Early Adopters der Individualmotorisierung im deutschen Kaiserreich 9783111067704, 9783111067087

The roots of individual motorization were laid during the German empire, which the author describes clearly and concisel

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Early Adopters der Individualmotorisierung im deutschen Kaiserreich
 9783111067704, 9783111067087

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
Teil I: Beginn der Individualmotorisierung
2 Einordnung: Der gesellschaftliche Kontext im Kaiserreich
3 Was sind Early Adopters?
4 Die ersten Automobilisten: Über den langsamen Beginn
5 Die Automobilisten des Jahres 1909: Angaben zum Datenbestand
6 Fahrzeugkategorien und rechtliche Grundlagen
7 Wie sah die regionale Verteilung der Fahrzeugbesitzer im Kaiserreich aus?
Teil II: Early Adopters am Einzelbeispiel
8 Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters?
9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?
Teil III: Erkenntnisse für die Gegenwart
10 Gibt es Erkenntnisse aus der Frühmobilisierung, die für das Autoland Deutschland in der Gegenwart nützlich sind?
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Grafikverzeichnis
Personenverzeichnis
Abbildungsnachweis
Anhangverzeichnis
Anhang

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Jürgen Dahlhoff Early Adopters der Individualmotorisierung im deutschen Kaiserreich

Jürgen Dahlhoff

Early Adopters der Individualmotorisierung im deutschen Kaiserreich 

ISBN 978-3-11-106708-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-106770-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-106829-9 Library of Congress Control Number: 2023934695 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Heinrich, Prinz von Preußen zu Besuch in der Benz Fabrik Mannheim. Fahrzeug Benz 70 PS Triple-Phaeton mit Prinz Heinrich von Preußen am Steuer seines zweiten Benz-Wagens, 1907. Von links: Carl Benz, Dr. Brosin. Hinter dem Wagen links: Direktor Josef Brecht, rechts: Direktor Hemmesfahr. Mercedes Benz Classic, Archivnummer : H3344. © Mercedes-Benz AG Satz: bsix information exchange GmbH, Braunschweig Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis 1

Einleitung  1

Teil I: Beginn der Individualmotorisierung 2

Einordnung: Der gesellschaftliche Kontext im Kaiserreich  11

3

Was sind Early Adopters?  22

4

Die ersten Automobilisten: Über den langsamen Beginn  34

5

Die Automobilisten des Jahres 1909: Angaben zum Datenbestand  57

6 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2

Fahrzeugkategorien und rechtliche Grundlagen  61 Fahrzeugkategorien  62 Rechtliche Grundlagen  73 Angaben zum Reichsstempelgesetz aus dem Jahr 1906  75 Grundzüge zum Verkehr mit Kraftfahrzeugen  79

7

Wie sah die regionale Verteilung der Fahrzeugbesitzer im Kaiserreich aus?  83

Teil II: Early Adopters am Einzelbeispiel 8 8.1 8.2 8.3 8.4 9 9.1 9.2

Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters?  97 Überblick zu den Klassen im Kaiserreich  97 Zuordnung der Fahrzeughalter zu ihren Klassen  105 Zusammenführung Fahrzeughalter, Klassen und Fahrzeugtypen  108 Weitere Details zum Adressbuch  120 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?  123 Die „Komitéliste“ zur Automobilausstellung aus dem Jahr 1905  123 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen  129

VI  Inhaltsverzeichnis 9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4 9.2.5

Persönlichkeiten aus dem Adel  132 Persönlichkeiten aus der Wirtschaft  152 Wirtschaftsunternehmen  177 Persönlichkeiten aus dem Bildungsbürgertum  190 Sonstige Persönlichkeiten  201

Teil III: Erkenntnisse für die Gegenwart 10 10.1 10.1.1 10.1.2 10.1.3 10.1.4 10.1.5 10.1.6 10.1.7 10.2

Gibt es Erkenntnisse aus der Frühmobilisierung, die für das Autoland Deutschland in der Gegenwart nützlich sind?  211 Wirkkräfte in der Automobilbranche  215 Wirkkraft Kunde  216 Wirkkraft Hersteller  222 Wirkkraft Wettbewerb  239 Wirkkraft Infrastruktur  247 Wirkkraft Staat  253 Wirkkraft Gesellschaft  258 Zusammenfassung Wirkkräfte  262 Quo vadis?  264

Literaturverzeichnis  271 Abbildungsverzeichnis  277 Tabellenverzeichnis  278 Grafikverzeichnis  279 Personenverzeichnis  280 Abbildungsnachweis  286 Anhangverzeichnis  287 Anhang  288

1 Einleitung „Die Kinderjahre des Automobils, in denen der Fernerstehende das neue Verkehrsmittel als unangenehme Modesache betrachtete und befehdete, sind vorüber. Der Mensch hat die gewaltigen Kräfte dieses Fahrzeugs, das ihn mit einem Schlage nicht bloß von den Launen des Tieres, sondern auch von den Fesseln des Schienenstrangs befreite, schätzen und gebrauchen gelernt, eines Fahrzeugs, das alles Segnungen des Eisenbahnverkehrs auf die Landstraße überträgt und so den Menschen vollends zum Herrn der Erde zu machen berufen ist.“ (Martin Isaac, Jurist, in Recht des Automobils, 1907)

Die Produkte der deutschen Automobilindustrie zu Beginn der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts werden weltweit anerkannt und bewundert. Sie sind begehrt und erfüllen höchste Ansprüche an Mobilität und Bequemlichkeit. Die Branche gibt Millionen von Menschen Arbeit. Sie ist eine der Leitindustrien Deutschland. Gleichwohl ist ihr Zustand fragil. Scheinbar war ihre Zukunft nie unsicherer. Wettbewerber aus Asien, alternative Technologien (Elektroantriebe), Umweltschutzauflagen („Dekarbonisierung“), der Einbau komplexer Softwarearchitekturen und -intelligenz, sowie neue Formen der Mobilität fordern sie heraus. Auch hausgemachte Probleme (Stichwort „Dieselgate“) setzen ihr zu. Manche Kommentatoren glauben, dass sich die Automobilbranche komplett neu erfinden und ein anderes Geschäftsmodell auf die Beine stellen muss. Eine Vision ist das digitale Auto, welches für den Automobilhersteller durch seinen „laufenden“ Betrieb Geld verdient, z. B. über den Download von zusätzlichen PS oder Software zum automobilen Fahren, während der Verkauf des Fahrzeugs („Hardware“) nur die Kosten decken soll. Wenn Entwicklungen dieser Art so kommen würden, wäre es die dritte Revolution in der Automobilindustrie, da sie fast alles verändern würde, was sie Jahrzehnte gewohnt war (Geschäftsmodell, Technik, Rahmenbedingungen). Können die deutschen Automobilhersteller diese Veränderungen allein stemmen oder werden sie dem traurigen Schicksal anderer ehemaliger Automobilnationen folgen, wie beispielsweise dem von England? Wird es heterogene Kooperationen geben, bei denen Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen und Wertschöpfungsstufen miteinander arbeiten? Wer wird „Koch“ und wer wird „Kellner“ sein? Werden die Autokonzerne nur noch als Auftragsfertiger das „Blech“ liefern, smartere Unternehmen, etwa aus dem Silicon-Valley, dagegen das Geld verdienen? Immerhin könnte von dort eine Konkurrenz entstehen, von Unternehmen, die bisher nie im Automobilgeschäft tätig waren, aber nach neuen Geschäftsmöglichkeiten in anderen Branchen suchen. Die Dimension der Herausforderungen erfüllt einen Beobachter mit Sorge und dem bangen Gedanken, ob das bewältigt werden kann. Gelegentlich hilft ein Blick in die Vergangenheit. Im Laufe der Jahrzehnte wurde die Branche immer wieder von existenzbedrohenden Krisen heimgesucht. Man https://doi.org/10.1515/9783111067704-001

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1 Einleitung

denke nur an die beiden Weltkriege und die schweren Nachkriegsfolgen. Auch in zivilen Zeiten gab es Bedrohungen. Die sog. erste Revolution der Automobilindustrie bezeichnet die Einführung der Massenfertigung durch Henry Ford, die einherging mit Fließbandfertigung und umfassenden Änderungen der Fabrikorganisation („Fordismus“, „Taylorismus“). Diese Veränderungen vollzogen sich in den USA sukzessive über einen Zeitraum von 1906 bis 1920 und ermöglichten es, Autos erschwinglich zu produzieren und sie zu einem Massengut zu machen.1 Bis deutsche Produzenten so weit waren, vergingen wertvolle Jahre. Sie verfolgten größtenteils weiterhin eine handwerklich geprägte Produktionsweise, obwohl ihnen die Ford’sche Fließbandfertigung bekannt war. Erst ab 1924 gab es bei Opel das erste Fließband in der Automobilindustrie; dann zogen auch andere Automobilhersteller wie Hanomag, Adler, Horch und Wanderer nach.2 Die Produktionsweise Einzel- oder Fließbandfertigung bestimmte auch die Anzahl der zugelassenen Fahrzeuge. Beispielsweise gab es im Jahr 1928 in den USA bereits 20,2 Millionen registrierte PKW und 2,9 Millionen LKW, während in Deutschland im gleichen Jahr erst 351 Tausend PKW und 108 Tausend LKW auf den Straßen fuhren.3 Die sog. zweite Revolution wurde durch aufkommende japanische Wettbewerber eingeleitet, die die westliche Automobilindustrie zu enormen Umwälzungen in den 1980er und 1990er Jahren zwangen. Diese Phase veränderte die europäischen und amerikanischen Automobilhersteller fundamental, denn sie mussten mit Schrecken feststellen, dass ihnen die japanische Konkurrenz mit dem Konzept der schlanken Produktion enteilt war. Japanische Autofabriken produzierten schneller, verkürzten ihre Durchlaufzeiten, verursachten weniger Fehler, hatten geringere Lagerbestände, und konnten ihre Fertigungen rascher umrüsten. Alle Kennzahlen der Japaner waren nicht nur marginal, sondern signifikant besser.4 Auch hier mussten die deutschen und die anderen westlichen Autobauer nachziehen. Sie waren damit erfolgreich und verfügen heutzutage über moderne Produktionswerke. Der Aufstieg und weltweite Erfolg der japanischen Automobilindustrie war selbst für die Japaner erstaunlich. Noch im Jahr 1959 hatten sie mit 319 Tausend Einheiten weniger registrierte Automobile auf ihren Straßen wie Deutschland im Jahr 1928. Der japanische Staat prognostizierte im Jahr 1958 knapp 2,2 Millionen Inlands-Fahrzeuge für das Jahr 1975. Tatsächlich lag die Zahl im Jahr 1975 bereits bei 17,2 Millionen Einheiten. Bezieht man LKWs und Busse in den Gesamtbestand

1 Stahlmann (1993), S. 27. 2 Stahlmann (1993), S. 71 ff. 3 Blaich: Why Did the Pioneer Fall Behind? Motorisation in Germany Between the Wars, S. 148, in: Barker (1987). 4 Womack et al. (1997), s. bspw. einen Vergleich der Fabrikbetriebe von GM und Toyota, S. 95 ff.

1 Einleitung



3

mit ein, fuhren bereits 36,2 Millionen Fahrzeuge in Japan.5 Diese atemberaubende Entwicklung in knapp zwanzig Jahren wurde durch mutige japanische Unternehmer und einen entschlossenen japanischen Staat ermöglicht, der u. a. mit einem ehrgeizigen Straßenverkehrsbauprogramm den rapiden Aufbau der japanischen Automobilindustrie förderte, die ihrerseits den westlichen Wettbewerb stark unter Druck setzte. Was kaum noch bewusst ist, waren die Anfänge der Automobilindustrie. Das Automobil hätte gleich zu Beginn in Deutschland scheitern können. Teile der Bevölkerung waren gegen das Automobil und nur dem Enthusiasmus und dem Geldbeutel der ersten Automobilisten ist es zu verdanken, dass sich die Automobilindustrie entwickeln konnte. Die Branche war klein und unbedeutend in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts, zog aber eine Vielzahl von prominenten Kunden und Bewunderern an, die ihr ein wachsendes Gewicht ermöglichten. Spannend ist die Frage, ob diese Frühphase Erkenntnisse und Lehren für die heutige Zeit bereithält. In direkter Weise eher nicht, denn natürlich können unterschiedlichen Herausforderungen zu anderen Zeiten und ihre Bewältigung keine Antworten auf die heutige Situation bieten. Sie waren vollkommen anders. In der Anfangszeit ging es um das Entwickeln einer neuen Branche aus zartesten Anfängen heraus. Nach dem ersten Weltkrieg beschäftigte man sich mit dem Wiederbeleben der Automobilwirtschaft, um sie als ehemaligen Teil der Kriegswirtschaft wieder in zivile Bahnen zu lenken. Die Folgen des zweiten Weltkrieges waren noch gravierender, da Teile der Wirtschaft zerstört waren und neu aufgebaut werden mussten und noch schlimmer, Massenarmut als kriegsbedingte Folge den Herstellern nahezu die komplette Kundenbasis entzog. Jahrzehnte später zwang die japanische Herausforderung zu einem Umbau der Industrie, insbesondere um den Produktivitätsvorsprung der Japaner in der Produktion aufzuholen. In der heutigen Gegenwart versucht die Autoindustrie ihren (relativen) Abstieg in einer Welt mit multipolaren Herausforderungen ökologischer, ökonomischer und technischer Natur zu vermeiden. Geschichte wiederholt sich also nicht, aber vielleicht „reimt“ sie sich an der ein oder anderen Stelle, frei nach Mark Twain. Wie im letzten Teil dieser Arbeit gezeigt wird, gibt es interessante Parallelen zwischen der Automobilindustrie in der Kaiserzeit und der Gegenwart, die lehrreich sein können. Zeitpunkt und Gegenstand dieser Abhandlung ist der Beginn der Automobilisierung im Kaiserreich. Nicht die Jahre der Erfindungen und der Nutzung erster mobiler Einzelexemplare im ausgehenden 19. Jahrhundert, sondern als sich das Auto im damaligen Deutschen Kaiserreich zu verbreiten begann. Um ganz genau zu sein, geht es um einen Schnappschuss aus dem Jahr 1909. In diesem Jahr wurde 5 Shimokawa (1987): Japan – The Late Starter Who Outpaced All Her Rivals, in: Barker (1987), S. 214 ff.

4  1 Einleitung

ein Adressbuch aller deutschen Besitzer von Automobilen und anderer mobiler Fahrzeuge (i. W. Krafträder) im Deutschen Kaiserreich veröffentlicht, welches einen Blick auf die damalige Situation werfen lässt.6 Das Werk hatte einen Umfang von 1.220 Seiten und führte in Listenform Namen, Berufe, Art der verwendeten Fahrzeuge und Wohnorte mit den genauen Adressen auf. Mit diesen Informationen und einer Vielzahl von Ergänzungen, die später erläutert werden, lassen sich interessante Erkenntnisse zur damaligen Lage gewinnen, die in diesem Buch dargestellt werden. Einmalig an diesem Adressbuch ist, dass es einen vollständigen Überblick über die Gruppe der „Early Adopters“ erlaubt, also die Personengruppe, die entscheidend dazu beitrug, dass sich die Innovation Automobil durchsetzte. Normalerweise sind Early Adopters nicht als Einzelpersonen und als eine vollständige Gruppe bekannt – Statistiker sprechen von einer Gesamtpopulation – sondern dienen eher konzeptionell als Teil eines Modells, welches zu erklären versucht, warum, wie und in welcher Geschwindigkeit sich Technologien in einer Gesellschaft durchsetzen (dazu später mehr). Hätte es damals nicht einen stetig wachsenden Kreis von Automobilbegeisterten trotz beträchtlichem gesellschaftlichem Widerstand gegeben, wäre wahrscheinlich nie eine Automobilindustrie in Deutschland entstanden, aus der dann im Laufe der Zeit Großunternehmen wie Volkswagen, Mercedes-Benz oder BMW hervorgegangen sind.7 Unzweifelhaft hätte sich das Auto in Deutschland durchgesetzt, wie in allen modernen Gesellschaften, aber vielleicht um den Preis, dass man die Fahrzeuge importieren oder in inländischen Fabriken ausländischer Automobilkonzerne bauen müsste, so wie es heute die meisten Länder tun. Was waren das für Menschen, die im Adressbuch als Kraftfahrzeugbesitzer bezeichnet werden, und die man heute Konsumenten, Kunden oder Käufer nennen würde? Was für Leute schafften sich damals im Kaiserreich ein Fahrzeug an? Über jene Zeit gibt es eine umfangreiche Automobilforschung. Diese hat sich beispielsweise mit der Technik der Fahrzeuge beschäftigt, die damalige Automobilindustrie beschrieben, komparative Entwicklungslinien des Automobils in europäischen und außereuropäischen Ländern aufgezeigt oder Verkehrspolitik und regulatorische Regelungen diskutiert, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausbreiteten und aus einem weitgehend unregulierten Bereich ein modernes Ver-

6 Heutige Datenschützer würden ob der detaillierten Informationen vermutlich ein Veto gegen die Veröffentlichung einlegen. 7 Ein kleines Detail am Rande: Im Jahr 1909 wurde auch der berühmte Daimlerstern als Logo von Daimlerfahrzeugen aus der Taufe gehoben (Antrag auf Gebrauchsmusterschutz am 24. Juni 1909) und im Laufe der Jahrzehnte zu einem Markenzeichen und Symbol für eine der wertvollsten Marken der Welt.

1 Einleitung



5

kehrsrecht schufen.8 Zu der Frage aber, was für Menschen sich ein Kraftfahrzeug (Auto oder Motorrad) anschafften und aus welchen gesellschaftlichen Milieus sie stammten, gibt es relativ wenig Forschung. Es existieren Einzelbeschreibungen als anekdotische Evidenz in diversen Schriften. Historische Automobilzeitschriften und diverse Presseorgane aus jener Zeit geben punktuell Auskunft zu dem Personenkreis der Automobilisten. Sie berichten über Automobilmessen, Autorennen oder andere Ereignisse. Automobilvereinigungen veröffentlichten Mitgliedslisten. Auch einzelne Dissertationen haben sich dem Phänomen der frühen Automobilisierung aus gesellschaftlicher Sicht genähert.9 Wenn man diese Erkenntnisse zusammen mit den Ergebnissen dieser Arbeit betrachtet, dann kann man ein sehr genaues Bild über die Gruppe der Early Adopters konstruieren, welches den Charme hat, dass es alle Automobilbesitzer jener Zeit erfasst. Der Kraftwagenbestand (Personenwagen, Lastwagen, Krafträder) im Kaiserreich Ende 1909 umfasste mit knapp 50 Tsd. Einheiten eine Größenordnung, die heute in etwa einer Tagesproduktion des Volkswagen-Konzerns entsprechen würde.10 An gegenwärtigen Maßstäben gemessen eine geringe Zahl, dennoch wurde damals die Saat gelegt, aus der sich über viele Jahrzehnte eine der wichtigsten Branchen in diesem Land entwickelte. Die Branche war in jener Zeit unbedeutend. Es gab im Jahr 1909 121 Betriebe mit etwas mehr als 19.000 Mitarbeitern, die sich mit der Produktion von Kraftfahrzeugen beschäftigten. In diesem Jahr wurden von der Branche 6.682 PKW gefertigt, 3.703 Kraftzweiräder, sowie LKWs und Halbfertigerzeugnisse wie Motoren.11 Eine kleine, stark handwerklich geprägte Nische, die zwar Erwähnung in einschlägigen Statistiken fand, aber nicht besonders hervorgehoben wurde wie andere Wirtschaftssektoren, die wesentlich bedeutender waren, etwa der Maschinenbau oder die Chemie- und Elektroindustrien. Gleichwohl erregten Automobile durch ihre Sichtbarkeit eine große Aufmerksamkeit bei den Menschen, entweder im positiven Sinne bei den noch wenigen Besitzern und Bewunderern dieser Fahrzeuge oder im negativen Sinne bei vielen anderen Menschen, die dieser jungen Technik ablehnend, teilweise sogar feindselig gegenüberstanden. Glücklicherweise hatte das Automobil Gönner und begeisterte 8 Zur Technikentwicklung der frühen Jahre in der Automobilindustrie s. bspw. Kirchberg (2021). Schrader (2002) stellt mehr als 140 Automobilhersteller mit ihren Fahrzeugen und umfangreichem Bildmaterial vor. Barker (1987) diskutiert die Entwicklung der frühen Automobilindustrie in verschiedenen Ländern. In Schwedes (2018) wird in einem Aufsatz die Entwicklung der Verkehrspolitik seit dem frühen 19. Jahrhundert dargelegt, die in den ersten 100 Jahren im Wesentlichen von der Eisenbahn geprägt war. 9 S. bspw. Haubner (1998). 10 Kaiserliches Statistisches Bundesamt (1910), S. 121. Die Statistik führt den Bestand am 1. Januar 1910 auf. 11 Horras (1982), S. 342a.

6  1 Einleitung

Automobilisten bis in höchste Kreise des Deutschen Kaiserreichs, wie später noch dargestellt wird, was sicher für die Förderung und Durchsetzung des Automobils, sowie die Entwicklung der Branche nicht nachteilig war, obwohl es auch viele Parlamentarier gab, die dem mobilen Fahrzeug misstrauisch gegenüberstanden und ein Gesetz im Reichstag und im Bundesrat durchsetzten (Reichsstempelgesetz vom 3. Juni 1906), welches durch die Einführung einer Luxussteuer, die den unverfänglichen Namen Reichsstempelabgabe trug, den Erwerb und das Fahren eines Fahrzeugs noch teurer machte. Diese Arbeit besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil („Beginn der Individualmotorisierung“) erfolgt eine Betrachtung der frühen Individualmotorisierung aus der Makroperspektive mit dem Fokus auf die Gesamtpopulation der Automobilbesitzer und sonstigen Mobilisten. Diese „Helikopterperspektive“ zeichnet die Entwicklung und lange Gärungszeit der Individualmobilität mit ihren Herausforderungen im Kaiserreich nach. Im zweiten Teil („Early Adopters am Einzelbeispiel“) erfolgt der Blick aus der Mikroperspektive, in der Aussagen über die soziale Struktur früher Individualmotoristen getroffen und einzelne Personen vorgestellt werden, die seinerzeit eine gewisse Bedeutung im Kaiserreich hatten und sich ein Fahrzeug leisteten. Dieser Teil fokussiert sich fast ausschließlich auf Automobilbesitzer, denn sie sind es, die biografische Spuren hinterlassen haben.12 Der Verfasser hat eine große Anzahl an bedeutenden Persönlichkeiten im Rahmen der Datenaufbereitung identifiziert und stellt exemplarisch diverse „Automobilisten“ vor.13 Zusätzlich sind viele damals bedeutende Unternehmen im Adressbuch aufgeführt, von denen einige im zweiten Teil vorgestellt werden. Im dritten Teil („Erkenntnisse für die Gegenwart“) wird der Frage nachgegangen, ob es nützliche Einsichten aus der Frühzeit der Individualmobilisierung gibt, die noch heute von Interesse sind. Hier liegt der Schwerpunkt nicht ausschließlich auf den Early Adopters bzw. Kunden, sondern widmet sich diversen Wirkkräften, die Einfluss auf die Entwicklung der Automobilbranche nahmen und nehmen. Auch werden sogenannte „weiche“ Faktoren vorgestellt, wie Mindset und Zeitgeist der damaligen Gesellschaft, die Industrie und Bürger durchdrungen und den Aufstieg der Individualmotorisierung und damit auch den heutigen Status Quo mit weltweit führenden Automobilherstellern ermöglicht haben.14 Es wird die These aufgestellt, dass es nach wie vor dieselben Erfolgsfaktoren sind, die am Beginn der Automobilisierung standen und die für die Gegenwart entscheidend sind. 12 Automobile waren damals sehr teuer und konnten nur von wohlhabenden Bürgern gekauft werden. Diese wiederum nahmen häufig bedeutende Stellungen in Wirtschaft, Staat und anderen gesellschaftlichen Bereichen ein. 13 Automobilist war ein in positiver Weise verwendeter zeitgenössischer Begriff für Fahrzeughalter. 14 Im Jahr 1909 gab es knapp 50 Tausend Fahrzeughalter, im Jahr 2022 mehr als 50 Millionen.

1 Einleitung

– – – – – – –



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Im Fokus dieser Schrift stehen folgende Fragestellungen und Aspekte: Wie war das gesellschaftliche Klima, in dem sich die Motorisierung entfaltete? Wie entwickelte sich die Automobilisierung in den ersten Jahren bis zum Jahr 1909? Aus welchen Fahrzeugkategorien setzte sich der Automobilmarkt zu jener Zeit zusammen? Wie sah die regionale Verteilung der Fahrzeugbesitzer im Kaiserreich aus? Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters? Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten? Gibt es Erkenntnisse aus der Frühmobilisierung, die für das „Autoland“ Deutschland in der Gegenwart nützlich sind?

 Teil I: Beginn der Individualmotorisierung

2 Einordnung: Der gesellschaftliche Kontext im Kaiserreich Das Deutsche Kaiserreich der Vorkriegsjahre war vielfältiger als so manches sich hartnäckig haltende Klischee insinuiert. Untertanengeist, Chauvinismus, militärische Prachtentfaltung, Aufrüstung, provokante Rhetorik (z. B. die „Hunnenrede“ des Kaisers Wilhelm II.), parvenühaftes Auftreten wirtschaftlich erfolgreicher Menschen, der Anspruch nach Weltgeltung („Platz an der Sonne“); all das gab es in großem Ausmaß, jedoch war das Land sehr viel vielschichtiger und fortschrittlicher als mancher annehmen mag. Man darf nicht übersehen: Das Deutsche Kaiserreich war ein erst wenige Jahrzehnte zuvor zusammengeschmiedetes Gebilde aus vielen vormals eigen- und selbständigen Staaten, wie Preußen, Sachsen oder Bayern. Dass dort alle möglichen Strömungen zusammentrafen, sollte nicht verwundern. Heutige Historiker zeichnen ein differenzierteres und freundlicheres Bild des Deutschen Kaiserreichs als frühere Geschichtsschreibung.1 Das ist sicher der zeitlichen Distanz zuzuschreiben, da heutige Historiker weder das Kaiserreich noch die Jahre bis 1945 aus persönlicher Erfahrung kannten und daher vielleicht einen etwas neutraleren Blick als die Vorväter einnehmen. Man sollte nicht den Fehler machen, das damalige Deutsche Kaiserreich mit heutigen Maßstäben zu messen, sondern es im Kontext seiner Zeit sehen und mit dem Entwicklungsstand anderer Staaten vergleichen. Nach diesem Benchmark war Deutschland fortgeschritten, was z. B. Wirtschaft, Rechtsordnung oder Bildung betraf. Auch staatliche Fürsorge wurde entwickelt, wie z. B. die medizinische Versorgung oder die Sozialversicherung. Die Regierungsform als konstitutionelle Monarchie schränkte den Kaiser durch eine Verfassung ein, und galt mit einem Reichstag und einem Bundesrat als durchaus modern. Es gab sehr unterschiedliche Milieus, wie Land- und Stadtbevölkerung oder Menschen, die noch dem alten Klassendenken anhingen, wie es Jahrhunderte vorgeherrscht hatte, und die sich als Adelige, Junker, Militärs oder Kleriker der Elite zugehörig verstanden. Wieder andere Menschen wollten alte Zöpfe abschneiden und eine modernere Gesellschaft organisieren. Sie gehörten dem Bürgertum an, welches in Metropolen wie Berlin und Hamburg und vielen anderen Städten wirt1 Vgl. Berghahn (2003), S. 31 ff. über veränderte Wahrnehmungen des Kaiserreichs in der historischen Forschung. S. auch Conze (2020), ab S. 13 ff. Die Debatten in der Forschung halten an, z. B. Clark (2012), der den 1. Weltkrieg auf ein kollektives Versagen der europäischen Großmächte zurückführt und weniger dem Kaiserreich die Alleinschuld gibt. Weiter Richter (2021), die das Kaiserreich als durchaus reformfreudig wahrnimmt und ihm die Legung von Grundlagen der heutigen Demokratie zuerkennt, gleichwohl es selbst natürlich eine Monarchie mit ihren vielen Schattenseiten war. https://doi.org/10.1515/9783111067704-002

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2 Einordnung: Der gesellschaftliche Kontext im Kaiserreich

schaftlich und kulturell großen Einfluss besaß. Burhop schreibt, dass maximal 15 Prozent der damaligen Bevölkerung dem Bürgertum zugerechnet werden konnten.2 Das wären knapp 10 Millionen Menschen gewesen. Einer anderen Rechnung nach, in der die Zugehörigkeit zum Bürgertum sehr umfassend definiert wurde, waren es maximal 30 Prozent, die zu dieser Gruppe gehörten.3 Weiterhin gab es große gesellschaftliche Gruppen, die mehrheitlich in bitterster Armut lebten, in Fabriken und auf dem Land schufteten und mit den gegebenen Zuständen sehr unzufrieden waren. Schätzungen zufolge mussten zwischen 60 und 70 Prozent der Lohnempfänger mit einem Einkommen unterhalb der Grenze zur Abführung von Einkommensteuer auskommen, d. h. Millionen Arbeiter galten als sehr arm.4 Diese Proletarisierung von Millionen von Menschen war ein ständiger potenzieller Unruheherd, der jedoch durch die Partei der Sozialdemokraten und durch Gewerkschaften in eher zivile Bahnen gelenkt wurde und daher keine Gefahr für die vorherrschenden Verhältnisse darstellte. Ein gravierendes Manko der wilhelminischen Gesellschaft war die geringe Durchlässigkeit zwischen den Milieus. Das Bewusstsein für den durch Geburt vorbestimmten Platz in der Gesellschaft war hoch. Burhop beschreibt die Verhältnisse wie folgt: „Die Gesellschaft des Kaiserreichs kann anhand zahlreicher Gegensätze stratifiziert werden: Arm und Reich, Stadt- und Landbevölkerung, Evangelisch und Katholisch, abhängig Beschäftigter und Selbständiger, Arbeiter und Angestellter, Bürgerlicher und Adeliger, Akademiker und Analphabet.“5 Berghahn führt weitere Unterscheidungen an, die in der wilhelminischen Gesellschaft existierten, wie die Zugehörigkeit zu einer Minderheit (z. B. dänisch-, polnisch- oder französisch sprechende Mitbürger) oder Generationenkonflikte zwischen Alt und Jung. Er konstatiert, dass soziale Mobilität nicht gänzlich ausgeschlossen war, es aber immer wieder Barrieren gab, um von einer in die andere Klasse aufzusteigen. Er geht im Gegenteil davon aus, dass das Kaiserreich bis zum Jahr 1914 sogar auf dem Weg war, seine klassengesellschaftlichen Verhältnisse weiter zu zementieren.6 Es lässt sich festhalten, dass an der Spitze des Kaiserreichs eine kleine Gruppe aus Adel, Rittergutsbesitzer, Klerus und Militär stand, dem ein relativ großes Bürgertum folgte. Beide Gesellschaftsgruppen zusammen umfassten in etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Die Mehrheit der Menschen, etwa zwei Drittel der Bevölkerung, fristete ein eher kärgliches Dasein auf dem Land, in Haushalten oder in Fabriken, die häufig in Ballungsgebieten lagen.

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Burhop (2011), S. 18. Diese Rechnung wird detailliert in Kapitel 8 dargelegt. Burhop (2011), S. 18. Burhop (2011), S. 18. Berghahn (2003), S. 102

2 Einordnung: Der gesellschaftliche Kontext im Kaiserreich



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Die unterschiedlichen Milieus suchten durch ein breites Spektrum an Parteien Stimme und Einfluss und erlangten Mitwirkung an der politischen Willensbildung durch die Wahl von Abgeordneten in den Reichstag. Beispielsweise wurden die von Regierung und Kaiser mehr oder weniger offen bekämpften Sozialdemokraten immer erfolgreicher und erzielten bei der letzten Reichstagswahl im Jahr 1912 mit 34,8 % den größten Stimmenanteil.7 Weiterhin residierte der Kaiser an der Staatsspitze mit seinen eigenen Vorstellungen über Staatsführung und es existierten konfliktäre Interessen im Verhältnis der einzelnen Länder zur Zentralregierung in Berlin. Das gemeinsame Narrativ, welches diese zentripetalen Kräfte zusammenhielt, waren die Erfolge der vergangenen Jahrzehnte. Wirtschaftliche Erfolge, die aus einem Agrarland, wie es noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestand, eine moderne Industrienation geformt hatten, die sich anschickte, das führende England zu überholen. Militärische Erfolge, die in gerade einmal sieben Jahren (1864–1871) in drei (Einigungs-)Kriegen Deutschland konsolidierten und die Grundlage für die Gründung des deutschen Staates unter einheitlicher Führung im Jahr 1871 legten, sicher aus damaliger Sicht einer der größten politischen Erfolge des 19. Jahrhunderts, erfüllten viele Bürger mit Stolz. An der Staatsspitze stand der Kaiser, der als Integrationsfigur hohes Ansehen besaß und zumindest symbolisch für eine hohe Identifikation mit dem Land sorgte, trotz seiner nicht seltenen peinlichen Ausfälle und sonstiger Idiosynkrasien. Eine weitere Erfolgsgeschichte, die viele Deutsche mit Stolz erfüllte, waren die Leistungen deutscher Wissenschaftler und Ingenieure, die eine große Anzahl von Techniken entwickelten, aus denen dann Produkte der Industrie entstanden, u. a. auch das Automobil, dessen Geburtsjahr mit dem Jahr 1886 veranschlagt wird, als Carl Benz das Patent für das erste Automobil mit Verbrennungsmotor erhielt. Made in Germany begann weltweit ein Qualitätsetikett für Waren aus Deutschland zu werden, eine bittere Ironie der Geschichte, war es doch erst im Jahr 1887 von England zur Kennzeichnung minderwertiger importierter Ware aus Deutschland eingeführt worden. Tatsächlich hatten die deutschen Unternehmer ihren „Sputnik-Moment“ im Jahr 1876 auf der Weltausstellung in Philadelphia, auf der die Überlegenheit amerikanischer Produkte studiert werden konnte, und deutsche Produkte als „billig und schlecht“ charakterisiert wurden. Der deutsche Ingenieur Franz Reuleaux, der dort als Preisrichter mitwirkte, konstatierte eine Überlegenheit der ausgestellten amerikanischen Produkte gegenüber den deutschen und beschrieb indigniert in seinen „Briefen aus Philadelphia“, diesen Sachverhalt. Die Briefe kamen in der deutschen Öffentlichkeit nicht gut an, galten doch deutsche Produkte als überlegen. Welch ein Irrtum. Reuleaux schrieb: 7 Rahlf (2015), S. 117

14  2 Einordnung: Der gesellschaftliche Kontext im Kaiserreich

Wenn wir zu diesem Zwecke den harten und bitteren Vorwurf „billig und schlecht“, den wir, wie bereits früher andeutete, zu zerlegen haben in: „billig und deshalb schlecht“, näher und ohne Scheu betrachten, so finden wir, daß thatsächlich durch einen ganz bedeutenden Theil der deutschen Industrie, der eine Grundgedanke durchgeht, daß Konkurrenz überhaupt nur durch Herabsetzung des Preises möglich sei. Es wird oft oder ist fast vergessen, daß der andere Weg: Festhaltung des Preises, dafür aber Steigerung der Qualität, ebenso offensteht und kaufmännisch mindestens ebenso gut zum Ziele führt. Der Industrielle hat zu wählen zwischen dem einen und anderen Grundprinzip. Der zweite Weg, den unsere Industriellen nur zum kleinen Bruchtheile kennen und in welchem dann das Geheimnis ihrer Geschäftsblüte besteht, ist aber industriell wie volkswirthschaftlich der einzig richtige.8

In die gleiche Kerbe haute der Berliner Unternehmer Hermann Grohe, der ebenfalls Besucher der Weltausstellung war. Er machte den deutschen Ausstellern – außer wenigen positiven Beispielen wie das der Firma Krupp – den Vorwurf, dass sie „nur Altes, Unschönes und längst Bekanntes in keineswegs schöner Ausführung präsentierten“, und weiter: „Die Schamesröte steige jedem Deutschen auf, wenn er diese deutsche Stümperei an einem Ehrenplatz in der Ausstellung erblicke.“9 Als ein Grund für das Problem minderwertiger deutscher Produkte wurde das Fehlen eines Patentgesetzes ausgemacht – welches, nebenbei bemerkt, die Amerikaner und Engländer bereits hatten – weshalb Unternehmer kaum einen Anreiz verspürten, überlegende Produkte durch marktfähige Innovationen herzustellen. Daher blieb ihnen häufig nur die Imitation, die technisch regelmäßig gegenüber der ausländischen Konkurrenz unterlegen war. Reuleaux wirkte mit seinen Briefen und weiteren Forderungen und Eingaben, sowie seinen engen Verbindungen zum Patentschutzverein entscheidend an einem neuen Patentschutzgesetz mit.10 Im Jahr 1877 wurde dann ein Patentgesetz im Deutschen Reich eingeführt mit der Folge, dass die Patentanmeldungen stetig stiegen.11 Invention und Innovation dominierten in der Folge gegenüber der Imitation, gleichwohl diese nie gänzlich verschwand, und auch noch in der Weimarer Republik eingesetzt wurde, wie es am Beispiel der Maschinenbauindustrie herausgearbeitet wurde.12 Grosso modo war das Reichspatentgesetz, das gut von der Industrie angenommen wurde, ein großer Erfolg. Die deutsche Industrie entwickelte sich unter der Ägide des Reichspatentgesetztes von einer „Imitations- zu einer Innovationsindustrie“.13 Das Gesetz ermöglichte zwar nicht erst die Innovation, aber es unterstützte sie durch Schutzmechanismen an entscheidenden Stellen und unterstützte die Entwicklung junger 8 Reuleaux (1877), S.12 f. 9 Bremm (2014), S. 111. 10 Braun (1985). 11 Horras (1982), S. 16 ff. 12 Richter, Streb (2009). 13 Seckelmann (2006), S. 403 ff.

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Industrien, wie der chemischen Industrie, der feinmechanischen Industrie und der Elektroindustrie. Es initiierte oder setzte Impulse zum Schaffen der Rechtsfigur des Geistigen Eigentums, der Verbindung staatlicher Institutionen (z. B. Universitäten) mit Unternehmen zur Nutzbarmachung von Erfindungen in Produkte, ferner zur besseren Ausbildung des wissenschaftlichen Personals. Der auch heute noch erwünschte Doktorgrad für einen Chemiker als Qualifikationsmerkmal für eine Tätigkeit in einer F&E-Abteilung, geht auf diese Zeit und dem institutionellen Einfluss des Reichspatentgesetzes zurück. Die Idee der Wissensgesellschaft, gleichwohl ein im Kaiserreich nicht bekannter Begriff, führt in die Jahre der Entstehung des Patentgesetzes zurück. Seckelmann schreibt: „Die gleichsam ‚eruptive‘ Entfesselung der Erfinderenergien führten die Zeitgenossen auf die primäre Regelungsaussage des Patentgesetzes zurück, die in Worten Heinrich Caros [Anm. des Verfassers: einflussreicher Chemiker jener Zeit mit einer Vielzahl von Erfindungen; in der Leitung der BASF tätig] lautete: ‚Du sollst nicht nachahmen. Finde selbst!‘“14 Auch außeruniversitäre Institutionen, die sich der Grundlagenforschung verschrieben haben, wurden aus der Taufe gehoben. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die nach dem 2. Weltkrieg mit ihren Instituten in die Max Planck-Gesellschaften aufgegangen ist, wurde im Jahr 1911 gegründet und brachte Nobelpreisträger wie Max Planck, Max von Laue oder Albert Einstein heraus. Auf anderen Gebieten brillierten Forscher wie Rudolf Virchow (Pathologe), Robert Koch (Bakteriologe) oder Wilhelm Conrad Röntgen (Physiker). Forschung, Wissenschaft und Staat zogen an einem Strang und führten in wenigen Jahrzehnten das Land in den Naturwissenschaften an die Weltspitze. Kaiser Wilhelm II. war während seiner Amtszeit immer ein Förderer von Bildung und Ausbildung und hatte mit Theodor Althoff einen genialen Administrator, der die Bildungspolitik im Kaiserreich an vielen Stellen entscheidend beeinflusste.15 In der Bildungspolitik zeigte sich die Offenheit und Modernität des Kaiserreichs, welches auf breiter Front in Bildung und insbesondere Schulbildung investierte. Auch hier lassen sich wichtige Impulse aus früherer Zeit ausmachen, wie im Preußen des 18. Jahrhunderts mit der Einführung der Schulpflicht, die Gründung von technischen Hochschulen ab dem Jahr 1825 („Polytechnikum“) oder das Promotionsrecht für Ingenieurwissenschaften ab dem Jahr 1899. Kein Wunder, dass diese Anstrengungen Früchte trugen und erfindungsreiche Ingenieure, Mediziner und Naturwissenschaftler hervorbrachten, die ihren wesentlichen Anteil am Aufstieg des Kaiserreichs als wissenschaftliches Powerhaus hatten.

14 Seckelmann (2006), S. 404. Sie setzt sich in ihrer Dissertation umfassend mit dem Entstehen des Patenrechts auseinander. 15 Bödecker (2014), S. 267 ff.

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Exemplarisch für den Stolz auf deutsche Technik stand ein Reisebericht des Berliner Lehrers Jean Sauvage, der im Jahr 1900 die Weltausstellung in Paris besuchte und seine Eindrücke schilderte, als er einen Portalkran der Berlin Firma C. Flohr in der Maschinenhalle sah, der bis zu 30 Tonnen Last heben konnte und mit einem Schild „Grand Prix“ versehen war: „Uns Deutsche aber ergreift ein Gefühl hoher Befriedigung, wenn wir den alle Maschinen so hoch überspannenden Riesenkran hier schauen und wahrnehmen, dass er bei aller Welt bewundernde Anerkennung findet. Wieder ein Gebiet, auf dem die deutsche Technik den Sieg davongetragen hat!“16 Das Land zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde ebenfalls geprägt durch eine neue Wirtschaftselite, die als wichtige Antreiber der Industrialisierung in Deutschland im Wilhelminischen Kaiserreich galten. Zu ihnen gehörten Unternehmer wie Siemens, Krupp, Borsig, Linde, Stinnes oder Rathenau. Auch in der Automobilindustrie gab es diese Typen, die Erfinder, Ingenieure und Unternehmer waren, wie Benz, Maybach, Daimler, Lutzmann, Dürkopp oder Horch, gleichwohl sie Repräsentanten einer noch sehr jungen und kleinen Industrie waren. Die Wurzeln der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands im Kaiserreich reichten weiter zurück in die sogenannte Gründerzeit, mit der eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Aufbruchsphase beschrieben wird, die durch unzählige Menschen geprägt wurde, die fortschrittsbegeistert, tatkräftig und risikofreudig Unternehmen gründeten und den industriellen Aufstieg des noch in der Zukunft liegenden Kaiserreichs ermöglichten. Diese industrielle Take-off-Phase („Gründerzeit“), die von 1848 bis 1871 andauerte, brachte wichtige Leitindustrien hervor wie die Textilindustrie, Montanindustrie (Kohle, Erz und Stahl), Chemieindustrie, Elektrotechnik, Kommunikation (Telegrafie und später Telefonie) und den Maschinenbau.17 Unternehmen aus diesen Branchen nahmen europaweit führende Stellen ein. Eine große Anzahl von Menschen profitierte von diesen Erfolgen und war stolz auf das Erreichte. Gutbetuchte leisteten sich was, sei es der Bau eines repräsentativen Domizils oder der Kauf eines damals sehr teuren Automobils, welches als Luxusgut galt. Noch wenige Generationen zuvor war das Land eine Agrar- und Feudalgesellschaft, welches erst durch mutige Reformen, die ab dem Jahr 1807 eingeleitet wurden („Oktoberedikt“, erlassen in Preußen), den Menschen stückweise Freiheit und mehr Eigenverantwortlichkeit gaben. Dadurch wurde ein jahrzehntewaltender Prozess eingeleitet – die industrielle Revolution hielt Einzug in Deutschland – der marktwirtschaftliche und rechtsstaatliche Elemente enthielt, und eine große wirtschaftliche Dynamik entfachte. 16 Sauvage (1900), S. 40. 17 Laufer, Ottomeyer (2008).

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Der Nobelpreisträger Edmund Phelps verwendete den anschaulichen Begriff „Mass Flourishing“, welcher beschreibt, was im 19. Jahrhundert in den USA, England, Frankreich und Deutschland passierte, als sich unzählige Menschen in einer positiven Weise dem Neuen stellten, nach Herausforderungen suchten, den Dingen auf den Grund gingen und sie verstehen wollten.18 Nach Phelps befanden sich viele Menschen mit ihrem Zukunftsoptimismus auf der Suche nach neuen Ideen, Konzepten und unternehmerisch umgesetzten Innovationen. Damals zur Kaiserzeit und in den Jahren der Gründerzeit verzeichnete man eine „Gründerstärke“, denn viele wollten ihr eigener Herr sein.19 Auf einer nationalen Ebene war „Mass Flourishing“ mit seinem Gründungsschwung die Gelegenheit für unzählige Menschen, sich frei zu entfalten, gelöst von den Fesseln feudaler Herrschaft, wie sie ihnen jahrhundertelang angelegt waren. Erstmalig in der Menschheitsgeschichte konnten mit der industriellen Revolution zahllose Menschen nach einem besseren Leben streben. Die dabei erzeugte Dynamik brachte die Länder entscheidend voran auf ihrem Weg der wirtschaftlichen Prosperität. Es ist kein Zufall, dass in der Gründerzeit im 19. Jahrhundert unzählige Unternehmen in Deutschland errichtet wurden und der Erfindergeist hochgehalten wurde. Einige davon dominieren bis heute ihre Industrien und genießen eine hohe Reputation.20 Man denke nur an das Unternehmen Siemens, welches seit mehr als 170 Jahren (Gründung im Jahr 1847) Spitzenleistungen erbringt. Wer nach Gründen für die außergewöhnliche Prosperität sucht, wird bei Werner Sombart, einem bekannten zeitgenössischen Volkswirt, fündig, der die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland im 19. Jahrhundert und danach bis 1912 nachzeichnete.21 Er identifizierte nicht einen Hauptgrund, sondern ein Bündel an Ursachen, die den Aufstieg des Landes beförderten. Dazu gehörten u. a. technische Innovationen, die Einführung einer kapitalistischen Wirtschaftsweise, mutige Reformen des Staates, mutige Reformen des Staates und die Rechtsentwicklung. Der Aufstieg der Automobilindustrie war noch unter Sombarts Wahrnehmungsschwelle und wurde von ihm wohl als nicht besonders erwähnenswert gesehen. In seinen Ausführungen über den Verkehr legte er einen Schwerpunkt auf die Eisenbahn und die Binnen- und Seeschifffahrt. Unter der Bezeichnung „Achstransport“ wurden Errungenschaften der Automobilindustrie beschrieben, wie

18 Phelps (2013). 19 Das Mindset hat sich 150 Jahre später komplett gewandelt. Im 3. Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts bemängelt man eine „Gründerschwäche“ in Deutschland, die es allerdings schon seit vielen Jahren gibt. 20 S. dazu einige Unternehmensbeispiele in Kapitel 9. 21 Sombart (1921).

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Überlandverkehr, Personenbeförderung und Frachtverkehr, wohingegen die individuelle Automobilisierung noch kein Thema für ihn war.22 Der einflussreiche Deutsche Bank-Direktor Karl Helfferich schwärmte im Jahr 1913 in einer Festschrift zum 25-jährigen Thronjubiläum von Kaiser Wilhelm II. in einem wulstigen Sprachduktus über die Errungenschaften des Kaiserreichs und resümierte: Unser Rückblick lässt jedes Herz in Stolz und Freude höher schlagen. Das deutsche Volk hat in den fünfundzwanzig Jahren der Regierung unseres Kaisers das Pfund, das ihm anvertraut ist, in eiserner Arbeit genutzt und gemehrt. In der Ausbildung der wissenschaftlich-praktischen Technik und der alle Kräfte und Mittel wirksam zusammenfassenden wirtschaftlichen Organisation, in der Steigerung der Gütererzeugung und des Verkehrs, in der Erweiterung und Festigung unserer wirtschaftlichen Weltstellung, in der Verbesserung der Einkommensund Vermögensverhältnisse und in der Hebung der gesamten Lebenshaltung unserer in gesundem Wachstum fortschreitenden Bevölkerung – in allen diesen Fortschritten hat Deutschland sich auf eine in seiner ganzen Geschichte niemals erreichte Stufe emporgearbeitet und im friedlichen Wettkampf der Nationen den ersten und mächtigsten Mitbewerbern sich gleichwertig erwiesen.23

Dieser Stolz war weit verbreitet und mündete in den Kaiserjahren von Wilhelm II. in einen Übermut, der auf grausame Weise ab 1914 abgebremst wurde. Ein Hauch von Selbstkritik tauchte bei Helfferich auf, der davor warnte, zu hochmütig zu sein, genau dass, was man, zumindest in Elitenkreisen bis hinauf zum hypertrophen Wilhelm II., wohl war: Aber diese Rückschau soll uns auch vor eitler Selbstüberschätzung und flachem Hochmut bewahren. Nur der Philister kann, ohne dass ernste Untertöne mitschwingen, gedankenlos sich daran ergötzen, „wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht“. Wer die Geschichte der Völker kennt, der weiss, dass jeder grosse Aufstieg neue und schwere Probleme schafft und Keime in sich trägt, die seinen eigenen Wurzeln gefährlich werden.24

Manche Historiker sahen auch bei Wilhelm II. eine betont „preußische Schneidigkeit“, die sich in einer aggressiven Außenpolitik widerspiegelte und mit Minder22 Sombart (1921), S. 247 ff. Es erscheint sogar, dass Sombart die Automobilisierung negativ sah, wie er in einer umfangreichen, kritischen Stellungnahme im Jahr 1929 in der Allgemeinen Automobil-Zeitung kundtat. Vgl. Merki (2002), S. 451 ff. 23 Helfferich (1913), S. 124. 24 Helfferich (1913), S. 125. Helfferich war selbst einer derjenigen, die mit der Niederlage Deutschlands im 1. Weltkrieg nicht umgehen konnten. Er erwies sich als verbaler „Brandstifter“, der an der Verbreitung der Dolchstoßlegende nach 1918 mitwirkte und gegen einen führenden Politiker und Finanzminister in der Weimarer Republik, Mathias Erzberger, hetzte und prozessierte. Erzberger wurde 1921 von zwei fanatischen Anti-Demokraten ermordet. S. weitere Details in Taylor (2013).

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wertigkeitskomplexen erklärt wurde. Wilhelm II. litt zeitlebens an einem während der Geburt verursachten Körperfehler und haderte wohl auch mit seiner Herkunft als „Halb-Engländer“, da seine Mutter Victoria Engländerin war und als Tochter von Queen Victoria dem englischen Königshaus entstammte.25 Deutschland im Jahr 1909 hatte 63,7 Mio. Einwohner. Diese lebten seit 1871 in einem Nationalstaat, der aus 22 Einzelstaaten und drei freien Städten bestand. Das politische System des Kaiserreichs basierte auf einer Verfassung, die als wesentliche Organe Kaiser, Reichskanzler, Reichstag und Bundesrat benannte. Diese Strukturelemente führten im Ergebnis zum politischen System einer parlamentarischen Monarchie, welches einerseits monarchistisch, zentralistisch und damit inhärent autoritär war. Andererseits war es bürgerlich und dezentral organisiert, und wies damit liberale Tendenzen auf. Die Balance zwischen diesen Elementen musste immer wieder neu austariert werden. Historiker haben verschiedene Phasen ausgemacht, die sie als liberal oder konservativ beschrieben.26 Am Vorabend des 1. Weltkriegs wurde die politische Situation wie folgt eingeschätzt: „Parlament und Exekutive, Reformkräfte und Kräfte der Beharrung standen sich nicht nur in einem weitgehenden Patt gegenüber. Die Immobilität des Kaiserreichs wurde gerade auch dadurch verursacht, dass sich mächtige Gruppen in dem Schwebezustand zwischen monarchischem und parlamentarischem System, zwischen Herrschaft der alten aristokratischen Elite und Dominanz der neuen demokratischen Massenbewegungen häuslich eingerichtet hatten.“27 Der Kaiser, der gleichzeitig auch König von Preußen war, galt als „Präsidium“ des Bundesrates und vertrat das Deutsche Reich nach außen. Zusammen mit dem Bundesrat konnte er den Reichstag auflösen und Kriege erklären. Weiterhin konnte er allein den Reichskanzler ernennen und entlassen. Auch war er Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Der Reichskanzler bestimmte die Richtlinien der Politik und vertrat sie gegenüber dem Reichstag. Weiterhin war er Vorsitzender des Bundesrats und preußischer Ministerpräsident. Durch die Vormachtstellung Preußens im Bundesrat konnte er wesentlich die politische Entscheidungsfindung und Gesetzesinitiativen beeinflussen. Da er jederzeit durch den Kaiser entlassen werden konnte, entstand eine gewisse Abhängigkeit vom Kaiser. Der Reichstag repräsentierte die Bevölkerung in all ihren politischen Ausrichtungen und wurde durch Wahlen berufen, die alle fünf Jahre stattfanden. Die gewählten Abgeordneten gehörten konservativen, liberalen oder sozialdemokratischen Parteien an. Auch konfessionelle Interessen wurden vertreten, z. B. durch 25 Hallgarten, Radkau (1986), S. 58. 26 Nonn (2017). 27 Nonn (2017), S. 92

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die Zentrumspartei als Organ der Katholiken. Der Reichstag hatte Gesetzgebungskompetenz, da er allen Gesetzen zustimmen musste. Weiterhin verfügte der Reichstag über das Budgetrecht, welches die Bewilligung des Staatshaushalts ermöglichte. Die Wahlberechtigten bei den Reichstagswahlen hatten allerdings an der Gesamtbevölkerung nur einen Anteil zwischen 18,7 und 21,8 % für die 13 Reichstagswahlen in der Zeitspanne von 1871 bis 1912, da Frauen kein Wahlrecht eingeräumt wurde und Männer erst ab dem 25. Lebensjahr wählen durften.28 Das letzte Element war der Bundesrat als Vertretung der Länder. Zusammen mit dem Reichstag musste er allen Gesetzen zustimmen. Weiterhin hatten alle Länder auf vielen politischen Feldern Autonomie und konnten eigenstaatlich handeln, z. B. in der Schulpolitik, ein Erbe, welches bis in die heutige Gegenwart reicht. Zudem verfügten die Einzelstaaten weiterhin über eigenstaatliche Verfassungen, die ein föderales Gemisch von liberal bis strukturkonservativ ermöglichten. So war es möglich, dass Preußen noch über das Dreiklassenwahlrecht verfügte, welches die Privilegien kleiner Gruppen, wie der Rittergutsbesitzer bzw. Junker, absicherte und einen Großteil möglicher Wähler faktisch ausschloss. Die Einkommensverhältnisse der Einwohner bestimmten das Stimmengewicht. So hatten beispielsweise bei der Wahl zum Preußischen Landtag im Jahr 1903 239.000 Wähler der Ersten Klasse (3,4 % der Wahlberechtigten) das gleiche Stimmengewicht wie 6 Millionen Wahlberechtigte der Dritten Klasse (84,6 % der Wahlberechtigten).29 Andere Staaten waren moderner, wie das Großherzogtum Baden, welches im Jahr 1905 sogar Sozialdemokraten in der Landesregierung hatte.30 Eine positive Bilanz des Kaiserreichs unter Kaiser Wilhelm II., zumindest bis zum Jahr 1914, zieht Bödecker, der schreibt: Einem Staat wie dem des Deutschen Kaiserreichs, der mit durchschnittlich 2 % die geringste Arbeitslosigkeit in Europa aufzuweisen hatte, der in Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft und Rechtssicherheit eine Spitzenstellung im Weltvergleich einnahm, der Vorreiter der sozialen Absicherung und des betrieblichen Arbeitsschutzes für die arbeitenden Menschen war und der im 18. und 19. Jahrhundert an weniger kriegerischen Auseinandersetzungen teilgenommen hat als die USA, England, Frankreich oder Russland, mangelnde Modernität vorzuwerfen, zeugt nicht von Urteilsfähigkeit.31

Schoeps sah das ähnlich: „Heute, da der Preußische Staat von der Landkarte Europas verschwunden ist, vermögen wir erst die klassischen Tugenden dieses Staates gerecht zu würdigen: saubere Verwaltung, unbestechliches Beamtentum, korruptionsarme Wirtschaft, gerechte Justiz, relativ geringe Kriminalität und betonte Spar28 29 30 31

Rahlf (2015), S. 117 ff. Kroll (2013), S. 108. Kroll (2013), S. 100 f. Bödecker (2014), S. 50.

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samkeit.“ Das spiegelte sich auch auf individueller Ebene wider: „Selbstloser Dienst, Gelten durch Leistung, Bescheidenheit und Kargheit -, das alles wurde in Preußen großgeschrieben, Maßlosigkeit der Ansprüche und protziges Auftreten wurden instinktiv verabscheut.“32 Er sah natürlich auch die Nachteile, wie die Neigung der Bürger zur „frag- und kritiklosen Unterordnung.“ Er hob besonders hervor, dass Preußen entgegen seinem Ruf als Militärmacht (inkl. der Jahre des Deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik) in seinen Existenzjahren von 1701 bis 1933 nur an 8 % aller geführten Kriege beteiligt war, im Gegensatz zu den wesentlich bellikoseren Ländern Frankreich (28 %), England (23 %) und Russland (21 %). Eine gemischte Bilanz zieht Conze, der durchaus Potenziale zur Entwicklung zu einem modernen Staat konstatiert. Jedoch haben starke Gegenkräfte den „Durchbruch zu einer Demokratie“ verhindert. Für ihn vernachlässigt eine „Weichzeichnung“ des Kaiserreichs die negativen Seiten, wie beispielsweise Autoritarismus und Fragmentierung der Gesellschaft.33 Als Fazit lässt sich feststellen, dass in der Kaiserzeit eine pulsierende und dynamische Gesellschaft vorherrschte, der es jedoch an einer gewissen Souveränität fehlte. Sie war ambivalent, disparat, janusköpfig und aufgekratzt, gleichwohl nicht instabil. Sie war gleichzeitig modern (z. B. in Wissenschaft und Technik, Wirtschaft, Bildungswesen, Recht, Sozialversicherung) und rückwärtsgewandt (z. B. Elitenbewusstsein, Strukturkonservatismus auf dem Land, Dreiklassenwahlrecht in Preußen, militaristisches Gehabe). Für Erfinder und Fabrikanten, wie in der Automobilindustrie, waren aufgrund der Technikoffenheit in der Bürgerschaft die Zeiten sehr prosperierend. Der Zeitgeist, der von Zukunftsoptimismus geprägt war, begünstigte ihr Wirken. Es ließ sich in der Kaiserzeit gut aushalten, wenn man zur Bürgerschaft oder den alten Eliten gehörte. Die Wilhelminische Gesellschaft rang um den richtigen Pfad in die Zukunft mit den Optionen Aufbruch in die Moderne mit all ihren Möglichkeiten oder Festhalten am Traditionellen mit all seiner Vertrautheit.34 Wie heißt es im Stechlin, einem Roman von Theodor Fontane, der in die Kaiserzeit eingebettet ist und die konservative Weltsicht der Rittergutsbesitzer, deren preußische Lebenswelt schleichend verschwand, beschreibt: „Nicht so ganz unbedingt mit dem Neuen. Lieber mit dem Alten, soweit es irgend geht, und mit dem Neuen nur, soweit es muß.“35 32 Schoeps (2019), S. 263. 33 Conze, S. 138 ff. in Spiegel Geschichte (2020). Der Essayist verweist darauf, dass das Kaiserreich bereits mit Gründung eine „Kriegsgeburt“ war und dass es, so wie es war, seinen Anteil am 1. Weltkrieg hatte, dessen Folgen wiederum andere Katastrophen verursachten. 34 Wer sich einen visuellen Eindruck über das Kaiserreich verschaffen will, dem sei der opulente Bildband „Deutschland 1900“ empfohlen, in dem hunderte von Farbbildern(!) abgedruckt sind. S. Walter et al. (2020). 35 Fontane (1898), S. 32.

3 Was sind Early Adopters? Der Kraftfahrzeugbestand im Kaiserreich verzwanzigfachte sich innerhalb von 12 Jahren. Von einem kleinen Basisniveau mit etwa 4.700 Fahrzeugen im Jahr 1902 wuchs die Fahrzeugpopulation mit einer atemberaubenden geometrischen Wachstumsrate von 28,2 % auf einen Bestand von mehr als 93 Tsd. Fahrzeugen im Jahr 1914. Scheinbar beeindruckende Zahlen, die jedoch relativiert werden müssen, denn gemessen an der Bevölkerungszahl (> 63 Mio. Einwohner) und der Landmasse (ca. 540 Tsd. km2) verteilte sich der Kraftfahrzeugbestand (alle Verkehrstypen wie PKW, Krafträder, LKW) auf etwa 1,5 Fahrzeuge pro 1.000 Einwohner bzw. 0,2 Fahrzeuge pro km2. Die Kraftwagendichte lag im Jahr 1914 in Deutschland bei 1,0 Kraftwagen pro 1.000 Einwohner. Andere Länder waren weiter: In den USA im Jahr 1914 betrug sie 17,8 Kraftwagen pro 1.000 Einwohner, in Frankreich 4,5 Kraftwagen pro 1.000 Einwohner und in Großbritannien 5,8 Kraftwagen pro 1.000 Einwohner.1 Die USA verfügten im Jahr 1914 mit 1,3 Mio. PKW über einen 18-fach höheren Bestand als Deutschland.2 Durch die geringe Verbreitung von Kraftfahrzeugen in den Vorkriegsjahren blieben sie unter der Wahrnehmungsschwelle vieler Menschen, denn sie begegneten ihnen kaum. Wie später noch gezeigt wird, gab es ein StadtLand-Gefälle mit vielen Automobilisten in den Städten und relativ wenigen auf dem Land. Zum Vergleich: Die heutigen Zahlen (Stand 2020) verzeichnen 668 PKW pro 1.000 Einwohner bzw. 155 Fahrzeuge pro km2 bei einem Fahrzeugbestand von 55,6 Mio.3 Der Fahrzeugbestand des Jahres 1909 war im Eigentum von knapp 45 Tausend Personen und Organisationen, die die Entscheidung trafen, ein Fahrzeug zu erwerben. Wie später dargestellt wird, war das eine kühne und mutige Entscheidung, denn niemand war auf diese Innovation vorbereitet. Sie wurde von einer kleinen Gruppe begrüßt, von der Mehrheit der Menschen entweder hingenommen oder abgelehnt. Die Hersteller führten permanent neue, technisch und optisch verbesserte Modelle im Markt ein, die Kunden – wenn auch klein an Anzahl in den Kaiserjahren – waren dankbare und begeisterte Abnehmer. Wieviel Mut müssen diejenigen besessen haben, die diese epochale Wende zur Individualmotorisierung mitgestaltet haben.

1 Flik (2001), S. 288. 2 Zatsch (1993), S. 185. Großbritannien hatte knapp den 4-fachen Bestand Deutschlands, Frankreich etwa den doppelten Bestand. 3 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2021), S. 133. https://doi.org/10.1515/9783111067704-003

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Wie lässt sich diese kleine Gruppe der ersten Automobilisten, die im Jahr 1909 etwa 41.500 Personen, sowie 3.900 Unternehmen und sonstige Organisationen (staatliche und nicht-staatliche) ausmachte, bezeichnen? Nach dem Adoptionsgruppen-Modell von Everett Rogers diffundieren Innovationen über einen längeren Prozess in die Gesellschaft hinein.4 Am Anfang sind es nur wenige, die eine neue Innovation annehmen und ausprobieren (Innovatoren bzw. „Innovators“). Ihnen folgt die Gruppe der frühen Adoptoren („Early Adopters“), die nach Rogers als besonders wichtig anzusehen sind, da sie als Rollenmodell für andere an der Innovation Interessierte einzuschätzen sind. Danach reihen sich weitere Gruppen ein, die als Imitatoren bezeichnet werden. Diese bestehen aus der frühen Mehrheit („early majority“), der späten Mehrheit („late majority“) und den Nachzüglern („laggards“). Die Imitatoren sorgen dafür, dass sich eine Innovation am Markt durchsetzt und akzeptiert wird. Nach Rogers Modell verteilen sich die Gruppen in etwa nach der prozentualen Verteilung einer Normalverteilung. Danach gehören zu den Innovatoren knapp 2,5 %, zu den frühen Adoptoren 13,5 % und zu den Imitatoren 84 % einer Population. Weiter ging Rogers davon aus, dass die Wachstumskurve einer Innovation einen S-förmigen Verlauf nimmt. Das bedeutet ein geringes Wachstum zu Beginn, wenn nur wenige Käufer das Produkt erwerben, danach ein schnelles Wachstum, welches durch gestiegene Akzeptanz und breitere Nachfrage getragen wird, bis zur Abschwächung der Wachstumsrate, die bei einer Adoptionsrate von etwa 50 % erreicht wird. Die verbleibende Wachstumsrate wird stark abgebremst bis zum Erreichen des Sättigungsniveaus. Tatsächlich scheint die beginnende Automobilisierung diesem Verlauf gefolgt zu sein. In den Anfangsjahren ab dem Jahr 1886 gab es ein schwaches Wachstum. Danach stiegen die Wachstumsraten stark an und es wurden mehr und mehr Kraftfahrzeuge abgesetzt. Allerdings wurde das Wachstum nach knapp 28 Jahren hart abgebremst. Durch den Ausbruch des 1. Weltkriegs im Jahr 1914 hatten Privatnutzer hinter das Militär zurückzutreten. Die Zivilproduktion wurde zu einer Kriegswirtschaft umgebaut. Wie Merki berichtet, mussten die Kfz-Hersteller nahezu komplett ihre Produktion für militärische Bedürfnisse umstellen. Insbesondere die LKW-Produktion wurde stark forciert.5 Die Wachstumsraten der zivilen Kraftfahrzeuge, wie sie aus den Kaiserjahren bekannt waren, wurden erst wieder in den Wirtschaftswunderjahren, die in den 1950er Jahren begannen, erreicht. Dazwischen gab es eine „Durststrecke“ von fast vierzig Jahren für die Automobilindustrie. Die Jahre nach dem 1. Weltkrieg in der 4 Rogers (1983). 5 Merki (2002), S. 72 ff.

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3 Was sind Early Adopters?

Weimarer Republik waren gekennzeichnet durch eine geringe Kaufkraft in der Bevölkerung, die es sich schlicht nicht leisten konnte, Fahrzeuge zu erwerben. Frankreich und England hatten durchgängig für den Zeitraum von 1925 bis 1938 pro 1.000 Einwohner etwa dreimal so viele PKW in Betrieb wie Deutschland.6 Auch muss das Unvermögen der deutschen Industrie erwähnt werden, ein leistungsfähiges und kostengünstiges Fahrzeug auf den Markt zu bringen.7 Weiterhin war das Straßennetz nicht besonders gut für Automobile geeignet, da die Kosten der Kriegsfolgen und die Hyperinflationsjahre zu einer Vernachlässigung von Infrastrukturinvestitionen führten. Diese Mankos wurden in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur adressiert und führten zu einer Verbesserung des Straßennetzes und der Entwicklung des Volkswagens. Mit diesem Wagen wollte man die Automobilisierung für kaufkraftschwächere Bürger erschwinglich machen. Den Volkswagen konnte man ab dem Jahr 1938 zu einem Preis von 990 Reichsmark vorbestellen und mit fünf zurückgelegten Reichsmark pro Woche ansparen. Bis Juni 1939 gab es geschätzte 253.000 Vorbestellungen. Der Massendurchbruch des Automobils lag in greifbarer Reichweite. Es sollte allerdings nie zur Auslieferung eines Fahrzeugs kommen, da die Automobilwerke erneut auf Kriegsproduktion umgestellt wurden.8 In Bezug auf die Automobilisten im Jahr 1909 stellt sich die Frage, ob sie als Innovatoren oder Early Adopters zu kategorisieren sind. Gegen die erste Gruppe spricht, dass Innovatoren nach Rogers als eher abenteuerlustig („venturesomeness“) und kosmopolitisch einzuschätzen sind. Tatsächlich gab es diverse Personen im Adressbuch, die sich so charakterisieren ließen. Es handelte sich um wohlhabende Persönlichkeiten aus Adel oder Großindustrie mit diversen Wohnsitzen, die polyglott waren, gebildet, kulturell breit interessiert, geschichtsbewusst und gute Beziehungen zum Ausland unterhielten. Es war eine kleine Gruppe gemessen an allen Kraftfahrzeugbesitzern. Die Analyse des Datensatzes ergab, dass sich die große Mehrheit der Fahrzeugbesitzer anders beschreiben lässt und der Gruppe der Early Adopters zuzuordnen ist. Es waren Personen, die sich vermutlich sehr pragmatisch mit der Anschaffung eines Fahrzeugs – Automobil oder Kraftrad – auseinandergesetzt hatten. Beispielsweise waren viele Ärzte und Handwerker als Besitzer registriert, also Menschen, die Fahrzeuge aus beruflichen Gründen benötigten. Würde man die knapp 47.000 Kraftfahrzeuge des Jahres 1909 den Innovatoren zuordnen (ca. 2,5 % nach Rogers), ergäbe sich ein mögliches Absatzpotenzial von etwa 1,9 Millionen Fahrzeuge. Trotz einer sich im Kaiserreich stark entwickelnden 6 Blaich, S. 149, in: Barker (1987). 7 Blaich, S. 151. 8 Blaich in: Barker (1987), ab S. 152 ff. Vgl. auch Flik (2001) ab S. 99 ff.

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Mittelschicht wäre die Zahl weit zu hoch gegriffen, denn die meisten Menschen konnten sich kein Fahrzeug, noch nicht einmal ein Kraftrad, leisten. Das eigentliche Absatzpotenzial im Kaiserreich war weitaus niedriger. Das erkannten bereits Zeitzeugen wie Edmund Klapper, der in einer frühen Untersuchung eine sich anbahnende Sättigung des Automobilmarktes ausmachte. Klapper argumentierte, bezogen auf Automobile, dass sie schlicht zu teuer seien und es günstiger wäre, sich eine „Equipage mit zwei Pferden“ zu halten.9 Selbst Automobilpioniere wie Gottlieb Daimler glaubten vermutlich nur an ein begrenztes Absatzpotenzial von Automobilen.10 Die Automobile der Kaiserzeit wurden nach handwerklicher Art und Weise in kleinen Serien oder Einzelmodellen gefertigt. Sie waren daher teuer und konnten nur von wohlhabenden Bürgern erworben werden. Neben dem hohen Preis gab es ein zweites Hemmnis, welches das Wachstum der Automobilindustrie behinderte. Fahrzeuge in den Anfangsjahren der Automobilindustrie waren fehleranfällige Fortbewegungsmittel. Sie mussten regelmäßig gewartet werden und blieben häufig wegen technischer Probleme liegen. Es gab kein Netz an Werkstätten, das kurzfristig Hilfe leisten konnte. Wer an seinem Fahrzeug einen Schaden hatte, musste es selbst reparieren. Ohne sachkundiges Personal waren viele Automobilbesitzer der Frühzeit bei einer Autopanne hilflos. Daher leisteten sich viele Automobilisten Chauffeure, die als Fahrer und Mechaniker zur Verfügung standen. Es wurde beispielsweise von Automobilproduzenten verlangt, dass sie ausgebildete Chauffeure zur Verfügung stellen sollten. Da der Bedarf weitaus höher war als das Angebot an Chauffeuren, wurden vielfach Chauffeurschulen gegründet, die despektierlich „Schnellbleichen“ genannt wurden, denn sie boten häufig keine gute Ausbildung.11 Im Adressbuch waren noch mehr als 70 Personen nachzuweisen, die als Beruf Chauffeur eintragen ließen und damit ihren Lebensunterhalt verdienten. Der Zeitgenosse Klapper schrieb: Bei allen Motorwagen der früheren Jahre (bei den komplizierteren auch heute noch) ist eine sehr sachkundige Behandlung erforderlich; andernfalls wird der Wagen in kurzer Zeit ruiniert. Der plötzlich auftretende Bedarf an guten Chauffeuren konnte nur sehr schwer befriedigt werden. Privatleute kauften vielfach nur unter der Bedingung einen Wagen, daß der Händler einen Chauffeur nachwies. Man nahm die Leute her, wo man sie irgend erlangen konnte. Hatte eine Fabrik mit vieler Mühe brauchbare Chauffeure für ihr Fahrwesen her9 Klapper (1910), S. 11. 10 Daimler soll angeblich prognostiziert haben: „Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.“ Allerdings ergab eine Anfrage beim Daimlerarchiv in Stuttgart, dass es keine authentische Quelle zu dem Zitat gibt. Wahrscheinlich ist es eine Erfindung. 11 Klapper (1910), S. 75.

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ausgebildet, so wurden sie von den Automobilisten, meist Amateuren, für die ein höheres Gehalt als die Fabriken zahlen konnten, keine Rolle spielte, einfach weggeholt. Da aber auch dadurch die starke Nachfrage nicht befriedigt werden konnte, engagierten die Kraftwagenbesitzer auch die Maschinenschlosser, Mechaniker und Monteure der Fabriken; die Fabriken wurden gleichsam Durchgangsstationen für das Automobilbetriebspersonal der einzelnen Automobilisten, Garagen, Kraftfuhrunternehmer etc.12

Mit der Zeit wurden die Fahrzeuge besser, so dass die Automobilbesitzer Selbstfahrer wurden und irgendwann kaum noch Chauffeure benötigten. Die Chauffeurphase dauerte etwa 25 Jahre und endete um 1914. Niemand konnte sich in Deutschland in den Vorkriegsjahren vorstellen, dass Automobile ein fahrbarer Untersatz für die breite Masse sein könnten. Dazu bedurfte es eines Visionärs wie Henry Ford, dem es im fernen Amerika in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts gelang, mit Hilfe des Fließbands erschwingliche Autos für die breite Masse zu produzieren. Er experimentierte bereits seit 1908 mit dem Fließband und setze ab 1912 das erste Fließband in der Gießerei ein, in der Gussformen für Kurbelwellen produziert wurden.13 Standardisierung, kürzere Produktionszeiten, einfacher zu erbringende Fertigkeiten und damit geringer entlohnte Arbeitskräfte ließen die Produktivität in seinen Fabriken enorm ansteigen und führten zu niedrigen Fertigungskosten und hohen Stückzahlen. Diese Effizienzgewinne wurden an den Markt weitergegeben und erlaubten vielen Amerikanern, sich ein Automobil zu leisten. Deutsche Hersteller waren aus unterschiedlichen Gründen zu einer kostengünstigeren Produktion noch auf viele Jahre nicht in der Lage. Damit blieb ihr Absatzmarkt auf die Gruppe der Early Adopters beschränkt. Ihr Binnenmarkt war zudem im Vergleich mit den USA klein und die Kaufkraft in Deutschland war geringer. Ein großes Problem war das Mindset der Hersteller. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft aus verschiedenen Branchen waren sie nicht in der Lage neu zu denken.14 Sie blieben trotz ihres Wachstums mental hauptsächlich Handwerker oder als Produzenten ihrer ursprünglichen Industrie verhaftet, wie der Motoren-, Nähmaschinen-, Fahrrad-, Kutschwagen- oder Lokomotivenherstellung.15 Viele wendeten das Meister- und Werkstattprinzip in der Fertigung an und stellten mit großem Aufwand nur kleine Stückzahlen her. Jedes Automobil war 12 Klapper (1910), S. 26. 13 Stahlmann (1993), S. 31. 14 Das bezieht sich nur auf Organisation und Fertigungsprinzipien, die entscheidend für das Kostenproblem waren. Produktseitig waren viele von ihnen geniale und kreative Erfinder und Ingenieure, die die Individualmobilität in die Welt brachten. 15 Horras (1982), S. 124.

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fast ein Unikat und dementsprechend teuer in der Anschaffung. Wer konnte sich das leisten? Die Hersteller sahen sich als Vertreter des „deutschen Prinzips“, also Einzelfertigung in hoher Qualität, und schauten despektierlich auf Vertreter des „amerikanischen Prinzips“ herab, welche auf größere Serien setzten. Auch Benz würdigte Ford-Wagen herab und bemängelte ihre angebliche Reparaturanfälligkeit: „Einen Wagen [Anm.: er bezieht sich auf Ford], der nur in Verbindung mit einem Netz von Ersatzteilhilfsstationen auf die Dauer betriebsfähig ist, sehe ich nicht für ein erstrebenswertes Ideal der Automobilindustrie an.“16 Bis zur Massenfertigung à la Ford dauerte es noch viele Jahre in Deutschland. Laut Stahlmann waren die deutschen Hersteller und Vertreter des deutschen Prinzips bereits damals produkttechnisch den Konkurrenten überlegen, dagegen war die amerikanische Konkurrenz weitaus flexibler, eher in der Lage (Klein-)Serien herzustellen und kostenseitig im Vorteil.17 Interessanterweise gibt es diesen Konflikt bis heute, in dem deutschen Herstellern aus verschiedenen Branchen „Over-Engineering“ und höchste Qualität zugebilligt wird, während die (asiatische) Konkurrenz häufig kostenseitig überlegen ist. Die Annahme, dass deutsche Unternehmen mehr Leistung und Funktionalitäten in eine Maschine nehmen, als von den Kunden gewünscht und benötigt, wird immer wieder geäußert. Darin blinkt der Hang der Deutschen zur Übererfüllung auf. Das treibt die Kosten, auch damals in der entstehenden Automobilindustrie.18 Unternehmer wie Daimler und andere Branchengrößen konnten verständlicherweise nicht aus ihrer Haut herauskommen. Sie waren gezwungen, Fahrzeuge aufwendig in Werkstattfertigung herzustellen. Um Kunden zu gewinnen, mussten diese Fahrzeuge eine hohe Qualität aufweisen, die ihren Preis hatte. Damit waren sie zugleich für den einfachen Bürger unerschwinglich und blieben auf die kleine Gruppe der Wohlhabenden aus Adel und gehobenem Bürgertum beschränkt. Erst ab 1924 experimentierten erste Unternehmen wie Opel mit dem Fließband.19 Diese Ausführungen zeigen, dass es aus diesen Gründen nicht gelang, ausgehend von den Early Adopters breitere Kundenschichten zu erschließen. Weitere Schwierigkeiten kamen hinzu. Der erste Weltkrieg brachte die komplette Produktion für Zivilfahrzeuge zum Erliegen. Die Weimarer Jahre (1918– 1933) brachten keine Besserung, denn wer außer einigen Wenigen konnte sich ein 16 Benz (1925), S. 99. 17 Stahlmann (1993), S. 62. 18 Diese Mentalität deutscher Firmen kritisierte im Jahr 2020 die Geschäftsführerin vom Maschinenbauer Trumpf, Nicola Leibinger-Kammüller, in einem Interview: „Unsere hohen technischen Ansprüche stehen uns auch in unserer Firma manchmal im Weg. Wir könnten noch schneller Produkte auf den Markt bringen, die vielleicht nur die notwendigen 80 Prozent der Leistung bringen und nicht 110 Prozent.“ Handelsblatt, 10. Mai 2020, Nr. 89, S. 19. 19 Stahlmann (1993), S. 71.

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Automobil leisten. Man möge sich nur die Hyperinflation aus dem Jahr 1923 oder die wirtschaftliche Depression ab 1929 ins Gedächtnis rufen. Es sollten noch weitere Jahrzehnte vergehen, bevor die Massenmobilisierung mit Automobilen in den mittleren 1950er und frühen 1960er Jahren in Deutschland in den sog. Wirtschaftswunderjahren einsetzte.20 Erst dann ergriff das Automobil die Mehrheit der Gesellschaft. Die ersten Automobilisten hatten mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen. Darum ist ihr Beitrag umso höher zu bewerten, eine Einschätzung, die generell für frühe Adoptoren gleichwelchen Produkts gilt. Neben den bereits erwähnten hohen Kosten (Anschaffung und Unterhalt) und mangelbehafteten Fahrzeugen gab es Herausforderungen mit der Infrastruktur. Das Land verfügte über kein vernünftiges Straßennetz. Die vorhandenen Straßen im Kaiserreich, insbesondere außerhalb der Städte, waren schlecht auf Automobile vorbereitet. Sie wirbelten viel Staub auf („Staubplage“) und erlitten schwere Schäden durch die Kraftfahrzeuge.21 Individualmobilisierung als junges Phänomen hatte ferner Einfluss auf andere gesellschaftliche Sphären. Das Verkehrsrecht begann sich gerade zu entwickeln und der Straßenverkehr wurde durch den Gesetzgeber sukzessive reguliert.22 Versicherungsangebote wurden nach und nach ausgebildet, waren aber noch nicht gesetzlich geregelt. Die Diskussion über die gesetzliche Regelung von Haftpflichtansprüchen zog sich über 10 Jahre hin (1900 bis 1910) und wurde ab dem Jahr 1910 im Kraftfahrzeug-Gesetz gegen den Widerstand der Automobilindustrie und Besitzer von Fahrzeugen, die durch Automobilvereinigungen vertreten wurden, eingeführt. Die Haftungsansprüche von Verletzten gingen gegenüber der BGB-Regelung hinaus, erlaubten aber Fahrzeughaltern, ihr persönliches Haftpflichtrisiko durch entsprechende Versicherungsangebote zu begrenzen. Horras schreibt dazu: „Die exotische Skurrilität der Pioniertage war einer nützlichen Vergesellschaftung gewichen.“23 20 Insbesondere Billigmodelle wie beispielsweise der VW Käfer, vorher der Hansa 1500 von Borgward oder der Ford Taunus sorgten für die Massenmotorisierung. Damit übernahmen Hersteller am deutschen Standort erst 40 Jahre später die von Ford eingeführte Strategie, die auf Niedrigpreisen und Massenfertigung beruhte. Bereits im Jahr 1955 produzierte Volkswagen seinen einmillionsten PKW bei einem Tagesausstoß von 1.000 Automobilen. Vgl. dazu König (2010), S. 150 ff. 21 Von Kirchbach in: Niemann, Hermann (1995), ab S. 69 ff. über die Entwicklung des Straßenbaus in Deutschland. 22 Vgl. Isaac (1907) in seinem juristischen Kommentar über die „Grundzüge“ zum Verkehrsrecht mit vielen wertvollen Hinweisen zu regionalen Regelungen und dem Versuch des Kaiserreichs, ein im ganzen Land geltendes Recht zu etablieren. Aus dem Verkehrsrecht wiederum ergaben sich Auswirkungen auf das Steuer- und Strafrecht. 23 Horras (1982), S. 306 ff. S. auch Reichsverband der Deutschen Automobilindustrie (1926), S. 52 ff.

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Schwerwiegend auch, dass viele Menschen vollkommen überfordert von dieser jungen technischen Erfindung namens Automobil waren: Der Transport von Menschen und Gütern ohne Pferd. Jahrhundertelang kannte man nur das Pferd und nun brachte die Industrialisierung sich autonom bewegende Fahrzeuge ohne Pferd hervor. Nicht einmal wenige Jahre zuvor waren selbst Großstädte wie Berlin vollkommen ohne Automobile, Motorräder oder Fahrräder. Trotzdem herrschte ein lebendiges Gewusel, wie Preisendörfer anschaulich anhand einer Straßenszene in Berlin um ca. 1870 beschreibt: Was ist aber auch nicht alles unterwegs: langsame Droschken, schnelle Karossen, vornehme Equipagen, Pferdeomnibusse, Postwagen, Heuwagen, Wagen mit Baumaterial, Kastenwagen mit Müll, riesige Bierwagen mit quergelegten Fässern auf langen Balken, Wagen mit als Scheuermittel verkauftem weißem Sand von den Weddinger Rehbergen, Sprengwagen mit Wasser gegen den ewigen Berliner Staub, schwerfällige Rollwagen auf dem Weg zu den Verladestationen der Spreehäfen und Bahnhöfe, Möbelwagen mit dem Hausrat umziehender Kleinbürger, dazwischen von Frauen geschobene Gemüse- und von Hunden gezogene Milchkarren.24

Selbst die begeistertsten Nutzer von Automobilen, die Kunden der Automobilbranche in der Frühphase von etwa 1890 bis 1905 waren, konnten die atemberaubende Entwicklung, die durch das Automobil und in eingeschränktem Masse durch das Kraftrad in die Welt gekommen war, kaum fassen. Ein Journalist beschrieb im Jahr 1906 einen Wettbewerb der Pariser Zeitung „Figaro“, der erst elf Jahre zurücklag und im Jahr 1895 im Zeitalter des „Fin de siècle“ stattfand. Der „Figaro“ forderte seine Leser auf, sich Gedanken über die Ausstattung der „voitures sans cheveaux“ („Wagen ohne Pferde“) zu machen. Trotz der kurzen zeitlichen Distanz zum Jahr 1906, hatten die damaligen elf preisgekrönten Entwürfe noch große Ähnlichkeit mit Pferdekutschen und sahen komplett anders aus als die Automobile des Jahres 1906. Der Journalist hielt fest: Und doch in jener Urzeit des Automobilismus, die nach Jahren gerechnet so nahe, nach Ereignissen aber so weit hinter uns zurückliegt, waren diese elf prämierten Wagenideen in ihrer Art auch eine Wirklichkeit, eine kleine Tat beinahe. „Es kommt immer ganz anders“ hat irgendwer einmal gesagt. Ja, es ist im modernen Automobilismus ganz anders gekommen, als die Teilnehmer an der Konkurrenz des „Figaro“, die Preisrichter und die Preisbewerber sich’s vorgestellt.25

Die Individualmotorisierung, die insbesondere durch das Automobil ermöglicht wurde, gewann rasch eine Gemeinde von Anhängern, die von den hervorragenden Möglichkeiten des Automobils durchdrungen waren. Die individuellen Motive 24 Preisendörfer (2021), S. 28 f. 25 Allgemeine Automobil-Zeitung, 18. März 1906.

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waren unterschiedlich – lange und kurze Ferienreisen, Tagesausflüge für Besichtigungen und Besuche, der sportive Charakter des Automobils, die Liebe zur Geschwindigkeit, praktische Gründe, um etwa Berufspflichten nachzukommen, die Faszination für die Automobiltechnik, die Liebe zum Neuen und vieles mehr. Alle waren von der Erkenntnis beseelt, dass mit dem Automobil neue Möglichkeiten der Mobilität zur Verfügung standen, wie keiner Generation zuvor.26 Mit dem Automobil konnte man sich ein Stück weit von seiner Scholle befreien und bequemer, raumumfassender und schneller als mit dem Pferd seine Umwelt erkunden. Auch ein Österreicher namens Ferdinand Porsche äußerte sich bereits im Jahr 1906 zum Automobil und seiner Motivlage: Beim ihm war es die Begeisterung für die Technik und die theoretischen Grundlagen. Wichtig war ihm die stetige Weiterentwicklung des Automobils. Er endete seinen Bericht wie folgt: „Ich bin stets auf der Suche nach neuen Verbesserungen und nach neuen Erfindungen.“27 Sein technisches Wissen erwarb er sich u. a. an der Arbeit mit einem Elektromotor für ein Automobil bei seinem ersten Arbeitgeber im Jahr 1893, der Elektrofirma Egger in Wien, wie er in seinem Bericht erwähnt. Damals war er 18 Jahre alt. Inspiriert für sein Interesse am Automobil wurde er durch seine persönliche Bekanntschaft mit Baron Theodor von Liebig, der in einer Benz Victoria regelmäßig den Wohnort des noch jugendlichen Porsche besuchte.28 Autofahrer wurden misstrauisch beäugt, da ein Teil von ihnen ihr Fahrzeug für Freizeit, Sport und Vergnügen einsetzten, so zumindest die Außenwahrnehmung. Eine Konsequenz war, dass viele Fahrzeuge privater Natur als Luxusfahrzeuge klassifiziert wurden und ab dem Jahr 1906 reichsweit mit einer Stempelsteuer (vulgo Luxussteuer, Vorläufer der Kraftfahrzeugsteuer) belegt wurden. Diese prohibitiv hohe Steuer war ein Ärgernis für Kraftwagenbesitzer, denn es kamen weitere Abgaben hinzu, wie die Wegebesteuerung, Pflasterzoll, Benzinsteuern und sonstige Verwaltungsgebühren. Sowohl Automobilisten als auch die Autoindustrie protestierten dagegen, sahen sie darin doch einen Versuch des Staates, Innovationen und die junge Automobilindustrie massiv einzuschränken. Die unschöne Ei26 Nahezu eine gesamte Ausgabe befasste sich 20 Jahre nach der Erfindung des Automobils mit teils ausführlichen individuellen Berichten von damaligen österreichischen Automobilisten, die begründeten, warum sie sich ein Automobil angeschafft hatten. S. Allgemeine Automobil-Zeitung, 23. Dezember 1906. 27 Allgemeine Automobil-Zeitung, 23. Dezember 1906, S. 41 f. Porsche war eine Schlüsselfigur der Automobilisierung. Er arbeitete für Daimler (ab 1906) und die fusionierte Firma Daimler-Benz (im Jahr 1926). Er gründete das Unternehmen Porsche im Jahr 1930 und war an der Entwicklung des ersten Volkswagen (ab 1934) maßgeblich beteiligt. Ab 1938 war er auch in der Geschäftsführung von Volkswagen tätig. 28 Baron von Liebig ist wiederum berühmt geworden, weil er als einer der ersten Automobilisten im Jahr 1894 eine Fernreise von knapp 1.000 Kilometern in einer Benz Victoria absolvierte.

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genschaft des Neids spiegelte sich in einem Kommentar eines Zeitgenossen aus dem Jahr 1906 wider, der die Einführung der Luxussteuer mit folgenden Worten begrüßte: Der Automobilist ist ein Mensch, der soviel Zeit und Geld hat, daß er beides nicht mehr auf normale Weise durchbringen kann, der sich deswegen um ungeheures Geld ein Automobil gekauft hat und seine Zeit damit ausfüllt, in rasender Eile über die Chausseen und durch die Straßen der Städte zu fliegen, vom Jammer gefolgt und vom Fluch der ihres Ernährers beraubten Witwen und Waisen. Warum, so fragt man nun, soll denn ein solcher Mensch nicht eine besondere Steuer zahlen? Er merkt es ja kaum, wenn er ein paar hundert Mark weniger zu verzehren hat.29

Mit dieser Meinung stand er nicht allein, sondern äußerte nur, was damals viele dachten. Allgemein kann man anmerken, dass Konflikte dieser Art zwischen Wirtschaft und Staat bis heute existent sind. Die Wirtschaft prescht mit Innovationen vor, teilweise von staatlicher Seite unterstützt, gleichzeitig gibt es bremsende Kräfte in staatlichen Stellen (und aus der Zivilgesellschaft), die versuchen, diese Innovation übergebührlich zu regulieren, sei es durch die Steuerpolitik oder andere Maßnahmen. Staatliches Handeln geschieht meistens mit einem Zeitverzug von Jahren, aber wenn reguliert wird, dann „richtig“, was häufig Überregulierung bedeutet.30 Das Automobil wurde im Jahr 1886 eingeführt und es dauerte zwanzig Jahre, bis die erste reichsweit geltende Regelung im Jahr 1906 kam, gleichwohl es bereits eine Vielzahl unterschiedlicher regionaler Regulierungen gab. Weitere Probleme der Early Adopters betrafen das Fahrzeug selbst. Wie bereits erwähnt, waren die Fahrzeuge dieser Zeit sehr teuer in der Anschaffung und in der laufenden Unterhaltung. Einer ausführlichen Kalkulation einer zeitgenössischen Automobilzeitung zufolge, betrugen die Unterhaltskosten eines Fahrzeugs in der Fahrzeugstärke 10/14 PS im Jahr 1908 jährlich etwa 6.839 Mark. Dieser Betrag entsprach dem 99. Perzentil der jährlichen Einkommen in Preußen aus jener Zeit. Mit anderen Worten: 99 % der Einkommensbezieher hatten ein jährliches Einkommen unterhalb der jährlichen Unterhaltskosten für ein Automobil.31 Zudem emittierten die Auspuffanlagen der mit Verbrennungsmotor ausgestatteten Fahrzeuge ungefiltert ihre Abgase und sorgten für eine unangenehme Ge29 Zatsch in: Niemann, Hermann (1995), S. 169 ff. Zatsch (1993), S. 401. 30 Allerdings gibt es staatlicherseits auch immer fördernde Kräfte, wie später dargestellt wird. Diese reichten bis in die höchsten Kreise im Kaiserreich und unterstützten die junge Automobilindustrie. 31 Zatsch (1993), S. 394. Bei der o.a. PS-Zahl handelt es sich um eine von den Behörden vorgegebene "Steuer-PS-Zahl" zur Ermittlung der Stempelabgabe. Die zweite Zahl ist die tatsächliche PSLeistung. Vgl. Kirchberg (2021), S. 155.

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ruchsbelästigung. Automobile waren laut, was ebenfalls von nicht autofahrenden Menschen als Zumutung empfunden wurde und die Pferde scheu machte. Viele Autofahrer galten – ob zurecht oder nicht – als rücksichtslos, da sie gerne die laute eintönige Autohupe einsetzten, um Vorfahrt zu erhalten. Allerdings hielten sie sich beim Hupen an regulatorische Vorgaben, die das vorschrieben. Obendrein wurden Fahrzeughalter häufig mit einer der unschönsten menschlichen Eigenschaften konfrontiert, dem bereits erwähnten Neid. Durch eine Luxussteuer wurde amtlich bestätigt, dass man sich etwas Luxuriöses leistete und, für manche Augen noch schlimmer, es auch noch zeigte, denn ein Automobil will natürlich gefahren werden. Wie später noch dargestellt wird, wurden Automobilbesitzer häufig beschimpft. Die Gruppe der Early Adopters verkörperte den sozioökonomischen Status von eher lokal verankerten Personen und weniger das Kosmopolitische.32 Dagegen spricht auch nicht, dass sich die Fahrzeuge zuerst stark in den Großstädten verbreiteten und dann langsam ins Land diffundierten. Wahrscheinlich waren die Jahre 1905 bis 1914 genau die Jahre, in denen die Early Adopters den Innovatoren nachfolgten und damit für die Verbreitung des Fahrzeugs sorgten. Beide Gruppen waren enorm wichtig für diese Innovation, denn durch sie wurde das Automobil bekannt und gewann langsam an Gewöhnung und Akzeptanz in der Bevölkerung, gleichwohl der Weg sehr lang war. Der Entwicklungspfad des Automobils folgte dem klassischen Pfad von Invention – durch Erfinder wie Benz oder Daimler – zur Innovation – also der kommerziellen Umsetzung einer Erfindung durch Gründung eines Unternehmens, um Wissen in praktische Produkte in den Markt einzuführen mit dem Ziel des ökonomischen Markterfolgs – bis zur Marktbewährung, in der eine Innovation von den Kunden akzeptiert wird.33 Die Phase der Marktbewährung wurde durch die Early Adopters sichergestellt, denn nur mit Kunden setzt sich eine Innovation durch. Insofern nahmen die Käufer der ersten mobilen Fahrzeuge, die im Datensatz versammelt sind, eine Pionierrolle ein. Fasst man die bisher gemachten Ausführungen zusammen, kann die Leistung der Early Adopters für die Individualmotorisierung nicht hoch genug eingeschätzt werden, denn sie waren mit massiven Problemen konfrontiert: Automobile waren teuer in der Anschaffung und Unterhaltung, sie waren reparaturanfällig, laut, stin32 Die spätere Darstellung von Einzelpersonen mag dieser Aussage widersprechen, da viele der vorgestellten Personen, z. B. aus dem Hochadel oder der Großindustrie, eher kosmopolitisch als lokal einzustufen sind. Der Grund liegt aber schlicht darin begründet, dass sich zu diesen Personen zahlreiche (Lexika-)Einträge finden lassen, während die große Mehrheit aus der Gruppe der Early Adopters nur noch dem Namen nach bekannt ist, dank der Einträge als Fahrzeughalter, ansonsten aber kaum Spuren hinterlassen hat. 33 Vahs, Brem (2015).

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kend und staubaufwirbelnd. Zudem mussten sie zur Unfallvermeidung hupend auf sich aufmerksam machen. Eine vernünftige Infrastruktur (Straßen, Reparaturwerkstätten, Tankstellen) war kaum vorhanden. Die Industrie war nicht in der Lage, günstigere Fahrzeuge anzubieten. Staatliche Stellen standen zumindest teilweise dem Automobil skeptisch gegenüber und belasteten die Besitzer mit diversen Abgaben. Der Neid manifestierte sich am Automobil, denn durch eine Luxussteuer wollte zumindest ein Teil der Parlamentarier den Nutzern die Freude an Freizeit, Sport und Vergnügen vergällen. Auch Teile der Bevölkerung standen dem Automobil ablehnend bis feindselig gegenüber. Und dennoch waren die Automobilpioniere von der Individualmotorisierung überzeugte und begeisterte Anhänger. Für sie war das Automobil das Verkehrsmittel der Zukunft, was bereits ein Early Adopter im Jahr 1899 erkannte.34 In den blumigen Worten eines österreichischen Early Adopter aus dem Jahr 1906: Fliegen zu können, ist ein Wunsch, den schon viele ausgesprochen haben und den so manche auf verschiedene Weise zu verwirklichen suchen. Der Reiter, der auf edlem Renner über die grüne Gegend galoppiert, der Schiffer, der vor einer guten Brise mit seiner Jacht die schäumenden Wellen durchschneidet, der Skifahrer und Rodler, die über blinkende Schneefelder zu Tale sausen, der Radfahrer, der in unhörbarem Fluge dahinschwebt – sie alle fliegen auf ihre Art und genießen mit Wonne jenes berauschende Gefühl der schnellen Bewegung in freier Luft. Keiner von ihnen kann sich aber im Fliegen mit dem Automobilfahrer messen, und da die Flugmaschinen trotz Santos-Dumot und Zeppelin wahrscheinlich noch lange nicht praktische Verwendbarkeit erreichen werden, so ist es heutzutage der Automobilist, dem in diesem Wettstreit des Fliegens die Palme gebührt. Doch nicht allein diese Sucht zu fliegen, welche von manchen mit dem harten Worte: „Schnelligkeitswahnsinn“ bezeichnet wird, war es, die mich zum begeisterten Anhänger des Automobilismus machte, sondern auch die eminent praktischen Seiten desselben, die jetzt schon allgemein anerkannt werden und die näher zu beleuchten wohl zu weit führen würde.

(Ernst Graf von Hoyos-Sprinzenstein, 1856–1940, österreichischer Adeliger und Großgrundbesitzer)35

34 Prognose von Baron Max Heine in Allgemeine Automobil-Zeitung, 23. Dezember 1906. 35 Allgemeine Automobil-Zeitung, 23. Dezember 1906.

4 Die ersten Automobilisten: Über den langsamen Beginn Als Geburtsjahr des Automobils wird das Jahr 1886 angenommen. In diesem Jahr erhielt Carl Benz ein Reichspatent mit der Nummer 37435 auf einen benzingetriebenen Motorwagen. Es handelte sich um einen Dreiradwagen, der vom Aussehen noch an einen Kutschenwagen oder an ein Fahrrad mit drei Rädern – darum auch die seinerzeitige alternative Bezeichnung Motor-Veloziped – erinnerte. Carl Benz wollte eigentlich einen vierrädrigen Motorwagen auf den Markt bringen, hatte allerdings noch Probleme mit der Lenkung. Darum begnügte er sich vorerst mit einem Dreiradwagen und tüftelte weiter an dem Steuerproblem.

Abb. 1: Das erste Automobil von Benz aus dem Jahr 18851

Meibes beschreibt den Wagen wie folgt: Dieser „erste Wagen“ hat allerdings in seiner Konstruktion und seinem Aussehen mit dem heutigen Automobil nur den Namen gemein. Zwei hohe dünne Eisenräder, die mit ihrem Mittelpunkt durch Felgen, wie sie heute nur noch beim Fahrrad gebräuchlich sind, verbunden werden, sind durch eine Achse aus Metall in einem Abstand von ungefähr 1 ½ m unter1 Mercedes-Benz Classic https://doi.org/10.1515/9783111067704-004

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einander festgehalten. Auf der Achse ruhen ungeschützt die einzelnen Motorteile, die zur Fortbewegung des Gefährts dienen: Benzin- und Wasserbehälter, ein Kasten, der die Bunsenelemente zur Erzeugung des elektrischen Funkens enthält, eine große horizontal angebrachte Riemenscheibe, welche die gewonnene Energie mit Hilfe von Ketten auf die Zahnräder überträgt, die schließlich die beiden Räder in Bewegung setzen. Der gefederte und gepolsterte Sitz, der für zwei Personen nebeneinander Platz bietet, ist vor und über diesem Mechanismus angebracht. Ein drittes Rad, das kleiner ist als die beiden anderen, ist von seiner Achse aus durch eine Gabel mit dem übrigen Fahrgestell verbunden. Es wird vom Fahrsitz aus durch einen Hebel gelenkt. Schutz für Fahrer und Motorteile ist nicht vorhanden. Seine Geschwindigkeit betrug in der Ebene 10 – 15 km pro Stunde. Alles in allem gleicht das Fahrzeug mehr einem Dreirad mit aufgebauter Sitzgelegenheit für zwei Personen aus Urväterzeit, denn einem automobilähnlichen Gebilde.2

Die Automobile der Frühzeit wandelten sich jedoch rasch in Gestalt, Form und Technik. Schon ein Jahr später kamen die ersten vierrädrigen Fahrzeuge auf den Markt, Scheinwerfer und Hupen kamen hinzu. Motor, Lenkung, Reifen, Richtungssignalgebung, Anlasser und Chassis wurden verbessert und vieles mehr. Aus einem kutschenähnlichen Gebilde wurden Fahrzeuge, die mit Abstrichen auch an heutige Fahrzeuge erinnern.

Abb. 2: Carl Benz und seine Tochter Clara in einer Benz Viktoria im Jahr 18943 2 Meibes (1926), S. 33. 3 Mercedes-Benz Classic. Erste vierrädrige Automobile gab es ab 1886.

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Abbildung 2 erinnert noch an die kutschenartige Form. Bereits einige Jahre später sahen Automobile ganz anders aus. Abbildung 3 zeigt ein Fahrzeug aus der Klasse der Landaulet-Fahrzeuge, die sich dadurch auszeichneten, dass das Verdeck bei guten Wetterverhältnissen geöffnet werden konnte. Fahrzeuge dieser Art waren bequemer, hatten edle Sitzbezüge und Reisende konnten im Fond Platz nehmen. Vorne am Steuer saß dann entweder der Chauffeur oder – auch nicht selten – der technikbegeisterte Besitzer selbst.

Abb. 3: Mercedes 31/55 PS, Modell Landaulet aus dem Jahr 19094

Die einschlägige Automobilforschung belegt, dass auch andere Jahre als Geburtsjahr des Automobils angenommen werden können, wenn man von der von Benz verwendeten Technik absieht. Tatsächlich wurde schon seit Jahrzehnten mit dampf-, gas- und elektrogetriebenen Automobilen überall in Europa und den USA experimentiert.5 Der Prozess der Automobilwerdung war mehr Evolution als Revolution. Aus dieser Phase sind andere Pioniere, wie Siegfried Marcus, ein in Österreich lebender Deutscher, in Vergessenheit geraten. Marcus hatte noch vor Benz und Daimler in den 1860er und 1870er Jahren an der Konstruktion von Motorwagen gearbeitet. Allerdings fehlten ihm Geldmittel, um über das Versuchsstadium hinauszukommen.6 4 Mercedes-Benz Classic. 5 S. beispielsweise Eckermann (2002), Möser (2002). 6 Reichsverband der deutschen Automobilindustrie (1926), S. 2 f.

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Benz und dem unabhängig von ihm arbeitenden Duo Daimler und Maybach, gelang nahezu zeitgleich der entscheidende technologische Durchbruch mit benzingetriebenen Verbrennungsmotoren dank des sog. Ottomotors (Viertaktmotor), nach Nicolaus Otto, der bereits seit dem Jahr 1860 an der Entwicklung von Motoren tüftelte und im Jahr 1876 einen marktreifen Motor patentieren ließ.7 Diese Technologie setzte sich in den Folgejahren gegenüber den anderen Antriebsformen, insbesondere Elektro und Dampf, durch, die Automobile parallel mit dem Verbrennungsmotor in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg antrieben. Es ist eine ironische Wendung der Geschichte, dass der Elektromotor knapp 130 Jahre später die Debatte um die zukünftige Antriebsform erneut bestimmt und sich durchsetzen wird, was ihm damals nicht gelang. Das Automobil hatte in seinen Anfangsjahren in Deutschland ab 1886 keinen guten Start. Beispielsweise hielt Carl Benz in seinen Erinnerungen über den Verkauf seines Automobils fest, dass sein Wagen überall Aufsehen erregte, sich aber kein Käufer im Land fand. Erst im Jahr 1888 gewann er einen ersten Käufer in Deutschland, der zum Missfallen von Benz vom Kaufvertrag zurücktreten musste: „Aber schon nach einigen Tagen erklärt der Vater des Käufers den Kauf für ungültig, da sein Sohn in letzter Zeit nicht mehr normal gewesen sei und für sein Tun und Lassen nicht verantwortlich gemacht werden könnte. Und in der Tat, der erste Käufer wanderte ins Irrenhaus, noch ehe der Wagen in seinen Besitz kam.“8 Der zweite Käufer hielt sich für einen Todeskandidaten und opferte fast sein gesamtes Vermögen, um einen Benzwagen zu erstehen. Laut Benz starb er jedoch nicht und hatte noch lange Freude an seinem Wagen.9 Glücklicherweise verkauften sich seine Wagen bereits ins Ausland, also noch vor dem ersten deutschen Käufer. Der erste Wagen ging im Jahr 1887 nach Paris an einen Monsieur Emile Roger. Danach kamen weitere Bestellungen aus dem autobegeisterten Frankreich, u. a. auch aus dem Haus Panhard & Levassor, welches wie

7 Benz schrieb, dass er Daimler nie gesprochen hatte und ihn einmal in Berlin aus der Ferne sah. Es kam aber zu keiner Begegnung. Benz (1925), S. 114. Es handelte sich wahrscheinlich um das Gründungstreffen des Mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins am 30. September 1897, der als erster Interessenverband der deutschen Automobilbranche galt. Bei der Versammlung im Berliner Hotel Bristol waren 165 Gründungsmitglieder geladen, darunter Industriegrößen wie Emil Rathenau (AEG) oder Ernst Borsig (Maschinenbau) und eben Daimler und Benz. Es ist plausibel, dass sie bei der Vielzahl der Menschen kein Wort miteinander gewechselt haben. Eine Beschreibung dieses Treffens kann nachgelesen werden in Raidt (2014), S. 244 ff. Vgl. zur Entwicklung des Ottomotors Horras (1982), S.25 ff. 8 Benz (1925), S. 93. 9 Benz (1925), S. 93.

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Benz zu den ältesten Autobauern gehörte.10 Auch aus den USA, England, Ungarn und Böhmen trudelten die ersten Bestellungen ein. Bis zum Jahr 1893 verkaufte Benz nur 67 Fahrzeuge, davon lediglich 15 in Deutschland und 42 an Emile Roger in Frankreich.11 Die Jahre von 1890 bis 1897 wurden von der Automobilindustrie als eine Phase des Stillstands angesehen, da es wenige Neugründungen gab und Benz und Daimler beim Absatz ihrer Fahrzeuge kaum vorankamen.12 Ab 1897 jedoch zog der Verkauf an und die Verkaufszahlen bei Benz und in der entstehenden Automobilindustrie stiegen stetig an. Im Jahr 1897 überschritt Benz mit 256 Fahrzeugen erstmals die 200er-Schwelle in einem Jahr.13 Gründe waren u. a., dass die technische Verwendung von Luftreifen möglich war (im Jahr 1888 von John Dunlop erfunden), dass Robert Bosch Zündapparate für Automobile verwendungsreif entwickelte und dass sich plötzlich viele Tüftler und branchenfremde Unternehmer für Automobile interessierten, die in dieser jungen Branche Unternehmen gründeten.14 Weitere technische Durchbrüche führten zu Fahrzeugen, die internationales Aufsehen erregten, wie ein im Jahr 1897 von Daimler konstruiertes Fahrzeug im Phaeton-Stil (besondere Form der Karosserie) für den österreichisch-ungarischen Generalkonsul Emil Jellinek, welches eine Höchstgeschwindigkeit von 42 km/h erreichte.15 Die Tochter von Emil, Mercedes Jellinek, diente mit ihrem Vornamen als Namensgeberin für eines von Daimler erworbenen Fahrzeugs. Da Emil ein Großkunde von Daimler wurde und auf seine Anregung konstruktive Änderungen an neueren Modellen vorgenommen wurden, vertrieb das Unternehmen diese ab dem Jahr 1902 unter dem Namen Mercedes. Diese Fahrzeuge waren sehr teuer und kosteten je nach Ausstattung zwischen 12.530 und 16.700 Reichsmark zuzüglich Kosten für weitere Extras, wie es eine Preisliste aus dem Jahr 1903 auswies.16 Die Abbildung zeigt ein neues Fahrzeug aus dem Haus Daimler unter dem Pseudonym Mercedes, welches Emil Jellinek gehörte.

10 Mittlerweile ist das Unternehmen Teil der PSA-Gruppe. 11 Haubner (1998), S. 25. 12 Reichsverband der deutschen Automobilindustrie (1926), S. 8. 13 Haubner (1998), S. 25. 14 Im Juli 1906 feierte die Firma Bosch mit dem anwesenden Erfinder und Firmengründer Robert Bosch die Produktion der 100.000sten Boschzündung. Höhepunkt der Feier war ein nächtliches Feuerwerk, welches am Schluss die Jubiläumszahl 100.000 am Himmel in bunten Farben erstrahlen ließ. S. Allgemeine Automobil-Zeitung, 22. Juli 1906, S, 38. 15 Reichsverband der deutschen Automobilindustrie (1926), S. 9 ff. 16 Horras (1982), S. 333.

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Abb. 4: 24 PS-Wagen von Daimler im Besitz von Emil Jellinek im Jahr 190017

Es bedurfte einer langen Gärungszeit von etwas mehr als zehn Jahren, aber dann zog das Wachstum in der Automobilindustrie an. Um das Jahr 1900 galt Benz als einer der größten Autohersteller der Welt mit 603 jährlich produzierten Fahrzeugen, eine aus heutiger Sicht kaum erwähnenswerte Zahl, aber natürlich hat alles seinen Anfang.18 Die Geschäfte bei Gottlieb Daimler verliefen zu Beginn kaum besser als bei seinem Konkurrenten Benz. Daher musste Daimler eine Lizenz nach Frankreich verkaufen. Diese wurde von Edouard Sarazin im Jahr 1886 erworben. Sarazin und Daimler kannten sich von ihrem früheren gemeinsamen Arbeitgeber, der Gasmotorenfabrik Deutz, für die ersterer als Vertreter arbeitete. Daimler war bei Deutz in den Jahren 1872 bis 1882 als technischer Leiter beschäftigt. Nach dem Tod von Sarazin im Jahr 1887 entwickelte seine Witwe Louise Sarazin die Partnerschaft zwischen Daimler und Sarazin weiter. Sie brachte ihre Firma und die Daimler-Lizenzen in die Firma ihres zweiten Ehemanns Emile Levassor ein – daher der Doppelname Louise Sarazin-Levassor – der mit René Panhard die französische Automobilfirma Panhard & Levassor mitgegründet hatte. Benz und Daimler, damals noch zwei unabhängige Unternehmer, mussten früh ins Ausland expandieren – nach Frankreich – um ihre anfangs schlecht laufenden Firmen am Leben zu erhalten. Die Franzosen waren weitaus automobilbe-

17 ANNO/Österreichische Nationalbibliothek, Allgemeine Automobil-Zeitung, 7. Januar 1900, S.7. 18 Eckermann (2002), S. 58.

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geisterter als die Deutschen und bauten rasch ihre eigenen Unternehmen auf. Benz und Daimler hatten einen entscheidenden Anteil an der Werdung der französischen Automobilindustrie mit der Vergabe von Lizenzen und dem Export von Automobilen. Man kann sie durchaus als Geburtshelfer der französischen Automobilindustrie bezeichnen, da sie die französischen Automobilpioniere Panhard et Levassor, Peugeot und Emile Roger (Benz-Vertreter in Frankreich) mit ihren dort verkauften Fahrzeugen und Motoren entscheidend unterstützten.19 Allerdings war es dem Unternehmergeist und den Vermarktungskünsten dieser und anderer Franzosen zu verdanken, dass das Auto in Frankreich rasch populär wurde und schnell den deutschen Markt hinter sich ließ.20 Wehmütig betrachtete Benz die Popularität des Autos in Frankreich, während es in Deutschland in den Anfangsjahren wenig galt. Er machte das an einer Schwäche der Deutschen aus, die ihre eigenen Erfinder nicht besonders schätzen: „Der Mann mit der rückständigen Zipfelmütze über den Ohren mißachtete von jeher gerne, was deutsch und deutschen Ursprungs ist – selbst, wenn es dem Volke zum größten nationalen Schaden wurde. Wie schwärmerisch streckte er dagegen von alters her die Hände aus nach allem, was von außen kam, insbesondere von Paris.“21 Erst um das Jahr 1900 sah er eine positive Wende für das Automobil gekommen: Mehr als ein Jahrzehnt waren Daimler und ich die einzigen, die sich abmühten, den deutschen Heimatboden auch zum wirtschaftlichen Wurzelboden der neuen Industrie zu machen. Erst als die Deutschen die Erfolge sahen, belebte sich um die Jahrhundertwende das Feld. Da traten weiter einheimische Fabriken auf den Plan. Das Interesse für die neue Industrie erwachte jetzt auch in Deutschland. Immer mehr Fabriken tauchten in der Folge auf. Millionen deutschen Kapitals werden dem Kraftwagen im Glauben an seine große Zukunft zur Verfügung gestellt. Schließlich setzt jene gewaltige Emporentwicklung ein, die in bei19 Laux (1976), S. 9 ff. Der Autor stellt die Entwicklung der französischen Automobilindustrie bis 1914 dar. Er schreibt: „The entry into the automobile industry of the pioneer firms in France, Panhard et Levassor, Peugeot and Emile Roger, was marked in each case by some initiative coming from Germany, showing in this way the international character of the industry from the very beginning.“ 20 Laux (1976), S. 9 ff. Laux hält nüchtern fest, dass die Deutschen Daimler und Benz wenig Eile im Verkauf ihrer Fahrzeuge und zu lange an einem unmodernen Design festhielten. Die Franzosen waren geschäftstüchtiger und ergriffen die Initiative bei der Entwicklung eines großen Absatzmarktes für ihre Automobile. 21 Benz (1925), S. 96. Der Gründer von Horch und Audi, August Horch, schildert in seiner Autobiografie, wie Benz einen Großauftrag aus Frankreich mit 200 Einheiten erhielt (ca. 1898/1899) und skeptisch reagierte, weil er die (unberechtigte) Sorge hatte, dass diese Masse zu Qualitätsproblemen führen und das Renommee in Frankreich beschädigen könnte. Er soll gesagt haben: „Da laufe dann Benz-Wage, die iberhaupt noch nicht auf der Höhe sind.“ S. Horch (1937), S. 60 ff.

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spiellos raschen Aufschwung den Kraftwagenbau zum hervorragendsten Zweig unserer gesamten Maschinenindustrie werden läßt. Es war wie ein einziger stürmischer Siegeszug hinauf auf die Triumphhöhe deutscher Arbeitstüchtigkeit, deutscher Schöpfungskraft und Unternehmenslust.22

Meibes führte als einen Grund für die mangelnde Popularität des Autos in den Anfangsjahren die zahlreichen Pannen an, die zu liegengebliebenen Fahrzeugen und damit Verkehrshindernissen führten.23 Das erregte den Unmut von Bürgern, die auch vor Tätlichkeiten gegenüber den Autobesitzern nicht zurückschreckten. Auch manche Behörden sahen die neue Erfindung Automobil skeptisch und machten es den Fahrern teilweise schwer (z. B. Verweigerung der Fahrerlaubnis, unsinnige Vorschriften über Minimalgeschwindigkeiten, hohe Wegegelder).24 Allerdings war der Grundtenor wohl der einer positiven Begleitung des Automobils. So schreibt Fack: Die Haltung der Behörden war bis zur Jahrhundertwende abwartend, erst als die Gefahren des sportlichen Automobilismus im öffentlichen Straßenverkehr offen zutage traten, wurden verkehrsregelnde Maßnahmen ergriffen. In der preußischen Regierung war man von der Bedeutung des Automobils „von Anfang an“ (Just) überzeugt, neben der Bewahrung der Verkehrssicherheit sah sie die Aufgabe der Polizeibehörden laut Regierungskommissar Tull in der Förderung der Leichtigkeit des Verkehrs. Dabei blieb sie stets bemüht, sich mit ihren Maßnahmen „auf der mittleren Linie“ zu bewegen und Kontakt mit allen Interessenkreisen zu halten, wie es der Abgeordnete und exponierte Vertreter des Mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins Otto Just im Rückblick auf seine Referententätigkeit im Arbeitsministerium ausdrückte. Die wohlwollende Haltung der Regierung wurde auch von führenden Automobilistenvertretern gewürdigt. Im Herrenhaus bedankte sich dafür im Jahr 1904 Herzog von Ratibor im Namen des Deutschen Automobil-Clubs und beim Jubiläum des Vereins Deutscher Motorfahrzeug-Industrieller im Jahr 1911 stellte der zweite Vorsitzende Heinrich Kleyer die tatkräftige Unterstützung der Reichs- und preußischen Behörden heraus.25

Auch gab es Seitenwechsel zwischen staatlichen Verwaltungen und Automobilindustrie, wie etwa der des bereits erwähnten Ministerialdirigenten Otto Just, der im Innenministerium am Kraftfahrzeuggesetz aus dem Jahr 1909 mitwirkte, und der auch den Spitzenposten des MMV (Mitteleuropäischer Motorwagen-Verein) innehatte, einem Lobbyverband der Autobranche.26 22 Benz (1925), S. 102. 23 In Kapitel 3 wurden weitere Gründe genannt, wie z. B. die hohen Anschaffungskosten. 24 Meibes (1926), S. 36 ff. Horch (1937), S. 139, schreibt in seiner Biografie, dass Polizeibehörden um die Jahrhundertwende dem Automobil feindselig gegenüberstanden: „Welche Schlachten mussten wir mit der Polizei führen, die damals dem Automobilverkehr mit einer gespenstigen Verständnislosigkeit gegenüberstanden.“ 25 Fack (2000), S. 163. 26 Mecki (2002), S. 243. S. dort auch weitere Angaben.

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Unerwartete Unterstützung erhielten die Automobilhersteller von anderer behördlicher Seite. Das Kriegsministerium erkannte das Potenzial mobiler Fahrzeuge und gliederte sie rasch in Verbände ein. So wurde erste Fahrzeuge auf den Kaisermanövern im Jahr 1905 zur Übermittlung von Nachrichten eingesetzt.27 Ein Bericht zum Kaisermanöver stellte folgendes fest: „Als Anfangsjahr des MilitärAutomobilismus ist das Jahr 1905 anzusehen, in dem zum erstenmal das Freiwilligen-Automobil-Corps zum Heeresdienste herangezogen und ihm Gelegenheit gegeben wurde, den Nachweise für die Verwendbarkeit des Personenselbstfahrers für den Nachrichten- und Befehlsübermittlungsdienst zu erbringen.“28

Abb. 5: Offiziere während eines Kaisermanövers im Jahr 190829

Im Jahr 1909 galten Automobile bei Manövern als etabliert. Der österreichische Markgraf Alexander Pallavicini wird anlässlich eines Kaisermanövers der österreichischen Armee in Österreich im Jahr 1909 bei der Ankunft des deutschen Kaisers wie folgt zitiert: „Wenn vor fünf Jahren jemand gesagt hätte, dass bei der Ankunft eines auswärtigen Souveräns vor dem Bahnhof in Iglau kein Pferd zu sehen sein werde, so hätte man den Betreffenden wahrscheinlich interniert.“30 Militärs engagierten sich in Automobilistenvereinigungen – Mitglieder waren u. a. Automobilindustrielle, Militärs und wohlhabende Bürger – und fuhren Personenkraftwagen, die in den Manövern ab 1905 bewegt wurden. Für Baron Otto von Brandenstein, den damaligen Generalsekretär des Deutschen Automobil-Clubs 27 Meibes (1926), S. 41 ff. Laut der Allgemeinen Auto-Zeitung vom 12. Januar 1902, S. 6 wurden erste Probefahrzeuge bereits in den Manövern im Jahr 1901 getestet. 28 Allgemeine Automobilzeitung, 27.12.1908, S. 3 ff. 29 Anno/Österreichische Nationalbibliothek, Allgemeine Automobil-Zeitung, 27.12.1908 30 Allgemeine Automobil-Zeitung, 19. September 1909, S. 2

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war das eine sinnvolle Sache für Militär und Automobilindustrie. Er wurde mit folgenden Worten zitiert: Eine der glücklichsten Ideen, die jemals vom Deutschen Automobil-Club zur Durchführung gebracht sind, betrifft das Freiwillige Automobilistenkorps. Vorläufig sind erst 21 Mitglieder der verschiedenen deutschen Clubs für dieses Corps gewählt worden, aber die Zahl dürfte sich schon in den nächsten Jahren verdoppeln, und ich denke, daß wir bis zu den deutschen Manövern wenigstens 150 Herren mit ebensovielen Automobilen haben werden […] Die Verwendung des Automobils als Mittel zur Vaterlandsverteidigung führt dem großen Publikum so recht drastisch die eminente Verwendungsfähigkeit unserer selbstbeweglichen Wagen vor Augen. Der Industrie ist Gelegenheit geboten, die Vorzüglichkeit ihrer Erzeugnisse zu demonstrieren. Der Armee stellen wir aber zu Versuchszwecken eine so große Anzahl von Automobilen zur Verfügung, wie sie die Heeresleitung wohl kaum auf einmal beschaffen würde.31

Abb. 6: Mitglieder des Freiwilligen Automobilistenkorps am 4. Februar 1905 auf der Internationalen Automobil-Ausstellung Berlin32

31 Allgemeine Automobil-Zeitung, 12. Februar 1905, S. 9. 32 Anno/Österreichische Nationalbibliothek. Allgemeine Automobil-Zeitung, 12. Februar 1905, S. 7.

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Die Bedeutung, die dem Automobilistenkorps zugemessen wurde, zeigte sich an einem abendlichen Bankett auf der Automobilausstellung, an dem die hier abgebildeten 21 Offiziere des Korps zusammen mit Prinz Heinrich von Preußen, Kriegsminister Karl von Einem, Victor II. Herzog von Ratibor, und weiteren hochrangigen Personen teilnahmen. Tagsüber waren sie persönlich dem Kaiser vorgestellt worden. Ebenso viel Interesse wie an Automobilen zeigte das Heer an Lastkraftwagen, die für rasche Truppen- und Materialverschiebungen in großem Stil geeignet waren. Seit dem Jahr 1908 wurden erstmalig im Reichshaushalt Mittel für die Subventionierung von Lastkraftwagen bereitgestellt, um bei Bedarf (z. B. im Kriegsfall) sofort über Fahrzeuge für den Transport von Truppen und Material verfügen zu können.33 Klapper machte am Beispiel einer Armee aus dem deutsch-französischen Krieg die Rechnung auf, dass für eine Armee von 50.000 Mann und 10.000 Pferden für Verpflegungsnachschub 3.000 von Pferden gezogene Fahrzeuge, 3.000 Fahrer und 6.500 Pferde nötig waren, während man bei der Verwendung von Lastkraftwagen nur 360 Fahrzeuge plus 800 Mann benötigen würde, eine für Militärs höchst interessante und vorteilhafte Kalkulation.34 Auch andere Anwendungen von Fahrzeugen überzeugten Behörden, wie der Einsatz im Nahverkehr durch Omnibusse oder bei Krankentransporten durch Sanitätswagen.35 Zudem wurden automobile Fahrzeuge für Straßenreinigungsarbeiten eingesetzt, wie automobile Kehrrichtmaschinen mit Staubabsaugung. Die anfängliche Skepsis gegenüber einem Automobil wurde von den höchsten Kreisen geteilt. Kaiser Wilhelm II. soll anfänglich argwöhnisch gegenüber dem Automobil eingestellt gewesen sein.36 Wenn das stimmen sollte, setzte spätestens in den Jahren 1903 und 1904 durch zwei Ereignisse ein Sinneswandel bei ihm ein, die aus ihm einen begeisterten Automobilisten machten: die im März 1903 stattgefundene Automobilausstellung in Berlin und ein in Homburg abgehaltenes Autorennen.

33 Klapper (1910), S. 76 ff. 34 Klapper (1910), S. 101. 35 Klapper (1910), S. 93 ff. 36 Sloniger, J., Von Fersen, H.-H. (1967), S. 30. Angeblich soll der Kaiser noch 1902 gesagt haben, „er werde nie seinen Fuß in eine dieser verhaßten Maschinen setzen, solange noch ‚ein warmes Roß in seinen Ställen stehe‘“. Dagegen spricht allerdings, dass die Allgemeine Automobilzeitung bereits 1901 (s. Nr. 40 vom 6. Oktober 1901, S. 16) vermeldete, dass der Kaiser für den eigenen Gebrauch einen Daimler 16 IIP Simplex in weiß mit goldenen Streifen bezogen habe. In Raidt (2014), S. 258 findet sich die Information, dass der Kaiser bereits im Jahr 1900 bei Repräsentationsfahrten in seinen elfenbeinfarbenen Daimler stieg und sich durch Berlin fahren ließ. Das berühmte Zitat des Kaisers „Ich setze auf das Pferd“, lässt sich keiner zeitgenössischen Quelle zuordnen und ist vermutlich eine Erfindung.

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Am Abend des 7. März 1903, dem Eröffnungstag der 3. Automobilausstellung in Deutschland, wurde dem Kaiser zu Ehren eine Huldigungsfahrt abgehalten. 300 mit Fackeln erleuchtete Fahrzeuge versammelten sich vor dem kaiserlichen Schloss. Die 756 Insassen der Fahrzeuge jubilierten gegenüber dem Kaiser ein dreifaches Hurra, mehrere Militärkapellen intonierten „Heil Dir dem Siegerkranz“. Die Automobilparade wurde von einer halben Million Berlinern verfolgt. Der Kaiser soll mit seiner Familie die Huldigungsfahrt auf einem Balkon des Schlosses „sichtlich befriedigt“ bis zum Ende verfolgt haben.37 Des Weiteren nahm der Kaiser im Jahr 1904 als Zuschauer an dem GordonBennett-Rennen teil, bei welchem jährlich verschiedene Automarken in einem Wettrennen konkurrierten. Es fand damals erstmalig in Deutschland in Homburg statt. Ein begeisterter Kaiser telegrafierte seinem Reichskanzler von Bülow: Gordon-Bennet-Rennen großartig verlaufen! Ungeheure Beteiligung namentlich aus Frankreich. Franzose gewann. Französischer Präsident des Pariser Autoklubs und Vorstandsmitglieder wurden mir vorgestellt und brachten mir proprio motu ein Hurra namens Frankreichs, in welches die vielen Hunderte von Franzosen und Französinnen begeistert einstimmten. Man hörte vielfach: ‚Vive L’Impératrice!‘ und ‚Vive L’Empereur!‘ Haltung der Franzosen tadellos, Tribünen im Stil eines römischen Zirkus, von Jacobi, einfach großartig! Allgemeine Zufriedenheit und Begeisterung, ganz hervorragende Arrangements. Behörden haben brillant gearbeitet. Ich glaube, beide Länder sind sich einen Schritt nähergekommen.38

Zwei Wochen später wurde der Kaiser Ehrenmitglied im Deutschen Automobil-Club (DAC), dem führenden Verband des Automobilismus, und Ende 1905 wurde er sogar Protektor des DAC, der sich nun Kaiserlicher Automobil-Club (KAC) nannte.39 Ein englischer Korrespondent des „Herald“ beschrieb den Fuhrpark („Garage“) des Kaisers im Jahr 1906 und konnte sechs Fahrzeuge sichten, davon drei Mercedes-Wagen. Dazu kamen zwei Lastenautomobile für Gepäck. Weiterhin hatte der Kaiser bereits drei zusätzliche Mercedes-Fahrzeuge bestellt. Im Artikel wurde dazu ausgeführt: „Es besteht wohl kein Zweifel darüber, daß die ausgezeichneten Erfahrungen, die der deutsche Kaiser mit seinen Mercedes-Wagen gemacht hat, sowie nicht minder der Wunsch, die einheimische Automobil-Industrie zu fördern, ihn dazu veranlaßt haben, seine Kaufordre an eine inländische Fabrik zu richten.“40 Zwei weitere Details wurden im Artikel offenbart: Der Kaiser war eher an 37 Allgemeine Automobil-Zeitung, 15. März 1903, S. 7 ff.. Hier findet sich ein ausführlicher Bericht über dieses Ereignis mit einem Bild der von Fackeln erleuchteten Automobile. 38 Von Bülow (1930), S. 19. 39 Merki (2002), S. 219. 40 Allgemeine Automobil-Zeitung, 11. Februar 1906, S. 29 f. Eine weitere Beschreibung des kaiserlichen Fuhrparks findet sich in der Folgeausgabe vom 18. Februar 1906.

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mäßigem Fahrtempo interessiert und mochte kein Schnellfahren. Weiterhin war das seinerzeitige Lieblingsfahrzeug des Kaisers ein 40/45 HP Fiat, ein schicker Wagen aus der Oberklasse der Fiat-Modelle, die in Turin gefertigt wurden. Der ehemalige Reichskanzler Bernhard von Bülow beschrieb in seinen „Denkwürdigkeiten“ die anfängliche Skepsis des Kaisers gegenüber dem Auto wie folgt: Der naive Subjektivismus Wilhelms II., seine, um ein modernes Schlagwort zu gebrauchen, egozentrische Veranlagung zeigte sich auch gegenüber dem Automobil. Als die ersten Automobile Unter den Linden auftauchten, der Kaiser selbst sie aber noch nicht benutzte, ärgerte er sich über die Straßenfahrzeuge, die seine Pferde scheu machten. Er verlangte ihre polizeiliche Überwachung und Einschränkung und meinte vor mir: „Ich möchte am liebsten jedem Chauffeur mit Schrot in den — schießen!“ Als er dann selbst fuhr und seine eigenen Chauffeure lustig ihr Tatütata erschallen ließen, wurde er ein feuriger Lobredner und Anhänger des Automobilsports und betrachtete jede Kritik seiner Auswüchse fast als persönliche Beleidigung.41

Abb. 7: Kaiser Wilhelm II. vor der Frühjahrsparade des Gardecorps am Tempelhofer Feld in Berlin im Jahr 191342

41 Von Bülow (1930), S. 19. 42 Bundesarchiv, Lizenztyp CC-BY-SA 3.0; detaillierte Angaben s. Abbildungsnachweis

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Einen weiteren besonders hochrangigen Anhänger fand die Automobilindustrie in Prinz Heinrich von Preußen, dem Bruder von Kaiser Wilhelm II., der sogar ab 1903 Schirmherr („Protektor“) der Internationalen Automobilausstellung in Berlin wurde und einen Automobilpreis („Prinz-Heinrich-Fahrten-Preis“) stiftete.43 Die Fachpresse schätzte diese Schirmherrschaft als höchst förderlich für die Automobilindustrie in Deutschland ein. Die Allgemeine Automobil-Zeitung schrieb: „Der Förderung des Automobilismus in Deutschland wurde hierdurch ein unschätzbarer Dienst geleistet [Anm.: Übernahme Protektorat durch Prinz Heinrich] und die Interessennahme für die Ausstellung in die höchsten Kreise und bis an die allerhöchste Stelle getragen.“44 Benz nahm ihn als „…begeisterten und verständnisvollen Förderer der deutschen Automobilentwicklung…“ wahr.45 Prinz Heinrich war ausgesprochen technikbegeistert. Zu seinen Steckenpferden gehörten Schiffe (Kriegsmarine, er war ab 1906 für einige Jahre Flottenchef und ab 1914 Oberbefehlshaber der Ostseestreitkräfte), Flugzeuge (er war der 38. Deutsche mit einem Pilotenschein, erworben im Jahr 1910) und das Automobil. Aus der kaiserlichen Familie erwarb er als einer der Ersten im Jahr 1902 ein Automobil.46 Er hielt sogar diverse Patente auf Scheibenwischer, da er mit den angebotenen Lösungen nicht zufrieden war.47 Gerne setzte er sich auch selbst ans Steuer, statt einen Chauffeur fahren zu lassen. Diese Technikaffinität ging bis in seine Kindheit zurück, in der Heinrich regelmäßig mit seinem älteren Bruder Wilhelm (dem späteren Kaiser) mit der neuen industriellen Welt konfrontiert wurde. Dazu folgende Beschreibung: „Jeden Mittwoch- und Sonnabendnachmittag, wenn schulfrei war, gingen sie [Anm.: die beiden Prinzen] daher mit Hinzpeter [Anm.: übte die Rolle des Prinzenerziehers aus] in nahe gelegene Fabriken oder Werkstätten, wo sie alles genau gezeigt bekamen und in die einzelnen Abläufe der jeweiligen Fertigungsprozesse eingewiesen wurden.“48 Heinrich konnte zeitlebens seiner Technikbegeisterung frönen, während Wilhelm II. aufgrund seiner Pflichten als Kaiser dazu nicht kam. Aber auch er war Neuem sehr aufgeschlossen.

43 Auf dem Umschlagbild wird Prinz Heinrich im Jahr 1907 am Steuer eines Benz 70 PS Triple Phaeton am Standort Mannheim gezeigt. Umringt wird er von Carl Benz (links, Erfinder und Gründer) und Dr. Brosin, die vor dem Wagen stehen. Hinter dem Wagen stehen die Benz-Direktoren Josef Brecht (links) und Hemmesfahr (rechts). Bildabdruck von Mercedes-Benz Classic genehmigt. 44 Allgemeine Automobil-Zeitung, 8. März 1903, S. 7. 45 Benz (1925), S. 104. 46 Kaiser Wilhelm II. ist ihm vermutlich um zwei Jahre mit dem Erwerb eines Daimler zuvorgekommen. 47 Hering, Schmidt (2013), S. 136 ff. 48 Hering, Schmidt (2013), S. 139.

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Für die weitere Entwicklung des Automobils war es sicher nicht nachteilig, dass höhere und allerhöchste Kreise an Innovationen interessiert waren und sich Fahrzeuge anschafften, wie später an Einzelbeispielen aus dem Kreis der Early Adopters gezeigt wird (s. Teil II). Die Innovation Automobil kann prismatisch eingeschätzt werden, denn sie rief unterschiedlichste Reaktionen hervor. Zum einen gab es die überschaubare Gruppe der Automobilisten, die sich ein Auto aus beruflichen oder privaten Zwecken anschafften. Zum anderen aber jene, die sich kein Auto leisten konnten oder wollten. Die Art der Mobilität hing vom Geldbeutel ab. Die Mobilität im frühen 20. Jahrhundert lässt sich als Dreiklassengesellschaft charakterisieren. Die große Mehrheit der Bevölkerung gehörte zu den Fußgängern oder Fahrradfahrern. Sie konnte es sich schlicht nicht leisten, ein Automobil oder ein Kraftrad zu erwerben. Fahrräder – ein anderer Name war Veloziped – wurden sehr populär ab den 1880er Jahren und um das Jahr 1900 bereits von knapp 1,5 Millionen Deutschen gefahren. Der Fahrradbestand stieg bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs auf 6 Millionen Einheiten an.49 Wenn die Menschen in einer Großstadt wohnten, konnten sie größere Entfernungen mit der Straßenbahn oder mit busähnlichen Fahrzeugen, die mit einem Motor betrieben oder von Pferden gezogen wurden, zurücklegen. Außerhalb der Städte wurden längere Strecken mit der Kutsche, einem Fuhrwerk oder einem Pferd zurückgelegt. Weiterhin gab es die beliebte Eisenbahn, die im Jahr 1908 bereits über ein Schienennetz von 57.125 km verfügte und stark frequentiert wurde.50 Zur zweiten Gruppe gehörten die Kraftradbesitzer (Fahrer von motorgetriebenen Zweirädern, auch bekannt unter dem Namen Motorräder), die heterogen zusammengesetzt waren. Handwerker jeglicher Profession, Vertreter technischer Berufe, Kaufleute, Händler, aber auch Kleinunternehmer leisteten sich ein Kraftrad, welches weitaus günstiger in Anschaffung und Unterhalt als ein Automobil war. Auch aus dem gehobenen Bürgertum gab es viele, die mit dem Kraftrad zur Arbeit fuhren und dort als Prokuristen, Fabrikanten oder Direktoren ihrer Tätigkeit nachgingen. Dann gab es eine dritte Gruppe, die der Automobilisten. Dazu gehörten das Wirtschaftsbürgertum mit Fabrikanten und Direktoren, der neue Mittelstand mit Handwerkern und Kleinunternehmern, die sog. Kleinbürger, z. B. Angestellte oder einfache Beamte, und Dienstleister wie Ärzte. Die Gruppe der Ärzte war breit vertreten, da sie mit einem Wagen rascher bei ihren Patienten als mit einem Pferd waren. Dieser Berufszweig erkannte früh die Vorzüge eines Automobils. Andere 49 Steinbeck (2012), S. 21 ff.; s. auch König (2010), S. 76ff, der die Rolle des Fahrrads in Bezug auf die automobile Entwicklung beschreibt. 50 Kaiserliches Statistisches Amt (1910), S. 113.

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gesellschaftliche Gruppen, die man der früheren Feudalherrschaft zurechnen kann, entdeckten das Automobil ebenfalls für sich, wie Adelige, Rittergutsbesitzer, Militärs, höhere Beamte und Kleriker. Unter den frühen Automobilisten befanden sich einige der wohlhabendsten Menschen des Kaiserreichs, die in Teil II vorgestellt werden. Weiterhin gab es diverse staatliche Stellen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben Automobile, Krafträder oder Lastwagen nutzten. Dazu zählten beispielsweise das Militär, Polizeibehörden und die Post. Die Bandbreite der verwendeten Vehikel war groß. Sie reichte vom Luxuswagen bis zum Lastwagen. Das Aussehen der Fahrzeuge war unterschiedlich, genau wie ihre Leistungsfähigkeit und die eingesetzte Antriebsform.

Abb. 8: Automobil begegnet im Jahr 1900 einem „Hippomobil“51

Die ausgewerteten Daten des Adressbuchs zeigen nicht nur die Zusammensetzung der Population der Mobilisten und der von ihnen genutzten Fahrzeuge, sondern belegen zudem ein Gefälle zwischen Stadt und Land. Metropolen wie Berlin waren seinerzeit Zentren der Automobilisierung, während viele ländliche Gebiete kaum mit mobilen Fahrzeugen in Berührung kamen. Kaum verwunderlich häuften sich auch dort die Proteste gegen Autofahrer, die von verbaler Bedrohung bis zu tätlichen Angriffen reichten.52 Circa 70 % aller geografisch nachweisbaren Fälle von Übergriffen gegen Automobilisten wurden aus Dörfern oder auf Landstraßen vermeldet. Fraunholz schreibt: „Der autofahrende Städter begegnete dem auf tierische Energie angewiesenen Landmann in erster Linie auf der Landstraße und

51 Anno/Österreichische Nationalbibliothek, Allgemeine Automobil-Zeitung, 21. Oktober 1900, S. 10. Bei dem Automobil handelte es sich um eine Eisenach Voiturette, einem Kleinwagen der Fahrzeugfabrik Eisenach. Dort wurde Jahrzehnte später der Wartburg produziert. 52 Fraunholz (2000), S. 93 ff.

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brach mit seinem Gefährt in die Lebenswelt der Dörfer ein. Dementsprechend vollzogen sich die meisten Protestaktionen in diesen vormals ruhigen Territorien.“53 Die in den Zeitungen berichteten Fälle beliefen sich auf durchschnittlich 20 Proteste pro Jahr bzw. ein Protestfall pro 1.500 Fahrzeuge für die Jahre 1902 bis 1914.54 Das erscheint wenig, aber rechnet man dieses Verhältnis auf den Kfz-Bestand der Gegenwart hoch, wäre Deutschland heute mit einer fünfstelligen Anzahl an Protesten Jahr für Jahr konfrontiert. Die Dunkelziffer im Kaiserreich dürfte weitaus höher gewesen sein, da kleinere Vorfälle nicht in den Zeitschriften berichtet wurden. So zitierte Klapper in seiner Arbeit aus einem Artikel eines Juristen über Automobilhaftung aus dem Jahr 1908 folgendes: Wer, wie ich, den Automobilverkehr aus eigener Erfahrung von Grund aus kennt, weiß, daß die Hälfte oder dreiviertel der Schuld das Publikum selber trifft. Wer gesehen hat, mit welcher hartnäckigen Frechheit sich so viele dem Automobil entgegenstellen oder im letzten Augenblick hin- und herspringen, um den Verkehr zu belästigen, der weiß, wie leicht aus derartigen Dingen Unfälle hervorgehen können, an denen einzig und allein die Leute aus dem Publikum selber schuld sind. Warum lassen sie nicht dem Fahrzeug seinen Weg, warum wollen sie ihm die Bahn versperren? An manchen Ortschaften ist es hergebracht, daß die Kinder die Fahrzeuge abwarten, um dann hin und her zu laufen, wie wenn dies ein unschuldiges Spiel wäre, wobei natürlich die Absicht, dem Fahrzeug rechte Schwierigkeiten in den Weg zu legen, oftmals im Hintergrunde steht. Wer ferner die außerordentlich mangelhafte Disziplin auf unseren Straßen kennt, wie vielfach trotz aller Signale die Pferdefuhrwerke erst im letzten Augenblich und dann oft ungenügend, oft verkehrt ausweichen, oder wie so viele Lenker solcher Fuhrwerke einfach eingeschlafen sind, bis das Unruhigwerden der Pferde sie in ihrem magnetischen Schlummer stört, der weiß, wieviel Schuld bei den Unglücksfällen auf Rechnung solcher Elemente zu setzen ist.55

In nicht wenigen Fällen standen sich Autofahrer mit der mitgeführten Peitsche und Leute vom Land mit Steinen gegenüber. Auch das anschließende Werfen von Steinen auf den Automobilisten war nicht ungewöhnlich. Eine Automobilzeitung berichtete von einer von einem Tüftler in Italien konstruierten abnehmbaren Vorrichtung, die auf ein Automobil gesetzt werden konnte, um Schutz gegen Steine zu ermöglichen. Der Reporter schrieb: „Das Steinewerfen ist bekanntlich eine internationale Betätigung. Die Automobilisten leiden allerorts unter diesem Unfug, der

53 Fraunholz (2000), S. 101 f. 54 Fraunholz (2000), S. 93 f. 55 Klapper (1910), S. 108.

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wahrscheinlich erst mit der Gewöhnung an das Automobil aufhören wird.“56 Die häufig feindselige Stimmung änderte sich erst mit einem zunehmenden Gewöhnungseffekt durch eine anwachsende Automobilisierung. Fack verortete diesen Kipppunkt in Richtung pro Automobil um das Jahr 1907, und ganz eindeutig in den Kriegsjahren, als man den Nutzen von Fahrzeugen erkannte. Gleichwohl feindselig eingestellt blieben Teile der Landbevölkerung.57 Nach Fraunholz ließen sich die Proteste gegen das Automobil in Deutschland über einen Zeitraum von dreißig Jahren bis in die 1920er Jahre nachweisen. In anderen Ländern dagegen gab es ein eher kurzes Aufflammen der Proteste. Für die USA schätzt Fraunholz, dass diese Phase „intensiver Automobilfeindschaft“ von 1902 bis 1909 dauerte.58 Schon Benz vermeldete bei seinen Ausfahrten in den Jahren ab dem Jahr 1886 einerseits Staunen und Begeisterung, andererseits aber auch Einschätzungen und Ausrufe wie „Stinkwagen“, „Hexenwagen“, „Teufelsfuhrwerk“ oder Bekreuzigungen einer Schwarzwälderin vor ihm, als wäre er der Leibhaftige.59 Die Automobilisten wurden „Autler“, „Wildlinge“ oder „Herrenfahrer“ genannt, was nicht positiv gemeint war. Ein weiteres Problem der Individualmotorisierung war die bereits hohe Anzahl an Unfällen, die von den Statistiken jener Zeit erfasst wurden. So wurden für das Jahr 1909 (1. Oktober 1908 – 30. September 1909) 6.063 „schädigende Ereignisse beim Verkehr mit Kraftfahrzeugen“ registriert.60 Dabei wurden 2.945 Personen verletzt und 194 Personen getötet.61 Das war eine hohe Zahl gemessen an dem Fahrzeugbestand der damaligen Zeit von knapp 47.000 Stück. Dieses Thema wurde von Parlamentariern im Reichstag debattiert.62 Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, hatten es Autobauer in ihren Anfangsjahren schwer, Kunden zu finden. Die Hersteller mussten also nach Anwendungszwecken suchen, um Automobile potenziellen Kunden schmackhaft zu machen. Eine erfolgreiche Idee war, Wettrennen zu veranstalten, um den sportiven Charakter der Fahrzeuge zu belegen. Diese Idee war aus dem wesentlich stärker autobegeisterten Frankreich übernommen worden. Klapper war überzeugt, dass es diese Rennen und Wettbewerbe waren, die der Automobilindustrie zu einem raschen Wachstum verhalfen. Er schrieb: „Die Rennen waren von jeher die beste

56 Allgemeine Automobil-Zeitung, 23. Januar 1910, S. 2. 57 Fack (2000), S. 146 ff. Der Autor schildert anschaulich mit vielen Beispielen die Konflikte zwischen Automobilfreunden und -gegnern von den Anfangsjahren bis zum Ersten Weltkrieg. 58 Fraunholz (2000), S. 267 ff. 59 Benz (1925), S. 91. 60 Kaiserliches Statistisches Amt (1910), S. 125. 61 Kaiserliches Statistisches Amt (1910), S. 126. 62 S. dazu weitere Ausführungen in Kapitel 6.2.

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Empfehlung für die Fabrikanten, die der siegenden Marke stets Käufer und Kapital zur Vergrößerung in Masse zugeführt hat.“63

Abb. 9: Die drei Mercedes-Fahrer in ihren Fahrzeugen nach dem Sieg am 4. Juli 191464

Ein großes Ereignis war der Sieg von deutschen Fahrzeugen auf dem internationalen Grand Prix in Dieppe (Frankreich) im Jahr 1908, der über eine Distanz von 770 km ging. Ein Korrespondent schrieb: „Dem deutschen Publikum sowohl wie auch dem besonders kaufkräftigen des Auslands, ist die technische Überlegenheit deutschen Erzeugnisses so eindringlich und unwiderleglich vor Augen geführt worden, daß die gesamte deutsche Kraftwagen-Industrie aus ihrem Siege unfehlbar neues Leben und neue Kräfte zur Überwindung des gegenwärtig noch auf ihr liegenden Druckes schöpfen muß.“65 Das Rennen verlief sensationell, denn unter den ersten sieben Platzierten befanden sich sechs deutsche Fabrikate (2-mal Mercedes, 3-mal Benz, 1-mal Opel) mit dem Sieger in einem Mercedes-Rennwagen, die sich in Frankreich, dem größten automobilen Konkurrenten Deutschlands, durchgesetzt 63 Klapper (1910), S. 4 ff. 64 Mercedes-Benz Classic. Von links: Startnummer 28 Christian Lautenschlager (1. Platz), Startnummer 39 Otto Salzer (3. Platz), Startnummer 40 Louis Wagner (2. Platz). 65 Allgemeine Automobil-Zeitung, 23. August 1908, S. 29 ff.

4 Die ersten Automobilisten: Über den langsamen Beginn 

53

hatten. Der anwesende Adolf Daimler (Sohn von Gottfried Daimler) freute sich insbesondere über den Sieg über die ausländische Konkurrenz und betonte den „… eklatanten Triumph der deutschen Industrie.“66 Ähnlich groß war der Triumph im Jahr 1914, als drei Mercedes-Fahrer aus dem Hause Benz die ersten drei Plätze des internationalen Grand Prix in Lyon (Frankreich) belegten.67

Abb. 10: 2. Prinz-Heinrich-Fahrt im Jahr 1909 mit Baron von Durant (Startnummer 673) am Start in einem Mercedes-Wagen68

Eine weitere Idee war, Langstreckenfahrten mit Wettbewerbscharakter zu unternehmen, wie die Prinz-Heinrich-Fahrten, die vom Prinzen im Jahr 1907 gestiftet wurden oder der Gordon-Bennett-Cup, der ab 1900 stattfand und in diversen Ländern ausgetragen wurde. Die Rennen fanden begeisterten Widerhall bei Automobilenthusiasten. Der bekannte Industrielle Heinrich Kleyer, der den Adlerwerken, 66 Allgemeine Automobil-Zeitung, 12. Juli 1908, S. 6. 67 Dieser Sieg war von einem Ereignis überschattet, das erst eine Woche zuvor in Sarajevo passiert war: das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin. Kurz darauf begann der 1. Weltkrieg. 68 Mercedes-Benz Classic. Diese Fahrt fand vom 10. bis 18. Juni 1909 mit 108 Fahrzeugen statt. Sie ging über eine Strecke von knapp 1.900 km und durchquerte die Städte Berlin, Breslau, Tatrafüred, Budapest, Wien, Salzburg und München. Das Kennzeichen III A steht für Stadt Stuttgart.

54  4 Die ersten Automobilisten: Über den langsamen Beginn

die u. a. Automobile produzierten, vorstand, bekannte im Jahr 1905 in einem auf der Internationalen Automobil-Ausstellung Berlin geführten Interview: „Der eigentliche Aufschwung für unsere Industrie datiert vom Gordon-Bennett-Rennen an. Das hat gewissermaßen dem Publikum die Augen geöffnet. Man ersieht das übrigens klar daran, wie sehr sich unsere Industrie vergrößert hat. Selbst ich stoße auf neue Namen und bin verwundert, um wie viel besser gearbeitet die Erzeugnisse gegen die vorjährige Ausstellung sind.“69 Es herrschte die Meinung vor, dass Autorennen die technische Leistungsfähigkeit der teilnehmenden Automarken demonstrierten und einen großen Einfluss auf den Verkauf im In- und Ausland ausübten. Die steigende Nachfrage nach Fahrzeugen musste größtenteils von der heimischen Industrie gedeckt werden. Der Kraftfahrzeugbestand änderte sich rasch seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Lag er noch 1902 bei 4.738 Einheiten, stieg er bis auf 93.072 im Jahr 1914 an.70 Damit lag die geometrische Wachstumsrate p. a. bei knapp über 28 %. Tab. 1: Entwicklung des deutschen Fahrzeugbestands nach Fahrzeugkategorien seit 1902 in Stückzahlen71 Jahr

Krafträder

Personenwagen

Lastwagen

Insgesamt

1902

4.738

1903

6.904

1904

11.370

1905

15.683

1906

21.003

1907

15.700

10.115

1.211

27.026

1908

19.573

14.671

1.778

36.022

1909

20.928

18.547

2.252

41.727

1910

22.283

24.639

3.019

49.941

1911

20.535

31.696

4.203

56.434

1912

19.958

39.943

5.549

65.450

69 Allgemeine Automobil-Zeitung, 12. Februar 1905, S. 10. 70 Flik (2001), S. 280 und Jahrbücher des Kaiserlichen Statistikamts. 71 Fahrzeuge wurden erst ab dem Jahr 1907 vom Kaiserlichen Statistischen Amt offiziell in den staatlichen Statistiken ausgewiesen. Die Zahlenangaben des Kaiserlichen Statistikamts galten jeweils zum 1.1. eines Jahres. Die Differenzierung nach Fahrzeugtypen wurde erstmals durch offizielle Statistiken ausgewiesen. Die Jahre 1902 bis 1906 sind aus Horras (1982), S. 145 ff. und S. 343 entnommen, der seinerzeit wiederum auf ein Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik aus dem Jahr 1910 zurückgriff, welches nur aggregierte Zahlen auswies.

4 Die ersten Automobilisten: Über den langsamen Beginn 

Jahr

Krafträder

Personenwagen

Lastwagen

55

Insgesamt

1913

20.325

49.760

7.704

77.789

1914

22.457

60.876

9.739

93.072 28,2 %

Neben dem eindrucksvollen Wachstum des Gesamtfahrzeugbestands wurde erstmals im Jahr 1910 der Kraftrad- vom Personenwagenbestand übertroffen. Der Absatz von Lastwagen entwickelte sich aus unterschiedlichen Gründen (s. nähere Angaben in Kapitel 6) erst in den späten Jahren des Kaiserreichs zu einer akzeptablen Größe. Die Anzahl der Fabriken, in denen diese Fahrzeuge produziert wurden, erhöhte sich von 69 im Jahr 1907 auf 124 im Jahr 1912. Es war noch eine kleine Branche mit 13.423 Beschäftigten im Jahr 1907 und 35.877 im Jahr 1912. Die durchschnittliche Anzahl an Beschäftigten betrug pro Betrieb im Jahr 1907 195 Mitarbeiter und 289 Mitarbeiter im Jahr 1912.72 Gleichwohl waren einzelne Unternehmen bereits sehr groß und dominierten die damalige Automobilindustrie. Der kaufmännische Direktor von Daimler, Vischer, berichtete für das Jahr 1905 von einer Arbeiterschaft von 3.700 Mitarbeitern in den Mercedes-Werken (davon 400 im Werk WienNeustadt).73

Grafik 1: Entwicklung des deutschen Fahrzeugbestands seit 1902 in Stückzahlen 72 Horras (1982), S. 342a. In Teil III werden Angaben über die Anzahl der Hersteller, die jemals in Deutschland Autos produzierten, gemacht. Es gab viele Gründungen, aber auch viele Marktaustritte. Die meisten Unternehmen waren nur wenige Jahre im Automobilbau tätig. Besonders in der Weimarer Zeit gaben viele Firmen auf. 73 Allgemeine Automobil-Zeitung, 3. Dezember 1905, S. 29.

56  4 Die ersten Automobilisten: Über den langsamen Beginn

Die Strukturen dieser Betriebe waren, wie bereits erwähnt, mittelständisch und handwerklich durch Werkstattfertigung geprägt.74 Es sollte noch bis zum Jahr 1924 dauern, bis erste deutsche Firmen wie Opel und Brennabor auf Fließbandfertigung umstellten und so die Fertigung eines Wagens von 100 Tagen auf 2,5 Wochen und weniger verkürzten.75 Ford experimentierte bereits seit dem Jahr 1908 mit dem Fließband und setzte das erste bereits im Jahr 1912 in der Gießerei für die Produktion von Kurbelwellen-Gussformen ein.76 Die Industrialisierung in den Prozessen musste in den deutschen Fabriken noch warten. Die Hersteller bemühten sich, mit ihrem Angebot die wachsende Nachfrage zu befriedigen. In den nächsten Kapiteln wird die Nachfrageseite („Early Adopters“) näher beleuchtet.

74 Stahlmann (1993), S. 22 ff. Der Autor arbeitet umfassend die Fortschrittlichkeit und Überlegenheit der frühen amerikanischen Automobilindustrie gegenüber der deutschen heraus. 75 Stahlmann (1993), S. 71 ff. 76 Stahlmann (1993), S. 31 ff.

5 Die Automobilisten des Jahres 1909: Angaben zum Datenbestand Zahlenangaben zu den Early Adopters und Einzelbeispiele von frühen Automobilisten basieren auf einem vom Autor erstellten Datenbestand. Basis des Datenbestands ist ein im Jahr 1909 veröffentlichtes Automobil-Adressbuch, herausgegeben vom Verlag Greiner & Pfeiffer in Stuttgart, welches in Listenform auf 1.220 Seiten jeden einzelnen Kraftfahrzeugbesitzer im Kaiserreich aufführt.1 Da die Angaben aus dem Adressbuch in der vorliegenden Form nicht verwendbar waren – es handelt sich um eine Art Pendant zu einem Telefonbuch – wurde vom Verfasser in einer aufwendigen Datenaufbereitungsaktion zu jeder einzelnen Person ein Datensatz erstellt. Dieser besteht aus den im Adressbuch ausgewiesenen Halter-Informationen wie Name, Vorname, Beruf, gefahrener Fahrzeugtyp und Wohnort. Weiterhin wurden jedem Halter weitere Informationen zugeordnet, wie z. B. Landesbezirk, Fahrzeug-Kennzeichen und Klassenzugehörigkeit.2 Die Datenaufbereitung ermöglichte es, aggregierte Daten aus dem Adressbuch zu gewinnen und in einer sinnvollen Weise datentechnisch auszuwerten. Damit war es möglich, zur gesamten Population der Early Adopters faktenbasierte Aussagen zu treffen, wie zur Schichtenzugehörigkeit der frühen Automobilisten, den Fahrzeugen, die sie fuhren (Fahrzeugkategorien) und zur regionalen Verteilung der Individualmobilisierung im Kaiserreich.3 Im Prozess der Datenaufbereitung konnte der Verfasser eine Vielzahl wichtiger Persönlichkeiten aus der Kaiserzeit identifizieren. Einige dieser Early Adopters werden in Teil II vorgestellt. Der Datenbestand für das Jahr 1909 umfasste 45.356 Personen und Unternehmen, die im Kaiserreich als Fahrzeughalter registriert waren. Die Anzahl der Fahrzeuge war höher, da die Behörden häufig mehrere Fahrzeuge, die zu einem Halter gehörten, in einer Adresszeile in ihren Listen zusammenfassten. Für die Anzahl der im Adressbuch eingetragenen Fahrzeuge ergab sich ein Bestand von 46.850. In einer Reihe von Fällen wurden Personen und Unternehmen im Adressbuch mehrfach aufgeführt, da sie an verschiedenen Wohn- oder Standorten ihre Fahrzeuge gemeldet hatten. Beispielsweise wurden zum Warenhausunternehmen Wertheim, welches vorwiegend in Berlin vertreten war, knapp 50 Einträge verzeichnet, die das Warenhaus als auch die Familie Wertheim betrafen. Wertheim ist ein Extrem1 Das Adressbuch wurde an der TU Braunschweig digitalisiert und ist als PDF-Version abrufbar (Link s. Literaturverzeichnis). 2 Zur Einteilung nach gesellschaftlichen Klassen, s. Teil II. 3 Die Datenerfassung und -aufbereitung durch den Verfasser hat mehr als ein Jahr und hunderte von Arbeitsstunden in Anspruch genommen, um aus dem Adressbuch einen verwertbaren Datenbestand zu erstellen. https://doi.org/10.1515/9783111067704-005

58  5 Die Automobilisten des Jahres 1909: Angaben zum Datenbestand

beispiel. Häufiger waren es zwei oder drei Eintragungen zu verschiedenen Fahrzeugen, die zu einem Halter gehörten. Die Zahl derer mit mehrfachen Einträgen ist überschaubar, wie die Analyse des Datenbestandes ergab. Schätzungsweise dürfte sich die Zahl der Fahrzeughalter um wenige Hundert von 45.356 auf knapp unter 45.000 reduzieren.

Abb. 11: Seite 1 Automobil-Adressbuch4

Die Anzahl der Fahrzeuge im Adressbuch wurde mit den offiziellen Angaben des Statistischen Jahrbuchs 1911 für das Deutsche Reich abgestimmt. Dort sind folgende Zahlen angegeben: 1. Januar 1909 41.727 Fahrzeuge und 1. Januar 1910 49.941 Fahrzeuge.5 Die Zahlen laut Datenbestand Adressbuch für das Jahr 1909: 46.850 Fahrzeuge. Die im Adressbuch verzeichneten Zahlen lassen sich plausibel mit den Meldezahlen des Kaiserlichen Statistischen Amts verproben. Sie liegen zwischen den offiziellen Zahlen zu Beginn und zum Ende des Jahres 1909. Das erscheint nach4 O. V. (1909), S.1. 5 Kaiserliches Statistisches Amt (1911), S. 163.

5 Die Automobilisten des Jahres 1909: Angaben zum Datenbestand



59

vollziehbar, da die im Adressbuch eingetragenen Daten den Fahrzeugbestand zu unterschiedlichen Zeitpunkten widerspiegeln dürften. Immerhin mussten die Herausgeber 1.300 Listen von einer Vielzahl von Behörden im Deutschen Kaiserreich anfordern und im Adressbuch zusammenfassen. Daher passen die Zahlen des Datenbestandes erstaunlich gut zu den offiziellen Statistiken. Weiterhin muss erwähnt werden, dass die Listen einiger Behörden unvollständig waren. Bei 2.955 Fahrzeugen gab es keine Fahrzeugtypbezeichnung. Dies betraf 6,3 % aller Fahrzeuge im Adressbuch. Vier Bezirke waren für knapp 50 % der unvollständigen Angaben verantwortlich: Kreishauptmannschaft Dresden im Königreich Sachsen mit 385 Fahrzeugen, die Provinz Hessen-Nassau in Preußen mit 480 Fahrzeugen, die Rheinprovinz in Preußen mit 263 Fahrzeugen und der Bezirk Unter-Elsass in Elsass-Lothringen mit 387 Fahrzeugen. Diese Fahrzeuge wurden für einige Auswertungen herausgenommen. Das Adressbuch listete diverse Abkürzungen zu Fahrzeugtypen auf, die es nach den Vorschriften eigentlich nicht gab. Entweder handelte es sich um Erfassungsfehler, „freihändig“ vergebene Bezeichnungen (eher unplausibel, da Beamte üblicherweise korrekt nach Vorschriften handeln) oder regionale Besonderheiten, die nach entsprechenden Durchführungsverordnungen erlaubt gewesen sein könnten. Es fällt auf, dass diese „nicht-offiziellen“ Typenbezeichnungen fast ausschließlich in Preußen vorkamen. Da es summarisch aber nur 84 Fahrzeuge betraf, ist dieser Sachverhalt vernachlässigbar. Im Adressbuch wurden zu einigen Fahrzeugbesitzern unvollständige Angaben eingetragen. Entweder unterließen Behörden gänzlich die Erfassung von Berufsangaben oder Eintragungen waren keiner Berufsgruppe zuzuordnen. Pragmatisch wurden diese Personen, die sich z. B. selbst als Rentner, Schüler oder Witwen eingeordnet hatten, dem sonstigen Bürgertum zugerechnet. Das erscheint plausibel, da diese Gruppen sich ein Fahrzeug leisten konnten. Sie wurden entweder vom Elternhaus finanziert (Schüler) oder leisteten sich (häufig) als Witwen ein Luxusfahrzeug. In letzteren Fällen waren sie z. B. als Kommerzienratswitwe oder Konsulswitwe in die Halterlisten eingetragen. Auch gab es Halterinnen, die die Bezeichnung Fabrikantenehefrau trugen und damit natürlich Angehörige des Wirtschaftsbürgertums waren. Völlig intransparent blieb noch eine Gruppe von Haltern, die nur ihren Namen angaben, aber sonst keine weiteren Informationen über sich preisgaben. Diese Minimalangaben wurden offensichtlich von diversen Behörden akzeptiert und ohne Angaben zur Person in die Listen eingetragen. Es handelte sich um 2.189 Personen bzw. 4,8 % aller Fahrzeugbesitzer. Für diverse Analysen wurden nicht klassifizierbare Datensätze nicht berücksichtigt. Der verwendbare Datenbestand umfasste dann aber immer noch knapp 95 % aller Early Adopters im Kaiserreich.

60 

5 Die Automobilisten des Jahres 1909: Angaben zum Datenbestand

Tab. 2: Klassifizierbare und nicht-klassifizierbare Fahrzeuge aus dem Adressbuch Anzahl

Klassifizierbar

Nicht klassifizierbar

Anzahl

Anzahl

%

%

Fahrzeuge

46.850

43.895

93,7 %

2.955

6,3 %

Fahrzeughalter und Organisationen

45.356

43.167

95,2 %

2.189

4,8 %

In den folgenden Kapiteln werden auf Basis des Datenbestandes zahlenbasierte Erkenntnisse zur Individualmobilisierung im Kaiserreich dargestellt. Sie ermöglichen einen Überblick über die diversen Fahrzeugtypen, die sich im Land bewegten (Kapitel 6), skizzieren die regionale Verteilung der Fahrzeuge auf einer Fläche von 541.000 qkm (Kapitel 7), und geben den Individualmotoristen ein Profil auf Basis ihrer Schichtzugehörigkeit und vieler Einzelbeispiele (Kapitel 8 und 9).

6 Fahrzeugkategorien und rechtliche Grundlagen Im Jahre 1909 wurden im Kaiserreich die Kraftfahrzeuge dezentral in den jeweiligen Ländern auf Bezirks- und Stadtebene von den zuständigen Polizei-Behörden in Listenform erfasst. Jedes neu zugelassene Fahrzeug musste vom Eigentümer der Polizeibehörde in seinem Wohnort mitgeteilt werden. Ein Zentralregister, wie es heute vom Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg gepflegt wird, gab es damals noch nicht. Die Listen der Behörden enthielten Namen des Fahrzeugbesitzers, Adresse und das Kennzeichen des Fahrzeugs. Weiterhin wurde der Fahrzeugtyp angegeben. Diese Angaben waren aus steuerlichen Gründen wichtig, da im Jahr 1906 eine reichsweit geltende Kfz-Steuer mit dem Reichstempelgesetz eingeführt wurde, die Fahrzeuge aller Typen nach Zweck und PS-Leistung besteuerte („Stempelabgabe“). Automobile wurden als Luxusfahrzeuge angesehen, da sich der Gesetzgeber im Deutschen Reichstag die Meinung zu eigen machte, dass Kraftfahrzeuge ein Luxus- und kein Gebrauchsgegenstand seien. Die sogenannten Luxuswagenbesitzer, die nach behördlicher Auffassung ihre Fahrzeuge für Luxus-, Vergnügungs- und Sportzwecke fuhren, trugen eine Steuerbelastung, deren Höhe von der PS-Stärke der Fahrzeuge abhängig war. Es gab heftige Proteste gegen diese Steuer, da bestimmte Berufsgruppen wie die Ärzte argumentierten, dass sie die Fahrzeuge für die Patientenversorgung einsetzten, aber es nützte nichts. Die Stempelabgabe bzw. Stempelsteuer wurde eingeführt.1 In praxi unterschieden die Behörden bei ihren Eintragungen dann doch nach dem Zwecke (gewerblich, privat oder Dienstleister wie Ärzte), so dass die Kraftwagen in den Behördenlisten und damit im Adressbuch entsprechend klassifiziert wurden (s. w. u.). Der Begriff Luxuswagen und Luxussteuer war dennoch nicht falsch gewählt – unabhängig von der steuerlichen Motivation des Staates – da sich nur wenige Bürger ein Automobil leisten konnten. Anschaffung, Unterhalt und Abgaben (neben der Luxussteuer noch Benzinsteuer, Pflasterzölle und Chausseegelder) summierten sich zu Gesamtkosten, die sich nur eine kleine Gruppe von Besserverdienenden und Vermögenden leisten konnten. Die Herausgeber des Adressbuchs der Automobilbesitzer mussten seinerzeit mit einer großen Anzahl von Behörden Kontakt aufnehmen, um von ihnen knapp 1.300 Listen zu erhalten, so die Angaben im Vorwort, die dann in einem Adressbuch zusammengefasst wurden. Diese Listen wurden dem Verlag von den Polizeibehörden in den jeweiligen Städten oder Verwaltungsbezirken zur Verfügung gestellt. Das Zusammentragen aller Listen in einem Adressbuch war eine Sisyphusarbeit, 1 Haubner (1998), S. 132 ff. Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Stempelabgabe (Luxussteuer) Zatsch (1993), S. 389 ff. https://doi.org/10.1515/9783111067704-006

62 

6 Fahrzeugkategorien und rechtliche Grundlagen

die aber geleistet wurde, um interessierten Kreisen – vermutlich aus der entstehenden Kraftfahrzeugindustrie und aus der kaiserlichen Verwaltung – einen Gesamtüberblick zu ermöglichen. Die Industrie dürfte an einem Marktüberblick interessiert gewesen sein, um etwas über die unterschiedlichen Käufer und potenziellen Kunden für einen Nachfolgewagen zu erfahren, die Verwaltungsbehörden waren wahrscheinlich eher steuerlich motiviert, um festzustellen, ob die neu erhobene und umstrittene Kfz-Steuer ihre gewünschten Wirkungen erzielte oder die entstehende Industrie schädigte, wie es von Kritikern der neuen Steuer geäußert wurde. Tatsächlich erbrachte diese Steuer nicht das Aufkommen, wie es beabsichtigt war. Sie erzielte im Jahr 1906/07, dem ersten Jahr nach Einführung lediglich 54 % des Planansatzes von 3,5 Mio. Reichsmark. Im zweiten Jahr 1907/08 spielte sie weniger als 50 %, und im dritten Jahr 1908/09 54 % des Planansatzes ein. Erstmalig im Jahr 1911/12 wurden mehr als 3,5 Mio. RM erzielt, was dem starken PKW-Zuwachs zu verdanken war. Im ersten Weltkrieg brach das gesamte Steueraufkommen in sich zusammen und erreichte seinen Tiefpunkt im Jahr 1917/18 mit 0,4 Mio. RM.2

6.1 Fahrzeugkategorien Folgende Fahrzeugkategorien wurden im Adressbuch ausgewiesen: BW.

Wagen zu Berufszwecken

GW.

Wagen zu Geschäftszwecken

KrW.

Kraftwagen

Lxw.

Wagen für Luxus-, Vergnügungs- und Sportzwecke

PW.

Wagen der Fabriken und Händler für Probefahrten (§ 53 Reichstempelgesetz)

TW.

Taxameterdroschken und alle sonstigen im öffentlichen Freiverkehr verwendeten Wagen (§ 29 Abs. 1 Buchst. C der Vorschriften)

LW.

Lastwagen

KrR.

Kraftrad

In den „Grundzügen, betreffend den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, vom 3. Mai 1906“, eine frühe landesweite Regelung zum Verkehrsrecht (s. nächstes Kapitel), wurden für diese Kategorien die Begriffe Bestimmung des Fahrzeugs (Gattung) und Betriebsart verwendet, um die Einteilung nach verschiedenen Autotypen sachgerecht vornehmen zu können. Diese mussten den Polizeibehörden bei der Anmeldung eines Fahrzeugs mitgeteilt werden (§ 4 Inbetriebnahme in den Grundzügen). 2 Haubner (1998), S. 136. Vgl. auch Flik (2001), S. 302, der die Kfz-Steuer-Einkünfte von 1907/08 bis 1937/38 darstellt.

6.1 Fahrzeugkategorien



63

Gattung war der juristisch notwendige Oberbegriff für eine Gruppe von gleichartigen Fahrzeugen, wie Kraftwagen oder Kraftrad. Dies erleichterte die Eintragung eines individuellen Fahrzeugs, da dieses bereits behördlich aufgrund eines Antrags des Automobilherstellers zugelassen war. Die Betriebsart bezeichnete den Kraftträger des Fahrzeugs, wie Benzin-, Dampf- oder Elektromotor. Weiterhin mussten die Anzahl der PS mitgeteilt werden, die als Grundlage für die Berechnung der Stempelabgabe dienten. Durch diese und weitere Angaben konnten die Behörden jedes einzelne Fahrzeug kategorisieren. Die Lesart eines tabellarischen Eintrags war dann exemplarisch wie folgt gestaltet: Ein Fahrzeug wurde mit einem Benzinmotor betrieben, gehörte zur Gattung der Kraftwagen und besaß eine Leistung von 14 PS. Vor der Eintragung in behördliche Listen und Vordrucke waren Fragen, wie die folgenden zu klären: – Wird ein Fahrzeug rein privat eingesetzt, ohne gewerblichen Zweck? – Wird es gewerbsmäßig genutzt? – Werden Fahrzeuge für andere Berufszwecke verwendet? – Wird das Fahrzeug für öffentliche, gemeinnützige Zwecke genutzt, wie dem Nahverkehr? – Werden die Fahrzeuge für besondere Zwecke eingesetzt? Im Folgenden werden die einzelnen Fahrzeugkategorien näher betrachtet.

Kraft- und Luxuswagen Automobile mussten dann weiter unterteilt werden. Rein privat genutzte Fahrzeuge passten zu den im Adressbuch genannten Kategorien Kraftwagen (KrW.) und Luxuswagen (Lxw.). Die genaue Bezeichnung im Adressbuch lautete „Kraftwagen und Wagen für Luxus-, Vergnügungs- und Sportzwecke“. Klapper (1910) definierte als Luxuswagen Fahrzeuge, die aufgrund ihrer Motorstärke eindeutig Luxus- oder Sportzwecken dienten. Seine subjektiv gesetzte Grenze lag bei ca. 16 PS. Fahrzeuge unter dieser Motorstärke könnten nach dieser Lesart durchaus anderen Zwecken dienen, wie der Nutzung als Geschäftswagen (GW.) oder Wagen für Berufszwecke (BW.). Lag ein Fahrzeug über der 16-PS-Grenze gehörte es nach seiner Ansicht in die Luxuskategorie.3 Ein weiterer Grund für die Einstufung der Kraftwagen als Luxusgut waren die enormen Anschaffungskosten für ein Fahrzeug. Die Autobauer der Vorkriegsjahre verfolgten eine enge Fokussierungsstrategie und zielten auf eine zahlungskräftige Klientel, die sich ein teures Auto leisten konnte. Automobile waren so teuer, weil 3 Klapper (1910), S. 85 ff.

64 

6 Fahrzeugkategorien und rechtliche Grundlagen

sie als Einzelstücke gebaut und häufig um Sonderwünsche ergänzt wurden. Es wurden Automobile gefertigt, die durchaus 20.000 bis 30.000 Mark kosteten (z. B. der Opel 60 PS-Landaulet aus dem Jahr 1908) oder noch teurer waren, wie z. B. Fahrzeuge vom Produzenten de Dietrich mit seinem Modell „Gordon-Bennett“ mit 120 PS aus dem Jahr 1905. Das waren natürlich Spitzenlimousinen, vielleicht vergleichbar mit den extrem teuren Bugatti-Fahrzeugen im 21. Jahrhundert, aber sie trugen dazu bei, Automobile als „Spielzeuge“ der Wohlhabenden, also Luxusfahrzeuge, zu sehen.4 Luxusfahrzeuge dieser Art konnten sich nur wenige Wohlhabende leisten. Nach Haubner gehörten zu diesem Personenkreis Menschen mit einem Jahreseinkommen zwischen 35.000 und 40.000 Mark. In Preußen im Jahr 1911 wurden in dieser Einkommensklasse laut Einkommensstatistik lediglich 23.500 Personen von insgesamt 14,8 Mio. Erwerbspersonen (0,2 % der arbeitenden Bevölkerung) registriert.5

Abb. 12: Luxuswagen Benz Typ 24/40-PS, Limousine, Kardanübertragung aus dem Jahr 19106

Wagen für Berufszwecke Gewerbsmäßig genutzte Fahrzeuge entsprachen der im Adressbuch genannten Kategorie der Geschäftswagen (GW.). Diese Kategorie war nach dem Tarif zum Reichsstempelgesetz aus dem Jahr 1906 nicht steuerbefreit, da nur Wagen, die Personenbeförderung durchführten (Taxis), keine Stempelabgabe zahlen mussten. Gewerbsmäßige Fahrzeuge wurden von Gewerbetreibenden gefahren, also Kaufleuten, die ein Gewerbe betrieben. Darunter verstand man nach dem Handelsgesetzbuch i. W. alle Personen und Firmen, die im Handel oder in der industriellen 4 Haubner (1998), S. 60 ff. 5 Haubner (1998), S. 62. 6 Mercedes-Benz Classic

6.1 Fahrzeugkategorien



65

Fabrikation tätig waren (eine detaillierte Beschreibung lässt sich in § 1 HGB i. d. F. vom 1. Januar 1900, Zeitpunkt des Inkrafttretens, nachlesen). Sie setzten ihre Fahrzeuge annahmegemäß primär für Berufszwecke ein und wurden von Fabrikanten, Geschäftsführern, Produktionsleitern und Firmen gefahren.

Abb. 13: Gewerbewagen Dürkopp Modell „Canello“ mit Unternehmer Sally Windmüller im Fond in der Mitte sitzend um 19007

Fahrzeuge für andere Berufszwecke konnten in bewusster Abgrenzung zu den Fahrzeugen zu gewerblichen Zwecken eingeordnet werden, gleichwohl die Unterschiede zwischen einem gewerblichen Fahrzeug und einem für berufliche Zwecke wohl eher fließend waren. Unter die Fahrzeuge zu Berufszwecken (BW.) fielen beispielsweise Automobile für Ärzte (sog. „Doktorwagen“) oder für Landmesser, die mit ihren Fahrzeugen laut Adressbuch in diese Kategorie eingeordnet wurden. Auch diese Fahrzeuge unterlagen der Luxussteuer, gleichwohl entsprechende Lob7 Das Fahrzeug ist ein Modell des Automobilherstellers Dürkopp. Modelle dieser Art mit 6 bis 8 PS Leistung wurden nach dem Vorbild des französischen Herstellers Panhard um die Jahrhundertwende von Dürkopp in Bielefeld gebaut und unter dem Namen „Dürkopp-Canello“ vertrieben. Die Einstufung von Windmüllers Automobil als Gewerbewagen konnte dem Adressbuch entnommen werden. Es ist plausibel, dass Windmüller im Jahr 1909 bereits ein anderes Fahrzeug als das hier abgebildete Modell fuhr. Windmüller war ein Zulieferer der Automobilindustrie. Sein Unternehmen Westfälische Metallindustrie (WMI) fertigte Hupen und Scheinwerfer (s. später weitere Angaben zu Windmüller in Kapitel 9). Ab 1986 firmierte das Unternehmen unter dem Namen Hella, der auf Sallys Ehefrau Helene, Rufname Hella (im Fond links neben Sally sitzend), zurückgeht.

66 

6 Fahrzeugkategorien und rechtliche Grundlagen

bygruppen versuchten, eine Steuerbefreiung zu erhalten. Vermutlich klassifizierten die Behörden damals bereits die Kraftfahrzeuge unterschiedlich, um im Falle einer Gesetzesänderung zu wissen, welches Fahrzeug rein privat und welches gewerblich genutzt wurde.8 Fahrzeuge für öffentliche Zwecke Zu den Fahrzeugen für öffentliche, gemeinnützige Zwecke gehörten nach § 1 der Grundzüge alle Kraftfahrzeuge, die für den öffentlichen Betrieb verwendet wurden, z. B. Omnibusse, Feuerwehrwagen oder Stadtreinigungsfahrzeuge. Diese Fahrzeuge des Nahverkehrs, die eine damals neuartige wie praktische Form von Mobilität ermöglichten und die Erledigung öffentlicher Aufgaben erleichterten, wurden gesondert von den Behörden erfasst. Die Abkürzung für Transportwagen war „TW“. Der Omnibustransport in den Städten war noch jung und begann sich langsam zu entwickeln.9 Es gab in verschiedenen Teilen des Kaiserreichs punktuell Experimente zum Einsatz von Stadt- und Überlandbussen. Auf breiter Linie schienen sich Omnibusse erstmalig in Berlin mit der Gründung einer Omnibuslinie im Jahr 1905 durchzusetzen (s. Abbildung). Fünf Jahre später gab es in Berlin bereits 162 Omnibusse.10 Dieser Fahrzeugtyp wurde als wichtiger Beitrag zur Popularisierung und Akzeptanz des Automobils gesehen. In einem zeitgenössischen Bericht wurde berichtet: Mit Genugtuung kann festgestellt werden, daß heute das Publikum das Auto mit anderen Augen ansieht wie vor wenigen Jahren, und auch die öffentliche Erörterung zu der Angelegenheit hat in sachlichere Bahnen eingelenkt. Niemand sieht in ihm mehr das aufdringliche Sportfahrzeug des reichen Mannes, und niemand möchte das Auto wieder von den Straßen verschwinden sehen. Am wenigsten möchten dies die Bewohner des flachen Landes, welche durch den Motoromnibus die längst ersehnte, auf andere Weise unerreichbare Verbindung mit dem größten Verkehr gewonnen haben oder zu gewinnen hoffen.11

8 Die Tarife aus dem Jahr 1906 blieben allerdings bis zu einer Reform im Jahr 1922 unangetastet. 9 Die erste Omnibuslinie in Deutschland existierte im Jahr 1895 für die 15 km lange Strecke Siegen-Netphen-Deuz. Sie wurde bereits nach acht Monaten wegen diverser Fahrzeugmängel wieder eingestellt. Vgl. dazu Pohl (1995), S. 43 f. 10 Pohl (1995), S. 46. In Berlin wurde der Omnibusverkehr zur Kaiserzeit privatwirtschaftlich durch eine AG, die Allgemeine Berliner Omnibus AG (ABOAG) betrieben, die bereits seit Jahrzehnten über Pferdeomnibuslinien verfügte. Sie ging im Jahr 1928 in die Berliner Verkehrsbetriebe (heutige Bezeichnung) auf, die dem Land Berlin gehören. Im Adressbuch sind diverse Fahrzeuge verzeichnet, die durch die ABOAG betrieben wurden. Auch die Konkurrenz, wie die Große Berliner Motoromnibus Gesellschaft, wurde mit ihren Fahrzeugen im Adressbuch aufgeführt. 11 Zatsch (1993), S. 27, zitiert aus Fleischfresser (1914): Die Motoromnibus-Verbindungen in Deutschland, Berlin. Eine ausführliche Beschreibung zur frühen Entwicklung des Omnibusverkehrs findet sich in Zatsch (1993), ab. S. 26 ff.

6.1 Fahrzeugkategorien



67

Abb. 14: Eröffnungsfahrt des ersten Daimler-Motor-Omnibusses der Allgemeine Berliner Omnibus AG (ABOAG) im November 190512

Besonders gut eigneten sich öffentliche Transportwagen für den Einsatz bei Notfällen. Dazu gehörten beispielsweise Krankenwagen oder Spezialfahrzeuge für die Feuerwehr. Einschlägige Automobilzeitungen aus der Kaiserzeit berichteten immer wieder über neue und leistungsfähigere Modelle für die Feuerwehr.

Abb. 15: Berufsfeuerwehr Breslau mit einem 28/32-PS-Fahrgestell von Daimler Marienfelde im Jahr 191013

12 Mercedes-Benz Classic. 13 Mercedes-Benz Classic.

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6 Fahrzeugkategorien und rechtliche Grundlagen

Lastwagen Fahrzeuge für besondere Zwecke wurden beispielsweise für den Transport von schweren Lasten eingesetzt. Zu dieser Gattung gehörten Lastwagen (LW.). Im Jahr 1896 wurde der erste Lastwagen von Daimler auf den Markt gebracht. Anfangs ähnelte er noch einem Pferdefuhrwerk, zusätzlich ausgestattet mit Motor und Lenkrad. Da dieser Fahrzeugtyp störanfällig und wenig leistungsfähig war, blieb die Nachfrage in den ersten Jahren bescheiden.14 Laut Adressbuch gehörten im Jahr 1909 1.185 Fahrzeuge zu dieser Kategorie. Das entsprach 2,5 % des Gesamtbestands aller Fahrzeuge. Für ein aufstrebendes Industrieland erschien das wenig, doch man sollte berücksichtigen, dass für Lastwagen der Anfangszeit Verwendungszwecke gesucht wurden. Schwertransporte erfolgten durch die Eisenbahn, innerstädtische Transporte durch Pferdefuhrwerke.15 Zudem waren die Zentren der wirtschaftlichen Entwicklung dort gebaut worden, wo Eisenbahnlinien existierten. Züge transportieren Rohstoffe bis an den Ort der Verarbeitung. Überall dort, wo es keine Eisenbahn gab, existierte industrielles Brachland. Erst nach und nach lösten sich Unternehmer aus dem „Korsett“ der schienennahen Ansiedlungen und erschlossen sich Flächen, die abseits der Schiene lagen. Diese Entwicklung wurde durch den Bau von Überlandleitungen zum Transport von Energie ermöglicht, sowie Straßenbau- und Schifffahrtsmaßnahmen. Nun gab es auch sinnvolle Anwendungen für den Lastwagenverkehr, der immer wichtiger wurde. Die Anwendungsvielfalt wurde breiter und damit Konstruktion und Aussehen der LKWs, die sich nach ihrer Nutzfracht richteten. Darunter waren Fahrzeuge, welche Schüttgut und andere Güter mit einer Nutzlast von 3 Tonnen und mehr transportierten und mit bis zu 16 km/h zu ihren Zielorten brachten. Es gab andere Spezial-LKWs, die Chemikalien oder Bier geladen hatten. Auch gab es diverse Kleintransporter, die Nutzlasten bis zu 300 kg für ihre Auftraggeber transportierten. Der Schokoladenhersteller Stollwerck nutzte beispielsweise Kleintransporter, um seine Produkte an die landesweite Kundschaft zu liefern. Statistisch bemerkbar machten sich die LKWs erst zu Beginn der 1920er Jahren, als sie die 50.000-Schwelle überschritten.16

14 Borscheid (1995), S. 23. 15 Der bekannte Weimarer Außenminister Gustav Stresemann (1923 bis 1929) erwähnte in seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 1900 über das Berliner Flaschenbiergeschäft Lastkraftwagen mit keiner Silbe. Sie waren zu dem Zeitpunkt kaum bekannt. Damalige Bierverleger benutzen Pferde für den Transport des Bieres zur Kundschaft, wie er in seiner Arbeit ausführte. Stresemann (1900), S. 54. Erst einige Jahre später wurden Getränke mit Lastwagen transportiert. 16 Für eine umfangreiche Darstellung der Entwicklung des LKWs seit der Kaiserzeit, vgl. Borscheid (1995), S. 23 ff.

6.1 Fahrzeugkategorien 

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Abb. 16: Adler 16/18 HP Kleinlieferwagen (Flaschenbierwagen) für Nutzlasten bis 300 kg im Jahr 190817

Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, war das Militär von LKWs eingenommen, da sie sich hervorragend für Truppen- und Materialtransporte eigneten. Vor dem Krieg förderte das Militär den Bau von LKWs durch Subventionen, ohne jedoch die LKWs selbst zu erwerben. Das hätte den Etat des Militärs zu sehr belastet. Allerdings mussten sich die Betreiber von subventionierten LKWs bereiterklären, diese im Kriegsfall dem Militär zur Verfügung zu stellen.18 Ein zusätzliches interessantes Argument, warum LKWs vom Militär genutzt werden sollten – neben der militärischen Logistik – wurde vom Militärschriftsteller Walter Oertel geäußert, der durch die militärische Nutzung von Lastautomobilen die Möglichkeit sah, dass diese den Beweis der Nützlichkeit erbringen würden. In der Folge würden sie sich dann im Zivilleben durchsetzen, im Privatleben, in der Industrie und der Landwirtschaft.19 Den Durchbruch erreichten LKWs in den Kriegsjahren ab 1916 im Landesinneren des Deutschen Reichs, da Pferde und Bahn nahezu vollständig vom Militär in Beschlag genommen waren und ein Substitutionstransportmittel gefunden werden musste. Bis zum Kriegsende im Jahr 1918 organisierte man 115 Kraftwagenkolonnen im Land, die alles Mögliche (Brennmaterial, Dünger, Metalle u. v. m.) transportierten. Die LKWs hatten damit ihren Nutzwert bewiesen und spielten fortan eine wichtige Rolle für staatliche Ämter.20 17 ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Allgemeine Automobil-Zeitung, 1. November 1908, S. 41. Die o. a. Berliner Brauerei existierte noch bis zum Jahr 1991. 18 Horras (1982), S. 318 ff. Allerdings war der Subventionierung nur bescheidener Erfolg beschieden. In den Jahren 1908 (Start der Subventionierung) bis 1912 wurden laut Horras nur 810 Fahrzeuge subventioniert. 19 Allgemeine Automobil-Zeitung, 23. Februar 1908, S. 6. 20 Borscheid (1995), S. 24 f.

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6 Fahrzeugkategorien und rechtliche Grundlagen

Krafträder Bei der Kategorie Krafträder (KrR.) handelte es sich um Motorräder – der rechtliche Begriff war Kraftrad – die sich dadurch auszeichnen, dass sie zweirädrig und seitlich mit einer Kupplung verbunden sind, die mittels Muskelkraft das Kraftrad anlässt.21 Auch Krafträder waren eintragungspflichtig und wurden mit ihren Haltern im Adressbuch erfasst. Kommerziell zu verkaufende Krafträder gab es seit dem Jahr 1894. Krafträder orientierten sich ihrem Aussehen nach in den Anfangsjahren an den bereits weit verbreiteten Fahrrädern. Ein Grund lag darin, dass Fahrradhersteller in „motorisierten Fahrrädern“ einen neuen Markt sahen und in die Herstellung einstiegen.22 Motorräder wurden weltweit als erste durch Hildebrand & Wolfmüller mit Sitz in München in größeren Stückzahlen produziert.23 Krafträder hatten gegenüber dem Automobil einen Kostenvorteil. Sie waren wesentlich günstiger in Anschaffung, Unterhalt und Steuerabgaben an den Staat.24 Wesentliche Nachteile dagegen waren technische Probleme, die Unfallgefahr, das Platzproblem (in den Anfangsjahren nur ein Sitz für den Fahrer), und ihre NichtNutzbarkeit bei schlechten Witterungsbedingungen, z. B. im Winter.25 Zudem war die Fortbewegung auf einem Motorrad weitaus unbequemer als in einem Automobil. Krafträder waren im Absatz (Stückzahl) einige Jahre erfolgreicher als Automobile, gerieten aber ab dem Jahr 1910 ins Hintertreffen, als der Automobilbestand erstmalig den Motorradbestand übertraf.26 Das lässt sich auch aus dem Adressbuch entnehmen, welches für das Jahr 1909 eine Pattsituation zwischen Automobil und Kraftrad dokumentierte (s. Tabelle 3). PKWs waren mit durchschnittlichen Anschaffungskosten von 7.592 Mark etwa 13-mal so teuer wie Krafträder mit 594 Mark (im Jahr 1906).27 Damit waren Automobile nur für einen sehr kleinen, wohlverdienenden Teil der Bevölkerung erschwinglich, aber auch die weitaus billigeren Krafträder galten noch als zu teuer für die meisten Arbeiter und kleine Angestellte. Für Steinbeck zählten Motorräder in jenen Jahren ebenfalls zu den Luxusgütern. Sie „…dienten lediglich einer dün21 Steinbeck (2012), S. 20 berichtet auch von alternativen Namen, die um die Jahrhundertwende diskutiert wurden, sich aber nicht durchsetzten, wie Kraftfahrrad, Motorzweirad, Töffrad und sogar Treibrad. 22 Steinbeck (2012), S. 23. Zu den Pionieren gehörten Firmen wie Neckarsulmer Fahrradwerke (später unter dem Namen NSU bekannt), Adler und Wanderer. 23 Steinbeck (2012), S. 29. 24 Krafträder kosteten einheitlich 10 Mark Steuern pro Jahr, im Gegensatz zu den Automobilen, die nach PS gestaffelt zwischen 30 Mark und mehreren 100 Mark pro Jahr kosten konnten. 25 Steinbeck (2012), S. 21 ff. 26 Merki (2002), S. 66. 27 Steinbeck (2012), S. 40.

6.1 Fahrzeugkategorien



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nen, technisch interessierten und wohlhabenden Käuferschicht vor allem als Sport- und Freizeitgerät.“28 Wie die Analyse des Adressbuchs belegt, stimmte diese Einschätzung nicht ganz, da schon recht viele Nutzer von Krafträdern aus dem Kleinbürgertum und dem Arbeitermilieu stammten. Motorradindustrielle waren mit der Entwicklung der Motorradindustrie zufrieden, wie sie auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in Berlin im Jahr 1905 in Interviews kundtaten. Der Neckarsulmer Fahrradwerke-Direktor Zeidler führte aus, dass die Kapazitäten seines Werks nicht ausreichten, um die Nachfrage des Jahres 1904 zu decken. Der Allright Fahrradwerke-Direktor Windmüller lobte die guten Absatzbedingungen im Kaiserreich („außerordentlich fruchtbarer Boden“) und sah das Motorzweirad als „Sprungbrett zum Automobil.“29 Die beiden folgenden Abbildungen dokumentieren die Entwicklung des Motorrads über einen Zeitraum von zehn Jahren. Ähnelte es am Anfang noch dem Fahrrad, waren Maschinen wie die Zeus schon sehr sportlich unterwegs.

Abb. 17: Das erste Serienmotorrad der Welt von Hildebrand & Wolfsmüller um 1894 entwickelt30

28 Steinbeck (2012), S. 43. 29 Allgemeine Automobil-Zeitung, 12. Februar 1905, S. 11 f. 30 ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Allgemeine Automobil-Zeitung, 25. Dezember 1904, S. 27. Am Lenker der Wiener Niederlassungsleiter Karl Schug.

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6 Fahrzeugkategorien und rechtliche Grundlagen

Abb. 18: Modell Zeus des Motorradherstellers Ch. Linser aus dem Jahr 190431

Die soeben beschriebenen Kategorien lassen sich zu Personenkraftwagen, Lastkraftwagen und Krafträder zusammenfassen. Nicht identifizierbare Kategorien sind unter Sonstiges aufgeführt. Darunter befinden sich 2.955 Fahrzeuge, zu denen es keine Angaben zur Kategorie im Adressbuch gab und 84 Fahrzeuge, die unter nicht behördlich bekannten Fahrzeugkategorien geführt wurden. Entweder handelte es sich hierbei um Eingabefehler in den Ämtern oder individuell gewählte Fahrzeug-Abkürzungen aufgrund lokaler Entscheidungen. Tab. 3: Aufteilung Fahrzeuge nach Kategorien der Behörden im Jahr 1909 in Stück und % Personenkraftwagen

Last- Kraftwagen räder Lxw.

PW.

Sons- Getiges samt

BW.

GW.

KrW.

TW.

Gesamt

LW.

2.429

3.537

2.059 10.701 1.869 945

21.540

1.185 21.086 3.039 46.850

5,2 %

7,6 %

4,4 %

46,0 %

2,5 %

22,8 % 4,0 %

2,0 %

KrR.

45,0 % 6,5 %

100,0 %

31 ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Allgemeine Automobil-Zeitung, 1. Januar 1905, S. 35. Dieser Bolide war sehr schnell. Er schlug laut Zeitungsbericht in einem Rennen seine Konkurrenten, obwohl diese bereits 20 Runden Vorsprung hatten, denn der Zeus-Fahrer erschien zu spät zum Rennen. Mit diesem Rennen wurde der Hersteller Linser bekannt.

6.2 Rechtliche Grundlagen



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6.2 Rechtliche Grundlagen Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, konnte man die Fahrzeugkategorien bereits aus den „Grundzüge[n], betreffend den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, vom 3. Mai 1906“ herauslesen. Durch diese vom Bundesrat (Versammlung der einzelnen Staaten im Deutschen Reich) verabschiedete Regelung gab es erstmalig den Verauch landesweit ein einheitliches Verkehrsrecht zu etablieren, welches als Grundlage (daher der Begriff Grundzüge) für einzelstaatliche Verkehrsrechtsregelungen zu gelten hatte. Der Bundesrat ersuchte die Einzelstaaten, sich an diesen Grundzügen zur Regelung des Verkehrsrechts zu orientieren. Laut dem Reichsverband der Deutschen Automobilindustrie wurde damit bereits faktisch bereits ein einheitliches Verkehrsrecht geschaffen, selbst wenn es noch keinen reichsweit geltenden Gesetzescharakter hatte. Er kommentierte das wie folgt: Gleichwohl bestand schon seit dem Jahr 1906 tatsächlich ein einheitliches Recht für den Verkehr der Kraftfahrzeuge. Der Bundesrat hatte Grundzüge betreffend den Verkehr vom 3. Mai 1906 aufgestellt, deren Annahme er den verbündeten Regierungen zwecks Vereinheitlichung des Kraftfahrzeugverkehrsrechts empfahl. Die Bundesregierungen führten dann mit Wirkung zum 1. Oktober 1906 die Vorschriften der Grundzüge teils im Verordnungs-, teils im Gesetzeswege ein. Als man sich entschloß, das ursprünglich nur zur Regelung der Haftpflicht aus dem Betrieb von Kraftfahrzeugen bestimmte Gesetz zu einem solchen über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen zu erweitern, dienten die Grundzüge als Ausgangspunkt für die Regelung des Verkehrs selbst.32

Bis zu einem landesweit geltenden Verkehrsrecht dauerte es dann noch drei weitere Jahre, bis am 3. Mai 1909 das „Gesetz über den Verkehr mit Straßenfahrzeugen“ verabschiedet wurde. Mit diesem Gesetz wurden Verkehrsvorschriften, Haftpflicht- und Strafrechtsregelungen eingeführt. Einhergehend mit diesem Gesetz wurde am 3. Februar 1910 die „Bekanntmachung, betreffend die Regelung des Verkehrs mit Kraftfahrzeugen“ verabschiedet, die sich auf das Gesetz vom 3. Mai 1909 bezog. Diese Verordnung wiederum enthielt viele Vorschriften aus den Grundzügen. Zusammenfassend kann man festhalten, dass in den Jahren 1906 bis 1910 die Grundlagen für ein einheitliches Verkehrsrecht mit den Hauptfeldern Zulassung, Verkehrsregularien, Haftpflicht und Strafrecht geschaffen wurden. Die Rechtslage davor wurde durch Regelungen in den jeweiligen Ländern oder Städten regional bestimmt. Die erste Verkehrsvorschrift im Deutschen Reich wurde durch das Bezirksamt Mannheim am 20. September 1888 verkündet. Sie umfasste eine Seite, war handschriftlich verfasst, und regelte, dass der „Patentmotorwagen“ der Gasmotorenfa32 Reichsverband der Deutschen Automobilindustrie (1926), S. 52.

74  6 Fahrzeugkategorien und rechtliche Grundlagen

brik von Benz & Cie bei Begegnungen mit Pferdefuhrwerken das Tempo verlangsamen sollte, um ein Scheuwerden der Pferde zu verhindern.33 Interessanterweise hatte wenige Wochen zuvor am 1. August 1888 Carl Benz den ersten Führerschein im Kaiserreich vom Bezirksamt Mannheim erhalten, der ebenfalls handschriftlich ausgestellt war.34 Spannende Einsichten in die Diskussion um das frühe Automobilwesen und die Einführung eines Verkehrsrechts ermöglichte eine Debatte im Reichstag vom 12. Februar 1908. Sie war weniger interessant wegen rechtlicher Erörterungen, sondern wegen der unterschiedlichen Haltung diverser Abgeordneter zur Automobilisierung und den damit verbundenen Pro- und Kontra-Argumenten. Hier wurden Argumente zu Themen, die damalige Parlamentarier in Bezug auf das Automobil bewegten, ausgetauscht. Debattiert wurden u. a. durch Automobile verursachte Schäden, für die es noch keine Haftplicht gab, „anmaßend“ fahrende Automobilisten, die auf Fußgänger keine Rücksicht nahmen, die Forderung nach einer besseren Ausbildung der Chauffeure, der „Automobilunfug“ durch AutorennenWettbewerbe, die zu hohen Geschwindigkeiten, die auf den Straßen herrschten, Unfallgefahren und die dadurch verursachten vielen Todesfälle, sowie die Verunreinigung der Luft („Ausdünstungen“) durch Automobile. Es herrschte die Einsicht vor, dass es diversen Regulierungsbedarf durch den Gesetzgeber gab, ohne jedoch den Autoverkehr ungebührlich einzuschränken. Ein Abgeordneter sagte: „Bei gesetzlichen Maßnahmen wird man darauf Rücksicht nehmen müssen, dass unsere blühende Automobil-Industrie nicht geschädigt wird.“ Ein anderer Abgeordneter führte aus: „Wir müssen uns vertragen, der Automobilverkehr und der andere Verkehr, und wir werden uns vertragen. Wie nervös war man vor zehn Jahren bei den elektrischen Straßenbahnen, und das hat sich doch auch gegeben! Unnachsichtige Bestrafung der Rowdies und aller Auswüchse, aber Maßhalten in den Bestimmungen, die den gesunden Automobilismus schädigen könnten. Also den Bogen nicht zu straff spannen, aber ohne Schikane, jedoch Strenge gegen zu schnelles Fahren vorgehen!“ Die Parlamentarier verwahrten sich gegen eine Einmischung der Adelskaste in das geplante Automobilgesetz, namentlich Prinz Heinrich, denn es seien gerade diese, die zu schnell führen und dem Automobilwettrennen frönen würden („Hauptmatadore des Automobilsports“). Eine Einmischung in die Ausgestaltung eines Automobilgesetztes wurde in der Debatte durch einen Staatssekretär scharf zurückgewiesen („Die Verwaltung ist ganz selbständig gewesen, es ist in keiner Weise ein Einfluss ausgeübt worden.“). Prinz Heinrich selbst wurde mit folgenden Worten zitiert, die er auf einem Bankett zur Eröffnung der Automobilmesse in 33 Horras (1982), S. 356. 34 Merki (2002), S. 321.

6.2 Rechtliche Grundlagen



75

Berlin geäußert hatte: „Wir sehen ihm (Anm.: dem Automobilgesetz) mit voller Ruhe und Zuversicht entgegen.“35 Einige Aussagen in den Folgekapiteln beziehen sich auf die Grundzüge und das Reichsstempelgesetz aus dem Jahr 1906, da zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Adressbuchs die neueren Regelungen der Jahre 1909 und 1910 noch im Entstehen waren oder gerade erst verabschiedet wurden. Da die neueren Gesetze auf den Grundzügen von 1906 aufbauten, ist der Informationsgehalt der folgenden Ausführungen nicht gemindert.

6.2.1 Angaben zum Reichsstempelgesetz aus dem Jahr 1906 Im Jahr 1906 wurde mit dem Reichsstempelgesetz ein wichtiges Gesetz zum Betrieb von Fahrzeugen eingeführt. Erst dadurch war es möglich, ein Adressbuch, wie das vorliegende, zu erstellen, da nun die vorherrschenden dezentralen rechtlichen Regelungen zu Kraftfahrzeugen vereinheitlicht und damit für das gesamte Reichsgebiet galten. Das Reichsstempelgesetz vom 3. Juni 1906 regelte unter anderem Erlaubniskarten (entspricht der heutigen Zulassung) zur Nutzung von Fahrzeugen im Straßenverkehr, als auch die Steuer für diese Fahrzeuge („Stempelabgabe“). Laut Gesetz mussten die Kraftfahrzeugbesitzer bei den Behörden neben dem Namen auch den Stand und die „Wohnung“ (Adresse) angeben. Weitere erforderliche Angaben waren Gattung des Fahrzeugs und die Pferdestärken (PS). In den Ausführungsbestimmungen vom 15. Juli 1906 zum Reichsstempelgesetz vom 3. Juni 1906 wurden in den §§ 103 ff. die Regelungen für Erlaubniskarten detailliert beschrieben. U. a. sind dort Formvordrucke aufgeführt, die die notwendigen Angaben bei der Anmeldung eines Fahrzeugs enthielten. Diese Angaben dienten dann als Grundlage für die Behörden zur Führung ihrer „Kurzlisten“, die dem Adressbuch zu Grunde liegen. In diesem Formular waren alle Informationen enthalten, die später im Adressbuch aufgeführt wurden. Die angegebenen PS des jeweiligen Fahrzeugs bildeten die Grundlage für die Höhe der Stempelabgabe. Der Mindesttarif als Grundbetrag lag bei 10 Mark für Krafträder, und zwischen 25 und 150 Mark für Kraftwagen mit mehr als 25 „Pferdekräften“. Hinzu kam noch ein gestaffelter Betrag von 2 bis 10 Mark pro „Pferdekraft“. Verfügte ein Fahrzeug beispielsweise über 6 PS, mussten jährlich 25 Mark Grundbetrag (Tarif Kraftwagen bis 6 PS) plus ein variabler Betrag von 12 Mark (6 PS mal 2 PS pro PS) gezahlt werden, also insgesamt 37 Mark.

35 Allgemeine Automobil-Zeitung, 23. Februar 1908, S. 29 ff.

76  6 Fahrzeugkategorien und rechtliche Grundlagen

Abb. 19: Vordruck der Behörden zur Anmeldung eines Fahrzeugs (Spalte 1 bis 9)36

Die Steuertarife bei leistungsstärkeren Wagen waren dermaßen hoch, dass nur Wohlhabende sich PS-stärkere Wagen leisten konnten. Das lässt sich mit folgender Rechnung belegen: Für einen Kraftwagen mit 30 PS musste ein jährlicher Tarif von 150 Mark Grundbetrag plus 300 Mark (30 mal 10 Mark pro PS) entrichtet werden, also in Summe 450 Mark. Um einen Betrag von 450 Mark seiner Höhe nach einschätzen zu können, bietet sich ein Vergleich zu den Einkommensgrößen der arbeitenden Bevölkerung in Preußen, dem mit Abstand größten Landesteil, an. Im Jahr 1906 betrug das Einkommen von 65 % der arbeitenden Bevölkerung weniger als 900 Mark p. a. Dieses Einkommen war derart gering, dass es einkommensteuerfrei gestellt war. Die nächste Einkommenskohorte mit einem Einkommen zwischen 900 und 3.000 Mark umfasste knapp 31 % der Einkommensbezieher. Damit bezogen 96 % aller Einkommensbezieher in Preußen bzw. knapp 13 Millionen Menschen (ohne Angehörige gerechnet) ein jährliches Einkommen von maximal 3.000 Mark. Ein leistungsstarkes Fahrzeug mit angenommenen 30 PS hätte den Halter einer einkommensschwachen Familie, die steuerfrei gestellt war (< 900 Reichsmark Einkommen p. a.), 50 % des jährlichen Einkommens allein nur für die Stempelabgabe gekostet. Hinzu kamen noch die Anschaffungskosten für das Fahrzeug, sowie der laufende Unterhalt. Vermögendere Schichten dagegen hatten auskömmliche Einkommen, waren aber ihrer Anzahl nach sehr klein. Die höchsten Einkommen (ab 6.500 Reichsmark 36 Isaac (1907), S. 318.

6.2 Rechtliche Grundlagen



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p. a.) erzielte ein Kreis von etwa 183 Tausend Personen. Dies entsprach etwa 1,4 % aller Einkommensbezieher in Preußen. Engt man den Kreis noch weiter ein, z. B. auf die Einkommensgruppe ab 9.500 Reichsmark, reduzierte sich die Anzahl der Personen auf 93,8 Tausend bzw. 0,7 % aller Einkommensbezieher.37 Diese Angaben belegen, dass sich 96 % der Bevölkerung kein Auto leisten konnten. Damit war der potenzielle Kreis der Kunden im Kaiserreich für die Automobilindustrie klein. Das erklärt auch, warum die deutschen Automobilhersteller schon sehr früh in den Verkauf ihrer Fahrzeuge ins Ausland einstiegen. Sie erhöhten damit den möglichen Absatzmarkt. Durch den Export wurde ein enger Markt wieder breiter. Selbst der Staat tat sich aufgrund der Höhe der Kosten schwer, Automobile als Behördenfahrzeuge anzuschaffen. Anekdotische Evidenz bietet ein stenografischer Bericht einer Berliner Stadtverordnetenversammlung, die im Jahr 1907 über den Antrag, ein Automobil für 34 Magistratsmitglieder anzuschaffen, zu entscheiden hatte. Ein Abgeordneter verlautbarte: Meine Herren, die Anschaffung von Automobilen ist ein sehr kostspieliges Ding. Ein Automobil mit 38 bis 40 Pferdekraft und anständiger Karosserie, wie solche nötig ist, kostet 25.000 Mark […] Aber, meine Herren, die Anschaffungskosten sind im Vergleich zu den Unterhaltskosten gering. Ein Automobil zu unterhalten, kostet jährlich minimal 10 bis 12.000 Mark […] Hat man aber Pech mit den Pneumatiks und den Gummidecken, so reicht diese Summe noch nicht aus, sondern kann sich leicht auf 14.000 Mark erhöhen […] Ich selbst halte von der Anschaffung von Automobilen für den Magistrat nicht viel, da ich glaube, daß es nicht durchzuführen sein wird. 38

Die Berechnung der Stempelsteuer erfolgte durch die Behörden und wurde auf dem abgebildeten Formblatt ab Spalte 10 eingetragen. Der Kraftfahrzeugbesitzer erhielt von den Behörden eine Bescheinigung, die sog. Steuerkarte, die belegte, dass das Fahrzeug angemeldet und die Steuer entrichtet war. Die Gültigkeit betrug ein Jahr und musste nach Ablauf erneut verlängert werden. Die Steuer wurde ebenfalls wieder abgeführt.

37 Helfferich (1913), S. 101. Helfferich führte nur absolute Zahlen auf. Zusammenfassungen und Prozentangaben wurden vom Autor ermittelt. 38 Zatsch (1993), S. 395.

78  6 Fahrzeugkategorien und rechtliche Grundlagen

Abb. 20: Vordruck der Behörden zur Anmeldung eines Fahrzeugs (ab Spalte 10)39

Abb. 21: Seite 1 der Steuerkarte eines Kraftfahrzeugbesitzers40

39 Isaac (1907), S. 319. 40 Isaac (1907), S. 321

6.2 Rechtliche Grundlagen



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Abb. 22: Seite 2 der Steuerkarte eines Kraftfahrzeugbesitzers41

6.2.2 Grundzüge zum Verkehr mit Kraftfahrzeugen Neben dem Reichsstempelgesetz wurden vom Bundesrat die „Grundzüge betreffend den Verkehr mit Kraftfahrzeugen“ am 3. Mai 1906 erlassen.42 Hierbei handelte es sich um kein Gesetz oder eine Verordnung, sondern um ein Ersuchen des Bundesrats an die verschiedenen Landesregierungen, den Kraftfahrzeugverkehr einheitlich nach Maßgabe der Grundzüge zu regeln. Wie bereits erwähnt, galten diese Grundzüge faktisch als landesweites Automobilrecht und wurden im Jahr 1909 in eine gesetzliche Regelung überführt. Da der Bundesrat die Vertretung der Länder im politischen System des Kaiserreichs war, dienten die Grundzüge als Basis für die jeweiligen Landesverordnungen bzw. einer landesweit einheitlichen Regelung. In den Grundzügen wurden Angaben zum Führen eines Fahrzeugs, sei es ein Automobil oder ein Kraftrad, geregelt. Die notwendigen Angaben zum Fahrzeug und Halter wurden in § 4 Inbetriebnahme der „Grundzüge, betreffend den Verkehr mit Kraftfahrzeugen“ vorgeschrieben. Wichtige Angaben umfassten beispielsweise – Definitionen – Zuständigkeiten – technische Details

41 Isaac (1907), S. 322. 42 Isaac (1907)

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6 Fahrzeugkategorien und rechtliche Grundlagen

Vorrichtungen am Fahrzeug (z. B. Nummernschild, Laterne, Warnsignalgebung durch eine „Huppe“ [Anm.: damals noch mit zwei p geschrieben]) Angaben zum Eigentümer eines Fahrzeugs (z. B. musste er ein Zeugnis zum Fahren eines Fahrzeugs nachweisen, dem Vorläufer des Führerscheins) eine Altersgrenze zum Führen eines Kraftfahrzeugs (18 Jahre, § 14 der Grundzüge).

Weitere Regelungen befassten sich mit Geschwindigkeiten in geschlossenen Orten (15 km/h, angelehnt an das „Zeitmaß eines im gestreckten Trabe befindlichen Pferdes“, § 17 der Grundzüge) und Geschwindigkeiten außerhalb geschlossener Ortschaften (keine Geschwindigkeitsbegrenzung; darf „insoweit erhöht werden, als der Fahrer in der Lage bleibt, unter allen Umständen seinen Verpflichtungen Genüge zu leisten“; § 17 der Grundzüge). Die Ablehnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung, die bis heute von vielen Autofahrern geteilt wird, hatte ihren Ursprung bereits in den Anfängen der Automobilisierung. Im Kommentar zu der Grundzüge-Verordnung des Jahres 1906 wurde der damalige französische Generalinspekteur für Brücken und Chausseen zitiert, der auf einem internationalen Automobilkongress in Paris vortrug: „In der Tat ist die Schnelligkeit die Seele eines Kraftfahrzeugs. Das Kraftfahrzeug hätte nicht erfunden zu werden brauchen, wenn nicht das Bedürfnis bestanden hätte, wie auf anderen Gebieten des Lebens, so auch auf der alten Landstraße sich von der begrenzten Kraft der menschlichen oder tierischen Gehorgane zu emanzipieren.“43 Der Kommentar führte weiter aus, dass es bereits damals viel Gegenwind gegen Fahrten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung gab, was in Juristenkreisen der „furor automobilis“ genannt wurde. Immerhin erreichten Automobile bereits in der ersten Dekade des 20. Jh. laut Kommentator Geschwindigkeiten zwischen 75 und 84 km/h, auf Rennstrecken sogar zwischen 160 (im Jahr 1902) und 180 km/h (im Jahr 1904), eine Leistung, die „einen Schnellzug beschämen“ würde. Krafträder mit 3 PS erreichten bereits Geschwindigkeiten von 50 km/h. Als vernünftig auf Landstraßen wurde für Automobile eine Geschwindigkeit von 30 km/h angesehen, die damit doppelt so schnell wie ein Pferd waren. Die individuell zu erreichende Geschwindigkeit faszinierte viele Menschen, die sich aus diesem Motiv ein Automobil zulegten oder an Wettrennen teilnahmen (vgl. Ausführungen in den Kapiteln 3 und 4).44 Der Nachweis einer Geschwindigkeitsüberschreitung war schwer zu führen, denn viele Fahrzeuge besaßen noch kein Tachometer und die „Apparaturen“ der 43 Isaac (1907), S. 163. 44 Bilder aus der Kaiserzeit, die Fahrer in ihren Automobilen vor oder nach Wettrennen zeigen, lassen heute noch den großen Stolz der frühen Automobilisten auf ihre Fahrzeuge spüren.

6.2 Rechtliche Grundlagen



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Behörden zur Geschwindigkeitsmessung galten als fehleranfällig. Das Tachometer in einer nutzbaren Form wurde erst im Jahr 1902 von Otto Schulze erfunden (Patentschrift Nr. 146134 vom 7. Oktober 1902, Kaiserliches Patentamt) und brauchte noch einige Jahre, bis es in Serie angefertigt wurde.45 Erschwerend kam hinzu, dass Augenzeugenberichten zu diesem Delikt keine große Glaubwürdigkeit beizumessen war, da ein Schätzen der Geschwindigkeit als höchst subjektiv und fehleranfällig galt. Daher war dann meistens ein Gutachten zu erstellen, wenn es zu einem gerichtlichen Verfahren kam. In dem Zusammenhang darf man ferner nicht vergessen, dass der Bodenbelag vieler Landstraßen damals noch sehr schwach entwickelt und nicht befestigt war, denn die Straßen waren für Pferde, Kutschen, Fuhrwerke und Fußgänger gebaut worden. Es handelte sich im Regelfall um Straßen mit einer Schotterdecke, die für Fahrzeuge mit ihrem Gewicht und ihrer Geschwindigkeit nicht geeignet waren.46 Schnell fahrende Automobile sorgten für Staubverwirbelungen und Staubwolken. Diese waberten minutenlang in der Luft umher und sanken dann am Straßenrand nieder. Diese „Staubplage“ führte zu viel Unmut bei der betroffenen Bevölkerung und zu Protesten.47 Die Teerung von Straßen, die dafür sorgte, dass die Schotterschicht verfestigt wurde, war bereits bekannt, aber sehr kostspielig. Bis die Behörden das Problem lösten, vergingen noch Jahrzehnte. Es gab Phasen, in denen es mit dem Straßenbau vorwärtsging, aber auch immer wieder empfindliche Rückschläge, z. B. wegen der Kriegsfolgen. Eine stetige Verbesserung im Straßenbau gelang dem Land erst nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 und einer gesetzlichen Neuregelung der Zuständigkeiten bei der Entwicklung und Pflege des Straßennetzes.48 Eine weitere Regelung in den „Grundzügen“ betraf das Verhalten des Autofahrers bei entgegenkommenden Verkehrsteilnehmern (z. B. Fußgänger, Fuhrwerke Radfahrer oder Viehtreiber). In § 18 wurde der Autofahrer gesetzlich angehalten, sich durch ein „Warnungszeichen“ (Hupen, ggfs. lautes Rufen), bemerkbar zu machen.49 Das von anderen Verkehrsteilnehmern als rücksichtslos empfundene laute Verhalten von Automobilisten war also schlicht ein gesetzliches Erfordernis, welches ansonsten zu einer verschuldensbedingten Haftung führen konnte, wenn nicht gehupt wurde und ein Unfall passierte. Ferner galt, dass das Führen des Fahrzeugs bei Pflichtverletzungen untersagt werden konnte (§ 27 der Grundzüge). Vor dem Jahr 1909 konnte ein Führerschein

45 46 47 48 49

Wessel: in Niemann, Hermann (1995), S. 258. Von Kirchbach: in Niemann, Hermann (1995), S. 79 f. Fraunholz (2002), S. 81. Von Kirchbach in: Niemann, Hermann (1995). Isaac (1907), S. 183 ff.

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6 Fahrzeugkategorien und rechtliche Grundlagen

noch nicht entzogen werden, da die Führerscheinpflicht erst später in einem weiteren Gesetz geregelt wurde, dem Kraftfahrgesetz, welches auf den 3. Mai 1909 datiert ist. Verstieß der Halter gegen die vorliegenden Bestimmungen zum Führen eines Fahrzeugs, konnte er mit einer Geldstrafe oder Haft bis zu 14 Tagen belegt werden. Hierzu wurde auf die Regelung im Reichsstrafgesetzbuch (§ 366 Nr. 10) verwiesen. Die Grundzüge waren ein Meilenstein auf dem Weg zu einem allgemein, landesweit geltenden Recht für den Automobilverkehr.

7 Wie sah die regionale Verteilung der Fahrzeugbesitzer im Kaiserreich aus? Das Deutsche Kaiserreich war ein seit dem Jahr 1871 existierender Bund aus 22 souveränen König-, Fürsten- und Herzogtümern, sowie den drei freien Hansestädten Hamburg, Bremen und Lübeck. In den 25 größten Städten des Reichs lebten knapp 19 % aller Einwohner. Weitere 31 % wohnten in Städten mit mehr als 5.000 Einwohnern. 50 % der Gesamtbevölkerung, ungefähr 32 Millionen Menschen, lebten auf dem Land in ihren Dörfern oder in Kleinstädten mit weniger als 5.000 Einwohner.1 Es gab weltmännische Metropolen, wie Berlin, aber auch viel Provinz. Hegemonialstaaten wie Preußen standen neben Kleinstgebilden wie dem Fürstentum Lippe. Über den Bundesrat, einem wichtigen verfassungsmäßigen Organ, wirkten die Länder an der politischen Willensbildung im Kaiserreich mit.2 Die verwaltungstechnische Einteilung der Polizeibehörden für Kraftfahrzeuge umfasste 28 Bezirke. Zu den 25 offiziellen Bundesteilen kamen zusätzlich drei weitere Bezirke: das Fürstentum Lübeck, das Fürstentum Birkenfeld und Elsaß-Lothringen, welches als Folge des Deutsch-Französischen Kriegs im Jahr 1871 annektiert wurde. Zwei dieser drei zusätzlichen Verwaltungseinheiten waren relativ klein, gemessen an der Einwohnerzahl. Das Fürstentum Lübeck war Heimat von knapp 41.000 Menschen und wurde verwaltungstechnisch dem Großherzogtum Oldenburg zugeordnet.3 Das Fürstentum Birkenfeld verfügte über eine Bevölkerungsgröße von etwa 43.000 Einwohnern und war ebenfalls ein Landesteil von Oldenburg.4 Elsaß-Lothringen galt als Sonderfall, da es als „Kriegsbeute“ und „strategische Grenze“ (eine Konzession Bismarcks und des Kaisers Wilhelm I. an die Militärs unter Moltke, dem Generalstabschef, der eine Revanche Frankreichs für die Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg fürchtete) von Frankreich auf Deutschland überging. Es erhielt jedoch rasch Rechte als neuer Landesteil von Deutschland und durfte ab dem Jahr 1874 an den Wahlen zum Deutschen Reichstag teilnehmen. Die Einwohnerzahl betrug im Jahr 1905 1,8 Millionen Menschen.5 Die vielfältigen Erscheinungsformen des Deutschen Reichs als Staatenbund spiegelten sich auch in der Verwaltungseinteilung der Kraftfahrzeuge wider.

1 2 S. 3 4 5

Kroll (2013), S. 99. Eine Beschreibung der Regionen und ihre Unterschiedlichkeit lässt sich bspw. in Kroll (2013) ab 97 ff. nachlesen. Angaben laut Gemeindeverzeichnis.de für das Fürstentum Lübeck im Jahr 1900. Angaben laut Gemeindeverzeichnis.de für das Fürstentum Birkenfeld im Jahr 1900. Kaiserliches Statistisches Amt (1910), S. 1.

https://doi.org/10.1515/9783111067704-007

84 

7 Wie sah die regionale Verteilung der Fahrzeugbesitzer im Kaiserreich aus?

Tab. 4: Bundesstaaten im Kaiserreich mit der Anzahl unterschiedlicher Fahrzeugkennzeichen Bundesstaaten

Regierungsform

Bayern

Königreich

10

Preußen

Königreich

14

Sachsen

Königreich

5

Württemberg

Königreich

13

Mecklenburg-Schwerin

Großherzogtum

1

Mecklenburg-Strelitz

Großherzogtum

1

Herzogtum Oldenburg

Großherzogtum

1

Sachsen-Weimar

Großherzogtum

1

Baden

Großherzogtum

1

Hessen

Großherzogtum

3

Anhalt

Herzogtum

1

Braunschweig

Herzogtum

1

Sachsen-Koburg und Gotha

Herzogtum

1

Sachsen-Altenburg

Herzogtum

1

Sachsen-Meinigen

Herzogtum

1

Lippe

Fürstentum

1

Reuß, ältere Linie

Fürstentum

1

Reuß, jüngere Linie

Fürstentum

1

Schaumburg-Lippe

Fürstentum

1

Schwarzburg-Rudolstadt

Fürstentum

1

Schwarzburg-Sondershausen

Fürstentum

1

Waldeck

Fürstentum

1

Bremen

Freie Stadt

1

Hamburg

Freie Stadt

1

Lübeck

Freie Stadt

1

Fürstentum Lübeck

Oldenburg zugeteilt

1

Fürstentum Birkenfeld

Oldenburg zugeteilt

1

Elsaß-Lothringen

Teil Kaiserreich seit 1871

3

28

Anzahl Kennzeichen

70

28 Verwaltungseinheiten verfügten über 70 verschiedene Kennzeichen, mit denen die einzelnen Regionen ihre Bezirke weiter unterteilten. Die Anzahl der Kennzeichen repräsentierte die Größe des jeweiligen Landesteils. Preußen als größter Landesteil verfügte über vierzehn verschiedene Kennzeichen, beginnend mit IA für

6.2 Rechtliche Grundlagen



85

Berlin und endend mit IZ für die Rheinprovinz. Es folgten Württemberg (13 Kennzeichen), Bayern (10 Kennzeichen) und Sachsen (5 Kennzeichen). Hessen und Elsass-Lothringen verfügten über jeweils drei Kennzeichen, alle übrigen Landesteile hatten nur jeweils ein Kennzeichen. Bis heute erhalten haben sich die Kennzeichen der freien Städte, wie HB für Hansestadt Bremen, HH für Hansestadt Hamburg und HL für Hansestadt Lübeck. An das jeweilige Regionalkennzeichen wurden Ziffern angehängt, um das individuelle Fahrzeug identifizieren zu können. IA 1 und IA 2 in Berlin gehörten im Jahr 1909 beispielsweise einem Rudolf Hertzog, der zwei Geschäftswagen (GW.) angemeldet hatte.6 Das letzte Fahrzeug in Berlin in der vorliegenden Liste trug das Autokennzeichen IA 6306 und gehörte zur Gasanstalts-Betriebs-Gesellschaft in Berlin-Charlottenburg. Es handelte sich um einen Luxuswagen und damit um ein Fahrzeug, welches vermutlich von der Geschäftsleitung gefahren wurde. Tab. 5: Die Kennzeichen des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1909 Kennz.

Bezirk

Kennz.

Bezirk

Kennz.

Bezirk

A

Anhalt

IA

Preußen, Landespolizeibezirk Berlin

III A

Württemberg, Stuttgart Stadt

B

Braunschweig

IC

Preußen, Provinz Ostpreußen

III C

Württemberg, Backnang, Besigheim, Böblingen,Brackenheim, Cannstadt, Eßlingen

CG

Sachsen-Koburg und Gotha

ID

Preußen, Provinz Westpreußen

III D

Württemberg, Heilbronn, Leonberg, Ludwigsburg, Marbach, Maulbronn

6 Rudolf Hertzog war ein bekannter Berliner Kaufhausbesitzer, der mit Kaiser Wilhelm II. um das Kennzeichen IA – 1 prozessierte. Hertzog gewann und der Kaiser fuhr dann einfach ohne Kennzeichen. Das bestätigte ein Journalist, der den Fuhrpark des Kaisers besichtigte: „Auch auf der Wagentür sieht man die kaiserliche Krone, desgleichen zeigt die rückwärtige Täfelung des Wagens eine riesige Krone, die die Stelle der polizeilich vorgeschriebenen Nummer vertritt und das Vehikel als kaiserliches Eigentum kennzeichnet.“ Vgl. Allgemeine Automobil-Zeitung, 11. Februar 1906. In Stuttgart ließ man das nicht durchgehen. Dort war ein Wilhelm II. laut Adressbuch mit zwei Luxuswagen unter den Nummern III A 284 und III A 285 gemeldet. Allerdings handelte es sich um König Wilhelm II., der in Württemberg regierte. Seine Regentschaft endete, wie die des deutschen Kaisers, im Jahr 1918. Im eher unbedeutenden Herzogtum Sachsen-Altenburg fuhr der Landesregent Ernst II. Herzog von Sachsen-Altenburg zwei Luxuswagen mit den Kennzeichen Krone I und Krone II.

86 

7 Wie sah die regionale Verteilung der Fahrzeugbesitzer im Kaiserreich aus?

Kennz.

Bezirk

Kennz.

Bezirk

Kennz.

Bezirk

HB

Bremen

IE

Preußen, Provinz Brandenburg

III E

Württemberg, Neckarsulm, AOA. Stuttgart, Vaihingen, Waiblingen, Weinsberg

HH

Hamburg

IH

Preußen, Provinz Pommern

III H

Württemberg, Balingen, Calw, Freudenstadt, Herrenberg, Horb, Nagold

HL

Lübeck

IK

Preußen, Provinz Schlesien

III K

Württemberg, Neuenbürg, Nürtingen, Oberndorf, Reutlingen, Rottenburg

L

Lippe

IL

Preußen, Hohenzollernsche Lande

III M

Württemberg, Rottweil, Spaichingen, Sulz, Tübingen, Tuttlingen, Urach

MI

MecklenburgSchwerin

IM

Preußen, Provinz Sachsen

III P

Württemberg, Aalen, Crailsheim, Ellwangen, Gaildorf, Gerabronn

M II

Mecklenburg-Strelitz I P

Preußen, Provinz Schleswig-Holstein

III S

Württemberg, Gmünd, Hall, Heidenheim, Künzelsau

OI

Herzogtum Oldenburg

IS

Preußen, Provinz Hannover

III T

Württemberg, Mergentheim, Neresheim, Öhringen, Schorndorf, Welzheim

O II

Fürstentum Lübeck

IT

Preußen, Provinz Hessen-Nassau

III X

Württemberg, Biberach, Blaubeuren, Ehingen, Geislingen, Göppingen, Kirchheim

O III

Fürstentum Birkenfeld

IX

Preußen, Provinz Westfalen

III Y

Württemberg, Laupheim, Leutkirch, Münsingen, Ravensburg, Riedlingen

RA

Reuß, ältere Linie

IY

Preußen, Provinz Posen

III Z

Württemberg, Saulgau, Tettnang, Ulm, Waldsee, Wangen

RJ

Reuß, jüngere Linie

IZ

Preußen, Provinz Rheinprovinz

IV B

Baden

S

Sachsen-Weimar

II A

Bayern, Stadtbezirk München

VO

Hessen, Provinz Oberhessen

6.2 Rechtliche Grundlagen



87

Kennz.

Bezirk

Kennz.

Bezirk

Kennz.

Bezirk

SA

Sachsen-Altenburg

II B

Bayern, Reg.-Bezirk Oberbayern

VR

Hessen, Provinz Rheinhessen

SL

Schaumburg-Lippe

II C

Bayern, Reg.-Bezirk Niederbayern

VS

Hessen, Provinz Strakenburg

SM

Sachsen-Meinigen

II D

Bayern, Reg.-Bezirk Pfalz

VI A

Elsaß-Lothringen, Bezirk Unter-Elsaß

SR

SchwarzburgRudolstadt

II E

Bayern, Reg.-Bezirk Oberpfalz

VI B

Elsaß-Lothringen, Bezirk Ober-Elsaß

SS

SchwarzburgSondershausen

II H

Bayern, Reg.-Bezirk Oberfranken

VI C

Elsaß-Lothringen, Bezirk Lothringen

W

Waldeck

II N

Bayern, Stadtbezirk Nürnberg

I

Sachsen, Königreich, II S Reg.-Bezirk Bautzen

Bayern, Reg.-Bezirk Mittelfranken

II

Sachsen, Königreich, II U Reg.-Bezirk Dresden

Bayern, Reg.-Bezirk Unterfranken

III

Sachsen, Königreich, II Z Reg.-Bezirk Leipzig

Bayern, Reg.-Bezirk Schwaben und Neuburg

IV

Sachsen, Königreich, Reg.-Bezirk Chemnitz

V

Sachsen, Königreich, Reg.-Bezirk Zwickau

Vom Gesamtbestand von 46.850 Fahrzeugen befanden sich im Jahr 1909 52 % der Fahrzeuge im Landesteil Preußen. Diese Zahl relativiert sich jedoch angesichts des 65-prozentigen Flächenanteils Preußens am gesamten Land. Im kleinsten Landesteil Schaumburg-Lippe waren 18 Fahrzeuge zu verzeichnen. Die folgende Tabelle und die Landkarte des Kaiserreichs zeigen die Fahrzeugverteilung mit den im Jahr 1909 stärker motorisierten Ländern Preußen, Bayern, Sachsen, Elsass-Lothringen und Württemberg, in denen fast 86 % der Fahrzeuge gemeldet waren, während die übrigen Landesteile über relativ wenig Fahrzeuge verfügten.

88 

7 Wie sah die regionale Verteilung der Fahrzeugbesitzer im Kaiserreich aus?

Tab. 6: Verteilung des Fahrzeugbestandes nach Ländern im Jahr 1909 Landesteil

Anzahl Fahrzeuge

Anzahl Fahrzeuge in %

Anhalt

228

0,5 %

Braunschweig

430

0,9 %

Bremen

263

0,6 %

Hamburg

872

1,9 %

Sachsen-Koburg und Gotha

184

0,4 %

Lübeck

74

0,2 %

Lippe

69

0,1 %

Mecklenburg

434

0,9 %

Herzogtum Oldenburg

353

0,8 %

Reuss ältere Linie

39

0,1 %

Reuss jüngere Linie

110

0,2 %

Sachsen-Weimar

376

0,8 %

Sachsen-Altenburg

150

0,3 %

Schaumburg-Lippe

18

0,0 %

Sachsen-Meiningen

138

0,3 %

Schwarzburg-Rudolstadt

36

0,1 %

Schwarzburg-Sondershausen

58

0,1 %

Waldeck

38

0,1 %

Sachsen, Königreich

4.895

10,4 %

Preußen

24.359

52,0 %

Bayern

5.751

12,3 %

Württemberg

2.229

4,7 %

Baden

1.932

4,1 %

926

2,0 %

Hessen Elsass-Lothringen Gesamt

2.888

6,2 %

46.850

100,0 %

Die Verteilung der Fahrzeuge in den verschiedenen Landesteilen des Kaiserreichs stellte sich wie folgt dar:

6.2 Rechtliche Grundlagen 

89

Grafik 2: Fahrzeugverteilung nach Landesteilen im Jahr 1909

Einen anderen Blick auf die Verteilung der Fahrzeuge ermöglicht eine Darstellung der Fahrzeugzahlen je 1.000 Einwohner (s. Tabelle 7). Hier relativiert sich das Bild. Es zeigt eine weniger gravierende Spreizung der Zahlen zwischen Preußen und den übrigen Landesteilen. Tab. 7: Anzahl der Fahrzeuge im Jahr 1909 aus verschiedenen Perspektiven Landesteil

Anzahl Fahrzeuge

Anzahl Einwohner

Fläche in qkm

Fahrzeuge pro 1.000 Einwohner

Fahrzeuge Einwohner pro qkm pro qkm

Anhalt

228

328.020

2.299,4

0,7

0,10

142,7

Braunschweig

430

485.958

3.672,1

0,9

0,12

132,3

Bremen

263

263.440

256,4

1,0

1,03

1.027,5

Hamburg

872

874.878

413,9

1,0

2,11

2.113,7

Sachsen-Koburg und Gotha

184

242.432

1.977,4

0,8

0,09

122,6

Lübeck

74

105.857

297,7

0,7

0,25

355,6

Lippe

69

145.577

1.215,2

0,5

0,06

119,8

90 

7 Wie sah die regionale Verteilung der Fahrzeugbesitzer im Kaiserreich aus?

Landesteil

Anzahl Fahrzeuge

Anzahl Einwohner

Fläche in qkm

Fahrzeuge pro 1.000 Einwohner

Fahrzeuge Einwohner pro qkm pro qkm

Mecklenburg

434

728.496

16.056,4

0,6

0,03

45,4

Herzogtum Oldenburg

353

438.856

6.428,3

0,8

0,05

68,3

39

70.603

316,3

0,6

0,12

223,2

110

144.584

826,7

0,8

0,13

174,9

Reuss ältere Linie Reuss jüngere Linie Sachsen-Weimar

376

388.095

3.611,0

1,0

0,10

107,5

SachsenAltenburg

150

206.508

1.323,5

0,7

0,11

156,0

18

44.992

340,3

0,4

0,05

132,2

138

268.916

2.468,3

0,5

0,06

108,9

SchwarzburgRudolstadt

36

96.835

940,4

0,4

0,04

103,0

SchwarzburgSondershausen

58

85.152

862,1

0,7

0,07

98,8

Schaumburg-Lippe SachsenMeiningen

Waldeck Sachsen, Königreich Preußen

38

59.127

1.121,0

0,6

0,03

52,7

4.895

4.508.601

14.992,9

1,1

0,33

300,7

24.359 37.293.324

348.702,1

0,7

0,07

106,9

Bayern

5.751

6.524.372

75.870,2

0,9

0,08

86,0

Württemberg

2.229

2.302.179

19.511,7

1,0

0,11

118,0

Baden

1.932

2.010.728

15.067,7

1,0

0,13

133,4

Hessen Elsass-Lothringen Gesamt

926

1.209.175

7.688,8

0,8

0,12

157,3

2.888

1.814.564

14.517,7

1,6

0,20

125,0

46.850

60.641.269

540.777,5

0,8

0,09

112,1

55.580.000 83.155.031

357.581

668,4

155,43

232,5

Zum Vergleich: Deutschland im Jahr 2020

Die Fahrzeugdichte in Deutschland im Jahr 2020 pro qkm ist mehr als 1.700mal so groß wie im Kaiserreich im Jahr 1909. 55,6 Mio. Fahrzeuge (PKW, Motorräder, LKW, ohne Zugmaschinen, ohne Anhänger) sind vom Bundesverkehrsministerium als Fahrzeugbestand ausgewiesen.7 Auf 1.000 Einwohner kommen in der Gegenwart etwa 668 Fahrzeuge, während es im Jahr 1909 0,8 Fahrzeuge waren. 7 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2021), S. 133. Die Bevölkerungszahlen in Tabelle 7 sind aus dem Jahr 1905.

6.2 Rechtliche Grundlagen



91

Die geringe Zahl von 0,8 Fahrzeugen je 1.000 Einwohner belegt die geringe Sichtbarkeit von Automobilen für den einzelnen Bürger. Das war in der Mitteloder Großstadt anders – dort gewöhnte man sich durch persönliche Begegnungen mit motorisierten Fahrzeugen an sie – aber auf dem Land, wo 50 % der Bevölkerung in Dörfern oder Kleinstädten wohnten, fremdelte man mit den seltsamen Kisten, sollten man ihnen einmal begegnen. Die größte Fahrzeugdichte wies im Jahr 1909 Elsaß-Lothringen mit 1,6 Fahrzeugen je 1.000 Einwohner auf, die geringsten dagegen das kleine Fürstentum Schaumburg-Lippe und das Fürstentum Schwarzburg-Rudolfstadt mit jeweils 0,4 Fahrzeugen je 1.000 Einwohner. Elsaß-Lothringen hatte sich vom Rest des Landes abgekoppelt, vermutlich, weil es die Nähe zu Frankreich hatte, welches bei der Individualmobilität dem Kaiserreich weit enteilt war. An zweiter Stelle rangierte das Königreich Sachsen mit 1,1 Fahrzeugen je 1.000 Einwohnern. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Landesteilen mögen nicht groß erscheinen, doch sie geben ein anderes Bild wider als die Verteilung der Fahrzeuge nach absoluten Zahlen. Knapp 50 % der Fahrzeuge bewegten sich im größten Landesteil Preußen fort, jedoch war die Fahrzeugdichte im Süden des Kaiserreichs größer als im Rest des Landes, insbesondere in Preußen.

Grafik 3: Anzahl Fahrzeuge je 1.000 Einwohner im Jahr 1909

92 

7 Wie sah die regionale Verteilung der Fahrzeugbesitzer im Kaiserreich aus?

Noch eindrücklicher wird die geringe Sichtbarkeit von Fahrzeugen im Jahr 1909, wenn man die Anzahl Fahrzeuge pro qkm betrachtet. Für das gesamte Kaiserreich lag die Quote bei 0,09 Fahrzeugen pro qkm. Am höchsten lag sie in der Hansestadt Hamburg mit 2,1 Fahrzeugen pro qkm, am niedrigsten im Großherzogtum Mecklenburg und im Fürstentum Waldeck mit je 0,03 Fahrzeugen.8 Auch diese Zahlen beweisen, dass Fahrzeuge für die Landbevölkerung kaum sichtbar waren, für Großstädter aufgrund des beengten Raumes dagegen sehr wohl. In Großstädten wie Hamburg und Bremen wohnten zwischen 1.028 und 2.114 Einwohner pro qkm. In Berlin waren es 1905 sogar 32.179 Einwohner pro qkm.9 Ein Blick auf unterschiedliche Fahrzeugdichten im Vergleich der größten Städte und dem übrigen Land belegt die gravierenden Unterschiede. Die Kennziffer der Fahrzeuge pro 1.000 Einwohner in den Großstädten lag bei 0,9, im übrigen Land dagegen bei nur 0,6. In den größten 25 Städten lebten 19 % der Gesamtbevölkerung. 26 % der gesamten Fahrzeuge waren dort gemeldet. Im Vergleich der Großstädte selbst gab es ebenfalls signifikante Unterschiede. München verfügte mit 2,4 Fahrzeugen pro 1.000 Einwohner über die größte Fahrzeugdichte. Neukölln (erst seit 1920 Bezirk von Berlin, davor eine eigenständige Stadt, die bis zum Jahr 1912 Rixdorf hieß) dagegen besaß eine Fahrzeugdichte von lediglich 0,3 Fahrzeugen pro 1.000 Einwohner. Tab. 8: Anzahl Fahrzeuge nach Fahrzeughaltern in den 25 größten Städten im Jahr 190910 Stadt

Rang

Einwohner (in Tsd.)

Berlin

1

3.730

Hamburg

2

München

3

Leipzig Dresden

Fahrzeugbestand (Halter)

Fahrz. pro 1.000 Einwohner

2.727

0,7

932

816

0,9

595

1.410

2,4

4

588

720

1,2

5

547

641

1,2

Köln

6

516

613

1,2

Breslau

7

512

331

0,6

Frankfurt a.M.

8

415

595

1,4

8 Zum Vergleich: 1 qkm entspricht der Größe von ca. 140 Fußballfeldern. 0,09 Fahrzeuge pro qkm im Kaiserreich bedeuten im bildlichen Vergleich, dass auf jeweils 1.556 Fußballfelder nur insgesamt ein Fahrzeug abgestellt war. Im Jahr 2020 befanden sich nach dieser Rechnung 155,4 Fahrzeuge auf 140 Fußballfeldern, also pro Fußballfeld mehr als 1 Fahrzeug. In knapp 110 Jahren hat im Land eine ungeheure Fahrzeugverdichtung stattgefunden. 9 Laut Angaben Kaiserliches Statistisches Amt (1910), S. 1 10 Bundeszentrale für politische Bildung (1994), S. 7. Die Bevölkerungszahlen sind von 1910, die Fahrzeugzahlen von 1909.

6.2 Rechtliche Grundlagen

Stadt Düsseldorf

Rang

Einwohner (in Tsd.)

Fahrzeugbestand (Halter)



93

Fahrz. pro 1.000 Einwohner

9

358

399

1,1

Elberfeld-Barmen

10

339

149

0,4

Nürnberg

11

333

461

1,4

Charlottenburg

12

305

455

1,5

Hannover

13

302

359

1,2

Essen

14

302

129

0,4

Chemnitz

15

287

318

1,1

Stuttgart

16

286

369

1,3

Magdeburg

17

280

205

0,7

Bremen

18

247

220

0,9

Königsberg

19

246

134

0,5

Neukölln

20

237

69

0,3

Stettin

21

236

100

0,4

Duisburg

22

229

125

0,5

Dortmund

23

214

143

0,7

Kiel

24

211

109

0,5

Mannheim

25

193

204

1,1

Top 25 Städte

12.440

11.801

0,9

Übriges Deutschland

52.335

33.555

0,6

Deutsches Kaiserreich

64.925

45.356

0,7

Anteil 25 größte Städte %

19,2 %

26,0 %

Resümierend lässt sich festhalten, dass die Verbreitung von Fahrzeugen im Kaiserreich im Jahr 1909 bezogen auf die Geografie des Landes unterschiedlich war. Die einzelnen Landesteile verfügten über eine unterschiedliche Anzahl an Fahrzeugen, die Fahrzeugdichte je Landesteil variierte, es existierte ein Gefälle zwischen Großstadt und Land, und zwischen den Großstädten gab es ebenfalls enorme Varianzen. Die meisten Fahrzeuge (in absoluten Zahlen) wurden in Preußen bewegt, in denen 52 % des Bestandes angemeldet waren. Die größte Fahrzeugdichte (Fahrzeuge pro 1.000 Einwohner) wies der Landesteil Elsass-Lothringen mit 1,6 aus. Unter den Großstädten war München mit einer Fahrzeugdichte von 2,4 (Fahrzeuge je 1.000 Einwohner) führend. In absoluten Zahlen waren die meisten Fahrzeuge in Berlin gemeldet, aber aufgrund der Größe der Stadt (3,7 Millionen Einwohner) relativiert sich dieser Eindruck wieder.

94 

7 Wie sah die regionale Verteilung der Fahrzeugbesitzer im Kaiserreich aus?

Das deutsche Kaiserreich im Jahr 1909 war noch ein nahezu autofreies Land, wenn man den Autobestand zur Größe des Landes und der Bevölkerung ins Verhältnis setzt. Der Beginn der Individualmobilisierung im Kaiserreich war sichtbar, aber verharrte lange auf einem flachen Niveau.

 Teil II: Early Adopters am Einzelbeispiel

8 Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters? Im Adressbuch sind etwa 45.000 Personen und Unternehmen aufgeführt. Die dort versammelten Fahrzeughalter kamen insbesondere aus dem Bürgertum, aber auch aus den alten Eliten, wie dem Adel. Viele Handwerker sind dort ebenfalls eingetragen. Diese Gruppen konnten sich ein Fahrzeug – Automobil oder Kraftrad – leisten und trugen dazu bei, dass sich das Automobil im Land verbreitete und an Akzeptanz gewann. Weniger betuchte Halter, die als Arbeiter, Handwerker unterhalb des Meisterniveaus oder einer anderen einfachen Tätigkeit (z. B. Fuhrknecht, Hilfsheizer, Eisendreher) ihren Lebensunterhalt verdienten, sind ebenfalls im Adressbuch vorzufinden. Diese Gruppe war unter den Fahrzeughaltern allerdings aufgrund ihrer begrenzten finanziellen Mittel unterrepräsentiert, gemessen an ihrem Anteil in der Gesamtbevölkerung. Lediglich 4.676 Fahrzeughalter bzw. 10,7 % der Fahrzeughalterpopulation konnten dieser Gruppe zugeordnet werden, gleichwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung bei geschätzten 67,5 % lag. Eine Einteilung nach Klassenzugehörigkeit und Fahrzeugtypenbesitz wird im nächsten Kapitel vorgestellt. Horras hält fest: Im Verlauf der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts wurde aus dem Automobil der gehobenen Klasse ein reales Luxusgut. Die Preise schufen eine Schichtung nicht nur zwischen Besitzern von Automobilen und Besitzlosen, sondern differenzierten nochmals die Anzahl von Besitzenden in diejenigen, die ein Automobil etwa zur Berufsausübung brauchten und diejenigen, die es sich aus Überfluss leisten wollten.1

8.1 Überblick zu den Klassen im Kaiserreich Die Gruppierung der Fahrzeugbesitzer in dieser Arbeit orientiert sich an gängigen einschlägigen Klassifikationen aus der Kaiserzeitforschung. Beispielsweise identifizierte Kroll bürgerliche Lebenswelten mit den Untergruppen Wirtschaftsbürgertum, Bildungsbürgertum und Kleinbürgertum, Adel, Junker, Militärs und Kirche.2 Burhop nahm eine ähnliche Einteilung mit den Clustern Bürgertum und den Untergruppen Wirtschafts- und Bildungsbürgertum, sowie Kleinbürgertum und neuer Mittelstand vor. Weiterhin unterschied er die Gruppen Arbeiterschaft und ländliche Lebenswelten mit diversen Untergruppen 1 Horras (1982), S. 141 f. 2 Kroll (2013), S. 70. https://doi.org/10.1515/9783111067704-008

98 

8 Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters?

wie Großgrundbesitzer, Bauern und Landarbeiter. Ulrich sprach von sozialen Schichtungen und unterschied Adel, Bürgertum mit den Untergruppen Wirtschafts- und Bildungsbürgertum, Kleinbürgertum, industriell-gewerbliche Arbeiterschaft, sowie Bauern und Landarbeiter.3 Eine Schätzung der Größenverhältnisse der verschiedenen Klassen ist schwierig herzuleiten, da nach dem Historiker Wehler Quellenmaterial entweder kaum existiert oder heterogen sei. Es gibt Schätzungen, die plausibel erscheinen und sich den realen Größenverhältnissen zumindest annähern. Eine Überschlagsrechnung wurde von Werner Sombart für die Zeit um das Jahr 1900 für Preußen angestellt, und ermöglichte durchaus eine Anwendung auf das gesamte Kaiserreich. Sombarts Zahlen wiederum dienten dem Historiker Wehler in seiner Analyse zu den Klassengrößen als Referenzwerte.4 Die folgenden Zahlenangaben beziehen sich auf die Ausführungen von Sombart und Wehler. Die Verknüpfung der frühen Automobilisten mit dem Anteil ihrer Klasse an der Gesamtbevölkerung ist erhellend. Dadurch kann abgeschätzt werden, ob Fahrzeuge der automobilen Frühzeit tatsächlich ein Distinktionsmerkmal zwischen den Klassen waren. Zur Oberschicht gehörten Adel und das gehobene Wirtschaftsbürgertum („Vollblutbourgeois“). Zur letzteren Gruppe zählten Personen, die Unternehmen mit mehr als fünfzig Beschäftigten vorstanden. Das waren die Eigentümer oder Leiter dieser Firmen, wie Unternehmer, Fabrikdirektoren, Bankiers und Industrielle. Weiterhin gehörten ca. 8.000 Großagrarier zur Oberschicht. Zu ihnen zählten im Wesentlichen die Rittergutsbesitzer. Der Adelsanteil betrug etwa 0,5 % der Bevölkerung. Ein gleicher Prozentanteil wurde für das gehobene Wirtschaftsbürgertum angenommen. Der Anzahl nach bestand das gehobene Wirtschaftsbürgertum aus 70.000 bis 75.000 Personen und inkl. Angehörigen aus 200.000 bis 250.000 Personen. Das Bürgertum setzte sich aus sehr unterschiedlichen Milieus zusammen. Diese unterschieden sich nach Wirtschafts-, Bildungs- und Kleinbürgertum. Das gehobene Wirtschaftsbürgertum wurde bereits erwähnt. Das erweiterte Bürgertum, die Mittelklasse, bestand aus Eigentümern bzw. Unternehmern kleinerer Unternehmen (Industrie, Handel, Handwerk), Prokuristen, Hausbesitzern und Großbauern. Nach Wehler und Sombart gehörten dieser Gruppe drei bis fünf Prozent der Bevölkerung an. Das entsprach im Jahr 1900 in etwa 2,25 bis 2,5 Millionen Menschen.

3 Ullrich (2014), S. 273 ff. 4 Wehler (1995), S. 704 ff. In Preußen wohnten knapp 2/3 der gesamten Reichsbevölkerung. Daher ist es nicht unplausibel, die dortigen Klassengrößen auf das gesamte Reich anzuwenden.

8.1 Überblick zu den Klassen im Kaiserreich 

99

Das Bildungsbürgertum – wiederum eine heterogene Gruppe – bestand aus 550 bis 650 Tsd. Personen (ohne Angehörige gerechnet). Es handelte sich um etwa 0,75 bis 1 % der Bevölkerung. Dazu zählten beispielsweise freie Berufe wie Ärzte, Architekten, Rechtsanwälte, Ingenieure und Schriftsteller.5 Weitere Berufsgruppen umfassten Gymnasiallehrer, Pfarrer, Beamten in gehobenen Positionen der Verwaltung, Richter, Journalisten u. v. m. Wie der Name insinuiert, handelte es sich um Menschen, die über ein hohes Bildungsniveau verfügten und nach Abitur und Studium in akademisch-geprägten Arbeitsfeldern tätig waren.6 Das Selbstverständnis des Bildungsbürgers im Kaiserreich wurde anschaulich von Wehler beschrieben: Es steht außer Frage, dass „Bildung“ für Tausende von Bildungsbürgern die Aufgabe einer umfassenden, verbindlichen Lebenseinstellung übernahm. Von ihnen wurde auch der ursprüngliche Appell des Neuhumanismus, Bildung zu verstehen als einen lebenslang währenden Prozess der Selbstbildung der intellektuellen und ästhetischen Fähigkeiten, der Kräfte des Gemüts, der Empathie und Phantasie, unentwegt ernst genommen. Berühmte Gelehrte und Theologen, hohe Beamte und Richter repräsentierten auch in der Ära des Kaiserreichs den deutschen Bildungsbürger in klassischer Form.7

Bildung war eine Möglichkeit, dem „zugewiesenen“ Platz in der Gesellschaft zu entkommen und sozial aufzusteigen.8 Auch Angehörige des Bildungsbürgertums leisteten sich in großer Anzahl das Automobil. 5 Wehler (1995), S. 705. Allerdings ist dieser Begriff des Bildungsbürgers eher eng gefasst. Groppe (2001) fasst diverse Auffassungen innerhalb der Historikerzunft zum Begriff des Bildungsbürgertums zusammen (s. ab S. 24 ff.) und tendiert als Distinktionsmerkmal zum sog. „Einjährigen“. Das bedeutet, Schüler die erfolgreich die höhere Schule mit der Untersekunda abgeschlossen hatten (wäre heute die Klasse 10 bzw. Mittlerer Schulabschluss), verfügten aus Sicht der Bürokratie über Berechtigungen, die sie von den Nicht-Einjährigen unterschieden. Dazu gehörten u. a. Vorzüge bei der Militärausbildung bis hin zum Eintritt in Offiziersränge, bessere Chancen bei der Berufswahl, Gasthörerstatus an einer Universität oder der Eintritt in eine gehobene Beamtenlaufbahn. Nach dieser breiten Definition gehörten auch Volksschullehrer, Beamte im mittleren Dienst, Offiziere, sowie mittlere und höhere Angestellte zum Bildungsbürgertum. 6 Burhop (2011), S. 18. Vgl. auch Ullrich (2014), S. 279 ff. oder Wehler (1995), S. 730 ff. 7 Wehler (1995), S. 732. 8 Wirtschaftsbürger, die durch ihre Unternehmen zu Wohlstand gekommen waren, versuchten häufig, ihren Kindern durch Bildung (Besuch einer höheren Schule) zu Bildungsbürgern zu formen; s. z. B. Groppe (2001), S. 36 ff. Auch der Schriftsteller Thomas Mann, Sohn eines Lübecker Kaufmanns, erlangte im Jahr 1894 zumindest das Einjährige, und damit den Einstieg in seine soziale Formierung und Positionierung, die ihn zu einem der bedeutendsten Schriftsteller des Landes werden ließ. Mann sah das in seinen Selbstbetrachtungen selbstkritischer. Er litt offensichtlich darunter, dass er dem klassischen Bildungsbürger als Gymnasialabbrecher nicht genügte, gleichwohl er stolz auf seine Ehefrau war, die Abitur hatte, und auf den Schwiegervater, der als Professor tätig war. S. seine Ausführungen dazu in Groppe (2001), S. 34.

100 

8 Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters?

Dann gab es die Gruppe der Kleinbürger, zu der man Menschen zählte, die als Handwerker, Beamte, Händler, Gastwirte, Kleinkaufleute, Fuhrleute, einfache Angestellte und selbständige Bauern (Höfe bis zu 100 ha) tätig waren. Wehler bezeichnete diese Gruppe als „amorphes Ensemble von Erwerbs- und Berufsklassen“, welches mit 12,5 Millionen Menschen etwa den fünffachen Umfang der „Bourgeoisie“ ausmachte. Die Bauern mit Angehörigen bildeten mit 7,9 Millionen Menschen die größte Gruppe bei den Kleinbürgern.9 Die größte Gruppe im Kaiserreich wurde durch das Proletariat repräsentiert, welches auch als Unterschicht (in Abgrenzung zur Ober- und Mittelschicht, wie soeben beschrieben) bezeichnet werden kann.10 Es handelte sich hierbei um eine sehr breit zusammengesetzte Gruppe, zu der Arbeiter, Landarbeiter, Dienstboten, Hilfskräfte, Subalternbeamte, Handwerker (Gesellen oder angelernt) u. v. m. gehörten. In einer sehr großzügigen Auslegung, wer alles zu dieser Gruppe gehört, ermittelte Sombart eine Zahl von 35,1 Millionen Personen bzw. 67,5 % der Bevölkerung Preußens.11 Wenn man diese Schätzungen in einer Tabelle zusammenfasst, gewinnt man einen nachvollziehbaren Überblick über die Schichtung der Klassen im Kaiserreich in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts: Eine sehr kleine Oberschicht (etwa 1 % der Bevölkerung), eine relativ große Mittelschicht mit unterschiedlichen Bürgerwelten (die Angaben von Wehler sind von-bis-Schätzungen) mit insgesamt etwa 31,5 %, und ein großes prekäres Milieu, in dem sich die Masse der Menschen – immerhin zwei Drittel – befanden.

9 Laut Wehler (1995), S. 705 f. ist die Zuordnung großer Teile der Bauernklasse umstritten, da es besitzende und besitzlose Personen in dieser Gruppe gab. Die Zahl von 12,5 Mio. Menschen scheint großzügig geschätzt zu sein, da sie nicht zu der vom Autor hochgerechneten Zahl bei 31,5 % Bürgern in der Mittelklasse passt. Sie ist eher als Obergrenze zu sehen. 10 Der Begriff Unterschicht soll auf keinen Fall diskriminierend verstanden werden, aber er passt terminologisch gut als Abgrenzungsbegriff zu den beiden anderen Schichten und wird von diversen Quellen verwendet. Das hier verwendete Schichtmodell bezieht als Unterschiedsmerkmal zwischen den Klassen i. W. die unterschiedlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse ein. Alternative Wörter für Unterschicht wären arbeitende Klasse, Prekariat, vierter Stand, sozial schwächere Klasse oder besitzlose Klasse. Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (2015), die in einer umfangreichen Abhandlung diverse Schicht- und Milieubegriffe und die damit verbundenen ideologischen Aufladungen beschreibt. 11 Wehler (1995), S. 706

8.1 Überblick zu den Klassen im Kaiserreich 

101

Grafik 4: Prozentanteile der sozialen Klassen im Kaiserreich

Tab. 9: Soziale Klassen im Kaiserreich nach Bevölkerung in % und Mio. Einwohnern Soziale Klassen Oberschicht (Adel, geh. Wirtsch.-Bürgertum) Mittelschicht (bürgerl.+ bäuerlich) Unterschicht Gesamt

%-Anteil

Mio. Einw.

1,0

0,6

31,5

19,1

67,5

40,9

100,0

60,6

Die Zahlen sind anhand der %-Angaben, die für die Gesamtbevölkerung Preußens vorlagen, in absoluten Zahlen für das gesamte Kaiserreich hochgerechnet worden. Die Schätzung ermöglicht einen Überblick zu den Schichtverhältnissen in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts. In der nächsten Tabelle wurden die Bevölkerungsanteile nach Klassen in Beziehung zu den Fahrzeughaltern nach Klassen gesetzt. Die Zahlen belegen, dass Individualmotorisierung insbesondere eine Angelegenheit von Oberschicht und Mittelschicht war. In absoluten Zahlen dominierte die Mittelschicht mit 75,8 % (33.178 Fahrzeuge) aller auf den Straßen bewegten Fahrzeuge. Legt man als Maßstab die relativen Größenverhältnisse an, waren Fahrzeuge besonders populär in der Oberschicht. 13,5 % aller Fahrzeughalter gehörten der Oberschicht an, obwohl sie an der Gesamtbevölkerung nur einen Anteil von 1 % hatten. Dieses starke Ungleichgewicht entsprach einem Faktor von 13,5 (%-Verhältnis Fahrzeugbesitz zu

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8 Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters?

%-Anteil an der Gesamtbevölkerung). In der Mittelschicht lag der Faktor bei 2,4 und in der Unterschicht bei 0,16. Tab. 10: Soziale Klassen im Kaiserreich nach Bevölkerung und Fahrzeughaltern12

Soziale Klassen

Bevölkerung im Jahr 1905 in Mio.

Fahrzeughalter nach Klassen

%-Anteil

Anzahl

Preußen

Kaiserreich

%-Anteil

Faktor

Oberschicht (Adel, geh. Wirtsch.Bürgertum)

1,0

0,4

0,6

5.925

13,5

13,5

Mittelschicht (bürgerl.+ bäuerlich)

31,5

11,7

19,1

33.178

75,8

2,4

Unterschicht

67,5

25,2

40,9

4.676

10,7

0,16

100,0

37,3

60,6

43.779

100,0

Gesamt

Grafik 5: Anzahl Fahrzeuge an gesamt in % nach Schichtzugehörigkeit im Jahr 1909

Die Unwucht bei den Besitzverhältnissen von Fahrzeugen wird noch sichtbarer, wenn man die Anzahl der Fahrzeuge pro 1.000 Angehörige einer Schicht ausweist. In der Oberschicht kamen auf 1.000 Menschen knapp 10 Fahrzeuge. Diese Zahl sank in der Mittelschicht auf 2 Fahrzeuge je 1.000 Bürger. In der Unterschicht wurden nur 0,4 Fahrzeuge je 1.000 Schichtangehörige gefahren. Die Daten des Adressbuchs belegen, dass die Oberklasse besonders häufig die als Luxuswagen klassifizierten Fahrzeuge und andere Automobiltypen frequentierte. In der Mittelschicht waren die Verhältnisse zwischen Automobil- und Kraftradhaltern ausgewogen, während die Unterschicht primär die weitaus günstigeren Krafträder nutzte. Wie Tabelle 11 ausweist, fuhr die Oberschicht mit einem Anteil von 75,6 % bevorzugt ein Automobil. In der Mittelschicht befanden sich noch 46,2 % Kraftwagenbesitzer und in der Unterschicht betrug der Anteil 17 %. Bereinigte Zahlen, die die nicht zuordenbaren Kraftfahrzeuge ausschließen, belegen die Verhältnisse noch eindeutiger. In der Oberschicht waren 8 von 10 gefahrenen Fahrzeugen Automobile (81 %). In der Mittelschicht wurden 5 von 10 als Automobil oder als Kraftrad 12 Insgesamt sind im Adressbuch 45.356 Fahrzeughalter aufgeführt. In der Tabelle sind 1.577 Halter nicht zugeordnet, da sie entweder auf staatliche Organisationen zugelassen wurden (314 Halter) oder es bis auf den Namen keine weiteren Angaben zum Halter gibt (1.263 Halter).

8.1 Überblick zu den Klassen im Kaiserreich



103

bewegt. In der Unterschicht waren lediglich 2 von 10 Fahrzeugen Automobile, während es sich bei den übrigen 8 Fahrzeugen um Krafträder handelte, die von ihren Haltern benutzt wurden. Weiterhin belegen die Angaben in Tabelle 11, dass prozentual die meisten Luxuswagen in der Oberschicht gefahren wurden (52,8 %). In der Mittelschicht sank der Anteil auf 20 % und in der Unterschicht betrug er 6,7 %. Die Zahl für die Unterschicht mag erstaunlich erscheinen, da man einen Luxuswagen nicht in dieser Klasse vermuten würde. Sie relativiert sich jedoch, denn es handelte sich um eine Gruppe von lediglich 313 Fahrzeughaltern. Das war ein verschwindend geringer Anteil an allen Fahrzeughaltern und noch weitaus geringer gemessen an der Gesamtpopulation dieser Klasse, die 40,9 Mio. Menschen umfasste. Eine Sichtung der Einzelfälle im Adressbuch ergab, dass es sich um Installateure, Schlosser, Sattler, Säger und andere Handwerker handelte, die ein Fahrzeug dieser Kategorie fuhren. Zu den individuellen Vermögensverhältnissen dieser Personen lassen sich keine Angaben treffen, aber es ist anzunehmen, dass sie günstigere Luxuswagen fuhren. Man sollte bedenken, dass die Eintragung als Luxuswagen nicht unbedingt bedeutete, dass es sich um teure Fahrzeuge handelte, wie sie in der Oberschicht gefahren wurden. Beispielsweise veröffentlichte die Automobil-Welt im Jahr 1907 diverse Wagentafeln für Fahrzeuge mit unterschiedlichen Anschaffungskosten. Danach reichten die Preise für Automobile von 3.000 Mark für Billigmodelle bis 30.000 Mark für Topmodelle.13 Die Aufteilung der Halter von Krafträdern nach Schichten lag ebenfalls im Rahmen des Erwartbaren. Die Oberschicht fuhr zu 17,3 % diesen Fahrzeugtyp, die Mittelschicht zu 47,6 % und die Unterschicht zu 76,9 %. Unabhängig von der Schichtzugehörigkeit wurden Fahrzeuge (Automobile, Krafträder, LKW) primär von Menschen bewegt, die diese für ihre wirtschaftliche Tätigkeit benötigten. Fabrikanten, Direktoren, Kaufleute, Händler, Ärzte, Handwerker (Meister und Gesellen), Techniker, Arbeiter, Hilfskräfte und Dienstboten besaßen mehr als 75 % der angemeldeten Fahrzeuge (> 30 Tausend Fahrzeuge).14 In dieser Gruppe waren die Kaufleute (6.589 Halter) die absolut größte Gruppe, gefolgt von der Gruppe der Handwerker, der Gruppe der Fabrikanten, den Ärzten und einer großen Anzahl an gefahrenen Firmenfahrzeugen (3.572 Stück). Die Gruppe der Automobilisten, die das Ziel der Luxussteuer war (s. Ausführungen in Kapitel 6), die angeblich Luxus, Vergnügen und sportlichen Zwecken

13 Wachtel (1985), S. 104 f. 14 Wahrscheinlich war der %-Satz der Wirtschaft an allen Haltern noch höher, denn in der Gruppe der Sonstigen sind Halter versammelt, die sich als ehemalige Militärs (a. D.) haben eintragen lassen und vermutlich mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit ihren Lebensunterhalt verdienten.

104 

8 Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters?

frönte, stellte sich als erstaunlich klein heraus, gemessen an der Gesamtpopulation aller Fahrzeughalter. Diese Gruppe (Adel, Rittergutsbesitzer, Privatiers) umfasste etwa 5 % der Automobilisten, war aber aufgrund ihrer Prominenz sehr sichtbar.15 Die restlichen Halter (ca. 20 %) setzten sich aus unterschiedlichen Milieus zusammen: Beamte, staatliche Stellen, Militärs, Landbevölkerung, Witwen, Rentenempfänger, Studenten, Schüler. Erstaunlich groß war das Bildungsbürgertum vertreten (3.316 Halter), welches die Vorzüge von Fahrzeugen schnell erkannte. Mit einem Automobil ließ sich rasch eine kulturelle Veranstaltung in der eigenen oder einer anderen Stadt besuchen. Auch viele berühmte Künstler der Kaiserzeit gönnten sich ein Automobil (s. Beispiele Early Adopters aus dem Bildungsbürgertum in Kapitel 9). Es lässt sich das Resümee ziehen, dass sich sehr viele Menschen aus unterschiedlichen Milieus für die Individualmobilisierung interessierten. Tabelle 11 und die Kachelgrafik stellen die Verteilung der Fahrzeughalter in absoluten Zahlen nach Schichtzugehörigkeit dar. Zur Mittelschicht, der größten Gruppe, gehörten 33.178 Haltern. Aus dieser Gruppe bewegte sich nahezu die Hälfte aller Halter mit einem Kraftrad (15.783) fort. In der Oberschicht dominierten die Halter von Luxusfahrzeugen (3.126) mit einem Anteil von 52,8 %. In der Unterschicht wurden von knapp 47 % der Halter Krafträder (3.595) gefahren. Tab. 11: Verteilung Fahrzeugkategorien nach Schichten Verteilung Fahrzeugkategorien nach Schichtzugehörigkeit Oberschicht

Mittelschicht

Unterschicht

Gesamt

KFZ-Typen

Anzahl

%

Anzahl

%

Anzahl

Lxw.

3.126

52,8 %

6.631

20,0 %

313

6,7 % 10.070

23,0 %

Andere PKWTypen

1.348

22,7 %

8.687

26,2 %

480

10,3 % 10.515

24,0 %

KrR

1.024

17,3 % 15.783

47,6 % 3.595

76,9 % 20.402

46,6 %

k.A. Total

427 5.925

7,2 %

2.077

100,0 % 33.178

6,2 %

288

100,0 % 4.676

%

6,1 %

Anzahl

%

2.792

6,4 %

100,0 % 43.779

100,0 %

15 Diese Zahl passt nicht zu den ausgewiesenen Oberschichtzahlen in Tabelle 11. Das erklärt sich durch das gehobene Wirtschaftsbürgertum, welches nach dieser Rechnung der Wirtschaft zugerechnet wurde, gleichzeitig aber auch zur Oberschicht gehörte.

8.2 Zuordnung der Fahrzeughalter zu ihren Klassen



105

Grafik 6: Kacheldiagramm Verteilung Fahrzeugkategorien nach Schichten

8.2 Zuordnung der Fahrzeughalter zu ihren Klassen In diesem Abschnitt wird beschrieben, wie jeder einzelne Fahrzeughalter aus dem Adressbuch seiner Lebenswelt zugeordnet wurde. Dadurch war es möglich, eine hinreichend genaue Verknüpfung von Milieus und den gefahrenen Fahrzeugtypen zu erstellen. Basis dieser Zuordnung waren der Name oder der Beruf. Adelige waren leicht anhand ihres Namens ihrer Klasse zuzuordnen. Unschärfen ergaben sich in der richtigen Zuordnung der Berufsbezeichnungen, da sich aus dem Beruf nicht immer plausibel erkennen ließ, ob der Fahrzeugbesitzer ein Angehöriger der Ober- oder Mittelschicht war, oder ob er zur Mittel- oder Unterschicht gehörte. Gab beispielsweise ein Fahrzeugbesitzer im Adressbuch als Beruf Fabrikant oder Fabrikdirektor an, war es möglich, dass er einem Kleinbetrieb mit 30 Mitarbeitern vorstand. Es konnte aber auch ein Industrieller wie Wilhelm von Siemens sein – der ebenfalls im Adressbuch verzeichnet ist – ein Mitglied der SiemensFamilie, der um die Jahrhundertwende Siemens und die Siemens-Schuckertwerke in Berlin leitete und damit Verantwortung für mehrere zehntausend Mitarbeiter trug. Während Siemens eindeutig der Oberschicht zuzurechnen war, würde der mittelständische Fabrikant zur Mittelschicht gehören. Ähnlich schwierig war die Unterscheidung im Bereich der ländlichen Lebenswelten. Handelte es sich bei dem Gutsbesitzer oder Landwirt um jemanden, der

106 

8 Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters?

eine größere Landfläche bewirtschaftete, viel Vieh besaß und diverse Landarbeiter beschäftigte oder war er der Soloerwerbslandwirt mit einer kleinen Betriebsgröße, der unter größten Schwierigkeiten sich und eine Familie ernähren konnte? Der erstere wäre Angehöriger der Mittelschicht, während der Kleinlandwirt mit seiner Subsistenzlandwirtschaft zur Unterschicht gehören würde. Weitere Schwierigkeiten bei der Zuordnung zur Klasse betraf Personen, die sich als Militärs im Adressbuch eintragen ließen. Darunter befanden sich neben aktiven Mannschaften, Unteroffizieren und Offizieren auch Personen, die sich mit ihrem letzten Rang und a. D. eintragen ließen. Weiterhin entstammten aktive und ehemalige Militärangehörige unterschiedlichen Schichten. Im Adressbuch waren Personen eingetragen, die einen Generalsrang bekleideten (allerdings in geringer Anzahl; diverse Generäle werden in Kapitel 9 vorgestellt), die damit ihrer Herkunft und Stellung nach zur Oberschicht gehörten. Weiterhin waren aktive Militärs im Adressbuch erfasst, die in einer der bürgerlichen Lebenswelten beheimatet waren und als Offiziere dem Kaiserreich dienten. Es wurden auch viele Unteroffiziere und einfache Soldaten registriert, die wahrscheinlich aus dem Arbeitermilieu stammten. Die Gruppe der Militärangehörigen (aktive und ehemalige) war nicht sinnvoll nach Schichten auseinanderzuziehen und wurde daher pauschal der Gruppe Militär zugeordnet. Ausnahmen bildeten Einzelfälle, in denen Adelige, die zugleich hochrangige Militärs waren, der Oberschicht zugeordnet wurden. Auch aus der Gruppe der körperlich Arbeitenden, die man klassischerweise dem Arbeiterstand zuordnen würde, war die Eingruppierung zu einer Schicht nicht immer eindeutig. Der Handwerksmeister, der womöglich einen kleinen Betrieb führte, gehörte zum Mittelstand, während seine angestellten Tapezierer oder Ofenbauer eher dem Proletariat zuzurechnen waren. Der Verfasser ist pragmatisch vorgegangen und hat die Gruppen analog den Selbstbeschreibungen der Fahrzeugbesitzer, der Überlegungen aus der Geschichtsforschung (wie weiter oben ausgeführt von Wehler und Sombart) und eigener Zuordnungen klassifiziert. Das Ergebnis mag nicht perfekt sein, dürfte aber grosso modo hinreichend genau die Verhältnisse widerspiegeln. Man darf nicht übersehen: die größte Anzahl der Personen war eindeutig identifizierbar (z. B. Adel, Kaufleute, Handwerker etc.) und damit einer Klasse zuzuordnen. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Einteilung der Fahrzeughalter aus dem Adressbuch zu einer der drei Klassen (Ober-, Mittel-, Unterschicht) mit diversen Subkategorien, sowie staatliche Stellen, Militär und sonstige Halter. Mit dieser Einteilung wurde die Population aller Fahrzeughalter aus dem Jahr 1909 in folgende sechs Kategorien eingeordnet:

8.2 Zuordnung der Fahrzeughalter zu ihren Klassen 

107

Oberschicht Zur Oberschicht wurden Adel, Rittergutsbesitzer, gehobenes Wirtschaftsbürgertum und Privatiers gerechnet. Mittelschicht In der Mittelschicht befanden sich diverse Bürgerwelten aus Wirtschafts-, Bildungs- und Kleinbürgertum. Hierzu wurden auch Witwen, Rentner und Schüler gerechnet. Weiterhin wurden die Fahrzeuge, die im Firmenbesitz und keinen Einzelpersonen zugeordnet waren, der Mittelschicht zugeordnet. Sicher wird es Fälle gegeben haben, in denen diese Fahrzeuge von Personen aus dem gehobenen Bürgertum (Oberschicht) gefahren wurden. Jedoch zeigt der Datensatz, dass viele Fahrzeuge mittelständischen Firmen zuzuordnen waren. Sie dürften daher eher von Personen aus der Mittelschicht genutzt worden sein. Aus dem ländlichen Bereich wurden Gutsbesitzer und Bauern der Mittelschicht zugeordnet. Ein Sonderfall war die Gruppe der Handwerksmeister, die, wie bereits ausgeführt, einerseits körperliche Arbeiten ausführten, andererseits aber auch durch ihren Meisterstatus eine höhere Qualifikation besaßen, administrative und leitende Tätigkeiten durchführten oder Handwerksbetriebe besaßen. Diese Gruppe wurde mit vielen unterschiedlichen Gewerken in großer Anzahl im Adressbuch mit Angabe ihres Meistertitels aufgeführt. In der Aufteilung nach Klassen wurden die Meister zum Mittelstand gerechnet. Unterschicht Zur Unterschicht gehörten die Untergruppen Arbeiter, sonstige Angehörige der sog. vierten Schicht (z. B. Dienstboten, Diener, Hilfskräfte), und Arbeiter aus dem ländlichen Bereich (z. B. Viehkastrierer, Stallknechte, Pflugkötner). Auch andere Berufsgruppen, die primär mit körperlicher Arbeit ihrer Erwerbstätigkeit nachgingen, wurden dieser Gruppe zugerechnet, wie beispielsweise Maschinisten, Heizer, Schlosser, Mechaniker oder Handwerkergesellen. Staatliche Stellen Nicht zuzuordnen waren Fahrzeuge, die von staatlichen Organisationen betrieben wurden, da diese ihre Mobilitätsdienste für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stellten. Diese Fahrzeuge hatten an allen Haltern einen Anteil von 0,7 % und waren damit ihrer Anzahl nach als eher unbedeutend einzuschätzen.

108 

8 Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters?

Militär Die Gruppe der Militärs im Adressbuch war heterogen und umfasste hoch- bis niederrangige Militärs als auch aktives und inaktives (a. D.) Militärpersonal. Da sich diese Personen mangels Angaben nicht einer der anderen Gruppen zuordnen ließen, wurden sie als eigene Kategorie ausgewiesen. Sonstige Halter Weiterhin waren im Adressbuch Personen aufgeführt, die keine Berufsangaben zur eigenen Person angaben. In Einzelfällen ließ ein Doktorgrad vermuten, dass es sich um einen Bildungsbürger handelte, der dann dieser Gruppe zugerechnet wurde. Eine Zuordnung zu einer Schicht unterblieb, wenn nur der Vor- und Nachname angegeben wurde. Gleichwohl sich diese Personen ein Fahrzeug leisteten, nicht wenige sogar einen Luxuswagen, erfolgte keine Eingruppierung in einer der zuvor benannten Gruppen, um eine willkürliche Einteilung zu vermeiden. Diese Gruppe hatte einen Anteil an allen Fahrzeughaltern von lediglich 2,8 %.

8.3 Zusammenführung Fahrzeughalter, Klassen und Fahrzeugtypen Oberschicht mit Adel und Rittergutsbesitzern Der Adel als wichtiger Stand der alten Eliten besetzte Schlüsselpositionen in Verwaltung und Militär. Beispielsweise waren die Offiziersränge stark von Adeligen durchdrungen. Nachwuchskräfte aus dem Bürgertum wurden erst ab dem Jahr 1890 durch kaiserliches Dekret gesondert für das Offizierskorps angeworben, weil die Armee viele ihrer freien Offiziersstellen nicht besetzen konnte. Auch die amtierenden fünf Reichskanzler des Kaiserreichs bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs entstammten dem Adel. Die Verwaltungsspitze der preußischen Provinzen wurde im Regelfall durch einen Adeligen gestellt.16 Das Herrenhaus als Erste Kammer Preußens, dem mächtigsten Einzelstaat im Kaiserreich, besaß legislative Macht, die von vorwiegend adeligen Abgeordneten ausgeübt wurde. Weiterhin fanden sich in den Reihen der „Außenminister“ des Deutschen Kaiserreichs – die damals Staatssekretäre hießen und vorwiegend amtliche Aufgaben auf Weisung des Reichskanzlers wahrnahmen – vorwiegend Adelige. Ulrich vermerkte: „1911 waren 11 von 12 Oberpräsidenten, 23 von 36 Regierungspräsidenten und 268 von 481 Landräten und Oberamtmännern in Preußen adliger Herkunft.“17 Der Adel 16 Burhop (2011), S. 18. 17 Ullrich (2014), S. 275.

8.3 Zusammenführung Fahrzeughalter, Klassen und Fahrzeugtypen



109

verfügte damit über enorme Machtbefugnisse, die er häufig aufgrund konservativer Ansichten gegen Reformen und zur Bewahrung des Status Quo einsetzte. Beispielsweise hielt sich das preußische Dreiklassenwahlrecht, welches Wählern ein abgestuftes Wahlrecht nach der persönlichen Steuerleistung einräumte und damit im Ergebnis zur Wahl von Abgeordneten führte, die die bestehenden Verhältnisse bis zum Jahr 1918 zementierten. Viele Adelige galten als sehr vermögend und konnten sich ohne Probleme einen Luxuswagen leisten (dazu in Kapitel 9 diverse Beispiele). Unter den Rittergutsbesitzern bzw. Junkern befanden sich in der Mehrzahl Adelige. Rittergutsbesitzer waren eine politisch einflussreiche Gruppe, die auf etwa 25.000 Menschen geschätzt wurde. Gut die Hälfte von ihnen befand sich in Preußen. Auch Bismarck gehörte zu dieser Gruppe. Diese Personen verfügten über enorme Besitztümer an Land und Immobilien. Nicht wenige wohnten in Schlössern. Im nächsten Kapitel werden Persönlichkeiten aus dieser Gruppe vorgestellt.

Grafik 7: Verteilung von Adel und Rittergutsbesitzern nach verwendeten Fahrzeugtypen in %

Adelige und Rittergutsbesitzer bewegten sich standesgemäß im Luxuswagen fort. 79 % der Adeligen und 68 % der Junker waren als Halter von Luxusfahrzeugen im Adressbuch eingetragen. Inkludiert man die übrigen Automobiltypen, lag die Quote beim Adel bei knapp 84 % und bei den Rittergutsbesitzern bei 82 %. Vermutlich war der Prozentsatz der Automobilisten noch höher, da einige Behörden den Fahrzeugtyp der ihnen zugewiesenen adeligen Halter nicht eintrugen. Die Dunkelziffer betrug beim Adel nahezu 8 % und bei den Rittergutsbesitzern 6 %. Erstaunlicherweise wurde auch in höchsten Kreisen das Kraftrad genutzt. Knapp 9 % aus Adelskreisen und 14 % der Rittergutsbesitzer fuhren ein Kraftrad. Ein Beispiel war Prinz Heinrich XXX. Reuß zu Köstritz, aus dem Adelsgeschlecht Reuß-Köstritz, der seinerzeit als Offizier in der kaiserlichen Armee mit dem Motorrad zum Dienst fuhr.18 Ober- und Mittelschicht mit diversen Bürgermilieus Bürgertum: Das oben beschriebene Bürgertum (gehobenes Bürgertum, Wirtschafts-, Bildungs- und Kleinbürgertum) zeigte Unterschiede in der Verwendung 18 S. einige biografische Angaben zu seiner Person im nächsten Kapitel.

110  8 Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters?

unterschiedlicher Fahrzeugtypen. Das gehobene Bürgertum (Oberschicht), zu dem Fabrikanten, Bankvorstände, Direktoren, Bankiers gehörten (Anm.: Selbstbezeichnungen der Halter im Adressbuch), bewegte sich zu nahezu 50 % in Luxuswagen fort. Diese Quote sank beim übrigen Bürgertum auf 19 %. Dieses fuhr vorwiegend in Geschäftswagen und Fahrzeugen zu Berufszwecken oder zu 52 % Motorräder.

Grafik 8: Verteilung von gehobenem und übrigem Bürgertum nach verwendeten Fahrzeugtypen in %

Eine weitere Auffächerung des Bürgertums belegt, dass es im Kaiserreich manche Milieus gab, für die Individualmotorisierung sehr attraktiv war. Beispielhaft sei die große Gruppe der Ärzte genannt. Im Kaiserreich des Jahres 1909 waren mehr als 3.800 Ärzte als Fahrzeughalter registriert worden. Diese verrichteten als Human- oder Veterinärärzte ihre Dienste. Sie erkannten früh die Vorzüge eines Kraftfahrzeugs gegenüber einem Pferd. Sie besuchten in sogenannten „Doktorwagen“ (Bezeichnung des Volksmunds) ihre Patienten. Die statistische Auswertung zeigte, dass 81 % der Ärzte Automobile für Geschäfts- oder Berufszwecke fuhren. Zusätzlich besaßen etwa 8 % der Ärzte einen Luxuswagen. Damit besuchten bereits 9 von 10 Ärzten, die ein Fahrzeug besaßen, ihre Patienten mit Automobilen. Alle anderen Ärzte waren weiter klassisch mit dem Pferd unterwegs, wenn sie ihren Patienten Hausbesuche abstatteten. Eine weitere Gruppe bildeten die Privatiers bzw. Rentiers.19 Es handelte sich dabei im Kaiserreich um Personen, die ausschließlich von ihrem Vermögen lebten und keiner Erwerbstätigkeit nachgingen. Sie hatten ihr Vermögen ererbt oder selbst erwirtschaftet, z. B. als erfolgreiche Unternehmer, und sich dann ins Privatleben zurückgezogen.20 Mangels weiterer Informationen zu diesem Personenkreis im Adressbuch, wurden sie der Oberschicht zugeordnet, gleichwohl es sicher auch

19 Im Kaiserreich wurden die Begriffe Privatier oder Rentier für einen Personenkreis verwendet, die von ihrem Vermögen lebten. Rentiers sollten nicht verwechselt werden mit Rentnern, die sich mit dieser Bezeichnung im Adressbuch haben eintragen lassen. Bei dieser Gruppe handelte es sich um Empfänger staatlicher Rentenzahlungen. 20 Im Jahr 2020 wurde die Gruppe der Privatiers in Deutschland auf etwa 704.000 Menschen geschätzt. Handelsblatt, 30.12.2021, S. 44 ff.

8.3 Zusammenführung Fahrzeughalter, Klassen und Fahrzeugtypen



111

diverse Einzelfälle gab, die eher der Mittelschicht zuzuordnen wären. Immerhin sind im Adressbuch 600 Einträge zu diesem Fahrzeughalterkreis nachzuweisen.

Grafik 9: Verteilung Privatiers nach verwendeten Fahrzeugtypen in %

Im Adressbuch sind zudem kleine Milieus vertreten, die man nicht erwartet hätte. Diverse Halter ließen sich als Studenten, Schüler oder Kirchenangehörige eintragen. Studenten und Schüler sind vermutlich durch ihre Elternhäuser bei der Anschaffung von Fahrzeugen finanziell unterstützt worden. Kirchenangehörige gehörten traditionell zu den alten Eliten. Pastoren zählten dank ihrer Ausbildung zu den Gebildetsten der Gesellschaft. Sie wurden der Kategorie Bildungsbürgertum zugeordnet. Die Gruppe der Kirchenvertreter im Adressbuch war klein. Sie umfasste etwa 0,2 % aller Fahrzeughalter. Sie wurden als Pfarrer und Pastoren von den Behörden eingetragen. Sie nutzten entweder ein Auto oder ein Kraftrad. Eine Sichtung der 87 aufgeführten Einzelpersonen ergab, dass der gefahrene Fahrzeugtyp gleichmäßig zwischen Luxuswagen, sonstigen Pkw und Motorrädern verteilt war. Grosso modo lässt sich konstatieren, dass das Automobil ein wichtiges Fortbewegungsmittel des Bürgertums war. Die Quoten lagen bei 73 % für das gehobene Bürgertum und 42 % für das übrige Bürgertum. Mittel- und Unterschicht in der Lebenswelt Land In der Lebenswelt Land wurden Landwirte, Domänenpächter, Gutsbesitzer, aber auch Knechte und Viehkastrierer (Anm.: tatsächlich ließen sich unter diesem Beruf einige Fahrzeughalter eintragen) subsumiert. Die Rittergutsbesitzer, die über beträchtliche Landgüter verfügten, hätten ebenfalls dieser Kategorie zugeordnet werden können, gehörten aber aufgrund ihrer häufig adeligen Herkunft zur Oberschicht im Kaiserreich und wurden dort eingeordnet. Wenig überraschend, dass ein höherer Status in der Lebenswelt und der damit verbundenen finanziellen Situation den Fahrzeugtyp bestimmte. 82 % der Rittergutsbesitzer bewegten sich in einem Automobil fort (s. w. o.). 61 % der mittelständischen Landbevölkerung fuhr einen Personenkraftwagen, dagegen nur knapp 15 % der zur Unterschicht eingeordneten Landarbeiterschaft. Diese nutzten primär das Kraftrad, sofern sie sich überhaupt ein Fahrzeug leisten konnten. Eine überraschende Information zur Lebenswelt Land (alle Schichten inkl. Rittergutsbesitzer), zu der die Fahrzeughalter gehörten, die sich mit ihrer Berufs-

112  8 Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters?

bezeichnung dort einordneten, ist die Tatsache, dass sie im Adressbuch nur 1.221 Personen umfasste. Diese Gruppe hatte an allen Fahrzeughaltern einen Anteil von 2,8 %. Eigentlich hätte man eine deutlich größere Anzahl angesichts der Bedeutung der Lebenswelt Land erwarten können. Zwar war das Kaiserreich zu einer Industrienation aufgestiegen, aber gleichzeitig war es immer noch ein Agrarstaat. Im Jahr 1913 wurden 35 Mio. Hektar als landwirtschaftliche Nutzfläche genutzt (zum Vergleich: im Jahr 2010 waren es 19 Mio. Hektar). Diese wurden von 9,9 Mio. Erwerbstätigen (1907) bewirtschaftet (zum Vergleich: im Jahr 2010 waren es 1,1 Mio. Erwerbstätige) bzw. 35,2 % an allen Erwerbstätigen (zum Vergleich: im Jahr 2010 waren es 3,9 % gemessen an allen 28,1 Mio. Erwerbstätigen in allen Sektoren).21 Die geringen Zahlen insinuieren eine größere Armut auf dem Land im Vergleich zur Stadt und vermutlich einen Strukturkonservatismus gegenüber modernen Errungenschaften wie dem Automobil. Wie bereits in Teil 1 beschrieben wurde, gab es auf dem Land Ablehnung gegenüber dem Automobil.

Grafik 10: Verteilung Lebenswelt Land nach verwendeten Fahrzeugtypen in %

Unterschicht außerhalb der Lebenswelt Land Arbeiter und sonstige Angehörige des 4. Standes verkörperten eines der größten Milieus im Kaiserreich, waren aber nur in kleiner Zahl im Adressbuch vertreten. Arbeiter waren schlichtweg zu arm, um sich ein Kraftrad, geschweige denn ein Automobil leisten zu können. Zur Gruppe der Arbeiter wurden nicht nur die Fabrikarbeiter, die sich als Lohnarbeiter in der Industrie verdingten, gerechnet, sondern Erwerbstätige, die in anderen Branchen für einen Lohn arbeiteten. Sie trugen sich mit Berufsbezeichnungen wie Bote, Gehilfe, Mechaniker, Tapezierer, Maler, Tischler und anderen Handwerksberufen in die Halterlisten ein. Umfassende Übersichten über die vielen Berufsformen boten zeitgenössische Statistiken. Sie führten diverse Gewerkschaften mit einer Aufgliederung ihrer Mitglieder nach Berufsgruppen auf.22 Insgesamt gab es im gesamten Kaiserreich nur 793 Automobilbesitzer, die sich im Jahr 1909 dem Arbeiter-Milieu zuordnen ließen. Weitere 3.595 21 Rahlf (2015), S. 239 ff. 22 Das Zeitgenossenlexikon „Wer ist’s?“ schlüsselte u. a. die Berufsgruppen von A bis Z nach Gewerkschaften auf, beginnend mit Asphalteuren und endend mit Zivilmusikern. S. Degener (1909), S. LXXIV bis LXXVII.

8.3 Zusammenführung Fahrzeughalter, Klassen und Fahrzeugtypen



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Arbeiter (ca. 90 % aller Halter) leisteten sich ein Kraftrad. Im Regelfall waren Arbeiter auf das Fahrrad angewiesen oder gingen zu Fuß zur Arbeit. Fabrikanten erkannten bereits früh das Problem der eingeschränkten Mobilität ihrer Arbeiter und errichteten in der Nähe ihrer Fabriken Unterkünfte für ihre Mitarbeiter und deren Familien.23

Grafik 11: Verteilung Lebenswelt Proletariat nach verwendeten Fahrzeugtypen in %

Staatliche Stellen und Beamte Behörden standen, wie bereits ausgeführt, dem Mobilismus zwiespältig gegenüber. Private Automobilisten wurden als Besitzer von Luxusgütern gesehen und entsprechend besteuert, während andere Vorzüge von Fahrzeugen durchaus anerkannt wurden.24 Man konnte Kraftfahrzeuge für die Feuerwehr, die Post, den öffentlichen Nahverkehr, die Straßenreinigung, Krankentransporte und auch militärische Zwecke einsetzen. Konsequenterweise waren Fahrzeuge dieser Art, sofern sie im Einsatz für den Staat waren oder zur gewerbsmäßigen Beförderung eingesetzt wurden, auch von der Luxussteuer befreit.25 Ein wichtiges Anwendungsfeld für mobile Dienstleistungen waren Droschken, die als frühe Taxis eine wichtige Rolle im Nahverkehr zum gewerbsmäßigen Personentransport innerhalb von Großstädten übernahmen. Sie waren staatlich regu-

23 Alfred Krupp war einer der ersten Unternehmer, der in großem Stil für seine Arbeiter mit der Errichtung von Wohnkolonien („Krupp-Siedlungen“), einer betrieblichen Krankenkasse und Rentenversicherung sorgte. Sein Sohn Friedrich Alfred Krupp führte nach Übernahme der Geschäfte im Jahr 1887 diese Fürsorge fort und zahlte höhere Löhne und Sozialleistungen als andere. Auch vergab er Kredite an Arbeiter zur Finanzierung einer eigenen Immobilie, unterstützte invalide Arbeiter und baute eine Siedlung für Rentner. Beide waren aufmerksame, aber auch patriarchalische Arbeitgeber. Arbeitervertretungen oder Sozialdemokraten wurden nicht geduldet. S. Berhorst (2008), S. 98 ff. 24 Meki (2002), S. 88 ff. 25 Reichsstempelgesetz vom 7. Juni 1906, Tarif, Tarif-Nr. 8 b) 1. und 2. mit folgendem Text: „Eine Befreiung von der Stempelabgabe findet statt: 1. hinsichtlich derjenigen Kraftfahrzeuge, welche zur ausschließlichen Benutzung im Dienste des Reichs, eines Bundesstaats oder einer Behörde bestimmt sind; 2. hinsichtlich solcher Kraftfahrzeuge, die ausschließlich der gewerbsmäßigen Personenbeförderung dienen.“

114  8 Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters?

liert und steuerbefreit, sorgten für ein Gebühreneinkommen und ermöglichten einen relativ sicheren Transport der Fahrgäste. Während einer Zeitspanne von fast 30 Jahren, die den Zeitraum 1900 bis ca. 1929 umspannte, gab es eine Konkurrenzsituation zwischen Pferdedroschken und -omnibussen einerseits und maschinengetriebenen (Verbrenner oder Elektromotor) Droschken bzw. Taxis andererseits. Eine Statistik für Berlin zeigte, dass es im Jahr 1900 8.114 Pferdedroschken und nur eine Droschke mit Verbrennungsmotor gab. Schon im Jahr 1909 waren von insgesamt 8.615 Droschken bereits 1.333 maschinengetrieben und 7.282 Pferdedroschken. Zwanzig Jahre später waren die Pferdedroschken fast komplett verschwunden. Im Jahr 1929 wurden 9.355 Droschken registriert, von denen lediglich noch 226 Pferdedroschken waren.26 Man sollte erwähnen, dass das Verschwinden von Pferden aus dem Straßenbild enorme hygienische Vorteile mit sich brachte. Zehntausende von Pferden produzierten Unmengen an Pferdemist und Urin, der die Straßen verschmutzte und mühselig gereinigt werden musste. Ein weiteres Wachstum der Pferdepopulation hätte die Lage in den Städten weiter verschlimmert.27 In den Vorkriegsjahren entstand der Nahverkehr, der sich durch einen Mix von Bussen, Droschken und Straßenbahnen charakterisieren ließ und größere Menschenmengen innerhalb der Städte in verschiedene Stadtteile transportieren konnte. In Summe war der Umfang der von Behörden eingesetzten Fahrzeuge im gesamten Kaiserreich im Jahr 1909 gering. Die Gesamtzahl betrug lediglich 314 Fahrzeuge, die als Behördenfahrzeuge in das Adressbuch eingetragen waren.28 Behörden setzten zu fast 80 % Luxuswagen und andere Automobiltypen ein. Zudem wurden im Jahr 1909 insgesamt 53 Krafträder und 52 Lastwagen mit Behördenbezug im gesamten Reichsgebiet gefahren. Krafträder wurden primär von Postämtern, staatlichen Eisenbahngesellschaften, städtischen Elektrizitätswerken und staatlichen Telegraphengesellschaften eingesetzt. Breiter war das Nutzerprofil bei Lastwagen. Hier setzten alle möglichen Behörden Lastwagen ein, wie Postämter, städtische Gaswerke, Garnisonslazarette, Fleischvernichtungsanstalten. Allerdings war das Zeitalter des Lastwagens im Jahr 1909 noch nicht angebrochen (vgl. Kapitel 6).

26 Meki (2002), S. 91. 27 Morris (2007) berichtet, dass es düstere Prognosen bezüglich des weiteren Anwachsens von Pferdmist für Länder wie England und die USA gab. Die erste internationale Konferenz zu urbanen Themen, die im Jahr 1898 in New York stattfand, hatte als Hauptthema das Problem des Pferdemists („horse manure“). 28 Omnibuslinien wurden privatwirtschaftlich betrieben. Die im Adressbuch ausgewiesenen Omnibusse wurden nicht-staatlichen Firmen und damit dem Wirtschaftsbürgertum zugeordnet.

8.3 Zusammenführung Fahrzeughalter, Klassen und Fahrzeugtypen



115

Die Anzahl von Beamten, die Fahrzeuge als private Halter nutzten, war mit 1.086 Personen weitaus größer als die Anzahl der Behördenfahrzeuge. Zur Beamten-Nutzerschar gehörten alle Hierarchien in den Ämtern, wie z. B. Ministerialräte, Justizräte, Oberamtsrichter, Gerichtsvollzieher, Schutzmänner, Lehrer, Postsekretäre und Postboten.

Grafik 12: Verteilung Staat nach verwendeten Fahrzeugtypen in %

Militär Die Kategorie Militär im Adressbuch umfasste nicht nur aktive im Militärdienst tätige Personen, sondern auch Personen, die im Jahr 1909 wieder ins Zivilleben zurückgekehrt waren, sich aber mit ihrem letzten Militärrang hatten eintragen lassen, wie mit den „Berufsbezeichnungen“ Leutnant a. D. oder Leutnant d. R. Im Wesentlichen handelte es sich bei den Militär-Automobilisten um aktive oder ehemalige Mannschaften, Unteroffiziere oder niedere bis mittlere Offiziersränge. Höhere Offizierskader oder gar Generäle waren nur in geringer Anzahl nachzuweisen. Im Adelsmilieu konnten dagegen einige Personen identifiziert werden, die bereits in der damaligen Zeit oder in der Zukunft (also nach 1909) hohe Posten im Militär bekleideten bzw. bekleiden würden (s. Beispiele im nächsten Kapitel). Man mag sich fragen, warum sich zahlreiche Männer mit ihrem letzten Militärrang eintragen ließen, selbst wenn es sich, wie bei vielen, um niedere Militärränge handelte. Der Grund lag im hohen Ansehen des Militärs im Kaiserreich, welches auf dem Sieg im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 gründete, der schlussendlich zur Kaiserreichsgründung führte. Wer gedient hatte oder noch diente, verfügte über eine hohe Reputation in der Gesellschaft. Es gab den Sedantag am 2. September, der als nationaler Feiertag an den entscheidenden Sieg im Krieg gegen Frankreich erinnerte. Überall im Land wurden Denkmäler errichtet und die Menschen gründeten Kriegervereine, die ähnlich den Schützenvereinen heute, in Uniform am Sedantag paradierten. Militärs zeigten sich auch in ihrer Freizeit gerne in Uniform und traten betont schneidig auf. Kinder begeisterten sich für alles Militärische und trugen Matrosenanzüge, um damit den Stolz der damaligen Zeit für die Flottenaufrüstung des Kaiserreichs zu zeigen. Neitzel konsta-

116  8 Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters?

tierte: „Die Streitkräfte wurden vom Bürgertum als organischer Teil der Gesellschaft betrachtet. Militärdienst galt als Bürgerpflicht.“29 Die Männer, die sich im Adressbuch unter diesem Stand eintragen ließen, gleichwohl sie ehemalige Militärs waren, zeigten also eher ihren gefühlten Status oder wie sie von außen wahrgenommen werden wollten, als ihren realen Berufsstand, der vielleicht einem einfachen Beamten oder einem Handwerker entsprach. Die Gruppe der Militärs (aktive und nicht aktive) war mit insgesamt 610 Haltern überschaubar. Unter diesen Haltern gab es einige, die Automobile fuhren, die von der Industrie gesponsort waren. Sie gehörten z. B. dem Automobilistenkorps an, einem Verein, der aus Zivilisten und Militärangehörigen bestand. Sinn dieser Vereinigung war es, dem Militär Fahrzeuge schmackhaft zu machen, damit diese von Militärangehörigen gefahren und auf Manövern eingesetzt wurden. Außerdem dienten sie der Kontaktpflege zwischen Industrie und Militär (vgl. Ausführungen in Kapitel 4).

Grafik 13: Verteilung Militärangehörige (aktiv und ehemalig) nach verwendeten Fahrzeugtypen in %

37 % der mit einem Militärrang eingetragenen Personen fuhren einen Luxuswagen. Eine Analyse der Einzelpersonen ergab, dass sie allesamt Offiziere waren. Besonders häufig waren untere Offiziersränge (Leutnant, Oberleutnant, Hauptmann) sichtbar, weniger häufig die höheren Offiziersränge (Major, Oberstleutnant, Oberst). Die Krafträderhalter kamen größtenteils aus dem Kreis der unteren Offiziersränge, aber auch einfache Soldaten waren darunter, die damals noch als „Kommis“ (damalige Rechtschreibung) geführt wurden. Unteroffiziere waren kaum vertreten. Nicht zuordenbare Halter In dieser Gruppe befanden sich Automobilisten, die nicht einer Klasse oder Berufsgruppe zuzuordnen waren. Sie wurden im Adressbuch von den Behörden ohne Berufsbezeichnung erfasst. Die Verteilung dieser Gruppe (1.263 Halter) dürfte aus Angehörigen aller Klassen zusammengesetzt sein. Eine Schichtzuordnung war mangels Angaben nicht möglich. Am anonymsten blieb im Adressbuch aus der Gruppe der nicht zuorden29 Neitzel (2020), ab S. 23 ff. eine umfangreiche Darstellung des Militärs im Kaiserreich.

8.3 Zusammenführung Fahrzeughalter, Klassen und Fahrzeugtypen



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baren Halter eine kleine Menge von etwas mehr als 100 Haltern (9,2 %), zu denen es weder Angaben zu Beruf noch zum Fahrzeugtyp gab. Die Behörden erfassten für diese Gruppe lediglich die Namen und die Wohnorte.

Grafik 14: Verteilung Sonstige nach verwendeten Fahrzeugtypen in %

Das Geschlechterverhältnis unter den Individualmotoristen Eine Auswertung des Datenbestandes der frühen Individualmotoristen nach dem Geschlecht ergab, dass Individualmotorisierung eine Männersache war. Frauen waren kaum unter den Fahrzeughaltern vertreten. Sie machten knapp 1 % aller Halter aus. Diese geringe Anzahl war ein Spiegelbild der damaligen Verhältnisse. Frauen besaßen nur eingeschränkte Rechte und einen erschwerten Zutritt zu höherer Bildung. Dadurch waren sie nicht in der Lage, unabhängig von einem Mann eigenes Geld zu verdienen und sich ein Automobil zu leisten. Die im Adressbuch nachgewiesenen Damen kamen größtenteils entweder aus höchsten Kreisen (z. B. Gräfinnen, Prinzessinnen etc.) oder konnten sich als Witwen wohlhabender Männer ein Fahrzeug leisten.

Grafik 15: Fahrzeughalter nach Geschlecht

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Einschlägige Presseberichte aus der Kaiserzeit berichteten von Frauen, die sehr früh die Möglichkeiten der Individualmobilisierung erkannten und als selbstbewusste Fahrerinnen auftraten. Frauen in der Kaiserzeit hatten Sympathie für die Individualmotorisierung, konnten sie aus finanziellen Gründen aber nicht verfolgen. Allerdings erging es den meisten Männern ebenso. Aus der Frühzeit der Motorisierung lassen sich Mechanikerinnen, Chauffeurinnen und Fahrzeugfabrikantinnen nachweisen, die sich ein Auto gönnten und gegen die Konventionen jener Zeit kämpften.30 In Kapitel 9 werden einige weibliche Early Adopters vorgestellt. Die Gruppe der Frauen gehörte zu den Fahrzeughaltern mit einem sehr hohen prozentualen Anteil an Luxuswagen. Der Anteil der Luxuswagen an allen Fahrzeugtypen betrug bei den Halterinnen 64 %. Insgesamt fuhren 82,4 % der Frauen ein Automobil. Lediglich 12 % aller Fahrzeugbesitzerinnen waren mit einem Kraftrad eingetragen. Im Kaiserreich gab es Provinzen, in denen sich kaum oder überhaupt keine Halterinnen nachweisen ließen. In diversen Regionen in Bayern, Württemberg und Hessen musste man Halterinnen mit der „Lupe“ suchen. Die meisten Fahrzeuge wurden von Frauen in Berlin, München, Rheinprovinz, Hessen-Nassau und Brandenburg gefahren.

Grafik 16: Verteilung Fahrzeugtyp nach Fahrzeughalterinnen in %

Schlussfolgerungen aus der Analyse des Adressbuches Die bisher gemachten Ausführungen lassen aus dem Adressbuch-Datenbestand folgende Schlüsse ziehen: – Fahrzeuge faszinierten von Anfang an viele Menschen aus allen Milieus. Die heterogene Mischung von Menschen aller Bildungsstufen, Berufsgruppen, und sozialer Stellungen im Datenbestand belegt dies. – Die Präsenz von Adeligen und Fabrikanten auf Bildern und in Zeitungsberichten aus jener Zeit erweckt den Eindruck, dass die frühe Individualmotorisierung ein Projekt der höchsten Kreise gewesen sei. Tatsächlich leisteten sich Angehörige dieser Milieus die teuersten und schicksten Automobile. Das Adressbuch belegt aber auch, dass es Menschen aus allen Milieus waren, die 30 Die zeitgenössische Presse zeigte ein heterogenes Bild von Frauen in Automobilen. Entweder als „Staffage“, die sich in modischer Kleidung im Automobil präsentierten oder als selbstbewusste Frauen, die sich in ihren Wagen ablichten ließen.

8.3 Zusammenführung Fahrzeughalter, Klassen und Fahrzeugtypen









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sich ein Fahrzeug anschafften. Aus Sicht der produzierenden Hersteller war das sinnvoll, denn der Kreis der Oberschicht war mit etwa 600.000 Angehörigen (1 % der Gesamtbevölkerung) für die Industrie als primäre Zielgruppe zu klein, gleichwohl sie für die Reputation dieser jungen Innovation Automobil unverzichtbar war. Daher waren Automobilfabrikanten auch an anderen Kundengruppen interessiert. Dass es dennoch nicht mehr waren im Jahr 1909, lag auch am Angebot der Wirtschaft (s. Ausführungen dazu in Teil I), die zu teuer produzierte, anders als in naher Zukunft ein Henry Ford in den USA. Es war die Geldbörse, die den Unterschied machte, ob man sich einen Luxuswagen oder ein Kraftrad oder überhaupt einen motorgetriebenen Untersatz leisten konnte. In der Oberschicht wurden 10 Fahrzeuge auf je 1.000 Schichtzugehörige gefahren, in der Mittelschicht lag die Zahl bei 2 Fahrzeugen je 1.000 Bürger und in der Unterschicht bei 0,4 Fahrzeugen je 1.000 Bürger. Das Kraftfahrzeug (Automobil oder Kraftrad) im Jahr 1909 war noch ein Nischenprodukt. Es befand sich am Anfang seiner Wachstumskurve mit insgesamt 45.000 Haltern. Durch die geringe Anzahl an Fahrzeugen in der Kaiserzeit blieben sie unter der Sichtbarkeitsschwelle vieler Menschen. Präsenter waren sie in urbanen Gebieten, insbesondere in Großstädten, während auf dem Land nur wenige Fahrzeuge bewegt wurden.

Die ermittelten Daten aus dem Adressbuch lassen sich plausibel mit einschlägigen Mitgliederstatistiken in Automobilclubs aus der Kaiserzeit verproben.31 Für das „KAC-Kartell“ wurde für 1910 eine Statistik nach diversen Berufsgruppen und Milieus seiner Mitglieder veröffentlicht.32 Die Mitgliederzahl betrug 7.100, also etwa 14 % der Halter des Jahres 1910. Danach waren 14,4 % der Mitglieder Adelige (laut Adressbuch 13,5 % für 1909). Der Anteil der Wirtschafts- und Bildungsbürger, die in der Automobilstatistik als Besitzbürger, Bildungsbürger und Mittelstand ausgewiesen wurden, betrug 66,7 % (laut Adressbuch 84,0 %; die Diskrepanz ist auf die geringe Anzahl von Handwerkern und Technikern in den Automobilclubs zurückzuführen, die dort kumuliert kleiner als 1 %, aber in der Realität um ein Vielfaches höher war). Beamte und Diplomaten waren zu 4,3 % im KAC-Kartell vertreten (laut Adressbuch 2,5 % aller Halter des Jahres 1909). Aus der Lebenswelt Landwirtschaft wurden 3 % aller Mitglieder gezählt (laut Adressbuch 2,8 %). Der Frauenan31 Die Daten differieren, da in den Clubs primär Automobilisten vertreten waren, im Adressbuch dagegen alle Individualmotoristen. Weiterhin waren in den Automobilclubs kaum Handwerker, Techniker und Arbeiter registriert, insbesondere in den kaiserlichen Automobilclubs. 32 Das Kartell bestand aus 31 Automobilclubs im Kaiserreich, die sich zum KAC (Kaiserlicher Automobil-Club) rechneten, einem Automobilclub, dessen Protektorat Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1905 übernommen hatte.

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8 Aus welchen Milieus und Berufsgruppen entstammten die Early Adopters?

teil im KAC-Kartell betrug 2,5 % (laut Adressbuch waren es 1 %). Auch andere Gruppen waren Mitglieder im KAC, wie Offiziere oder Wirtschaftsbürger mit Ehrentitel, die extra in der Mitgliedsliste ausgewiesen wurden.33 Aus den bisher gemachten Ausführungen lässt sich ein Profil der frühen Individualmotoristen auf Basis des Adressbuch-Datenbestands im Kaiserreich destillieren: Tab. 12: Fahrzeughalterprofil im Jahr 1909 nach diversen Kriterien Kriterium Fahrzeughalter nach

Charakteristika

Schichtzugehörigkeit

Oberschicht (13,5 %), Mittelschicht (75,8 %), Unterschicht (10,7 %)

Besitzverhältnisse Anzahl Fahrzeuge je 1.000 Bürger der eigenen Schicht

Oberschicht (10), Mittelschicht (2), Unterschicht (0,4)

Einsatzbereiche Fahrzeuge

Wirtschaft (75 %), Adel (5 %), Sonstige (20 %)

Fahrzeugtypen

Automobile (46 %), Krafträder (45 %), LKW (2,5 %), keine Angaben (6,5 %)

Besitzverhältnisse Automobil

Oberschicht (75,6 %), Mittelschicht (46,2 %), Unterschicht (17,0 %)

Besitz Luxuswagen (Min / Max)

Arbeiter (1,9 %), Adelige (79 %)

Besitz Kraftrad (Min / Max)

Adelige (8,6 %), Arbeiter (90 %)

Urbane und ländliche Lebenswelten

urban (97 %), ländlich (3 %)

Geschlecht

weiblich (1 %), männlich (99 %)

8.4 Weitere Details zum Adressbuch Der Datenbestand enthüllt weitere interessante Details über die Fahrzeughalter, von denen einige im Folgenden aufgeführt werden. – Die meisten Luxuswagen wurden von der Gruppe der Fabrikbesitzer und Direktoren (gehobenes Wirtschaftsbürgertum) gefahren. Sie umfasste 2.052 Fahrzeugen und war damit nahezu doppelt so groß wie die Anzahl der Luxusfahrzeuge der gesamten übrigen Oberschicht aus Adel, Rittergutsbesitzer und Privatiers. – Gerade ein Arbeiter (Selbstbezeichnung) im Kaiserreich war Luxuswagenhalter. Diese Zahl war bei einer gesamten Unterschichten-Population von ge-

33 S. Fraunholz (2002), S. 48 ff.

8.4 Weitere Details zum Adressbuch 

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schätzten 40,9 Mio. Menschen im gesamten Kaiserreich natürlich infinitesimal klein. Von den Unternehmen dürfte die Harpener Bergbau AG mit sieben Automobilen die größte Anzahl an Luxusfahrzeugen besessen haben.34 Die Wertheim-Familie verfügte über die meisten Fahrzeuge im Kaiserreich, insbesondere im Berliner Raum. Es lassen sich ca. fünfzig Einträge zur Wertheim-Familie und ihrem Kaufhaus-Unternehmen nachweisen. Als Einzelperson besaß Max von Guilleaume, Angehöriger einer bekannten Kölner Unternehmerfamilie, die meisten Luxusfahrzeuge. Unter seinem Namen sind neun Luxuswagen registriert.35 Behördlicherseits wurden die meisten Fahrzeuge von den Verkehrstruppen Berlin-Schöneberg gefahren. Es handelte sich um 40 Fahrzeuge, die sich aus 28 Luxusfahrzeugen, 1 Kraftrad und 11 Lastwagen zusammensetzten. Verkehrstruppen waren militärische Einrichtungen, die in Friedens- und Kriegszeiten für die Bereitstellung von mobilen Fahrzeugen zuständig waren. Wahrscheinlich nutzten viele hochrangige Militärs die Luxusfahrzeuge der Verkehrstruppen, wenn sie ihre Dienstreisen unternahmen. Vielleicht eine Erklärung, warum sich relativ wenige Generäle im Adressbuch mit eigenen Fahrzeugen nachweisen ließen, wenn man von diversen Adeligen mit Militärkarriere absieht. Ernst II., der letzte Herzog von Sachsen-Altenburg (bis zum Jahr 1918), fuhr zwei Fahrzeuge der Kategorie Luxuswagen, die in Altenburg als Krone I und Krone II als Fahrzeugkennzeichen eingetragen waren (s. Adressbuch, Seite 91). Das war unüblich, wenn man von Kaiser Wilhelm II. absieht (s. Angaben in Teil I). In Preußen, dem dominierenden Bundesstaat innerhalb Deutschlands, waren mehr als 24.000 Fahrzeugen die meisten Fahrzeuge gemeldet. Das entsprach 52 % des gesamten Fahrzeugbestandes im Kaiserreich. Über die kleinste Fahrzeugpopulation verfügte das Fürstentum Schaumburg-Lippe mit 18 Fahrzeuge. Berlin war als Hauptstadt in Bezug auf Fahrzeuge exzeptionell. In der Hauptstadt wurden die meisten Luxusfahrzeuge an einem Ort gefahren (> 1.000),

34 S. o. V. (1909), S. 680. Natürlich unter Ausschluss der Automobilhersteller, die in ihren Fahrzeugparks bzw. Lagern höhere Stückzahlen gehabt haben dürften. Beispielsweise weist das Adressbuch mehr als 20 Fahrzeuge für den Automobilhersteller Adlerwerke in Frankfurt aus. Dessen Gründer und Generaldirektor Heinrich Kleyer wird in Kapitel 9.1 vorgestellt. Das Unternehmen Harpener existiert bis heute (s. Kurzbeschreibung in Kapitel 9). 35 Guilleaume wurde nur von Kaiser Wilhelm II. übertroffen, der im Jahr 1910 bereits 22 Fahrzeuge in seinem Fuhrpark besaß. Dieser Bestand lässt sich allerdings nicht aus dem Adressbuch ableiten. S. Angaben zum kaiserlichen Bestand in Horras (1982), S. 229.

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aber auch die meisten Krafträder (nahezu 700). Bezieht man umliegende Städte mit ein, die später Stadtteile von Berlin wurden, waren die Zahlen noch weitaus höher. Die meisten Halterinnen mit Luxuswagen waren ebenfalls in Berlin gemeldet (61 Halterinnen). Auch die größte Anzahl an Lastwagen an einem Ort fand sich in Berlin und transportierte dort diverse Güter (73 Fahrzeuge). Gleichwohl hatte Berlin mit 0,7 Fahrzeugen je 1.000 Einwohnern nicht die größte landesweite Autodichte, sondern Hamburg mit 2,4. Die Verteilung der Kraftradhalter im Land lässt Rückschlüsse auf industrielle Schwerpunktregionen zu. Die meisten Kraftradfahrer nutzten ihre Motorräder auf dem Weg zur Arbeit im Jahr 1909 in Berlin, Brandenburg, Hannover, Sachsen und Schlesien.

9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten? Die Lebenswelten der frühen Automobilisten waren sehr unterschiedlich. Adelige aus höchsten Kreisen, bekannte Opernsänger, erfolgreiche Unternehmer, wohlhabende Banker, und die große Masse der damals Erfolgreichen aus Wirtschaft und Bürgertum, die heute in Vergessenheit geraten sind, waren darin vertreten. Einige dieser frühen Automobilisten lassen sich auch knapp 110 Jahre später noch gut identifizieren, da sie aufgrund ihrer Prominenz oder ihres Erfolgs in zeitgenössischen Verzeichnissen dargestellt wurden oder Firmen gegründet oder weiterentwickelt haben, die noch heute zu den Vorzeigefirmen Deutschlands gehören. Eine Auswahl dieser Personen und Firmen wird im Folgenden dargestellt.

9.1 Die „Komitéliste“ zur Automobilausstellung aus dem Jahr 1905 Einen illuminierenden – wenn auch nicht repräsentativen – ersten Einblick in das Milieu der Automobilbesitzer bieten Personenlisten von Automobilausstellungen. Beispielsweise verzeichnete die „Komitéliste“ zur Automobilausstellung vom 4. bis 15. Februar 1905 hochrangige Personen, die sich für je eines der drei verschiedenen Komitees bzw. Ausschüsse zur Verfügung stellten.1 Es ist beeindruckend, über welche Förderer die damals noch junge Automobilbranche bereits verfügte, die sich für diese Ehrenaufgabe im Komitee zur Verfügung stellten.2 Die Liste belegte eindrucksvoll die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen für das Automobil bereits im Jahr 1905. Sie bewies auch, dass es die Eliten der Kaiserzeit waren, die sich besonders für das Automobil interessierten. Sie konnten sich diese teure Innovation leisten und verfügten damit auch über ein Distinktionsmerkmal gegenüber anderen.3 Schirmherr bzw. Protektor der Veranstaltung war Prinz Heinrich von Preußen, der Bruder von Kaiser Wilhelm II. Im „Ehren-Komité“ saßen 44 Personen, die sich primär als Komiteemitglieder für Repräsentations- und Reputationszwecken aufstellen ließen, ohne aktiv in die Organisation der Ausstellung involviert zu sein. Zu ihnen gehörten beispielsweise Graf von Bülow, amtierender Reichskanz1 Allgemeine Automobil-Zeitung (deutsche Ausgabe), Nr. 46, 1905. 2 Bereits in Kapitel 4 wurde die Gründung des Mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins im Jahr 1897 mit viel teilnehmender Prominenz aus der Wirtschaft genannt. Diese Veranstaltung galt als erste Automobilausstellung in Deutschland. 3 Die vollständige Liste ist in den Anhängen 1 und 2 abgedruckt. https://doi.org/10.1515/9783111067704-009

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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

ler, Hermann von Budde, Staatsminister und Industrieller, Karl von Einem, Kriegsminister von Preußen, Alfred von Tirpitz, Admiral und Staatssekretär des Reichsmarine-Amts, der das Flottenprogramm des Kaiserreichs verantwortete, sowie Persönlichkeiten in hohen Positionen von Staat und Verwaltung, wie Martin Kirschner, Oberbürgermeister von Berlin. Weiterhin saßen im „Ehren-Komité“ Vertreter diverser Automobilclubs aus den USA, England, Frankreich und anderen Ländern, die ihrerseits wieder hochrangige Persönlichkeiten aus Adel und Militär waren. Auch Botschafter befanden sich im „Ehren-Komité“, wie Ahmet Tevfik Pasha, Botschafter des Ottomanischen Reichs oder Charlemagne Tower Jr., Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland. Im „Ausstellungs-Komité“ saßen vorwiegend 45 hochrangige Persönlichkeiten aus der Automobilindustrie und anderen Branchen. Hier finden sich illustre Namen wie der Autopionier Wilhelm Maybach, Adolf Daimler, der Sohn von Gottlieb Daimler, der die Firma des Vaters erfolgreich weiterentwickelte, Heinrich Opel, Miteigner der Opel-Werke, oder Nikolaus Dürkopp, seinerzeit Bielefelder Nähmaschinenproduzent, dem es gelang, erfolgreich in die Automobilbranche zu diversifizieren. Auch bekannte Banker, wie James von Bleichröder, einer der wohlhabendsten Menschen des Kaiserreichs, waren im „Ausstellungs-Komité“ vertreten.4 Im 25-köpfigen Arbeits-Ausschuss, der sich mit der operativen Umsetzung der Ausstellung befasste, befanden sich ebenfalls höherrangige Persönlichkeiten aus Adel (Freiherren, Herzöge und Grafen), Militär (ein Generalmajor), Verwaltung (Kgl. Baurat, Justizrat) und Wirtschaft. Die Automobilausstellung war nach einem ausführlichen Zeitungsbericht über dieses Ereignis ein großer Erfolg. Erwähnt und zitiert wurden in diesem Bericht viele hochrangige Besucher, die die Wunderwerke der automobilen Technik bestaunten. Wahrscheinlich war diese Messe ein Meilenstein für den Durchbruch der Automobilisierung im Kaiserreich. Der österreichische Journalist schwelgte in Schwärmereien über die deutsche Automobilindustrie („Hut ab vor den Deutschen“, „das Volk der Dichter und Denker hat auch auf dem Gebiete des Automobilismus seine Denker“, „deutscher Fleiß und deutsche Beharrlichkeit“, „es ist schon eine sehr respektable Industrie über die Deutschland derzeit verfügt“, „was man auf der Ausstellung zu sehen bekommt, ist von wirklich solider Arbeit und absolut modern“) und war begeistert von der Förderung der Industrie, womit er die Prä-

4 Sein Vater Gerson von Bleichröder galt als einflussreichster Bankier zu Regierungszeiten von Bismarck und hatte diesem bei der Finanzierung diverser politischer Projekte geholfen. Zudem war er Bismarcks privater Vermögensverwalter. Gerson von Bleichröder erwirtschaftete im Laufe seiner Karriere ein großes Vermögen und galt neben Alfred Krupp als reichster Deutscher seiner Zeit. S. Ausführungen zu Gerson von Bleichröder in Preisendörfer (2021) ab S. 256 ff.

9.1 Die „Komitéliste“ zur Automobilausstellung aus dem Jahr 1905



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senz allerhöchster Repräsentanten des Staates meinte.5 Kaiser Wilhelm II. war anwesend und eröffnete die Ausstellung („sein Erscheinen ist selbstverständlich bestimmend für eine Reihe hoher und höchster Herrschaften, der Eröffnungsfeierlichkeit beizuwohnen“).6 Während des Eröffnungs-Banketts, an dem neben dem Kaiser auch sein Bruder Heinrich teilnahm, war Verkehrsminister von Budde einer der Redner. Diese Rede wurde als sehr wohlwollend für das Automobil aufgenommen – ein berichtender Journalist sprach sogar von einer Sensationsrede – da sich der Verkehrsminister stark für dieses relativ neue Verkehrsmittel einsetzte: „Die Staatsregierung wird den Automobilismus fördern, und ich als Verkehrsminister werde dies an allererster Stelle tun.“7 Gleichwohl er die Konkurrenz zum Eisenbahnwesen sah, für welches er ebenfalls zuständig war, und damit den Aufstieg des Automobils durchaus zwiespältig betrachtete, lobpreiste er das Automobil als „[…] Fahrzeug, dass Lokomotive, Salonwagen und Speisewagen ist.“ Bekenntnisse dieser Art wurden von der jungen Automobilindustrie gerne gehört. Der Frankfurter Industrielle Heinrich Kleyer, der Automobile und Fahrräder produzierte (Adler-Werke), äußerte sich auf der Ausstellung wie folgt: „Die Situation in Deutschland hat sich wesentlich zu unseren Gunsten geändert. In Frankfurt zum Beispiele gehört es bereits zum guten Ton der wohlhabenden Leute, ein Automobil zu besitzen. Es wird selbst ohne jede sportliche Ambition zu rein praktischem Gebrauche gekauft.“8 Automobilmessen waren in jener Zeit beliebt und wurden bis zum Jahr 1914 dreizehnmal organisiert. Die erste wurde im Jahr 1899 in Berlin durchgeführt („Erste Internationale Motorwagen-Ausstellung“). Bis auf drei Ausnahmen (Frankfurt a. M., Kiel) fanden diese Messen durchgängig in der Hauptstadt statt.9

5 Allgemeine Automobil-Zeitung, 12. Februar 1905, S. 3 ff. Kaiser Wilhelm II. war mit einem eigenen Stand auf der Automobilausstellung vertreten, der seine drei von ihm benutzten Fahrzeugen, darunter zwei aus dem Haus Daimler unter dem Markennamen Mercedes, präsentierte. 6 Allgemeine Automobil-Zeitung, 12. Februar 1905, S. 3. 7 Allgemeine Automobil-Zeitung, 12. Februar 1905, S. 8. Von Budde bedauerte die neue Konkurrenzsituation zur Eisenbahn, aber er sah viele Vorteile für das Automobil, die eine Eisenbahn nicht bieten konnte (Technik, Komfort, Verbesserung des Erwerbslebens im Kaiserreich). 8 Allgemeine Automobil-Zeitung, 12. Februar 1905, S. 10. 9 Horras (1982), S. 355. Wie bereits erwähnt, gab es zwei Jahre zuvor im Jahr 1897 eine erste Automobilausstellung.

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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

Abb. 23: Ausstellungsstand des deutschen Kaisers Wilhelm II. auf der Internationalen Automobilausstellung in Berlin im Februar 190510

Im Folgenden werden exemplarisch einige Persönlichkeiten aus dem Komitee mit ihren Kurzbiografien vorgestellt, die bedeutende Positionen im Kaiserreich einnahmen. Beispiel Reinhold Krätke, Reichspostamt, Berlin: In dem Werk „Wer ist’s?“ wurde folgender Eintrag vorgenommen:11 KRAETKE. Reinhold. Exz. Staatssekr. d. Reichspostamtes; W. Geb.-R.; M. d. Bundesr. — . 11. X 1845 Berlin. — Bes. d Realgymn. u. trat 64 in d. Postdienst ein, wurde 79 im Auftr. d. Verwaltg. n. Nordamerika ges., 84 Vortr. R. Reichspostamt; 87 Geh. Ob.-Post-R.; 87-90 Landeshptm. Dtsrh.Neuguinea; 97 Dir. d. 1. Abtlg. ,01 Staatssekr. d. Reichspostamts u. W. Geh.-R. Bereiste d. Hauptländer Europas u. Amerikas, ferner Agypt., Austral., Brit.- u. Niederl.-Ind. M. d. Kolonialrats. — Kr.-O. I. KI., Rot. Adl. 0. II. El. m. Stern u. Eichenl., Großkr. d. 0. v. Zähr. Löw., E.-Großkr. d. Hausu. Verd.-O. d. Her¬zogs Peter Friedr. Ludwig, Russ. Stanisl.-O. I. El., Kmdr. II. Kl. d. Schwed. Nordstern-O. usw. — Berlin W., Leipzigerstr. 14-15

10 ANNO/Österreichische Nationalbibliothek. Allgemeine Automobil-Zeitung, 12. Februar 1905, S. 11. 11 Degener (1909), S. 752 f. Degeners Werk beruht zu großen Teilen auf Selbstbeschreibungen der aufgeführten Personen. Er hat die gesammelten Angaben zur Person dann in eine einheitliche Form überführt, wie oben dargestellt.

9.1 Die „Komitéliste“ zur Automobilausstellung aus dem Jahr 1905 

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Krätke galt als rühriger Vorsteher der Kaiserlichen Post. Unter seiner Leitung wurde u. a. der Postscheckverkehr eingeführt, eine Vereinheitlichung des Postwesens mit im ganzen Reich geltenden Briefmarken ermöglicht und das erste Fernkabel im Rheinland verlegt.12 Zu Krätke gab es keinen Fahrzeughaltereintrag im Adressbuch. Es ist denkbar, dass Krätke mit einem Fahrzeug der Berliner Post gefahren wurde, die im Adressbuch mehrfach als Fahrzeughalter angegeben wurde. Beispiel Dr. Georg von Borries, Polizeipräsident Berlin:13 BORRIES. Georg F. B. II. J. v., Reg-Präs. - * 9. III 1857 Herford, Westf. — V: Georg v. B., L.-R. d. Kr. Herford; M: Bertha geb. Volllagen. — Gymn. Herford; Univ. Heidelberg, Berlin. — Verh: 90 m. Martha, T. d. Rittergutsbes. v. Kryger. — Refer. Bünde, Herford, Halberstadt, Oppeln, Kattowitz; 83 Reg.-Ass. Aurich u. Lüneburg; 85-91 L.-R. d. Kr. Norden, Ostfr.; 91-02 L.-R. d. Kr. Her-ford, seit 1. I 03 Polizei-Präs. Berlin; Jan. 08 Reg.-Präs. v. Magdeburg. — Konservativ. — Magdeburg

Von Borries, ein Angehöriger des Adels und Rittergutsbesitzer, war ein erfolgreicher Verwaltungsbeamter, der zum Zeitpunkt der Herausgabe des Adressbuchs bereits Regierungspräsident in Magdeburg war und kurze Zeit später Regierungspräsident für den Regierungsbezirk Minden wurde.14 Im Adressbuch wurden zu von Borries folgende Angaben gemacht: v. Borries, Dr., Regierungspräsident, Domplatz 4, Magdeburg, Lxw., Kennzeichen IM 1073 (IM, Preußen, Provinz Sachsen). Beispiel Gustav Becker, Generalmajor a. D., Westend.15 BECKER, G., Gen.-Maj. a. D., Präs. d. Mitteleurop. Mot.-Wag.-Ver. — 95 Ausscheid. aus d. königl. Dienst; beschäft. sich schon Jahre lang m. d. Fabrikat. u. Konstrukt. v. Artillerie-u. Armee-Fahrzeug.; Vorliebe f. Autom.; Erst. Fahrtversuch d. ein franz. Decauville-Wag. (Wartburgwag.); 97 Erst. Autoreise allein von Berlin üb. das Erzgebirge, Franzensbad, Fichtelgebirge üb. Regensburg nach München, Mittenwald, a. d. Scharnitz a. d. Paßhöhe n. Seefeld i. Tirol. — Berlin

12 S. Interneteintrag zu Krätke unter https://www.deutsche-biographie.de/gnd116355794. html#ndbcontent. 13 Degener (1909), S. 151 14 S. Interneteintrag zu von Borries im Internet-Portal Westfälische Geschichte unter https:// www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/haupt.php?urlNeu=. 15 Degener (1909), S. 74

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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

Der Mitteleuropäische Motorwagen-Verein war mit seiner Gründung im Jahr 1887 der erste Automobilclub Deutschlands. Gründungsmitglieder waren u. a. die Firmen Benz und Daimler. Becker war im Jahr 1909 der Vorsitzende des Vereins. Im Adressbuch wurden zum Wagen von Becker folgende Angaben aufgeführt: Becker, Gustav, Generalmajor z. D., Kastanienallee 17, Charlottenburg, Lxw., Kennzeichen IA 629. Beispiel Heinrich Kleyer, Generaldirektor, Frankfurt a. M.:16 KLEYER, Heinrich L., kgl. preuß. Kom.-R., Gen.-Dir. u. Begr. d. Adler -Werke vorm. H. Kleyer A.- G. — * 13. XII 1853 Darmstadt. — V: Wilhelm K., Masch.-Fabrik-bes., Darmstadt, i. Fa. Kleyer u. Beck; M: Sophie Hohn. — Grßh. hess. Realsch. u. Techn. Hochsch. Darmstadt. — Verh: 6. V 82 m. El¬vira Biernatzki, T. d. Joh. Aug. Stanislaw B. u. Louise Schmidt, T. d. Just.-R. Sch., Altona. K: Elsa * 18. X 83, verh. m. Ob.-Lt. Cunze; Willy * 6. IX 85; Erwin * 3. VII 88; Gertrud 18. XII 89; Irmgard * 13. II 91; Erika * 29. IX 92; Otto * 12. XII 98. Irene * 23. VIII 00. —Bereit. sich m. techn. Kenntniss. f. d. kaufm. Leitg. d. väterl. Masch.-Fabrik vor; war in Ma-schinenfabriken, Handelshäus. u. Walzwerken Frankfurt a. M., Darmstadt, Kirchen a. Sieg, Hamburg u. in d. Ver. St. v. Amerika tätig; 1. III 80 begr. er in Frankfurt a. M. e. Maschin.-Handelsgesch., d. n. Vergrößerg. in e. Fabrikationsgesch. Heinrich Kleyer m. d. Adlermarke umgewandelt wurde, woraus 95 d. jetz. Adlerwerke entstand. — Nat.-lib. — M. d. Frankfurter Renn-Kl.; kaisl. Autom.-Kl.; Senckenbergsche Naturf.-Ges.; Phys. Ver.; Frankf. Union-Kl.; Begr. d. Frankf. Bicycle-Kl. 81; Ilithrsgb. d. Dtsch. Radf.-Bd.; Vors. d. Ver. dtsch. Fahrrad-Fabktn.; II. Vors. d. Ver. dtsch. Motorfahrz.-Industr.; Frankf. Autom.-KI. u. a. m. — Frankfurt, a. 51., Wiesenhüttenplatz 33

Die Adlerwerke, die von Kleyer begründet wurden, waren im Kaiserreich bekannt für die Herstellung von Fahrrädern, Automobilen und Motorrädern. Kleyer war ein angesehener Unternehmer, der ab Ende des 19. Jahrhunderts die Büroarbeit als einer der Pioniere mit der Produktion von Schreibmaschinen revolutionierte. Kleyer wurde unter seinem Namen im Adressbuch nicht als Fahrzeughalter eingetragen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass Kleyer Luxusfahrzeuge aus eigener Produktion fuhr, denn es gab diverse Eintragungen mit dem Fahrzeughalter Adlerwerke.

16 Degener (1909), S. 714

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen



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Beispiel Hans Heinrich, Prinz von Pless, Fürstenstein.:17 PLESS. H. Heinrich XV. Prinz v. Grf. v. Hochberg, Frhr. z. Fürstenstein, Fürstl. Gnaden, M. d. Pr. 1111. a. Lebenszt.; kgl. dtsch. Legationssekr.; Rittmstr. ä 1. s. d. A. — * 23. IV 1861 PIeB. — V: Hans Heinrich XI., Herz. v. Pl. usw. — Verh: 8. XI. 91 rn. Mary Th. O. West a. d. H. d. Earls Delawarr * 28. VI 73. K: Grf. H. Heinrich XVII., * 2. II 00. — Fürstenstein

Prinz von Pless war ein enger Vertrauter von Kaiser Wilhelm II. Er zählte zu den wohlhabendsten Adeligen des Kaiserreichs. Sein Schloss Pleß, in Oberschlesien gelegen, war vor dem 1. Weltkrieg Mittelpunkt von Feiern des europäischen Adels dank seiner englischen Frau Mary (Daisy) von Pless, die als High-Society-Lady über beste Kontakte in ganz Europa verfügte. Im 1. Weltkrieg war das Schloss zeitweise Hauptquartier der kaiserlichen Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff. Zu Prinz von Pless wurden diverse Fahrzeughaltereinträge im Adressbuch mit folgenden Angaben vorgenommen: – Fürst von Pless, Fürstenstein, 2 Lxw., Kennzeichen IK 1453, IK 1454 (IK für Preußen, Provinz Schlesien) – Fürstl. Pleßsche Bergwerksdirektion, Schloß Waldenburg, LW., Kennzeichen IK 1458 – Fürst von Pleß, Pleß-Schloss, GW., Kennzeichen IK 1922 – Fürst von Pleß, Pleß, Schloss, Lxw., Kennzeichen IK 1926

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen Das Adressbuch ist eine Fundgrube an Persönlichkeiten aus dem Kaiserreich, die sich Automobile oder andere Fahrzeuge anschafften und aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus stammten. Es wurden hunderte von führenden Persönlichkeiten aus Adel, Politik, Militär, Wirtschaft und Bildungsbürgertum im Adressbuch identifiziert, deren Lebensumstände sich dank umfangreicher Informationen aus jener Zeit gut recherchieren lassen. In diesem Kapitel werden mehr als 180 Persönlichkeiten und Unternehmen vorgestellt, die Early Adopters der Individualmobilisierung waren.18 Die Darstellungen haben den Charme, dass sie die gesamte Lebensspanne der aufgeführten Persönlichkeiten umfassen und damit interessante Entwicklungen nach dem Jahr 1909 aufzeigen. Jeder Fahrzeughalter wird in wenigen Sätzen auf Basis ausgewählter Wikipedia-Lexikoneinträge vorge17 Degener (1909), S. 1070 18 Die Auswahl der im Text aufgeführten Persönlichkeiten ist subjektiv.

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stellt. Weiterhin wurde zusätzlich die entsprechende Fundstelle im Adressbuch angegeben, um die Person als Early Adopter nachzuweisen. Für weitergehende Informationen sind QR-Barcodes abgedruckt, die einen Zugriff auf den jeweiligen Wikipedia-Eintrag ermöglichen. Dort lassen sich umfangreiche Informationen und vielfältiges Bildmaterial zu den Personen nachlesen und betrachten.19 Diese hybride Form des Zugriffs wurde anstelle entsprechender Fußnoten gewählt, um einem interessierten Leser den direkten Zugriff auf die Fundstelle zu ermöglichen, falls sie oder er mehr zu den Lebensumständen der betreffenden Persönlichkeit erfahren möchte. In diversen Fällen ließen sich zu Einzelpersonen keine Einträge im Online-Lexikon nachweisen. Dann wurde alternativ ein QR-Link auf die Familie, ein anderes bekanntes Familienmitglied oder das Unternehmen, in dem die Person an führender Stelle tätig war, abgedruckt. Bei der Rezeption der Early Adopters, die in diesem Kapitel beschrieben werden, sollte man nicht vergessen, dass es sich hier um Persönlichkeiten handelt, deren Biografie bis heute gut nachweisbar ist. Sie gehörten fast ausnahmslos der Oberschicht an, die lediglich 13,5 % aller Fahrzeughalter im Kaiserreich stellte. Die übrigen 86,5 % der Fahrzeughalter haben keine Spuren hinterlassen. Viele der vorgestellten Adeligen sind heute nicht mehr bekannt, aber hatten im Kaiserreich wichtige Stellungen inne. Ihre Adelsfamilien existieren bis heute. Unter den Early Adopters befanden sich auch Vertreter von Adelsfamilien, die in ihren Reihen einige sehr bekannte Persönlichkeiten hatten, wie die Münchhausens, Richthofens, Fuggers, Hindenburgs, Stauffenbergs oder das deutsch-britische Adelsgeschlecht der Battenbergs (Mountbatten). Auch die Kaiserfamilie war vertreten. Aus dem Umfeld von Kaiser Wilhelm II. lassen sich zwei seiner Söhne (Oskar und Adalbert), sein Bruder Prinz Heinrich und dessen Sohn Waldemar, im Adressbuch nachweisen. Weiterhin ist König Wilhelm II. aus Württemberg vertreten, der mit seinem Namensvetter in Berlin nicht verwandt war. Ferner finden sich viele Unternehmer, die bis in die heutige Gegenwart eine hohe Ausstrahlwirkung haben und deren Namen in den von ihnen geschaffenen oder weiterentwickelten Unternehmen weiterleben. Dazu gehören beispielsweise Thyssen, Siemens, Haniel, Krupp von Bohlen-Halbach, Bosch, Merck oder Henkel, um nur einige von ihnen zu nennen. Auch Horch darf nicht vergessen werden, 19 Wikipedia hat als Online-Lexikon den Vorteil, dass sich in Kurzform biografische Angaben zu den einzelnen Personen abrufen lassen. Für weitergehende Analysen gibt es eine Fülle weiterer Quellen. In diversen Fußnoten werden einige dieser Quellen angegeben. Die Barcode-Links zu den jeweiligen Wikipedia-Einträgen wurden über das frei verfügbare QRpedia erzeugt. Sie stoßen keine Datenverarbeitung an. Diese erfolgt erst nach Aufruf der verknüpften Zielseite des Anbieters und gehört damit zu dessen Verantwortungsbereich. Die inhaltliche Qualität der einzelnen Artikel wurde nicht näher geprüft.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen



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dessen latinisierter Name „Audi“ Träger einer Weltmarke ist. Es werden weiterhin eine Reihe von heute weniger bekannten Wirtschaftsgrößen dargestellt, die im Kaiserreich sehr erfolgreich waren, wie Hugo Stinnes, der zu Lebzeiten wahrscheinlich der dynamischste aller Unternehmer seiner Generation war, dessen Lebenswerk allerdings mit seinem Tod unterging. Von den vorgestellten Firmen befanden sich viele im Jahr 1909 noch am Anfang ihrer Entwicklung mit einer überschaubaren Größe. Aus einigen sind Weltkonzerne geworden, die heute Milliardenumsätze generieren. Darunter illustre Namen wie Benz, Daimler, Sartorius, Heidelberg Zement oder Freudenberg. Manche wie Siemens waren bereits damals bedeutende Großunternehmen. Sie existieren mittlerweile mehr als hundert Jahre und scheinen stärker denn je zu sein, eine bemerkenswerte Leistung, wenn man bedenkt, dass die übliche Lebensspanne vieler Unternehmen weniger als 20 Jahre beträgt. Andere waren im Kaiserreich bedeutende Unternehmen, heute dagegen finden sich nur noch Spurenelemente von ihnen in Markennamen oder mittelständischen Unternehmen, wie AEG, Borsig oder Henschel. Viele der im Adressbuch verzeichneten Firmen existieren nicht mehr. Bei manchen lässt sich das Schicksal noch nachvollziehen, welches häufig mit Insolvenz oder Übernahme endete, bei den meisten verliert sich die Spur. Aus dem Bildungsbürgertum lassen sich interessante Persönlichkeiten nachweisen, die zu ihrer Zeit bekannt waren als Musiker, Ärzte, Architekten, Juristen oder Mäzenen. Ferner sind einzelne Witwen aufgeführt, die als Erbinnen ihrer Männer, die in der Wirtschaft Erfolg hatten, dem gehobenen Bürgertum zuzurechnen waren. Unter der Rubrik sonstige Persönlichkeiten wurden Menschen aus weiteren Lebensbereichen zusammengefasst, wie z. B. aus dem Militär und aus dem Ausland. Unter den Militärangehörigen befanden sich diverse Generäle, die auch in der Adels-Rubrik hätten aufgeführt werden können, die aber aufgrund ihrer eindrucksvollen militärischen Karrieren in dieser Rubrik ausgewiesen wurden. Individualmobilisten aus dem Handwerk befanden sich in großer Zahl im Adressbuch. Zumindest zwei von ihnen, die heute einen gewissen Bekanntheitsgrad haben, konnten identifiziert werden. Es handelte sich zum einen um die Familie Tellgmann, die als Fotografen des Kaisers eine Vielzahl von Fotografien erstellt haben, die in einschlägigen Geschichtswerken und Bildbänden abgebildet sind und das Kaiserzeit sichtbar machen. Zum anderen wird ein damals unbekannter Handwerker namens A. Hornbach erwähnt, der als Dachdeckermeister in Landau arbeitete. Viele Jahrzehnte und Generationen später ist im Land die bekannte Baumarktkette Hornbach tätig, die noch heute von der gleichnamigen Familie geführt wird. Auch aus dem nahen Ausland wurden diverse Persönlichkeiten als Fahrzeughalter eingetragen. Sie kamen aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich und an-

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deren Ländern, und waren im Adressbuch mit ihren Heimatadressen oder einer deutschen Anschrift eingetragen. Der bekannteste dürfte Ettore Bugatti gewesen sein, der Begründer einer Automobilweltmarke, die es damals noch nicht gab, als Bugatti als junger Ingenieur Berufserfahrung in Deutschland sammelte. Die vorgestellten Personen und Unternehmen ergeben ein buntes Panorama aus jener Zeit, insbesondere, wenn man die kompletten Lebens- und Unternehmensgeschichten liest, auf die man über den jeweiligen QR-Link direkt zugreifen kann.

9.2.1 Persönlichkeiten aus dem Adel Leopold IV., Fürst zur Lippe. 1871–1949. Er stand einem der kleinsten Staaten des Deutschen Kaiserreichs vor (nach Fläche und Einwohneranzahl) und war der letzte Regent im Fürstentum. Insgesamt waren im Fürstentum Lippe im Jahr 1909 nur 69 Fahrzeuge angemeldet. Fahrzeugdaten: L 80, Lxw., Detmold, Fürstentum Lippe, S. 55. Robert von Althann, Freiherr. 1853–1919. Er entstammte einem alten preußisch-bayrischen-österreichischem Adelsgeschlecht, welches sich bis zu Beginn des 12. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt. Er war Gutsbesitzer mit Liegenschaften in Österreich und Preußen. Er war gleichzeitig Mitglied im Preußischen und im Österreichischen Herrenhaus. Im Adressbuch ist er mit dem Wohnort Mittelwalde in Niederschlesien eingetragen. Es existiert ein Bild von ihm, wie er in seinem Auto einen befreundeten Adeligen besucht (s. QR Code-Link). Fahrzeugdaten: IK 128, IK 129, Lxw., Mittelwalde, Provinz Schlesien, S. 422. Freiherr von Tiele-Winckler, Rittergutsbesitzer, Angehöriger eines mecklenburgischen Adelsgeschlechts. Es handelte sich vermutlich um Walter von Tiele-Winckler (1858–1909), dem Güter in Mecklenburg gehörten. Sein Bruder Franz-Hubert verfügte über die oberschlesischen Güter und Betriebe. Der angegebene QR-Code-Link bezieht sich auf die Familie. Fahrzeugdaten: MI 433, Lxw., Schorrsow bei Vollrathsruhe in Mecklenburg-Schwerin, S. 63.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Wilhelm-Ernst, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach. 1876– 1923. Er war der letzte Großherzog von Sachsen und galt als einer der reichsten Adeligen Deutschlands. Er verbrachte seinen Lebensabend auf Schloss Heinrichau in Schlesien. Zu ihm gibt es zwei Einträge im Adressbuch. Fahrzeugdaten: IK 151, Lxw., Schloss Heinrichau, Provinz Schlesien, S. 423 und IVB 2303, Lxw., Heidelberg, S. 1068. Graf H. v. Bethusy-Huc. Lebensdaten unbekannt. Der Rittergutsbesitzer war eines von sechs Kinder von Eduard Georg Graf von Bethusy-Huc, der als Parlamentarier im Reichstag des Norddeutschen Bundes und Deutschen Kaiserreichs (ab 1871) großen Einfluss besaß. Graf H. v. Bethusy-Huc wohnte im Schloss Bankau (Oberschlesien), welches von seinem Vater Eduard im Jahr 1855 errichtet wurde. Die Familie v. Bethusy-Huc wurde von König Friedrich II. in den Grafenstand erhoben. Der angegebene QR Code-Link bezieht sich auf Eduard (Vater). Fahrzeugdaten: IK 362, Lxw., Bankau, Provinz Schlesien, S. 427. Guido Graf Henckel von Donnersmarck. 1830–1916. Er war Angehöriger des Adelsgeschlechts der Henckel von Donnersmarck. Er gebot über eine Vielzahl von Unternehmen und Industriebeteiligungen. Er zählte zu den wohlhabendsten Adeligen im Kaiserreich. Als Fahrzeughalteradresse ist Schloss Neudeck („Oberschlesisches Versailles“) angegeben, welches er im Jahr 1875 errichten ließ. Fahrzeugdaten: Drei Lxw. mit den Kennzeichen IK 473, IK 474, IK 475, Schloss Neudeck und Koslowagora, Provinz Schlesien. S. 429. Albrecht Freiherr von Richthofen. 1859–1920. Rittmeister. Er stammte aus der Adelsfamilie der Richthofens. Einer seiner Söhne, Manfred von Richthofen, erlangte als Jagdflieger („Roter Baron“) im 1. Weltkrieg Berühmtheit. Der QR Code-Link bezieht sich auf Manfred, zu dessen Eintrag auch sein Vater Albrecht inklusive Familienfoto erwähnt wird. Fahrzeugdaten: IK 1007, Lxw. Breslau, Provinz Schlesien, S. 439.



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Christian Kraft Fürst zu Hohenlohe-Öhringen. 1848–1926. Industrieller, Großgrundbesitzer und Politiker. Der Fürst galt nach Kaiser Wilhelm II. als reichster Adeliger Deutschlands. Er war eng bekannt mit dem Kaiser. Das Adelsgeschlecht Hohenlohe-Öhringen ist mehrfach mit verschiedenen Adeligen im Adressbuch vertreten. Als Fahrzeughalteradresse von Christian Kraft ist Slawentzitz angegeben. Fahrzeugdaten: IK 1837, IK 1838, IK 1840, drei Lxw., Slawentzitz, Provinz Schlesien, S. 452. Prinz Franz Joseph von Hohenzollern. 1891–1964. Sein Wohnsitz war Schloss Sigmaringen. Der Prinz gehörte zur römisch-katholischen Linie des Fürstengeschlechts Hohenzollern-Sigmaringen. Er war der Zwillingsbruder von Friedrich von Hohenzollern, der Oberhaupt der Hohenzollern während der Weimarer Republik und der Diktatur der Nationalsozialisten war. Zu Franz Joseph gibt es keinen Eintrag im Online-Lexikon. Der QR Code-Link bezieht sich auf seinen Zwillingsbruder. Fahrzeugdaten: IL 38, Lxw., Sigmaringen, S. 477. Fürst Wilhelm von Hohenzollern. 1864–1927. Sein Wohnsitz war Schloss Sigmaringen. Der Fürst war in den Jahren 1905 bis 1918 Oberhaupt der Hohenzollern und aktiver General der Infanterie. Auf einem Bild zu seinem Wikipedia-Eintrag ist er mit dem österreichischen Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este bei einem Kaisermanöver zu sehen. Der österreichische Erzherzog starb im Jahr 1914 bei einem Attentat in Sarajewo, welches der Auslöser des 1. Weltkriegs war. Fahrzeugdaten: IL 42, Lxw., Sigmaringen, S. 477. Freifrau von Münchhausen (Lebensdaten unbekannt). Einer ihrer Vorfahren aus dem 18. Jahrhundert war Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen, der als „Lügenbaron“ Berühmtheit erlangte. Die Freifrau wohnte im Schloss Leitzkau in Althaus-Leitzkau. Der QR Code-Link bezieht sich auf das Adelsgeschlecht Münchhausen. Fahrzeugdaten: IM 1555, Lxw., Althaus-Leitzkau, Provinz Sachsen, S. 502.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Heinrich Prinz von Schönburg-Waldenburg. 1863–1945. Der Prinz gehörte zum Adelsgeschlecht der Schönburgs. Die verschiedenen Linien dieses Geschlechts verfügten über umfangreiche Besitzungen und Schlösser. Heinrich lebte auf Schloß Droyßig im Kreis Weißenfels in der Provinz Sachsen. Der QR Code-Link bezieht sich auf das Adelsgeschlecht. Fahrzeugdaten: IM 3141, Lxw., S. 521. Prinz Heinrich von Preußen. 1862–1929. Heinrich war der Bruder des Kaisers. Er diente u. a. als Großadmiral, Inspekteur der Marine und Oberbefehlshaber der Ostseestreitkräfte im Ersten Weltkrieg. Er galt als ausgesprochener Automobilfreund und stiftete den Prinz-Heinrich-Fahrten-Preis, der für einen Autofahrtenwettbewerb vergeben wurde. Im Adressbuch wurde er mit der Meldeadresse Schloß Kiel geführt. Dort wohnte er in den Jahren 1888 bis 1918. Fahrzeugdaten: IP 401, Lxw., S. 532, IP 1004, IP 1032, IP 1035, allesamt Lxw., Kiel, Schleswig-Holstein, S. 545. Prinz Adalbert von Preußen. 1884–1948. Der dritte von sechs Söhnen und einer Schwester von Kaiser Wilhelm II. war mit seinem Fahrzeug in Kiel, Düsternbrook 32 gemeldet. Düsternbrook ist ein Stadtteil Kiels mit damaliger besonderer Bedeutung für die Kaiserliche Marine und der dort angesiedelten Werft. Um das Jahr 1909 lebten in Kiel zehntausende von Werftarbeitern und Marineangehörige. Adalbert wurde militärisch mit navaler Ausrichtung erzogen. Im 1. Weltkrieg kommandierte er diverse Kriegsschiffe. Fahrzeugdaten: IP 1003, Lxw., Kiel, Schleswig-Holstein, S. 544. Prinz Heinrich XXX. Reuß zu Köstritz. 1864–1939. Im Adressbuch war der Prinz mit der Berufsbezeichnung Major in Flensburg als Halter eines Kraftrads eingetragen. Heinrich war mit Feodora von Sachsen-Meiningen, einer Urenkelin von Queen Victoria, verheiratet. Der Prinz verstarb auf Schloss Neuhoff in Niederschlesien, einem Anwesen im Besitz der Reußens. Der QR Code-Link bezieht sich auf das Adelsgeschlecht Reuß, da es zu Heinrich keinen separaten Eintrag gibt. Fahrzeugdaten: IP 1486, KrR., Flensburg, Schleswig-Holstein, S. 554.



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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

Bertha von Lucius, Baronin, geb. Freiin von Stumm-Halberg. 1876– 1949. Ihr Vater Carl-Ferdinand von Stumm-Halberg war Industrieller und galt als einer der politisch einflussreichsten und wohlhabendsten Männer Preußens. Bertha war bis zum Jahr 1907 mit Hellmuth Lucius von Stoedten, einem Diplomaten, verheiratet. Im Jahr 1912 heiratete sie Adalbert von Francken-Sierstorpff, der u. a. den Deutschen Automobilclub mitgründete und dort in der Frühzeit des Automobils an führender Stelle tätig war. Der QR CodeLink bezieht sich auf die Industriellenfamilie Stumm, da zu Bertha kein separater Eintrag vorhanden ist. Fahrzeugdaten: IT 1370, Lxw., Wiesbaden, Provinz Hessen-Nassau, S. 641. Großfürst Wladimir von Rußland. 1847–1909. Wladimir gehörte zur Zarenfamilie der Romanows. Sein Vater Alexander II. war bis zu seinem Tod im Jahr 1881 Zar Russlands. Er war der Onkel von Nikolaus II., dem letzten Zaren Russlands, der im Jahr 1918 in den Wirren der russischen Revolution ermordet wurde. Wladimir war mit der deutschen Prinzessin Marie zu Mecklenburg verheiratet. Er war als Fahrzeughalter mit einem Fahrzeug in Homburg gemeldet. Es ist nicht bekannt, ob er dort einen eigenen Wohnsitz hatte oder ob er sich zu einem Kuraufenthalt nach Homburg begeben hatte. Fahrzeugdaten: IT 1521, Lxw., Homburg, Provinz Hessen-Nassau, S. 644. Prinz Alexander von Oldenburg. 1844–1932. Der Prinz war ein Adeliger aus höchsten Kreisen und Militär in Russland. Er war mit der Zarenfamilie verwandt und galt als einer der reichsten Männer Russlands. Im Adressbuch wurde er mit zwei angemeldeten Fahrzeugen auf derselben Seite wie Großfürst Wladimir und Großfürst Georg von Rußland (s. folgenden Eintrag) mit der Adresse Homburg eingetragen. Das weist auf die enge Verbundenheit der Familien hin, die vielleicht sogar gemeinsame Aufenthalte in Deutschland hatten. In den Folgen der Oktoberrevolution entkam er mit seiner Frau nach Finnland und lebte später im Exil in Frankreich. Fahrzeugdaten: IT 1523, Lxw. und IT 1546, Lxw., Homburg, Provinz Hessen-Nassau, S. 644.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Großfürst Georg von Rußland. 1863–1919. Er gehörte ebenfalls zum Umfeld des Zaren, wie die beiden zuvor genannten Persönlichkeiten. Er war General der zaristischen Armee. Georg wurde im Jahr 1919 von den Bolschewisten in Gefangenschaft erschossen. Fahrzeugdaten: IT 1527, Lxw., Homburg, Provinz Hessen-Nassau, S. 644. Carl Caspar Freiherr von Droste zu Hülshoff. 1843–1922. Er war Gutsbesitzer, Militär und Politiker. Er gehörte zum alten Adelsgeschlecht der Hülshoffs, die über viele Besitzungen verfügten. Er lebte mit seiner Frau bis zum Jahr 1912 auf Schloss Hamborn bei Paderborn, welches auch als seine Fahrzeughalteradresse angegeben ist. Er war ein Neffe der berühmten Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff, die er kaum noch bewusst gekannt haben dürfte, da er fünf Jahre alt war, als sie verstarb. Fahrzeugdaten: IX 2020, Lxw., Paderborn, Westfalen, S. 685. Eberhard Freiherr von der Recke von der Horst. 1847–1911. Er hatte diverse administrative Posten inne, u. a. Regierungspräsident in verschiedenen Bezirken und war zeitweise Innenminister von Preußen. Fahrzeugdaten: IX 2526, Lxw., Münster, Westfalen, S. 688. Fürst Otto II. zu Salm-Horstmar. 1867–1941. Er war ein umstrittener Politiker mit rechtsgerichteter Gesinnung. Er galt als engagierter Befürworter des Flottenprogramms von Kaiser Wilhelm II., was sich durch seinen mehrjährigen Vorsitz des Deutschen Flottenvereins manifestierte. Er war ein ausgewiesener Gegner der Weimarer Republik. Fahrzeugdaten: IX 3127, Lxw., Schloss Varlar bei Coesfeld, Westfalen, S. 692. Fürst Alfred zu Salm-Salm. 1846–1923. Als junger Mann war er Militärteilnehmer in den Kriegen gegen Dänemark (1864) und Österreich (1866). Weiterhin war er Mitglied des Preußischen Herrenhauses. Im Jahr 1908 übernahm er als Oberhaupt der Familie das umfangreiche Familienerbe. Als Wohnsitz diente ihm Schloss Anholt im Münsterland. Fahrzeugdaten: IX 3335, Lxw., Anholt, Provinz Westfalen, S. 693.



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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

Herzog Engelbert von Arenberg. 1872–1949. Ein Kosmopolit (Geburt in Österreich, aufgewachsen in Belgien, gestorben in der Schweiz), der eine Affinität zum Militär hatte (u. a. diente er dem Kaiserreich im 1. Weltkrieg als Major). Er war Mitglied des Preußischen Herrenhauses und galt durch sein Erbe als reichster Grundbesitzer Westfalens. In seinem Besitz befand sich Schloss Nordkirchen, welches heute als Hochschule für angehende Finanzbeamte genutzt wird. Fahrzeugdaten: IX 3501, Lxw., Nordkirchen, Provinz Westfalen, S. 694. Wilhelm Wilderich Freiherr von Ketteler. 1906–1938. Er war Angehöriger der Adelsfamilie Ketteler. Er wuchs im Schloss Schwarzenraben bei Lippstadt auf. Er war ein enger Mitarbeiter des ehemaligen Reichskanzlers Franz von Papen während dessen Tätigkeit ab dem Jahr 1936 als Sonderbotschafter Deutschlands in Österreich. Wilderich wurde im Jahr 1938 in Österreich ermordet, vermutlich aufgrund seiner Planung, Adolf Hitler zu erschießen, der in jenem Jahr Österreich für das Deutsche Reich annektiert hatte. Hinweis: Der Fahrzeughaltereintrag ist nicht stimmig, da Wilderich im Jahr 1909 drei Jahre alt war. Entweder wurde der Wagen trotz Minderjährigkeit unter seinem Namen angemeldet oder es handelte sich um einen anderen der nachweisbaren Wilderichs in der Familie; allerdings passten die Lebensdaten nicht zum Haltereintrag. Fahrzeugdaten: IX 4824, Lxw., Schwarzenraben, Amt Störmede, Provinz Westfalen, S. 702. Graf von Posadowski-Wehner. 1872–1954. Der Graf war in Düsseldorf mit einem Kraftrad gemeldet. Es handelte sich wahrscheinlich um Hans Adam Nikolaus, ein Sohn des bekannten und bedeutenden Politikers Arthur Graf von Posadowski-Wehner. Sein Vater, der von 1845 bis 1932 lebte, war wahrscheinlich zu alt, um ein Motorrad zu fahren. Sein Vater war u. a. Staatssekretär, preußischer Staatsminister ohne Geschäftsbereich und Vizekanzler des Kaiserreichs. Er setzte wichtige Gesetze durch oder entwickelte sie weiter, z. B. in der Sozialgesetzgebung. Zu Hans Adam Nikolaus gibt es keinen Lexikoneintrag, Der QR Code-Link bezieht sich auf seinen Vater Arthur. Fahrzeugdaten: IZ 629, Lxw., Düsseldorf, Rheinprovinz, S. 735.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Prinzessin Louise von Belgien. 1858–1924. Sie entstammte höchsten Kreisen (Tochter des belgischen Königs Leopold II. und von MarieHenriette, Erzherzogin von Österreich). Ihre unglückliche Ehe mit dem deutschen Prinzen Philipp von Sachsen-Coburg und Gotha mündete in einem europäischen Adelsskandal und einer unerfreulichen Lebensentwicklung für die Prinzessin, die zeitweilig in einer Heilanstalt auf Anordnung des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. festgehalten wurde. Ihr bewegtes Leben und ihr opulenter Lebensstil führte sie in diverse europäische Länder. Laut Adressbuch war sie im Jahr 1909 in Aachen mit zwei Fahrzeugen angemeldet. Fahrzeugdaten: IZ 1016, IZ 1017, zwei Lxw., Aachen, Rheinprovinz, S. 741. Prince de Croy, Jos. Lebensdaten unbekannt. Er entstammte einem alten französischen Adelsgeschlecht mit vielen Linien. Es lässt sich nicht eindeutig feststellen, zu welcher Linie er gehörte. Der deutsche Zweig lebte in Dülmen. Dieser Prinz war mit der Halteradresse Brüssel, Belgien eingetragen. Der QR Code-Link bezieht sich auf das Adelsgeschlecht der Croy. Fahrzeugdaten: IZ 1881, IZ 1882, zwei Lxw., Wohnort Brüssel (Belgien), Rheinprovinz (Eintrag Halterregion), S. 753. Graf Alexander von Hachenburg. 1847–1940. Er stammte aus dem Adelsgeschlecht Sayn-Wittgenstein. Sein Vater war in erster Ehe mit der Prinzessin Stefanie Radziwill verheiratet, die durch Erbe über den größten privaten Grundbesitz Europas verfügte, hauptsächlich in Litauen. Graf Alexander lebte mit seiner Frau in Hachenburg und widmete sich dem Wiederaufbau des Friedewalder Schlosses in Rheinland-Pfalz. Fahrzeugdaten: IZ 2137, Lxw., Friedewald, Rheinprovinz, S. 757. Clemens Freiherr von Schorlemer-Lieser. 1856–1922. Er bekleidete diverse hochrangige Positionen in Politik und öffentlicher Verwaltung, darunter die des Ober-Präsidenten der Rheinprovinz (auf ausdrücklichen Wunsch von Kaiser Wilhelm II.) und die des preußischen Landwirtschaftsministers. Als Fahrzeughalteradresse ist das Königliche Schloß in Coblenz (Eintrag mit C im Adressbuch) angegeben, welches heute Kurfürstliches Schloss heißt. Das Schloss



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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

war Amtssitz diverser preußischer Behörden, aber auch Wohnsitz der kaiserlichen Familie. Kaiser Wilhelm I. residierte dort einige Jahre noch weit vor der Reichsgründung als Prinz von Preußen. Fahrzeugdaten: IZ 2196, Lxw., Koblenz, Rheinprovinz, S.757. Graf von Dürckheim. 1858–1939. Bei dem Eintrag handelte es sich vermutlich um Friedrich Georg Michael Maria Graf Eckbrecht von Dürckheim-Montmartin, der mit der Halteradresse Schloss Bassenheim (bei Koblenz) eingetragen ist. Zu seiner Person findet sich kein Wikipedia-Eintrag. Der QR Code-Link bezieht sich auf das Adelsgeschlecht der Dürckheims. Fahrzeugdaten: IZ 2421, Lxw., Bassenheim, Rheinprovinz, S. 758. Fürst Richard zu Sayn-Wittgenstein. 1882–1925. Er war Oberhaupt des Adelsgeschlechts Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Als Kriegsteilnehmer diente er als Offizier in einem Ulanenregiment und erreichte den Dienstgrad eines Rittmeisters. Er verbrachte seine Ziviljahre auf dem Familienschloss in Bad Berleburg. Er verstarb jung im Alter von 42 Jahren bei einem Autounfall. Fahrzeugdaten: IX 5359, Lxw. Berleburg, Provinz Westfalen, S. 705 und IZ 2408, Lxw., Sayn, Rheinprovinz, S. 758. Friedrich Fürst zu Wied. 1872–1945. Sohn der niederländischen Prinzessin Marie von Oranien-Nassau, die ihrerseits wiederum Enkelin vom Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. war. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er im Jahr 1907 das Fürstentum Wied und lebte auf Schloss Neuwied nahe Koblenz. Fahrzeugdaten: IZ 2845, Lxw., Neuwied, Rheinprovinz, S. 762. Oskar Prinz von Preußen. 1888–1958. Oskar war der fünfte Sohn von Kaiser Wilhelm II. Er galt als militär-affin und erreichte im ersten Weltkrieg die Position eines Obersts. Im zweiten Weltkrieg wurde er sogar zum Generalmajor befördert, musste aber auf persönliche Intervention von Hitler die Wehrmacht verlassen (sog. „Prinzenerlass“). Im Zivilleben gründete er die Johanniter-UnfallHilfe. Fahrzeugdaten: IZ 3519, Lxw. Bonn, Rheinprovinz, S. 773.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

August Graf von Galen. 1866–1912. Der Graf aus der Adelsfamilie Galen war Politiker. Er bekleidete u. a. die Ämter des Landrats von Prüm und später des Landrats von Bonn. Als Fahrzeughalteradresse ist Bonn angegeben. August war ein Bruder von Clemens Graf von Galen, der als Bischof von Münster während der Herrschaft der Nationalsozialisten in offener Gegnerschaft zu ihnen stand. Fahrzeugdaten: IZ 3546, Lxw., Bonn, Rheinprovinz, S. 774. Prinz Adolf zu Schaumburg-Lippe. 1859–1916. Er wurde reichsweit bekannt durch den sogenannten Lippischen Erbfolgestreit, bei dem es um die Thronfolge im Fürstentum Lippe ging. Drei verwandte Adelslinien aus dem Hause Lippe stritten um das Erbe, darunter Adolf, der das Fürstentum in den Jahren 1895 bis 1897 regierte. Erst durch Intervention von Kaiser Wilhelm II. und einem folgenden Schiedsgericht wurde der Erbstreit zuungunsten von Adolf entschieden. Prinz Adolf konzentrierte fortan seine Karriere auf die Armee. Dort erreichte er im 1. Weltkrieg einen Generalsrang. Er war beim VIII. Armee-Korps in Bonn eingesetzt, seine Fahrzeughalteradresse. Fahrzeugdaten: IZ 3972, Lxw., Bonn, Rheinprovinz, S. 781. Alfred Fürst zu Salm-Reifferscheidt-Dyck. 1863–1924. Alfred war Abgeordneter des Reichstags und Mitglied im Preußischen Herrenhaus. Sein Wohnsitz war Schloss Dyck nahe Mönchengladbach. Er starb im Jahr 1924 bei einem Zusammenprall seines Autos mit einem Zug an einem Bahnübergang. Fahrzeugdaten: IZ 4583, Lxw., Schloss Dyck, Rheinprovinz, S. 793. Hippolyt Graf von Bray-Steinburg. 1842–1913. Graf Hippolyt war ein Karrierediplomat par excellence. Er war u. a. in London, Sankt Petersburg, Konstantinopel und vielen weiteren europäischen Städten tätig. In München waren zwei Luxusfahrzeuge auf ihn angemeldet. Sein Fahrzeughaltereintrag lautete u. a.: erblicher Reichsrat, wirklicher Geheimer Rat, Kaiserlicher Deutscher Gesandter z. D. Fahrzeugdaten: IIA 1197, IIA 1198, Lxw., München, Bayern, S. 870.



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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern. 1859–1949. Der Prinz stammte aus dem Geschlecht der Wittelsbacher und war mit diversen europäischen Adelslinien verwandt. Er galt als einer der wenigen Vertrauten von Ludwig II., König von Bayern (Erbauer von Schloss Herrenchiemsee und Schloss Neuschwanstein). Er war vielseitig interessiert, u. a. studierter Arzt, General der Kavallerie und Künstler. Eine besondere Neigung verspürte er auch zum Automobil. Er war nach Prinz Heinrich von Preußen der zweite hochrangige Adelige in Deutschland, der einem Automobilclub beitrat. Fahrzeugdaten: IIA 1217, IIA 1218, Lxw., (Schloss) Nymphenburg, Bayern, S. 870. Louise Victoire d’Orléans. 1869–1952. Sie war im Adressbuch als Prinzessin Alfons von Bayern mit Wohnort München eingetragen. Sie stammte aus dem Adelshaus Orléans, ihr Gemahl Prinz Alfons von Bayern aus dem Geschlecht der Wittelsbacher. Als Adresse wurde Fürstenstrasse 1 in München angegeben. Das war die Adresse der Residenz, dem zentralen Münchner Schloss. Fahrzeugdaten: IIA 1406, Lxw., München, Bayern, S. 875. Ernst Fürst zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg. 1854–1931. Der Fürst entstammte dem Adelsgeschlecht der Löwensteins. Deren Linie lässt sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen. Er war Standesherr in verschiedenen Ersten Kammern („Landesvertretungen“) in Württemberg, Baden, Bayern und Hessen. Als Haltersitz wurde die Prinzregentenstraße 2, eine der Prachtstraßen Münchens, angegeben. Fahrzeugdaten: IIA 1560, Lxw., München, Bayern, S. 880. Theodor Freiherr von Cramer-Klett. 1874–1938. Er galt als vielseitiger Adeliger mit Aktivitäten als Unternehmer und Politiker (Reichsrat in Bayern). Privat setzte er sich als Katholik und Mäzen für die Restauration von Klöstern ein, z. B. Kloster Ettal. Er erbte bereits im Alter von 21 Jahren das Unternehmen seines Vaters und fusionierte es mit einem anderen Unternehmen. Daraus entstand die Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG, die bis heute unter dem Namen MAN bekannt ist. Fahrzeugdaten: IIA 1625, München, Bayern, S. 881.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Herbert von Beneckendorff und von Hindenburg. 1872–1956. Sein Eintrag im Adressbuch erfolgte als Kaiserlicher Legationsrat und Legationssekretär der Königlich Preußischen Gesandtschaft. Das dokumentierte einen Abschnitt aus seiner Karriere als Diplomat in den Diensten des Kaiserreichs. In seiner Freizeit widmete er sich der Schriftstellerei. Sein Onkel war Paul von Hindenburg (der ebenfalls aus dem Geschlecht der von Beneckendorffs und von Hindenburgs stammte), der spätere Oberbefehlshaber der Kaiserlichen Armeen im 1. Weltkrieg und Reichspräsident in der Weimarer Republik. Fahrzeugdaten: IIA 1651, Lxw., München, Bayern, S. 882. Erzherzog Heinrich Ferdinand von Österreich-Toskana. 1878–1969. Er gehörte zum Adelsgeschlecht der Habsburger. Er war eng verwandt mit dem österreichischen Kaiser Franz Joseph I. Er hatte breite künstlerische und technische Interessen, daher wahrscheinlich auch seine Neigung zum Automobil. Er lebte in den Jahren 1906 bis 1914 in München. Im Adressbuch ist der Vorname Heinniel aufgeführt, vermutlich ein Tippfehler. Fahrzeugdaten: IIA 1745, Lxw., München, Bayern, S. 885. Georg Prinz von Bayern. 1880–1943. Er stammte aus dem bayerischen Adelsgeschlecht der Wittelsbacher. Sein Vater Leopold Prinz von Bayern war der Bruder des letzten bayerischen Königs Ludwig III. Kaiser Franz Joseph von Österreich war sein Großvater, Kaiserin Elisabeth („Sisi“) von Österreich seine Großmutter. Georg führte ein abwechslungsreiches Leben. Beruflich verfolgte er zu Beginn eine Militärkarriere mit Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Spätberufen studierte er im Alter von 39 Jahren Theologie. Er wurde zum Priester geweiht und wirkte dann als Prälat in Rom. Fahrzeugdaten: IIA 2008, Lxw., München, Bayern, S. 886. Anton Graf von Monts. 1852–1930. Ein Diplomat mit verschiedenen Stationen im In- und Ausland, u. a. Botschafter in Italien (bis zum Jahr 1909). Seine Ambition, Reichskanzler als Nachfolger von Bernhard von Bülow zu werden, der im Jahr 1909 zurücktrat, war erfolglos. Im Adressbuch wurde er unter seiner Adresse in Haimhausen als Botschafter a. D. eingetragen.



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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

Fahrzeugdaten: IIB 222, Lxw., Haimhausen, Regierungsbezirk Oberbayern, S. 894. Adolf Freiherr von Büsing-Orville. 1860–1948. Der Adelige von Büsing-Orville erbte die Tabakfabrik der Familie und umfangreiche Liegenschaften. Er baute und renovierte eine Vielzahl von Gebäuden, u. a. das Schloss Zinneberg (Gemeinde Glonn) und das BüsingPalais in Offenbach. Fahrzeugdaten: IIB 257 und II B 263, beides Lxw., Zinneberg bei Glonn, Regierungsbezirk Oberbayern, S. 894. Karl Theodor Graf von und zu Sandizell. 1865–1939. Er war erblicher Reichsrat in der Ersten Kammer in Bayern und bis zum Jahr 1918 Reichstagsabgeordneter. Er lebte auf dem Wasserschloss Sandizell bei Schrobenhausen. Fahrzeugdaten: IIB 1088, Lxw., Schloss Sandizell, Regierungsbezirk Oberbayern, S. 905. Johann Heinrich Graf von Bernstorff. 1862–1939. Er arbeitete als einflussreicher Diplomat mit Stationen in vielen Ländern. Dreimal war er mit weltpolitischen Ereignissen beschäftigt, die er als Diplomat zu entschärfen oder zu umgehen suchte. Im Jahr 1906 bemühte er sich, die Marokkokrise zu entspannen, bei der es um den Einfluss Frankreichs und Deutschlands in Marokko ging. In den ersten Kriegsjahren ab 1914 versuchte er vergeblich als Botschafter in den USA zusammen mit dem amerikanischen Präsidenten Wilson den Kriegseintritt der USA zu verhindern. Letztendlich wurden die USA ab dem Jahr 1917 Kriegspartei. Ab 1917 agierte er als deutscher Botschafter im Osmanischen Reich und war mit dem Völkermord an den Armeniern in den Jahren 1916 und 1917 durch das Osmanische Reich konfrontiert. Im Adressbuch wurde als Adresse Washington angegeben, wo er seit dem Jahr 1908 als Gesandter (so sein Eintrag im Adressbuch) wirkte. Fahrzeugdaten: IIB 1141, Lxw., Regierungsbezirk Oberbayern, S. 906.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Georg Herzog von Leuchtenberg. Es wirkten zwei Personen unter dem Namen Georg Herzog von Leuchtenberg mit ähnlichen Lebensdaten. Der eine lebte in den Jahren 1852 bis 1912, der andere von 1872 bis 1929. Beide entstammten derselben Familie, die als Familiensitz im Kloster Seeon in Oberbayern wohnte, welches mehr als achtzig Jahre den Leuchtenbergs diente. Vermutlich ist der „zweite“ Georg von Leuchtenberg der Fahrzeughalter, da als Fahrzeug ein Kraftrad mit Halteradresse Seeon, Oberbayern, eingetragen ist. Vom Alter passt dieses Fortbewegungsmittel eher zu den Lebensdaten des „zweiten“ Leuchtenberg. Zu ihm gibt es keinen gesonderten Eintrag im Lexikon, jedoch gibt es einen gesonderten Eintrag über die Herzöge von Leuchtenberg. Zum „ersten“ Georg von Leuchtenberg (s. QR Barcode-Link) sind umfangreiche Angaben vorhanden. Er war mit vielen europäischen Adelshäusern verwandt, u. a. mit dem französischen Adelsgeschlecht der Beauharnais, aus dem seine Großmutter Joséphine de Beauharnais stammte, die französische Kaiserin und Ehefrau von Napoleon. Seine russischen Wurzeln gingen auf seine Mutter Marija Romanowa zurück, eine Tochter des russischen Zaren Nikolaus I. Nach der Emigration der Familie aus Frankreich nach Bayern erhielt sein Vater den Titel eines Herzogs von Leuchtenberg. Fahrzeugdaten: IIB 1349, KrR., Seeon, Regierungsbezirk Oberbayern, S. 909. Gräfin Hedwig von Preysing. 1849–1938. Sie entstammte einem bayerischen Adelsgeschlecht und heiratete den Grafen Kaspar von Preysig, ein Mitglied des Reichstags. Nach dessen Tod im Jahr 1897 war die Gräfin karitativ engagiert und setzte sich für die katholische Fürsorge und Frauenbewegung ein. Unter ihrer Mitwirkung wurden soziale Einrichtungen wie Krankenpflege- und Säuglingsstationen, sowie Milchküchen begründet. Hedwig lebte auf Schloss Kronwinkl bei Landshut, dem Familiensitz der Preysings. Ihre Halteradresse wurde mit Kronwinkl angegeben. Fahrzeugdaten: IIC 492, Lxw., Kronwinkl, Regierungsbezirk Niederbayern, S. 917.



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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

Carl von Lang-Puchhof. 1854–1916. Im Adressbuch ist er als erblicher Reichsrat und Fideikommißbesitzer eingetragen. Als Reichsrat gehörte er der Ersten Kammer Bayerns an. Seinen adeligen Titel erhielt er im Jahr 1889 von König Ludwig III. verliehen, als dessen Vertrauter er galt. Carl lebte auf Schloss Puchhof, welches er umfassend umgestalten ließ. Im Jahr 1937 erwarb Fritz Thyssen, Industrieller aus dem Ruhrgebiet, das Schloss. Der QR BarcodeLink verweist auf das Schloss. Dort sind auch einige Angaben zu Carl von Lang-Puchhof nachzulesen. Fahrzeugdaten: IIC 853, Lxw., Schloss Puchhof, Regierungsbezirk Niederbayern, S. 922. Albert Fürst von Thurn und Taxis. 1867–1952. Der Fürst agierte als Mäzen, war sozial engagiert und interessierte sich für die Künste. Zu seiner Zeit galt er als reichster Mann in Württemberg mit einem geschätzten Vermögen von 270 Millionen Mark. Seine Fahrzeuge waren am Familiensitz in Regensburg gemeldet. Fahrzeugdaten: IIE 1, IIE 2, IIE 28, IIE 35, insgesamt vier Luxuswagen, IIE 21, Lastwagen, Regensburg, Regierungsbezirk Oberpfalz, S. 938. Friedrich von Deuster. 1861–1945. Er führte ein abwechslungsreiches Leben mit diversen Berufsrollen als bayerischer Reichsrat, Abgeordneter, Ritterguts- und Schlossbesitzer mit Gütern in Bayern und Südtirol. Im Adressbuch sind zwei Wohnorte angegeben: Den Sommer verbrachte er in Sternberg, wo er das Schloss Sternberg bewohnte, im Winter logierte er in Trauttmansdorff bei Meran in seinem Schloss. Fahrzeugdaten: IIU 622, Lxw., Regierungsbezirk Unterfranken, S. 979. Emich Fürst zu Leiningen. 1866–1939. Aufgrund seiner adeligen Herkunft wurde er nach dem Tod seines Vaters Bayerischer Reichsrat, Landstandsvertreter in Hessen und Angehöriger des Parlaments in Baden. Im Hauptberuf war er Offizier. Er erreichte bis zum Ende des 1. Weltkriegs den Rang eines Oberstleutnants. Angeblich nahm er an 20 Schlachten im 1. Weltkrieg teil. Fahrzeugdaten: IIU 753, Lxw., Amorbach, Regierungsbezirk Unterfranken, S. 980.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Karl Ernst Fürst Fugger von Glött. 1859–1940. Karl Ernst stammte aus dem Adelsgeschlecht der Fugger und gehörte zur Linie „Fugger von der Lilie“. Einer seiner Vorväter war Jakob Fugger („der Reiche“), einer der wohlhabendsten Kaufleute des Mittelalters, der Könige finanzierte. Karl Ernst übte den Beruf eines Juristen aus. Zusätzlich war er als Reichsrat Mitglied der Bayerischen Kammer der Reichsräte. In der Spätphase seines Lebens engagierte er sich als Aufsichtsrat der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank, deren Erbe sich nach späteren Fusionen und Übernahmen heute in der Unicreditbank AG wiederfindet. Fahrzeugdaten: IIZ 679, Lxw., Kirchheim, Regierungsbezirk Schwaben und Neuburg, S. 992. Helene Freifrau von Reitzenstein. 1853–1944. Helene, geborene Hallberger, war Erbin des Verlags Deutsche Verlagsanstalt (DVA). Durch ihr Erbe wurde sie finanziell unabhängig und konnte für ihren Mann, den Freiherrn von Reitzenstein, das Familienschloss Reitzenstein zurückkaufen. Kurz vor dem 1. Weltkrieg baute sie die Villa Reitzenstein in Stuttgart, die heute dem Land gehört und Sitz der Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg ist. Der Verlag gehört heute zur Random House Verlagsgruppe (Bertelsmann). Fahrzeugdaten: IIIA 226, Lxw., S. 1005, IIIA 714, Lxw., Stuttgart, S. 1009. Ernst II. Fürst zu Hohenlohe-Langenburg. 1863–1950. Fürst Ernst stammte aus dem Adelsgeschlecht Hohenlohe, dessen Spuren bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen. Er arbeitete als Diplomat, u. a. bei seinem Vater, der Statthalter in Elsaß-Lothringen war. In seiner langen Karriere war er für einige Jahre Regent von SachsenCoburg und Gotha, Standesherr in der württembergischen Kammer und während des 1. Weltkriegs zeitweise Sonderbotschafter im Osmanischen Reich. Nach dem Krieg widmete er sich sozialen Tätigkeiten. Er war mit Alexandra von Sachsen-Coburg und Gotha verheiratet, einer Enkelin von Alexander II., Zar von Russland und der britischen Königin Victoria. Fahrzeugdaten: IIIP 424, Lxw., Langenburg, Bezirk Gerabronn, S. 1036.



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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

Franz Schenk Freiherr von Stauffenberg. 1878–1950. Er gehörte zum Adelsgeschlecht der Stauffenbergs. Er war Soldat im Ersten Weltkrieg, Unternehmer und Politiker, u. a. Abgeordneter des Reichstags während der Weimarer Republik. Sein Wohnort wurde mit Rißtissen angegeben. Ein anderer Fahrzeughalter war Freiherr Ludwig von Lerchenfeld aus Bamberg (s. Adressbuch, S. 946), der aus dem Adelsgeschlecht Lerchenfeld stammte. Aus dieser Adelsfamilie stammte Nina Gräfin Schenk von Stauffenberg, eine geborene Freiin von Lerchenfeld, die mit Claus Graf Schenk von Stauffenberg, einem militärischen Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und Hitler-Attentäter, verheiratet war. Fahrzeugdaten: IIIX 207, Lxw., Rißtissen, Bezirk Ehingen, S. 1042. Alfred Prinz zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg. 1855–1925. Er stammte aus dem Adelsgeschlecht der Löwenstein-Wertheims, welches bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Prinz Alfred übte diverse Tätigkeiten als Gutsbesitzer, Landwirt, Pferdezüchter und Abgeordneter im badischen Landtag aus. Er wohnte auf Schloss Langenzell, welches auch als Halteradresse angegeben ist. Fahrzeugdaten: IVB 2319, Lxw., Langenzell, Bezirk Heidelberg, S. 1068. Max Prinz von Baden. 1867–1929. Er stammte aus dem Hochadel und war ein Cousin von Kaiser Wilhelm II. Er war Militär, sein letzter Dienstrang war der eines Generalleutnants, und Aristokrat. Er wurde landesweit bekannt, als er in der Endphase des 1. Weltkriegs für einige Wochen die Position des Reichskanzlers innehatte und die Abdankung des deutschen Kaisers verkündete, offenbar ohne Abstimmung mit dem Kaiser. Er räumte damit den Weg frei zu einem Friedensabschluss mit den alliierten Siegermächten und zur Begründung der Weimarer Republik, die durch seinen Nachfolger Friedrich Ebert aus der Taufe gehoben wurde. Nach diesen Ereignissen zog er sich ins Privatleben zurück.20 Im Adressbuch wurde seine Vermögensverwaltung mit Sitz in Karlsruhe angegeben („Vermögensverwaltung Seiner Großh. Hoheit des Prinzen Max v. Baden“).

20 Zu Max von Baden und den Ereignissen um die Abdankung wurde eine Monografie veröffentlicht. S. Machtan (2018).

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Fahrzeugdaten der Vermögensverwaltung von Max von Baden: IVB 2606, Lxw., S. 1071, IVB 2791, kein Fahrzeugtypeneintrag, Karlsruhe, S. 1076. Emil Graf von Schlitz genannt von Görtz. 1851–1914. Er stammte aus dem hessischen Adelsgeschlecht von Schlitz, die in der gleichnamigen osthessischen Stadt auf der gleichnamigen Burg lebten. Graf Emil war hessischer Standesherr und Landespolitiker. Für einen Aristokraten eher ungewöhnlich, war er auch studierter Bildhauer. Er engagierte sich als aktiv Mitwirkender bei der Erlassung des ersten Denkmalschutzgesetzes in Deutschland. Erwähnenswert auch seine enge Beziehung zu Kaiser Wilhelm II., mit dem ihn eine Jugendfreundschaft verband, die das ganze Leben hielt. Beide waren zusammen erzogen worden, u. a. von dem bereits erwähnten Prinzenerzieher Hanspeter. Fahrzeugdaten: VO 509, Lxw., Schlitz, Provinz Oberhessen, S. 1111. Ludwig Alexander Prinz von Battenberg. 1854–1921. Bei ihm handelte es sich um eine Persönlichkeit mit einer sehr interessanten Biografie. Geboren und aufgewachsen in Hessen, gehörte er als Prinz eigentlich dem Hause Hessen-Darmstadt an (wie sein Vater), durfte aber diesen Titel nicht tragen, da seine Mutter nicht standesgemäß ebenbürtig zum Vater war („morganatische Ehe“). Daher erhielt seine Mutter den Titel einer Gräfin von Battenberg. Damit trugen auch ihre Kinder den Namen Battenberg. Er wuchs im Schloss Heiligenberg bei Jugenheim auf (Halterort im Adressbuch). Aufgrund des Einflusses seiner englischen Verwandtschaft ging er bereits als Jugendlicher nach England, bürgerte sich dort ein und verfolgte eine Karriere bei der britischen Navy. Er brachte es dort bis zum Ersten Seelord, der höchsten militärischen Position in der Navy. Mit Ausbruch des 1. Weltkriegs erinnerte man sich in England seiner deutschen Herkunft. Er musste im Jahr 1914 zurücktreten, da man einem „Deutschen“ nicht die Führung der britischen Flotte anvertrauen wollte. Einige Jahre später nahm er den Namen Mountbatten an und wurde Mitglied des House of Lords. Prinz Philip, Ehemann der Königin Elisabeth II., war eines seiner Enkelkinder.



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Im Adressbuch wurden weitere Battenbergs eingetragen, wie seine Brüder Prinz Georg von Battenberg (S. 1118 und 1123) und Prinz Franz Joseph von Battenberg (S. 1118 und 1122). Fahrzeugdaten: VS 1, Lxw., Jugenheim, Provinz Starkenburg, S. 1118. Ernst Ludwig Großherzog von Hessen. 1868–1937. Er war bis zum Jahr 1918 der letzte Großherzog von Hessen. Er wuchs nach dem frühen Tod seiner Mutter bei seiner Großmutter Victoria, der Königin von England, auf. Beruflich schloss er ein Jurastudium ab und verfolgte eine Karriere beim Militär. Er war kulturell breit interessiert, förderte als Mäzen die Künste und versuchte sich selbst als Autor und Komponist. Ernst Ludwigs Leben wurde durch das unglückliche Eheleben mit seiner ersten Frau Victoria Melita von Edinburgh geprägt. Nach dem Ende des 1. Weltkriegs wurde er als Herzog abgesetzt und teilenteignet. Diverse Schlösser und Immobilien konnte er behalten (sog. Schatullgut). Fahrzeugdaten: VS 101, VS 102, VS 103, keine Angaben zum Fahrzeugtyp, Darmstadt, Provinz Starkenburg, S. 1118. Comtesse Mélanie Renouard de Bussière. 1836–1914. Sie entstammte dem französischen Adelsgeschlecht der Barone von Renouard de Bussière. Sie war im Adressbuch verzeichnet, da sie in Straßburg auf dem Château de Portalès (Gut Robertsau, im Dt. Ruprechtsau laut Halteradresse) lebte. Diese Stadt gehörte damals zum deutschen Protektorat Elsass-Lothringen. Die Comtesse bewegte sich in höchsten Kreisen und konnte für private Festivitäten Gäste aus allen Königshäusern Europas bei sich begrüßen, u. a. Kaiser Wilhelm II. Sie war persönlich bekannt mit Fürst Klemens von Metternich (führender Politiker auf dem Wiener Kongress in den Jahren 1814 bis 1815) und dem Komponisten und Klaviervirtuosen Franz Liszt. Fahrzeugdaten: VIA 11, keine Fahrzeugtypangabe, Straßburg (Elsaß-Lothringen), S. 1132. Es wurde ein weiterer Eintrag vorgenommen, der vermutlich ebenfalls der Gräfin zuzurechnen ist (S. 1135).

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Karl Graf von Wedel. 1842–1919. Karl entstammte dem Adelsgeschlecht der von Wedels, deren Ahnenreihe sich bis in das 12. Jahrhundert nachweisen lässt. Viele Wedels nahmen im Laufe der Jahrhunderte wichtige Positionen in Gesellschaft, Politik und Militär ein, auch Karl. Er war Militär im Rang eines Generals, Diplomat und Botschafter. Seine vielleicht wichtigste Berufsposition war die des kaiserlichen Statthalters in Elsass-Lothringen von 1907 bis 1914. Dieses Amt gab er auf, da er durch ungebührendes Verhalten des deutschen Militärs in Elsass-Lothringen ohne eigene Verstrickung in die Affäre seinen Rücktritt einreichte. Diese sog. ZabernAffäre (nach der Stadt, wo die Ereignisse geschahen) schlug hohe Wellen bis in höchste Kreise in Frankreich und Deutschland. Sein letztes Lebensjahr verbrachte er in Stockholm, wo er viele Jahre zuvor als Botschafter gedient hatte und seine schwedische Ehefrau kennengelernt hatte, eine Gräfin, die als Angehörige der High Society häufig im Mittelpunkt der einschlägigen Presse stand. Fahrzeugdaten: VIA 1, keine Fahrzeugangabe, Straßburg, ElsassLothringen, S. 1132. Waldemar Prinz von Preußen. 1889–1945. Prinz Waldemar war der erstgeborene Sohn des Prinzen Heinrich von Preußen, dem Bruder des deutschen Kaisers. Waldemar war Jurist und preußischer Offizier. Bis zum Jahr 1910 studierte er Jura in Straßburg – daher der Eintrag im Halterverzeichnis aus dem Jahr 1909 – und siedelte dann nach Kiel über, wo er seine Studien beendete. Kiel war seine Heimatstadt. Dort wuchs er im väterlichen Schloss auf. In Friedenszeiten arbeitete er als Verwalter familiärer Güter. Im 1. Weltkrieg diente er als Kommandeur des Kaiserlichen Kraftfahrkorps. Sein früher Tod war auf seine Erbkrankheit Hämophilie zurückzuführen. Fahrzeugdaten: IV A 818, keine Fahrzeugtypangabe, Straßburg (Elsaß-Lothringen), S. 1150. Alexander Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst. 1862–1924. Im Adressbuch wurde er als Bezirkspräsident z. D. mit Sitz in Kolmar (deutsche Schreibweise im Adressbuch, sonst Colmar) eingetragen. Diese Stellung hatte er seinem Vater Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst zu verdanken, der zu Kaiserzeiten einer der ranghöchsten Politiker im Land war (u. a. Ministerpräsident in Bayern,



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152  9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

Statthalter in Elsaß-Lothringen, preußischer Ministerpräsident und in den Jahren 1894 bis 1900 Reichskanzler). Trotz seiner Herkunft und seiner familiären Bande galt Alexander in der Familie als „Außenseiter“, u. a. wegen eines nicht abgeschlossenen Jurastudiums, Sympathien für sozialdemokratische Anliegen („Roter Prinz“) und einer pazifistischen Grundhaltung, die in der allgemeinen Stimmungslage des 1. Weltkriegs auf wenig Gegenliebe stieß. Seine letzten Jahre verbrachte er in ärmlichen Verhältnissen in der Schweiz. Fahrzeugdaten: VI B 531, Lxw., Kreis Kolmar (Elsaß-Lothringen), S. 1166. Friedrich Graf von Zeppelin-Aschhausen. 1861–1915. Graf Friedrich durchlief eine Beamtenkarriere im Kaiserreich, u. a. bekleidete er Positionen als Regierungsrat und Bezirkspräsident in Elsaß-Lothringen. Nach einem Unfall im Jahr 1912 gab er sein Amt als Bezirkspräsident auf und kehrte in seine Heimat nach Aschhausen auf das familiäre Schloss zurück. Fahrzeugdaten: VIC 918, Lxw., Metz (Elsaß-Lothringen), S. 1205.

9.2.2 Persönlichkeiten aus der Wirtschaft

Albert Ballin. 1857–1918. Ballin war ein bedeutender Hamburger Reeder, der mit der Hapag die größte Schifffahrtsgesellschaft seiner Zeit aufbaute. Er galt als Anhänger der Monarchie, änderte aber seine Meinung aufgrund der Aufrüstung des Kaiserreichs und dem 1. Weltkrieg. Die Hapag existiert bis heute im Namen ihrer Nachfolgegesellschaft Hapag-Llyod AG weiter. Sie ist eine der bedeutendsten Reedereien der Welt mit einem Jahresumsatz von knapp 22,3 Mrd. Euro im Jahr 2021. Fahrzeugdaten: HH 596, HH 809, HH 1087, 3 Lxw. Hamburg, S. 42, S. 46, S. 50. August Horch. 1868–1951. Horch war einer der frühen Pioniere im Automobilbau und damit auf Augenhöhe mit anderen Größen der Branche aus jener Zeit. Als gelernter Handwerker und studierter Ingenieur kam er als junger Mann herum und arbeitete u. a. bei

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen



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Carl Benz in Mannheim. Er komplettierte dort sein Wissen über den Automobilbau und verließ im Jahr 1899 das Unternehmen, um sich in Köln selbständig zu machen. Mit Benz ging er im Guten auseinander. Dieser wollte ihn nicht gehen lassen, musste aber nachgeben.21 In Köln baute Horch seine ersten eigenen Automobile. Im Jahr 1903 verlagerte er seine Firma nach Zwickau. Im Jahr 1909 wurde er aus seinem Unternehmen herausgedrängt und gründete in Zwickau erneut ein Unternehmen, welches er Audi (lat. für „Horch“) nannte. Im Jahr 1932 fanden die Firmen Horch und Audi wieder zusammen und gründeten mit zwei weiteren Automobilfirmen die Auto Union. Ein Teil der Auto Union wurde nach dem zweiten Weltkrieg nach Ingolstadt verlagert. Daraus entstand der Audi-Konzern, der heute Teil von Volkswagen ist. Im Jahr 2021 erzielte Audi einen Umsatz von 53,1 Mrd. Euro. Fahrzeugdaten: V 143, KrW., Zwickau, S. 219. Im Adressbuch wurden in seinen landesweiten Niederlassungen viele Firmenfahrzeuge der Horch & Co. AG registriert. Emil Rathenau. 1838–1915. Er galt wegen seiner einflussreichen Rolle bei der Elektrifizierung des Landes als einer der erfolgreichsten Industriellen des Kaiserreichs. Nach wechselvollen und oft erfolglosen Jahren als Unternehmer gelang es ihm, im Jahr 1882 Patentrechte des Amerikaners Thomas Alva Edison für Deutschland zu erlangen, die ihm eine wirtschaftliche Nutzung der Elektrizität ermöglichten. Im Jahr 1887 trennte er sich von Edison und gründete die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft (AEG). Das Unternehmen wurde neben Siemens ein maßgeblicher Player in der Elektroindustrie und beschäftigte vor dem 1. Weltkrieg knapp 70.000 Beschäftigte. Walter Rathenau, einer von Emils Söhnen, war noch bekannter als sein Vater. Er war Industrieller mit führender Position bei der AEG und ab 1922 Reichsaußenminister in der Weimarer Republik. Aufgrund seiner Politik wurde er bereits nach wenigen Monaten im Amt von rechtsradikalen Kräften ermordet. Die AEG durchlief im Laufe der Jahrzehnte eine wandelvolle Geschichte, die im Jahr 1982 mit einer Insolvenz vorerst endete. Danach wurde das Unternehmen mit wechselnden Eigentümern umstrukturiert (u. a. Daimler-Benz, Electrolux). Heute existiert die AEG als 21 Horch beschreibt in seiner Autobiografie ausführlich seine Erfahrungen bei Benz und den Abschied aus dem Unternehmen. S. Horch (1937).

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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

Markenname und in diversen Nischenindustrien mit unterschiedlichen Eigentümern. Fahrzeugdaten: IA 2501, Lxw., Berlin, S. 262. Paul von Mendelssohn-Bartholdy. 1875–1935. Paul war der Sohn von Ernst von Mendelssohn-Bartholdy, der als einer der einflussreichsten Privatbankiers in der Kaiserzeit mit besten Kontakten zu Bismarck und Kaiser Wilhelm II. galt. Paul trat im Jahr 1902 in die familiäre Privatbank als Teilhaber ein. Paul galt als ausgewiesener Kunstkenner und besaß eine große Gemäldesammlung, darunter diverse Bilder von Pablo Picasso und Vincent van Gogh. Im Adressbuch ist nur der Name Mendelssohn-Bartholdy vermerkt. Halter des Fahrzeugs könnte auch eines seiner fünf Geschwister gewesen sein. Als Adresse ist die Jägerstraße 53 angegeben. Unter dieser Anschrift befand sich das zur Bank (Hausnummer 51) angrenzende Palais der Familie. Fahrzeugdaten: IA 2521, Lxw., Berlin, S. 262. Georg Wilhelm von Siemens. 1855–1919. Er stammte aus der Industriellenfamilie Siemens. Sein Vater Werner von Siemens galt als Pionier der deutschen Elektrotechnik. Georg Wilhelm war Leiter der Siemens-Schuckert-Werke, die zu seiner Zeit Luftschiffe, Flugzeuge und Automobile produzierten. Die Siemens-Schuckert-Werke wurden im Jahr 1966 Teil der Siemens AG. Im Adressbuch wurde auch Carl Friedrich von Siemens verzeichnet (S. 364), ein Bruder von Georg Wilhelm, der sowohl für die Siemens-SchuckertWerke als auch die Siemens & Halske-Unternehmensgruppe (Glühlampenproduktion, Eisenbahn-Signaltechnik, Telefonnetze und -geräte) tätig war, u. a. als Aufsichtsratsvorsitzender der beiden Gruppen. Letztere gilt als Keimzelle des heutigen Siemens-Konzerns. Das Unternehmen Siemens verzeichnete mehr als 60 Einträge im Adressbuch, verteilt über das gesamte Kaiserreich. In den meisten Fällen waren es Fahrzeuge, die zu diversen Siemensfirmen gehörten, wie Siemens & Schuckert, Siemens & Halske oder nur Siemens. Allein die Vielzahl der Einträge verdeutlicht die Bedeutung dieses Unternehmens bereits vor knapp 110 Jahren. Die Siemens AG ist bis heute eines der größten Industrieunternehmen Deutschlands mit einem Konzernumsatz von 62,3 Mrd. Euro im Jahr 2021.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Fahrzeugdaten: IA 1703 und IA 2731, Charlottenburg, Lxw., S. 254 und 266. Adolf Jandorf. 1870–1932. Er galt in der Kaiserzeit als einer der erfolgreichsten Einzelhändler, neben den Unternehmern Hermann Tietz, Rudolph Karstadt und Georg Wertheim. Diese Kaufleute revolutionierten den Einzelhandel mit neuen Betriebsformen. Sie boten Waren in vorher nie gekanntem Ausmaß an: Vielfalt unter einem Dach, Billig- als auch Luxusartikel, attraktive Innenstadtlagen, annehmbare Preise. Als „Self-Made“-Unternehmer schuf Jandorf eine Warenhausgruppe mit sieben Filialen in Berlin und Umgebung. Das bekannteste Warenhaus von Jandorf war das im Jahr 1907 eröffnete Kaufhaus des Westens (KaDeWe). Jandorfs Erfolge schufen Neid und hatten zur Folge, dass er sich juristisch immer wieder zur Wehr setzen musste, z. B. gegen klagende Konkurrenten oder eine übelwollende Presse, die aufgrund seiner jüdischen Herkunft antisemitische Tiraden gegen ihn verbreitete. Im Jahr 1927 verkaufte Jandorf seine Unternehmen an die Hermann Tietz-Gruppe, die damit größter Einzelhändler Europas wurde. Die neu gegründete Unternehmensgruppe firmierte einige Jahre später unter dem Namen „Hertie“. 1993 wurde Hertie Teil der Karstadt AG, die ihrerseits im Jahr 2018 mit Kaufhof fusionierte. Heutiger Eigentümer ist die österreichische Signa-Holding. Im Adressbuch gab es diverse Einträge zu den Jandorf-Filialen und Adolf Jandorf selbst mit diversen Geschäftswagen („GW“), die für das tägliche Geschäft genutzt wurden. Auch Karl Jandorf, ein Bruder von Adolf Jandorf, der eine Filiale leitete, ist im Halterverzeichnis eingetragen (S. 306). Fahrzeugdaten: IA 4869, Lxw., Berlin, S. 293 (Anm.: Detailangaben zu den diversen „GW.“ wurden unterlassen). Ernst Borsig. 1869–1933. Ernst leitete zusammen mit seinen Brüdern Arnold und Conrad die ererbten Borsigwerke in Berlin. Die Firma Borsig war ein führender Lokomotivenhersteller im 19. Jahrhundert und maßgeblich an der Industrialisierung des Kaiserreichs beteiligt. Ernst war Großindustrieller und einer der einflussreichsten Wirtschaftsvertreter seiner Zeit. U. a. leitete er als Vorsitzender diverse Industrieverbände. Unter seiner Ägide verließ im Jahr 1918 die 10.000ste Lokomotive die Werkhallen. Im Adressbuch



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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

ließ er als Berufsbezeichnung Kommerzienrat eintragen, ein begehrter Ehrentitel des Kaiserreichs für Persönlichkeiten aus der Wirtschaft (Hinweis: Im Adressbuch gab es viele Persönlichkeiten mit dem Titel Kommerzienrat). Weitere Einträge wurden zur Fabrik Borsig und zu K. Borsig (ebenfalls Kommerzienrat) vorgenommen. Hierbei könnte es sich um seinen Bruder Conrad handeln. Nach einer wechselvollen Geschichte mit unterschiedlichen Eigentümern existiert heute noch eine Firmengruppe Borsig mittelständischer Größe (< 300 Mio. Euro Umsatz, ca. 500 Mitarbeiter) mit einem Besitzer aus Malaysia. Fahrzeugdaten: IE 2672, Lxw., Reiherwerdel bei Tegel, Provinz Brandenburg, S. 390. August Thyssen (junior). 1874–1943. Er gehörte zur Industriellenfamilie Thyssen. Sein gleichnamiger Vater August Thyssen war einer der wichtigsten Ruhrgebiets-Industriellen seiner Zeit mit Aktivitäten in Bergbau, Schwerindustrie und Elektrizitätserzeugung (Mitgründer der RWE).22 Zeitweise war August Thyssen junior bereits in jungen Jahren Miteigentümer von Thyssen & Co (Vorgängerunternehmen der späteren Thyssen AG, die ihrerseits 1997 in die Thyssenkrupp AG aufging). August Thyssen junior war wegen seines unsteten Lebenswandels das Sorgenkind seines Vaters. Er wurde im Jahr 1919 von seinem Vater aus dem Unternehmen gedrängt und verkaufte ihm seine Anteile. Im Adressbuch wurde er als Rittergutsbesitzer mit der Adresse Villa Oppenheim in RüdersdorfHennickendorf eingetragen. Im Adressbuch war auch Fritz Thyssen verzeichnet (S. 795), ein Bruder von August (junior). Fritz war erfolgreicher als sein Bruder und übernahm diverse hochrangige Positionen innerhalb der Thyssen-Gruppe. Es lassen sich zudem Einträge zur Unternehmung Thyssen nachweisen, die hier nicht näher aufgeführt werden. Fahrzeugdaten: IE 2740, Lxw., Rüdersdorf in der Provinz Brandenburg, S. 391.

22 Über August Thyssen senior ist eine Dissertation verfasst worden. S. Lesczenski, J. (2008). In Fröhlich (2001), S. 163 ff. lässt sich ein interessantes Porträt über August Thyssen senior nachlesen. Auch die Konflikte zwischen August (senior) und August (junior), die teilweise vor Gericht ausgetragen wurden, werden erwähnt.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Fritz von Friedländer-Fuld. 1858–1917. Er war ein Großindustrieller mit Aktivitäten im Kohlebergbau und der Chemieindustrie. Primär konzentrierten sich seine Geschäfte auf Unternehmen in Oberschlesien. Er war u. a. auch Aufsichtsratsmitglied bei der Deutschen Bank und Angehöriger des Preußischen Herrenhauses. Für seine Verdienste um die Wirtschaft erhielt er den Ehrentitel Geheimer Kommerzienrat, mit dem er sich als Fahrzeughalter eintragen ließ. Er galt als einer der wohlhabendsten Industriellen des Kaiserreichs. Die Aktivitäten seiner Unternehmen fokussierten sich einige Jahre nach seinem Tod auf die Chemie- und Pharmabranche. Aus diesen Unternehmen ging die Schering AG hervor, die lange Jahre als DAX 30-Unternehmen erfolgreich war. Sie ist seit dem Jahr 2006 Teil des Bayer-Konzerns. Der Kohlebergbau wurde nach dem Ende des 1. Weltkriegs teilweise (Aufteilung Oberschlesiens zwischen Deutschland und Polen) und nach dem Ende des 2. Weltkriegs komplett von Polen übernommen. Fahrzeugdaten: IE 2801, Lxw., Lank in der Provinz Brandenburg, S. 392. Franz Oppenheim. 1852–1929. Oppenheim war ein bedeutender praxisnah arbeitender Chemiker. Unter seiner Ägide forschte die Firma Agfa u. a. an Zellulose und Kunstseide, die beide wichtige Produkte in dem Unternehmen wurden (z. B. für fotografische Filme). Als Industrieller war er an der Konsolidierung der deutschen chemischen Industrie beteiligt, die in den Unternehmensverbund I. G. Farben mündete, in deren Aufsichtsrat er berufen wurde. Er erarbeitete sich auch außerhalb der chemischen Industrie eine herausragende Reputation. So war er Mitinitiator des neugegründeten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie in Berlin und Kunstmäzen mit einer bedeutenden Sammlung französischer Impressionisten. Agfa ist heute Teil der börsennotierten Agfa-Gevaert-Gruppe. Die I. G.-Farben wurde nach dem 2. Weltkrieg von den Alliierten in diverse Unternehmen aufgespalten (u. a. in Agfa, Bayer, BASF, Hoechst). Das Kaiser-Wilhelm-Institut wurde nach dem 2. Weltkrieg mit anderen Forschungsgesellschaften in die Max-Planck-Gesellschaft eingebracht. Fahrzeugdaten: IE 3160, Lxw., S. Wannsee, Provinz Brandenburg, S. 397.



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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

Florenz Sartorius. 1846–1925. Sartorius war ein Techniker, der im Jahr 1870 in Göttingen eine Werkstatt zur Produktion von mechanischen Waagen eröffnete. Diese Unternehmensgründung gilt als Keimzelle der Sartoriusgruppe, die im Jahr 2021 3,4 Mrd. Euro umsetzte und im selben Jahr DAX 40-Mitglied wurde. Spezialwaagen sind bis heute Teil des Produktportfolios des Unternehmens. Die Familie Sartorius ist als Miteigentümerin weiterhin im Unternehmen engagiert. Fahrzeugdaten: IS 352, KrR., Göttingen, Provinz Hannover, S. 567. Karl Henschel. 1878–1924. Karl war in dritter Generation Eigentümer des gleichnamigen Unternehmens, welches in Kassel im Maschinenbau tätig war. Die umfangreiche Produktpalette reichte von Rüstung (z. B. Geschütze) über Lokomotiven bis hin zu Lastkraftwagen und Omnibussen. Karl wurde nach dem Tod seines Vaters Oscar Henschel im Jahr 1894 bereits mit 16 Jahren Firmenchef. Da er noch nicht volljährig war, führte seine Mutter Sophie Henschel die Geschäfte. Sie war 16 Jahre in der Geschäftsführung tätig. Sie galt zu ihrer Zeit als eine der wohlhabendsten Frauen im Kaiserreich.23 Zu Karls Zeiten arbeiteten fast 5.000 Mitarbeiter für das Unternehmen. Das Unternehmen blieb immer auch ein Rüstungsunternehmen. Im 2. Weltkrieg produzierte es diverse Rüstungsgüter für die Wehrmacht (Panzer, Geschütze, Kriegslokomotiven), was dazu führte, dass Kassel Ziel für Luftangriffe der Alliierten und im Jahr 1943 schwer getroffen wurde. Das Unternehmen wurde nach dem 2. Weltkrieg weiter von der Familie geführt, „zerbröselte“ aber in den folgenden drei Jahrzehnten, da diverse Unternehmensbestandteile an unterschiedliche Eigner verkauft wurden. Der Name Henschel existiert bis heute in diversen Firmen weiter, die im Maschinenbau tätig sind. Der QR Barcode-Link bezieht sich auf das Unternehmen Henschel, da es zu Karl keinen gesonderten Eintrag gibt. Im Adressbuch ließ sich Karl als Kommerzienrat eintragen. Fahrzeugdaten: IT 277, keine Fahrzeugangabe., Kassel, Provinz Hessen-Nassau, S. 621. 23 Hochhuth und Koch (1985) merkten an, dass Luise Henschel, eine Tochter von Oscar und Sophie den Adeligen Alexander von Keudell heiratete und als Mitgift die Bausumme für ein neues Schloss in die Ehe einbrachte (Schloss Wolfsbrunnen in Schwebda in Hessen). Hochhuth nannte das süffisant: „Das neue Schloß – Verschwägerung von Adel und Industrie“, S. 141.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen



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Maximilian von Goldschmidt-Rothschild. 1843–1940. Maximilian stammte aus der Familie Goldschmidt, einer erfolgreichen Bankiersfamilie. Die Goldschmidts waren u. a. Mitgründer der Commerzbank und einer Privatbank in Paris, die nach diversen Unternehmenszusammenschlüssen letztendlich in der BNP Paribas, bis heute eine der größten Banken Frankreichs, aufgegangen ist. Maximilian stand als Bankier der Privatbank Goldschmidt mehrere Jahrzehnte vor. Dank seiner Heirat mit Minna von Rothschild galt er zeitweise als wohlhabendste Person des Kaiserreichs. Nach seinem Ausstieg aus der Privatbank um das Jahr 1900 konzentrierte er sich auf seine Nobilitierung, die von Erfolg gekrönt war, sowie auf Aktivitäten als Kunstmäzen. Die Zeiten nach dem 1. Weltkrieg verliefen sehr unglücklich für ihn. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 leitete den Niedergang seiner Bank an, die im Jahr 1936 abgewickelt wurde. Während der Jahre der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten musste er wegen seiner jüdischen Herkunft sein Vermögen weit unter Wert verkaufen. In seiner Wohnung in Frankfurt durfte er bis zu seinem Tod als Mieter weiterleben. Fahrzeugdaten: IT 592, Lxw., Frankfurt a. M., Provinz Hessen-Nassau, S. 627. Herbert von Meister. 1866–1919. Meister war promovierter Chemiker. Im Jahr 1898 trat er in die väterliche Firma Meister, Lucius & Brüning ein, aus der die Farbwerke Hoechst hervorgingen. Zusammen mit Gustav von Brüning leitete er erfolgreich das Unternehmen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Adressbuchs war er als Vorstandsmitglied für die Produktion zuständig. Nach dem Tod Brünings im Jahr 1913 wurde Meister Vorstandsvorsitzender. Meisters Spezialgebiet als Chemiker war die Herstellung von künstlichem Indigo, einem Farbstoff zur Einfärbung von Textilien.24 Hoechst entwickelte sich nach dem 2. Weltkrieg zu dem zeitweise größten Chemieunternehmen der Welt. Im Jahr 1999 fusionierte das Unternehmen mit Rhône-Poulenc zu Aventis. Im Jahr 2004 gab es eine weitere Fusion mit dem französischen Pharmakonzern 24 Die Herstellung von künstlichen Farbstoffen galt als eine der Schlüsselanwendungen der deutschen chemischen Industrie und leitete ihren Aufstieg im Wettbewerb mit den britischen Konkurrenten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein. Der Farbstoff Indigo spielte dabei eine wichtige Rolle. Murmann (2003) hat diesen Aufstieg und das Zusammenarbeiten von Unternehmen, Wissenschaft und Staat im Kaiserreich detailliert nachgezeichnet.

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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

Sanofi. In diesem Konzern und einer Reihe abgespaltener Unternehmen befinden sich die vormaligen Hoechst-Gesellschaften. Fahrzeugdaten: IT 1305, Lxw., Sindlingen, Provinz Hessen-Nassau, Berufsbezeichnung Fabrikdirektor, S. 640. Hinweis: Auf derselben Seite im Adressbuch wurde auch Gustav von Brüning mit der Adresse Höchst a. M. und der Berufsbezeichnung Generaldirektor als Halter eines Fahrzeugs (Lxw.) eingetragen. Friedrich Wilhelm Söhnlein-Pabst. 1860–1948. Söhnlein-Pabst war nach dem Tod des Vaters ab dem Jahr 1912 Eigentümer der bekannten Sektkellerei Söhnlein. Zum Zeitpunkt des Eintrags im Halterverzeichnis führte noch Friedrich Wilhelms Vater Johann Jacob das von ihm gegründete Unternehmen. Friedrich Wilhelm war mit der Amerikanerin Emma Pabst verheiratet – daher der zweite Nachname – die Tochter des amerikanischen Braumagnaten Frederick Pabst. Friederich Wilhelm errichtete für seine Frau die Villa Söhnlein-Pabst in Wiesbaden, die dem Weißen Haus in Washington nachempfunden ist. Die Sektkellerei wurde im Jahr 1958 an die Oetker-Gruppe verkauft und ist heute Teil der Henkell & Co. KG in Wiesbaden. Der QR Barcode-Link bezieht sich auf die Sektkellerei. Fahrzeugdaten: IT 1337, Lxw., Wiesbaden, Provinz Hessen-Nassau, S. 641. Bernhard Lepsius. 1854–1934. Er war promovierter Chemiker und Vorstand der Chemischen Fabrik Griesheim. Das breite Produktportfolio des Unternehmens umfasste u. a. Kunstdünger, Schwefelsäure und Sprengstoff. Das Chemieunternehmen stellte zudem weltweit erstmalig PVC her. Lepsius verließ das Unternehmen im Jahr 1910 und wurde Chemieprofessor an der Königlich Technischen Hochschule Charlottenburg (heute TU Berlin). Mit seinem Professorentitel wurde er im Halterverzeichnis vermerkt. Die Chemische Fabrik Griesheim durchlief eine wechselhafte Entwicklung und hörte nach dem 2. Weltkrieg unter dem ursprünglichen Namen auf zu existieren. Sie ist mit ihren vielfältigen Geschäftssegmenten u. a. in die Unternehmen Hoechst, Schering, Messer Griesheim und Clariant aufgegangen. Fahrzeugdaten: IT 2131, Lxw., Greisheim, Provinz Hessen-Nassau, S. 653.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Wilhelm Baare. 1857–1938. Baare, ein promovierter Jurist, war zeitweise Generaldirektor des Bochumer Vereins, eines Unternehmens mit Aktivitäten im Bergbau und der Stahlerzeugung. Unter seiner Führung beschäftigte das Unternehmen mehr als 22.000 Mitarbeiter. Baare trat in die Fußstapfen seines Vaters Louis Baare, der den Bochumer Verein zu einem bedeutenden Unternehmen im Rahmen der Industrialisierung Deutschlands gestaltete, und seines Bruders Friedrich, der sein Vorgänger als Generaldirektor war. Sein Vater Louis war ein Berater Bismarcks und gab wichtige Impulse bei der Gestaltung eines Unfallversicherungsgesetzes, welches ein wichtiger Baustein für die Gestaltung der Sozialversicherung im Kaiserreich war. Nach einer wechselvollen Geschichte gingen Teile des Unternehmens im Krupp-Konzern auf. Fahrzeugdaten: IX 842, GW., Bochum, Provinz Westfalen, S. 671. Karl Gerstein. 1864–1924. Gerstein war ein vielfältig tätiger Mensch mit erfolgreichen Aktivitäten in der staatlichen Verwaltung, Politik und der Wirtschaft. Er war u. a. Polizeipräsident und Landrat in Bochum. Seine wichtigsten Tätigkeiten dürfte er in kommunalen Unternehmen und Verbänden im Bereich der Versorgungswirtschaft (Wasser- und Elektrizitätsversorgung) für das Ruhrgebiet ausgeübt haben. So war er Mitgründer des Elektrizitätswerks Westfalen (später VEW, heute Teil der RWE). Fahrzeugdaten: IX 930, keine Fahrzeugtypangabe, Bochum, Provinz Westfalen, S. 673. Sally Windmüller. 1858–1930. Windmüller war ein erfolgreicher Unternehmer in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Als Zulieferer der Automobilindustrie konzentrierte er sich auf die Produktion von Ballhupen und Autobeleuchtung. Bereits im Jahr 1914 konnte er die komplette Autobeleuchtung in seinem Produktportfolio anbieten (u. a. Dynamo, Akku, Scheinwerfer, Rück- und Seitenlichter). Seine unternehmerischen Aktivitäten lassen sich bis in das Jahr 1877 zurückführen, als er nach dem frühen Tod seines Vaters als junger Mann das elterliche Futterhandelsgeschäft übernahm. Der Einstieg in die Lampenproduktion erfolgte durch glückliche Umstände viele Jahre später. Im Jahr 1899 professionalisierte Windmüller das erfolgreiche Unternehmen durch die Gründung der Westfälischen Metall-Industrie AG (kurz WMI). Windmüller



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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

musste im Jahr 1921 nach einem Wirtschaftsskandal und einem folgenden Gerichtsprozess (Urteil: 1 Jahr und 8 Monate Gefängnis) aus seinem Unternehmen ausscheiden. Die Anteile übernahm im Jahr 1923 die Industriellenfamilie Hueck aus Lüdenscheid, die das Unternehmen im Jahr 1986 in Hella umbenannte. Hella ist bis in die Gegenwart ein erfolgreicher Automobilzulieferer im Segment Automobilbeleuchtung. Der Name Hella lässt sich auf den Vornamen von Sallys Frau Helene („Hella“) zurückführen. Seit dem Jahr 2021 ist Hella Teil der französischen Faurecia-Gruppe. Die HellaGruppe erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2020/21 einen Umsatz von 6,4 Mrd. Euro mit 36.500 Mitarbeitern. Zu Windmüller gab es keinen gesonderten Eintrag im Online-Lexikon, daher der QR Barcode-Link auf die Hella-Gruppe. Dort lässt sich ein Hinweis auf Sally Windmüller nachlesen.25 Fahrzeugdaten: IX 4801, GW., Lippstadt, Provinz Westfalen, S. 702. Heinrich August Prym. 1843–1927. Das Unternehmen Prym gilt als eines der ältesten Familienunternehmen Deutschlands und lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Das Unternehmen machte sich einen Namen bei der Produktion von Kurzwaren, z. B. Knöpfe, Reißverschlüsse, Haken, Ösen und Schnallen. Heinrich August Prym galt zu seiner Zeit als fähiger Unternehmer. Er war Ehrenbürger von Stolberg, dem Sitz der Prym-Gruppe. Das bis heute erfolgreiche Unternehmen gilt in seinem Segment als Weltmarktführer. Der QR Barcode-Link bezieht sich auf den Eintrag zur Prym-Familie.26 Fahrzeugdaten: IZ 1498, Lxw., Büsbach (Stadtteil von Stolberg), Villa Waldfriede, Rheinprovinz, S. 748. Nikolaus Kirsch-Puricelli. 1866–1936. Er war ein Unternehmer aus der Montanindustrie und Diplomat aus Luxemburg. Er entstammte einer Industriellenfamilie mit italienischen Wurzeln, die diverse Unternehmen im Ruhrgebiet und im Saarland betrieben. Nach dem 1. Weltkrieg gerieten die Unternehmen in Schwierigkeiten und mussten in den Folgejahren abgewickelt oder verkauft 25 Münz (2020) veröffentlichte eine Dokumentation zu Sally Windmüller und den Anfängen seines Unternehmens. 26 Informationen über das Familienunternehmen Prym und andere traditionsreiche Firmen finden sich in Seidel (2020).

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werden. Das letzte Werk wurde im Jahr 1962 von Paul Kirsch-Puricelli, einem Sohn von Nikolaus, verkauft. Privat restaurierte Nikolaus Burg Reichenstein (nahe Mainz in Rheinland-Pfalz), die heute zum UNESCO-Welterbe gehört. Fahrzeugdaten: IZ 2712, GW., Daxweiler, Rheinprovinz, S. 761. Ernst Leitz. 1843–1920. Leitz reüssierte als erfolgreicher Unternehmer in der optischen und feinmechanischen Industrie. Aus kleinsten Anfängen schuf er ein weltweit renommiertes Unternehmen, welches Mikroskope, Ferngläser und Projektoren produzierte. Sein Sohn Ernst (Ernst Leitz II) baute ab 1925 auch Kleinbildkameras. Seit dem Jahr 1986 firmiert das Unternehmen unter dem Namen Leica (Leitz Camera). Die Familie Leitz schied in den 1970-er Jahren aus dem Unternehmen aus. Leica existiert bis heute mit wechselnden Eigentümern. Fahrzeugdaten: IZ 2913, Lxw., Wetzlar, Rheinprovinz, S. 763. Carl Stollwerck. 1859–1932. Carl war einer von fünf Söhnen von Franz Stollwerck, dem Gründer des Schokoladenherstellers Stollwerck. Franz Stollwerck baute das Unternehmen von kleinsten Anfängen als Bäckermeister zu einem Produktionsunternehmen von süßen Lebensmitteln mit weltweitem Bekanntheitsgrad aus. Seine fünf Söhne arbeiteten im Unternehmen und entwickelten den Schokoladenhersteller weiter. Nach dem Tod seiner Brüder führte Carl ab 1922 das Unternehmen zusammen mit mehreren Neffen weiter. Der QR Barcode-Link bezieht sich auf Franz Stollwerck, den Gründer, da es keinen gesonderten Eintrag zu Carl gibt. Stollwerck verlor seine Eigenständigkeit nach der Übernahme durch den Konkurrenten Hans Imhoff im Jahr 1972. Seit dem Jahr 2011 wird die Marke Stollwerck vom belgischen Süßwarenkonzern Baronie geführt. Fahrzeugdaten: IZ 3128, Lxw., Köln, Rheinprovinz, S. 766. Franz Haniel (junior). 1842–1916. Haniel gehörte der gleichnamigen und bekannten Unternehmerfamilie an. Die unternehmerischen Aktivitäten der Haniels waren breit gestreut, u. a. Bergbau, Eisenbahnwesen, Maschinenbau und Schifffahrt. Franz Haniel junior entwickelte erfolgreich die Unternehmen der Familie weiter. Er war Mitglied des Preußischen Herrenhauses und Geheimrat.



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9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

Mit dieser Bezeichnung wurde er als Halter im Adressbuch eingetragen. Im Adressbuch waren weitere Mitglieder aus der Hanielfamilie verzeichnet, wie Henriette Haniel von Hainhausen (S. 872) oder John von Haniel (S. 1207). Die Hanielfamilie konnte ihren Besitzungen durch die Wirrnisse des 20. Jahrhunderts bewahren und gilt bis heute als erfolgreich. Fahrzeugdaten: IZ 4248, Lxw., Düsseldorf, Rheinprovinz, S. 787. Henry Theodore Böttinger. 1848–1920. Böttinger galt als einer der bedeutendsten Industriellen seiner Zeit. Als Vorstandsmitglied der Farbenfabrik Bayer in Elberfeld baute er mit weiteren Persönlichkeiten ein mittelständisches Unternehmen zu einem erfolgreichen Konzern aus, der heute unter dem Namen Bayer AG firmiert. Am Beginn seiner Industriekarriere stand die Heirat mit Adele Bayer, der Tochter von Friedrich Bayer, dem Gründer der Farbenwerke. Ab 1907 war Böttinger Vorsitzender des Aufsichtsrats des Unternehmens. Er engagierte sich auch außerhalb des Unternehmens: als Verbandsvertreter in diversen Organisationen der Wirtschaft, als Politiker mit einem Sitz im Preußischen Herrenhaus und in Berufsvereinen, wie dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Er erhielt im Laufe seines Lebens eine Vielzahl von Ehrungen. Im Adressbuch wurde er als Dr. von Böttinger, Geheimer Regierungsrat, eingetragen. Im Jahr 1902 wurde er mit der Ehrendoktorwürde von der Universität Göttingen ausgezeichnet. Den Titel Geheimer Regierungsrat erhielt er im Jahr 1904. Im Jahr 1907 wurde er zu „von Böttinger“ nobilitiert.27 Fahrzeugdaten: IZ 4347, IZ 4348, IZ 8933, drei Lxw., Elberfeld, Rheinprovinz, S. 789 und S. 849. Hugo Stinnes. 1870–1924. Hugo Stinnes wurde in eine alteingesessene Mülheimer Unternehmerfamilie geboren. Er stieg bereits in jungen Jahren aus dem familieneigenen Betrieb aus und gründete ein eigenes Unternehmen. Dieses baute er innerhalb von dreißig 27 Über Böttinger gibt es von Knoke (2016) eine lesenswerte Dissertation mit vielen interessanten Details und Abbildungen von Originaldokumenten (u. a. eine Abbildung der handschriftlichen Ernennung zum Geheimen Regierungsrat) über dessen Leben. In dieser Arbeit wird berichtet, dass der Titel Geheimer Regierungsrat in der gesamten Kaiserzeit an nur 31 Unternehmer vergeben wurde. Das zeigt die Wertschätzung höchster Stellen, die Böttinger entgegengebracht wurde. Der weitaus häufiger vergebene Titel Kommerzienrat, der in der Kaiserzeit besonders beliebt bei Unternehmern war, wurde an 41 % der bedeutenden Unternehmer vergeben (Knoke, S. 214).

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Jahren zu einem der größten Mischkonzerne des Landes mit Aktivitäten in Handel, Schwerindustrie und vielfältigen sonstigen industriellen Aktivitäten aus. Er war in diversen Industrien engagiert, sowohl als Unternehmer als auch als Aufsichtsrat von bedeutenden Unternehmen, wie der RWE, die er mitgründete. Politisch engagierte er sich nach dem 1. Weltkrieg und übte u. a. das Mandat eines Reichstagsabgeordneten aus. Sein kaufmännisches Geschick ermöglichte ihm, günstig Sachwerte (Unternehmen, Immobilien) in den Inflationsjahren zu erwerben. Man mag die Zahl kaum glauben, aber im Jahr seines Todes war er an mehr als 4.500 Betrieben mit 600.000 Angestellten beteiligt.28 Aufgrund seines enormen Einflusses in Wirtschaft und Politik war er für viele Menschen ein Feindbild und verkörperte den klassischen Phänotypen des Großkapitalisten.29 Mit seinem Tod zerfiel sein Industriekonglomerat. Die heute noch existierende Logistikunternehmung Stinnes AG, die der Deutschen Bahn gehört, ist eines der Überbleibsel aus der Stinnes-Ära, die mit Hugos Tod endete. Fahrzeugdaten: IZ 4743, IZ 4744, zwei Lxw., S. 795, IZ 7502, Lxw., S. 827, IZ 7524, S. 828, Lxw., Mülheim, Rheinprovinz. Roger von Boch-Galhau (1873–1917) und Luitwin von Boch-Galhau (1875–1932) gehörten zu der bekannten Boch-Familie, deren Manufaktur für ihre hochwertigen Keramikprodukte weltbekannt ist. Ihr Vater René war in fünfter Generation Eigentümer der Bochwerke, Roger und Luitwin in der folgenden Generation. Martha, eine der Schwestern von Roger und Luitwin war mit Franz von Papen verheiratet, dem Reichskanzler, der das Ende der Weimarer Republik miteinläutete und den Nationalsozialisten Anfang 1933 den Weg zur Macht bahnte. Beide Brüder waren in Mettlach im Saarland angemeldet, dem Firmensitz von Villeroy & Boch bis zum heutigen Tag. Im Jahr 2021 erzielte das Unternehmen ein Umsatzvolumen von mehr als 945 Mio. Euro. Der QR Barcode-Link bezieht sich auf das Unternehmen, da zu den beiden Brüdern kein gesonderter Eintrag vorliegt.

28 Dolderer und Patalong (2020), S. 100 ff. 29 In Fröhlich (2001), S. 411 ff. wird in einem Aufsatz das Wirken von Hugo Stinnes beschrieben. Der Autor setzt sich kritisch, aber differenziert mit Hugo Stinnes auseinander, um dessen Leistungen und Fehler im historischen Kontext angemessen beurteilen zu können.

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Fahrzeugdaten: IZ 5118 (Roger), Lxw., Mettlach, Rheinprovinz, S. 801, IZ 5116 und IZ 5117 (Luitwin), zwei Lxw., Mettlach, Rheinprovinz, S. 801. Carl Joest. 1858–1942. Joest war Jurist und Kaufmann mit vielfältigen Aktivitäten. Er entstammte einer Industriellenfamilie aus der Zuckerindustrie. Er war tätig in der Geschäftsführung und im Aufsichtsrat der Kölner Firma Pfeifer & Langen, die dem Vater seiner Frau Pauline gehörte. Weiterhin betrieb er Landwirtschaft, sowohl auf seinen Gütern in Deutschland – er besaß u. a. Schloss Eichholz bei Wesseling (nahe Köln) – als auch in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika. Privat engagierte er sich als Stifter. Das Rautenstrauch-Juest-Museum für ethnologische Kulturen in Köln verdankt ihm seine Existenz. Pfeifer & Langen ist heute eine breit aufgestellte Nahrungsmittel-Gruppe mit Aktivitäten in Zucker, Snackprodukten und Lebensmittelrohstoffen. Der Umsatz im Jahr 2021 lag bei 975 Mio. Euro. Fahrzeugdaten: IZ 6961, Lxw., Haus Eichholz, Post Sechtem, Kreis Bonn, Rheinprovinz, S. 819. Friedrich Karl Henkel. 1848–1930. Er galt als Selfmade-Mann, der den Grundstein für den heutigen Henkel-Konzern legte. Er fing bescheiden mit der Absolvierung einer Lehre in einer Farbenfabrik in Elberfeld an. Er war ehrgeizig und gründete bereits als junger Mann in Aachen eine Waschmittelfabrik. Diese verlegte er kurze Zeit später nach Düsseldorf. Die Firma wuchs rasch und erweiterte ihr Produktsortiment. Im Jahr 1907 kam das Waschmittel Persil auf den Markt, welches bis heute eine wichtige Marke im Unternehmen ist. Die Leistungen von Henkel wurden zu seinen Lebzeiten hochgeschätzt, was u. a. durch mehrere Ehrenbürgerschaften und die Ernennung zum Kommerzienrat zum Ausdruck kam. Das Unternehmen Henkel ist Mitglied im DAX 40-Index mit einem jährlichen Umsatzvolumen von 20 Mrd. Euro und mehr als 50.000 Beschäftigten im Jahr 2021. Die Nachfahren Friedrich Henkels sind weiterhin im Konzern als Eigentümer über eine Aktienmehrheit eingebunden. Im Adressbuch wurde Friedrich Henkel als Fritz Henkel mit der Berufsbezeichnung Fabrikbesitzer eingetragen. Fahrzeugdaten: IZ 8178, Lxw., Düsseldorf, Rheinprovinz, S. 839.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Edmund ter Meer. 1852–1931. Ter Meer war ein erfolgreicher Unternehmer aus Uerdingen. Als promovierter Chemiker gründete er im Jahr 1877 eine Teerfarbenfabrik in Uerdingen, die insbesondere auf das Färben von Textilien spezialisiert war. Die Zusammenarbeit mit einem wichtigen Zulieferer, der J. W. Weiler & Cie, die auf die Anilin-Produktion fokussiert war, führte schließlich im Jahr 1896 zu einem fusionierten Unternehmen, die Chemischen Fabriken. Nach dem Tod von Julius Weiler im Jahr 1904 übernahm ter Meer die alleinige Führung. Das Unternehmen wuchs rasch und erweiterte seine Produktpalette um Schwerchemikalien. Es expandierte auch international, u. a. in die USA. Ter Meer brachte sein Unternehmen im Jahr 1916 in eine Kooperation mit anderen Chemieunternehmen ein (u. a. Agfa, BASF, Bayer, Hoechst), aus der im Jahr 1925 die IG Farbenindustrie AG entstand, der weltweit größte Chemiekonzern. Hier bekleidete ter Meer die Funktion eines Aufsichtsrats. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die IG Farbenindustrie zerschlagen und das Chemiewerk von ter Meer in die Bayer AG integriert. Neben seinen unternehmerischen Aktivitäten war ter Meer sozial und kulturell engagiert, z. B. durch die Einrichtung einer Betriebskrankenkasse und im Bereich der Bildungsförderung. Im Adressbuch wurde er als Kommerzienrat eingetragen, einen Ehrentitel, der ihm im Jahr 1899 verliehen wurde. Fahrzeugdaten: IZ 8626, Lxw., Ürdingen am Rhein (alte Schreibweise), Rheinprovinz, S. 844. A. Hornbach. Lebensdaten unbekannt. Hornbach wurde im Adressbach als Dachdeckermeister in Landau registriert. Er war Mitglied der Hornbach-Familie, die bis heute Eigentümerin der Baumarktkette Hornbach ist. Die Wurzeln der Baumarktkette gehen auf den Schieferdeckermeister Michael Hornbach zurück, der im Jahr 1877 einen Handwerksbetrieb gründete. Im Jahr 1900 eröffnete sein Sohn Wilhelm eine Baumaterialien-Handlung. Die nächste Generation mit Albert (das A. im Adressbuch könnte für Albert stehen) und Wilhelm (junior) erweiterte das Unternehmen um weitere Segmente. Beispielsweise wurden Kläranlagen produziert. Seit dem Jahr 1968 ist die Hornbach-Gruppe im Baumarktgeschäft mit der Eröffnung eines Baumarktes und eines Gartencenters in Bornheim aktiv. In diesem Ort ist die Konzernzentrale angesiedelt. Im Geschäftsjahr 2021/22 erzielte die Gruppe einen Umsatz von 5,9



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Mrd. Euro mit 24.000 Mitarbeitern und 167 Fachmärkten unter der Führung von Albrecht Hornbach. Der QR Barcode-Link bezieht sich auf die Hornbach-Gruppe. Fahrzeugdaten: IID 588, keine Fahrzeugangabe, Landau, Regierungsbezirk Pfalz, S. 931. Philipp Rosenthal. 1855–1937. Rosenthal war ein weithin bekannter Unternehmer. Sein Name wurde zur Marke von Weltruf. Rosenthal gründete im Jahr 1879 eine Porzellanmalerei und 10 Jahre später eine Porzellanmanufaktur in Selb. Sein Unternehmen wurde rasch bekannt durch originelle Porzellandesigns und -serien. Handgemaltes Weißporzellan genoss große Beliebtheit bei der Kundschaft. Die Jahre des Nationalsozialismus erwiesen sich als tragisch für Philipp, der aufgrund seiner jüdischen Wurzeln aus seinem Unternehmen herausgedrängt und durch entsprechende Gutachten für geschäftsunfähig erklärt wurde. Sein gleichnamiger Sohn (Philip mit einem p) kam im Jahr 1950 aus dem englischen Exil zurück und konnte das Unternehmen wieder revitalisieren und auf Erfolgskurs zurückbringen. Er war ein sichtbarer Unternehmer mit einer späten politischen Karriere (u. a. Parlamentarischer Staatssekretär und Bundestagsabgeordneter der SPD). Die Rosenthals gehören wie Villeroy & Boch (s. w. o.) und Hutschenreuther zu den bekannten Porzellanindustriellen des Landes. Die Porzellanfabrik Rosenthal existiert bis heute – trotz einer Insolvenz im Jahr 2009 – unter dem Dach von Sambonet Paderno, einer italienischen Unternehmensgruppe. Im Adressbuch war Philipp Rosenthal als Generalfabrikdirektor und Kommerzienrat eingetragen. Fahrzeugdaten: IIH 842, Lxw., Selb, Regierungsbezirk Oberfranken, S. 951. Georg Haas von Hasenfels. 1841–1914. Hasenfels war ein erfolgreicher Unternehmer in der Porzellanindustrie und im Handel. Als Sohn einer böhmischen Familie, konzentrierten sich seine Geschäftsaktivitäten auf das Gebiet der k. u. k.-Monarchie, zu dem Österreich, Ungarn, Böhmen und Mähren gehörten. Als Halteradresse wurde Schloss Mostau bei Elbogen im heutigen Tschechien eingetragen. Dieses Schloss erwarb er im Jahr 1886. Haas von Hasenfels verfügte über umfangreiche Ländereien und Schlossbesitztümer. Ein Großteil der Besitztümer der Familie ging am Ende

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

des 2. Weltkriegs durch Enteignungen seitens der tschechischen Regierung verloren. Es gab zwei Persönlichkeiten mit dem Namen Georg Haas von Hasenfels, Vater und Sohn. Es handelte sich bei dem Fahrzeughalter wahrscheinlich um den Vater, der sich als Edler von Hasenfels hat eintragen lassen. Das dürfte auf den im Jahr 1908 erworbenen Titel Freiherr zurückzuführen sein. Fahrzeugdaten: IIH 974, Lxw., Schloss Mostau bei Elbogen, Regierungsbezirk Oberfranken, S. 953. Käthe Klingebeil-Glüber. * nicht bekannt – 1927. Klingebeil-Glüber war Unternehmerin und Schlossbesitzerin. Sie war im Jahr 1906 Mitgründerin der Fahrzeugfabrik GmbH in Ansbach, in der PKW, Omnibusse und LKW hergestellt wurden. Im Jahr 1917 fusionierte die Fabrik mit einem Automobilproduzenten in Nürnberg. Die neue Firma trug den Namen Fahrzeugwerke Ansbach und Nürnberg AG (FAUN). Käthe war zudem Schlossbesitzerin der Burg Colmberg. Ihr Mann hatte diese Burg im Jahr 1895 erworben. Nach seinem Tod im Jahr 1903 ging der Besitz an sie über und sie lebte weiterhin auf der Burg. Im Adressbuch ist sie als SchlossbesitzerWitwe Klingebeil-Glüber eingetragen. Der Name FAUN lebt bis heute weiter in zwei unabhängig voneinander agierenden Unternehmen, der FAUN Umwelttechnik GmbH & Co. KG in OsterholzScharmbeck und der Tadano FAUN GmbH in Lauf an der Pegnitz. Der Automobilbau wurde schon vor Jahrzehnten aufgegeben. Heute werden u. a. Abfallsammel- und Kehrmaschinenfahrzeuge produziert. Der QR Barcode-Link bezieht sich auf die Fahrzeugfabrik Ansbach, da zu Käthe Klingebeil-Glüber kein separater Eintrag existiert. Fahrzeugdaten: IIS 51, Lxw., Colmberg, Regierungsbezirk Mittelfranken, S. 966. Alexander Graf von Faber-Castell. 1866–1928. Er gehörte dem Adelsgeschlecht Castell an. Durch Heirat mit Ottilie Faber, die aus einer Unternehmerfamilie stammte, entstand der Doppelname. Alexander Faber-Castell führte mit seiner Frau die Firma Faber, die sich auf die Herstellung von Bleistiften spezialisiert hat. Das Unternehmen ist eines der ältesten Industrieunternehmen Deutschlands. Es ist bis heute erfolgreich und gilt mit 523 Mio. Euro Umsatz (2021/2022) als weltgrößter Produzent von Blei- und



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Buntstiften. Der QR Barcode-Link bezieht sich auf Ottilie (1877– 1944), da es zu Alexander keinen separaten Eintrag gibt. Fahrzeugdaten: IIS 666 und IIS 670, zwei Lxw., Stein, Regierungsbezirk Mittelfranken. S. 971. Adolf Daimler. 1871–1913. Er war ein Sohn von Gottlieb Daimler, dem mit Carl Benz nahezu zeitgleichen Erfinders des Automobils. Adolf, ein studierter Maschinenbauingenieur, stieg im Jahr 1899 in die Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) ein, der Fabrik seines Vaters. Dort übte er diverse Positionen aus, bis er schließlich im Jahr 1907 Vorstand des Unternehmens wurde. Tragischerweise wurde er im Alter von 41 Jahren durch Krankheit zu früh aus seinem erfolgreichen Leben gerissen. Die DMG fusionierte im Jahr 1926 mit der Firma von Benz zur Daimler-Benz AG. Heute ist das Unternehmen eines der größten Industrieunternehmen Deutschlands mit einem Umsatz von 168 Mrd. Euro im Jahr 2021. Fahrzeugdaten: IIIA 100, Lxw., Cannstadt, Stuttgart, S. 1002. Robert Bosch. 1861–1942. Bosch ist ein Name, der nahezu jedem Menschen im Land vertraut sein dürfte. Er war Erfinder, Techniker, Unternehmer und in jeder dieser Rollen erfolgreich. Er war gelernter Feinmechaniker und komplettierte als junger Mann sein Wissen bei verschiedenen Firmen im In- und Ausland. Bereits mit 25 Jahren gründete er in Stuttgart eine Werkstatt für Feinmechanik. Einige Jahre später gelang ihm der Durchbruch mit einem Magnetzünder, der für die Zündung in schnell laufenden Verbrennungsmotoren in Automobilen verwendet werden konnte.30 Nun ging es rasch vorwärts und Bosch expandierte ins Ausland. In den zwanziger Jahren gelang ihm eine zweite bemerkenswerte 30 Bosch erregte früh das Interesse von Gottlieb Daimler, der mit seinem selbst konstruierten Magnetzünder Probleme hatte. Es gab im Jahr 1899 ein Treffen im Hause Daimler zwischen Bosch und Daimlers Chefingenieur Maybach, an dem Daimler nicht teilnahm, sich allerdings Zwischenstände des Gesprächs mitteilen ließ. Am Ende ging es um die Frage, ob Bosch bereit sei, exklusiv für Daimler zu fertigen. Allerdings muss sich Daimler im Nebenraum despektierlich über Boschs Magnetzünder ausgelassen haben, was Bosch mitbekam. So wurde vorerst aus der Zusammenarbeit nichts. Vielleicht wäre die Firma von Bosch sonst ein Teil der Firma von Daimler geworden. Etwas später wurde Daimler dann doch noch gezwungen, die Bosch-Zünder in seine Fahrzeuge einzubauen, weil Emil Jellinek (s. w. o. wegen seiner Einführung des Namens Mercedes), einer seiner besten Händler, ihn dazu quasi zwang. Diese Episode ist nachzulesen in Raidt (2014), S. 249 ff.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Innovation, die Einspritztechnik für Dieselmotoren. Das Unternehmen Bosch entwickelte sich zu einem bedeutenden Automobilzulieferer im Weltmaßstab. Neben seinen Erfolgen als Unternehmer verlor er nie seine Arbeiter aus dem Blick. Er galt als sozial und hinterließ dieses Erbe seinem Konzern. Robert Bosch war einer der ersten Unternehmer, der einen Achtstundentag für seine Arbeiter einführte. Er genoss eine hohe Reputation in Wirtschaft und Politik. Die letzte Ehrung, die ihm zuteilwurde, war ein Staatsbegräbnis. Das Unternehmen Bosch der Gegenwart ist einer der größten Automobilzulieferer der Welt mit einem Jahresumsatz von knapp 79 Mrd. Euro im Jahr 2021. Fahrzeugdaten: IIIA 147 und IIIA 149, zwei GW., S. 1003, IIIA 272, Lxw., S. 1006, IIIA 554, PW., S. 1009, IIIA 744, Lxw., S. 1010, Stuttgart. Louis Leitz. 1846–1918. Jeder kennt Büroordner mit Hebelmechanik, die es erlauben, auf einfache Weise Dokumente dem Ordner hinzuzufügen oder zu entnehmen. Der Erfinder dieser einfachen und höchst praktischen Technik war Louis Leitz. Als gelernter Mechaniker machte er sich jung mit einer Werkstatt selbständig, die er sukzessive zu einer Fabrik für Büroartikel ausbaute. Im Adressbuch war sein Unternehmen als Briefordnerfabrik und er als Fabrikant eingetragen. Er war nicht mit dem bereits vorgestellten Ernst Leitz aus Wetzlar verwandt (Leica-Kameras). Nach seinem Tod wurde das Unternehmen erst von seinen Söhnen und dann von weiteren Generationen erfolgreich geführt. Ende der 1990er Jahre zog sich die Familie nach dem Firmenverkauf an Esselte aus dem Unternehmen zurück. Seit dem Jahr 2016 ist es unter dem Dach des amerikanischen Konzerns Acco, der verschiedene Büroartikelfirmen führt. Der Umsatz von Leitz liegt heute bei rund 250 Mio. Euro. Fahrzeugdaten: IIIA 196, Lxw., Stuttgart, S. 1004, IIIE 115, 2 LW., Stuttgart, S. 1023. Erhard Junghans (1849–1923) und Erwin Junghans (1875–1944). Die Uhren von Junghans gehören zu den bekanntesten deutschen Uhrenmarken. Gegründet wurde das Unternehmen im Jahr 1861 von Erhard Junghans, dem Vater von Erhard Junghans (beide trugen den gleichen Vornamen) in Schramberg. Erhard (junior) entwickelte zusammen mit seinem Bruder Arthur das Unternehmen



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nach dem Tod seines Vaters zum weltgrößten Uhrenproduzenten seiner Zeit.31 Produkte waren z. B. Taschenuhren und Wecker. Junghans war einer der ersten Uhrenproduzenten in Europa, die den Wecker verkauften, ein nützliches Utensil in einer auf Pünktlichkeit und Effizienz getrimmten Industriegesellschaft. Die bis heute bekannten Junghans-Armbanduhren wurden ab 1928 gefertigt. Um das Jahr 1903 beschäftigte die Firma 3.000 Mitarbeiter. Erwin Junghans gehörte zur nächsten Generation und war ebenfalls in der Geschäftsführung. Im Adressbuch waren Erhard Junghans als Kommerzienrat und Erwin Junghans als Fabrikdirektor eingetragen. Die Familie Junghans stieg im Jahr 1956 aus dem Unternehmen aus, nachdem es von der Firmengruppe Diehl übernommen wurde. Heute gehört das Unternehmen dem Schramberger Unternehmer Hans-Jochem Stein. Der QR Barcode-Link bezieht sich auf die Uhrenfabrik Junghans, da es keinen separaten Eintrag zu Erhard (junior) und Erwin gibt. Fahrzeugdaten: Erhard Junghans IIIK 221, Lxw., Erwin Junghans III K 211, Lxw., beide in Schramberg im Bezirk Oberndorf, S. 1028. Matthias Hohner (1863–1929) und Willy Hohner (1879–1933). Sie waren die Söhne von Matthias Hohner (senior), der das bekannte Instrumentenbauunternehmen gründete. Das Unternehmen produzierte Mundharmonikas und Akkordeons. Es war erfolgreich und beschäftigte im Kaiserreich um die 1.000 Mitarbeiter. Das Unternehmen erreichte seinen Höhepunkt im Jahr 1939 mit 5.000 Mitarbeitern. Nach dem 2. Weltkrieg war das Unternehmen bis in die 1980er Jahre erfolgreich. Danach begann der Abstieg des Unternehmens und die Familie veräußerte ihre Anteile. Heute gehört das Unternehmen einem taiwanesischen Musikinstrumentenhersteller. Matthias und Willy waren im Adressbuch als Fabrikanten eingetragen. Der QR Barcode-Link bezieht sich auf das Unternehmen, da es keinen separaten Eintrag zu Matthias (junior) und Willy gibt.

31 Arthur Junghans war ein früher Kunde von Gottlieb Daimler und mit ihm und dem Co-genialen Partner von Daimler, Wilhelm Maybach persönlich gut bekannt. Er rettete einmal Wilhelm Maybach das Leben, als dessen Kleidung beim Versuch eine Benzinleitung zu flicken, Feuer fing. Arthur Junghans soll Maybach ohne Zögern in ein Wasserbecken geworfen haben. Dennoch waren die Brandwunden so schwer, dass Maybach drei Wochen im Krankenhaus war. S. Raidt (2014), S. 232 f.

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Fahrzeugdaten: Matthias Hohner IIIM 438, Lxw., IIIM 445, Lxw., beide S. 1033, beide in Trossingen im Bezirk Tuttlingen. Paul Steiff. 1876–1954. Das Unternehmen Steiff ist ein Spielzeugwarenhersteller und bekannt für seine Teddybären und andere Plüschtiere. Es wurde von Margarete Steiff im Jahr 1880 in Giengen gegründet und rasch erfolgreich. Paul Steiff war einer ihrer fünf Neffen, die das Unternehmen nach ihrem Tod weiterführten. Paul wurde im Adressbuch als Fabrikant eingetragen. Das Unternehmen ist bis heute tätig und weiter in Familienhand. Der QR Barcode-Link bezieht sich auf Margarete Steiff, da es zu Paul keine Angaben gibt.32 Fahrzeugdaten: IIIS 317, Lxw., S. 1038, Giengen, Bezirk Heidenheim. Hermann Herder. 1864–1937. Herder war ein bekannter Verleger, der den gleichnamigen Verlag, den er von seinem Vater geerbt hatte, fast 50 Jahre leitete. Unter seiner Ägide erlebte der Verlag gute und schwere Zeiten. In den Jahren vor dem 1. Weltkrieg verzeichnete das Haus einen Aufschwung, der mit einem neuen Verlagsgebäude im Jahr 1910 in Freiburg gekrönt wurde. Die Weimarer Jahre waren aufgrund der ökonomischen Verhältnisse im Land hart. Der Verlag überlebte nur dank seines Auslandsgeschäfts. Die Jahre der Herrschaft der Nationalsozialisten ab 1933 waren herausfordernd, da die verlegerische Freiheit stark eingeschränkt wurde. Hermann Herder richtete in seinen Jahren als Verleger das Unternehmen breit aus. Die Palette reichte von Lexika über Sachbücher bis hin zu Belletristik. Auch religiöse Literatur (römisch-katholisch) dominierte das Haus mit diversen Publikationen. Privat engagierte er sich in diversen katholischen Vereinigungen. Der Verlag ist bis heute im Besitz der Familie Herder. Fahrzeugdaten: IVB 2002, Lxw., Freiburg, S. 1065.

32 Margarete Steiff gilt als Vorbild vieler Frauen, da sie sich im Kaiserreich unternehmerisch durchsetzte, trotz ihrer Lähmung, die sie an den Rollstuhl fesselte und trotz eines Lebens als ledige Frau und ohne Kinder, eine kaum vorstellbare Rolle für eine Frau im Kaiserreich. Eine Beschreibung ihres Lebens in Spiegel Edition (2021), S. 84 ff.

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Richard Benz. 1874–1955. Richard war ein Sohn des legendären Carl Benz, dem Erfinder des Automobils. Richard galt als talentierter Ingenieur, der zeit seines Lebens eng mit seinem Vater zusammengearbeitet hatte. Sein Vater verließ nach einem Zerwürfnis mit einem Gesellschafter das von ihm gegründete Unternehmen und gründete ein zweites Unternehmen (Carl Benz Söhne) im Jahr 1906 in Ladenburg. Auch dort arbeitete Richard in der Geschäftsführung mit. Das Unternehmen existierte bis zum Jahr 1923. Es gibt keinen Eintrag zu Richard Benz. Der QR-Barcode-Link bezieht sich auf seinen Vater. Fahrzeugdaten: IVB 3830, Lxw. und IVB 4017, GW., beide in Ladenburg, Bezirk Mannheim, S. 1085 und 1088 Fritz Reuther. 1882–1967. Reuther war ein Fabrikant aus Mannheim. Er betrieb zusammen mit seinem Bruder ein Unternehmen für Armaturen, die in der Sanitärtechnik und im Anlagenbau verwendet wurden. Um das Jahr 1909 hatte ihr Unternehmen Bopp & Reuther etwa 3.500 Mitarbeiter. Fritz Reuthers Rolle in der NS-Zeit war unrühmlich, da er einer der deutschen Wirtschaftsführer war, die sich offen hinter das Regime stellten. Er erhielt u. a. den „Ehrentitel“ Wehrwirtschaftsführer. Nach dem 2. Weltkrieg wurde er als Mitläufer klassifiziert. Seine letzten Jahre verbrachte er als Landwirt. Das von ihm betriebene Unternehmen existiert bis heute unter dem Namen VAG. Es stellt nach wie vor Armaturen her und beschäftigt knapp 1.000 Mitarbeiter. Fahrzeugdaten: IVB 4037, Lxw., Mannheim, S. 1089. Der Eintrag zu dem Fahrzeug seines Bruders, ebenfalls ein Lxw., befindet sich direkt darunter. Sophie Opel. 1840–1913. Der Eintrag zu Sophie Opel steht stellvertretend für die Opel-Familie, die sich zahlreich im Adressbuch wiederfindet. Sophie Opel war eine rührige und geschäftstüchtige Unternehmerin, die zusammen mit ihrem Mann Adam die Opelwerke führte. Dieser hatte im Jahr 1862 eine Nähmaschinenfabrik gegründet, die einige Jahre später um eine Fahrradproduktion erweitert wurde. Nach dem Tod ihres Mannes übernahm sie die Geschäfte und stieg im Jahr 1899 in die Automobilproduktion ein. Dazu erwarb sie ein Unternehmen, welches einem anderen Pionier der frühen Automobilgeschichte gehörte: Friedrich Lutzmann. Jeder

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ihrer fünf Söhne stieg in die Firma ein und trug zum Wachstum und zur Weiterentwicklung des Unternehmens bei. Sophie Opel wurde im Adressbuch als Adam Opel, Witwe eingetragen. Im Jahr 1928 erreichte die Firma einen Höhepunkt und konnte sich als größter Automobilhersteller Deutschlands bezeichnen. Im Folgejahr wurde Opel zu 80 % an General Motors verkauft. Die restlichen Anteile übernahm GM im Jahr 1931. Nach dem 2. Weltkrieg entwickelte sich Opel erfolgreich weiter und wurde in den 1970er Jahren erneut größter Hersteller Deutschlands mit nahezu 60.000 Mitarbeitern. Danach ging es kontinuierlich mit sinkenden Marktanteilen und schrumpfenden Umsätzen bei hohen Verlusten bergab. Im Jahr 2017 wurde das Unternehmen eine Tochtergesellschaft der französischen Groupe PSA. Fahrzeugdaten: VS 624, Lxw., Rüsselsheim, Provinz Starkenburg, S. 1125. Auf den Seiten 1125 und 1126 finden sich weitere Einträge zu Opel, u. a. zu den Söhnen von Sophie Opel. Louis Merck. 1854–1913. Louis Merck war in dritter Generation Geschäftsführer des Pharmaunternehmens, welches von seinem Großvater Heinrich Emanuel Merck gegründet wurde. Er war studierter Chemiker und hatte damit wie viele aus seiner Familie einen naturwissenschaftlichen Background als Chemiker oder Apotheker.33 Louis leitete die Geschäfte des Unternehmens in den Jahren von 1897 bis 1913, welches sich auf die Produktion von Arzneimitteln spezialisierte. Neben seiner unternehmerischen Tätigkeit war er zeitweise Abgeordneter in der Ersten Kammer des hessischen Landtags. Im Jahr 1907 erhielt er die Ehrendoktorwürde. Mit diesem Titel wurde er in das Adressbuch eingetragen. Dort findet sich ein weiterer Eintrag zu Willy Merck (S. 1118), einem seiner Cousins, der die Geschäfte des Unternehmens ab 1923 führte. Das Unternehmen Merck gilt als eines der führenden europäischen Pharmaunternehmen mit knapp 20 Mrd. Euro Umsatz im Jahr 2021. In den USA gibt es ein unabhängiges Unternehmen gleichen Namens. Zu Zeiten von Louis Merck gehörte es noch als amerikanische Niederlassung zur deutschen Muttergesellschaft. Die Trennung erfolgte zwangsweise durch Enteignung während des 1. Weltkriegs. 33 Zu der Merck-Familie gibt es verschiedene Einträge im Online-Lexikon Wikipedia. Sie bestand aus einer Vielzahl außergewöhnlicher Persönlichkeiten.

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Fahrzeugdaten: VS 154, keine Fahrzeugtypangabe, Darmstadt, S. 1120. Eduard Züblin. 1850–1916. Eduard Züblin war ein Ingenieur, der das Bauunternehmen Züblin gründete. Der Sitz des Unternehmens ist seit dem Ende des 1. Weltkriegs Stuttgart. Es wurde bereits im Jahr 1898 von Eduard in Straßburg gegründet, einer Stadt, die damals zum Kaiserreich gehörte. Züblins Unternehmen war ein Pionierunternehmen bei der Verarbeitung von Eisenbeton. Europaweit gewann Züblin Aufträge für seine Firma, u. a. beim Bau von Brücken, Hallen und Industrieunternehmen. Bis in die Gegenwart sind Bauten aus seiner Zeit erhalten, u. a. der Hamburger Hauptbahnhof. Heute ist Züblin eines der größten deutschen Bauunternehmen mit einem Umsatz von 4 Mrd. Euro. Eigentümer von Züblin ist der österreichische Baukonzern Strabag. Fahrzeugdaten: VIA 829, keine Fahrzeugtypangabe, Straßburg, S. 1150. Charles de Wendel. 1871–1931. Charles gehörte zur Wendel-Familie, die seit dem 18. Jahrhundert erfolgreiche Lohringer Unternehmer in der Schwerindustrie waren. Er leitete in der Stadt Hayingen eines der Stahlwerke der Familie. Zu Zeiten von Charles gehörten die Wendels zu den größten Arbeitgebern des Kaiserreichs. Charles war zudem Reichstagsabgeordneter für Lothringen und vertrat im Reichstag dessen Interessen. Lothringen und damit zwangsläufig die Familie Wendel mit ihren Besitzschaften litten immer wieder unter der wechselvollen Geschichte des Landes mit unterschiedlicher Staatszugehörigkeit. Nach dem 2. Weltkrieg gingen die französischen Werke in Usinor und später in Arcelor auf. Arcelor wiederum ist seit dem Jahr 2007 Teil von ArcelorMittal und damit eines der weltweit größten Stahlunternehmen. Die deutschen Bergwerke (Steinkohle) von Wendel wurden im Jahr 1969 von der Ruhrkohle AG übernommen. Sie werden schon lange nicht mehr genutzt, da Deutschland im Jahr 2018 den Steinkohleabbau eingestellt hat. Die Wendels sind nach wie vor über eine Beteiligungsgesellschaft, die an der Pariser Börse gelistet ist, unternehmerisch tätig. In das Adressbuch wurden sechs Wendels eingetragen, davon fünf mit der Berufsbezeichnung Hüttenbesitzer. Fahrzeugdaten: VIC 65 und VIC 66, Lxw., Hayingen, S. 1187.

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9.2.3 Wirtschaftsunternehmen Polyphon-Musikwerke AG. Dieses Unternehmen war ein Pionier im Musikinstrumentenbau. Es wurde im Jahr 1889 als Firma Brauchhausen & Rießner in Wahren nahe Leipzig gegründet. Ungewöhnlich an der Geschichte des Unternehmens, welches als früher Produzent von Grammophonen und Schallplatten galt, war der Ausflug in die Produktion von Automobilen. In die junge Branche drängte es damals viele Unternehmen aus anderen Industrien. Polyphon kam dazu, als es im Jahr 1903 eine Lizenz für ein amerikanisches Automobil, das Oldsmobile (Olds nach dem Namen des amerikanischen Konstrukteurs), erwarb. Im Jahr 1904 stieg es dann in den Automobilbau mit einem Polymobil, welches den Namen Gazelle trug, ein. Ab 1908 baute dann Polyphon bis zum Jahr 1927 Automobile unter dem Namen Dux.34 Polyphon gründete im Jahr 1914 die Marke Polydor, die über Jahrzehnte den nationalen und internationalen Markt mit Schallplattenaufnahmen bekannter Sänger und Sängerinnen versorgte. Polyphon erwarb zudem im Jahr 1917 die Schallplattenfirma Deutsche Grammophon, deren Entwicklung sich seitdem unter gemeinsamer Führung vollzog. Polydor und Deutsche Grammophon (damit auch Polyphon) sind heute Teil von Universal Music des französischen Medienunternehmens Vivendi. Fahrzeugdaten: Das Unternehmen war mit vier Fahrzeugen im Adressbuch vertreten, allesamt KrW., mit der Adresse Wahren, Kreishauptmannschaft Leipzig, S. 171, 172 und 175. Friedrich Krupp AG. Kaum ein deutsches Unternehmen hat einen Bekanntheitsgrad wie Krupp. Als Stahlunternehmen war es wesentlich an der Industrialisierung Deutschlands beteiligt. U. a. produzierte es patentgeschützte, nahtlose Eisenbahnradreifen, die enorme Bedeutung für den Eisenbahn- und Waggonbau hatten. Im Jahr 1811 gegründet, war es zeitweilig eines der größten deutschen Unternehmen. Es ist eng verwoben mit der Geschichte des Landes. In rühmlicher Hinsicht in Friedenszeiten, in unrühmlicher Weise als Waffenschmiede des Kaisers während des 1. Weltkriegs und

34 Eine Beschreibung der Polyphon-Automobile mit Abbildungen ist nachzulesen in Schrader (2002) ab S. 311 ff.

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später in der NSDAP-Zeit und dem 2. Weltkrieg.35 Im Adressbuch wurden diverse Einträge zu Krupp-Unternehmen vorgenommen, z. B. zur Krupp-Germaniawerft in Kiel (S. 533), die Kriegsschiffe für das Kaiserreich baute. Ein anderer Eintrag bezog sich auf Frau Geheimrätin Krupp in Essen-Bredeney (S. 835), dem Wohnsitz der Familie Krupp. Dort residierten die Krupps in der Villa Hügel.36 Es handelte sich dabei wahrscheinlich um Margarethe Krupp, die Witwe des im Jahr 1902 verstorbenen Friedrich Alfred Krupp. Auf S. 836 wurde Krupp von Bohlen-Halbach mit Wohnsitz Essen-Bredeney verzeichnet. Das war vermutlich Gustav Krupp von BohlenHalbach der Ehemann von Bertha Krupp. Bertha war die Tochter von Friedrich Alfred und Margarethe Krupp, und Alleinerbin des Krupp-Konzerns. Gustav führte ab 1909 als Aufsichtsratsvorsitzender das Unternehmen. Die Krupp-Unternehmungen sind heute Teil von ThyssenKrupp, einem Stahlkonzern mit knapp 34 Mrd. Euro Umsatz. Fahrzeugdaten: IP 423, Lxw., Kiel-Gaarden, Schleswig-Holstein, S. 533. Hannoversche Gummi-Kamm-Compagnie. Das Unternehmen wurde im Jahr 1862 gegründet. Es war zur Kaiserzeit ein führendes Unternehmen in der Verarbeitung von Kautschuk zu Gummiwaren. Das Produktionsprogramm startete mit Kämmen und medizinischen Produkten. Später kam die Produktion von Fahrrad- und Autoreifen hinzu. Das Unternehmen war Konkurrent von Continental, aber durch die eigenen Gesellschafter auch an Continental beteiligt. Bereits im Jahr 1883 gab es Gespräche über eine Fusion der beiden Unternehmen, jedoch bestand keine Einigung bei der Frage, wer die unternehmerische Führung innehaben sollte. Diese Frage wurde dann im Jahr 1928 zu Gunsten von Continental entschieden, welches sich die Hannoverschen Gummi-Kamm-Werke in einer feindlichen Übernahme einverleibte. Continental ist heute einer der größten Automobilzulieferer weltweit mit einem Umsatz 35 Krupps Geschütze waren bereits vor der Kaiserzeit in den sog. Einigungskriegen gegen Österreich und Frankreich wichtige Waffen für die preußische Armee. S. Preisendörfer (2021), S. 261 ff. 36 Augustine (1994) beschreibt in ihrer lesenswerten Studie über die Wirtschaftselite in der Kaiser Wilhelm-Zeit auch Auszüge aus dem Leben der Krupps. Auf S. 230 ff. schildert sie den Alltag von F. A. und Margarethe Krupp, der i. W. von sozialen und unternehmerischen Pflichten geprägt war. Es verging kaum ein Tag ohne hochrangige Gäste aus Wirtschaft und Adel in der Villa Hügel. Die Villa Hügel ist heute ein öffentlich zugänglicher Ort mit Museumscharakter.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

von knapp 38 Mrd. Euro. Das Unternehmen steht seit 2009 unter der Kontrolle der Schaeffler-Gruppe. Fahrzeugdaten: IS 12, KrR., Limmer, Provinz Hannover, S. 561, IS 186, IS 187, IS 194, 3 Lxw., Limmer, Provinz Hannover, S. 564 und IS 193, KrR., Limmer, Provinz Hannover, S. 564. Felten & Guilleaume Lahmeyerwerke. Im Adressbuch wurde als Unternehmenssitz Frankfurt angegeben. Von dort stammten die Lahmeyerwerke, die im Jahr 1898 mit Felten & Guilleaume (F&G) aus Köln fusionierten. Diese Partnerschaft löste sich im Jahr 1910 wieder auf. Felten & Guilleaume blickte auf eine traditionsreiche Geschichte zurück, die sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen ließ. Um die Jahrhundertwende war es ein führendes Draht- und Kabelunternehmen in der Elektroindustrie. Lahmeyer war erst im Jahr 1890 von Wilhelm Lahmeyer gegründet worden und produzierte Dynamos und Elektromotoren. Auch war das Unternehmen an der Elektrifizierung von Straßenbahnen beteiligt. Nach der Trennung der beiden Firmen ging das Unternehmen Lahmeyer als Elektrizitäts-AG wieder eigene Wege und gründete später die RWE, bis heute eines der führenden Energieversorgungsunternehmen Deutschlands. F&G hatte ebenfalls eine weitere wechselvolle Geschichte mit unterschiedlichen Eignern (u. a. AEG, Siemens, Philips, Mercedes). Das Unternehmen existiert nicht mehr als eigenständiges Unternehmen, aber industrielle Überbleibsel lassen sich in diversen anderen Unternehmensgruppen nachweisen. Im Adressbuch waren als Einzelpersonen Antoniette von Guilleaume als Witwe und Kommerzienrätin (S. 814), Max von Guilleaume (S. 815), Kommerzienrat, Arnold von Guilleaume (S. 766), Fabrikbesitzer und F. C. Guilleaume (S. 767) als Frau Kommerzienrätin mit Sitz in Köln aufgeführt. Die Guilleaumes galten im Kaiserreich als wohlhabendste Familie Kölns. Ihre finanziellen Möglichkeiten nutzten sie, um diverse Schlösser zu erwerben. Fahrzeugdaten: IT 1586, GW., Frankfurt a. M., S. 645. Bierbrauerei Binding. Conrad Binding übernahm als gelernter Küfer und Brauer im Jahr 1870 eine schlechtgehende Brauerei in Frankfurt und formte daraus in den folgenden Jahrzehnten eine der führenden Brauereien Deutschlands. Wirtschaftliche Schwierigkeiten in der Weimarer Zeit veranlassten Conrad Binding, seine



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Brauerei mit einer anderen Brauerei zu fusionieren und sich danach aus der Branche zurückzuziehen. Nach dem 2. Weltkrieg erwarb die Bielefelder Oetker-Gruppe diese neue Brauereigruppe. Seit dem Jahr 2002 gehört Binding zur Radeberger-Gruppe und zum dortigen Biermarken-Portfolio. Conrad Binding wurde im Adressbuch als Privatier eingetragen. Im Jahr 1909 hatte er seine aktive Zeit in der Brauerei bereits eingestellt und widmete sich privaten Dingen, wie ausgedehnten Reisen, Mäzenatentum, Sanierung und Umbau privater Bauten sowie der Kommunalpolitik. Fahrzeugdaten: Eintrag Conrad Binding S. 658, Lxw., IT 2631 in Frankfurt. An diversen Stellen im Adressbuch auch Einträge zur Binding-Brauerei. Dürkopp & Co. Hinter dieser Firma steckte der Unternehmer Nikolaus Dürkopp, der das Unternehmen im Jahr 1867 in Bielefeld mit einem Kompagnon gründete. Die ersten Produkte waren Nähmaschinen, später kamen Fahrräder, Automobile, Motorräder und Nutzfahrzeuge hinzu. Nikolaus Dürkopp war ein beeindruckender Unternehmer. Obgleich zeitlebens durch seinen Analphabetismus gehandikapt, war er erfindungsreich und hielt eine Vielzahl von Patenten. Seine Dürkopp-Nähmaschinen waren landesweit berühmt. Seine Fahrzeugproduktion war nicht weniger beeindruckend mit einer Vielzahl von Modellen, die in den Jahren 1897 bis 1929 in den Dürkopp-Werken gefertigt wurden. Im Adressbuch lassen sich eine Vielzahl von Fahrzeugeinträgen zum Unternehmen nachweisen. Auch Nikolaus Dürkopp wurde dort als Halter eingetragen (s. Fahrzeugdaten). Dürkopp-Adler ist bis heute im Industrienähmaschinenbau tätig und im Besitz einer chinesischen Gruppe. Fahrzeugdaten: IX 567, Lxw., Bielefeld, Provinz Westfalen, S. 668. Dortmunder Aktien-Brauerei. Eine der zahlreichen Brauereien, die im Adressbuch landesweit verzeichnet waren. Bier galt als Nahrungsmittel und wurde gerne von Arbeitern konsumiert. Das Ruhrgebiet war im Kaiserreich industrielles Kernland mit einem Millionenheer an Arbeitern. Daher gab es überall Brauereien, die halfen, den Durst zu stillen. Auch im Raum Dortmund siedelten sich viele Brauereien an. Die Dortmunder Actien-Brauerei wurde im Jahr 1868 gegründet. Nach dem 1. Weltkrieg konsolidierte sich

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

die Brauereibranche in Dortmund und DAB zählte zu den Marktführern im Ruhrgebiet. Bis in die 1980er Jahre expandierte die Brauerei und brachte es auf einen Ausstoß von mehr als 3 Millionen Hektolitern pro Jahr. Wirtschaftliche Probleme in den 1990er Jahren führten zu einer Übernahme durch die Radeberger-Gruppe (Teil von Oetker, s. w. o. Binding-Brauerei). Heute wird DAB noch als Biermarke geführt. Fahrzeugdaten: IX 1587–1590, vier LW., Dortmund, Provinz Westfalen, S. 679. Harpener Bergbau AG. Ein traditionsreiches Unternehmen aus dem Bergbau, welches im Jahr 1856 in Dortmund gegründet wurde. Es betrieb mehrere Steinkohlenbergwerke im Ruhrgebiet. Im Jahr 1909 wurde Harpen von Robert Müser geleitet, der das Unternehmen expandierte. Unter seiner Ägide besaß es 46 Bergbauschächte und beschäftigte mehr als 33.000 Mitarbeiter. Das Unternehmen förderte knapp 110 Jahre Steinkohle, bevor es sich von seinen Bergbauaktivitäten im Jahr 1969 trennte und diese an die Ruhrkohle AG verkaufte. Seitdem ist es schwerpunktmäßig im Immobiliengeschäft unter dem Namen Harpen AG mit Sitz in Dortmund tätig. Im Adressbuch führte das Unternehmen 7 Luxuswagen in seinem Bestand. Diese dürften vom damaligen Direktorium genutzt worden sein. Fahrzeugdaten: IX 1621–1627, sieben Lxw., Dortmund, Provinz Westfalen, S. 680. Gutehoffnungshütte. Ein Ruhrgebietskonzern, der im Berg- und Maschinenbau tätig war. Das Unternehmen – kurz GHH – stand stellvertretend für viele andere Unternehmen, die den Aufstieg Deutschlands zu einer Industrienation mitgestalteten, aber dann schleichend an Bedeutung verloren. Gegründet im Jahr 1758 in Oberhausen, wuchs es rasch. In Bezug auf die Beschäftigtenzahlen arbeiteten zur Zeit der Veröffentlichung des Adressbuchs ca. 20.000 Mitarbeiter für das Unternehmen. Die Beschäftigtenzahlen stiegen weiter und erreichten zwei Höhepunkte in den Weimarer Jahren mit 80.000 Beschäftigten (im Jahr 1922) und in den 1970er Jahren mit 95.000 Angestellten. Das Unternehmen war im Laufe seiner Zeit anpassungsfähig, was sich in der Produktpalette widerspiegelte. Schienen, Lokomotiven, Werften, Brücken, Nutzfahrzeuge u. v. m.



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wurden hergestellt. Eng mit der Entwicklung von GHH war die Familie Haniel verbunden (s. w. o. eine Kurzbeschreibung zu Franz Haniel junior), die das Unternehmen seit Beginn des 19. Jahrhunderts dominierte. In den 1980er Jahren galt GHH zeitweise als der größte Maschinenbaukonzern Europas mit einem Umsatz von rund 19 Mrd. DM. Eine bekannte Tochtergesellschaft von GHH war MAN (Nutzfahrzeuge und Maschinen). Im Rahmen einer Beinahe-Insolvenz und anschließender Sanierung Mitte der 1980er Jahre wurde GHH neugeordnet. Wesentliche Teile des GHH-Konzerns wurden der MAN mit Firmensitz München zugeordnet. Der Name GHH existiert heute noch in einigen Firmen, die im Maschinen- oder Anlagenbau tätig sind. MAN wurde im Jahr 2011 Teil des Volkswagenkonzerns und ist seit dem Jahr 2018 Unternehmensteil von Traton, der Nutzfahrzeugsparte von Volkswagen. Fahrzeugdaten: IZ 839, GW., Oberhausen, S. 739, IZ 4793, GW., Oberhausen, S. 796, IZ 8128, GW., S. 838, Sterkrade, alle drei in der Rheinprovinz. Friedrich Bayer & Co. Im Adressbuch noch als Farbenfabrik mit Sitz in Leverkusen eingetragen, entwickelte es sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem der größten Pharmakonzerne der Welt, der Bayer AG. Das Unternehmen wurde im Jahr 1863 von Friedrich Bayer gegründet. Nach dessen Tod übernahmen Familienmitglieder die Geschäfte, u. a. der bereits w. o. erwähnte Henry Theodore Böttinger, die das Unternehmen zu einem Chemie- und Pharmakonzern ausbauten. Das Unternehmen Bayer ist eines der bedeutendsten Unternehmen des Landes und einer eng mit der Geschichte Deutschlands verknüpften Entwicklung. Im Jahr 2021 erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von knapp 44 Mrd. Euro mit ca. 100.000 Mitarbeitern. In der Zeit des Adressbuchs um 1909 war es bereits ein bedeutendes Chemieunternehmen im Kaiserreich. Fahrzeugdaten: IZ 872, GW., Leverkusen, S. 739, IZ 4926, GW., Leverkusen, IZ 8845, Lxw., Küppersteg, S. 848, jeweils Rheinprovinz. Unternehmungen der Schoeller-Familie. Bei Schoeller handelt es sich um eine weitverzweigte Unternehmerfamilie aus dem Rheinland mit zahlreichen Unternehmungen in diversen Branchen. Die Ursprünge diverser Schoeller-Firmen gehen bis ins 18. Jahrhundert

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

zurück. Die Unternehmen waren industrielastig (z. B. Maschinenbau, Textil, Zucker, Papier). Bis heute existieren diverse SchoellerFirmen, die entweder von der Familie geführt werden oder auf die Familie zurückzuführen sind. Im Adressbuch wurden fünf Angehörige der Familie Schoeller als Fabrikanten, sowie Frau Schoeller aufgeführt. Fahrzeugdaten: Ewald Schoeller, IZ 1613, Lxw., Karl Schoeller, IZ 99, S. 725 und IZ 1624, S. 750, 2 Lxw., Leo Schoeller, IZ 1634, Lxw., s. 750, Philipp Schoeller, IZ 1216, Lxw., S. 744, Frau Geheimrat Philipp Schoeller, IZ 1212, Lxw., S. 744, Hugo Schoeller, IZ 1856, Lxw., S. 753, allesamt in Düren, Rheinprovinz. Buderus’sche Eisenwerke. Ein traditionsreiches Unternehmen mit einer beinahe 300-jährigen Geschichte. Im Jahr 1731 in Mittelhessen gegründet, war das Unternehmen von Beginn an im Eisenverhüttungsgeschäft tätig. Es betrieb Erzbergbau, stellte Eisen her, verarbeitete es und unterhielt Gießereien. Im Laufe der Zeit firmierte es unter diversen Namen. Buderus’sche Eisenwerke war der Name, der ab 1884 nach der Umwandlung in eine AG getragen wurde. Im Jahr 1911 wurde das Unternehmen als Folge einer langjährigen Unternehmenskrise reorganisiert und trug den Namen Buderus’sche Handelsgesellschaft. Der heute bekannte Name Buderus wurde im Jahr 1977 eingeführt, als das Unternehmen an der Börse gelistet wurde. Die Familie Buderus, die das Unternehmen mehr als 150 Jahre geleitet hatte, schied im Jahr 1886 aus der Geschäftsführung aus. Auch Positionen im Aufsichtsrat wurden nur noch einige Jahre von Familienvertretern besetzt. Danach entwickelte sich das Unternehmen als Kapitalgesellschaft mit unterschiedlichen Eignern weiter. Es gehörte u. a. zur Feldmühle Nobel AG, die von Friedrich Karl Flick kontrolliert wurde, und war später ein Teil der Metallgesellschaft. Seit dem Jahr 2003 ist Buderus in der Bosch-Unternehmensgruppe integriert. Dort nimmt es eine wichtige Rolle in der Sparte Thermotechnik (Heizgeräte, Wärmepumpen) mit Sitz im hessischen Wetzlar ein. Fahrzeugdaten: IZ 2939, GW., Wetzlar, Rheinprovinz, S. 764.



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Kleinewefers, Joh. Söhne, Maschinenfabrik. Das Unternehmen Kleinewefers aus Krefeld steht stellvertretend für mittelständische Familienunternehmen, die im Adressbuch aufgeführt wurden. Das Unternehmen, gegründet von Johann Kleinewefers im Jahr 1862, war im Maschinen- und Anlagenbau tätig. Der Sitz Krefeld galt als eines der Zentren der deutschen Textilindustrie (Samt- und Seidenproduktion), für die Kleinewefers Fertigungsmaschinen produzierte. Im Adressbuch wurde es mit dem Besitz eines Fahrzeugs aufgeführt, welches vermutlich von einem der beiden Söhne (s. Firmenname, Wilhelm und Johannes) gefahren wurde, die das Unternehmen in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg und in den Weimarer Jahren führten. Spätere Kleinewefers-Generationen entwickelten das Unternehmen ab Ende der 1920er-Jahre weiter.37 Heute sind Teile von Kleinewefers in die Firmen Sulzer (Schweizer Maschinenbauer) und Voith (Papiermaschinenhersteller) eingebracht. Die Familie Kleinewefers hat ihre sonstigen Aktivitäten in Industrie und Immobilienentwicklung in eine Beteiligungsunternehmung zusammengeführt. Der QR Barcode-Link bezieht sich auf Paul Kleinewefers, der das Unternehmen ab 1929 als Nachfolger seines Vaters Johannes weiterführte. Fahrzeugdaten: IZ 4114, Lxw., Krefeld, Rheinprovinz, S. 784. Deutsch-Österreichische Mannesmannröhrenwerke. Das Unternehmen wurde im Jahr 1890 als Zusammenschluss mehrerer Stahlunternehmen in Berlin gegründet und einige Jahre später nach Düsseldorf verlagert. Mannesmann war eines der großen deutschen Stahlunternehmen mit Aktivitäten in Bergbau, Stahlherstellung, Röhrenproduktion und Maschinenbau. Ab dem Jahr 1908 firmierte es unter dem Namen Mannesmannröhren AG. Zu Zeiten des Nationalsozialismus ordnete sich der Konzern vollständig dem Regime unter und nahm eine sehr unrühmliche Rolle ein (Nutznießer bei Enteignungen von jüdischem Vermögen, Beschäftigung von Zwangsarbeiter). Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Unternehmen entflochten und konzentrierte sich auf das Röhrengeschäft. In den 1980er Jahren diversifizierte das Unternehmen in 37 Dazu gehörte u. a. Paul Kleinwefers, ein Sohn von Johannes Kleinwefers und selbst erfolgreicher Unternehmer, der seine Erfahrungen in einem lesenswerten Buch aus Sicht der Unternehmerfamilie Kleinewefers verfasst hat und damit einen Zeitraum von siebzig Jahren umspannt. S. Kleinewefers (1984).

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den Technologiebereich und stieg im Jahr 1990 erfolgreich in das Mobilfunkgeschäft ein. Dieses Geschäft ging im Jahr 2000 nach einer feindlichen Übernahme im britischen Vodafone-Konzern auf. Heute existiert die Firma Mannesmann noch als mittelständischer Röhrenhersteller. Fahrzeugdaten: IZ 4676, Lxw., Düsseldorf, Rheinprovinz, S. 795. Deutsche Babcock- und Wilcox-Dampfkessel-Werke. Das Unternehmen wurde im Jahr 1898 als Tochtergesellschaft einer englischen Unternehmung gegründet, die ihrerseits in amerikanischem Besitz stand. Es war führend im Kesselbau. In den folgenden Jahrzehnten wurde das Wachstum des Unternehmens durch die britische Muttergesellschaft wegen vertraglich vereinbarter Gebietsaufteilungen eingeschränkt. Das änderte sich erst ab Mitte der 1970er Jahre. Das Unternehmen war zwischenzeitlich stark gewachsen und so erfolgreich, dass es sogar im Jahr 1988 Gründungsmitglied des DAX 30 wurde. Es betrieb seine Geschäfte im Maschinen- und Anlagenbau, sowie der Verfahrenstechnik. Das Unternehmen konnte seine Stellung im Markt nicht halten und musste Jahr 2002 aufgrund finanzieller Probleme Insolvenz anmelden. Danach wurde es zerschlagen und an diverse andere Interessenten verkauft. Fahrzeugdaten: IZ 4796, Lxw., Oberhausen, Rheinprovinz, S. 797. Warenhaus Oberpollinger. Das Kaufhaus ist eines der bekanntesten Warenhäuser Süddeutschlands mit Sitz in München. Es wurde im Jahr 1904 gegründet und gehörte seit dem Jahr 1927 zu Karstadt. Heute ist das Kaufhaus zusammen mit dem KaDeWe in Berlin und dem Alsterhaus in Hamburg im Eigentum der Signa Group aus Österreich und der Central Group aus Thailand. Oberpollinger gilt als gehobenes Kaufhaus mit einer Vielzahl von Premiumangeboten und Heimat selbständiger Shop-Geschäften, die Waren aus dem Hochpreissegment feilbieten. Fahrzeugdaten: IIA 1271–1275, LW., München, Bayern, S. 872 G. M. Pfaff, Nähmaschinenfabrik. Bei Pfaff handelte es sich um eines der bekanntesten Unternehmen der Kaiserzeit. Die Nähmaschinen aus dem Unternehmen standen in unzähligen Stuben und verrichteten dort ihre Dienste. Neben Nähmaschinen für den Privathaushalt wurden ab dem Jahr 1907 auch Industrienähmaschinen



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hergestellt, die in zahlreichen Textilfabriken des Landes eingesetzt wurden. Pfaff war damit ein wichtiger Maschinenlieferant für die Textilindustrie. Das Unternehmen wurde im Jahr 1862 von Georg Michael Pfaff in Kaiserslautern gegründet. Pfaff kam aus dem Blechblasinstrumentenbau, stieg aber auf Nähmaschinen um. Die jährlichen Stückzahlen waren hoch und kumulierten sich bis zum Jahr 1910 auf eine Million Nähmaschinen mit einem hohen Exportanteil. Das Unternehmen entwickelte sich nach dem 1. und 2. Weltkrieg positiv weiter. Es geriet allerdings mit dem Niedergang der deutschen Textil- und Schuhindustrie, der in den 1970er Jahren begann, in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im Jahr 1999 wurde Insolvenz angemeldet. Das Unternehmen konnte wiederbelebt werden und erlebte Auf- und Abstiegsphasen mit wechselnden Eigentümern und einer zweiten Insolvenz im Jahr 2009. Heute ist das Unternehmen mit knapp 300 Mitarbeitern im Besitz einer chinesischen Gesellschaft. Fahrzeugdaten: IID 282, GW., S. 926, o. Kennzeichen, LW., S. 928, beide in Kaiserslautern, Regierungsbezirk Pfalz. Badische Anilin- und Sodafabrik. Das Unternehmen ist ohne Zweifel bereits zu Kaiserzeiten eines der bedeutendsten Unternehmen des Landes gewesen und hat diese Stellung bis heute, unter dem Namen BASF, gehalten. Es wurde im Jahr 1865 vom Goldschmied Friedrich Engelhorn in Mannheim gegründet, aber bereits eine Woche später nach Ludwigshafen verlagert, weil dort Subventionen der bayerischen Regierung lockten – die Stadt gehörte damals zum Königreich Bayern – die Engelhorn die Anschubfinanzierung sicherten. Das Unternehmen war von Anfang an erfolgreich. Der große Durchbruch gelang mit der Herstellung von Textilfarbstoffen auf Indigobasis ab dem Jahr 1880. Um die Jahrhundertwende war das Unternehmen bereits eines der größten Chemieunternehmen weltweit. Die weitere Geschichte ist eng mit der Entwicklung Deutschlands verbunden. Bis heute ist die BASF – die diesen Namen formal seit dem Jahr 1972 trägt – eines der größten Unternehmen des Landes. Der Umsatz lag im Jahr 2021 bei knapp 79 Mrd. Euro bei einer Mitarbeiterzahl von 111.000. Fahrzeugdaten: IID 696, Lxw., IID 701, Lxw., Ludwigshafen, Regierungsbezirk Pfalz, S. 933.

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Hercules-Werke AG. Das Unternehmen wurde im Jahr 1886 von Carl Marschütz als Fahrradhersteller in Nürnberg gegründet. Neben Fahrädern produzierte es ab dem Jahr 1898 Lastkraftwagen und für wenige Jahre Motorräder (1905 bis 1907). Die LKW-Produktion wurde im Jahr 1928 eingestellt. Nach dem 2. Weltkrieg war Hercules erfolgreich in der Produktion von Motorrädern und Mofas. Die Eigentümer wechselten; dazu gehörten u. a. Grundig, Fichtel & Sachs und Mannesmann. Mittlerweile ist Hercules nur noch im Geschäft mit importierten Fahrrädern aus Osteuropa und Asien tätig. Die Produktion in Deutschland wurde im Jahr 2004 eingestellt. Die Marke Hercules existiert weiterhin und ist im Besitz der ZEG-Gruppe, einer Einkaufsgenossenschaft des Fahrradeinzelhandels. Fahrzeugdaten: keine Fahrzeugkennzeichenangaben, 3 LW., Nürnberg, Bayern, S. 960 und 961. Portland-Zementwerk Heidelberg-Mannheim. Das Werk gehörte im Jahr 1909 zur Portland-Cement-Fabrik Heidelberg und Mannheim AG, welche einige Jahre zuvor (1901) aus der Fusion zweier Zementunternehmen entstanden ist. Das im Adressbuch eingetragene Zementwerk in Leimen war im Jahr 1895 errichtet worden und als „Heidelberger Zweig“ der Portland AG zugeordnet. Es war in der Kaiserzeit das größte Zementwerk des Reiches. Die Portland-Gruppe prosperierte in der Kaiserzeit, denn es wurde im ganzen Land gebaut und die Nachfrage nach Zement war hoch.38 Starke Zerstörungen mussten einzelne Werke durch alliierte Bombenangriffe gegen Ende des 2. Weltkriegs hinnehmen. Nach diversen Fusionen, wechselnden Eigentümern und Namensänderungen firmiert das Unternehmen heute unter dem Namen HeidelbergCement AG und ist Mitglied im DAX. Der Konzernumsatz im Jahr 2021 lag bei 18,7 Mrd. Euro, der von mehr als 50.000 Mitarbeitern erwirtschaftet wurde. Fahrzeugdaten: IVB 2386, Lxw., Leimen, Bezirk Heidelberg, S. 1070. Deutsche Waffen- u. Munitionsfabriken AG. Dieses Unternehmen blickte auf eine schillernde Vergangenheit zurück, denn als Waffen- und Munitionsfabrikant der deutschen Armee war es tief in den 1. und 2. Weltkrieg verstrickt. Im Jahr 1909 war es ein aus 38 Das Zement-Unternehmen war nahezu das gesamte 20. Jahrhundert hindurch erfolgreich.

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ehemals drei Waffenherstellern zusammengeführtes Unternehmen (Fusionsjahr 1896). Der Hauptsitz war Berlin. In den Fabriken wurde für das preußische Heer produziert, u. a. Gewehre der Marke Mauser und das Maschinengewehr 08/15. Ende der 1920er Jahre ging das Unternehmen in den Besitz der Industriellenfamilie Quandt über. Nach dem 2. Weltkrieg erfolgte eine Namensänderung in IWKA (Industrie-Werke-Karlsruhe-Augsburg). Aus Teilen der IWKA wiederum ging dann im Jahr 2007 der Roboterbauer KUKA hervor (KA aus IWKA wurde im Namen beibehalten). Der QR Barcode-Link bezieht sich auf die Metallpatronen AG. Die Adresseinträge bezogen sich auf Karlsruhe, wo einer der drei vormaligen Waffenhersteller (Metallpatronen AG) seinen Hauptsitz hatte. Fahrzeugdaten: IVB 2604, Lw., IVB 2605, Lxw., Karlsruhe, S. 1071, IV 2688, KrR., Karlsruhe, S. 1073. Hoffmann-La Roche & Cie., Bei diesem Unternehmen handelt es sich um einen der weltweit größten Pharmahersteller mit Sitz in Basel. Es wurde im Jahr 1896 von Fritz Hoffmann-La Roche gegründet. In Deutschland betrieb es in der Grenzregion in Grenzach in unmittelbarer Nähe zu Basel eine Fabrik. Dieser Standort ist bis heute der Hauptsitz der deutschen Geschäftsaktivitäten von Hoffmann-La Roche. Das Unternehmen war von Gründungsbeginn an erfolgreich. Es produzierte Substanzen wie Hustensaft, Schilddrüsen- und Herzmittel. Das Unternehmen, welches als AG börsennotiert ist, befindet sich nach wie vor unter Kontrolle der Gründerfamilie. Im Jahr 2021 wurden Umsatzerlöse in Höhe von 62,1 Mrd. SFR mit etwa 100.000 Mitarbeitern erzielt. Fahrzeugdaten: IVB 3524, IB 3589, zwei Lxw., Grenzach, Bezirk Lörrach, S. 1081 und 1082. Grün & Bilfinger. Es handelt sich um ein Bauunternehmen mit Sitz in Mannheim. Der Name geht auf zwei Unternehmer zurück, die das Unternehmen in dessen Frühzeit geführt haben. Es wurde im Jahr 1886 von Bauingenieur August Grün und dem Baumeister August Bernatz gegründet. Im Jahr 1892 schied Bernatz aus dem Unternehmen auf und Grün nahm als neuen Partner Paul Bilfinger auf. Daraus entstand Grün & Bilfinger. Heute lassen sich die Wurzeln von Grün & Bilfinger, aber auch weiterer im Laufe der

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Jahrzehnte hinzugekaufter Unternehmen, in der Bilfinger SE nachweisen. Das Unternehmen hat sich mittlerweile aus dem Baugeschäft zurückgezogen und ist als Industriedienstleister aktiv. Der Umsatz im Jahr 2021 belief sich auf 3,7 Mrd. Euro, der von knapp 30.000 Beschäftigten erwirtschaftet wurde. Fahrzeugdaten: IV 3925, GW., Mannheim, S. 1087. Karl Freudenberg, Lederfabrik. Die Gründung des Unternehmens fand im Jahr 1849 durch Carl Johann Freudenberg und Heinrich Christian Heintze in Weinheim statt. Heintze starb bereits im Jahr 1874 und das Unternehmen ging in den alleinigen Besitz von Carl Freudenberg über. Im Jahr 1909 war Freudenberg eines der größten Gerbereiunternehmens im Kaiserreich. Durch innovative Verfahren gelang es, den Produktionsprozess von Leder von mehreren Monaten auf wenige Wochen zu verkürzen. Das Ledergeschäft lief gut und wuchs beständig bis zum 1. Weltkrieg. Zu Kriegsbeginn 1914 beschäftigte das Unternehmen knapp 2.500 Mitarbeiter. Im Laufe der Jahrzehnte nach dem ersten Weltkrieg diversifizierte das Unternehmen, teilweise aus wirtschaftlicher Not, wie z. B. in den 1920er Jahren. Im Jahr 2021 ist aus Freudenberg ein weltweit agierender Konzern mit 10 Mrd. Euro Umsatz und etwa 50.000 Mitarbeitern geworden. Geschäftsaktivitäten finden sich in den Bereichen Reinigung, Technische Textilien, Dichtungen und Spezialchemikalien. Freudenberg ist bis heute ein Familienunternehmen in der Hand der Nachkommen von Karl Freudenberg. Fahrzeugdaten: IVB 6913, Lxw., IVB 6917, KrR., Weinheim, S. 1105. C. H. Sohn Boehringer, chemische Fabrik. Im Jahr 1909 gab es zwei Boehringer-Unternehmen, die unabhängig voneinander geführt wurden: Boehringer Mannheim und Boehringer Ingelheim. Das im Adressbuch aufgeführte Unternehmen war der Ingelheimer Zweig. Es handelte sich dabei um das Unternehmen von Albert Boehringer, der das Unternehmen im Jahr 1885 in Ingelheim gründete. Albert schuf sich ein eigenes Unternehmen, weil das väterliche Unternehmen Boehringer in Mannheim an seinen Bruder Ernst vererbt wurde und er leer ausging. Zu Beginn spezialisierte sich Albert auf die Produktion von Milchsäure und der Herstellung pharmazeutischer Chemikalien. Das Unternehmen nahm eine erfolgreiche Entwicklung und expandierte im Laufe der Jahrzehnte.



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Das Unternehmen erzielte im Jahr 2021 einen Umsatz von 20,6 Mrd. Euro Umsatz mit mehr als 50.000 Beschäftigten. Es ist nach Bayer der zweitgrößte Pharmakonzern Deutschlands und auf die Produktion von Human- und Tierpharmazeutika spezialisiert. Boehringer Ingelheim ist weiterhin im Eigentum der Familie Boehringer. Boehringer Mannheim dagegen verlor im Jahr 1997 seine Eigenständigkeit und wurde an den Schweizer Pharmakonzern Hoffmann La Roche verkauft. Fahrzeugdaten: VR 118, Lxw., Nieder-Ingelheim, Kreis Bingen, Provinz Rheinhessen, S. 1112 Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg in Gustavsburg. Es handelte sich um das seinerzeit größte Werk des Maschinenbauers MAN, welches auf den Brücken- und Hochbau spezialisiert war. Mit MAN assoziiert man üblicherweise einen Maschinenbau- und Nutzfahrzeugkonzern. Tatsächlich war MAN jahrzehntelang über sein Werk Gustavsburg im Baugeschäft tätig. Noch heute existieren Brücken und Eisenbahnbrücken, sowie Industriegebäude, die von MAN Gustavsburg errichtet wurden. Im Jahr 1912 wurden im Werk Gustavsburg etwa 3.200 Mitarbeiter beschäftigt. Das Unternehmen erlebte nach dem 2. Weltkrieg noch eine Blütephase, die aber in den 1970er Jahren endete. Schleichend verloren Werk und Geschäftsmodell (Stahlhochbau) an Bedeutung im MAN-Konzern bis zum endgültigen Aus im Jahr 2008. Das Betriebsgelände Gustavsburg ist bis heute im Eigentum des MAN-Konzerns. Fahrzeugdaten: VS 685, BW., Gustavsburg, Provinz Starkenburg, S. 1127.

9.2.4 Persönlichkeiten aus dem Bildungsbürgertum Rudolf Emil Quidde. 1861–1942. Rudolf Quidde stammte aus dem Bremer Bürgertum. Sein Vater war Bremer Kaufmann. Quidde war vielseitig interessiert und engagiert und übte in seinem Leben diverse bedeutende Tätigkeiten in Bremen aus. Er war promovierter Jurist und ging seinem Beruf in einer eigenen Kanzlei nach. Er war außerdem Politiker und ab 1911 Präsident der Bremischen Bürgerschaft, dem Parlament des Stadtstaates Bremen. Sein

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Bruder Ludwig Quidde erhielt im Jahr 1927 den Friedensnobelpreis für seine Verdienste in der Friedensbewegung.39 Fahrzeugdaten: HB 255, Lxw., Bremen, S. 27. Alois Pennarini. 1870–1927. Pennarini war ein österreichischer Opernsänger, der in Deutschland Karriere machte. Er wirkte eine Zeitlang in Hamburg als Tenor am Hamburger Stadttheater. Seine Stimme ermöglichte es ihm auch, als sog. Heldentenor diverse Rollen in Wagner-Opern zu übernehmen. Sein Ruhm verblasste in den Anfangsjahren der Weimarer Republik und er sattelte auf das Fach des Stummfilmschauspielers um. Es gibt historische Tonaufnahmen von Pennarini, die seinen eindrucksvollen Tenor hörbar machen. Fahrzeugdaten: HH 1047, Lxw., Hamburg, S. 49. Ottilie Metzger. 1878–1943. Ottilie Metzger war eine berühmte Sängerin (Alt), die auf vielen Bühnen weltweit mit Künstlern wie Enrico Caruso und Dirigenten wie Bruno Walter oder Otto Klemperer auftrat. Sie gestaltete auch Liedabende und wurde u. a. von Richard Strauss und Hans Pfitzner am Klavier begleitet. Ihre Karriere endete mit der Übernahme des Landes durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933. Als Jüdin wurde sie denunziert und im Jahr 1942 nach Auschwitz verschleppt, wo sie im Folgejahr ermordet wurde. Von Ottilie Metzger existieren diverse Aufnahmen, die ihr hohes künstlerisches Niveau dokumentieren. Fahrzeugdaten: HH 1073, Lxw., Hamburg, S. 50. Anton van Rooy. 1870–1932. Der Holländer van Rooy war einer der führenden Wagner-Sänger seiner Zeit. Er sang in Bayreuth und viele Jahre in den USA an der New Yorker Metropolitan Oper. In Bayreuth traf ihn im Jahr 1903 der Bann von Cosima Wagner, der Witwe Richard Wagners. Sie erlaubte ihm nicht mehr, in Bayreuth bei den Wagner-Festspielen aufzutreten, weil er gegen CopyrightRechte durch Teilnahme an ausländischen Wagner-Aufführungen 39 S. Fröhlich (2001), S. 262 ff. ein Porträt über den Nobelpreisträger Ludwig Quidde. Dort wird auch sein Bruder Rudolf mit folgendem Satz erwähnt: „Von Ludwig Quiddes vier Geschwistern – zwei Brüder und zwei Schwestern – erreichte wie er selbst ein hohes Alter nur sein Bruder Rudolf (1861–1942), der als Richter, als Präsident der Bremischen Bürgerschaft (des Landtages) und als Inhaber hoher Ämter der Bremischen Evangelischen Kirche in der Stadt Ansehen genoß.“

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verstoßen hatte. Von van Rooy gibt es diverse Tonaufnahmen, die seine Meisterschaft demonstrieren. Im Adressbuch wurde er als Konzertsänger mit Adresse in Frankfurt a. M. eingetragen. Dort sang er nach seiner Rückkehr aus den USA an der Frankfurter Oper. Fahrzeugdaten: IT 1181, Lxw., Frankfurt a. M., Provinz Hessen-Nassau, S. 638. Emma von Mumm. 1852–1922. Sie stammte aus einer wohlsituierten bürgerlichen Familie – ihr Vater war Stadtrat von Frankfurt – und ehelichte Hermann Mumm von Schwarzenstein, einen Adeligen, mit dem sie auf Burg Schwarzenstein wohnte. Ihr Mann gehörte zur deutsch-französischen Familie der Mumms, die als Champagnerdynastie in Reims und im Kaiserreich berühmt waren. Sie war eine der prominentesten Bürgerinnen Frankfurts zu ihrer Zeit. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1904 engagierte sie sich als Mäzenatin und förderte die schönen Künste. Sie war eines der Gründungsmitglieder der Frankfurter Universität und spendete viel Geld für deren Aufbau. Weiterhin war sie sozial engagiert. Eines ihrer neun Kinder war Walther von Mumm, auf den sich der QR Barcode-Link bezieht. Bei den Angaben zu Walther werden auch seine Mutter Emma sowie die Familie Mumm erwähnt. Zu Emma gibt es keinen gesonderten Eintrag. Im Adressbuch wurde sie als Rentiere geführt. Fahrzeugdaten: IT 1651, Lxw., Frankfurt a. M., Provinz Hessen-Nassau, S. 647. Max Flesch. 1852–1943. Max Flesch studierte in Berlin Medizin bei Robert Virchow, einem weltbekannten Mediziner und Nobelpreisträger. Flesch lehrte in Bern als Medizinprofessor und betrieb ab 1888 eine allgemeinärztliche und chirurgische Praxis in Frankfurt a. M. Bekannt war er in medizinischen Kreisen durch seine zahlreichen Veröffentlichungen. Sein Schicksal unter den Nationalsozialisten war aufgrund seiner jüdischen Herkunft tragisch. Er zog ins hessische Vogelsberg um, durfte nicht länger publizieren und wurde zusammen mit seiner Ehefrau im Jahr 1942 von der Gestapo deportiert. Er starb im Folgejahr im Konzentrationslager Theresienstadt.

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Fahrzeugdaten: IT 2350, BW., Frankfurt a. M., Provinz Hessen-Nassau, S. 655. Georg Frentzen. 1854–1923. Frentzen war ein vielseitiger Professor der Architektur an der TH Aachen mit einer stark praxisorientierten Neigung, die ihn an vielen Architekturwettbewerben, sowohl als Teilnehmer oder in der Preisrichterjury, teilnehmen ließ. Viele seiner Wettbewerbsbauten wurden errichtet und sind bis heute zu bewundern. Er war beteiligt am Rathaus Aachen, dem Kölner Hauptbahnhof, der Aachener Christuskirche und der Burg Altena, um nur einige seiner Projekte aufzuzählen. Frentzen war engagiert als zeitweiliger Vorsitzender des Bundes der deutschen Architekten und als temporärer Vorsitzender des Aachener Museumsvereins. Fahrzeugdaten: IZ 1135, Lxw., Aachen, Rheinprovinz, S. 743. Victor Weidtman. 1853–1926. Weidtman (im Adressbuch mit zwei n geschrieben) war promovierter Jurist. Sein Tätigkeitsschwerpunkt lag in der Bergbaubranche. Er übte im Laufe seiner Karriere diverse Aufgaben im Staatsdienst und in Unternehmen mit Bergbaubezug aus. So war er u. a. als Justiziar, Bergrat, Rechtsanwalt, Direktor in der Geschäftsleitung einer Maschinenfabrik und Aufsichtsratsmitglied in diversen Unternehmen tätig. Große Verdienste erwarb er sich bei Konsolidierung verschiedener preußischer Knappschaftsversicherungen zu einer Knappschaft und bei der Entwicklung eines Knappschaftsgesetzes, welches noch bis zum Jahr 1991 gültig war. Die Knappschaft ist die Sozialversicherung der Bergleute. Im Jahr 1908 erwarb er das Schloss Rahe in AachenLaurensberg (im Adressbuch ist als Wohnsitz Schloss Rahn angegeben). Im Adressbuch wurde er als Geheimer Bergrat eingetragen, ein Titel, der ihm 1901 von Preußen verliehen wurde. Fahrzeugdaten: IZ 1431, Lxw., Soers, Schloss Rahn, Rheinprovinz, S. 748. Frau van der Zypen. Lebensdaten unbekannt. Sie wurde im Adressbuch als Frau Geheime Kommerzienrätin eingetragen. Damit war der Titel ihres Ehemanns Julius van der Zypen gemeint, der diesen Titel im Jahr 1898 erhielt. Frau van der Zypen war seit dem Jahr 1907 Witwe. Ihr Mann reüssierte als bekannter Kölner



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Unternehmer, der die Firma van der Zypen & Charlier führte. Dieses Unternehmen baute Waggons und Straßenbahnwagen. Julius van der Zypen war in diversen Ämtern außerhalb des Unternehmens engagiert, u. a. in Industriellenvereinigungen und als Mitgründer des Deutschen Flottenvereins, der maßgeblich an der Aufrüstung des Kaiserreichs in der Marine beteiligt war. Er war mit Kaiser Wilhelm II. persönlich bekannt. Seine Firma wurde im Jahr 1959 Teil von Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) in Köln, einem Maschinen- und Motorenhersteller, welcher bis heute operativ tätig ist. Zu Frau van der Zypen lassen sich keine Angaben finden; daher bezieht sich der QR Barcode-Link auf ihren Ehemann. Fahrzeugdaten: IZ 3030, Lxw., Köln, S. 765 und IZ 3368, Lxw., Köln, S. 771. Max von Mallinckrodt. 1873–1944. Er war Mitglied der Adelsfamilie der Mallinckrodts, zu der eine Vielzahl von bekannten Persönlichkeiten gehörten, die in wichtigen Positionen seit dem 16. Jahrhundert wirkten. Max gehörten zahlreiche Ländereien, die er von seinem Sitz Haus Broich (heute Haus Maria Rast in Euskirchen) bewirtschaftete. Bekannt wurde er als Schriftsteller von Prosa unter dem Pseudonym Max Wetter. Fahrzeugdaten: IZ 3596, Lxw., Haus Broich bei Weingarten, Rheinprovinz, S. 775. Gustav Ebbinghaus. 1864–1946. Ebbinghaus war promovierter Jurist, der eine Verwaltungskarriere in Preußen durchlief. Im Jahr 1909 war er Kurator der Rheinisch-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Andere Positionen, die er innehatte, waren u. a. Landrat im Obertaunuskreis und später in Düsseldorf, Senator der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Mitglied des Preußischen Herrenhauses. Im Adressbuch wurde er als Geheimer Regierungsrat und Universitätskurator eingetragen. Fahrzeugdaten: IZ 3978, BW., Bonn, Rheinprovinz, S. 781. Artur Schloßmann. 1867–1932. Schloßmann war einer der weltweit führenden Mediziner auf dem Gebiet der Säuglingsforschung. Er gründete im Jahr 1898 in Dresden die erste Spezialklinik auf der Welt für Säuglinge. Ab 1906 forschte er in Düsseldorf über Kinderkrankheiten. Seine Spuren finden sich heute in der Kinderklinik

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der Universitätsklinik Düsseldorf, die den Namen Schlossmannhaus trägt. Die Ernennung zum außerordentlichen Professor erhielt er im Jahr 1902 von der TH Dresden. Im Adressbuch wurde er als Professor eingetragen. Fahrzeugdaten: IZ 4295, Lxw., Düsseldorf, Rheinprovinz, S. 788 Theodor Reismann-Grone. 1863–1949. Reismann-Grone war promovierter Historiker, der im Laufe seines Lebens unterschiedliche berufliche Aufgaben wahrnahm. Er war Journalist, Geschäftsführer eines Bergbauvereins, Schriftsteller und Verleger. Er engagierte sich politisch und nahm früh rechte Positionen ein. Er war bereits in den 1920er Jahren Anhänger von Hitler und Mitglied der NSDAP. In den Jahren 1933 bis 1937 übte er das Amt des Oberbürgermeisters von Essen aus. Im Adressbuch wurde er als Zeitungsverleger registriert. Fahrzeugdaten: IZ 4442, Lxw., Essen, Rheinprovinz, S. 791. Katharina Simon. 1860–1934. Sie war mit Dr. Benno Hiddemann, der im Jahr 1907 verstarb, verheiratet. Sie kam aus einem gut bürgerlichen Elternhaus als Tochter des Schweizer Architekten Bernhard Simon. Zu ihr wurden im Online-Lexikon keine Angaben aufgeführt. Daher im Folgenden einige Sätze zu ihrem Mann, auf den sich der QR Barcode-Link bezieht. Er war promovierter Mediziner und spätberufener Maler. Im Alter von 39 Jahren widmete er seine Aufmerksamkeit der Malerei und unterrichtete einige Jahre an der Kunstakademie Düsseldorf das Fach Anatomie. Bekannt geworden ist er durch seine Gestaltung von Exlibris, kunstvoll gestalteten Motiven, die als Stempel oder Klebezettel in Büchern zur Kennzeichnung des Eigentümers verwendet wurden. Katharina Simon wurde im Adressbuch als Witwe von Benno Hiddemann mit zwei Luxuswagen eingetragen. Fahrzeugdaten: IZ 7142 und IZ 7145, zwei Lxw., Düsseldorf, Rheinprovinz, S. 822. Hermann Colsman. 1842–1928. Er entstammte einer Unternehmerfamilie, die über mehrere Generationen Textilproduktion in Langenberg im Rheinland betrieb. Die Colsmann-Familie war insbesondere in der Seidenproduktion tätig. Die Colsmans galten als typische Repräsentanten des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums



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in der Kaiserzeit und wurden mit ihrer Familiengeschichte in zwei umfangreichen Monografien dargestellt.40 Im Adressbuch wurde H. Colsman (vermutlich Hermann Colman) angegeben, der zu dieser Zeit die Geschicke der Seidenfabrik leitete und als Tätigkeit Seidenbandfabrikant angegeben hatte. Der QR Barcode-Link bezieht sich auf Adalbert Colsman, seinen Sohn, da zu Hermann Colsmann kein Eintrag vorhanden ist. Fahrzeugdaten: IZ 7393, Lxw., Langenberg, Rheinprovinz, S. 826. August Deußer. 1870–1942. Deußer war ein bekannter Maler, der besonders vom französischen Impressionismus beeinflusst war. Er unterrichtete in den Jahren von 1917 bis 1932 als Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie. Im Adressbuch wurde als Wohnort Monheim angegeben, wo Deußer eine Zeitlang wohnte und eine Vielzahl von impressionistisch geprägten Pferdebildern schuf. Deußer gilt als Repräsentant der sog. Düsseldorfer Moderne. Fahrzeugdaten: IZ 8878, IZ 8879, zwei Lxw., Monheim, Rheinprovinz, S. 848. Friedrich August Ritter von Kaulbach. 1850–1920. Kaulbach war ein bekannter Porträtmaler seiner Zeit, der Angehörige hoher und höchster Kreise im Rahmen von Auftragsarbeiten malte. Er entstammte einer Künstlerfamilie, in der es Maler und Schriftsteller gab. Kaulbach war mit Frida Scotta verheiratet, einer bekannten dänischen Violinistin. Seine Tochter Mathilde ehelichte Max Beckmann, einen der berühmtesten deutschen Maler des 20. Jahrhunderts. Kaulbach war ab dem Jahr 1886 Direktor der Münchner Akademie der bildenden Künste, an der viele bedeutende Maler ausgebildet wurden. Fahrzeugdaten: IIA 1204, Lxw., München, Bayern, S. 870. Heinrich Knote. 1870–1953. Knote war ein bekannter Opernsänger, der auf internationalen und nationalen Bühnen sang. Seine Paraderollen nahm er in Wagneropern ein. Auf einem Bild ist er als Siegfried aus der gleichnamigen Oper Richard Wagners zu sehen. Er war auch an der Metropolitan Opera in New York zu hören. Er galt als Konkurrent von Enrico Caruso, der den Ruf hatte, der beste Tenor seiner Zeit zu sein. Der Arbeits- und Lebensschwerpunkt 40 Groppe (2004) und Groppe (2018).

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von Knote lag in München. Er trug den Titel eines Königlichen Kammersängers, unter dem er sich im Adressbuch eintragen ließ. Es gibt diverse erhaltene Tonaufnahmen von Knote, die seine Könnerschaft demonstrieren. Fahrzeugdaten: IIA 1395, Lxw., München, Bayern, S. 875. Emanuel von Seidl. 1856–1919. Seidl war ein bekannter Architekt, der viele Gebäude gestaltete. Es waren in großer Anzahl Villen von Privatleuten, wie z. B. die Villa des Komponisten Richard Strauss. Aber auch andere nicht-private Gebäude gestaltete er oder wirkte an ihnen mit. Darunter gehörten das Deutsche Museum in München und das Augustinerbräu. Insgesamt umfasste sein Werk mehr als 180 Objekte. Für seine Verdienste wurde er in den Adelsstand erhoben. Ins Adressbuch hat er sich eintragen lassen als Ritter, Professor, Architekt und Mitglied der Akademie der bildenden Künste. Fahrzeugdaten: IIA 1405, Lxw., München, Bayern, S. 875. Max von Schillings. 1868–1933. Schillings war ein umfassend gebildeter Mann mit Studien in Jura, Philosophie und Musik. Beruflich engagiert war er im Musikbereich mit Tätigkeiten als Dirigent, Komponist und Generalmusikdirektor. Im Jahr 1903 wurde er in Bayern zum Musikprofessor ernannt. Zu seinen Schülern gehörte Wilhelm Furtwängler. Privat befreundet war er u. a. mit Richard Strauss. Schillings besaß offensichtlich eine dunkle Seite, um seine Ziele durchzusetzen. So führte er diverse Prozesse mit äußerster Härte. Seine Schwiegermutter wollte er entmündigen lassen und ließ sie in eine Heilanstalt einweisen. Einen Anwalt denunzierte er im Jahr 1933 als Juden, um dessen Entlassung zu erreichen. Als Präsident der Preußischen Akademie der Künste betrieb er die Ausschließung bedeutender Künstler aus der Akademie. Im Adressbuch wurde er als Königlicher Professor registriert. Fahrzeugdaten: IIA 1507, Lxw., München, Bayern, S. 878. Albert Langen. 1869–1909. Langen war ein Münchner Verleger. In seinem Verlag wurden Literatur und Kunst verlegt. Zu den bekanntesten Schriftstellern des Verlages gehörten z. B. Ludwig Thoma, Frank Wedekind, Knud Hamsun, Heinrich Mann und Henrik Ibsen. Besonders bekannt wurde Langen durch die von ihm



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herausgegebene Zeitschrift Simplicissimus, die auf satirische Weise Leben und Politik im Kaiserreich kommentierte.41 Diese Form kam nicht überall gut an und führte häufig zu Konflikten mit Behörden, die nicht selten in Zensur, Beschlagnahmungen von Ausgaben, Gerichtsprozessen oder Druckverboten mündeten. Langen starb jung an einer verschleppten Mittelohrentzündung. Fahrzeugdaten: IIA 1576, Lxw., München, Bayern, S. 880. Felix von Kraus. 1870–1937. Kraus war ein promovierter Musikwissenschaftler, der als international bekannter Opernsänger reüssierte und auch als Hochschullehrer für Musik tätig war. Er war mit diversen Berühmtheiten aus dem künstlerischen Bereich bekannt. Johannes Brahms ermunterte ihn, Sänger zu werden. Einer seiner Lehrer war Anton Bruckner. Cosima Wagner persönlich holte ihn nach Bayreuth, um dort in Wagner-Opern zu singen. Es sind diverse Tondokumente von Felix von Kraus erhalten, die seine Kunst demonstrieren. Im Adressbuch wurde er als Dr., Professor und K. K. Österr. Kammersänger eingetragen. Fahrzeugdaten: IIA 1699, Lxw., München, Bayern, S. 884. Albert Freiherr von Schrenk-Notzing. 1862–1929. Schrenk-Notzing war Mediziner und Psychotherapeut. Er setzte sich für die Nutzung der Hypnose zu Therapiezwecken ein. Grenzwertig waren sicher einige seiner Experimente und Veröffentlichungen, die man heute der Parapsychologie zuordnen würde. Er praktizierte in München, der Heimat des Adelsgeschlechts, aus dem er stammte. Im Adressbuch wurde er als Arzt eingetragen. Fahrzeugdaten: IIA 1099, S. 867 und S. IIA 1768, S. 885, beides Lxw., München, Bayern. Ludwig Knorr. 1859–1921. Knorr war promovierter und habilitierter Chemiker, der ab dem Jahr 1889 als Chemie-Professor an der Universität Jena lehrte. Zu seinen Lehrern zählte der Chemiker Robert Bunsen („Bunsenbrenner“). Knorr war beteiligt an der Erforschung von fieber- und schmerzsenkenden Substanzen. Antipyrin, an dessen Erforschung Knorr federführend mitwirkte, zählte bis zur Einführung von Aspirin zu einem der am meisten verschriebenen Arzneimittel in der Kaiserzeit. Die Firma Hoechst produzierte 41 Klussmann, Mohr (2016), S.114 ff.

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Antipyrin und beteiligte Knorr an den Einnahmen. Knorr galt als sehr wohlhabend, da er während der Patentlaufzeit von Antipyrin knapp 1,7 Mio. Reichsmark erhalten haben soll, was etwa 131 Tsd. Reichsmark jährlich entspricht. Sein Jahresgehalt an der Universität Jena betrug 3.500 Reichsmark. Sein Reichtum führte zu einem Steuerstreit mit der Gemeinde Lichtenhain, einem Vorort von Jena, wo er seinen Wohnsitz hatte, die an seinem Vermögen steuerlich partizipieren wollte. Knorr stammte aus München. Daher war sein Fahrzeug im Adressbuch in Oberbayern gemeldet, allerdings mit Adresse Jena. Eingetragen war er als Geheimer Hofrat. Fahrzeugdaten: IIB 1121, Lxw., Jena, „Regierungsbezirk Oberbayern“ (Angabe im Adressbuch), S. 906. Ernst Bumm. 1858–1925. Bumm war ein in einschlägigen Fachkreisen bekannter Medizinprofessor mit dem Schwerpunkt Gynäkologie. Seine berufliche Karriere führte ihn über diverse Stationen bis an die Charité in Berlin, an der er ab 1910 die Universitätsfrauenklinik leitete. Sein Fahrzeug war in Bayern angemeldet, allerdings mit Wohnort Berlin. Fahrzeugdaten: IIIZ 101, Lxw., Berlin-Langenargen, OAB Tettnang, S. 1049. Auf den Namen Prof. Dr. Bumm war noch ein zweiter Wagen (Lxw.) direkt in Berlin angemeldet (S. 250 im Adressbuch). Albert Friedrich Speer. 1863–1947. Speer war ein deutscher Architekt, der viele Jahre mit einem eigenen Architektenbüro in Mannheim wirkte. Unter seiner Verantwortung entstanden eine Vielzahl von Gebäuden für Wirtschaft und Privatpersonen. Zu seinen bedeutendsten Arbeiten gehörte das Mercedes Benz-Werk in Mannheim-Waldhof. Es wurde in den Jahren 1907 und 1908 konstruiert und gebaut. Das Werk ist bis heute ein wichtiger Standort im Mercedes-Konzern und wird von Daimler Trucks genutzt. Albert Friedrich ist der Vater des gleichnamigen Albert Speer, der als Architekt Hitlers und wegen seiner Führungsrolle im 3. Reich im Nürnberger Prozess als Kriegsverbrecher verurteilt wurde. Fahrzeugdaten: IVB 3713, Lxw., Mannheim, S. 1083.



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August Bernthsen. 1855–1931. Bernthsen war ein bedeutender Chemiker, der sowohl in der Industrie als auch im Hochschulwesen erfolgreich war. Bei der BASF leitete er mehr als 30 Jahre das Hauptlaboratorium des Unternehmens. Er folgte Heinrich Caro nach, einem anderen bekannten Chemiker. Als Wissenschaftler leistete er wertvolle Beiträge zur Erforschung von Farbstoffen auf diversen Gebieten der Chemie. Nach ihm ist die sog. Bernthsen-Reaktion bekannt, die bis heute in Chemielehrbüchern beschrieben wird. Einer seiner Lehrer war August Kekulé, ein berühmter Chemiker. Im Adressbuch ist er als Professor und Hofrat eingetragen. Fahrzeugdaten: IVB 3827, Lxw., Mannheim, S. 1085. Willy Burmester. 1869–1933. Burmester war Violinvirtuose und Komponist. Sein Lehrer war der bedeutende Berliner Violinist Joseph Joachim. Verbunden bleibt er mit dem berühmten Violinkonzert in d-moll von Jean Sibelius, der dieses auf Anregung von Burmester schrieb. Allerdings war Burmester aus unterschiedlichen Gründen bei den beiden Uraufführungen (Ursprungsfassung aus dem Jahr 1904 und überarbeitete Neufassung aus dem Jahr 1905) nicht der spielende Geiger, was zu einem solchen Unmut bei ihm führte, dass er es nie spielen wollte. Sibelius hob daraufhin die Burmester zugeordnete Widmung des Violinkonzerts auf. Burmester galt als moderner Violinist, der zeitgenössische Werke aufführte und Adaptionen von Werken alter Meister für die Violine schuf. Er wurde auf Augenhöhe mit Pablo de Sarasate gesehen, einem anderen berühmten Violinisten zu seiner Zeit, der bis in die heutigen Tage Klassikliebhabern durch seine Kompositionen bekannt ist, z. B. durch seine Carmen-Fantasie. Es gibt eine historische Tonaufnahme von Burmester aus dem Jahr 1909, die den wunderbaren Ton Burmesters auf der Violine hörbar macht. Der Fahrzeugeintrag bezieht sich auf Darmstadt, eine der Städte, in denen Burmester lebte. Fahrzeugdaten: VS 133, Lxw., Darmstadt, Provinz Starkenburg, S. 1119.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

9.2.5 Sonstige Persönlichkeiten James von Bleichröder. 1859–1937. Von Bleichröder war ein prominenter Berliner Bankier. Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, war Gerson Bleichröder, sein Vater, als Bankier von Bismarck bekannt geworden. James von Bleichröder war promovierter Jurist und führte mit seinen Brüdern die Privatbank Bleichröder. James von Bleichröder galt als einer der reichsten Deutschen im Kaiserreich. Er machte sich mit diversen Förderaktivitäten für Automobilclubs um das Automobilwesen verdient. James von Bleichröder war ein Freund der schönen Künste und verfügte über eine private Kunstsammlung mit Werken bedeutender Künstler. Fahrzeugdaten: IA 222, Lxw., S. 236, IA 3195, Lxw., S. 270, IA 4497, S. 288, Berlin. Ahmet Tevfik Pasha. 1845–1936. Ahmed Tevfik war einer der höchstrangigen Politiker des osmanischen Reichs. Er wirkte als Botschafter in verschiedenen Ländern und mehrmals auch als Großwesir – das entsprach dem Rang eines Ministerpräsidenten – des osmanischen Reichs. Im Jahr 1909 war er nicht mehr in Deutschland in offizieller Position tätig, wo er von 1885 bis 1895 als Botschafter diente. Er besaß nach wie vor eine Wohnung in Berlin (Alsenstrasse im Botschaftsviertel). An dieser Adresse war sein Fahrzeug angemeldet. Ahmed Tevfik war im Jahr 1919 während der Friedensverhandlungen des 1. Weltkriegs Verhandlungsführer der osmanischen Delegation. Das osmanische Reich zählte wie Deutschland zu den Kriegsverlierern. Er war der letzte Großwesir des osmanischen Reichs. Dieses Amt wurde mit dem Ende des Sultanats im Jahr 1922 abgeschafft. Fahrzeugdaten: IA 375, Lxw., Berlin, S. 239. Britische Botschaft. Es wurden im Adressbuch diverse Einträge zu ausländischen Staaten, die im Kaiserreich ihre Repräsentanzen unterhielten und zu einer Reihe von staatlichen Organisationen vorgenommen. Das Kaiserreich und Großbritannien waren Rivalen, die um die ökonomische und militärische Vorherrschaft in Europa rangen. Sie waren aber auch durch die verwandtschaftlichen Bande des Kaisers mit dem englischen Königshaus verbunden. Seine Mutter Victoria war Tochter der gleichnamigen Königin Victoria



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von England. Zur Zeit der Veröffentlichung des Adressbuchs herrschte in England Eduard VII., ein Onkel von Kaiser Wilhelm II. Britischer Botschafter Englands in Berlin war der deutschstämmige Edward Goschen, der dort in den Jahren von 1908 bis 1914 residierte. Die britische Botschaft war in der Wilhelmstrasse 70 angesiedelt, eine Straße mit wichtigen Regierungsbehörden, in der u. a. das heutige Bundesfinanzministerium angesiedelt ist.42 Der QR Barcode-Link bezieht sich auf die britische Botschaft. Fahrzeugdaten: IA 1111, Lxw., Berlin, S. 248. Max Prinz zu Hohenlohe-Öhringen. 1860–1922. Er war studierter Jurist, schlug aber eine Militärkarriere ein. Im 1. Weltkrieg führte er ein Reserve-Ulanen- und ein Reserve-Dragoner-Regiment und stieg bis in den Rang eines Generalmajors auf. Er übernahm Stellvertreteraufgaben in der Ersten Kammer des württembergischen Landtags für seinen Bruder Christian Kraft Fürst zu HohenloheÖhringen, der im Abschnitt über den Adel vorgestellt wurde. Fahrzeugdaten: IA 1714, Lxw., Berlin-Charlottenburg, S. 254. Nikolai Graf von der Osten-Sacken. 1831–1912. Nikolai diente 17 Jahre als russischer Botschafter in Berlin. Er entstammte einem deutsch-baltischen Adelsgeschlecht, war aber ein vollständig assimilierter russischer Staatsbürger. Sein Vater war russischer General und erhielt aufgrund seiner militärischen Erfolge den Grafentitel, der in der Erbfolge auf Nikolai überging. Graf Nikolai diente Russland in verschiedenen Ländern, am längsten jedoch in Deutschland. Vor seiner Tätigkeit als Botschafter war er langjähriger Gesandter Russlands in Darmstadt und in München. Er war seit dem Jahr 1870 bis zu seinem Tod in Deutschland tätig. Verheiratet war er mit der Fürstentochter Maria Dolgorukowa, einer kunstsinnigen Dame, die einst zusammen mit dem Klaviervirtuosen und Komponisten Frédéric Chopin studiert hatte. Im Adressbuch wurde die Wohnanschrift Unter den Linden angegeben, eine

42 Eine ausführliche Beschreibung der Wilhelmstrasse aus den 1870iger Jahren mit dort wohnenden Persönlichkeiten „preußischer Macht und deutschen Geldes“ kann in Preisendörfer (2021), S. 37 ff. nachgelesen werden. Die britische Botschaft wird nicht erwähnt – wahrscheinlich war sie dort noch nicht angesiedelt, allerdings wird die Adresse erwähnt. Die Wilhelmstrasse 70a hatte in knapp 25 Jahren bis ins Jahr 1895 wechselnde Eigentümer (einen Kaufmann, zwei Rittergutsbesitzer, zwei Bankiers).

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er Prachtstraßen Berlins, welche bis heute der Sitz der russischen Botschaft ist. Fahrzeugdaten: IA 3653, Lxw., Berlin, S. 276. Bernd Freiherr von Lüdinghausen. 1864–1930. Er entstammte dem Adelsgeschlecht Lüdinghausen genannt Wolf, dessen Spuren sich bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen lassen und in dessen Ahnenreihe sich hochrangige Persönlichkeiten aus Militär, Verwaltung und Religion finden. Der Freiherr war u. a. Polizeipräsident in den Jahren 1908 bis 1919 in Schöneberg und Wilmersdorf, die im Jahr 1909 noch selbständige Städte waren und erst kurz danach Stadtteile von Berlin wurden. Freiherr von Lüdinghausen war ein Autoliebhaber. Er besaß drei Luxuswagen. Fahrzeugdaten: IA 5981 bis 5983, 3 Lxw., Wilmersdorf, Stadt BerlinSchöneburg, S. 310. Hans Tellgmann. Lebensdaten unbekannt. Hans Tellgmann gehörte zu einer Fotografenfamilie, die es zu einer gewissen Berühmtheit brachte. Insbesondere ist Oscar Tellgmann zu erwähnen, der als Fotograf von Kaiser Wilhelm II. diente. Wer Fotografien aus der Kaiserzeit betrachtet, kann in vielen Fällen davon ausgehen, dass diese von Oscar erstellt wurden. Seine Bilder zeigen den Kaiser in vielen Alltagssituationen: im Gespräch, zu Pferde oder im Automobil. Selbst im Doorner Exil in Holland ließ sich Wilhelm II. noch von Oscar Tellgmann fotografieren, was für ein langjähriges Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Männern spricht. Auch imposante Bilder von Kaisermanövern oder einlaufenden Schiffen der kaiserlichen Marine sind von Tellgmann erhalten geblieben.43 Hans Tellgmann war ein Neffe von Oscar Tellgmann und wurde wie sein Onkel Hoffotograf. Hans Tellgmann betrieb ein Fotostudio in Langensalza (Thüringen). Lebensmittelpunkte der Tellgmanns lagen in Thüringen und Nordhessen (Eschwege). Neben den Tellgmanns gab es noch zwei weitere Militärfotografen.44 Der QR Barcode-Link bezieht sich auf Oscar Tellgmann. 43 Hochhuth und Koch (1985) zeigen in einem opulenten Bildband über die Kaiserzeit viele Bilder von Oscar Tellgmann und seinem Sohn Gustav. In ihrem Buch widmen sie ein Kapitel der Familiengeschichte der Tellgmanns. Das abgebildete Kaiserbild aus Teil I stammte ebenfalls von Tellgmann. 44 Es handelte sich um Alfred Kühlewindt in Königsberg und Eugen Jacobi in Metz. S. Hochhuth, Koch (1985), S. 7.

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Fahrzeugdaten: IM 2724, KrR., Langensalza, Provinz Sachsen, S. 518. Ludwig Löw Freiherr von und zu Steinfurth. 1875–1939. Bisher wurden verschiedene Persönlichkeiten aus dem Automobilsektor vorgestellt, die als Erfinder oder Unternehmer bekannt geworden sind. Freiherr von und zu Steinfurth galt als einer der ersten Theoretiker über den Automobilbau, der dazu im Jahr 1909 das Technik-Standardwerk seiner Zeit veröffentlichte: „Das Automobil – sein Bau und sein Betrieb“. Als studierter Diplom-Ingenieur mit einigen Jahren Praxiserfahrung war er Fachmann für technische Fragestellungen. Seit dem Jahr 1909 lehrte er an der Technischen Hochschule Darmstadt als Dozent für Kraftwagen. Sein Werk erschien bis zum Jahr 1924 in fünf Auflagen. Seine Bücher zeichneten sich dadurch aus, dass er regelmäßig neue technische Entwicklungen im Automobilbau aufnahm und beschrieb. Fahrzeugdaten: IT 481, Lxw., Wiesbaden, Provinz Hessen-Nassau, S. 625. Ettore Bugatti. 1881–1947. Bugatti ist einer der Automobilproduzenten, dessen Name bis heute untrennbar mit sportlichen Luxusfahrzeugen verbunden ist. Im Jahr 1909 war er noch nicht bekannt, sondern ein talentierter junger italienischer Konstrukteur, der nach diversen Stationen im Jahr 1907 bei der Kölner Motorfabrik Deutz anheuerte.45 Daher auch sein Eintrag im Adressbuch mit der Anschrift Köln-Deutz, Gasmotorenfabrik. Bereits zwei Jahre später schied er mit einer stattlichen Abfindung aus. Er zog nach Mulzheim in Elsass-Lothringen um, wo er eigene Autos produzierte, u. a. einen Wagen, den er für Deutz konstruiert hatte, der aber von Deutz aus diversen Gründen nicht hergestellt wurde. Die Firma Bugatti war am Beginn eine Firma mit deutschen Wurzeln, da Elsass-Lothringen Teil des Kaiserreichs war. Die weitere Entwicklung des Unternehmens Bugatti ist mit einer Vielzahl erfolgreicher Sport- und Luxuswagen in die Automobilgeschichte eingegangen. Fahrzeugdaten: IZ 3465, Lxw., Köln-Deutz, Rheinprovinz, S. 772. 45 Die Firma Deutz war zu Beginn der Automobilisierung ein Magnet als Arbeitgeber für später herausragende Automobilisten wie Maybach, Daimler und Bugatti. Das dürfte an dem charismatischen Ruf der Firma durch ihren Gründer Nicolaus Otto („Ottomotor“) gelegen haben, der als Erfinder des Verbrennungsmotors für Automobile gilt.

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

Maximilian Graf von Montgelas. 1860–1938. Bei ihm handelte es sich um eine vielschichtige Persönlichkeit. Angehöriger des Hochadels, Karrieremilitär, später Pazifist und Militärhistoriker. Sein Großvater Maximilian Graf von Montgelas war Politiker, Minister und Ratgeber des bayrischen Königs. Maximilian verfolgte eine militärische Karriere und erreichte den Rang eines Generalmajors. Im Laufe seiner Karriere war er u. a. als Bataillonskommandeur an der Niederschlagung des chinesischen Boxeraufstands im Jahr 1900 beteiligt und dann für einige Jahre Militärattaché in Peking. In Berlin war er Mitglied des preußischen Generalstabs, Oberquartiermeister und enger Berater des Generalstabschefs Helmuth von Moltke (d. J.). Mit Ausbruch des 1. Weltkriegs wurde er Oberbefehlshaber der 4. Division, die an der Westfront eingesetzt wurde. Im Jahr 1915 wurde er wegen Kritik an der Kriegsführung abberufen und in den Ruhestand versetzt. Er zog in die Schweiz um und nahm dort pazifistische Positionen ein. Nach dem 1. Weltkrieg wandte er sich gegen die These, dass Deutschland am Krieg die Alleinschuld trüge und veröffentlichte diverse Schriften, um diese These zu widerlegen. Der Graf wurde mit drei Fahrzeugen in das Adressbuch eingetragen. Unter seiner Münchner Anschrift war er als Königlicher Kämmerer und erblicher Reichsrat registriert, unter seinen Einträgen in Würzburg als Generalmajor und Brigadekommandeur (S. 871) oder nur als Generalmajor (S. 975). Fahrzeugdaten: IIA 1040, Lxw., München, S. 866, IIA 1239, Lxw., Würzburg. S. 871, IIU 21, Lxw., Würzburg, S. 975. Leopold Prinz von Bayern. 1846–1930. Prinz Leopold von Bayern gehörte sicher zu den höchstrangigen Adeligen und Militärs im Adressbuch. Er war Enkel von König Ludwig I. von Bayern und Bruder von König Ludwig III. von Bayern. Beruflich war er zeitlebens militärisch engagiert. Als 16-jähriger trat er bereits in die Armee Bayerns ein. In den Jahren 1870/71 nahm er am Krieg gegen Frankreich teil. Er erhielt diverse Auszeichnungen und Beförderungen und war bereits im Jahr 1871 Oberstleutnant. Er war auch Teilnehmer bei der Ausrufung des preußischen Königs Wilhelm I. zum deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Schloss Versailles. Im 1. Weltkrieg wurde er im Jahr 1915 Oberbefehlshaber der 9. Armee, die an der Ostfront eingesetzt wurde. Sein direkter Vorgesetzter war Paul von Hindenburg,



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206 

9 Die soziale Stellung am Einzelbeispiel: Wer konnte sich ein Automobil leisten?

Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armeen. Prinz Leopold beendete mit dem Ende des 1. Weltkriegs seine militärische Karriere im Rang eines Generalfeldmarschalls. Fahrzeugdaten: IIA 1479, Lxw., München, S. 877 und IIA 1617, Lxw., München, S. 881. Karl Freiherr von Hirschberg. 1855–1927. Karl stammte aus einem bayerischen Adelsgeschlecht und verfolgte seit seinem neunzehnten Lebensjahr eine Berufskarriere beim Militär, i. W. in Diensten der bayerischen Armee. Seine Karriere endete im Jahr 1909 im Rang eines Generalmajors (s. auch diesen Berufseintrag im Adressbuch). Mit Ausbruch des 1. Weltkriegs wurde er reaktiviert und übernahm diverse Kommandeurspositionen. Verheiratet war er mit Sophie Freiin von Faber, eine Angehörige aus der Bleistiftfabrikantenfamilie Faber. Fahrzeugdaten: IIB 1450, Lxw., Bamberg und Hirschberg am Haarsee, Regierungsbezirk Oberbayern, S. 910. Alfred Graf Eckbrecht von Dürckheim-Montmartin. 1850–1912. Der Graf war zeitlebens dem Militär verbunden. Bereits als 20-jähriger trat er in die bayerische Armee ein und nahm direkt am deutschfranzösischen Krieg teil. Im Laufe seines Lebens erreichte er die Position eines Generalleutnants und übernahm im Jahr 1908 die Führung des II. Armee-Korps in Bayern. Alfred war ein enger Vertrauter von König Ludwig II. Als Flügeladjutant – in etwa das militärische Pendant zu einem persönlichen Assistenten – des Königs, blieb er ihm treu verbunden. Selbst als Ludwig II. im Jahr 1886 für unzurechnungsfähig erklärt wurde, u. a. wegen seiner exzessiven Staatsausgaben für Bauprojekte („Neuschwanstein“), stand Alfred an der Seite des Königs. Das brachte ihn sogar für kurze Zeit in Haft. In diversen Filmen über König Ludwig II. wurde Graf Dürckheim als enger Vertrauter des Königs dargestellt. Fahrzeugdaten: IIU 66, Lxw., Würzburg, Regierungsbezirk Unterfranken, S. 976. Wilhelm Herzog von Urach. 1864–1928. Wilhelm war eine interessante Persönlichkeit mit einem abwechslungsreichen Lebenslauf. Aus württembergischem Adel stammend, verfolgte er eine Karriere beim Militär. Im 1. Weltkrieg war er u. a. Divisionskommandeur

9.2 Fahrzeughalter an Einzelbeispielen

und bis Kriegsende kommandierender General eines Großverbands der deutschen Armee. In den Jahren 1910 bis 1918 wurde er als Königsanwärter für verschiedene Throne in europäischen Ländern gehandelt, u. a. in Polen, Litauen und Monaco. Die Ambitionen Wilhelms, König zu werden, wurden sogar in einem Roman von Arnold Zweig verarbeitet („Einsetzung eines Königs“). Mit Beendigung seiner militärischen, politischen und monarchischen Ziele, widmete er sich der Wissenschaft und wurde im Jahr 1922 im Alter von 58 Jahren an der Universität Tübingen promoviert. Privat war er mit Amalie, einer bayerischen Herzogin, verheiratet. Das Paar hatte neun Kinder. Fahrzeugdaten: IIIA 202 und IIIA 227, jeweils ein Lxw., Stuttgart, S. 1004 und 1005. Jules Peugeot. 1882–1959. Jules war ein Angehöriger aus der Peugeot-Dynastie. Er war im Adressbuch als Fabrikant in der Gemeinde Valentigny eingetragen. Dieser Ort war ein wichtiges Zentrum der französischen Automobilindustrie mit verschiedenen Werken der Firma Peugeot. Die Gemeinde lag im Kreis Thann in ElsassLothringen. Bei Jules handelte es sich um Jules II, einem Sohn von Eugène Peugeot, welcher die Automobilaktivitäten bei Peugeot misstrauisch beäugte und sie seinem Bruder Armand Peugeot überließ, der die Unternehmerfamilie in die Autoherstellung führte. In der Frühzeit von Peugeot als Automobilhersteller gab es Kooperationen zwischen Daimler, Bugatti und Levassor, die in dieser Schrift bereits erwähnt wurden. Jules II leitete zusammen mit seinen zwei Brüdern zeitweise Peugeot. Der QR Barcode-Link bezieht auf die deutschsprachige Eintragung zum Unternehmen Peugeot. Im französischen Lexikoneintrag lassen sich umfangreiche Angaben zu Jules Peugeot nachlesen. Fahrzeugdaten: VIB 1987, keine Fahrzeugangabe, Valentigny, Kreis Thann, S. 1182.



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 Teil III: Erkenntnisse für die Gegenwart

10 Gibt es Erkenntnisse aus der Frühmobilisierung, die für das Autoland Deutschland in der Gegenwart nützlich sind? „Die Gründungsväter unseres Unternehmens – Gottlieb Daimler und Carl Benz – haben uns einst individuelle Mobilität ermöglicht. In der aktuellen Situation wird uns vor Augen geführt, wie wichtig das Auto als persönliche Schutzzone sein kann. Individuelle Mobilität ist ein wertvolles Gut, dass es zu bewahren gilt. Wir führen sie mit neuen Technologien in die Zukunft.“ Ola Källenius, CEO Mercedes-Benz Group AG1 „Spätestens 2030 werden wir so weit sein. […] Volkswagen steht dann für neuronale Fähigkeiten, eigene Software, autonomes Fahren und künstliche Intelligenz.“ Michael Jost, Leiter Unternehmensstrategie bei Volkswagen2 „Das Prinzip Autoquartett ist auf Dauer nicht mehr tragbar.“ Hildegard Wortmann, Konzernvorstand Volkswagen3

Drei aktuelle Zitate, die einerseits mit einem optimistischen Duktus den Weg der Automobilindustrie in die Zukunft mit neuen Technologien weisen, andererseits das Verhaftetsein in der alten Automobilwelt thematisieren. Das beschreibt die gegenwärtige Stimmungslage, die auch im Kaiserreich vor mehr als 110 Jahren vorzufinden war, wenn man sich noch einmal das Fontane-Zitat ins Bewusstsein ruft (s. Kapitel 2). Sinngemäß besagte es, dass man sich der Zukunft arrangieren muss, es aber gleichzeitig schwer ist, sich von der vertrauten Vergangenheit zu lösen. Wie bereits in der Einleitung ausgeführt, wiederholt Geschichte sich nicht. Die Wirklichkeiten der Kaiserzeit und einer parlamentarischen Demokratie, der heutigen Regierungsform Deutschlands, sind in jeder Hinsicht zu unterschiedlich, um daraus unmittelbar nützliche Einsichten ziehen zu können. Das gilt selbstredend auch für die Autoindustrie, die seinerzeit von eher „tollkühnen Männern in fahrenden Kisten“ (um einen abgewandelten Filmtitel zu verwenden) bestimmt wurde, die ihre noch sehr überschaubaren Firmen in einer kleinen Branche proaktiv vorantrieben. Heute dagegen werden große, weltweit tätige und häufig byzantinisch verschachtelte Firmen von nüchternen Konzernmanagern geleitet, die aufgrund heterogener Interessen ihrer Stakeholder wie Jongleure wirken, die mehrere Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten versuchen. Von außen erscheinen sie gelegentlich wie reaktiv Handelnde, die bemüht sind, ihre Unternehmen in einer weltweiten Führungsposition zu halten, was notwendig ist, um im Land weiterhin Wohlstand erwirtschaften zu können.

1 Mercedes-Benz Group-Media (2020). 2 Manager Magazin (2021), S. 28 3 Der Spiegel (2022), S. 68 https://doi.org/10.1515/9783111067704-010

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10 Gibt es Erkenntnisse aus der Frühmobilisierung

Es geht um die Weiterentwicklung der Fahrzeugindustrie im weltweiten Maßstab, eine Herkulesaufgabe, die in der komplexen Welt des 21. Jahrhunderts schwer umzusetzen ist. Positiv zu beobachten ist, dass Manager von Volkswagen, Daimler oder BMW sich von ihren traditionellen Geschäftsmodellen zu lösen versuchen und etwas Neues schaffen wollen. Tesla, Dieselgate und das Umweltthema scheinen zu einem Umdenken geführt zu haben. Wichtiger vielleicht: Der Geist aus der Kaiserzeit, etwas zu tun, statt an alten Strukturen zu kleben, ist noch vorhanden.4 Die Bedingungen, wie sie im Kaiserreich vorherrschten, vermitteln kaum Erkenntnisse. Parallelen lassen sich jedoch bei der Betrachtung der Wirkkräfte erkennen, die in der Kaiserzeit über das Wohl und Wehe der Branche entschieden und es auch heute tun. Sie nahmen Einfluss auf die Automobilhersteller und setzten entfaltende oder zerstörerische Potenziale frei. Die Wirkkräfte sind ein Amalgam strukturbestimmender Bausteine. Zu ihnen gehören Kunden, Hersteller, Wettbewerb, Infrastruktur, Staat und Gesellschaft. Sie waren damals bestimmend für die Durchsetzung des Automobils und sie dominieren bis heute die Agenda der Branche.5 Sie werden im Folgekapitel beschrieben. Deutschland entwickelte sich bereits im Kaiserreich zu einer der führenden Industrienationen und hat diese Stellung bis heute gehalten. Ein Unterschied zur Kaiserzeit ist der einmalige Strukturmix, über den das Land in der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts verfügt, und der das Land in eine komfortable Ausgangslage positioniert hat: – Demokratische Regierungsform – Soziale Marktwirtschaft mit einer Vielzahl exzellenter Unternehmen – Angesehene Wissenschaftsinstitutionen – Zugang zu höherer Bildung für viele Menschen – Hoher Bildungsstand der Bevölkerung – Relativ wohlhabende Bürger in der Breite der Gesellschaft („Mittelstand“)

4 S. Hage, Hesse (2022) und Mertens (2021), die die Herausforderungen der Automobilindustrie beschreiben und einen optimistischen Ausblick wagen. 5 Dass Unternehmen und Branchen einem dauerhaften Druck mit dem Risiko des Marktausscheidens ausgesetzt sind, ist ein Dauerthema in den Wirtschaftswissenschaften. Bei den Volkswirten ist es beispielsweise Schumpeter mit seinem Konzept der schöpferischen Zerstörung, der damit wirtschaftliche Entwicklung erklärt. Bei den Betriebswirten ist besonders Michael Porter populär, der diverse Strategiewerkzeuge entwickelt hat, um zu erklären, warum Unternehmen und Branchen mehr oder weniger profitabel sind (z. B. Branchenstrukturanalyse und Diamantenmodell) und wie man Wettbewerbsvorteile erlangt.

10 Gibt es Erkenntnisse aus der Frühmobilisierung 

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Diese Errungenschaften und vieles mehr, was die heutige Gesellschaft prägt, waren im Kaiserreich nur rudimentär vorzufinden oder im Entwicklungsprozess. Was an Strukturen fehlte, wurde durch einen ausgeprägten Zukunftsoptimismus ausgeglichen. Dieses zukunftsoffene Mindset ließ das Kaiserreich prosperieren. Viele wollten aktiv etwas tun und gründeten ihre eigenen Firmen. Nicht umsonst wurde die Zeit ab dem Jahr 1848 als Gründerzeit charakterisiert. Dieser Drive hielt in den Kaiserjahren an. Die seinerzeitige Perspektive verhieß Aufstieg innerhalb der Gesellschaft („Mass Flourishing“) und im internationalen Ländervergleich. Das Kaiserreich zeichnete sich u. a. durch Optimismus, Tatkraft, Freude an der Technik, dem Drang zu Innovationen, Entschlossenheit, Wagemut, Zuversicht, aktive Unterstützung durch Politik und Gesellschaft, Pioniergeist, großes und kühnes Denken, Überwindung von Denkblockaden, Anpassungsfähigkeit und Investitionen in das Bildungswesen aus, um einige Merkmale zu nennen. Dafür bedurfte es entschlossener Männer wie Theodor Althoff, die mit großer Tatkraft Reformen in Preußen vorantrieben.6 Die heutige Generation erscheint deutlich pessimistischer und sieht sich in einem (relativen) Abstieg („The Great Resignation“) im Kontrast zu anderen (asiatischen) Ländern. Der frühere ABB-CEO Fred Kindle beschrieb diesen Zustand bereits in einem Interview aus dem Jahr 2006, als er sagte: Der alte Kontinent ist in einem Maß in die Defensive geraten, wie ich das vor einigen Jahren noch nicht für möglich gehalten hätte. Wenn man in Shanghai war und dann wieder nach Zürich zurückfliegt, schlägt einem schon beim Verlassen des Flugzeugs eine gedrückte und abwehrende Stimmung entgegen, während in Asien allerorts Zuversicht und Aufbruch spürbar ist […] Das spüren Sie in ganz Europa: ein bleierner Zustand, der über viele Jahre entstanden ist und deswegen auch nicht von heute auf morgen wieder verschwinden wird. Die Europäer bauen Abwehrreaktionen gegen die Konkurrenz aus China auf. Sie wollen der Herausforderung nicht ins Gesicht schauen. Sie wollen nur sichern, was sie haben.

Sicher nur eine Stimme, aber sie beschreibt ein Meinungsbild, was bei vielen vorherrscht. 7 Der Drang der Gesellschaft in der Kaiserzeit war eindeutig offensiv geprägt, heute erscheint er eher defensiv.

6 Althoff galt als „Bismarck des preußischen Hochschulwesens“, der eine regelrechte Bildungsrevolution als Regierungsrat für das preußische Universitätswesen entfachte. S. Bödecker (2014), S. 267 ff. 7 WirtschaftsWoche (2006), S. 11. Das Zitat stammt aus einer Zeit vor den vielen Krisen, die seitdem geschehen sind, wie z. B. die Finanzkrise im Jahr 2008, die Coronapandemie ab dem Jahr 2020, und der Ukrainekrieg seit Februar 2022.

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10 Gibt es Erkenntnisse aus der Frühmobilisierung

Das Autoland Deutschland ist an einer Wegscheide. Die Frage ist, wie man weiter weltweit in der Autoindustrie dominierend bleiben kann und verhindert, auf einen anderen Rang verwiesen zu werden. Gelingt es, den „Sound“ der Kaiserzeit im Sinne eines Zukunftsoptimismus mit einer positiven Vision zu übernehmen? Damals war es der „Platz an der Sonne“ mit dem Hauptziel, die führende Industrienation zu werden und England abzulösen. Oder ist der „Sound“ ein eher düsteres „Basso continuo“, dessen fortlaufender Bass durch Zukunftspessimismus, Risikoscheu und einem übersteigerten Sicherheitsdenken rhythmisiert ist? Wird die berühmte „German Angst“ die Industrie dominieren? Das alles überragende Hauptthema heute ist die Bewahrung einer lebenswerten Umwelt für nachfolgende Generationen. Welcher „Sound“ in den nächsten Jahren vorherrschen wird, ist schwierig zu sagen. Momentan klingt er düsterer. Gesellschaften haben sich durch einen veränderten Zeitgeist und Wertewandel immer wieder verändert. Das Ringen um den (richtigen) Pfad in die Zukunft ist eine der wenigen Konstanten jeder politischen und gesellschaftlichen Entwicklung. Ob das in einem Abstieg für Land und Wirtschaft münden muss, ist keineswegs ausgemacht. Zukunft ist offen und kann sich unterschiedlich entwickeln. Geschichte ist kein linearer Prozess, der deterministisch einer vorbestimmten Zukunft folgt, sondern ein Prozess mit Wegscheiden und Wendepunkten, an denen man sich für eine Richtung entscheiden muss, die sich im Rückblick als richtig oder falsch erweisen. Die Teile I und II dieser Monografie haben sich mit der Entwicklung der Individualmotorisierung im Kaiserreich beschäftigt. Schwerpunkt der Darstellung lag auf den Kunden, den Early Adopters. In diesem Teil wird wird der Frage nachgegangen, ob Erkenntnisse aus dem Beginn der Individualmobilisierung zu schürfen sind, die 110 Jahre später noch nützlich sein können. Hier ist der Fokus nicht nur auf den Kunden gerichtet, sondern auf die Hersteller selbst und andere Stakeholder, die positiv oder negativ mit ihrer Wirkkraft auf die Branche Einfluss nehmen können. Die (Früh-)Geschichte des Automobils ist eine Quelle, aus der man interessante Erkenntnisse für die Gegenwart schöpfen kann. Welche Parallelen gibt es zwischen Automobilunternehmen im Kaiserreich und in der Gegenwart? Es ist nach wie vor die Fähigkeit gefragt, ein gutes Fahrzeug zu bauen („Produktkompetenz“), auch wenn ein Automobil heute um ein Vielfaches komplexer ist. Die heutigen Hersteller müssen nicht nur die klassische Technik im Blick behalten, sondern sich auch neue Fähigkeiten aneignen. Sie müssen neben der Pro-

10.1 Wirkkräfte in der Automobilbranche



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dukt- auch ihre Prozesskompetenz im Blick behalten, um Fahrzeuge schneller und kostengünstiger zu bauen. Es sind weiterhin Wirkkräfte und Treiber verschiedenster Art aktiv, die Hersteller unter Druck setzen und für eine stetige Dynamik sorgen, auch wenn sie heute weitaus stärker und weniger beherrschbar erscheinen. Manchen Entwicklungen sind die heutigen Hersteller mehr oder weniger ausgeliefert. Sie sind abhängig vom Goodwill externer Interessengruppen, bei anderen können sie versuchen, Einfluss zu nehmen. Bestimmend sind auch Unternehmensführung und Haltung, denn die Art und Weise, wie Probleme und Rückschlage gemeistert werden, hängen von den Entscheidern in den Unternehmen ab. Das manifestiert sich in der Art der Unternehmensführung. Agiert die Führung eher langfristig oder ist der kurzfristige Erfolg im Fokus? Wie geht man mit Rückschlägen um? Verfügen die Unternehmen über einen langen Atem und verfolgen eine bestimmte Strategie trotz hoher finanzieller Kosten und Risiken? Nehmen sie Herausforderungen an und lassen sich von den vermeintlichen Fähigkeiten neuer Herausforderer nicht einschüchtern? Gute Unternehmensführung ist daher genauso wichtig wie die Fähigkeit ein exzellentes Produkt herzustellen oder das Managen der Wirkkräfte, denn sie beeinflusst im guten oder schlechten Sinne diese Faktoren. Die Detailprobleme zwischen der Branche zu Kaiserzeiten und in der Gegenwart unterscheiden sich grundlegend. Auch sind die Schwerpunkte anders gelagert. Die Branchenerfolgsfaktoren jedoch sind nach wie vor dieselben. Sollte es einzelnen Automobilherstellern gelingen, die prägenden Faktoren in ihrem Sinne zu dominieren, werden sie in der Erfolgsspur bleiben. In den folgenden zwei Kapiteln werden die Wirkkräfte und Treiber der Industrie im Zeitvergleich Kaiserreich und Gegenwart analysiert (Kapitel 10.1) und es wird ein Ausblick auf die weitere Entwicklung der Branche gewagt (Kapitel 10.2).

10.1 Wirkkräfte in der Automobilbranche Formbildende Faktoren und Einflussgrößen für Unternehmen sind vielfältiger Art. Es waren insbesondere sechs Wirkkräfte im Kaiserreich entscheidend, die einzelne Hersteller und die Automobilbranche prägten und die bis heute durch die Industrie fegen: – Kunde – Hersteller – Wettbewerb – Infrastruktur

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10 Gibt es Erkenntnisse aus der Frühmobilisierung

Staat Gesellschaft

10.1.1 Wirkkraft Kunde In diesem Abschnitt wird die zentrale Rolle des Kunden dargelegt. Im Vergleich von Kaiserzeit und Gegenwart waren sie ihrem Profil nach sehr verschieden, aber damals wie heute die alles entscheidende Größe für den Erfolg eines Automobilhersteller.8 Die Herausforderung der Hersteller war immer, Kunden vom Produkt zu überzeugen. Die folgende Tabelle hebt wesentliche Unterschiede zwischen den Kunden im Kaiserreich und in den 2020er Jahren hervor. Tab. 13: Kunden im Kaiserreich und in der Gegenwart Kunde Kaiserreich – Beginn Individualmotorisierung – Early Adopters primär aus Eliten- und Bürgermilieus – Neue Möglichkeiten für Beruf, Freizeit und Sport – Klumpenrisiko enge Käuferschicht – Erwartungshaltung von technischer Neugierde und Begeisterung geprägt – Enge Kundenbindung direkt zwischen Hersteller und Early Adopter – Erlösquelle: Einmalverkauf Automobil, dadurch starke Abhängigkeit vom Absatz und schwankende Umsätze

2020er Jahre – Massenphänomen Motorisierung – Kundschaft aus allen Milieus – Beruf und Freizeit nach wie vor dominierend – Fokus Mobilität plus neue Themen, die für Kunden relevant sind wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Bequemlichkeit – Klumpenrisiko Ländermarkt China – Hohe Erwartungshaltung des abgeklärten Automobilisten an neue Fahrzeuge – Kundenbindung über verbundene Autohäuser; in Zukunft Gefahr, dass Tech-Hersteller die Kundenschnittstelle übernehmen – Erlösquellen: Einmalverkauf Neufahrzeuge Automobil, laufendes Ersatzteil- und Reparaturgeschäft (Aftermarket), Gebrauchtwagenhandel, zukünftig regelmäßig fließende Umsätze über digitale Dienste und Infotainment

Die Kunden zur Kaiserzeit waren begeistert von der Möglichkeit, sich rasch, bequem, frei und ungebunden über längere Distanzen bewegen zu können. Die Los-

8 Der Management-Vordenker Peter Drucker hat den Kunden zum Mittelpunkt eines jeden Unternehmens erklärt („purpose of a business“). Um ihn zufriedenzustellen, ist nach Drucker die Fähigkeit von Unternehmen zur Innovation genauso wichtig (s. nächstes Kapitel Wirkkraft Hersteller). Drucker (2001), S. 18 ff.

10.1 Wirkkräfte in der Automobilbranche 

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lösung vom Pferd zu einer anderen Art der Fortbewegung war ein Epochenwechsel für die Menschen. Dieser Wandel ging nur langsam vonstatten, wie bei vielen Innovationen. Carl Benz beklagte seinerzeit, dass er zu Beginn keinen Käufer in Deutschland fand. Sein erster Käufer war der Franzose Emile Roger, der im Jahr 1887 zwei Fahrzeuge erwarb und nach Paris brachte. Ab der Jahrhundertwende verzeichnete die Automobilbranche zweistellige Wachstumsraten, die ihren Höhepunkt mit einem Fahrzeugbestand von 93.000 Fahrzeugen im Jahr 1914 erreichte. Danach brach der zivile Automobilabsatz wegen des Kriegseintritts zusammen. Der Markt im Kaiserreich war das Resultat enthusiastischer und zumeist kaufkräftiger Kunden, der Early Adopters, die sich trotz aller wahrgenommenen und durchlebten Mängel (Fahrzeuge, Infrastruktur, Akzeptanz) nicht abschrecken ließen. Allerdings darf man sich von den Wachstumsraten nicht täuschen lassen. Der potenzielle Markt für Automobile war überschaubar mangels einer zahlungskräftigen Klientel. Weiterhin musste der Markt mit anderen Herstellern geteilt werden, die nach neuen Märkten suchten und den jungen Automobilmarkt für sich entdeckten. Es ist daher nachvollziehbar, dass der Export von Automobilen von Beginn an ein wichtiges Thema für die Produzenten war, insbesondere nach Frankreich, wo das Automobil rasch populär wurde. Um Kunden für sich zu interessieren, setzten die Hersteller früh auf diverse Möglichkeiten. Dazu gehörten klassische Werbung in Fach- und Publikumszeitschriften, die Teilnahme an Automobilrennen, die Durchsetzung des Automobils und anderer Fahrzeuge wie Motorräder und LKWs in der kaiserlichen Armee, sowie die Publicity, die durch hochrangige Vertreter aus dem Adel, die sich ein Automobil zulegten, erlangt wurde. Bereits im Jahr 1888 warb Carl Benz in einer Werbeschrift mit folgendem Text für seine Automobile: „Vollständiger Ersatz für Wagen mit Pferden! Erspart den Kutscher, die teure Ausstattung, Wartung und Unterhalt der Pferde! Immer sogleich betriebsbereit! Bequem! Absolut gefahrlos! Lenken, Halten und Bremsen leichter und sicherer als bei gewöhnlichem Fuhrwerk! Keine besondere Bedienung nötig! Sehr geringe Betriebskosten!“9 Im Laufe der Jahre wurde die Werbung raffinierter. Auch ließen sich bereits frühe Verstrickungen von scheinbar neutral schreibenden Journalisten und Werbung für bestimmte Automarken nachweisen („Schleichwerbung“). Ein wichtiger indirekter Vertriebsweg waren insbesondere diverse Automobilrennen, die populär in der Bevölkerung waren und viele Zuschauer anlockten. Für die Hersteller war es besonders wichtig, weit vorne platziert zu sein (s. Teil I). In der Presse wurden die Siegerfahrzeuge und ihre Fahrer gefeiert. Zudem sahen die Hersteller 9 Horras (1982), S. 223.

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10 Gibt es Erkenntnisse aus der Frühmobilisierung

wohlwollend auf Kaiser Wilhelm II., der öffentlichkeitswirksam in Automobilen durch Berlin und woanders paradierte. Kaiser Wilhelm II. galt als branchenfreundlich und der Förderung der deutschen Automobilindustrie zugetan (s. Teil I). Er verfügte bereits im Jahr 1910 über einen Fuhrpark von 22 Fahrzeugen.10 Wenig überraschend waren und sind die Kunden bis heute die wichtigsten Stakeholder für die Automobilhersteller. Sie bestimmen Umsatzerlöse, Gewinne, Wachstum, Arbeitsplätze und die künftige Geschäftsentwicklung bei den Herstellern. Die „Kinderkrankheiten“ der Frühmotorisierung sind seit Jahrzehnten behoben. Heute besitzen in Deutschland 60,4 Mio. Menschen eine PKW-Fahrerlaubnis (Stand 2017). Das Automobil ist ein unverzichtbares Produkt für nahezu alle Bürger geworden.

Grafik 17: PKW-Bestand in Deutschland von 1907 bis 2021

Diese Grafik visualisiert die atemberaubende Akzeptanz des Automobils bei der Kundschaft über einen Zeitraum von knapp 115 Jahren. Gegenstand dieses Buchs waren die Early Adopters, die in der Grafik ganz links stehen. Im Jahr 1907 waren knapp 10.000 Automobile in Deutschland gemeldet.11 Daraus sind bis zum Jahr 2021 48,2 Mio. PKW geworden. Aus einem anfänglichen Nischenmarkt ist längstens

10 Horras (1982), S. 229. 11 Das Jahr 1907 war das erste Jahr, in dem der Fahrzeugbestand in der Kaiserlichen Reichsstatistik nach diversen Mobilfahrzeugen (PKW, Motorräder etc.) ausgewiesen wurde.

10.1 Wirkkräfte in der Automobilbranche 

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ein Markt für die breite Masse geworden. Der Weg war lang und mühselig. Das Erreichen wichtiger Schwellenwerte im Fahrzeug- bzw. Kundenbestand benötigte viele Jahre. Erstmalig wurde im Jahr 1923 die Schwelle von 100.000 Automobilen überschritten, mehr als ein Jahrzehnt später waren es 1 Mio. Automobile (1937), dann folgten 10 Mio. Einheiten im Jahr 1966 und 40 Mio. Automobile wurden im Jahr 1995 vermeldet. Mittlerweile ist die Branche bei knapp 50 Mio. PKW angelangt. Ähnliche Entwicklungen nahmen die Exportabsätze der Branche. Die begrüßenswerten Ergebnisse verweisen gleichzeitig auch auf die Herausforderungen der Unternehmen und der Branche. Soll die Erfolgsgeschichte weitergeschrieben werden, muss das hohe Niveau in Deutschland und im Ausland erhalten oder ausgebaut werden. Im weltweiten Maßstab werden Jahr für Jahr zwischen 70 und 80 Millionen Automobile verkauft. Die deutschen Automobilbauer produzieren in ihren Werken zwischen 13 und 14 Millionen Einheiten pro Jahr. Von dieser Menge wurden allein bei Volkswagen seit etwa dem Jahr 2012 jährlich zwischen 3 und 4 Millionen Einheiten im chinesischen Markt abgesetzt, die in China in den dortigen VW-Produktionswerken gefertigt wurden. Der gegenwärtige globale Bestand aller Automobile wird auf rund 1,2 Milliarden Einheiten geschätzt. Von dieser Bestandsmenge können geschätzte 90 bis 100 Millionen Stück den deutschen Automobilherstellern zugerechnet werden (13 bis 14 Mio. Absatz pro Jahr bei einem angenommenen durchschnittlichen Fahrzeugbesitz von sieben Jahren). An diesen riesigen Absatzmengen mit einer gewaltigen Kundenbasis wollen die deutschen Hersteller natürlich auch weiter partizipieren. Die Verteidigung von Marktanteilen ist anspruchsvoll, denn jedes Jahr müssen Millionen von Altkunden aufs Neue überzeugt werden, wieder bei ihrem Hersteller ein Fahrzeug zu erwerben. Weiterhin müssen Neukunden gewonnen werden, um verlorene Altkunden zu ersetzen und für das Absatzwachstum zu sorgen. Es gibt regionale Unterschiede und Kunden mit unterschiedlichen Loyalitäten zu Marken. Vielleicht ist der deutsche Kunde loyaler zu seinem Hersteller, weil er von ihm seit vielen Jahren sein Fahrzeug erwirbt. Der chinesische Kunde mag dagegen mehr an neuen Technikmöglichkeiten im Auto interessiert sein. Bietet ihm das sein deutscher Hersteller nicht in der von ihm gewünschten Weise, wechselt er leidenschaftslos zu einem chinesischen. Der skandinavische Kunde wiederum achtet stärker auf den ökologischen Fußabdruck eines Herstellers. Die Erwartungen der Kunden sind hoch und gleichzeitig verschieden. Das erhöht die Komplexität für einen Automobilhersteller. Fehlentscheidungen oder unterlassene Entwicklungen können mit einem Zeitverzug zu einer Erosion der Kundenbasis führen. Das würde für den überschaubaren skandinavischen Markt verschmerzbar sein, aber im chinesischen Markt käme das aufgrund der großen Kundenbasis (Klumpenrisiko China) einem wirtschaftlichen GAU gleich.

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Neben den klassischen Themen, die Automobilbesitzer seit jeher interessieren, wie die Performance eines Fahrzeugs (Verbrauch, Reichweite, Design etc.) und dessen Finanzierung (Anschaffung und laufender Unterhalt), sind in der Gegenwart zwei weitere Bereiche hinzugekommen, die Kunden gelöst haben wollen: Digitalisierung und die damit erhöhte Bequemlichkeit, sowie Nachhaltigkeit. Das digitalisierte Automobil soll Kunden ein komfortables Fahrerlebnis („convenience“) bieten und Fahren zu einem Erlebnis machen („user experience“, „Wow“-Effekte). Es ist ein breites Themenspektrum, welches hier angeboten werden soll. Autonomes Fahren, automatisierte Fahrassistenzsysteme, Over-the-airUpdates, Infotainment-Systeme mit smarten Serviceangeboten, „Pillar-to-Pillar“Displays, Head-up-Bildschirme, die Informationen auf die Windschutzscheibe projizieren, Datenübertragungsgeschwindigkeiten für Echtzeitkommunikation, Vernetzung von Fahrzeugen mit einer (Energie-)Infrastruktur (IoT) und vieles mehr.12 Wer diese Themen beherrscht, kann neue Erlösquellen erschließen, denn der Kundenstamm wird aufgrund der demographischen Entwicklung zunehmend digitalaffiner. Als Problem gilt, dass die Automobilhersteller bei IT-Themen zu sehr abhängig sind von spezialisierten Zulieferern (von den Chipherstellern bis zu den Cloudanbietern), die ihrerseits aus lukrativen neuen Erlösquellen schöpfen wollen. Es besteht die latente Gefahr, dass IT-Hersteller versuchen könnten, die Kundenschnittstelle zu übernehmen. Das wäre fatal, denn der Kundenzugang ist elementar für die Geschäftsentwicklung von Automobilherstellern. Würden sie diesen verlieren oder in unverhältnismäßiger Weise teilen müssen, könnten sie zu abhängigen Auftragsfertigern degradiert werden. Ein anderes Thema, welches Kunden zunehmend wichtig erscheint, sind die „Umweltdaten“ eines Automobils. Damit ist die Erwartung verbunden, dass heutige Automobile eine weitaus bessere Klimabilanz als ihre Vorgängergenerationen haben sollen. Das betrifft den gesamten Lebenszyklus von der Produktion bis zur Entsorgung. Hersteller, die Kunden diese Probleme zu erschwinglichen Preisen lösen, haben gute Chancen, weiterhin führend im Markt zu agieren. Das Vertrauen der Kundschaft wurde im Jahr 2015 durch die „Dieselgate-Affäre“ bei Volkswagen stark erschüttert. Dieser Skandal führte die Branche in eine Sinnkrise. Sie befindet sich nun an einer Wegscheide. Falsche Entscheidungen könnten einen Bedeutungsverlust der deutschen Automobilhersteller einleiten, richtige dagegen die gute Wettbewerbsposition in der globalen Branche sichern. Der Kunde ist entscheidend, denn er muss den Weg mitgehen, den Hersteller in Sachen Klima einschlagen werden. 12 Es gibt weitere IT-Themen im Auto, die von den Herstellern gelöst werden müssen (s. Wirkkraft Hersteller). Bei den an dieser Stelle genannten Themen liegt der Fokus auf der für den Kunden direkt erlebbaren Digitalisierung.

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Die Transformation auf klimagerechtere Fahrzeuge, die den Kunden angeboten werden können, ist herausfordernd. Es muss der Umstieg von Verbrenner- auf Elektromotorisierung geleistet werden. Damit verbunden ist der Batteriebau, denn es müssen enorme Produktionskapazitäten für Batteriezellen errichtet werden, um die Vielzahl an zukünftigen E-Autos mit ihnen zu bestücken. Zudem muss die Energieinfrastruktur, die den Strom für den Antrieb von Fahrzeugen liefert, auf erneuerbare Energien umgestellt werden, um zu vermeiden, dass Elektrofahrzeuge mit Energie aus fossilen Kraftwerken angetrieben werden. Automobile würden dann klimagerechten Ansprüchen genügen, der Treibstoff Strom dagegen wäre weiterhin „schmutzig“. Der umweltbewusste Kunde dürfte insbesondere an der Klimabilanz seines EAutomobils im Vergleich zum Verbrenner interessiert sein, die nach Modellrechnungen sehr positiv ausfällt. Man schätzt, dass ein Automobil bei einer Lebenslaufleistung von 200.000 km bereits bei knapp 50.000 km den Break-even zugunsten des Elektromodells erreicht hat. Nach dieser Rechnung wird der gesamte Lebenszyklus eines Automobils von der Rohstoffexploration, über die Produktion, die Nutzung bis zur Entsorgung einbezogen. Für Hersteller ist die Umstellung von fossilen auf klimagerechtere Antriebe mit einem ungeheuren Kraftakt verbunden (s. nächstes Strukturelement Hersteller), der auch den Support des Staates und anderer Unternehmen, z. B. aus der Energiebranche, benötigt. Der eingeschlagene Transformationspfad ist aufgrund regulatorischer Vorgaben für die Unternehmen unumkehrbar. Die Befriedigung der Erwartungen von Kunden in den Bereichen Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind mit hohen Investitionen und Kosten für Hersteller verbunden, die parallel zu den ohnehin vorherrschenden Themen zu stemmen sind, wie das Managen des laufenden Bestandsgeschäfts. Im Kaiserreich lag die große Herausforderung darin, überhaupt Kunden zu finden. Die Early Adopters waren es, die dem Automobil den Durchbruch ermöglichten. In der Gegenwart liegt die Herausforderung im Erhalten der mittlerweile großen Kundenbasis. Die Aufgabe ist kompliziert, denn die „Majority“ bewegt sich mit Fahrzeugen aus der Verbrennerwelt fort, muss aber zukünftig mit neuen Modellen aus der post-fossilen Welt fahren. Diese neuen Elektroautomobile wiederum benötigen Early Adopters. Die Hersteller müssen daher parallel über viele Jahre zweigleisig agieren. Die „Majority“ muss weiter betreut und darf nicht verärgert werden, damit sie als Kunden irgendwann den Sprung zu einem Elektromodell schaffen und dem Hersteller loyal verbunden bleiben. Gleichzeitig müssen Early Adopters von den Elektromodellen überzeugt sein, um bei einem klassischen Hersteller zu bleiben und nicht zu einem amerikanischen oder chinesischen Anbieter zu wechseln.

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Die historischen Zahlen belegen, dass die Kunden an ihre Hersteller im Land glauben. Der Aufstieg über mehr als 130 Jahren seit dem Jahr 1886 ist von den Kunden möglich gemacht. Das ist ein Pfund, auf dem die Autobauer aufbauen können. Dazu müssen sie allerdings diverse Herausforderungen bewältigen, damit sie die Kunden weiter an sich binden. Beispiele werden in den folgenden Abschnitten angegeben.

10.1.2 Wirkkraft Hersteller Im Grunde sind Unternehmen „Gefäße“, in denen die genialen Ideen und Inventionen von Ingenieuren und Wissenschaftlern Gestalt annehmen, diese zu Innovationen werden, aus denen hervorragende Produkte entstehen, die Menschen Teilhabe am Fortschritt und einem besseren Leben ermöglichen. Ohne Unternehmen gäbe es keinen Massenwohlstand. In diesem Abschnitt wird argumentiert, dass die Anforderungen an Automobilhersteller schon immer enorm gewesen sind. Wurden sie erfolgreich bewältigt, führten sie im Ergebnis zu Wachstum, auskömmlichen Gewinnen und dem sinnstiftenden Gefühl, etwas Gutes für die Menschen zu tun. Tab. 14: Hersteller im Kaiserreich und in der Gegenwart Hersteller Kaiserreich – Unternehmer – Innovatoren und Wegbereiter – Kritischer Faktor Unternehmensführung – Zero Base-Start Automobil – Arbeit am Produkt (Design, Technik, Herstellung) – Basisantrieb: Verbrennungsmotor – Auto im Mittelpunkt: Konzentration auf die Entwicklung – Einzel- und Kleinserienfertigung – Herausforderung Industrialisierung von Prozessen – Überschaubare Belegschaften – Enge Fokussierung auf kaufkräftige Klientel – Kundschaft von Beginn an international, insbesondere in Europa – Konzentration auf die Stakeholder Kunde und Staat (mit Abstrichen)

2020er Jahre – Unternehmensgruppen und Konzerne – Konsolidierer und Transformatoren – Kritischer Faktor Unternehmensführung – Hochentwickeltes Automobil-Niveau – Arbeit am Produkt (Themen wie im Kaiserreich plus Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Batteriebau etc.) – Basisantrieb: Zwei Antriebsformen und Transformation vom Verbrennungs- zum Elektroantrieb – Auto im Mittelpunkt, jedoch viele weitere Themen (organisationale Ambidextrie) – Massenfertigung mit Individualisierungsmöglichkeiten – Herausforderung Automatisierung von Prozessen – Große Belegschaften – Angebotspalette Hoch- bis Niedrigpreissegmente – Globale Märkte

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Hersteller – Limitierender Faktor Finanzierung (laufendes Geschäft, Investitionen, Entwicklung) – Fokus auf das operative Tun – Rolle Zulieferer eher unterstützend und machtloser – Permanenter Kampf ums betriebliche Überleben – Wertschöpfung primär im eigenen Land mit geringer Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten – Rohstofflieferanten primär inländisch mit geringen Einflussmöglichkeiten – Branche: Nischenindustrie im Kaiserreich

– Viele Stakeholder, die auf die Hersteller einwirken – Limitierender Faktor Finanzierung (laufendes Geschäft, Investitionen, F&E) – Fokus auf Unternehmenssteuerung durch Zahlen – Rolle Zulieferer („First Tier“) auf Augenhöhe, manchmal sogar machtvoller und fordernder – Branche sehr erfolgreich, darum Schwierigkeit bei der Transformation – Internationale Wertschöpfung und Lieferketten mit großer Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten – Rohstofflieferanten primär global, insbesondere bei „kritischen“ Rohstoffen, wie Lithium oder Seltene Erden; wird von Lieferländern teilweise rationiert – Branche: Leitindustrie für Deutschland

Reflektiert man einmal die typische Entwicklung eines Unternehmens im Lebenszyklus, erkennt man die Unterschiedlichkeit der Aufgaben, die bewältigt werden müssen. Auch die Autohersteller der Kaiserzeit mussten diesen Zyklus durchlaufen. Am Anfang von Allem stehen Ideen aus denen Innovationen werden. Innovatoren sind häufig Techniker, Ingenieure, Tüftler, die mit ihren Ideen Probleme lösen wollen. Ein Unternehmen dient als Hülle zur Realisierung der Idee. Genauso war es auch am Anfang der Automobilindustrie, in der engagierte Tüftler viele Jahre an der Innovation Automobil feilten und diese dann im Jahr 1886 in den Markt brachten. Sobald eine Innovation im Markt eingeführt war, mussten Kunden gefunden werden, um das Überleben des Betriebs zu ermöglichen (siehe vorhergehendes Kapitel). Parallel dazu musste eine Organisation aufgebaut werden, die vom Einkauf bis zum Vertrieb reibungslos funktionierende Prozesse sicherstellte. Die Führung wurde durch Eigentümer und angestellte Manager gewährleistet. Weitere Aufgaben waren die Rekrutierung von Mitarbeitern und die Errichtung von Produktionskapazitäten. Im Anhang ermöglicht ein Besuchsbericht bei Daimler in Untertürkheim aus dem Jahr 1909 einen Einblick in einen Betrieb aus der Kaiserzeit. Das Unternehmen war bereits gut organisiert und rief Bewunderung bei der Konkurrenz hervor.13 Wachstum ließ das Unternehmen erblühen und erregte das Interesse anderer für das Produkt. Sie stiegen als Konkurrenten in 13 Ein Konkurrent wird mit den Worten zitiert: „Eigentlich ist es mir aus Konkurrenzgründen nicht recht, daß Mercedes so großes Interesse findet. Aber wenn ich aufrichtig sein soll, so inter-

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den Markt ein, denn sie witterten neue Geschäftsmöglichkeiten (siehe nächstes Kapitel). Etablierte Unternehmer waren nun gezwungen, ihre Automobile weiter zu verbessern, um die Konkurrenz auf Abstand zu halten und die Kunden weiter an sich zu binden. Der Innovationsdruck blieb hoch (siehe weiter unten dazu eine Äußerung von Carl Benz). Zulieferer mussten gefunden werden für Teile, die man selbst nicht herstellen konnte (siehe dazu Kapitel 9 über die Schwierigkeiten, die Daimler mit Bosch hatte). Die Kundenbasis musste weiter verbreitert werden, um die mittlerweile hohen Fixkosten zu decken. Mit Wettbewerbern konnte es zu Patentstreitigkeiten kommen, weil das eigene Produkt kopiert wurde (die Unternehmer Daimler und Benz trugen im Jahr 1896 einen Patentstreit wegen eines Motors vor einem Gericht aus). Die Aufmerksamkeit staatlicher Stellen nahm zu und die Regulierung des Automobils begann. Praktischerweise erkannten Regierungsstellen einen Weg, die Steuereinnahmen zu erhöhen und erfanden beispielsweise im Jahr 1906 eine Luxussteuer für Kraftfahrzeuge, die als absatzgefährdend seitens der Hersteller eingeschätzt wurde. Finanzierungsproblemen lasteten auf den Unternehmen, denn sie wuchsen rasch, mussten vieles vorfinanzieren und hatten es mit knausrigen Geldgebern (Banken und Privatinvestoren) zu tun. Zu allem Überfluss wurden interne Machtkämpfe ausgefochten, weil einzelne Personen unterschiedliche Vorstellungen über die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens hatten (auch Gottlieb Daimler und Carl Benz verließen die von ihnen gegründeten Unternehmen im Streit mit anderen Anteilseignern zumindest zeitweise). Dazu gesellten sich noch exogene Schocks, wie Konjunkturkrisen oder schlimmer, der Krieg ab 1914, der die gesamte zivile Industrie zum Erliegen brachte. Es waren typische Meilensteine und Probleme im Wachstumsprozess von Unternehmen, die den Automobilherstellern im Kaiserreich begegneten und die eigentlich in ähnlicher Form alle Unternehmen begleiten. Die Wirkkraft Hersteller, die entscheidend für jedes Produkt ist, läuft Gefahr, aufgrund der Aufgabenvielfalt an Dynamik und Kraft zu verlieren. Aus diesen kurzgefassten Ausführungen lässt sich schlussfolgern, dass viel im Lebenszyklus eines Unternehmens von der Gründung bis zur Entwicklung zu einem Großunternehmen schiefgehen kann. Carl Benz musste zur Verwirklichung seiner Idee, ein selbstfahrendes Auto zu bauen, einen langen Weg beschreiten, der eigentlich schon in seiner Jugend begann. Der Gründung seines Unternehmens ging eine lange Vorlaufzeit voraus.14 Er

essieren mich ihre Berichte (Anm.: Berichte in der Automobil-Zeitung) über die Mercedes-Fabrik immer ganz außerordentlich.“ Allgemeine Automobil-Zeitung, 21. Februar 1909, S. 6 ff. 14 Die folgenden Ausführungen und Originalzitate basieren auf dem Besuchsbericht eines Automobiljournalisten bei Carl Benz in Ladenburg im Jahr 1909. Vgl. Allgemeine Automobil-Zeitung, 28. April 1909, S. 1 ff.

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interessierte sich bereits früh für Lokomotiven und dann später für Maschinen. Mit sechzehn Jahren besuchte er eine polytechnische Schule für Maschinenbau, erlernte dort praktische Fähigkeiten, um mit Mechanik und Maschinen umgehen zu können. Nach Abschluss des Studiums begab er sich in eine Fabrik, um als einfacher Arbeiter am Bau von Lokomotiven mitzuwirken („wir bauten Lokomotiven, also wieder etwas, das mich für den Automobilismus prädestinierte.“). Immer wieder spukte in seinem Kopf die Idee herum, ein selbstbewegliches Fahrzeug zu konstruieren („ich konnte tagelang meinem Lieblingsgedanken nachhängen und mir die Seligkeit ausmalen, die darin bestände, einen Wagen zu haben ohne Pferde, dessen Motor das Fahrzeug über die Straße trieb, ohne daß der Lenker mehr zu machen brauchte, als eben zu lenken.“). Das Aussehen eines Automobils orientierte sich in seinem Geiste am Aussehen eines Pferdespänners („ich ging, wie dies wohl jeder andere getan hätte, von den normalen pferdebespannten Wagen aus.“). Konkret wurden seine Ideen zur Umsetzung eines Fahrzeugs im Jahr 1867 als ihm ein Freund ein Velociped (Fahrrad) zu Testzwecken zur Verfügung stellte, mit welchem er pferdelos mit eigener Kraftanstrengung eine Strecke zurücklegen konnte. Dieses Erlebnis inspirierte ihn, sich wieder mit der Vision eines pferdelosen Vehikels zu beschäftigen. Im Jahr 1871 gründete er in Mannheim eine Werkstatt, die Gasmotoren baute. Es dauerte dann noch bis zum Jahr 1885, in dem er aktiv in den Bau eines Automobils einstieg. Sein erstes Automobil war dreirädrig, was Benz selbst Jahre später als „Kuriosität“ bezeichnete (s. Abb. in Kapitel 1). Benz schilderte die Mühen, um etwas Derartiges überhaupt auf die Beine zu stellen: Die Konstrukteure von heute haben auch nicht die entfernteste Vorstellung davon, wieviel Schwierigkeiten damals zu überwinden waren; heute sind ja alle Organe gewissermaßen gegeben, man hat sie nur zusammenzufügen. Aber damals musste alles von Grund auf konstruiert werden. Fragen, deren Lösung heute gar keine Schwierigkeiten mehr bereiten würden, müssten damals durchdacht und durchgerechnet werden. Um nur ein kleines Beispiel zu nennen. Ich ging von der theoretisch richtigen Idee aus, das Schwungrad des Motors müsste horizontal liegen, denn ich war der festen Überzeugung, dass ein in vertikaler Richtung rotierendes Schwungrad so viel Beharrungsvermögen haben müsste, dass ein solches Automobil nur schwer lenkbar sein könne. Dies ist auch die Ursache, warum ich bei meinem ersten Automobil ein horizontales Schwungrad verwendete. Ich hatte das Fahrzeug dreiräderig gebaut, um das Problem der Lenkung zu vereinfachen.

Diese Schilderungen lassen erahnen, dass der Beginn als Erfinder und Konstrukteur ein sehr mühseliges Unterfangen ist. Man startet auf der grünen Wiese mit einem unbeschriebenen Blatt Papier. Idee, Konzept, Konstruktion, Prototyp bis zum ersten Automobil sind langwierige und mit Rückschlägen verbundene Schritt für Schritt-Entwicklungen. Die Herausforderung bei Benz und den anderen Autobauern jener Zeit lag eindeutig auf der Entwicklung und dem Erarbeiten von Fä-

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higkeiten, um ein fahrtüchtiges Automobil zu produzieren. Benz war nie fertig. Jahr für Jahr wurden von ihm neue Fahrzeuge auf den Markt gebracht, die besser als ihre Vorgänger waren. Das „Dreirad“ wurde von einem vierrädrigen Automobil abgelöst. Zweisitzer-Fahrzeuge wurden durch Viersitzer ersetzt. Das Schwungrad wurde vertikal angeordnet, die Motoren wurden stärker, die Geschwindigkeit erhöhte sich. Mit attraktiveren Modellen wurden Kunden gewonnen („[…]und so bequemten wir uns, dem Zuge der Zeit folgend, zu immer neuen Typen.“). Laut Benz war das Geschäft von Beginn an international mit Käufern in Frankreich (Emil Roger), England, den USA und Österreich. Das war seine Rettung, denn das nationale Geschäft war anfangs erfolglos. Der Kampf um das Überleben seines Unternehmens war Benz ein ständiger Begleiter. Die Situation war zeitweise so kritisch, dass sein erster Unternehmenspartner aus Angst weiter Geld zu verlieren, aus der Firma ausschied. Mit mehr Geschäft wurde das Unternehmen größer und Benz wurde durch den Bau einer Produktionsstätte zum Fabrikanten. Benz sah sein Lebenswerk im Jahr 1909 wie folgt: „Meine Arbeit war aber bereits getan, ich habe das erste fahrbare Benzinautomobil gebaut, ich habe der Fabrikation die Wege geebnet, die Fortsetzung habe ich den jüngeren Kräften überlassen und die neue schöne, große Fabrik bei Mannheim hat heute nur noch den Namen von mir.“15 Bis in die heutige Gegenwart schwebt das Damoklesschwert Kampf ums Überleben über den Unternehmen. Es müssen nach wie vor die gleichen Herausforderungen wie beim alten Benz bewältigt werden. Kundengewinnung, Exportgeschäft, ständige Verbesserung am Produkt, neue Modelle, der Bau der Fahrzeuge in Fabriken und vieles mehr. Der Unterschied ist natürlich, dass in der Gegenwart diese Herausforderungen um ein Vielfaches größer, komplexer und komplizierter sind als damals. Weiterhin gibt es zusätzliche Aufgaben, die es zu bewältigen gilt, wie die Abhängigkeit von Rohstofflieferanten, das Managen von internationalen Wertschöpfungs- und Logistikketten oder die Aneignung neuer Fähigkeiten im ITSektor. Auch erscheint die Gruppe der Stakeholder größer und schwieriger zu handhaben. Beispielsweise sind die Unternehmen völlig hilflos den geopolitischen Ambitionen diverser Staaten ausgeliefert, die auch auf dem Feld der Wirtschaft unheilvolle Wirkungen entfalten können. Es geht um viel. Waren die Hersteller der Kaiserzeit noch mittelständisch geprägt, handelt es sich heute um multinationale Unternehmen. Die Branchendimension lässt sich mit einigen quantitativen Eckdaten beschreiben. Die Zahlen sind gewaltig und damit die Verantwortung der Hersteller. Die deutsche Automobilindustrie produziert weltweit jährlich bis zu 14 Millionen Fahrzeuge, Sie beschäftigte im Jahr 2021 786.000 Menschen in Deutschland und weltweit etwa 1,7 15 Allgemeine Automobil-Zeitung, 28. April 1909, S. 7.

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Millionen. Die Branche erzielte im Jahr 2021 einen weltweiten Umsatz von knapp 400 Mrd. Euro. Die jährlichen Investitionen allein im Inland lagen bei mehr als 100 Mrd. Euro. Weiterhin wurden knapp 25 Mrd. Euro in Forschung und Entwicklung gesteckt.16 Die Börsenwerte (VW, Porsche, BMW, Mercedes-Benz) pendeln um einen Wert von kumulierten 300 Mrd. Euro. Um diese Größenordnungen nicht zu gefährden, sind professionelle Teams notwendig, die die teils riesigen Unternehmen managen und die hoffentlich richtigen Entscheidungen treffen. Gute Unternehmensführung ist genauso wichtig, wie die Fähigkeit, ein gutes Automobil zu bauen. Hier kommt es besonders auf die führenden Automobilhersteller Mercedes, BMW und VW an, deren Erfolge oder Misserfolge auf die Branche ausstrahlen. Gelegentlich werden Automobilproduzenten despektierlich als „Blechbieger“ bezeichnet, was mit der Realität der Fähigkeiten zum Automobilbau wenig zu tun hat. Ein Hersteller verfügt über enorme industrielle und technische Fähigkeiten, um Fahrzeuge zu produzieren. Zu den Mühen der Ebene gehören die permanente Verbesserung und Optimierung unzähliger Stellschrauben am Automobil und in den Prozessen. Die Markteintrittshürden sind hoch, denn wer kann schon als Newcomer ein Automobil in seiner Komplexität bauen? Natürlich erscheint es „cool“, wenn ein IT-Technologiekonzern seine Fähigkeiten auf das Automobil überträgt und über smarte, datengenerierende Fahrzeuge philosophiert. Wer kennt nicht diesen „Wow“-Effekt, wenn man am Bildschirm ein Wunschziel eintippt und in Echtzeit die Strecke angezeigt bekommt auf einem Display, welches mit seinen Anzeigen an das Cockpit einer Passagiermaschine erinnert. Aber handelt es sich nicht nur um eine neue Fähigkeit, die Automobilhersteller in ihre Fahrzeuge integrieren können, so wie vielleicht früher einmal einen Airbag, eine im Fahrzeug eingebaute Musikanlage oder ein ABS-System, die heute zur Serienausstattung gehören, aber einstmals coole Innovationen waren? Wird deshalb ein IT-Konzern zum Automobilhersteller geadelt, weil er einige spektakuläre Fähigkeiten besitzt, die ein Automobil smarter machen würden und er sich sein Fahrzeug bei einem Auftragsfertiger produzieren lässt? Sind zudem diese digitalen Techniken so wichtig, dass sie auf dem Wunschzettel der Mehrheit der Kunden stehen? Priorisieren sie diese IT-Nutzenzuwächse oder handelt es sich eher um einen technischen Hype? Viele Autofahrer fahren kurze Strecken auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen. Sie verbringen wenig Zeit im Auto. Welcher genuine Nutzen kann in dieser Zeitspanne für den Fahrer erzielt werden? Oder steht der Mehrwert für den Hersteller im Vordergrund, der über einen wertvollen Datenschatz verfügen würde? Diese Fragen und Aussagen bedeuten keinesfalls die Empfehlung, auf diese Techniken zu verzichten – sie müs16 VDA (2022).

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sen verfügbar sein, allein um technische Fähigkeiten zu demonstrieren, damit man auf Augenhöhe mit Konkurrenten steht und Kunden diese Kompetenz anbietet, die sich sonst abwenden könnten – aber die Empfehlung, besonnen mit dem Thema umzugehen und nicht vor Technologiekonzernen, die Autohersteller werden wollen, in Angst zu erstarren. Die Digitalisierung im Automobil ist wahrscheinlich an anderen Stellen im Fahrzeug wichtiger als ein visuell ansprechendes Display. IT-Architekturen zur digitalen Steuerung von Fahrzeugen (u. a. Betriebssystem und Middleware), Computer-Chips für Sensorik und Displays, Antriebselektronik und andere Themen der Software-Entwicklung sind nicht sichtbar, aber wichtige automobile Zukunftsthemen. Hier erscheinen die Fähigkeiten der Automobilhersteller ausbaubar, was angesichts knapper IT-Kräfte eine kritische Herausforderung ist. Auch das Thema autonomes Fahren ist oben auf der Agenda von Automobilherstellern. Die Technik ist noch nicht so weit, dass vollkommen autonom fahrende Fahrzeuge (Level 4 und 5) für den Straßenverkehr zugelassen sind, gleichwohl die Kompetenzen teilweise schon sehr weit entwickelt sind.17 Als Marktführer auf diesem Feld wird die US-Firma Waymo gehandelt, eine Tochter von Alphabet/Google. Die deutschen Hersteller sind ebenfalls bei der Entwicklung dabei und werden im Mittelfeld verortet. Vermutlich sind andere technische Fähigkeiten entscheidender für die Zukunft eines Herstellers, als ein „fahrendes Smartphone“ zu fertigen. Die Produzenten müssen in großer Stückzahl Elektrofahrzeuge bauen. Die Fähigkeiten sind vorhanden. Die Hersteller bieten mittlerweile eine interessante Palette an Elektroautos an und haben neue Modelle angekündigt. Im Jahr 2021 wurden knapp 600 Tausend Elektroautos von deutschen Herstellern weltweit verkauft, für das Jahr 2022 wird wahrscheinlich die Millionengrenze touchiert. Die Anzahl ist klein, gemessen am Gesamtabsatz, aber eine Skalierung wird in den nächsten Jahren erreicht werden. Die größten Herausforderungen für Automobilproduzenten liegen vermutlich außerhalb ihres direkten Einflussbereichs. Limitierende Einflussfaktoren sind das nicht gut ausgebaute Ladesäulennetz im Land, die Abhängigkeit von asiatischen Batterielieferanten, Risiken bei der Rohstoffversorgung (z. B. Lithium) und technischen Gütern (z. B. Siliziumcarbid-Chips). Erschwerend dürften Probleme für eine zukünftige stabile Stromversorgung hinzukommen, denn die Energienetze stoßen

17 Level 3-Fahrzeuge sind seit dem Jahr 2021 erlaubt. Sie erlauben beispielsweise das Fahren längerer Strecken ohne Lenkradsteuerung durch den Fahrer. Der Fahrer ist noch voll verantwortlich. Level 4-Fahrzeuge sind für eng umfasste Situationen zulässig, so etwa seit 2019 für Mercedes im Mercedes-Benz-Museum Stuttgart zu Testzwecken und seit dem 30.11.2022 für Mercedes in Parkhäuser.

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an ihre Belastungsgrenzen durch neue Verbraucher (Elektromobile) und Anbieter (Photovoltaikanlagen). Um diese abzumildern sind massive Investitionen in die Netz-Infrastruktur notwendig. Weiterhin geben Markteingriffe von Staaten die Richtung zukünftiger Mobilität vor, durch die Investitionen in den Bau von klimagerechten Fahrzeugen umgelenkt werden. Der VDA weist darauf hin, dass für 15 Millionen Elektrofahrzeuge, die als Zielmarke für das Jahr 2030 angestrebt sind, 1 Million öffentliche Ladepunkte landesweit notwendig sind. Mitte 2022 waren etwa 62.000 Ladepunkte vorhanden. Ausgehend von dieser Basis und dem aktuellen Errichtungstempo von neuen Ladepunkten, würde das Ziel weit verfehlt werden. Der VDA verlangt eine Versechsfachung des aktuellen Tempos.18 Die Top 10-Batteriehersteller für Automobile sitzen in den Ländern China, Südkorea und Japan. Sie verfügen über knapp 90 % der Weltmarktanteile. Allein China verzeichnet einen Marktanteil von 50 %. Betrachtet man eine Batterie im Automobil wie andere Komponenten („commodities“), gibt es vordergründlich kein Problem, denn Global Sourcing ist in der Branche üblich. Ob diese Einkaufsstrategie klug ist, muss hinterfragt werden, denn die Batterie ist Kernstück eines Elektroautos. Es ist immer problematisch, wenn Kernkompetenzen an andere abgetreten werden. Sie führen in Abhängigkeiten, die Unternehmen schwächen könnten. Wie später bei der Wirkkraft Wettbewerb gezeigt wird, waren es gerade die Hersteller mit ihren technischen Kernkompetenzen (z. B. im Motorenbau), die das Aussieben vieler Konkurrenten unter den Automobilfirmen der Kaiserzeit überlebten. Andere, die sich im Lizenzbau versuchten oder aus gänzlich fremden Branchen kamen, waren dem Untergang geweiht. China plant mittelfristig in der Automobilbranche die Führung zu übernehmen. Bei der Verbrennertechnologie hätte die chinesische Konkurrenz vermutlich geringe Chancen gehabt, da der deutsche Automobilbau und sein Zulieferernetzwerk seit mehr als 120 Jahren diesen Bereich optimieren. Bei Batterieantrieben dagegen werden die Karten neu gemischt („Leapfrogging“). Hier verfügt China über Rohstoffe, Batteriehersteller, eine gute Herstellerbasis von Autounternehmen und natürlich den chinesischen Markt.19 Wenn die chinesische Regierung eines Tages beschließen sollte, den westlichen Herstellern Schwierigkeiten zu bereiten, hätte sie ausreichend Stellschrauben zur Verfügung. Um ein solches Szenario nicht eintreten zu lassen, müssen in Europa Kompetenzen zum Batteriebau aufgebaut wer-

18 VDA (2022), S. 88 ff. 19 China verfolgt einen langfristigen Plan, um zu einem führenden Industrieland aufzusteigen, Eine der Kerntechnologien ist der Batteriebau, der im Kernsektor Elektroequipment (inkl. Elektroautomobile) Anwendungen findet. Deutschland gilt als wichtigster europäischer Partner, um China zu helfen. Vgl. Analyse der US Chamber of Commerce (2017).

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den (Insourcing). Das wird mittlerweile von Entscheidern aus Wirtschaft und Politik genauso gesehen und entschlossen umgesetzt. Laut einer aktuellen Studie sind mehr als 50 Projekte in Planung, durch die in Europa Batteriekapazitäten errichtet werden sollen. Bis zum Jahr 2030 sollen Kapazitäten von bis zu 1,8 TWh entstehen.20 Wie die o. a. Tabelle belegt, hatten Hersteller mit vielen Herausforderungen und Problemen zu kämpfen. Im Kaiserreich mussten die Automobilunternehmer sich mit den Tücken der Kraftfahrzeugtechnik auseinandersetzen, die mehr oder weniger von null gestartet war und sich dann mühselig entwickelte. Benz beschrieb einmal seinen Stolz, den er fühlte, weil es ihm gelang, seine ersten Automobile so zu konstruieren, dass alle Teile für den Mechaniker leicht zugänglich waren. Das war nötig, denn es erfolgten permanente Verbesserungen an allen Teilen eines Automobils (Motor, Vergaser, Ventile, Kühlung, Bremsen, Reifen, Chassis. Zündung, Beleuchtung, Signalgebung, Design und Interieur für die Kundschaft u. v. m.) Die Kraftfahrzeugtechnik im Kaiserreich entwickelte sich spektakulär rasch.21 Weitere Herausforderungen entstammten dem Automobilbau, der durch aufwendige Einzel- und Kleinserienfertigung geprägt war. Neu für Tüftler wie Benz und Daimler war ferner die Pflicht zur Kundengewinnung. Ohne Kunden drohte die Insolvenz. Tatsächlich gab es auch immer wieder Finanzierungsprobleme bei den beiden genannten Unternehmern. Wie die Darstellung der heutigen Situation belegt, sind die Herausforderungen, die Hersteller zu bewältigen haben, um einige Dimensionen größer. Ein äußerst komplexes Produkt, eine weltweit verteilte große Kundschaft, viele Stakeholder mit diversen Interessen, Wettbewerber aus anderen Branchen, der durch den Klimawandel erzwungene Umbau der Unternehmen auf Automobile mit neuen Antriebsformen, limitierende Faktoren, die die Wachstumsbestrebungen der Hersteller hemmen könnten und eine Politisierung und Moralisierung der Branche durch Gruppen aus Staat und Gesellschaft. Der kritische Faktor zur Bewältigung und zum Managen dieser Herausforderungen beruht auf einer guten Unternehmensführung. Sie war im Kaiserreich entscheidend und sie ist es bis heute. Dazu gehören selbstredend handwerkliche Fähigkeiten zur Unternehmensführung, wie sie beispielsweise in einschlägigen Lehrbüchern beschrieben werden.22 Wichtiger sind vielleicht Haltungen und Eigenschaften, um die Unternehmen in der Spur zu halten. Beispielhaft seien genannt:

20 Transport & Environment (2023), S. 11. 21 S. Kirchberg (2021), 18 ff. 22 Vgl.bsplw.Dillerup, Stoi (2022): Unternehmensführung (6. Aufl.), Vahlen, München.

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Mut zum Handeln Langer Atem und langfristiges Denken Abbau von Denkblockaden Anpassungsfähigkeit Pragmatismus Ambiguitätstoleranz Neben Evolution auch Zulassen von Revolution

Optimismus, also die Überzeugung, dass sich alles zum Guten fügen werde, ebenfalls eine wichtige Eigenschaft, wird im Abschnitt über die Wirkkraft Gesellschaft erläutert. Mut zum Handeln Die frühe Automobilgeschichte und die Industriegeschichte des Kaiserreichs war bevölkert von Pionieren, die sich ihren Herausforderungen gestellt und mit Tatkraft ihre Unternehmen entwickelt haben. Immerhin hat es knapp 230 Automobilunternehmen gegeben, die in der Frühzeit der Industrie ihr Glück in dieser Branche suchten. Darunter „reinrassige“ Automobilhersteller wie Daimler und Benz, aber auch Exoten wie der bereits vorgestellte Musikinstrumentenhersteller Polyphon oder der Nähmaschinenfabrikant Dürkopp. Mut zum Handeln und Wagnisse eingehen, ist gerade in Krisenzeiten gefragt, wenn Dinge instabil sind. Zu vermeiden gilt es die in schwierigen Zeiten zu beobachtende Tendenz zur Regression, also kein tatkräftiges Anpacken der Probleme, sondern ein Lavieren und eine gewisse geschäftige Inaktivität, verbunden mit einer ausgeprägten Risikoaversion. Die Unternehmer der Kaiserzeit entwickelten tatkräftig ihre Firmen mit dem Bewusstsein, an einem großen Projekt beteiligt zu sein: der Erringung des ersten Platzes ihres Landes unter den Industrienationen. Heute ist man bereits vorne dabei im Konzert der Industrienationen, eine komfortable Situation, die verteidigt werden muss. Andere Länder wollen ebenfalls einen der vorderen Plätze einnehmen und kämpfen mit entsprechend harten Bandagen. Diese Überzeugung prägt den Blick der Verantwortlichen in den Unternehmen und kann zu Unsicherheit führen. Um dieses unruhige Fahrwasser zu bewältigen, benötigt man einen klugen Organisationswandel und einen gewissen Typus Chef an der Unternehmensspitze, der oder die nicht nur zahlengesteuert ist, sondern auch zu inspirieren versteht und die Mitarbeiter mitnimmt. Die Automobilindustrie scheint sich in eine positive Richtung zu entwickeln mit mutigen CEOs, die Änderungen initiieren. Neben dem klaren Bekenntnis zum Elektroautomobil werden mit großem Mut weit in die Zukunft reichende Entscheidungen getroffen, wie Investitionen in Batteriefabriken und Ladesäulennetze. Ein wichtiger

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Unterschied zwischen den früheren Unternehmern und heutigen Managern: Damals war es leichter zu führen und Entscheidungen zu treffen. Eine Person stand einer überschaubaren Organisation vor und hatte es einfacher, Anweisungen zu erteilen und zu handeln. Ein Manager in der Gegenwart agiert in einer überaus komplexen Umwelt, die das aktive Tun erschwert. Langer Atem und langfristiges Denken Eng verbunden mit dem Mut zum Handeln sind die Tugenden des langen Atems und des langfristigen Denkens. Man muss sich die Dinge entwickeln lassen und benötigt einen strategischen Blick auf das eigene Unternehmen. Das ist schwer, denn es gibt konfligierende Interessen zwischen dem Zeiteinsatz für das Tagesgeschäft und der Langfristorientierung. Die operative Dringlichkeit im täglichen Geschäft kann zu Lasten der strategischen Führung gehen, die sich um die langfristige Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zu kümmern hat. Trotzdem braucht es den strategischen Blick auf langfristige Entwicklungslinien, die man verfolgt. Im Rückblick erscheint die Automobilbranche als langfristorientiert. Sie erarbeitete sich auf einem jahrzehntelangen Weg eine führende Position. Cum grano salis muss jedoch eingewendet werden, dass kaum jemand diese Entwicklung visionär vorweggenommen hatte und dass sie dann aktiv verfolgt wurde. Dazu gab es zu viele unterschiedliche Entwicklungen, Wegscheiden und Fehlentscheidungen. Die Automobil-Pionierunternehmer der Frühzeit hatten dieses langfristige Denken bis auf wenige Ausnahmen vermutlich nicht. Vieles erschien eher improvisiert. Sie probierten Dinge aus und schauten, was passiert. Die Entwicklung des Automobils mäanderte sich den Weg in eine Zukunft, von der man nur hoffen konnte, dass sie gut sein würde. Auch kämpften Autohersteller immer wieder um ihr Überleben, sei es, weil es die Nachfrage nicht da war oder einbrach, oder weil neue Wettbewerber auf den Markt drängten. Exogene Schocks wie der Eintritt in den 1. Weltkrieg taten ihr Übriges. Dennoch bleibt es notwendig, strategisch zu denken und zu agieren, um das eigene Unternehmen langfristig erfolgreich auszurichten. Ein Kardinalfehler war sicherlich, dass sich die Automobilbauer der Kaiserzeit mit ihrer Fokussierungsstrategie in einer Sackgasse befanden. Danach setzten sie auf eine eher zahlungskräftige Klientel, die ihrer Zahl nach natürlich begrenzt war. Wahrscheinlich hatten sie zu Beginn keine Alternative zur teuren Einzelfertigung, um überhaupt ihre Unternehmen starten zu können. Aber sie verharrten in diesem Modus. Sie kamen aus ihrer Denkblockade nicht heraus (s. dieses Stichwort weiter unten), da sie entweder handwerklich geprägt war („Einzelfertigung“) oder aus anderen Industrien kamen und ihr Wissen von dort mitnahmen (z. B. aus dem Maschinenbau) und auf den Automobilbau anwandten. Henry Ford im fer-

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nen Amerika dagegen hatte eine Vision, die ihrem Charakter nach immer langfristig ist. Er wollte das Auto für jedermann mit günstigen Automobilen erreichen und erfand die Massenfertigung für die Automobilindustrie, die billige Wagen ermöglichte. Er bewies einen langen Atem und langfristiges Denken und formte damit eine Branche. Heute gibt es wieder jemanden im fernen Amerika, der ähnlich langfristig denkt: es handelt sich um den Südafrikaner Elon Musk, der die Elektromobilität voranbringt. Ohne ihn gäbe es vermutlich die Elektroauto-Revolution (noch) nicht. Anfangs verlacht, eifert man ihm jetzt nach, gerade auch in Deutschland. Die deutschen Hersteller haben ihren Kurs korrigiert und nehmen den Wettbewerb mit amerikanischen und asiatischen Wettbewerbern auf, die im Batteriebau überlegen sind. Für die deutschen Hersteller spricht, dass sie temporäre Rückstand immer wettgemacht haben. Beispielsweise war eine Folgewirkung des ersten Weltkriegs die Zerstörung einer prosperierenden Automobilindustrie. Es dauerte Jahrzehnte bis zur vollständigen Erholung. Das Denken in langfristigen Entwicklungslinien hält Unternehmen auf dem richtigen Pfad. Abbau von Denkblockaden Wer führend bei Innovationen und Treiber von Entwicklungen sein will, muss offen für die Zukunft sein. Wer dagegen bei allen möglichen Zukunftstechnologien bereits „weiß“, warum diese falsch oder gefährlich sind, wird nicht gestalten, sondern versuchen, Entwicklungen zu behindern oder zu verbieten. Fast alles, was neu ist, wird schon vor der Einführung als unpraktikabel hingestellt. Wer so denkt, hat keine Idee von Fortschritt oder gestaltet sich gedanklich die Welt, wie er sie gern hätte, unabhängig davon, ob das realistisch ist. Im Ergebnis führt das zu Fehlentscheidungen und Entwicklungspfaden, die sich als Sackgasse entpuppen können. Ein Beispiel: Gleichzeitiger Ausstieg aus Atom- und Kohleenergieerzeugung. Reihenfolge und Zeitpunkte waren nach Meinung in- und ausländischer Beobachter nicht optimal gewählt. Wer das infrage stellt, gilt als „Ewiggestriger“. Die getroffenen Entscheidungen gelten als kategorisch und unumkehrbar. Interessant nur, dass die Welt um Deutschland herum das komplett anders sieht. Jetzt droht die Gefahr, dass der Ausstieg aus der klassischen Energieerzeugung nicht rasch genug durch den Aufbau notwendiger Kapazitäten aus erneuerbaren Energien kompensiert werden wird. Eine Folge könnte ein instabiles Energienetz sein. Man kann viele weitere Denkblockaden aus der Automobilbranche oder anderen Bereichen anführen, wie die Skepsis von Technologieoffenheit bei der Mobilität, die Skepsis gegenüber der Verwertung von Daten aus Gründen des Daten-

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schutzes oder Sorgen gegenüber der Beschleunigung von Infrastrukturprojekten, die aktuell unter absurd langen Genehmigungsverfahren zu leiden haben. Denkblockaden können im Ergebnis dazu führen, dass der Wirtschaft Fesseln angelegt werden, weil bestimmte Entwicklungen nicht erwünscht sind. Sie sind kein exklusives Problem von Politik und Gesellschaft, sondern können auch in den Unternehmen selbst vorherrschen. Denkblockaden entstehen aus einem übertriebenen Sicherheitsbedürfnis und einem übersteigerten Überlegenheitsgefühl einiger Bürger, die überzeugt sind, bereits die richtigen Antworten zu kennen. Wer so denkt – egal ob in Politik oder Wirtschaft – ist kaum zu Kurskorrekturen fähig und entwickelt sich zu einem „jakobinisch“ handelnden Menschen, der in seinem Eifer andere Ideen und Meinungen ignoriert, negiert oder unterdrückt. Erschwerend kommt hinzu, dass einige Menschen sich mit anderen Gleichgesinnten über soziale Medien zusammenzuschließen und gemeinsam gegen eine bestimmte Sache empören. Fehlen Argumente wird die Moral als Substitut herangezogen und als moderner Pranger missbraucht. Als Unternehmen oder als Einzelperson ist man diesen Aufwallungen häufig hilflos ausgeliefert. Eine negative Folgewirkung könnte sein, dass Politiker die Stimmungslage dieser Empörten aufnehmen und in politische Entscheidungsprozesse kanalisieren. Dieses könnte in einen Kurs münden, der Unternehmen oder sogar einem ganzen Land schadet. Unternehmen reagieren mit Resignation oder sie stellen ganz nüchtern rationale Kosten-Nutzen-Überlegungen an, die zu Unternehmensentscheidungen führen, geplante Investitionen an außereuropäischen Standorten zu realisieren. Mehr Verantwortungsethik wagen und Gesinnungsethik abdämpfen, könnte ein Appell sein, der einen sachlichen Blick auf Situationen ermöglicht. Der Verantwortungsethiker nach Max Weber handelt pragmatisch, orientiert sich an der Realität, ist sich seines Handelns bewusst, weiß um Defizite und manchmal schmerzhafte Kompromisse, die er eingeht, aber versucht im ethischen Sinne richtig und gut zu handeln. Der Gesinnungsethiker in der Tradition von Immanuel Kant hält kompromisslos an seinen Motiven fest und handelt ggf. gar nicht, weil er seine Position nicht durchsetzen kann. Der Gesinnungsethiker hat einen hohen Anspruch an seine Prinzipien und wird nicht handeln, wenn er diese verletzt sieht. Bei diesem Punkt ist ein Unterschied zur Kaiserzeit auszumachen: Dort gab es weniger Denkblockaden, es wurde gemacht, experimentiert, ausprobiert und verworfen, wenn es falsch war. Sicher auch nicht immer der richtige Ansatz, aber vielversprechender, als sich mit Denkblockaden selbst zu fesseln. Die Erfindung eines Automobils ist ein Musterbeispiel für die Überwindung von Denkblockaden. Jahrtausende hatten sich Menschen nur mit Hilfe des Pferds rascher bewegen können, sei es als Reiter oder als Mitfahrender auf einem Karren oder in einer Kutsche. Autonom sich bewegende Fahrzeuge waren schlicht un-

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denkbar. Dann ermöglichten technische Innovationen und pfiffige Ingenieure die Entwicklung des Automobils. Es verwundert nicht, dass dem Automobil anfangs so viel Feindschaft entgegenschlug, weil es das Erfassungsvermögen der meisten Menschen überforderte. Anpassungsfähigkeit Unter Anpassungsfähigkeit versteht man die Fähigkeit, auf neue Probleme und Situationen angemessen und rasch zu reagieren. Man muss eine gewisse Flexibilität mitbringen, um auf ständige Veränderungen reagieren zu können. Unternehmen sind mittlerweile in einem Dauermodus der Anpassungsfähigkeit, der seit dem Jahr 2008 durch gravierende Krisen notwendig geworden war. Finanzkrise, Staatenverschuldenskrise, Zollauseinandersetzungen mit den USA, Corona-Pandemie, Probleme mit den Lieferketten, Ukraine-Krieg, hohe Inflation und die alles überlagernde Klimakrise können beispielhaft angeführt werden. Diese Krisen hatten und haben gravierende Auswirkungen auf die Unternehmen: wegbrechende Absatzmärkte, Abschreibungen auf ausländische Tochtergesellschaften und Kredite, explodierende Beschaffungskosten, teilweise empfindliche Verluste. Unternehmen müssen sich permanent anpassen, um zu überleben. Das macht es schwer, die weiter oben genannten Themen wie langfristiges Denken zu kultivieren. Andererseits helfen die Erfahrungen aus diversen überstandenen Krisen, resilienter zu werden und stärken den Mut zum Handeln, denn der ist Voraussetzung, um als Unternehmen durch Anpassung zu überleben. Für die Automobilhersteller der Kaiserzeit gehörte Anpassungsfähigkeit zum Geschäftsmodell. Die ersten Fahrzeuge orientierten sich dem Aussehen nach an Pferdekutschen. Diese Phase war rasch überwunden. Auch die Frage des Antriebs war zu Beginn noch nicht entschieden. Damals hätte sich, wie bereits erwähnt, auch der Elektromotor durchsetzen können. Die Technik des Automobils entwickelte sich permanent weiter. Relativ rasch konnten Automobilbesitzer ohne technikversierte Chauffeure ihre Fahrzeuge steuern oder dank der Erfindung des Anlassers auf handgetriebene Kurbeln verzichten. Die Fahrzeuge wurden schneller, sicherer, komfortabler und günstiger. Die Unternehmen mussten permanent Anpassungsleistungen erbringen, um mit dem technischen Fortschritt mitzuhalten. Pragmatismus Pragmatismus bedeutet Probleme lösungs- und handlungsorientiert anzugehen. Ein pragmatischer Mensch sucht nicht nach Regeln oder Vorschriften, um ein Problem zu lösen, sondern nach Ideen und Wegen, um es zu lösen. Bedauerlicherweise leiden die heutigen Unternehmen an zu vielen Regeln, die sie beachten müssen. Pragmatismus hat nur noch wenig Chancen, denn man

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könnte gegen ein Gesetz oder eine Verordnung verstoßen. Es ist ein Armutszeugnis, dass Vorstände wichtige Entscheidungen von großer Tragweite nur noch treffen, wenn sie dazu vorher rechtliche Gutachten eingeholt haben, um sich nicht haftbar zu machen. Wie soll man noch klar und entschlossen handeln, wenn man befürchten muss, verklagt zu werden oder den Job zu verlieren? Jede einzelne Regel mag gute Absichten verfolgen und hatte wahrscheinlich ihre Berechtigung, um irgendein Problem oder Defizit zu lösen. Im Ergebnis sind jedoch Unternehmen unzählige Fesseln angelegt worden, die sie in ihrer Entwicklung behindern. Mit einer Regulierungsoffensive werden keine neuen Märkte oder Einzelunternehmen geschaffen. Es wird immer wieder bedauert, dass es in Europa nicht mehr gelingt, einen IT-Champion à la Google oder Microsoft zu entwickeln. Sicher lassen sich diverse Gründe anführen. Dabei wäre sicher auch das Regelwerk, welches IT-Unternehmen durch (Datenschutz-) Verordnungen derart stark reguliert, dass man sein Gründungsvorhaben aufgibt oder es direkt in den USA startet. Politiker und Regulierer mögen das anders sehen, aber entscheidend sind die Ergebnisse. Das letzte und einzige IT-Unternehmen von Weltbedeutung aus Deutschland ist SAP mit dem Gründungsjahr 1972. Was ist danach noch alles aus den USA oder China gekommen. Ambiguitätstoleranz Darunter versteht man die Fähigkeit, Widersprüchlichkeiten, Mehrdeutigkeiten oder Unklarheiten auszuhalten. Unternehmen sind mit vielen Sachverhalten konfrontiert, die sich widersprechen und die sie trotzdem gleichzeitig realisieren müssen. Beispiele: Unternehmen sollen stärker in Innovationen investieren, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Gleichzeitig soll das Risikomanagement ausgebaut werden, um Risiken besser zu beherrschen. Innovationen erfordern Wagemut („Risiko“), Risikomanagement eher das Gegenteil. Mitarbeiter fordern vermehrt eigene Spielräume in ihrer Arbeit, wollen aber gleichzeitig Leadership sehen. Unternehmen müssen Gewinne erzielen, um langfristig zu überleben, sollen aber gleichzeitig hohe Aufwendungen für Umweltschutz, Nachhaltigkeit und sozialen Wohltaten in Kauf nehmen. Die Entscheidungsqualität in den Unternehmen soll besser werden, allerdings in einer Unternehmensumwelt mit steigender Dynamik bei gleichzeitig kürzer werdenden Reaktionszeiten der Führungskräfte. Zielkonflikte und Spannungsfelder existieren in großer Zahl. Ambiguitätstoleranz ist wichtig für Manager, um mit den Spannungsfeldern umzugehen. Die Unternehmer der Kaiserzeit hatten ebenfalls große Probleme zu bewältigen, allerdings waren diese weniger komplex und vermutlich leichter zu

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lösen, da diese Zeiten weniger bürokratisch, gemächlicher und pragmatischer waren. Ambiguitätstoleranz war damals eine weniger notwendige Tugend. Neben Evolution auch Zulassen von Revolution Die Fähigkeit zur Innovation in der Automobilindustrie und anderen Branchen bedeutet auch, diese zu erlauben. Nicht nur die inkrementelle Verbesserung am bestehenden Produkt oder Prozessen („Evolution“), sondern auch der Mut, über grundlegende Veränderungen nachzudenken („Revolution“) gehören dazu. Wer eine gute Idee hat, sollte sie ausprobieren können, auch, wenn nicht immer klar ist, ob diese Innovation sinnvoll ist. Leider gibt es immer sofort eine Kakophonie an Meinungen, insbesondere von Kritikern, die sofort begründen können, warum etwas nicht funktioniert oder sinnvoll ist.23 Beispielsweise experimentieren gegenwärtig viele Start Up-Unternehmen mit E-Flugtaxis, die sie im Verkehrssektor einführen wollen. Die Technologie gilt als anspruchsvoll, aber machbar, die Investitionen der Branche gehen in die Milliarden, es lassen sich jedoch genügend Geldgeber finden. Das Problem der Branche ist, dass sie viele Kritiker hat. Nach ihnen sind Lufttaxis zu teuer und nur von Reichen zu bezahlen, sie gelten nicht unbedingt als klimafreundlich, sie verbrauchen grünen Strom, der von anderen Verbrauchern benötigt wird und es werden Sicherheitsprobleme unterstellt, da sie sich hauptsächlich in Großstädten bewegen werden. Mag sein, dass jedes dieser Argumente korrekt ist, aber es ist doch gerade Aufgabe der Innovatoren, an Verbesserungen zu arbeiten.24 Häufig schaffen es Innovationen nicht aus ihrem Embryonalstadium heraus, da sie bereits früh von Kritikern verhindert werden. Eine andere interessante Mobilitätsform – der Transrapid, eine Hochgeschwindigkeits-Magnetbahn – ist ebenfalls nie über das 20-jährige Teststadium hinausgekommen, weil es zu viel Widerstand dagegen gab. Die Technologie wurde nach China verkauft und dort in Shanghai realisiert. Es ist das Schicksal von vielen Technologien, dass sie anfangs teuer sind und sich sinnvolle Anwendungen kaum denken lassen. Motorola entwickelte in den 1980er Jahren Satellitentelefonie und realisierte das über das Unternehmen Iridium, welches im Jahr 2000 mangels Kundschaft und hoher Kosten Konkurs anmel23 Der Widerstand gegen Veränderungen in Unternehmen war schon immer ein ständiger Begleiter. Der Amerikaner Frederick Taylor („Taylorismus“) beschrieb diese Abneigung gegen Veränderungen bereits im Jahr 1911 in seinem Hauptwerk „The Principles of Scientific Management.“ 24 Eine interessante Parallele zur Automobilindustrie der Kaiserzeit ist die von Lufttaxiunternehmen wie Lilium geplante Strategie, Early Adopters unter wohlhabenden Kunden zu finden, die bereits Hubschrauber oder Privatjets nutzen. Das Flugtaxi wäre ein interessantes Substitut für diese Klientel. S. Manager Magazin (2023), S. 18.

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den musste.25 Pioniertaten wie diese hatten eine enorme Signalwirkung auf andere Unternehmen, wie bspw. SpaceX, das mit neuen technischen Möglichkeiten und dem unternehmenseigenen Starlink-System weltweiten Internetzugang ermöglicht.26 Hätten sich Innovatoren von Kritikern abhalten lassen, wären viele Erfindungen nie auf den Markt gekommen. Auch die Frühzeit der Automobile war von vielen Skeptikern geprägt, wie bereits ausgeführt. Fahrzeuge waren in ihrer Frühzeit anfangs zu teuer und konnten nur von wohlhabenden Menschen gefahren werden. Anfangs fragten auch viele nach dem Sinn von selbstfahrenden Fahrzeugen. Hätte es die Early Adopters und das Wohlwollen staatlicher Stellen nicht gegeben, wäre die deutsche Automobilindustrie nie entstanden.27 Henry Ford entfesselte im Jahr 1912 die 1. Revolution der Automobilindustrie, als er mit der Fließbandproduktion Massenfertigung von Automobilen ermöglichte, die kostengünstig und damit für die meisten Bürger erschwinglich waren. Diese Revolution entstand nicht über Nacht, sondern war das Resultat einer langen „Gärungszeit“. Henry Ford hatte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die Vision, ein Auto für die Massen zu bauen. Seit dem Jahr 1903 tüftelte er im eigenen Unternehmen Ford Motor Company an Automobilen. Sein berühmtes Modell T kam im Jahr 1908 als Billigfahrzeug auf den Markt, noch vor der Fließfertigung. Die entscheidende Inspiration, um Fahrzeuge günstiger zu produzieren, erhielt er durch die Chicagoer Schlachthöfe, die mit einem System von Förderbändern, Rutschen und Transportketten Schweine von der Schlachtung bis zur Schweinehälfte im Lagerhaus verarbeiteten. Ähnliche Prozesstechniken setzte er dann in seiner Fabrik ein,

25 Iridium wurde von einem anderen Eigentümer wiederbelebt und ist heute eines der führenden Unternehmen in der zivilen Satellitentelefonie. 26 Starlink unterstützt bspw. die Ukraine, ihre im Krieg mit Russland unterbrochenen Kommunikationslinien seit März 2022 aufrecht zu erhalten, eine Anwendung, die niemand für möglich gehalten hätte. 27 Rafael Laguna de la Vera, der Direktor der Bundesagentur für Sprunginnovationen, der im Auftrag der Bundesregierung seit 2019 helfen soll, große Innovationen möglich zu machen, sagte in einem Interview: „Von den 1880er-Jahren bis 1930er-Jahre haben wir in Deutschland eine disruptive Innovationsphase erlebt. Apotheke der Welt, Chemiefabrik der Welt, Autofabrik der Welt: Da haben wir ganze Industrien erfunden und groß gemacht. Im Grunde können wir bis heute große Teile der industriellen Wertschöpfung daraus ableiten. Und da lebt es sich natürlich gemütlich.“ Handelsblatt, 10. Juni 2022, S. 51.

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um ein seriell gefertigtes Automobil herzustellen. Für Fords Revolution waren viele Experimente in seinem Werk nötig, mit denen die Produktion stückweise auf Fließbandfertigung umgestellt werden konnte. Der endgültige Durchbruch erfolgte in den Jahren 1913 und 1914, in denen Ford gewaltige Stückzahlen an seinen Bändern produzieren ließ (1913 ca. 170.000 Fahrzeuge, 1914 ca. 260.000 Fahrzeuge).28 Revolution zulassen bedeutet nicht, dass man eine realitätsferne Vision über eine neue Technologie entwickelt, sondern nüchtern und realistisch darlegt, was man tut und was man mit der Technologie erreichen will. Dazu gehört die Offenheit zu sagen, dass es vielleicht am Anfang nur für die Reichen leistbar ist, aber später allen zugutekommt. Die ersten Autos waren für den Normalverbraucher zu teuer, genau wie die ersten Handys. Auch Fotovoltaik konnte man sich zu Beginn nur hochsubventioniert leisten. Automobilhersteller hatten von jeher eine umfangreiche Agenda an Themen zu bewältigen, wie Produktkompetenz, Unternehmensführung und das Managen der Wirkkräfte. Darin liegt eine große Parallele zwischen der Kaiserzeit und der Gegenwart. Der Unterschied zur Kaiserzeit liegt in der Dimension der einzelnen Themen, die heute um einiges größer und komplexer sind.

10.1.3 Wirkkraft Wettbewerb Die Wirkkraft Wettbewerb zwingt Unternehmen, permanent besser zu werden. Nur wem das gelingt, kann sich einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten und dann auskömmlich wirtschaften. Wettbewerb gilt als einer der wesentlichen Treiber, um Innovationen hervorzubringen. In diesem Abschnitt wird argumentiert, dass der Wettbewerb unter Automobilunternehmen immer prägend gewesen ist, und zu einer großen Vielfalt an Modellen und Techniken führte, die von Kunden begrüßt wurden. Nur wer seine Kunden mit einem guten Produkt überzeugt, kann sie zu einer positiven Kaufentscheidung bewegen. Es zeigt sich auch, dass der Treiber Wettbewerb äußerst gnadenlose Folgen zeitigt, denn im Laufe der Jahrzehnte haben nur wenige Unternehmen in der Branche überlebt.

28 Der gesamte PKW-Bestand im Kaiserreich im Jahr 1914 betrug 60.876 Fahrzeuge. Vgl. die Anfänge der Ford-Automobilherstellung in Geo Epoche (2014), S. 36 ff.

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Tab. 15: Wettbewerb im Kaiserreich und in der Gegenwart Wettbewerb Kaiserreich – Es gab am Anfang keine Branche, danach Zeit der Werdung – Wettbewerber kamen aus unterschiedlichen Industrien (Maschinenbau, Nähmaschinen, Lokomotiven, Fahrräder etc.) – Große Anzahl von Wettbewerbern, von denen nur wenige langfristig überlebten – Geringe Markteintrittshürden – Wettbewerber primär national – Mittelständisch geprägter Wettbewerb – Jeder für sich – Alternative Verkehrsmittel im Nahverkehr rudimentär vorhanden (Stadtbusse, Straßenbahnen)

2020er Jahre – Automobilindustrie eine der Leitbranchen weltweit – Hybrider Wettbewerb (eigene Branche, andere Branchen, Disruptoren, China) – Große Anzahl von Wettbewerbern – Hohe Markteintrittshürden – Wettbewerber weltweit verstreut – Wettbewerber global agierende Unternehmen – Jeder für sich, Kooperationen, Lizenzen, Coopetition – Alternative Verkehrsmittel im Nahverkehr großflächig vorhanden

Als der Automobilbau im Jahr 1886 in Deutschland begann, war der Wettbewerb zu Beginn nicht besonders intensiv. Kleine Werkstattbetriebe wie die von Gottlieb Daimler und Carl Benz tüftelten an ihren Automobilen und suchten verzweifelt nach Kunden. Als die Nachfrage nach Automobilen anstieg, erhöhte sich die Zahl der Unternehmen, die es in die junge Branche drängte. Im Kaiserreich wurden 84 Firmen gegründet, wie bereits weiter oben ausgeführt. In den einschlägigen Statistiken kam es erstmalig in den Jahren 1898 mit sechs und 1899 mit neun Unternehmen zu einer größeren Anzahl von neuen Wettbewerbern. Daraus entstanden bald wichtige Produzenten von Automobilen. Zu dieser Gruppe gehörten Unternehmen wie Dürkopp aus Bielefeld, das bereits in der Nähmaschinen- und Fahrradproduktion tätig war, Opel, das ebenfalls bereits Nähmaschinen und Fahrräder fertigte, die Adlerwerke, die aus dem Fahrradbau stammten und das Unternehmen Horch, das direkt im Fahrzeugbau startete. Es entwickelte sich eine Branche aus dem Nichts mit vielen Marktteilnehmern mit unterschiedlichem Background. Branchenfremde Firmen, die sich Gewinnchancen im neu entstehenden Automobilbau erhofften, Ingenieure und Tüftler, die direkt eine Automobilfirma gründeten oder Lizenznehmer, die über den Erwerb ausländischer Lizenzen französische oder amerikanische Automobile im Kaiserreich zu vertreiben suchten. Es war ein buntes Sammelsurium vieler unterschiedlicher Wettbewerber. Manche hielten sich nur zwei oder drei Jahre in der Branche und verschwanden dann wieder. Die Markteintrittshürden waren gering. Es genügte eine Werkstatt mit handwerklich begabten Mitarbeitern und Technikern, sowie einigen tüchtigen Ingenieuren, um

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als Automobilbauer zu starten. Schwieriger war es schon, Kunden zu finden und Autos in einer Qualität zu fertigen, die die hohen Preise für Einzelanfertigungen oder kleinen Stückzahlen rechtfertigten. Ein Vorteil dieser vielen Wettbewerber war die von ihnen erzeugte Vielfalt an unterschiedlichen Modellen, technischen Lösungen und Innovationen. Ein Nachteil war natürlich, dass im Laufe der Jahre ein enger Käufermarkt auf viele Hersteller traf. In der Folge mussten viele Unternehmen wieder den Automobilmarkt verlassen. Neben den Unternehmen, die von Beginn an das Automobil in den Mittelpunkt rückten und produzierten, wie Benz, Daimler oder Horch, gab es „Paradiesvögel“ wie das Musikinstrumentenunternehmen Polyphon (s. Kurzbeschreibung in Kapitel 9), welches seinen Sitz in Warden bei Leipzig hatte. Es war technisch geprägt und erfahren in der Feinmechanik (Grammophone, Schallplatten) und entschied sich ab 1904 Automobile zu fertigen. Grundlage war ein Vertrag mit Ransom Eli Olds, einem Amerikaner, dessen Fahrzeuge in Lizenz bei Polyphon gebaut werden konnten. Von 1907 an konstruierten die Deutschen ihre eigenen Fahrzeuge und waren unter den Markennamen Gazelle, Polymobil und insbesondere Dux erfolgreich. Im Jahr 1927 wurde der Automobilbau eingestellt.29 Auch Opel kam, wie bereits erwähnt aus einer anderen Branche (s. Kurzbeschreibung in Kapitel 9). Der Anfang im Automobilbau begann im Jahr 1899, als das Unternehmen dem wenige Jahre zuvor gestarteten Automobilbauer Friedrich Lutzmann seine Konstruktionsrechte und Betriebseinrichtungen abkaufte. Die Rüsselsheimer wollten in die Produktion von Automobilen einsteigen, weil die anderen Geschäfte schwächelten, und sahen in Lutzmanns Motorwagen brauchbare Automobile, die sie als Basis für ihr Geschäft nahmen. Danach entwickelten sie rasch den Automobilzweig. Das Unternehmen von Lutzmann existierte keine fünf Jahre („Anhaltische Motorwagenfabrik“).30 Ein weiterer bemerkenswerter Unternehmer war Nikolaus Dürkopp (s. Kurzbeschreibung in Kapitel 9), der bereits landesweit berühmt mit seinen Nähmaschinen war. Er entschied sich im Jahr 1897 für den Automobilbau. Seine ersten Fahrzeuge waren nach dem Vorbild der französischen Automarke Panhard & Levassor entstanden. Ob mit oder ohne Lizenz ist umstritten. Er fand aber bald seinen eigenen Stil und produzierte in Bielefeld viele bei den Early Adopters populäre Fahrzeuge unter seinem Namen. Dürkopps Ausflug in den Automobilbau endete im Jahr 1929.31

29 Schrader (2002), S. 311 ff. 30 Schrader (2002), S. 235 f. und S. 281 ff. 31 Viele Automobilfirmen aus der Kaiserzeit, die von ihnen vertriebenen Modelle mit Technikangaben und Fahrzeugabbildungen werden in Schrader (2002) dargestellt.

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Grafik 18: Automobilfirmen in Deutschland von 1886 bis 194532

Die Gründungsgeschichte der Automobilindustrie ist bis zum Jahr 1937 eigentlich vollständig erzählt. In diesem Jahr wurde Volkswagen als letzter der großen Autobauer gegründet. Bis dahin wurden insgesamt 230 Automobilfirmen in Deutschland in zwei großen Wellen gegründet. Die erste Welle im Kaiserreich erreichte ihren Höhepunkt im Jahr 1907 mit einem Bestand von 51 Automobilfirmen. Von 1886 bis 1918 wurden 84 Firmen gegründet. Die zweite Welle setzte im Jahr 1920 ein. Von diesem Jahr an bis zum Jahr 1933 (Ende Weimarer Republik) wurden 138 Firmen gegründet. Der Bestandshöhepunkt war im Jahr 1923 mit 98 Firmen erreicht. Allerdings setzte auch ein Massensterben in den Weimarer Jahren ein. Allein in den Jahren 1922 bis 1929 verschwanden wieder 135 Firmen vom Markt. Die Weimarer Jahre waren harte Wirtschaftszeiten (Nachkriegsfolgen, Hyperinflation) für alle Firmen. Der Vollständigkeit halber sollte nicht unerwähnt bleibe, dass bereits im Kaiserreich wieder viele Firmen den Markt verließen, die nur wenige Jahre Automobile produzierten. Der Autofirmenbestand im Jahr 1929 lag noch bei 25 Firmen. Danach reduzierte sich die Branche um weitere Firmen. Im Jahr 1950 waren in Deutschland 9 Firmen übriggeblieben. Es handelte sich um

32 Zahlen aus Flik (2001), Statistik-Anhang. Der Firmenbestand enthält auch sechs Unternehmen aus Elsaß-Lothringen, welches bis 1918 zu Kaiserreich gehörte. Auch einige Tochterfirmen ausländischer Unternehmen sind dort gelistet, wie Ford.

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Daimler-Benz (heute Mercedes Group), welches im Jahr 1926 aus den vormals selbständigen Firmen von Benz und Daimler entstanden war Opel, ein Familienunternehmen, welches im Jahr 1929 von General Motors erworben wurde Auto-Union, eine Gruppe, die im Jahr 1932 aus der Fusion mehrerer Automobilfirmen hervorgegangen war (DKW, Horch, Audi, Wanderer) und mit den Standorten Chemnitz und Zwickau in der sowjetischen Besatzungszone lag Ford, die deutsche Tochtergesellschaft von Ford USA, die ab 1931 in Köln Automobile produzierte Volkswagen mit dem Gründungsjahr 1937 Borgward, ein im Jahr 1924 in Bremen entstandenes Unternehmen Audi, ein im Jahr 1949 neugegründetes Unternehmen in Ingolstadt, welches im Kern ehemals ostdeutsche Marken wie das ursprüngliche Audi aus der Auto-Union in den Westen transferierte Porsche, welches im Jahr 1931 als Konstruktionsbüro in Stuttgart gestartet war BMW, ein im Jahr 1916 gegründetes Unternehmen, das ab 1928 in die Automobilproduktion einstieg.

Ein zehntes Unternehmen aus dem Gesamtbestand der Anfangszeit – die Firma Bugatti – war im Jahr 1950 kein deutsches Unternehmen mehr, sondern ein französisches. Im Jahr 1909 in Molsheim in Elsaß-Lothringen gegründet, produzierte es dort noch im Jahr 1950.

Grafik 19: Automobilfirmen in Deutschland in % der Zu- und Abgänge bis 1945

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Der Automobilbau wurde von Beginn an von vielen Unternehmern als vielversprechend und gewinnbringend eingeschätzt. Der intensive Wettbewerb, eine anfangs kleine Klientel und harte Wirtschaftsjahre siebten die Branche allerdings ordentlich durch, so dass im Jahr 1950 nur noch 4 % aller jemals existierenden Automobilfirmen am Markt bestanden. Bis auf wenige Ausnahmen sollten diese Unternehmen die folgenden 70 Jahre die Automobilindustrie weltweit mitprägen. Die letzte bedeutende Gründung in der Branche erfolgte durch Volkswagen im Jahr 1937. Danach gab es noch einzelne Gründungsvorhaben, aber daraus entwickelte sich nie etwas Bedeutendes, sondern bestenfalls Nischenprodukte. Beispielsweise wurde im Jahr 2010 das Aachener Unternehmen Streetscooter gegründet, welches primär elektrische Kleinlastenfahrzeuge für die Deutsche Post herstellt und nie eine relevante Größe erreichte. Die Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen und Benteler experimentieren unabhängig voneinander seit einigen Jahren mit elektrisch betriebenen Kleinbussen für den Nahverkehr. Das Start Up Sono Motors aus München entwickelt seit dem Jahr 2016 ein solar-getriebenes Personenfahrzeug und plant den Anlauf der Serienproduktion für das Jahr 2023. Von den neun Firmen des Jahres 1950 waren im Jahr 2021 noch fünf existent, von denen drei als deutsche Hersteller gelten: – Mercedes Group, vormals Daimler-Benz – Opel, welches seit dem Jahr 2017 zur französischen PSA-Gruppe gehört – Ford – Volkswagen, nun mit den integrierten Marken Audi und Porsche (welches sich sukzessive wieder desintegriert) – BMW Borgward musste im Jahr 1961 Konkurs anmelden. Die Auto-Union ging in den 1950er und 1960er Jahren teilweise in Daimler-Benz und teilweise in Audi auf und existierte nicht mehr als eigenständiges Unternehmen. Aus der Kaiserzeit hatten also nur Daimler, Benz und Opel überlebt. Ford war amerikanisch, BMW stieg erst später in die Automobilproduktion ein, Volkswagen und Porsche gab es noch nicht. Der Wettbewerb hat sich von der Landesebene schon vor Jahrzehnten auf die internationale Bühne verlagert mit europäischen (Peugeot, Renault, Fiat), asiatischen (Toyota, Suzuki, Honda) und amerikanischen (GM, Ford) Konkurrenten. Insgesamt ist die Gruppe überschaubar. Mittlerweile ist eine neue Situation entstanden. Ähnlich wie in der Kaiserzeit haben wieder viele Firmen die Automobilbranche entdeckt und erhoffen sich Wachstum und Gewinnchancen. Hier wiederholt sich Geschichte, nur dass die Wettbewerber heute überall in der Welt verstreut sind, dass es sich um teilweise

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gigantische Unternehmen mit großer Finanzkraft handelt und dass sie sehr unterschiedliche Fähigkeiten mitbringen. Es gibt vier Gruppen von Wettbewerbern, die den klassischen Herstellern zusetzen: – Wettbewerber aus anderen Branchen, die in der Automobilbranche vollkommen unbekannt sind. Dabei handelt sich um IT-Technologie-Konzerne aus den USA, wie Apple, Google, Amazon, Nvidia, Qualcomm, die finanzkräftig aufgestellt sind und gewaltige Investitionsmittel aufbieten können. Sie beherrschen die Digitalisierung, ein Megatrend in der Automobilbranche, denn das ist ihre Kernkompetenz. Aber auch andere Tech-Konzerne dringen in die Branche ein, wie Sony, LG oder Samsung. Ob sie oder ihre Kontraktlieferanten Automobile bauen können und das komplexe Automobil-Ökosystem beherrschen, wie die deutsche Konkurrenz, muss erst noch bewiesen werden. In jedem Fall müssen sie viel investieren, eine Herausforderung, denn sie verfügen trotz ihrer finanziellen Feuerkraft weder über grenzenlose finanzielle Ressourcen, noch sind sie vor Fehlentscheidungen gefeit. – Eine andere Gruppe von Wettbewerbern war bisher lokal aufgestellt und strebt mit der Internationalisierung in die Führungsspitze der Automobilbranche. Es sind vorwiegend chinesische Wettbewerber, wie BYD, GAC oder Nio, die über den Vorteil des größten Massenmarktes weltweit verfügen und die Bedürfnisse ihrer Kunden bestens kennen. Der Vorteil der deutschen Automobilbauer ist, dass sie bereits lange auf dem chinesischen Markt aktiv sind und einen guten Ruf bei chinesischen Kunden und der staatlichen Stellen haben. Sie konnten sich eine starke Marktposition erarbeiten und kennen die chinesische Konkurrenz direkt vor Ort. Ihre Achillesverse könnte die mangelnde Loyalität chinesischer Kunden sein, wenn sie deren Bedürfnisse nach Digitalisierung im Auto und Bequemlichkeit nicht erfüllen. Dennoch gilt weiterhin, dass deutsche Autobauer ein gutes Markt-Standing haben. Ein weiteres Risiko in China droht durch weitreichende staatliche Eingriffe als Folge von Handelskonflikten oder anderen Krisen. – Dann gibt es die Disruptoren, die mit ihren Ideen die gesamte Automobilbranche aufschrecken. Tesla hat beweisen, was möglich ist, wenn man radikal anders denkt. Man kann das Produkt (E-Autos), Kerntechnologien (Batterien) und die Fertigung (Produktionszeiten reduzieren durch Prozessoptimierung in der Gigafactory) radikal neu denken und verändern. – Die vierte Gruppe von Wettbewerbern sind die Automobilbauer selbst, die neben den deutschen Firmen aus den USA, Frankreich, Italien, Japan, oder Südkorea kommen. Diese Unternehmen ringen in ihrer Branche weiterhin um die Toppositionen und sind, ebenso wenig wie die deutschen Automobilbauer gewillt, diese an Unternehmen aus den anderen Gruppen abzugeben.

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Man sollte den Wettbewerb nie unterschätzen, denn er kann aus einer Richtung kommen, die niemand im Blickfeld gehabt hat. Heute mag es Elon Musk sein, der mit seinen Ideen und Umsetzungen die traditionellen Automobilbauer herausfordert. Kaum jemand hatte ihn anfangs als ernsthaften Herausforderer der Branche ausgemacht. Ohne ihn hätte es wohl die Hinwendung der Branche zum Elektrofahrzeug nicht gegeben. Ein Säkulum vor ihm war es Henry Ford, dem keine Bedeutung zugemessen wurde. Im Jahr 1910 hielt der damals bekannte Automobilrennfahrer Selwyn Edge einen Vortrag vor einem Ingenieurspublikum in Coventry über die amerikanische Automobilindustrie.33 Er erwähnte darin die damals gängigen amerikanischen Autohersteller wie Packard, aber Ford kam nicht vor. Er bewunderte die Größe des US-Marktes mit einem jährlichen Produktionsvolumen von etwa 120.000 Einheiten und beschrieb den zweigeteilten Automobilmarkt in den USA (Luxuswagen versus billige Wagen). Die 1. Revolution der Automobilindustrie, die Ford zwei Jahre später einleiten würde – Massenfertigung mit erschwinglichen Fahrzeugen für jedermann – kam in seinem Vortrag nicht vor, weil sie noch nicht in die Realität umgesetzt worden war, gleichwohl Ford schon an der Fließfertigung tüftelte. Sie war schlichtweg in Edges Bewusstsein und dem der Anwesenden nicht existent und doch war sie plötzlich da. Sie wirkte noch nicht unmittelbar auf den deutschen Markt, dafür waren die Ländermärkte zu getrennt und es begann kurze Zeit später der 1. Weltkrieg, der vieles zum Erliegen brachte, aber ab den 1920er Jahren mussten die deutschen Hersteller mit der Umstellung auf Fließfertigung nachziehen. Was wird die nächste revolutionäre Sache in den 2020er Jahren sein? Ist sie bereits da? Ist es die E-Mobilität? Ist es der Batteriebau? Ist es ein Digitalisierungsthema mit Bezug zum Automobil? Ist es ein Umweltthema? Ist es eine innovative Veränderung des Ökosystems Mobilität? Keiner weiß es. Die Lehre aus der Kaiserzeit ist das Aufrechterhalten einer gespannten Achtsamkeit, um zu beobachten, was bei den möglichen und tatsächlichen Konkurrenten passiert. Weiterhin sollte man Entwicklungen nicht unterschätzen, so lächerlich sie erscheinen mögen, denn sie könnten disruptives Potenzial beinhalten. Gleichzeitig gilt es, mit einer Entschlossenheit zu agieren, nach der man jede Herausforderung bewältigen kann. Wenn man schon nicht der Treiber ist, muss man reagieren und sich anpassen (s. dazu später mehr). Das ist eine Lektion aus der Automobilgeschichte. Gelegentlich hilft der Fremdblick, wie ein Interview mit dem CEO von Nvidia, Jensen Huang aus dem Jahr 2021 verdeutlichte. Er betonte die Möglichkeiten der Digitalisierung, von denen ein Automobil in den Bereichen Hardware, Sensorik und Software profitieren würde. Automatisches Parken, autonomes Fahren und 33 Allgemeine Automobil-Zeitung, 6. Februar 1910, S. 29 ff.

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vieles mehr, dürfte Automobile zu fahrenden Computern machen. Über SoftwareUpdates, die direkt in die Fahrzeuge eingespielt werden, erhielten Automobile immer mehr Fähigkeiten. Den Part der Digitalisierung könnte man ihm zufolge über Kooperationen der Computerindustrie überlassen. Die Autobauer dagegen könnten aufgrund ihrer Fähigkeiten weiter das Automobil optimieren. Huang betonte die Stärke der Autobauer in der Produktion. Er sagte: „Die Autoindustrie hat Jahrzehnte Erfahrung in Präzision, Fertigung, Sicherheit und Verlässlichkeit. Diese Expertise mit den Möglichkeiten von Computer und Software zu koppeln, ist interessant.“ Weiterhin erwiderte er auf die Frage, ob sich die deutschen Autobauer vor Silicon Valley fürchten sollten, weil dort, so die Sorge, die Gewinne aus den Kooperationen mit der Automobilindustrie abgeschöpft würden: Die Veränderung wird passieren, so oder so. Bleibt die Frage, wie man mit ihr umgeht. Ich glaube, dass man alles lernen kann. Insofern verstehe ich nicht, warum gerade Deutsche Angst vor Veränderungen durch Software und künstliche Intelligenz haben sollten. Wir haben viele begabte deutsche Mitarbeiter, Weltklasse-Ingenieure und -Entwickler. Eines unserer besten Forschungsteams sitzt in Berlin. Deutschland ist prädestiniert für die Softwarezukunft.34

Vielleicht sollte man Unternehmen wie Nvidia nicht als unliebsame Konkurrenz wahrnehmen, sondern in ihnen mögliche Kooperationspartner sehen. Weniger „Hardball“ spielen, sondern geschmeidiger auf Konkurrenten dieser Art reagieren. Das bedeutet natürlich, dass beide Seiten Vorteile haben müssen und faire Modelle für Kosten- und Nutzenaufteilung gefunden werden müssen. Tatsächlich vermeldete die Automobilindustrie im Jahr 2022 geplante oder realisierte Kooperationen mit IT-Unternehmen. Die Mercedes-Group plant, die Kompetenzen von Nvidia bei Fahrassistenzsystemen zu nutzen (Software, Computerchips, Sensorik). BMW ließ verlautbaren, dass man in selektiven Bereichen mit Amazon zusammenarbeiten möchte (Sprachassistent Alexa). Selbst Volkswagen, welches traditionell eher weniger Kooperationen mit anderen Unternehmen einging, scheint seine Meinung geändert zu haben. Dessen Software-Tochtergesellschaft Cariad wird seit dem Jahr 2022 nach einem Vorstandswechsel neu ausgerichtet und ist in ausgewählten ITBereichen offen für externe Partnerschaften.

10.1.4 Wirkkraft Infrastruktur Die Wirkkraft Infrastruktur ist das Fundament, auf dem Unternehmen die von ihnen erwünschten Leistungen erbringen können. Ist die Infrastruktur intakt, sind 34 WirtschaftsWoche 8, 19.2.2021

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die Chancen groß, dass Unternehmen Innovationen vorantreiben, ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken und die ausländische Konkurrenz in ihre Schranken verweisen. In diesem Abschnitt wird dargelegt, dass die Infrastruktur immer ein wichtiges Thema für die Automobilbranche war, auch wenn die Schwerpunkte im Laufe der letzten knapp 120 Jahre unterschiedlich lagen. Tab. 16: Infrastruktur in der Kaiserzeit und in der Gegenwart Infrastruktur Kaiserreich – Kaum vorhandene Infrastruktur – Wenige für Automobile geeignete Straßen, insbesondere auf dem Land – Keine Tankstellen und kaum Reparaturwerkstätten – Automobilbranche wegen ihrer anfangs geringen Bedeutung nicht im Fokus der Behörden, daher galten deren Anliegen für den Ausbau der Infrastruktur als nicht vordringlich – Ausbau Infrastruktur im Konflikt mit anderen Verkehrsträgern (insb. Bahn) um begrenzte Steuermittel

2020er Jahre – Infrastruktur gut ausgebaut – Hoher Wartungsaufwand für Straßen und Brücken wegen altersbedingtem Verschleiß – Erweiterung Infrastruktur schwierig wegen Widerständen in der Bevölkerung – Verzögerungen Ausbau Infrastruktur, z.B. im Straßen- und Autobahnbrückenbau durch behäbige Behörden mit langwierigen Genehmigungsprozessen – Infrastruktur für Elektromobilität im Entstehen mit Herausforderungen beim Ladesäulenausbau – Kreative Lösungen beim Ladesäulenausbau notwendig, z.B. Pflicht bei Neubauten Ladeinfrastruktur zu installieren – Herausforderung künftige Stromversorgung für Elektrofahrzeuge – Herausforderung Batteriefertigung für E-Autos in Europa – Herausforderung Aufbau Recyclingsysteme für zu entsorgende Automobile, um Rohstoffe wiederzugewinnen – Ausbau Infrastruktur im Grundsatzkonflikt mit dem Schutzgut Umwelt

In allen Branchen ist Infrastruktur erfolgskritisch für Unternehmen. Die Bahn benötigt ein gut ausgebautes Schienennetz, um knapp 100 Millionen Fahrgäste pro Jahr transportieren zu können. Mobilfunkanbieter müssen tausende von Antennen landesweit aufstellen, um ein 5G-Netz aufzubauen, welches mit hoher Geschwindigkeit und geringen Latenzen Millionen von Smartphonebesitzern und Maschinen (z. B. Automobile für automatisiertes Fahren) mit Daten versorgt. Die Automobilbauer benötigen 1 Million Ladepunkte, um 15 Millionen Elektroautomo-

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bile mit Strom zu versorgen. Werden die notwendigen Investitionen nicht geleistet, droht die Performance der Unternehmen einzubrechen. Der Vorstandschef der Deutschen Bahn, Richard Lutz, bemängelte eine „zu volle, zu alte und zu störanfällige Infrastruktur“ bei der Bahn. Ein Ergebnis sind permanent schwache Pünktlichkeitsquoten im Zugverkehr. Die Mobilfunkanbieter bleiben beim Netzausbau hinter den von der Bundesnetzagentur vorgegebenen Zielen und sehen eine Teilschuld beim Staat, der 70 Milliarden Euro für die Vergabe von Frequenzen erhalten hatte. Im Ergebnis gibt es nicht oder unterversorgte Regionen. Der Deutschland-Geschäftsführer von Telefonica, Markus Hass wird mit den Worten zitiert: „Hätten wir das [Anm. Lizenzzahlungen] in die Infrastruktur investiert, hätten wir heute Glasfaser in allen Haushalten und flächendeckende 5G-Versorgung.“ Hildegard Müller, Präsidentin des VDA stellte im Jahr 2021 fest: „Nehmen wir den Aufbau einer Ladeinfrastruktur für Elektroautos: Die kommt viel zu langsam in Gang.“ Eine Folge könnte ein Nachfrageeinbruch bei Elektrofahrzeugen sein, weil die Halter Versorgungslücken befürchten. Drei Beispiele aus drei Branchen. Gemeinsam ist das Verlangen nach einer ausgebauten und funktionierenden Infrastruktur, die zu einer hohen Standortqualität beiträgt. Laut einer aktuellen Studie ist die Infrastrukturqualität Deutschlands noch als zufriedenstellend im Vergleich mit anderen Ländern einzuschätzen (Rang 6 von 21), gleichwohl der Standort aufgrund anderer Faktoren als nicht mehr als sonderlich attraktiv gilt (Rang 18 von 21 Ländern).35 Neubau und Erhalt von Infrastruktur werden durch Projekte erreicht. Ein Problem bei Infrastrukturprojekten sind bürokratische Hürden und lange Genehmigungsverfahren. Im Ergebnis führen sie zu einer mangelhaften Infrastruktur, denn vieles wird mit großem Zeitverzug oder gar nicht realisiert. Das Problem ist durch Entscheidungsträger in der Politik erkannt worden und hat in den letzten Jahren zu einigen Vorzeigeprojekten geführt. Mut machen Erfolgsgeschichten wie Tesla (Rekordbauzeit der Fabrik im brandenburgischen Grünheide in zwei Jahren), die geplante Ansiedlung einer Chipfabrik von Intel in Sachsen-Anhalt oder der Anschluss eines LNG-Terminals in Wilhelmshaven mit einer neuen 26 km langen Gaspipeline an das Fernleitungsnetz in weniger als einem Jahr.36 Bedauerlicherweise gibt es weitaus mehr Groß- und Kleinprojekte, die das Gegenteil belegen. Dazu gehören Großprojekte, wie beispielsweise den Gotthard-Tun35 S. Stiftung Familienunternehmen (2023). Zu geringe Investitionen durch den Staat in öffentliche Infrastruktur ist ein Dauerthema und wurde immer wieder von Wirtschaftsministern adressiert, beispielsweise von Otto Graf Lambsdorff im Jahr 1982 („Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche“) oder von Sigmar Gabriel, der im Jahr 2014 eine Expertenkommission zur Stärkung von Investitionen in Deutschland einrichtete. 36 S. Wirtschaftswoche 30, 22.7.2022, S. 46 – 49.

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nel zwischen Deutschland und der Schweiz. Während die Schweizer auf ihrer Seite den Zulauf zum Tunnel im Jahr 2016 realisierten, wird die deutsche Seite ihren Zulauf nicht vor 2040 (!) fertig haben. Auch andere Großprojekte klemmen und werden sich um viele Jahre massiv verzögern (z. B. Trassenbau für den Transport von Windenergie von Nord nach Süd, gesperrte Sauerland-Autobahnbrücke A 45 bei Lüdenscheid). Weiterhin erleiden viele Kleinprojekte Verzögerungen durch bürokratische Hemmnisse und betulich arbeitende Behörden. Ob es ein Windrad ist, dessen Genehmigung bis zu zehn Jahre dauert, ein Radweg vom Unternehmen zum nächstgelegenen Bahnhof, dessen Genehmigung fünf bis sieben Jahre dauert oder der Antrag für eine Wärmepumpe, von denen es knapp 900 Formulare geben soll, weil jeder Netzbetreiber andere Angaben in seinen Formularen wünscht; Hemmnisse dieser Art gibt es unzählige. Der Staat muss besser werden, wenn er die Unternehmen – in allen Branchen – bei ihren zukünftigen Aufgaben unterstützen will.37 Ein Staat, der von seinen Unternehmen viel verlangt, muss selbst viel leisten. Das Resultat einer mangelhaften Infrastruktur ist das Nicht-Ausspielen der Leistungsfähigkeit von Unternehmen und der fehlende Nutzen für Kunden. Es werden Potenziale verschenkt. Dieses nicht neue Phänomen war und ist ein ständiger Begleiter von Unternehmen. Das galt bereits für die Automobilhersteller und ihre Kunden im Kaiserreich. Es gab für diesen Verkehrsträger kein geeignetes Straßennetz, Tankstellen waren nicht existent und Reparaturwerkstätten waren ebenfalls so gut wie nicht vorhanden. Die Automobilisten der Frühzeit benötigten angestellte Chauffeure, die als frühere Mechaniker oder Handwerker Schäden am Automobil selbst reparieren konnten. Für staatliche Stellen war die Branche anfangs zu unbedeutend, um gegen den Verkehrsträger Bahn anzukommen. Steuermittel für Investitionen in das Verkehrsnetz wurden größtenteils in das Schienennetz investiert. Das wuchs allein in den Jahren von 1870 bis 1913 von 18.300 km auf 60.800 km.38 Das führte auch dazu, dass der Ausbau der Landstraßen ab Mitte des 19. Jahrhunderts wegen der Konkurrenz durch die Bahn massiv eingeschränkt wurde.39 Es störte kaum jemanden, da sich die meisten Bürger innerhalb eines kleinen Radius bewegten und die besser ausgebauten Gemeindestraßen nutzen konnten. Wurden ferne Ziele angesteuert, konnte man mit der immer besser ausgebauten Bahn reisen. Problematisch wurde das Reisen auf außerstädtischen Stra-

37 Heilmann, Schön (2020) schildern eine Vielzahl von Problembereichen in staatlichen Bereichen Deutschlands und zeigen Wege auf, was geändert werden muss, um einen „Neustaat“ zu initiieren. 38 Rahlf (2015), S. 226. 39 Von Kirchbach in: Niemann, Hermann (1995), ab S. 80.

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ßen, als die Early Adopters mit ihren Fahrzeugen aufs Land fuhren und mit dem schwach ausgebauten Straßennetz konfrontiert waren. Vorhandene Straßen waren für die Fahrzeuge kaum geeignet und wurden durch Automobilnutzung beschädigt. Auch die Luftverschmutzung („Staubplage“) sorgte für Unmut bei den nicht autofahrenden Bürgern.40 Erst in den 1920er Jahren wurde mit dem Bau von Fernstraßen und schließlich Autobahnen begonnen. Ein massiver Ausbau des Straßennetzes wurde in der Bundesrepublik Deutschland ab den 1950er Jahren in die Wege geleitet. Die Länge des gemeinsamen gesamten Straßennetzes nach der Wiedervereinigung betrug 620.000 km (Stand 1.1.1992). Die Errichtung einer Infrastruktur für das Automobil vollzog sich damit über einen Zeitraum von Jahrzehnten. Während der Bau der Straßeninfrastruktur mittlerweile größtenteils gelöst ist, besteht die heutige Herausforderung darin, das Verkehrsnetz zu warten und zu erhalten, denn Straßen und Brücken sind in die Jahre gekommen. Allein tausende von Brücken müssen saniert werden. Weiterhin gibt es noch „weiße“ Flecken im Straßennetz, sog. Lückenschlüsse, die einen Straßenneubau nötig machen. Ein weiteres Beispiel aus der Kaiserzeit, welches der Automobilindustrie Schwierigkeiten bereitete, betraf die Elektromobilität. Man mag es heute angesichts des Durchbruchs der Elektrowagen kaum glauben: Auch vor mehr als 100 Jahren gab es bereits den Wettbewerb zwischen Elektro- und Verbrennerfahrzeugen – und mit Abstrichen auch mit Dampffahrzeugen – bei dem nicht klar war, wer gewinnen würde.41 Es war letztendlich ein Ringen zwischen Stadt und Land und zwischen Fahrzeugen im öffentlichen und privaten Leben. In Städten wie Berlin, Hamburg und Düsseldorf gab es bereits in großer Anzahl elektrisch betriebene Taxis. Sie waren günstig in der Unterhaltung und leise. Privatkunden dagegen waren weniger an diesen Fahrzeugen interessiert, da es auf dem Land kaum Ladeund Akkuwechselstationen gab und die Reichweite der Fahrzeuge begrenzt war. Wer wollte sich als Privatperson dem Risiko aussetzen, bei einer Landpartie irgendwo liegen zu bleiben und nicht mehr wegzukommen? Kirchberg konstatiert: „Es waren insbesondere die betrieblichen Besonderheiten des Elektrobetriebs, vor allem die umfassenden und unerlässlichen infrastrukturellen Grundlagen für die Ladetechnologie, Säurelagerung und Wechseleinrichtungen, für die bei Einzelnutzern einfach die Voraussetzungen fehlten und auch nicht herstellbar waren.“42

40 Vgl. dazu Ausführungen in Teil I. 41 Eine umfangreiche Darstellung der Elektromobilität in der Kaiserzeit lässt sich in König (2010), S. 106 ff. nachlesen. Zur Technik s. Kirchberg (2021), S. 62 ff., der vom Wettlauf der Antriebe spricht. 42 Kirchberg (2021), S. 70.

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Dieses Infrastrukturproblem führte dazu, dass Elektrofahrzeuge trotz ihres guten technischen Niveaus und ihrer Beliebtheit bei der Kundschaft letztendlich den Kürzeren zogen. Ähnliche Entwicklungen gab es in anderen Ländern, in denen Elektroautomobile in weitaus größerer Stückzahl fuhren, wie in den USA und Frankreich. Überall scheiterten Elektrofahrzeuge an der mangelhaften Infrastruktur, außer bei öffentlichen Anwendungen im Großeinsatz, wie bei Taxi- oder Postunternehmen. Im Jahr 2022 scheint die Durchsetzung des Elektromobils aufgrund gesetzlicher Vorgaben zu gelingen. Fraglich ist allerdings, ob die dafür notwendige Infrastruktur mit einem Ladesäulennetz in der notwendigen Größenordnung zur Verfügung stehen wird, um politisch vorgegebene Ziele bis zum Jahr 2030 und darüber hinaus zu erreichen. Eine aktuelle Prognose des VDA (Verband der Automobilindustrie) aus dem Juni 2022 („Elektromobilität-Ladenetz-Ranking: ein Überblick“) prognostizierte basierend auf dem aktuellen Tempo beim Bau neuer Ladesäulen für das Jahr 2030 etwa 210.000 Ladesäulen. Damit gäbe es eine gewaltige Lücke zu den Zielvorgaben der Bundespolitik, die 1.000.000 Ladepunkte für notwendig hält. Anders als zu Kaiserzeiten hat man heute weniger Probleme mit der Finanzierung, auch wenn diese natürlich immer ein Thema ist. Damals lag der primäre Engpass in der Bereitstellung der Geldmittel für Investitionen, heute gibt es multiple Engpässe. Ausbau und Erhalt notwendiger Infrastruktur im Verkehrssektor ist mit hohen bürokratischen Hürden und langen Genehmigungsverfahren konfrontiert, die auch durch den Dauerkonflikt zwischen Umweltbelangen und Infrastruktur befeuert werden. Das gab es in dieser Form und in diesem Ausmaß in der Kaiserzeit nicht. Dennoch besteht kein Anlass für Verzagen, denn Motivation (E-Mobilität als Teil der Bewältigung des Klimawandels), Vorgaben durch den Staat und der Wille der Unternehmen und der Kunden sind erfolgversprechend, auch wenn das quantitative Ziel vielleicht nicht wie geplant erreicht wird, sondern einige Jahre später. Die in diesem Abschnitt beschriebene Wirkkraft erlaubt Automobilherstellern nur einen begrenzten Einfluss, denn Infrastruktur im Verkehrswesen ist öffentliche Hoheitsaufgabe und unterliegt staatlichen Stellen. Zwar gibt es von Unternehmen privat-finanzierte Infrastruktur, z. B. der Aufbau eines eigenen Ladesäulennetzes, aber sie stoßen aufgrund begrenzter eigener finanzieller Möglichkeiten an ihre Grenzen. Wie auch immer man diese und weitere Themen in diesem Komplex einschätzt, Automobilhersteller und -nutzer sind auf eine gut funktionierende Infrastruktur angewiesen.

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10.1.5 Wirkkraft Staat Das Strukturelement Staat gilt aus Sicht der Wirtschaft als ein besonders wirkmächtiges. Der Staat (Bund, Länder, Gemeinden, EU) ist ein wesentlicher Treiber von Infrastruktur (s. vorheriger Abschnitt), Regelsetzer für die Wirtschaft durch Gesetze und Verordnungen, und genehmigende Instanz für viele Vorhaben der Wirtschaftsunternehmen. Der Staat verfügt über Möglichkeiten, Unternehmen zu befördern oder einzuschränken. In diesem Abschnitt wird argumentiert, dass staatliche Instanzen und die Automobilbranche eng zusammenarbeiten müssen, damit letztere Leitindustrie des Landes bleibt. Das Verhältnis ist nicht unproblematisch. Es gibt nach wie vor mächtige Freunde der Automobilindustrie bis in höchste Kreise, aber auch Gegner, die zwar nicht das Automobil abschaffen, aber den Verkehrssektor massiv verändern wollen. Waren höchste staatliche Ebenen zu Kaiserzeiten der damals jungen Industrie zugetan, wirken sie heute eher wie fremde Freunde, also Personen, die durchaus freundschaftlich gesinnt erscheinen, andererseits aber Entscheidungen treffen (oder nicht treffen) und mittragen, die eher nachteilig für die Branche sind. Tab. 17: Staat in der Kaiserzeit und in der Gegenwart Staat Kaiserreich – Freundliche Aufgeschlossenheit in höchsten Kreisen der Politik – Kaum Regulierung (Recht, Steuern, Versicherung) – Anforderungen an die Automobilhersteller relativ gering – Technikoffenheit (Verbrenner, Elektro, Gas, Dampf) – Indifferenz des Staates bezüglich Lenkung der Branche signalisierte einen hohen Vertrauensvorschuss – Gesetzgebung nationale Angelegenheit – Große Sympathie für das Automobil in höchsten Kreisen, damals vornehmlich Adel und gehobenes Bürgertum – Beamtenapparat zwiespältig eingestellt (Befürworter, Beobachter, Ablehner) – Ideologie und Präferenzen politischer Entscheidungsträger wenig wirkmächtig, starker Pragmatismus

2020er Jahre – Fremde Freunde – Überregulierung, die weiter anhält (z.B. Lieferkettengesetz, Nachhaltigkeitsberichterstattung, Transparenzregister) – Hohe Anforderungen des Gesetzgebers an die Branche (Klima- und Umweltschutz, Fahrzeugeffizienz etc.) – Einmischung des Staates bezüglich Lenkung der Branche impliziert Misstrauen; eine Folge ist Planungsunsicherheit durch widersprüchliche Regulierung – Technikverschlossenheit (Präferenz Elektroantrieb, Verwendung E-Fuels wird als zweifelhaft angesehen) – Gesetzgebung durch EU beeinflusst – Höchste politische Kreise auf nationaler Ebene hegen nach wie vor eine große Sympathie für die Branche, insbesondere „Auto-Bundesländer“ wie Niedersachsen, Bayern oder BW

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Staat – Kaum Förderung für Hersteller und Kunden – Beamtenapparat zwiespältig eingestellt (Befür– Strategisches Engagement des Staates aufworter, Beobachter, Ablehner) grund der geringen Branchenbedeutung nicht – Ideologie und Präferenzen in Teilen der Politik notwendig wirkmächtig – Geopolitik in der Branche ohne Bedeutung – Förderung für Hersteller (Subventionen für neue Werke) und Kunden (Kaufanreize z.B. Förderprämien oder Steuererleichterungen) – Strategisches Agieren im Sinne der Branche, z.B. auf den Feldern Rohstoffe und Energieversorgungssicherheit, notwendig – Geopolitische und moralische Interessen wirken auf die Branche ein. Gefahr geopolitischer Blockbildung

Staat und Wirtschaft (damit auch die Automobilbranche) agieren wie zwei kooperierende Unternehmen in einem Joint Venture. Sie haben das gemeinsame Ziel erfolgreich zu sein, sie bringen unterschiedliche Fähigkeiten ein – der Staat steuert u. a. Rahmenbedingungen, Infrastruktur und ein Bildungssystem bei, während Innovationen, Wirtschaftswachstum, Steuern und Arbeitsplätze aus den Unternehmen kommen – und sie erzielen als Ergebnis ein materiell gutes Leben für die Bürger. Ein weiteres Kriterium von JVs, die zeitliche Begrenzung, wird beflissentlich ignoriert, da diese in der Kooperation zwischen Staat und Unternehmen undenkbar erscheint. Ein Blick in die Unternehmenspraxis zeigt, dass es JVs gibt, die seit vielen Jahren hervorragend funktionieren, aber dass auch bis zu 50 % aller Kooperationen scheitern. Zu den Gründen zählen u. a. das Fehlen eindeutiger Kooperationsziele, Konflikte aufgrund von schlecht geregelten Kompetenzen und ungleiche Risikoteilung. Auch können die verantwortlichen Personen schlecht miteinander oder die Einstellung des JV-Partners passt nicht. Auf Staat und Automobilbranche bezogen, könnte es um nicht kompatible Erwartungen an die jeweils andere Seite gehen, sowie um unangemessene Eingriffe seitens des Staates, z. B. Regulierung, oder Handlungen von Unternehmen, die der Staat nicht goutiert, z. B. Standortverlagerungen und -schließungen. Ein Staat ist, obgleich an seine Scholle gebunden, nicht hilflos. Im Gegenteil. Er kann über sein politisches System sowie internationale Zusammenarbeit mit der EU und supranationalen Organisationen Einfluss ausüben, und es Unternehmen durch diverse Maßnahmen leichter oder schwerer machen. In Bezug auf die Unternehmen gilt, dass die weltweit viertstärkste Wirtschaft ein Pfund ist, mit dem der deutsche Staat wuchern kann. Daran hat die Automobilindustrie einen wesentlichen Anteil. Ohne eine starke Wirtschaft hätten die deutsche und europäische Politik kaum internationalen Einfluss und weniger zufriedene Bürger. Daher sollte eine wichtige Maßgabe für den Staat sein, sich um ein gu-

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tes Verhältnis zur Autobranche zu bemühen. Sind Unternehmenseigentümer oder Manager unzufrieden mit dem Standort, äußern sie sich öffentlich bestenfalls kritisch dosiert. Ansonsten würden sie sich und ihre Unternehmen zu sehr exponieren und massive Kritik auf sich ziehen. Sie haben andere Möglichkeiten, zumindest die exportorientierten Unternehmen der Automobilbranche. Sie könnten problemlos ihre Unternehmen stärker im Ausland entwickeln. Die Inlandsfolgen wären geringere Investitionen, weniger Arbeitsplätze und ein Sinken des Steuersubstrats. Zusätzlich sollte der Staat Sorge um die Robustheit der lokal verankerten Unternehmen haben. Es besteht die Gefahr, dass der Staat übersteuert, in dem er den Unternehmen zu viel abverlangt und sie ihrer Dynamik beraubt. Viele Unternehmer und Manager sind in ihrem Einflussbereich erfolgreich tätig. Allerdings haben sie es nicht in der Hand, wie die Rahmenbedingungen durch staatliche Institutionen (EU, Bundes-, Landes- und Kommunalebene) gesetzt werden. Sind sie eher fördernd mit einem wohlwollenden Blick auf die Unternehmen oder eher erstickend im Sinne einer wirtschaftsfeindlichen Politik? Für die frühe Automobilpolitik im Kaiserreich setzte sich eindeutig die wohlwollende Politik durch, die das Automobilwesen förderte und für akzeptable Rahmenbedingungen sorgte. Es gab Kritiker, aber kaum Versuche, die junge Automobilindustrie massiv einzuschränken. Im Kaiserreich hielten sich Politik und Staat größtenteils aus der Branche heraus. Eingeführte Regulierung war erträglich für die Unternehmen. Das Automobil wurde zuerst erfunden, die Regulierung im Rahmen des Verkehrsrechts entwickelte sich erst danach. Hätte es bereits zeitgleich mit der Erfindung des Automobils Regeln gegeben, wäre das Automobil wahrscheinlich bereits in der Frühzeit in seiner Entwicklung behindert worden. Heute herrscht vermutlich eine Pattsituation zwischen den politischen Lagern vor, mit einer Tendenz zu einer regulierenden und wirtschaftsskeptischen Politik gegenüber Industrie im Allgemeinen und der Automobilbranche im Speziellen. Ein Beispiel: Die Automobilindustrie sieht sich dem Ziel verpflichtet, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein. Dazu muss die gesamte Branche transformiert werden, um Elektromobilität zu erreichen und sich von der Verbrennung fossiler Treibstoffe zu verabschieden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die dafür notwendige Infrastruktur aufgebaut werden mit Batteriefabriken und genügend öffentlichen Ladesäulen. Der Wille der Unternehmen daran mitzuwirken, ist vorhanden. Die Pläne liegen in den Schubläden. Das Bekenntnis des Staates ist gegeben, allein es hapert an der Umsetzung. Langsame Genehmigungsverfahren und Widerstände verzögern den Umbau und bremsen ihn aus (siehe Ausführungen im Abschnitt Wirkkraft Infrastruktur). Ein zweites Beispiel: Die Automobilhersteller benötigen Versorgungssicherheit mit Rohstoffen, um nicht von autokratischen Regimen abhängig zu sein, die in Krisenfällen die Versorgung kappen könnten, wie es beispielsweise im Jahr 2022

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beim Import von russischem Gas geschehen ist. Wege dazu könnten neue Rohstoffpartnerschaften mit befreundeten Staaten sein oder der Aufbau einer heimischen Recyclingwirtschaft, um verbaute Rohstoffe in Automobilen an ihrem Lebensende wiederzuverwerten.43 Hier gibt es bereits gute Ansätze einer staatlichen Industriepolitik, die unterstützend wirken. Es ist unbestreitbar, dass der Staat als Regelsetzer von grundlegender Bedeutung für die Automobilbranche ist. Regulierung von diversen staatlichen Ebenen (EU, Bund, Länder) auf diversen Arbeitsgebieten der Branche ist langjährig geübte Praxis. Zudem ist Regulierung keine nationale Angelegenheit mehr, sondern wird durch Instanzen der EU angestoßen und durchgesetzt. Eine nicht unplausible These geht davon aus, dass für viele Parlamentarier und EU-Beamte die Autoindustrie weniger interessant ist, wenn sie aus Ländern kommen, in denen diese Branche kaum Bedeutung hat. In der Folge setzen sie sich weniger für diese Branche ein und regulieren tendenziell anspruchsvoller. Auch aus der deutschen Politik kommen Abgeordnete, die nicht unbedingt als Unterstützer der Automobilindustrie gelten und entsprechende Regulierung gegen die Branche mittragen. Im Ergebnis können Regulierungsentscheidungen in Überregulierung (z. B. ausufernde Berichtspflichten zu bestimmten Sachverhalten wie das Lieferkettengesetz) und einer Technikverschlossenheit (z. B. das ursprünglich angestrebte Verbot von E-Fuels) münden. Beispielsweise sollen die Grenzwerte für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren seitens der EU in den nächsten Jahren weiter verschärft werden (seit 2017 gelten Euro-6-Abgasnormen). Der VDA glaubt, dass die geplanten Verschärfungen an die technisch machbaren Möglichkeiten gehen und kaum im avisierten Zeitfenster zu bewerkstelligen sind.44 Folgen könnten Produktionsstilllegungen sein und langfristig der Abschied vom Kleinwagenbau, weil deren Produktion unwirtschaftlich würde. Sollte der VDA recht haben und es wird dennoch reguliert, wie es die EUKommission wünscht, wäre das ein Beispiel für eine Schwächung der Industrie und des europäischen Standorts seitens staatlicher Stellen. Der Fairness halber muss allerdings betont werden, dass staatliche Ebenen (EU und Deutschland) bei der Transformation der Automobilbranche unterstützend agieren. Fördermittel für die Ansiedlung von Batteriefabriken in Europa, die Idee, Rohstoffe im europäischen Verbund zu besorgen, der Ausbau diverser Infrastrukturen sind positive Beispiele für einen helfenden Staat. Der Umstieg auf Elektromobilität ist nicht neu und wurde bereits von staatlichen Stellen im Jahr 2010 43 Es gibt vielversprechende Ansätze. Bsplw. plant das Unternehmen RockTech den für Elektroautos kritischen Rohstoff Lithium über Inlandsrecycling der Autoindustrie zur Verfügung zu stellen. 44 VDA (2022).

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diskutiert, als die Bundesregierung die „Nationale Plattform Elektromobilität“ einführte und die Erstellung von Technologie-Roadmaps förderte. Bereits zwei Jahre zuvor gab es eine Green Cars-Initiative der EU. Staat und Automobilindustrie müssen einen gemeinsamen Weg finden, den Umstieg auf Elektromobilität mit all ihren Herausforderungen zu schaffen (s. Wirkkraft Infrastruktur) und gleichzeitig den noch auf Jahrzehnte hohen Altbestand von verbrennerbasierten Automobilen mit vernünftigen Konzepten in seiner Klimaschädlichkeit abzudämpfen. Wichtig zudem, dass Regulierungen in der Branche und der Wirtschaft insgesamt auf den Prüfstand gestellt und auch abgeschafft werden. Das scheint in Deutschland und in Europa kaum möglich zu sein, trotz zahlreicher Versuche staatlicherseits, der Bürokratie Herr zu werden. Ideen gibt es, wie etwa ein Verfallsdatum für Regulierungen einzuführen mit der Option der Verlängerung bei Bewährung. Die Idee ist nicht neu und taucht immer wieder in der Diskussion auf, aber sie wurde nie ernst verfolgt. Eine andere Idee wurde von der EU-Kommission im Jahr 2021 vorgeschlagen, um „better regulation“ zu erreichen: „One in- one out“. Dieser pragmatische Ansatz sah vor, dass eine neue Regulierung nur wirksam werden sollte, wenn an anderer Stelle eine andere fortfiele.45 Für das Probejahr 2022 ergab eine Datenanalyse, dass auf EU-Ebene für vier neue Regelungen nur eine abgeschafft wurde (four in – one out). Die Gemengelage für Automobilhersteller im Umgang mit staatlichen Instanzen ist schwierig, manchmal unüberschaubar und komplex. Dass wenig sinnvolle Regulierung bereits vor mehr als hundert Jahren durch den Gesetzgeber erfolgte, belegt ein Beispiel aus England, welches eigentlich eher den Ruf eines wirtschaftlich liberalen Landes hat. Dort gab es in der Frühzeit der Automobilentwicklung den Red Flag Act, der seit dem Jahr 1865 für Dampfwagen regulierte, dass Fahrzeuge ohne Pferd mit einer Geschwindigkeit von maximal 2 Meilen pro Stunde in Ortschaften und 4 Meilen außerhalb von Ortschaften fahren durften. Zusätzlich musste ein Fußgänger vor dem Fahrzeug mit einer roten Fahne vorangehen, um andere Passanten zu warnen. Diese weltfremde Regelung, die auf alle Fahrzeuge ohne Pferd übertragen wurde, schaffte der Gesetzgeber erst im Jahr 1896 wieder ab, rund zehn Jahre nachdem das benzingetriebene Automobil in Deutschland und Frankreich bereits eingeführt war. Die Folge war ein Wettbewerbsnachteil Englands, da das Gesetz jeglichen Ehrgeiz in Richtung Automobilbau abwehrte. Wie das Beispiel zeigt, kann Regulierung innovationshemmend sein, selbst im ansonsten eigentlich pragmatisch handelnden England. Angeblich war das Gesetz ein Coup der britischen Lokomotivenlobby, die im Straßenverkehr 45 Die Idee stammte aus Deutschland, wo sie im Jahr 2014 eingeführt wurde, um Regulierungswachstum zu begrenzen.

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einen unliebsamen Wettbewerber sah und diesen durch dieses Gesetz ausschalten wollte.46 Größere Gefahren drohen der Branche auch durch staatliche Akteure außerhalb der EU. Seit Jahren schwelt ein Konflikt zwischen den USA und China um die weltweite Führungsrolle. Eines der Konfliktfelder ist die Wirtschaft. Sollte der Konflikt weiter eskalieren, könnten Europa und Deutschland irgendwann gezwungen sein, sich für eine Seite zu entscheiden. Das wäre für die Exportnation Deutschland problematisch, denn das Land lebt vom Export. Eine Blockbildung würde wichtige Absatzmärkte gefährden. Im Falle der deutschen Automobilhersteller könnte der wichtigste Exportmarkt China, der für 30 % des Geschäfts der Branche verantwortlich zeichnet, wegbrechen. Vielleicht lauert hier das größte Risikopotenzial für die deutschen Hersteller. Staatliches Handeln auf allen Ebenen (national, intra-EU, extraterritorial) ist eine entscheidende Wirkkraft für die Entwicklung einzelner Hersteller und der Automobilbranche insgesamt.

10.1.6 Wirkkraft Gesellschaft In diesem Abschnitt wird argumentiert, dass Gesellschaften als Ganzes die Wirtschaft ihres Landes tragen oder einschränken können. Wie blicken die Menschen auf Unternehmen? Wie bewerten sie deren Handeln? Wo sehen sie Defizite, wo Stärken? Müssen Veränderungen erzwungen und eingeleitet werden? Fragen wie diese artikulieren sich in gesellschaftlichen Strömungen, die von politischen Parteien aufgenommen werden, in eine politische Willensbildung münden und letztendlich – bei Wahlerfolg – durch Legislative und Exekutive umgesetzt werden. Gesellschaft ist kein homogener Block, sondern ein heterogenes Gemisch aus unterschiedlichen Milieus und Gruppen. Das war in der Kaiserzeit (s. Teil I) nicht anders als in der Gegenwart, auch wenn natürlichen die Lebenswirklichkeiten der Menschen und die Machtverhältnisse komplett anders waren. Die folgende Tabelle hebt die Unterschiede zwischen den Kunden im Kaiserreich und in den 2020er Jahren hervor.

46 Carl Benz bezeichnete dieses britische Gesetz in seinen Lebenserinnerungen als „schildbürgerliche Staatsweisheit“. Weiter schrieb Benz: „Erst im Jahre 1896 wurde die Vorschrift über das Schneckentempo in einem neuen Gesetz über leichte Kraftfahrzeuge aufgehoben“. Benz (1925), S. 83 f.

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Tab. 18: Gesellschaft in der Kaiserzeit und in der Gegenwart Gesellschaft Kaiserreich – Mindset der Gesellschaft offensiv mit einem Vorwärtsdrang: Erschaffen und Tun – Innovation Automobil: für viele unfassbar, dass sich Fahrzeuge ohne Pferd bewegen konnten – Teilweise Begeisterung für das Automobil, besonders in den einkommensstärkeren Kreisen – Teilweise Ablehnung in der Bevölkerung – Eintritt des Automobils in die Gesellschaft wurde „hingenommen“ – Nutzenorientiertes Verhältnis zum Automobil

2020er Jahre – Mindset der Gesellschaft defensiv mit einem Bewahrungsdrang: Erhalten und Abwarten – Ausgereiftes Produkt Automobil: eine der wichtigsten Großanschaffungen für weite Teil der Bevölkerung – Abgeklärte Kunden aus allen Milieus, die viele Dinge im Automobil schlichtweg erwarten und voraussetzen – Teile der Bevölkerung für moderate Einschränkungen des Automobils wie Geschwindigkeitsbegrenzung und autofreie Innenstädte, ansonsten breite Akzeptanz – Das Automobil gilt als unverzichtbarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft („freie Fahrt für freie Bürger“) – Nutzenorientiertes und teilweise moralisierendes Verhältnis zum Automobil

In der Kaiserzeit herrschte ein von vielen geteilter Fortschrittsoptimismus. Damit einher ging das implizite Versprechen eines sozialen Fortschritts. Es wurde angenommen, dass technischer Fortschritt der gesamten Gesellschaft nutzen und damit sozialen Fortschritt ermöglichen würde. Diese These wurde im Streit um das Patentgesetz im Jahr 1877, welcher in den Jahren zuvor ausgetragen wurde, vertreten. Es ging um die gewerbliche Anerkennung von Eigentumsrechten des Erfinders an seiner Innovation, die von den Befürwortern als verdienter Erfinderlohn für seine Ideen, Bemühungen und Investitionen gesehen wurde. Letztendlich wurde ein modernes Patentrecht geschaffen, welches von Wissenschaft und Industrie begrüßt wurde, und welches den „technologischen Wasserfall“ jener Zeit, eine Metapher auf eine unübersehbare große Anzahl an Erfindungen, mit einem angemessenen Patentgesetz juristisch absicherte.47 Eine dieser Erfindungen war das Automobil, welches in nur wenigen Jahren eine überzeugte Anhängerschaft gewann („Early Adopters“). Es gab viel Ablehnung aus nachvollziehbaren Gründen. Lärm, Gestank und die unangenehme Staubplage waren für das nicht autofahrende Publikum lästig. Es gab erhöhte Unfallgefahren mit Todesfällen, da das Verkehrsgeschehen erst langsam reguliert 47 S. Seckelmann (2006) in ihrer ausführlichen Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte des Patentrechts im Kaiserreich.

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wurde (vgl. Kapitel 6). Auch irrationale Ängste, wie die Befürchtung, dass hohe Geschwindigkeiten dem Menschen schaden könnten, eine grundsätzliche Abneigung gegen Veränderungen oder Neid spielten eine Rolle. Last but not least war ein Automobilist in einer dominierenden Position auf der Straße. Das Automobil setzte physisch den Anspruch des Fahrers, die Straße zu beherrschen, durch. Nicht jeder wollte das einem Adeligen oder einem Wirtschaftskapitän, der im realen Leben das Land „beherrschte“, durchgehen lassen. Dennoch wurde die Innovation Automobil als solche nicht grundsätzlich abgelehnt. Entscheidend für die Entwicklung der Automobilindustrie war das Mindset der Gesellschaft, die sich für offensiv mit einem Vorwärtsdrang für technische Innovationen, Erfindungen und den dazu notwendigen Macherqualitäten der Unternehmer interessierte. Der Blick heute auf Wirtschaft und Automobilindustrie ist ein anderer. Heute schaut man eher auf die technischen Risiken als auf den Nutzen. Technischer und gesellschaftlicher Fortschritt marschieren häufig genug getrennt. Seckelmann führt die von Jonas geprägte Heuristik der Furcht an, nach der Gesellschaften vor der Einführung von Technologien das Fürchten vor dem Wünschen konsultieren sollten. Diese Faustformel geht davon aus, dass man besser Risiken vermeiden sollte, um keinen großen Schaden zu riskieren, als das Risiko mit der Zuversicht auf einen großen Nutzen einzugehen. Die Konsequenz dieser Einstellung mündet in Zurückhaltung und Risikoaversion. Seckelmann: „Anders als in der liberalen Ära des 19. Jahrhunderts ist der Fortschrittsoptimismus auch unter den Anwendern der neuen technologischen Möglichkeiten nicht mehr ungebrochen. Das im Patentstreit formulierte Paradigma des Fortschrittsliberalismus, dass alle Bevölkerungskreise von einer Beförderung der Industrie profitierten, da sie am gesellschaftlichen Fortschritt teilhätten, ist in eine Legitimationskrise geraten.“48 Im Ergebnis sieht man erst die möglichen Risiken, weniger den möglichen Nutzen. Im Zweifel unterlässt man dann die Einführung einer Innovation, oder sie wird „kaputtreguliert“ oder der Innovator geht gleich ins Ausland, wo er an seiner Erfindung arbeiten kann. Weiterhin ignoriert man mittlerweile nicht mehr die exogenen Kosten, die durch das Automobil verursacht werden. Diese Kosten wurden in der Vergangenheit von der Gesellschaft getragen und manifestierten sich in der Schädigung scheinbar freier Güter wie Luft und Umwelt. Der Klimawandel ist größtenteils auf den Verbrauch von fossilen Energieträgern zurückzuführen. Der Verkehrssektor gilt als einer der größten Emittenten von CO2, da beispielsweise fossiler Treibstoff in Fahrzeugen verbrannt wird.

48 Seckelmann (2006), S. 423.

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Mit der Überbetonung des Risikos und dem bereits wirkenden Klimawandel ist auch der Optimismus verloren gegangen. Das Mindset der Gesellschaft ist eher pessimistisch und damit inhärent defensiv geprägt. Zeitgeist und Wertewandel scheinen zu lähmen. Wahrscheinlich braucht man ein neues Narrativ, welches den technischen Fortschritt mit gesellschaftlichen Anliegen verbindet und mit dem sich die Bürger identifizieren können. Die Jahrhundertaufgabe Klimawandel könnte als Ankerthema fungieren. Nicht der „Platz an der Sonne“ (Kaiser Wilhelm II.-Metapher für seinen Traum einer kompetitiven Weltmacht Deutschland), sondern ein Land, das mit seinen Fähigkeiten der Welt beweist, dass man den Klimawandel bewältigen kann. Vielleicht wäre die Vision „Deutschland: Schmiede grüner Technik“ als Bild für ein kooperatives Kraftzentrum in Umweltbelangen geeignet. Das könnte helfen, das gesellschaftliche Mindset zu verändern. Folgen wären mehr Zukunftsoptimismus, mehr Risikobereitschaft, mehr Pragmatismus, mehr Geschwindigkeit, mehr Veränderungswillen und mehr Macherqualitäten. Das sind genau die Eigenschaften und Tugenden, die im Kaiserreich vorherrschten. Tun, anpacken, machen und nicht jammern, lamentieren und kritisieren. Tatsächlich gibt es heute viele engagierte Unternehmen und Unternehmer, die etwas bewegen wollen. Sie treibt der Glaube, dass nur der technische Fortschritt dem Klimawandel Einhalt gebieten kann und damit letztendlich die Menschheit vor großem Schaden bewahren kann.49 Die Automobilindustrie gilt als Teil der Lösung und arbeitet mit Hochdruck an Fahrzeugen, die dem Klimaschutz genügen und gleichzeitig die Individualmobilisierung bewahren. Auch das teilweise eine Parallele zur Kaiserzeit. Die frühen Automobilbauer wollten erst das individuelle Fahren ermöglichen, was ihnen in einem langen Prozess gelang. Jetzt wird es einen sehr langen Prozess geben, bis der gesamte Verkehr auf das Fernziel Nullemissionen im Jahr 2050 umgestellt ist. Eine Erfolgsgeschichte der jüngeren Zeit, die zeigt, dass es sich lohnt, optimistisch zu sein, belegt das Beispiel Biontech, einem Unternehmen aus der Pharmaforschung. Dem Unternehmen gelang es im Jahr 2020 dank zweier zuversichtlicher Spitzenforscher (Ugur Sahin, Özlem Türeci mit ihrem Unternehmen Biontech, dank mutiger Geldgeber (Strüngmann-Brüder) und dank leistungsstarker Partner (Pfizer) innerhalb eines Jahres einen Impfstoff gegen das Covid 19-Virus zu entwickeln. Damit retteten sie vermutlich unzählige Menschenleben und gaben den Gesellschaften weltweit wieder Mut, aus dieser Krise herauszukommen. Entscheidend war der Optimismus des Forscherehepaars, die entschlossen, tatkräftig und zuversichtlich seit Beginn der Krise an der Entwicklung eines Medikaments gearbeitet hatten. 49 S. bspw. Hawken (2019), der eine Vielzahl von technischen Problemlösungen zur Bekämpfung der Erderwärmung beschreibt.

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10.1.7 Zusammenfassung Wirkkräfte Fasst man die Kernthemen der Wirkkräfte der Automobilindustrie in griffigen Schlagworten zusammen, erkennt man Parallelen und Unterschiede. Tab. 19: Hauptthemen der verschiedenen Wirkkräfte Hauptthemen Wirkkräfte Kaiserreich – Wachstum – Aufbau, Innovation & Technik

Kunde Hersteller

– – – – –

Wettbewerb Infrastruktur Staat Gesellschaft Bedeutung

Überleben Aufbau Aufgeschlossenheit Optimismus Nischenindustrie

2020er Jahre – Erhalt Kundenbasis – Komplexität multipler Themen managen – Überleben – Aufbau und Erhalt – Fremde Freunde – Pessimismus – Leitindustrie

In der Kaiserzeit war kundenseitig das Hauptthema Wachstum. Es mussten Early Adopters gewonnen werden und ein vorher nicht existenter Markt entwickelt werden. In der Gegenwart sind Unternehmen immer noch wachstumsorientiert, aber gleichzeitig muss eine gewaltige Kundenbasis gehalten und konsolidiert werden. Hersteller waren von jeher mit einem heterogenen Mix an Aufgaben konfrontiert. Die Automobilpioniere der Kaiserzeit konzentrierten sich primär auf die Entwicklung des Produktes, also Kraftfahrzeugtechnik und -bau. Sie mussten permanent innovieren und neue, bessere Modelle auf den Markt bringen, um ihre Kundschaft, die Early Adopters, bei Laune zu halten. Die heutigen Hersteller sind ebenfalls schwerpunktmäßig in der Weiterentwicklung ihrer Fahrzeuge engagiert, müssen aber weiterhin viele andere Themen bewältigen, um die heterogene Gruppe unterschiedlicher Stakeholder zufrieden zu stellen. Vielleicht die komplexeste Aufgabe der Gegenwart ist ihre Fähigkeit zur organisationalen Ambidextrie, denn sie müssen gleichzeitig in der „alten“ Welt der Verbrenner weiter ihr Geld verdienen, um in der „neuen“ Welt der Elektromobilität ein neues, tragfähiges Geschäftsmodell zu errichten. Erschwerend kommen regulatorische Anforderungen durch den Klimawandel hinzu. Unternehmensführung kann sich als entscheidende Qualität herausstellen, um die Unternehmen durch gute und richtige Entscheidungen weiter unter den Top-Automobilherstellern halten zu können. Der Wettbewerb in der Kaiserzeit war hart und er ist es in der Gegenwart. Das Hauptthema war immer die Überlebensfähigkeit von Unternehmen. Aus der

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großen Schar der Wettbewerber der Kaiserzeit und der Weimarer Republik sind nur wenige übrig geblieben, die bis heute zu den führenden Automobilkonzernen der Welt gehören. Der Wettbewerb der 2020er Jahre wird vermutlich ähnlich turbulent sein. Am Ende wird die Gruppe, die sich heute aus unterschiedlichen Branchen und Ländern formiert, deutlich kleiner sein. Der Bau und Erhalt von Infrastruktur war ebenfalls immer ein Thema. Ein Manko war, dass staatliche und privatwirtschaftliche Investitionen dauerhaft unter zu knappen finanziellen Mitteln litten. Benötigten die Automobilisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein vernünftiges Straßennetz, sind in der Gegenwart der Aufbau einer Ladeinfrastruktur im Land und einer europaweiten Batterieproduktion mit ausreichenden Kapazitäten besonders wichtig. Der Staat ist entscheidend für Prosperität oder Niedergang der Automobilindustrie. Als Regelsetzer, Genehmigungsinstanz, Finanzier öffentlicher Infrastruktur und Vertreter geostrategischer Interessen kann er die Entwicklung von Unternehmen fördern oder hemmen. In der Kaiserzeit waren die entscheidenden staatlichen Entscheidungsträger dem Automobil gegenüber aufgeschlossen. In der Gegenwart erscheint die Situation eher unentschieden mit staatlichen Akteuren, die der Branche nahestehen oder mit ihr fremdeln. Wie sich das weiterentwickelt, ist nicht abzusehen. Der Zeitgeist in der Kaiserzeit war optimistisch, offensiv und technologiefreundlich. Das Land wollte im Konzert der Industriestaaten seinen „Platz an der Sonne“. Heute erscheint der Zeitgeist deutlich pessimistischer, defensiver mit einer ausgeprägten Risikoaversion. Der bereits laufende Klimawandel und die vielen Krisen der letzten Jahrzehnte lassen die Menschen verzagter erscheinen. Eine negative Folge für die Automobilbranche könnte ein veränderter Blick von Teilen der Bevölkerung auf sie sein. Sie könnte als wichtiger Mitverursacher der Klimakrise gesehen werden und an gesellschaftlicher Akzeptanz verlieren. Es kommt insbesondere auf die Führungen aus den Unternehmen und im Staat an, die Branche als Mitgestalter zur Lösung der Klimaprobleme im gesellschaftlichen Diskurs zu verankern. Es geht um viel. In der Kaiserzeit war die Automobilindustrie Nische und eher unbedeutend, in der Gegenwart ist sie eine der wichtigsten Industrien des Landes und ein entscheidender Player für den Wohlstand.

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10.2 Quo vadis? „Weltreiche werden von äußeren Feinden erst besiegt, wenn sie sich von innen heraus zerstört haben.“50

Eine zugebenerweise gewagte Analogie für die Situation der Automobilhersteller drückt das Zitat aus, welches ein in der Wirtschaft bekanntes Phänomen beschreibt: es sind häufig die Unternehmen selbst, die sich aus unterschiedlichen Gründen selbst schwächen, damit verwundbar werden und vergehen. Das Zitat bezieht sich auf den Untergang des weströmischen Reichs, der sich etwa 150 Jahre dahinzog, bis im Jahr 476 n. Chr. als der letzte Kaiser Romulus Augustulus von dem Germanen Odoaker abgesetzt wurde. In Rom waren es viele Bürgerkriege, die das Reich und seine Ressourcen von innen so sehr geschwächt hatten, dass äußere Feinde („Völkerwanderung“) das Land besiegen konnten. Allein in den Jahren 364 bis 476 gab es mehr als 100 kriegerische Auseinandersetzungen auf dem Territorium Roms gegen innere (sog. Usurpatoren) und äußere Gegner. Überträgt man diese Analogie auf die Automobilbranche, lässt sich zuerst einmal konstatieren, dass sie stark und eigentlich unbezwingbar erscheint. Doch es lassen sich Bruchstellen beobachten, die den Nimbus der Stärke ankratzen. In der Branche waren es vielleicht zögerliche Entscheidungen auf unterschiedlichen Feldern (z. B. Elektromobilität, Batteriebau, IT-Schwächen), die die Branche angreifbar gemacht haben. Damit wäre man dann bei der Selbstschwächung. Allerdings ist die Branche nicht auf einem Abstiegspfad wie einst das weströmische Reich, noch ist ausgemacht, dass sie jemals einen solchen Pfad beschreiten wird. Ein Grund liegt darin, dass beherzt viele Themen angepackt werden, die vielleicht liegengeblieben sind oder als nicht prioritär eingeschätzt wurden. Aus der Außenperspektive erscheinen die Hersteller zur Selbstkorrektur fähig. Zudem sind Hersteller nicht nur Getriebene ihrer Industrie, sondern zugleich Treiber. In der Vergangenheit sind in der Automobilindustrie Fehler gemacht worden, die sie jedoch berichtigte. Das ermöglicht Zuversicht für die weitere Entwicklung. Drei Beispiele: – Die Fokussierung der Produktion auf eine kleine, wohlhabende Schicht im Kaiserreich war eine Sackgasse. Der richtige Weg war die Massenfertigung, die von Ford eingeleitet wurde, um das Automobil auch für den kleinen Geldbeutel erschwinglich zu machen. Das wäre voraussichtlich nicht aus der deutschen Automobilindustrie gekommen. Die Hinwendung der deutschen Auto-

50 Vgl. Rheinisches Landesmuseum Trier (2022), S. 18. Dieser Satz formuliert eine wesentliche Ursache, warum das weströmische Reich unterging. In der einschlägigen Forschung werden weitere Gründe diskutiert und angeführt.

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industrie zur Massenproduktion wurde vollzogen, wenn auch mit einem großen Zeitverzug. Seit den frühen 1980er Jahren setzte sich bei westlichen Autobauern die Erkenntnis durch, dass Japaner effizienter und günstiger produzieren konnten.51 Die überlegenen Fertigungsmethoden der Japaner mussten vom Westen gelernt werden, um im Kostenwettbewerb nicht unterzugehen. Eine Reaktion, die gelang. Heute erzwingen Klimawandel und der Einsatz neuer Technologien (z. B. Batterietechnik, Elektroautos, Digitalisierung) erhöhte Anpassungsleistungen von der Industrie. Wieder ging mit Tesla ein anderes Unternehmen vor, das früher als die deutschen Automobilbauer die neue und disruptiv wirkende Antriebsform Elektromotor einführte, der den Verbrennermotor ablösen wird. Innerhalb von knapp 20 Jahren hat der Unternehmer Elon Musk aus einem Startup für Elektrofahrzeuge den wertvollsten Automobilkonzern der Welt gebaut und die Branche durcheinandergewirbelt. Die von ihm angestoßenen neuen Entwicklungen werden mittlerweile entschlossen von der deutschen Automobilindustrie angenommen.

Der Blick auf knapp 140 Jahre Automobilgeschichte belegt, dass die Industrie immer wieder bis ins Mark erschüttert wurde und danach stärker aus den jeweiligen Krisen herausgekommen ist. Neben Branchenkrisen gab es zudem exogene Schocks, die signifikante Auswirkungen auf die Branche hatten (1. Weltkrieg 1914– 1918, 2. Weltkrieg 1939–1945, Wiedervereinigung im Jahr 1990, die natürlich ein positives Ereignis war). Die Branche durchlief unterschiedliche Entwicklungen, die sich in fünf Phasen unterteilen lässt. Keine dieser Phasen wurde komplett durch eine neue Phase abgelöst, sondern sie überlagerten sich und liefen teilweise parallel nebeneinander. Jede dieser Phasen hielt unterschiedliche Anforderungen an die deutsche Automobilwirtschaft bereit. Trotz schlechter Ausgangsbedingungen, insbesondere in den Phasen 2 und 3, kämpfte sich die Branche immer wieder nach vorne und verwies die manchmal enteilten Wettbewerber in ihre Schranken. Die jetzige Phase dürfte die nächsten Jahrzehnte bestimmen.

51 Bereits im Jahr 1980 waren Top-Manager und Politiker alarmiert von der Leistungsfähigkeit japanischer Hersteller. Es gab eine Vielzahl von Stimmen, die den Abstieg der deutschen, europäischen und US-amerikanischen Automobilindustrie prophezeiten. BMW-Chef Eberhard von Kuenheim glaubte: „Der Industriestandort Deutschland ist in Gefahr“. Ford-Eigentümer Henry Ford II drückte es drastischer aus: „Die fressen uns auf mit Haut und Haaren.“ Er meinte damit Toyota, das Ford als damals größten Automobilhersteller der Welt ablöste. S. Der Spiegel (1980), S. 52 ff.

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Tab. 20: Wichtige Phasen in der Automobilbranche von 1886 bis 202152 Phase Kurzbeschreibung Jahr

Charakteristika

1

Invention

Frühphase des Auto- Durchsetzung und 0,05 (1913) mobils, handwerkliche Akzeptanz des Produktion, Early Automobils adopters

2

1. Revolution der ab 1912 Automobilindustrie

Massenproduktion, Fließband, Standardisierung, neue Organisationsformen, zahllose Innovationen

Demokratisierung 25,8 (1985) des Automobils

3

2. Revolution der ab 1985 Automobilindustrie

Qualitätsoffensive japanischer Hersteller, Lean Production

Perfektion (Null Fehler) und Produktivitätserhöhung in der Produktion

4

Internationales Supply Chain Management

Internationales Outsourcing, Global Sourcing, Offshoring mit Verlagerung kompletter Produktionen nach Asien, insb. China

Reduzierung Ferti- 44,4 (2015) gungstiefe, wettbewerbsfähige Kosten und Preise

5

Umweltorientierseit 2015 ung und Digitalisierung: 3. Revolution der Automobilindustrie?

Neue Technologien (Batteriebau, Software, Daten), Abschaffung Verbrenner, Einführung E-Mobilität, Erschließung neuer Erlösmodelle, Wettbewerber aus anderen Branchen, ehrgeizige Umweltziele durch staatliche Vorgaben

Nachhaltigkeit, 48,2 (2021) Mitwirkung bei der Bewältigung der Klimakrise, Digitalisierung des Automobils

1886

ab 2001

Ziele

PKW-Bestand in Deutschland in Mio. Stück

42,8 (2000)

52 Bei der Jahresfestlegung der Phasen hat sich der Verfasser an wichtigen Eckdaten orientiert. Im Jahr 1886 patentierte Carl Benz das erste Automobil. Das Jahr 1912 markierte die Einführung der Fließfertigung bei Ford. Das Jahr 1985 war Ausgangsjahr einer Studie von Womack, Jones, Ross (1997) über die Ursachen der Produktivität in japanischen Fabriken. Das Jahr 2001 besiegelte den Beitritt Chinas in die WTO und damit einer beschleunigten Entwicklung des Offshorings durch westliche Unternehmen. Im Jahr 2015 wurde der Dieselskandal bei Volkswagen aufgedeckt, der in seinen Folgewirkungen grundlegend zur Auseinandersetzung der Branche mit dem Thema Umwelt führte.

10.2 Quo vadis? 

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Wettbewerb, der Kampf ums Überleben, Krisen, Technikherausforderungen, exogene Schocks sind nicht Neues für die Automobilbauer. Im Grunde ist bereits alles, wenn auch in unterschiedlichen Gewändern, bereits dagewesen. Man kann daher die zukünftige Entwicklung der deutschen Automobilhersteller optimistisch und gelassen sehen. Ihr historisches Erbe belegt, dass sie allen Herausforderungen gewachsen waren. Sie sind anpassungsfähig, kennen ihre Stärken und Schwächen, neigen nicht zur Selbstaufgabe und verfügen über einen gut entwickelten Kampfgeist, so zumindest die Wahrnehmung von außen. Sie haben die Fähigkeit, sich selbst immer wieder „aufzuladen“ und die Branche weltweit zu „elektrisieren“. Vor mehr als hundert Jahren erschien ein Werk von Arthur Shadwell, einem britischen Sachbuchautor, in dem er nachzuzeichnen versuchte, warum die USA und Deutschland erfolgreicher als England waren, welches immerhin hunderte von Jahren die Welt dominiert hatte und mit seiner Industrialisierung als erstes Land an der Überwindung der Massenarmut arbeitete. Eine der Antworten, die er bei seinen Recherchen im Kaiserreich fand, lautete harte Arbeit auf allen Ebenen.53 Diese führte zu einer großen industriellen Produktivität, die wiederum die Fabriken erblühen ließ, die im Ausland begehrte Produkte herstellten. Dagegen stellte er ein England, welches im relativen Abstieg begriffen war. Arbeiter beschrieb er als eher freizeitorientiert („football and betting“), die nach dem Motto arbeiteten: „Get as much and do as little than possible.“ Das waren Stereotype, vielleicht sogar nur anekdotische Evidenz, aber sicher enthielten sie ein Körnchen Wahrheit, denn England war ein Land, welches den Zenit seiner Macht überschritten hatte, während Deutschland mit einer ganz anderen Motivation als England noch im Aufstieg begriffen war. Shadwell erkannte als Zeitgenosse nicht alle Gründe, die als Erklärung für den Aufstieg Deutschlands und den Abstieg Englands dienen konnten, aber er beobachtete richtigerweise, dass sich sein Land verglichen mit Deutschland im relativen Niedergang befand, was auch einschlägige Statistiken belegten. Hundert Jahre später wird der Eindruck erweckt, dass nun Deutschland seine beste Zeit hinter sich gelassen hat und sich auf einem Abstiegspfad befindet. Ein düsteres Bild malte ein Essayist im Jahre 2021, als er Deutschland als ein Land beschrieb, welches auf vielen Zukunftsfeldern nur noch Mittelmaß sei, über einen dysfunktionalen Staat verfügt, überheblich gegenüber anderen Ländern auftritt und dem es dank seines Wohlstands noch (zu) gut geht. 53 Shadwell (1913), S. 652 ff. Er beschreibt weitere Charakteristika, die für die Deutschen aus seiner Sicht kennzeichnend waren, wie z. B. Ordnung (durch den Gesetzgeber und bei den Bürgern), stetige Anstrengung, eine gewisse Gemeinwohlorientierung (natürlich auf einem niedrigen Niveau verglichen mit der Gegenwart, aber besser als in England zu jener Zeit). Das Werk enthält lesenswerte Beobachtungen eines Augenzeugens, der das Deutschland der Kaiserzeit bereiste und viele interessante Beobachtungen in diversen Regionen und Betrieben machte.

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Auch die Automobilindustrie bekam ihr Fett weg, der er ins Stammbuch schrieb, dass sie zu lange an Bestehendem festgehalten hatte, statt selbst neue Entwicklungen voranzutreiben („sie haben es wirklich vergeigt“).54 Man muss der Meinung des Essayisten nicht in allen Punkten folgen, denn die deutsche Automobilindustrie ist mittlerweile „aufgewacht“ und arbeitet mit Hochdruck an ihrem Comeback. Die Ähnlichkeiten der Automobilbranche in der Gegenwart mit der Lage im Kaiserreich sind in mancherlei Hinsicht frappierend. Am Anfang der Branche standen Ende des 19. Jahrhunderts wenige Hersteller. Deren Erfolge lockten viele neue Unternehmen an, die ihr Glück in der Branche versuchten. Nach einem langen Konkurrenzkampf und einigen gravierenden exogenen Schocks standen nur noch wenige Hersteller. Der Wettbewerb war stark national geprägt. Im Jahr 1950 gab es in Deutschland noch eine Handvoll Unternehmen, die seit den Kaiserzeiten überlebt hatten. Danach verlagerte sich der Wettbewerb zunehmend auf die globale Ebene. Auch hier überstanden nur wenige traditionelle Großunternehmen den Wettbewerb bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Etwas mehr als ein Dutzend Unternehmen aus Europa, den USA, Südkorea und Japan dominierten lange Zeit den Weltmarkt. Jetzt zu Beginn der dritten Dekade haben viele neue Player aus anderen Branchen und Ländern das lukrative Geschäftsmodell Automobil entdeckt und fordern die traditionellen Hersteller heraus. Die Anzahl der Konkurrenten erhöhte sich und wird weiterwachsen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie ein ähnliches Niveau wie im Jahr 1923 erreichen wird, als in Deutschland 98 aktive Firmen in der Branche registriert wurden, aber eine Verdreifachung im Vergleich zu dem Niveau vor zwanzig Jahren auf 30 bis 40 Unternehmen könnte erreicht werden. Allein in China sind diverse Automobilproduzenten entstanden, die noch vor zwanzig Jahren nicht existierten. Der Kampf um Marktanteile wird sich weiter intensivieren und es werden wieder Unternehmen aus dem Wettbewerb ausscheiden. Die Probleme in der Gegenwart sind für die deutschen Automobilbauer komplexer als für die Produzenten im Kaiserreich, aber die „Spielfelder“ sind gleichgeblieben: Kunde, Hersteller selbst, Wettbewerb, Infrastruktur, Staat, Gesellschaft. Die höhere Komplexität der Branche kann als Chance für die traditionellen Hersteller genutzt werden. Sie sind nicht nur Getriebene, sondern ihrerseits Treiber und Gestalter ihrer Unternehmen und der Branche. IT-Giganten wie Apple registrieren wahrscheinlich, dass das Ökosystem Automobil mehr ist als „Blechbiegen“. Der Abstieg der deutschen Automobilindustrie ist mitnichten vorgezeichnet. Dies ist eine Lehre aus der Geschichtswissenschaft. Eine Zwangsläufigkeit in eine vorbestimmte Richtung gibt es nicht. Entscheidend sind die Wendepunkte, an de54 Fichtner (2021), S. 34 ff.

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nen man sich für einen Pfad entscheiden muss. Der Historiker Diner beschrieb das wie folgt: „Würden wir aus der Geschichte auch nur lernen, in der Gegenwart genauer hinzusehen, wäre schon viel gewonnen.“55 Die Automobilgeschichte lehrt, dass die deutschen Automobilhersteller nie First Mover waren, wenn man von der Erfindung des Automobils absieht. Sie folgten dem Pionier und holten ihn dann mit einer „Follow the Leader“-Strategie und einem Zeitverzug ein.56 Die 1. Revolution der Automobilindustrie basierte auf Henry Fords Ideen, die dann von den deutschen Herstellern übernommen wurden. Die 2. Revolution der Automobilindustrie wurde von Konzepten der Japaner gestaltet, die von den deutschen Herstellern adaptiert wurden. Die 3. Revolution der Automobilindustrie wurde von Elon Musk (Tesla) angestoßen und wird nun mit Vehemenz von den deutschen Herstellern mitgestaltet. Eine Lehre ist sicher, dass die deutschen Hersteller schwach in der Rolle des First Movers sind, aber mit Verspätung als Follower den Markt mitgestalten. Daher sollte man großzügiger mit der Performance der deutschen Hersteller umgehen, wenn sie etwas noch nicht können, was die ausländische Konkurrenz bereits beherrscht. Sie holen auf, weil sie immer aufgeholt haben. Eine weitere Lehre ist der breite Blick der Hersteller seit der Kaiserzeit nicht nur auf inländische, sondern auch auf eine internationale Kundschaft. Die Hersteller lebten immer auch vom Export. Waren es zu Benz und Daimlers Zeiten noch primär Kunden aus europäischen Nachbarländern, sind sie heute über die gesamte Welt verteilt. Streuung der Kundenbasis über viele Länder ermöglicht eine robuste Diversifikation und damit eine Risikoreduktion. Dass Kunden, ob Early Adopters oder Late Majority, weltweit immer deutsche Autos bewundert haben, ist ein Pfund, mit dem man wuchern kann. Die Neigung vieler Kunden zu deutschen Automobilen war vor allem den technischen Fähigkeiten der deutschen Hersteller geschuldet. Sie gehörten in der Kaiserzeit zur Speerspitze der automobilen Entwicklung und sie sind es auch danach immer gewesen. Von Beginn an waren es die technischen Leistungen von Benz, Daimler und anderen, die exzellente Autos entstehen ließen. Das „Made in Germany“ reicht bis in die heutige Zeit. Ein wunder Punkt heute mag die begrenzte technische Verfügbarkeit neuer Anforderungen an das Automobil sein. Defizite, etwa im digitalen Bereich, werden sich die Unternehmen aneignen oder über Kooperationen mit IT-Unternehmen einkaufen müssen.

55 Der Spiegel (2022), S. 116 ff. 56 Diese Strategie wird in oligopolistischen Märkten von Konkurrenzunternehmen verfolgt, die mit einer kombinierten Folger- und Timingstrategie dem Pionier nachfolgen. Sie wird häufig für Exportmärkte angewendet.

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Besonders wichtig sind die gestaltenden Menschen in der Industrie. Die verantwortlichen Personen der Kaiserzeit in der Automobilindustrie zeichneten sich durch einen großen Optimismus und Fortschrittsglauben aus. Sie waren zudem Macher, die Dinge anpackten und umsetzten. Die verantwortlichen Personen in der heutigen Automobilindustrie erscheinen ebenfalls als Machertypen und Gestalter, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und entschlossen an der Verteidigung der Pole Position der deutschen Automobilindustrie arbeiten. Ob das gelingt, ist nicht sicher. Aber es gibt begründeten Anlass zum Optimismus.

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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23:

Das erste Automobil von Benz aus dem Jahr 1885 Carl Benz und seine Tochter Clara in einer Benz Viktoria im Jahr 1894 Mercedes 31/55 PS, Modell Landaulet aus dem Jahr 1909 24 PS-Wagen von Daimler im Besitz von Emil Jellinek im Jahr 1900 Offiziere während eines Kaisermanövers im Jahr 1908 Mitglieder des Freiwilligen Automobilistenkorps am 4. Februar 1905 auf der Internationalen Automobil-Ausstellung Berlin Kaiser Wilhelm II. vor der Frühjahrsparade des Gardecorps am Tempelhofer Feld in Berlin im Jahr 1913 Automobil begegnet im Jahr 1900 einem „Hippomobil“ Die drei Mercedes-Fahrer in ihren Fahrzeugen nach dem Sieg am 4. Juli 1914 2. Prinz-Heinrich-Fahrt im Jahr 1909 mit Baron von Durant (Startnummer 673) am Start in einem Mercedes-Wagen Seite 1 Automobil-Adressbuch Benz Typ 24/40-PS, Limousine, Kardanübertragung aus dem Jahr 1910 Gewerbewagen Dürkopp Modell „Canello“ mit Unternehmer Sally Windmüller im Fond in der Mitte sitzend um 1900 Eröffnungsfahrt des ersten Daimler-Motor-Omnibusses der Allgemeine Berliner Omnibus AG (ABOAG) im November 1905 Berufsfeuerwehr Breslau mit einem 28/32-PS-Fahrgestell von Daimler Marienfelde im Jahr 1910 Adler 16/18 HP Kleinlieferwagen (Flaschenbierwagen) für Nutzlasten bis 300 kg im Jahr 1908 Das erste Serienmotorrad der Welt von Hildebrand & Wolfsmüller um 1894 entwickelt Modell Zeus des Motorradherstellers Ch. Linser aus dem Jahr 1904 Vordruck der Behörden zur Anmeldung eines Fahrzeugs (Spalte 1 bis 9) Vordruck der Behörden zur Anmeldung eines Fahrzeugs (ab Spalte 10) Seite 1 der Steuerkarte eines Kraftfahrzeugbesitzers Seite 2 der Steuerkarte eines Kraftfahrzeugbesitzers Ausstellungsstand des deutschen Kaisers Wilhelm II. auf der Internationalen Automobilausstellung in Berlin im Februar 1905

https://doi.org/10.1515/9783111067704-012

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Entwicklung des deutschen Fahrzeugbestands nach Fahrzeugkategorien seit 1902 in Stückzahlen Tabelle 2: Klassifizierbare und nicht-klassifizierbare Fahrzeuge aus dem Adressbuch Tabelle 3: Aufteilung Fahrzeuge nach Kategorien der Behörden im Jahr 1909 in Stück und % Tabelle 4: Bundesstaaten im Kaiserreich mit der Anzahl unterschiedlicher Fahrzeugkennzeichen Tabelle 5: Die Kennzeichen des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1909 Tabelle 6: Verteilung des Fahrzeugbestandes nach Ländern im Jahr 1909 Tabelle 7: Anzahl der Fahrzeuge im Jahr 1909 aus verschiedenen Perspektiven Tabelle 8: Anzahl Fahrzeuge nach Fahrzeughaltern in den 25 größten Städten im Jahr 1909 Tabelle 9: Soziale Klassen im Kaiserreich nach Bevölkerung in % und Mio. Einwohnern Tabelle 10: Soziale Klassen im Kaiserreich nach Bevölkerung und Fahrzeughaltern Tabelle 11: Verteilung Fahrzeugkategorien nach Schichten Tabelle 12: Fahrzeughalterprofil im Jahr 1909 nach diversen Kriterien Tabelle 13: Kunden im Kaiserreich und in der Gegenwart Tabelle 14: Hersteller im Kaiserreich und in der Gegenwart Tabelle 15: Wettbewerb im Kaiserreich und in der Gegenwart Tabelle 16: Infrastruktur im Kaiserreich und in der Gegenwart Tabelle 17: Staat in der Kaiserzeit und in der Gegenwart Tabelle 18: Gesellschaft in der Kaiserzeit und in der Gegenwart Tabelle 19: Hauptthemen der verschiedenen Wirkkräfte Tabelle 20: Wichtige Phasen in der Automobilbranche von 1886 bis 2021

https://doi.org/10.1515/9783111067704-015

Grafikverzeichnis Grafik 1: Entwicklung des deutschen Fahrzeugbestands seit 1902 in Stückzahlen Grafik 2: Fahrzeugverteilung nach Landesteilen im Jahr 1909 Grafik 3: Anzahl Fahrzeuge je 1.000 Einwohner im Jahr 1909 Grafik 4: Prozentanteile der sozialen Klassen im Kaiserreich Grafik 5: Anzahl Fahrzeuge an gesamt in % nach Schichtzugehörigkeit im Jahr 1909 Grafik 6: Kacheldiagramm Verteilung Fahrzeugkategorien nach Schichten Grafik 7: Verteilung von Adel und Rittergutsbesitzern nach verwendeten Fahrzeugtypen in % Grafik 8: Verteilung von gehobenem und übrigem Bürgertum nach verwendeten Fahrzeugtypen in % Grafik 9: Verteilung Privatiers nach verwendeten Fahrzeugtypen in % Grafik 10: Verteilung Lebenswelt Land nach verwendeten Fahrzeugtypen in % Grafik 11: Verteilung Lebenswelt Proletariat nach verwendeten Fahrzeugtypen in % Grafik 12: Verteilung Staat nach verwendeten Fahrzeugtypen in % Grafik 13: Verteilung Militärangehörige (aktiv und ehemalig) nach verwendeten Fahrzeugtypen in % Grafik 14: Verteilung Sonstige nach verwendeten Fahrzeugtypen in % Grafik 15: Fahrzeughalter nach Geschlecht Grafik 16: Verteilung Fahrzeugtyp nach Fahrzeughalterinnen in % Grafik 17: PKW-Bestand in Deutschland von 1907 bis 2021 Grafik 18: Automobilfirmen in Deutschland von 1886 bis 1945 Grafik 19: Automobilfirmen in Deutschland in % der Zu- und Abgänge bis 1945

https://doi.org/10.1515/9783111067704-016

Personenverzeichnis Ahmet Tevfik Pasha 124, 201 Alexander II., Zar von Russland 136, 147 Althann, Robert von 132 Althoff, Theodor 15, 213 Arenberg, Engelbert Herzog von 138 Baare, Friedrich 161 Baare, Louis 161 Baare, Wilhelm 161 Baden, Max Prinz von 148 Ballin, Albert 152 Battenberg, Ludwig Alexander Prinz von 149 Bayer, Adele 164 Bayer, Friedrich 164, 182 Bayern, Alfons Prinz von 142 Bayern, Georg Prinz von 143 Bayern, Leopold Prinz von 143, 205 Bayern, Louise-Victoire Prinzessin von 142 Bayern, Ludwig Ferdinand Prinz von 142 Bayern, Ludwig I. König von 205 Bayern, Ludwig II. König von 206 Bayern, Ludwig III. König von 143, 146, 205 Becker, Gustav 127 Beckmann, Max 196 Belgien, Louise Prinzessin von 139 Beneckendorff und von Hindenburg, Herbert von 143 Benz, Carl 13, 16, 27, 32, 34–41, 47, 51, 74, 153, 170, 174, 211, 217, 224–226, 230– 231, 240–241, 258, 266 Benz, Clara 35 Benz, Richard 174 Bernatz, August 188 Bernstorff, Johann Heinrich Graf von 144 Bernthsen, August 200 Bethusy-Huc, A. Graf von 133 Bilfinger, Paul 188 Binding, Conrad 179 Bismarck, Otto von 83, 109, 154, 161, 201 Bleichröder, Gerson von 124, 201 Bleichröder, James von 124, 201 Boch-Galhau, Luitwin von 165 Boch-Galhau, Martha von 165 Boch-Galhau, Roger von 165 https://doi.org/10.1515/9783111067704-017

Boehringer, Albert 189 Boehringer, Ernst 189 Borries, Georg von 127 Borsig, Arnold 155 Borsig, August Julius Albert 16, 37, 131 Borsig, Conrad 155 Borsig, Ernst 155 Bosch, Robert 38, 130, 170–171 Böttinger, Henry Theodore 164, 182 Brahms, Johannes 198 Brandenstein, Otto Baron von 42 Bray-Steinburg, Hippolyt Graf von 141 Bruckner, Anton 198 Brüning, Gustav von 159 Budde, Hermann von 124–125 Buderus, Familie 183 Bugatti, Ettore 132, 204 Bülow, Bernhard von 45–46, 123, 143 Bumm, Ernst 199 Bunsen, Robert 198 Burmester, Willy 200 Büsing-Orville, Adolf Freiherr von 144 Caro, Heinrich 15, 200 Caruso, Enrico 191, 196 Chopin, Frédéric 202 Colsman, Adalbert 196 Colsman, Hermann 195 Cramer-Klett, Theodor Freiherr von 142 Croy, Jos. Prince de 139 Daimler, Adolf 53, 124, 170 Daimler, Gottlieb 16, 25, 27, 30, 32, 37–40, 44, 53, 68, 124–125, 170, 172, 204, 211, 224, 230–231, 240–241 de Dietrich, Eugene 64 Deußer, August 196 Deuster, Friedrich von 146 Dolgorukowa, Maria 202 Droste zu Hülshoff, Carl Caspar Freiherr von 137 Droste-Hülshoff, Annette von 137 Dunlop, John 38

Personenverzeichnis 

Durant, Baron von 53 Dürckheim, Graf von 140 Dürckheim-Montmarin, Alfred Graf Eckbrecht von 206 Dürkopp, Nikolaus 16, 65, 124, 180, 231, 241 Ebbinghaus, Gustav 194 Edge,Selwyn 246 Edinburgh, Victoria Melita von 150 Edison, THomas Alva 153 Eduard VII., König von England 202 Einem, Karl von 44, 124 Einstein, Albert 15 Elisabeth II., Königin von England 149 Engelhorn, Friedrich 186 Faber, Ottilie 169 Faber, Sophie Freiin von 206 Faber-Castell, Alexander Graf von 169 Flesch, Max 192 Flick, Friedrich Karl 183 Fontane, Theodor 21 Ford II, Henry 265 Ford, Henry 2, 26, 119, 232, 238, 246, 269 Francken-Sierstorpff, Adalbert von 136 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich 139, 143 Frentzen, Georg 193 Freudenberg, Carl Johann 189 Friedländer-Fuld, Fritz von 157 Fugger von Glött, Karl-Ernst Fürst 147 Fugger, Jakob 147 Furtwängler, Wilhelm 197 Galen, August Graf von 141 Galen, Clemens Graf von 141 Gerstein, Karl 161 Goldschmidt-Rothschild, Maximilian von 159 Goschen, Edward 202 Grohe, Hermann 14 Grün, August 188 Guilleaume, Antoniette von 179 Guilleaume, Arnold von 179 Guilleaume, F.C. 179 Guilleaume, Max von 121, 179

281

Haas von Hasenfels, Georg 168 Hachenburg, Alexander Graf von 139 Hamsun, Knud 197 Haniel von Hainhausen, Henriette 164 Haniel, Franz junior 130, 163 Haniel, John von 164 Hass, Markus 249 Heintze, Heinrich Christian 189 Helfferich, Karl 18 Henckel von Donnersmarck, Guidotto Graf 133 Henkel, Friedrich Karl 130, 166 Henschel, Karl 158 Henschel, Oscar 158 Henschel, Sophie 158 Herder, Hermann 173 Hertzog, Rudolf 85 Hessen, Ernst Ludwig Großherzog von 150 Hiddemann, Benno 195 Hindenburg, Paul von 129, 143, 205 Hirschberg, Karl Freiherr von 206 Hitler, Adolf 138, 140 Hoffmann-La Roche, Fritz 188 Hohenlohe-Langenburg, Ernst II. Fürst zu 147 Hohenlohe-Öhringen, Christian Kraft Fürst zu 134, 202 Hohenlohe-Öhringen, Max Prinz zu 202 Hohenlohe-Schillingsfürst, Alexander Prinz zu 151 Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig zu 151 Hohenzollern, Franz Joseph Prinz von 134 Hohenzollern, Friedrich von 134 Hohenzollern, Wilhelm Fürst von 134 Hohner, Matthias 172 Hohner, Matthias senior 172 Hohner, Willy 172 Horch, August 2, 16, 40–41, 130, 152–153, 241 Hornbach, Familie 131, 167 Hoyos-Sprinzenstein, Ernst Graf von 33 Huang, Jensen 246 Ibsen, Henrik 197 Imhoff, Hans 163

282  Personenverzeichnis

Jacobi, Eugen 203 Jandorf, Adolf 155 Jandorf, Karl 155 Jellinek, Emil 38–39, 170 Jellinek, Mercedes 38, 271 Joachim, Joseph 200 Joest, Carl 166 Jonas, Hans 260 Jost, Michael 211 Junghans, Erhard 171 Junghans, Erwin 171 Just, Otto 41 Källenius, Ola 211 Karstadt, Rudolph 155 Kaulbach, Friedrich August Ritter von 196 Kekulé, August 200 Ketteler, Wilhelm Wilderich Freiherr von 138 Kindle, Fred 213 Kirsch-Puricelli, Nikolaus 162 Kirsch-Puricelli, Paul 163 Kirschner, Martin 124 Klapper, Edmund 25 Kleinewefers, Johann 184 Kleinewefers, Paul 184 Kleinwefers, Paul 184 Klemperer, Otto 191 Kleyer, Heinrich 41, 53, 121, 125, 128 Klingebeil-Glüber, Käthe 169 Knorr, Ludwig 198 Knote, Heinrich 196 Koch, Robert 15 Krätke, Reinhold 126 Kraus, Felix von 198 Krupp von Bohlen-Halbach, Gustav 178 Krupp, Alfred 14, 16, 113, 124, 130 Krupp, Bertha 178 Krupp, Friedrich Alfred 113, 178 Krupp, Margarethe 178 Kuenheim, Eberhard von 265 Kühlewindt, Alfred 203 Laguna de la Vera, Rafael 238 Lahmeyer, Wilhelm 179 Lang-Puchhof, Carl von 146 Langen, Albert 197

Laue, Max von 15 Lautenschläger, Christian 52 Leiningen, Emich Fürst zu 146 Leitz II, Ernst 163 Leitz, Ernst 163 Leitz, Louis 171 Leopold II., König von Belgien 139 Lepsius, Bernhard 160 Lerchenfeld, Freiherr Ludwig von 148 Leuchtenberg, Georg Herzog von 145 Levassor, Emile 39 Liebig, Theodor Baron von 30 Linde, Carl von 16 Lippe, Leopold IV. Fürst zur 132 Liszt, Franz 150 Löwenstein-Wertheim-Freudenberg, Alfred Prinz zu 148 Löwenstein-Wertheim-Freudenberg, Ernst Fürst zu 142 Lucius von Stoedten, Hellmuth 136 Lucius, Bertha Baronin von 136 Ludendorff, Erich 129 Lüdinghausen, Bernd Freiherr von 203 Lutz, Richard 249 Lutzmann, Friedrich 16, 174, 241 Mallinckrodt, Max von 194 Mann, Heinrich 197 Mann, Thomas 99 Marcus, Siegfried 36 Marschütz, Carl 187 Maybach, Wilhelm 16, 37, 124, 170, 172, 204 Mecklenburg, Marie Prinzessin zu 136 Meister, Herbert von 159 Mendelssohn-Bartholdy, Ernst von 154 Mendelssohn-Bartholdy, Paul von 154 Merck, Heinrich Emanuel 175 Merck, Louis 175 Merck, Willy 175 Metternich, Clemens Fürst von 150 Metzger, Ottilie 191 Moltke (der Jüngere), Helmuth von 205 Moltke, Helmuth von 83 Montgelas, Maximilian Graf von 205 Monts, Anton Graf von 143 Müller, Hildegard 249

Personenverzeichnis

Mumm von Schwarzenstein, Hermann 192 Mumm, Emma von 192 Mumm, Walter von 192 Münchhausen, Freifrau von 134 Münchhausen, Hieronymus Carl Friedrich von 134 Müser, Robert 181 Musk, Elon 233, 246, 265, 269 Nikolaus II., Zar von Rußland 136 Oertel, Walter 69 Oldenburg, Alexander Prinz von 136 Olds, Ransom Eli 177, 241 Opel, Adam 174 Opel, Heinrich 124 Opel, Sophie 174 Oppenheim, Franz 157 Oranien-Nassau, Prinzessin Marie von 140 Osten-Sacken, Nikolai Graf von 202 Österreich, Elisabeth Kaiserin von 143 Österreich, Franz Joseph I. Kaiser von 143 Österreich, Marie-Henriette Erzherzogin von 139 Österreich-Este, Franz Ferdinand Erzherzog von 134 Österreich-Toskana, Heinrich-Ferdinand Erzherzog von 143 Otto, Nicolaus 37, 204 Pabst, Emma 160 Pabst, Frederick 160 Pallavicini, Alexander Markgraf 42 Panhard, René 39, 65 Papen, Franz von 138, 165 Pennarini, Alois 191 Peugeot, Armand 40, 207 Peugeot, Jules 207 Pfaff, Georg Michael 186 Pfitzner, Hans 191 Phelps, Edmund 17 Philip, Herzog von Edinburgh 149 Planck, Max 15 Pless, Heinrich XV. Prinz von 129 Pless, Mary von 129 Porsche, Ferdinand 30



283

Posadowski-Wehner, Arthur Graf von 138 Posadowski-Wehner, Hans Adam Nikolaus Graf von 138 Preußen, Adalbert Prinz von 130, 135 Preußen, Friedrich Wilhelm III. König von 140 Preußen, Heinrich Prinz von 44, 47, 74, 123, 130, 135, 142 Preußen, Oskar Prinz von 130, 140 Preußen, Waldemar Prinz von 130, 151 Preysing, Gräfin Hedwig von 145 Preysing, Kaspar Graf von 145 Prym, Heinrich August 162 Quandt, Familie 188 Quidde, Ludwig 191 Quidde, Rudolf 190 Radziwill, Stefanie Prinzessin 139 Rathenau, Emil 16, 37, 153 Rathenau, Walther 16, 37, 153 Ratibor, Victor II. Herzog von 44 Recke von der Horst, Eberhard Freiherr von der 137 Reismann-Grone, Theodor 195 Reitzenstein, Freiherr von 147 Reitzenstein, Helene Freifrau von 147 Renouard de Bussière, Mélanie Comtesse 150 Reuleaux, Franz 13 Reuß zu Köstritz, Heinrich XXX. Prinz 109, 135 Reuther, Fritz 174 Richthofen, Albrecht Freiherr von 133 Richthofen, Manfred von 133 Roger, Emile 37–38, 40, 217 Rogers, Everett 23 Röntgen, Wilhelm Conrad 15 Rooy, Anton van 191 Rosenthal, Philip 168 Rosenthal, Philipp 168 Rothschild, Minna von 159 Rußland, Georg Großfürst von 137 Rußland, Wladimir Großfürst von 136

284  Personenverzeichnis

Sachsen-Altenburg, Ernst II Herzog von 121 Sachsen-Coburg und Gotha, Alexandra von 147 Sachsen-Coburg und Gotha, Philipp Prinz von 139 Sachsen-Meiningen, Feodora von 135 Sachsen-Weimar-Eisenach, Wilhelm-Ernst Großherzog von 133 Sahin, Ugur 261 Salm-Horstmar, Otto II. Fürst zu 137 Salm-Reifferscheidt-Dyck, Alfred Fürst zu 141 Salm-Salm, Alfred Fürst zu 137 Sandizell, Karl Theodor Graf von und zu 144 Sarasate, Pablo de 200 Sarazin, Edouard 39 Sarazin-Levassor, Louise 39 Sartorius, Florenz 158 Sauvage, Jean 16 Sayn-Wittgenstein, Richard Fürst zu 140 Schaumburg-Lippe, Adolf Prinz zu 141 Schillings, Max von 197 Schlitz genannt von Görtz, Emil Graf von 149 Schloßmann, Artur 194 Schoeller, Familie 182 Schönburg-Waldenburg, Heinrich Prinz von 135 Schorlemer-Lieser, Clemens Freiherr von 139 Schrenk-Notzing, Albert Freiherr von 198 Schulze, Otto 81 Scotta, Frida 196 Seidl, Emanuel von 197 Shadwell, Arthur 267 Sibelius, Jean 200 Siemens, Carl Friedrich von 154 Siemens, Familie 105, 154 Siemens, Georg Wilhelm von 105, 154 Siemens, Werner von 16, 130, 154 Siemens, Wilhelm von 105 Simon, Katharina 195 Söhnlein-Pabst, Friedrich-Wilhelm 160 Sombart, Werner 17, 98 Speer, Albert 199 Speer, Albert Friedrich 199 Stauffenberg, Claus Graf Schenk von 148 Stauffenberg, Franz Schenck Freiherr von 148

Stauffenberg, Nina Gräfin Schenk von 148 Steiff, Margarete 173 Steiff, Paul 173 Steinfurth, Ludwig Löw Freiherr von und zu 204 Stinnes, Hugo 16, 131, 164–165 Stollwerck, Carl 163 Stollwerck, Franz 163 Strauss, Richard 191, 197 Stresemann, Gustav 68 Stumm-Halberg, Carl-Ferdinand von 136 Tellgmann, Familie 131 Tellgmann, Hans 203 Tellgmann, Oscar 203 ter Meer, Edmund 167 Thoma, Ludwig 197 Thurn und Taxis, Albert Fürst von 146 Thyssen, August junior 156 Thyssen, August senior 130, 156 Thyssen, Fritz 146, 156 Tiele-Winckler, Walter Freiherr von 132 Tietz, Hermann 155 Tirpitz, Alfred von 124 Tower, Charlemagne 124 Türeci, Özlem 261 Urach, Wilhelm Herzog von 206 Victoria, Königin von Großbritannien 19, 135, 147, 150, 202 Victoria, Prinzessin von Großbritannien und Irland 19, 201 Virchow, Robert 192 Virchow, Rudolf 15 Wagner, Cosima 191, 198 Wagner, Richard 191 Walter, Bruno 191 Wedekind, Frank 197 Wedel, Karl Graf von 151 Weidtman, Victor 193 Weiler, Julius 167 Wendel, Charles de 176 Wertheim, Familie 57, 121 Wertheim, Georg 155

Personenverzeichnis 

Wetter, Max 194 Wied, Friedrich Fürst zu 140 Wilhelm I., Kaiser 83, 140, 205 Wilhelm II., Kaiser 11, 15, 18, 20, 44, 46–47, 85, 119, 121, 123, 125–126, 129–130, 134–135, 137, 139–141, 148–150, 154, 194, 202–203, 218, 261 Wilhelm II., König 85

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Windmüller, Sally 65, 161–162 Wortmann, Hildegard 211 Zeppelin-Aschhausen, Friedrich Graf von 152 Züblin, Eduard 176 Zweig, Arnold 207 Zypen, Frau van der 193 Zypen, Julius van der 193

Abbildungsnachweis Coverbild: Prinz Heinrich am Steuer eines Benz 70 PS Triple Phaeton / Abdruckgenehmigung durch Mercedes-Benz Classic, Stuttgart Abbildung 1: Das erste Automobil von Benz aus dem Jahr 1885 / Abdruckgenehmigung durch Mercedes-Benz Classic, Stuttgart Abbildung 2: Carl Benz und seine Tochter Clara in einer Benz Viktoria im Jahr 1894 / Abdruckgenehmigung durch Mercedes-Benz Classic, Stuttgart Abbildung 3: Mercedes 31/55 PS, Modell Landaulet aus dem Jahr 1909 / Abdruckgenehmigung durch Mercedes-Benz Classic, Stuttgart Abbildung 4: 24 PS-Wagen von Daimler im Besitz von Emil Jellinek im Jahr 1900 / Abdruckgenehmigung durch ANNO/Österreichische Nationalbibliothek Abbildung 5: Offiziere während eines Kaisermanövers im Jahr 1908 / Abdruckgenehmigung durch ANNO/Österreichische Nationalbibliothek Abbildung 6: Mitglieder des Freiwilligen Automobilistenkorps am 4. Februar 1905 auf der Internationalen Automobil-Ausstellung Berlin / Abdruckgenehmigung durch ANNO/Österreichische Nationalbibliothek Abbildung 7: Kaiser Wilhelm II. vor der Frühjahrsparade des Gardecorps am Tempelhofer Feld in Berlin im Jahr 1913 / Bundesarchiv, Bild 183-T1204-510 / Fotograf: Tellgmann / Lizenz CC-BY-SA 3.0 Abbildung 8: Automobil begegnet im Jahr 1900 einem „Hippomobil“ / Abdruckgenehmigung durch ANNO/Österreichische Nationalbibliothek Abbildung 9: Die drei Mercedes-Fahrer in ihren Fahrzeugen nach dem Sieg am 4. Juli 1914 / Abdruckgenehmigung durch Mercedes-Benz Classic, Stuttgart Abbildung 10: 2. Prinz-Heinrich-Fahrt im Jahr 1909 mit Baron von Durant (Startnummer 673) am Start in einem Mercedes-Wagen / Abdruckgenehmigung durch Mercedes-Benz Classic, Stuttgart Abbildung 12: Benz Typ 24/40-PS, Limousine, Kardanübertragung aus dem Jahr 1910 / Abdruckgenehmigung durch Mercedes-Benz Classic, Stuttgart Abbildung 13: Gewerbewagen Dürkopp Modell „Canello“ mit Unternehmer Sally Windmüller im Fond in der Mitte sitzend um 1900 / Abdruckgenehmigung durch den Heimatbund Lippstadt Abbildung 14: Eröffnungsfahrt des ersten Daimler-Motor-Omnibusses der Allgemeine Berliner Omnibus AG (ABOAG) im November 1905 / Abdruckgenehmigung durch Mercedes-Benz Classic, Stuttgart Abbildung 15: Berufsfeuerwehr Breslau mit einem 28/32-PS-Fahrgestell von Daimler Marienfelde im Jahr 1910 / Abdruckgenehmigung durch Mercedes-Benz Classic, Stuttgart Abbildung 16: Adler 16/18 HP Kleinlieferwagen (Flaschenbierwagen) für Nutzlasten bis 300 kg im Jahr 1908 / Abdruckgenehmigung durch ANNO/Österreichische Nationalbibliothek Abbildung 17: Das erste Serienmotorrad der Welt von Hildebrand & Wolfsmüller um 1894 entwickelt / Abdruckgenehmigung durch ANNO/Österreichische Nationalbibliothek Abbildung 18: Modell Zeus des Motorradherstellers Ch. Linser aus dem Jahr 1904 / Abdruckgenehmigung durch ANNO/Österreichische Nationalbibliothek Abbildung 23: Ausstellungsstand des deutschen Kaisers Wilhelm II. auf der Internationalen Automobilausstellung in Berlin im Februar 1905 / Abdruckgenehmigung durch ANNO/Österreichische Nationalbibliothek Anhang 3: Ausführlicher Besuchsbericht bei Mercedes in Untertürkheim im Jahr 1909 / Abdruckgenehmigung durch ANNO/Österreichische Nationalbibliothek

https://doi.org/10.1515/9783111067704-018

Anhangverzeichnis Anhang 1: Komitéliste der Internationalen Automobil-Ausstellung in Berlin, 1905, Teil 1 Anhang 2: Komitéliste der Internationalen Automobil-Ausstellung in Berlin, 1905, Teil 2 Anhang 3: Ausführlicher Besuchsbericht bei Mercedes in Untertürkheim im Jahr 1909

https://doi.org/10.1515/9783111067704-019

Anhang Anhang 1: Komitéliste der Internationalen Automobil-Ausstellung in Berlin, 1905, Teil 11

1 Allgemeine Automobil-Zeitung (1905), S. 40, 41. Die Liste aus der AAZ wurde durch den Verfasser in der Formatierung leicht verändert. https://doi.org/10.1515/9783111067704-020

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Anhang 2: Komitéliste der Internationalen Automobil-Ausstellung in Berlin, 1905, Teil 2

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Anhang 3: Ausführlicher Besuchsbericht bei Mercedes in Untertürkheim im Jahr 1909 Diese zeitgenössische Reportage über Mercedes beleuchtet beispielhaft die Situation der damaligen Autobranche. Quelle: Allgemeine Automobil-Zeitung (österreichische Ausgabe), Nr. 8, Band 1, 21. Februar 1909

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