähigkeit besitzt. W i r d diese Frage, die nach den G r u n d sätzen des Internationalen Privatrechts zu beantworten ist ( B F H BStBl. 1968 S. 696) bejaht, dann greift § 1 Abs. 1 Nr. 4 K S t G ein. Bei nicht rechtsfähigen Gebilden k o m m t es darauf an, ob i h r E i n k o m m e n der deutschen Körperschaftsteuer unterliegen würde, oder etwa bei den Gesellschaftern einkommensteuerpflichtig wäre. Das richtet sich ausschließlich nach deutschem Steuerrecht, wobei f ü r die steuerliche Behandlung entscheidend ist, ob die ausländische Gesellschaft... einer i n Deutschland körperschaftssteuerpflichtigen Gesellschaft entspricht." 81 Hintzen DStR 1971 S. 327/331. 32 Hintzen, ebd., S. 327/329. 29

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I I . 3. Kap. : Die Unterschiede in den Auffassungen der Staaten

Person" aus dem bürgerlichen Recht übernommen, er sei daher auch i m bürgerlich-rechtlichen Sinne aufzufassen 83 . Außerdem bestehe die Gefahr, „daß hier durch zweckbestimmt einseitige Rechtsvergleichung ein steuerbarer Tatbestand, §§2 Abs. 2, 15 Nr. 2 EStG, zugunsten des betroffenen Gesellschafters analog angewendet w i r d " . Gegen eine Analogie zuungunsten des Steuerpflichtigen sprächen i m Steuerrecht aber schwerwiegende Bedenken 84 . Ausschlaggebend für eine Anerkennung der i m Ausland körperschaftsteuerpflichtigen ausländischen Personengesellschaft als Körperschaft auch i n Deutschland sollte aber nach Hintzen der Gedanke der Wettbewerbsgerechtigkeit sein. Nach seiner Ansicht sollte die Wettbewerbslage desjenigen Landes zugrunde gelegt werden, i n dem das Unternehmen arbeitet und Gewinne erzielt, nicht die Wettbewerbslage des Wohnsitzstaates der Gesellschafter, i n das die Gewinne fließen. Da zur Wettbewerbslage i n starkem Maße auch A r t u n d Umfang der Besteuerung gehörten, wäre eine Anerkennung der körperschaftsteuerpflichtigen ausländischen Personengesellschaften als Körperschaften wettbewerbsgerecht. I n einem späteren Aufsatz hat Hintzen außerdem auf einen koordinierten Ländererlaß w vom 20.3.1973 hingewiesen, der davon ausgeht, daß spanische Personengesellschaften i n Deutschland als Kapitalgesellschaften zu qualifizieren sind8®. Der Beschluß der Einkommensteuerreferenten des Bundes u n d der Länder, auf dem die Ländererlasse beruhen, beschäftige sich nicht nur erläuternd m i t der steuerlichen Behandlung spanischer Personengesellschaften nach dem deutsch-spanischen Doppelbesteuerungsabkommen, sondern ziehe darüber hinaus allein aus dem Umstand, daß die spanische Personengesellschaft nach spanischem Handelsrecht Kapitalgesellschaft sei und nach spanischem Steuerrecht als solche besteuert werde, den Schluß, daß sie auch außerhalb des Doppelbesteuerungsabkommens nach deutschem Steuerrecht als Kapitalgesellschaft zu behandeln sei 87 . Nach Hintzen kann die Behandlung spanischer Personengesellschaften kein Einzelfall bleiben; ihr müsse vielmehr eine entsprechende Qualifikation französischer, belgischer und sonstiger körperschaftsteuerpflichtiger Personengesellschaften folgen.

83

Hintzen, ebd., S. 327/331. Hintzen, ebd., S. 327/332. 35 Vgl. Erl. Fin. M i n . N R W v o m 20.3.1973 (koord. Ländererlaß) FR 1972 S. 216. 88 Hintzen StuW 1974 S. 319. 37 Vgl. auch Krabbe R i W / A W D 1976 S. 135/136. 84

1. Abschn. : Die als selbständig zu behandelnden Körperschaften

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3. Eigene Stellungnahme Bei dem (unter dem Stichwort „Qualifikationsproblem" i m deutschen Außensteuerrecht diskutierten Problemkreis w i r d man sich zunächst zu vergegenwärtigen haben, daß es hier u m eine Fragestellung ,de lege lata 4 geht. Es geht u m eine Auslegung der § § 1 - 3 KStG, wenn auch durchaus Überlegungen, die für die eine oder die andere Möglichkeit ,de lege ferenda' sprechen, möglicherweise bereits i m Rahmen der Auslegung der bestehenden /gesetzlichen Regelung eine Rolle spielen mögen. a) Einigkeit besteht darüber, daß der Wortlaut des § 1 I Z. 4 K S t G dafür spricht, ausländische juristische Personen des privaten Rechts generell als körperschaftsteuerrechtsfähig anzusehen. aa) Die herrschende Ansicht lehnt es jedoch zu Recht ab, entscheidend auf -diesen Wortlaut des § 1 I Z. 4 K S t G abzustellen. § 1 K S t G zählt nicht nur juristische Personen des privaten Rechts als steuerlich rechtsfähig auf, sondern auch zivilrechtlich nicht rechtsfähige Gebilde. Diese Einbeziehung auch von zivilrechtlich nicht selbständigen Gebilden zeigt, daß es dem Steuerrecht darum geht, bestimmte wirtschaftliche Vorgänge lediglich m i t bürgerlich-rechtlichen Begriffen zu beschreiben. Es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, der bei inländischen Gebilden auf bestimmte wirtschaftliche Vorgänge abzielt, bei ausländischen Gebilden ohne weiteres an die von einem ausländischen Staat verliehene privatrechtliche Rechtsfähigkeit anknüpfen wollte. Eine derartige Anknüpfung auch an die ausländische zivilrechtliche Rechtsfähigkeit wäre nur dann anzunehmen, wenn allein die Eigenschaft als privatrechtliche juristische Person den wirtschaftlichen Sachverhalt so entscheidend prägte, daß von daher schon ein Gebilde, das zivilrechtlich rechtsfähig ist, als ein, den i n § 1 K S t G aufgeführten wirtschaftlichen Vorgängen vergleichbarer Sachverhalt erschiene. bb) Die von Hintzen angeführten Argumente können demgegenüber die Annahme einer dem Wortlaut des § 1 I Z. 4 K S t G entsprechenden Maßgeblichkeit der Rechtsfähigkeit nach ausländischem Privatrecht nicht rechtfertigen. Hintzen stellt auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab, das i n seinem Urteil von 1962 den Gedanken der Einheit der Rechtsordnung für das Verhältnis von Steuerrecht und Zivilrecht betont hatte. Er berücksichtigt dabei nicht die Abschwächung dieses Standpunktes i n späteren Urteilen 8 8 . Außerdem wären selbst auf der Grundlage des Urteils von 1962 sachliche Gründe für ein Abweichen des Steuerrechts vom Privatrecht gegeben 89 . 38

S. 25.

Hierzu Großfeld,

S. 51 ; Kluge,

Ertragsteuerliche Zurechnungsprobleme,

104

I I . 3. Kap. : Die Unterschiede in den Auffassungen der Staaten

Auch die Überlegungen von Hintzen, aus dem Gedanken der Wettbewerbsgerechtigkeit heraus die Beeinflussung der Wettbewerbslage der ausländischen Gesellschaft durch die Besteuerung als Körperschaft zu berücksichtigen, kann die Annahme einer Maßgeblichkeit der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit nicht rechtfertigen. Dieses Argument von Hintzen könnte lediglich dafür sprechen, auf die steuerliche Selbständigkeit nach ausländischem Recht abzustellen 40 . Für eine Maßgeblichkeit des ausländischen Privatrechts kann schließlich auch nicht entscheidend der gemeinsame Ländererlaß betreffend die steuerliche Rechtsfähigkeit spanischer Personengesellschaften herangezogen werden. Abgesehen von der Frage, ob der Ländererlaß auf die privatrechtliche oder die steuerliche Selbständigkeit abstellt, hat Krabbe darauf hingewiesen, -daß i m November 1975 von den Außensteuerreferenten des Bundes und der Länder ein neuer Beschluß gefaßt worden ist, m i t dem klargestellt wird, daß an der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs festgehalten wird. Der Beschluß aus dem Jahre 1972 soll, soweit er diesen Entscheidungen widerspricht, aufgehoben und von den Ländern entsprechende Ländererlasse herausgegeben werden 41 . b) Man w i r d also davon ausgehen müssen, daß der Wortlaut des § 1 I Z. 4 K S t G i n der Tat — wie es die überwiegende Ansicht annimmt — zu weit geraten ist. Die überwiegende Ansicht zieht hieraus den Schluß, daß bei ausländischen Gebilden auf die Vergleichbarkeit m i t den i n § 1 I K S t G aufgeführten inländischen Rechtsformen abzustellen sei. Es fragt sich aber, ob man demgegenüber nicht vielmehr bei ausländischen Gebilden die steuerliche Behandlung 'durch den Staat, i n dem sie errichtet worden ist, als maßgeblich ansehen sollte. aa) Für eine derartige Maßgeblichkeit des ausländischen Rechts spräche, daß auf diese Weise eine einheitliche Qualifizierung durch das ausländische und das inländische Steuerrecht erreicht würde, wie sie i n jedem Fall wohl ,de lege ferenda' anzustreben ist. Es könnten auf diese Weise Qualifikationskonflikte, die i n der Regel m i t einer steuerlichen Mehrfachbelastung für die betreffende „Körperschaft" u n d ihre „ A n teilseigner" verbunden sind, vermieden werden — ein Gesichtspunkt, 39

Vgl. Großfeld, S. 51. Es zeigt sich i m übrigen, daß die verschiedenen v o n Hintzen vorgebrachten Argumente nicht i n eine einheitliche Richtung weisen. Während der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung u n d das Argument, es bestehe die Gefahr einer unzulässigen Analogie, f ü r eine Maßgeblichkeit des ausländischen Privatrechts sprechen, spricht der Gedanke der Wettbewerbsgerechtigkeit f ü r die Maßgeblichkeit der steuerlichen Selbständigkeit, vgl. hierzu auch Großfeld, S. 53 F N 51. 41 Krabbe R i W / A W D 1976 S. 135/136. 40

1. Abschn. : Die als selbständig zu behandelnden Körperschaften

105

dem bei der bisherigen Diskussion viel zu wenig Gewicht 'beigemessen wurde. Außerdem könnte man dem von Hintzen angesprochenen Gedanken einer wettbewerbsgerechten Besteuerung genügen. bb) Dennoch w i r d man aber doch w o h l eine Qualifizierung entsprechend dem ausländischen Steuerrecht ,de lege lata 4 ablehnen müssen, das Problem der entstehenden Qualifikationskonflikte lediglich ,de lege ferenda 4 berücksichtigen können. Eine Qualifikation entsprechend dem ausländischen Steuerrecht führte zu einer Ungleichbehandlung wirtschaftlich gleicher Gebilde. Es käme trotz i m wesentlichen übereinstimmender Organisationsform n u r wegen der unterschiedlichen Regelung der Rechtsfähigkeit zu einer unterschiedlichen Behandlung ausländischer und inländischer Gebilde sowie von Gebilden der verschiedenen ausländischen Staaten. Allerdings wäre dieser Gesichtspunkt, wenn dieser allein gegen die Annahme einer Maßgeblichkeit des ausländischen Steuerrechts spräche, gegen »die Möglichkeit abzuwägen, durch die Annahme einer Maßgeblichkeit des ausländischen Steuerrechts Qualifikationskonflikte zu vermeiden. Immerh i n nimmt der gemeinsame Ländererlaß von 1972, die spanischen Personengesellschaften betreffend, die Ungleichbehandlung i n Kauf und hat sich die Bundesrepublik auch etwa i m D B A m i t Belgien zu einer entsprechenden Berücksichtigung der steuerlichen Selbständigkeit von Personengesellschaften i n Belgien bereit gefunden. Als entscheidend dafür, ,de lege lata' nicht auf die Selbständigkeit nach ausländischem Steuerrecht abzustellen, w i r d man ansehen können, daß sich i n den § § 1 - 3 K S t G ein Anhalt für die Maßgeblichkeit des ausländischen Steuerrechts nicht findet. § 2 K S t G bezeichnet Kapitalgesellschaften und andere juristische Personen des privaten Rechts sowie die i n § 1 I Z. 5, 6 aufgeführten nichtrechtsfähigen Vereine etc. als körperschaftsteuerpflichtig. Ein Hinweis auf die Maßgeblichkeit der vom ausländischen Steuerrecht verliehenen Selbständigkeit findet sich nicht. Nicht -beantworten ließe sich aus den § § 1 - 3 K S t G zudem die Frage, ob die steuerliche Behandlung des ausländischen Gebildes durch den Staat maßgeblich sein soll, dem die betreffende Rechtsform entstammt oder aber des Staates, i n dem das betreffende Gebilde seinen steuerlichen Sitz hat. Auch bedürfte es einer Klärung, ob es auf die generelle Selbständigkeit der betreffenden Rechtsform oder die steuerliche Selbständigkeit der betreffenden Körperschaft ankommen soll. c) Danach bleibt nur die Möglichkeit, entsprechend der überwiegenden Ansicht von Literatur und Rechtsprechung bei ausländischen Gebilden die Vergleichbarkeit mit den von § 1 KStG aufgeführten Rechtsformen entscheidend sein zu lassen.

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I I . 3. Kap. : Die Unterschiede in den Auffassungen der Staaten

aa) Gegen diese Auslegung der § § 1 - 3 K S t G spricht allerdings, daß auf diese Weise Qualifikationskonflikte nicht vermieden werden. bb) Problematisch erscheint außerdem, ob diese Auslegung der § § 1 - 3 K S t G einen ausreichenden Ausdruck i n den gesetzlichen Bestimmungen gefunden hat. Nach Tipke w i r d das Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit ergänzt durch das Prinzip der Tatbestandsbestimmtheit, durch ein prinzipielles Rückwirkungsverbot, durch die Limitierung der Auslegung auf den möglichen Wortsinn verkündeter Gesetze sowie durch das Verbot steuerverschärfender Analogie 4 2 . Nach Papier verlangt die steuerrechtliche Lehre i n Anlehnung an den Satz „nulla poena sine lege scripta vel stricta" (Art. 103 Abs. 2 GG) auch für Steuereingriffe den ausdrücklich — wörtlichen Befehl des Gesetzes u n d lehnt eine analoge Anwendung steuerbegründender und — schärfender Normen ab 43 . Das rechtsstaatliche Bestimmtheitserfordernis für Eingriffsermächtigungen beinhalte den Vertrauensschutz für den Bürger, nur m i t solchen Maßnahmen belastet zu werden, die er aus dem Normtext — i m Rahmen des möglichen Wortsinns — zu entnehmen vermag 44 . (1) Literatur u n d Rechtsprechung sprechen bei der Qualifikationsfrage davon, daß es für die Körperschaftseigenschaft ausländischer Gebilde auf ihre Vergleichbarkeit m i t den von § 1 K S t G aufgeführten inländischen Gebilden ankomme. Wollte man dies dahingehend verstehen, daß es sich bei den ausländischen Gebilden nicht u m Gebilde i. S. des § 1 KStG, sondern nur u m diesen Gebilden vergleichbare Gebilde zu handeln braucht, so ginge diese Auslegung über den möglichen Wortsinn des § 1 K S t G hinaus, eine den Steuerpflichtigen belastende Maßnahme verstieße gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitserfordernis, fiele unter das „steuerrechtliche Analogieverbot". Richtigerweise kann es sich aber bei dem Vergleich der ausländischen Gebilde m i t den von § 1 K S t G aufgezählten inländischen Gebilden nur um einen Vergleich i m Rahmen einer Subsumtion der ausländischen Gebilde unter die von § 1 K S t G verwandten Begriffe handeln 45 . Prüft man, ob ausländische Gebilde sich als „Kapitalgesellschaften", „Erwerbsund Wirtschaftsgenossenschaften", als „nichtrechtsfähiger Verein" darstellen u n d stellt hierbei auf einen Vergleich m i t den unter diesen Be42

Tipke, Steuerrecht, S. 26. Vgl. Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzvorbehalte u n d das grundgesetzliche Demokratieprinzip, S. 172 m . w . N.; zum I n h a l t des Grds. der T a t bestandmäßigkeit vgl. Papier, S. 153 ff. 44 Papier, S. 177 f. 45 Vgl. auch Raupach, Durchgriff, S. 137: „So ist bei der A n w e n d u n g des § 1 Abs. 1 Ziff. 1 K S t G zu prüfen, ob sich juristische Personen, die nach ausländischem Recht errichtet worden sind, unter den Begriff »Kapitalgesellschaft* subsumieren lassen." u n d Großfeld, S. 56. 48

1. Abschn.: Die als selbständig zu behandelnden Körperschaften

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griff zu subsumierenden inländischen Gebilden ab, so können sich i m Hinblick auf eine Begrenzung der Normanwendung auf den Gesetzestext i m Rahmen des möglichen Wortsinns keine Bedenken ergeben. (2) Ein Problem ergibt sich aber aus der Formulierung des § 1 I Z. 4 KStG, der von „sonstigen juristischen Personen des privaten Rechts" spricht. Ein ausländisches Gebilde, das einer inländischen juristischen Person -des privaten Rechts vergleichbar ist, selbst aber keine zivilrechtliche Rechtsfähigkeit hat, läßt sich nicht als „juristische Person des privaten Rechts" auffassen. Eine derartige Auslegung w i r d vom möglichen Wortsinn nicht mehr gedeckt. Man mag es danach u. U. noch für zulässig halten, Gebilde, die den i n § 1 1 Ζ. 1 - 3 K S t G aufgeführten Rechtsformen vergleichbar sind, auch dann als Körperschaften zu besteuern, wenn es sich nicht u m „juristische Personen des privaten Rechts" handelt (obwohl § 1 I Z. 4 K S t G davon ausgeht, daß es sich auch bei den i n § 1 I Z. 1 - 3 aufgeführten Gebilden u m „juristische Personen des privaten Rechts" handelt) 49 . I n jedem F a l l w i r d man aber eine Besteuerung von ausländischen Gebilden für unzulässig halten müssen, die zwar inländischen juristischen Personen des privaten Rechts vergleichbar sind, selbst aber nicht privatrechtlich verselbständigt sind und sich auch weder unter § 1 I Z. 5, 6 K S t G noch unter § 1 I Ζ. 1 - 3 K S t G subsumieren lassen 47 . Das wesentliche Anliegen von Literatur und Rechtsprechung, vor allem die Personengesellschaften des romanischen Rechtskreises nicht als Körperschaften anerkennen zu müssen, ist hiervon zwar nicht betroffen. Es bestehen keine Bedenken, § 1 I Z. 4 K S t G dahingehend einengend auszulegen, daß nur solche juristischen Personen des (ausländischen) „privaten Rechts" als Körperschaften angesehen werden, die „juristischen Personen des (inländischen) privaten Rechts" vergleichbar sind. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung erscheint es aber bedenklich, wenn ausländische „juristische Personen des privaten Rechts" nach inländischem Steuerrecht steuerlich rechtsfähig sein sollen, wenn sie den i m § 1 K S t G aufgeführten Gebilden vergleichbar sind, dagegen ausländische Gebilde, die den i n § 1 K S t G aufgeführten Gebilden vergleichbar sind, aber keine „juristischen Personen des privaten Rechts" darstellen, nicht als Körperschaften anzusehen sein sollen. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung der Frage der Körperschaftsteuerfähigkeit von Gebilden ausländischen Rechts wäre von daher wünschenswert 46

Vgl. hierzu Großfeld, S. 54 ff., 61. A . A . w o h l Großfeld, S. 54 ff., 61, 63 f.; Rädler/Raupach, Auslandsbeziehungen, S. 21 u n d i n jedem F a l l : Bellstedt, Die Besteuerung international verflochtener Gesellschaften, S. 22 f. 47

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II. Die Bedeutung der DBA für das „Qualifikationsproblem" Wenn auch die Körperschaftsteuerrechtsfähigkeit nicht nur von inländischen, sondern auch von ausländischen Gebilden grundsätzlich nach den vom inländischen Steuerrecht aufgestellten Kriterien zu beurteilen ist, so w i r d doch möglicherweise diese Qualifikation nach der lex fori durch bestehende D B A eingeschränkt. 1. Einschränkimg durch die A r t . 3 Abs. 1 c des OECD-Musterabkommens entsprechenden Abkommensbestimmungen Eine Einschränkung könnte sich durch die dem Art. 3 Abs. 1 des OECD-Musterabkommens entsprechenden Abkommensbestimmungen ergeben. Nach A r t . 3 Abs. 1 c (bedeutet der i n dem Abkommen verwandte Ausdruck „Gesellschaft": „juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden". a) Nach Debatin kommt dieser Vorschrift die Bedeutung zu, daß der Vertragspartner auch jenen Gesellschaften, die nach dem Recht des anderen Staates, nicht aber nach eigener Qualifikation rechtsfähig sind, das Recht zuerkennen muß, Abkommensvorteile selbständig geltend zu machen. „Nach dem Sinn und Zweck ist dabei (bei A r t . 3 Abs. 1 c — der Verfasser) das Recht des Vertragstaates gemeint, i n dem das Gebilde subjektmäßig lokalisiert ist. Wenn daher ein ausländischer Vertragstaat die i n seinem Gebiet errichteten Offenen Handelsgesellschaften als selbständige Steuersubjekte behandelt, so ist ihnen von deutscher Seite die Berechtigung zur Geltendmachung der Abkommensvorteile zuzuerkennen, obwohl nach deutschem Recht nicht die Gesellschaft selbst, sondern ihre Gesellschafter steuerpflichtig sind und deshalb die Abkommensberechtigung auch nach diesem zu beurteilen wäre 4 8 ." b) Nach Kluge dagegen muß man sich i n A r t . 3 Abs. 1 c zur K l a r stellung des an sich Gemeinten hinter dem Worte „Besteuerung" denken: . . . „des Vertragstaates, der das Abkommen auf seine Steuern anwendet" 4 9 . So gesehen besage das Abkommen, daß für die Anwendung desselben i m Staate des einen Vertragspartners alle jene Gesellschaften solche i m Sinne des Abkommens sind, die es nach dem internen Recht

48

Debatin A W D 1969 S. 477/481 f. Kluge DStR 1976 S. 365/367; ders., Ertragsteuerliche Zurechnungsprobleme, S. 29 f.; vgl. auch Kaulen, Die ertragsteuerliche Behandlung der Niederlassungen ausländischer Unternehmen nach spanischem Recht unter Berücksichtigung des deutsch-spanischen Doppelbesteuerungsabkommens, S. 24. 49

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dieses Staates sind 50 . Anders wäre nach der Ansicht von Kluge die Regelung i m deutsch-belgischen Abkommen von 1967 nicht zu erklären, i n dem es ausdrücklich und i n Abweichung vom Text des OECD-Musterabkommens i n A r t . 3 Abs. 1 Ziff. 4 heißt: „...bedeutet der Ausdruck »Gesellschaft 4 jede juristische Person oder jeden anderen Rechtsträger, der als solcher m i t seinen E i n k ü n f t e n . . . i n dem Staat, i n dem er ansässig ist, besteuert wird, . . ." 5 1 . Kluge sieht seine Ansicht auch durch den Kommentar zum OECD-Musterabkommen bestätigt, der i n der A n merkung zu A r t . 3 Abs. 1 ausdrücklich „von den Unterschieden zwischen zwei Vertragstaaten bei der Besteuerung von Gewinnen von Personengesellschaften und ähnlichen Personenvereinigungen" spreche und den Vertragspartnern empfehle, »besondere Bestimmungen für ihre zweiseitigen Beziehungen zu vereinbaren 52 . c) Bei näherer Betrachtung erheben sich sowohl gegen die Ansicht von Kluge als auch gegen die Ansicht von Debatin Bedenken. aa) Gegen die Annahme Kluges, daß auch nach den D B A die Qualifikation der unter das Abkommen fallenden Gebilde weiterhin jedem einzelnen Staat unabhängig von der Bestimmung des Vertragspartners überlassen sei, sprechen dabei folgende Überlegungen: Sinn u n d Zweck der D B A ist es, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden. Diesem Ziel entspricht es nicht, wenn man A r t . 3 Abs. 1 c dahin auslegt, daß als „Gesellschaft 44 i. S. des Abkommens dasjenige Gebilde anzusehen ist, das von dem betreffenden Staat als selbständiger Rechtsträger behandelt wird 5 8 . Gegen Kluges Auffassung spricht auch der Kommentar zum OECDMusterabkommen, i n dem es heißt: „Der Ausdruck ,Gesellschaft 4 u m faßt i n erster Linie alle juristischen Personen. Außerdem schließt der Ausdruck auch andere Rechtsträger ein, die nach den Steuergesetzen des Vertragsstaates, i n dem sie errichtet worden sind, wie juristische Personen behandelt werden 54 . 44 Demgegenüber stellt die Tatsache, daß das D B A Deutschland—Belgien eine Bestimmung enthält, die abweichend vom Wortlaut des A r t . 3 Abs. 1 c des OECD-Musterabkommens ausdrücklich bestimmt, daß „Gesellschaft 44 i. S. des Abkommens jede juristische Person oder jeder Rechtsträger ist, der als solcher i n dem Staat, i n dem er ansässig ist, besteuert wird, kein entscheidendes Argument gegen eine entspre60

Kluge DStR 1976 S. 365/367. Vgl. Kluge, Ertragsteuerliche Zurechnungsprobleme, S. 29 f. 62 Vgl. Kluge DStR 1976 S. 365/367. 53 So auch Hintzen StuW 1974 S. 319/324; vgl. auch Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem bei den direkten Steuern, S. 561 f. 54 Vgl. Kommentar zum OECD — Musterabkommen zu A r t . 3 Abs. 1 A n m . 4. 51

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I I . 3. Kap.: Die Unterschiede in den Auffassungen der Staaten

chende Auslegung des A r t . 3 Abs. 1 c des OECD-Musterabkommens dar. Die abweichende Formulierung i m D B A Deutschland—Belgien läßt sich auch als bloße Klarstellung auffassen 55 . Auch dem Hinweis von Kluge auf den Kommentar zum OECDMusteraibkommen zu A r t . 3 Abs. 1 (Anm. 3), der sich m i t den Unterschieden bei der Besteuerung der Gewinne von Personengesellschaften u n d ähnlichen Personenvereinigungen beschäftigt, kann kein entscheidendes Gewicht zukommen. Es ist i n diesem Absatz ausdrücklich die Rede von „Personengesellschaften und ähnlichen Personenvereinigungen", während i n Anm. 4 für „Gesellschaften" gerade die Regelung enthalten ist, welche die Annahme einer Maßgeblichkeit der Qualifikation des Staates, i n dem die Gesellschaft errichtet worden ist, /bekräftigt. bb) Jedoch sprechen auch erhebliche Gründe dafür, zumindest i m Ergebnis doch der Ansicht von Kluge zu folgen, daß es nach A r t . 3 Abs. 1 c den beteiligten Staaten überlassen bleiben soll, welche Gebilde sie als „Gesellschaften" ansehen wollen. Es mag Sinn und Zweck der D B A entsprechen, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, man muß jedoch andererseits sehen, daß die D B A nur einen Schritt i n diese Richtung bedeuten, i n der Regel nur zunächst einmal grundsätzliche Fragen klären wollen, aber nicht m i t dem Anspruch auftreten, die Doppelbesteuerung i n jeglicher Hinsicht zu beseitigen. Bester Ausdruck dieser nicht uneingeschränkten Zielsetzung ist die i n A r t . 3 Abs. 2 OECD-Musterabkommen enthaltene Auslegungsregel: „Bei Anwendung des Abkommens durch einen Vertragstaat hat, wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert, jeder nicht anders definierte Ausdruck die Bedeutung, die i h m nach dem Recht dieses Staates über die Steuern zukommt, welche Gegenstand des Abkommens sind." Von daher erscheint es hier, bei A r t . 3 Abs. 1 c, durchaus als möglich, daß die Vertragsparteien die Bestimmung des Begriffs der „Gesellschaft" den einzelnen Vertragstaaten überlassen wollten. Es bestünde i n diesem F a l l etwa eine Parallele zur Frage der Bestimmung des „Gewinns" i. S. der Abkommen. F ü r die Frage, wie der „Gewinn" i. S. des A r t . 7 OECD-Musterabkommens zu ermitteln ist, 65 So auch KornlDietz/Debatin, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland—Belgien, A r t . 3 A n m . 4: „ A l s Person, auf die das Doppelbesteuerungsabkommen anwendbar ist, güt auch jede Gesellschaft. A r t . 3 Abs. 1 Nr. 4 v e r steht, die entsprechende OECD-Vorschrift wiederholend, darunter i n erster L i n i e alle juristischen Personen, aber auch alle anderen Rechtsträger, die v o n den Steuergesetzen ihres Sitzstaates w i e eine juristische Person behandelt werden."; vgl. auch Debatin A W D 1969 S. 477/482: „Nach dem S i n n u n d Zweck ist dabei (bei A r t . 3 Abs. 1 c — der Verfasser) das Recht des V e r tragstaates gemeint, i n dem das Gebilde subjektmäßig lokalisiert i s t . . . Dieser Zusammenhang veranschaulicht sich besonders deutlich i n den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen m i t Belgien u n d Spanien, die beide Personengesellschaften als eigene Steuersubjekte behandeln."

1. Abschn.: Die als selbständig zu behandelnden Körperschaften

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enthalten die Abkommen einige grundlegende Regeln. I m wesentlichen jedoch ist die Gewinnbestimmung jedem einzelnen Staat überlassen. Damit w i r d aber hier i n gleicher Weise eine Doppelbesteuerung i n Kauf genommen, wie sie einträte, wenn man davon ausgeht, daß die Bestimmung der „Gesellschaft" den jeweiligen Staaten überlassen ist. I m vorliegenden Fall des A r t . 3 Abs. 1 c enthält die Bestimmung des A r t . 3 Abs. 1 c lediglich die Formulierung: „Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden." A r t . 3 Abs. 1 c enthält aber keine Bestimmung darüber, von wem die /betreffenden Gebilde „als Rechtsträger behandelt werden". I m F a l l des Fehlens einer Bestimmung aber gilt grundsätzlich A r t . 3 Abs. 2 OECD-Musterabkommen, wonach ein nicht anders definierter Ausdruck die Bedeutung hat, die i h m der betreffende Staat beilegt. A r t . 3 Abs. 2 enthält insoweit eine klare Absage an eine allein an der grundsätzlichen Zielsetzung der D B A (nämlich der Vermeidung der Doppelbesteuerung) orientierte Auslegung. Schließlich stünde der Annahme, daß nach A r t . 3 Abs. 1 c die Qualifikation nach der lex fori eingeschränkt werden soll, auch entgegen, daß aus A r t . 3 Abs. 1 c nicht zu ersehen ist, ob es auf die Qualifikation des Staates ankommen soll, i n dem die Gesellschaft ihren steuerlichen Sitz hat oder des Staates, nach dessen Recht sie errichtet worden ist. Außerdem bezieht sich der i n A r t . 3 Abs. 1 c enthaltene Satz, „die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden" nur auf „Rechtsträger" nicht auf die „juristische Person". Auch bei der juristischen Person stellt sich aber die Frage, ob die Bestimmung des Sitzstaates bzw. des Staates, i n dem sie errichtet worden ist, maßgeblich sein soll oder die Bestimmung jedem Vertragstaat überlassen sein soll. Schließlich sprechen auch die Folgen für das interne Steuerrecht, die eine derartige Qualifikation hätte und welche die Staaten offensichtlich nicht ziehen wollten, sowie die Versuche, i n den D B A die aus den Qualifikationskonflikten sich ergebenden Folgen zu mildern, «gegen die Annahme, daß durch die Abkommen die Qualifikation nach der lex fori bereits allgemein eingeschränkt werden sollte. Danach ist davon auszugehen, daß die Qualifikation nach der lex fori durch die Art. 3 Abs. 1 c OECD-Musterabkommen entsprechenden Abkommensbestimmungen nicht eingeschränkt wird. 2. Einschränkung durch Bestimmungen i n den einzelnen Abkommen Wenn aber auch die Qualifikation nach der lex fori nicht durch die i n nahezu alle Abkommen übernommene Bestimmung des A r t . 3 Abs. 1 c des OECD-Musterabkommens eingeschränkt wird, so gibt es doch einzelne Abkommen, welche die Qualifikation nach der lex fori generell

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I I . 3. Kap. : Die Unterschiede in den Auffassungen der Staaten

einschränken, andere, welche zumindest i m praktischen Ergebnis i n diese Richtung weisen. Erwähnt wurde bereits das DBA Deutschland—Belgien das i n A r t . 3 Abs. 1 Ziff. 4 die Qualifikation des Staates als maßgeblich bezeichnet, in dem der Rechtsträger ansässig ist. E i n weiteres Beispiel bietet etwa das DBA mit Spanien, i n dem versucht wird, den unterschiedlichen Qualifikationen bei der Einordnung der von den Gesellschaften erzielten Einkünfte Rechnung zu tragen 56 . So umfaßt der i n A r t . 10 Abs. 4 dieses Abkommens verwendete Dividendenbegriff auch „die von einer ,sociedad de personas' an ihre Gesellschafter ausgeschütteten Gewinne" 5 7 .

2. Abschnitt: D i e steuerliche Behandlung des ausgeschütteten Gewinns

Nicht nur die Frage, welche Gebilde i m einzelnen nunmehr als „ K ö r perschaft" behandelt werden sollen, erscheint noch nicht geklärt. Vor allem bedarf auch die Frage der steuerlichen Behandlung des ausgeschütteten Gewinns, ob dieser einer Doppelbelastung unterliegen soll oder nicht, einer Klärung. Durch die fehlende Einigung über die Behandlung des ausgeschütteten Gewinns kommt es gegenwärtig nicht nur zu Belastungsunterschieden zwischen den verschiedenen Staaten; es kommt vor allem auch zu einer Diskriminierung von grenzüberschreitenden Beteiligungsverhältnissen, wenn bei grenzüberschreitenden Beteiligungen eine Milderung oder Aufhebung der steuerlichen Doppelbelastung des ausgeschütteten Gewinns verweigert wird, die bei nationalen Beteiligungen gewährt wird. A. Die unterschiedlichen Steuersysteme und ihre Harmonisierung

I n den einzelnen Staaten finden sich, wie bereits i m 1. Abschnitt dargestellt, verschiedene Steuersysteme, die sich i n der steuerlichen Behandlung des ausgeschütteten Gewinns unterscheiden und danach, wie sie den ausgeschütteten Gewinn behandeln, auch gekennzeichnet werden: das Anrechnungssystem, Abzugssystem, das „klassische" System der Doppelbelastung, das System des gespaltenen Körperschaftsteuersatzes. Diese unterschiedlichen Systeme führen zu Verzerrungen i m Kapitalverkehr u n d laufen dem Gedanken der Neutralität der Wettbewerbsbedingungen zuwider 5 8 . 56 57

Vgl. Kluge, Ertragsteuerliche Zurechnungsprobleme, S. 30. Vgl. Korn/Dietz/Debatin, Doppelbesteuerungsabkommen Spanien.

2. Abschn. : Die steuerliche Behandlung des ausgeschütteten Gewinns

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Die EG bemüht sich deshalb i n besonderem Maße u m eine Harmonisierung der verschiedenen Körperschaftsteuersysteme i n der EG, des klassischen Systems m i t uneingeschränkter Doppelbelastung, des Systems m i t gespaltenem Steuersatz und des Teilanrechnungssystems. Während die EG-Kommission sich 1972 für das „klassische" System entschieden hatte, ist hier Ende 1973 ein Umschwung erfolgt. Die EGKommission hat nunmehr das System der Teilanrechnung empfohlen 59 . Nach Ansicht der Kommission weist das Teilanrechnungssystem Vorteile gegenüber dem klassischen System auf, gewährleistet vor allem die Steuerneutralität für die verschiedenen Formen der Unternehmensfinanzierung und die verschiedenen Rechtsformen der Unternehmen. Außerdem hat das Teilanrechnungssystem nach Ansicht der Kommission „zahlreiche positive Aspekte hinsichtlich der Steuergerechtigkeit" und verleitet Steuerpflichtige m i t hohem Einkommen weniger zur Steuerflucht durch die Gründung fiktiver Gesellschaften 60 . Ob die Bundesrepublik allerdings m i t der am 1.1.1977 i n K r a f t getretenen Körperschaftsteuerreform einen „Beitrag zur Harmonisierung der Körperschaftsteuerstrukturen i n der Europäischen Gemeinschaft" geleistet hat, wie es i n der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung heißt 61 , w i r d w o h l zu Recht von van den Tempel bezweifelt 6 2 . Van den Tempel weist darauf hin, daß sich die Bundesrepublik m i t der Einführung des Anrechnungsverfahrens zwar EG-Staaten wie Frankreich u n d England anschließt, gleichzeitig aber werde die Tarifspaltung zwischen dem Tarif für ausgeschüttete und dem für nichtausgeschüttete Gewinne gehandhabt, m i t der die Bundesrepublik allein i n der EG steht, und die Körperschaftsteuer auf Ausschüttungen völlig aufgegeben — Elemente, die dem deutschen System einen ganz eigenen Charakter geben 63 . B. Die Besteuerung des ausgeschütteten Gewinns bei grenzüberschreitenden Beziehungen

Von besonderem Interesse i m vorliegenden Zusammenhang ist, daß i m Außenverhältnis, bei grenzüberschreitenden Beziehungen, regelmäßig eine Doppelbelastung erfolgt 6 4 . Nur auf Grund von D B A w i r d 58

intertax 1975 S. 201. Vgl. intertax 1975 S. 201; sowie van den Tempel intertax 1974 S. 59 fï. 60 intertax 1975 S. 201. 61 Vgl. BT-Drucks. 7/1470 S. 333. 62 van den Tempel intertax 1974 S. 59/72. 68 van den Tempel, ebd. 64 Vgl. z. B. : Frankreich, Belgien u n d Großbritannien — Klaus Vogel, Der A k t i o n ä r , S. 65 ff., 88 ff. 59

8 v. Beckerath

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I I . 3. Kap. : Die Unterschiede in den Auffassungen der Staaten

eine Anrechnung auch bei ausländischen Anteilseignern zugelassen bzw. soll eine Anrechnung zugelassen werden 66 . I. Die Doppelbelastung im Außenverhältnis, insbesondere am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland Der Umstand, daß i m Außenverhältnis regelmäßig eine Doppelbelastung erfolgt, also auch die Staaten, die bei innerstaatlichen Beziehungen eine Anrechnung der von der Körperschaft auf den ausgeschütteten Gewinn gezahlten Körperschaftsteuer zulassen, i m Außenverhältnis die Doppelbelastung aufrecht erhalten, dieser Umstand könnte zu der Annahme verleiten, daß bei internationalen Beziehungen eine Einheitlichkeit gegeben ist, an der es bei dem Vergleich der nationalen Steuersysteme fehlt. Gerade die Aufrechterhaltung der Doppelbelastung auch durch die Staaten, die dem Anrechnungsverfahren folgen, ist jedoch ein Ausdruck fehlender internationaler Verständigung. Die Doppelbelastung w i r d aufrecht erhalten, w e i l 'die Staaten nicht bereit sind, dem inländischen Anteilseigner die i m Ausland gezahlte Körperschaftsteuer anzurechnen u n d gleichfalls nicht bereit sind, die i m Inland gezahlte Körperschaftsteuer dem ausländischen Anteilseigner zu vergüten. Die EG-Kommission hat hierzu sowohl für das belgische als auch das französische Körperschaftsteuersystem wiederholt darauf hingewiesen, daß insoweit eine diskriminierende W i r k u n g vorliege, die „ m i t der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes und insbesondere der immer vollständigeren Liberalisierung des Kapitalverkehrs und m i t der wünschenswerten Verflechtung der Kapitalmärkte unvereinbar ist" 6 6 . 65 „So gewährt ζ. B. Frankreich, das ein Teilanrechnungsverfahren kennt, deutsòhen Anteilseignern die gleiche Steuererstattung w i e französischen. Ebenso hat Großbritannien jüngst amerikanischen Gesellschaftern dieselbe Rechtsstellung w i e den eigenen eingeräumt u n d auch der deutschen Regierung ein ähnliches Angebot gemacht." (Ulrich i n F A Z v. 4.10.76, Nr. 222, S. 11). ββ Vgl. die Nachweise bei Klaus Vogel, Der A k t i o n ä r , S. 65 ff. F N 183, 186; vgl. v o r allem auch Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, S. 56 ff.: „Es geht hier nicht u m die Frage, ob die Doppel- u n d Mehrfachbelastung der ausgeschütteten Gewinne einer Kapitalgesellschaft dem Postulat der Steuergerechtigkeit genügt oder ob nicht vielmehr alle Unternehmen . . . unabhängig v o n ihrer Rechtsform zu besteuern sind, u m so fiskalische Wettbewerbsbehinderungen auszuschalten. Ich begnüge mich daher m i t der Feststellung, daß die internationale Doppel- u n d Mehrfachbelastung jedenfalls dann als Verstoß gegen die Steuergerechtigkeit zu w e r t e n ist, w e n n das interne Recht bei analogen innerstaatlichen Tatbeständen, d. h. bei W o h n sitz v o n Gesellschaft u n d Gesellschaftern i m selben Staat, eine M i l d e r u n g oder gar eine völlige Vermeidung der wirtschaftlichen Doppel- bzw. Mehr-i fachbelastung ausgeschütteter Unternehmensgewinne vorsieht, bei grenzüberschreitenden Tatbeständen eine entsprechende Entlastung jedoch v e r weigert. Eine höhere Steuerbelastung ausländischer Beteiligungen i m V e r gleich zu inländischen widerspricht dem Gebot der gleichmäßigen Besteuerung."

2. Abschn. : Die steuerliche Behandlung des ausgeschütteten Gewinns

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Nunmehr ist auch die Bundesrepublik m i t der zum 1.1.1977 i n K r a f t getretenen Körperschaftsteuerreform dem belgischen u n d französischen Vorbild gefolgt. Nach § 36 I I Z. 3 EStG w i r d lediglich die von einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft gezahlte Körperschaftsteuer angerechnet. Eine Anrechnung der von einer ausländischen K ö r perschaft gezahlten Körperschaftsteuer erfolgt nicht. Nur i m Ausnahmefall des § 26 I I K S t G ist bei Bestehen einer 25°/oigen Beteiligung die von der Tochtergesellschaft gezahlte Körperschaftsteuer bei der inländischen Muttergesellschaft anzurechnen. Es erfolgt aber nun nicht nur grundsätzlich keine Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer beim inländischen Anteilseigner, umgekehrt w i r d auch dem ausländischen Anteilseigner die von der inländischen Körperschaft gezahlte Steuer nicht „vergütet". Für i h n verbleibt es bei der Körperschaftsteuerbelastung® 7. Die Anrechnung von i m Ausland gezahlter Körperschaftsteuer bei der Besteuerung des inländischen Anteilseigners w i r d m i t der Begründung abgelehnt, es sei dem inländischen Fiskus nicht zumutbar, Steuern, 'die er nicht vereinnahmt habe, anzurechnen bzw. gegebenenfalls sogar zu erstatten. A u f die vom ausländischen Anteilseigner auf den ausgeschütteten Gewinn gezahlte Körperschaftsteuer aber w i l l der inländische Fiskus offensichtlich auch nicht verzichten. Klaus Vogel hat bereits während des Gesetzgebungsverfahrens eingehend die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Behandlung „des ausländischen Aktionärs i n den Gesetzentwürfen zur Körperschaftsteuerreform" dargelegt® 8. Das nunmehr i n K r a f t getretene Körperschaftsteuergesetz hat diese Bedenken i m Hinblick auf A r t . 3 I GG nicht beseitigt: M i t dem Übergang zum „Anrechnungssystem" hat sich der Gesetzgeber insoweit gebunden, als er die grundsätzlich vorgesehene Anrechnungsmöglichkeit lediglich noch für solche Fälle ausschließen darf, für deren Sonderbehandlung er sachlich einleuchtende Gründe vorbringen kann®9. Ob ein derartiger „sachlich einleuchtender Grund" dafür vorliegt, den ausländischen Anteilseignern eine „Anrechnung" der gezahlten Körperschaftsteuer zu verweigern (und gleichzeitig auch bei inländischen Anteilseignern grundsätzlich keine Anrechnung von i m Ausland gezahlten Körperschaftsteuern zuzulassen), erscheint fraglich. A l l e i n die Tatsache, daß es sich u m Ausländer handelt, stellt ebensowenig einen „sachlich einleuchtenden Grund" dar 7 0 , wie allein das 67 Z u den bislang erfolglosen Bemühungen, eine „ E n t d i s k r i m i n i e r u n g " des Anrechnungsverfahrens f ü r Ausländer zu erreichen vgl. F A Z v. 23.9.1977, S. 13. 68 Klaus Vogel, Der ausländische A k t i o n ä r i n den Gesetzentwürfen der Körperschaftsteuerreform. 89 Klaus Vogel, ebd., S. 40. 70 Klaus Vogel, ebd., S. 41.

8*

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I I . 3. Kap. : Die Unterschiede in den Auffassungen der Staaten

fiskalische Interesse an einem möglichst hohen Steuerertrag 71 . A u f den Gesichtspunkt, daß es Angelegenheit des ausländischen Staates sei, die von der inländischen Körperschaft gezahlte Steuer bei der Besteuerung des Anteilseigners zu berücksichtigen, w i r d man sich ebenfalls nicht berufen können, w e i l der inländische Fiskus seinerseits gerade bei inländischen Anteilseignern eine Anrechnung der von der ausländischen Körperschaft gezahlten Steuern i m Grundsatz ablehnt. Aus internationaler Sicht erscheint die Regelung des deutschen K ö r perschaftsteuergesetzes als diskriminierend, i n sich widersprüchlich und als ein Ausdruck fiskalischen Denkens 72 . Der deutsche Fiskus zeigt sich i m neugeschaffenen Körperschaftsteuergesetz weder bereit, beim inländischen Anteilseigner die von der ausländischen Körperschaft gezahlte Körperschaftsteuer anzurechnen noch ist er bereit, dem ausländischen Anteilseigner die von der inländischen Körperschaft gezahlte Körperschaftsteuer zu „vergüten". Die Möglichkeit einer Anrechnung der gezahlten Körperschaftsteuer auch bei grenzüberschreitenden Beteiligungsverhältnissen soll nach den Vorstellungen des deutschen Gesetzgebers erst auf der Grundlage von Abkommensvereinbarungen gewährt werden. Die Bundesregierung ist i n einer Entschließung des Bundestags beauftragt worden, durch Revision bestehender D B A bilaterale Teillösungen zu finden 73. Gegen eine derartige länderindividuelle Lösung durch Aushandeln neuer D B A 7 4 sind aber wohl zu Recht Bedenken erhoben worden. Einerseits befürchtet man, daß 'die Milderung der Steuerbelastung auf Grund von D B A unzureichend sein werde. Es sei anzunehmen, daß „die Verhandlungen der Ministerialbürokratie weniger wirtschaftspolitischen Leitlinien Rechnung tragen, als vielmehr Belastungsrechnungen, die vielleicht recht einseitig sind" 7 5 . Vor allem aber ist höchst fraglich, ob die sowohl i n dem Außensteuerreformgesetz als auch nunmehr i n dem Körperschaftsteuerreformgesetz zum Ausdruck gekommene Einstellung der Bundesrepublik zu begrüßen ist, die van den Tempel vorsichtig m i t den Worten umschrieben hat: „Der deutsche Fiskus w i r d vom Verteidiger zum Angreifer 7 ®." Die Bundesrepublik hat sich m i t der grundsätzlichen Verweigerung der Anrechnung unter Hinweis auf mögliche Abkommensvereinbarungen nicht nur gegenüber Steueroasenländern, sondern auch gegenüber ihren sonstigen Abkommenspartnern ein 71

Klaus Vogel, ebd., S. 43. Z u r diskriminierenden W i r k u n g aus internationaler Sicht vgl. v o r allem Meyer-Arndt StbJb. 1975/76 S. 302/336 m. w . N. 73 Jünger D B 1976 S. 1122/1123; Ulrich F A Z v. 4.10.1976, Nr. 222, S. 11. 74 Ulrich, ebd. 75 Ulrich, ebd. 76 van den Tempel intertax 1974 S. 59/71. 72

2. Abschn. : Die steuerliche Behandlung des ausgeschütteten Gewinns

117

„Druckmittel", eine verstärkte Verhandlungsposition, für Abkommensverhandlungen verschafft. Während die Bundesrepublik bisher eine eher schwache Verhandlungsposition hatte 7 7 , müssen die ausländischen Staaten sich nunmehr u m die Beseitigung der diskriminierenden Auswirkungen der deutschen Körperschaftsteuerreform bemühen. Ob eine derartige Praxis m i t dem Gedanken einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit und der Entscheidung des Grundgesetzes für eine „offene" Staatlichkeit vereinbar ist, sei dahingestellt. Klaus Vogel hat entsprechende Bedenken bereits während der Reformdiskussion angedeutet 78 . Auch die I F A hat sich sehr deutlich dagegen ausgesprochen, aus verhandlungstaktischen Gründen von unilateralen Maßnahmen abzusehen, u m keine einseitigen Vorleistungen für den Abschluß von D B A zu erbringen (sog. „Handelsobjekte") 79 . IL Möglichkeiten

einer zukünftigen

Entwicklung

I n welche Richtung sich die Anrechnung der von der Körperschaft gezahlten Steuer i m Rahmen der Besteuerung des Anteilseigners bei grenzüberschreitenden Verhältnissen entwickeln wird, erscheint zur Zeit offen. Dadurch, daß sich die Kommission der EG prinzipiell für das Anrechnungssystem entschieden hat u n d dieses System den EGStaaten zur Übernahme empfiehlt, kommt dieser Frage aber eine erhöhte Bedeutung zu. Notwendig, u m eine Diskriminierung bei grenzüberschreitenden Beziehungen zu vermeiden, wäre eine Anrechnung der von der Körperschaft gezahlten Körperschaftsteuer bei der Besteuerung des Anteilseigners. Fraglich ist aber, ob das Wohnsitzland des Anteilseigners insoweit auf eigenes Steueraufkommen verzichten müßte (dann müßte die Bundesrepublik etwa die i m Ausland gezahlte Körperschaftsteuer bei der Besteuerung des inländischen Anteilseigners anrechnen, gegebenenfalls erstatten) oder ob der Sitzstaat der Körperschaft den durch die Anrechnung der Körperschaftsteuer beim Anteilseigner entstehenden Steuerausfall tragen müßte (dann müßte ζ. B. die Bundesrepublik die von der inländischen Körperschaft gezahlte Körperschaftsteuer dem ausländischen Anteilseigner „vergüten"). 1. Zur Möglichkeit einer Vergütung der gezahlten Körperschaftsteuer an den ausländischen Anteilseigner Die Vorstellungen gehen zur Zeit w o h l allgemein dahin, daß auf der Grundlage von Abkommensvereinbarungen der Wohnsitzstaat des A n 77

Vgl. van den Tempel ebd. Klaus Vogel, Der A k t i o n ä r i n den Gesetzentwürfen zur Körperschaftsteuerreform, S. 1 ff. 79 I F A C D D F J X L V I S. 230; vgl. auch Spitaler A G 1957 S. 25; Hollatz A G 1965 S. 29/34. 78

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I I . 3. Kap. : Die Unterschiede in den Auffassungen der Staaten

teilseigners die von der Körperschaft gezahlte Körperschaftsteuer anrechnet u n d gegebenenfalls erstattet, der Sitzstaat der Körperschaft aber den Wohnsitzstaat des Anteilseigners für die angerechnete Körperschaftsteuer entschädigt. So gewährt z.B. Frankreich auch deutschen Anteilseignern und gewährt Großbritannien auch amerikanischen A n teilseignern die Möglichkeit der Anrechnung der gezahlten Körperschaftsteuer 80 . Entsprechende Möglichkeiten sollen von deutscher Seite i n den Abkommen vereinbart werden. Auch ein EG-Richtlinienvorschlag geht davon aus, daß die Fiskallasten der Anrechnimg über die Grenze der Staat tragen soll, der die Körperschaftsteuer erhoben hat 8 1 . Diese Möglichkeit zur Anrechnung der gezahlten Körperschaftsteuer auch bei grenzüberschreitenden Verbindungen erscheint jedoch letztlich nicht unproblematisch. a) Zum einen erscheint die technische Abwicklung dieser Anrechnung über die Grenze recht kompliziert. Es müßten besondere Steuergutschriften ausgegeben werden, die man dann zwischen den Staaten bilateral oder über Clearing-Stellen abrechnen müßte. b) Vor allem aber bestehen Bedenken, ob dem Wohnsitzstaat des A n teilseigners die Besteuerung des ausgeschütteten Gewinns überhaupt „zusteht" und es deshalb einer Vergütung durch den Sitzstaat der Körperschaft an den Sitzstaat des Anteilseigners bedarf. Dem Grundgedanken des Anrechnungssystems mag es zwar entsprechen, die auf den ausgeschütteten Gewinn gezahlte Körperschaftsteuer als Vorauszahlung auf die Einkommensteuer des Anteilseigners zu betrachten und die auf den ausgeschütteten Gewinn gezahlte Körperschaftsteuer dem Staat zuzuweisen, dem die Besteuerung des Anteilseigners zusteht. Diese Überlegung spricht aber nicht dagegen, die auf den ausgeschütteten Gewinn gezahlte Steuer dem Staat zuzuweisen, i n dem die Körperschaft ihren Sitz hat. Zwar kann dem Staat, i n dem die Körperschaft ihren Sitz hat, die auf den ausgeschütteten Gewinn gezahlte Steuer, wenn es sich hierbei u m eine Vorauszahlung auf die Einkommensteuer der Anteilseigner handelt, nicht deswegen zustehen, w e i l i h m die Besteuerung des Steuersubjektes „Körperschaft" zusteht. Dem Sitzstaat der Körperschaft kann aber sehr wohl die Steuer auf den ausgeschütteten Gewinn als vom Anteilseigner zu zahlende Steuer zustehen, ebenso wie dem Betriebstättenstaat auch die Betriebstättenbesteuerung zusteht.

80 Vgl. Ulrich F A Z v. 4.11.1976, Nr. 222, S. 11; vgl. auch Horst Vogel, Z u r Steuerreform: Die Körperschaftsteuer (Institut FSt.), S. 69 f. 81 Vgl. hierzu Rath B B 1976 S. 1066/1070.

3. Abschn.: Weitere Unterschiede

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2. Zur Möglichkeit einer Anrechnung von i m Ausland gezahlter Körperschaftsteuer beim inländischen Anteilseigner Es bliebe danach die Möglichkeit, daß der Wohnsitzstaat des Anteilseigners auf eine Besteuerung des ausgeschütteten Gewinns entsprechend der Besteuerung des ausgeschütteten Gewinns i m Sitzstaat der Körperschaft verzichtet. Bei den Beratungen zur Körperschaftsteuerreform i n der Bundesrepublik wurde es zwar entschieden abgelehnt, eine ausländische Steuer, die der inländische Fiskus nicht vereinnahmt hat, anzurechnen und gegebenenfalls sogar zu erstatten. Die Anrechnung einer i m Ausland gezahlten Körperschaftsteuer aber wäre i m Grunde nichts anderes als die Anrechnung einer ausländischen Betriebstättensteuer. Auch hat die Bundesrepublik ihre prinzipielle Bereitschaft zur Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer bei dem Ausnahmetatbestand der indirekten Steueranrechnung (vgl. § 23 I I KStG) grundsätzlich zu erkennen gegeben.

3. Abschnitt: Weitere Unterschiede i n den Auffassungen über die steuerliche Behandlung von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht

Es bestehen nicht nur unterschiedliche Ansichten darüber, welche Gebilde i m einzelnen als Körperschaften angesehen werden sollen und wie der ausgeschüttete Gewinn der Körperschaften besteuert werden soll, es bestehen darüber hinaus auch unterschiedliche Auffassungen beispielsweise über die Frage des Körperschaftsteuertarifs oder die Frage der Gewinnermittlung. Während die Frage des Steuertarifs dem Fragenkreis der allgemeinen Steuerharmonisierung zuzurechnen ist, führen die unterschiedlichen Gewinnermittlungsvorschriften i n den einzelnen Staaten darüber hinaus zu Überschneidungen, zu einer steuerlichen Mehrfachbelastung von Körperschaft und Anteilseigner 82 . Das Problem der unterschiedlichen Gewinnermittlungsvorschriften ist dabei eng verwandt dem Problem der unterschiedlichen Inhaltsbestimmung des Begriffs der „Körperschaft": Ebenso wie bei der Frage, welche ausländischen Gebilde als Körperschaften anzusehen sind, bestimmen die Staaten grundsätzlich nach ihren eigenen, voneinander abweichenden Vorschriften, was sie als Gewinn der Körperschaft bzw. des Anteilseigners ansehen wollen. Steuerliche Mehrfachbelastungen infolge sich überschneidender Gewinnbestimmungen werden dabei regelmäßig auch 82 Z u m Problem der steuerlichen Mehrfachbelastung infolge nicht k o o r d i nierter Gewinnkorrekturen auf der Grundlage des arm's-length-Grundsatzes vgl. noch u n t e n i m 1. K a p i t e l des 3. Teils.

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3. Kap. : Die Unterschiede in den Auffassungen der Staaten

nicht durch die D B A vermieden. I n den D B A w i r d nur von dem „Gew i n n " eines Unternehmens (vgl. A r t . 7 OECD-Musterabkommen) oder „Einkünften" aus unbeweglichem Vermögen (Art. 6 OECD-Musterabkommen) gesprochen 83.

83 Vgl. hierzu auch Bahr (Gewinnermittlung ausländischer Zweigbetriebe, S. 40) zu dem: „ungelösten Problem der E r m i t t l u n g der ,gewerblichen E i n künfte' aus Zweigbetrieben".

4. Kapitel

Die Grundlagen des Grundsatzes der Selbständigkeit von Körperschaften im Internationalen Steuerrecht Entscheidende Bedeutung für die Zulässigkeit des Durchgriffs kommt der Frage zu, w o r i n die Behandlung von Körperschaften als selbständige Steuersubjekte i m Internationalen Steuerrecht seine Grundlage hat 1 . Es fragt sich, ob die Selbständigkeit von Körperschaften möglicherweise allgemeine völkerrechtliche Verbindlichkeit hat. Dies wäre dann der Fall, wenn die Selbständigkeit von Körperschaften auf einem allgemeinen Völkerrechtsgrundsatz oder Völkergewohnheitsrecht i m Sinne der völkerrechtlichen Hechtsquellenlehre beruhte. Andererseits könnte die Behandlung von Körperschaften als selbständige Steuersubjekte aber auch lediglich insoweit für die Staaten verbindlich sein, als D B A eine entsprechende Verbindlichkeit begründen, i m übrigen der Grundsatz der Selbständigkeit seine Grundlage nur i n einer bloßen völkerrechtlichen Übung oder völkerrechtlichen Courtoisie haben. Abhängig von dieser völkerrechtlichen Einordnung w i r d man auch die Frage nach den Grundlagen der Selbständigkeit von Körperschaften i m deutschen innerstaatlichen Recht zu beantworten haben. Handelt es sich u m eine allgemeine Regel des Völkerrechts, so hat diese nach A r t . 25 GG auch innerstaatliche Verbindlichkeit. Hat der Grundsatz der Selbständigkeit keine völkerrechtliche Verbindlichkeit, so beruht er auch innerstaatlich möglicherweise nur auf einfachem Gesetzesrecht.

1. Abschnitt: E i n allgemeiner Rechtsgrundsatz als Grundlage der Selbständigkeit von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht

Die Selbständigkeit von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht könnte auf einem allgemeinen Rechtsgrundsatz i m Sinne der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre beruhen. Die D B A hätten i n diesem Fall, soweit sie den Grundsatz der Selbständigkeit enthalten, nur dekla1 Vgl. hierzu v o r allem auch die Untersuchung v o n Peter Müller zum Bestehen eines völkerrechtlichen Durchgriffsverbots.

(S. 136 ff.)

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I I . 4. Kap. : Die Grundlagen des Grundsatzes der Selbständigkeit

ratorischen Charakter. Innerstaatlich ginge nach deutschem Recht der Grundsatz der Selbständigkeit als allgemeine Regel des Völkerrechts i m Sinne des A r t . 25 GG den Gesetzen vor. Die dem Grundsatz der Selbständigkeit entsprechenden Bestimmungen des Außensteuerrechts wären lediglich eine Ausformung dieses allgemeinen Grundsatzes. Für die Annahme eines derartigen allgemeinen Völkerrechtsgrundsatzes müßten hier folgende Voraussetzungen erfüllt sein 2 : 1. Es muß sich u m Rechtsgedanken handeln, die i n irgendeiner Form i n den einzelstaatlichen Rechtsordnungen i n positiven Rechtssätzen einen Niederschlag gefunden haben 3 . 2. Diese Rechtssätze müssen i n den wichtigsten Kulturstaaten und den wichtigsten Rechtskreisen anerkannt sein 4 . Ihre Existenz muß i n allen oder doch den meisten hauptsächlichen Rechtssystemen der Erde nachgewiesen werden können 5 . 3. Es müssen solche Rechtssätze sein, die wegen ihres tiefer postulierten Rechtswertes, den sie verkörpern, Allgemeingültigkeit beanspruchen und die als notwendige Grundbestandteile einer jeden höher entwickelten Rechtsordnung — also auch der zwischenstaatlichen — zu beachten sind®. Sie müssen einen höheren Rechtswert verkörpern, sich auf die Gerechtigkeitsanschauungen der Völker gründen, als Grundlage des Rechts, als die tieferen, alles Recht überragenden Gerechtigkeitsgedanken 7 . Es muß sich u m „ f ü r die Zivilisation grundlegende Prinzipien" 8 handeln. Prüft man den Grundsatz der Selbständigkeit anhand dieser von der Völkerrechtslehre aufgestellten Voraussetzungen, so erscheint bereits fraglich, ob es sich bei dem Grundsatz der Selbständigkeit u m einen vom innerstaatlichen Recht abgeleiteten Rechtssatz handelt (etwa von dem Grundgedanken der juristischen Person) oder ob nicht vielmehr der spezielle Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht auf Vertrag oder Gewohnheit beruht. 2 Feststellungsmethode nach Härle, Die allgemeinen Entscheidungsgrundlagen des S t I G H , S. 302; vgl. insoweit auch Peter Müller, S. 46 f.; zu der, Fülle verschiedener Definitionen vgl. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, S. 66 ff.; grundlegend auch Spiropoulos, Die allgemeinen Rechtsgrundsätze i m Völkerrecht. 8 Härle, S. 302; Berber, S. 69; dabei können nicht die Rechtssätze des innerstaatlichen Rechts als solche i n das Völkerrecht übernommen werden, sondern n u r v o n solchen Rechtssätzen abgeleitete allgemeine Prinzipien — vgl. Berber, ebd. 4 Härle, S. 302. 5 Berber, S. 69. 6 Härle, S. 302. 7 Härle, S. 91. 8 Ross, Lehrbuch des Völkerrechts, S. 88.

2. Abschn.: Völkergewohnheitsrecht

123

Auch erscheint zweifelhaft, ob man diesen Grundsatz, selbst wenn man i h n auf den allgemeinen Gedanken der juristischen Person zurückführen wollte, i n den hauptsächlichsten Rechtssystemen der Erde (dem angelsächsischen, lateinischen, germanischen, indischen, islamischen Rechtssystem)9 nachweisen könnte. Vor allem aber stellt der Gedanke der Selbständigkeit von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht, nicht einmal der allgemeine Gedanke der juristischen Person, einen „höheren Rechtswert" dar, handelt es sich u m „für die Zivilisation grundlegende Prinzipien" 1 0 . Die steuerliche Selbständigkeit von Körperschaften mag zwar i n den westlichen Industriestaaten allgemein anerkannt sein, auf die „Gerechtigkeitsanschauungen der Völker" kann sich dieser Grundsatz der Selbständigkeit kaum gründen. Selbst die juristische Person ist nicht mehr als „ein Denkgebilde zur Verfolgung bestimmter rechtlicher Zwecke" 1 1 , ein bloßes „Zweckgebilde" 12 . „Rechtsbegriffe wie »juristische Person' (sind) nur Ordnungsbezeichnungen für übereinstimmende Züge sozialer Phänomene. Sie haben weder einen eigenen Wert noch führen sie eine Existenz für sich selbst 18 ."

2. Abschnitt: Völkergewohnheitsrecht als Grundlage der Selbständigkeit von Körperschaften

Z u i m wesentlichen gleichen Ergebnissen, vor allem auch für die rechtliche Einordnung der D B A und der innerstaatlichen Grundlagen wie bei der Annahme eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes käme man bei der Annahme eines entsprechenden Völkergewohnheitsrechts. Eine derartige Annahme von Völkergewohnheitsrecht setzt nach überwiegender Ansicht voraus: 1. eine wiederholte, einheitliche und allgemeine Übung und 2. diese Übung muß m i t der Überzeugung vorgenommen werden, rechtlich zu diesem Verhalten verpflichtet zu sein 14 . 9

Berber, S. 69. So auch Peter Müller, S. 141; vgl. i n diesem Zusammenhang auch Lecheler, Der Europäische Gerichtshof u n d die allgemeinen Rechtsgrundsätze, S. 56 ff. 11 Serick, S. 222. 12 Müller-Freienfels, S. 522/523. 13 Müller-Freienfels, ebd. 14 Berber, S. 43 m . w . N.; Anzüotti, Lehrbuch des Völkerrechts, S. 53; Wengler, Völkerrecht B a n d i , S. 175ff.; Verdroß, Lehrbuch des Völkerrechts, S. 138; vgl. auch Peter Müller, S. 39 f.; n u r einzelne A u t o r e n (Guggenheim, Kelsen) lassen demgegenüber die bloße Übung f ü r die A n n a h m e v o n V ö l k e r gewohnheitsrecht ausreichen — vgl. hierzu Verdroß, ebd.; i n neuerer Zeit 10

124

I I . 4. Kap.: Die Grundlagen des Grundsatzes der Selbständigkeit A. Die gewohnheitsrechtliche Übung

Eine für die Bildung von Völkergewohnheitsrecht ausreichende wiederholte, einheitliche und allgemeine Übung könnte man unter Umständen bei der Frage der grundsätzlichen Behandlung von Körperschaften als selbständige Steuersubjekte bejahen. Es ist zu berücksichtigen, daß die „Übung", u m dem Erfordernis der Allgemeinheit zu genügen, nicht von sämtlichen Staaten gehandhabt werden muß, sondern es ausreicht, wenn es sich u m eine inhaltlich übereinstimmende Praxis „einer Vielzahl oder doch einer Mehrzahl von Staaten" 15 handelt. Es genügt eine „relative Allgemeinheit" 1 6 . Außerdem könnte, sollte die Übung nicht für die Annahme von universalem Völkergewohnheitsrecht ausreichen, doch praktikuläres, regionales Völkergewohnheitsrecht vorliegen 17 . Der Einwand, daß der Grundsatz der Selbständigkeit von K ö r perschaften nur i n den westlichen Industriestaaten, nicht i n Staatshandelsländern oder der Dritten Welt Anerkennung finde, könnte danach der Annahme von Völkergewohnheitsrecht nicht entgegenstehen. B. Die Rechtsüberzeugung

Fraglich erscheint jedoch, ob diese Übung von den Staaten m i t der Überzeugung vorgenommen wird, rechtlich hierzu verpflichtet zu sein 18 . Dann müßte eine Norm vorliegen, „die i n der Überzeugung, daß eine Rechtsnorm befolgt wird, praktisch beobachtet w i r d " 1 9 . I. Die Bedeutung der DBA Gegen die Annahme einer derartigen Rechtsüberzeugung der Staaten könnten die Vereinbarungen i n den D B A sprechen, i n denen sich die Staaten zu einer Behandlung der Körperschaften als gegenüber ihren Anteilseignern selbständigen Rechtssubjekten verpflichten. Die dem Grundsatz der Selbständigkeit entsprechenden Klauseln i n den D B A allerdings kritisch zum Erfordernis der Rechtsüberzeugung: Günther, Z u r Entstehung v o n Völkergewohnheitsrecht, S. 37 ff. 16 So Berber, S. 46. 16 Peter Müller, S. 43 unter Hinweis auf Hagemann. 17 Hierzu Berber, S. 52 ff.; vgl. auch v. Münch, Das völkerrechtliche D e l i k t i n der modernen E n t w i c k l u n g der Völkergemeinschaft, S. 29 ff. (Völkergewohnheitsrecht entsteht heute i. d. R. i n F o r m v o n partikulärem, regionalem Völkerrecht, w e i l die gemeinsame Rechtsüberzeugung zwischen Ostblock, Westblock u n d blockfreien Staaten i. d. R. fehlt) ; hierzu auch Peter Müller, S. 44. 18 Z u r K r i t i k dieses Erfordernisses der Rechtsüberzeugung vgl. Günther, Z u r Entstehung v o n Völkergewohnheitsrecht, S. 37 ff. 19 Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, S. 53; zur Frage der V e r m u t u n g einer entsprechenden Rechtsüberzeugung bei Nachweis gleichartigen V e r haltens der Staaten: Peter Müller, S. 59 f., 170 f.

2. Abschn. : Völkergewohnheitsrecht

125

könnten ein Ausdruck dafür sein, daß die Staaten es für notwendig erachten, entsprechende Verpflichtungen i n den D B A zu begründen, da sie ansonsten derartige Verpflichtungen nicht als gegeben ansehen 20 . Die D B A könnten insoweit für die Verpflichtung, Körperschaften als selbständig zu behandeln, konstitutiver Natur sein. Einen eindeutigen Schluß läßt jedoch die Aufnahme von Klauseln, die eine Selbständigkeit von Körperschaften vorsehen, i n die D B A nicht zu. Man könnte, statt auf das Fehlen von Völkergewohnheitsrecht, umgekehrt vielmehr gerade aus der Vielzahl der DBA, die derartige Klauseln enthalten, auf das Bestehen von Völkergewohnheitsrecht schließen 21 . Infolge der Häufigkeit dieser Klauseln erscheint die Vereinbarung der Selbständigkeit von Körperschaften gerade nicht als Ausnahme, bei der man aus dem Ausnahmecharakter auf die Nichtexistenz gewohnheitsrechtlicher Regeln schließen könnte 2 2 . Es könnte sich vielmehr aus den D B A als „konstituierenden Elementen einer zu Gewohnheitsrecht führenden Staatspraxis" 23 ein den Verpflichtungen i n den D B A entsprechendes allgemeines Rechtsbewußtsein herausgebildet haben, auf Grund dessen die Staaten sich nicht nur, soweit Abkommensbestimmungen bestehen, sondern allgemein verpflichtet fühlen, Körperschaften als selbständig zu behandeln 24 . Bei den D B A — vor allem denen aus neuerer Zeit — könnten die Vertragsparteien sich auch schon ohne Abschluß der Verträge rechtlich verpflichtet gefühlt haben, Körperschaften grundsätzlich als selbständig zu behandeln. Es könnte schon vor Abschluß der Verträge ein entsprechendes Völkergewohnheitsrecht bestanden haben, m i t der Folge, daß Sinn des Abschlusses der D B A (genauer: der Aufnahme entsprechender Bestimmungen i n die DBA) es nur war, „die Gewohnheitsregeln zu präzisieren und zu konkretisieren und sie jedem Bestandszweifel zu entheben" 25 . Hierfür würde u.a. sprechen, daß die Selbständigkeit von Körperschaften i n den D B A eher am Rande erwähnt, denn als ein Punkt, über den besondere Verhandlungen notwendig wären, herausgestellt wird. Die D B A hätten i n diesem Fall lediglich deklaratorischen Charakter. 20 Vgl. hierzu Berber, S. 59; Peter Müller, feld); vgl. auch Croxatto StuW 1964 S. 881 (der behandlungsklauseln i n die D B A , „eher auf einer gewohnheitsrechtlichen N o r m " schließen 21 Vgl. Peter Müller, S. 50 m. w . N. 22 Hierzu Berber, S. 59. 23 Berber, S. 56. 24 Hierzu Berber, S. 60. 25 Peter Müller, S. 50.

S. 49 (unter Hinweis auf Herzaus der Aufnahme der Gleichdas Fehlen als auf Bestehen will.).

126

I I . 4. Kap. : Die Grundlagen des Grundsatzes der Selbständigkeit

IL Die Bedeutung der Durchgriffsfälle Ein gewichtiges Indiz gegen die Annahme einer Rechtsüberzeugung der Staaten kann sich aber aus den Durchgriffsfällen ergeben, die sich i m Außensteuerrecht der verschiedenen Staaten finden 26. Dabei kann jedoch die Tatsache, daß es überhaupt zu Durchgriffen kommt, nicht allein als Indiz gegen die Annahme eines Verpflichtungsbewußtseins der Staaten bei der Beachtung des Grundsatzes der Selbständigkeit von Körperschaften angesehen werden. Die Tatsache, daß die Staaten sich bei dem Durchgriff sehr stark auf Mißbrauchsfälle konzentrieren 27 und von einem uneingeschränkten Durchgriff absehen, könnte vielmehr gerade für die Annahme sprechen, daß die Selbständigkeit der Körperschaften grundsätzlich auf verbindlichem Völkergewohnheitsrecht beruht und lediglich kraft speziellen Völkergewohnheitsrecht zu bestimmten Zwecken ein Durchgriff erlaubt ist 2 8 . Auch die allgemeine Ablehnung der Filialtheorie und die Ablehnung des Durchgriffs nach § 15 Abs. 2 StAnpG a. F. durch die verschiedenen Staaten sowie die gegen die amerikanischen Durchgriffsmaßnahmen betreffend die „Controlled Foreign Corporations" erhobenen Proteste und Bedenken 2 9 könnten für die Annahme einer entsprechenden Rechtsüberzeugung sprechen. Die nicht mißbrauchsorientierten Durchgriffsfälle i m Außensteuerrecht der Staaten, die sich nur schwerlich als Ausnahmen von einem verbindlichen Grundsatz der Selbständigkeit auffassen lassen, aber sprechen dagegen, daß die Staaten sich an den Grundsatz der Selbständigkeit gebunden fühlen 8 0 . Vor allem bei den Fällen des Durchgriffs zugunsten von Körperschaft und Anteilseigner gehen die Staaten offensichtlich nicht von einer völkerrechtlichen Verbindlichkeit des Grundsatzes der Selbständigkeit aus. Obwohl hier eine Abweichung von dem Grundsatz der Selbständigkeit zu einer Wettbewerbsverzerrung führen kann, sehen die Staaten es offenkundig allein als ihre eigene Angelegenheit an, ob sie Körperschaft und Anteilseigner entsprechend dem Grundsatz der Selbständigkeit besteuern oder auf eine dem Grundsatz der Selbständigkeit entsprechende Besteuerung verzichten. I m übrigen fehlte es selbst bei den Durchgriffsvorschriften hinsichtlich der „Controlled Foreign Corporations", i n denen ein Bruch internationaler Grundsätze gesehen und die aufs heftigste bekämpft 26 27 28 29 30

Vgl. Peter Müller, S. 153 ff. Hierzu Peter Müller, S. 153, 161,173. Vgl. Peter Müller, S. 172 f. Hierzu Peter Müller, S. 172. Peter Müller, S. 170 f.

2. Abschn.: Völkergewohnheitsrecht

127

wurden, an offiziellen Protesten der betroffenen Staaten 31 . Die Tatsache, daß diese Durchgriffsgesetzgebung i n dieser Weise von den anderen Staaten hingenommen wurde, stellt zumindest ein weiteres gewichtiges Indiz dafür dar, daß die Staaten diese nicht für völkerrechtswidrig hielten 3 2 , eine Rechtsüberzeugung bezüglich der Verbindlichkeit des Grundsatzes der Selbständigkeit also fehlt. III. Die Betonung der einzelstaatlichen

Steuersouveränität

Außerdem w i r d man zu berücksichtigen haben, daß gerade bei Fragen, welche die Steuersouveränität der Staaten berühren, diese i. d. R. nicht bereit sind, sich über die D B A hinaus rechtlichen Verpflichtungen zu unterwerfen, bei der Annahme eines Verpflichtungsbewußtseins der Staaten also besondere Zurückhaltung angebracht erscheint. Bei der fiskalischen Souveränität handelt es sich u m einen besonders ungern aufgegebenen Teil des nationalstaatlichen Machtbereichs 33 . „Da die F i nanzen i n besonderem Maße den eigentlichen Lebensnerv der Staaten berühren, da i n demokratischen Staaten ihre Ausgestaltung von jeher Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Regierung u n d Volksvertretung war, die zur Festsetzung i n einem jährlichen Haushaltsgesetz führten, steht auch die Eingehung von Bindungen, die sachlich eine Einschränkung der finanziellen Souveränität bedeutet, überall unter strengen Normen 3 4 ." Die Staaten sind nur i n Form von bilateralen Verträgen zum gegenseitigen Nachgeben und zur Einschränkung ihrer Steuersouveränität bereit und gehen beim Abschluß der D B A nicht weiter als zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unbedingt nötig ist. Eine darüber hinausgehende Bindung, etwa i n Form von Völkergewohnheitsrecht, w i r d daher i. d. R. dem Willen der Staaten nicht entsprechen. Eine derartige Bindung würde einen Verzicht auf einen Teil der Steuersouveränität bedeuten. Z u einem derartigen Verzicht sind aber die Staaten schon deswegen nicht bereit, w e i l sie nur durch ein starres Beharren auf ihrer uneingeschränkten Steuerhoheit andere Staaten zum Abschluß von D B A veranlassen können. Jede aufrechterhaltene Position bedeutet hier eine denkbare Gegenleistung für einzuhandelnde Konzessionen 35 .

31

Hierzu Peter Müller, S. 171 m. w . N. Hierzu v o r allem auch Wengler J Z 1965 S. 23 f. 33 Vgl. Mutin C D D F J X L I X b S. 3/28. 34 Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, S. 131. 35 Z u m Ganzen Peter Müller, S. 52 f.; vgl. auch Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung i m Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, S. 45. 32

128

I I . 4. Kap. : Die Grundlagen des Grundsatzes der Selbständigkeit

IV. Weitere Gesichtspunkte gegen die Annahme einer „Rechtsüberzeugung" der Staaten Gegen die Annahme einer Rechtsüberzeugung sprechen i m übrigen auch folgende Überlegungen: 1. Die fehlende Verpflichtung zur Anerkennung ausländischer Körperschaften Es ist allgemein anerkannt, daß eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Anerkennung von nach ausländischem Recht selbständigen Gebilden (Qualifikation nach ausländischem Recht) nicht besteht3®. Die A n nahme einer generellen Verpflichtung, Körperschaften als selbständig zu behandeln, wäre aber kaum damit vereinbar, daß es den Staaten freigestellt sein soll, welche Gebilde sie als „Körperschaften" ansehen wollen. 2. Die freie Wahl des Körperschaftsteuersystems Außerdem gehen die Staaten bei ihren Überlegungen zur Reform der Körperschaftsteuer offensichtlich nicht von einer Bindung an eine Behandlung von Körperschaften als selbständige Steuersubjekte aus. Dies gilt vor allem für die Diskussion u m die Einführung der sogenannten „Teilhabersteuer", m i t deren Einführung der Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften aufgegeben worden wäre. Man w i r d deshalb eine „Rechtsüberzeugung" der Staaten bei der Behandlung von Körperschaften nach dem Grundsatz der Selbständigkeit verneinen müssen. Man w i r d ablehnen müssen, daß die Selbständigkeit der Körperschaften auf Völkergewohnheitsrecht beruht und auch allgemein, daß diesem Grundsatz überhaupt völkerrechtlich allgemeinverbindlicher Charakter zukommt 3 7 . 3. Abschnitt: Völkerrechtliche Ü b u n g u n d Völkervertragsrecht als Grundlagen A. Die völkerrechtlichen Grundlagen

Daß Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht von den Staaten als selbständig behandelt werden, beruht demnach, da weder ein allgemeiner Rechtsgrundsatz noch Völkergewohnheitsrecht vorliegt, nicht 36

Vgl. hierzu oben i m 3. Kapitel. So auch Peter Müller, S. 180 (unter Hinweis auf A l - S h a w i — vgl. F N 338); vgl. auch Raupach EuStZ 1966/67 S. 23; vgl. aber Bellstedt (FR 1972 S. 242/247), der davon ausgeht, daß der sogenannte Betriebstättenvorbehalt eine allgemeine Regel des Völkerrechts sei; ist aber der Betriebstättenvorbehalt eine allgemeine Regel des Völkerrechts, so erst recht die Selbständigkeit der Körperschaft. 37

3. Abschn. : Völkerrechtliche Übung und Völkervertragsrecht

129

auf einer völkerrechtlich allgemein verbindlichen Norm, sondern kann grundsätzlich nur ein völkerrechtlich nicht verbindliches, rein tatsächliches Verhalten der Staaten darstellen, hat eine verbindliche Grundlage höchstens i n entsprechendem Völkervertragsrecht. I. Völkervertragsrecht Lediglich soweit die D B A dem Grundsatz der Selbständigkeit entsprechende Bestimmungen enthalten, besteht i m Einzelfall eine völkerrechtliche Verbindlichkeit zu einem dem Grundsatz der Selbständigkeit entsprechenden Verhalten. Dabei enthalten die D B A jedoch lediglich einzelne Ausprägungen des Grundsatzes der Selbständigkeit. Es werden i n den D B A lediglich dem Grundsatz der Selbständigkeit entsprechende einzelne Vereinbarungen getroffen. Die D B A enthalten also nicht etwa eine Bestimmung, die allgemein eine Geltung des Grundsatzes der Selbständigkeit anordnet. Inwieweit die D B A dabei dem Grundsatz der Selbständigkeit entsprechen, d.h. inwieweit sie eine Behandlung von Körperschaften als selbständig vorschreiben, läßt sich nicht allgemein beantworten, ist vielmehr eine Frage des Einzelfalles, zu deren Beantwortung die D B A der Auslegung bedürfen. IL Rein tatsächliches Verhalten, völkerrechtliche

Übung

Soweit der Grundsatz der Selbständigkeit über die D B A hinaus beachtet wird, kommt dieser Behandlung keine völkerrechtliche Verbindlichkeit zu. Müller spricht i n diesem Zusammenhang bei § 15 Abs. 2 StAnpG von einem Verstoß gegen die „internationale gute Sitte" 3 8 . Mutén erwähnt die Möglichkeit eines schweren Verstoßes gegen den „internationalen guten Ton" 3 9 . Großfeld spricht i m Zusammenhang m i t §§ 7 ff. AStG von „internationaler Courtoisie" 40 oder einem „Gebot des guten Stils" 4 1 . Berber stellt fest: „Liegt nur das objektive, nicht das subjektive Merkmal (für die Annahme von Völkergewohnheitsrecht) vor, so handelt es sich u m eine rechtlich irrelevante Übung, u m Völkersitte, u m Völker courtoisie". Den Gegensatz zu den Regeln des Völkerrechts (allgemeine Rechtsgrundsätze, Völkergewohnheitsrecht, Völkervertragsrecht) bildeten Regeln der „Courtoisie" 4 2 . Dabei handele es sich u m Regeln, die nicht auf einer Rechtsverpflichtung, sondern auf internationa38 39 40 41 42

Peter Müller, S. 180. Mutén C D D F J X L I X b (Hamburg 1964), S. 3/19. Großfeld, S. 183. Großfeld, S. 184. Berber, S. 43.

9 v. Beckerath

130

I I . 4. Kap. : Die Grundlagen des Grundsatzes der Selbständigkeit

1er Sitte, Höflichkeit, Anstand, Takt, Ritterlichkeit, Menschlichkeit beruhten 4 3 . Diese Begriffe „Courtoisie", „internationale gute Sitte", „Gebot des guten Stils" geben jedoch den Charakter der Beachtung des Grundsatzes der Selbständigkeit nur ungenügend wieder. Die Beachtung des Grundsatzes der Selbständigkeit erfolgt durch die Staaten nicht aus Höflichkeit, Anstand, Takt, Ritterlichkeit, Menschlichkeit oder w e i l dies der guten Sitte oder dem guten Stil entspräche. Der Beachtung des Grundsatzes der Selbständigkeit liegt vielmehr ein recht eigennütziges, wirtschaftliches Denken zugrunde. Die Staaten beachten den Grundsatz der Selbständigkeit auf der Grundlage der Gegenseitigkeit, w e i l auch die anderen Staaten den Grundsatz der Selbständigkeit beachten und sich durch dieses aufeinander abgestimmte Verhalten unerwünschte, durch das Übereinandergreifen von konkurrierenden Steuerhoheiten bedingte Mehrfachbelastungen des Wirtschaftsverkehrs vermeiden lassen. Man w i r d deshalb, soweit die Staaten über die D B A hinaus den Grundsatz der Selbständigkeit beachten, eher von einer gegenseitigen, aufeinander bezogenen und inhaltlich übereinstimmenden Übung sprechen können, die ihre „Verpflichtungswirkung" nicht aus einer rechtlichen Verbindlichkeit, sondern allein aus dem Tatsächlichen bezieht. Es liegt hier ein (allerdings nicht verbindlicher) allgemein beachteter „Grundsatz" 4 4 oder ein allgemein beachtetes „Prinzip" 4 5 des Internationalen Steuerrechts vor, i m gleichen Sinne wie dieser Ausdruck verwendet w i r d bei den Begriffen: „Betriebstättenprinzip", „Ursprungsprinzip", „Wohnsitzprinzip" etc., wobei das „Prinzip" oder der „Grundsatz" der Selbständigkeit dem Prinzip der Unselbständigkeit aber nicht i n gleicher Weise gegenübersteht, wie das für Wohnsitz- und Ursprungsprinzip gilt, sondern das „Prinzip" der Selbständigkeit vielmehr allgemein für Körperschaften beachtet wird, es lediglich ausnahmsweise zu Abweichungen (Durchgriffen) kommt. Das Prinzip der Selbständigkeit von Körperschaften ist insoweit am ehesten dem Betriebstättenprinzip vergleichbar.

48

Vgl. insoweit Berber, S. 72. Vgl. so etwa FlicklWassermeyer/Becker, §15 A S t G Rdnr. 3; allerdings nicht i m Sinne v o n „allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts" w o r u n t e r m a n w o h l „alle f ü r die Staaten verbindlichen Rechtsregeln, ganz gleich w e l ches ihre genaue Quelle ist", zu verstehen hat — vgl. hierzu Böckstiegel, Die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts über Eigentumsentziehung, S. 42, 49, 51. 45 Vgl. Bühler, „Prinzipien des Internationalen Steuerrechts". 44

3. Abschn. : Völkerrechtliche Übung und Völkervertragsrecht

131

B. Die innerstaatlichen Grundlagen i m deutschen Redit

Ausgehend von dieser völkerrechtlichen Einordnung sind die Grundlagen zu bestimmen, auf denen der Grundsatz der Selbständigkeit nach innerstaatlichem, deutschem Recht beruht. I. Art. 25 Grundgesetz Der Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften könnte eine allgemeine Regel des Völkerrechts i m Sinne des A r t . 25 GG darstellen. Sollte es sich bei dem Grundsatz der Selbständigkeit innerstaatlich u m eine allgemeine Regel des Völkerrechts i. S. d. A r t . 25 GG handeln, so ginge diese Regel nach A r t . 25 GG den förmlichen und nicht förmlichen Gesetzen des deutschen Rechts vor. Bei Widerspruch m i t einem innerstaatlichen Rechtssatz wäre diese allgemeine Regel maßgebend 46 . Die Folge wäre, daß der Grundsatz der Selbständigkeit auch Durchgriffsnormen i n einfachen, förmlichen Gesetzen vorginge. Ob allerdings i m vorliegenden Fall, i n dem der Grundsatz der Selbständigkeit nicht auf einem allgemein verbindlichen Völkerrechtsgrundsatz oder völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht, sondern nur auf Völkervertragsrecht bzw. einer bloßen tatsächlichen Übung beruht, der Grundsatz der Selbständigkeit unter A r t . 25 GG fällt, ist fraglich. Grundsätze einer Völkermoral, Völkersitte etc. werden nach allgemeiner Ansicht nicht von A r t . 25 GG erfaßt, solange sie sich nicht zu Völker-„Recht" verdichtet haben 47 . Es handelt sich insoweit nicht u m „Regeln" des Völkerrechts. Die bloße Übung, Körperschaften als selbständig zu behandeln, w i r d danach nicht von A r t . 25 GG verfassungsrechtlich m i t Gesetzesvorrang inkorporiert 4 8 . Möglicherweise könnte dem Grundsatz der Selbständigkeit von K ö r perschaften auf Grund entsprechender Bestimmungen in den DBA aber nach A r t . 25 GG ein Vorrang vor sonstigem innerstaatlichem Recht zukommen. Stellungnahmen i n der Literatur zum Verhältnis von Ver46 D a r i n ist m a n sich einig. S t r i t t i g ist nur, ob die Regeln des Völkerrechts nach A r t . 25 G G Verfassungsrang (Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, S. 173/183), Überverfassungsrang (Pigorsch, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, S. 55/59) oder aber „zwar nicht Verfassungsrang h a b e n . . . , daß sie aber doch nicht gleichrangig neben anderen förmlichen Gesetzen u n d nicht förmlichen Rechtssätzen des deutschen Rechts stehen, sondern ihnen m i t gewissen W i r k u n g e n v o r gehen" (Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 25 A n m . 25). 47 MaunzlDürigIHerzog, A r t . 25 A n m . 14 m. w . N. 48 D a m i t zeigt sich v o r allem bei der innerstaatlichen Seite die eigentliche Bedeutung der Frage, ob hier Völkergewohnheitsrecht oder eine bloße Ü b u n g vorliegt; zu diesem Unterschied vgl. noch i m 1. K a p i t e l des 3. Teils.

9*

132

I I . 4. Kap. : Die Grundlagen des Grundsatzes der Selbständigkeit

tragsrecht und allgemeinen Regeln des Völkerrechts i m Sinne des A r t . 25 GG wie: daß „außer i m völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht »allgemeine Regeln' des Völkerrechts auch i m völkerrechtlichen rechtsgeschäftlichen und rechtsetzenden Vertragsrecht begründet sein können" 4 9 oder: daß „völkergewohnheitsrechtliche Regeln als allgemeine Regeln die bei weitem größte Bedeutung hätten, aber auch Staatsvertragsrecht von den ,allgemeinen 4 Regeln nicht von vornherein ausgeschlossen sei", lassen Zweifel aufkommen, ob nicht trotz Fehlens eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes und von Völkergewohnheitsrecht hier der Grundsatz der Selbständigkeit möglicherweise auf einer allgemeinen Regel des Völkerrechts i m Sinne des A r t . 25 GG beruht. I n Literatur und Rechtsprechung ist unter Hinweis auf den Satz ,pacta sunt servanda' vertreten worden, daß A r t . 25 GG auch das Vertragsrecht einbezieht. Dadurch, daß der Satz ,pacta sunt servanda* gem. A r t . 25 GG Bestandteil des Bundesrechts sei, werde auch das Vertragsrecht zum Gegenstand des A r t . 25 GG und gehe soweit dem innerstaatlichen Recht vor 5 0 . Eine Einbeziehung auch des Vertragsrechts i n den Geltungsbereich des A r t . 25 GG auf Grund des Satzes ,pacta sunt servanda 4 w i r d man jedoch ablehnen müssen. Folge einer derartigen Annahme wäre, daß das Individuum, das nach A r t . 25 Satz 2 GG zum Inhaber völkerrechtlicher Ansprüche erklärt wird, instandgesetzt würde, die Einhaltung und Durchführung auch solcher Vertragsbestimmungen zu fordern, die bei Übernahme n u r durch das Zustimmungsgesetz keine Individualrechte begründet hätten 5 1 . Nicht nur, daß ein derartiges Ergebnis einer Einbeziehung von Völkervertragsrecht abzulehnen ist, eine Einbeziehung von Völkervertragsrecht i n den Bereich des A r t . 25 GG stünde auch i m Widerspruch zum Wortlaut des A r t . 25 GG, der die „allgemeinen" Regeln anwendbar machen soll und nicht die „besonderen" Regeln eines völkerrechtlichen Vertrages. Eine unbeschränkte W i r k u n g des Grundsatzes ,pacta sunt servanda', die auch jede einzelne Vertragsbestimmung ergreift, würde diese von A r t . 25 GG getroffene Unterscheidung negieren 52 . Außerdem bliebe A r t . 59 GG unberücksichtigt, der speziell die Frage der völkerrechtlichen Verträge betrifft. Man w i r d kaum annehmen können, daß ein völkerrechtlicher Vertrag, nachdem er nach 49

Vgl. v. Mangoldt/Klein, A r t . 25 A n m . I I I , 3. Vgl. Kaufmann, Normenkontrollverfahren u n d völkerrechtliche V e r träge, Gedächtnisschrift W. Jellinek 1955, S. 453; Sauer, Grundlehre des V ö l kerrechts, S. 23 f.; Maunz, Staatsrecht, 11. Aufl., S. 280; ν . Mangoldt/Klein, A r t . 25 A n m . I I I 2 b; aus der Rspr.: L G Stuttgart N J W 1951 S. 850; B G H S t Bd. 5 S. 396/402; O L G H a m m N J W 1956 S. 307/309; vgl. i m übrigen die Nachweise bei Doehring, S. 133 F N 450. 51 Vgl. hierzu Doehring, S. 130 ff. 52 Vgl. Doehring, S. 132, 137 m. w . N. 50

3. Abschn. : Völkerrechtliche Übung und Völkervertragsrecht

133

A r t . 59 GG m i t Hilfe eines einfachen Bundesgesetzes Verbindlichkeit erlangt hat, i m gleichen Moment durch A r t . 25 GG einen höheren Rang erhält 5 3 . Man w i r d deshalb nicht davon ausgehen können, daß A r t . 25 GG auch das Vertragsrecht einbezieht 54 . Den Satz ,pacta sunt servanda' w i r d man dahingehend zu verstehen haben, daß Verträge i m allgemeinen einzuhalten sind, die Verpflichtung zur Erfüllung des konkreten einzelnen Vertrages aber allein dieser Vertrag i n sich selbst trägt 5 5 . Demnach ist davon auszugehen, daß auch innerstaatlich die Selbständigkeit der Körperschaften nicht auf Rechtsnormen beruht, die gegenüber den Durchgriffsnormen grundsätzlich höherrangig sind, es sich insbesondere nicht u m einen verfassungsrechtlichen oder durch die Verfassung, A r t . 25 GG, m i t Vorrang gegenüber den Gesetzen ausgestatteten Grundsatz handelt. IL DBA (Art 59 II GG) und einfachgesetzliches Außensteuerrecht (§§1,2 KStG) als Grundlage Die Selbständigkeit der Körperschaften beruht vielmehr nach innerstaatlichem deutschem Recht allein auf den entsprechenden Regelungen der Steuergesetze, insbesondere des Körperschaftsteuergesetzes. I m übrigen hat die Selbständigkeit von Körperschaften, soweit entsprechende DBA bestehen, ihre Grundlage i n dem nach A r t . 59 I I GG transformierten Abkommensrecht 6®.

53

Doehring, S. 135 m. w . N. Doehring, S. 137; Dahm, Völkerrecht, Bd. 1, S. 66; Guggenheim, V ö l k e r rechtliche Schranken i m Landesrecht, S. 21; Maunz/DüriglHerzog, A r t . 25 A n m . 15, 19; vgl. auch die Nachweise bei Partsch, Die A n w e n d u n g des V ö l kerrechts i m internationalen Recht, S. 72 ff., bei Doehring, S. 130 F N 442 u n d bei Pigorsch, Die Einordnung völkerrechtlicher Normen, S. 9 ff. (bei Pigorsch bleibt jedoch unklar, ob das Vertragsrecht n u r hinsichtlich der i n i h m enthaltenen allgemeinen Regeln oder darüber hinaus v o n A r t . 25 GG einbezogen sein soll; undeutlich auch Berber, S. 99); speziell D B A betreffend: Teichner, Internationales Steuerrecht, S. 156; vgl. i. ü. auch BVerfGE Bd. 6 S. 309, 362 f. 55 Eine Geltung des Grundsatzes »pacta sunt servanda* bedingt danach eine Verpflichtung zur Beachtung der einzelnen vertraglichen Verpflichtung ebensowenig, w i e die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" nach A r t . 33 Abs. 5 GG jede einzelne Weisung an den Beamten zu einem v o n A r t . 33 Abs. 5 GG zu beachtenden Rechtssatz machen (vgl. Doehring, S. 137, 132 ff.). 56 Z u m Verhältnis der D B A (genauer: des transformierten Abkommensrechts) zu sonstigem innerstaatlichem Gesetzesrecht vgl. noch ausführlich i m 1. K a p i t e l des 3. Teils. 54

TEIL III

Die Durchbrechung des internationalen Grundsatzes der Selbständigkeit durch das deutsche Außensteuerrecht 1. Kapitel

Die allgemeine Problematik des Durchgriffs im deutschen Außensteuerrecht Nach der i m Teil I zugrunde gelegten Definition stellt der ,Durchgriff i m deutschen Außensteuerrecht 4 die ausnahmsweise Abweichung von dem i m Teil I I näher behandelten — i m Internationalen Steuerrecht allgemein beachteten Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften dar. A u f die Motive und Anlässe für ein derartiges Abweichen von dem Grundsatz der Selbständigkeit w i r d i m einzelnen noch bei der Behandlung der verschiedenen Durchgriffsfälle einzugehen sein. Allgemein stellt sich jedoch für die Durchgriffsfälle des deutschen Außensteuerrechts die Frage, inwieweit ein derartiges Abweichen von dem i m Internationalen Steuerrecht beachteten Grundsatz der Selbständigkeit grundsätzlich auf Bedenken stößt, inwieweit ein derartiges Abweichen überhaupt zulässig ist. Nach den Ausführungen zur Frage der Grundlagen des Grundsatzes der Selbständigkeit ist hierbei davon auszugehen, daß ein allgemeines „Durchgriffsverbot" nicht besteht. Die Behandlung von Körperschaften nach dem Grundsatz der Selbständigkeit besitzt nach den oben getroffenen Feststellungen keinen völkerrechtlich allgemein verbindlichen Charakter. Sie beruht weder auf einem allgemeinen Völkerrechtsgrundsatz noch auf Völkergewohnheitsrecht. Auch nach innerstaatlichem deutschem Recht beruht der Grundsatz der Selbständigkeit, soweit er allgemeingültig ist, nur auf einfachem Gesetzesrecht. E i n Durchgriff ( = eine Abweichung von dem Grundsatz der Selbständigkeit) ist damit nicht grundsätzlich unzulässig. Es besteht weder völkerrechtlich noch innerstaatlich ein allgemeines „Durchgriffsverbot" 1 . 1 Ginge m a n davon aus, daß der Grundsatz der Selbständigkeit auf V ö l k e r gewohnheitsrecht oder einem allgemeinen Rechtsgrundsatz beruht, so wäre damit ein Durchgriff grundsätzlich völkerrechtswidrig u n d nach A r t . 25 GG auch innerstaatlich unzulässig. Es wäre jedoch zu fragen, ob i m Einzelfall

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I I I . 1. Kap.: Die allgemeine Problematik des Durchgriffs 1. Abschnitt: D i e dem Durchgriff gezogenen rechtlichen Schranken

Wenn auch der Grundsatz der Selbständigkeit keine allgemeine Verbindlichkeit hat und deshalb kein allgemeines Durchgriffsverbot besteht, so sind dem Durchgriff doch rechtliche Schranken gezogen, die i h n i m Einzelfall als unzulässig erscheinen lassen können. Diese Schranken ergeben sich zunächst daraus, daß die Verselbständigung der K ö r perschaften zwar nicht allgemein verbindlich ist, es aber dem Grundsatz der Selbständigkeit entsprechende Normen gibt (DBA, einfaches Gesetzesrecht), die i m Einzelfall einem Durchgriff entgegenstehen können. Außerdem sind der deutschen Staatsgewalt (Gesetzgeber, Verwaltung, Rechtsprechung) bei ihrem Handeln Schranken allgemeiner A r t gezogen, die i m Einzelfall ebenfalls einen Durchgriff, vor allem i n einer bestimmten Ausgestaltung, als unzulässig erscheinen lassen können. A. Die vom innerstaatlichen Recht gezogenen Schranken 2

Bereits vom innerstaatlichen Recht her bestehen Schranken, die einen Durchgriff i m Einzelfall ausschließen können: I. Die gesetzlich angeordnete Verselbständigung von Körperschaften in den Steuergesetzen Die Steuergesetze, vor allem das Körperschaftsteuergesetz, enthalten eine dem Grundsatz der Selbständigkeit entsprechende Regelung. K ö r perschaften haben einen eigenen Gewinn, der vom Gewinn der Gesellschafter zu unterscheiden ist und der grundsätzlich erst nach Ausschüttung bei den Anteilseignern erfaßt wird. Dieser gesetzgeberischen Entscheidung für eine Selbständigkeit von Körperschaften kommt zwar als Durchgriffsschranke keine etwa der zivilrechtlichen Problematik vergleichbare Bedeutung zu, vor allem deswegen nicht, w e i l der Durchgriff i m Bereich des deutschen Außensteuerrechts i n der Regel auf gesetzlichen Normen beruht, die sich als gesetzliche Ausnahmen von der grundsätzlichen, gesetzlich angeordneten Selbständigkeit darstellen. Bedeutung kommt der gesetzgeberischen Entscheidung für eine Selbständigkeit von Körperschaften aber bei dem Durchgriff i m Wege der Normenauslegung und dem Durchgriff auf Grund von Generalklauseln zu. Sowohl bei dem Durchgriff i m Wege der Normenauslegung als auch bei dem Durchgriff auf Grund von Generalklauseln ist die vom Gesetzdieses Durchgriffsverbot u . U . durch spezielles Völkerrecht durchbrochen wird. 2 Z u r Frage der einem Durchgriff (i. S. v. „ A n w e n d u n g v o n Durchgriffsnormen") durch das „Vertragsrecht" gezogenen Schranken vgl. noch unten unter der insoweit i m Vordergrund stehenden Fragestellung nach der B e deutung der D B A f ü r die Normierung v o n Durchgriffen.

1. Abschn.: Die dem Durchgriff gezogenen rechtlichen Schranken

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geber getroffene Entscheidung für eine dem internationalen Grundsatz der Selbständigkeit entsprechende Selbständigkeit von Körperschaften zu berücksichtigen. Für den Regelfall — den Durchgriff auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung — stellt sich außerdem i m Hinblick auf die grundsätzliche gesetzgeberische Entscheidung für eine Selbständigkeit das Problem der Vereinbarkeit m i t A r t . 3 1 GG unter dem Gesichtspunkt der Systemgerechtigkeit. IL Die dem Durchgriff vom Verfassungsrecht gezogenen Schranken Schranken für einen Durchgriff können sich i m Bereich des innerstaatlichen Rechts außerdem aus dem Verfassungsrecht, insbesondere den Grundrechten, ergeben. Selbst wenn sich dabei ausländische juristische Personen — bei denen ein Durchgriff weitaus häufiger ist als bei inländischen juristischen Personen — nach A r t . 19 I I I GG nicht allgemein auf die Grundrechte berufen können 3 , so gelten die Grundrechte i n jedem F a l l doch auch für ausländische juristische Personen als Teil der objektiven Wertordnung, die das Grundgesetz i m Grundrechtsabschnitt errichtet hat. Außerdem kann sich eine Grundrechtsfähigkeit auch von anderen Gebilden als inländischen juristischen Personen nicht nur durch Auslegung des einzelnen Grundrechts ergeben, es bleibt i n jedem Fall die Grundrechtsfähigkeit der hinter der ausländischen j u ristischen Person stehenden natürlichen Personen unberührt 4 . 1. Der Gleichheitssatz des A r t . 3 I G G als Schranke für Durchgriffsfälle Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten kommt dem Gleichheitssatz des A r t . 3 1 GG für das Durchgriffsproblem besondere Bedeutung zu 5 . a) Der Gleichheitssatz des A r t . 3 I G G enthält nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes die allgemeine Weisung, bei steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend ungleich zu behandeln®. Er ist 3

B V e r f G E Bd. 21 S. 207/109; Bd. 31 S. 207/208. Z u m Ganzen ausführlich Klaus Vogel, Der A k t i o n ä r , S. 21 ff. (insbes. S. 26 f. — zur uneingeschränkten Grundrechtsfähigkeit der Gesellschafter einer Basisgesellschaft); Großfeld, S. 162; Walther Wieland Schmidt, Grunde rechte u n d Nationalität juristischer Personen, S. 74 ff. 5 Vgl. Raupach, Durchgriff, S. 164 ff.; Großfeld, S. 167 ff.; vgl. auch Klaus Vogel, Der A k t i o n ä r , S. 28 ff. β B V e r f G E Bd. 3 S. 58/135; ferner: Bd. 1 S. 1/2; Bd. 9 S. 237/244; Bd. 18 S. 38/46. 4

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I. 1. Kap. : Die allgemeine Problematik des Durchgriffs

verletzt, wenn sich für eine Differenzierung oder für eine Gleichbehandlung ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund nicht finden läßt, d. h. wenn die Bestimmung als w i l l k ü r l i c h bezeichnet werden muß 7 . Bei der Frage nach der Vereinbarkeit m i t dem Gleichheitssatz des A r t . 3 I G G sind zwei gedankliche Operationen zu vollziehen: 1. Es ist zu prüfen, ob und i n welcher Weise der Gesetzgeber differenziert. Dabei liegt eine Differenzierung immer dann vor, wenn der Gesetzgeber innerhalb einer Gruppe von Sachverhalten einen Teil dieser Sachverhalte rechtlich anders behandelt als den anderen Teil 8 . 2. Sodann ist zu fragen, ob sich für diese Differenzierung ein „sachlich einleuchtender Grund" angeben läßt 9 . Das Erfordernis des sachlich einleuchtenden Grundes hat dabei eine formelle und eine materielle Seite 10 . I n formeller Hinsicht verlangt das Erfordernis des „sachlich einleuchtenden Grundes": Wer die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Differenzierung behauptet — so insbesondere der Gesetzgeber, wenn er eine solche Differenzierung vornimmt — muß bestimmte Gründe für diese Differenzierung angeben können; er trägt die „Argumentationslast" 1 1 . Immer dann, wenn nicht m i t einer für Argumentationen i m Grundrechtsbereich ausreichenden Plausibilität feststeht, daß die rechtliche Differenzierung verfassungsrechtlich zulässig ist, ist sie verfassungsrechtlich unzulässig 12 . I n materieller Hinsicht ist erforderlich, daß die i n Frage kommenden Gründe „sachlich einleuchtend" sein müssen. Sie dürfen für eine „ a m Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise" nicht als „ w i l l k ü r l i c h " erscheinen. Was vor dem Hintergrund des Rechtsbewußtseins der jeweiligen konkreten Rechtsgemeinschaft „einleuchtend", „plausibel", gemacht werden kann, ist zureichender Grund für eine Differenzierung, was nicht i n diesem Sinne „einleuchtet", dagegen nicht 1 3 .

7 BVerfGE Bd. 1 S. 14/52; Bd. 3 S. 58/135; Bd. 9 S. 237/244; Bd. 12 S. 341/348; Bd. 14 S. 142/150; Bd. 15 S. 313/320; Bd. 18 S. 38/46; Bd. 18 S. 121/124; Bd. 20 S. 31/33; Bd. 21 S. 6/9; Bd. 24 S. 203/215; Bd. 27 S. 1/9. 8 Hierzu i m einzelnen Klaus Vogel JFfSt. 1970/71 S. 49/55. » Vgl. Klaus Vogel, ebd., S. 49/53. 10 Podlech, Gehalt u n d F u n k t i o n des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, S. 85 ff.; sowie Klaus Vogel, ebd., S. 49/56; ders., Der Aktionär, S. 37 f. 11 Hierzu eingehend Klaus Vogel JFfSt. 1970/71 S. 49/56 unter Bezug auf Podlech. 12 Podlech, S. 87. 13 Hierzu eingehend Klaus Vogel JFfSt. 1970/71 S. 49/56.

1. Abschn. : Die dem Durchgriff gezogenen rechtlichen Schranken

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b) Diese von A r t . 3 1 GG gestellten Forderungen erlangen besondere Bedeutung im Rahmen der Durchgriffsproblematik. aa) A r t . 3 1 GG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Frage des Durchgriffs vor allem unter dem Gesichtspunkt der „Systemgerechtigkeit" von Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf der Gesetzgeber bei einer Abweichung von einer gesetzlichen statuierten Regel eines „sachlich einleuchtenden Grundes". Es bedarf einer Rechtfertigung für die „Systemwidrigkeit". Der Gesichtspunkt der „Systemwidrigkeit" ist dabei nichts anderes als ein Sonderfall der Differenzierung, die i n der A b weichung von einer gesetzlich statuierten Regel besteht 14 . Für die Frage des Durchgriffs folgt aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Systemwidrigkeit, daß der Gesetzgeber durch A r t . 3 1 GG zwar nicht gehindert ist, von dem Grundsatz der Selbständigkeit abzuweichen, daß es für eine Abweichung von der dem Grundsatz der Selbständigkeit entsprechenden innerstaatlichen gesetzlichen Regel aber eines „sachlich einleuchtenden Grundes" bedarf. Der Durchgriff ist nach A r t . 3 I G G nicht verboten, bedarf aber als „Systemwidrigkeit" wegen der m i t i h m verbundenen Ungleichbehandlung der sachlichen Rechtfertigung 15 . Der Gesetzgeber hat sich durch die dem internationalen Grundsatz der Selbständigkeit entsprechende und diesen konkretisierende Verselbständigung von Körperschaften i m deutschen Körperschaftsteuergesetz selbst gebunden. Er kann diese Selbständigkeit zwar grundsätzlich beseitigen, bedarf jedoch bei A u f rechterhaltung dieser Verselbständigung für eine ausnahmsweise Durchbrechung dieses Grundsatzes der sachlichen Rechtfertigung 18 . Diese sachliche Rechtfertigung muß dabei nicht nur dafür bestehen, daß i m Einzelfall überhaupt eine Ausnahme von der Regel der Selbständigkeit erfolgt, sondern es bedarf zur Rechtfertigung der Abweichung sowohl einer Rechtfertigung der Intensität als auch des Umfangs der Abweichung. bb) Für bestimmte Differenzierungen läßt sich darüber hinaus auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine allgemeine Aussage treffen. Besondere Bedeutung kommt für die Durchgriffsproblematik so der Frage der Differenzierung zwischen inländischen und ausländischen Körperschaften zu, da sich der Durchgriff i m Rahmen bestimmter Zielsetzungen oftmals auf einen Durchgriff bei inländischen, häufiger auf einen Durchgriff bei ausländischen Körperschaften beschränkt 17 . 14

Hierzu Klaus Vogel, ebd., S. 49/61 m i t ausführlichen Nachweisen zur Rspr. des Bundesverfassungsgerichts. 15 Vgl. insoweit auch Raupach, Durchgriff, S. 92. 16 Vgl. hierzu a u d i Klaus Vogel, Der A k t i o n ä r , S. 40.

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I I I . 1. Kap.: Die allgemeine Problematik des Durchgriffs

Daraus, daß das Grundgesetz selbst i n A r t . 19 Abs. 3 zwischen inländischen und ausländischen Personen differenziert, w i r d man eine prinzipielle Zulässigkeit der Differenzierung zwischen inländischen und ausländischen Körperschaften nicht ableiten können. A r t . 19 I I I betrifft lediglich die verfassungsprozessuale Rechtsstellung der juristischen Person, nicht den materiellrechtlichen Gehalt des Willkürverbots. Art. 3 I G G differenziert aber gerade nicht zwischen Inländern und Ausländern, sondern bindet als objektiver Verfassungsrechtssatz den Gesetzgeber sowohl gegenüber inländischen wie gegenüber ausländischen juristischen Personen 18 . Andererseits darf man jedoch auch nicht daraus, daß A r t . 3 1 GG als objektiver Verfassungsrechtssatz den Gesetzgeber i n gleicher Weise gegenüber inländischen wie ausländischen juristischen Personen bindet, schließen, daß inländische und ausländische Personen stets gleich zu behandeln, insbesondere gleich zu besteuern wären 1 9 . Aus dem verfassungsrechtlichen Willkürverbot ergibt sich keine generelle Aussage, etwa des Inhalts, daß eine „Inländerprivilegierung" oder eine „Ausländerdiskriminierung" unzulässig— oder zulässig — sei 20 . Die Inländerbzw. Ausländereigenschaft einer Person kann sachliches Differenzierungskriterium sein, das i m konkreten Fall zu unterschiedlichen Rechtsfolgen für Inländer und Ausländer führen kann 2 1 . Daß jemand Ausländer oder Inländer ist, rechtfertigt für sich allein jedoch noch keine steuerliche Ungleichbehandlung. Es müssen vielmehr jeweils besondere Gesichtspunkte hinzutreten, die i m Einzelfall eine Differenzierung als sachgerecht ausweisen. cc) Bei verschiedenen Durchgriffsfällen, auf die i m einzelnen noch näher einzugehen sein wird, scheint der Verdacht naheliegend, daß hier der Durchgriff allein finanziell-fiskalischen Überlegungen entspringt. Diesbezüglich hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß auch Differenzierungen aus rein fiskalischen Erwägungen dem Erfordernis der Sachgerechtigkeit entsprechen können. I n einem solchen Fall müsse jedoch gerade die vorgesehene Differenzierung durch Erfordernisse des staatlichen Finanzbedarfs gerechtfertigt sein. Der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedürfte die (Sonder-)Belastung gerade dieser betreffenden Gruppe von Steuerpflichtigen 22 . Nach Klaus Vogel ist zwar das Interesse des Staates an einem möglichst hohen Steuerertrag legi17

Vgl. Großfeld, S. 167 ff. Z u m Ganzen: Klaus Vogel, Der A k t i o n ä r , S. 34 f. 19 Vgl. hierzu auch Raupach, Durchgriff, S. 167. 20 Klaus Vogel, Der A k t i o n ä r , S. 30. 21 Walther W. Schmidt, Grundrechte u n d Nationalität juristischer Personen S. 174. 22 Vgl. die Nachweise bei Klaus Vogel, Der Aktionär, S. 43. 18

1. Abschn. : Die dem Durchgriff gezogenen rechtlichen Schranken

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tim, vermag jedoch nicht systemwidrige Sonderbelastungen einzelner Gruppen von Steuerpflichtigen zu rechtfertigen. Ansonsten wäre A r t . 3 I G G für den Bereich des Steuerrechts ohne jede Bedeutung. Es wäre praktisch jede steuerliche Sonderbelastung verfassungsmäßig 23 . dd) Außerdem ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Verhinderung von Steuerumgehungen ein legitimes Ziel 2 4 . Bestimmungen, die lediglich Umgehungen der Steuerpflicht verhindern sollen, seien i n aller Regel verfassungsrechtlich unbedenklich 25 . Praktikabilitätserwägungen und verwaltungstechnische Gesichtspunkte könnten i m Rahmen der Mißbrauchsbekämpfung bei der Prüfung der Steuergerechtigkeit durchaus von Bedeutung sein2®. Es sei nicht sachfremd, i n diesem Bereich auf die allgemeinen steuerrechtlichen Grundsätze der Steuerklarheit abzustellen. Sei die Mißbrauchsgefahr bei einem Kreis tatsächlicher Gestaltungsformen erfahrungsgemäß größer als bei einem anderen Kreis, so verbiete A r t . 3 1 GG nicht, zwischen den verschiedenen Sachverhalten zu differenzieren. Daher sei es nicht w i l l kürlich, i n einem dem Mißbrauch mehr ausgesetzten Bereich schärfere Anforderungen zu stellen, wenn diese an die tatsächlichen Verschiedenheiten anknüpfen und geeignet sind, der Mißbrauchsgefahr vorzubeugen 27 . 2. Andere Grundrechte I m Einzelfall können auch andere Grundrechte einem Durchgriff entgegenstehen. a) Als derartiges Grundrecht, das i m Einzelfall einen Durchgriff entgegenstehen kann, kommt insbesondere das Grundrecht des A r t . 14 GG i n Betracht. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht i n einer Reihe von Entscheidungen die Ansicht vertreten, A r t . 14 schütze das Eigentum nicht gegen die Auferlegung von Geldleistungspflichten 28 . Das Bundesverfassungsgericht hat i n der Auferlegung von Geldleistungspflichten jedoch dann eine Verletzung des A r t . 14 gesehen, „wenn die Geldleistungspflichten den Pflichtigen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen würden" 2 9 . Das besteuer23

Klaus Vogel, ebd., S. 43. BVerfGE Bd. 22 S. 156/161. 25 BVerfGE Bd. 13 S. 331/344. 28 BVerfGE Bd. 22 S. 156/161 unter Hinweis auf Bd. 6 S. 55/83; Bd. 13 S.301/316. 27 BVerfGE Bd. 22 S. 156/161. 28 Vgl. BVerfGE Bd. 4 S. 7/17; Bd. 10 S. 89/116; Bd. 11 S. 105/126; Bd. 14 S. 221/241; Bd. 19 S. 119/128; Bd. 23 S. 288/314; Bd. 26 S. 327/338. 29 BVerfGE Bd. 14 S. 221/241; vgl. z u m Ganzen auch: Klaus Vogel JFfSt. 1970/71 S. 49/65. 24

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I I I . 1. Kap. : Die allgemeine Problematik des Durchgriffs

bare Vermögen ist als „Eigentum" grundsätzlich Schutzobjekt des A r t . 14 GG 3 0 . Für jede steuerliche Regelung ist festzustellen, ob es sich u m eine Inhaltsbestimmung, u m eine Beschränkung des Eigentums oder u m eine Sozialbindung des Eigentums handelt und ist dementsprechend die Regelung dem i h r gebührenden Prüfungsmaßstab zu unterstellen 81 . b) I m Einzelfall kann darüber hinaus ein Durchgriff auch einen Eingriff i n das Grundrecht der Ehe und Familie (Art. 6 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 GG) oder der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) darstellen 32 . B. Die völkerrechtlichen Schranken

I. Allgemeines Völkerrecht Selbst wenn dem Grundsatz der Selbständigkeit nach allgemeinen Völkerrecht keine völkerrechtliche Verbindlichkeit zukommt, so sind doch möglicherweise vom allgemeinen Völkerrecht her dem einzelstaatlichen Handeln Schranken gesetzt, welche die Möglichkeit des Durchgriffs einschränken, u. U. sogar weitgehend ausschließen. Auch i n diesem Zusammenhang w i r d man sich jedoch wie schon bei der Frage nach den Grundlagen des Grundsatzes der Selbständigkeit m i t der Behauptung von völkerrechtlich verbindlichen Normen zurückzuhalten haben. Klaus Vogel warnt zu Recht vor einem zu großen Optimismus hinsichtlich der Begrenzung der Steuerhoheit durch Normen des allgemeinen Völkerrechts, vor allem des Völkergewohnheitsrechts. Die Staaten wären i n der Regel nicht geneigt, sich einer Norm zu beugen, deren Geltung als Völkerrechtsnorm nicht einwandfrei erwiesen sei 38 . So w i r d zwar i n der Literatur zum Teil ein allgemeines Doppelbesteuerungsverbot behauptet 34 , das i m übrigen geeignet wäre, dem Durchgriff eine sehr wesentliche Schranke entgegenzusetzen. Abgesehen von der Frage, wie der Tatbestand der „Doppelbesteuerung" abzugrenzen wäre und wie die Rechtsfolge eines derartigen Verbots auszusehen hätte (ob etwa demjenigen das Besteuerungsrecht zukommen soll, der das Steuerobjekt als erster erfaßt hat), fehlt es hier jedoch sowohl an einer hinreichenden staatlichen Übung als auch — wie die Praxis der Staaten zeigt — an einer entsprechenden Rechtsüberzeugung 85 . Auch 30

Vgl. hierzu Kirchhof, Besteuerungsgewalt u n d Grundgesetz, S. 20 ff. Kirchhof, ebd., S. 92 ff. 32 Hierzu Raupach, Durchgriff, S. 108 f. 33 Klaus Vogel DStR 1968 S. 427/429. 34 Vgl. die Nachweise bei Klaus Vogel, Verwaltungsrechtsnorm, S. 351 F N 62; zu den Versuchen, ein Doppelbesteuerungsverbot aus A r t . 3 GG herzuleiten, vgl. auch Ritter JFfSt. 1975/76 S. 343 sowie Klaus Vogel, ebd., S. 354. 35 Vgl. Klaus Vogel, Verwaltungsrechtsnorm, S. 351 ff.; ders. DStR 1968 S. 427/430; Raupach, Durchgriff, S. 167 f.; Großfeld, S. 189. 31

1. Abschn. : Die dem Durchgriff gezogenen rechtlichen Schranken

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ein allgemeines Diskriminierungsverbot i n dem Sinne, daß jeder Staat als Mitglied der Völkerrechtsgemeinschaft verpflichtet wäre, alle anderen Staaten bzw. ihre Staatsangehörigen oder ihre Waren untereinander gleichzubehandeln, ist w e i t davon entfernt, Beschreibung des geltenden Rechtszustandes zu sein 88 . Auch für die Frage nach den Schranken, die dem Durchgriff vom allgemeinen Völkerrecht her gezogen sind, läßt sich wiederholen, was bereits bei der Frage nach der völkerrechtlichen Verbindlichkeit des Grundsatzes der Selbständigkeit von Körperschaften festgestellt wurde: I n einem Bereich, i n dem jede Verpflichtung zur Beachtung völkerrechtlicher Regeln „etwas kostet", und jede Position zu einer denkbaren Gegenleistung für einzuhandelnde Konzessionen wird, sind die Staaten besonders darauf bedacht, daß die Freiheit ihrer Entscheidung nicht über den Rahmen des Vertragsrechts hinaus durch allgemeine völkerrechtliche Pflichten eingeschränkt w i r d 8 7 . Andererseits erscheint aber auch die Annahme eines i n völkerrechtlicher Hinsicht unbegrenzten Besteuerungsrechts der Staaten bedenklich. Wenn i n der steuerrechtlichen Literatur die Ansicht vertreten wird, es bestehe für die Staaten kein rechtliches Hindernis, ihre Steuertatbestände beliebig weit auszudehnen 88 , theoretisch sei jeder Punkt des Erdballs für alle Abgabenhoheiten erreichbar, international anerkannte Grundsätze, welche die Steuerhoheit des Staates einschränken würden, gebe es nicht 8 9 , so bedeutete dies: ein deutsches Steuergesetz, das alle Personen m i t deutscher Muttersprache der deutschen Einkommensteuer unterwerfen würde, wäre ebenso völkerrechtmäßig wie ein solches, das die Steuerpflicht auf alle Personen ausdehnen würde, die bis zu 500 k m von der Bundesgrenze entfernt ihren Wohnsitz haben oder einer bestimmten politischen Anschauung anhängen 40 . Ebenso völkerrechtmäßig wäre ein Gesetz, das selbst nur durchreisende Ausländer einer Besteuerung nach dem Maßstab ihres heimischen Vermögens unt e r w i r f t oder das den Steuerpflichtigen zwingt, seinen heimischen Gesetzen zuwider zu handeln 41 . Diese Beispiele aber zeigen, daß, w i l l man dem Völkerrecht nicht den Charakter einer Rechtsordnung überhaupt absprechen, auch der Steuerhoheit i n gewissen Fällen, und sei es auch nur i n äußersten Extremfällen, vom Völkerrecht her Grenzen gesetzt sein müssen 42 .

36 37 38 89 40 41 42

Kewenig, Nichtdiskriminierung, S. 32 m. w . N. Hierzu Kewenig, ebd. Albert Hensel, Steuerrecht, S. 14; Kruse, Steuerrecht A T , S. 51. Weber, I W B , Fach 3 Deutschland Gr. 2, S. 105. Beispiele bei Rudolf, FS Bärmann, S. 778 m. w . N. Beispiele bei Klaus Vogel DStR 1968 S. 427/430. Hierzu Kewenig, S. 116.

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I I I . 1. Kap.: Die allgemeine Problematik des Durchgriffs

1. Der Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen Vor allem i n der völkerrechtlichen Literatur, aber auch von Autoren des internationalen Verwaltungs- und Steuerrechts 43 überwiegend anerkannt ist heute der „Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen" 4 4 , auch als „eingeschränktes Territorialprinzip" 4 5 oder „Prinzip der eingeschränkten Territorialität" 4 6 bezeichnet. a) Der Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen gibt eine A n t w o r t auf die Frage, ob und inwieweit inländische Normen auf ausländische Sachverhalte erstreckt werden dürfen. Es geht also um die Frage des Anwendungsbereichs der steuerrechtlichen Normen i n seiner „transitiven" Bedeutung 47 . Der Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen steht dabei zwischen den beiden Extrempositionen, dem „strikten Territorialitätsprinzip" und dem „Prinzip der unbegrenzten Gesetzgebungshoheit" 48 . Nach dem sog. strikten Territorialitätsprinzip sind die Normen eines Staates jeweils nur auf solche Personen und Gegenstände anzuwenden, die sich auf dem Gebiet des betreffenden Staates aufhalten bzw. dort belegen sind, allgemeiner, auf solche Sachverhalte, die sich auf dem Gebiet des betreffenden Staates verwirklicht haben 49 . Ein Durchgriff auf den ausländischen Gewinn oder ausländisches Vermögen wäre danach ebenso unzulässig wie die Besteuerung der ausländischen Körperschaft oder der ausländischen Anteilseigner 50 . Dieses strikte Territorialitätsprinzip, das vor allem i m 18. und 19. Jahrhundert vertreten wurde 5 1 , ist jedoch, wie schon ein Blick auf die Staatenpraxis zeigt, aufgegeben 52 . Neben das Territorialprinzip sind das Personalprinzip, Schutzprinzip, Universalprinzip getreten. 43

Vgl. Rudolf, FS Bärmann, S. 769/779. Vgl. Rudolf, ebd., S. 769/777. 45 Vgl. Rudolf, ebd. 46 Vgl. Peter Müller, S. 76. 47 Z u r Unterscheidung v o n der „intransitiven" räumlichen Begrenzung v o n Rechtsnormen (häufig auch als Geltungsbereich gekennzeichnet) vgl. Klaus Vogel, Verwaltungsrechtsnorm, S. 1 ff., 13 f.; sowie Rudolf, FS B ä r mann, S. 769/777. 48 Z u diesen Begriffen Peter Müller, S. 62. 49 So Klaus Vogel, Verwaltungsrechtsnorm, S. 14. 60 Vgl. Klaus Vogel, ebd., S. 14; Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, S. 163; vgl. auch Peter Müller, S. 61 (auf das Steuerrecht bezogen fordere das Territorialitätsprinzip eine Beschränkung der Besteuerung auf die i m I n l a n d erzielten Einkünfte) u n d Klaus Vogel DStR 1968 S. 427/429 (nur Sachverhalte dürften nach dem T - p r . besteuert werden, die sich auf dem eigenen Staatsgebiet v e r w i r k l i c h t haben — also n u r inländische E i n künfte, Umsätze, Wertpapiergeschäfte usw.) 51 Hierzu Peter Müller, S. 62 ff. 52 Vgl. Peter Müller, S. 66; Klaus Vogel, Verwaltungsrechtsnorm, S. 114 ff. 44

1. Abschn. : Die dem Durchgriff gezogenen rechtlichen Schranken

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Die Gegenposition zum strikten Territorialitätsprinzip bildet der Gedanke der uneingeschränkten Gesetzgebungshoheit, durch den das Territorialitätsprinzip historisch abgelöst wurde und der als Prinzip der uneingeschränkten Steuerhoheit vor allem i n der steuerrechtlichen Literatur Zustimmung fand. Kennzeichnend sind insoweit die bereits zitierten Äußerungen wie: es bestehe für die Staaten kein Hindernis, ihre Steuertatbestände beliebig weit auszudehnen 53 oder: es gebe keine international anerkannten Grundsätze, welche die Steuerhoheit der Staaten einschränken würden 5 4 . N u r die Vornahme staatlicher Hoheitsakte auf fremdem Hoheitsgebiet sei unzulässig 55 . Dieser Annahme einer unbegrenzten Steuerhoheit widersprechen jedoch vor allem die völkerrechtliche Literatur 5 6 , aber auch Autoren des deutschen Internationalen Steuerrechts, die sich m i t diesem Problemkreis näher auseinandergesetzt haben 57 . Danach ist zwar die Besteuerung ausländischer Sachverhalte grundsätzlich zulässig, es bedarf insoweit jedoch eines inländischen Anknüpfungspunktes. Es gilt das Prinzip der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen. Rudolf verweist dabei vor allem auf die eingangs bereits angeführten Beispiele, die völkerrechtlich bedenklich, aber i n Konsequenz einer unbegrenzten Steuerhoheit als völkerrechtmäßig angesehen werden müßten 58 . Wie Müller dargelegt hat, akzeptiert auch die Staatenpraxis keine derart unbegrenzte Ausdehnung der Steuerhoheit. Neben der ständigen übereinstimmenden Übung, wonach für extraterritoriale Gesetze inländische Anknüpfungspunkte bestünden, bestehe auch eine entsprechende Uberzeugung der Staaten, daß „ein Staat ausländische Tatbestände seiner Jurisdiktion und seinem Recht nur dann unterwerfen dürfe, wenn sie zu seiner eigenen Ordnung i n irgendwelchen, nicht zu fern liegenden Beziehungen stehen und die Anwendung des inländischen Rechts auf sie nicht zu unsinnigen oder grob ungerechten Ergebnissen führt" 5 9 . Man w i r d den Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen soweit als eine Ausprägung des allgemeinen Rechtsmißbrauchs- oder Willkürverbotes auffassen können 80 .

53

Albert Hensel, Steuerrecht, S. 17; Kruse, Steuerrecht A T , S. 51. Weber, I W B 3, D t l . Gr. 2, S. 103 £t.;vgl. auch Schmitz, Kommentar zum internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 50 f. 55 Hierzu Klaus Vogel, Verwaltungsrechtsnorm, S. 101. 56 Vgl. die Literaturnachweise bei Rudolf, FS Bärmann, S. 769/779. 57 Vgl. Peter Müller, S. 76 ff.; Großfeld, S. 171 ff. 58 Vgl. v o r allem Rudolf, FS Bärmann, S. 769/778. δ9 Vgl. Peter Müller, S. 98. 80 Vgl. hierzu die bei Peter Müller, S. 78 F N 116 angegebene L i t . ; vor allem auch Klaus Vogel, Verwaltungsrechtsnorm, S. 104. 54

10 v. Beckerath

146

. 1. Kap. : Die allgemeine Problematik des Durchgriffs

b) Folgt man dem Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen, so kommt entscheidende Bedeutung der Frage zu, wie die für die Regelung von Auslandssachverhalten notwendige Inlandsbeziehung beschaffen sein muß®1. aa) Einig ist man sich hierbei w o h l darin, daß eine allgemeine Regel nur schwer zu finden ist 6 2 , es vielmehr auf die Konkretisierung i n den einzelnen Rechtsbereichen ankommt. Z u m Teil w i r d gefordert, daß ein i n der Staatenpraxis anerkannter oder üblicher Anknüpfungspunkt vorliegen müsse 63 . Eine derartige Forderung w i r d man jedoch kaum als von der Rechtsüberzeugung der Staaten gedeckt ansehen können. Als Ausprägung des Rechtsmißbrauchsverbots stellt der Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen nur auf Minimalforderungen ab und deckt nicht fest umrissene Verbotsnormen 64 . Als erforderlich w i r d man aber ansehen müssen, daß nicht nur irgendein inländischer Anknüpfungspunkt gegeben ist, sondern dieser inländische Anknüpfungspunkt darüber hinaus i n der Lage ist, die Erfassung des ausländischen Sachverhalts i m weitesten Sinne zu „rechtfertigen" 65 . Rudolf spricht insoweit von der Notwendigkeit einer „rechtlich relevanten" Inlandsbeziehung 66 , Müller verlangt, daß Beziehungen zum Inland bestehen, welche die extraterritoriale Ausdehnung nicht „mala fide" erscheinen lassen 67 . Nach Großfeld kann dann, wenn eine Binnenbeziehung besteht, diese zum Anknüpfungspunkt weitreichender Verpflichtungen gemacht werden 68 . Eine Schranke ergebe sich jedoch aus dem völkerrechtlichen Willkürverbot, falls keine „hinreichende" Anknüpfung zum Inland bestehe. Raupach spricht davon, daß eine „sachlich berechtigte" Anknüpfung an das Inland bestehen muß 6 9 . I m Staatsangehörigkeitsrecht w i r d eine „sachgemäße" oder „funktionelle" Anknüpfung verlangt. bb) Für den Bereich des Steuerrechts kann man feststellen, daß i n der wirtschaftlichen Zugehörigkeit das entscheidende Anknüpfungskriterium für die Regelung ausländischer Sachverhalte durch inländische 61

Vgl. zu dieser Frage: Rudolf, FS Bärmann, S. 780 ff.; Peter Müller, S. 99 f.; Großfeld, S. 173. 62 Vgl. Rudolf, FS Bärmann, S. 769/780. 68 Vgl. die Nachweise bei Peter Müller, S. 99 f.; sowie Großfeld, S. 172 ff. 64 Vgl. Peter Müller, S. 110. 65 So auch Peter Müller, S. 121 („es ist zu fragen, ob die organschaftliche Abhängigkeit als »Rechtfertigung 1 f ü r die inländische Besteuerung ausreicht"), vgl. auch S. 113 („Es k a n n also festgestellt werden, daß die i n l ä n dische A u s w i r k u n g allein keine »genügende* A n k n ü p f u n g gibt.") anders aber S. 119 (Es genügt, w e n n irgendeine wirtschaftliche Beziehung oder Verflecht u n g gegenüber einem Gemeinwesen vorliegt) vgl. auch S. 101 u n d 111. 66 Rudolf, FS Bärmann, S. 769/780. 67 Peter Müller, S. 121. 68 Großfeld, S. 173. 69 Raupach, Durchgriff, S. 181.

1. Abschn. : Die dem Durchgriff gezogenen rechtlichen Schranken

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Normen zu sehen ist 7 0 . (Inwieweit daneben noch die Staatsangehörigkeit 7 1 oder ein „weiterer politischer Zweck" 7 2 die Besteuerung von Auslandssachverhalten rechtfertigen kann, sei hier dahingestellt.) Dieser Gedanke der Abgrenzung nach der wirtschaftlichen Zugehörigkeit liegt den nationalen Steuergesetzen ebenso wie den D B A zugrunde 73 , entspricht dem „Wesen des Steuerrechts" 74 und w i r d als Prinzip auch i m Schrifttum weitgehend anerkannt 75 . Die Anknüpfung an den Ort der Geschäftsleitung, die Belegenheit von Grundstücken, die Betriebstätte, den Arbeitsort und auch die Anknüpfung an den Wohnsitz ist Ausdruck der wirtschaftlichen Zugehörigkeit 7 6 . Die wirtschaftliche Zugehörigkeit zum Inland ist ein sachlich gerechtfertigter Anknüpfungspunkt für eine Besteuerung ausländischer Sachverhalte und ist, sofern diese w i r t schaftliche Zugehörigkeit zum Inland i m Einzelfall tatsächlich für den ausländischen Sachverhalt besteht, i n aller Regel zugleich hinreichender Anknüpfungspunkt für die Besteuerung. Der Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen als Ausprägung des Rechtsmißbrauchsoder Willkürverbots stellt dabei nicht darauf ab, zu welchem Staat die stärkeren wirtschaftlichen Beziehungen bestehen, schließt nicht aus, daß neben der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zum Inland auch eine w i r t schaftliche Zugehörigkeit zum Ausland gegeben ist 7 7 . c) Diese Grundsätze gilt es, i n der Folge auf das Problem des Durchgriffs zu beziehen, u m festzustellen, inwieweit und i n welchem Umfang sich aus dem Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen Schranken für den Durchgriff ergeben. aa) Dabei sind die Stellungnahmen zu berücksichtigen, die zu diesem Fragenkreis, einzelne Durchgriffsfälle betreffend, vorliegen: Müller hat sich m i t der Frage befaßt, ob der damalige § 15 Abs. 2 StAnpG mit dem Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen vereinbar ist. Er untersucht, „ob die organschaftliche Abhängigkeit der ausländischen Tochtergesellschaft i n § 15 Abs. 2 StAnpG als Rechtfertigung für die inländische Besteuerung ausreicht". Das Ergebnis hänge davon ab, „ob diese mittelbare, durch die organschaftliche Beherrschung ausgelöste Zugehörigkeit der Tochtergesellschaft zum Inland gegenüber 70 So v o r allem Rudolf, FS Bärmann, S. 769/782; vgl. auch Peter Müller, S. 104 ff., 114 m . w . N. 71 Vgl. hierzu Peter Müller, S. 116. 72 Vgl. Peter Müller, S. 118 sowie die K r i t i k v o n Rudolf, FS Bärmann, S. 769/782. 73 Peter Müller, S. 116. 74 Peter Müller, S. 114 ff. 75 Vgl. Peter Müller, S. 117 m . w . N. 76 Vgl. Peter Müller, S. 117 u n d 108 f.; Rudolf, FS Bärmann, S. 769/782. 77 Hierzu Peter Müller, S. 118 f., 121.

10·

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I I I . 1. Kap.: Die allgemeine Problematik des Durchgriffs

den unmittelbaren, wirtschaftlichen Beziehungen zu ihrem Sitzstaat berücksichtigt werden kann" 7 8 . Raupach stützt sich i m Zusammenhang m i t § 15 Abs. 2 StAnpG a. F. auf die sog. Kontrolltheorie 7 9 . Die Kontrolltheorie ziehe zur Gewinnung von Anknüpfungsmomenten für juristische Personen die Person des beherrschenden Gesellschafters heran. So werde ζ. B. häufig i m Kriegsund Kriegsabwicklungsrecht die Feindeigenschaft einer juristischen Person nach der Staatsangehörigkeit des beherrschenden Gesellschafters bestimmt. Nach der Ansicht von Raupach werde man die Kontrolltheorie immerhin als ein traditionelles Anknüpfungskriterium bezeichnen können, jedenfalls aber nicht als völkerrechtliche Willkürmaßnahme ablehnen dürfen. Großfeld führt für die Hinzurechnungsbesteuerung aus, daß diejenigen, die eine Völkerrechtsverletzung durch die §§ 7 ff. AStG verneinten, sich darauf berufen könnten, daß es ein allgemein anerkannter Grundsatz sei, daß ein Staat seine Angehörigen dazu veranlassen darf, Vermögen aus dem Ausland zu holen, das ihrer Verfügung unterliegt 8 0 . Diese Regel sei eine der völkerrechtlichen Grundlagen des steuerrechtlichen Welteinkommensprinzips. Sie rechtfertige, daß Partner einer ausländischen Personengesellschaft m i t ihrem A n t e i l am Gewinn i m Inland der Besteuerung unterworfen werden. Eine schematische Gleichsetzung der Kapitalgesellschaften m i t den Personengesellschaften könne jedoch nicht überzeugen. Es bestehe ein Unterschied zwischen Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften. Kapitalgesellschaften besäßen einen stärkeren eigenständigen Organisationsgrad. Die Beziehung Gesellschafter — Gesellschaft sei bei ihnen weniger eng. Die Stellung von Minderheitsaktionären sei bei ihnen regelmäßig anders als die von Mitgesellschaftern einer Personengesellschaft. Auch bei den Gläubigern bestünden wegen der fehlenden persönlichen Haftung der Aktionäre erhebliche Unterschiede. Auch gegenüber dem Staat sei die Stellung der Kapitalgesellschaften als eines bedeutenden Faktors des Wirtschaftslebens eine andere 81 . Was daher bei Personengesellschaften erlaubt sei, müsse nicht auch deswegen bereits bei Kapitalgesellschaften erlaubt sein. bb) Gegenüber den Ansätzen von Müller, Raupach und Großfeld bietet sich aber i m Rahmen der vorliegenden Untersuchung für das Problem des Durchgriffs der grundsätzliche Ansatzpunkt des Durchgriffs, die Unselbständigkeit der Körperschaft gegenüber ihren Anteilseignern, als Anknüpfungsmerkmal bei der Frage der „Inlandsbeziehung" an. 78 79 80 81

Vgl. Peter Müller, S. 121. Raupach, Durchgriff, S. 181 ff. Großfeld, S. 181 ff. Großfeld, S. 181 f.

1. Abschn. : Die dem Durchgriff gezogenen rechtlichen Schranken

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Durchgriff bedeutet: Berücksichtigung der Unselbständigkeit der Körperschaft gegenüber ihren Anteilseignern. Anknüpfungspunkt für die Regelung des „ausländischen Sachverhalts" ist also immer die Beziehung: Körperschaft — Anteilseigner. Möglicherweise ist diese aus der Definition des Durchgriffs heraus gegebene Inlandsbeziehung bereits i n aller Regel geeignet, als „hinreichende" Inlandsbeziehung eine Regelung ausländischer Sachverhalte, d . i . hier i n erster Linie eine steuerliche Erfassung der ausländischen Körperschaft ( = des i n einer ausländischen Körperschaft erwirtschafteten Gewinns) i m Verhältnis zu ihren inländischen Anteilseignern, zu rechtfertigen 82 . (1) Bei den Gebilden ohne steuerliche Selbständigkeit, wie nach deutschem Außensteuerrecht den Personengesellschaften, werden an den „ausländischen Sachverhalt", die i m Ausland tätige Personengesellschaft, weitreichende Rechtsfolgen i m Inland geknüpft. Die ausländische Personengesellschaft, und damit der ausländische Sachverhalt, w i r d als solche steuerlich negiert. Es w i r d steuerlich — eingeschränkt durch das Betriebstättenprinzip — allein auf die inländischen Gesellschafter abgestellt, der ausländische Sachverhalt: „ausländische Personengesellschaft" steuerlich zum inländischen Sachverhalt: „inländische Unternehmer" gemacht. Personengesellschaften werden also ohne Bedenken i m Hinblick auf den Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen als steuerlich unselbständig behandelt. (2) Bei dem Problem des Durchgriffs bei Körperschaften aber geht es nun lediglich darum, ausnahmsweise den Grundsatz der Selbständigkeit zu durchbrechen und die Körperschaften ausnahmsweise ebenso zu behandeln wie die Personengesellschaften, also i n Richtung auf eine Behandlung, wie sie für Personengesellschaften als unbedenklich angesehen wird. Für Körperschaften kann aber nur dann etwas anderes i m Hinblick auf den Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen gelten, wenn tatsächlich ein prinzipieller Unterschied zwischen Personengesellschaften ( = Nicht-Körperschaften) und Körperschaften besteht — wie i h n Großfeld anspricht —, der für die Frage der „ w i r t schaftlichen Zugehörigkeit" zum Inland ein unterschiedliches Ergebnis rechtfertigt. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß es nach dem Prinzip der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen nicht darauf ankommt, zu welchem Staat die engeren wirtschaftlichen Beziehungen bestehen. Entscheidend ist allein, daß Beziehungen bestehen, die als hinreichende Inlandsbeziehung erscheinen. 82 Fraglich wäre i n jedem Fall, ob eine „hinreichende" Inlandsbeziehung besteht, w e n n etwa die ausländische Körperschaft als inländische K ö r p e r schaft besteuert würde, obwohl sich nicht n u r statuarischer Sitz u n d t a t sächliche Geschäftsleitung i m Ausland befinden, sondern auch die Mehrheit der Anteilsrechte von Ausländern gehalten w i r d .

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I I I . 1. Kap. : Die allgemeine Problematik des Durchgriffs

Die steuerliche Verselbständigung als solche ist dabei offensichtlich kein Umstand, welcher der Annahme einer ausreichenden Inlandsbeziehung grundsätzlich entgegenstehen könnte. Dies zeigt sich daran, daß die Staaten keine Bedenken haben, die steuerliche Rechtspersönlichkeit von Körperschaften, die diesen i m Ausland zukommt, nicht anzuerkennen und auf die Anteilseigner abzustellen. So stellt auch Großfeld nicht auf den Gegensatz: Körperschaften — Personengesellschaften ab, sondern auf den Unterschied zwischen Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften. Aber auch für Kapitalgesellschaften erscheint es fraglich, ob hier ein wesentlicher Unterschied zu den steuerlich als unselbständig behandelten Gebilden besteht, der es rechtfertigt, bezüglich der Annahme von Inlandsbeziehungen zu einem abweichenden Ergebnis zu kommen. Wollte man i m Hinblick auf den Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen einen wesentlichen Unterschied zwischen steuerlich als unselbständig behandelten Gebilden und Kapitalgesellschaften annehmen, so müßte dies zur Folge haben, daß eine Änderung des Besteuerungssystems für Körperschaften i n Richtung auf eine Gleichstellung m i t der Besteuerung von Personengesellschaften ( = Nicht-Körperschaften) völkerrechtlich unzulässig wäre. Muß man aber eine Einführung der sogenannten Teilhabersteuer und selbst eine völlige Aufgabe jeder selbständigen Körperschaftsteuer, die zu einer Gleichstellung von Körperschaften und Personengesellschaften führte, als völkerrechtsgemäß ansehen, so w i r d man prinzipiell auch bei jeder Durchgriffsmaßnahme, die nur i n diese Richtung geht, eine ausreichende Inlandsbeziehung bejahen müssen. Man w i r d die Verselbständigung von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht zwar als einen sachlich begründeten und verfestigten Grundsatz ansehen können, w i r d diese Verselbständigung aber nicht völkerrechtlich über den Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen abstützen können. Der Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen stellt danach ebenfalls keine bedeutsame Schranke für den einzelstaatlichen Durchgriff dar, sondern bildet nur eine Grenze für Extremfälle. 2. Das Verbot des „abus de droit" Neben dem Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen kann das sogenannte „Rechtsmißbrauchs-," allgemeine „ W i l l k ü r - " oder Verbot des „abus de d r o i t " 8 8 als Schranke i n Betracht kommen. Ein der83 Die verschiedenen i n diesem Zusammenhang verwendeten Begriffe w i e Rechtsmißbrauchverbot, W i l l k ü r v e r b o t oder Verbot des „abus de d r o i t " meinen i n etwa das Gleiche. Der Begriff des „abus de d r o i t " hat sich dabei jedoch i n der völkerrechtlichen L i t e r a t u r als der gebräuchlichste u n d u m fassendste terminus technicus durchgesetzt (vgl. Kewenig, Nichtdiskriminierung, S. 118 m. w . N.). Wörtlich übersetzt entspricht dieser Ausdruck dem

1. Abschn. : Die dem Durchgriff gezogenen rechtlichen Schranken

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artiges allgemeines völkerrechtliches W i l l k ü r - oder Rechtsmißbrauchsverbot kann man heute als gewohnheitsrechtlich anerkannt ansehen 84 . Wie der Inhalt des Verbots des „abus de droit" zu bestimmen ist und wo damit „die äußerste Grenze der einzelstaatlichen Handlungs- und Entscheidungsfreiheit i m Völkerrecht" liegt 8 5 , w i r d nicht einheitlich beurteilt 8 6 . Einigkeit besteht jedoch insoweit, als es sich nach allgemeiner Auffassung u m die Ausnutzung einer „Rechtsposition" durch den an sich Berechtigten „in einer zu mißbilligenden Art und Weise" handeln muß. Bei der Frage, wann es sich dabei u m die Ausnutzung „ i n einer zu mißbilligenden A r t und Weise" handelt, lassen sich drei Elemente hervorheben: 1. den antisozialen Charakter eines Verhaltens, als eines Verhaltens, das i m Interesse eines offensichtlich sekundären eigenen Vorteils primäre, schwierwiegende Interessen anderer oder der Allgemeinheit verletzt und dadurch zu einem eklatanten Mißverhältnis zwischen eigenem Vorteil und fremdem Schaden führt, 2. die sinnwidrige, funktionswidrige Ausübung eines Rechts, als den Mißbrauch eines Rechts für den Zweck, zu dem es offensichtlich nicht geschaffen ist, 3. den negativen Beweggrund, d. h. die Absicht, durch die Ausübung eines bestimmten Rechts anderen Schaden zuzufügen, ohne daß ein wirkliches eigenes Interesse an der Ausübung dieses Rechts i n eben dieser Weise besteht 87 . Gleichgültig, wie man den Begriff des „abus de droit" i m einzelnen faßt, so läßt sich doch allen Definitionen entnehmen, daß sich der „abus de droit" allenfalls als eine Sperre für extrem gelagerte Ausnahmefälle deutschen „Rechtsmißbrauch" (Kewenig, S. 118 m . w . N . ) . Der Begriff der „ W i l l k ü r " ist demgegenüber i m Ansatz weiter. Der Rechtsmißbrauch setzt die Existenz eines Rechts voraus. W i l l k ü r k a n n demgegenüber ein Verhalten auch dann darstellen, w e n n das Verhalten v o n A n f a n g an Unrecht ist, also v o n einem Recht zu einem solchen Verhalten nicht die Rede ist (Kewenig, S. 119). Andererseits ist jedoch jedes rechtserhebliche Verhalten des Staates i m völkerrechtlichen Bereich Ausübung eines Rechts, das i h m die Rechtsordnung, m i t mehr oder weniger großen Bindungen belastet, zur Verfügung stellt. W i l l k ü r - u n d Rechtsmißbrauchverbot stimmen deshalb i m Völkerrecht inhaltlich praktisch überein (im einzelnen zu der uneinheitlichen Terminologie Kewenig, S. 121). H i e r soll v o n dem i m Völkerrecht üblichen Sprachgebrauch ausgegangen werden m i t der Bezeichnung „abus de droit". Dieser Begriff vermeidet v o r allem die Gefahr, daß das Rechtsmißbrauchverbot m i t der unzulässigen Rechtsausübung i m strengen Sinne gleichgesetzt w i r d — während es richtiger u m die Ausübung einer „Rechtsposition" geht (Kewenig, S. 124) — oder daß bei einer Verwendung des Begriffs W i l l k ü r v e r b o t i n Folge des durch A r t . 3 I GG bedingten Verständnisses diesem Begriff ein falscher Bedeutungsinhalt beigelegt w i r d . 84 Kewenig, S. 108 ff.; 118,197. 85 Kewenig, S. 122. 88 Vgl. hierzu auch Wengler, Völkerrecht Bd. 1, S. 392. 87 Z u m Ganzen Kewenig, S. 125.

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I I I . 1. Kap. : Die allgemeine Problematik des Durchgriffs

erweist, „also als keine sehr spürbare Begrenzung der einzelstaatlichen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit i m internationalen Bereich" 88 . Berücksichtigt man zudem, daß m i t dem Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen bereits eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Verbots des „abus de droit" besteht, so verliert das allgemeine Verbot des „abus de droit" darüber hinaus an Bedeutung 89 . IL Die dem Durchgriff

durch die DBA gezogenen Schranken

Erhebliche Bedeutung für die gesamte Durchgriffsproblematik kommt der Frage der Vereinbarkeit des Durchgriffs m i t den D B A zu. Vor allem die i n den D B A getroffenen, dem Grundsatz der Selbständigkeit entsprechenden Regelungen können einem Durchgriff entgegenstehen 90 . 1. Völkerrechtswidrigkeit oder Unanwendbarkeit als Folge der Unvereinbarkeit von Durchgriffsnormen m i t D B A Bei der Frage der Vereinbarkeit des Durchgriffs m i t den von Deutschland abgeschlossenen D B A sind zwei Fragestellungen zu unterscheiden: 1. die Frage der Vereinbarkeit m i t den völkerrechtlichen Verträgen und 2. die Frage der Vereinbarkeit m i t den, den Inhalt dieser Verträge i n innerstaatliches Recht transformierenden Gesetzen (in der Folge als „Vertragsrecht" bezeichnet). Ein Durchgriff kann nicht nur gegen die i n den völkerrechtlichen Verträgen übernommenen Verpflichtungen verstoßen, sondern kann u . U . bereits m i t dem innerstaatlichen Vertragsrecht kollidieren. So kann insbesondere einem Durchgriff auf Grund von Normauslegung oder von allgemeinen Generalklauseln schon das innerstaatliche „Vertragsrecht" entgegenstehen, so daß der Durchgriff auf Grund von Normauslegung oder auf Grund allgemeiner Generalklauseln bereits nach innerstaatlichem Recht unzulässig ist. Für den Regelfall i m deutschen Außensteuerrecht, den des gesetzlich normierten Durchgriffs, kommt dem Nebeneinander von völkerrechtlichen Verträgen und innerstaatlichen Transformationsgesetzen entscheidende Bedeutung zu für die rechtliche Einordnung der Frage der 88

Kewenig, S. 124. Z u dem „Verbot der Vornahme v o n Hoheitsakten auf fremdem Staatsgebiet" · (Betriebsprüfung, Vollstreckung, etc.) als mögliche Durchgriffsschranke i m Einzelfall vgl. Peter Müller, S. 188 ff.; Großfeld, S. 171, 197 ff.; Klaus Vogel, Verwaltungsrechtsnorm, S. 101 m . w . N.; Raupach, Durchgriff, S. 178 f. sowie noch unten i. Z. m i t § 15 I I StAnpG. 90 Daneben können i n den D B A auch etwa Diskriminierungsverbote v e r einbart sein, die einem Durchgriff i m Einzelfall entgegenstehen können. 89

1. Abschn. : Die dem Durchgriff gezogenen rechtlichen Schranken

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Vereinbarkeit der Durchgriffsnormen m i t den D B A : Geht das innerstaatliche Vertragsrecht bereits den Durchgriffsnormen vor und sind die Durchgriffsnormen aus diesem Grunde gegenüber Abkommenstaaten nach innerstaatlichem Recht nicht anwendbar, so verstoßen die Durchgriffsnormen als solche grundsätzlich nicht gegen die völkerrechtlichen Verträge. Erst die Anwendung der nach innerstaatlichem Recht an sich unanwendbaren Durchgriffsnormen wäre völkerrechtswidrig. Die Durchgriffsnormen selbst wären nur ausnahmsweise dann völkerrechtswidrig, wenn sie eine derartige Anwendung „provozierten". I m übrigen wäre die Frage der Vereinbarkeit der Durchgriffsnormen m i t den D B A eine Frage der Anwendbarkeit der Durchgriffsnormen gegenüber Abkommensstaaten und damit eine Frage der Effektivität der Durchgriffsnormen. Gehen dagegen die Durchgriffsnormen dem innerstaatlichen Vertragsrecht vor, so verstößt dieser Rechtszustand gegen die „völkerrechtlichen Abkommen". Die Frage der Vereinbarkeit der Durchgriffsnormen m i t den D B A wäre ein Problem des Verstoßes gegen völkerrechtliche Verträge. a) Bis zum Inkrafttreten des § 2 AO 1977 war die Frage, nach welcher Regel das Verhältnis von Gesetzesrecht und Abkommensrecht zu bestimmen war, i n der Literatur umstritten. I m Ergebnis bestand dabei Einigkeit, daß die D B A von dem Zeitpunkt an, i n dem sie innerstaatliche Wirksamkeit erhielten, entgegenstehendes gleich- (bzw. nieder-) rangiges Recht außer Anwendung setzen. Die unterschiedlichen Ausgangspositionen w i r k t e n sich jedoch bei der Frage aus, ob das spätere Gesetzesrecht früheres Vertragsrecht außer K r a f t setzt oder ob das Vertragsrecht auch späterem Gesetzesrecht vorgeht. Ein Teil der Literatur, insbesondere Raupach, Wolff und Bühler, bestimmte das Verhältnis von Vertragsrecht und Gesetzesrecht nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori". Nach ihrer Ansicht geht nicht nur das spätere Abkommensrecht den früheren Gesetzen, sondern auch das spätere Gesetz dem früheren Abkommensrecht vor 9 1 . Überwiegend ging man jedoch von einem Vorrang des Abkommensrechts auch vor späteren innerstaatlichen Gesetzen aus 92 . Die Begründungen waren dabei unterschiedlich: Z u m Teil nahm man an, daß den Vertragsgesetzen allgemein ein höherer Rang zukommt als dem son91 Vgl. Wolff, Individualberechtigung, S. 66 — m. w . N. zur völkerrechtlichen L i t e r a t u r (S. 31 ff.); Raupach, Durchgriff, S. 173; Bühler, Prinzipien, S. 67; vgl. auch Berber, S. 100. 92 Großfeld, S. 20; Weyer A W D 1973 S. 263/264; Salditt StuW 1972 S. 12/25; Telkamp StuW 1972 S. 97/98; Kluge R i W 1975 S. 525/529 f. F N 72; Debatin D S t Z / A 1971 S. 92; ders. A W D 1969 S. 477; Ebling StlBp. 1971 S. 250; Flick B B 1971 S. 250; Horst Vogel B B 1971 S. 1189.

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I I I . 1. Kap. : Die allgemeine Problematik des Durchgriffs

stigen innerstaatlichen Redit 9 8 . Andere stellten auf den Grundsatz der lex specialis ab und nahmen an, daß das Vertragsrecht als lex specialis auch späteren Gesetzen vorgeht. Dieses auf den Grundsatz der lex specialis gestützte Ergebnis glaubte man insbesondere aus den §§9 Nr. 2 StAnpG, 3 Nr. 41 EStG herleiten zu können 94 . Nach Weyer ergab sich ein Vorrang des Abkommensrechts i m Wege der teleologischen Auslegung des Vertrags, da es nicht Absicht des Gesetzgebers sein könne, gegen seine vertragliche Verpflichtungen zu verstoßen 95 . Kluge 9 6 verwies auf die Möglichkeit, bei dem späteren Gesetz einen ungeschriebenen Vertragsvorbehalt zugunsten der Vertragsgesetze anzunehmen. Auch Böhmer betonte für das Verhältnis von Vertragsrecht allgemein zu späteren Gesetzen, es bestehe eine i n Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannte Auslegungsregel, die den Gesetzgeber nötige, den Derogationswillen zweifelsfrei erkennen zu lassen, u m Vertragsrecht zu beseitigen. Diese sogenannte „völkerrechtsfreundliche Auslegungsregel" habe sich zusammen m i t dem Grundsatz „lex posterior generalis non derogat legi priori speciali" i m allgemeinen als genügend wirksam erwiesen, u m Konflikte zwischen innerstaatlichem Recht und völkerrechtlichen Pflichten zu verhindern 9 7 . b) §2 AO 1977 w i l l diesen Meinungsstreit beenden. § 2 A O n . F . bestimmt, daß Verträge m i t anderen Staaten i. S. d. A r t . 59 Abs. 2 S. 1 GG über die Besteuerung, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Steuergesetzen vorgehen. I n der amtlichen Gesetzesbegründung heißt es: „Der neu eingefügte Paragraph 2 stellt klar, daß völkerrechtliche Vereinbarungen, soweit sie innerstaatliches Recht geworden sind, Vorrang vor den innerstaatlichen Steuergesetzen haben und deshalb allein durch spätere innerstaatliche Gesetze nicht abgeändert werden können." I n der Tat w i r d man davon ausgehen müssen, daß §2 A O 1977 den bisherigen Meinungsstreit zugunsten der Annahme eines Vorrangs des Abkommensrechts entscheidet. Die lex-posterior-Regel, auf die Raupach, Wolff und Bühler zur Begründung eines Vorrangs von späterem Ver93 I n diesem Sinne: Bühler, Internationales Steuerrecht u n d Internationales Privatrecht, S. 37 f.; Gre we W D S t R L 12 (1954) S. 149; vgl. auch Münch J Z 1961 S. 155; Debatin A W D 1962 S. 61/62; Teichner, Internationales Steuerrecht, S. 145. 94 Vgl. Großfeld, S. 20 F N 93; Telkamp StuW 1972 S. 97/98; Debatin A W D 1969 S. 477; Maunz/Dürig/Herzog, A r t . 25 Rdnr. 28 ff.; Schmitz D S t Z / A 1970 S. 327; Rädler/Raupach, Auslandsbeziehungen, S. 371 F N 11. 95 Weyer A W D 1973 S. 263/264; vgl. insoweit v o r allem auch Schröcker DVB1.1958 S. 369/370. 9e Kluge R i W 1975 S. 525/529. 97 Boehmer, Der völkerrechtliche Vertrag i m deutschen Recht, S. 71 m. w . N.; vgl. auch Rudolf, Völkerrecht u n d deutsches Recht, S. 213.

1. Abschn. : Die dem Durchgriff gezogenen rechtlichen Schranken

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tragsrecht vor früherem Abkommensrecht abstellen, ist lediglich eine Auslegungsregel, die den mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringen w i l l . Sie ist keine Regel, die etwa den Gesetzgeber selbst binden könnte. Demnach w i r d man die lex-posterior-Regel nicht mehr anwenden können, nachdem der Gesetzgeber seinen Willen bezüglich der Frage des Vorrangs der Abkommen oder des späteren Gesetzesrechts i n allgemeiner Form i n § 2 AO 1977 zum Ausdruck gebracht hat. Man w i r d § 2 A O auch nicht etwa entgegen der zitierten Gesetzesbegründung dahingehend einschränkend interpretieren können, daß nur der Vorrang von Abkommen gegenüber früherem Gesetzesrecht durch § 2 AO bestimmt werden soll. Gegen eine derartige einschränkende Interpretation spricht Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift 98 . Dennoch erscheint fraglich, ob §2 AO den generellen und für alle Fälle gültigen Vorrang von Abkommensrecht gewährleistet, den anzunehmen die Gesetzesbegründung nahelegt. I n der Gesetzesbegründung heißt es: „§ 2 stellt klar, daß völkerrechtliche V e r t r ä g e . . . Vorrang vor den innerstaatlichen Steuergesetzen haben und deshalb allein durch spätere innerstaatliche Gesetze nicht abgeändert werden können." Diese Formulierung, das Abkommensrecht habe nicht nur grundsätzlich Vorrang vor den innerstaatlichen Gesetzen, sondern die Abkommensgesetze „könnten" auch allein durch spätere innerstaatliche Gesetze nicht abgeändert werden, w i r d man als zu weitgehend ansehen müssen. Ebenso wie § 9 Nr. 2 StAnpG ist auch § 2 A O 1977 nur eine Bestimmung des einfachen Gesetzesrechts und hat damit keinen höheren Rang als die innerstaatlichen Gesetze, die § 2 AO hinter das Abkommensrecht zurücktreten lassen w i l l . Das aber bedeutet, daß §2 A O für die späteren, dem Abkommensrecht widersprechenden Gesetze keine Bindungswirkung entfalten kann, sondern diese Gesetze, soweit sie einen Vorrang vor dem Abkommensrecht bestimmen, nach dem Grundsatz der lex specialis der Regel des § 2 AO vorgehen. Man w i r d dabei nicht nur die ausdrück98 § 2 A O leistet insoweit das, was § 9 Nr. 2 S t A n p G bei entsprechender Auslegung u. U. hätte leisten können.

§ 9 StAnpG:

V o n den Steuern v o m E i n k o m m e n u n d v o m Vermögen sind Personen, Personenvereinigungen, Körperschaften u n d Vermögensmassen insoweit befreit als ihnen ein Anspruch auf Befreiung v o n dieser Steuer zusteht 1. nach allg. völkerrechtlichen Grundsätzen u n t e r W a h r u n g der Gegenseitigkeit oder 2. nach besonderer Vereinbarung m i t anderen Staaten Der Meinungsstreit, der bis z u m I n k r a f t t r e t e n des § 2 A O bestand, hatte seine Ursache zu einem großen T e i l i n der Unsicherheit über die Auslegung des §9 Nr. 2 StAnpG. Die K o m m e n t a r - L i t e r a t u r beschränkte sich auf die Feststellung, daß § 9 Nr. 2 S t A n p G n u r deklaratorische Bedeutung zukomme, da die A b k o m m e n ohnehin als spezielle Regelung den Gesetzen vorgingen — vgl. Tipke/Kruse, § 9 StAnpG, A n m . 1; Hübschmann/HepplSpitaler, §9 StAnpG, A n m . 5; Mattern/Messmer, § 9 StAnpG, Rdnr. 2724.

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I I I . 1. Kap. : Die allgemeine Problematik des Durchgriffs

liehe Bestimmung des Vorrangs i n dem betreffendem Gesetz, sondern auch den sich i m Wege der Auslegung dieses Gesetzes ergebenden Vorrang ausreichen lassen müssen. §2 A O stellt lediglich eine Kollisionsregel dar, nach der ein Vorrang des Abkommensrechts auch gegenüber späteren Gesetzen anzunehmen ist, sofern diesen selbst kein Vorrang gegenüber dem Abkommensrecht auf Grund konkreter Anhaltspunkte zu entnehmen ist. c) Überträgt man diese Überlegungen nunmehr auf die Frage der Vereinbarkeit der Durchgriffsnormen m i t den DBA, so ist nach § 2 AO 1977 davon auszugehen, daß das innerstaatliche Abkommensrecht grundsätzlich den Durchgriffsnormen vorgeht, die Frage der Vereinbarkeit von neu erlassenen Durchgriffsnormen m i t bestehendem Abkommensrecht also keine Frage der Völkerrechtswidrigkeit dieser Durchgriffsnormen, sondern eine Frage ihrer Anwendbarkeit gegenüber Abkommenstaaten und damit ihrer Effizienz ist. Lediglich dann, wenn i m Einzelfall das Gesetz selbst eine Vorrangbestimmung enthält, die als lex specialis dem §2 AO vorgeht, sowie dann, wenn völkerrechtlicher Vertrag und Transformationsgesetz inhaltlich auseinanderfallen oder ungeachtet des vorrangigen Abkommensrechts die Durchgriffsnormen auch gegenüber Abkommenstaaten angewandt werden, kann es zu einem Verstoß gegen die völkervertraglichen Verpflichtungen kommen. Ansonsten stellt sich nach § 2 AO nur die Frage der Anwendbarkeit der Durchgriffsnorm. 2. Die Vereinbarkeit m i t D B A i n der Entwicklung Die Problematik der Frage der Vereinbarkeit des Durchgriffs m i t den D B A beschränkt sich jedoch nicht auf die Feststellung der gegenüber Abkommenspartnern gegebenen Unanwendbarkeit beziehungsweise Völkerrechtswidrigkeit. Die Frage der Vereinbarkeit des Durchgriffs m i t D B A unterliegt der Entwicklung. Soweit D B A einem Durchgriff entgegenstehen, w i r d das Land, das einen Durchgriff für notwendig erachtet, versuchen, die Abkommenspartner zu einer Änderung der D B A zu veranlassen (vgl. die Verhandlungen Deutschland — Schweiz betr. §§ 7 ff. AStG) 9 9 . I m äußersten Fall w i r d das betreffende Land durch Aufkündigung der Abkommen für einen Durchgriff Raum schaffen. Die D B A stellen somit dem Durchgriff keinen endgültigen Widerstand entgegen, sondern w i r k e n insoweit nur hemmend, verzögernd. Zwar w i r d ein Staat nur i m Extremfall versuchen, sämtliche Abkommen zu ändern. Gerade bei den Durchgriffen zur Vermeidung der Steuerflucht aber würde etwa bereits eine Änderung der m i t den Steueroasenländern geschlossenen Abkommen ausreichen. 99

Hierzu Großfeld, S. 148 ff.

2. Abschn. : Der tatsächlich beachtete Grundsatz der Selbständigkeit

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Andererseits unterliegt auch i n umgekehrter Richtung die Frage der Vereinbarkeit des Durchgriffs m i t D B A der Entwicklung. Die von dem Durchgriff betroffenen Staaten, m i t denen kein Abkommen besteht oder mit denen nur Abkommen bestehen, die den betreffenden Durchgriff nicht ausschließen, können ihrerseits bei Neuabschluß oder durch Revision der Abkommen die Möglichkeit des Durchgriffs ihnen gegenüber ausschließen (vgl. § 15 I I StAnpG, Filialtheorie).

2. Abschnitt: Die Abweichung von dem international tatsächlich beachteten Grundsatz der Selbständigkeit Nach den Feststellungen i m Rahmen des 2. Teils besitzt der Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften keine allgemeine rechtliche Verbindlichkeit. Wie i m 1. Abschnitt gezeigt, bestehen jedoch eine ganze Reihe rechtlicher Schranken, die einem Durchgriff i m Einzelfall entgegenstehen können. I m übrigen stellt das Problem des Durchgriffs vor allem ein tatsächliches Problem dar. Wenn auch der Grundsatz der Selbständigkeit keine rechtliche Verbindlichkeit hat, so w i r d dieser Grundsatz doch von den Staaten allgemein anerkannt und rein tatsächlich, wenn auch ohne rechtliche Verbindlichkeit, befolgt. Es bestehen also nicht nur rechtliche Schranken, die i m Einzelfall einem Durchgriff entgegenstehen können und diesen als unzulässig erscheinen lassen können, sondern es gilt außerdem, sich m i t dem Abweichen von dem rein tatsächlich beachteten Grundsatz der Selbständigkeit auseinanderzusetzen. Es geht hierbei u m die politische Zweckmäßigkeit des Durchgriffs 100 , für den deutschen Gesetzgeber aber auch u m die Beachtung eines allgemeinen Verfassungsauftrages. A. Die prinzipiellen Bedenken gegen einen einseitigen Durchgriff

Auch wenn es sich bei dem Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften i m Internationalen Steuerrecht nicht u m einen völkerrechtlich verbindlichen Grundsatz, sondern nur ein tatsächliches, ohne rechtliche Verbindlichkeit beachtetes Prinzip handelt, so stehen einem einseitigen Abweichen von diesem Prinzip durch einen einzelnen Staat prinzipiell doch Bedenken entgegen.

loo v g l . insoweit auch Harald Weber (Besteuerung selbständiger U n t e r nehmen, S. 297), der ebenfalls zwischen der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit u n d der politischen Zweckmäßigkeit des Durchgriffs unterscheidet.

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I I I . 1. Kap. : Die allgemeine Problematik des Durchgriffs

I. Die unmittelbaren Folgen eines einseitigen Durchgriffs für Körperschaft und Anteilseigner Welche Folgen es hat, wenn ein Staat von dem ansonsten allgemein beachteten Grundsatz der Selbständigkeit abweicht, hängt davon ab, ob der betreffende Staat seinen Steueranspruch entgegen dem Grundsatz der Selbständigkeit ausdehnt oder ob er, abweichend von dem Grundsatz der Selbständigkeit, auf eine Steuererhebung verzichtet. 1. Die Ausdehnung des Steueranspruchs Die Staaten folgen dem Grundsatz der Selbständigkeit und schaffen so durch Verzicht auf ein ansonsten erzielbares Steueraufkommen eine Abgrenzung der verschiedenen Steuerhoheiten. a) Wenn nunmehr die Bundesrepublik i m Wege des Durchgriffs ihren Steueranspruch entgegen dem Grundsatz der Selbständigkeit ausdehnt, während die anderen Staaten gleichzeitig bei ihrer Besteuerung dem Grundsatz der Selbständigkeit folgen, so ergibt sich eine steuerliche Mehrfachbelastung von Körperschaft und Anteilseigner. Besteuert die Bundesrepublik i m Wege des Durchgriffs die ausländische Körperschaft als inländische (vgl. § 15 I I StAnpG) oder besteuert sie den Gewinn der ausländischen Körperschaft als Gewinn der Anteilseigner (vgl. §§7 ff. AStG), so hat dies eine steuerliche Mehrfachbelastung 101 zur Folge, die zwar vielleicht nicht den klassischen Begriff der internationalen Doppelbesteuerung erfüllt, i n ihrer wirtschaftlichen W i r k u n g dieser aber gleichsteht 102 . Es t r i t t eine, durch die verschiedene Betrachtungsweise der beteiligten Staaten bedingte steuerliche Mehrfachbelastung ein 1 0 3 . b) Trägt die Bundesrepublik der abweichenden Betrachtungsweise des Auslandes Rechnung — wie i m Fall der §§ 7 ff. AStG durch Anrechnung der ausländischen Steuern — so w i r d dennoch bei einer Besteuerung der ausländischen Körperschaft i m Inland oder einer Besteuerung des Gewinns der ausländischen Körperschaft als Gewinn der Anteilseigner der ausländische Gewinn auf die deutsche Steuerbelastung „heraufgeschleust" 104 . Dies kann einen Verstoß gegen den „Grundsatz der gleichen Wettbewerbsbedingungen i n einer liberalen Weltwirtschaft" 101 Die bei den §§7 ff. A S t G allerdings durch die Anrechnung der ausländischen Steuer vermieden w i r d . 102 Hierzu noch i m einzelnen i m Zusammenhang m i t den §§ 7 ff. AStG. 103 Z u r Vermeidung der D B als allgemeiner Zielsetzung i m Internationalen Steuerrecht vgl. Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 13; Spitaler Doppelbesteuerung, S. 219 ff.; Flick FinArch. Bd. 21 (1961) S. 86; Endriss, W o h n sitz· oder Ursprungsbesteuerung, S. 4 ff. 104 Heining/Krohne Die Aussprache 1970 S. 152/156; Institut F St. Brief 70 S. 26 f.; Peter Müller, S. 30.

2. Abschn. : Der tatsächlich beachtete Grundsatz der Selbständigkeit

159

darstellen 106 . Der Wettbewerbsfaktor Steuer folgt nicht mehr den Bedingungen auf dem ausländischen Markt. Die ausländische Körperschaft w i r d benachteiligt 106 . Der i n Körperschaftsform erwirtschaftete Gewinn w i r d einer marktfernen Besteuerung unterworfen. 2. Der Verzicht auf eine dem Grundsatz der Selbständigkeit entsprechende Steuererhebung Durch die Beachtung des Grundsatzes der Selbständigkeit von K ö r perschaften w i r d außerdem eine gewisse Einheitlichkeit bei der steuerlichen Belastung von Körperschaft und Anteilseigner erreicht. Wenn auch die Körperschaftsteuertarife i n den einzelnen Staaten recht unterschiedlich sind und auch bezüglich der Doppelbelastung des ausgeschütteten Gewinns noch keine Einigkeit besteht, so besteht doch bei der Behandlung nach dem Grundsatz der Selbständigkeit insoweit eine gewisse Einheitlichkeit — abgesehen von der Frage der Doppelbelastung —, als Körperschaft und Anteilseigner als voneinander unabhängige und selbständige Steuersubjekte ihren Gewinn zu ermitteln und zu versteuern haben. Weicht die Bundesrepublik von dieser Behandlung ab, indem sie etwa nach § 3 AuslInvG eine Berücksichtigung des Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft bei der inländischen M u t tergesellschaft zuläßt, so w i r k t dies prinzipiell wettbewerbsverzerrend, wenn die anderen Staaten ihrerseits eine derartige Steuervergünstigung nicht gewähren 107 . IL Die Bedeutung des einheitlich von den Staaten beachteten Grundsatzes der Selbständigkeit gegenüber einem einseitigen Durchgriff Das Problem des Abweichens von dem ansonsten allgemein befolgten Grundsatz der Selbständigkeit beschränkt sich jedoch nicht darauf, daß damit eine „Doppelbesteuerung", eine marktferne Besteuerung oder allgemein eine Wettbewerbsverzerrung eintreten kann. Diese Folgen können vermieden werden (so die Doppelbesteuerung durch Anrechnung der ausländischen Steuern) bzw. erscheinen i m Einzelfall w i r t schaftlich gerechtfertigt (so die „marktferne" Besteuerung auf dem Steuerniveau des Sitzstaates der Anteilseigner bei rein künstlich verlagerten Gewinnen). Vor allem ergeben sich Bedenken, daß hier von 105

Hierzu Institut FSt. Brief 70 S. 28 f. Institut FSt ebd.; Kormann, Die Steuerpolitik der internationalen Unternehmung, S.89ff.; Horst Vogel StbJb. 1962/63 S. 267/288; ders., Z w i schenstaatliche Kapitalinvestitionen, S. 54. 107 Z u m Problem der Wettbewerbsverzerrung i m Internationalen Steuerrecht allgemein vgl. Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 6 m. w . N. 106

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I I I . 1. Kap. : Die allgemeine Problematik des Durchgriffs

einem Grundsatz abgewichen wird, der allgemein anerkannt und grundsätzlich befolgt wird. 1. Der Durchgriff gegenüber den anderen Staaten Durch die allgemeine Beachtung des Grundsatzes der Selbständigkeit von Körperschaften w i r d eine Steuergutverteilung ermöglicht, die Überschneidungen der Abgabehoheiten vermeidet und gleichzeitig durch die Steuererhebung entsprechend dem Grundsatz der Selbständigkeit insoweit eine einheitliche Besteuerung von Körperschaft und Anteilseigner gewährleistet. Wenn nunmehr die Bundesrepublik von diesem allgemein beachteten Grundsatz abweicht und ihren Steueranspruch entgegen dem Grundsatz der Selbständigkeit ausdehnt, so greift sie damit auf nach dem Grundsatz der Selbständigkeit ausschließlich dem anderen Staat zur Besteuerung zustehendes „fremdes" Steuergut zu. Die Bundesrepublik dehnt ihre Steuerhoheit auf (nach dem Grundsatz der Selbständigkeit) fremdes Steuergut aus 108 , während der andere Staat seinerseits i n Beachtung des Grundsatzes der Selbständigkeit von Körperschaften und i n Erwartung eines entsprechenden Verhaltens von Seiten der anderen Staaten auf eine entsprechende Besteuerung verzichtet. Weicht das deutsche Außensteuerrecht von dem Grundsatz der Selbständigkeit i n der Weise ab, daß es seinen Steueranspruch entgegen dem Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften einschränkt, so durchbricht es damit die insoweit bereits erreichte Harmonisierung, begründet außerdem einen Wettbewerbsvorteil für die i n seinem Geltungsbereich ansässigen Körperschaften bzw. Anteilseigner. 2. Die Bindung an den Grundsatz der Selbständigkeit Den Umstand, daß der Grundsatz der Selbständigkeit als solcher von den Staaten nur rein tatsächlich, ohne rechtliche Verbindlichkeit, beachtet wird, sollte man dabei nicht überbewerten. a) Vor allem sollte man dem Umstand, daß die Selbständigkeit der Körperschaften nicht auf einem allgemeinen Rechtsgrundsatz oder Völkergewohnheitsrecht beruht, vom Völkerrecht allgemein her kein zu 108 Vgl. auch Großfeld, S. 178: „Die Einwände gegen die Besteuerung der ausländischen Gesellschaft selbst haben die Staaten dazu geführt, i n der ausländischen Gesellschaft angesammelte Gewinne bei den inländischen A n teilseignern zu besteuern. W i e schon k u r z angedeutet, f ü h r t das aber ebenfalls zu einer »Ausdehnung der Steuerhoheit auf fremden Steuergut 1 ." u n d unter A n k n ü p f u n g an Bellstedt (FR 1972 S. 242/246) Großfeld, S. 171: „ M a n k a n n sie als eine Ausdehnung der Steuerhoheit auf fremdes Steuergut unter A n k n ü p f u n g an wirtschaftliche-gesellschaftsrechtliche-Merkmale bezeichnen, die ein Inländer i m Ausland v e r w i r k l i c h t ! "

2. Abschn. : Der tatsächlich beachtete Grundsatz der Selbständigkeit

161

großes Gewicht beimessen. Berber bemerkt insoweit zum Unterschied von Völkergewohnheitsrecht und Courtoisie: Die Regeln der „Courtoisie" gehörten zwar nicht zum Völkerrecht, die Beziehungen der Völkercourtoisie zum Völkergewohnheitsrecht seien aber gleichwohl eng, da Völkergewohnheitsrecht aus Übung entstehe, also Courtoisie i n Recht übergehen könne, wie auch umgekehrt Völkerrecht zu bloßer Courtoisie herabsinken könne. So sei auch i m Einzelfall nicht immer leicht zu entscheiden, ob eine Regel eine solche des Völkerrechts oder der Völkercourtoisie sei 109 . Der Unterschied zwischen Völker-„recht" und der bloßen völkerrechtlichen Übung liege darin, daß bei der bloßen völkerrechtlichen Übung nicht die spezifischen völkerrechtlichen Unrechtsfolgen eintreten. Die völkerrechtliche Übung sei für den internationalen Verkehr rechtlich irrelevant. Z u berücksichtigen sei aber, daß die rechtlichen Möglichkeiten, die bei einer Verletzung von Völkerrecht bestehen, i n der Praxis oft nutzlos seien. Andererseits möge zwar die völkerrechtliche Übung für den internationalen Verkehr rechtlich irrelevant sein, so aber doch nicht praktisch. Bei der Verletzung der völkerrechtlichen Übung träten zwar keine völkerrechtlichen Unrechtsfolgen, „ w o h l aber andere praktische, oft nicht minder schwere Unrechtsfolgen ein" 1 1 0 . Der andere Staat habe zwar nicht die rechtlichen Möglichkeiten, die bei einer Völkerrechtsverletzung bestehen. Er habe aber die Möglichkeit, tatsächliche Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen 1 1 1 . Gerade i m Bereich des Internationalen Steuerrechts kommt der rein tatsächlich beachteten Übung erhebliche Bedeutung zu. I m Internationalen Steuerrecht ist die Neigung der Staaten gering, sich über die D B A hinaus völkerrechtlichen Bindungen zu unterwerfen. U m so mehr Bedeutung haben die aufeinander bezogenen Übungen, die hier als Träger zwischenstaatlicher Koordination fungieren. Als Beispiel dafür, welche Bedeutung der völkerrechtlichen Übung gerade i m Bereich des Internationalen Steuerrechts zukommen kann, sei insoweit nur auf § 15 Abs. 2 StAnpG verwiesen. b) I m übrigen entspricht eine Beachtung des Grundsatzes der Selbständigkeit dem Gedanken internationaler Zusammenarbeit sowie dem Gedanken der Rücksichtnahme auf die Interessen der Steuerpflichtigen. Nach Klaus Vogel enthält das Grundgesetz eine „Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit" 112. Nach A r t . 24 GG 109 Berber, Völkerrecht, S. 72; insbesondere die Definition des Völkergewohnheitsrechts v o n Günther (Zur Entstehung v o n Völkergewohnheitsrecht, S. 155, 158 f., 140, 143) zeigt besonders deutlich die enge Verwandschaft v o n Völkergewohnheitsrecht u n d bloßer Übung. 110 Berber, S. 43. 111 Berber, S. 72, 43.

11 v. Beckerath

162

I I I . 1. Kap. : Die allgemeine Problematik des Durchgriffs

sei der Bund ermächtigt, durch (einfaches Bundes-)Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu „übertragen", sowie zur Wahrung des Friedens einem System kollektiver Sicherheit beizutreten und dabei auf eigene Hoheitsrechte zu verzichten. A r t . 25 GG räume den allgemeinen Hegeln des Völkerrechts Vorrang vor den innerstaatlichen Gesetzen ein. Handlungen, die das friedliche Zusammenleben der Völker stören, seien nach A r t . 25 GG verfassungswidrig und unter Strafe zu stellen. Die Präambel des Grundgesetzes enthalte darüber hinaus das Bekenntnis zu einem vereinten Europa und zu einem Dienst am Frieden der Welt. Diese Aussagen des Grundgesetzes sind nach Vogel m i t der Vorstellung eines „geschlossenen", sich gegenüber der Staatenwelt isolierenden Staates unvereinbar. Den A r t . 24 bis 26 GG liege ein gemeinsamer Gedanke zugrunde: eine Verfassungsentscheidung für eine „offene" Staatlichkeit, „ d . h . für eine Zusammenarbeit m i t anderen Staaten, für eine gliedschaftliche Einordnung der Bundesrepublik Deutschland i n eine internationale Gemeinschaft der Staaten" 113 . Es sei insoweit ein der Sozialstaatsentscheidung oder dem Wiedervereinigungsgebot vergleichbarer Verfassungsauftrag für Gesetzgeber und Exekutive gegeben 114 , der zugleich Auslegungsgrundsatz für der Verfassung nachgeordnetes Recht sei 115 . Eine Beachtung des Grundsatzes der Selbständigkeit fordert i m übrigen der „Grundsatz der internationalen Rücksichtnahme". Nach diesem, von Ritter i n dieser Form entwickelten 1 1 6 und von der I F A i n der Resolution des IFA-Kongresses i n London aufgegriffenen Grundsatz 117 haben die Staaten bei der Erhebung der Steuer auf ausländische Steuern i m Interesse der Steuerpflichtigen Rücksicht zu nehmen 118 . Nach Ritter ist i m Rahmen der Sozialbindung, i n der auch die Steuerhoheit stehe, die Tatsache einer konkurrierenden ausländischen Besteuerung relevant. Für eine Steuererhebung, die nicht u m ihrer selbst w i l l e n betrieben werden darf und sich an der individuellen Leistungsfähigkeit zu orientieren hat, könne die Tatsache einer von dieser Steuerordnung nicht gewollten zusätzlichen Steuerbelastung nicht unbeachtlich sein. Die überall fortschreitende Entwicklung unilateraler Regelungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ebenso wie der m i t gleichem Ziel betriebene Ausbau internationaler Vertragsnetze bewiesen dies nur zu 112 Klaus Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes f ü r eine internationale Zusammenarbeit. 113 Klaus Vogel, ebd., S. 46. 114 Klaus Vogel, ebd., S. 47. 115 Klaus Vogel, ebd., S. 51. 116 Vgl. Ritter JFfSt. 1975/76 S. 339/343. 117 Abgedruckt bei Ritter, S. 339/361. 118 So Ritter, S. 339/347.

2. Abschn. : Der tatsächlich beachtete Grundsatz der Selbständigkeit

163

deutlich. Aus der Sozialbindung des steuerlichen Selbstbestimmungsrechts des Staates ließen sich für grenzüberschreitende Sachverhalte zwar keine unmittelbar geltenden Rechtssätze ableiten, wie etwa das allgemeine Verbot einer Doppelbesteuerung. Es lasse sich hieraus aber der Grundsatz der internationalen Rücksichtnahme entwickeln. Dieser Grundsatz internationaler Rücksichtnahme bedeute eine Verhaltensmaxime für die Organe des Staates, aus der sich etwa Steuer- oder wirtschaftspolitische Forderungen an den Gesetzgeber oder internationalen Unterhändler auf wirksame Beseitigung internationaler Doppelbesteuerung herleiten lassen. Darüber hinaus sei dieser Grundsatz ein Auslegungsgrundsatz i n dem Sinne, daß bei der Entscheidung i m Zweifelsfalle zugunsten der Berücksichtigung der ausländischen Besteuerung entschieden werden muß 1 1 9 . B. Zur Berechtigung des Durchgriffs

Man w i r d jedoch aus den voraufgegangenen Ausführungen nicht den Schluß ziehen können, daß ein Durchgriff i n jedem Fall abzulehnen ist. Eine völlige Ablehnung des Durchgriffs wäre nicht nur unrealistisch, w e i l es i n sehr vielen, wenn nicht allen Staaten zu Durchbrechungen des Grundsatzes der Selbständigkeit kommt. Ein durchgängiges Festhalten an dem Grundsatz der Selbständigkeit wäre auch deshalb abzulehnen, w e i l ein Durchgriff i n bestimmten Ausnahmefällen durchaus als berechtigt und auch notwendig erscheint (insbesondere bei einer mißbräuchlichen Ausnutzung des Trennungsprinzips). Vor allem aber kann die Durchbrechung des Grundsatzes der Selbständigkeit dadurch, daß es auch i m Außensteuerrecht anderer Staaten zu Durchgriffen kommt, für bestimmte Problembereiche zur Regel werden, so daß nur ein Durchgriff auch i m deutschen Außensteuerrecht hier die notwendige Einheitlichkeit wahren kann. C. Die Notwendigkeit der internationalen Verständigung über die Durchgriffsfälle

Eine Lösung des Problems „Durchgriff" kann nur darin bestehen, über die Fälle der Durchbrechimg des Grundsatzes der Selbständigkeit ebenso eine Verständigung zwischen den Staaten zu erzielen, wie sie über die grundsätzliche Behandlung der Körperschaften nach dem Grundsatz der Selbständigkeit bereits weitgehend besteht. Allerdings ist von seiten der Staaten hierbei der Gedanke der Rechtssicherheit zu beachten 120 . Der Grundsatz der Selbständigkeit muß ein 119 120



Ritter, S. 339/346 f. Vgl. hierzu auch Peter Müller,

S. 30.

164

I I I . 1. Kap. : Die allgemeine Problematik des Durchgriffs

gewisses beharrendes Element enthalten, da m i t jeder weiteren Ausnahme eine erneute Auseinandersetzung notwendig w i r d und eine u m so stärkere „Uberkomplizierung" eintritt, je öfter der Grundsatz der Selbständigkeit durchbrochen wird, je mehr Ausnahmen gemacht werden 121 .

121

Hollatz A G 1965 S. 29.

2. Kapitel

Die einzelnen Durchgriffefälle I n der gegenwärtigen Diskussion w i r d das Problem des Durchgriffs i n erster Linie i m Zusammenhang m i t den Durchgriffsfällen des Außensteuergesetzes von 1972 gesehen. Neben den Durchgriffsmaßnahmen des Außensteuergesetzes haben jedoch die bereits vor Inkrafttreten des Außensteuergesetzes gegebenen Durchgriffsmöglichkeiten zur Bekämpfung der Steuerflucht nach §§ 1 I I I , 5,6,11 StAnpG (in der Neufassung der §§ 41 I I , 42 A O 1977) weiterhin aktuelle Bedeutung. Auch die Fälle des Durchgriffs zur Bekämpfung der Steuerflucht machen aber nur einen Teil der Problematik aus. Neben den Durchgriffsmaßnahmen zur Bekämpfung der Steuerflucht ist das Problem des Durchgriffs zur Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Körperschaften auch heute noch bzw. gerade heute bedeutsam. Durchgriffsmaßnahmen wie die Filialtheorie, die indirekte Gewinnermittlung oder die Besteuerung der ausländischen Gesellschaft nach § 15 I I StAnpG haben nicht nur eine überragende Bedeutung für die gesamte Entwicklung der Durchgriffsproblematik. Das prinzipielle Anliegen dieser Durchgriffsfälle zeigt möglicherweise gerade für Gegenwart und Zukunft neue Perspektiven auf. Schließlich w i r d man nicht zuletzt auch Durchgriffsfällen Beachtung zu schenken haben wie dem Durchgriff nach § 2 KVStG, den Durchgriffsvorschriften des Auslandsinvestitions- und des Auslandsinvestmentgesetzes, die bisher vielleicht begrifflich als Durchgriffsfälle angesprochen, aber doch kaum i n ihrer Problematik i m Zusammenhang m i t den anderen Durchgriffsfällen gesehen wurden. Bei der Behandlung der verschiedenen Durchgriffsfälle des deutschen Außensteuerrechts i n der Literatur fällt auf, daß i m Vordergrund jeweils die Frage steht, auf welche A r t und Weise durchgegriffen wird. Es w i r d die Zulässigkeit des Durchgriffs nach der Filialtheorie, i m Wege der Besteuerung der ausländischen Gesellschaft oder i m Wege der Hinzurechnungsbesteuerung erörtert. Dagegen fehlt es oft an einer näheren Berücksichtigung des Grundes, aus dem heraus der Durchgriff erfolgt und damit auch des Zieles, das der Durchgriff anstrebt. Die Frage nach dem Anlaß des Durchgriffs sollte aber gegenüber der Frage nach der Art und Weise, m i t der durchgegriffen wird, i m Vordergrund stehen. Es gilt in erster Linie, "die „neuralgischen" Punkte des Tren-

166

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

nungsprinzips zu ermitteln. Der Frage nach der A r t und Weise, m i t der durchgegriffen wird, ob durch Besteuerung der ausländischen Gesellschaft i m Inland oder durch Hinzurechnung des von der Körperschaft erwirtschafteten Gewinns zum Einkommen der Anteilseigner, kommt erst dann Bedeutung zu, wenn überhaupt eine Aufgabe des Trennungsprinzips zu dem m i t den einzelnen Durchgriffsfällen verfolgten Zweck gerechtfertigt erscheint. Fragt man i n dieser Weise nach den Anlässen, aus denen heraus das deutsche Außensteuerrecht von dem Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften abweicht, so w i r d man drei Gruppen von Durchgriffsfällen unterscheiden können: 1. Der Durchgriff zur Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit (hierzu i m 1. Abschnitt) 2. Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht (hierzu i m 2. Abschnitt) 3. Der Durchgriff nach dem Auslandsinvestmentgesetz (hierzu i m 3. Abschnitt)

1. Abschnitt: D e r Durchgriff zur Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit

Die steuerliche Behandlung von Körperschaften als eigenständige Steuersubjekte erscheint problematisch, wenn die Körperschaften zwar rechtlich selbständig, wirtschaftlich aber unselbständig sind, wenn sie wirtschaftlich nichts anderes sind als eine bloße „Filiale", ein „Organ", ein bloßer „Unternehmensteil" oder eine bloße „Betriebsabteilung". Das Steuerrecht — auch das anderer Staaten 172 — orientiert sich bei der steuerlichen Verselbständigung an der zivilrechtlichen Selbständigkeit, die ihrerseits die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Unselbständigkeit i n Kauf nimmt. Das Steuerrecht w i l l aber grundsätzlich „wirtschaftliche Veranstaltungen" erfassen, nicht die Rechtsform der juristischen Person als solche zu besteuern 874 . Die Frage, die sich hieraus ergeben muß, ist, ob man die grundsätzliche „rechtliche Betrachtungsweise" bei einem Auseinanderfallen von rechtlicher Selbständigkeit und wirtschaftlicher Unselbständigkeit auf Grund einer „wirtschaftlichen Betrachtungsweise" ausnahmsweise durchbrechen soll 5 .

1/2

Hierzu Kraushaar, Die steuerlichen Vorteüe ausländischer Kapitalgesellschaften, S. 105. 3/ 4 Kruse, Steuerrecht A T , S. 105. 5 Vgl. hierzu auch Peter Müller, S. 29 ff.

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaftl. Unselbständigkeit

167

A. Die Durchgriffsmaßnahmen der Filialtheorie, der indirekten Gewinnermittlung, des § 15 I I StAnpG

Die rechtliche Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Körperschaften bezweckten die Durchgriffsmaßnahmen der Filialtheorie, der indirekten Gewinnermittlung, des § 15 I I StAnpG. Die indirekte Gewinnermittlung und die Filialtheorie finden heute keine Anwendung mehr®, die Vorschrift des § 15 I I StAnpG ist durch A r t . 6 des Außensteuerreformgesetzes von 1972 aufgehoben worden 7 . Dennoch sind diese Durchgriffsfälle auch heute noch von Interesse. Möglicherweise sind die Filialtheorie und die indirekte Gewinnermittlung, auch wenn diese von der Finanzverwaltung gegenwärtig nicht mehr angewandt werden, auch heute noch anwendbar u n d sollten auch angewandt werden. I n jedem Fall kommt diesen Durchgriffsfällen — und dies gilt vor allem auch für die aufgehobene Gesetzesvorschrift des § 15 I I StAnpG — eine überragende Bedeutung für die gesamte Entwicklung der Durchgriffsproblematik i m deutschen Außensteuerrecht zu 8 . So erklären sich die heute gültigen Durchgriffsnormen des Außensteuergesetzes und auch des Auslandsinvestmentgesetzes i m Hinblick auf die verwandte Methode der Hinzurechnungsbesteuerung gerade aus der Ablehnung der Durchgriffsmaßnahmen der Filialtheorie und des § 15 I I StAnpG. Vor allem aber sind, wie i m einzelnen noch darzulegen sein wird, die Überlegungen, die den Durchgriffsmaßnahmen der Filialtheorie, der indirekten Gewinnermittlung u n d des § 15 I I StAnpG zu Grunde lagen, auch gegenwärtig noch — zumindest für eine rechtspolitische Fragestellung — von aktueller Bedeutung. Es gilt insofern nicht nur, diese Überlegungen zu vergegenwärtigen. Es gilt zugleich, die Bedenken zu analysieren, die gegen die aus diesen Überlegungen hervorgegangenen Durchgriffsfälle vorgebracht wurden. Es ist zu fragen, inwieweit sich diese Bedenken gegen die konkrete Ausgestaltung, die verwandte Methode oder das prinzipielle Anliegen richteten, u m hieraus Schlußfolgerungen für entsprechende Fragestellungen i n der Gegenwart ableiten zu können.

6 Vgl. zur A n w e n d u n g der Filialtheorie die gleichlautenden Ländererlasse v. 14.12.1965 i n DStZ/E 1966 S. 36 f. 7 Vgl. „Gesetz zur W a h r u n g der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei A u s landsbeziehungen u n d zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen" v. 8.9.1972, BStBl. I S. 1713. 8 Z u r Bedeutung des § 15 I I S t A n p G f ü r die E n t w i c k l u n g des IStR vgl. Großfeld, S. 88 ff.

168

I I I . 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

I. Grundlagen und konkrete Ausgestaltung

der Durchgriffsfälle

1. Die Grundlagen i n der allgemeinen Diskussion u m Konzern- u n d Organtheorie Die Durchgriffsmaßnahmen nach der Filialtheorie, der indirekten Gewinnermittlung und auf Grund des § 15 I I StAnpG haben ihren Ursprung i n der damaligen lebhaften Diskussion u m Konzerntheorie und Organtheorie 9 . a) I n den Jahren von 1910-1930 entwickelte sich, ausgehend vom Gesellschaftsrecht, eine lebhafte Diskussion u m die sogenannte „Konzerntheorie", „Einheitstheorie" 10, „Einheitlichkeitstheorie", oder „Theorie von der Einheit des Konzerns". Die sogenannte Einheits- oder Konzerntheorie geht zurück auf Isay. Isay weist an verschiedenen praktischen Anwendungsfällen ein Recht am Unternehmen als ein i m Unternehmen verkörpertes Immaterialgut nach, das zu Schadensersatz- und Unterlassungsklage berechtigt. Ein derartiges einheitliches Recht am Unternehmen soll nach Isay auch bei sogenannten „zusammengesetzten" oder „komplexen" Unternehmungen bestehen 11 . Ein derartiges „zusammengesetztes" Unternehmen, an dem ein ,Recht am Unternehmen 4 bestehe, sei aber nicht nur dann möglich, wenn die Unternehmen, aus denen es besteht, sämtlich ein und demselben Inhaber gehören, sondern es könnten sich auch solche Geschäfte zu einem komplexen Unternehmen vereinigen, die sich in den Händen verschiedener Rechtssubjekte befinden 12 . Auch jene Unternehmensgruppen genössen dann rechtliche Anerkennung und rechtlichen Schutz gegen Störung 13 . Es wäre „reiner Formalismus, wollte man die materiell einheitliche Unternehmung u m deswillen i n zwei zerreißen, w e i l sie aus 9 Wenn demgegenüber i n der L i t e r a t u r i. Z. m i t den verschiedenen Durchgriffsfällen i. d. R. n u r v o n der „internationalen Organtheorie" die Rede ist, so erscheint dies nicht zutreffend. I n dem S h e l l - U r t e i l des RFH, dem G r u n d satzurteil zur sog. „Filialtheorie", betont der R F H ausdrücklich, daß keine organschaftliche Abhängigkeit vorlag, es vielmehr u m die konzernschaftliche Verbundenheit ging (vgl. R F H RStBl. 1930 S. 149/151 — vgl. insoweit auch Bühler, Steuerrecht der Gesellschaften u n d Konzerne, 3. Aufl., S. 324; a . A . dagegen Rasch, Deutsches Konzernrecht, 2. Aufl., S. 272 f.). 10 Die Bezeichnung Einheitstheorie w i r d sowohl i m Zusammenhang m i t der Frage der Einheit des Konzerns als auch i m Zusammenhang m i t der Organschaft v e r w a n d t ; zum Begriff der Einheitstheorie bei der Organschaft (der hier die Einheit der Organober- m i t der Organuntergesellschaft meint m i t der Folge, „daß n u r noch ein Stpfl., nämlich der Organträger", besteht) vgl. Jurkat, Die Organschaft i m Körperschaftsteuerrecht, S. 39; z u m U n t e r schied des Einheitsbegriffs bei Konzern- u n d Organverhältnis vgl. bereits R F H RStBl. 1930 S. 148/151 (Shell-Urteil). 11 Vgl. Isay, Das Recht am Unternehmen (1910). 12 Hierzu Isay, S. 96 ff. 13 Isay, S. 97.

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaftl. Unselbständigkeit

169

äußerlichen Gründen i n zwei Rechtsformen gegossen worden ist". Das Wesen einer Filiale beispielsweise werde „doch nicht dadurch geändert, daß sie zu einer Aktiengesellschaft erhoben w i r d " 1 4 . Diese Ansicht von Isay fand als sogenannte „Einheitstheorie" starke Beachtung 15 und blieb auch i n der Folgezeit von Bedeutung 16 . Doch ging diese „Einheitstheorie", die dabei zur Diskussion stand, weit über die Ausführungen von Isay hinaus. Isay hatte lediglich und ausschließlich die Einheit des komplexen Unternehmens hinsichtlich des sich gegen Störungen durch Dritte richtenden Rechts am Unternehmen behandelt. Inhalt der Einheitstheorie, wie sie i n der Literatur diskutiert wurde, war es dagegen, Konzerne generell rechtlich als Einheit zu behandeln 17 : „daß Mutter- und Tochtergesellschaft kraft ihrer engen Zusammengehörigkeit i n Wirklichkeit eine wirtschaftliche Einheit und demgemäß auch rechtlich nichts anderes als Filialen seien" 18 . I n dieser Form wurde die Einheitstheorie i n der Literatur überwiegend abgelehnt 19 . Eine rechtliche Berücksichtigung der wirtschaftlichen Einheit zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft sei dem positiven Recht nicht zu entnehmen 20 . Die Konzerndefinition des Aktiengesetzes gehe davon aus, daß auch rechtlich selbständige Unternehmen durch ihre Zusammenfassung zu einer wirtschaftlichen Einheit ihre rechtliche Selbständigkeit nicht verlieren 21 . Erst die Fusion, als die Verschmelzung zweier oder mehrerer Unternehmen, führe zu einer totalen wirtschaftlichen und rechtlichen Einheit 2 2 . Wenn aber auch eine für alle Bereiche geltende Einheitstheorie abgelehnt wurde, so war man doch der Ansicht, den Überlegungen der Einheitstheorie sei insoweit Rechnung zu tragen, als i n den einzelnen 14

Isay, S. 101 f. Vgl. etwa: Ackermann Z B H 1 (1926) S.195f.; Flechtheim J W 1924 S. 679; Hellmuth Fricke Z B H 3 (1928) S. 361; Haussmann, Die Tochtergesellschaft, S. 25 ff.; ders., Grundlegung, S. 93 ff.; Friedländer Z B H 1 (1926) S. 13 ff.; Passow, Aktiengesellschaft, S. 538 ff.; Kahn StuW 1923 S. 1096; Kronstein, Juristische Person, S. 2; weitere Nachweise bei Erlinghagen, Der Organschaftsvertrag, S. 41 F N 23. 16 Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 279 (1955); Michel, K o n zernverträge u n d EWG-Wettbewerbsrecht, S. 99 ff. (1970); Erlinghagen, S. 41 if. (1960); Rasch, Gutachten z u m 49. D J T G 30 ff. (1972); Stolk, Die Behandlung multinationaler Konzerne als Einheit i m Steuerrecht, S. 14 ff. (1972). 17 Vgl. Frankenberg, Die konzernmäßige Abhängigkeit, S. 135; Kronstein, S. 3; vgl. auch Friedländer, Konzernrecht, S. 43. 18 Hierzu Kronstein, S. 3; Haussmann, Die Tochtergesellschaft, S. 26. 19 Vgl. insbes. Flechtheim J W 1924 S. 679; Ackermann Z B H 1 (1926) S. 195 f. 20 Kalm StuW 1923 S. 1096; Bärmann, Die rechtliche Stellung der Tochtergesellschaft, S. 112; Fricke Z B H 3 (1928) S. 315 ff.; auch Haussmann, U n t e r nehmenszusammenfassungen, S. 71. 21 Hierzu Erlinghagen, Der Organschaftsvertrag, S. 41 m. w . N. 22 Naegeli, Die Doppelgesellschaft, B a n d i , S. 194 m . w . Ν . i n F N 4 ; Schilling J Z 1957 S. 529. 15

170

I I I . 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

Rechtsgebieten jeweils festgestellt werden müsse, inwieweit eine rechtlich einheitliche Behandlung von Vorgängen geboten sei, die sich innerhalb eines (wirtschaftlich) einheitlichen Gebildes vollziehen. Man sprach insoweit von einer „modifizierten Einheitstheorie" 23 . Vor allem i m Steuerrecht sei eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Einheit i n Betracht zu ziehen. Die i m Steuerrecht geltende wirtschaftliche Betrachtungsweise setze sich leichter über die Rechtsform hinweg als das Zivilrecht 2 4 . b) Einerseits war es die vor allem von der zivilrechtlichen Literatur behandelte Konzern- oder Einheitstheorie, zum anderen war es die zur damaligen Zeit i m Bereich des nationalen Steuerrechts aktuelle Organtheorie, i n der die Durchgriffsmaßnahmen der Filialtheorie, des § 15 I I StAnpG u n d der indirekten Gewinnermittlung ihren Ursprung haben. Die Organtheorie ist von der Rechtsprechung als „die steuerrechtliche Lehre von der wirtschaftliche Einheit mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen" entwickelt worden 25 . Man spricht auch von ihr als „einer der Lehren der steuerlichen Anerkennung der wirtschaftlichen Einheit rechtlich selbständiger Wirtschaftssubjekte" 26 . Diese Theorie geht davon aus, daß es Körperschaften gibt, die von einem anderen Unternehmen so beherrscht werden, daß sie zwar rechtlich selbständig, wirtschaftlich ihr Unternehmen infolge finanzieller, wirtschaftlicher, organisatorischer Eingliederung i n das andere Unternehmen aber lediglich als ein Teil des anderen Unternehmens erscheint. Sinn und Zweck der Organtheorie ist es, dieser wirtschaftlichen Unselbständigkeit steuerlich Rechnung zu tragen. Körperschaften m i t juristischer Persönlichkeit sollen, wenn sie i n solcher Abhängigkeit von einer anderen Gesellschaft (oder Einzelperson) stehen, daß sie zum Organ dieser anderen geworden sind, auch ihre steuerrechtliche Selbständigkeit ver23 Hierzu Kronstein, S. 3; Pross, Der Einfluß des Steuerrechts auf die Rechnungslegung i m Konzern, S. 21; Friedländer, Konzernrecht, S. 43; Bärmann, Die rechtliche Stellung der Tochtergesellschaft, S. 113; Naegeli, Die Doppelgesellschaft, B a n d I , S. 196; vgl. auch Rasch, Gutachten z u m 49. DJT, S. 633 (Eine pauschale A b l e h n u n g der Einheitstheorie differenziert zu wenig!); vgl. a u d i Niemann, Probleme der Gewinnrealisierung innerhalb des K o n zerns, S. 26 ff.; zur Frage der Einheitstheorie ,de lege ferenda 4 vgl.: einerseits Kronstein, S. 3 ( „ i m Ernst nicht zu vertreten"); andererseits Euchen, G r u n d sätze der Wirtschaftspolitik, S. 279 („daß ein Konzern, i n viele juristische Personen zerfällt, erweist sich als unerträglich"). 24 Hierzu Friche Z B H 3 (1928) S. 315/317; vgl. auch Haussmann, Die Tochtergesellschaft, S. 26; Schilling J Z 1953 S. 161/163; vgl. auch Friedländer StuW 1923 Sp. 994/999. 25 Vgl. B F H BStBl. 1952 I I I S. 234/235. 26 Schultze-Schlutius, Organtheorie, S. 31; da nach der Rspr. Organ n u r eine „juristische Person" sein kann, k a n n m a n auch v o n der Lehre v o n der wirtschaftlichen Unselbständigkeit juristischer Personen sprechen, hierzu v. Wallis, Unternehmenszusammenfassungen, S. 107; Jurkat, S. 38.

1.Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaftl. Unselbständigkeit

171

lieren, und insoweit auch steuerrechtlich als das behandelt werden, was sie wirtschaftlich sind, nämlich als Ableitungen der Obergesellschaft 27 . Der Organkreis w i r d als eine einzige wirtschaftliche und steuerrechtliche Einheit angesehen, bei der nur noch der Organträger als Steuerpflichtiger besteht (Einheitstheorie) oder bei der dies zumindest dann gilt, wenn das Organ den Charakter einer Filiale oder Zweigniederlassung trägt (Filialtheorie), bei der die Organgesellschaft steuerrechtlich als bloße „Angestellte" behandelt und demzufolge das Einkommen der Organgesellschaft als Einkommen des Organträgers gilt (Angestelltentheorie) oder bei der entweder das gesamte Einkommen oder auch nur der steuerliche Gewinn des Organs dem Organträger zugerechnet w i r d (Zurechnungstheorie) 28 . 2. Die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Durchgriffsfälle a) Die Überlegungen i n der zivilrechtlichen Literatur zur Konzerntheorie und die Überlegungen i m Bereich des Internationalen Steuerrechts zur Organtheorie wurden für den Bereich des Außensteuerrechts aufgegriffen i n der „Filialtheorie w2 9 . aa) Grundlegend für die „Filialtheorie" w a r das sogenannte „ShellUrteil"* 0 des RFH, i n dem der RFH die deutsche Tochtergesellschaft des englisch-holländischen Shell-Konzerns auf Grund der wirtschaftlichen Einheit des Gesamtunternehmens als bloße rechtlich unselbständige Filiale ansah. Die Entscheidung des R F H erging dabei zum damaligen § 34 EStG. Nach dieser Vorschrift konnte bei einer Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens derjenige Gewinn angesetzt werden, der sonst bei inländischen Geschäften gleicher oder ähnlicher A r t erzielt worden wäre, wenn es sich um ein selbständiges Unternehmen handelte, mindestens aber die übliche Verzinsung des der Zweigniederlassung gewidmeten Kapitals 8 1 . Die Frage, die der R F H zu entscheiden hatte, war, ob m i t der zum Shell-Konzern gehörenden deutschen Shell-AG „eine Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens" vorlag, ob also die deutsche Shell-AG als Zweigniederlassung 27 Vgl. hierzu Bühler, Steuerrecht der Gesellschaften u n d Konzerne, 3. Aufl., S. 312 f.; Z u m Ganzen: Jurkat, S. 37 ff.; Schmidt/Steppert, Organschaft, S. 15,17; Schultze-Schlutius, S. 31. 28 Z u den verschiedenen Theorien vgl. Jurkat, S.39ff.; Hühl D S t Z / A 1965 S. 17. 29 Z u dem Begriff „Filialtheorie" vgl. a u d i Schultze-Schlutius, S. 25 (Filialtheorie als die Meinung, die eine Einheit v o n Organunter- u n d -obergesellschaften annimmt, w e n n die Organuntergesellschaft den Charakter einer Filiale, einer Zweigniederlassung der Obergesellschaft, trägt.). 30 R F H RStBl. 1930 S. 148. 31 Der Wortlaut des § 34 EStG a. F. ist wiedergegeben bei Dietz Wpg. 1956 S. 376/377.

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

und der Shell-Konzern als Unternehmen i m Sinne des § 34 EStG aufgefaßt werden konnte. Der RFH führte hierzu unter Anknüpfung an die zivilrechtliche „Konzerntheorie" 3 2 aus: Der Konzern stelle einen derartig durchorganisierten Wirtschaftskörper dar, daß man i m w i r t schaftlichen Sinne von einem Gesamtunternehmen sprechen könne. Dies gelte i n jedem Fall für den Konzern, der unter einheitlicher Leitung stehe und dessen einzelne Teile als autonome Einheiten aus sich selbst nicht mehr begriffen werden könnten, so daß zur Erklärung ihrer Stellung i n der Gesamtwirtschaft eine Bezugnahme auf den planmäßig aufgebauten Konzern notwendig sei. Es bedeute auch keine Auslegung contra legem, auch rechtlich selbständige Gebilde unter den Begriff der Zweigniederlassungen fallen zu lassen. Solche rechtlich selbständigen Gebilde brauchten sich dabei nicht notwendig als Organ darzustellen (!). Es entspreche dem Sinn u n d der wirtschaftlichen Berechtigung der Vorschrift des § 34 EStG, die geschaffen sei, um Gewinnverschiebungen ins Ausland zu verhüten u n d damit „den Konkurrenzkampf für die deutschen Firmen ein wenig erträglicher zu gestalten", als Zweigniederlassungen i m Sinne dieser Vorschrift auch rechtlich selbständige, aber wirtschaftlich unselbständige Teile eines Gesamtkonzerns anzusehen. bb) Diese Überlegungen des RFH i m sogenannten Shell-Urteil wurden in den folgenden Entscheidungen des RFH insbesondere für organschaftlich abhängige Tochtergesellschaften aufgegriffen. Vor allem Verkaufsgesellschaften ausländischer Unternehmen, die sich darauf beschränkten, die Produkte der Muttergesellschaft i m Inland zu vertreiben, w u r den als bloße Zweigniederlassungen angesehen, bei denen m i t Hilfe des §34 EStG Gewinnverschiebungen zu bekämpfen seien 33 . I n der Mehrzahl handelte es sich dabei u m Gesellschaften, die bilanzmäßig m i t Verlust arbeiteten 34 , w e i l die i m Inland erwirtschafteten Gewinne dem Konzern zuflössen, oder es handelte sich u m Gesellschaften, die m i t Verlust arbeiteten, deren Verluste aber von der Muttergesellschaft abgedeckt wurden 3 5 . 32 Diese A n k n ü p f u n g an die zivilrechtliche Theorie v o n der Einheit des Konzerns w i r d auch deutlich aus den Verweisungen des Urteils auf die zivilr. L i t . ; vgl. auch die Formulierungen v o n Haussmann, Die Tochtergesellschaft, S. 26: „Sie besagt, kurz ausgedrückt etwa, daß M u t t e r - u n d Tochtergesellschaft k r a f t ihrer engen Zusammengehörigkeit ,in Wirklichkeit* eine wirtschaftliche Einheit u n d demgemäß nichts anderes als F i l i a l e n seien" u n d Isay, Das Recht am Unternehmen, S. 101 f.: „Das Wesen einer Filiale werde beispielsweise doch nicht dadurch geändert, daß sie zu einer Aktiengesellschaft erhoben würde." 83 R F H RStBl. 1936 S. 837 (Tochter einer amerik. Ges. = „Verkaufsstelle"); R F H RStBl. 1934 S. 665 f. (Tochter handelt m i t Eisen d. ausi. Förderges.); R F H RStBl. 1930 S. 757 f. (Automobil-Montageges.). 34 R F H RStBl. 1936 S. 837; R F H RStBl. 1930 S. 757.

1. Abschn. : Die Berücksichtigung d. wirtschaftl. Unselbständigkeit

173

Der R F H behandelte inländische Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen nicht nur für 'die Frage der Anwendung des § 34 EStG als bloße Zweigniederlassung, sondern stufte die inländischen Tochtergesellschaften ausländischer Obergesellschaften auch i m übrigen als bloße Filiale oder Betriebstätte ein m i t der Folge, daß insbesondere Miet-, Pacht- u n d Darlehnszinsen, die von der inländischen Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft bezahlt wurden, als unternehmensinterner Vorgang angesehen wurden und damit von ihr nicht gewinnmindernd geltend gemacht werden konnten. I n dieser allgemeinen Form führte der R F H seine Rechtsprechung auch nach der Aufhebung des § 34 EStG 8 6 fort. cc) Die Literatur formulierte aus dieser Rechtsprechung des RFH, losgelöst von §34 EStG a. F., eine allgemeine „internationale Filialtheorie", wonach wirtschaftlich unselbständige inländische Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen allgemein als rechtlich unselbständige Zweigniederlassungen anzusehen seien m i t der Folge, daß an die Stelle der eigenen Körperschaftsteuerpflicht der Tochtergesellschaft die beschränkte Steuerpflicht des ausländischen Unternehmens trat 3 7 . I n dieser allgemeinen Form war die „Filialtheorie" nicht nur eine Maßnahme zur Verhinderung von Gewinnverschiebungen zwischen wirtschaftlich verbundenen Unternehmen 38 . Die Filialtheorie diente vielmehr dazu, allgemein zu verhindern, daß wirtschaftlich unselbständige Körperschaften Vorteile erlangten, die ansonsten m i t einer Besteuerung als Körperschaft gegenüber einer Besteuerung als bloßer Filiale verbunden sind 39 . Die Besteuerung als Betriebstätte führte zu einer grundsätzlichen Schlechterstellung 40 . Der inländischen Tochtergesellschaft wurde es bei der Berechnung des Steuergutes verwehrt, Lizenzgebühren, Miet-, Pacht- und Darlehenszinsen, die sie an die M u t tergesellschaft zahlt, als Betriebsausgaben abzusetzen. Außerdem unterlag sie bei einer Besteuerung als Filiale m i t ihrem ausgeschütteten Gew i n n statt einem Körperschaftsteuersatz von 15 % dem Steuersatz von 49 V Qû Selbst wenn man zu dem Steuersatz von 15 °/o bei der Besteuerung als Körperschaft die Kapitalertragsteuer von 2 5 % addierte, war diese Besteuerung als Betriebstätte m i t 49 % ungünstiger als die Besteuerung als Körperschaft: 1 5 % + 21,25% ( = 2 5 % von 100 - 1 5 % ) .

85

R F H RStBl. 1936 S.837; vgl. zum Ganzen auch Walther Wieland Schmidt, Grundrechte u n d Nationalität juristischer Personen, S. 140 ff. 36 Vgl. R F H RStBl. 1938 S. 46. 37 Vgl. hierzu vor allem Ahrndsen A W D 1965 S. 385. 38 So offensichtlich Ahrndsen, ebd. 39 Vgl. auch Wechsler StuW 1961 Sp. 356/365. 40 Wechsler, ebd.; Ahrndsen A W D 1965 S. 385.

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I I I . 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

b) Eine weitere Form des Durchgriffs zur Berücksichtigung der w i r t schaftlichen Einheit von organschaftlich bzw. von i n einem Konzern verbundenen Unternehmen stellte die Methode der indirekten Gewinnermittlung dar. Bei der üblichen direkten Methode w i r d der steuerpflichtige Gewinn auf Grund der Jahresbilanz der einzelnen Körperschaft ermittelt. Steuerlich unzulässige Aufwendungen werden als verdeckte Gewinnausschüttungen bzw. nach dem arm's-length-Prinzip behandelt. Die direkte Methode entspricht damit dem Grundsatz der Selbständigkeit: „Die rechtliche Selbständigkeit bringt unvermeidlich die eigene und einheitliche Vermögens- u n d Erfolgsrechnung der Kapitalgesellschaft m i t sich 41 ." Demgegenüber hielt der R F H bei Konzernen u n d bei organschaftlich verbundenen Unternehmen die Gewinnermittlung nach der indirekten Methode für sachgerechter 42. Bei der eng verflochtenen Organisation international tätiger Unternehmungen werde die Selbständigkeit der inländischen „Filiale" zur bloßen Fiktion 4 3 . Es könne nicht darauf ankommen, welche Einkünfte rein äußerlich i m Inland u n d welche i m Ausland gebucht würden. Da die Leitung des Gesamtunternehmens es völlig i n der Hand habe, wo sie die Gewinne auftreten lassen w i l l , würde -bei einer derart äußerlichen Betrachtung dem Steuerpflichtigen die Entscheidung über die Höhe der inländischen Besteuerung überlassen 44 . Für die deutsche Besteuerung könne es sich deshalb nur darum handeln, die Handelsgewinne des ausländischen Unternehmens so zu erfassen, wie sie i n Deutschland w i r k l i c h erzielt werden. Hierbei sei davon auszugehen, daß der i m Inland erzielte Handelsgewinn aus dem Zusammenwirken aller Betriebshandlungen des Gesamtunternehmens zu ermitteln ist, soweit diese Handlungen auf den Warenabsatz i n Deutschland gerichtet sind. Es sei ein Rückgriff auf das Gesamtunternehmen notwendig: „Der Gewinn eines Unternehmens ist auf das Zusammenwirken aller Betriebsteile zurückzuführen. Der inländischen Betriebstätte ist demnach der Teil des Gesamtgewinns zuzuweisen, der der Bedeutung ihrer Tätigkeit i m Rahmen des Gesamterfolgs entspricht 46 ." Die Rechtsprechung des RFH, die indirekte Gewinnermittlung (betreffend, stand dabei i m engem Zusammenhang m i t der Nichtanerkennung 41

B V e r f G BStBl. 1962 I S. 5021. Sp. R F H RStBl. 1938 S. 863; R F H RStBl. 1936 S. 837; R F H RStBl. 1930 S. 757; R F H RStBl. 1935 S. 1515; i h m folgend v o r allem Erhard Müller Wpg. 1955 S. 533/537. 48 Vgl. hierzu vor allem auch Erhard Müller, S. 533/537. 44 R F H RStBl. 1936 S. 837. 45 R F H RStBl. 1938 S. 863. 42

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaftl. Unselbständigkeit

175

von Miet-, Pacht- und Darlehenszinsen sowie der Anwendung des § 34 EStG nach der „Filialtheorie". Sie ging aber über die Filialtheorie hinaus, da auch hei einer Betriebstätte grundsätzlich die Gewinnermittlung nach der direkten Methode erfolgt. c) Während vom R F H die wirtschaftliche Unselbständigkeit der inländischen Tochtergesellschaft gegenüber der ausländischen Muttergesellschaft i n der Weise berücksichtigt wurde, daß die Tochtergesellschaft steuerlich als bloße Filiale behandelt wurde, zog §15 II StAnpG aus der wirtschaftlichen Unselbständigkeit der ausländischen Tochtergesellschaft gegenüber der inländischen Muttergesellschaft die Konsequenz, daß die wirtschaftlich unselbständige Tochtergesellschaft als inländische Gesellschaft anzusehen sei m i t der Folge, daß sie i n Deutschland der unbeschränkten Steuerpflicht unterlag. § 15 I I StAnpG, durch das Steueranpassungsgesetz von 1934 i n das deutsche Steuerrecht eingeführt, schrieb vor, daß eine Körperschaft oder Personenvereinigung, die nach bürgerlichem Recht selbständig ist, die sich aber wirtschaftlich als ein i n der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb darstelle und die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz i m Inland hat, i m Sinne der Steuergesetze so behandelt wird, als befände sich ihre Geschäftsleitung an dem Ort, an dem 1. die 'beherrschende natürliche Person: ihren Wohnsitz oder, wenn ein Wohnsitz i m Inland fehlt, ihren gewöhnlichen Aufenthalt, 2. die beherrschende Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse: ihre Geschäftsleitung oder, wenn eine Geschäftsleitung i m Inland fehlt, ihren Sitz hat. Es w i r d also eine ausländische juristische Person m i t Hilfe einer Fiktion steuerrechtlich zur inländischen erklärt 4 6 . Die ausländische Gesellschaft w i r d unbeschränkt steuerpflichtig. § 15 I I StAnpG bestimmte i m H i n blick auf die wirtschaftliche Unselbständigkeit der ausländischen Tochtergesellschaft i n Abweichung von der Regel nicht den Ort der Geschäftsleitung der Gesellschaft, sondern den des Gesellschafters als A n knüpfungspunkt und griff insoweit auf die Sphäre des Gesellschafters durch 47 . Nachdem i m Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über die „Wettbewerbsverfälschungen, die sich aus Sitzverlagerungen i n das Ausland und dem zwischenstaatlichen Steuergefälle ergeben" (sog. Steueroasenbericht), § 15 I I StAnpG als bestehende Schranke gegen die Erlangung von Steuervorteilen ausdrücklich angeführt wurde 4 8 , 46 47

S. 29.

Peter Müller, S. 15; Raupach, Durchgriff, S. 160. Raupach, Durchgriff, S. 160; Institut FSt. Brief 70 S. 27/28; Peter

Müller,

176

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

beschäftigte sich die Literatur 4 9 und Rechtsprechung 50 m i t der Frage, inwieweit „§ 15 I I StAnpG als eine rechtmäßige u n d praktikable Maßnahme zur Bekämpfung der Steuerflucht verwandt werden kann". § 15 I I StAnpG war jedoch nicht als Maßnahme zur Bekämpfung der Steuerflucht konzipiert, sondern allgemein als Maßnahme zur Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von ausländischen Tochtergesellschaften. Dies w i r d vor allem deutlich aus der Gesetzesbegründung, i n der es heißt: „Die ausländische Betriebstätte eines inländischen Unternehmens k a n n der inländischen Besteuerung nicht dadurch entzogen werden, daß der U n t e r nehmer die Betriebstätte einem anderen zu treuen Händen übereignet (§11 Ziffer 2 des Steueranpassungsgesetzes). W i r d die ausländische Betriebstätte i n eine Körperschaft oder Personenvereinigung, die nach bürgerlichem Recht selbständig ist, umgewandelt, so k o m m t es f ü r die Besteuerung darauf an, ob dieser rechtlichen Selbständigkeit auch eine wirtschaftliche Selbständigkeit entspricht. Fehlt es daran, stellt vielmehr die ausländische Körperschaft oder Personenvereinigung sich wirtschaftlich als ein i n der Gliederung des inländischen Unternehmens gesondert geführter Betrieb dar, so liegt der F a l l ähnlich, als habe das inländische Unternehmen die ausländische Betriebstätte einem Treuhänder übereignet 5 1 ."

I I . Die Kritik

an den Durchgriffsmaßnahmen

1. Die K r i t i k an der Filialtheorie, an der indirekten Gewinnermittlung, an § 15 I I StAnpG a) Die sogenannte Filialtheorie ist nicht nur bei den ausländischen Staaten auf Ablehnung gestoßen, es sind vor allem auch vom innerstaatlichen Recht her berechtigte Bedenken vorgebracht worden. aa) Die Filialtheorie beruhte auf einer Auslegung gesetzlicher Vorschriften, wie sie — sieht man von § 34 EStG a. F. ab — auch heute noch bestehen. Demnach könnte man — müßte man sogar, wenn die Filialtheorie eine zutreffende Auslegung gesetzlicher Vorschriften darstellte — d i e Filialtheorie auch heute noch anwenden. Eine Anwendung der sogenannten Filialtheorie setzt aber voraus, daß man die inländische „Tochtergesellschaft" unter den Begriff der Betriebstätte subsumieren und gleichzeitig, daß man die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§1,2 KStG verneinen kann 5 2 .

48 BT-Drucks. IV/2412; hierzu i n diesem Zusammenhang Institut Brief 70, S. 2. 49 Vgl. Peter Müller, S. 29 m. w . N. 60 B F H v. 18.12.1963 BStBl. 1964 I I I S. 253. 61 RStBl. 1934, 2 S. 1410. 52 Vgl. auch Ahrndsen A W D 1965 S. 385/386 f.

FSt.

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaft. Unselbständigkeit

177

Von der Definition der Betriebstätte her ergeben sich dabei weniger Bedenken, die wirtschaftlich unselbständige Körperschaft unter die tatbestandlichen Voraussetzungen der Betriebstättendefinition zu subsumieren (vgl. § 12 Nr. 2 AO 77). Bedenken ergeben sich vor allem i m Hinblick auf die für eine A n wendung der Filialtheorie notwendige Verneinung der tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 1, 2 KStG 5 3 . Den Tatbestand der §§ 1, 2 K S t G könnte man i m Fall der wirtschaftlich unselbständigen Tochtergesellschaft nur auf Grund einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise als nicht erfüllt ansehen. Eine derartige wirtschaftliche Betrachtungsweise ist aber allgemein bei den §§ 1, 2 K S t G abzulehnen. Auch die §§ 1, 2 K S t G knüpfen zwar die Steuerpflicht an wirtschaftliche Veranstaltungen an und nicht an die Rechtsform als solche, beschreiben lediglich die w i r t schaftlichen Veranstaltungen m i t ihren bürgerlich-rechtlichen Bezeichnungen. Das Gesetz w i l l aber offenbar, da sich aus dem Gesetz nichts ergibt, was auf Ausnahmen schließen ließe, alle wirtschaftlichen Veranstaltungen erfassen, denen das bürgerliche Recht die Bezeichnung einer juristischen Person gibt 5 4 . bb) Weitere Bedenken richteten sich gegen die Filialtheorie, soweit diese vom Ausland abhängige inländische Körperschaften als Filialen behandelte, es dagegen bei rein inländischen Beziehungen bei dem Grundsatz der Selbständigkeit beließ. Rasch bemerkt, daß die verschiedene Behandlung der Organgesellschaften im Innen -und Außensteuerrecht innerlich nicht recht begründet erscheint 55 . Auch Wilser stellt fest, daß die „unterschiedliche Behandlung der Tochtergesellschaften je nachdem, ob es sich u m eine inländische oder u m eine ausländische Obergesellschaft handelt, . . . innerlich nicht begründet und durch die Interessenlage nicht geboten sei" 56 . Nach Bellstedt diskriminiert die Anwendung der Filialtheorie Kapitalgesellschaften m i t ausländischen Gesellschaftern gegenüber solchen m i t inländischen Gesellschaftern 57 . cc) Vor allem aber war es w o h l die Ablehnung in den anderen Staaten, die die Finanz Verwaltung zur Aufgabe der Filialtheorie veran53 Vgl. Raupach, Durchgriff, S. 111, 112; vgl. ebenso auch Ahrndsen A W D 1965 S. 385/386 f.; Rädler/Raupach, Auslandsbeziehungen, S. 607; Wilser, S. 58; ob demgegenüber auch das sogenannte S h e l l - U r t e i l auf einer fehlerhaften Auslegung gesetzlicher Vorschriften beruhte, sei hier dahingestellt. Bei dem S h e l l - U r t e i l handelte es sich u m eine Auslegung des § 34 EStG a. F. Ob m a n i m Rahmen des § 34 EStG allerdings eine Körperschaft als bloße Betriebstätte ansehen konnte, die i. ü. nach § 1 K S t G grundsätzlich als Körperschaft besteuert werden mußte, also n u r bei § 34 eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise zu Grunde legen konnte, erscheint fraglich. 54 Kruse, Steuerrecht A T , S. 105. 55 Rasch, Deutsches Konzernrecht, 2. Aufl., S. 273. 58 Wilser, S. 58. 57 Bellstedt, Verflochtene Gesellschaften, 2. Aufl., S. 410.

12 v. Beckerath

178

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

laßt hat. Nachdem von deutscher Seite zunächst der Versuch gemacht worden war, eine „internationale Organtheorie" i n den D B A zu vereinbaren 58 , setzte sich bereits seit 1931 zunehmend die Ablehnung der Filialtheorie i n den D B A durch, womit sehr deutlich die Stellungnahme der anderen Staaten zu den deutschen Durchgriffsmaßnahmen zum Ausdruck kam. Die sogenannte Anti-Betriebstättenklausel, wie sie auch i n A r t . 5 V OECD-Musterabkommen enthalten ist, wurde zum regelmäßigen Inhalt der DBA 5 9 . „ A l l e i n dadurch, daß eine i n einem Vertragstaat ansässige Gesellschaft eine Gesellschaft beherrscht oder von einer Gesellschaft beherrscht wird, die i n dem anderen Vertragstaat ansässig ist oder dort (entweder durch eine Betriebstätte oder i n anderer Weise) ihre Tätigkeit ausübt, w i r d eine der beiden Gesellschaften nicht zur Betriebstätte der anderen." Bühler mußte als Generalberichterstatter bereits auf dem IFA-Kongreß 1954 i n K ö l n feststellen, daß die Anwendung der Organthorie auf internationale Verhältnisse i m Internationalen Steuerrecht überwiegend auf Ablehnung stieß 60 . Der Anerkennung der Organtheorie i m deutschen Recht, wo sie ein sehr wichtiges Element der Besteuerung der großen Gesellschaften geworden sei, stehe ihre so gut wie einmütige Ablehnung außerhalb Deutschlands gegenüber 61 . Nach Bechinie, dem Generalberichterstatter des IFA-Kongresses von 1957, wenden sogar die Länder, die die Organtheorie anerkennen, diese i m Außenverhältnis nicht an 62 . b) Auch' gegen die Anwendung der indirekten Gewinnermittlungsmethode bei wirtschaftlich unselbständigen Körperschaften wurden Bedenken vorgebracht. (Hierbei ist allerdings zu beachten, daß der RFH die indirekte Gewinnermittlungsmethode auf Körperschaften anwandte, die er nach der Filialtheorie als bloße Filialen ansah, es sich bei der Rechtsprechung des RFH insoweit also i m Grunde u m eine indirekte Gewinnermittlung für Betriebstätten handelte) 63 . 58 Vgl. die D B A Deutschland—Italien v o n 1925 u n d Deutschland—Frankreich von 1930 — hierzu Bühler, Prinzipien, S. 102. 50 Vgl. hierzu Peter Müller, S. 145 ff.; zum Ausschluß der Filialtheorie durch die D B A vgl. auch noch Bühler, Prinzipien, S. 103; Raupach, Durchgriff, S. 189; KornlDietz/Debatin, Vorbem. S. 105/106; Friedrich StuW 1959 S. 20; Bühring StuW 1954 Sp. 313/320 f. 60 Bühler C D D F I X X V I I , S. 104/107. 61 Bühler, Prinzipien, S. 13; zur Ablehnung der internationalen Organtheorie vgl. Lipps A W D 1967 S. 150/151; zum Ganzen auch Peter Müller, S. 152 m. w. N. i n F N 169. 62 Bechinie C D D F I X X X I V , W i e n 1957, S. 197; vgl. hierzu auch Stolk, Die Behandlung multinationaler Konzerne, S. 48. 63 Z u r indirekten Gewinnermittlungsmethode f ü r Betriebstätten vgl. BelU stedt, International verflochtene Gesellschaften, S. 362 („führt zu einem Höchstmaß an Rechtsunsicherheit", „entbehrt jeglicher gesetzlicher G r u n d lage"); auch Kormann, Die Steuerpolitik der internationalen Unternehmung,

1. Abschn. : Die Berücksichtigung d. wirtschafte Unselbständigkeit

179

aa) Die indirekte Gewinnermittlungsmethode — angewandt auf K ö r perschaften — wurde als dem geltenden Recht nicht entsprechend abgelehnt. Nach Wöhrle ergibt sich die direkte Gewinnermittlungsmethode, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen, zwangsläufig aus der Buchführungspflicht nach § 1611 Nr. 1 A O 6 4 (jetzt § 1411 AO η. F. unter ausdrücklicher Verweisung auf §§ 38—41 HGB). bb) Vor allem aber wurde i n der damaligen Diskussion auch auf die praktischen Schwierigkeiten hingewiesen, die m i t der indirekten Gewinnermittlungsmethode verbunden seien®5. Nach Kormann besteht zum einen das Problem der Ermittlung des Gesamtgewinns des Unternehmens®®. Es müssen nicht nur den Finanzbehörden der beteiligten Staaten die Verhältnisse des gesamten Unternehmens dargelegt werden, es muß auch zwischen den Staaten eine Einigung erzielt werden, das Recht welchen Staates der Gewinnermittlung als maßgeblich zugrunde gelegt werden soll. Vor allem aber bietet nach der Ansicht von Kormann die Aufteilung des Gesamtgewinns erhebliche Schwierigkeiten. Das Problem, einen geigneten Verteilungsschlüssel zu finden, könne schon bei einem etwas differenzierten Leistungsprogramm und bei unterschiedlichen Produktionsbedingungen weder logisch· richtig noch betriebswirtschaftlich befriedigend gelöst werden® 7. cc) Außerdem w i r d auch international die indirekte Gewinnermittlungsmethode für wirtschaftlich unselbständige Körperschaften — und nur bei diesen dürfte sie überhaupt i n Frage kommen — nicht angewandt. I n den D B A findet sich regelmäßig die sogenannte arm'slength-Klausel (vgl. A r t . 9 OECD-Muster abkommen), die der direkten Gewinnermittlungsmethode entspricht. Ein Indiz bietet auch die Behandlung der Frage der indirekten Gewinnermittlung bei der Betriebstätte i n A r t . 7 I V OECD-Musterabkommen. Eine indirekte Gewinnermittlung durch Aufteilung des Gesamtgewinns der Unternehmen nach Maßgabe verschiedener Schlüssel w i r d (für Betriebstätten!) zugelassen, soweit diese i n einzelnen Staaten üblich ist. Der Kommentar zu A r t . 7 I V OECD-Muster abkommen bezeichnet diese Methode jedoch als „ i m allgemeinen nicht so zweckdienlich..., wie ein Verfahren, das ausschließlich auf die Tätigkeit der Betriebstätte abstellt". S. 118 f. (Schwierigkeiten bei der E r m i t t l u n g u n d A u f t e i l u n g des Gesamtgewinns der Firma); zur A n w e n d u n g der indirekten Gewinnermittlungsmethode i n internationaler Sicht vgl. A r t . 7 I V OECD-Must er abkommen, der die indirekte G e w i n n e r m i t t l u n g f ü r Betriebstätten w e i t e r h i n zuläßt, soweit diese bisher bereits i n den einzelnen Staaten üblich war. ® 4 Wöhrle, zu § 1 A S t G S. 26; vgl. auch Radier/Raupach, Auslandsbeziehungen, S. 92. 65 Dietz Wpg. 1956 S. 376/377. ββ Kormann, S. 119. 67 Kormann, S. 118 f. 12·

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

c) Auch bei §15 II StAnpG waren nicht nur Gesichtspunkte des innerstaatlichen Rechts, sondern auch Bedenken aus internationaler Sicht für seine Aufhebung maßgeblich. aa) Vor allem bestanden vom innerstaatlichen Recht her Bedenken, § 15 I I StAnpG — abweichend von seiner ursprünglichen Konzeption — als Maßnahme zur Bekämpfung der Steuerflucht zu verwenden. § 15 I I StAnpG ließ sich — genausowenig wie i m übrigen auch die Filialtheorie — als Maßnahme zur Bekämpfung der Steuerflucht sachlich rechtfertigen. § 15 I I StAnpG ging über das Ziel einer bloßen Steuerfluchtbekämpfung hinaus. Es wurde nach § 15 I I StAnpG die vom Inland beherrschte, i m Ausland ansässige Körperschaft als inländisch behandelt, unabhängig vom Vorliegen irgendwelcher Gewinnverschiebungen und vor allem auch ohne Rücksicht darauf, ob es sich bei dem Land, i n dem sie ansässig war, überhaupt u m ein „Steueroasenland" handelte. Nach Raupach verletzte § 15 I I StAnpG als Maßnahme zur Bekämpfung der Steuerflucht deshalb das verfassungsrechtliche Übermaßverbot 68 . bb) § 15 I I StAnpG war aber nicht nur als Maßnahme zur Bekämpfung der Steuerflucht zu weitgehend. Auch im Rahmen seiner ursprünglichen Zweckbestimmung hatte sich, bereits bevor § 15 I I StAnpG i n die Steuerfluchtdiskussion einbezogen wurde, die geringe Effizienz, mangelnde Praktikabilität und die negativen wirtschaftspolitischen Auswirkungen des § 15 I I StAnpG abgezeichnet. Diese Überlegungen sprachen i m übrigen auch dafür, keine dem § 15 I I StAnpG entsprechende Regelung i n das Außensteuergesetz zu übernehmen, sondern als entsprechenden Tatbestand die Hinzurechnungsbesteuerung der §§ 7 ff. AStG zu formulieren. (1) Gegenüber Staaten, m i t denen ein D B A bestand, blieb § 15 I I StAnpG weitgehendst ohne Wirkung. I n der Literatur w a r man zunächst davon ausgegangen, daß die A n wendung der Vorschriften des § 15 I I StAnpG durch die D B A allgemein m i t allen Rechtsfolgen ausgeschlossen wurde 6 9 . Roer hat diese Ansicht m i t den in den D B A enthaltenen Domizilregeln begründet, die als lex specialis dem § 15 I I StAnpG vorgingen 70 . Einen Wandel i n den Auffassungen brachte zwar das Urteil des B F H vom 13.10.1965 71 , nach dessen Auffassung die Domizilregeln nur bedeu88

Vgl. Raupach, Durchgriff, S. 172. So Herrmann/ Heuer, Kuhn, Korn/Dietz, Becker/Riewald/Koch, Lademann — Nachweise i m einzelnen bei: Institut FSt. Brief 70 S. 10. 70 Vgl. Roer, Besteuerung der Auslandsbeziehungen, S. 52 ff.; vgl. auch den w o h l fehlgehenden Hinweis auf die Antibetriebstättenklausel bei: Institut FSt. Brief 70 S. 11 f. — hierzu auch Roer, ebd. 71 B F H BStBl. 1965 I I I S. 738; i h m folgend dann die L i t . vgl. Raupach, Durchgriff, S. 186 f. m. w . N.; vgl. auch Rädler/Raupach, Auslandsbeziehungen, S. 603. 69

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaft. Unselbständigkeit

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teten, daß das D B A bei grundsätzlicher Beibehaltung der persönlichen und unbeschränkten Steuerpflicht sachliche Steuerbefreiungen i m Sinne des § 9 StAnpG geschaffen habe. I m Ergebnis blieb damit aber auch nach der Ansicht des B F H § 15 I I StAnpG i m wesentlichen ohne Wirkung. Auch bei den nach § 15 I I StAnpG unbeschränkt steuerpflichtigen K ö r perschaften wurden auf Grund der vom B F H angenommenen sachlichen Steuerbefreiung die Wirkungen dieser unbeschränkten Steuerpflicht weitgehendst ausgeschlossen72. (2) Außerdem wurde § 15 I I StAnpG als ein „Maximum an Nichtrealisierbarkeit" angesehen73. Die praktische Durchsetzbarkeit des auf Grund der Vorschrift des § 15 I I StAnpG i m Rahmen der inländischen Steuerpflicht gegebenen Steueranspruchs war äußerst gering. Gegenüber der ausländischen Tochtergesellschaft war eine Vollstreckung i m Ausland i m Hinblick auf den Grundsatz der Territorialität von Hoheitsakten völkerrechtlich unzulässig. Die inländische Muttergesellschaft konnte ebenfalls nicht herangezogen werden, da nach § 114 AO grundsätzlich nur die Tochtergesellschaft für die Steuerschulden der Muttergesellschaft haftete, nicht aber umgekehrt 7 4 . Die zwangsweise Durchsetzung des Steueranspruchs war deshalb nur möglich, wenn die Tochtergesellschaft i m Inland Vermögen hatte, was i n der Praxis regelmäßig nicht der Fall war. Wengler und vor allem Jakobs leiteten aus dieser mangelnden Praktikabilität verfassungsrechtliche Bedenken ab 75 . Das Prinzip gleichmäßiger Besteuerung bedeute nicht nur, daß die Steuer allen aufzuerlegen sei, bei denen die Voraussetzungen vorliegen, an die das Gesetz die Steuerpflicht knüpft 7 6 . Für die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sei vielmehr ebenso wesentlich, daß die Steuer von allen, die nach dem Gesetz steuerpflichtig sind, auch erhoben und das heiße, gegebenenfalls auch zwangsweise beigetrieben werde. Wegen der völkerrechtlichen Schranken sei die Vollstreckung der Steuer gegenüber der nach § 15 Abs. 2 StAnpG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschaft 72 Ob dem U r t e i l des B F H allerdings zuzustimmen ist, erscheint fraglich, sei aber hier dahingestellt — skeptisch auch Großfeld, S. 89 ( „ w o h l zu bejahen"); dazu, daß die F u n k t i o n der D B A nicht auf eine A u f t e i l u n g v o n sachlichen Steuerquellen beschränkt ist, vgl. auch Kluge A W D 1972 S. 414. 73 Vgl. Institut FSt. Brief 70 S. 24. 74 Vgl. auch Mutén C D D F J X L I X b Hamburg 1964, Generalbericht, S. 19: „ A u c h sprechen erfahrungsgemäß ganz handfeste praktische Gründe dafür,, auf die Besteuerung ausländischer Kapitalgesellschaften ohne wirtschaftliche Betätigung i m Inlande zu verzichten, einfach w e i l die Steuer v o n der Kapitalgesellschaft n u r m i t Schwierigkeiten einbringlich ist. Erst die E i n f ü h r u n g einer Haftung der inländischen Aktionäre — eine Maßnahme gegen die gewisse theoretische u n d praktische Bedenken bestehen müssen — w i r d hier A b h i l f e schaffen." 75 Wengler J Z 1965 S. 24; Jakobs StuW 1970 Sp. 587. 76 Jakobs StuW 1970 Sp. 587.

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

aber überhaupt nur auf Grund des wilkürlichen Moments möglich und zulässig, daß sich Vermögen i m Inland befinde 77 . (3) I m übrigen war § 15 I I StAnpG auch aus wirtschaftspolitischen Erwägungen heraus nicht unproblematisch 78 . Die Heranziehung der ausländischen Gesellschaft zur deutschen Steuer bewirkte für diese einen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen i n demselben Staat ansässigen Gesellschaften 79 . Zum einen wurde die unter den Konkurrenzbedingungen des Auslandes arbeitende Gesellschaft dem inländischen Steuersatz unterworfen, w o r i n i n aller Regel angesichts der Höhe der deutschen Steuersätze bereits ein erheblicher Wettbewerbsnachteil lag 80 . Hinzu kam aber, daß die inländische Steuer für die Gesellschaft grundsätzlich zu einer Doppelbesteuerung führte, da die Gesellschaft regelmäßig auch vom Ausland als dort ansässig und damit als unbeschränkt steuerpflichtig angesehen wurde. Diese Folgen der Anwendung des § 15 I I StAnpG führten dazu, daß § 15 I I StAnpG bei den Steuerpflichtigen von Beginn an auf Ablehnung stieß und die Vorschrift des § 15 I I StAnpG von vornherein ohne größere Bedeutung war, w e i l sie i n der Praxis zum Nachteil des Steuerpflichtigen kaum angewandt wurde 8 1 . cc) Ein mitentscheidender Gesichtspunkt für die endgültige Aufhebung des § 15 I I StAnpG waren aber w o h l auch die völkerrechtlichen Bedenken, die gegen § 15 I I StAnpG geäußert wurden. Wenn sich auch eine Völkerrechtswidrigkeit, die zum Teil i n der Literatur behauptet wurde 8 2 , nicht feststellen ließ 83 , so war die Frage der Vereinbarkeit von § 15 I I StAnpG m i t Völkerrecht doch sehr problematisch. Nach· der A n sicht von Müller vor allem deswegen, w e i l § 15 I I StAnpG ausländische Gesellschaften wie inländische behandelte und es von daher nahe lag, entgegen dem Grundsatz der territorialen Zwangsgewalt auch bei ausländischen Gesellschaften Buch- und Betriebsprüfungen an Ort und 77 Α . A . B F H i m Schering-Urteil ( B F H v. 18.12.1963 BStBl. 1964 I I I S. 253), der einen Verstoß gegen A r t . 3 GG verneinte. Eine ungleichmäßige A n w e n dung der Vorschrift lasse sich nicht feststellen. I m fraglichen Veranlagungszeitraum habe keine Anweisung bestanden, v o n der A n w e n d u n g des § 15 I I Abstand zu nehmen; hierzu aber Wengler i n seiner A n m . J Z 1965 S. 24 i m E r gebnis w i e Jakobs: Raupach, Durchgriff, S. 170 ff. 78 Raupach, ebd., S. 171 (wirtschaftspolitisch unerwünscht); vgl. auch Dietz Wpg. 1956 S. 377. 79 Horst Vogel StbJb. 1962/63 S. 269/289; Großfeld, S. 90. 80 Horst Vogel StbJb. 1962/63 S. 269/289. 81 Hierzu Institut FSt. Brief 70 S. 2 ff.; vgl. auch den Milderungserlaß des Reichsministers der Finanzen v o m 25.10.1939, (RStBl 1939 S. 1070), der die A n w e n d u n g des § 15 I I S t A n p G f ü r die meisten Fälle ausschloß. 82 Vgl. Jakobs StuW 1970 Sp. 587/593; Bühler i n seinem Gutachten f ü r den Schering-Fall (vgl. i n der Entscheidung des B F H , BStBl. 1964 I I I S. 253/254 ff.). 83 B F H BStBl. 1964 I I I S. 253/256; Peter Müller, Deutsche Steuerhoheit über ausländische Tochtergesellschaften.

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaftl. Unselbständigkeit

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Stelle durchzuführen 84 . Außerdem sei § 15 I I StAnpG, wenn nicht völkerrechtswidrig, so doch „die am weitesten gehende Durchgriffsbestimmung" 8 5 und verstoße damit, wenn nicht gegen das Völkerrecht, so doch gegen die „internationale gute Sitte" 8 6 . § 15 I I StAnpG stelle einen Fremdkörper i m Außensteuerrecht der Staaten und i m Internationalen Steuerrecht dar 87 . 2. Filialtheorie, indirekte Gewinnermittlung und § 15 I I StAnpG i m Zusammenhang Einen wesentlichen Teil der Problematik von Filialtheorie, indirekter Gewinnermittlung und § 15 I I StAnpG erkennt man aber nur, wenn man die Durchgriffsfälle i m Zusammenhang sieht. a) § 15 I I StAnpG galt nur für inlandabhängige ausländische K ö r perschaften. Diese wurden nach § 15 I I StAnpG als inländisch behandelt. Nicht dagegen galten umgekehrt auslandsabhängige inländische Körperschaften als i m Ausland ansässig. Man könnte versucht sein, hieraus verfassungsrechtliche Bedenken i m Hinblick auf A r t . 3 I GG abzuleiten. I m Ergebnis w i r d man jedoch (bei einer isolierten Betrachtung des § 15 I I StAnpG) diese Ungleichbehandlung i n gleicher Weise als sachlich gerechtfertigt ansehen müssen wie die grundsätzliche Bestimmung der Inlandseigenschaft von Körperschaften, nach der Körperschaften als inländisch gelten, wenn sie Sitz oder Geschäftsleitung i m Inland haben. b) Auch die Filialtheorie wurde nur auf inländische Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmungen angewandt, nicht auf ausländische Tochtergesellschaften inländischer Unternehmungen. Zur Begründung für diese einseitige Anwendung der Filialtheorie verwies man auf § 15 I I StAnpG, der für diesen — umgekehrten — Fall gelte. Die ausländischen, wirtschaftlich unselbständigen Gebilde würden bereits nach § 15 I I StAnpG als inländisch behandelt. Sie nach der Filialtheorie als Betriebstätte zu behandeln, sei überhaupt kein Raum. c) Die Beschränkung von § 15 I I StAnpG auf inlandsbeherrschte ausländische Körperschaften einerseits und die Beschränkung der Filialtheorie auf auslandsbeherrschte inländische Körperschaften andererseits erscheint jedoch problematisch, wenn man die beiden Durchgriffs84

Vgl. Peter Müller, S. 188 m. w . N. Vgl. Peter Müller, S. 196; a. A . Bühler (zit. bei Müller, S. 196 F N 50). 86 Peter Müller, S. 180; vgl. auch Mutén C D D F J X L I X b (Hamburg 1964), S. 319. 87 Vgl. Peter Müller, S. 197. 85

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

formen i m Zusammenhang sieht und die unterschiedlichen Rechtsfolgen vergleicht, die hierbei aus der wirtschaftlichen Unselbständigkeit gezogen wurden. Die inlandsabhängige ausländische Körperschaft wurde nach § 15 I I StAnpG als inländische Körperschaft behandelt. Demgegenüber wurde die auslandsabhängige inländische Körperschaft als Betriebstätte angesehen. Man zog aus der wirtschaftlichen Unselbständigkeit der Körperschaft also, je nachdem, ob es sich u m eine inländische oder ausländische Körperschaft handelte, einmal den Schluß, daß sie am Sitz ihrer Gesellschafter ansässig ist, einmal den Schluß, daß es sich um eine bloße Filiale handelt. aa) Aus dieser Widersprüchlichkeit von Filialtheorie und § 15 I I StAnpG ergeben sich verfassungsrechtliche Bedenken i m Hinblick auf Art. 3 I GG. Es war vielleicht sachlich gerechtfertigt, wenn § 15 I I StAnpG nur ausländische Körperschaften als i m Inland ansässig fingierte und nicht entsprechend auch auslandsabhängige inländische Körperschaften als i m Ausland ansässig. Für eine Betrachtungsweise, die aus der wirtschaftlichen Unselbständigkeit bei ausländischen K ö r perschaften den Schluß zieht, daß sie am Sitz ihrer Anteilseigner ansässig sind, aus der wirtschaftlichen Unselbständigkeit bei inländischen Körperschaften dagegen den Schluß zieht, daß es sich u m bloße Filialen handelt, ist schlechterdings kein sachlich rechtfertigender Grund ersichtlich. bb) Vor allem ergeben sich insoweit auch Bedenken i n internationaler Sicht: Wenn man einmal die wirtschaftliche Unselbständigkeit bei ausländischen Körperschaften i n der Weise berücksichtigte, daß man sie als am Sitz ihrer Anteilseigner ansässig behandelte, zum andern wirtschaftlich unselbständige, inländische Körperschaften als bloße Filialen ansah, konnte man kaum auf eine internationale Verständigung über die Behandlung wirtschaftlich unselbständiger Körperschaften hoffen. cc) Die Durchgriffsmaßnahmen der Filialtheorie und der indirekten Gewinnermittlung einerseits, des § 15 I I StAnpG andererseits lassen sich i n ihrer Widersprüchlichkeit nur als ein Ausdruck fiskalischen Denkens begreifen. Motiv der Durchgriffsfälle war, daß man nicht bereit war, bei wirtschaftlich unselbständigen Körperschaften dem Grundsatz der Selbständigkeit entsprechend auf eine Besteuerung zu verzichten. Die ausländische Körperschaft wurde nach § 15 I I StAnpG als i m Inland ansässig behandelt, weil man — wie aus der wiedergegebenen Gesetzesbegründung hervorgeht — i m Fall der wirtschaftlichen Unselbständigkeit gegenüber dem Inland eine Ausklammerung der ausländischen Körperschaften aus der deutschen Steuerhoheit nicht als gerechtfertigt ansah. Die inländische Körperschaft wurde als bloße Filiale behandelt, m i t der Folge, daß die Vorschrift des § 30 EStG a. F. angewandt, an die

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaftl. Unselbständigkeit

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Muttergesellschaft gezahlte Zinsen, Lizenzgebühren etc. nicht anerkannt und die Tochtergesellschaft der höheren Besteuerung als Betriebsstätte unterworfen wurde 8 8 . Die indirekte Gewinnermittlung diente dazu, bei Verlustgesellschaften einen Gewinn annehmen zu können. III. Die ersatzlose „Aufhebung"

der Durchgriffsmaßnahmen

§ 15 I I StAnpG ist durch das Außensteuerreformgesetz von 1972 als Maßnahme zur Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Körperschaften ersatzlos aufgehoben worden, die Filialtheorie und die Methode der indirekten Gewinnermittlung sind bereits vorher durch Verwaltungserlasse für nicht mehr anwendbar erklärt worden. Trotz der erheblichen Bedenken gegen die einzelnen Durchgriffsfälle kann diese ersatzlose Aufhebung aber nicht voll befriedigen 89 . 1. Zu den Grundüberlegungen von Filialtheorie, indirekter Gewinnermittlung, § 15 I I StAnpG Die den einzelnen Durchgriffsmaßnahmen zugrunde liegende Überlegung, der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Körperschaften rechtlich Rechnung zu tragen, erscheint durchaus überzeugend. Wenn der RFH i m Shell-Urteil ausführt, der Konzern stelle einen derartig durchorganisierten Wirtschaftskörper dar, daß man i m wirtschaftlichen Sinne von einem Gesamtunternehmen sprechen könne, dessen einzelne Teile aus sich selbst heraus nicht mehr begriffen werden können, so w i r d man dem grundsätzlich zustimmen müssen. Gerade i m Steuerrecht sprechen erhebliche Gesichtspunkte für eine „wirtschaftliche Betrachtungsweise", für eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Körperschaften. 2. Zu den gegen die Durchgriffsmaßnahmen vorgebrachten Bedenken Ob eine ersatzlose Aufgabe der Durchgriffsfälle angezeigt war, muß sich nach den Bedenken beurteilen, die gegen die einzelnen Durchgriffsfälle vorgebracht wurden. 88 Vgl. auch Wilser, S. 58, der darauf hinweist, daß die fiskalischen M o t i v e der A n w e n d u n g der Filialtheorie auf auslandsbeherrschte inländische K ö r perschaften dadurch besonders deutlich werden, daß der R F H m i t dieser A n wendung der Filialtheorie auf auslandsbeherrschte inländische Körperschaften eine Filialtheorie zur A n w e n d u n g brachte, die er i m übrigen stets abgelehnt hat. 89 Nicht zuletzt vielleicht auch deswegen, w e i l § 15 I I S t A n p G aufgehoben wurde, w e i l er sich zur Bekämpfung der Steuerflucht als ungeeignet erwiesen hatte — ein Zweck, zu dem er aber weder konzipiert noch geeignet war.

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

a) Man w i r d bei diesen Bedenken differenzieren müssen, inwieweit diese sich gegen die konkrete Ausgestaltung, die verwandte Durchgriffsmethode oder aber generell gegen das grundsätzliche Anliegen der Durchgriffsfälle richteten. Die A r t der Bedenken mußte entscheidend sein für die aus diesen Bedenken zu ziehenden Konsequenzen. aa) Gegen die Filialtheorie und die indirekte Gewinnermittlung richtete sich· das Bedenken, daß diese Durchgriffsmaßnahmen m i t den geltenden Steuergesetzen nicht vereinbar waren. Diesem Bedenken hätte man jedoch ohne weiteres durch die Normierung entsprechender Tatbestände begegnen können. Auch dem gegen die Filialtheorie vorgebrachten Gesichtspunkt, daß diese nur für auslandsabhängige Körperschaften Anwendung fand, nicht für rein inländische Beteiligungsverhältnisse, hätte man durch eine entsprechende Regelung Rechnung tragen können. Die praktischen Schwierigkeiten, die gegen eine Anwendung der indirekten Gewinnermittlung sprachen, hätten u . U . gelöst werden können. bb) Die gegen § 15 I I StAnpG vorgebrachten Bedenken, allein schon die Praktikabilitäts- und wirtschaftspolitischen Gründe, sprachen demgegenüber entscheidend gegen die Durchgriffsmethode des § 15 I I StAnpG. § 15 StAnpG wurde deshalb w o h l zu Recht aufgehoben und es wurde auch zu Recht darauf verzichtet, die von § 15 StAnpG verwandte Methode i m Rahmen der Steuerfluchtbekämpfung zu verwenden. M i t einer Ablehnung der von § 15 I I StAnpG verwandten Durchgriffsmethode hätte sich aber zugleich das widersprüchliche Nebeneinander von Filialtheorie und § 15 I I StAnpG beseitigen lassen. Dem V o r w u r f des Fiskalismus hätte man durch eine einheitliche Anwendung ein und derselben Durchgriffsform für inländische und ausländische Körperschaften begegnen können. cc) Weiterhin w i r d man i m Zusammenhang m i t der Ablehnung der Filialtheorie durch die anderen Staaten auch von einer für alle drei Durchgriffsmaßnahmen relevanten Ablehnung der „internationalen Organtheorie" auszugehen haben. Die „internationale Organtheorie" wurde von den anderen Staaten schon deshalb abgelehnt, w e i l i m innerstaatlichen Recht der anderen Staaten die Organtheorie nicht anerkannt wurde, es sich bei der Organtheorie vielmehr u m ein i m wesentlichen auf den deutschen Rechtskreis beschränktes Rechtsinstitut handelt 9 0 .

90

Hierzu Bühler, Prinzipien, S. 102 ff.; v. Kessel, Die konsolidierte K o n zernbesteuerung i m Körperschaftssteuerrecht der USA, S. 176; vgl. auch Roer, S. 53: „Die Übertragung der Organtheorie auf internationale Sachverhalte ist gescheitert."

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaf t. Unselbständigkeit

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b) Die vorgebrachten Bedenken rechtfertigen damit aber weder eine Ablehnung jeglicher Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Körperschaften, noch ohne weiteres eine Ablehnung sämtlicher verwandter Durchgriffsmethoden. aa) Gegen jegliche Form der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Körperschaften könnte allein die Ablehnung durch die anderen Staaten sprechen. (1) A u f Ablehnung ist sicherlich die „internationale Organtheorie" (in Form der Filialtheorie) gestoßen, zum einen, w e i l die Selbständigkeit der juristischen Person i n anderen Staaten weitaus stärker beachtet wurde, zum anderen w e i l es sich bei der Organtheorie um ein besonderes Institut des deutschen Rechtskreises handelt. (2) Nicht ausreichend berücksichtigt wurde aber, daß die Durchgriffsfälle nicht nur zur Berücksichtigung der organschaftlichen Abhängigkeit dienten, sondern auch der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Einheit des Konzerns. Der Gedanke der wirtschaftlichen Einheit des Konzerns aber ist i n anderen Staaten seit langem anerkannt, hat sich hier anders als i m deutschen Steuerrecht weitaus stärker durchgesetzt. So findet sich eine Einheitsbesteuerung von Konzernen i n den USA, Niederlanden, Frankreich und Großbritannien. Eine ersatzlose Aufhebung der Durchgriffsfälle ist also i m Hinblick auf eine Ablehnung i n anderen Staaten — bezogen auf die internationale Konzerntheorie — nicht gerechtfertigt. bb) Auch die Durchgriffsmethoden, außer der des § 15 I I StAnpG, lassen sich aus den vorgebrachten Bedenken heraus nicht überzeugend ablehnen. (1) Zahlreiche Stimmen i n der Literatur, die sich immer wieder für eine Behandlung von wirtschaftlich· unselbständigen Körperschaften als bloße Betriebstätten eingesetzt haben, lassen trotz der i n den D B A generell enthaltenen Anti-Betriebstätten-Klausel Zweifel aufkommen und zeigen, daß eine Behandlung von wirtschaftlich unselbständigen Körperschaften als bloße Betriebstätten nicht überzeugend zurückgewiesen wurde. Rädler weist darauf hin, daß viele Tochtergesellschaften tatsächlich nicht viel mehr als Zweigniederlassungen ihrer Muttergesellschaften sind und keine de facto-Unabhängigkeit haben®1. Kauffmann spricht ebenfalls die Möglichkeit an, bei einer hohen Beteiligung der Muttergesellschaft am Kapital der ausländischen Tochtergesellschaft diese als Betriebstätte zu behandeln, denn es „entspräche durchaus wirtschaftlichem Denken, i m Gebiet der Montanunion Organgesellschaf91 Rädler, Corporate T a x a t i o n i n the Common Market, I I - C - 6 1 (zit. bei Müller, Deutsche Steuerhoheit über ausländische Tochtergesellschaften, S. 31).

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

ten steuerlich wie Betriebstätten zu behandeln" 92 . Auch von Haas w i r d unter dem Gesichtspunkt steuerlicher Gleichbehandlung von Betriebstätten und Tochtergesellschaften de lege ferenda die Forderung erhoben, die ausländische Tochtergesellschaft bei hohen Beteiligungsquoten von 9 0 % bzw. 7 5 % als Betriebstätte der inländischen Spitzeneinheit zu behandeln 93 . (2) Vor allem ist aber die „indirekte Gewinnermittlung" nicht überzeugend abgelehnt worden. Es wurde zwar auf die praktischen Schwierigkeiten einer derartigen „indirekten Gewinnermittlung" hingewiesen. Es wurde aber nicht ausreichend der Frage nachgegangen, ob nicht dennoch der indirekten Methode als der „an sich richtigen Methode" trotz der Schwierigkeiten der Vorzug zu geben wäre 9 4 . B. Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Körperschaften im gegenwärtigen Recht

I. Die grundsätzliche Beachtung des Grundsatzes der Selbständigkeit auch bei wirtschaftlich unselbständigen Körperschaften, insbesondere am Beispiel des arm's-length-Prinzips (§1 AStG) Auch wirtschaftlich unselbständige Körperschaften werden gegenwärtig grundsätzlich nach dem i m Internationalen Steuerrecht geltenden Prinzip der Selbständigkeit von Körperschaften behandelt. Die Körperschaften werden unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als selbständige Steuersubjekte besteuert. Seinen Ausdruck findet diese Beachtung des Grundsatzes der Selbständigkeit auch bei wirtschaftlich unselbständigen Körperschaften gegenwärtig bei der Frage der Gewinnermittlung von wirtschaftlich verbundenen Unternehmen. 1. Das arm's-length-Prinzip als Ausdruck der Beachtung der Selbständigkeit von Körperschaften auch bei wirtschaftlich verbundenen Unternehmen a) Ein wesentliches Problem bei wirtschaftlich verbundenen Unternehmen besteht darin, daß sich diese untereinander nicht wie w i r t schaftlich unabhängige Dritte behandeln. Infolge der wirtschaftlichen 92

Kaufmann StuW 1954 Sp. 325. Haas StuW 1964 Sp. 457 f.; hierzu auch Telkamp, Betriebstätte oder Tochtergesellschaft i m Ausland, S. 85 F N 4; vgl. auch Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 2. Auflage, S. 279: „Eine abhängige juristische Person, die faktisch n u r eine Filiale darstellt, sollte auch rechtlich als Filiale der herrschenden F i r m a behandelt werden. Daß ein Konzern, der faktisch ein einheitlich geleitetes Unternehmen ist, i n viele juristische Personen zerfällt, erweist sich als unerträglich." 94 Vgl. hierzu noch unter C. 93

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Verbundenheit werden bei den geschäftlichen Beziehungen der betreffenden Unternehmen die Bedingungen nicht vom M a r k t diktiert, sondern die Unternehmen haben die Möglichkeit, die Gewinne dort anfallen zu lassen, wo ihnen dies opportun erscheint. Die Vereinbarung überhöhter Einkaufspreise oder zu niedriger Verkaufspreise etwa bietet die Möglichkeit, Gewinne von der einen Vertragsseite auf die andere zu verlagern. Insbesondere w i r d man bei wirtschaftlich verbundenen Unternehmen — etwa bei Konzernen, bei denen es nur auf den Gesamtgewinn ankommt, nicht aber, bei welchem Konzernglied der Gewinn anfällt — bemüht sein, den Gewinn dort anfallen zu lassen, wo die steuerliche Belastung am geringsten ist. Das Problem der Gewinnverschiebungen zwischen verbundenen Unternehmen ist jedoch kein Steuerfluchtproblem 95 . Das Steuergefälle ist nicht der einzige Grund für Einkommensverlagerungen zwischen verbundenen Unternehmen. Nach Wöhrle erfolgen derartige Verlagerungen auch i m Verhältnis zu anderen hochbesteuernden Staaten i n nicht geringem Umfang 96 . Neben dem Gedanken einer Verlagerung des Gewinns i n niedrig besteuernde Staaten kommt i m Einzelfall als Grund i n Betracht, daß die Konzernspitze bestrebt ist, das Verhältnis zur eigenen Steuerverwaltung möglichst angenehm zu gestalten oder daß sie glaubt, hohe Gewinne der Konzernspitze könnten die Aktionäre eher überzeugen also solche von Auslandstöchtern 97 . b) Derartigen Gestaltungen versucht man m i t Maßnahmen auf der Grundlage des arm's-length-Prinzips zu begegnen. Der Grundsatz des ,dealing at arm's-length' besagt, daß verbundene Unternehmen bei Geschäften untereinander angemessene Preise anzusetzen haben. Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung ist so zu gestalten, als seien die Unternehmen voneinander unabhängig 98 . Bei einem Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung sind entsprechende Gewinnkorrekturen vorzunehmen. Eine Bestimmung, welche die Vertragstaaten zu entsprechenden Gewinnkorrekturen ermächtigt, findet sich i n Art. 9 OECD-Musterabkommen: werden zwischen verbundenen Unternehmen Bedingungen vereinbart, die von den Bedingungen abweichen, die voneinander unabhängige Unternehmungen vereinbart hätten, so sind die Gewinne so anzusetzen, wie sie unter den zwischen unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären. Diese Bestimmung ist Grundlage 95 Vgl. Wöhrle, § 1 A n m . I, S. 22; Bellstedt, Die Besteuerung international verflochtener Gesellschaften, S. 163; Offerhaus FR 1971 S. 425/427. 96 Wöhrle, § 1 A n m . 1, S. 22. 97 Vgl. Wöhrle, § 1 A n m . I, S. 22 f. m. w . N.; Seidel, Gewinnverschiebungen über die Grenze. 98 Hierzu Großfeld, S. 101 f.

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

nahezu sämtlicher D B A und bringt gleichzeitig die allgemeine A u f fassung der Staaten zum Ausdruck. Auch das deutsche Außensteuerrecht enthält seit dem Erlaß des Außensteuerreformgesetzes 1972 i n § 1 AStG eine entsprechende Regelung. Während bis 1972 nur Einzelvorschriften zur Gewinnberichtigung vorhanden waren (§6 KStG; 6, 11 StAnpG), wurde m i t § 1 AStG ein „umfassender Rechtsmaßstab für die Regulierung des Gesamtbereichs der internationalen Gewinnverschiebungen" geschaffen". § 1 I AStG ermächtigt die Finanzverwaltung, wenn Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus Geschäftsbeziehungen m i t einer i h m nahestehenden Person dadurch gemindert werden, daß er i m Rahmen solcher Geschäftsbeziehungen Bedingungen vereinbart, die von denen abweichen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten, seine Einkünfte entsprechend zu korrigieren 1 0 0 . 2. Das arm's-length-Prinzip als Ausdruck der Problematik der Behandlung auch von wirtschaftlich· unselbständigen Körperschaften nach dem Grundsatz der Selbständigkeit Die Behandlung von wirtschaftlich verbundenen Körperschaften nach dem arm's-length-Prinzip zeigt zum einen die Besteuerung auch von wirtschaftlich unselbständigen Körperschaften nach dem Grundsatz der Selbständigkeit auf. Gleichzeitig aber zeigen sich an Hand der Gewinnermittlung nach dem arm's-length-Prinzip auch die Schwierigkeiten und Probleme, welche die Behandlung von wirtschaftlich unselbständigen Körperschaften nach dem Grundsatz der Selbständigkeit m i t sich bringt. a) Die Anwendung des arm's-length-Prinzip auf wirtschaftlich verbundene Unternehmen bereitet vor allem erhebliche praktische Schwierigkeiten 1 0 1 : Äußerst schwierig ist es bereits, wenn die Finanzbehörden 99

Vgl. Begr. BT-Drucks. VI/2883 Rdnr. 17; sowie Flick/Wassermeyer/ Becker, § 1 A n m . 9. 100 Gegen die Regelung des § 1 A S t G sind i m einzelnen erhebliche Bedenken erhoben worden: vor allem Bellstedt (Besteuerung verflochtener Gesellschaften, S. 187) hat i m Anschluß an Höppner (FR 1967 S. 467) § 1 A S t G als eine N o r m m i t Tatbestandsbegriffen v o n hohem Unbestimmtheitsgrad k r i t i siert; die fehlende Bestimmtheit begründe einen Verstoß gegen A r t . 20 I GG; weitere Bedenken ergeben sich nach Flick/Wassermeyer/Becker (§ 1 A n m . 14 m. w . N.) aus der fehlenden inhaltlichen Übereinstimmung m i t A r t . 9 OECDMabk.; auch daß § 1 A S t G lediglich K o r r e k t u r e n zu Lasten der Steuerpfl. zuläßt (hierzu Offerhaus FR 1971 S. 425/427). 101 Stolk, Die Besteuerung multinationaler Konzerne, S. 190; vgl. i. ü. die Literaturnachweise bei Seidel, Gewinnverschiebungen über die Grenze u n d Becker, Z u r G e w i n n e r m i t t l u n g internationaler Unternehmen; vgl. v o r allem auch C D D F J L I V a u n d L V I b , die das Bemühen der I F A auf ihren K o n gressen v o n 1969 u n d 1971 zeigt, zu einer angemessenen Lösung zu gelangen.

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaf t. Unselbständigkeit

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feststellen sollen, welche Leistungen innerhalb des Unternehmens überhaupt erbracht worden sind 1 0 2 . So lassen sich die Überlassung von Geheimverfahren, Betriebsgeheimnissen und Erfahrungen auf den Gebieten der Geschäftsführung, des Marketing und der Werbung nicht ohne weiteres aus der Buchführung und den Geschäftsunterlagen des Empfängers der Leistung ablesen. Auch fehlt i n den Unterlagen des Leistenden häufig jeder Hinweis, i n welchem Umfang Aufwendungen zum Nutzen anderer Unternehmensteile gemacht worden sind. Kann man ermitteln, welche Leistungen erbracht worden sind, so besteht das Problem, wie nicht i n Geld bestehende Gegenleistungen, falls sie überhaupt zur Saldierung zugelassen sind, quantitativ erfaßt werden können 103 . Erst dann aber beginnen die eigentlichen Schwierigkeiten. Es gilt, festzustellen, welchen Preis voneinander unabhängige Unternehmen für die i n Betracht kommenden Leistungen vereinbart hätten 1 0 4 . Insoweit w i r d i m Schrifttum bereits die Ansicht vertreten, es gebe überhaupt keine Möglichkeit, „den Gewinn, den ein Konzernglied als völlig unabhängige, konzernfreie Unternehmung erzielt hätte, zuverlässig zu ermitteln" 1 0 5 . Stehen Börsen- oder Marktpreise zur Verfügung, so ist ein Preisvergleich verhältnismäßig einfach. Die Schwierigkeiten treten jedoch auf, wenn Gegenstand der Transaktion Halbfabrikate, Dienstleistungen, Lizenzen etc. sind 1 0 6 ; vor allem wenn die Leistungen individuelle Gestalt haben und aus diesem Grunde keine vergleichbaren Verhältnisse bei unabhängigen Unternehmen existieren können, z.B. bei der Überlassung von Immaterialgütern, deren Wert auf ihrer Einmaligkeit beruht 1 0 7 . b) Es bestehen aber nicht nur die beschriebenen praktischen Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Verrechnungspreise, das Fehlen objektiver Methoden zur Bestimmung von Verrechnungspreisen bei einem Fehlen von Marktpreisen führt vor allem auch zu Überschneidungen zwischen den verschiedenen Staaten und damit zu einer zumindest w i r t schaftlichen Doppelbesteuerung von Körperschaft und Anteilseigner. Da objektive Methoden zur Gewinnermittlung fehlen, w i r k t sich i n besonderem Maße die unterschiedliche Interessenlage der beteiligten Staaten aus: Der Sitzstaat der Körperschaft ist grundsätzlich bei Lei102 103 104 105 106 107

Höppner FR 1967 S. 467/469. Höppner, ebd. Höppner, ebd. Strobl/Zirkel A W D 1968 S. 463/465 m. w . N.; vgl. auch Höppner ebd. Vgl. Stolk, S. 190 f.; Schröder!Hoppstädter StlBp. 1972 S. 25/26 f. Höppner FR 1967 S. 467/469.

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

stungen, die von der Körperschaft erbracht werden, an möglichst hohen, bei Leistungen, die an die Körperschaft erbracht werden, an möglichst niedrigen Verrechnungspreisen interessiert, da sich hierdurch der von i h m zu besteuernde Gewinn der Körperschaft erhöht. Umgekehrt ist es bei dem Sitzstaat des Anteilseigners. Dieser w i r d an möglichst niedrigen Verrechnungspreisen interessiert sein bei Leistungen, die an den A n teilseigner erbracht werden, an möglichst hohen bei Leistungen, die von diesem erbracht werden. Aus dieser Interessenlage heraus werden die Staaten bestrebt sein, ihrer Besteuerung einen möglichst hohen Gewinn zugrunde zu legen: „Jeder Staat unterliegt aus seinem fiskalischem Interesse der Versuchung, die innerkonzernliche Preisgestaltung zu korrigieren m i t der Folge, daß der wirtschaftlich gleiche Gewinn sowohl bei der Konzerntochter i n dem einen, als auch bei der Muttergesellschaft i m anderen Staat besteuert w i r d 1 0 8 . " Bezeichnenderweise sieht so auch § 1 AStG n u r Gewinnkorrekturen zu Gunsten des deutschen Fiskus vor. c) Die Ursache dafür, daß die Festsetzung der Verrechnungspreise derartige Schwierigkeiten bereitet und es überhaupt der Gewinnkorrektur bedarf, liegt i m Grunde allein darin, daß die Besteuerung w i r t schaftlich eng verbundener Unternehmen auf der Grundlage des arm'slength-Prinzips den tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht entspricht. Man versucht, die wirtschaftliche Verbundenheit bewußt zu übergehen, indem man die Beteiligten zwingt, so zu handeln, als ob sie nicht wirtschaftlich verbunden wären bzw. indem man sie i m nachhinein steuerlich so behandelt, als ob sie nicht verbunden wären. W i r t schaftlich verflochtene Konzernglieder aber stehen sich nicht wie unabhängige Dritte gegenüber. „Bei einem Konzern etwa richten sich die Geschäftsbeziehungen der konzernzugehörigen Unternehmen untereinander nicht notwendig nach den individuellen Interessen der Gliedunternehmen, sondern können von der Unternehmensführung nach den Interessen des Gesamtkonzerns gestaltet werden 1 0 9 ." Der Konzern überläßt der einzelnen Konzerngesellschaft Produkte zu „Konzernpreisen" und nicht zu marktüblichen Preisen 110 . Wirtschaftlich handelt es sich bei dem Warenverkehr über die Grenze um bloße innerbetriebliche Warenbewegungen i m Produktions- oder Handelsgang. Die Sorge der Staaten, bei den i n ausländische Unternehmensteile überführten Gütern und Waren infolge der Freistellung dieser Unternehmensteile von der inländischen Besteuerung Steuern zu verlieren, „hat dazu geführt, daß 108

Debatin, i n : Unternehmensverbindungen, S. 46/51 vgl. auch: Großfeld, S. 110; zum Ganzen auch Grasmann EuStZ 1971 S. 77/80: Seidel, S. 192 ff. 109 So Debatin, i n Unternehmensbindungen, S. 46/50. 110 Strobl/Zirkel A W D 1968 S. 463.

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaf tl. Unselbständigkeit

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solche Überführungen i n der steuerlichen Wertung ganz anders behandelt werden als das, was sie sind. Die Warenbewegung w i r d i m Ergebnis einem Verkauf m i t Gewinnrealisierung gleichgestellt. Die Folge ist, daß Steuer von einem Gewinn zu entrichten ist, der i n Wirklichkeit gar nicht realisiert wurde 1 1 1 ." IL Die ausnahmsweise Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Körperschaften Nur ausnahmsweise w i r d der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Körperschaften i m gegenwärtigen Recht Rechnung getragen. 1. Der Durchgriff nach § 2 I Z . 6 K V S t G a) Einen Fall des Durchgriffs enthält die Vorschrift des §2 I Z.6 KVStG, die, ähnlich der vom R F H vertretenen Filialtheorie, die w i r t schaftlich unselbständige Körperschaft als bloße Niederlassung behandelt. aa) Das Kapitalverkehrsteuergesetz unterwirft die Eigenkapitalbildung einer inländischen Kapitalgesellschaft der Gesellschaftsteuer. U m nun nicht ausländische Kapitalgesellschaften, die i m Inland m i t Hilfe einer unselbständigen Zweigniederlassung Geschäfte betreiben, gegenüber den der Gesellschaftsteuer unterliegenden inländischen Kapitalgesellschaften zu begünstigen, ist i n § 2 I Z. 6 K V S t G bestimmt, daß auch die Zuführung von Anlage- oder Betriebskapital durch eine ausländische Kapitalgesellschaft an ihre inländische Niederlassung der Gesellschaftsteuer unterliegen soll. Nach Ansicht des Gesetzgebers entspricht es i m wirtschaftlichen Endergebnis der Errichtung oder Kapitalerhöhung einer inländischen Kapitalgesellschaft (vgl. § 2 I Ζ. 1 und 5 KVStG!), wenn die ausländische Gesellschaft von einer inländischen Zweigniederlassung aus m i t Hilfe eines i n das Inland verbrachten Teils ihres Anlage- oder Betriebskapitals Geschäfte betreibt. Die ausländische Kapitalgesellschaft setzt ihr Kapital i m deutschen Markt ein. Dann soll sie auch, soweit sie i h r Kapital i m deutschen M a r k t einsetzt, einer, der Besteuerung der inländischen Kapitalgesellschaften entsprechenden steuerlichen Belastung unterliegen 1 1 2 . bb) § 2 I Z. 6 K V S t G enthält nun insoweit einen Durchgriff, als § 2 I Z. 6 K V S t G eine Steuerpflicht bei einer Zuführung von Anlage- oder Betriebskapital an eine inländische Niederlassung auch dann annimmt, wenn diese inländische Niederlassung rechtlich selbständig ist 1 1 3 . Der 111

Weber Wilser, 118 Diese hierzu Wilser, 112

D B 1969 S. 1908. S. 61 m. w . N. Ausdehnung erfolgte durch das K V S t G 1934, B G B l . I S. 1058; S. 61.

13 v. Beckerath

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I I I . 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

Gesetzgeber hat diese Erweiterung des Steuertatbestandes i n der Fassung des Kapitalverkehrsteuergesetzes vom 16.10.1934 eingeführt, da es nach seiner Ansicht auf die rechtliche Selbständigkeit oder Unselbständigkeit der Niederlassung nicht ankommen könne 1 1 4 . Wirtschaftlich betrachtet könne sich eine ausländische Gesellschaft auch in rechtlich selbständiger Form im Inland niederlassen. Außerdem stelle diese Regelung eine Vereinfachung für die Verwaltung dar. Erfahrungsgemäß habe es wegen der gesellschaftlichen Verschachtelung i m Ausland oft Schwierigkeiten bereitet, das gesellschaftliche Verhältnis der ausländischen Muttergesellschaften zu der rechtlich selbständigen inländischen Niederlassung festzustellen und die Steuer auf dem gewöhnlichen Weg festzusetzen 115 . cc) Die Vorschrift des §2 I Z . 6 K V S t G w i r d jedoch i n ihrer Ausdehnung auch auf rechtlich selbständige Gesellschaften i n ihrer praktischen Bedeutung durch § 2 1 Z . 6 a) und b) stark eingeschränkt. (1) Z u der Einschränkimg, daß nicht § 2 I Z. 6, sondern Ζ. 1 - 4 gelten, wenn die inländische Niederlassung eine Kapitalgesellschaft ist, sah sich der Gesetzgeber veranlaßt, w e i l sich herausgestellt hatte, daß bei inländischen Kapitalgesellschaften deutschen Rechts, die Niederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften waren, die Besteuerung nach § 2 I Z. 6 KVStG, der i n diesen Fällen als lex specialis den Ζ. 1 - 3 vorging, weitaus schärfer war als bei anderen inländischen Kapitalgesellschaften deutschen Rechts. Während bei den anderen Kapitalgesellschaften die Steuertatbestände dadurch eingeschränkt werden, daß es sich u m eine „durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung" (§3 KVStG) 1 1 8 und u m Leistungen handeln mußte, „die geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen", besteht die Steuerpflicht nach § 2 I Z. 6 stets dann, wenn Anlage- oder Betriebskapital zugeführt w i r d 1 1 7 . Verschärft wurde diese Höherbesteuerung der inländischen Kapitalgesellschaft, die sich als Niederlassung einer ausländischen K a pitalgesellschaft darstellt, dadurch, daß die Finanzverwaltung — ausgehend von der Fiktion, daß die Zweigniederlassung ihren Gewinn an die Hauptniederlassung abzuführen habe — stehengelassene Gewinne als steuerpflichtige Zuführung von Anlage- oder Betriebskapital ansah 118 , während ein solcher Vorgang bei anderen Kapitalgesellschaften i m allgemeinen nicht der Gesellschaftsteuer unterlag 1 1 9 . Diese Schärfer114

Vgl. RStBl. 1934, 2 S. 1464 r. Sp., 1465 1. Sp. Vgl. RStBl. 1934, 2 S. 1465. 116 § 3 gestrichen durch Gesetz v o m 23.12.1971 (BGBl. I S. 2134) m i t W i r k u n g v o m 1.1.1972. 117 Raupach A W D 1966 S. 85 1. Sp. 118 Raupach A W D 1966 S. 89 r. Sp. 115

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaftl. Unselbständigkeit

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besteuerung der inländischen Kapitalgesellschaften, die Niederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaft sind, hatte zu „Unzuträglichkeiten m i t Ausländern geführt, die sich auf die ihnen durch zwischenstaatliche Verträge zugesicherte steuerliche Inländerbehandlung berufen haben" 1 2 0 . Die Ausnahme von § 2 I Z. 6 für inländische Kapitalgesellschaften (heute § 2 I Z. 6 b) sollte „diese Unzuträglichkeiten beseitigen" 1 2 1 . (2) Eine weitere Einschränkung enthält § 2 I Z. 6 a KVStG, wonach § 2 I Z . 6 nicht eingreifen soll, wenn die ausländische Kapitalgesellschaft i n einem Mitgliedstaat der EG ihren Sitz hat und i n diesem Staat für die Erhebung der Gesellschaftsteuer als Kapitalgesellschaft angesehen w i r d 1 2 2 . Diese Einschränkung wurde eingeführt m i t W i r k u n g vom 1.1. 1972128 i n Befolgung der „Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 17. J u l i 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital" 1 2 4 . A u f diese Weise soll zumindest unter den Partnerstaaten die Doppelbesteuerung vermieden werden, zu der die Besteuerung nach § 2 I Z. 6 K V S t G führt, wenn auch· der Sitzstaat der ausländischen Kapitalgesellschaft Kapitalverkehrsteuer erhebt 1 2 5 . b) Die Regelung des §2 I Z . 6 K V S t G erscheint aus verschiedenen Gründen problematisch. aa) Die Bedenken richten sich dabei zum einen allgemein gegen den Sondertatbestand des §2 I Z. 6 KVStG, die Besteuerung der Zuführung von Kapital durch eine ausländische Kapitalgesellschaft an ihre inländische Niederlassung. (1) Als rechtlicher Grund für den Tatbestand des § 2 I Z. 6 K V S t G w i r d angeführt, daß wirtschaftlich betrachtet die ausländische Kapitalgesellschaft von einer inländischen Niederlassung aus m i t Hilfe eines i n das Inland verbrachten Teils ihren Anlage- oder Betriebskapitals Geschäfte betreibt 1 2 6 . Besteuert werden damit aber rein „innerbetriebliche" Vorgänge zwischen Haupt- und Zweigniederlassung, während i n den anderen Fällen des §2 eine Kapitalzuführung „von außen her", d.h.

119 Wilser, S. 63. 120 BT-Drucks. III/262 S. 6.

121 BT-Drucks. ebd.; sowie Ebentheuer 122

A G 1971 S. 284.

Hierzu Kinnebrock B B 1973 S. 1317. Gesetz v. 23.12.1971, B G B l . I S. 2134. 124 Abgedruckt bei Kinnebrock, Kapitalverkehrsteuergesetz, S. 1 ff.; vgl. insbes. § 4 des Richtlinienentwurfs. 125 Raupach A W D 1966 S. 85/90. 126 Vgl. BT-Drucks. III/262 S. 6. 123

1

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

durch andere Rechtspersonen erforderlich ist 1 2 7 . Vor allem aber ist die Normierung einer Steuerpflicht für die Zuführung von Kapital von einer ausländischen Kapitalgesellschaft an ihre inländische Niederlassung allein an der inländischen Besteuerung orientiert. Unterliegt aber die ausländische Kapitalgesellschaft auch i m Ausland der Kapitalverkehrsteuer, so führt die Besteuerung nach § 2 I Z. 6 K V S t G zu einer Doppelbesteuerung 128 . (2) Bedenklich erscheint vor allem auch die Schärferbesteuerung inländischer Niederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften, die nicht i n der Form einer deutschen Kapitalgesellschaft betrieben werden, gegenüber der Besteuerung von inländischen Kapitalgesellschaften. M i t § 2 I Z. 6 b K V S t G hat der Gesetzgeber eine Schärferbesteuerung von inländischen Niederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften i n der Form einer deutschen Kapitalgesellschaft gegenüber sonstigen inländischen Kapitalgesellschaften vermieden. Es besteht aber kein sachlich rechtfertigender Grund, diese Schärferbesteuerung für inländische Niederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften, die nicht i n der Form einer inländischen Kapitalgesellschaft betrieben werden, aufrechtzuerhalten. Die Ausnahmevorschrift des § 2 I Z. 6 b K V S t G führt gegenwärtig dazu, daß die inländischen Niederlassungen, die i n Form einer Kapitalgesellschaft betrieben werden und deren Besteuerung damit unmittelbar — ohne den Umweg über die ausländische Kapitalgesellschaft — Sinn und Zweck des Kapitalverkehrsteuergesetzes entspricht, nach § 2 I Ζ. 1 - 5 besteuert werden, andere Niederlassungen dagegen der höheren Besteuerung nach § 2 1 Z . 6 K V S t G unterliegen. Raupach erscheint die schärfere Besteuerung inländischer Niederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften gegenüber inländischen Kapitalgesellschaften sachlich gerechtfertigt 129 . Die bei inländischen Gesellschaften ohne weiteres möglichen Feststellungen könnten bei inländischen Niederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften kaum getroffen werden. Das Gesellschaftsteuerrecht knüpfe grundsätzlich an Vorgänge des Rechtsverkehrs an. Rechtlich seien aber die ausländische Kapitalgesellschaft und ihre Niederlassung eine Einheit, so daß sich zwischen ihnen keine Rechtsverkehrsvorgänge abspielen könnten. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß § 2 I Z. 6 K V S t G nicht nur Zuführungen an rechtlich unselbständige Niederlassungen der Steuerpflicht unterwirft. Zumindest für die rechtlich selbständigen Niederlassungen wäre nach der Argumentation von Raupach dann aber die 127

Egly, Gesellschaftsteuer-Kommentar, A n m . 183 zu § 2 I Z. 6 (S. 1307). Raupach A W D 1966 S. 85/90. 129 Raupach ebd.; vgl. auch Egly, Kapitalverkehrsteuergesetz, S. 130 u n d österr. VerfGH i n D V R 1965 S. 123, der einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz wegen der Besteuerung v o n „stehengelassenen Gewinnen" bei der inländischen Niederlassung i m Ergebnis verneint hat. 128

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaf t. Unselbständigkeit

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Schärferbesteuerung nicht gerechtfertigt, da hier die ausländische K a pitalgesellschaft und ihre Niederlassung rechtlich keine Einheit bilden, sich zwischen ihnen also „Rechtsvorgänge abspielen könnten" 1 3 0 . bb) Gerade auch der in §2 I Z. 6 KVStG enthaltene Durchgriff, daß die Zuführung von Kapital an eine inländische Niederlassung „auch wenn diese rechtlich selbständig ist", steuerpflichtig sein soll, stößt neben der ansonsten schon gegebenen Problematik des § 2 I Z. 6 K V S t G auf Bedenken: Es stellt sich die Frage, ob nicht die Einschaltung einer juristischen Person an Stelle einer rechtlich unselbständigen Niederlassung einen entscheidenden Unterschied ausmacht. Es fragt sich, ob man das Handeln der inländischen Tochtergesellschaft zu Recht als ein Tätigwerden der ausländischen Kapitalgesellschaft i m Inland auffassen kann, auf das der Steuertatbestand des § 2 I Z. 6 abzielt oder ob man hier nicht richtigerweise den Gedanken der Steuerfreiheit von NichtKapitalgesellschaften i n den Vordergrund stellen müßte. A u f jeden F a l l w i r d man aber eine bloße „enge Bindung" zwischen der ausländischen Kapitalgesellschaft und der inländischen, rechtlich selbständigen Gesellschaft 131 nicht als ausreichend ansehen können, u m das Handeln der inländischen Gesellschaft als ein Tätigwerden der ausländischen K a p i talgesellschaft i m Inland und damit die inländische Gesellschaft als Niederlassung der ausländischen Kapitalgesellschaft auffassen zu können. 2. Die ausnahmsweise, Körperschaft und Anteilseigner begünstigende Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit Eine andere Zielsetzung als die bisher erörterten Durchgriffsfälle hat die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit i m Fall des internationalen Schachtelprivilegs, der indirekten Steueranrechnung nach § 26 I I - V K S t G n. F. und der Verlustberücksichtigung nach § 3 AuslInvG. Während es bei den bisherigen Fällen darum ging, daß man i m Hinblick auf die wirtschaftliche Unselbständigkeit eine höhere Besteuerung als gerechtfertigt ansah, geht es bei diesen Tatbeständen darum, daß auf eine bestimmte Besteuerung i m Hinblick auf die w i r t schaftliche Unselbständigkeit bzw. Verbundenheit verzichtet wird. a) Hierbei betreffen das sogenannte internationale Schachtelprivileg und die indirekte Steueranrechnung nach § 26 I I - V K S t G die Frage der Doppelbelastung des ausgeschütteten Gewinns. (Diese Fälle stellen 130 Z u m Ausschluß der Schärferbesteuerung durch Diskriminierungsverbote u n d Gleichbehandlungsklauseln i n D B A vgl. ausführlich Raupach A W D 1966 S. 85. 131 Vgl. Wilser, S. 62; Beerweiler R i W 1957 S. 157/158.

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I I I . 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

damit zwar keinen Durchgriff i. S. der oben gegebenen Definition dar, sollen jedoch wegen des sachlichen Zusammenhangs — auch diese Maßnahmen dienen wie die zuvor erörterten Durchgriffsfälle der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Körperschaften — hier kurz behandelt werden). aa) Zahlreiche von deutscher Seite abgeschlossene D B A enthalten die Vereinbarung eines internationalen Schachtelprivilegs. Dividenden, die der inländischen Obergesellschaft von der ausländischen Untergesellschaft zufließen, werden von der deutschen Körperschaftsteuer freigestellt. Als Voraussetzung stellen die D B A i m allgemeinen das Erfordernis auf, daß beide Rechtsträger Kapitalgesellschaften sind und daß die Muttergesellschaft mindestens 25 °/o der Anteile der Tochtergesellschaft hält 1 8 2 . Darüber hinaus ist durch das Außensteuerreformgesetz von 1972 die sogenannte indirekte Steueranrechnung eingeführt worden, die als allgemeine Regelung auch gegenüber Staaten Anwendung findet, m i t denen kein D B A besteht. Die indirekte Steueranrechnung war zunächst i n §19 a K S t G geregelt und ist nunmehr durch §26 I I - V K S t G 1977 übernommen worden 1 3 3 . Nach § 26 I I - V K S t G können die i n § 26 I I K S t G aufgeführten Körperschaften beantragen, daß eine vom Gewinn einer Tochtergesellschaft, an der sie mindestens zu einem Viertel beteiligt sind, erhobene Steuer auf ihre Körperschaftsteuer von Gewinnanteilen, die die Tochtergesellschaft an sie ausschüttet, angerechnet wird, soweit diese Steuer dem Verhältnis der auf die Muttergesellschaft entfallenden Gewinnanteile zum ausschüttbaren Gewinn der Tochtergesellschaft entspricht. Die indirekte Steueranrechnung verhindert auf diese Weise eine Doppelbelastung des ausgeschütteten Gewinns i m Verhältnis von M u t ter- und Tochtergesellschaft, vermeidet gegenüber der Regelung des internationalen Schachtelprivilegs jedoch, daß bei niedrigerer Steuerbelastung der ausländischen Unternehmenseinheit eine über die Vermeidung der Doppelbelastung hinausgehende Vergünstigung durch die Freistellung von der inländischen Besteuerung begründet w i r d 1 8 4 . bb) Das i n den D B A gewährte internationale Schachtelprivileg und vor allem die indirekte Steueranrechnung bauen die Benachteiligung von Auslandsniederlassungen gegenüber Beteiligungen an inländischen Tochtergesellschaften ab, bei denen nach früherem Recht bereits das nationale Schachtelprivileg bestand, nach gegenwärtigem Recht all132

Striegel, Steuerflucht durch Basisunternehmen, S. 210. Vgl. hierzu Regierungsbegründung BT-Drucks. 7/1470 S. 361. 184 Hierzu Fischer/Warneke, Grundlagen der Internationalen Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre, S. 130; bei dem internationalen Schachtelp r i v i l e g w i r d das gleiche Ergebnis dadurch erreicht, daß dieses n u r f ü r Tochtergesellschaften vereinbart w i r d , die i m A u s l a n d einer vergleichbaren Körperschaftsteuerbelastung ausgesetzt sind — hierzu Striegel, S. 211. 188

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaf t. Unselbständigkeit

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gemein eine Anrechnung der von der Tochtergesellschaft gezahlten K ö r perschaftsteuer bei der Muttergesellschaft erfolgt. M i t der Einführung der indirekten Steueranrechnung wurde zudem die Benachteiligung von Beteiligungen an Tochtergesellschaften i n Nicht-DBA-Ländern gegenüber Beteiligungen an Tochtergesellschaften i n DBA-Ländern weitgehend beseitigt. Außerdem entfiel damit der Anreiz, Holdinggesellschaften i n einem D B A - L a n d zu gründen, das seinerseits das Schachtelprivileg auch für Auslandsbeteiligungen zugesteht. So heißt es i n dem Gutachten der Steuerreformkommission, die sich m i t der Frage der Einführung der indirekten Steueranrechnung beschäftigte: „Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß nationale Steuerschranken solcher A r t (daß das Schachtelprivileg über die Grenze nicht generell gewährt wurde — der Verf.) deutsche Unternehmen auf dem Weltmarkt benachteiligen. I h r Abbau würde den Prozeß der politisch erwünschten internationalen Wirtschaftsverflechtung fördern und zugleich die deutsche Wirtschaft der Notwendigkeit entheben, zum internationalen Wettbewerb von Standorten außerhalb des Binnenmarktes anzutreten 185 ." Auch aus internationaler Sicht w i r d man der Gewährung eines allgemeinen Schachtelprivilegs über die Grenze — zumindest als augenblicklicher Lösung — zustimmen müssen. Die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung dadurch, daß nur von einzelnen Staaten das Schachtelprivileg gewährt wird, besteht nicht. Nach den Feststellungen der Steuerreformkommission gestehen andere Industriestaaten m i t gleichem Steuerniveau wie die BRD das Schachtelprivileg über die Grenze seit langem uneingeschränkt zu. Außerdem sei i n einem Vorschlag einer Richtlinie des Rates der EG über ein gemeinsames Steuersystem für Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten bereits vorgesehen, innerhalb der EG das Schachtelprivileg multilateral einzuräumen 136 . b) Einen Fall des Durchgriffs, m i t dem der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Körperschaften Rechnung getragen wird, enthält §3 AuslInvG 137. aa) § 3 AuslInvG sieht die ausländische Körperschaft, an der ein inländisches Unternehmen m i t 50 °/o (bzw. 25 °/o i n Entwicklungsländern) beteiligt ist, als Zweigniederlassung des inländischen Unternehmens i m Ausland an und erlaubt eine Berücksichtigung des Verlustes der ausländischen Gesellschaft bei der Besteuerung des inländischen Unterneh186 Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Abschnitt V I Außensteuerrecht, Rdnr. 25. 186 Gutachten der Steuerreformkommission 1971, ebd., Rdnr. 26. 137 Hierzu Fischer/Warneke, S. 111/115; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 72; Reuter FR 1972 S. 545/546.

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mens. „Damit hat das Außensteuerrecht der Bundesrepublik insoweit die Tatsache anerkannt, daß trotz der rechtlichen Selbständigkeit der ausländischen Tochtergesellschaft zwischen Inlands- und Auslandsgesellschaft wirtschaftlich eine Einheit wie i m Verhältnis des inländischen Stammhauses zur ausländischen Betriebstätte gegeben sein kann 1 3 8 ." (1) Ziel des Auslandsinvestitionsgesetzes ist es nach der Begründung der Bundesregierung 130 , Investitionen i m Ausland zu fördern. Als w i r t schaftspolitische Ziele werden vor allem genannt: 1. Vermeidung der Produktionskonzentrationen i m Inland 2. Einschränkung der Zuwanderung von Arbeitskräften 3. Beseitigung der Benachteiligung deutscher Auslandsinvestitionen gegenüber Investitionen aus anderen Ländern 4. Sicherung von ausländischen Rohstoffquellen 5. Umgehung der Protektionspolitik i m Ausland 1 4 0 (2) Aus dieser Zielsetzung heraus bestimmt das Auslandsinvestitionsgesetz i n § 3, daß unbeschränkt steuerpflichtige natürliche und juristische Personen für Verluste ausländischer Tochtergesellschaften, an deren Nennkapital sie m i t mindestens 5 0 % — i n Entwicklungsländern m i t 25 % — beteiligt sind, eine steuermindernde Rücklage bilden können. Diese Rücklage muß bei späteren Gewinnen der Auslandsgesellschaft, spätestens aber nach 5 Jahren, aufgelöst werden. § 3 AuslInvG erlaubt damit eine Berücksichtigung des Verlustes ausländischer Tochtergesellschaft, die ansonsten nicht möglich wäre, da die ausländische Tochtergesellschaft nicht als Organgesellschaft anerkannt wird141. § 3 AuslInvG gewährt die Möglichkeit zur Bildung einer steuerfreien Rücklage jedoch nur i n sehr engen Voraussetzungen, die i m Gesetz i m einzelnen aufgeführt sind. M i t der Erfüllung dieser Anforderungen dürfte nach Ansicht von Fischer/Warneke der Steuerpflichtige erhebliche Schwierigkeiten haben 142 . Nach Hinne w i r f t insbesondere das Problem der Geldentwertung bei der Aufgliederung und Transformierung einer ausländischen Bilanz i n eine Bilanz nach deutschen Steuerrechtsvorschriften fast unlösbare Probleme auf 1 4 3 . bb) Die Regelung des §3 AuslInvG erscheint grundsätzlich begrüßenswert; zum einen deshalb, w e i l sich Verluste einer 50%igen Tochter138

S. 277. 139 140 141 142 143

So Kluge

JuS 1974 S.357 unter Berufung auf Debatin

Vgl. B T - P r o t o k o l l v. 18.6.1969, 240. Sitzung, S. 1337 c. Fischer/Warneke, S. 111; Hinne DStR 1971 S. 583. Vgl. Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 72. Fischer/Warneke, S. 116. Hinne DStR 1971 S. 207 ff.

D S t Z / A 1969

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gesellschaft tatsächlich wirtschaftlich als eigene Verluste der Muttergesellschaft, besser: des Gesamtunternehmens, darstellen; zum andern deshalb, w e i l auf diese Weise eine Gleichstellung von inländischen Beteiligungsbeziehungen und grenzüberschreitenden Beteiligungsbeziehungen erreicht w i r d 1 4 4 . Andererseits ergeben sich aber Bedenken gegen die Abweichung von dem Grundsatz der Selbständigkeit. Zwar führt hier die Abweichung von dem Grundsatz der Selbständigkeit nicht zu einer Überschneidung der Steuerhoheiten, t r i t t für Körperschaften u n d Anteilseigner keine steuerliche Mehrfachbelastung ein. Es t r i t t aber durch die Abweichung von dem Grundsatz der Selbständigkeit eine steuerliche Vergünstigung ein gegenüber solchen Körperschaften u n d Anteilseignern, die nach dem Grundsatz der Selbständigkeit behandelt werden. Der Körperschaft und Anteilseigner begünstigende Durchgriff w i r k t gegenüber Mitbewerbern prinzipiell wettbewerbsverzerrend. Die B i l dung von Tochtergesellschaften w i r d begünstigt. Die Bedenken insoweit sind gegenwärtig noch wenig gravierend. Langfristig w i r d man aber i m Rahmen der Steuerharmonisierung auch über diese Frage zu einer Verständigung kommen müssen, w i l l man Wettbewerbsverzerrungen verhindern, die einer optimalen Entwicklung des internationalen Handels entgegenstehen 145 . C. Rechtspolitische Überlegungen zur Berücksichtigung der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Körperschaften

Körperschaften werden nach geltendem deutschen Außensteuerrecht — abgesehen von den zu B. erörterten Ausnahmen — ungeachtet einer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als selbständige Steuersubjekte behandelt. § 15 I I StAnpG und die Filialtheorie, m i t denen der wirtschaftlichen Unselbständigkeit von Körperschaften rechtlich Rechnung getragen wurde, sind durch den Gesetzgeber aufgehoben worden bzw. werden nicht mehr angewandt. Diese Geltung des Grundsatzes der Selbständigkeit auch für wirtschaftlich m i t anderen Unternehmen verflochtene Körperschaften erscheint jedoch nicht frei von möglichen Einwendungen. Die grundsätzlichen Überlegungen, die dazu führten, den Grundsatz der Selbständigkeit m i t § 15 I I StAnpG, der indirekten Gewinnermittlung und der Filiatheorie zu durchbrechen, geben Anlaß zu Zweifeln, die von den gegen diese Durchgriffsmaßnahmen vorgebrachten Bedenken nicht beseitigt werden können. Auch die gegenwärtigen Schwierigkeiten bei der Behandlung von wirtschaftlich verbundenen Unternehmen nach dem arm's-length-Prinzip lassen die Behandlung von wirtschaftlich unselbständigen Körperschaften als rechtlich selb144 145

Vgl. hierzu auch Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 73. Hierzu Kluge, ebd., S. 5 f.; vgl. auch van Hoorn StuW 1960 Sp. 201/205 f.

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ständig als problematisch erscheinen. Ebenso werfen die i m deutschen Außensteuerrecht vorhandenen Ausnahmen von der uneingeschränkten Geltung des Grundsatzes der Selbständigkeit auch für wirtschaftlich unselbständige Körperschaften die Frage auf, ob man nicht weitergehend wirtschaftlich unselbständige Körperschaften allgemein entsprechend den wirtschaftlichen Gegebenheiten besteuern sollte. Schließlich muß sich auch bei Durchgriffsfällen des nationalen Steuerrechts wie der Organschaft die Frage stellen, ob nicht diese Regelung auf internationale Sachverhalte erstreckt werden sollte. Die uneingeschränkte Geltung des Grundsatzes der Selbständigkeit erscheint i n zwei Richtungen als problematisch: I m Fall einer Verbindung von Mutter- und Tochterunternehmen kann das Tochterunternehmen derart i n das Mutterunternehmen eingegliedert sein, daß es w i r t schaftlich als bloße unselbständige Abteilung des Mutterunternehmens erscheint. M i t diesem F a l l beschäftigt sich die Organtheorie. Der andere Fall ist der des Konzerns, bei dem der Konzern als eine wirtschaftliche Einheit, die Konzerngesellschaften als bloße unselbständige Teile des Gesamtkonzerns erscheinen. Dieser Problemkreis ist Gegenstand der Konzern-, Gesamtunternehmens- oder Einheitstheorie 14e. I. Die Besteuerung von Konzernen als Einheit 1. Überlegungen für eine Besteuerung von Konzernen als Einheit a) Konzerne stellen sich i n der wirtschaftlichen Realität als eine wirtschaftliche Einheit dar. Die einzelnen Konzerngesellschaften unterliegen einer einheitlichen Leitung. Diese einheitliche Konzernleitung integriert die einzelnen Konzerngesellschaften zu einem einheitlichen Ganzen 147 . Die Konzernleitung bestimmt Konzernpolitik und Konzernplanung. Sie schafft den Rahmen, innerhalb dessen sich die Gliedgesellschaften wirtschaftlich 'bewegen 148 . Sie legt die „obersten" Ziele der Unternehmung fest u n d trifft gegenüber den einzelnen Gliedgesellschaften die Koordinationsmaßnahmen zur Abstimmung der Bereichsziele. Von i h r geht die Bestimmung der zur Verwirklichung der Bereichsziele bereit zu stellenden Kapazität und die Bestimmung der Organisationsstruktur der Unternehmung aus. Sie leitet die Prozeßabwicklung, indem sie allgemeine Verhaltensnormen vorgibt, Füh146 Grundlegend zur Unterscheidung v o n Organtheorie u n d Konzerntheorie: Bühler, Steuerrecht der Gesellschaften u n d Konzerne, 3. Aufl., S. 321 ff.; a . A . offenbar: Stolk, S. 57 f., der den Hauptunterschied zwischen der Besteuerung nach der Organtheorie u n d der Einheitsbesteuerung i n der Feststellung des Konzernerfolgs sieht — vgl. hierzu aber: Jurkat, S. 39 ff. 147 Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 75. 148 Rehbinder, ebd.

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rungsprozesse, vor allem zur Verwirklichung von Neuerungen, einleitet, Einzelentscheidungen von größerem Gewicht trifft u n d durch Überwachung des gesamten Unternehmensgeschehens sowie Wertung der erzielten Ergebnisse die „Gesamtkontrolle" ausübt 1 4 9 . Die einzelnen Gliedgesellschaften sind nur noch Teil des einheitlichen Ganzen, i n ihrer wirtschaftlichen Funktion nicht mehr aus sich selbst heraus, sondern nur noch aus der höheren Einheit des Konzerns zu erklären. Der Konzern n i m m t durch die Gliedgesellschaften am wirtschaftlichen Verkehr teil, erfüllt selbst sogar nach außen gewisse wirtschaftliche „Rahmenfunktionen". Die Konzernwerbunig, eine einheitliche Konzernmarke, die Konzernpulblizität und der Abschluß wichtiger Verträge durch die Konzernleitung erscheinen als Handeln des Gesamtkonzerns 150 . I m wirtschaftlichen Wettbewerb agiert der Konzern als wirtschaftliche Einheit. Zwischen den einzelnen Konzerngesellschaften ist die Konkurrenzsituation ausgeschaltet, gegenüber Konkurrenten ist der Konzern i n der Lage, die wirtschaftliche K r a f t des gesamten Konzerns einzusetzen. Die Frage, ob es sich u m mehrere rechtlich selbständige Unternehmen handelt oder auch rechtlich nur ein Unternehmen vorliegt, t r i t t dabei i n den Hintergrund. Die wirtschaftliche Funktion ist i n beiden Fällen gleich. Wirtschaftlich ist auch der Konzern eine Einheit 1 5 1 . Wenn aber der Konzern eine Einheit ist, so könnte er auch als Einheit besteuert werden 1 5 2 . aa) Das Aktiengesetz anerkennt den wirtschaftlichen Tatbestand „Konzern" als Zusammenfassung rechtlich selbständiger Unternehmen unter einheitlicher Leitung (§18 AktG). Es trägt dem wirtschaftlichen Tatbestand „Konzern" durch detaillierte Vorschriften Rechnung, schafft insbesondere auch Vorschriften, welche die einheitliche Leitung des Konzerns sicherstellen 158 . So darf nach § 308 I S. 2 A k t G das herrschende Unternehmen der abhängigen Gesellschaft sogar Weisungen erteilen, die für die Gesellschaft nachteilig sind, wenn sie den Be149

Ulrich, Die Unternehmung als produktives soziales System, S. 323 ff. Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 75 f. 161 Z u m Ganzen Stolk, S.13ff.; Fischer N J W 1954 S. 1177/1179; Michel, Konzernverträge u n d EWG-Wettbewerbsrecht, S. 99 f.; Pross, Der Einfluß des Steuerrechts auf die Rechnungslegung i m Konzern, S. 20; vgl. auch Mersmann CDDFJ, X L I I I Jerusalem 1961, S. 113/115: „Wirtschaftlich hat der U n t e r ordnungskonzern m i t seinen rechtlich selbständigen Tochtergesellschaften regelmäßig die gleichen F u n k t i o n e n w i e ein Großunternehmen, bei dem statt besonderer juristisch selbständiger Einheiten Zweigniederlassungen bestehen, die u n m i t t e l b a r Teile des einheitlichen Unternehmens bilden."; zur wirtschaftlichen Einheit des Konzerns auch Dornfeld/Telkamp StuW 1971 S. 67/72. 152 Stolk, S. 15. 153 Rasch, Gutachten zum 49. D J T , G 37; vgl. auch Gessler, i n Unternehmensverbindungen, S. 12/13. 150

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langen des herrschenden Unternehmens oder der m i t i h m und der Gesellschaft konzernverbundenen Unternehmen dienen 154 . Wenn der Gesetzgeber des Konzerngesellschaftsrechts aber i n dieser Weise der Konzernleitung bestimmte Befugnisse einräumt, w e i l ohne eine derart umfassende Leitungsmacht eine rationelle Geschäftsführung nicht möglich wäre, so „kann es nicht Aufgabe des Steuerrechts sein, die betriebs- und volkswirtschaftlichen Zielsetzungen des Aktienrechts durch Ansprüche zu kürzen, die den Erfordernissen einer solchen Geschäftsführung widerstreiten" 165. Wenn das Konzerngesellschaftsrecht anerkennt, daß sich die Geschäftsbeziehungen der konzernzugehörigen Unternehmen nicht notwendig nach den individuellen Interessen der Gliedunternehmen richten, sondern von der Unternehmensführung nach den Interessen des Gesamtkonzerns gestaltet werden 1 5 6 , so steht damit das Steuerrecht i n Widerspruch, wenn es die Körperschaft wie ein selbständiges, unabhängiges Unternehmen besteuert. Außerdem muß sich das Steuerrecht mehr noch als das Gesellschaftsrecht um eine an den wirtschaftlichen Gegebenheiten ausgerichtete Betrachtungsweise bemühen157. Das Steuerrecht hat nicht wie das Aktienrecht Beziehungsverhältnisse von Konzernleitung, Konzerngesellschaften, Konzerngläubigern etc. zu ordnen, sondern hat aus einer vorgegebenen Gestaltung Folgerungen zu ziehen 158 . Aufgabe des Steuerrechts ist es, den Konzern und seine Glieder nach ihrer Leistungsfähigkeit steuerlich zu erfassen 159 . Unter Gesichtspunkten der Leistungsfähigkeit aber stellt der Konzern eine Einheit dar. bb) Vor allem ließe sich durch einen, der wirtschaftlichen Einheit des Konzerns entsprechendend Abbau der Steuerhemmnisse, die sich für den Konzern aus der Besteuerung nach dem Grundsatz der Selbständigkeit ergeben, eine Förderung internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit erreichen. Durch einen Abbau der Steuerhemmnisse für die Zusammenarbeit von Gesellschaften i n „grenzüberschreitenden Konzernen" 1 6 0 ließe sich der Zusammenschluß zu größeren Unternehmens154 Vgl. hierzu auch Rasch, Gutachten zum 49. D J T , G 40; vgl. auch 308 I I A k t G , wonach der Vorstand verpflichtet ist, die Weisungen des herrschenden Unternehmens zu befolgen. 155 Rasch, ebd., G 40 allerdings unter Beschränkung auf das nationale Steuerrecht (ebd., G 68) m i t der Begründung, es gebe k e i n über die Grenzen eines Staates hinwegreichendes Konzerngesellschaftsrecht. 159 Hierzu Strobl/Zirkel A W D 1968 S. 463. 157 Vgl. v o r allem Bühler, Steuerrecht der Gesellschaften u n d Konzerne, S. 322. 158 Niemann, Probleme der Gewinnrealisierung innerhalb des Konzerns, S. 156. 159 Rasch, Gutachten zum 49. DJT, G 37. 160 „Grenzüberschreitende Konzerne" meint hier den Zusammenschluß v o n Unternehmen m i t Sitz i n verschiedenen Staaten. Der Ausdruck „ m u l t i n a t i o -

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eiriheiten fördern, die i n der Lage wären, die Aufgaben der Rationalisierung, der technologischen Entwicklung u n d Forschung sowie des Wettbeweubs auf den Weltmärkten -besser zu bewältigen 1 6 1 . Gerade bei grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen lassen sich oft höhere Rationalisierungserfolge erzielen als bei nationalen Zusammenschlüssen, da sich bestehende Vertriebsorganisationen der beteiligten Körperschaften hier weit weniger überschneiden werden als bei nationalen Zusammenschlüssen. Auch werden bei grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen eher die bei nationalen Zusammenschlüssen zu "befürchtenden Monopol- oder Oligopolwirikungen vermieden. Unter Umständen w i r d durch grenzüberschreitende Zusammenschlüsse der Wettbewerb erst aufrecht erhalten bzw. verstärkt, wenn durch eine übermächtige Konkurrenz i n ihrer Existenz bedrohte Unternehmen sich m i t Unternehmen anderer Staaten i n einem grenzüberschreitenden Konzern zusammenschließen 162 : „Die Bildung von Unternehmenszusammenschlüssen über die Grenzen der Staaten hinweg ist eine Notwendigkeit, die aus der internationalen Wirtschaftsentwicklung unserer Tage m i t der immer enger werdenden zwischenstaatlichen Unternehmensverzahnung nicht wegzudenken ist. I n diesem Prozeß zeigt sich die Besteuerung als ein Belastungsfaktor, der sich nach vielen Richtungen h i n als hemmend auswirkt 1 6 3 ." naie Konzerne" vermittelte auf G r u n d des Bedeutungsinhalts, der i h m i n der aktuellen politischen Diskussion beigemessen w i r d , den irreführenden Eindruck, daß es hier d a r u m gehen sollte, die wirtschaftlich übermächtigen „ M u l t i s " noch weiter zu stärken (vgl. insoweit auch die K r i t i k v o n Mann, i n : FS Barz, S. 219 ff.). Eine v o m Wirtschafts- u n d Sozialrat der Vereinten Nationen eingesetzte Kommission hat sich f ü r den Begriff des „transnationalen Unternehmens" entschieden. „Transnationale Unternehmen" werden jedoch verstanden als Unternehmen, die v o n der Basis ihres Ursprungslandes aus über die nationalen Grenzen hinweg operieren (vgl. Grewlich R i W 1976 S. 389), was ebenfalls nicht dem hier Gemeinten entspricht. 161 Sass A W D 1970 S. 533/534; vgl. auch die an die Entwicklungsländer gerichtete Warnung der Internationalen Handelskammer, den Beitrag der sog. transnationalen Unternehmen zur globalen Wirtschaftsentwicklung zu u n t e r schätzen oder i h n gar als verwerflich zu bezeichnen (transnat. U n t . als ein „ V e h i k e l zur Verteilung knapper Resourcen u n d moderner Techniken") i n F A Z v. 7.12.76, S. 14. 102 Grasmann A G 1973 S. 258/263 f. i«3 Debatin, i n : Unternehmensverbindungen, S. 46; zu dem Anliegen, Unternehmenszusammenschlüsse v o n steuerlichen Hemmnissen zu entlasten ders., ed., S. 51; vgl. auch Harms, i n : Unternehmensverbindungen, S. 104 f.: „Das Z i e l der E W G muß es sein, w i e i n den USA, auf jedem wichtigen T e i l m a r k t 3 bis 10 leistungsfähige Unternehmen zu entwickeln, die i n der ganzen E W G nicht n u r absetzen, sondern auch p r o d u z i e r e n . . . Die entgegengesetzte Forderung, möglichst viele Unternehmen ohne Einfluß auf dem M a r k t zu erhalten, also eine Annäherung an das Ideal des atomistischen Wettbewerbs i n der E W G zu verwirklichen, stammt aus der Gartenlaube der Wettbewerbsromantiker u n d darf als überholt gelten. Sie wäre m i t der A b lehnung der Leistungsgesellschaft identisch, die optimale Wirtschaftseinheiten u n d nicht eine maximale Z a h l der Marktteilnehmer braucht."

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(1) Die wirtschaftliche Einheit des Konzerns, seine wirtschaftliche Gleichwertigkeit m i t oder zumindest seine Nähe zu einem Einheitsunternehimen läßt die Besteuerung der einzelnen Konzerngesellschaften nach dem Grundsatz der Selbständigkeit fraglich erscheinen. Eine die wirtschaftliche Einheit des Konzerns berücksichtigende Besteuerung müßte deshalb bemüht sein, die Unterschiede zwischen der Besteuerung des Konzerns nach dem Trennungsprinzip und der Besteuerung eines Einheitsunternehmens aufzuheben oder zumindest abzumildern. Als derartige Unterschiede zwischen der Besteuerung eines Einheitsunternehmens und der Besteuerung des Konzerns nach dem Trennungsprinzip bestehen 1. die Doppelbelastung des i m Konzernkreis ausgeschütteten Gewinns 2. die fehlende Möglichkeit des Verlustausgleichs zwischen den einzelnen Konzerngesellschaften 3. die Besteuerung eines nach dem arm's-length-Prinzip ermittelten Gewinns aus innerkonzernlichen Leistungen. (a) Die Vermeidung einer Doppelbelastung des i m Konzernkreis ausgeschütteten Gewinns stellt ein wesentliches Anliegen i m Hinblick auf die wirtschaftliche Einheit des Konzerns dar 1 6 4 . M i t dem i n den D B A vereinbarten internationalen Schachtelprivileg und der indirekten Steueranrechnung nach §§ 26 I I - V K S t G finden sich i m deutschen Internationalen Steuerrecht bereits Maßnahmen, die i n Richtung auf eine Vermeidung der Doppelbelastung des i m Konzernkreis ausgeschütteten Gewinns gehen. Das internationale Schachtelprivileg w i r d jedoch nur gegenüber Abkommenstaaten gewährt, bei denen eine der inländischen Besteuerung i n der Höhe vergleichbare Besteuerung des i n Körperschaftsform erwirtschafteten Gewinns erfolgt. Die indirekte Steueranrechnung nach § 26 I I - V K S t G erreicht zwar eine Vermeidung der Doppelbelastung, unterwirft den von der Körperschaft ausgeschütteten Gewinn, soweit seine Belastung i m Ausland nicht der des Inlands entspricht, aber einer marktfernen Zusatzbesteuerung 1®5. Außerdem bedeutet der Kapitalertragsteuerabzug von Ausschüttungen der inländischen Tochtergesellschaft an ihre ausländische Muttergesellschaft eine Auf184 Vgl. Debatin, i n : Unternehmensverbindungen, S. 46/52: „Die doppelte Ertragbesteuerung der i m Konzernbereich transferierten Gewinne stellt eine Belastung dar, die unabweislich beseitigt werden muß, w e n n es m i t dem Z i e l ernst sein soll, internationale Unternehmenszusammenschlüsse v o n strukturstörenden Steuerhemmnissen zu entlasten." 165 Eggert, Die Neuorientierung des deutschen Außensteuerrechts i m Spannungsfeld der Investitions- u n d Finanzpolitik multinationaler Unternehmen, S. 167: „ A l l e i n das Herauf schleusen auf das deutsche Niveau muß als eine Schwächung der Leistungsfähigkeit angesehen werden, w e n n bedacht w i r d , daß die m i t der B R D konkurrierenden Staaten eine z u m T e i l niedrigere Besteuerung ihrer multinationalen Unternehmen vornehmen."

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rechterhaltung der Doppelbelastung des innerhalb eines Konzerns ausgeschütteten Gewinns1®6. (b) Ein weiterer Punkt, dem bei einer Einheitsbesteuerung des Konzerns Rechnung zu tragen wäre, ist der Gesichtspunkt der Verlustberücksichtigung 167 : Zwar ist i m allgemeinen eine Verlustberücksichtigung i n späteren Geschäftsjahren möglich. Ein Ausgleich des Verlustes einzelner Konzerngesellschaften m i t dem Gewinn anderer Gesellschaften aber bedeutete nicht nur einen sofortigen Verlustausgleich i n demselben Geschäftsjahr und damit einen Zinsvorteil, sondern hätte vor allem Bedeutung bei regelmäßig sich über eine längere Dauer erstreckenden Anlaufverlusten und i m Fall reiner Verlustgesellschaften. Die Möglichkeit des Verlustvortrags stellt also kein Äquivalent für den sofortigen Gewinnund Verlustausgleich dar 1 6 8 . Die Möglichkeit eines Verlustrücktrages erlaubt demgegenüber zwar eine sofortige Verlustberücksichtigung, setzt jedoch voraus, daß in den Vorjahren Gewinne erzielt wurden. §3 AuslInvG läßt eine Berücksichtigung von Verlusten zu, jedoch nur für Muttergesellschaften, die zu 5 0 % beteiligt sind, erlaubt nur die Bildung einer steuerfreien Rücklage, stellt außerordentlich enge Voraussetzungen für eine derartige Verlustberücksichtigung auf und gewährt die Möglichkeit zur Rücklagebildung auch nur i m Jahr des Anteilerwerbs und den vier folgenden Wirtschaftsjahren. (c) Dritter wesentlicher Punkt ist die Frage der innerkonzernlichen Gewinne. Aus der Sicht des Konzerns als einer wirtschaftlichen Einheit ist ein Gewinn erst dann realisiert, wenn ein Leistungsaustausch zwischen diesem und konzernfremden Partnern stattgefunden hat 1 6 9 . W i r t schaftlich handelt es sich u m bloße unternehmensinterne Warenbewegungen i m Produktions- oder Handelsgang. Bei einer Besteuerung des Konzerns als Einheit würde nicht nur der Gewinn erst dann besteuert, wenn er nach außen h i n realisiert w i r d 1 7 0 . Es unterbliebe auch eine Besteuerung, wenn keine Weiterübertragung über den Konzern hinaus erfolgt, etwa bei der Zurverfügungstellung von know-how durch eine Konzerngesellschaft an die andere. ιββ v g l . insoweit A r t . 5 der EG-Konzernbesteuerungsrichtlinie (hierzu noch unter b). 167 v g l . hierzu auch v. Kessel, Die konsolidierte Konzernbesteuerung i m Körperschaftsteuerrecht der USA, S. 239, 265 f ü r die amerikanische Besteuerung nach der konsolidierten Bilanz. 168 Klaus Kuhn, i n : Schriften zur Unternehmensführung, Bd. 19, 1974 S. 63/73. ιββ v g l . auch Niemann, Probleme der Gewinnrealisierung innerhalb des Konzerns, S. 35. 170

Vgl. hierzu auch v. Kessel, S. 270.

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(2) Ein derartiger Abbau der Steuerhemmnisse, die sich für den Konzern aus der Besteuerung der einzelnen Konzerngesellschaften nach dem Grundsatz der Selbständigkeit ergeben, könnte den Zusammenschluß zu grenzüberschreitenden Konzernen fördern u n d auf diese Weise gegenwärtig eine Alternative und langfristig eine wünschenswerte Ergänzung zu anderen bereits vorhandenen Bestrebungen zur Förderung internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit darstellen. (a) Der Zusammenschluß zu grenzüberschreitenden Konzernen stellt zur Zeit die einzige praktisch i n Frage kommende Möglichkeit für einen grenzüberschreitenden Zusammenschluß von Unternehmen dar. Versuche, andere Möglichkeiten zu schaffen, sind seit langem i n der Diskussion, aber wegen bisher noch nicht zu überwindender Schwierigkeiten noch nicht realisiert worden: Fusionen von Unternehmen über die Grenzen eines Staates hinweg führen grundsätzlich zu einer Realisierung der stillen Reserven i m Vermögen der aufgelösten Körperschaft. I n den einzelnen Staaten bestehende Begünstigungen für Fusionen sind i m allgemeinen auf inländische Vorgänge beschränkt 171 . Grenzüberschreitende Fusionen verbieten sich daher i m allgemeinen schon aus steuerlichen Gründen. Der von der EG-Kommission vorgelegte Entwurf einer Fusionsrichtlinie 172 w i l l diese negativen steuerlichen Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Fusion zumindest innerhalb der EG beseitigen. Nach der Fusionsrichtlinie sollen die vorhandenen stillen Reserven bei der Verschmelzung nicht aufgedeckt werden, sondern es soll an die Stelle der untergehenden Gesellschaft eine Betriebstätte der das Vermögen aufnehmenden Gesellschaft treten, welche die Buchwerte der untergehenden Gesellschaft fortführt. Dieser Entwurf einer sogenannten „Fusionsrichtlinie" ist jedoch, obwohl bereits 1969 von der Kommission vorgeschlagen, noch nicht angenommen worden 1 7 3 . Der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages hat 'bei seinem Bericht über die von der EG-Kommission vorgeschlagenen Entwürfe erklärt, er habe die Beratung zur Fusionsrichtlinie vorerst zurückgestellt 174 . Offensichtlich hat er die Aussichten für eine Verwirklichung der i n der Fusionsrichtlinie vorgesehenen Regelungen weitaus geringer eingeschätzt als diejenigen des Entwürfe der sogenannten Konzernbesteuerungsrichtlinien (hierzu noch unter b), zu 171 Vgl. i m einzelnen Dolff, Steuerprobleme einer „europäischen" U n t e r nehmung, S. 32 ff. 172 Vgl. BT-Drucks. V/3773 u n d hierzu i m einzelnen: Herrmann A G 1972 S. 203; Grasmann A G 1973 S. 267; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 75. 173 A l l e i n schon aus diesem Grunde w i r d m a n den grenzüberschreitenden Konzern nicht auf die Möglichkeit verweisen können, w e n n er als w i r t schaftliche Einheit behandelt werden wolle, auch eine rechtliche Einheit h e r zustellen— hierzu Harald Weber JZ 1972 S. 482/486. i™ BT-Drucks. VI/1344 S. 1.

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denen er ausführlich Stellung genommen hat. Nach Debatin sind die Staaten nur schwer für die Vorstellung zu gewinnen, Unternehmen, die i n ihrem Gebiet durch Sitz und Geschäftsleitung verankert sind, zu Auslandsunternehmen werden zu lassen, wie dies bei Fusionen auf ausländische Rechtsträger eintritt 1 7 5 . Auch die Schwierigkeiten bei der Schaffung einer „Europäischen Aktiengesellschaft" sollten vielleicht ein Anlaß sein, verstärkt das Interesse auf eine Förderung internationaler Zusammenarbeit i n grenzüberschreitenden Konzernen zu richten. Die EG-Kommission hat bereits 1970 dem Rat einen „Vorschlag einer Verordnung des Rates über das Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft" vorgelegt 176 . M i t der „Europäischen Aktiengesellschaft" soll der europäischen Wirtschaft eine überstaatliche, i n allen EG-Staaten identische Gesellschaftsform zur Verfügung gestellt werden, die sich mittels Betriebstätten i n den einzelnen Staaten betätigt. Die Besteuerung der Betriebstätte soll ausschließlich i m Betriebstättenstaat erfolgen, etwaige Verluste i m Sitzstaat der Europäischen Aktiengesellschaft von ihrem dort steuerpflichtigen Gewinn abgezogen werden. Primäres Ziel bei der Schaffung der Europäischen A G ist es, die m i t einer Sitzverlegung verbundenen nachteiligen Folgen (Auflösung, Neugründung) i m Bereich der EG zu beseitigen. M i t der Einheitlichkeit des Status soll der Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft innerhalb der EG lediglich die Bedeutung eines quasi-innerstaatlichen Vorgangs zukommen 177 . Der Schaffung der Europäischen A G stehen jedoch bisher erhebliche Schwierigkeiten entgegen 178 . Es besteht gegenüber der Europäischen Aktiengesellschaft nicht nur das Bedenken, daß diese zu einem willkommenen Instrument für alle Unternehmen werden könnte, die sich den unbequemen Verpflichtungen des nationalen Rechts entziehen wollen, sondern vor allem steuerliche Fragen bedürfen noch einer grundsätzlichen Klärung 1 7 0 . Bei der Gründung der Europäischen Aktiengesellschaft gilt es, eine angemessene Lösung für die Frage des Übertragungs- und des Liquidationsgewinns zu finden. Bei der laufenden Besteuerung besteht die Schwierigkeit, daß sich die unterschiedliche körperschaftsteuerliche Belastung i n den verschiedenen Staaten auf die Standortwahl der Europäischen Aktiengesellschaft auswirken würde 1 8 0 . Es käme zu einem steuerlichen 175

Debatin, i n : Unternehmensverbindungen, S. 46/47 f. Veröff. als Sonderbeilage z u m B u l l e t i n 8/1970 der EG. 177 Dolff, Die Steuerprobleme einer „europäischen" Unternehmung, S. 27 f. 178 Z u m geänderten E n t w u r f v o m 2. 6.1975 vgl. BT-Drucks. 7/3713; sowie hierzu Kreile/Wachenhausen D B 1976 S. 1687 (insbes. auch z u m Ingeltungsetzen der Fusionsrichtlinie als »conditio sine qua non* f ü r die Europäische Aktiengesellschaft). 179 Dolff, S. 31 ff. 180 Dolff, S. 61 ff. 176

1 v. Beckerath

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Standortgefälle, das die natürlichen Standortgegebenheiten verfälschen und den Wettbewerb zwischen den einzelnen Unternehmen verzerren würde 1 8 1 . Die Förderung des Zusammenschlusses zu grenzüberschreitenden Konzernen stellt damit gegenwärtig eine alternative Möglichkeit dar zu den als problematisch erkannten Vorschlägen der Fusionsrichtlinie und den Vorschlägen zur Einführung einer Europäischen Aktiengesellschaft 182 . Erhebliche Bedeutung sollte man dabei der Frage beimessen, daß es die grenzüberschreitende Zusammenarbeit i n multinationalen Konzernen bereits i n erheblichem Umfang gibt. Nicht nur können hier Schwierigkeiten, wie sie bei der Einführung neuer Formen entstehen (Auflösung stiller Reserven, Entwicklung neuer Mißbrauchsformen), vermieden werden. Die Tatsache, daß grenzüberschreitende Konzerne trotz der bestehenden Steuerhemmnisse bestehen, spricht darüber hinaus für ein entsprechendes wirtschaftliches Bedürfnis. (b) Die Förderung des Zusammenschlusses zu grenzüberschreitenden Konzernen ist aber nicht nur gegenwärtig angesichts der bei den anderen Formen bestehenden Schwierigkeiten als Möglichkeit zur Förderung internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit i n Betracht zu ziehen, sondern stellt auch langfristig eine wünschenswerte Ergänzung neben diesen sonstigen Formen dar. Grenzüberschreitende Konzerne behielten ihre Berechtigung, auch wenn die i n der Fusionsrichtlinie niedergelegten Vorschläge realisiert und die „Europäische Aktiengesellschaft" eingeführt würde. Der Zusammenschluß von Unternehmen i n einem Konzern hat i n jedem Fall eine Berechtigung als Übergangs- und Zwischenform zur vollständigen rechtlichen Verschmelzung, zur Fusion oder zur rechtlichen Vereinigung i n einer „Europäischen Aktiengesellschaft". Für die „Fusion" stellt Fischer fest: „Die Fusion ist die engste Form der Unternehmensverbindung. Sie ist irreversibel. I h r fehlt die oft gerühmte 181

Dolff, S. 17 f. Rädler, i n : Unternehmensverbindungen, S. 54: „ W e n n die Vollfusion einmal aus gewissen handelsrechtlichen Gründen, z u m anderen aber auch aus steuerlichen Gründen praktisch nicht möglich ist, müssen w i r Ersatzlösungen suchen"; vgl. auch Kreile/Wachenhausen D B 1976 S. 1687: „Schließlich bleibt überdenkenswert, ob es heute richtig ist, die Fusions- u n d K o n zernrichtlinie ursprünglicher Fassung zunächst i n einer Version f ü r die Europäische Aktiengesellschaft voranzutreiben u n d andere Kooperationsformen über die Grenzen innerhalb des Gemeinsamen Marktes h i n w e g v o r läufig zu vernachlässigen. Gerade w e i l sich angesichts der vielen nichtsteuerlichen Probleme der Europäischen Gemeinschaft die Hemmnisse u n d Reibungsstellen i n der F u n k t i o n des Gemeinsamen Marktes gegenwärtig nicht entscheidend vermindern, w e n n die Mitgliedstaaten alsbald zu einem gemeinsamen Steuersystem f ü r einen Unternehmenstyp finden, sollte die Zeit vielmehr genützt werden, das gemeinsame Steuersystem f ü r alle gemeinschaftsweit tätigen Unternehmen auf der Grundlage der drei V o r schläge i n ganzer Breite vorzubereiten." 182

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Flexibilität. Daher ist sie oft erst das Endglied der langen Kette einer immer enger werdenden Unternehmensverbindung, die ihren Ausgang i n finanzieller Verflechtung oder vertraglicher Absprache oder i n beidem hat 1 8 3 ." Ähnliches gilt nach Lutter auch für die „Europäische Aktiengesellschaft": „Die S. E. bietet als Konzentrationsform nur die Vollkonzentration oder die spartenmäßige Teilkonzentration i m Gemeinschaftsunternehmen. Nicht berücksichtigt werden können i n dieser Rechtsform alle Vor- und Zwischenlösungen, wie sie i m nationalen Bereich i n vielfältiger Weise eine Rolle spielen 184 ." Außerdem kann bei Unternehmen, die sich zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammenschließen wollen, ein wohlbegründetes Interesse an der Aufrechterhaltung der formalen rechtlichen Selbständigkeit bestehen 185 . Gegenüber einer völligen rechtlichen Verschmelzung ist ein Zusammenschluß i n einem Konzern m i t einem weitaus geringeren Aufwand verbunden 186 . Außerdem erlaubt die Beibehaltung der rechtlichen Selbständigkeit der einzelnen Unternehmen eine Verteilung des Haftungsrisikos, eine Begrenzung des unternehmerischen Wagnisses, eine Dezentralisierung der Verwaltungsarbeit u n d erlaubt es vor allem, etwaige Traditionen einzelner Gesellschaften fortzuführen 1 8 7 . Gerade bei grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen besteht unter Umständen gegenüber den Alternativen einer Fusion oder der Vereinigung i n einer „Europäischen Aktiengesellschaft" ein besonderes Interesse an der Beibehaltung der rechtlichen Selbständigkeit der einzelnen Unternehmen. Sowohl bei der grenzüberschreitenden Fusion als auch bei der Europäischen Aktiengesellschaft würde sich die Gesellschaft von ihrem Sitzstaat aus i n den anderen Staaten nur mittels Betriebstätten 188 Fischer, i n : Unternehmensverbindungen, S. 220/221; vgl. auch ders., ebd., S. 220/222: „Diese Fusion ist n u r eine Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Zusammenschlusses. Sie muß geschaffen werden, u m ein vielfältiges Angebot zur Verfügung zu stellen. Sie schließt andere Möglichkeiten nicht aus, . . . I h r e naturbedingte Schwäche liegt i n dem Umstand, daß stets f ü r einen Mitgliedstaat eine nationale Aktiengesellschaft — vielleicht v o n W e l t r u f — i n einer .ausländischen' Aktiengesellschaft aufgeht, daß sie »verfremdet 1 w i r d . . . . Iòh frage mich, ob der Integrationseffekt wirtschaftlich u n d politisch nicht bei Formen grenzüberschreitender Unternehmensverflechtung größer ist, die dieses Ergebnis vermeiden." 184 Lutter, i n : Unternehmensverbindungen, S. 228/230. 185 Niemann, Probleme der Gewinnrealisierung innerhalb des Konzerns, S. 6. 186 Niemann, S. 5. 187 Niemann, S. 6; Lutter, i n : Unternehmensverbindungen, S. 228/230; vgl. auch Mersmann C D D F J X L I I I Jerusalem 1961, S. 113/115: „ A n l a ß dafür (die Tochtergesellschaft als Gesellschaft bestehen zu lassen — der Verf.) k a n n z. B. der Wunsch sein, die F i r m a der übernommenen Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Oft w i r d auch gerade bei sehr großen Unternehmen bezweckt, durch die B i l d u n g oder Beibehaltung selbst. Kapitalgesell, m i t bes. Geschäftsführ u n g eine zweckmäßig dezentralisierte V e r w a l t u n g zu ermöglichen."

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I I I . 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

betätigen; gegenüber dem Konzern, der sich durch rechtlich selbständige Gesellschaften i n den verschiedenen Staaten betätigt. Die Betätigung mittels selbständiger nationaler Gesellschaften statt durch Betriebstätten erlaubt aber nicht nur dem Konzern, durch inländische Unternehmen i n dem inländischen M a r k t anzubieten, statt als ausländisches bzw. als „europäisches" Unternehmen von außen her an den jeweiligen Markt heranzutreten. Der Konzern hat vor allem auch die Möglichkeit, die den nationalen Unternehmen i n den einzelnen Staaten gewährten Protektionen zu nutzen 1 8 8 . Der grenzüberschreitende Konzern hätte also sehr w o h l auch nach Verwirklichung der Vorschläge der Fusionsrichtlinie und nach Einführung der „Europäischen Aktiengesellschaft" seine Berechtigung 189 . (3) Gegen eine Förderung von grenzüberschreitenden Konzernen durch Abbau von für einen derartigen Zusammenschluß bestehenden Steuerhemmnissen könnte man einwenden, daß kein Anlaß bestehe, den „weltbeherrschenden multinationalen Konzernen" auch noch steuerliche Vergünstigungen einzuräumen 19°. Diesem Einwand ist jedoch entgegenzuhalten, daß die tatsächlich gegebene wirtschaftliche Macht „multinationaler Unternehmen" es nicht rechtfertigen kann, wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Steuerhemmnisse für grenzüberschreitende Konzerne aufrecht zu erhalten, also die einzelnen Konzerngesellschaften weiterhin entgegen den wirtschaftlichen Gegebenheiten als selbständige Steuersubjekte zu besteuern. W i l l man der besonderen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von „multinationalen" Unternehmen Rechnung tragen, so bietet hierzu gerade die Einheitsbesteuerung von Konzernen die Möglichkeit, da erst diese die w i r t 188 Hierzu Eggert, Die Neuorientierung des deutschen Außensteuerrechts i m Spannungsfeld der Investitions- u n d Finanzpolitik multinationaler U n t e r nehmen, S. 12; z u m Unterschied der Betätigung durch eine Betriebstätte oder eine selbständige Körperschaft allgemein: Telkamp, Betriebstätte oder Tochtergesellschaft i m Ausland. ιββ Vgl. auch Debatin, i n : Unternehmensverbindungen, S. 53: „Ist eine volle Beseitigung der durch die Konzernstruktur ausgelösten Mehrbelastung erreicht, so ist steuerlich das Rüstzeug geboten, den Konzern wirtschaftlich ähnlich einem Einzelunternehmen zu gestalten u n d zu führen, ohne die V o r teile einer Konzernstruktur i n Aufgliederung auf Tochtergesellschaften aufgeben zu müssen. F ü r die internationale Interessenverzahnung ist dieser Bewegungsspielraum v o n vorrangiger Bedeutung. Meist k a n n das Einheitsunternehmen nicht Z i e l sein, da die Interessenverknüpfung eine abgewogene u n d differenzierende A u f t e i l u n g u n d Gliederung des unternehmerischen Gesamtverbandsengagements verlangt, w i e dies n u r über gegenseitig verschachtelte Beteiligungsverhältnisse erreichbar ist." 190 Vgl. auch Mersmann C D D F J X L I I I Jerusalem 1961, S. 113/117: „ A l l g e m e i n w i r d es als unerwünscht angesehen, w e n n durch die Konzernbildung gegenüber dem Einheitsunternehmen Steuern gespart werden können. D a gegen w i r d v o n manchen Staaten i n K a u f genommen u n d sogar gutgeheißen, w e n n die steuerliche Belastung des Konzerns wegen der Vorteile, die sich aus der Verflechtung ergeben, etwas höher ist als die eines Einheitsunternehmens."

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaf t. Unselbständigkeit

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schaftliche Einheit des „multinationalen" Konzerns als solche überhaupt berücksichtigt. Der besonderen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von „multinationalen Konzernen" ließe sich durch die nur einmalige und begrenzte Gewährung von Steuerfreibeträgen, durch die Einführung einer Progression bei der Körperschaftsteuer oder eine Zusatzsteuer Rechnung tragen. E i n Beispiel bietet insoweit das amerikanische Konzernsteuerrecht. Das Körperschaftsteuerrecht der USA kennt die Möglichkeit einer konsolidierten Konzernbesteuerung, die ebenfalls auf den Einwand stieß, die Konzerne zu privilegieren. Das amerikanische Konzernsteuerrecht begegnete diesem Einwand m i t der Einführung einer Zusatzsteuer (additional tax) von zunächst z k °/o, später 2 °/o 191 . Diese 1932 eingeführte Zusatzsteuer wurde zwar 1964 aufgehoben 192 , sie zeigt jedoch die prinzipielle Möglichkeit, wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Steuerhemmnisse für einen Zusammenschluß von Unternehmen i n einem Konzern abzubauen, andererseits aber der erhöhten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit „multinationaler" Konzerne Rechnung zu tragen. cc) V o r s t e h e n d e Ü b e r l e g u n g e n sprechen a b e r b e r e i t s e i n e n w e i t e r e n G e s i c h t s p u n k t a n , der n e b e n d e m G e d a n k e n , daß K o n z e r n e gegenüber d e m Z i v i l r e c h t gerade i m S t e u e r r e c h t als E i n h e i t b e h a n d e l t w e r d e n s o l l t e n u n d der E r w ä g u n g , daß d u r c h e i n e B e h a n d l u n g v o n K o n z e r n e n als E i n h e i t der Z u s a m m e n s c h l u ß z u g r ö ß e r e n U n t e r n e h m e n s e i n h e i t e n g e f ö r d e r t w e r d e n k ö n n t e , f ü r eine E i n h e i t s b e s t e u e r u n g v o n K o n z e r n e n s p r i c h t : A l l g e m e i n w i r d die d u r c h die N a t i o n a l s t a a t e n nicht mehr zu

kontrollierende

Macht der multinationalen

Konzerne beklagt:

„ B a l d werden n u r noch zehn Autofirmen die ganze Welt versorgen, so w i e es schon heute n u r noch drei Waschmittelfirmen u n d sieben Oelproduzenten v o n globaler Bedeutung gibt. A b e r die Welt ist noch i m m e r i n 150 verschiedene Staaten aufgeteilt m i t eigenen Regierungen, Flaggen, Nationalhymnen, Gesetzen, Soldaten, Ministern, Beamten u n d Sprachen. W i r denken u n d h a n deln noch i m m e r auf lokaler, die Weltfirmen dagegen operieren bereits seit Jahrzehnten auf globaler Basis 1 0 3 ."

Das Problem der multinationalen Konzerne liegt dabei sicherlich zum einen i n der tatsächlichen Zusammenballung wirtschaftlicher Macht 194 . Vor allem aber liegt das Problem der „multinationalen" Unternehmen i n der fehlenden rechtlichen Kontrolle dieser wirtschaftlichen Macht. Der multinationale Konzern verfolgt seine eigenen Ziele unabhängig von den Interessen 'bestimmter Staaten. Er wählt den Standort für seine Niederlassungen i n den Staaten, i n denen sich i m Rahmen seiner Gesamtunternehmenspolitik die günstigsten Bedingungen bieten. Blockiert 191 192 193 194

Hierzu v. Kessel, S. 93; vgl. auch Bühler, Prinzipien, S. 108. V. Kessel, S. 96. Tempel, A l s wär's der liebe Gott — Die Weltmacht der Konzerne, S. 12. Hierzu Eggert, S. 11 ff.

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I I I . 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

der Gesetzgeber eines Staates einen Weg i m Inland, weicht der Konzern auf das Ausland aus 195 . Der Konzern kann auf diese Weise nicht nur erhöhten Steuer- und Soziallasten ausweichen, sondern n i m m t von vornherein durch die latente Drohung einer Abwanderung ins Ausland einen entsprechenden Einfluß auf seine Kostenbelastung. Dem einzelnen Nationalstaat bietet sich nur der Zugriff auf die einzelne, i n seinem Staatsgebiet ansässige Konzerngesellschaft, nicht auf den multinationalen und insoweit auch „supranationalen" Gesamtkonzern. Die m u l t i nationalen, „weltumspannenden" Konzerne sind insoweit Nutznießer der Aufteilung i n einzelne Nationalstaaten, welche die Interessen der multinationalen Konzerne dadurch fördern, daß sie i n ihrem Souveränitätsbewußtsein und der Furcht vor einem Vorteil des Partners und Konkurrenten lieber den gegenwärtigen Zustand erhalten als anderen Staaten irgendwelche Zugeständnisse zu machen 196 . Eine wesentliche Ursache dafür, daß sich die multinationalen Konzerne i n dieser Weise der rechtlichen Kontrolle entziehen können, liegt aber darin, daß der wirtschaftlichen Einheit, die diese Konzerne darstellen, rechtlich nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Solange man die einzelnen Konzerngesellschaften rechtlich als selbständige Rechtssubjekte behandelt, kann man der wirtschaftlichen Wirklichkeit des Konzerns nicht gerecht werden, w i r d der Konzern als solcher rechtlich nicht erfaßt. dd) Ein weiterer Vorteil einer Besteuerung des Konzerns als Einheit wäre, daß die Probleme, die sich aus der steuerlichen Betrachtung des Konzerns als einer Mehrzahl selbständiger juristischer Personen ergeben, entfielen. Die Besteuerung von konzernschaftlich verbundenen Unternehmen bereitet — wie bei der Betrachtung des gegenwärtigen Rechtszustandes festgestellt — erhebliche praktische Schwierigkeiten. Es ist bisher keine Möglichkeit gefunden worden, „den Gewinn, den ein Konzernglied als völlig unabhängige, konzernfreie Unternehmung hätte, zuverlässig zu ermitteln". Die insoweit bestehenden Schwierigkeiten werden m i t zunehmender Wirtschaftsverflechtung und Monopolisierung noch zunehmen. Das Fehlen objektiver Methoden zur Bestimmung von Verrechnungspreisen bei einem Fehlen von Marktpreisen führt zudem zu Überschneidungen zwischen den verschiedenen Staaten und damit zu einer zumindest wirtschaftlichen Doppelbesteuerung für die beteiligten Konzernunternehmen. Außerdem gelingt es gegenwärtig nicht, m i t Hilfe des arm's-lengthPrinzips Gewinnverschiebungen zwischen den einzelnen Konzernunternehmen auszuschalten. Man kann zwar m i t Hilfe des arm's-length195 196

Stolk, S.4. Hierzu Eggert, S. 258 f.

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaf t. Unselbständigkeit

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Prinzips Gewinnverschiebungen «bekämpfen, die praktischen Schwierigkeiten bei der Anwendung der arm's-length-Klausel führen jedoch dazu, daß derartige Gewinnverschiebungen zum großen Teil überhaupt nicht festgestellt oder aber — soweit sie festgestellt werden — oft nicht vollständig steuerlich rückgängig gemacht werden, w e i l die Verrechnungspreise zu niedrig angesetzt werden. A l l e i n schon die Notwendigkeit für die Finanzverwaltung, die von den Konzernunternehmen angesetzten Verrechnungspreise anzweifeln und korrigieren zu müssen, w i r d dazu führen, daß Gewinnverschiebungen über die arm's-lengthKlausel i n der Praxis nicht verhindert werden. b) Ansätze i n der Richtung, der wirtschaftlichen Einheit des Konzerns durch eine entsprechende Besteuerung Rechnung zu tragen, finden sich i m Steuerrecht anderer Staaten und für den Bereich der EG i n der sogenannten „Konzernbesteuerungsrichtlinie". aa) I m Gegensatz zum deutschen Steuerrecht, das die rechtliche Selbständigkeit der einzelnen Konzerngesellschaften betont, hat sich der Gedanke der Einheit des Konzerns in anderen Staaten, wie den USA, den Niederlanden, Großbritannien und Frankreich stärker durchgesetzt 197 . I n den USA besteht bereits seit 1917 für Konzerne die Möglichkeit einer Besteuerung nach der konsolidierten Bilanz 1 9 8 . Innerkonzernliche Dividenden werden eliminiert, Gewinne oder Verluste erst bei Realisierung außerhalb des Konzerns verbucht 199 . Allerdings können von dieser amerikanischen Regelung des consolidated return* nur inländische Konzerngesellschaften und 100°/oige Tochtergesellschaften i n Kanada und Mexiko Gebrauch machen. Das niederländische Steuerrecht enthält für nationale Konzerne bei Bestehen einer 100°/oigen Beteiligung die Möglichkeit einer Option für eine Besteuerung nach der konsolidierten Bilanz 2 0 0 . Die Steuer w i r d so erhoben „als ob die erstgenannte Gesellschaft (gemeint ist die Tochtergesellschaft) i n der Körperschaft aufgegangen wäre, die ihre sämtlichen A k t i e n besitzt" 2 0 1 . Interne Finanzströme u n d andere interne Vorgänge entfalten keine steuerliche Wirkung. Der Konzern w i r d i m Ergebnis wie ein Einheitsunternehmen besteuert 202 . 197

Vgl. hierzu υ. Kessel, S. 10 ff. Z u r E n t w i c k l u n g u n d z u m gegenwärtigen Stand der konsolidierten Konzernbesteuerung i n den U S A vgl.: v. Kessel, S. 90 ff.; zur konsolidierten Konzernbesteuerung i n den U S A vgl. auch Stolk, S. 54 ff.; auch bereits: Bühler, Prinzipien, S. 107 f. 199 I m einzelnen Stolk, S. 54 ff.; v. Kessel, S. 83 ff. 200 Die Einbeziehung ausländischer Unternehmen i n den Konsolidierungskreis ist nicht möglich, vgl.: Christiaansen EuStZ 1969 S. 3 ff. 201 V. Kessel, S. 11 m. w . N. 198

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

I n Großbritannien besteht die Möglichkeit einer Zusammenfassung der Geschäftsergebnisse bei Bestehen einer direkten oder indirekten Beteiligung von 75 %, wenn die Unternehmen unbeschränkt steuerpflichtig und gewerblich tätig sind 203 . Nach französischem Recht besteht die Möglichkeit einer Einbeziehung der Ergebnisse aus einer unmittelbaren Auslandstätigkeit (Betriebstättengewinn) als auch der Ergebnisse einer mittelbaren Auslandsbetätigung (Tochtergesellschaften) i n die Gewinnermittlung des französischen Hauptunternehmens. Eine Einheitsbesteuerung für Inlandskonzerne besteht demgegenüber i n Frankreich nicht 2 0 4 . bb) I n Anlehnung an diese bereits bestehenden Formen der Einheitsbesteuerung, vor allem i n Anlehnung an die i n Frankreich bestehende Regelung hat die Kommission der EG am 16.1.1969 einen Entwurf für eine vom Rat zu beschließende Richtlinie vorgelegt, die sogenannte Konzernbesteuerungsrichtlinie („Vorschlag einer Richtlinie des Rates über das gemeinsame Steuersystem für Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten") 2 0 5 . (1) Ziel der EG-Richtlinie sollte es sein, die zwischenstaatlichen Gesellschaftsverflechtungen von Zusatzbelastungen i m Rahmen der laufenden Ertragsbesteuerung freizuhalten, die ihre Ursache darin haben, daß es sich bei der Muttergesellschaft i n dem einen und der Tochtergesellschaft i n dem anderen Staat u m verschiedene Steuersubjekte handelt, die zudem verschiedenen nationalen Steuerordnungen unterliegen20®. Es soll der Zusammenschluß von Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten die europäischen Unternehmen i n die Lage versetzen, sich den Verhältnissen des erweiterten europäischen Marktes anzupassen. Die Bildung von europäischen Unternehmen soll gefördert werden, u m so eine verbesserte Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Großunternehmen der USA zu erreichen. Die Industrie der EG stehe i m Begriff, den Anschluß an die USA und Japan zu verlieren, unter anderem deshalb, weil es an großräumiger Kooperation der Unternehmen i m EGRaum fehle. Ziel der EG müsse es sein, wie i n den USA auf jedem Teilmarkt 3 bis 10 leistungsfähige Unternehmen zu entwickeln, die i n der ganzen EG nicht nur absetzen, sondern auch produzieren 207 .

202 Z u m Ganzen v. Kessel, S. 11; Christiaansen EuStZ 1969 S. 3 ff.; Stolk, S. 59 f.; Hintzen A W D 1973 S. 682. 203 V. Kessel, S. 11 m . w . N . 204 Z u m Ganzen v. Kessel, S. 12; Stolk, S. 64. 205 Vgl. hierzu Stolk, S. 70 ff.; Debatin D S t Z / A 1969 S. 146; Grasmann A G 1973 S. 258; Sass A W D 1970 S. 533. 206 Debatin D S t Z / A 1969 S. 146/149. 207 Harms, i n : Unternehmensverbindungen, S. 104 f.

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaf ti. Unselbständigkeit

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Zentrale Zielsetzung des Entwurfs der EG-Richtlinie ist es daher, die Doppelbelastung innerhalb der Konzernverhältnisse zu beseitigen 208 , die von der Tochtergesellschaft ausgeschütteten Dividenden, die bereits m i t der Körperschaftsteuer der Tochter belastet sind, bei der Muttergesellschaft nicht nochmals steuerlich zu erfassen. Die Kommission schlägt i n dem Entwurf der Konzernbesteuerungsrichtlinie deshalb vor, daß der Mitgliedstaat, i n welchem die Muttergesellschaft ansässig ist, von der Besteuerung der Einkünfte absieht, welche die Muttergesellschaft als Ausschüttungen von einer i n einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft empfängt (vgl. A r t . 4). Außerdem soll der Staat der Tochtergesellschaft darauf verzichten, von den Dividenden, die an eine i n einem anderen Mitgliedstaat ansässige Tochtergesellschaft ausgeschüttet werden, Kapitalertragsteuer zu erheben (vgl. Art. 5). Neben diesen Vorschlägen für eine Beseitigung der Doppelbelastung sieht der Entwurf weiterhin bei einer Beteiligung von mindestens 50 °/o die Möglichkeit einer Option für das Steuersystem des konsolidierten Gewinns vor (Art. 7) 209 . Nach dem System des konsolidierten Gewinns, das i n dem Entwurf vorgeschlagen wird, soll das Ergebnis der Tochtergesellschaft i n die Steuerveranlagung der Gewinne der Muttergesellschaft i m Verhältnis ihrer Kapitalanteile aufgenommen werden. Bei der Besteuerung der Gewinne der Muttergesellschaft soll sodann der Tatsache Rechnung getragen werden, daß die Gesellschaften, deren Gewinne i n diese Steuerveranlagung aufgenommen werden, bereits m i t diesen Gewinnen einer Steuer unterliegen. (2) Der Deutsche Bundestag hat zu diesem Entwurf Stellung genommen 2 1 0 und i h n grundsätzlich m i t einigen Änderungswünschen 211 gebilligt. Der Anwendungsbereich sollte auf Körperschaften beschränkt werden, also nicht mehr gewisse Personengesellschaften umfassen, die nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten der Körperschaftsteuer unterliegen. Es sollte eine Beschränkung der Vergünstigung auf laufende Gewinne erfolgen und die Richtlinie nur dann auf den F a l l einer Einbringung von Unternehmensteilen anwendbar sein, wenn m i t diesem Vorgang ein das Schachtelprivileg begründender Anteilserwerb verbunden ist. Das System der „konsolidierten Bilanz" sollte zunächst bei dem ersten Harmonisierungsschritt ausgenommen werden. I m übrigen wurde dem A n liegen des Entwurfs der Konzernbesteuerungsrichtlinie grundsätzlich zugestimmt: Es sei „eines der Ziele der E G . . . , die Bildung europäischer

208 209 210 211

Debatin D S t Z / A 1969 S. 146/150. Vgl. hierzu Stolk, S. 70 if. Vgl. BT-Drucks. VI/1344. Vgl. BT-Drucks. VI/1344 S. 5.

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

Unternehmen zu begünstigen, die nach ihrer Größe m i t Großunternehmen des Weltmarktes v o l l wettbewerbsfähig sind" 2 1 2 . 2. Modelle einer internationalen Konzerntheorie Es stellt sich die Frage, wie eine Besteuerung des Konzerns als Einheit, die eine Doppelbelastung vermeidet, eine Verlustberücksichtigung und eine Eliminierung innerkonzernlicher Gewinne erlaubt, aussehen kann, durch wen und i n welcher Form eine derartige Einheitsbesteuerung erfolgen soll (hierzu unter 2). Außerdem gilt es, zu klären, inwieweit es sich bei diesen Fällen tatsächlich u m einen Durchgriff oder aber u m eine Aufgabe des Trennungsprinzips handelt (hierzu unter 3). a) W i l l man den Konzern i n der Besteuerung der Besteuerung eines Einheitsunternehmens annähern, so könnte man erwägen, den Konzern zentral im Sitzstaat der Konzernobergesellschaft zu besteuern. Ein entsprechender Ansatz findet sich i m Entwurf der Konzernbesteuerungsrichtlinie, wenn dort bestimmt wird, die Besteuerung des Konzerns solle auf der Grundlage einer konsolidierten Bilanz durch das Muttergesellschaftsland unter Anrechnung der i m Tochtergesellschaftsstaat gezahlten Steuern erfolgen. aa) W i l l man den Konzern zentral durch den Sitzstaat der Konzernobergesellschaft besteuern, so gilt es, das Problem zu lösen, wie man den fiskalischen Interessen der übrigen Staaten, i n denen sich Konzerngesellschaften befinden, Rechnung tragen kann. (1) Eine Besteuerung des Konzerns durch den Staat der Konzernobergesellschaft könnte zunächst so aussehen, daß der Konzern nur durch den Sitzstaat der Konzernobergesellschaft besteuert w i r d und die übrigen Sitzstaaten der Konzerngesellschaften auf i h r Besteuerungsrecht verzichten. Ein Ausgleich für diesen Verzicht der Sitzstaaten der einzelnen Konzerngesellschaften wäre dabei i n der Weise möglich, daß die Sitzstaaten der einzelnen Konzerngesellschaften zugleich als Sitzstaaten von Konzernobergesellschaften einen entsprechenden Zuwachs erzielen 218 . Gegen eine derartige Möglichkeit sprechen jedoch die gleichen Bedenken wie gegen entsprechende Vorschläge für die „Europäische Aktiengesellschaft". Bedingt durch das unterschiedliche Steuerniveau i n den verschiedenen Staaten würde ein erhebliches Standortgefälle zugunsten 212 BT-Drucks. VI/1344 S. 2. 213 Vgl. hierzu Stolk, S. 132; vgl. auch die Begründung zum E n t w u r f der Fusionsrichtlinie, wonach als Endziel die Gesellschaften der EG auch f ü r ihre i n anderen Mitgliedstaaten befindlichen Betriebstätten n u r noch i m Sitzstaat besteuert werden sollen — hierzu Debatin, i n : Unternehmensverbindungen, S. 46/49.

1. Abschn. : Die Berücksichtigung d. wirtschaf t. Unselbständigkeit

219

von Steuerniedrigländern entstehen. Auch aus anderen Gründen w ü r den sich bestimmte Staaten als Sitzstaat für die Konzernspitze besonders anbieten. Europäische Aktiengesellschaften und Konzerne würden sich i n wenigen Ländern massieren 214 . Die übrigen Staaten würden nicht bereit sein, auf eine Besteuerung der einzelnen Konzerngesellschaften zu verzichten 215 . (2) Wenn aber die übrigen Staaten nicht bereit sein werden, auf i h r Besteuerungsrecht völlig zu verzichten, so könnte man erwägen, diesem Interesse durch einen Finanzausgleich Rechnung zu tragen 2 1 6 , bei dem der Sitzstaat der Konzernobergesellschaft einen Teil der eingezogenen Steuern den übrigen beteiligten Staaten vergütet. Auch zu einer derartigen „Unterordnung" unter den Sitzstaat der Konzernobergesellschaft werden die Sitzstaaten der einzelnen Konzerngesellschaften aber kaum bereit sein. Es müßte nicht nur der Gewinn des Konzerns nach den Vorschriften des Sitzstaates der Konzernobergesellschaft bestimmt werden, w o m i t die anderen beteiligten Staaten nur schwerlich einverstanden sein werden. Es unterläge außerdem der gesamte Konzerngewinn dem Steuersatz des Staates der Konzernobergesellschaft — was nicht nur von Seiten der einzelnen Konzerngesellschaftsstaaten kaum akzeptiert würde, sondern außerdem dem Gedanken einer „marktgerechten" Besteuerung widerspräche. (3) Man könnte deshalb erwägen, ob nicht die übrigen Staaten die ihnen zukommenden Beträge selbst ermitteln sollten, indem sie unter Anwendung des i n ihrem Staat geltenden Steuersatzes die einzelnen Konzerngesellschaften besteuern. I m Sitzstaat der Konzernobergesellschaft wäre dann der gesamte vom Konzern erzielte Gewinn auf der Grundlage einer konsolidierten Konzernbilanz zu versteuern, wobei der Besteuerung der einzelnen Konzerngesellschaften durch Anrechnung der gezahlten Steuern Rechnung zu tragen wäre. A u f diese Weise würde nicht nur eine Doppelbelastung vermieden und der Verlust der einzelnen Konzerngesellschaften bei der Besteuerung des gesamten Konzerns berücksichtigt, sondern auch innerkonzernliche Gewinne i m Ergebnis durch eine Besteuerung i m Sitzstaat der Konzernobergesellschaft auf der Grundlage der konsolidierten Bilanz ausgeschieden. Auch dieses System erscheint jedoch nicht unproblematisch: Die Besteuerung des gesamten Konzerngewinns auf der Grundlage einer konsolidierten Bilanz i m Sitzstaat der Konzernobergesellschaft unter A n rechnung der von den einzelnen Konzerngesellschaften gezahlten Steu214

Stolk, S. 134. Vgl. insoweit auch Debatin, i n : Unternehmensverbindungen, S. 46/49 (zu dem als Endziel i n der Begründung der EG-Fusionsrichtlinie enthaltenen Gedanken, die Gesellschaften der E G auch f ü r ihre i n anderen M i t g l i e d staaten befindlichen Betriebstätten n u r noch i m Sitzstaat zu besteuern). 216 Stolk, S. 135. 215

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

ern würde bedeuten, daß der Sitzstaat der Konzernobergesellschaft einen Ausgleich leisten muß, wenn der Steuersatz i m Sitzstaat einer Konzerngesellschaft höher ist als i m Sitzstaat der Konzernobergesellschaft. Außerdem müßte der Sitzstaat der Konzernobergesellschaft allein sämtliche Nachteile aus der Berücksichtigung von Verlusten einzelner Konzerngesellschaften und der Eliminierung innerkonzernlicher Gewinne tragen. Hierzu würde der Sitzstaat der Konzernobergesellschaft kaum bereit sein 217 . Andererseits bedeutete die Tatsache, daß der gesamte Gewinn des Konzerns i m Sitzstaat der Konzernobergesellschaft dessen Steuersatz unterworfen wird, daß dann, wenn der Steuersatz i n diesem Staat höher ist als i m Sitzstaat einer Konzerngesellschaft, der von der einzelnen Konzerngesellschaft erzielte Gewinn einer zusätzlichen Besteuerung i m Sitzstaat der Konzernobergesellschaft unterworfen wird. Eine derartige „Zusatzbesteuerung" aber widerspricht dem Gedanken des Ursprungsprinzips, sie beinhaltet eine marktferne Steuerbelastung und w i r k t insoweit wettbewerbsverzerrend 218 . (4) U m diese Nachteile des Anrechnungsverfahrens zu vermeiden, könnte man zur sogenannten Freistellungsmethode übergehen. Der von den einzelnen Konzerngesellschaften erzielte Gewinn wäre bei der Besteuerung des Konzerns durch den Sitzstaat der Konzernobergesellschaft von der Besteuerung freizustellen. Bei dieser Form der einfachen Exemtion würde allerdings der Konzern zunächst nicht als Einheit besteuert. Eine Berücksichtigung der Einheit des Konzerns wäre nur durch Einzelregelungen möglich: Eine Vermeidung der Doppelbelastung und damit insoweit eine Berücksichtigung der Einheit des Konzerns könnte i n der Weise erfolgen, daß der Sitzstaat der einzelnen Konzerngesellschaft auf eine Erhebung der Kapitalertragsteuer verzichtet, der Sitzstaat der Konzernobergesellschaft auf eine Besteuerung des von einer anderen Konzerngesellschaft an die Konzernobergesellschaft ausgeschütteten Gewinns. Man würde also die Regelung übernehmen, welche die Konzernbesteuerungsrichtlinie i n A r t . 4,5 enthält. Bei der Berücksichtigung des Verlustes einzelner Konzerngesellschaften besteht i m Grunde nur die Möglichkeit, den Verlust jeder einzelnen Konzerngesellschaft bei der Besteuerung der Konzernobergesellschaft zu berücksichtigen 219 . Zwar könnte man das gesamte Auslandseinkommen des Konzerns zusammenrechnen und erst, wenn sich dann per Saldo ein Verlust ergibt, einen Abzug bei der Konzernobergesellschaft zulassen. W i l l man aber den Konzern als Einheit behandeln, so w i r d man ausländische Gewinne nicht nur dann berücksichtigen, wenn diese 217 218 219

Hierzu Stolk, S. 160. Vgl. hierzu auch Koppensteiner, i n : Unternehmensverbindungen, S. 70. Vgl. zu den verschiedenen Möglichkeiten ausführlich Stolk, S. 165 ff.

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaf t. Unselbständigkeit

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niedriger sind als die ausländischen Gewinne. Ansonsten könnte man auch die Berechtigung zur Verlustverrechnung völlig verneinen, solange ein negatives Totalergebnis i m Ausland niedriger als das positive I n landsresultat ist 2 2 0 . Auch die Möglichkeit einer Zusammenrechnung der Ergebnisse der Konzerngesellschaften pro Land 2 2 1 w i r d man ablehnen müssen. Eine derartige Methode wäre nur dann zu befürworten, wenn tatsächlich, wie Stolk annimmt 2 2 2 , Verlust und Gewinn von Konzerngesellschaften, die i n demselben Staat ihren Sitz haben, bereits regelmäßig auf nationaler Ebene ausgeglichen wird. Selbst dann aber fehlt es an einer überzeugenden Begründung dafür, daß für die Frage, wer den Verlust einer Konzerngesellschaft berücksichtigen muß, der U m stand entscheidend sein soll, ob sich i n demselben Staat noch eine weitere Konzerngesellschaft befindet. Entweder sieht man den Verlust der einzelnen Konzerngesellschaft allein als ihren eigenen Verlust an oder aber als Verlust des Gesamtkonzerns. Eine Eliminierung innerkonzernlicher Gewinne wäre ebenfalls nur i n der Weise möglich, daß der Sitzstaat der Konzernobergesellschaft die Differenz zwischen der Besteuerung nach dem Grundsatz der Selbständigkeit und der Besteuerung nach der konsolidierten Bilanz von der, von der Konzernobergesellschaft zu zahlenden Körperschaftsteuer abzieht. Z u einer derartigen Berücksichtigung von i m Ausland gezahlter Körperschaftsteuer w i r d der Sitzstaat der Konzernobergesellschaft aber kaum bereit sein, ebensowenig wie er bereit sein wird, den Verlust jeder Konzerngesellschaft bei der Besteuerung der Konzernobergesellschaft zu berücksichtigen. Die Anwendung des Exemtionsverfahrens wäre also auch problematisch, vor allem w e i l es bei diesem System i m wesentlichen allein dem Sitzstaat der Konzernobergesellschaft überlassen wäre, sämtliche Nachteile aus der Einheitsbehandlung des Konzerns zu tragen 2 2 3 . Bei einer Besteuerung des Konzerns zentral i m Sitzstaat der Konzernobergesellschaft wäre es also äußerst schwierig, den fiskalischen, und allgemeiner: den einzelstaatlichen Interessen der verschiedenen beteiligten Staaten Rechnung zu tragen. bb) Nicht nur diese Frage aber bereitete bei einer zentralen Besteuerung des Konzerns i m Sitzstaat einer Konzernobergesellschaft Schwierigkeiten. Probleme ergäben sich außerdem aus der Notwendigkeit, eine Konzernobergesellschaft zu bestimmen. Stolk weist insoweit auf Royal Dutch/Shell hin, die einen Konzern bilden, bei dem sich aber ein 220

Stolk, S. 169 f. Vgl. die entsprechende Regelung f ü r Betriebstättenverluste i m deutschen A u s l I n v G u n d hierzu Stolk, S. 95. 222 Stolk, S. 170. 223 Hierzu auch Stolk, S. 172. 221

222

. 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

Hauptsitz i n Großbritannien, der andere i n den Niederlanden befinde. Auch Unilever sei so organisiert. Die Mitglieder des Verwaltungsrates der Unilever N.V. bildeten zugleich die Verwaltung der Unilever Limited. Die zwei Gesellschaften stellten durch die Verwaltungsräte eine Personalunion dar und seien durch diese einheitliche Willensbildung ein Konzern 2 2 4 . Fraglich ist, wie man bei diesen Gebilden eine Konzernobergesellschaft bestimmen sollte. cc) Vor allem aber ergeben sich Bedenken daraus, daß bei einer Besteuerung von Konzernen i m Sitzstaat einer Konzernobergesellschaft der Anwendungsbereich der „Konzerntheorie" von vornherein auf Unterordnungskonzerne beschränkt würde, horizontale Zusammenschlüsse praktisch ausgeklammert würden 2 2 5 . Zwar ist eine „Obergesellschaft" grundsätzlich auch i n einem Gleichordnungskonzern denkbar 2 2 6 , w i r d hier aber nur selten vorkommen 2 2 7 . Gerade bei internationalen Verhältnissen sollte man den m i t einer Einheitsbesteuerung verbundenen A b bau von Steuerhemmnissen aber nicht von dem Vorhandensein einer Obergesellschaft abhängig machen. Havermann weist darauf hin, daß bei internationalen Gleichordnungskonzernen die Vermeidung einer Obergesellschaft häufig eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür sei, daß ein solcher Zusammenschluß überhaupt zustande kommt 2 2 8 . Die Ursachen seien hier weniger rechtlicher als psychologischer Natur 2 2 9 . I m internationalen Bereich suchten Unternehmen zwar als Partner die denkbar engste Kooperation, nicht aber die Unterwerfung des einen unter den anderen. Dementsprechend muß es auch dem Internationalen Steuerrecht darum gehen, eine institutionalisierte Partnerschaft von Großunternehmen verschiedener Nationalität zu ermöglichen 230 . Auch K l a t t betont, daß als praktikable Lösung für die Zukunft der „Internationale Vertragskonzern" anzusehen sei, bei dem zwei i n verschiedenen Ländern befindliche, etwa gleich starke Unternehmen sich auf einer Ebene zusammenfinden 281 . I m Grunde widerspricht es auch der Eigenart des Konzerns, zu stark auf eine Obergesellschaft und ein Über-Unterordnungsverhältnis abzu224

Stolk, S. 123. Nach amerik. Recht werden horizontale Konzerne („brother-sister groups"), w e n n sie keine gemeinsame Obergesellschaft haben, unabhängig v o n ihrer wirtschaftlichen Verbindung, getrennt besteuert — vgl. ν . Kessel, S.103. 226 Adler/DüriglSchmaltz, Rechnungslegung u n d Prüfung der Aktiengesellschaft, Bd. I Vorb. zu §§311-313 Tz. 44 (zit. bei Havermann, i n : U n t e r nehmensverbindungen, S. 135 F N 7). 227 Havermann, i n : Unternehmensverbindungen, S. 139. 228 Havermann, ebd., S. 139. 223

229 230 231

Vgl. insoweit auch Rädler, i n : Unternehmensverbindungen, S. 54/56. Lutter, i n : Unternehmensverbindungen, S. 234. Klatt, i n : Unternehmensverbindungen, S. 67.

1. Abschn. : Die Berücksichtigung d. wirtschaf t. Unselbständigkeit

223

stellen. Der Konzern unterscheidet sich von dem Organverhältnis durch die stärkere Gleichwertigkeit der einzelnen Konzerngesellschaften. Der Konzern zeichnet sich dadurch aus, daß die Konzernglieder unter einer einheitlichen Leitung zusammengefaßt werden, daß aber nicht wie bei der Organschaft notwendig ein Verhältnis der Über- und Unterordnung gegeben sein muß 2 8 2 . A u f die Konzernobergesellschaft w i r d allein deswegen abgestellt, w e i l der Konzern kein selbständiges Rechtssubjekt ist. Lediglich i n Ermangelung der rechtlichen Subjektivierung des Konzerns bedient man sich der Konzernobergesellschaft als „Zuordnungsendpunkt" 2 3 8 der wirtschaftlichen Einheit Konzern 2 3 4 . „De lege ferenda stünde einer solchen Subjektivierung des Konzerns aber nichts entgegen 285 ." b) Aus diesen, gegen eine zentrale Besteuerung i m Sitzstaat einer Konzernobergesellschaft erhobenen Bedenken könnte man erwägen, den Konzern zwar zentral i n einem bestimmten Staat zu besteuern, bei der Bestimmung dieses Staates die Anknüpfungskriterien, die üblicherweise einer Besteuerung nach dem Wohnsitz- bzw. Sitzprinzip zugrunde gelegt werden, aber nicht auf eine Konzernobergesellschaft, sondern auf den Gesamtkonzern selbst zu beziehen. Man könnte also i n Erwägung ziehen, den Konzern zentral i n dem Staat zu besteuern, i n dem „der Konzern" seinen Sitz hat. aa) Würde der Konzern von einem bestimmten Staat aus zentral besteuert, so bliebe aber i n gleicher Weise das Problem bestehen, wie man den Interessen der einzelnen Konzerngesellschaftstaaten Rechnung tragen kann. bb) Vor allem aber bestünden hier, mehr noch als bei einer Besteuerung i m Sitzstaat einer Konzernobergesellschaft, Schwierigkeiten, den Sitzstaat „des Konzerns" zu bestimmen. 282 Großkommentar AktG zu §18 A n m . 12 S. 161: „Der Gleichordnungskonzern ist dadurch gekennzeichnet, daß rechtlich selbständige Unternehmen, welche voneinander unabhängig sind, unter einheitlicher L e i t u n g zusammengefaßt werden. Die unter einheitlicher L e i t u n g stehenden Unternehmen müssen voneinander unabhängig sein; es darf also zwischen ihnen k e i n Herrschafts- oder A b h ä n g i g k e i t s v e r h ä l t n i s . . . bestehen." 233 vgl. Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 79. 234 Hierzu Dörnfeld/ Τ elkamp StuW 1971 S. 69/76; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftsrechtlicher Stimmrechtsmacht, S. 94; Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, S.36: . . . „ d i e Grenzen der Rechtsträgerschaft bezeichneten somit zugleich die äußersten Grenzen des Unternehmensbegriffs. D a m i t w i r d aber die zutreffende Erfassung der wirtschaftlichen Einheit Konzern nahezu unmöglich. W i r stehen somit bei dem Konzern v o r dem paradoxen F a l l eines Unternehmens ohne Rechtsträger. A l s Ausweg bietet sich daher tatsächlich n u r die Lösung an, zumindest i m sogenannten Unterordnungskonzern die Muttergesellschaft auch als Trägerin des eine wirtschaftliche [Ober-]Einheit u n d damit ebenfalls ein Unternehmen bildenden Konzerns zu verstehen." 285 Zöllner, S. 82.

224

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

Einen statuarischen Sitz hat der Konzern selbst nicht. Es bliebe hier also doch nur wiederum die Möglichkeit, an den Sitz einer Konzerngesellschaft anzuknüpfen 236 , die sich von den anderen Konzerngesellschaften i n ihrer Bedeutung unterscheidet. Außerdem wäre bei einer A n knüpfung an einen statuarischen Sitz des Konzerns mehr noch als bei einer sonstigen Anknüpfung an den statuarischen Sitz, das Problem des rein formellen Merkmals gegeben, wäre gerade bei dem Konzern die Gefahr gegeben, daß der Sitz entsprechend den steuerlichen Standortbedingungen gewählt wird. Als Anknüpfungspunkt käme deshalb nur der Ort der Geschäfstleitung i n Betracht. Nicht anders als bei der Frage der Konzernobergesellschaft bestehen aber auch hier die Schwierigkeiten, den Ort der Geschäftsleitung i n einem bestimmten Staat anzunehmen. Auch hier ist keine Lösung für den Fall gegeben, i n dem die Geschäftsleitung nicht nur durch eine Gesellschaft, sondern mehrere erfolgt. c) K a n n man die zentrale Besteuerung des Konzerns nur m i t erheblichen Schwierigkeiten einem bestimmten Staat zuweisen, so könnte m a n eine Besteuerung

durch

eine supranationale

Behörde

erwägen237.

Die Schwierigkeiten der Bestimmung des Sitzstaates des Konzerns entfielen bei dieser Lösung. Auch wäre eine Besteuerung unabhängig vom Bestehen einer Konzernobergesellschaft möglich. Der Konzern würde unter Zusammenfassung sämtlicher Konzerngesellschaften zentral durch die supranationale Behörde besteuert. aa) Eine Besteuerung durch eine supranationale Behörde ist dabei zum einen i n der Form denkbar, daß die Steuer lediglich von der supranationalen Institution erhoben und dann auf die einzelnen Konzerngesellschaftstaaten aufgeteilt wird. Die Staaten werden eher bereit sein, die Steueraufteilung durch eine supranationale Behörde als einer unparteiischen Stelle anzuerkennen als die Steuererhebung und -aufteilung durch einen der beteiligten Staaten. Eine derartige Lösung erforderte allerdings einen außerordentlich hohen Aufwand. Es wäre sowohl eine Einigung auf bestimmte Gewinnermittlungs- und Erhebungsvorschriften als auch der Aufbau einer eigenen Verwaltung notwendig. Vor allem aber bliebe auch das Problem der Aufteilung der Steuer auf die verschiedenen beteiligten Staaten bestehen. bb) Vorzuziehen wäre deshalb, könnte man die erhobene Steuer der supranationalen Institution als eigenes Steueraufkommen belassen. Z u denken wäre hier insbesondere an eine Lösung innerhalb der EG.

236 237

So auch Stolk, S. 123. Hierzu auch Stolk, S. 134.

1. Abschn. : Die Berücksichtigung d. wirtschaftl. Unselbständigkeit

225

cc) Beide Formen der Besteuerung von Konzernen durch eine supranationale Behörde setzen jedoch zunächst eine weitere Entwicklung der Staatengemeinschaften voraus. Vor allem wäre Voraussetzung eine Angleichung der Gewinnermittlungsvorschriften, eine Harmonisierung der Körperschaftsteuersätze. Eine Besteueung von Konzerngesellschaften m i t Sitz i n verschiedenen EG-Staaten als fiskalische Einheit durch die EG erscheint jedoch nicht außerhalb des Möglichen 238 . d) Kommt eine Besteuerung durch eine supranationale Instanz (noch) nicht i n Frage, so könnte man versuchen, den Bedenken, die dagegen sprechen, den Konzern zentral von einem bestimmten Staat aus zu besteuern, dadurch nachzukommen, daß alle Konzerngesellschaftstaaten gleichmäßig den Konzern als Einheit behandeln. aa) Statt die einzelne Konzerngesellschaft als selbständige Körperschaft zu besteuern, wäre von den beteiligten Staaten die einzelne Konzerngesellschaft steuerlich lediglich als bloßer Teil des Gesamtkonzerns zu behandeln. Den Sitzstaaten der Konzerngesellschaften wäre nicht die Besteuerung des Gewinns zuzuteilen, den die Konzerngesellschaft als selbständige Körperschaft zu ermitteln hätte, sondern nur ein der Bedeutung der betreffenden Konzerngesellschaft i m Gesamtkonzern entsprechender A n t e i l am konsolidierten Gewinn des Konzerns. Die Staaten ermitteln den konsolidierten Gewinn des Konzerns, wobei innerkonzernliche Gewinne und Verluste eliminiert und Verluste zwischen den einzelnen Konzerngesellschaften ausgeglichen werden. Jedem beteiligten Staat w i r d sodann eine bestimmte Quote des Konzerngewinns zur Besteuerung zugewiesen. Man könnte bei dieser Form der Einheitsbesteuerung des Konzerns den bei der Abgrenzung des Gewinns von Betriebstätten üblichen Begriff verwenden und von „indirekter Gewinnermittlung" sprechen 239 . Dieser Begriff gibt jedoch i m Grunde nur unzureichend den Unterschied dieser Besteuerung des Konzerns als Einheit gegenüber der Besteuerung des Konzerns nach dem Grundsatz der Selbständigkeit wieder 2 4 0 . Es geht hier nicht nur, wie bei der Betriebstätte, u m die Frage, wie der Gewinn der Konzerngesellschaft ermittelt w i r d , sondern darum, daß gleichzeitig auch eine Doppelbelastung vermieden und eine Verlustberücksichtigung erreicht wird. Insoweit sollte man vielleicht eher von 238 Vgl. auch den Vorschlag v o n Donald M . Kendall (zit. bei Stolk, S. 134 F N 11), multinationale Konzerne i n einem internationalen Verfahren zu erfassen. 239 Vgl. Menck D S t Z / A 1972 S. 65/75; vgl. auch Stolk S. 172 („indirekte Gewinnausscheidungsmethode"). 240 Skeptisch gegenüber einer Übernahme der bei der Betriebstättenbesteuerung verwendeten Terminologie „indirekte A u f t e i l u n g " offenbar auch Menck D S t Z / A 1972 S. 65/75.

15 v. Beckerath

226

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

einer Besteuerung der einzelnen Konzerngesellschaft als einen unselbständigen Teil des Gesamtkonzerns sprechen. I m übrigen ist jedoch die Problematik der „indirekten Gewinnermittlung" bei Betriebstätten eng verwandt der entsprechenden Frage bei Konzernen. Auch Betriebstätten werden als selbständig behandelt, werden nach dem arm'slength-Prinzip besteuert. Bei Betriebstätten wie bei Konzerngesellschaften stellt sich aber das Problem, daß sie wirtschaftlich nur ein unselbständiger Teil des Gesamtunternehmens sind. bb) Dieses Modell einer Besteuerung grenzüberschreitender Konzerne hätte den Vorteil, daß die einzelnen Konzerngesellschaften grundsätzlich gleich behandelt werden, also insbesondere auch der Gleichordnungskonzern einbezogen wird. Weiterer wesentlicher Vorteil wäre, daß die Besteuerung des Konzerns als Einheit nicht von einem Staat, sondern von allen beteiligten Staaten gleichmäßig getragen wird. Hiermit verteilen sich die Nachteile aus einer Einheitsbehandlung des Konzerns auf alle Staaten, konzentrieren sich nicht auf den Sitzstaat einer Konzernobergesellschaft oder den „Sitzstaat des Konzerns". Außerdem verliert die Frage, i n welchem Staat der Konzern bzw. die Konzernobergesellschaft ihren Sitz hat, ihre steuerliche Bedeutung. Ein weiterer Vorteil läge zur Zeit darin, daß die einzelnen Konzerngesellschaften, vergleichbar selbständigen Körperschaften, dem Steuersatz des Staates unterlägen, i n dem sie ihren Sitz haben, also eine marktorientierte Besteuerung gewährleistet wäre. cc) Auch die Verwirklichung einer derartigen anteilsmäßigen Besteuerung von Konzerngesellschaften als bloße unselbständige Teile des Gesamtkonzerns erscheint jedoch nicht problemlos. (1) Schwierigkeiten dürfte zum einen die Aufstellung einer konsolidierten Bilanz bereiten. Die Methoden und Probleme der Konsolidierung erscheinen gegenwärtig noch nicht abschließend geklärt. Stolk führt hierzu vor allem drei Problemkreise an: die Frage, welche Gesellschaften einzubeziehen sind, die Berücksichtigung außenstehender Aktionäre und die Eliminierung innerkonzernlicher Finanzströme 241 . Diese Probleme der Aufstellung konsolidierter Bilanzen stellen sich aber bei jeder Einheitsbehandlung von Konzernen, die innerkonzernliche Gewinne und Verluste ausscheiden w i l l . Daß die insoweit bestehenden Probleme i m Grunde auch lösbar sind, zeigen die Beispiele vor allem i n den USA, Großbritannien, den Niederlanden und Frankreich 2 4 2 . I m übrigen wären einheitliche Vorschriften für die Ermittlung des kon241

Stolk, S. 144; 180 ff. Vgl. auch Eberhard Müller, A u f Stellungsmöglichkeiten konsolidierter Bilanzen internationaler Unternehmen. 242

1. Abschn. : Die Berücksichtigung d. wirtschaf t. Unselbständigkeit

227

solidierten Gewinns zwar wünschenswert. Sollten diese aber nicht sofort zu erreichen sein, so könnte man dies ebenso hinnehmen, wie man es auch hinnimmt, daß bei der gegenwärtigen Besteuerung nach dem Grundsatz der Selbständigkeit keine einheitlichen Bestimmungen bestehen 243 . (2) Das eigentliche Problem, das sich bei einer Besteuerung der Konzerngesellschaften als unselbständige Teile des Gesamtkonzerns stellt, dürfte bei der Frage der Quotenzuteilung liegen. Wenn der Gewinn des Konzerns auf der Grundlage einer konsolidierten Bilanz ermittelt ist, müssen den einzelnen Konzerngesellschaftstaaten bestimmte Quoten dieses Gewinns zur Besteuerung zukommen, wobei die Quoten, um Mehr- oder Minderbelastungen zu vermeiden, möglichst exakt den ermittelten Gewinn ausschöpfen sollten. (a) Die deutsche Steuerreformkommission hat sich skeptisch gegenüber einer derartigen quotenmäßigen Aufteilung geäußert: „Die Kommission hält diese Methode für nicht allgemein anwendbar, da wegen der unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnisse i n den einzelnen Staaten wie auch wegen der vom gleichen Unternehmen i n den verschiedenen Ländern unterschiedlichen erzeugten oder vertriebenen Produkte der Rückschluß vom Gesamtgewinn auf einen anteiligen Gewinn der inländischen Tochtergesellschaft oder Betriebstätte nicht zwingend und nicht selten sogar unzutreffend sein dürfte 2 4 4 . Die OECD nimmt ebenfalls eine eher ablehnende Haltung ein. Der Kommentar zum OECD-Musterabkommen bezeichnet die indirekte Methode (allerdings für die Gewinnermittlung bei Betriebstätten) als „ i m allgemeinen nicht so zweckdienlich" 2 4 5 . Der IFA-Kongreß von 1961 war der Auffassung, „daß nach dem augenblicklichen (1961) Stand der Gewinnbesteuerung i n den verschiedenen Staaten für die internationalen Konzerne eine einheitliche Besteuerung i m Staate der beherrschenden Kapitalgesellschaft unter Ausgleich von Gewinnen und Verlusten innerhalb des Konzerns und die Behandlung der Tochtergesellschaft als unselbständige Zweigniederlassung des Konzerns große praktische Schwierigkeiten hervorrufen würde, aber i m allgemeinen auch nicht erforderlich ist"24®. Auch K o r 243 Vgl. hierzu auch den K o m m e n t a r zu A r t . 7 Abs. 4 OECD-Musterabkommen: „ergibt sich die Frage, w i e der Gesamtgewinn des Unternehmens zu e r m i t t e l n ist. Diese Frage w i r d je nach dem Recht der einzelnen Staaten unterschiedlich beantwortet. Sie läßt sich nicht durch Aufstellung einer v e r bindlichen Regel lösen. M a n w i r d sich auch k a u m einigen können, die aufzuteilenden Gewinne nach dem Recht eines bestimmten Staates zu ermitteln; jedem beteiligten Staat muß das Recht zugestanden werden, die Gewinne nach seinen eigenen Vorschriften zu ermitteln." 244 EuStZ Nr. 45 S. 42/45. 245 vgL Kommentar zum OECD-Musterabkommen, A r t . 7, A n m . 22. 246 Vgl. Mersmann, Generalbericht z u m Kongreßthema 2: Die Besteuerung der verflochtenen Gesellschaften, C D D F J X L I I I , (Jerusalem 1961) S. 113/145 f.

15*

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

mann äußert Bedenken: diese Methode scheine zunächst betriebswirtschaftlichen Anschauungen am ehesten zu entsprechen, da sie die Unselbständigkeit (der Betriebstätte, hier entsprechend: der einzelnen Konzerngesellschaft) i m Rahmen der größeren wirtschaftlichen Einheit berücksichtigt. Das entscheidende Problem, die Wahl des geeigneten Verteilungsschlüssels aber könne schon bei einem etwas differenzierten Leistungsprogramm und bei unterschiedlichen Produktionsbedingungen weder logisch richtig noch betriebswirtschaftlich befriedigend gelöst werden. Nur bei weitgehend homogenem Leistungsprogramm führe dieses Verfahren zu brauchbaren Ergebnissen. Letztlich müßten, entsprechend der Individualität des Leistungsprogramms und der Produktionsbedingungen, bei jeder Betriebstätte (hier: Konzerngesellschaft) die den Erfolg bestimmenden Einflußgrößen gesondert analysiert und gesondert — durch den einheitlichen Nenner: Geld — bewertet werden 247 . (b) Andererseits w i r d jedoch die sogenannte „indirekte Methode" bei wirtschaftlich unselbständigen Gebilden, Betriebstätten oder Konzerngesellschaften, wie entsprechende Stellungnahmen i n der Literatur zeigen, als die „an sich" richtige Methode anerkannt: Nach Erhard Müller ist die indirekte Methode „an sich theoretisch richtiger". Bei der eng verflochtenen Organisation international tätiger Großkonzerne werde die Selbständigkeit der Betriebstätte zur bloßen Fiktion. Es sei ein Rückgriff auf das Gesamtunternehmen notwendig, wobei eine einigermaßen zutreffende Aufteilung der Gesamteinkünfte und des Gesamtvermögens auf die inländischen Betriebstätten nur nach dem Ergebnis einer nach steuerlichen Grundsätzen aufgestellten Gesamtbilanz der ausländischen Obergesellschaft erfolgen könne 2 4 8 . Nach Ludwig, dem Generalberichterstatter des IFA-Kongresses von 1973 liegt der Vorteil der indirekten Methode darin, daß die steuerrechtliche Gewinnermittlung auf der handelsrechtlichen aufbaut. Es seien i m Normalfall also keine innerbetrieblichen Leistungen zu berücksichtigen. Es ergäben sich keine fiktiven Gewinne. Auch die Probleme des Verlustausgleichs stellten sich nicht 2 4 9 . Nach Debatin verwirklichen sich die Forderungen, daß Gewinnrealisierungen beim über die Grenzen laufenden Warenverkehr innerhalb von internationalen Unternehmen entfallen und Auslandsverluste vom Inlandsgewinn abgezogen werden können, i n der indirek247

Kormann, Die Steuerpolitik der internationalen Unternehmung, S. 118. Erhard Müller Wpg. 1955 S. 533/537; vgl. auch Mersmann als Generalberichterstatter der I F A (CDDFJ X L I I I - J e r u s a l e m 1962) nach dessen A n sicht auch bei einem internationalen Konzern die Zusammenfassung der Ergebnisse erwünscht u n d sogar ideal wäre. „Hierdurch w ü r d e m a n auch a m weitesten den Grundsatz v e r w i r k l i c h e n können, daß die Besteuerung eines Konzerns v o n derjenigen einer Kapitalgesellschaft als Einheitsunternehmen nicht wesentlich abweichen sollte." 249 Ludwig CDDFJ L V I I I a-Lausanne 1973, S. 1/15. 248

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaf t. Unselbständigkeit

229

ten Gewinnermittlungsmethode 250 . Das Anliegen, Unternehmenszusammenschlüsse von steuerlichen Hemmnissen zu entlasten, müsse sich die Forderung nach allgemeiner Zulässigkeit und Praktizierung der „indirekten Gewinnermittlungsmethode" zu eigen machen 251 . Die quotenmäßige Aufteilung des konsolidierten Gewinns stellt sich nach Debatin dabei als weniger problematisch dar als eine korrekte direkte Gewinnzuordnung. Höppner sieht die indirekte Methode der Gewinnermittlung als Ausweg aus den unlösbaren theoretischen und praktischen Schwierigkeiten, die eine Besteuerung von wirtschaftlich verbundenen Unternehmen nach dem arm's-length-Prinzip m i t sich bringt. Es bietet sich nach seiner Ansicht an, bei der Schätzung eventueller Gewinnverlagerungen den Gewinn des Gesamtunternehmens nach der indirekten Methode bei der Betriebstättenbesteuerung zu zerlegen. Die Durchführung dieser Methode wäre zwar m i t großem Arbeitsaufwand verbunden und erforderte erhebliche Vorarbeiten auf betriebswirtschaftlichen und rechtsvergleichendem Gebiet. „Aber das Ziel, die Gerechtigkeit der Besteuerung, sollte diese Mühe wert sein 252 ." Eggert sieht es als eine Möglichkeit, der unkontrollierten Macht multinationaler Konzerne zu begegnen, „daß ein konsolidierter Weltgewinn festgestellt und den beteiligten Staaten anteilsmäßig ein Besteuerungsrecht daran zugestanden w i r d " 2 5 3 . Auch Menck hält i m Hinblick auf die Probleme i m Zusammenhang m i t der Gewinnabgrenzung zwischen den einzelnen Konzerngesellschaften i m internationalen Raum eine Entwicklung für denkbar, die an die Stelle von Individualabgrenzungen eine pauschale Aufteilung des Konzerngewinns nach gewissen Schlüsseln setzt, welche die „direkte" Aufteilung des heutigen Rechts — w i l l man diese bei der A b grenzung des Gewinns von Betriebstätten üblichen Begriffe verwenden — durch die „indirekte" Aufteilung des Gewinns ersetzt 254 . Bisat befürwortet ebenfalls eine derartige Besteuerung von Konzerngesellschaften als unselbständige Teile des Gesamtkonzerns. Nach seiner Auffassung würden die Vorteile einer derartigen Besteuerung gegenüber den Nachteilen auch dann noch überwiegen, wenn man es den einzelnen Staaten überließe, zu entscheiden, welche Faktoren sie für die Quotenaufteilung als maßgeblich ansehen wollen, man also bewußt i n Kauf nähme, daß die Quoten zusammen nicht 100% des Konzerngewinns, sondern mehr oder weniger betragen, also eine „Doppelbelastung" erfolgt 2 5 5 . Stolk hält diese Form der „qualifizierten Exemtion", wie er die anteilige Besteuerung des Konzerns durch die einzelnen Konzerngesell250 251 252 253 254 255

Debatin, i n : Unternehmensverbindungen, S. 50 f. Debatin, ebd., S. 51. Höppner FR 1967 S. 467/470. Eggert tS. 258 f. Menck D S t Z / A S. 65/75. Bisat , A n Evaluation of Intentional Intercompany Transaction, Diss.

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

schaftstaaten bezeichnet, für eine Form der Besteuerung multinationaler Konzerne, die zu verwirklichen zwar gewisse Schwierigkeiten bereiten wird, aber sowohl gegenüber der gegenwärtigen Form der Besteuerung multinationaler Konzerne als auch gegenüber sonstigen Möglichkeiten der Einheitsbehandlung erhebliche Vorteile bietet 2 5 6 . (c) I m Grunde ist es allein die Schwierigkeit, geeignete Aufteilungsschlüssel zu finden, die einer Besteuerung von Konzerngesellschaften als unselbständige Teile des Gesamtkonzerns entgegengehalten wird. Demgegenüber sprechen jedoch erhebliche Gesichtspunkte für eine derartige steuerliche Behandlung von Konzernen. Vor allem sind die Schwierigkeiten m i t der „indirekten" Gewinnermittlung möglicherweise geringer als die gegenwärtigen Schwierigkeiten m i t der „direkten" Methode. Stolk weist darauf hin, daß i n der Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts Kollisionsnormen entwickelt worden sind, die möglicherweise als Vorbild für internationale Verhältnisse geeignet sind 2 5 7 . Er deutet, ausgehend von dieser i n der Schweiz bestehenden Bundesgerichtspraxis, verschiedene Möglichkeiten für eine quotenmäßige Aufteilung an 2 5 8 . So komme bei industriellen Unternehmungen etwa eine Einkommensausscheidung nach den Erwerbsfaktoren (dem Wert des investierten Kapitals und der kapitalisierten Jahreslöhne) i n Betracht. Bei Handelsunternehmen könne man die Verteilung nach dem Umsatz vornehmen. Eine weitere Möglichkeit zur Quotenbestimmung liege darin, auf die Kosten abzustellen. A u f den Reingewinn werde man demgegenüber nur etwa bei Bankfilialen abstellen können, da es bei Handelsunternehmen etwa leicht zu Gewinnverschiebungen kommen könnte. Aufschlüsse können sich möglicherweise auch ergeben aus dem Steuerrecht von Staaten, die eine indirekte Gewinnermittlung bei Betriebstätten kennen. Der Kommentar zu A r t . 7 Abs. 4 des OECD-Musterabkommens läßt darauf schließen, daß i n anderen Staaten hier bereits nähere Untersuchungen vorliegen. Der OECD-Kommentar teilt die allgemein zur Aufteilung angewandten Schlüssel i n drei Haupttypen ein, je nachdem, ob sie auf die Einnahmen des Unternehmens, seine A u f wendungen oder sein Vermögen abstellen. Die erste Gruppe umfasse die auf Umsatz oder Provision, die zweite Gruppe die auf Löhne beruhenWashington D. C. (The A m e r i c a n University) 1967, S. 198 (zit. bei Stolk, S. 179). 256 Stolk, S. 195. 257 Hierzu Stolk, S. 173. 258 Stolk, S. 176 f. unter Hinweis auf die ausführliche Darstellung der A u s scheidung i m interkantonalen Steuerrecht der Schweiz v o n Schlumpf/Dürr, Bundesgerichtspraxis zum Doppelbesteuerungsverbot, 3. Auflage, Zürich 1963, S. 205 ff.

1. Abschn. : Die Berücksichtigung d. wirtschaf t. Unselbständigkeit

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den Zurechnungsmethoden, während zur dritten Gruppe Methoden gehörten, nach denen der den einzelnen Zweigniederlassungen oder anderen Teilen des Unternehmens zugewiesene Teil des gesamten Betriebsvermögens des Unternehmens maßgeblich sei. Welche Methode zu wählen sei, müsse von der A r t des Unternehmens abhängen, auf die sie angewendet werde. Bei Dienstleistungsunternehmen oder Markenartikelherstellern m i t hoher Gewinnspanne hänge der Reingewinn sehr vom Umsatz ab. Bei Versicherungsunternehmen könne es zweckmäßig sein, den Gesamtgewinn nach Maßgabe der Prämien aufzuteilen. Bei rohstoff- oder lohnintensiven Herstellungsunternehmen werde sich ergeben, daß ein enger Zusammenhang zwischen Gewinn und Aufwendungen bestehe. Bei Banken und Finanzierungsinstituten könne der Anteil am gesamten Betriebsvermögen den besten Schlüssel abgeben 259 . 3. Die Einheitsbesteuerung von Konzernen als Durchgriffsproblematik Abschließend zur Frage der Einheitsbesteuerimg von Konzernen bedarf es noch einer Klarstellung: Stolk sieht die Einheitsbesteuerung von Konzernen i n einem Gegensatz zu den Durchgriffen, m i t denen bereits nach gegenwärtigem Recht ausnahmsweise der wirtschaftlichen Einheit des Konzerns Rechnung getragen w i r d 2 6 0 . Nach der dieser Untersuchung zugrunde gelegten Definition des Durchgriffs trifft diese A n nahme jedoch nicht zu 2 6 1 : Besteuert man Konzerne als Einheit, so w i r d der für Körperschaften grundsätzlich geltende Grundsatz der Selbständigkeit für diejenigen Körperschaften, die zu einem Konzern gehören, ausnahmsweise durchbrochen. Es liegt ein Durchgriff vor. a) W i r d der Konzern i m Sitzstaat einer Konzernobergesellschaft, von einem Sitzstaat des Gesamtkonzerns aus oder von einer supranationalen Behörde besteuert, so werden entweder die Körperschaften, die zu einem Konzern gehören, i n ihrem Sitzstaat i m Hinblick auf ihre K o n zernzugehörigkeit von der Besteuerung nach dem Grundsatz der Selbständigkeit ausgenommen — und es erfolgt insoweit ein Durchgriff. Oder aber es wird, falls die einzelnen Gliedkörperschaften nach dem Grundsatz der Selbständigkeit besteuert werden, bei der Konzernobergesellschaft der wirtschaftlichen Einheit des Konzerns Rechnung getragen. Ein Durchgriff erfolgt i n jedem Fall: Bei Körperschaften, die ansonsten nach dem Grundsatz der Selbständigkeit besteuert würden, wird, wenn sie zu einem Konzern verbunden sind, der Grundsatz der Selbständigkeit durchbrochen. 259 Ygi. Kommentar zum OECD-Musterabkommen, A r t . 7 Abs. 4 A n m . 24. Vgl. Stolk, S. 15. 281 Vgl. auch Peter Müller, S. 135; Rädler D B 1962 S. 809/811.

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I I I . 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

b) Gleiches gilt für die Besteuerung nach der „indirekten Methode". Besteuert man die einzelnen Konzerngesellschaften m i t einem bestimmten Anteil des Konzerngewinns auf der Grundlage einer konsolidierten Bilanz, so w i r d das Prinzip der Selbständigkeit von Körperschaften für alle zu einem Konzern gehörenden Körperschaften i n gleicher Weise durchbrochen. Es erfolgt bei allen Konzerngesellschaften i n gleicher Weise ein Durchgriff. I I . Internationale

Organtheorie

Die Organtheorie stellt sich, nicht anders als die Konzerntheorie, als eine „steuerrechtliche Lehre von der wirtschaftlichen Einheit mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen" dar 2 6 2 . Anders als die Konzerntheorie faßt sie jedoch nur Organträger und Organ zu einer Einheit zusammen, trägt der wirtschaftlichen Unselbständigkeit der Organgesellschaft i m Verhältnis zum Organträger Rechnung. Sie sieht das Organ als unselbständigen Teil des Organträgers, während die Konzerntheorie die einzelne Konzerngesellschaft als Teil des Gesamtkonzerns sieht und nur i n Ermangelung der fehlenden Rechtssubjektivität des Konzerns auf eine Konzernobergesellschaft als „Zuordnungsendpunkt" abstellt. 1. Z u m Anlaß der Fragestellung Soweit die Frage der „internationalen Organtheorie" i m Schrifttum Erwähnung findet, entsteht der Eindruck, als ob die „internationale Organtheorie" kein Diskussionsgegenstand mehr sein könne. Ihre U r sache findet diese Ablehnung darin, daß die Frage der internationalen Organtheorie m i t den Durchgriffsmaßnahmen der Filialtheorie und des § 15 I I StAnpG a. F. identifiziert wird. Die Frage der „internationalen Organschaft" muß sich jedoch auch heute stellen i m Hinblick auf das Bestehen einer nationalen Organschaftsregelung i n §§ 14 ff. K S t G und i m Hinblick auf eine Vorschrift wie die des § 3 AuslInvG, die zumindest insoweit eine Verwandtschaft zu einer „internationalen Organtheorie" aufweist, als sie es der Muttergesellschaft erlaubt, den Verlust der Tochtergesellschaft geltend zu machen und damit die Tochtergesellschaft als unselbständigen Teil der Muttergesellschaft behandelt. Bedingt stellt sich die Frage der „internationalen Organschaft" auch i m Hinblick auf die Regelung der indirekten Steueranrechnung des § 26 I I - V KStG. a) Vor allem die Frage einer Ausdehnung der nationalen Organschaft auf grenzüberschreitende Sachverhalte bedarf — zumindest langfristig 262 Vgl. Jurkat, R F H und BFH.

Die Organschaft, S. 37 m. w . N. vor allem zur Rspr. v o n

1. Abschn. : Die Berücksichtigung d. wirtschaf t. Unselbständigkeit

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— einer Klärung. §14 ff. K S t G enthalten eine Organschaftsregelung, beschränken die Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft aber auf inländische Organträger bzw. ausländische Organträger m i t inländischer Zweigniederlassung (vgl. §§ 14 I, 18 K S t G ). Die hierin liegende Ungleichbehandlung gegenüber ausländischen Muttergesellschaften mag m i t A r t . 3 1 GG und vor allem auch m i t dem völkerrechtlichen Diskriminierungsverbot vereinbar sein. I m Zuge einer fortschreitenden Steuerharmonisierung bedarf diese Ungleichbehandlung jedoch der Beseitigung, entweder i n Richtung auf eine Ausdehnung auch auf ausländische Organträger und damit i n Richtung auf eine „internationale Organschaft" oder durch Aufhebung der „nationalen Organschaft" 2®3. b) I m Hinblick auf § 3 AuslInvG bedarf die Frage der internationalen Organtheorie einer Klärung, da Maßnahmen, welche der Abhängigkeit ausländischer Tochtergesellschaften von inländischen Muttergesellschaften durch Gewährung von Steuervorteilen Rechnung tragen, prinzipiell wettbewerbsverzerrend wirken. 2. Z u den verschiedenen Möglichkeiten einer Ausgestaltung der internationalen Organtheorie Eine internationale Organtheorie w i r d grundsätzlich bemüht sein, die abhängige Körperschaft als das zu behandeln, als was sie sich w i r t schaftlich darstellt, als unselbständigen Teil der Organobergesellschaft. Man w i r d deshalb das Einkommen des Organs dem Organträger zurechnen. a) Auch wenn man aber das Organ als unselbständigen Teil des Organträgers ansieht, erfüllt das Organ i n seinem Sitzstaat jedoch i m allgemeinen die Merkmale einer Betriebstätte. Man müßte also i m Sitzstaat des Organs i n aller Regel eine Betriebstätte annehmen. Die internationale Organtheorie fände also ihre Verwirklichung i m Ergebnis i m Sinne der vom R F H entwickelten Filialtheorie 2 ® 4 . b) Denkbar wäre allerdings auch, daß man auf eine Betriebstättenbesteuerung verzichtet und das Einkommen des Organs ausschließlich i m Sitzstaat des Organträgers erfaßt 2®5. 263 Vgl. hierzu Steinberg C D D F J L V a (Bruxelles 1970), S. II/32: „Da die Rechtsinstitution des Schachtelprivilegs u n d der Organschaft auf Schachtelu n d Organschaftsverbindungen i m I n l a n d beschränkt sind, w i r d es i m Z e i chen einer immer stärker werdenden Integration der nat. Wirtschaften f ü r notwendig gehalten, das Schachtelprivileg u n d die Organschaftsbegünstigung auch dann zu gewähren, w e n n die Schachtel- oder Organschaftsverbindung über die Grenze reicht." 264 Vgl. hierzu Jakobs StuW 1970 S. 601.

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

c) Eine weitere Möglichkeit, die zumindest i n Richtung auf eine internationale Organtheorie ginge, wäre es, wollte man dem Sitzstaat des Organs ein Besteuerungsrecht belassen, würde hierbei aber eine Doppelbelastung des ausgeschütteten Gewinns durch einen Abzug vom steuerpflichtigen Gewinn des Organs vermieden und erfolgte eine unmittelbare Verlustberücksichtigung i m Sitzstaat des Organträgers. d) Außerdem könnte man auch bei der Organschaft das für die Konzerntheorie diskutierte Modell der indirekten Gewinnermittlung übernehmen, indem man das Einkommen des Organs dem des Organträgers zurechnet und den beteiligten Staaten bestimmte Quoten zuweist. Eine derartige Möglichkeit wäre denkbar, wenn gleichzeitig auch für Betriebstätten die indirekte Gewinnermittlung durchgeführt würde. 3. Ablehnung einer internationalen Organtheorie I m Ergebnis w i r d man jedoch sämtliche angeführten Formen einer „internationalen Organtheorie" ablehnen müssen. a) Eine „internationale Organtheorie" erübrigt sich nicht nur, sondern verbietet sich sogar m i t einer Anerkennung der „internationalen Konzerntheorie". Eine Anwendung der Organtheorie erübrigt sich, w e i l ohnehin Organträger und Organgesellschaft als Konzernobergesellschaft und Konzerngesellschaft als Einheit behandelt würden. Eine A n wendung der Organtheorie verbietet sich, soweit eine Unternehmensverbindung nicht nur aus Mutter- und Tochtergesellschaft besteht, w e i l sie den Konzern i n Mutter-Tochterbeziehungen aufteilen und so die wirtschaftliche Einheit des Konzerns rechtlich zerschlagen würde. Die „Organtheorie" würde die Obergesellschaft als unselbständigen Teil des Organträgers betrachten, während die „Konzerntheorie" die einzelne Konzerngesellschaft als unselbständigen Teil des Gesamtkonzerns ansieht. b) Gegenüber der Organtheorie w i r d man die Konzerntheorie vor allem aus folgenden Erwägungen vorzuziehen haben26®: aa) Die Besteuerung von verbundenen Unternehmen nach der Organtheorie ist eine Besonderheit des deutschen Steuerrechtskreises 2®7 — ein 265 I n diesem Sinne: Steinberg CDDFJ L V a (Bruxelles 1970), S. II/33; entsprechende Gedanken w u r d e n auch i m Zusammenhang m i t der „Fusion über die Grenze" u n d der Schaffung der „Europäischen Aktiengesellschaft" diskutiert. 266 Vgl. auch Mersmann als Generalberichterstatter des IFA-Kongresses v o n 1961 (CDDFJ X L I I I - J e r u s a l e m 1961 S. 113/134), der eine A n w e n d u n g der Regeln der „Organschaft" auf einen internationalen Konzern f ü r ungeeignet hält u n d nach dessen Ansicht eher die einheitliche Konzernbilanz i n Betracht käme.

1. Abschn.: Die Berücksichtigung d. wirtschaf t. Unselbständigkeit

235

Umstand, der wohl entscheidend war für die Ablehnung der sogenannten Filialtheorie und des §15 I I StAnpG. Eine internationale Organtheorie könnte sich also nur entgegen den gegenwärtigen Auffassungen i n den anderen Staaten entwickeln. Hierbei wäre zu berücksichtigen, daß eine internationale Organtheorie letztlich entsprechende nationale Organschaftsregelungen erfordert, soll es nicht wiederum zu einer Ungleichbehandlung von inlandsabhängigen und auslandsabhängigen K ö r perschaften kommen. Demgegenüber hat sich der Gedanke der Einheit des Konzerns, dessen Entwicklung i m deutschen Steuerrecht durch die Organtheorie gehemmt worden ist, i n anderen Staaten, u. a. den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien und vor allem den USA durchgesetzt. I m Zuge einer Steuerharmonisierung sowie i m Zuge eines Abbaus von Steuerhemmnissen für grenzüberschreitende Unternehmensverbindungen ist von Seiten dieser Staaten eine Entwicklung i n Richtung auf eine internationale Konzerntheorie zu erwarten. Entsprechende Ansätze finden sich bereits i n Frankreich. I m übrigen zeigt vor allem auch die EG-Konzernbesteuerungesrichtlinie, daß international eine Entwicklung i n Richtung der Konzerntheorie und nicht der Organtheorie zu erwarten ist. bb) Die Organtheorie ist außerdem allein orientiert an der Unternehmensverbindung von Mutter- und Tochtergesellschaft. Z u m Zeitpunkt, zu dem die Organtheorie entwickelt wurde, waren Konzerne i n Deutschland ohne größere Bedeutung 268 . (Dies w i r d besonders deutlich i m sogenannten Shell-Urteil des RFH, i n dem sich der R F H m i t dem Shell-Konzern auseinanderzusetzen hatte.) Inzwischen hat aber auch i n Deutschland die Unternehmensverbindung des Konzerns immer stärkere Bedeutung erlangt. Die Organtheorie kann diesen heutigen Zusammenschlüssen des Konzerns nicht gerecht werden. Andererseits kann aber die Konzerntheorie so ausgestaltet werden, daß sie auch die w i r t schaftliche Verbundenheit einer Zweierverbindung von Mutter- und Tochtergesellschaft angemessen erfaßt. cc) I m übrigen muß man beachten, welche Formen von Abhängigkeit m i t einer internationalen Konzerntheorie bzw. m i t einer internationalen Organtheorie gefördert werden: Entlastet man organschaftlich verbundene Unternehmen von steuerlichen Hemmnissen, so fördert man hierdurch die Gründung von Toch267 V. Kessel, S. 8; vgl. auch Bühler, Prinzipien, S. 103: „ M a n k a n n also heute v o n einer i n der D o k t r i n des I S t R vorherrschenden u n d i n der Praxis außerhalb Deutschlands i m wesentlichen durchgedrungenen A b l e h n u n g der Organtheorie schon f ü r die internen Rechtsordnungen der außerdeutschen Staaten sprechen." 268 Vgl. Schwendler A W D 1970 S. 244.

236

I I I . 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

tergesellschaften i m Ausland. Ob man die Gründung von Tochtergesellschaften i m Ausland bzw. die Gründung von auslandsabhängigen Gesellschaften i m Inland fördern soll, hängt aber sehr stark von der jeweiligen wirtschaftspolitischen Zielsetzung ab. Für den Staat des Organträgers bedeutet eine Anwendung der Organtheorie eine Förderung von Auslandsinvestitionen, die sich anbieten kann i m Hinblick auf eine Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland, die sich unter Umständen aber auch verbieten kann wegen der Gefahr von Arbeitslosigkeit i m Inland (vgl. i n diesem Zusammenhang § 3 AuslInvG). Die Anwendung der Organtheorie durch das Sitzland der Organgesellschaft fördert ausländische Investitionen i m Inland, was für eine wirtschaftliche Entwicklung förderlich sein kann, unter Umständen aber auch wegen einer drohenden „Überfremdung" des Inlandsmarktes abgelehnt wird. Demgegenüber steht bei der internationalen Konzerntheorie, vor allem, wenn man hierbei den Gedanken der prinzipiellen Gleichwertigkeit der Konzerngesellschaften herausstellt, der Gedanke der internationalen Zusammenarbeit von Unternehmen der einzelnen Staaten i m Vordergrund. Über eine Förderung der Zusammenarbeit von Unternehmen auf gleichberechtigter Ebene aber w i r d zwischen den Staaten eher eine Einigung zu erzielen sein als über die Förderung von inländischen Investitionen i m Ausland bzw. ausländischen Investitionen i m Inland. Außerdem w i r k t sich positiv zugunsten der Konzerntheorie aus, daß die Staaten gleichmäßig an der Förderung der einzelnen Unternehmensverbindung beteiligt sind und gleichmäßig die Nachteile aus der Einheitsbehandlung zu tragen haben. Man w i r d hieraus die Konsequenz ziehen müssen — und zwar auch für den nationalen Bereich —, unter Aufgabe der Organtheorie die wirtschaftliche Einheit des Konzerns auch steuerlich als Einheit zu behandeln.

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

237

2. Abschnitt: D e r Durchgriff zur B e k ä m p f u n g der Steuerflucht A. Vorbemerkung

L Allgemein zur Steuerflucht und ihrer

Bekämpfung

1

1. Das Phänomen der Steuerflucht Das Steuerniveau weist zwischen den verschiedenen Staaten erhebliche Unterschiede auf. Es unterscheidet sich die Besteuerung i n den einzelnen Staaten sowohl der Höhe als auch dem Grunde nach 2 . Damit entsteht für die Steuerpflichtigen hochbesteuernder Staaten (Steuerfluchtländer) ein Anreiz, der Steuerbelastung durch Auswanderung bzw. durch Verlagerung von Steuersuibstanz i n niedrig besteuernde Staaten (Steueroasenländer) auszuweichen. a) Wie der Begriff der „Steuerflucht" zu definieren ist und welche Erscheinungen damit von diesem Begriff umfaßt werden, erscheint noch nicht geklärt. Schmid 3 hat den Begriff der Steuerflucht definiert als „Ausnutzung von Steuerbelastungsdifferenzen zwischen national verschiedenen Steuerhoheiten durch die Verlagerung von vorhandener und/oder künftiger Steuersubstanz, wobei die Verlagerung mindestens beiläufig zum Zweck der Steuereinsparung zu erfolgen hat und als Ergebnis auch eine tatsächliche Steuereinsparung eintreten muß. Es ist jedoch gleichgültig, ob das Vorgehen des Steuerpflichtigen gegenüber dem Fiskus des Steuerfluchtlandes rechtlich eine zulässige Steuerersparnis oder eine untaugliche Steuerumgehung oder eine strafbare Steuerhinterziehung darstellt 4 ." Nach der Ansicht von Endriss muß zu der Begriffsbestimmung von Schmid noch eine weitere Voraussetzung hinzukommen. Es gehe nicht an, daß steuerliche Motive nur beiläufig auftreten oder mitbestimmend sein müssen. Das steuerliche Motiv müsse für die internationale Steuerflucht einzig ausschlaggebend sein 5 . b) Bei der Wertung der Steuerflucht erscheint eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung angebracht. Die öffentliche Diskussion u m die Frage 1 Vgl. hierzu auch Schmid , Die internationale Steuerflucht, S. 4 ff.; Raupach, Durchgriff, S. 148 ff.; Endriss, Wohnsitz- oder Ursprungsprinzip, S. 14 ff.; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 14 ff.; Jagdfeld StuW 1972 S. 258; Peter Müller, S. 24 ff. 2 Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 17. 3 Schmid, S. 4; zum Ganzen vgl. Raupach, Durchgriff, S. 148 ff.; Endriss, S. 6 ff.; Kluge, ebd., S.14ff.; Jagdfeld StuW 1972 S. 258 ff.; Peter Müller, S. 24 ff. 4 Schmid, S. 4. 5 Endriss, S. 7; vgl. auch den Versuch zur begrifflichen Erfassung des Steuerfluchtphänomens v o n Meyer, Die Vermeidung internationaler Doppelu n d Minderbesteuerung, S. 122; hierzu auch Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 14 ff.

238

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

der Steuerflucht war in der Vergangenheit von einer Verurteilung und moralischen Empörung üiber die Steuerflucht bestimmt. „Dagegen steht (jedoch) die Tatsache, daß das Fluchtland dem Flüchtling ein Motiv gibt, es zu verlassen, und die Steueroase einen Grund, sich dorthin zu begeben. Wenn das Fluchtland also Wert auf den betreffenden Steuerbürger legt, kann es sich ja den anderen bevorzugten Ländern angleichen. Es käme niemand auf den Gedanken, einen Arbeitgeber zu loben, weil i h m die Arbeitnehmer laufengehen, oder einen Staat zu loben, den viele seiner Bürger verlassen bzw. verlassen möchten®." Diesen Ausführungen von Jagdfeld w i r d man sicherlich einiges entgegenhalten können, sie sollten aber zumindest zu einem Zweifel an einer pauschalen und undifferenzierten Verurteilung der Steuerflucht führen 7 . Aus volkswirtschaftlicher und finanzwirtschaftlicher Sicht des Steuerfluchtlandes bedeutet die internationale Steuerflucht einen Einnahmeausfall. Das Steuerfluchtland w i r d durch diesen Einnahmeausfall, wenn dieser ein bestimmtes Ausmaß überschreitet, an der Erfüllung seiner Aufgaben gehindert, sofern es diesen Ausfall nicht durch anderweitige Einnahmen abdeckt. Betrachtet man die Steuern nach der Äquivalenztheorie als Gegenleistung zu den Leistungen des Staates, so n i m m t der Steuerpflichtige i m Falle der Steuerflucht die Leistungen des Staates i n Anspruch, ohne eine Gegenleistung in Form der Steuern zu erbringen. Der Steuerpflichtige bedient sich der Erwerbsmöglichkeiten, die der hochbesteuernde Staat zur Verfügung stellt, entzieht sich aber der Zahlung der Steuern, die der Staat braucht, u m derartige Erwerbsmöglichkeiten bieten zu können 8 . Demgegenüber stellt sich aus der Sicht des Steueroasenlandes die Steuerflucht grundsätzlich als positive Erscheinung dar, da m i t ihr eine Einnahmeerhöhung eintritt und diese Einnahmen zur Erfüllung staatlicher Aufgaben zur Verfügung stehen. In weltwirtschaftlicher Sicht kann die niedrige Steuer als Anreiz wirken, i n wirtschaftlich bisher unerschlossene Staaten zu investieren. Die niedrige Besteuerung kann aber auch dazu führen, daß Güter und Dienstleistungen nicht i n dem Staat produziert oder erbracht werden, der die vergleichsweise günstigsten Bedingungen aufweist 0 . Führt die Steuerflucht zu Störungen der Volkswirtschaften, so kann sich dies darüber hinaus auch auf die Weltwirtschaft nachteilig auswirken 10 . 6

So Jagdfeld StuW 1972 S. 258. Z u den verschiedenen Sichtweisen der Steuerflucht vgl. Endriss, S. 8; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 17 ff.; Jagdfeld StuW 1972 S, 258. 8 Hierzu Endriss, S. 8; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 19. 9 Kluge, Das internationale Steuerrecht, S. 19; vgl. auch Schmid, S. 248. 10 Endriss, S. 8 f.; vgl. auch die Entschließung des Rates der EG v. 10. 2.1975 über Maßnahmen der Gemeinschaft zur Bekämpfung der internationalen 7

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

239

I n betriebswirtschaftlicher Sicht stellt sich das sogenannte „Steuerflucht"-problem als Versuch des Unternehmers dar, seine Kosten zu minimieren. Ziel der Steuerpolitik eines Unternehmens muß es sein — unter Beachtung von Nebenbedingungen, die von anderen Unternehmensbereichen gesetzt werden — die Steuerbelastung möglichst niedrig zu halten 11 . Dazu aber gehört auch, daß das Unternehmen sich bei einem unterschiedlichen Steuerniveau i n den verschiedenen Staaten bemüht, dieses Steuergefälle zur Verringerung seiner Steuerbelastung auszunutzen 12 . 2. Die Bekämpfung der Steuerflucht a) M i t der Bekämpfung der Steuerflucht ist der deutsche Gesetzgeber nicht erst i n jüngerer Zeit befaßt 13 . Bereits 1918 erging ein Gesetz gegen die Steuerflucht 14 , wonach Angehörige des Deutschen Reiches, die ihren dauernden Aufenthalt i m Inland aufgaben, der unbeschränkten Steuerpflicht i n Beziehung auf die „Personalsteuern" sowohl des Reiches wie der Bundesstaaten unterworfen blieben. Die „Verordnung betreffend die Reichsfluchtsteuer u n d sonstige Maßnahmen gegen die Kapital- und Steuerflucht" vom 8. 12. 1931 sah eine Besteuerung des Vermögens bei dem Wohnsitzwechsel ins Ausland vor 1 5 . Während i n der Aufbauphase der Nachkriegszeit die Steuerflucht „mangels Masse" keinen nennenswerten Umfang annehmen konnte, schaffte die positive wirtschaftliche Entwicklung und die Wiedereinführung der Freizügigkeit internationaler Wirtschaftsbeziehungen die materiellen Voraussetzungen für eine sich entwickelnde Steuerflucht 18 . Bis zum Jahre 1962 hatte die Steuerflucht ein derartiges Ausmaß angenommen, daß der Deutsche Bundestag die Bundesregierung ersuchte, „ i h m einen Bericht über die Wettbewerbsverfälschungen zu erstatten, die sich aus der Sitzverlagerung i n das Ausland und aus dem zwischenSteuerflucht u n d Steuerumgehung (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft v. 14. 2.1975 Nr. C 35, S. 1), i n der die Eindämmung der Steuerflucht ausdrücklich als Gemeinschaftsaufgabe anerkannt w i r d . Hierbei w i r d neben nationalen Anliegen, wie, daß die P r a k t i k e n der internationalen Steuerflucht zum Verlust von Haushaltsmittel sowie zur Aushöhlung der Steuergerechtigkeit führen, auch der Gemeinschaftsgesichtspunkt hervorgehoben, daß durch diese P r a k t i k e n Verzerrungen des Kapitalverkehrs u n d der Wettbewerbsbedingungen eintreten können. 11 Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 76. 12 Kluge, ebd., S. 17 f. 13 Z u r Geschichte der deutschen Steuerfluchtbekämpfung: Sutter er, Die internationalen Basisgesellschaften, S. 271 ff.; Jagdfeld StuW 1972 S. 258/259; Kluge, ebd., S. 20 f.; zur Bekämpfung der Steuerflucht i n anderen Staaten: Raupach, Durchgriff, S. 152 ff.; Kluge, ebd., S. 21 f.; Endriss, S. 35 ff. 14 RGBl. 1918 S. 951 (hierzu Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 20 f.). 15 RGBl. 1931 S. 731. 16 Jagdfeld StuW 1972 S. 258/260.

240

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

staatlichen Steuergefälle ergeben" 17 . Dieser Bericht wurde am 23. 6. 1964 vorgelegt, wurde unter dem Namen „Steueroasenbericht" bekannt und leitete auf dem Gebiet des Internationalen Steuerrechts eine Hinwendung des wissenschaftlichen Interesses zur Steuerfluchtproblematik ein 18 . Der „Steueroasenbericht" sollte nach Ansicht der Bundesregierung als Materialsammlung für gesetzgeberische Überlegungen zum Thema Steuerflucht aufgefaßt werden 19 . Dem „Steueroasenbericht" folgte 1965 der „Steueroasenerlaß", ergangen als koordinierter Ländererlaß 20 , dessen Ziel es war „ i n Anwendung des geltenden Rechts die Maßstäbe zu fixieren, nach denen Einkommens- und Vermögensverlagerungen i n niedrig besteuernde Länder die steuerliche Anerkennung zu versagen ist" 2 1 . I n der sich anschließenden Diskussion wurden jedoch sehr schnell die Schwierigkeiten deutlich, mit Hilfe allgemeiner Steuerrechtsnormen (§§1 I I I ; 5 I ; 6; 11 Nr. 2, 3 StAnpG) den zahlreichen und sachlich unterschiedlichen Verlagerungen i n Steueroasenländer zu begegnen 22 . Vor allem, daß die vorhandenen Möglichkeiten für eine wirkungsvolle Bekämpfung der Steuerflucht nicht ausreichten, führte zu der Forderung nach speziellen gesetzlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerflucht. Bereits 1970 legte deshalb der Hessische Minister für Finanzen einen sehr weitgehenden „Entwurf für ein Gesetz zur Bekämpfung der Steuerflucht" vor 2 3 . Es forderte unter anderem den „Durchgriff" auf alle ausländischen Kapitalgesellschaften und ein Weiterbestehen der unbeschränkten Steuerpflicht für 5 Jahre. Nach den Beratungen der Steuerreformkommission wurde 1972 dann auf der Grundlage der i m Jahre 1970 von der Bundesregierung verabschiedeten Leitsätze für ein „Gesetz zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage" das „Gesetz über die Besteuerung (bei Auslandsbeziehungen" (Außensteuergesetz) 2* erlassen.

17

BT-Beschluß v. 12.4.1962, Umdruck 75, abgedruckt i n Anlage 5 zum stenographischen Bericht. 18 Kluge StuW 1976 S. 101. 19 Jagdfeld StuW 1972 S. 258/261. 20 Erlaß betr. Verlagerungen v o n E i n k ü n f t e n u n d Vermögen i n sogenannten Steueroasenländern, BStBl. 1965 I I S. 74. 21 Debatin D B 1965 S. 1024. 22 Kluge StuW 1976 S. 101. 23 Hessischer Finanzminister, „ E n t w u r f f ü r ein Gesetz zur Bekämpfung der Steuerflucht" hrsg. als Broschüre, Wiesbaden 1970. 24 G. v. 8. 9.1972, BGBl. I S. 1713.

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

241

b) Die Bewertung der einzelnen Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerflucht hängt wie auch die Wertung der Steuerflucht selbst von der jeweiligen Sicht weise ab: aa) Überwiegend werden allgemeine Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerflucht gegenwärtig i m Internationalen Steuerrecht für notwendig erachtet. So werden auch i n der bereits angesprochenen Entschließung des Rates der EG vom 10. Februar 1975 Maßnahmen der Gemeinschaft zur Bekämpfung der internationalen Steuerflucht und Steuerumgehung für unerläßlich gehalten, da die Steuerflucht und Steuerumgehung über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg zum Verlust von Haushaltsmitteln, zur Aushöhlung des Grundsatzes der Steuergerechtigkeit sowie zu Verzerrungen des Kapitalverkehrs und der Wettbewerbsbedingungen führe 2 5 . Man muß allerdings beachten, daß Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerflucht regelmäßig i n einem Gegensatz zu anderen, i m Internationalen Steuerrecht anerkannten Rechtsgütern stehen 26 . Maßnahmen gegen die Steuerflucht berühren regelmäßig mindestens mittelbar andere Rechtsgüter (etwa die persönliche Freizügigkeit, die wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit über die Staatsgrenze hinaus oder den internationalen Kapitalverkehr), an deren Erhaltung insbesondere die westlichen Industriestaaten interessiert sind. Für Steuerfluchtmaßnahmen gilt von daher i n besonderem Maße die Notwendigkeit einer Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. bb) Ob das 1972 neu geschaffene Außensteuergesetz unter diesen Gesichtspunkten als Maßnahme zur Bekämpfung der Steuerflucht Zustimmung verdient, w i r d ebenfalls recht unterschiedlich beurteilt: Der hessischen Finanzverwaltung ging der Entwurf des Außensteuergesetzes von vornherein nicht weit genug. Sie sah die „SteuerfluchtLöcher auch künftig weit offen", insbesondere die Neuregelung über die Basisgesellschaften sehe aus „wie ein Entwicklungshilfegesetz zugunsten notleidender Notare" 2 7 . Salditt stellte zur Frage der Effizienz der Steuerfluchtmaßnahmen fest: „Je höher die allgemeine Fehlquote, desto willkürlicher erscheint ein durch Sondernormen verschärfter steuerlicher Zugriff dann, wenn er i m Einzelfall einmal durchgesetzt wird. Die relative Wirksamkeit oder Wirkungslosigkeit kann i n diesem Sinne unter Umständen sogar rechtliche Relevanz entfalten 28 ." 25

Vgl. intertax 1975 S. 9 f. Z u r K o l l i s i o n der Zielsetzungen: „Verhinderung der Steuerflucht" m i t der Zielsetzung: „Vermeidung der D B " vgl. Endriss, S. 9 f. 27 Reinhold Hoch, „»Steuerflucht 4 -Löcher auch k ü n f t i g w e i t h i n offen", Frankfurter Rundschau v. 27.7.1972 bei: Jagdfeld StuW 1972 S. 258/263. 26

16 v. Beckerath

242

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

Nach Hollatz bringen die Durchgriffmaßnahmen nur weiteres Unterholz i n das ohnehin schon verschlungene Dickicht des Internationalen Steuerrechts: „Sie verschärfen die Komplikationen und die Rechtsunsicherheit i m internationalen Bereich zu Lasten des Steuerpflichtigen u n d hemmen seine Aktionsfreiheit auf den Auslandsmärkten. Schließlich beschwören sie reziproke Maßnahmen und steuerliche Retorsionen der betroffenen ausländischen Staaten 29 ." Nach Flume 30 ist das Außensteuergesetz teils überflüssig, teils nicht ernstzunehmen u n d stark angelehnt an die Regelungen unguter Zeiten. Der Hessenentwurf sei ein Zeugnis dafür, „welche totalitäre und rechtsstaatswidrige Gesinnung i n landesministeriellen Dokumenten schon wieder offen zur Schau gestellt werden kann". Auch Klaus Vogel äußerte sich kritisch gegenüber dem Außensteuergesetz: „Die Gefahr ,eines erneuten Aufflackerns eines juristischen Nationalismus u n d Isolationismus' ist damit selbstverständlich nicht ausgeschlossen, ausgeschlossen ist ebensowenig ein erneutes Aufflackern isolationistischer Tendenzen auf wirtschaftlichem Gebiet. F ü r den Bereich des Steuerrechts hat sich diese Gefahr zeitweilig angedeutet i n einer — ihre berechtigten Anlässe w e i t h i n t e r sich lassenden — A u f w a l l u n g der öffentlichen Debatte über die Fragen der Basisgesellschaften sowie der Steuerflucht. Neben einem verständlichen, wenngleich z . T . übersteigerten Fiskalismus sind hier Ansätze eines sozialpolitisch motivierten Neo-Chauvinismus z u m Vorschein gekommen, die m a n nicht ohne Aufmerksamkeit lassen sollte. Auch das i m ganzen schon wesentlich maßvollere neue Außensteuergesetz ist v o n solchen Tendenzen noch nicht ganz frei. M i t der v o m Grundgesetz intendierten ,Weltoffenheit' sind sie schwerlich i n Einklang zu bringen 3 1 ."

IL Das mit dem Durchgriff

bekämpfte

Steuerfluchtphänomen

Die Frage des Durchgriffs ist bei der Frage der Steuerflucht deswegen von erheblicher Bedeutung, w e i l der Grundsatz der Selbständigkeit von Körperschaften neben der Möglichkeit einer Verlegung des Wohnsitzes i n ein Steueroasenland eine der wesentlichen Möglichkeiten zur Steuerflucht bietet. 1. Die Basisgesellschaft als Steuerfluchtform Zentrale Bedeutung nimmt i n diesem Zusammenhang der Begriff der „Basisgesellschaft" ein 32 . 28 Salditt StuW 1972 S. 12/13; zur Effizienz des A S t G vgl. auch Rudolf, FS Bärmann, S. 773. 29 Hollatz A G 1965 S. 29/45; zur Systemlosigkeit des A S t G : Bellstedt, Die Besteuerung verflochtener Gesellschaften, S. 66. 30 Flume, „Das Steuerfluchtgesetz — Der Hessenentwurf diente als V o r lage", i m Handelsblatt v. 29.1.1971. 31 Klaus Vogel, Der ausländische A k t i o n ä r i n den Gesetzentwürfen der Körperschaftsteuerreform, S. 2.

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

243

a) Die Basisgesellschaft w i r d als das „klassische Instrument zur Nutzung der Steuervorteile der niedrig besteuernden Staaten" verstanden. Der Steuerpflichtige, der selbst i n einem Steuerfluchtland der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt, bedient sich der „Basisgesellschaft", u m der hohen Steuerbelastung i n seinem Wohnsitz- bzw. Sitzstaat dadurch auszuweichen, daß er sein Vermögen und seinen Gewinn nicht als seinen eigenen Gewinn der hohen Steuerbelastung i n dem Steuerfluchtland unterwirft, sondern Vermögen u n d Gewinn auf eine i n einem Steueroasenland ansässige „Basisgesellschaft" verlagert. Eine Verlagerung des Gewinns kann dabei etwa i n folgenden Formen erfolgen: Benötigt z.B. eine Konzernunternehmung i n Deutschland Rohstoffe oder Maschinen aus dem Ausland, so können diese über eine zum Konzern gehörige Basisgesellschaft aus dem Ausland bezogen werden, die als formal selbständiger Zwischenhändler auftritt. Bei einem überhöhten Verrechnungspreis zwischen zum Konzern gehöriger Basisgesellschaft u n d Konzernunternehmen i m Inland können Gewinne bei der ausländischen Basisgesellschaft verbleiben 33 . Eine andere Möglichkeit stellt die Einschaltung der Basisgesellschaft als Vermögensverwaltungsgesellschaft (als Holdinggesellschaft für das Halten von Beteiligungen, als Patentverwertungsgesellschaft oder als Verwaltungsgesellschaft für sonstige Vermögensteile) dar 3 4 . Bei der Patentverwertungsgesellschaft etwa überträgt der inländische Unternehmer Patente auf die ausländische Patentverwertungsgesellschaft, die dann auf Grund eines Lizenzvertrages — unter Umständen dem Unternehmer selbst — zur Verwertung überlassen werden. Die auf Grund dieses Vertrages von dem inländischen Unternehmen an die ausländische Patentverwertungsgesellschaft zu zahlenden Lizenzgebühren schmälern seinen inländischen, i m Steuerfluchtland zu versteuernden Gewinn. Ähnliche Möglichkeiten bieten sich etwa durch die Übertragung eines bestimmten Geldbetrages auf eine ausländische Gesellschaft, die diesen wiederum dem inländischen Steuerpflichtigen als Darlehen zur Verfügung stellt 3 5 .

32 Z u r Frage der „Basisgesellschaft" vgl. etwa: Großfeld, Basisgesellschaften i m Internationalen Steuerrecht; Sutter er, Die internationalen Basisgesellschaften; Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 76 ff.; Peter Müller, S. 25 ff.; Raupach, Durchgriff, S. 150 m. w . N. 38 Beispiele bei Seidel, S. 42; vgl. a u d i i. ü. allgemein zu diesem Fragenkreis Seidel, S. 41 ff. 84 Z u den verschiedenen Formen vgl. Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 80. 35 Vgl. hierzu Seidel, S. 43; vgl. auch Kluge, ebd., S. 82 ff.

16*

244

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

b) Voraussetzungen dafür, daß i n dieser Weise auf die ausländische Gesellschaft verlagerte Gewinne und Vermögen lediglich als Gewinn und Vermögen der ausländischen Körperschaft der Besteuerung i m Steueroasenland unterliegt und der Besteuerung i m Steuerfluchtland entzogen ist, sind i m einzelnen 36 : 1. Vermeidung der unbeschränkten Steuerpflicht a) Der betreffende Gewinn darf nicht als Gewinn des Anteilseigners der inländischen Steuerpflicht unterliegen. Voraussetzung dafür ist, aa) daß überhaupt eine „Gesellschaft" besteht 37 bb) daß diese „Gesellschaft" als Körperschaft von Deutschland steuerlich anerkannt w i r d (Qualifikationsproblem) b) Die „Körperschaft", auf die der Gewinn verlagert werden soll, darf nicht selbst der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen, darf also nicht Sitz oder Geschäftsleitung i m Inland haben. 2. Vermeidung der beschränkten Steuerpflicht Es muß etwa bei Einkünften aus Gewerbebetrieb die Annahme einer Betriebstätte i m Steuerfluchtland vermieden werden 38 . 3. Vermeidung von Gewinnausschüttungen Die von der Basisgesellschaft „erzielten" Einkünfte sind einer Besteuerung durch das Wohnsitzland des Anteilseigners nur solange entzogen, als sie nicht an die Anteilseigner ausgeschüttet werden. Die Anteilseigner werden deshalb zweckmäßig zunächst auf Ausschüttungen verzichten und den angefallenen Gewinn reinvestieren. Selbst wenn dann später der Gewinn ausgeschüttet wird, so hat die Basisgesellschaft i n der Zwischenzeit die Möglichkeit, sich den sogenannten Kumulationseffekt zu Nutze machen: Während bei sofortiger Besteuerung des gesamten Gewinns i m Land des Anteilseigners die zur Neuinvestierung bereitstehenden Beträge u m die zu zahlenden Steuern gekürzt werden, besteht für den Unternehmer, der sich einer Basisgesellschaft bedient, die Möglichkeit, nahezu den gesamten Gewinn (lediglich abzüglich einer etwaigen niedrigen Steuer i m Steueroasenland) zu investieren 39 . c) I m einzelnen soll die Basisgesellschaft durch folgende Merkmale gekennzeichnet

sein 40:

38

Vgl. hierzu auch Großfeld, S. 34 ff. Vgl. hierzu auch Wöhrle, Vorbem. zu §§ 7 ff. 38 Eingehend z u m Ganzen Großfeld, S. 24 ff. 39 Vgl. hierzu auch Debatin D S t Z / A 1964 S. 12; auch Kluge, nationale Steuerrecht, S. 18, 83 f. 40 Vgl. Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 78 ff. m. w . N. 37

Das I n t e r -

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

245

1. Errichtung oder Erwerb durch ausländische Kapitalgeber Die Basisgesellschaft werde von ausländischen (deutschen) Kapitalgebern errichtet bzw. erworben. Damit sie steuerpolitisch w i r k sam eingesetzt werden könne, müsse der Kapitalgeber i n der Lage sein, entsprechend der Rechtslage i m Basisstaat seinen Willen durchzusetzen 41 . 2. Aufgaben der Basisgesellschaft Nach Ansicht verschiedener Autoren kann die Basisgesellschaft jede betriebswirtschaftliche Funktion ausüben. Nach Kluge verträgt sich diese Auffassung jedoch schlecht m i t der Voraussetzung, daß die wirtschaftlichen Interessen der Auslandsbasis außerhalb des Sitzlandes liegen müssen. Produktionsgesellschaften etwa müßten deshalb aus dem Kreis der Basisgesellschaften ausscheiden42. 3. Wahl des Basislandes Nicht nur die Einkunftsverlagerung als solche kennzeichne die Basisgesellschaft, sondern das Ausweichen vor der höheren Steuerbelastung. Auslandsbasen könnten deshalb nur i n Steueroasenländern errichtet werden 43 . 4. Wahl der Rechtsform Überwiegend ist man der Ansicht, die Basisgesellschaft müsse m i t eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet sein 44 . Nach Striegel ist „grundsätzlich keine besondere zivilrechtliche Ausgestaltung notwendig" 4 5 . Nach Kluge bedarf es einer eigenen Rechtspersönlichkeit, da nur so die i n der Basis erzielten Gewinne von der inländischen Besteuerung abgeschirmt würden. Allerdings könnten Personengesellschaften u n d Betriebstätten unter bestimmten Voraussetzungen Basisfunktionen übernehmen 46 . 2. Die „Verlagerung"

als entscheidender

Anknüpfungspunkt

M i t dem Begriff der Basisgesellschaft w i r d das Problem, u m das es bei dem Durchgriff geht, sicherlich treffend angesprochen. Dennoch erscheint es nicht zweckmäßig, i m Rahmen der vorliegenden Untersuchung an den Begriff der Basisgesellschaft anzuknüpfen, den Durchgriff als ein M i t t e l zur Bekämpfung der Steuerflucht durch Basisgesellschaften anzusehen.

41 42 43 44 45 46

Rädler StuW 1964 S. 551 f. Vgl. Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 81. Anders Striegel, S. 19 („hauptsächlich"). Vgl. die Nachweise bei Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 81. Striegel, S. 19 f. Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 81.

246

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

a) Gegen die m i t dem Begriff der Basisgesellschaft verbundene Vorstellung erheben sich verschiedene Bedenken: aa) Der Begriff der Basisgesellschaft ist orientiert an dem Phänomen der (typischen) „Steuerfluchtgesellschaft". Kluge spricht davon, daß bei den Basisgesellschaften anders als bei den „Tochtergesellschaften normaler A r t " die Besteuerung „den entscheidenden Faktor bei der Entscheidung über Errichtung oder Nichterrichtung der Gesellschaft" darstelle. Bei der Basisgesellschaft ergebe die Gesellschaftsgründung i m Ausland ohne die steuerliche Entlastung keinen Sinn 4 7 . Diese Orientierung an der Steuerfluchtgesellschaft, die nur oder nahezu ausschließlich der Steuerflucht dient, trägt jedoch nicht ausreichend dem U m stand Rechnung, daß es n u r u m die Verlagerung des Gewinns auf die ausländische Körperschaft geht. Ob diese ausländische Körperschaft ausschließlich einem derartigen Zweck dient oder grundsätzlich w i r t schaftlich a k t i v tätig ist, kann keine entscheidende Rolle spielen. Der Begriff der Basisgesellschaft ist nicht nur insoweit zu eng, als er die Gewinnverlagerung auf aktiv tätige „Gesellschaften" nicht erfaßt, sondern w i r k t auch insoweit irreführend, als er davon ablenkt, daß es u m die „Verlagerung" des Gewinns geht, u n d daß auch an diesen Gesichtspunkt angeknüpft werden muß. Der Begriff der Basisgesellschaft erscheint orientiert an der Frage der Nichtanerkennung bestimmter Gesellschaften bzw. der Besteuerung dieser Gesellschaften i m Inland. Gerade eine derartige Nichtanerkennung hat sich aber i m Hinblick auf die Möglichkeit, i n der Gesellschaft eine wirtschaftliche A k t i v i t ä t zu entwickeln, als weitgehend ineffektiv erwiesen. Das Außensteuergesetz spricht deshalb auch nicht mehr von „der" Zwischengesellschaft, sondern es gibt lediglich i m Sinne einer Zurechnung „Einkünfte, für die eine ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist". bb) Weitere Bedenken gegen die Anknüpfung an den Begriff „Basisgesellschaft" ergeben sich daraus, daß dieser Begriff aus den verschiedenen Möglichkeiten der Verlagerung von Steuersubstanz auf ausländische „Rechtsträger" auswählt. (1) Auszugehen ist von den verschiedenen Möglichkeiten, die sich dem Steuerpflichtigen zur Steuerflucht bieten. W i l l der Steuerpflichtige der hohen Steuerbelastung i n Deutschland entgehen, so muß er der unbeschränkten Steuerpflicht ausweichen. Dieses primäre Ziel einer Vermeidung der unbeschränkten Steuerpflicht kann er erreichen: 1. indem er seinen Wohnsitz (Sitz und Geschäftsleitung) i n ein Steueroasenland verlegt oder

47

Kluge, ebd., S. 78.

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

247

2. indem er Einkünfte u n d Vermögen auf einen Rechtsträger i m Ausland verlagert, der diese Steuersubstanz dann als seine Einkünfte bzw. Vermögen der niedrigen Besteuerung i m Steueroasenland unterwirft. Als derartige ausländische „Rechtsträger" bieten sich an: a) eine natürliche Person m i t Wohnsitz i m Ausland (Strohmann) b) eine „juristische" Person (im untechnischen Sinne), und zwar aa) eine Betriebstätte oder Personengesellschaft (bei diesen Formen stellt sich nur das Problem, daß der Betriebstättenbegriff sehr stark wirtschaftlich ist u n d eine Abschirmung vor der Besterung des Steuerfluchtlandes nur eintritt, wenn dieses der Freistellungsmethode folgt) bb) eine Körperschaft (an der der Steuerpflichtige nicht notwendig beteiligt zu sein braucht) (2) Geht man von diesen verschiedenen Möglichkeiten aus, Steuergut i n ein Steueroasenland zu verlagern, so w i r d man nichts dagegen einwenden können, daß zwischen den verschiedenen theoretischen Möglichkeiten unterschieden und nur auf eine typische und praktisch relevante Steuerfluchtform abgestellt wird. Zu kritisieren ist jedoch, daß keine Klarheit darüber besteht, daß m i t dem Begriff der Basisgesellschaft bereits eine Auswahl getroffen wird, auf jeden Fall die Verlagerung von Steuersubstanz auf eine natürliche Person ausgeschaltet wird. Diese Unklarheit hat dazu geführt, den Ansatzpunkt des Durchgriffs von vornherein falsch zu setzen, nämlich bei demjenigen, auf den die Steuersubstanz verlagert w i r d (der Basisgesellschaft), statt bei demjenigen, der sie verlagert hat. Zum anderen besteht keine Klarheit darüber, welche Rechtsformen m i t dem Begriff der Basisgesellschaft erfaßt werden; ob es auf die zivilrechtliche oder die steuerliche Selbständigkeit ankommt, ob nur „Körperschaften" oder auch Betriebstätten und Personengesellschaften von dem Begriff der Basisgesellschaft umfaßt werden 48 . cc) Schließlich sind auch die einzelnen Merkmale, «die für das Vorliegen einer Basisgesellschaft verlangt werden, einerseits zu unbestimmt u n d andererseits auch zu wenig i n Richtung auf eine Rechtsfolge orientiert, deren Ziel eine Steuerfluchtbekämpfung ist 4 9 . 48 Vgl. auch Schulze-Osterloh Z H R 140 [1976] S.46/47: „ . . . i s t die T e r minologie (»Basisgesellschaft 4 — der Verf.) insofern irreführend, als es sich nicht u m Gesellschaften handeln muß, vielmehr ist jedes Gebilde als ,Basisgesellschaft 4 geeignet, das einen steuerrechtlichen Durchgriff auf die A n t e i l s eigner ausschließt"; vgl. i m übrigen auch Schulze-Osterloh (ebd. S. 46) dazu, daß es auf die Eigenschaft als Körperschaft ankommt („Kapitalgesellschaften u n d sonstige Körperschaften"). 49 Vgl. hierzu auch Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 7 : „ I m übrigen wäre der Versuch einer genauen Abgrenzung w e n i g fruchtbar, da es an

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I I I . 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

Zunächst w i r d gefordert, die Basisgesellschaft müsse durch ausländische Kapitalgesellschaften errichtet ibzw. erworben sein. Wenn hierm i t als Merkmal der Basisgesellschaft angesprochen wird, der ausländische Kapitalgeber müsse i n der Lage sein, entsprechend der Rechtslage i m Basisstaat seinen Willen durchzusetzen, so w i r d damit nur eine Voraussetzung genannt, die regelmäßig (nicht notwendig!) erfüllt sein muß, u m die betreffende Gesellschaft als Steuerfluchtgesellschaft für den Steuerpflichtigen geeignet erscheinen zu lassen. Für die Frage, ob ein (zu bekämpfender) Fall der Steuerflucht vorliegt, liefert dieses Merkmal nur die unbestimmte Aussage, daß der Steuerpflichtige solche Gesellschaften zur Steuerflucht benutzt, bei denen i h m die Verfügungsmöglichkeit über sein verlagertes Steuergut verbleibt. Auch das Merkmal, daß die typische Basisgesellschaft wirtschaftliche Interessen außerhalb des Basislandes verfolge, dient mehr der Beschreibung der regelmäßigen Form der Basisgesellschaft, denn daß dieses Merkmal geeignet wäre, hieran konkrete Rechtsfolgen zu knüpfen. Entsprechendes gilt für die Frage der Aufgaben der Basisgesellschaft. Wenn manche Autoren der Ansicht sind, die Basisgesellschaft könne „jede betriebswirtschaftliche Funktion" übernehmen, so zeigt dies, daß der Begriff der Basisgesellschaft kaum als Tatbestandsmerkmal eines Steuerfluchttatbestandes formuliert ist. b) Das Steuerfluchtphänomen, m i t dem sich der Durchgriff beschäftigt, ist vielmehr dahingehend zu fassen, daß Vermögen und Gewinn von einem i m Inland unbeschränkt Steuerpflichtigen auf eine ausländische Körperschaft „verlagert" und so der inländischen Besteuerung entzogen werden. aa) Festzuhalten ist hierbei, daß m i t der Frage der Verlagerung von Vermögen u n d Gewinn durch einen i m Inland unbeschränkt Steuerpflichtigen auf eine ausländische Körperschaft, an der er als Anteilseigner beteiligt ist, nur ein bestimmter Teilbereich eines Problemkreises (behandelt w i r d : 1. Eine Steuerpflicht ist, wie bereits angesprochen, auch durch Verlagerung des Steuergutes auf eine ausländische Betriebstätte oder eine i m Ausland ansässige natürliche Person (Verwandter, befreundeter Unternehmer, Beauftragter, Strohmann) denkbar. 2. Ebenso muß der Steuerpflichtige, der Vermögen oder Gewinn der inländischen Besteuerung entziehen w i l l , nicht notwendig Anteilseigner der ausländischen Körperschaft sein, auf die er das Steuergut verlagern w i l l . (Gläubiger der ausländischen Körperschaft?)

zwingenden Rechtsfolgen fehlt, an denen die Definition rückschließend zu messen wäre."

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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Das Problem der Verlagerung von Steuergut auf eine ausländische Körperschaft, an der der Steuerpflichtige selbst als Anteilseigner beteiligt ist, ist also kein spezifisches Problem des Verhältnisses von Körperschaft und Anteilseigner. Es geht vielmehr darum, daß man bei einem i n einem Steueroasenland ansässigen Rechtssubjekt fragt, ob nicht der inländische Steuerpflichtige „dahinter steht" u n d er Vermögen older Gewinn nicht geschäftlich „verloren", sondern ins Ausland „verlagert" hat. Es geht insoweit u m einen Durchgriff i m weiteren Sinne, aus dem ein Teilbereich erörtert wird. bb) Es erscheint aber berechtigt, allein den Teilbereich der Verlagerung von Steuervorteilen auf ausländische Körperschaften durch ihre inländischen Anteilseigner zu behandeln. Diese Beschränkung rechtfertigt sich nicht allein von der vorgenommenen Beschränkung der vorliegenden Untersuchung auf die Frage des Durchgriffs bei K ö r perschaften 50 . Es w i r d vielmehr diese Beschränkung des Themas selbst bestätigt dadurch, daß allein die Frage der Verlagerung von Steuergut auf ausländische Körperschaften durch inländische Anteilseigner bisher von praktischem und theoretischem Interesse war. Es hat bisher weder die Frage der Verlagerung von Steuergut auf ausländische Betriebstätten oder i m Ausland ansässige natürliche Personen noch die Frage der Verlagerung von Steuergut auf ausländische Körperschaften durch andere als die Anteilseigner praktische oder theoretische Bedeutung gehabt. Die m i t ihrer Eigenschaft als „bloß" juristische Person verbundene Abhängigkeit der Körperschaft von ihren Anteilseignern läßt sie als besser geeignet erscheinen als die natürliche Person. Die Betriebstätte ihrerseits entfaltet nur dann eine für die Steuerflucht notwendige Abschirmwirkung, wenn von Seiten des deutschen Außensteuerrechts die sogenannte Freistellungsmethode angewandt wird. M i t den Steueroasenländern bestehen aber regelmäßig keine DBA, i n denen eine derartige Vereinbarung enthalten wäre. B. Der Durchgriff auf Grund der allgemeinen Vorschriften

Man könnte bezweifeln, ob die allgemeinen Vorschriften (die Generalklauseln des früheren StAnpG, der heutigen AO, sowie einzelne Vorschriften des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes wie etwa die über verdeckte Gewinnausschüttungen) heute, nach Erlaß des Außensteuergesetzes, überhaupt noch für die Bekämpfung der Steuerflucht von Bedeutung sind. Immerhin haben sich die allgemeinen Vorschriften als zu einer wirkungsvollen Bekämpfung der Steuerflucht ungeeignet erwiesen und wurde gerade wegen der mangelnden Effizienz der allgemeinen Vorschriften das Außensteuergesetz 50

Vgl. hierzu im Teil I.

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

als ein Gesetz m i t speziellen Regelungen zur Bekämpfung der Steuerflucht erlassen 51 . So enthält das Außensteuergesetz i n den §§ 7 ff. AStG vor allem eine detaillierte Regelung zur Bekämpfung der sogenannten „Basisgesellschaften". E i n Rückgriff auf die nur schwer zu konkretisierenden allgemeinen Steuerrechtsnormen könnte sich damit — zumindest bei der Frage der Nichtanerkennung der Körperschaft — erübrigen. Nach Schulze-Osterloh soll i n der Tat keine Möglichkeit und kein Anlaß mehr bestehen, die Errichtung von Basisgesellschaften wegen ihrer besonderen Funktion als Rechtsmißbrauch zu werten, der nach § 6 StAnpG ( = 42 AO η. F.) dazu führen würde, i n steuerlicher Hinsicht von dem Bestehen der Gesellschaft überhaupt abzusehen und auf ihre Gesellschafter durchzugreifen 52 . Das Außensteuergesetz sei für seinen Regelungsbereich lex specialis gegenüber den allgemeinen Vorschriften 5 3 . Zu Recht hat dem jedoch Debatin widersprochen: Da die Vorschriften des Außensteuergesetzes „Rechtsfolgen für bestimmte Tatbestände aussprechen", setzten sie voraus, daß diese Tatbestände i n der steuerlichen Wertung auch tatsächlich zu beachten sind. Fehle es daran, w e i l der i n Betracht stehenden Rechtsgestaltung die steuerliche Anerkennung zu versagen sei, so entfalle insoweit auch die tatbestandliche Voraussetzung für die i m Außensteuergesetz festgelegten Rechtsfolgen. Die allgemeinen Gesetzesvorschriften über die steuerliche Nichtanerkennung stünden „ i m Vorhof der neuen Gesetzgebung" 54 . Diesen Ausführungen von Debatin ist zuzustimmen: Auch wenn das Außensteuergesetz lex specialis ist, so bedeutet dies doch nichts anderes, als daß dann, wenn eine Normenkollision vorliegt, die Normen des Außensteuergesetzes vorgehen. Eine derartige Kollisionslage liegt aber gerade nicht vor. Die §§ 7 ff. AStG greifen tatbestandlich erst dann ein, wenn eine „wirksame" Körperschaft vorliegt 5 5 .

61

Kreile B B 1971 S. 53. Schulze-Osterloh Z H R 140 (1976) S. 46/49. 53 So Schulze-Osterloh (ebd.) unter Berufung auf T i p k e i n Tipke/Kruse, § 6 StAnpG, A n m . 4; u n d Bellstedt, Die Besteuerung international verflochtener Gesellschaften, S. 328. 54 Debatin D S t Z / A 1972 S. 266; Flick A W D 1973 S. 501. 55 So auch: Großfeld, S. 124; Rudolf, FS Bärmann, S. 772; Flick A W D 1973 S. 501; Fischer/Warneke, S. 82. 52

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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I. Die nach den tatbestandlichen Voraussetzungen der allgemeinen Vorschriften gegebenen Möglichkeiten für eine Bekämpfung der Steuerflucht Als eine der größten Schwierigkeiten hat es sich i m Zusammenhang mit der Anwendung der allgemeinen Vorschriften erwiesen, die Frage zu klären, inwieweit die allgemeinen Vorschriften überhaupt von ihren tatbestandlichen Voraussetzungen her für eine Bekämpfung der Steuerflucht i n Frage kommen. Nach dem zuvor Gesagten besteht auch nach dem Erlaß des Außensteuergesetzes die Notwendigkeit zur Klärung dieser Voraussetzungen fort. Verwaltung, Rechtsprechung und Lehre sind sogar i m Grunde dadurch, daß der Gesetzgeber die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf die allgemeinen Vorschriften bewußt aufrechterhalten hat, nunmehr i n besonderem Maße zu einer Lösung der bestehenden Auslegungsschwierigkeiten aufgerufen. I n jedem Fall kann es keine Lösung der bestehenden Probleme darstellen, zwar grundsätzlich die Notwendigkeit einer vorrangigen Prüfung der allgemeinen Vorschriften anzuerkennen, i m praktischen Ergebnis aber diese jeweils zu übergehen und i n jedem Fall die Vorschriften des Außensteuergesetzes anzuwenden. Man w i r d sich m i t den bestehenden Auslegungsschwierigkeiten auseinandersetzen müssen. Bei einer derartigen Auseinandersetzung mit den allgemeinen Vorschriften w i r d man grundsätzlich zwei Formen der Anwendung der allgemeinen Vorschriften zur Bekämpfung der Steuerflucht durch Verlagerung von Steuergut auf ausländische Körperschaften unterscheiden können: einmal kann i n gewissen Fällen auf Grund der allgemeinen Vorschriften eine völlige Nichtanerkennung der ausländischen Körperschaft in Frage kommen (hierzu unter 1), zum anderen kommt eine Nichtanerkennung einzelner Geschäftsvorfälle i n Betracht (hierzu unter 2). 1. Die Nichtanerkennung der ausländischen Körperschaft Durch die ausnahmsweise Nichtanerkennung der ausländischen K ö r schaft w i r d Gewinn und Vermögen der ausländischen Körperschaft steuerlich als Gewinn und Vermögen des Anteilseigners angesehen und damit bei der Besteuerung des Anteilseigners i m Inland berücksichtigt. a) Als eine erste Möglichkeit einer Nichtanerkennung ausländischer Körperschaften kommt die Vorschrift des §41 I I AO, des früheren § 5 I StAnpG, über Scheingestaltungen i n Betracht. Nach § 41 I I AO sind Scheingeschäfte und Scheinhandlungen für die Besteuerung unerheblich.

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aa) M i t der Frage einer Anwendung des § 5 I StAnpG auf Basisgesellschaften hat sich vor allem Striegel auseinandergesetzt. Er hat versucht, Kriterien zu entwickeln, bei deren Vorliegen eine unbeachtliche Scheingestaltung gegeben sein soll 56 . Ausländische Basisgesellschaften sollen als Scheingestaltungen steuerlich nicht anzuerkennen sein, wenn sie nur scheinbar, nicht aber i n Wirklichkeit bestehen und nicht gewollt sind. „ E i n konkreter Sachverhalt — die Auslandsbasis als Träger betriebswirtschaftlicher Funktionen — w i r d vorgetäuscht, der tatsächlich nicht existiert. Der nach außen h i n auftretende Rechtsträger soll nach dem Willen der Beteiligten nicht gelten 57 ." Ein Unternehmen ohne betriebliche Funktion sei eine steuerlich unbeachtliche Scheingestaltung 58 . Es verkörpere eine „vorgeschobene Rechtsfigur ohne wirtschaftlichen Inhalt" 5 9 . Die formell ausgegliederte Funktion sei m i t der tatsächlich übertragenen Aufgabe zu vergleichen. Ein ausländisches Dienstleistungsunternehmen sei z.B. eine Scheingestaltung, wenn die Dienste vom inländischen Mutterunternehmen erbracht werden und der ausländische Rechtsträger lediglich Rechnungen ausstellt und Zahlungen empfängt. Der vorgeschobene Rechtsträger erbringt keine Leistung; er entlarve sich als „hohle Fassade". Entspreche der einer Auslandsbasis übertragene Wirkungskreis der ausgegliederten Funktion, so sei zu klären, ob diese Aufgabe tatsächlich auch von ihr und nicht von anderen Gliedern des Unternehmensverbandes ausgeübt werde. Daraus könne ebenfalls geschlossen werden, ob die Gestaltung ernstlich gewollt sei oder nicht. Würden die auf die Basis delegierten Aufgaben i n Wirklichkeit von der Basis nicht übernommen, so liege eine Scheingestaltung vor. E i n Rechtsträger, der nicht tätig werde, sei ein Scheingebilde und gemäß § 5 StAnpG nicht anzuerkennen. Allgemein liege der Verdacht einer Scheingestaltung immer dann nahe, wenn die Basis effektiv i n geringem Ausmaß tätig werde 60 . bb) Es erscheint aber zweifelhaft, ob man tatsächlich i n dem von Striegel bezeichneten Umfang über § 5 I StAnpG bzw. heute über § 41 I I AO η. F. zu einer Nichtanerkennung von „Steuerfluchtgesellschaften" kommen kann. (1) Striegel spricht davon, bei den Gesellschaften, die nach §5 1 StAnpG nicht anerkannt werden sollen, werde ein „konkreter Sachverhalt vorgetäuscht, der tatsächlich nicht existiert". Diese Äußerung be56 57 58 59 80

Vgl. Striegel, Steuerflucht durch Basisunternehmen, S. 76 fï. Striegel, S.U. Striegel, ebd. Striegel, S. 78 unter Berufung auf F G München EFG 1976 S. 116. Striegel, S. 82.

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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darf zumindest einer Präzisierung: Wenn lediglich das Bestehen einer Gesellschaft gegenüber der Finanzverwaltung vorgetäuscht wird, so fehlt es an einem Schein-„Geschäft" oder einer Schein-„Handlung". Es liegt eine bloße Täuschung der Finanzverwaltung vor. Einer Nichtanerkennung eines bestimmten „Geschäftes" oder einer bestimmten „Handlung" bedarf es nicht. (2) Auch ein weiterer Punkt bedarf der Klärung: Ob ein Scheingeschäft vorliegt, kann sich grundsätzlich nur nach den subjektiven Vorstellungen der Beteiligten entscheiden. Bei den Ausführungen von Striegel entsteht der Eindruck, als ob hier letztlich doch objektive Merkmale zur Annahme eines Scheingeschäftes ausreichten. Zwar kann auf den Willen der Beteiligten, ein Scheingeschäft zu tätigen, nur aus äußeren Tatsachen geschlossen werden. „Aber die genannten Kriterien werden hier längst nicht mehr als Vermutungen angesehen, sondern m i t ihnen w i r d der Tatbestand des Scheingeschäfts selbst ausgefüllt 81 ." (3) Vor allem aber erscheint auch fraglich, ob die von Striegel entwickelten Kriterien überhaupt als Indizien für das Vorliegen eines Scheingeschäfts geeignet sind. Nach Striegel soll die fehlende betriebswirtschaftliche Funktion eines Unternehmens ein K r i t e r i u m für die Annahme eines Scheingeschäfts sein. Die fehlende betriebswirtschaftliche Funktion einer Gesellschaft kann aber nur dann ein K r i t e r i u m für die Annahme einer Scheingestaltung sein, wenn eine derartige betriebswirtschaftliche Funktion überhaupt Voraussetzung für das Vorliegen einer Gesellschaft ist. Besteht die Möglichkeit, eine Gesellschaft zu gründen, ohne daß dieser eine „eigene betriebswirtschaftliche Funktion" zukommen muß, so kann man aus dem Fehlen dieser Funktion nicht darauf schließen, daß eine Scheingestaltung gegeben ist. Es liegt bei Fehlen einer derartigen Funktion keine Scheingestaltung vor, sondern die Gesellschaft ist auch i n diesem Fall nicht weniger als das, was sie zu sein vorgibt. Die maßgeblichen Voraussetzungen für die Gründung der Gesellschaft können sich dabei nur aus dem Recht des Staates ergeben, in dem sie errichtet worden ist 8 2 . Daß das Gesellschaftsrecht der ausländischen Gründungsstaaten aber eine „eigene betriebswirtschaftliche Funktion" verlangt, w i r d man w o h l zu Recht bezweifeln. Geht man vom deutschen GmbH- und Aktiengesetz aus, hinter dem das Recht der Steueroasenländer i n seinen Anforderungen wohl eher zurückbleiben dürfte, so läßt sich feststellen, daß hier nur 61

Kluge StuW 1976 S. 101/103. Vgl. auch Kluge, ebd., S. 101/102: „ N u r das f ü r die jeweils gewählte Gesellschaftsform geltende Recht k a n n darüber Auskunft geben, welche V o r aussetzungen f ü r die Entstehung dieser Gesellschaft gegeben sein müssen u n d bei welchen fehlenden, w e i l n u r scheinbar gegebenen Voraussetzungen eine Scheingründung gegeben ist." 02

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die Angabe eines Zwecks der Gesellschaft verlangt wird, aber nirgends die Forderung erhoben wird, daß dieser Zweck so beschaffen sein muß, daß er einen charakteristischen betriebswirtschaftlichen Aufgabenkreis zu umfassen habe®8. Eine andere Frage ist es, ob man ein Scheingeschäft annimmt, wenn über die Frage der betrieblichen Funktion bei der Gründung eine positive Erklärung abgegeben w i r d (— ohne daß dies für eine Gründung einer Gesellschaft grunsdätzlich notwendig wäre —), diese Funktion von der Gesellschaft aber nunmehr nicht ausgefüllt wird. Striegel spricht insoweit davon, daß die auf die Basis delegierten Aufgaben in Wirklichkeit nicht wahrgenommen werden. Ein derartiger F a l l eines Scheingeschäftes erscheint denkbar, wenn die Beteiligten allein schon aus steuerlichen Gründen, u m die Finanzverwaltung zu täuschen, einen Gesellschaftsvertrag schließen, der auf eine aktiv tätige Gesellschaft hindeutet, etwa durch Vereinbarungen persönlicher Pflichten, wie der Pflicht zur Einlage von Vermögensgegenständen, entsprechende Gesellschaftsbezeichnung und Angabe eines entsprechenden Gesellschaftszwecks. Wenn bei einer derartigen Gründung sich nunmehr die Gesellschaft als bloße „Briefkastengesellschaft" darstellt, die von den Gesellschaftern i m Gründungsvertrag versprochenen Leistungen nicht erbracht werden, die angegebene gesellschaftliche Tätigkeit nicht ausgeübt wird, so könnte man annehmen, daß die Gründung der Gesellschaft nur zum Schein erfolgt ist®4. Für den Regelfall w i r d man aber davon ausgehen müssen, daß ledig bezüglich A r t und Tätigkeit der Gesellschaft ein Schein erzeugt werden sollte, nicht dagegen, daß die Beteiligten überhaupt keine Gesellschaft zur Entstehung bringen wollten. Die Beteiligten werden allein schon aus steuerlichen Gründen auch i n diesem F a l l tatsächlich eine zivilrechtlich gültige Gesellschaft gründen wollen, werden lediglich über die A r t dieser Gesellschaft — daß es sich u m eine bloße Steuerfluchtgesellschaft handelt — hinwegtäuschen wollen. Selbst wenn man die zum Schein abgegebenen Erklärungen außer Betracht läßt, bleibt die Gesellschaft als das „verdeckte" Geschäft als w i r k l i c h gew o l l t bestehen. Zusammenfassend läßt sich danach feststellen, daß eine „Basisgesellschaft" auch i n Form einer reinen Briefkastengesellschaft® 5 gegründet werden kann, ohne daß es notwendig wäre, für die Gründung erforderliche Erklärungen nur zum Schein abzugeben. Soweit Erklärungen nur zum Schein abgegeben werden, lassen diese i m allgemeinen den Willen, 63

Kluge, ebd., S. 101/103. Vgl. auch Kluge, ebd., S. 101/103 „Erst w e n n sich zeigt, daß die v o n den Gesellschaftern i m Gründungsvertrag übernommenen persönlichen Pflichten w i e die Pflicht zur Einlage v o n Vermögensgegenständen usw. nicht erbracht werden, wäre an eine Scheingründung zu denken." 65 Vgl. hierzu auch Kluge, ebd., S. 101/103. 64

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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überhaupt eine Gesellschaft zu gründen, unberührt. „Den Gründern geht es zumeist gerade u m die Gründung einer zivilrechtlich gültigen Gesellschaft, w e i l sie — wenn auch eventuell nur zu steuerlichen Zwekken — die Gesellschaft i n ihre Beziehungen einschalten wollen® 6." b) Als weitere Möglichkeit zur Bekämpfung der Steuerflucht wurde weitgehend die wirtschaftliche Betrachtungsweise angesehen, die bis zum Inkrafttreten der AO 1977 noch ausdrücklich i n § 1 II, I I I StAnpG genannt war. Nach Debatin®7 kann die wirtschaftliche Betrachtungsweise dazu führen, die rechtliche Selbständigkeit einer Gesellschaft steuerlich unbeachtet zu lassen, wenn sie m i t den wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht zu vereinbaren ist. Es müsse sich dabei u m Fälle handeln, i n denen die Rechtsform und die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse i n einer Weise auseinanderfallen, daß die rechtliche Selbständigkeit der Gesellschaft nur noch inhaltloser Rechtsschein ist. Auch Großfeld stellt i m Zusammenhang m i t der Frage der wirtschaftlichen Betrachtungsweise fest, dem Recht könne es nicht u m die Anerkennung leerer rechtlicher Hüllen ohne ein zugrunde liegendes sachliches Substrat gehen. Es gehe nicht u m die juristische Person als solche, sondern u m die konstruktive Verdichtung eines tatsächlich bestehenden Sozialgebildes, des Unternehmens. Der Gesellschaft sei die Anerkennung zu versagen, wenn die Gesellschaft keine eigentätige wirtschaftliche Funktion habe®8. Eine Nichtanerkennung von ausländischen „Steuerfluchtgesellschaften" auf Grund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise könnte jedoch nur i m Rahmen einer Auslegung der § § 1 , 2 K S t G erfolgen 69 . Es würden auf Grund einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise bestimmte „Steuerfluchtgesellschaften" nicht als Körperschaft i m Sine der §§ 1, 2 K S t G angesehen. Eine derartige „wirtschaftliche Betrachtungsweise" bei der Auslegung der i n §§ 1, 2 K S t G aufgeführten Begriffe ist jedoch allgemein abzulehnen: „Das Körperschaftsteuergesetz erfaßt alle w i r t schaftlichen Veranstaltungen, denen das bürgerliche Recht die Bezeichnung einer juristischen Person gibt 7 0 ." Ausländische juristische Personen sind gemäß § 1 und § 2 K S t G als solche Steuersubjekt. Ihnen kann nicht unter Berufung auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise die Anerkennung versagt werden 71 . Aus §§ 1 und 2 K S t G lassen sich keine Kriterien dafür gewinnen, wann ausländische juristische Personen wirtschaftlich ββ

Großfeld, S. 71. C D D F J Vol. X L I X b, H a m b u r g 1964, S. 101/112. 88 Großfeld, S.72. 69 Eine Nichtanerkennung auf G r u n d der wirtschaftlichen Betrachtungsweise wäre damit w o h l k e i n Durchgriff, sondern wäre dem Durchgriff v o r gelagert als eine Frage der Auslegung des Grundsatzes der Selbständigkeit. 70 Kruse, Steuerrecht A T , S. 105; vgl. auch Kluge StuW 1976 S. 101/104. 71 Rädler/Raupach D S t Z / A 1968 S. 244/251; Raupach, Durchgriff, S. 157. 67

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nicht als solche anerkannt werden sollten. Nichts anderes w i r d man auch daraus herleiten können, daß es sich bei den i n Frage stehenden „Steuerfluchtgesellschaften" um Gebilde ausländischen Rechts handelt 72 . Bei ausländischen Gebilden w i r d man nicht i n stärkerem Maße eine wirtschaftliche Betrachtungsweise anwenden dürfen als bei inländischen Gebilden. Auch hier w i r d man auf den Gesellschaftstyp, nicht die einzelne Gesellschaft abzustellen haben 73 . c) Als weitere Möglichkeit zur Nichtanerkennung ausländischer Gesellschaften kommt § 42 AO, der frühere § 6 StAnpG, i n Betracht. Nach § 42 AO kann durch Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Der Steueranspruch entsteht so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. aa) Nach dem Oasenerlaß ist der Einschaltung des ausländischen Rechtsträgers nach § 6 StAnpG bzw. § 42 AO die steuerliche Anerkennung zu versagen, wenn er keine wesentliche eigene wirtschaftliche Funktion hat, sondern sich vornehmlich als Stützpunkt für die Verlagerung von Vermögen oder Einkünften ins Ausland darstellt 74 . Ob ein Mißbrauch vorliege, könne nur nach den Umständen des Einzelfalles entschieden werden. A u f der einen Seite stünden die Fälle, i n denen zum Beispiel unbeschränkt Steuerpflichtige i n sogenannten Steueroasenländern über beherrschte Gesellschaften Produktionstätigkeiten ausübten. Hier könne ein Rechtsmißbrauch selbst dann nicht bejaht werden, wenn die Produktionstätigkeit lediglich aus Gründen der geringeren Besteuerung verlagert worden sei. A u f der anderen Seite stünden die Fälle, i n denen die wirtschaftliche Beziehung m i t dem Inland i n ihrem wesentlichen Gehalt unverändert bleibe und daher die gewählte Rechtskonstruktion schon i n sich so ungewöhnlich sei, daß der Mißbrauch offenkundig sei. Der Steueroasenerlaß ist jedoch, soweit er sich m i t der Frage der Anwendung des § 6 StAnpG (§ 42 AO η. F.) beschäftigt, zu Recht als sehr allgemein und unbestimmt kritisiert worden. Es kehrt nicht nur das 72

So auch Kluge StuW 1976 S. 101/104; ders. R i W 1975 S. 525. Hierzu auch bereits bei der Frage der Qualifikation. 74 Oasenerlaß v. 14.6.1965, BStBl. 1965 I I S. 74/75. Der Oasenerlaß beschäftigt sich n u r m i t der Frage, ob der „Einschaltung" ausländischer Rechtsträger die Anerkennung zu versagen ist. Gegenstand des Oasenerlasses sind damit nach allgemeiner Ansicht n u r die einzelnen Rechtsbeziehungen zu ausländischen Rechtsträgern. Nicht behandelt werde die Frage der g r u n d sätzlichen steuerlichen Anerkennung oder Nichtanerkennung der ausländischen juristischen Person (hierzu etwa: Rädler/Raupach D S t Z / A 1968 S. 249/250). Demgegenüber ist jedoch die „wirtschaftliche F u n k t i o n " eines Rechtsträgers ein M e r k m a l , das sich generell auf den Rechtsträger selbst bezieht (so auch RädlerIRaupach, ebd., S. 254). 73

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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Merkmal der fehlenden „wesentlichen eigenen wirtschaftlichen Funktion" i n ähnlicher Form i n den Ausführungen zu § 5 StAnpG und zu § 1 II, I I I StAnpG wieder. Der Oasenerlaß versäumte es auch, konkret auf die Tatbestandmerkmale des Steuerumgehungstatbestandes einzugehen, die Bedeutung der „wesentlichen eigenen wirtschaftlichen Funktion" i m Rahmen des Umgehungstatbestandes herauszustellen und dieses Merkmal näher zu präzisieren 75 . bb) Der B F H hat sich nach dem Oasenerlaß i n mehreren Entscheidungen m i t der Frage der Anwendung von §6 1 StAnpG, dem heutigen § 42 AO, auf Basisgesellschaften beschäftigt und versucht, die i m Oasenerlaß angeführten Kriterien zu präzisieren. Nach der Rechtsprechung des B F H liegt allgemein ein Rechtsmißbrauch i m Sinne des § 6 StAnpG dann vor, wenn eine Gestaltung gewählt w i r d , die, gemessen an dem erstrebten Ziel, „unangemessen" ist und wenn hierdurch ein steuerlicher Erfolg angestrebt wird, der bei sinnvoller, Zweck und Ziel der Rechtsordnung berücksichtigender Auslegung vom Gesetz mißbilligt w i r d 7 6 . Basisgesellschaften im Ausland erfüllten den Tatbestand des Rechtsmißbrauchs vor allem dann, wenn für ihre Errichtung wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet wird 17. (1) Auch diese Definition erscheint aber nicht unproblematisch 78 . Der B F H stellt bei seiner Formulierung: Basisgesellschaften erfüllen den Tatbestand des Rechtsmißbrauchs vor allem dann, wenn für ihre Errichtung wirtschaftliche Gründe fehlten (und keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet wird), auf das Motiv bei der Gründung ab. (a) Kluge hält dem die Frage entgegen, was wäre, wenn die zunächst nicht anerkannte Gesellschaft Geschäfte abschlösse, die steuerlich nicht zu beanstanden wären 7 9 . Auch Debatin meint, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß eine nach ausländischem Recht errichtete zunächst nicht anerkannte Basisgesellschaft später m i t steuerlich anzunehmenden Rechtsbeziehungen eingeschaltet w i r d 8 0 . Wenn die miß75

Vgl. hierzu vor allem Rädler/Raupach D S t Z / A 1968 S. 249/254. B F H BStBl. 1966 I I I 509. 77 So zuletzt B F H v. 21.1.1976 i n FR 1976 S. 362 unter Hinweis auf B F H v. 17.7.1968 = BStBl. 1968 I I S. 695 u n d v. 29.1.1975 = BStBl. 1975 I I S. 553. 78 Allerdings scheint die K r i t i k v o n Kluge (StuW 1976 S. 101/106) insoweit nicht berechtigt, als er dem B F H v o r w i r f t , er sehe bereits die Gründung einer Auslandsgesellschaft — jedenfalls i m niedrig besteuernden A u s l a n d — als eine ungewöhnliche (oder: unangemessene) Gestaltung an, da es andernfalls „nicht des Vorliegens eines beachtlichen Grundes bedürfte". Eines derartigen „beachtlichen Grundes" bedarf es i n jedem F a l l zur Feststellung der „ U n a n gemessenheit" der Gestaltung. 79 Kluge StuW 1976 S. 101/107. 8 0 Debatin DStZ/A 1968 S. 363/364. 76

17 ν. Beckerath

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bräuchliche Gestaltung durch Gründung einer Auslandsgesellschaft einerseits zwar aus den m i t i h r auf Grund der Gründungsmotive beabsichtigten Geschäftsabschlüssen abgeleitet wird, andererseits aber trotz dieser Wertung anerkennenswerte Geschäftsvorfälle wiederum steuerlich beachtlich sind, dann habe — so Kluge 8 1 — offenbar das Mißbrauchsurteil über die Gesellschaft selbst keinen Sinn, denn es gehe einzig und allein u m die Verlagerung, für die die Gesellschaft i m einzelnen benutzt wird. Selbst die von Flick/Wassermeyer als Anwendungsfall des §6 StAnpG genannte Gründung einer Auslandsgesellschaft i n der Absicht der Steuerhinterziehung sei nicht geeignet, hieran etwas zu ändern. Werde trotz einer solchen Absicht eine rechtmäßige Transaktion vorgenommen, bestehe kein Grund, die Existenz der Gesellschaft als solche zu verneinen. Diese Erwägungen erscheinen zutreffend: W i r d eine zunächst zur Steuerumgehung gegründete Gesellschaft später wirtschaftlich „ a k t i v " tätig, sollte man diese wirtschaftliche Tätigkeit auch anerkennen. Von der Definition des B F H her könnte man Kluge aber entgegenhalten, daß der B F H neben der Errichtung auf die wirtschaftliche Tätigkeit der Gesellschaft abstellt, und zwar offensichtlich als zusätzliche Voraussetzung und nicht als eine weitere Möglichkeit für die Annahme eines Rechtsmißbrauchs 82 (vgl. die Formulierung: „wenn für ihre Errichtung wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und wenn sie keine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet"). Insoweit berücksichtigt der B F H gerade die Möglichkeit, daß eine zunächst rechtsmißbräuchlich errichtete Gesellschaft später wirtschaftlich tätig wird. Die ausländische K ö r perschaft soll offensichtlich nur so lange nach § 6 StAnpG nicht anerkannt werden, wie sie keine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet und ihre Funktion nicht wandelt 8 3 . (b) Soll aber nach Ansicht des B F H eine Gesellschaft nicht anerkannt werden, wenn für ihre Errichtung wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und sie keine steuerlich anzuerkennende wirtschaftliche Betätigung ausübt, so läßt sich auf jeden Fall gegen diese Definition des B F H der Fall anführen, daß eine Gesellschaft zunächst aktiv tätig w i r d und erst später i n eine „Steuerumgehungsgesellschaft" umgewandelt wird. Dieser Fall läßt sich m i t der Definition des B F H auf jeden Fall 81

Kluge StuW 1976 S. 101/107. So auch Kluge, ebd., S. 101/107; u n d FUck/Wassermeyer D B 1975 S. 1674/ 1675 u n d D B 1972 S. 116. 83 Vgl. hierzu auch Großfeld, S. 77: „Es k a n n k a u m j e ausgeschlossen w e r den, daß die Basisgesellschaft auch zu steuerlich zulässigen Geschäften benutzt werden soll. Doch w i r d m a n w o h l das Überwiegen der Steuerumgehungsabsicht genügen lassen müssen. Die hieraus folgende Nichtanerkennung k a n n allerdings entfallen, w e n n die Gesellschaft später m i t wirtschaftlichem Gehalt gefüllt w i r d . " 82

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nicht mehr erfassen 84. Auch erscheint fraglich, ob der B F H etwa den Fall des Erwerbs einer Basisgesellschaft anders behandeln w i l l als den der Gründung einer derartigen Gesellschaft. (c) Vor allem aber liegt i n der „Gründung" (ebensowenig i n dem „Erwerb") der Basisgesellschaft noch keine Steuerumgehung. Der Hechtsmißbrauch, gegen den sich § 6 I, I I StAnpG, bzw. § 42 AO η. F., wendet, liegt darin, daß durch eine bestimmte (rechtsmißbräuchliche) Gestaltung ein Steuertatbestand vermieden wird. Durch die Gründung der Basisgesellschaft (auch wenn diese m i t der Absicht der Steuerumgehung erfolgt) w i r d aber noch kein Steuertatbestand umgangen, werden noch keine Steuern gespart 85 : „Die Gründung läßt weder erkennen, ob die Gesellschaft später eine w i r t schaftliche Leistung erbringen w i r d , noch manifestiert sich i n der Gründung eine wirtschaftliche F u n k t i o n des Unternehmens, v o n verbalen A n k ü n d i g u n gen i n der Satzung abgesehen. Der Gründungsakt ist sozusagen w e r t f r e i u n d k a n n daher nicht als Rechtsmißbrauch beurteilt werden 8 6 ."

Wenn es hier u m den Mißbrauch einer Gestaltungsmöglichkeit geht, so w i r d man diesen Mißbrauch nicht i n der Gründung der Basisgesellschaft zu sehen haben, sondern darin, daß der inländische Steuerpflichtige sich der ausländischen Körperschaft mißbräuchlich zu bestimmten Zwecken bedient. Die ,,Gestaltungs"-(möglichkeit), derer sich der Steuerpflichtige zur Umgehung des Steuertatbestandes bedient, liegt darin, daß er eine Gesellschaft „unterhält". (2) Der B F H stellt neben der Frage der mißbräuchlichen Errichtung offensichtlich als zusätzliche Voraussetzung darauf ab, daß die ausländische Gesellschaft „keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet". Kluge hat auch an dieser Voraussetzung zu Recht K r i t i k geäußert 87 . Abgesehen davon, daß bestimmte unternehmerische Zielsetzungen ganz einfach keine nennenswerten A k t i v i t ä t e n erfordern, ohne daß dem gesellschaftsrechtlich entgegenstünde, sie durch eine juristische Person erfüllen zu lassen, würde diese Ansicht zu einer Betrachtungsweise führen, wonach Auslandsgesellschaften i m Stadium unmittelbar nach der Gründung die Anerkennung i n der Regel versagt werden müßte. Versagt werden müßte sie jedenfalls immer dann, wenn der Gesellschaftszweck erst i m Laufe der Jahre erfüllt werden könnte. Wollte man auf das Erfordernis der Entfaltung einer eigenen wirtschaftlichen Tätig84

Allerdings formuliert der B F H sehr vorsichtig: ein Rechtsmißbrauch läge vor allem (!) dann vor, w e n n . . . 85 Dazu, daß der Rechtsmißbrauch zu einer Steuerminderung führen muß, vgl.: Kruse, Steuerrecht A T , S. 116. 86 Vgl. Wöhrle, S.92; vgl. hierzu auch Raupach, Durchgriff, S. 159 u n d Großfeld, S. 76, die ebenfalls darauf verweisen, daß der Gründungsakt, f ü r sich genommen, zur Steuerumgehung k a u m geeignet sei. 87 Kluge StuW 1976 S. 101/107. IV

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keit abstellen, so führte dies zu einer rein statischen Betrachtungsweise. Man würde verkennen, daß auch Zielsetzungen, Absichten, Entwicklungstendenzen u. ä. den wirtschaftlichen Hintergrund zur Beurteilung der Angemessenheit einer bürgerlich-rechtlichen Gestaltung abgeben. cc) W i l l man eine Nichtanerkennung von Basisgesellschaften überhaupt auf § 6 I StAnpG, bzw. § 42 AO η. F. stützen, so w i r d man vielmehr wie folgt vorgehen müssen: Man w i r d zunächst feststellen müssen, daß durch die Einschaltung der betreffenden Körperschaften eine Steuerersparnis eintritt, die vom Steuerpflichtigen gewollt ist 8 8 . Liegen für die gewählte Gestaltung keine steuerlichen Gründe vor, so kann selbst dann, wenn sich die Gestaltung gegenüber den wirtschaftlichen Vorgängen als unangemessen darstellt, kein Mißbrauch i m Sinne des § 42 AO (§ 6 StAnpG a. F.) gegeben sein. Zweite und entscheidende tatbestandliche Voraussetzung des Rechtsmißbrauchs ist dann die Frage der Unangemessenheit der rechtlichen Gestaltung gegenüber den wirtschaftlichen Vorgängen 89. (1) Die „rechtliche Gestaltungdie hier gewählt worden ist, ist die Körperschaft, und zwar die Körperschaft i n ihrem jeweiligen Zustand zur Zeit der Prüfung. Rechtliche Gestaltung ist nicht die Gründung der Gesellschaft (anders BFH). (2) Bei der Frage nach den „wirtschaftlichen Vorgängen" ist abzustellen auf den wirtschaftlichen Zweck der Gesellschaft, und zwar auf den Zweck, nicht nur, wie er bei der Gründung der Gesellschaft gegeben ist, sondern wie er sich zur Zeit der Prüfung darstellt 90 . Es ist zu fragen, welchem wirtschaftlichen Zweck die Gesellschaft dient. Die tatsächliche wirtschaftliche Betätigung ist dabei nur ein Indiz für die Feststellung des m i t der Gesellschaft verfolgten wirtschaftlichen Zwecks. A u f den Zweck der Gesellschaft abzustellen und nicht allein auf die tatsächliche wirtschaftliche Betätigung steht dabei i m Einklang m i t den allgemein zu § 6 StAnpG entwickelten Grundsätzen. Nach diesen allgemeinen Grundsätzen ist danach zu fragen, i n welcher Lage sich die Beteiligten befanden und welches Ziel sie erreichen wollten u n d inwieweit die gewählte bürgerlich-rechtliche Gestaltung gegenüber diesem wirtschaftlichen Hintergrund angemessen ist 9 1 . 88

Vgl. hierzu Kruse, Steuerrecht A T , S. 115. Z u r Unangemessenheit der rechtlichen Gestaltung gegenüber den w i r t schaftlichen Vorgängen vgl. Kruse, ebd., S. 114; zu anderen Definitionen vgl. Striegel, S. 84 f. (ζ. T. u n t e r Bezug auf Vorläufer des § 6 StAnpG). 90 Zweck der Gesellschaft ist hier selbstverständlich nicht gleichbedeutend m i t dem i n den Statuten niedergelegten Gesellschaftszweck oder den A n g a ben der Gesellschaftsgründer (hiergegen zu Recht B F H v. 16.1.1976 I I I R 92/74, BStBl. I I I S. 401). 89

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Striegel weist darauf hin, daß eine Reihe von Autoren den Tatbestand des § 6 StAnpG dann nicht als erfüllt ansehen, wenn „beachtliche w i r t schaftliche oder andere nichtsteuerliche Gründe vorliegen". Sie lehnen eine Anwendung des § 6 StAnpG also auch ab, wenn andere als wirtschaftliche Gründe vorliegen 02 . Diese Ansicht erscheint jedoch problematisch, da § 42 S. 2 AO ausdrücklich von der Unangemessenheit gegenüber den „wirtschaftlichen" Vorgängen spricht. Allerdings w i r d man den Begriff der „wirtschaftlichen" Vorgänge sehr w e i t auszulegen haben. (3) Die rechtliche Gestaltung (hier: die Gesellschaft) muß nunmehr gegenüber den wirtschaftlichen Vorgängen (hier: dem wirtschaftlichen Zweck der Gesellschaft) „unangemessen" sein. Nach Tipke/Kruse ist unangemessen eine „Rechtsgestaltung, die verständige Parteien i n A n betracht des wirtschaftlichen Sachverhalts insbesondere des erstrebten wirtschaftlichen Ziels . . . nicht wählen würden" 9 3 . Gestaltung ist hier die Körperschaft. Es geht also darum, zu fragen, inwieweit m i t dieser Körperschaft ein wirtschaftlicher, außersteuerlicher Zweck verfolgt w i r d ( = inwieweit hier „wirtschaftliche Vorgänge" vorliegen), gegenüber dem die Körperschaft als eine Gestaltung erscheint, „die verständige Parteien nicht wählen würden". Hierbei enthält § 6 StAnpG, bzw. 42 AO, jedoch „keine Ermächtigung an die Steuerbehörden zu prüfen, ob eine wirtschaftliche Veranstaltung wirtschaftlich vernünftig ist" 9 4 . §6 StAnpG stellt kein M i t t e l dar, „die wirtschaftliche Freiheit des Steuerpflichtigen einzuengen" 95 . Hat der Steuerpflichtige eine angemessene Gestaltung gewählt, so ist irrelevant, ob es eine noch angemessenere Gestaltung gegeben hätte. (a) W i r d ausschließlich der Zweck verfolgt, Steuern zu sparen, das heißt: liegt überhaupt kein Zweck außersteuerlicher A r t vor, aus dem heraus die Gesellschaft „erklärbar" ist, so liegt eine Unangemessenheit der Gestaltung vor9®. „Die Rechtfertigungsgründe dürfen nicht ausschließlich steuerlicher Natur sein 97 ." Allerdings ist zu beachten, daß es bei Beziehungen über die nationalen Grenzen hinaus oft zu Gestaltungen kommt, die man vom nationalen Recht her als Steuerumgehung 91 Kruse, Steuerrecht A T , S. 115; vgl. auch Tipke/Kruse, § 5 S t A n p G A n m . 4 ( „ i n Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts, insbesondere des erstrebten wirtschaftlichen Ziels"). 92 Striegel (S. 95) vgl. auch B F H BStBl. 1968 I I S. 695 (Voraussetzung einer Steuerumgehung sei, „daß f ü r eine Transaktion wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen"). 93 Tipke/Kruse, § 6 StAnpG, A n m . 4. 94 Tipke/Kruse, ebd. 95 Tipke/Kruse, ebd. 96 Vgl. hierzu Striegel, S. 95 m. w . N. 97 Kruse, Steuerrecht A T , S. 115; B F H 104 S. 300/303.

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einstufen könnte, durch die aber lediglich den besonderen Verhältnissen internationaler Beziehungen Rechnung getragen w i r d und die durch wirtschaftliche Gründe hinreichend gerechtfertigt sind. Es ist insoweit nur etwa an die Erleichterung der Aufnahme von Auslandskrediten, die Überwindung von außenpolitischen Spannungen und Embargobestimmungen, die Vorsorge für den internationalen Konfliktfall oder die Vermeidung von Devisenbeschränkungen zu denken 08 . (b) Liegen außersteuerliche wirtschaftliche Gründe vor, so brauchen diese gegenüber den steuerlichen Gründen nicht zu überwiegen. Die außersteuerlichen Gründe brauchen insbesondere nicht „conditio sine qua non" für die Körperschaft zu sein. Der B F H hat hierzu ausgeführt, daß die Beteiligten grundsätzlich ihre Verhältnisse, auch ihre Auslandsbeziehungen, so gestalten können, wie sie ihnen steuerlich am günstigsten erscheinen: „Auch wenn die K l ä g e r i n . . . vorwiegend die Absicht verfolgt haben sollte, auf diese Weise Steuern zu sparen, läge darin ebensowenig ein Rechtsmißbrauch wie i n der Umwandlung einer K a p i talgesellschaft auf eine Personengesellschaft, die überwiegend aus steuerlichen Gründen vorgenommen w i r d 9 9 . " Der B F H nimmt also an, daß ein Rechtsmißbrauch auch dann nicht vorliegt, wenn die Beteiligten „vorwiegend" die Absicht verfolgt haben, Steuern zu sparen. (c) Daß allerdings nicht jeglicher Grund ausreicht, u m einen Rechtsmißbrauch entfallen zu lassen, w i r d aus dem Treuhandurteil deutlich: hier wurde die Anerkennung einer i m Ausland gegründeten Gesellschaft vom Vorhandensein „beachtlicher" außersteuerlicher Gründe abhängig gemacht. Der B F H ging dabei i n der Anerkennung solcher Gründe allerdings sehr weit. Er ließ bereits die Absicht ausreichen, durch Anlage seines Vermögens i m Ausland die Familie für etwaige Krisenzeiten zu sichern und durch Einschaltung einer juristischen Person i n der Schweiz anonym zu bleiben, u m dadurch einer i m Krisenfall möglichen Sperrung von Auslandskonten zu entgehen oder diese wenigstens zu verzögern 100 . Entscheidend sein kann beim Vorliegen außersteuerlicher wirtschaftlicher Gründe nur, ob diese Gründe ausreichen, u m die Körperschaft nicht als eine Gestaltung erscheinen zu lassen, „die verständige Parteien nicht wählen würden".

98 99 100

Großfeld, S. 77. BStBl. 1975 I I S. 584/586. B F H BStBl. 1971 I I S. 721.

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2. Die Nichtanerkennung einzelner Geschäftsvorfälle mit der ausländischen Körperschaft Fehlt es an den Voraussetzungen, u m der Körperschaft grundsätzlich die Anerkennung zu verweigern, so ist doch zu fragen, ob die einzelnen Ubertragungsvorgänge und geschäftlichen Beziehungen steuerlich anzuerkennen sind. a) Auch bei einzelnen Geschäftsvorfällen kommt wiederum die Möglichkeit einer Nichtanerkennung nach § 5 I StAnpG bzw. § 41 I I AO η. F. als Scheingestaltung i n Betracht. aa) Ein steuerlich nicht anzuerkennendes Scheingeschäft liegt etwa dann vor, wenn Basisgesellschaften m i t der Muttergesellschaft, ihren Hauptanteilseignern oder ihren Tochtergesellschaften Verträge über Leistungen abschließen, die i n Wahrheit von der Basisgesellschaft nicht erbracht werden sollen 101 . Rädler-Raupach verweisen hierzu auf den Fall, daß die Basisgesellschaft Marktanalysen oder Rechts- und Beratungsdienste zu erbringen hat, i n Wirklichkeit aber nichts geschieht 102 . Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß die fehlende Gegenleistung von Seiten der Basisgesellschaft nur ein Indiz für den W i l l e n der Beteiligten sein kann bei Abschluß des Vertrags, ihre Erklärungen nur zum Schein abzugeben. Es ist i m Einzelfall festzustellen, ob nicht i r gendwelche äußeren Umstände die ausländische Körperschaft davon abgehalten haben, ihre Leistung zu erbringen. bb) Der Steueroasenerlaß w i l l die steuerliche Anerkennung auch dann versagen, wenn der unbeschränkt Steuerpflichtige für seine Leistungen an den ausländischen Rechtsträger ein Entgelt erhält, das unter dem Entgelt eines unbeteiligten Dritten liegt 1 0 8 . Für die Frage, ob auch i n diesem Fall ein Scheingeschäft vorliegt, w i r d man jedoch differenzieren müssen: 1. Zahlt die Basisgesellschaft ein niedrigeres oder zahlt der inländische Steuerpflichtige ein höheres Entgelt als ein unbeteiligter Dritter, haben aber die Beteiligten i n dem zugrundeliegenden Vertrag ein Entgelt vereinbart, wie es auch ein Dritter zahlen müßte, so stellt die von dieser Vereinbarung abweichende Entgeltzahlung ein Indiz für das Vorliegen eines Scheingeschäfts dar. Maßgebend ist jedoch dann das verdeckte Geschäft. Soweit sich 101

Großfeld, S. 95. Rädler/Raupach D S t Z / A 1968 S. 249/252. 103 Hierzu auch unter dem Gesichtspunkt des Scheingeschäfts: Kluge StuW 1976 S. 101/108; vgl. auch F G Baden-Württemberg E F G 1971 S. 106/107: „Das bedeutet, daß ein Scheinfall stets dann vorliegt, w e n n der inländische Steuerpflichtige gegenüber der ausländischen Gesellschaft Leistungen erbringt, ohne eine adäquate Gegenleistung zu erhalten." 102

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Leistung und Gegenleistung entsprechen, liegt für den Steuerpflichtigen eine steuerlich anzuerkennende Betriebsausgabe vor 1 0 4 . I m übrigen sind seine Ausgaben nicht abzugsfähig. 2. Entspricht dagegen der Leistungsaustausch den getroffenen Vereinbarungen, so liegt kein Scheingeschäft, sondern ein Fall des § 1 AStG vor. cc) Weiterhin soll nach dem Steueroasenerlaß i n solchen Fällen die steuerliche Anerkennung zu versagen sein, i n denen Einkaufs- oder Verkaufsrechnungen über den ausländischen Rechtsträger geleitet und von i h m m i t einem Aufschlag umfakturiert werden, wobei i n Wirklichkeit ein Leistungsaustausch zwischen dem unbeschränkt Steuerpflichtigen und dem ausländischen Rechtsträger fehlt. Dies sei zum Beispiel der Fall, wenn der unbeschränkt Steuerpflichtige alle Lasten und Risiken übernimmt, die der ausländische Rechtsträger, wenn er w i r k l i c h Ein- oder Verkäufer wäre, zu tragen hätte 1 0 5 . Offensichtlich geht der Oasenerlaß davon aus, daß es sich auch hierbei u m einen Fall des § 5 1 StAnpG handelt 1 0 6 . Ob dieser Fall tatsächlich unter § 5 I StAnpG fällt, erscheint jedoch zweifelhaft. W i r d eine Basisgesellschaft eingeschaltet, so ist auch dann, wenn diese sich lediglich darauf beschränkt, Rechnungen umzufakturieren und von der typischen Risikoverteilung zwischen Einkäufer und Verkäufer abgewichen wird, diese Geschäftsbeziehung ernstlich gewollt, w i r d die Einschaltung der Basisgesellschaft nicht nur zum Schein vereinbart. Übernimmt der inländische Steuerpflichtige alle Lasten und Risiken, die an sich der ausländische Rechtsträger zu tragen hätte, so w i r d man auch dies als ernstlich gewollt ansehen müssen und auch diesen Fall grunsdätzlich allein nach § 1 AStG beurteilen können. b) Nach § 39 I I Nr. 1 S. 2 AO η. F. (§ 11 Ziff. 2, 3 StAnpG a. F) ist bei Vermögensverlagerung auf ausländische Körperschaften zu prüfen, ob nicht lediglich eine treuhänderische Übertragung bzw. lediglich ein treuhänderischer Erwerb durch die ausländische Körperschaft vorliegt, m i t der Folge, daß die entsprechenden Wirtschaftsgüter nicht der ausländischen Gesellschaft, sondern dem inländischen Anteilseigner zuzurechnen sind. Weiterhin kann möglicherweise eine Zurechnung von Wirtschaftsgütern nach § 39 I I Ziff. 1 S. 2 AO, η. F. (§ 11 Ziff. 1 StAnpG) i m F a l l des Eigenbesitzes i n Frage kommen 1 0 7 .

104

Hierzu Tipke/Kruse, § 5 StAnpG, Rdnr. 10. Vgl. Oasenerlaß BStBl. 1965 I I S. 74. loe So Kluge StuW 1976 S. 101/108. 107 Vgl. Großfeld, S. 97; vgl. auch Haas/Bacher/Scheuer, staltung internationaler Geschäftsbeziehungen, S. 91 ff. 105

Steuerliche Ge-

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aa) Der I I I . Senat des B F H hat i m sogenannten „Treuhandurteil" 1 0 8 ein Treuhandverhältnis nach § 11 Ziff. 3 StAnpG bejaht und damit einen „Erdrutsch i n der Oasenproblematik" bewirkt, „ w e i l deren Schwerpunkt plötzlich von §6 StAnpG auf §11 StAnpG verlagert wurde" 1 0 9 . Der B F H rechnete das Vermögen einer schweizerischen Basisgesellschaft nach § 11 Ziff. 3 StAnpG den deutschen Gesellschaftern zu m i t der Begründung, wirtschaftlich habe kein Interessenübergang auf die Basisgesellschaft stattgefunden 110 . I n diesem Zusammenhang stehe auch nicht entgegen, daß ein Treuhandverhältnis i n der Regel den Abschluß eines Treuhandvertrages voraussetze. E i n Treuhandverhältnis sei auch dann anzunehmen, wenn dem Gesellschaftsvertrag die gleiche wirtschaftliche Bedeutung zukomme. Dies wurde vom B F H i n dem von i h m zu entscheidenden Fall bejaht. Die der Basisgesellschaft übertragenen Vermögensgegenstände seien nur rechtlich, nicht aber wirtschaftlich aus dem Vermögen der Gesellschafter ausgeschieden. Die Gesellschafter hätten die tatsächliche Verfügungsmacht behalten, die Geschäftsführung der Basisgesellschaft sei nur formell übertragen worden. bb) Dieses „Treuhandurteil" des B F H hat i n der Folge erhebliche K r i t i k i m Schrifttum 1 1 1 und auch Ablehnung i n der Rechtsprechung der Finanzgerichte 112 erfahren, während die Finanzverwaltung durch einheitlichen Ländererlaß die Anwendung des Treuhandurteils i n den einschlägigen Fällen anordnete 113 . Vor allem Salditt hat eingewandt, daß der Treuhandbegriff vom B F H zu weit ausgedehnt worden sei 114 . Wer Treuhandschaft schon bei beliebigen vertraglichen Abreden und mittelbarem Erwerb vorfinden dürfe, werde sie alsbald auch dort vorzufinden glauben, wo jemand i m eigenen Namen, aber i m fremden Interesse Rechte ausübe. M i t einer Besteuerung, die an Tatbestände — hier gemäß § 11 Nr. 3 StAnpG an eine zivilrechtliche Bindung „zu treuen Händen" — anknüpfen müsse, hätte dies nichts mehr zu tun. Gegenüber einem Abstellen auf den „Gesellschaftsvertrag" als Treuhandcausa 108

B F H BStBl. 1971 I I S. 721 (vgl. Wöhrle, S. 88 f.). Z u r A n w e n d u n g des §11 S t A n p G vgl. aber bereits den Oasenerlaß: „Die steuerliche Anerkennung k a n n desweiteren schon der behaupteten Übertragung v o n Vermögenswerten u n d damit dem Übergang der aus ihnen bezogenen Erträge zu versagen sein, w e i l die Vermögenswerte i n W i r k l i c h keit i n rechtlichen oder wirtschaftlichen Gütern [§11 StAnpG] des unbeschränkt Steuerpflichtigen verblieben sind." Hierzu bereits Rädler/Raupach D S t Z / A 1968 S. 249/253. 110 B F H BStBl. 1971 I I S. 721/722. 111 Vgl. etwa: Flick/Wassermeyer D B 1972 S. 110; Salditt StuW 1972 S. 12/ 27 ff.; Bellstedt i n S t R K - A n m . zu § 11 Ziff. 2 u. 3 S t A n p G R. 8; Friedrich B B 1972 S. 845. 112 Vgl. F G Rheinland-Pfalz E F G 1975 S. 211; Hess. F G I W B Fach 3 Gr. 1 S. 469; F G Nürnberg E F G 1973 S. 25. 113 Fin. M i n . N W v . 3.11.1972 i n D B 1972 S. 2235. 114 Salditt StuW 1972 S. 12/27 ff. 100

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müsse man bezweifeln, daß Stammkapital statuarisch gebundenes Treugut repräsentieren könne. Außerdem werde die objektive Steuerpflicht, nämlich § 7 KStG, unterlaufen, wonach die „Einkommensverwendung für die Besteuerung u n e r h e b l i c h . . d i e Körperschaft (also) steuerpflicht i g ist, ohne Rücksicht, für wessen Rechnung sie ihr Unternehmen betreibt." Auch der B F H selbst ist schließlich i n einer Entscheidung des I. Senats vom 29.1.1975 115 von dem „Treuhandurteil" abgerückt und „hat den Schwerpunkt der Oasenproblematik wieder weg von § 11 StAnpG i n Richtung des § 6 StAnpG ,gerade gerückt'" 11 ®. Der I. Senat des B F H stellt i n seinem U r t e i l entscheidend auf § 6 StAnpG ab und sieht § 11 StAnpG nur als eine Möglichkeit an, die lediglich i n besonders gelagerten Ausnahmefällen anwendbar sei. (Demgegenüber hatte er i n seinem Vorbescheid vom 14. 8.1974 § 11 Nr. 3 StAnpG i n Fällen dieser A r t sogar schlechthin für nicht anwendbar erklärt.) Welche Anforderungen an die Ausnahmefälle zu stellen sind und ob es sich letztlich nicht doch u m eine mehr theoretische Möglichkeit handelt, w i r d vom B F H nicht dargelegt 117 . Von Wallis hat jedoch i n einer Stellungnahme insoweit ausgeführt, der I. Senat habe das Treuhandurteil auf die Fälle beschränken wollen, i n denen der Gesellschaftsvertrag nur zum Schein abgeschlossen und dadurch ein Treuhandvertrag verdeckt werde 1 1 8 . c) Auch die wirtschaftliche Betrachtungsweise soll i m Einzelfall zu einer Nichtanerkennung einzelner Geschäftsvorfälle führen können 1 1 9 . Hierbei ist jedoch zu beachten, daß besondere gesetzliche Regelungen der wirtschaftlichen Betrachtungsweise vorgehen. So ist insbesondere die Frage der Zurechnung „wirtschaftlichen Eigentums" speziell i n § 11 StAnpG ( = §39 I I AO η. F.) geregelt. Über § 11 StAnpG hinaus „ w i r t schaftliches Eigentum" anzunehmen, w i r d w o h l kaum durch Auslegung der einzelnen gesetzlichen Vorschriften möglich sein 120 . Dazu, inwieweit i m übrigen eine Bekämpfung der Steuerflucht auf Grund einer w i r t schaftlichen Auslegung einzelner Vorschriften möglich ist, w i r d man nur schwer allgemeine Angaben machen können. d) Als wichtige Handhabe bei der Prüfung der Angemessenheit einzelner Rechtsbeziehungen w i r d §6 StAnpG, der heutige §42 AO, angesehen 121 . Es ist zu fragen, welchen Zweck der inländische Steuerpflich115 116 117 118 119 120 121

B F H v. 29.1.1975 — I R 135/70, D B 1975 S. 1065. Flick/Wassermeyer D B 1975 S. 1674. Flick/Wassermeyer ebd. S. 1674/1676. V. Wallis D S t Z / A 1975 S. 247. Großfeld, S. 97. Kluge StuW 1976 S. 101/110. Vgl. Großfeld, S. 99; Wöhrle, Vorbem. § § 7 - 1 4 A n m . V I I .

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tige m i t der gewählten Rechtsgestaltung verfolgt und inwieweit die rechtliche Gestaltung gegenüber dem wirtschaftlichen Zweck angemessen ist 1 2 2 . aa) A u f die „allgemeine wirtschaftliche Funktion der Körperschaft" kann es hierbei nicht ankommen. Nach dem Oasenerlaß sollte, wie bereits erwähnt, der Einschaltung des ausländischen Rechtsträgers die steuerliche Anerkennung versagt werden, wenn er keine wesentliche eigene wirtschaftliche Funktion habe. Der Verwendung des Merkmals der „wirtschaftlichen Funktion" der Gesellschaft i m Rahmen der Frage der Anerkennung einzelner Geschäftsvorfälle haben aber Rädler/Raupach überzeugend widersprochen 123 . Die wirtschaftliche Funktion eines Rechtsträgers sei ein Merkmal, das sich generell auf den Rechtsträger selbst beziehe. Eine Ausdehnung der Betrachtung über die einzelne Gestaltung, die auf eine Steuerumgehung h i n untersucht werden soll, hinaus, sei i m Rahmen der Angemessenheitsprüfung zwar zulässig und auch notwendig, aber nur insoweit, als sie zur „Beleuchtung des w i r t sachftlichen Hintergrundes" der Gestaltung erforderlich sei 124 . Es ist vielmehr zu fragen, inwieweit der inländische Steuerpflichtige m i t der gewählten Gestaltung einen wirtschaftlichen Zweck verfolgt und inwieweit dieser wirtschaftliche Zweck geeignet ist, die gewählte Gestaltung nicht als eine Gestaltung erscheinen zu lassen, „die verständige Parteien unter Berücksichtigimg allein der wirtschaftlichen, nicht der steuerlichen Gründe nicht wählen würden." Den Tatbestand des § 6 StAnpG (bzw. § 42 AO) w i r d man hierbei vielfach i n den sogenannten „Kreislauffällen" als erfüllt ansehen können, wenn i n der Bundesrepublik ansässige Anteilseigner hier belegene Gegenstände auf eine Basisgesellschaft übertragen und sich auf Grund eines entsprechenden Vertrages entgeltlich die Nutzung einräumen lassen 125 . I n diesen Fällen hat sich i n der Regel an der tatsächlichen Lage und Nutzung der Gegenstände nichts geändert. Die gewählte rechtliche Konstruktion führt jedoch dazu, daß das Nutzungsentgelt gewinnmindernd i n das Ausland abfließt. Es ist die Übertragung der Gegenstände hier eine Gestaltung, welche die wirtschaftlichen Ziele (Nutzung durch den inländischen Unternehmer) nicht auf einem mehr oder minder geraden Weg verfolgt und verwirklicht, sondern „Umwege" einschlägt12®. bb) Nach Kluge liegt das eigentliche Problem bei § 6 StAnpG ( = § 42 AO η. F.) „bei dem Umfang der anerkennenswerten sachlichen Gründe 122

Vgl. inwieweit auch Kluge StuW 1976 S. 101/111. RädlerIRaupach D S t Z / A 1968 S. 249/254. 124 So spricht auch Großfeld (S. 100) n u r v o n der wirtschaftlichen F u n k t i o n der Basisgesellschaft „ i m Rahmen der einzelnen zu beurteilenden Geschäfte". 125 Großfeld, S. 99; Wöhrle, Vorbem. §§ 7 - 14, A n m . V I I . 126 Kluge StuW 1976 S. 101/111. 123

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für angemessene Gestaltungen" 127 . Wolle man die Anwendungsmöglichkeit des §6 StAnpG (§42 AO η. F.) nicht von vornherein ausschließen, dürfe man als anerkennenswerten Zweck i m Rahmen von Verlagerungen des Betriebsvermögens nur betriebliche Gründe anerkennen. Anerkenne man i m Rahmen betrieblicher Vorgänge auch private Ziele wie die i n der Treuhandentscheidung genannte „Alterssicherung", könne der Mißbrauchstatbestand künftig i n der Diskussion u m die Anerkennung internationaler Sachverhalte getrost unberücksichtigt bleiben. Aber auch wenn man die anerkennenswerten Gründe auf betriebliche Gründe beschränkte, lägen die Schwierigkeiten auf der Hand. So könnte sich das Unternehmen als naheliegendes betriebliches Argument ohne weiteres auf die „notwendige Zusammenfassung der Auslandsaktivitäten i n einem hierzu geeigneten Staat" berufen. Zu diesem von Kluge angesprochenen Problem, welche sachlichen Gründe für angemessene Gestaltungen als anerkennenswert anzusehen sind, w i r d man jedoch feststellen können, daß §6 StAnpG ( = §42 AO η. F.) allein auf die Unangemessenheit gegenüber den wirtschaftlichen Vorgängen abstellt. Von daher kommt es nicht darauf an, ob es sich u m betriebliche oder private Ziele handelt. Entscheidend ist allein, welche „wirtschaftlichen" Vorgänge vorliegen. Wenn Kluge außerdem darauf hinweist, daß selbst dann, wenn man nur betriebliche Gründe anerkennt, erhebliche Schwierigkeiten bestehen, und hierfür anführt, daß sich das Unternehmen auf die „notwendige Zusammenfassung von Auslandsaktivitäten i n einem hierzu geeigneten Staat" berufen könne, so kann sich das Unternehmen auf dieses Argument aber doch nur dann berufen, wenn tatsächlich keine Steuerumgehung vorliegt. W i l l sich das Unternehmen auf die „notwendige Zusammenfassung von Auslandsaktivitäten i n einem hierzu geeigneten Staat" berufen, so w i r d es i m einzelnen darlegen müssen, daß eine derartige Zusammenfassung überhaupt wirtschaftlich angemessen ist (Auslandsaktivitäten vorhanden sind; daß nicht „verständige Parteien" eine der bestehenden Körperschaften als Träger benutzen würden). Außerdem kommt der Frage Bedeutung zu, ob das Holdingland gegenüber dem Sitzland tatsächlich wirtschaftliche Vorteile bietet, die es als „ f ü r eine Zusammenfassung von Auslandsaktivitäten geeigneten Staat" erscheinen läßt. e) Weitere Möglichkeiten zu einer Bekämpfung der Steuerflucht können sich i m Einzelfall aus den Vorschriften über die verdeckte Gewinnausschüttung, dem Betriebsausgabenbegriff oder § 1 AStG ergeben 128 . 127 128

Kluge, ebd. Hierzu Rädler/Raupach,

Auslandsbeziehungen, S. 608.

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht II. Probleme bei einer Anwendung

269

der allgemeinen Vorschriften

1. Mangelnde Effektivität der allgemeinen Vorschriften a) I m Zusammenhang m i t den allgemeinen Vorschriften wurde vor allem ihre geringe Effektivität zur Bekämpfung der Steuerflucht bemängelt, die schließlich dann auch i n erster Linie der Anlaß für die Schaffung der weiteren Möglichkeiten i m 1972 erlassenen Außensteuergesetz war. aa) Nach Rädler/Raupach beruhte der Oasenerlaß auf einer realistischen Einschätzung, wenn er sich vorwiegend m i t der Frage beschäftigt, ob der „Einschaltung" ausländischer Rechtsträger die Anerkennung zu versagen ist, er sich damit nur m i t der Nichtanerkennung einzelner Rechtsbeziehungen befaßt und die grundsätzliche Versagung der steuerlichen Anerkennung ausländischer juristischer Personen von vornherein als Möglichkeit zur Bekämpfung der Steuerflucht außer Betracht läßt 129. A u f Grund des § 5 StAnpG bzw. § 41 AO η. F. w i r d eine Nichtanerkennung nur ausnahmsweise erfolgen können 1 3 0 . I n der Regel w i r d der ernstliche Wille der Beteiligten anzunehmen sein, eine Gesellschaft wirklich zu gründen 1 3 1 . Auch die wirtschaftliche Betrachtungsweise bietet keine Möglichkeit zu einer effektiven Bekämpfung der Steuerflucht durch eine Nichtanerkennung von Körperschaften. Selbst wenn mein der Ansicht von Großfeld folgte und die Möglichkeit einer Nichtanerkennung von K ö r perschaften auf Grund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise bejahte, darf man sich, wie Großfeld feststellt, keinen Illusionen über die praktische Tragweite dieser Anerkennungsgrundsätze hingeben 132 . Ebenso w i r d die Nichtanerkennung auf Grund des § 42 AO η. F. (§ 6 StAnpG a. F.) als keine sehr scharfe Waffe zur Bekämpfung der Steuerflucht angesehen 133 . Es bestehe für den Steuerpflichtigen ohne weiteres die Möglichkeit, der Basisgesellschaft neben der Funktion der Steuerumgehung wirtschaftliche Funktionen zuzuweisen und so die Körperschaft als solche nicht mehr als eine Gestaltung erscheinen zu lassen, „die verständige Parteien i n Anbetracht der wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht wählen würden" 1 3 4 . Über §42 AO η. F. werde man nur 129

Rädler/Raupach D S t Z / A 1968 S. 249/250. Vgl. Großfeld, S.70; Raupach, Durchgriff, S. 155 f.; vgl. auch Haas/ Bacher/Scheuer, S. 46; Kluge R i W 1975 S. 525. 131 B F H E Bd. 93 S. 1, 4 = BStBl. 1968 I I S. 525. 132 Großfeld, S. 71. 133 Vgl. Großfeld, S.76f.; Raupach, Durchgriff, S. 159; Rädler/Raupach D S t Z / A 1968 S. 249/251; vgl. auch Kluge R i W 1975 S. 526. 134 Vgl. v o r allem Flume, „Steuerflucht i n der Schweiz legal u n d illegal", Handelsblatt v. 22.1.1965, S. 13: „ E i n Vorgehen nach § 6 S t A n p G f ü h r t dazu, daß die deutschen Steuerpflichtigen die Gründung u n d Verwendung der 130

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

270

Extremfälle erfassen können, i n denen die Körperschaft ausschließlich oder nahezu ausschließlich zur Steuerumgehung benutzt wird. Selbst i n diesen Fällen aber werde sich die Steuerumgehungsabsicht nur schwer nachweisen lassen 135 , selbst wenn man „das Überwiegen der Steuerumgehungsabsicht" genügen läßt 1 3 6 . bb) Auch die Nichtanerkennung einzelner Geschäftsbeziehungen oder Geschäftsvorfälle gilt als kein effektives Mittel zur Bekämpfung der Steuerflucht. Rädler/Raupach weisen darauf hin, daß die Nichtanerkennung einzelner Geschäftsvorfälle auf Grund des § 41 I I AO η. F. (§ 5 I StAnpG a. F.) nur selten möglich sei. Die Parteien würden schon aus steuerlichen Gründen die privatrechtlichen Konsequenzen aus der Einschaltung der Basisgesellschaft wirklich eintreten lassen wollen 1 3 7 . Der Zurechnung nach § 39 A O η. F. (§11 StAnpG a. F.) wird, nachdem der B F H seine i m „Treuhandteil" vertretene Ansicht aufgegeben hat, wenig Bedeutung zukommen, da die Beteiligten i n aller Regel keinen Treuhandvertrag vereinbaren werden, „da ihr Ziel, Steuer gut aus der deutschen Besteuerungshoheit zu verlagern, dem widerspräche" 138 . Ebenso darf nach Großfeld § 42 A O η. F. (§ 6 StAnpG a. F.), auch wenn diese Vorschrift bei der Prüfung der Angemessenheit einzelner Rechtsbeziehungen zum ausländischen Rechtsträger eine Rolle spielt, i n seiner Wirksamkeit nicht überschätzt werden. Der Anwendungsbereich werde vor allem dadurch beschränkt, daß die Absicht der Steuerumgehung gegeben sein muß. Auch darüber hinaus stellten sich schwierige Aufklärungsprobleme 139 . b) Wenn .die allgemeinen Vorschriften als wenig effektiv zur Bekämpfung der Steuerflucht bezeichnet werden, so w i r d man bei einer derartigen Feststellung aber die unterschiedliche Situation vor und nach Erlaß des Außensteuergesetzes zu berücksichtigen haben. Vor Erlaß des Außensteuergesetzes ging es bei der Feststellung der geringen Effektivität darum, die Notwendigkeit einer spezialgesetzlichen Regelung aufzuzeigen, galt es, darzulegen, daß die allgemeinen Vorschriften zu einer effektiven Bekämpfung der Steuerflucht nicht ausreichen. Nach Erlaß des Außensteuergesetzes, nachdem also die geforderten spezialschweizer juristischen Personen i n der Weise wirtschaftlich untermauern, daß n u r noch die D u m m e n auf diesem Wege steuerlich erfaßt werden." 135 Großfeld, S. 77 m. w . N. 138 Großfeld, S. 77. 137 Rädler/Raupach D S t Z / A 1968 S. 249/253. 138 Kluge StuW 1976 S. 101/110; dazu daß der wirtschaftlichen Betrachtungsweise keine größere Bedeutung zukommen k a n n vgl. bereits zu 2. 1 3 9

Großfeld,

S.

99.

2. Abschn.: Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

271

gesetzlichen Regelungen geschaffen worden sind, w i r d man aber sehen müssen, daß den allgemeinen Vorschriften, auch wenn sie „wenig effekt i v " sind, neben den Regelungen des Außensteuergesetzes doch Bedeutung zukommt. aa) Die allgemeinen Vorschriften vermögen vielleicht die Steuerflucht nicht zu verhindern. Sie können sie aber — unabhängig von den Vorschriften des Außensteuergesetzes — zumindest erschweren. Erkennt man zum Beispiel eine ausländische Körperschaft nach § 42 AO η. F. (§ 6 StAnpG a. F.) nicht an, sofern kein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird, der die Gestaltung „rechtfertigt", so w i r d dadurch die Steuerflucht doch zumindest „verteuert". Der Möglichkeit zur Verlagerung von Steuergut ins Ausland w i r d so immerhin an A t t r a k t i v i t ä t genommen. bb) Vor allem aber erfüllen die allgemeinen Vorschriften gegenüber den Vorschriften des Außensteuergesetzes eine Ersatz- und Ergänzungsfunktion. Wöhrle verweist darauf, „daß die § § 7 - 1 4 AStG einmal nicht sämtliche Basisfälle treffen, zum zweiten durch das Internationale Steuerrecht beschnitten werden u n d drittens i n den Rechtsfolgen nicht umfassend sind" 1 4 0 . Die § § 7 - 1 4 AStG gelten nur für Körperschaften und nicht für andere Rechtsträger. Außerdem gelten sie auch nicht für sämtliche ausländische Körperschaften, sondern nur für deutsch beherrschte ausländische Körperschaften i m Verhältnis zu ihren inländischen Anteilseignern. Auch erscheint eine Anwendung der § § 7 - 1 4 AStG gegenüber Abkommenstaaten zumindest zweifelhaft 141 . 2. Die fehlende K l ä r u n g der tatbestandlichen Voraussetzungen a) Nicht nur die geringe Effektivität der allgemeinen Vorschriften zur Bekämpfung der Steuerflucht, sondern vor allem auch, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen der allgemeinen Vorschriften zu wenig geklärt seien, wurde i n der Literatur kritisiert. Nach Heinze/Thomae sind die Bemühungen, die i m Oasenerlaß aufgegriffenen Tatbestände einer rechtlich präziseren Wertung zugänglich zu machen, zwar sehr differenziert, konnten jedoch ihr Ziel — Maßstäbe einer klaren Rechtsanwendung zu finden — 'bisher nicht erreichen 142 . Die auf den Steueroasenerlaß gestützten Steueraufsichtsmaßnahmen hätten zu Erscheinungsformen geführt, denen gegenüber kaum noch Begriffe wie Rechtssicherheit u n d Rechtsklarheit angeführt werden könnten. 140 Wöhrle, Vorbem. zu §§ 7 - 14, I I I , S. 82; zum Ganzen auch Kluge StuW 1976 S. 101 f.; dazu, w i e sich die Außenwirtschaft der Durchgriffsbesteuerung der §§ 7 ff. A S t G anpaßt, vgl. auch: Flick Steuerkongreß — Report 1976 S. 197/ 207 ff. 141 Hierzu noch unter B. 142 Heinze/Thomae A W D 1968 S. 332.

272

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

Gerade § 6 StAnpG, ein tragender Grundpfeiler des Oasenerlasses, sei i n seinem Mangel an Justiziabilität kaum zu überbieten. Nach Heinze/ Thomae ist § 6 StAnpG sogar verfassungswidrig 143 . § 6 StAnpG i n seiner heutigen Auslegung verletze sowohl das Rechtsstaatselement „Vorausschaubarkeit u n d Meßbarkeit staatlicher Eingriffe" als auch das Rechtsstaatselement „Rechtssicherheit" 144 . Flick weist außerdem darauf hin, der Oasenerlaß habe eine für die Finanzverwaltung letztlich verheerende Nebenwirkung gezeigt. Die fehlende Konkretisierung verführe nämlich innerhalb der Finanzverwaltung zu einer mehr emotionalen, statt logisch-juristischen Argumentation ohne ausreichende Sachverhaltsaufklärung 145 . Flüge warnt, die sich jeglichem Ressentiment oder Opportunismus w i l l i g hingebende Unbestimmtheit des Mißbrauchsbegriffs dürfe nicht dazu führen, daß Verwaltung u n d Rechtsprechung unter Umgehung des Gesetzgebers Steuerpolitik betreiben 146 . b) Die insoweit i n der Literatur geäußerte K r i t i k erscheint weitgehend berechtigt (auch, wenn man § 6 StAnpG w o h l zu unrecht als verfassungswidrig bezeichnete 147 ). Nach dem Erlaß des Außensteuergesetzes w i r d man den vorgebrachten Bedenken aber eine andere Zielsetzung geben müssen, als sie vor dem Erlaß des Außensteuergesetzes hatten. Vor Erlaß des Außensteuergesetzes mußten die Bedenken bezüglich der fehlenden Klärung der tatbestandlichen Voraussetzungen der allgemeinen Vorschriften der §§ 1 I I I , 5, 6 StAnpG darauf abzielen, 143

Heinze/Thomae, ebd., S. 332/337. Heinze/Thomae, ebd., S. 332/336; vgl. auch Flüge D B 1965 S. 1829/1830 (Was ein „Mißbrauch v o n Formen u n d Gestaltungsmöglichkeiten" sei, lasse sich k a u m i n einer dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit genügenden Weise umschreiben). 145 Flick D B 1975 S. 1674/1676; vgl. zu den Schwierigkeiten der A n w e n d u n g des Oasenerlasses auch Rädler\Raupach D S t Z / A 1968 S. 249 (Gefahr, daß der Erlaß w i e eine Rechtsvorschrift angewendet w i r d , ohne konkret auf die Rechtsgrundlagen einzugehen; die auf r e l a t i v einfache Gestaltungen abgestellten Anweisungen der V e r w a l t u n g bieten bei den i. d. R. komplizierten Sachverhalten keine Orientierungshilfe; die Auseinandersetzung m i t dem Erlaß sei erschwert, w e ü die K r i t i k an den Anweisungen des Erlasses eine Überprüfung der i m Erlaß — stillschweigend — vorausgesetzten Auslegungsgrundsätze verlangt); vgl. auch Hopfenmüller StbJb. 1965/66 S. 451/464 dazu, daß der Oasenerlaß es unterlassen habe, auf die Rechtsgrundlagen konkret einzugehen. 148 Flüge D B 1965 S. 1829/1830. 147 Vgl. hierzu Tipke/Kruse, § 6 StAnpG, A n m . 1 unter Hinweis auf BVerfGE Bd. 8 S. 274/326; Bd. 13 S. 153/164 sowie Bd. 9 S. 237/245; Bd. 13 S. 331/345; Bd. 16 S. 203/210; Bd. 18 S. 91/111; (wenn allerdings Tipke/Kruse ihre Ansicht v o r allem damit begründen, es seien nicht alle Umgehungsmöglichkeiten abstrakt voraussehbar, so hätte m a n u. U . gerade aus der U n t ä t i g keit i m Bereich der Steuerfluchtbekämpfimg v o r der Schaffung des A S t G Bedenken ableiten können) ; vgl. i m übrigen auch Striegel, S. 85 m. w . N. 144

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

273

daß der Gesetzgeber eine spezielle Regelung schafft u n d -damit eine Anwendung der allgemeinen Vorschriften erübrigt. Der Gesetzgeber hat nun aber zwar eine spezielle Regelung zur Bekämpfung der Steuerflucht i n den § § 7 - 1 4 AStG geschaffen. Die allgemeinen Vorschriften sind aber weiterhin anzuwenden. Damit bleibt nur die Möglichkeit, sich verstärkt u m eine K l ä r u n g der tatbestandlichen Voraussetzungen zu bemühen. 3. Die Anwendimg der allgemeinen Vorschriften unter internationalen Aspekten Bei der Diskussion der allgemeinen Vorschriften standen die beiden zuvor genannten Punkte, die mangelnde Effektivität der allgemeinen Vorschriften zur Bekämpfung der Steuerflucht und die fehlende Klärung der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschriften i m Vordergrund. Die Anwendung der allgemeinen Vorschriften zur Bekämpfung der Steuerflucht erscheint jedoch auch unter internationalen Aspekten nicht unproblematisch. a) Ausgangspunkt der Überlegungen zu einer Anwendung der allgemeinen Vorschriften über Schein- u n d Mißbrauchsgestaltungen unter internationalen Aspekten muß sein, daß das deutschen Außensteuerrecht damit von der nach dem Grundsatz der Selbständigkeit gegebenen Steuergutverteilung abweicht aa) Die Nichtanerkennung der ausländischen Körperschaft wie auch die Nichtanerkennung einzelner Geschäfte kann zu erheblichen Problemen für die betroffene Körperschaft und ihre Anteilseigner führen 1 4 8 . Erkennt Deutschland die Körperschaft bzw. einzelne Geschäftsbeziehungen m i t i h r nicht an, so w i r d das verlagerte Vermögen und die verlagerten Gewinne dem Vermögen Ibzw. dem Einkommen der inländischen Anteilseigner zugerechnet 149 . Folgt der ausländische Staat dieser Betrachtungsweise nicht, sondern besteuert den betreffenden Gew i n n bzw. das betreffende Vermögen bei der ausländischen Körperschaft, so t r i t t eine „Doppelbesteuerung" i m Verhältnis von Körperschaft u n d Anteilseigner ein 1 5 0 . ibb) I m Verhältnis zum Sitzstaat der Körperschaft w i r d man das Problem einer Anwendung der Schein- und Mißbrauchsvorschriften nicht darin zu sehen haben, daß Deutschland grundsätzlich nicht bereit 148

Z u m folgenden vgl. Großfeld, S. 108 ff. Vgl. Großfeld, S. 106 m. w . N. 150 Großfeld, S. 108 unter Hinweis auf Seidel, Gewinnverschiebungen, S. 189 ff.; Kormann, Die Steuerpolitik der internationalen Unternehmung, 1. Aufl., S. 208 ff. 149

18 v. Beckerath

274

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

ist, bestimmte Gebilde anzuerkennen. Man kann davon ausgehen, daß auch der Sitzstaat der Körperschaft bestimmte Voraussetzungen für die Anerkennung als Körperschaft hat, insbesondere auch Mißbrauchtatbestände kennt. Das Problem einer Anwendung der Schein- und Mißbrauchsvorschriften i m Verhältnis zum Sitzstaat der Körperschaft liegt vielmehr darin, daß Deutschland als Wohnsitz- (oder Sitz-)staat des Anteilseigners bestimmt, welche Körperschaften es anerkennt und welche nicht Es besteht insoweit eine enge Verwandtschaft zu den Fragen der Qualifikation. Die grundsätzlich vom Sitzland der Körperschaft vorzunehmende Bestimmung über die Anerkennung der Körperschaft sowie die Bestimmung, was als Gewinn der Körperschaft anzusehen ist, w i r d vom deutschen Außensteuerrecht nicht akzeptiert 151 . b) Dennoch ist unter internationalen Aspekten gerade eine Anwendung der allgemeinen Vorschriften über Schein- und Mißbrauchsgestaltungen als „verhältnismäßig unbedenklich" anzusehen. aa) I n der Vergangenheit sind i n Steueroasenländern Gesellschaften gegründet worden ohne jegliche Substanz und allein zur Steuerumgehung. Es erscheint als ein berechtigtes Anliegen des Steuerfluchtlandes, einer Verlagerung von Steuergut durch derartige Gestaltungen entgegenzutreten u n d „durchzugreifen". Unterläßt es der Sitzstaat der Körperschaft, derartige Gestaltungen zu unterbinden, so entzieht er damit der auf einander bezogenen Beachtung des Grundsatzes der Selbständigkeit die Grundlage und „ermächtigt" das Steuerfluchtland, entsprechende Korrekturen selbst vorzunehmen 152 . bb) Die Anwendung der allgemeinen Vorschriften beschränkt sich i m übrigen auf Fälle der Schein- und Mißbrauchsgestaltung sowie der wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Hierzu aber hat Müller i n seiner Untersuchung festgestellt, daß es in allen Rechtsordnungen zu Mißachtungen der Selbständigkeit der juristischen Person kommt 1 5 8 . Nach Großfeld verwendet das Steuerrecht — zumindest der stärker industrialisierten Staaten — allgemein eine Methode, die i m deutschen Steuerrecht als wirtschaftliche Betrachtungsweise bezeichnet wird 1 5 4 . Von daher bestehen gerade gegen eine Anwendung der allgemeinen Vorschriften, die sich auf eine Bekämpfung von Schein- u n d Mißbrauchsfällen beschränken bzw. Fällen eines fehlenden wirtschaftlichen Sub151 Vgl. auch Ryser (StuW 1968 Sp. 18), der betont, w o l l e m a n den „Boden unter den Füßen nicht vollständig verlieren, so müsse eine zwischenstaatliche Ordnung hergestellt werden, die ausschließt, daß die gleiche juristische Person zur gleichen Zeit existieren u n d nicht existieren kann". 152 Vgl. bei Wöhrle, S. 77 f. iss V g L Peter Müller, S. 138 f. 154

Großfeld,

S.193.

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

275

strats die Anerkennung versagen, unter internationalen Aspekten keine entscheidenden Bedenken. Dies gilt nicht nur i m Verhältnis zu den betroffenen ausländischen Staaten, sondern gilt vor allem auch i m Verhältnis zu den Anteilseignern, die — soweit man die entsprechenden Vorschriften nicht zu weit auslegt — i n diesen Fällen nicht schützenswert erscheinen. cc) Außerdem erscheint es, solange die Staaten sich das Recht vorbehalten, selbst zu bestimmen, welche Gebilde sie überhaupt als Körperschaft akzeptieren wollen (Qualifikationsproblem), als ein berechtigtes Anliegen des einzelnen Staates, Schein- und Mißbrauchsgestaltungen nicht anzuerkennen. 4. Die Vereinbarkeit m i t den D B A Wenn man bedenkt, wie lange die allgemeinen Vorschriften der §§ 1 I I I , 5, 6, 11 StAnpG etc. bereits als Möglichkeiten zur Bekämpfung der Steuerflucht diskutiert und auch angewandt werden, erstaunt, daß die Frage der Vereinbarkeit einer derartigen Anwendung m i t den D B A noch recht ungeklärt erscheint. a) I n der Literatur geht man davon aus, daß eine Nichtanerkennung von Körperschaften i n Schein- und Mißbrauchsfällen ohne weiteres m i t den D B A vereinbar ist: § 6 StAnpG müsse anwendbar sein, „da es unvorstellbar sei, daß er nicht anwendbar sei". Die Vereinbarkeit einer m i t § 5 StAnpG begründeten Nichtanerkennung einer Basisgesellschaft werfe keine Probleme auf, „denn selbstverständlich könnten sich Scheingesellschaften nicht auf den Schutz eines Abkommens berufen" 1 5 5 . Derart unproblematisch erscheint eine einseitige Nichtanerkennung von Körperschaften durch einen der beteiligten Vertragstaaten allerdings nicht. Sinn und Zweck der D B A ist es immerhin, eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, die Steuerhoheit der beteiligten Staaten gegeneinander abzugrenzen. aa) So nimmt Friedrich auch an, daß eine Anwendung vies § 6 StAnpG ( = § 42 A O η. F.) ohne Zustimmung des Vertragspartners unzulässig sei. Nach den D B A könnten natürliche Personen eines Vertragslandes eine Kapitalgesellschaft i n dem anderen vertragschließenden Land gründen, beherrschen und betreiben. Die D B A betrachteten diesen Sachverhalt als einen zulässigen Sachverhalt, ohne eine Einschränkung nach dem Zweck zu machen, zu dem eine solche Kapitalgesellschaft gegründet worden ist oder verwendet wird. Unter diesen Umständen aber könne die Gründung einer Gesellschaft niemals von Deutschland einseitig als Mißbrauch i m Sinne des § 6 StAnpG behandelt werden mit der 155

18·

So auch

Kluge

RiW 1975 S. 525.

276

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

Wirkung einer Steuerverschärfung Gesellschafter. Deutschland könne antreten, um i n diesem speziellen verfahrens eine Ausnahme von der

für die Kapitalgesellschaft oder ihre nur an seinen Vertragspartner herFalle i m Wege des VerständigungsRegelung des D B A zu erwirken 15 ®.

bb) Großfeld geht demgegenüber davon aus, daß den Vertragsparteien eines D B A bekannt sei, daß die Trennungslinie zwischen Gesellschaft und Anteilseignern unter bestimmten Bedingungen durchbrochen werden kann 1 5 7 . Daher könne man D B A nicht dahin interpretieren, daß sie generell die Anwendung von Durchgriffsvorschriften verbieten. Man müsse sogar annehmen, daß die beteiligten Staaten gewisse Divergenzen i n den beiderseitigen Auffassungen hinnehmen, w e i l sie Kenntnis davon hätten, daß die Voraussetzungen des Durchgriffs schwerlich einheitlich seien. Man müsse deshalb von dem Bestehen eines Spielraumes für den Durchgriff ausgehen. Entscheidend für die Umgrenzung dieses Spielraumes sei, worauf sich die vertragschließenden Staaten eingelassen hätten, wenn sie das Problem i n seinem ganzen Umfang gesehen und an die Notwendigkeit einer Regelung gedacht hätten. So stünden dem Durchgriff keine Bedenken entgegen, wenn die konkrete Situation sich aus der Sicht des anderen Staates ebenfalls als ein Mißbrauch des DBA's darstelle. I m übrigen sei vom Sinn und Zweck der D B A auszugehen. Sie dienten der Festlegung des maßgeblichen Besteuerungsortes und wählten dafür i m allgemeinen den zentralen Schwerpunkt des Unternehmens. Hierbei sei zu beachten, daß das Steuerrecht — zumindest der stärker industrialisierten Staaten — eine Methode verwende, die i m deutschen Recht als wirtschaftliche Betrachtungsweise bezeichnet wird. Bloße Formalitäten ohne materielle Substanz würden i n der Regel beiseite geschoben. Daher bestünden i m Hinblick auf D B A keine Bedenken, wenn Briefkastenfirmen die Anerkennung der rechtlichen Selbständigkeit versagt werde. Darüber hinaus werde man einen Durchgriff dann als zulässig ansehen können, wenn trotz Vorliegens der Anknüpfungsmomente des DBA's ein eigenständiger Schwerpunkt unternehmerischer Tätigkeit und eine feste Verankerung i m anderen Vertragstaat nicht bestehe. Aus diesen Ausführungen von Großfeld zum allgemeinen Verhältnis von steuerlichem Durchgriff und allgemeiner Zielsetzung der D B A w i r d man jedoch auch nicht ohne weiteres die Vereinbarkeit einer Nichtanerkennung von ausländischen Körperschaften m i t den D B A ableiten können. Gegen die Annahme eines Spielraumes i n den DBA, der eine Nichtanerkennung von Schein- und Mißbrauchsformen erlaubt, spricht: Wenn den Vertragspartnern bei Abschluß des Abkommens bekannt 156 157

Friedrich B B 1972 S. 845/848. Großfeld, S. 192.

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

277

war, daß die Trennungslinie zwischen Körperschaft und Anteilseigner durchbrochen werden kann, so sollte man an sich erwarten, daß sie selbst eine entsprechende Regelung vereinbaren, wenn sie einen Durchgriff zulassen wollen 1 5 8 . Zumal ein Durchgriff zu einer „Doppelbesteuerung" führt, die durch das D B A gerade vermieden werden sollte. M i t einem „Spielraum" würden die Vertragsparteien bewußt eine „ D B " i n Kauf nehmen. Auch die Anwendung der Kriterien, die Großfeld für die Umgrenzung des von i h m angenommenen allgemeinen Spielraumes anführt, auf die Frage der Vereinbarkeit der Schein- und Mißbrauchsvorschriften m i t den D B A ist nur bedingt möglich. Wenn man bei den Schein- und Mißbrauchsfällen davon ausgeht, daß die Vertragsparteien das Problem des Durchgriffs gesehen haben, kann für die U m grenzung des Spielraumes nicht maßgeblich sein, „worauf sich die vertragschließenden Staaten eingelassen hätten, wenn sie das Problem i n seinem ganzen Umfang gesehen und an die Notwendigkeit einer Regelung gedacht hätten". Auch kann nicht entscheidend sein, ob sich die konkrete Situation aus der Sicht des anderen Staates ebenfalls als ein Mißbrauch des D B A darstellt. Der Fall, daß die betreffende „Körperschaft" auch bereits vom Vertragspartner nicht als Körperschaft anerkannt wird, ist i m wesentlichen unproblematisch, löst auf jeden Fall keine Doppelbesteuerung aus und führt i m Einzelfall auch nicht zu einer Interessenkollision m i t dem ausländischen Staat. Schließlich ist es auch problematisch, auf Sinn und Zweck des Abkommens abzustellen und unter Berufung auf Sinn und Zweck des Abkommens eine Nichtanerkennung von „Formalitäten ohne materielle Substanz" zuzulassen, wenn die Vertragstaaten über die Auslegung des Abkommens, die einzelne Körperschaft betreffend, gerade unterschiedlicher Auffassung sind. cc) Die Frage einer Nichtanerkennung von Körperschaften als Scheinund Mißbrauchsgestaltung ist vielmehr in einer engen Parallele zu dem Qualifikationsproblem zu sehen. Die Frage, ob eine Nichtanerkennung von Körperschaften als Schein- oder Mißbrauchsgestaltung m i t den D B A vereinbar ist, ist eine Frage der Auslegung der entsprechenden Abkommensbestimmungen. Auszugehen ist hierbei von A r t . 3 Abs. 1 des OECD-Musterabkommens, wonach der Ausdruck „Gesellschaft" bedeutet „juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden". 158 Vgl. auch Kluge, Zurechnungsprobleme, S. 57 f.: „ . . . w ü r d e n die Steuerpflichtigen den V e r t r a g s t a a t e n . . . zu Recht m i t dem V o r w u r f begegnen, derartige Probleme seien voraussehbar gewesen u n d nicht gelöst worden. Gegen die A n n a h m e einer bloßen formalen A n k n ü p f u n g m i t der Rechtsfolge der Verweigerung der Abkommensberechtigung bestehen daher — soweit das A b k o m m e n keine gesetzliche Grundlage hierfür enthält — erhebliche Bedenken."

278

I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

(1) Geht man davon aus, daß durch die dem A r t . 3 Abs. 1 OECD-Musterabkommen entsprechenden Abkommensbestimmungen die Zulässigkeit einer Qualifikation nach inländischem Recht nicht eingeschränkt wird, soll es also dem einzelnen Vertragstaat überlassen bleiben, welche Gebilde — auch ausländischen Rechts — er als Körperschaft ansehen w i l l , so w i r d man i h m grundsätzlich auch das Recht zugestehen müssen, zu bestimmen, welche Gebilde er i m Einzelfall als bloße Scheinoder Mißbrauchsgestaltungen nicht als „juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden" anerkennen w i l l . (2) Problematisch w i r d es nur, wenn man davon ausgeht, daß die Bestimmung, welche Gebilde als Körperschaften anzusehen sind, nach den D B A dem Sitzstaat der Körperschaft obliegt, und zwar m i t W i r kung auch für das Land des Anteilseigners. Folgerichtig müßte man — so könnte man meinen — auch hier die Entscheidung über die Behandlung der i m anderen Vertragstaat ansässigen Körperschaft dem Vertragspartner überlassen. (Diese Problematik besteht i m übrigen i n jedem Fall — auch wenn man davon ausgeht, daß die D B A grundsätzlich die Qualifikation nach der lex fori nicht einschränken — gegenüber den Abkommenstaaten, m i t denen ausdrücklich eine Einschränkung der Qualifikation nach der lex fori vereinbart ist.) Dennoch w i r d man w o h l auch i n diesen Fällen eine Anwendung der allgemeinen Vorschriften über Schein- und Mißbrauchsgestaltungen für zulässig halten müssen. Selbst wenn die Entscheidung über die Anerkennung einer Körperschaft grundsätzlich dem Sitzstaat der Körperschaft auch m i t Wirkung für den Abkommenspartner obliegen soll, so könnte sich — zumindest bei einer engen Auslegung der Schein- und Mißbrauchsvorschriften — der Sitzstaat der Anteilseigner darauf berufen, daß der Vertragspartner seinerseits sich mißbräuchlich und vertragswidrig verhält, wenn er Schein- und Mißbrauchsgestaltungen nicht die Anerkennung verweigert. Außerdem geht es bei Qualifikationsfragen u m die grundsätzliche Behandlung bestimmter Rechtsformen als Körperschaften. I m vorliegenden Zusammenhang dagegen geht es u m eine Nichtanerkennung einer bestimmten Körperschaft als Schein- oder Mißbrauchsgestaltung i m Einzelfall. Wollte man auch hier eine Verpflichtung für den Sitzstaat der Anteilseigner annehmen, die Behandlung der einzelnen K ö r perschaft durch den Sitzstaat der Körperschaft zu übernehmen, bedürfte es eines Mitteilungsverfahrens zwischen den Finanzverwaltungen der beteiligten Staaten, das i n den D B A aber nicht vorgesehen ist. b) Möglicherweise gilt Ähnliches wie für die Frage der Nichtanerkennung der Körperschaft für die Nichtanerkennung einzelner Geschäfts-

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

279

Vorfälle. Abkommensvorschriften, die sich ausdrücklich m i t der Frage der Zurechnung von Wirtschaftsgütern befassen, fehlen i n den DBA 1 5 9 . Auch der Begriff des „Gewinns" w i r d nicht i m einzelnen definiert. aa) Debatin hat hieraus geschlossen, die Zurechnung von Wirtschaftsgütern sei allein Sache des nationalen Rechts. Die D B A setzten keine Regel, m i t der die Steuerpflicht wie nach nationalem Recht bestimmt würde. Subjektive und sachliche Steuerpflicht zu begründen, sei Sache des nationalen Rechts. Daher könne von den Abkommen keine Wirkung auf das innerstaatliche Recht hinsichtlich der Frage abgeleitet werden, wem bestimmte Einkünfte oder Vermögenswerte zuzurechnen seien. Die materielle Einkunftszurechnung stehe i m „Vorhof" der Abkommensberechtigung 160 . bb) Nach Kluge kann demgegenüber „die Formel von der ausschließlichen Zuständigkeit nationalen Rechts bei der Zurechnung von Wirtschaftsgütern nicht akzeptiert werden" 161. Er weist darauf hin, daß bereits A r t . 9 des OECD-Musterabkommens (Gewinnkorrekturen bei verbundenen Unternehmen) und die i h m entsprechenden Normen i n den neueren D B A zeigten, daß sich die sachliche Steuerpflicht nicht allein nach nationalem Recht richte. Zwar bestimme A r t . 9 nicht die sachliche Steuerpflicht, beeinflusse diese aber. Auch die Betriebstättenbesteuerung werde i n ihrem sachlichen Gehalt entscheidend durch die Abkommen bestimmt (Art. 7 des OECDMusterabkommens). Weiterhin liefere der Sinnzusammenhang, i n dem die einzelnen Normen eines Abkommens zu sehen sind, Anhaltspunkte dafür, daß die Zurechnung nicht völlig außerhalb des Abkommens stehe. So wären nach A r t . 7 Abs. 1 des OECD-Musterabkommens die Gewinne eines Unternehmens eines Vertragstaates n u r i n diesem Staat zu besteuern, es sei denn, das Unternehmen übe seine Tätigkeit i m anderen Vertragstaat durch eine dort gelegene Betriebstätte aus. I n diesem Fall könnten die Gewinne i n dem anderen Staat besteuert werden, jedoch nur insoweit, als sie dieser Betriebstätte zugerechnet werden können. Diese Regelung würde von einem Staat umgangen werden, wenn es i h m freistellen soll, die Wirtschaftsgüter, die „einem Unternehmen eines Vertragstaates" dienen, den i n seinem Land lebenden Beteiligten zuzurechnen, obwohl hier unter Umständen nicht einmal eine Betriebstätte besteht 182 . Auch werde man die „Tradition und bisherige Praxis der Vertragspartner" zu berücksichtigen haben. „Der Wille des einen Vertragspart159

Kluge R i W 1975 S. 522/528. Debatin D S t Z / A 1964 S. 16 (bei Kluge, ebd.). 161 Kluge R i W 1975 S. 522/528 f. 162 Vgl. i m einzelnen Kluge, ebd. 160

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ners dürfte — so Kluge — kaum dahin gehen, i m Bereich der sachlichen Steuerpflicht künftige Änderungen i m internen Recht des Vertragspartners unbegrenzt hinzunehmen 163 . Eine allen bisherigen Erkenntnissen zuwiderlaufende Auslegung einer die sachliche Steuerpflicht berührenden Rechtsnorm durch die Gerichte des Vertragspartners, die i n den Vertrag zum Nachteil des anderen Staates eingreife, komme i m K e r n einer Gesetzesänderung nach Abschluß des Abkommens gleich und könne sich wegen des ungeschriebenen Vertragsvorbehaltes nicht durchsetzen. Danach ist davon auszugehen, daß die D B A zwar keine ausdrückliche Regelung der Zurechnung von Wirtschaftsgütern enthalten, insbesondere nicht den Begriff des „gewerblichen Gewinns" definieren, andererseits der Zurechnung nach dem internen Recht aber bestimmte Grenzen ziehen (arm's-length-Prinzip; Betriebstättenprinzip; Tradition und bisherige Vertragspraxis) 164 , die i m Einzelfall einem Durchgriff auf Grund der allgemeinen Vorschriften entgegenstehen können 1 6 5 .

C. Die Sondervorschriften des Außensteuergesetzes

Nach eingehender Diskussion verabschiedete der Deutsche Bundestag am 22. Juni 1972 das Außensteuerreformgesetz, das neben Änderungen des Körperschaftsteuergesetzes, des Bewertungsgesetzes, der Abgabenordnung und des Steueranpassungsgesetzes vor allem das Außensteuergesetz als Kernstück enthielt. Anlaß für diese Schaffung des Außensteuergesetzes war vor allem, daß man die vorhandenen Möglichkeiten für eine Bekämpfung der Steuerflucht nicht als ausreichend ansah. Die behandelten allgemeinen Vorschriften sowie die Möglichkeiten nach § 12 StAnpG (der i n § 15 AStG übernommen wurde) und nach § 15 I I StAnpG wurden als für eine effektive Bekämpfung der Steuerflucht ungeeignet erachtet. Das Außensteuergesetz enthält Regelungen für die Gewinnberichtigung bei international verbundenen Unternehmen (§ 1), die erweiterte Besteuerung inländischer Steuergüter bei Wegzug i n ein Niedrigsteuerland (§§ 2 - 5), die Besteuerung des Wertzuwachses wesentlicher Beteiligungen bei Auswanderung (§ 6), die Hinzurechnung von Einkünften ausländischer Zwischengesellschaften an den inländischen Anteilseigner (§§7-14), die Steuerpflicht inländischer Stifter, Anfalls- und Bezugsberechtigter ausländischer Familienstiftungen (§ 15), sowie erhöhte M i t 163 v g l . hierzu näher Kluge, ebd. 184

Vgl. Kluge, ebd., S. 522/529. So verstieß nach K l u g e etwa die Auslegung des § 11 S t A n p G auf der Grundlage des Treuhandteils gegen die D B A (hierzu Kluge, ebd., S. 522/ 529 f.). 165

2. Abschn.: Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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Wirkungspflichten bei der Aufklärung von Auslandssachverhalten (§§ 16, 17). Als Durchgriffsfälle sind von diesen Vorschriften des Außensteuergesetzes vor allem die §§ 7 ff. und 15 AStG (hierzu unter I und II) sowie die §§ 14, 5 und 6 des AStG (hierzu unter III) zu behandeln. I. Die Hinzurechnungsbesteuerung

nach §§ 7 ff. AStG

1. Der Inhalt der gesetzlichen Regelung Zentrale Vorschriften des Außensteuergesetzes sind die Bestimmungen der §§7 ff. über die Hinzurechnungsbesteuerung bei sogenannten „Zwischengesellschaften". Nach § 7 AStG werden bei inländischen A n teilseignern deutsch beherrschter Körperschaften diejenigen Einkünfte (der Körperschaft) besteuert, die i m Domizilland der Körperschaft einer Ertragsteuerbelastung von weniger als 30 °/o unterliegen und nicht aus den i n § 8 1 Ziff. 1 - 7 A S t G aufgeführten Formen aktiver Wirtschaftstätigkeit stammen. Soweit die ausländische Körperschaft ihre Gewinne tatsächlich ausschüttet, werden die nach §§7 ff. AStG zuzurechnenden Beträge entsprechend gekürzt. Ebenso werden nach § 12 AStG auf A n trag die von der ausländischen Körperschaft tatsächlich gezahlten Steuern auf die deutsche Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer angerechnet. a) Das Außensteuergesetz w i l l m i t den § § 7 - 1 4 AStG Körperschaften erfassen, die i n einem Niedrigsteuerland ihren Sitz haben und dort keine aktive Wirtschaftstätigkeit entfalten 1 8 6 . Das Außensteuergesetz besteuert zu diesem Zweck jedoch nicht die ausländische Körperschaft selbst — wie es § 15 I I StAnpG vorsah —, sondern besteuert nach dem Vorbild der amerikanischen Gesetzgebung von 1962167 die inländischen Anteilseigner nicht nur für den ausgeschütteten, sondern auch für den einbehaltenen Gewinn der ausländischen Körperschaft. Die Steuerpflicht des Inländers w i r d entsprechend seiner Beteiligungshöhe auf die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft erstreckt. Diese Regelung soll vor allem — anders als bei einer Besteuerung der ausländischen Körperschaft — ausländische Bona-fide-Aktionäre vor einer deutschen Besteuerung bewahren 1 6 8 . Außerdem sprechen praktische Erwägungen dafür, nicht auf die ausländische Körperschaft, sondern auf die inländischen Anteilseigner zuzugreifen. Von der ausländischen Körperschaft wäre die Steuer nur m i t Schwierigkeiten einbringlich 1 6 9 , wohingegen bei 166

Vgl. Großfeld, S. 124. Hierzu ausführlich Großfeld, S. 115 ff. 168 Vgl. Muten C D D F J X L I X b S. 21. 169 Mutén, ebd., S. 19; vgl. i n diesem Zusammenhang neuerdings: Heise, Die Vorlage i m A u s l a n d belegener Geschäftsunterlagen i m Steuerermittlungsverfahren. 167

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I I I . 2. Kap. : Die einzelnen Durchgriffsfälle

einer Besteuerung der inländischen Anteilseigner eine Durchsetzung des Steueranspruchs ohne weiteres möglich ist 1 7 0 . b) Die Steuerpflicht der inländischen Anteilseigner für die Gewinne der ausländischen Körperschaften ist dabei entgegen einem Vorschlag einer Minderheit i n der Steuerreformkommission jedoch i n verschiedener Hinsicht eingeschränkt. aa) Zunächst werden verschiedene Voraussetzungen aufgestellt, um die Besteuerung nach § § 7 - 1 4 AStG auf die Bekämpfung der Steuerflucht zu beschränken. (1) Die Steuerpflicht nach § § 7 - 1 4 erstreckt sich nicht auf das gesamte Einkommen der ausländischen Körperschaft, sondern nur auf den Gewinn, der einer Ertragsteuerbelastung von weniger als 30 °/o unterliegt und nicht aus den in §8 aufgeführten Formen aktiver Wirtschaftstätigkeit stammt. Damit soll die Zurechnung auf das sogenannte „Basiseinkommen" ( = „passive" Einkünfte) beschränkt werden 1 7 1 . Es soll nur für die Einkünfte eine Hinzurechnung erfolgen, die als Einkünfte der K ö r perschaft nur einer niedrigen Besteuerung unterliegen und nicht aus aktiver Wirtschaftstätigkeit stammen. Durch die Anknüpfung an die A r t der Einkünfte und nicht an die Eigenschaft der Körperschaft soll dabei erreicht werden, daß auch die Körperschaften erfaßt werden, die neben passiven Einkünften auch aktive Einkünfte haben und denen deswegen m i t den Vorschriften über die Nichtanerkennung von Körperschaften (§§1111, 5, 6 StAnpG) nicht zu begegnen war. Entsprechend w i r d auch auf die tatsächliche Ertragsteuerbelastung und nicht auf den allgemeinen ausländischen Steuersatz abgestellt und damit tatsächlich gegebenen Steuerprivilegien Rechnung getragen 172 . (2) Außerdem werden die tatsächlichen Ausschüttungen von den Hinzurechnungsbeträgen abgezogen und die von der ausländischen Körperschaft bereits auf das hinzuzurechnende Einkommen gezahlten Steuern auf Antrag angerechnet. Die Anrechnung der ausländischen Steuern zeigt, daß es nicht darum geht, allgemein das Einkommen der ausländischen Gesellschaft i n die deutsche Besteuerung einzubeziehen, sondern nur als ungerechtfertigt empfundene Steuervorteile abzugleichen. Außerdem soll durch die Anrechnung der ausländischen Steuern eine Doppelbesteuerung des nichtausgeschütteten Gewinns vermieden werden. Durch den Abzug der tatsächlichen Ausschüttungen soll berücksichtigt werden, daß die Zurechnung gegenstandslos ist, wenn das Einkommen 170 171 172

Z u m Ganzen ausführlich Großfeld, S. 169 ff. Vgl. Großfeld, S. 319. Großfeld, S. 126.

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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ausgeschüttet wird, da dann die Erträge ohnehin i n der Bundesrepublik zur Versteuerung kommen. (3) Auch die von § 9 AStG gezogene Freigrenze w i r d man i m Zusammenhang m i t einer Beschränkung auf die Bekämpfung der Steuerflucht sehen können. Die Hinzurechnung soll nur bei Gesellschaften erfolgen, deren Charakter als Basisgesellschaft wirtschaftliches Gewicht hat und eindeutig ist 1 7 3 . Fallen neben den Einkünften aus wirtschaftlich aktiver Tätigkeit an sich zuzurechnende „passive" Einkünfte an von nicht mehr als 1 0 % des Bruttoertrags, so w i r d auf eine Hinzurechnung verzichtet. Da durch diese geringfügigen passiven Einkünfte das Gesamtbild der gesellschaftlichen Tätigkeit nicht berührt wird, sieht § 9 AStG eine Freigrenze vor. Die zuzurechnenden Einkünfte verlieren ihren Charakter als Nebenerträge jedoch, wenn sie eine beträchtliche Höhe erreichen. Deshalb greift die Freigrenze nur ein, wenn die Erträge 120 000 D M nicht übersteigen. bb) Ferner ist die Heranziehung der inländischen Anteilseigner zur Versteuerung des von der ausländischen Gesellschaft erzielten Gewinns dadurch eingeschränkt, daß es sich u m eine Körperschaft handeln muß, an der unbeschränkt Steuerpflichtige zu mehr als der Hälfte beteiligt sind. Durch diese Einschränkung soll sichergestellt werden, daß die inländischen Anteilseigner i n der Lage sind, eine Ausschüttung zu erzwingen und aus dem ausgeschütteten Gewinn die anfallenden Steuern zu zahlen 174 . 2. Die §§ 7 ff. AStG i n verfassungsrechtlicher Sicht Gegen die Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 ff. AStG sind zahlreiche Bedenken erhoben worden. So hat Horst Vogel unter anderem auch Bedenken geäußert, „ob die Durchgriffsgesetzgebung der § § 7 - 1 4 A S t G gegen das deutsche Verfassungsrecht verstößt" 1 7 5 . Als Prüfungsmaßstab für eine verfassungsrechtliche Prüfung der §§ 7 ff. AStG kommt i n erster Linie A r t . 3 1 GG i n Betracht. Es ist zu prüfen, inwieweit für die Regelung der §§ 7 ff. AStG i m einzelnen „sachlich einleuchtende" Gründe vorliegen, welche die Regelung nicht als „ w i l l k ü r l i c h " erscheinen lassen17®: a) Daß m i t den §§ 7 ff. AStG überhaupt von der Regel der Selbständigkeit abgewichen w i r d , erscheint wegen der tatsächlich gegebenen Steuerflucht durch Verlagerung von Einkünften auf ausländische K ö r 178 174 175 176

Großfeld, S. 129. Hierzu Großfeld, S. 122 f. Horst Vogel JFfSt. 1971/72 S. 48/59. Vgl. hierzu i m einzelnen i m 1. K a p i t e l des 3. Teils.

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perschaften nicht als willkürlich. Für diese „Systemwidrigkeit" „sachlich einleuchtender Grund" vor.

liegt ein

b) Auch die Ungleichbehandlung von ausländischen Körperschaften, bei denen ein Durchgriff erfolgt, und inländischen Körperschaften, für welche die §§7 ff. AStG keine Anwendung finden, erscheint sachlich gerechtfertigt, da eine Steuerflucht nur durch Verlagerung von Steuergut auf ausländische Körperschaften erfolgen kann. c) Bedenken könnten sich ergeben, w e i l nach den §§7 ff. AStG eine Hinzurechnung lediglich bei Körperschaften und nicht bei anderen „Rechtsträgern" vorgesehen ist. Bereits i n der Vorbemerkung wurde festgestellt, daß eine Abschirmung von Einkünften von der inländischen Besteuerung auch durch Verlagerung auf eine ausländische Betriebstätte oder eine i m Ausland ansässige natürliche Person möglich ist. Dennoch ist die Beschränkung auf Körperschaften „sachlich gerechtfertigt", da allein die Verlagerung auf eine ausländische Körperschaft bisher praktisch von Bedeutung war. Bei den anderen Formen der Niederlassung i m Ausland fehlt es bisher an einer zu bekämpfenden Steuerflucht. Zwar mag die Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 ff. AStG unter Umständen eine „Ausweichbewegung" auf andere „Rechtsträger" zur Folge haben. Dem Gesetzgeber kann es jedoch nicht verwehrt sein, eine etwaige Entwicklung i n dieser Richtung zunächst abzuwarten und erst dann für die anderen Formen entsprechend der tatsächlich auftretenden Form der Steuerflucht eigene Tatbestände zu schaffen. d) Ein weiterer Punkt, aus dem sich Bedenken ergeben könnten, ist die Regelung, daß nicht nur „verlagerte" Einkünfte dem inländischen Anteilseigner zuzurechnen, sind, sondern daß bei einer deutschbeherrschten Körperschaft i n einem niedrigbesteuernden Staat den inländischen Anteilseignern sämtliche Einkünfte zuzurechnen sind mit Ausnahme der in §8 AStG aufgeführten Einkünfte aus aktiver Wirtschaftstätigkeit. Es gehen damit nicht nur „Redaktionsversehen" zu Lasten des Steuerpflichtigen 177 , sondern es werden auch diejenigen Einkünfte hinzugerechnet, die keine „verlagerten" Einkünfte sind, aber nicht als Einkünfte aus aktiver Wirtschaftstätigkeit umschrieben werden. Man könnte Bedenken haben, ob eine derart weitgehende Hinzurechnung von Einkünften noch unter dem Gesichtspunkt einer Bekämpfung der Steuerflucht ausreichend sachlich gerechtfertigt ist 1 7 8 . 177

Hierzu Grasmann EuStZ 1971 S. 77/109; Telkamp StuW 1972 S. 97/110. Vgl. auch die K r i t i k v o n Eggert (S. 145 f.) : es gehe nicht an, einen Steuerpflichtigen wegen einer anzulastenden Tätigkeit zu „bestrafen", ohne daß diese Tätigkeit u n d damit der Tatbestand k l a r umrissen u n d genannt werde. Die Rechtsunsicherheit werde unnötig genährt. Die A b w ä l z u n g der Beweislast bedeute faktisch eine Verschärfung des Gesetzes. 178

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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Auch wenn die Regelung der §§ 7 ff. AStG insoweit nicht unbedenklich sein mag, so w i r d man einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche „Willkürverbot" aber i m Ergebnis ablehnen müssen. Für eine Hinzurechnung sämtlicher Einkünfte, von denen nicht auszuschließen ist, daß es sich u m verlagerte Einkünfte handelt, anstelle einer Hinzurechnung von „verlagerten" Einkünften, spricht, daß es nur schwer möglich ist, die verlagerten Einkünfte positiv zu umschreiben. Sachlicher Grund für die negative Umschreibung ist damit der Gesichtspunkt der möglichst vollständigen Erfassung der verlagerten Einkünfte, u m so die Steuerflucht effektiv bekämpfen zu können und Ungleichbehandlungen zu vermeiden 179 . e) Bedenken ergeben sich aber i m Hinblick auf A r t . 3 GG daraus, daß § 7 I AStG voraussetzt, daß unbeschränkt Steuerpflichtige zu mehr als der Hälfte an der ausländischen Körperschaft beteiligt sind, die Körperschaft also „deutsch-beherrscht" ist. Für die m i t dieser Voraussetzung gegebene Ungleichbehandlung von „deutsch-beherrschten" Körperschaften gegenüber anderen Körperschaften bedarf es eines „sachlich einleuchtenden Grundes". aa) Als möglichen sachlichen Grund w i r d man von vornherein ausschließen können, daß für eine Verlagerung nur eine „Körperschaft des Steuerpflichtigen" i n Betracht kommt, w e i l er Einkünfte nur auf eine von i h m beherrschte Körperschaft verlagern wird. § 7 1 stellt nicht darauf ab, daß er selbst an der Körperschaft allein zu mehr als der Hälfte beteiligt ist, sondern es reicht aus, wenn er zusammen m i t anderen unbeschränkt Steuerpflichtigen zu mehr als der Hälfte beteiligt ist. bb) Auch w i r d man als sachlichen Grund nicht ansehen können, daß bei einer einheitlichen Beteiligung von inländischen Steuerpflichtigen der Verdacht einer „Steuerfluchtgesellschaft" i n jedem Fall begründet wäre. Einer derartigen Annahme steht schon entgegen, daß man dann nicht auf eine Mehrheitsbeteiligung von i m Inland unbeschränkt Steuerpflichtigen, sondern auf eine Mehrheitsbeteiligung von i n Steuerfluchtländern ansässigen Personen hätte abstellen müssen. cc) § 7 1 geht offenbar davon aus, daß die unbeschränkt Steuerpflichtigen eine „Interessengemeinschaft" bilden. Da die imbeschränkt Steuerpflichtigen i n gleicher Weise der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG unterliegen, wären sie gleichermaßen an Ausschüttungen interessiert und wären auf Grund ihrer mehrheitlichen Beteiligung auch i n der Lage, diese durchzusetzen.

1 7 9

Telkamp

StuW 1972 S. 97/110.

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(1) Eine Interessengemeinschaft derjenigen, die der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen, die gegenüber der ausländischen Körperschaft auf Ausschüttungen dringen würde, könnte man i m Grunde aber nur dann annehmen, wenn sämtliche Beteiligten i n gleicher Weise darauf angewiesen wären, die anfallenden Steuern aus den Beteiligungserträgen zu erbringen. Ob die der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegenden Steuerpflichtigen die anfallenden Steuern aber aus der Beteiligung erbringen, hängt vorwiegend von ihrer gesamten Vermögenslage ab. Verfügen sie über ausreichende finanzielle M i t t e l und erscheint ihnen eine Ausschüttung i m Interesse der Körperschaft nicht angebracht, so werden sie die Steuern aus ihrem sonstigen Vermögen zahlen. Der einzelne Steuerpflichtige, dem entsprechende M i t t e l nicht zur Verfügung stehen, hat dann keine Möglichkeit, eine Ausschüttung zu erzwingen. (2) Es ist außerdem zu berücksichtigen, daß auch andere Staaten, insbesondere die USA, eine den §§7 ff. AStG vergleichbare Hinzurechnungsbesteuerung kennen. Die i n den anderen Staaten einer vergleichbaren Hinzurechnungsbesteuerung unterliegenden Anteilseigner werden zumindest i n gleicher Weise an einer Ausschüttung interessiert sein wie i n Deutschland der Hinzurechnungsbesteuerung unterworfene A n teilseigner. Dann aber müßten, wenn sachlicher Grund das Bestehen einer Interessengemeinschaft ist, die §§ 7 ff. AStG auch diese ausländischen Anteilseigner i n die Interessengemeinschaft einbeziehen. §§ 7 ff. AStG müßten schon dann eingreifen, wenn allgemein Steuerpflichtige, die einer Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen, zu mehr als der Hälfte beteiligt sind. (3) Schließlich ist zu bedenken, daß der einzelne Steuerpflichtige bei einer geringen Beteiligung i n der Regel keine Möglichkeit hat, die Verwirklichung einer insgesamt mehr als 50 °/oigen Beteiligung zu verhindern. Er gerät also, ohne dies verhindern zu können, i n eine „Zwangsgemeinschaft", bei der die Anteile von untereinander weder wirtschaftlich noch persönlich verbundenen Steuerpflichtigen zusammengerechnet werden, nur w e i l sie zufällig an der gleichen Auslandsgesellschaft beteiligt sind 1 8 0 . Der Gesichtspunkt, daß die der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegenden Steuerpflichtigen eine Interessengemeinschaft bilden, kann danach die Differenzierung der §§ 7 ff. AStG zwischen „deutsch-beherrschten" und anderen ausländischen Körperschaften ebenfalls sachlich nicht rechtfertigen. Ein weiterer „sachlich einleuchtender" Grund für die vorgenommene Differenzierung ist nicht ersichtlich. Die §§ 7 ff. AStG verstoßen danach, soweit sie voraussetzen, daß unbeschränkt Steuerpflich180 Vgl. hierzu Telkamp StuW 1972 S. 97/109; Horst Vogel JFfSt. 1971/72 S. 48/61; ders.: D B 1972 S. 1402/1407; vgl. auch Eggert, S. 142 f.

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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tige zu mehr als der Hälfte an der ausländischen Körperschaft beteiligt sind, gegen A r t . 3 1 GG. 3. Die Besteuerung nach den §§ 7 ff. AStG i n internationaler Sicht a) I n der Literatur w i r d es als fraglich angesehen, ob dem Durchgriff nach §§ 7 ff. AStG völkerrechtliche Bedenken entgegenstehen 181 . aa) Großfeld und Rudolf haben die Durchgriffsbesteuerung nach den §§ 7 ff. AStG auf ihre Vereinbarkeit m i t dem Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen untersucht 182. Beide konnten jedoch keinen Verstoß gegen diesen Grundsatz feststellen. (1) Großfeld hat zwar Bedenken gegen eine schematische Gleichsetzung der Kapitalgesellschaften m i t den Personengesellschaften. Kapitalgesellschaften hätten einen stärkeren eigenständigen Organisationsgrad. Die Beziehung Gesellschafter—Gesellschaft sei bei ihnen normalerweise weniger eng. Die Stellung gegenüber Gläubigern sei eine andere. Auch hätten die Kapitalgesellschaften eine andere Stellung gegenüber dem Staat. Großfeld leitet hieraus jedoch kein völkerrechtliches Verbot ab, sondern spricht lediglich von einem Gebot des guten Stils, einem Gebot praktischer Politik 1 8 3 . (2) Z u dem gleichen Ergebnis kommt Rudolf. Betrachte man die Regeln des Außensteuergesetzes vor dem Hintergrund der völkerrechtlichen Limitierung staatlichen Legeferierens durch den Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen, „dann dürften für alle dort getroffenen Regelungen inländische Anknüpfungspunkte vorhanden sein, u m die Anwendung deutscher Steuergesetze zu rechtfertigen" 184 . (3) Von dem bereits oben i n der allgemeinen Erörterung eingenommenen Standpunkt, daß von dem Grundsatz der Notwendigkeit von Inlandsbeziehungen her grundsätzlich keine Bedenken bestehen, die Anteilseigner einer Körperschaft wie Gesellschafter einer Personengesellschaft zu besteuern, also auch die thesaurierten Gewinne der Besteuerung zu unterwerfen, w i r d man dem Ergebnis von Großfeld und Rudolf nur zustimmen können. bb) Eine Völkerrechtswidrigkeit der Hinzurechnungsbesteuerung hat Flick behauptet. I n einer Stellungnahme zu den entsprechenden amerikanischen Durchgriffsmaßnahmen hat Flick ausgeführt, die Ausdehnung des Steueranspruchs des Staates des Anteilseigners auf die 181 182 183 184

Vgl. Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 90. Großfeld, S. 178 ff.; Rudolf, FS Bärmann, S. 769. Vgl. Großfeld, S. 181 ff., 184. Rudolf, FS Bärmann, S. 783.

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ausländische Kapitalgesellschaft sei völkerrechtlich unzulässig. Eine solche Maßnahme könne als völkerrechtlicher Rechtsmißbrauch angesehen werden 1 8 5 . Diesen Ausführungen von Flick w i r d man jedoch nicht nur die i m ersten Abschnitt äußerst eng gefaßten Voraussetzungen für die Annahme eines ,abus de droit* entgegenhalten müssen, sondern vor allem aus heutiger Sicht das Fehlen offizieller staatlicher Proteste als entscheidendes Indiz gegen die Annahme eines Verstoßes gegen Völkerrecht. b) Die Problematik der Durchgriffsbesteuerung nach den §§ 7 ff. AStG i n internationaler Sicht dürfte nicht so sehr bei der Frage eines möglichen Verstoßes gegen Völkerrecht zu sehen sein, sondern vielmehr darin, wie sich diese Regelung i n das Internationale Steuerrecht einpaßt, inwieweit diese Abweichung von dem international beachteten Grundsatz der Selbständigkeit gerechtfertigt erscheint. Es handelt sich insoweit u m eine Frage „praktischer Politikwie Großfeld formuliert hat18®. aa) Die §§ 7 ff. AStG erfassen lediglich den der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegenden inländischen Anteilseigner der ausländischen Körperschaft. Von daher könnte man die Besteuerung nach den §§ 7 ff. AStG gegenüber dem Sitzland der Körperschaft m i t dem Argument zu rechtfertigen suchen, daß die Besteuerung des inländischen Anteilseigners grundsätzlich der Bundesrepublik zustünde 167. (1) Die Bundesrepublik könnte sich dabei möglicherweise auf das sogenannte „Prinzip der Subjektidentität" berufen 188 . Nach diesem Prinzip, das nach überwiegender Ansicht der Definition der „Doppelbesteuerung" zugrunde liegt, soll grundsätzlich nur die doppelte steuerliche Erfassung derselben Einkünfte bei demselben Steuersubjekt verhindert werden 1 8 9 . Es soll dagegen nicht ausgeschlossen werden, daß andere Steuersubjekte i n dem anderen Staat m i t demselben Steuergut 185 Flick, Die Begrenzung der Fiskalsouveränität, I W B 2 S. 161; vgl. auch Hollatz A G 1965 S. 29: „Selbst ein extensiv ausgedeutetes Welteinkommensprinzip legitimiert keinen Besteuerungsanspruch auf das i n einer ausländischen Rechtsperson verselbständigte Vermögen u n d dessen thesaurierte Einkünfte." 186 Vgl. Großfeld, S. 182. 187 Vgl. Kluge, Das Internationale Steuerrecht, S. 90: „Die Zurechnung stellt also eine innerstaatliche Maßnahme dar, die ausschließlich den der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegenden beherrschenden Anteilseigner der ausländischen Gesellschaft trifft. Hieraus könnte der Schluß gezogen werden, daß das Besteuerungsrecht des Staats, i n dem die beherrschte A u s landsgesellschaft Sitz u n d Geschäftsleitung hat, nicht berücksichtigt w i r d . " 188 Z u r Frage der Subjektidentität i . Z . m i t den §§7 ff. A S t G vgl. auch Großfeld (S. 190 f.) f ü r die Frage der Vereinbarkeit m i t den D B A . 189 Vgl. hierzu: Dorn Vjschr. f. StuF 1927 S. 189/190; Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem, S. 135 ff.; van Hoorn, R i W 1956 S. 105.

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zur Steuer herangezogen werden. I m vorliegenden Fall könnte man anführen, daß von den §§ 7 ff. AStG die Anteilseigner und damit ein anderes Steuersubjekt als die Körperschaft zur Versteuerung des Gewinns der Körperschaft herangezogen wird. Eine Berufung auf das Prinzip der Subjektidentität erscheint jedoch gerade für das Verhältnis von Körperschaft und Anteilseigner fragwürdig. Das Erfordernis der Subjektidentität ist als Voraussetzung für die Annahme einer Doppelbesteuerung nicht unumstritten — und zwar gerade i m Hinblick auf das Verhältnis von Körperschaft und Anteilseigner 1 9 0 . Auch wenn man das Prinzip der ,Subjektidentität'aber akzeptiert, so ist der Begriff der Subjektidentität doch nicht eindeutig bestimmt. Stellt man nicht auf die rechtliche, sondern die wirtschaftliche Identität ab, so kann man Identität auch zwischen Körperschaft und A n teilseigner bejahen. Man könnte insoweit von einer wirtschaftlichen oder ökonomischen Identität sprechen 191 . Selbst wenn man jedoch davon ausgeht, daß hier der Begriff der Doppelbesteuerung i m Hinblick auf das Erfordernis der Subjektidentität nicht erfüllt ist, so ist doch anerkannt, daß die steuerliche Mehrfachbelastung, die eintritt, wenn derselbe Gewinn bei Körperschaft und Anteilseigner der Besteuerung unterworfen wird, i m wirtschaftlichen Ergebnis der Doppelbesteuerung „ i m klassischen Sinne" gleichsteht 192 . Man spricht insoweit von einer „wirtschaftlichen Doppelbesteuerung" 193. Unabhängig davon, ob hier das Prinzip der Subjektidentität erfüllt ist oder nicht, betrifft dieses Prinzip auch n u r die Frage, ob bei einer Besteuerung desselben Steuerguts bei Körperschaft u n d Anteilseigner eine zu vermeidende Doppelbesteuerung vorliegt. Für das Verhältnis von Körperschaft und Anteilseigner besteht aber m i t dem ,Prinzip der Selbständigkeit vom Körperschaften' i n jedem F a l l ein international anerkannter Besteuerungsgrundsatz, der eine steuerliche Mehrfachbelastung i m Verhältnis von Körperschaft und Anteilseigner verhindert. Es hat sich hier ein Grundsatz entwickelt, der über eine bloße Vermeidung der „Doppelbesteuerung i m klassischen Sinne" hinaus eine angemessene Besteuerung von Körperschaft u n d Anteilseigner erlaubt. Ob die Abweichung von diesem Grundsatz dabei eine Doppelbesteuerung bedeutet (wie etwa i m Falle der Besteuerung der ausländischen Körperschaft nach § 15 I I StAnpG) oder eine Doppelbesteuerung von 190

Vgl. hierzu Flick StuW 1960 Sp. 329. Vgl. Flick, ebd., Sp. 329/331; v o r allem auch Ebling, Unüaterale M a ß nahmen, S. 34. 192 Hierzu auch Mersmann, Internationale Doppelbesteuerung, Hdb. d. Fin-wiss., 2. Aufl. Bd. I V , S. 89/92; zur Vermeidung der D B (i. w . S.) v o n Körperschaft u n d Anteilseigner als Z i e l des IStR's: Knechtle, Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, S. 55 ff. 193 Vgl. Seidel, Gewinnverschiebungen, S. 193 f. 191

19 v. Beckerath

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vornherein nicht vorliegt (wie etwa i m Fall einer Besteuerung des nichtausgeschütteten Gewinns der ausländischen Körperschaft beim inländischen Anteilseigner) spielt dabei keine Rolle. Das Prinzip der Subjektidentität kann eine Besteuerung des nichtausgeschütteten Gewinns der ausländischen Körperschaft beim inländischen Anteilseigner i n jedem Fall nicht rechtfertigen. (2) Daß die Besteuerung nach den §§ 7 ff. AStG nicht allein eine Sache des Wohnsitzstaates des Anteilseigners ist, hat Großfeld vor allem auch an Hand der extraterritorialen Wirkungen aufgezeigt, welche die §§ 7 ff. AStG haben 194 . Die Besteuerung nach den §§ 7 ff. AStG kann nach Großfeld zu vielfältigen Kollisionen m i t dem ausländischen Recht führen, namentlich m i t dem vielfach anzutreffenden Grundsatz von der treuhänderischen Bindung der Macht des Großaktionärs. Danach habe der Großaktionär bei der Durchsetzung seiner Rechte Rücksicht auf die Gesellschaft und die Minderheitsfoeteiligten zu nehmen. Außerdem habe die steuerliche Hinzurechnung zur Folge, daß die Selbstfinanzierung und Dividendenpolitik der ausländischen Gesellschaft unter Umständen nicht mehr nach dem Interesse des Unternehmens bestimmt w i r d 1 9 5 . Dies möge kurzfristig zwar den Minderheitsgesellschaftern zugute kommen, w e i l sie zumeist an hohen Ausschüttungen interessiert sind. Sie hätten aber weder Kenntnisse noch Möglichkeiten, u m Dividenden abzuwehren, die i m Hinblick auf die Zukunftsaussichten des Unternehmens überhöht sind. Durch solche Zahlungen würden nicht nur die Gläubiger gefährdet, sondern es stünden auch die Gesamtinteressen des ausländischen Staates auf dem Spiel, namentlich dessen Interessen „an der Verwirklichung der eigenen Gesellschaftspolitik gegenüber Gesellschaften, die gesellschaftsrechtlich ihren Schwerpunkt dort haben". Diese Interessen seien unabhängig vom Vorhandensein von Minderheitsgesellschaftern und Gläubigern, so ζ. B. das Interesse, daß die Gewinne für Investitionen i m Inland verwendet werden zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung, zur Ankurbelung der Konjunktur, zur Erhaltung einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz, zur Sicherung der Arbeitsplätze 19 ®. Die Besteuerung der inländischen Anteilseigner ist also nicht allein eine Sache der Bundesrepublik als des Sitzstaates der Anteilseigner. ibb) Es bedarf vielmehr für das einseitige Abweichen von dem Grundsatz der Selbständigkeit einer besonderen „Rechtfertigung", es bedarf eines besonderen rechtfertigenden Grundes für den Zugriff auf nach dem Grundsatz der Selbständigkeit fremdes Steuergut. Dieses Erforder194 195 196

Großfeld, S. 178 ff. Vgl. insoweit auch Mutén I F A C D D F J X L I X b (Hamburg 1964), S.30f. Großfeld, S. 179 f.

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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nis eines besonderen „rechtfertigenden" Grundes w i r d auch von der Bundesrepublik grundsätzlich anerkannt, was deutlich i n der Ablehnung des von einer Minderheit i n der Steuerreformkommission vorgeschlagenen „vollen Durchgriffs" und der Beschränkung auf Steuerfluchtfälle zum Ausdruck kommt 1 9 7 . (1) Auszugehen ist — wie bereits bei der Frage der allgemeinen Vorschriften (§§ 41, 42 A O η. F.) festgestellt wurde — davon, daß eine Bekämpfung der Steuerflucht durch Verlagerung von Einkommen und Vermögen auf ausländische „Basisgesellschaften" grundsätzlich als ein berechtigtes Anliegen des Steuerfluchtlandes erscheint, A r t und Weise der Bekämpfung sowie ihre Intensität jedoch m i t den Interessen des Steueroasenlandes abzuwägen sind. Es ist grundsätzlich ein legitimes Anliegen des deutschen Gesetzgebers, durch das internationale Steuergefälle bedingte, sowohl unter wirtschaftspolitischen als auch unter finanzwissenschaftlichen Aspekten nicht gerechtfertigte Wettbewerbsvorteile zu verhindern 1 9 8 . (2) Vergleicht man die Durchgriffsbesteuerung m i t sonstigen Möglichkeiten zur Bekämpfung der Einkommen- und Vermögensverlagerung auf ausländische Basisgesellschaften, so bietet die Anknüpfung bei der Besteuerung des Anteilseigners auch den zutreffenden Ansatzpunkt. Gegenstand der Durchgriffsmaßnahmen ist es, der Verlagerung von Einkünften auf ausländische Körperschaften durch inländische Steuerpflichtige zu begegnen. Es erscheint naheliegend, wenn man zur Bekämpfung einer derartigen Verlagerung bei dem inländischen Steuerpflichtigen ansetzt, bei dem „an sich", ohne die Verlagerung, die verlagerte Steuersubstanz zu besteuern wäre. Gegenüber einer Besteuerung der ausländischen Körperschaft bietet die Besteuerung der inländischen Anteilseigner nicht nur die Möglichkeit einer besseren Durchsetzung des Steueranspruchs u n d die Möglichkeit, die Interessen ausländischer bona-fide-Aktionäre zu wahren, die Besteuerung der inländischen Anteilseigner liegt auch näher an der Sache, der Erfassung der von dem inländischen Steuerpflichtigen „verlagerten" Steuersubstanz. Dementsprechend hat auch die I F A bereits 1964 i n ihrer Resolution festgestellt, daß i n den Fällen, i n denen es erwünscht erscheint, nichtausgeschüttete Gewinne ausländischer Kapitalgesellschaften der Besteuerung i n dem Lande, i n dem die Aktionäre unbeschränkt steuerpflichtig sind, zu unterwerfen, besser diese A k t i o näre als solche als die Kapitalgesellschaften besteuert werden sollten 199 . 197

Vgl. Gutachten der Steuerreformkommission steuerrecht, T Z 39 - 42, S. 587. 198 Telkamp StuW 1972 S. 97/109. 199 Vgl. CDDFJ X L I X b (Hamburg 1964), S. 32. 19*

1971, Abschnitt V I Außen-

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Auch bei einer Nichtanerkennung der ausländischen Körperschaft w i r d Gewinn und Vermögen der Körperschaft bei dem inländischen Anteilseigner erfaßt. Eine Nichtanerkennung der ausländischen Körperschaft ist jedoch auf die Fälle beschränkt, i n denen die gesamte Substanz, welche die Körperschaft ausmacht, verlagertes Steuergut darstellt. Demgegenüber werden bei der Hinzurechnungsfoesteuerung lediglich bestimmte Einkünfte der ausländischen Körperschaft dem inländischen Anteilseigner zugerechnet. Gegenüber der Nichtanerkennung von einzelnen Geschäftsvorfällen bietet die Hinzurechnung bestimmter Einkunftsarten vor allem den Vorteil, eine eingehende Prüfung von einzelnen Geschäftsvorfällen zu erübrigen. (3) Fraglich ist aber, womit die §§ 7 ff. AStG den inländischen Steuerpflichtigen der Besteuerung unterwerfen, das heißt, welchen Rechtscharakter die hinzuzurechnenden Einkünfte haben, und damit gleichzeitig, w o r i n der Rechtsgrund für die Hinzurechnungsbesteuerung gesehen wird. (a) Nach § 10 I I S. 1 AStG gehört der Hinzurechnungsbetrag zu den Einkünften aus Kapitalvermögen und gilt unmittelbar nach Ablauf des maßgebenden Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft als zugeflossen. Hieraus könnte man schließen, daß die §§ 7 ff. AStG den Steuerpflichtigen durch die Fiktion einer Ausschüttung so stellen wollen, als ob tatsächlich eine Ausschüttung erfolgt sei, daß es bei den §§ 7 ff. AStG also darum geht, eine zu Unrecht unterlassene Ausschüttung nachzuholen. Bei dieser Überlegung könnte man an den Leitsatz der Bundesregierung anknüpfen, wonach der Steuerpflichtige durch die §§ 7 ff. AStG „steuerlich so behandelt werden (soll) als hätte er sich das Einkommen ausschütten lassen" 200 . Auch würde § 11 AStG für diese Annahme sprechen, der bestimmt, daß der Hmzurechnungsbetrag u m die Gewinnanteile zu kürzen ist, die der unbeschränkt Steuerpflichtige i n dem Jahr, i n dem der Hinzurechnungsbetrag anzusetzen ist, von der ausländischen Gesellschaft bezieht. Daß die §§ 7 ff. AStG sich dagegen wenden wollen, daß i n den von §§ 7 ff. erfaßten Fällen „zu Unrecht" eine Ausschüttung unterlassen wurde, w i r d man aber letztlich nicht annehmen können: Der inländische Steuerpflichtige ist grundsätzlich nicht i n irgendeiner Weise „verpflichtet", als Anteilseigner eine Ausschüttung der ausländischen Körperschaft herbeizuführen. Der deutsche Fiskus hat keinen irgendwie gearteten „Anspruch" darauf, daß eine Ausschüttung durch die ausländische Körperschaft erfolgt. Durch die Thesaurierung der 200 Vgl. Leitsätze der Bundesregierung v o m 17.12.1971 bei Flick!Wassermeyer/Becker, § 7: „Gesetzesmaterialien" (S. 2).

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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Gewinne i n der ausländischen Körperschaft w i r d der Steuervorteil, den sich der inländische Steuerpflichtige verschafft hat, lediglich erhalten, die Thesaurierung selbst stellt aber nicht das entscheidende Steuerfluchtmoment dar. Daß nicht die Thesaurierung der Gewinne der entscheidende Gesichtspunkt für die Hinzurechnungsbesteuerung ist, läßt sich auch den §§ 7 ff. AStG selbst entnehmen. Der Hinzurechnungsbetrag w i r d nicht durchgehend so behandelt, als ob es sich u m eine Ausschüttung handelte. Die §§ 7 ff. AStG beruhen vielmehr zwiespältig teilweise auf der Theorie von der fiktiven Gewinnausschüttung (so § 10 V) und teilweise auf der Vorstellung des unmittelbaren Bezugs der hinzurechnungspflichtigen Einkünfte (§§8 I Nr. 6b, 10 I, 10 I I I I.S.; 12, 13 I Nr. 1, 13 II) 2 0 1 . Außerdem würde weder eine Anrechnung der von der Körperschaft gezahlten Steuern, noch die Orientierung der §§ 7 ff. an der A r t der von der Körperschaft erzielten Einkünfte (aktive oder passive) m i t dem Gedanken zu vereinbaren sein, daß sich die §§ 7 ff. gegen die Thesaurierung der Gewinne wenden. Der Bestimmung des § 10 I I AStG, daß die hinzuzurechnenden Einkünfte wie eine Ausschüttung zu behandeln sind, w i r d man deshalb keine grundlegende, über die Bestimmung der Einkunftsart hinausgehende Bedeutung beimessen können. (b) Eine weitere Möglichkeit besteht darin, daß die Bundesrepublik m i t den §§ 7 ff. AStG möglicherweise eine „Ersatzbesteuerung" an Stelle des Auslandes übernehmen w i l l , es i h r also lediglich darum geht, „ungerechtfertigte Steuervorteile" abzulbauen. Es könnte der Bundesrepublik unter Umständen nur darum gehen, die steuerlichen Vorteile, die sich dem inländischen Steuerpflichtigen i m Ausland bieten, und damit den Anreiz für eine Verlagerung des Steuerguts, zu nehmen. Die §§ 7 ff. AStG könnten insoweit an einer Verhinderung zukünftiger Verlagerung sowie an einer Rückführung des verlagerten Steuerguts orientiert sein, nicht aber i n erster Linie daran, das verlagerte Steuergut zu erfassen, das Besteuerungsrecht, das durch Steuerflucht vereitelt zu werden droht, durchzusetzen. Die Annahme, daß es bei den §§ 7 ff. AStG nur u m eine „Ersatzbesteuerung" oder „Zusatzbesteuerung" gehen soll, ließe sich stützen auf §§ 10 I, 12 I AStG, wonach die von der ausländischen Körperschaft gezahlten Steuern auf die nach den §§ 7 ff. AStG zu zahlenden Steuern anzurechnen sind. Entsprechend heißt es auch i n der Regierungsbegründung unter Ziffer 32 202 : „Der Gesetzentwurf beschränkt 201 FlicklWassermeyer/Becker, § 10 A n m . 46, 61; sowie Frank/Haas/Scheuer, i n : FS Barz, S. 349/367. 202 Vgl. bei Flick/Wassermeyer/Becker, § 7 „Regierungsbegründung" (S. 7).

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sich auf Lösungen, die es zu keiner über die Einebnung ungerechtfertigter Steuervorteile hinausgehenden Steuererschwernis kommen lassen. So werden alle ausländischen Steuern, die auf dem i n die deutsche Besteuerung einzubeziehenden ausländischen Basiseinkommen lasten, bei der deutschen Zurechnungsbesteuerung ausgeglichen." Auch die Tatsache, daß nach den §§ 7 ff. AStG nicht nur „verlagerter" Gewinn dem Einkommen der inländischen Anteilseigner zuzurechnen ist, sondern sämtliche Einkünfte, außer denen aus „aktiver" Wirtschaftstätigkeit, spricht dafür, daß die §§ 7 ff. nur auf eine „Ersatz"- oder „Zusatz"besteuerung abzielen. Gegen die Annahme einer bloßen „Ersatz"-besteuerung spricht jedoch, daß eine derartige Ersatzbesteuerung an der Besteuerung der ausländischen Körperschaft orientiert sein müßte. Wollte die Bundesrepub l i k lediglich den Anreiz zur Steuerflucht beseitigen, der i n der geringeren Körperschaftsteuerbelastungder ausländischen Körperschaft liegt, so wäre eine Zusatzbesteuerung der ausländischen Körperschaft die zutreffende Maßnahme. Die Einbeziehung des Hinzurechnungsbetrags i n die Besteuerungsgrundlagen der Anteilseigner zeigt dagegen, daß es u m eine Besteuerung der Anteilseigner, nicht eine Zusatz- oder Ersatzbesteuerung der ausländischen Körperschaft geht. (c) Die §§ 7 ff. AStG können deshalb nur darauf abzielen, die vom inländischen Steuerpflichtigen auf die ausländische Körperschaft „verlagerten" Einkünfte als die Einkünfte des inländischen Steuerpflichtigen zu erfassen. Die „verlagerten" Einkünfte sollen dem Einkommen des inländischen Steuerpflichtigen hinzugerechnet werden. Durch die §§ 7 ff. AStG sollen lediglich die Einkünfte dem Einkommen des inländischen Steuerpflichtigen hinzugerechnet werden, die „an sich", ohne die „Verlagerung" auf die ausländische Körperschaft, als Einkünfte des inländischen Steuerpflichtigen von diesem i m Inland zu versteuern wären. Die Bundesrepublik macht m i t den §§ 7 ff. AStG lediglich ihr Besteuerungsrecht auf den Gewinn geltend, der ohne die Verlagerung bei dem inländischen Steuerpflichtigen besteuert würde. Für eine derartige Interpretation der §§ 7 ff. AStG sprechen die Ausführungen der Regierungsbegründung i n den Ziffern 30, 83 und 84. I n Ziffer 30 heißt es: „Die Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verlangt gesetzgeberische Maßnahmen dagegen, daß durch die Nutzung von Basisgesellschaften eine ungerechtfertigte Ausklammerung aus der deutschen Besteuerung erlangt werden kann." I n Ziffer 83, 84: „ . . . entstehen diese Vorteile, indem Einkünfte, die der Steuerinländer sonst als eigenes Einkommen zu versteuern hätten, i n der Basisgesellschaft aufgefangen u n d dadurch gegen die deutsche Besteuerung abgeschirmt werden . . . U m die Abschirmwirkung der Basisgesellschaften zu beseitigen, werden Einkünfte, die typischerweise in derartigen Gesellschaf-

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ten aufgefangen wenden . . . m i t dem Einfluß bei der Gesellschaft den hinter ihnen stehenden Steuerinländern steuerlich zugerechnet." Interpretiert man die §§ 7 ff. A S t G in dieser Weise, daß es bei den §§ 7 ff. AStG lediglich darum geht, dem inländischen Steuerpflichtigen die Einkünfte zuzurechnen, die ohne eine „Verlagerung" auf die ausländische Körperschaft von diesem i m Inland zu versteuern wären, so erscheint die Besteuerung der §§ 7 ff. AStG grundsätzlich als ein berechtigtes Anliegen: es w i r d dem Einkommen des inländischen Steuerpflichtigen lediglich das hinzugerechnet, was „an sich" von i h m zu versteuern wäre und was allein wegen des unterschiedlichen Steuerniveaus zwischen den beteiligten Staaten von diesem auf die ausländische Körperschaften verlagert wurde. Der deutsche Fiskus greift nur auf das zu, was i h m materiell ohnehin zusteht. Die §§ 7 ff. AStG weisen hierbei eine enge Parallele zur Nichtanerkennung der ausländischen Körperschaft und zur Nichtanerkennung von einzelnen Geschäftsvorfällen auf. Diese Parallele w i r d lediglich durch die unterschiedliche Formulierung der Tatbestände verdeckt. Die Formulierung der §§ 7 ff. A S t G orientiert sich stärker an der Rechtsfolge, die sich aus der steuerlichen Nichtanerkennung der Verlagerung ergibt, während die §§ 1 I I I , 5, 6 StAnpG sich ausschließlich m i t dieser Frage der Nichtanerkennung beschäftigen. Die §§ 7 ff. AStG beschränken sich darauf, festzulegen, welche Einkünfte als verlagert anzusehen sind. I n beiden Fällen aber w i r d dem inländischen Steuerpflichtigen das zugerechnet, was er „an sich", ohne die Steuerflucht versteuern müßte. (4) Es ist also davon auszugehen, daß eine Bekämpfung der Steuerflucht durch Verlagerung von Steuersubstanz auf eine ausländische Körperschaft grundsätzlich als ein berechtigtes Anliegen erscheint, daß es sachgerecht ist, hierbei bei dem inländischen Steuerpflichtigen u n d nicht etwa bei der ausländischen Körperschaft anzuknüpfen und daß es gerechtfertigt erscheint, wenn der deutsche Fiskus dem inländischen Steuerpflichtigen das zurechnet, was ohne die Steuerflucht „an sich" von dem inländischen Steuerpflichtigen zu versteuern wäre, also die „verlagerte" Steuersubstanz. Fraglich ist aber, ob diesem grundsätzlich berechtigten Ansatzpunkt auch die Regelung im einzelnen entspricht 203 . Bedenken ergeben sich vor allem daraus, daß dem inländischen Anteilseigner sämtliche Einkünfte einer deutsch-beherrschten Körperschaft in einem niedrigbesteuernden Land mit Ausnahme der in §8 aufgeführten Einkünfte aus aktiver Wirtschaftstätigkeit zugerechnet werden. Diese Erfassung sämtlicher Einkünfte m i t Ausnahme der Einkünfte aus akti203 Vgl. auch Telkamp StuW 1972 S. 97/109: „Nicht die G r u n d k o n z e p t i o n . . . w i r f t Probleme auf, sondern die konkrete Ausgestaltung."

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ver Wirtschaftstätigkeit geht bereits i n ihrem prinzipiellen Ansatz über die Erfassung nur der verlagerten Einkünfte hinaus. I n der Regierungsbegründung heißt es bereits: „ U m die Abschirmw i r k u n g der Basisgesellschaften zu beseitigen, werden Einkünfte, die ,typischerweise' i n derartigen Gesellschaften aufgefangen werden, wie Zinsen, Dividenden, und Lizenzgebühren . . . den . . . Steuereinnahmen steuerlich zugerechnet 204 ." Es soll sich also bei den hinzuzurechnenden Beträgen nicht nur u m Einkünfte handeln, die i m Einzelfall tatsächlich „verlagert" worden sind, sondern u m Einkünfte, die „typischerweise" in Basisgesellschaften aufgefangen werden. Aus der Regierungsbegründung w i r d damit bereits deutlich, daß auch solche Einkünfte besteuert werden sollen, die i m konkreten Einzelfall überhaupt nicht „verlagert" worden sind, auf die die Bundesrepublik aus dem Gesichtspunkt der Steuerflucht also keinen Anspruch haben kann. Aber die Feststellung, daß Einkünfte zugerechnet werden sollen, die „typischerweise" i n Basisgesellschaften aufgefangen werden, w i r d dem tatsächlichen Umfang der Hinzurechnung noch nicht gerecht: Erfaßt werden sämtliche Einkünfte einer deutsch-beherrschten Körperschaft i n einem niedrigbesteuernden Staat m i t Ausnahme der i n § 8 aufgeführten Einkünfte aus aktiver Wirtschaftstätigkeit. Diese Hinzurechnung geht weit über eine Hinzurechnung von „verlagerten" Einkünften hinaus. A l l e i n der Umstand, daß die Körperschaft i n einem Niedrigsteuerland ihren Sitz hat, kann nicht die Annahme 'begründen, daß sämtliche Einkünfte der Körperschaft, die nicht aus „aktiver" Wirtschaftstätigkeit stammen, „verlagert" sind 2 0 5 . Das Außensteuergesetz greift i n das nach dem Grundsatz der Selbständigkeit ausschließliche Besteuerungsrecht des Domizillandes der Körperschaft ein — das sich auch auf die sogenannten „passiven" Einkünfte erstreckt —, ohne daß hierfür der Rechtfertigungisgrund, daß es sich u m „verlagerte" Einkünfte handelt, angeführt werden könnte. Offensichtlich bedingt durch die Schwierigkeiten, die „verlagerten" Einkünfte tatbestanidlich so zu erfassen, daß keine Nachweisprobleme auftreten, wie sie m i t subjektiven Tatbestandsmerkmalen i n der Regel verbunden sind, und außerdem die „verlagerten" Einkünfte auch tatsächlich vollständig zu erfassen, hat der Gesetzgeber bei den §§ 7 ff. AStG zu einer „Radikallösung" gegriffen, die aus internationaler Sicht abzulehnen ist 2 0 6 . 204 Vgl. Ziffer 84 bei Flick/Wassermeyer/Becker, § 7 „Regierungsbegründung" (S. 8). 205 Es geht also nicht n u r darum, daß infolge der Formulierung der §§ 7 ff. A S t G „Redaktionsversehen" zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen, vgl. h i e r zu Grasmann EuStZ 1971 S. 77/109; Telkamp StuW 1972 S. 97/100. 206 Vgl. hierzu auch die Resolution der I F A v o n 1964 (CDDFJ X L I X b , H a m b u r g 1964, S. 30 ff.), w o r i n festgestellt w i r d , daß sowohl die amerikanischen Hinzurechnungsbestimmungen als auch die unmittelbare Heranziehung der ausländischen Körperschaft Besteuerungsmethoden darstellen,

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(5) Geht man davon aus, daß es bei den §§ 7 ff. AStG um eine Erfassung des „verlagerten" Gewinns geht, so ergeben sich unter internationalen Aspekten außerdem Bedenken daraus, daß dieser an sich berechtigte Steueranspruch nicht deutlich genug herausgestellt wird. (a) Nach § 10 V AStG sind auf den Hinzurechnungsbetrag die Bestimmungen anzuwenden, die anzuwenden wären, wenn der Hinzurechnungsbetrag an den Steuerpflichtigen ausgeschüttet worden wäre. (Nach Flick/Wassermeyer/Becker beruht die Besteuerung nach den §§ 7 ff. AStG zwiespältig manchmal auf der Theorie von der fiktiven Gewinnausschüttung — so § 10 V — und manchmal auf der Vorstellung des unmittelbaren Bezugs der hinzurechnungspflichtigen Einkünfte — §§8 I Nr. 6;b; 10 I ; 10 I I I I.S.; 12; 13 I, Nr. 1; I I —) 2 0 7 . Diese rechtstechnische Einkleidung des Hinzurechnungsbetrags als eine fingierte Gewinnausschüttung verschleiert den an sich berechtigten Anspruch auf den „verlagerten" Gewinn, läßt die Hinzurechnungsbesteuerung unnötigerweise als einen nicht berechtigten Zugriff auf den thesaurierten Gewinn der ausländischen Körperschaft erscheinen, auf dessen Ausschüttung der deutsche Fiskus keinen Anspruch hat. Das Bedenken, das sich gegen die Fiktion der Gewinnausschüttung erhebt, liegt darin, daß der Gesetzgeber nicht ausreichend klargestellt hat, daß es bei der Fiktion der Gewinnausschüttung lediglich u m die rechtstechnische Einkleidung des Hinzurechnungsbetrags geht und nicht darum, eine zu Unrecht unterlassene Ausschüttung zu fingieren 208. (b) Ähnliche Bedenken erheben sich gegen die Anrechnung der von der ausländischen Körperschaft gezahlten Steuer. Handelt es sich bei den hinzuzurechnenden Beträgen tatsächlich u m „verlagerte" Einkünfte, so wäre die Bundesrepublik berechtigt, einen Anspruch auf diesen Gewinn gegenüber dem ausländischen Staat geltend zu machen, der seinerseits auf die Besteuerung dieses Gewinns verzichten müßte. Zwar heißt es i n der Regierungsbegründung, es solle „zu keiner über die Einebnung ungerechtfertigter Steuervorteile hinausgehenden Steuererschwernis kommen". Nur, wenn es sich bei den hinzuzurechnenden die der allgemeinen steuerlichen Behandlung der Körperschaften u n d ihrer Anteilseigner widersprechen u n d die n u r bei Vorliegen außergewöhnlicher Verhältnisse angewandt werden sollten, insbesondere u m erhebliche M i ß bräuche auf dem Steuergebiet zu vermeiden u n d auch dann erst nach A u s schöpfung aller anderen gesetzlichen Möglichkeiten. M a n w i r d diese Resolut i o n dahin ergänzen dürfen, daß die Durchgriffsmaßnahmen — soweit sie grundsätzlich berechtigt erscheinen — i n jedem F a l l doch auf das N o t w e n digste begrenzt werden sollten. 207 Vgl. FlicklWassermeyer/Becker, §10 A n m . 46, 61; sowie Frank/Haas/ Scheuer, FS Barz, S. 349/367. 208 Z u den praktischen Folgen, welche die Annahme einer unmittelbaren Beteiligung gegenüber der F i k t i o n der Gewinnausschüttung hätte, vgl. Fr ankjHaasjScheuer, FS Barz, S. 349/367.

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Einkünften tatsächlich u m verlagertes Steuergut handelte, so stünde die Besteuerung dieses Steuergutes auch ausschließlich dem Land des Anteilseigners zu. Für eine Anrechnung der von der Körperschaft gezahlten Steuern besteht i n diesem Fall kein Anlaß. Die Anrechnung der ausländischen Steuern ist dann nur irreführend, verschleiert das tatsächlich bestehende Besteuerungsrecht. Daß die hinzuzurechnenden Beträge über den bloß „verlagerten" Gewinn hinausgehen, kann durch die Anrechnung der ausländischen Steuern nicht ausgeglichen werden. (c) Schließlich erscheint auch die Beschränkung auf „deutsch-beherrschte" ausländische Körperschaften fragwürdig. Daß die Körperschaft von inländischen Anteilseignern beherrscht wird, kann grundsätzlich einen Zugriff auf den Gewinn der ausländischen Körperschaft nicht rechtfertigen. Gerechtfertigt ist ein Zugriff auf den Gewinn der ausländischen Körperschaft nur, wenn und soweit es sich u m verlagerte Gewinne handelt. I m Zusammenhang m i t der Formulierung des § 7 I AStG, daß grundsätzlich der gesamte Gewinn der ausländischen Körperschaft erfaßt w i r d (mit Ausnahme der „aktiven" Einkünfte), entsteht hier der Eindruck, daß an frühere Gedankengänge angeknüpft w i r d (§15 I I StAnpG etc.), wonach die Beherrschung zu einer Veränderung der Steuergutverteilung führt. Soweit die Beschränkung auf deutsch-beherrschte Körperschaften auf typische Formen der Steuerflucht abzielt, etwa an den Gedanken der „Basisgesellschaft", als einer nicht anzuerkennenden Steuerfluchtgesellschaft, anknüpft, erscheint diese Beschränkung verfehlt. Es geht um die Berücksichtigung des verlagerten Gewinns. Eine derartige Verlagerung aber kann auch auf nicht deutsch-beherrschte Körperschaften erfolgen; zumal § 7 AStG ohnehin nur darauf abstellt, daß unbeschränkt Steuerpflichtige zu mehr als der Hälfte beteiligt sein müssen, nicht, daß der betreffende Steuerpflichtige selbst zu mehr als der Hälfte beteiligt sein muß. Auch der Gesichtspunkt, daß m i t dem Erfordernis der deutschen Beherrschung eine Interessengemeinschaft gebildet werden soll, welche eine Ausschüttung des Gewinns erzwingen kann, erscheint verfehlt. Weder bildet sich hier notwendig eine Interessengemeinschaft, noch erscheint es notwendig, hierauf Rücksicht zu nehmen, wenn man sich tatsächlich, wie es notwendig wäre, auf eine Besteuerung der „verlagerten" Einkünfte beschränkte. Reine Billigkeitsmaßnahmen erscheinen hier ausreichend. I n jedem F a l l hätte der Gesichtspunkt, daß i m H i n blick auf die Bildung einer Interessengemeinschaft der inländischen A n teilseigner darauf abgestellt wird, daß die ausländische Körperschaft „deutsch-beherrscht" sein muß, stärker herausgestellt werden müssen, um Mißverständnisse zu vermeiden.

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Zusammenfassung: Es bestehen zwar keine völkerrechtlichen Bedenken gegen die §§ 7 ff. AStG. Die Besteuerung der inländischen Anteilseigner ist aber auch nicht allein eine Angelegenheit des Sitz- bzw. Wohnsitzstaates der Anteilseigner. Er bedarf für die Durchbrechung des Grundsatzes der Selbständigkeit einer „Rechtfertigung". Eine derartige „Rechtfertigung" besteht insoweit, als die Bekämpfung der Steuerflucht durch Verlagerung von Steuergut auf ausländische Körperschaften grundsätzlich sich als ein berechtigtes Anliegen darstellt. Auch erscheint die Anknüpfung beim inländischen Anteilseigner sachgerecht, ebenso wie die Zielsetzung der §§ 7 ff. AStG, die „verlagerten" Gewinne zu erfassen. Zu weit gehen die §§ 7 ff. A S t G aber, wenn sie den gesamten Gewinn abzüglich· der Einkünfte aus aktiver Wirtschaftstätigkeit erfassen. Außerdem stellen die §§ 7 ff. AStG den an sich berechtigten Steueranspruch, auf den sich die §§ 7 ff. AStG stützen, nicht klar genug heraus (Fiktion des Hinzurechnungsbetrages als Ausschüttung; Beschränkung auf deutschbeherrschte Körperschaften). 4. Die Vereinbarkeit der §§ 7 ff. AStG m i t D B A Die Regelung der §§ 7 ff. AStG ist vom Gesetzgeber vor allem daraufh i n konzipiert, den Schutz der D B A zu umgehen, „der einer wirksamen Steuerfluchtgesetzgebung andernfalls entgegenstünde" 209 . Es ist jedoch fraglich, ob dies dem Gesetzgeber tatsächlich gelungen ist, die §§ 7 ff. also gegenüber DBA-Ländern anwendbar sind (auch ohne einen Vorrang der §§ 7 ff. AStG vor dem Abkommensrecht normiert zu haben) 210 . a) Eine A n t w o r t könnte sich aus einer positiven lichen 212 Regelung in den D B A ergeben.

211

bzw. ausdrück-

aa) Nach Flick ist die sog. Antiorganklausel (d.i. die Bestimmung, eine Beherrschung einer ausländischen Gesellschaft mache diese nicht zur Betriebstätte ihres Besitzers) „Ausdruck des allgemeinen Grundgedankens, der bei Dividenden die Trennungslinie zwischen der Besteuerung i m Wohnsitzland des Kapitaleigners einerseits und dem Sitzstaat der Kapitalgesellschaft andererseits durch die Abzugsteuer durch deren Teilung hindurchzieht, also den nichtausgeschütteten Gewinn selbstverständlich ausschließlich dem Sitzstaat der Kapitalgesellschaft 209

FlicklWassermeyer/Becker, § 7 A n m . 7. Vgl. hierzu oben (3. Teil, 1. Kapitel, 1. Abschnitt, Β I I ) ; dazu, daß auch § 10 V A S t G keine derartige Vorrangbestimmung enthält, sondern lediglich i m H i n b l i c k auf die A n w e n d u n g des internationalen Schachtelprivilegs k o n zipiert ist vgl. Wöhrle, § 10 A n m . V. 211 „ p o s i t i v " : Großfeld, S. 188. 212 „ausdrücklich": Großfeld, S. 190; so auch die sog. „Auffangklausel" — hierzu noch i m folgenden. 210

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überläßt. Eine Erfassung des nichtausgeschütteten Gewinns der Kapitalgesellschaft i m Wohnsitzstaat würde einen Übergriff über diese Trennungslinie bedeuten" 213 . Gegen diese auf die Antiorganklauseln gestützte Argumentation hat Großfeld 214 eingewandt, es handle sich bei den Antiorganklauseln um Sonderregeln für den Betriebstättenbegriff des jeweiligen Abkommens. Sie sollten Durchgriffe auf Grund der internationalen Organtheorie verhindern und beträfen zudem nur die Besteuerung einer Tochtergesellschaft i n ihrem Sitzstaat. Die Frage, ob die Erfassung des nichtausgeschütteten Gewinns einer ausländischen Körperschaft i m Wege der Hinzurechnungsbesteuerung mit der sogenannten „Antibetriebstättenklausel" vereinbar ist, ist allerdings nicht unproblematisch. Die historische Entwicklung zeigt immerhin, daß es Sinn der ,Antibetriebstättenklausel· war, es einem Vertragstaat zu verwehren, eine Körperschaft als bloße Betriebstätte zu behandeln und den nichtausgeschütteten Gewinn der Körperschaft als Gewinn des Anteilseigners zu besteuern. Bei der Hinzurechnungsfoesteuerung der §§ 7 ff. AStG w i r d aber nunmehr der ausgeschüttete Gewinn der Körperschaft noch weitergehender als Gewinn des Anteilseigners behandelt, da hier sogar die Annaihme einer Betriebstätte entfällt. ibb) Eine Sonderregelung bestand nach dem D B A Dt/Schweiz von 1931/1959 für die GmbH. Nach dem Abkommen wurde die GmbH wie ein Gewerbebetrieb behandelt. Die von einer schweizerischen GmbH erzielten Gewinne durften daher grundsätzlich nur i n der Schweiz besteuert werden. Ausschüttungen an den deutschen Gesellschafter w u r den von Deutschland nicht besteuert. Nach dieser Bestimmung, nach der sogar bei einer Ausschüttung der Gewinne eine Besteuerung der Gesellschaften ausgeschlossen war, w a r demnach auch w o h l eine Besteuerung des nichtausgeschütteten Gewinns ausgeschlossen. Diese nur m i t der Schweiz vereinbarte Besteuerung ist aber auch i m Verhältnis zur Schweiz 1971 entscheidend geändert worden 2 1 5 . cc) Horst Vogel hat die Ansicht vertreten, daß die Art. 10 Abs. 5 OECD-Musterabkommen entsprechenden Bestimmungen in den DBA der Hinzurechnungsfoesteuerung entgegenstünden21®. Flick/Wassermeyer 213 Flick B B 1971 S. 250; vgl. auch Flick/Wassermeyer/Becker, A r t . 10 A n m . 172. 214 Großfeld, S. 188; vgl. auch Kluge A W D 1972 S. 411/415, der auf das „Prinzip der Subjektidentität" verweist. — Vgl. auch dazu aber die A r g u m e n t a t i o n v o n Kluge (auf S. 414 ebd.) sowie zur Ansicht v o n Kluge insoweit: Flick/Wassermeyer/Becker, § 10 A n m . 172. 215 Z u m Ganzen Großfeld, S. 189. 216 Horst Vogel B B 1971 S. 1185/1189; ders. D B 1972 S. 1402/1406; A r t . 10 Abs. 5 OECD-Musterabkommen lautet: „Bezieht eine i n einem Vertragstaat ansässige Gesellschaft Gewinne oder Einkünfte aus dem anderen Vertrag-

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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haben diese Ansicht damit begründet, daß A r t . 10 Abs. 5 OECD-Musterabkommen eine Steuererhebung bei der Gesellschaft auf ausgeschüttete wie auch auf nichtausgeschüttete Gewinne verbiete. Daraus lasse sich durchaus ein Verbot für jegliche Hinzurechnungsbesteuerung ableiten. Die letztlich entscheidende Frage berühre die Suibjektidentität und gehe dahin, ob A r t . 10 Abs. 5 OECD-Musterabkommen auch die Besteuerung nichtausgeschütteter Gewinne beim Anteilseigner verbietet bzw. ob die Umgehung der Besteuerung m i t Hilfe einer gesetzlichen Fiktion zulässig ist 2 1 7 . I m Ergebnis w i r d man aber wohl davon ausgehen müssen, daß auch Art. 10 Abs. 5 OECD-Musterabkommen keine ausdrückliche und eindeutige Regelung der Frage enthält, ob eine Besteuerung des nichtausgeschütteten Gewinns der ausländischen Körperschaft bei den inländischen Anteilseignern m i t den D B A vereinbar ist. Auch ibei A r t . 10 Abs. 5 OECD-Musterabkommen könnte man — wenn man Flick/Wassermeyer folgt — nur dann eine Unvereinbarkeit der §§ 7 ff. AStG m i t Art. 10 Abs. 5 annehmen, wenn man eine Besteuerung der ausländischen Körperschaft gleichsetzt m i t einer Besteuerung der inländischen Anteilseigner. Eine derartige Gleichstellung w i r d man aber — wenn man sie vornehmen w i l l — nicht i m Rahmen der am Rande liegenden u n d ohneh i n nur schwer verständlichen Bestimmung des Art. 10 Abs. 5 OECDMusterabkommen vollziehen, sondern bei den grundlegenden Zuteilungsnormen für die Besteuerung von Körperschaft u n d Anteilseignern 218 . dd) Eine Antwort auf die Frage der Vereinbarkeit der „Hinzurechnungsbesteuerung" m i t den D B A könnte sich aus der grundsätzlichen Regelung der D B A für die Besteuerung von „Dividenden" ergeben. Insbesondere könnte sich eine Besteuerungskompetenz auch für die nichtausgeschütteten Gewinne aus den entsprechenden Kollisionsnormen ergeben, die das Besteuerungsrecht für „Dividenden" dem Wohnsitzstaat zuweisen. staat, so darf dieser andere Staat weder die Dividenden besteuern, die die Gesellschaft an nicht i n diesem anderen Staat ansässige Personen zahlt, noch Gewinne der Gesellschaft einer Steuer f ü r nichtausgeschüttete Gewinne unterwerfen, selbst w e n n die gezahlten Dividenden oder die nicht ausgeschütteten Gewinne ganz oder teilweise aus i n dem anderen Staat erzielten Gewinnen oder E i n k ü n f t e n bestehen." 217 Flick/W assermey er/Becker, § 10 A n m . 173; vgl. auch Fischer/Warneke, S. 101 ff. 218 Vgl. hierzu i m folgenden; einen Widerspruch zwischen den A r t . 10 V OECD-Mabk. entsprechenden Abkommensbestimmungen u n d §§7 ff. A S t G lehnen auch Debatin (DStZ/A 1971 S. 389/399; D B 1972 S. 1983) u n d Kluge ( A W D 1972 S. 411/416) ab, da es bei §§ 7 ff. A S t G u m die Besteuerung v o n i n der B R D Ansässigen gehe, w ä h r e n d i n A r t . 10 V OECD-Mabk. n u r v o n der „Gesellschaft" die Rede sei. Z u dieser Begründung allerdings Fischer/Warneke, S. 102.

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I I I . 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

(1) Nach § 10 I I AStG gehört der Hinzurechnungdbetrag zu den Einkünften aus Kapitalvermögen i m Sinne des § 20 I Ζ. 1 EStG und nach § 10 V AStG sind auf den Hinzurechnungsbetrag die Bestimmungen der D B A entsprechend anzuwenden, die anzuwenden wären, wenn der Hinzurechnungsbetrag an den Steuerpflichtigen ausgeschüttet worden wäre. Nach Bellstedt 219 , Rädler 2 2 0 und einer früheren Stellungnahme von Kluge 2 2 1 ist aus dieser Qualifizierung zu folgern, daß auf den Hinzurechnungsbetrag jene Vorschriften der D B A anzuwenden sind, die von „Dividenden" handeln 2 2 2 . Da die Bundesrepublik als Wohnsitzstaat regelmäßig ein Besteuerungsrecht habe, könne sie grundsätzlich die steuerlichen Wirkungen des Dividendenbezugs regeln; die innerstaatliche Regelung dürfe lediglich nicht den jeweiligen Abkommensvorschriften widersprechen. Soweit die D B A i n Anlehnung an A r t . 10 I des OECD-Musterabkommens bestimmten, daß Dividenden, die eine i n einem Vertragstaat ansässige Gesellschaft an eine i n dem anderen Vertragstaat ansässige Person „zahlt", i n dem Wohnsitzstaat des Gesellschafters besteuert werden können, könnten sich die §§ 7 ff. AStG nicht auswirken. Diese Bestimmungen setzten „Zahlung" der Dividenden an den Aktionär voraus. Für den Hinzurechnungsbetrag sei aber gerade charakteristisch, daß eine Zahlung nicht geleistet werde 2 2 3 . I m übrigen jedoch — soweit „Dividenden" nicht definiert würden oder lediglich beispielhaft aufgezählt werde, was als Dividenden anzusehen sei — stehe der Weg für den deutschen Gesetzgeber offen, den Dividendenbegriff durch eine innerstaatliche Norm festzulegen. Er könne dann auch, wie m i t § 7 AStG geschehen, die nichtausgeschütteten Gewinne den Dividenden zuordnen 224 . (2) Diese Ansicht haben jedoch Flick/Wassermeyer und Debatin abgelehnt 2 2 5 . Auch Kluge hat sich i n einer späteren Stellungnahme dem angeschlossen228. Auch wenn § 10 I I AStG bestimme, daß der Hinzurechnungsbetrag zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören soll und nach § 10 V auf den Hinzurechnungsbetrag die Bestimmungen der D B A entsprechend anzuwenden sein sollen, die anzuwenden wären, wenn der 219

Bellstedt FR 1972 S. 247. Rädler, I W B — Kurznachrichten Nr. 10 v. 25.5.1971, S. 3009. 221 Kluge A W D 1972 S. 411/415. 222 Kluge, ebd., unter Berufung auf Bellstedt. 223 Hierzu v o r allem Rädler, I W B — Kurznachrichten, Nr. 10 v o m 25. 5.1971 S.3009. 224 Bellstedt FR 1972 S. 248; Kluge A W D 1972 S. 411/415 f.. 225 Debatin D B 1972 S. 1939, 1984; Flick/Wassermeyer/Becker, §10 A n m . 171. 220

226

Kluge R i W 1975 S. 525/530.

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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Hinzurechnungsbetrag an den Steuerpflichtigen ausgeschüttet worden wäre, so bedeute dies nicht, daß es sich auch um „Dividenden" i m Sinne der Abkommen handelt 2 2 7 . Der deutsche Gesetzgeber könne i m Rahmen seiner nationalen Gesetzgebung nicht über die Qualifikation einer Einkunftsart m i t Wirkung für das Abkommen entscheiden 228 . Die Regel, wonach, soweit i n den D B A keine Bestimmung getroffen ist, die Bestimmung durch das nationale Recht maßgebend ist, könne hier nicht eingreifen. Die Vertragsparteien hätten hier gerade eine Regelung getroffen. Also müsse auch ihre Vereinbarung die Grundlage für die Auslegung der einzelnen Abkommem^bestimmungen sein. Der Geltungsbereich der speziellen Norm, als die sich das Abkommensrecht darstellt, könne nicht von der allgemeinen Norm, dem nationalen Recht, bestimmt werden. Daher sei an Hand des Abkommens und nicht des nationalen Rechts zu prüfen, ob die Vertragsparteien zu den Dividenden i m Sinne des Abkommens auch nichtausgeschüttete Gewinne rechnen. Insoweit aber stellt Kluge 2 2 9 fest, daß alle Definitionen für Dividenden auf „Einkünfte bzw. Einnahmen aus A k t i e n " hinauslaufen. Anhaltspunkte dafür, daß der Einkunftsbegriff auch nichtausgeschüttete Gewinne umfaßt, seien nicht vorhanden. Auch die Aufzählung i m Kommentar zum OECDMusterabkommen umfasse nur Einkünfte, bei denen dem Aktionär tatsächlich etwas zufließt. Damit aber könne man den nach den §§ 7 ff. AStG von den deutschen Anteilseignern zu versteuernden Hinzurechnungsbetrag nicht als Dividenden i m Sinne der D B A ansehen. Eine Vereinbarkeit der §§ 7 ff. AStG m i t den D B A könne sich demnach auch nicht aus den Bestimmungen der D B A ergeben, die der BRD die Besteuerungskompetenz für Dividenden zuweisen. (3) Nach beiden Ansichten kommt es entscheidend darauf an, ob die Bestimmung des „Dividenden"-Begriffs i n den D B A eine Einbeziehung von nichtausgeschütteten Gewinnen erlaubt oder nicht, ob der Begriff der „Dividenden" i m Sinne der Abkommen auch nichtausgeschüttete Gewinne umfaßt. Und da w i r d man der letzteren Ansicht zustimmen müssen. Der Begriff der Dividenden w i r d allgemein verstanden als „Einkünfte bzw. Einnahmen aus Aktien", als Einkünfte, bei denen dem Aktionär „tatsächlich etwas zufließt". Vor allem wurden auch bisher nichtausgeschüttete Gewinne nicht als „Dividenden" aufgefaßt. Kluge weist i m Zusammenhang m i t dem Treuhandurteil zu § 11 StAnpG darauf hin, daß es eine zulässige Auslegungsmethode i m Völkerrecht darstellt, „einen Vertragstext m i t der Tradition und der bisherigen Praxis der Vertragspartner zu konfrontieren, u m seine Tragweite festzustellen" 230 . 227 228 229

Debatin D B 1972 S. 1984/1989. FlicklWassermeyerlBecker, § 10 A n m . 171. Kluge R i W 1975 S. 525/530.

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I I I . 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

Auch die §§ 7 ff. AStG sehen selbst die hinzuzurechnenden Einkünfte offensichtlich nicht als „Dividenden" i m Sinne der D B A an. § 10 I I AStG bestimmt lediglich, daß der Hinzurechnungsbetrag zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehört, läßt also ohne weiteres eine nach §2 AO m i t Vorrang ausgestattete „Dividenden"bestimmung i n den D B A zu. Und § 10 V AStG bestimmt sogar ausdrücklich, daß auf den Hinzurechnungsbetrag die Bestimmungen der D B A „entsprechend" anzuwenden sind, die anzuwenden wären, wenn der Hinzurechnungsbetrag an den Steuerpflichtigen ausgeschüttet worden wäre. Es ist also weder ein Besteuerungsrecht auf den nichtausgeschütteten Gewinne einer ausländischen Körperschaft auf Grund des Rechts zur Besteuerung von „Dividenden" gegeben, noch w i r d ein derartiges Recht i n den §§ 7 ff. AStG behauptet. b) Demnach ist davon auszugehen, daß es Vorschriften, welche die Frage der Vereinbarkeit der §§7 ff. AStG mit den DBA ausdrücklich regeln, nicht gibt Weder ergibt sich -die Unzulässigkeit einer Besteuerung des nichtausgeschütteten Gewinns der ausländischen Körperschaft aus der sogenannten Antiorganklausel oder aus den A r t . 10 Abs. 5 OECD-Musterabkommen entsprechenden Bestimmungen noch ergibt sich ein entsprechendes Besteuerungsrecht aus dem Besteuerungsrecht für „Dividenden". aa) Aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Vorschrift über die Frage der Besteuerung des nichtausgeschütteten Gewinns beim inländischen Anteilseigner könnte man die Vereinbarkeit der §§ 7ff. AStG mit den DBA folgern. (1) Man könnte annehmen, daß die Besteuerung von Einkünften wie der i n §§ 7 ff. geregelten außerhalb des Regelungsbereichs der Abkommen stehe und folglich auch keinen Einschränkungen durch die Abkommen unterworfen sei 281 . Außerdem könnte man auf die vor allem in neueren Abkommen enthaltene sogenannte „Auffangklausel" abstellen, wonach die „ i n den vorstehenden A r t i k e l n nicht ausdrücklich erwähnten Einkünfte einer i n einem Vertragstaat ansässigen Person nur i n diesem Staat besteuert werden können" 2 3 2 . (2) I m übrigen w i r d zum Teil auch auf das Prinzip der Subjektidentität verwiesen. Danach wollten die D B A grundsätzlich nur die doppelte steuerliche Erfassung derselben Einkünfte bei demselben Steuersubjekt verhindern. Die D B A schlössen nicht aus, daß andere Steuer230 Kluge R i W 1975 S. 525/529 unter Berufung auf Bernhardt, Die A u s legung völkerrechtlicher Verträge, S. 124. 231 Vgl. hierzu Kluge R i W 1975 S. 525/530. 232 Vgl. Debatin D B 1972 S. 1939/1984; zweifelnd Geiger DStR 1973 S. 534.

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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sulbjekte — wie ζ. B. die Gesellschafter — i n einem Staat m i t demselben Steuergut wie die Gesellschaft i m anderen Staat zur Steuer herangezogen werden. Die bloße wirtschaftliche Doppelbesteuerung, d.h. die Besteuerung desselben Steuerguts bei verschiedenen Personen werde durch D B A i m allgemeinen nicht verhindert 2 3 3 . Demnach könnte man die §§ 7 ff. AStG als m i t den D B A vereinbar auch gegenüber Abkommenstaaten anwenden und zwar auf der Grundlage des § 10 V AStG, der bestimmt, daß auf den Hinzurechnungsbetrag die Bestimmungen der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung entsprechend anzuwenden sind, die anzuwenden wären, wenn der Hinzurechnungsbetrag an den Steuerpflichtigen ausgeschüttet worden wäre. bb) Die Annahme, daß die Besteuerung des nichtausgeschütteten Gewinns einer ausländischen Körperschaft beim inländischen Anteilseigner i n den D B A nicht geregelt sei, die D B A nur die doppelte Erfassung desselben Steuerpflichtigen verhindern wollten und deshalb die §§7 ff. AStG auch gegenüber Abkommenstaaten anwendbar sein sollen, ist aber vor allem vom wirtschaftlichen Ergebnis her (zweifache Besteuerung des nichtausgeschütteten Gewinns als Gewinn der K ö r perschaft und als Gewinn der Anteilseigner) im Grunde nicht haltbar 234. (1) I n den D B A sollte doch offensichtlich eine Regelung für die Besteuerung von Körperschaft u n d Anteilseigner getroffen werden. Die Körperschaft sollte i n dem Staat besteuert werden, i n dem sie ihren Sitz hat, der Anteilseigner, abgesehen von einer Quellenbesteuerung i m Sitzstaat der Körperschaft, grundsätzlich i n seinem Wohnsitzstaat. Die Abkommenspartner haben doch nicht bedacht, daß ein Staat dazu übergehen könnte, die nichtausgeschütteten Gewinne der i m anderen Vertragstaat ansässigen Körperschaft bei den bei ihm ansässigen Anteilseignern zu besteuern und haben allein deswegen diese Frage nicht ausdrücklich geregelt. Daß eine derartige doppelte Besteuerung des nichtausgeschütteten Gewinns aber nicht ihrem Willen entsprechen konnte, ergibt sich (bereits daraus, daß bei einer nochmaligen Besteuerung des nichtausgeschütteten Gewinns beim inländischen Anteilseigner die gesamte Regelung der Körperschaftsbesteuerung i n den DBA praktisch leerläuft 2 3 5 . Die gesamte differenzierte Regelung der Besteuerung des Gewinns der Körperschaft einerseits und der Dividenden andererseits w i r d sinnlos. Was sollte eine differenzierte Aufteilung der Besteuerungsrechte über den ausgeschütteten Gewinn, wenn es zulässig 233 Vgl, vor allem auch Raupach, S. 415; Großfeld, S. 190 ff.

Durchgriff,

S. 188; Kluge

234 Z u m folgenden v o r allem auch Großfeld, S. 191 ff.; Kluge S. 525/530 ff. 235 Vgl. Großfeld, S. 191; Kluge R i W 1975 S. 525/531.

20 v. Beckerath

A W D 1972 R i W 1975

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I I I . 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

sein soll, den nichtausgeschütteten Gewinn, der ibei nationalen Beteiligungsverhältnisse durchgehend nur als Gewinn der Körperschaft besteuert wird, bei grenzüberschreitenden Verhältnissen sowohl als Gew i n n der Körperschaft als auch als Gewinn der Anteilseigner zu besteuern. Dem Gedanken der fehlenden Subjektidentität kann demgegenüber keine entscheidende Bedeutung zukommen23®. Es steht nichts entgegen, vertraglich auch solche Mehrfachbelastungen auszuschalten, bei denen es sich nicht um eine „Doppelbesteuerung i m klassischen Sinne" handelt 2 3 7 , ganz abgesehen davon, oib nicht auch bei einer „Doppelbesteuerung i m klassischen Sinne" i m Verhältnis von Körperschaft und Anteilseigner Suibjektidentität vorliegt bzw. ob dieser Gedanke i n diesem Verhältnis überhaupt Anwendung findet. Auch wenn die D B A keine ausdrückliche Regelung enthalten, die eine Besteuerung des nichtausgeschütteten Gewinns beim inländischen A n teilseigner ausschließt, so gilt doch auch für D B A der Grundsatz, daß die Abkommenspartner ,bona fide 4 handeln müssen 238 . Nach dieser Bona-fide-Regel sowie dem gesamten Sinn und Zweck der i n den D B A enthaltenen Regelung für die Besteuerung von Körperschaft u n d A n teilseigner w i r d man die Zuweisung des Besteuerungsrechts für den nichtausgeschütteten Gewinn einer Körperschaft an das Domizilland der Körperschaft (vgl. A r t . 7 OECD-MusteraJbkommen) dahin auslegen müssen, daß dem Domizilland die Besteuerung des nichtausgeschütteten Gewinns ausschließlich zustehen soll u n d auch eine Besteuerung dieses Gewinns beim Anteilseigner ausgeschlossen ist 2 3 9 . (2) Großfeld und Kluge nehmen ebenfalls an, daß eine generelle H i n zurechnungsbesteuerung m i t den D B A unvereinbar ist, sie haben jedoch Bedenken, ob dieser Ausschluß auch für die von den §§ 7 if. AStG geregelten Fälle gilt, i n denen es lediglich u m die Hinzurechnung von „passiven" Einkünften gehe. (a) Großfeld, der grundsätzlich einen Spielraum für den Durchgriff annimmt, stellt für die Hinzurechnungsvorschriften des Außensteuergesetzes fest, daß die Beschränkung auf passive Einkünfte u n d die angemessene Berücksichtigung der i m Ausland gezahlten Steuern ein Indiz dafür seien, daß die einer Berufung auf das Prinzip der Subjektiden23e

Vgl. Salditi A W D 1972 S. 573 f. (für § 6 AStG). Kluge A W D 1972 S.414 unter Hinweis auf Ebling, Unilaterale M a ß nahmen, S. 48. 238 Großfeld, S. 191; Kluge R i W 1975 S. 525/531. 239 Hierzu Großfeld, S. 191; Kluge R i W 1975 S. 525/531, vgl. i n diesem Z u sammenhang auch Horst Vogel D B 1972 S. 1402/1406: „Wäre die Auslegung i m Verhandlungsprotokoll zutreffend, w ü r d e auch bei Vorliegen eines D B A jede nationale Durchgriffsgesetzgebung z. B. auch f ü r nichtausgeschüttete Gewinne einer a k t i v tätigen ausländischen Gesellschaft w i r k s a m sein." 237

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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tität beim Durchgriff gezogenen Schranken nicht überschritten würden. Es blieben aber Zweifel, weil die Hinzurechnungsvorschriften sich nicht nur auf relativ wenige schwere Mißbrauchsfälle beschränkten 240 . (b) Nach Kluge werden mißbräuchliche Gestaltungen durch die A b kommen nicht gedeckt 241 . Ob es jenseits des Mißbrauchs aber, wo die Hinzurechnungsbesteuerung grundsätzlich auszusiedeln sei, einen Konsens der Staaten über außergewöhnliches Verhalten gibt, auf den man die Zulässigkeit des Durchgriffs stützen könnte, könne kaum glaubhaft behauptet werden. Nicht, weil die Hinzurechnungsbesteuerung gegen das Abkommensrecht verstoße, sondern w e i l zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Grenzen, die ein Abkommen einer solchen Besteuerung setze, nicht erkennbar würden, sei die Hinzurechnungsbesteuerung gegenüber DBA-Staaten unanwendbar. Es müsse eine Interessenabwägung erfolgen, die von den Vertragsparteien gemeinsam vorzunehmen sei. (c) Anders als Großfeld und Kluge w i r d man für die Frage, ob die §§ 7 ff. AStG m i t den D B A zu vereinbaren sind, aber als entscheidend ansehen müssen, daß keine Regelung ersichtlich ist, auf Grund derer von der dargelegten grundsätzlichen Unzulässigkeit einer Besteuerung des nichtausgeschütteten Gewinns beim inländischen Anteilseigner eine Ausnahme zu machen wäre. Es sprechen erhebliche Gründe gegen die Annahme eines „Durchgriffsspielraumes". Immerhin bedeutete die A n nahme eines derartigen Durchgriffsspielraumes, daß man i n diesem Bereich bewußt auf eine Koordination verzichtet. Selbst wenn man einen derartigen „Durchgriffsspielraum" aber annehmen wollte, so müßte man i h n doch „äußerst eng auf Mißbrauchfälle begrenzen". Die §§ 7 ff. AStG könnte man i n jedem Fall nicht i n diesen Durchgriffsspielraum fassen. Wollte man auch die §§ 7 ff. AStG, die ja i m grundsätzlichen Ansatz sämtliche Einkünfte der ausländischen Körperschaft (abzüglich bestimmter Einkünfte aus aktiver Wirtschaftstätigkeit) dem inländischen Anteilseigner zurechnen, als i m Rahmen eines Durchgriffsspielraumes m i t den §§7 ff. AStG vereinbar ansehen, so wären keinerlei Grenzen mehr für einen derartigen Durchgriffsspielraum erkennbar. Die §§ 7 ff. AStG sind deshalb als m i t den D B A nicht vereinbar anzusehen. Es bedarf einer Vereinbarung m i t den Abkommenspartnern, u m die §§ 7 ff. AStG auch i m Verhältnis zu Abkommenspartnern Anwendung finden zu lassen — Vereinbarungen, die i m übrigen bereits m i t einer Reihe von Staaten getroffen worden sind 2 4 2 und die zugleich zeigen, daß auch die Finanzverwaltung offensichtlich die §§ 7 ff. AStG nicht für ohne weiteres m i t den D B A vereinbar hält. 240 241 242

20*

Großfeld, S. 196. Kluge R i W 1975 S. 525/531. Hierzu Flick Steuerkongreß-Report 1976 S. 197/212 f.

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I I I . 2. Kap.: Die einzelnen Durchgriffsfälle

II. Die Besteuerung von Familienstiftungen

nach §15 AStG

1. Der Inhalt der gesetzlichen Regelung Nach § 15 A S t G w i r d Vermögen und Einkommen ausländischer Familienstiftungen dem inländischen Stifter und, wenn dieser selbst nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist, den unbeschränkt steuerpflichtigen Bezugs- oder Anfallberechtigten entsprechend ihrem Anteil zugerechnet. a) Das Außensteuergesetz übernimmt damit i n § 15 AStG i m wesentlichen die frühere Regelung des §12 StAnpG, die zwar selten angewandt, allein durch ihre Existenz aber die Wahl entsprechender, diesen Tatbestand erfüllender Gestaltungen verhindert und sich insoweit nach Ansicht des Gesetzgebers bewährt hat 2 4 3 . Sinn des § 12 StAnpG war es, zu verhindern, daß „Werte, die wirtschaftlich zum Inland gehören und daher der deutschen Besteuerung unterliegen, durch Zwischenschaltung ausländischer steuerpflichtiger Rechtssubjekte dieser Besteuerung entzogen werden 244 . b) § 15 AStG enthält jedoch einen gegenüber § 12 StAnpG erweiterten Tatbestand. Nach § 12 StAnpG waren nur Einkommen und Vermögen von Familienstiftungen, die Inländer i m Ausland errichteten, dem unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter oder dem Bezugsberechtigten zuzurechnen. § 15 AStG erfaßt nunmehr zusätzlich auch Familienstiftungen, deren Stifter i m Zeitpunkt der Errichtung i m Ausland ansässig war. § 15 AStG stellt anders als § 12 StAnpG nicht mehr darauf ab, daß die Stiftung von einem unbeschränkt Steuerpflichtigen errichtet worden ist, sondern allein darauf, ob der Stifter oder die bezugs- oder anfallberechtigten Personen i m jeweiligen Veranlagungszeitraum unbeschränkt steuerpflichtig sind. Außerdem erfolgt nach § 15 AStG eine Zurechnung nicht wie bei § 12 StAnpG nur an den Bezugsberechtigten, sondern außerdem auch an den Anfallberechtigten. 2. Die Vereinbarkeit von § 15 AStG m i t dem Verfassungsrecht Bereits gegen den früheren § 12 StAnpG waren i n der Literatur verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden. Diese Bedenken gelten nicht nur für § 15 AStG fort, sondern es sind i m Hinblick auf die Erweiterung des Tatbestandes des § 15 AStG gegenüber § 12 StAnpG weitere Bedenken hinzugekommen.

248 244

Raupach, Durchgriff, S. 156 f.; Großfeld, S. 139. So die Begr. zum StAnpG, RStBl. 1934 S. 1398/1406.

2. Abschn. : Der Durchgriff zur Bekämpfung der Steuerflucht

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a) Der Durchgriff nach § 15 AStG stellt eine Ausnahme von der grundsätzlichen Selbständigkeit von Körperschaften für die Familienstiftungen dar und bedarf unter dem Gesichtspunkt der „Systemwidrigkeit" der sachlichen Rechtfertigung nach Art. 3 I GG. aa) Bereits § 12 StAnpG stieß insoweit auf Bedenken. Die Bestimmung des § 12 StAnpG suchte ihre Rechtfertigung i n der Verhinderung von Steuer- oder Kapitalflucht 2 4 5 . Sie .beruhte dabei auf der Annahme eines „vom Gesetzgeber selbst angenommenen und stillschweigend ausgesprochenen Mißbrauchs von Rechtsformen