Der Dichter Tibull mit Text und Übersetzung seines Werkes 3959482906, 9783959482905

Das vorliegende Werk gibt eine knappe, dabei jedoch durchaus umfassende Hinführung zu Tibulls Dichtung. Besonderer Wert

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Der Dichter Tibull mit Text und Übersetzung seines Werkes
 3959482906, 9783959482905

Table of contents :
Cover
Titelei
Impressum
Inhalt
Einleitung
Die Dichtung Tibulls
Das Leben
Werk, Überlieferung und Forschungsgeschichte
Tibull als Vertreter der römischen Liebeselegie – eine Vorbemerkung
Das Wesen der römischen Liebeselegie
Tibulls Werke
Buch I
Buch II
Tibulls Kunst und dichterische Entwicklung
DER TEXT
Literatur

Citation preview

Der Dichter Tibull mit Text und Übersetzung seines Werks

Studia Classica et Mediaevalia

Band 18

hrsg. von Paolo Fedeli und Hans-Christian Günther Accademia di studi italo-tedeschi, Merano Akademie deutsch-italienischer Studien, Meran

Der Dichter Tibull mit Text und Übersetzung seines Werks von Hans-Christian Günther

Verlag Traugott Bautz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Coverbild: John Atkinson Grimshaw, Late October

Verlag Traugott Bautz GmbH 99734 Nordhausen 2017 ISBN 978-3-95948-290-5

Meinem Lehrer Wolfgang Kullmann zum neunzigsten Geburtstag

Inhalt Einleitung

9

Die Dichtung Tibulls

11

Das Leben

11

Werk, Überlieferung und Forschungsgeschichte

14

Tibull als Vertreter der römischen Liebeselegie – eine Vorbemerkung

22

Das Wesen der römischen Liebeselegie

22

Tibulls Werke:

33

Buch I

33

Buch II

69

Tibulls Kunst und dichterische Entwicklung

84

Der Text

99

Literatur

271

Einleitung Das hier vorgelegte Buch greift auf meine kleine mit Einleitung versehene Übersetzung von 2002 zurück. Daneben benutzt sie auch Material, das ich für den Abschnitt ,Tibull‘ meines demnächst erscheinenden ,Brill’s Companion to Latin Love Poetry‘ erarbeitet hatte. Es ist jedoch nicht nur im Umfang und Form ein ganz anderes Buch entstanden, ein Buch, das sich ausschließlich,

doch

mit

einen

gewissen

Anspruch

auf

Gleichmäßigkeit und knapper Berücksichtigung des Wesentlichen der Dichtung Tibulls zuwendet und etwas mehr als einen ersten Einblick in sein Werk und seine Kunst gibt, wie die kurze Einleitung von 2002. Dennoch ist das Buch sehr knapp gehalten; es verzichtet weitgehend auf gelehrte Verweise; es enthält dagegen einen Absatz zur Forschungsgeschichte, der das Wesentliche der Literatur zu Tibull nennt. Das Zielpublikum dieses Buches ist sowohl von dem der Übersetzung als auch dem eines ,Brill’s Companions‘ verschieden: weder ist es das bloße Laienpublikum der Übersetzung, wo ich selbst die Erklärung des Elementarsten für nötig erachtete, noch ist es das wissenschaftliche Publikum des ,Companions‘. Mir geht es hier um ein möglichst leicht verständliches Werk für den gebildeten Laien und den Studenten. Den Laien werden gelehrte Verweise nicht interessieren, der

Einleitung

Student ist mit den guten Kommentaren zu Tibull bestens bedient und wird alles Nötige aus ihnen ziehen. In Rücksicht auf dieses Publikum ist der Interpretation dieses Mal allerdings nicht nur die Übersetzuung des gesamten Werkes Tibulls, sondern auch der lateinische Text beigegeben. Da es keine befriedigende moderne Ausgabe gibt, musste ich meinen eigenen Arbeitstext mit einem möglichst knappen, übersichtlichen Apparat erstellen. Er erhebt natürlich nicht im Entferntesten den Anspruch, die sorgfältige Arbeit am Text und den Handschriften geleistet zu haben, die eine neue kritische Ausgabe erfordern würde. Müllheim, September 2017

H.-C. Günther

10

Die Dichtung Tibulls Das Leben Über keinen augusteischen Dichter wissen wir soviel zu seiner Biographie wie über Horaz; einfach deshalb, weil seine Dichtung im

höchsten

Grade

persönlich

bis

hin

zum

explizit

Autobiographischen ist.1 Zu Vergil besitzen wir immerhin eine besonders reiche biographische Tradition, die – wenn auch antike Dichterbiographien mit größter Vorsicht zu genießen sind – durchaus Wertvolles zum Leben des Dichters enthält.2 Anders steht es mit den Elegikern: zum Leben Tibulls3 und Properzens wissen wir fast nichts. Im Falle Tibulls kennen wir noch nicht einmal seinen Geburtsort und sein Praenomen. Sein Gentilicium ist nicht nur in unseren Handschriften, sondern auch in Hor. C. 1.33 and Epist. 1.4 (mit Porphyrios and Pseudoacros Zeugnis) und in Diomedes Gramm. I 484.17-29 bezeugt. Wahrscheinlich war Tibull älter als Properz und ist wohl ca. 55 v. Chr. geboren.4 Kein

1

S. Günther 2013: 1ff.

2

S. jetzt Brugnoli – Stok 1997.

3

S. die Testimonien in Maltby 2002: 33ff.

4

S. Maltby 2002: 39f.

Die Dichtung Tibulls

Zweifel besteht über seinen frühen Tod in demselben Jahr wie Vergil, d.h. 19/18 BC; das geht aus dem Grabepigramm des Domitius Marsus5 hervor. Gemäß dem poetischen Nachruf Ovids in Am. 3.9.49ff.6 überlebten seine Mutter und Schwester den Dichter. Die in den Handschriften dem Text beigegebene Vita7 behauptet, Tibull stamme aus dem Ritterstand. Dass er wie Vergil, Horaz und Properz unter den Landenteignungen des Bürgerkriegs gelitten haben mag, ist bloß eine Vermutung. Sicher ist nur, dass er immer recht wohlhabend gewesen sein muss. Das kann man nicht nur aus Hor. Epist. 1.4.7 und 11 entnehmen; mehr noch: Tibull scheint es nicht nötig gehabt zu haben, seine Loyalität zu seinem ersten Patron Messalla Corvinus8 gegen den gewiss lukrativeren Posten

des

offiziellen

Regimedichters

im

Maecenaskreis

einzutauschen, wie Properz es tat und Tibull es gewiss auch hätte tun können. Tibulls Beziehung zu Messalla scheint eine durchaus besonders warme gewesen zu sein. Trotz seiner programmatischen

5

T1 bei Maltby

6

T7 bei Maltby

7

T2 bei Maltby.

8

S. NP 12/1 S. 1110.

12

Die Dichtung Tibulls

Ablehnung des Kriegsdienstes in seinen Programmgedichten 1.1 und 1.10 muss man nach dem Zeugnis der Elegien 1.3 und 1.7 annehmen, dass er seinen Patron bei zwei Feldzügen, einen in den Osten und einen nach Gallien begleitet hat. Properz hat seinem Patron Tullus so etwas abgeschlagen (1.6). Dass Tibull auf dem Feldzug in den Osten erkrankte und auf Kerkyra zurückblieb dürfen wir 1.3 entnehmen. Obwohl er nicht zum Maecenaskreis gehörte, war Tibull gewiss eine prominente literarische Größe der Zeit. Wie alle Dichter seiner Zeit stand er unter dem Einfluss Vergils, den mehr oder minder gleichalterigen Properz hat er – trotz ihrer ganz unterschiedlichen Dichterpersönlichkeit – stark beeinflusst; doch eine besondere Freundschaft verband ihn mit Horaz, der ihm zwei Gedichte, C. 1.33 und Epist. 1.4, widmete. In dem ersten zeigt er ein höchst feinsinniges Verständnis für die dichterische Eigenart Tibulls. Besonders jedoch verbindet beide ihre Nähe zur Natur, der zentrale Platz, den der Preis des einfachen Lebens auf dem Lande bei beiden Dichtern einnimmt. Zudem darf man sehr wohl vermuten, dass die Einfachheit, der einmalige unaufdringliche Charme von Tibulls Dichtung auch etwas von der Persönlichkeit des Dichters reflektierte: eines Mannes, der die Zurückgezogenheit dem Rampenlicht eines

13

Die Dichtung Tibulls

offiziellen Dichters, eines Mitglieds der Dichterelite des Maecenaskreises vorgezogen hat. Mag Tibulls Leben auch gewiss nicht den Turbulenzen desjenigen des jungen Horaz ausgesetzt gewesen sein, Tibulls Abneigung gegen die große Geste, seine innere Ruhe, die Ökonomie seines Ausdrucks, seine Eleganz, sein feiner Humor, die Reinheit seines Inneres werden Horaz gewiss als ihm kongenial angezogen haben. Werk, Überlieferung und Forschungsgeschichte Tibulls Werke sind innerhalb eines Corpus von vier Büchern, dem sog. ,Corpus Tibullianum‘9 überliefert. Nur die ersten beiden Bücher enthalten Tibulls echtes Werk. Es besteht nur aus zwei schmalen Büchern (das erste hat 10 Gedichte), wobei das zweite ganz offenkundig unvollständig überliefert ist, es bricht vor Ende des sechsten Gedichts ab. Gewiss bestand es ebenfalls aus zehn Gedichten: das große ,patriotische‘ Gedicht auf die Priesterweihe des Sohnes von Messalla gehört gewiss mehr oder weniger in die Mitte des Buches.

9

S. Tränkle 1990.

14

Die Dichtung Tibulls

Die Textüberlieferung10 ist eigentlich noch schlechter als die des Properz. Soweit bislang erforscht sind wir ganz auf einen einzigen Textzeugen A (Ambrosianus R. sup. 26) vom Ende des 14. Jhs. angewiesen. Ansonsten besitzen wir nur sporadisch zwei Florilegien aus der Mitte des 12. Jhs. (Par. und Fr.). Die Qualität des Textes von A ist katastrophal, das belegt der meinem Text beigegebene Apparat: neben den zahlreichen nachlässigen Verschreibungen ist der Text durch Ausfall und gedankenlose oder mechanische Interpolation entstellt. Die Florilegien bieten ab und an eine höchst wertvolle Kontrolle, doch ist ihr Text – wie nicht anders zu erwarten – von willkürlicher Entstellung in noch höherem Maße betroffen als A. Um das zu illustrieren, ist der Text von Par. und Fr. auch da im Apparat der Ausgabe unten ausgeschrieben, wo er fehlerhaft ist. Die zahlreichen späteren Handschriften (Katalog bei Luck) bieten, soweit bekannt, keine Überlieferung. Eine Untersuchung, wie

Sie

für

Properz

vorliegt,

steht

aus.

Text-

und

philologiegeschichtlich wäre sie hochinteressant (es handelt sich um ein dem Corpus der Properzhandschriften sehr ähnliches Corpus: viele Schreiber sind inzwischen in Butrica 1984 10

S. Rouse – Reeve 1983, Luck 1998, Maltby 2002: 21ff.; auch Günther

1994, Chrysostomou 2009.

15

Die Dichtung Tibulls

identifiziert). Doch selbst wenn, wie im Falle des Properz in der humanistischen Überlieferung genuine Zeugen auftauchen sollten, dürften sie – ebenso wie bei Properz – zur Textherstellung nichts beitragen. Die Handausgabe im folgenden führt nur A, Par. und Fr. regelmäßig an. Der Text des Dichters ist schwieriger, als es im allgemeinen Bewusstsein ist, und verdient gründliche textkritische Arbeit. Dies zu leisten, war nicht meine Absicht. Der unten abgedrucktes Text ist nicht mehr als eine Arbeitsausgabe mit einem möglichst übersichtlichen Apparat, der sich auf das Wesentliche beschränkt. Tibull stand nie im Zentrum philologischer Forschung. Wie auf anderen Gebieten ist der große Pionier der Erforschung auch der lateinischen Elegie Friedrich Leo;11 für Tibull gilt das umso mehr. Leos knappe Abhandlung von 1881 ist der erste gründliche Versuch, den Text Tibulls zu verstehen, wie er überliefert ist. Vor Leo war der maßgebliche Versuch, Tibull zu verstehen, Scaligers (1577) epochale Ausgabe von Catull, Tibull und Properz; und Scaliger versuchte, den vertrackten Problemen der tibullischen Gedichtstruktur ebenso wie bei Properz mit weitreichenden Versumstellungen beizukommen, ja ich vermute sogar Tibull war

11

Leo 1881; 1900; 1912: 143ff.

16

Die Dichtung Tibulls

für ihn der Ausgangspunkt, dasselbe auch bei Properz zu versuchen. Scaliger kommt so in der Tat das Verdienst zu, sich zum ersten Mal mit dem bis heute brennenden Problem der scheinbar verqueren

Struktur

der

Elegien

Tibulls

ernsthaft

auseinandergesetzt zu haben. Scaliger sah, dass Tibull seine Gedichte in langen Blöcken von auf den ersten Blick nur lose verknüpften Gedanken organisiert hat. Er hat sie nicht zerstückelt, im Gegenteil er hat gesehen, dass auch Properz nach den fast epigrammatischen Strukturen der Monobiblos ab Buch II zum Teil – wie ich glaube, unter dem Einfluss von Tibull – mit längeren komplexeren Strukturen gearbeitet hat; und Scaliger hat bei beiden Dichtern

versucht,

derartige

Strukturen



allerdings

mit

hinreichender gedanklicher Stringenz – durch das Verschieben größerer Versblöcke herzustellen. Bei Properz hat diese Methode, wie sich heute immer deutlicher gezeigt hat, in recht großem Umfang ihre Berechtigung. Ja, selbst bei Tibull, gibt es Fälle, wo solche Umstellungen die Probleme lösen (1.1; 1.4; 1.5/6).12 Allerdings sind das bei Tibull Ausnahmefälle. Bei Tibull gilt es, die komplexe und höchst subtile Struktur seiner Gedichte zu 12

Günther 1997c; Chrysostomou 2009: die Ergebnisse beider Arbeiten

werden im Text unten vorausgesetzt.

17

Die Dichtung Tibulls

verstehen, und diesem Versuch widmete sich die moderne Forschung von Leo bis heute. Der nächste Schritt nach Leos Abhandlung war die Monografie von

Mauritz

Schuster

(1930).

Schusters

Buch

ist

eine

unabdingbare Lektüre bis heute: Schuster versucht mit einem hohen Maß an künstlerischem Feingefühl, die Struktur der tibullischen Elegie in ihrer komplexen Gedankenstruktur zu beschreiben, und er tut dies nicht nur vor dem Hintergrund des weit von der Überlieferung entfernten Textes von Scaliger, er wendet sich zugleich gegen den radikalen Angriff eines der größten klassischen Philologen der Neuzeit, Felix Jacoby, auf Tibulls Kompetenz als Dichter.13 So unglaublich es klingen mag: Jacoby erklärte die Probleme des überlieferten Tibulltextes nicht wie Scaliger durch dessen Überlieferung, er sprach Tibull jede dichterische Kompetenz ab und vermutete gar, letzterer habe an einer Geisteskrankheit gelitten. Jacobys Arbeit zu Tibull steht im Kontext seines Versuchs, Leos Herleitung der lateinischen Liebesegie seine eigene These gegenüberzustellen: er bezog sich ganz auf Properz, vor allem seine Monobiblos. Diese Gedichte beschrieb Jacoby in ihrer Struktur sehr treffend als aufgeblähte Epigramme, wobei der 13

Jacoby 1905; 1909-1910.

18

Die Dichtung Tibulls

Einfluss des Epigramms auf Properz auch außer Zweifel steht.14 Jacobys genetische Herleitung der Gattung ist jedoch zweifellos falsch: Leos lange bestrittene These hellenistischer Vorläufer hat sich in neuerer Zeit mutatis mutandis schlagend bestätigt. Jacobys radikale Analyse hatte immerhin das Verdienst, Tibulls Kompositionstechnik

derjenigen

des

frühen

Properz

klar

gegenüberzustellen. Und sicherlich ist der frühe Properz der genuine Fortsetzer des Archegeten der römischen Liebeselegie Cornelius Gallus. Tibull ist schon allein in seinem Umgang mit formalen Strukturen ein hochorigineller Dichter, den es immer noch selbst in ganz elementaren Aspekten seiner Technik zu verstehen gilt. Nach Schusters Buch wurde es lange Zeit recht still um Tibull, bis Walter Wimmel quasi sein Lebenswerk auf diesen Dichter verwendete.15

Freilich

bleibt

es

bezeichnend

für

die

Schwierigkeiten der Forschung zu Tibull, dass Wimmels Werk zu Tibull

sich

letztlich

in

zwei

äußertet

schwer

lesbaren

Monografieen erschöpft, die jeweils nur einer Elegie gewidmet sind. Dennoch bleiben diese beiden Werke ein einzigartiges

14

Schulz-Vanheyden 1969.

15

Wimmel 1960b; 1968; 1983.

19

Die Dichtung Tibulls

Zeugnis für die Fähigkeit eines Gelehrten, sich in dichterische Welt Tibulls einzufühlen. Und wieder dauerte es recht lange, bis eine neue gewichtige Monografie zu unserem Dichter erschien: das Werk von Francis Cairns (1979). Wie von diesem Gelehrten nicht anders zu erwarten, stellt es eine Schatztruhe an neuen Impulsen und Ideen dar; zudem hat Cairns in einer Appendix, wie ich glaube, das Problem der Entstehung der römischen Elegie, soweit dies zum gegenwärtigen Kenntnisstand möglich ist, gelöst.16 Dennoch bleibt das Buch eher ein völlig ungleichmäßiger Versuch, neue Aspekte von Tibulls Dichtung anzureißen, eine auch nur irgendwie umfassende Darstellung seiner dichterischen Persönlichkeit ist es nicht. Daneben gibt es inzwischen eine recht hausbackene kurze Monografie von Neumeister (1986) und eine wesentlich feinsinnigere und durchaus schätzenswerte von Mutschler (1985).17 Magistrale Werke, wie sie Vergil (Heinze 1914, Knauer 1964), Horaz (Fraenkel 1957, Becker 1963, Syndikus 2001) und

16

Neben Cairns 1979 auch Cairns 2006.

17

Interessant auch La Penna in AA.VV. 1986: 89ff.; interessante Artikel zu

Tibull auch in Lyne 2007 und Cairns 2012.

20

Die Dichtung Tibulls

Properz (Boucher 1965, Hubbard 1975, Syndikus 2010) zuteil wurden, blieben Tibull bis heute versagt. Wesentlich besser, ja erstaunlich gut bedient wurde Tibull mit Kommentaren. Noch zu der Zeit, als Tibull kaum Beachtung fand, entstand der hervorragende Kommentar von Kirkby Flower Smith 1964 (Nachdruck), der neben den guten modernen Kommentaren (zwei von ähnlichem Umfang und Anspruch, dem zweibändigen von Murgatroyd 1980/1994 und demjenigen von Maltby 2002) seinen Wert behält.18 Für den Text im Folgenden biete ich sozusagen meine eigene Handausgabe, Eine moderne kritische Ausgabe, die modernen Ansprüchen genügt, fehlt; was Lenz/ Galinsky und Luck 1998 neben einem überladenen Apparat voller irrelevanter Lesungen leisten, sehe ich nicht (Luck bietet immerhin eine Liste der jüngeren

Handschriften).

Guy

Lee

(1982)

bietet

eine

ausgezeichnete Übersetzung mit einer guten Handausgabe; ansonsten ist niemand über Postgate hinausgekommen. Ich biete hier

nur

meinen

Arbeitstext

mit

möglichst

knappen,

übersichtlichen Apparat. Wie bereits gesagt, der Text scheint allein zu beruhen auf : 18

Nützlich auch Putnam 1973 und die Einleitungen bei Helm 1986 und Lee

1982.

21

Die Dichtung Tibulls

A = Ambrosianus R. sup. 26 (14. Jh.) und zwei Florilegien Par. = die sogenannten Excerpta Parisina nach zwei Pariser Handschriften: Par. 7647 und 17903 (11. Jh.) Fr. = Excerpta Frisingensia im Monac. 6292 (10. Jh.) A ist lückenhaft, recht stark interpoliert und bietet auch sonst einen schlampigen, höchst unzuverlässigen Text. Par. und Fr. bieten ein wertvolles Korrektiv aus wesentliche früherer Zeit, doch ist ihr Text – erwartungsgemäß – noch stärker von bewusster Entstellung betroffen; zur Illustration werden auch die fehlerhaften Lesungen im Apparat zitiert. Ansonsten wird nur der Codex V = Vaticanus 3270) für gute Lesungen getrennt zitiert. Alle anderen guten Lesungen einer oder mehrerer Humanistenhanschruften werden kollektiv unter recc. verzeichnet. Tibull als Vertreter der römischen Liebeselegie – eine Vorbemerkung Das Wesen der römischen Liebeselegie Lange Zeit war die Forschung von der Frage nach der Entstehung der römischen Liebeselegie und d.h. ihrem Verhältnis

22

zu

Die Dichtung Tibulls

griechischen Vorbildern beherrscht. Dieses zum Teil bereits durch die Weise, wie die Frage gestellt wurde, fruchtlos überstrapazierte Thema bedarf hier, denke ich, keiner Behandlung: die Frage wurde durch Cairns, jedenfalls für die Höhe des gegenwärtigen Kenntnisstandes abschließend geklärt.19 Was ich hier viel eher meiner Abhandlung über Tibull voranschicken will, ist ein kurzer Überblick über die wesentlichen Elemente, die die Gattung der römischen Liebeselegie ausmachen. Letztere ist nämlich tatsächlich eine sehr eng umrissenen Gattung, und zwar, wie wir nachweisen können, im Bewusstsein der elegischen Dichter selbst und ihrer Wahrnehmung durch ihre augusteischen ,Kollegen‘ Vergil und vor allem Horaz. Zudem hat das ganz spezifische – und dabei durchaus neue – Konzept der elegischen Liebe die Liebesdichtung der andren Augusteer, und wenn auch zum guten Teil e contrario, entscheidend beeinflusst. Die Gattung der Elegien reicht im Griechischen weit bis in die archaische Zeit zurück;20 hier wird ihr Charakter als literarisches Genus allein formal bestimmt: es handelt sich um Gedichte von substantieller Länge in elegischen Distichon, d.h. Gedichte in diesem Versmaß, die keine Epigramme waren. Der Inhalt konnte 19

S. oben S. 10.

20

West 1974; Hunter in Thorston 2013: 23ff; vgl. auch Günther 1998; 2002.

23

Die Dichtung Tibulls

jeder beliebige sein. Genau das ist in Rom anders. Als das Genus in

der

Vorbereitungsphase

der

augusteischen

Dichtung

wiederaufgenommen wurde, wurde es zunächst ausschließlich für eine Dichtung verwendet, die sich ganz ausdrücklich selbst als Liebesdichtung definiert. Archeget dieser Gattung war für die Römer Cornelius Gallus.21 Obwohl wir inzwischen über ihn durch einen wichtigen Papyrusfund weit mehr wissen als zuvor, stehen für uns doch zunächst Tibull und Properz mit ihrem fast vollständig

erhaltenen

Werk

am

Anfang

der

römischen

Liebeselegie: ihre jeweils ersten Bücher sind fast gleichzeitig entstanden. Properz und Tibull sind freilich dichterische Persönlichkeiten, wie sie verschiedener nicht sein könnten; davon wird noch zu reden sein. Umso bezeichnender für die klar umrissenen generischen Charakterzüge der römischen Elegie ist es, dass sich trotz dieses enormen Gegensatzes eine ganze Reihe von präzise formulierbaren Eigenheiten dessen, was offenkundig die Gattung römische Liebeselegie ausmacht, formulieren lassen. 1) Die Liebeselegie handelt von den Erfahrungen des Dichters mit seinem Liebespartner, und diese werden aus der Ich-Perspektive berichtet (ich vermeide das missverständliche Wort ,subjektiv‘, das

21

S. Günther 2002 mit Literatur.

24

Die Dichtung Tibulls

leider üblich ist): der Dichter kann dabei zu seiner geliebten, einen Freund oder dem Leser sprechen.22 2) Die Liebe, von der der Dichter sprich, ist ein großes Gefühl für eine einzige Person, in der Regel eine Frau, bei Tibull im ersten Buch auch einen Mann; der (frustrierte) Anspruch auf Exklusivität der Liebe ist konstitutiv für das Liebeserleben des Dichters. 3) Der Partner wird mit einem bei Frauen stets sprechenden Pseudonym belegt, ein Pseudonym, das die Frau als Muse des Dichters ausweist, wie wir es bereits von Catull kennen. Das Pseudonym seiner Geliebten Lesbia (nach Sappho, der zehnten Muse) ist metrisch Äquivalent zum Namen seiner Geliebten Clodia. Auch im Falle des Archegeten der Gattung der Elegie, Cornelius Gallus, kennen wir die wahre Identität der Frau, die sich hinter dem Pseudonym Lycoris verbirgt: die berühmt berüchtigte griechische

Prostituierte

Cytheris

(bzw.

Volumnia),23

Die

biographische Tradition zu Tibull und Properz gibt für Tibulls Delia den metrisch äquivalenten Namen Plania (eine offenkundige etymologisierende Fehlübersetzung: planus = δηλός, Delia weist stattdessen auf Delos, die dem Dichtergott Apollon heilige Insel); die Hostia für Properzens Cynthia dürfte ebenso frei erfunden sein. 22

Günther 1998

23

NP s.v. Kytheris; RE s.v. Volumnius, Kroll RE 12, 218f.

25

Die Dichtung Tibulls

Nun ist heute niemand mehr so naiv, die Dichtung etwa des Properz als eine getreue Wiedergabe 1 : 1 einer wirklichen Beziehung zu einer Frau zu halten. Ja schon die Annahme, dass ein Dichter, der sich in seiner Dichtung ausschließlich oder doch fast ausschließlich dem Thema Liebe verschreibt, nun gerade nur sexuell prägende Erfahrungen mit einer Frau gehabt haben sollte (dass er es in seiner Verzweiflung über seine untreue Geliebte auch mal mit anderen versucht, das gibt unser Dichter ja offen zu), ist höchst unplausibel; das ist für Männer aller Zeiten, gerade auch der römischen Antike ohnehin eine geradezu lächerliche Annahme. Nun, und ganz abgesehen davon: Properz gibt in einem Gedicht des dritten Buches explizit zu, vor Cynthia bereits eine Geliebte gehabt zu haben, obwohl er in 1.1 Cynthia seine erste und anderswo sogar die erste und letzte nennt. Der Fokus auf einer Frau ist nichts als eine poetische Fiktion, um die Liebe, von der er schreibt als eine ,grande passion‘ zu beschreiben, die ihn, die sein Leben völlig erfüllt und in Anspruch nimmt. Die Frau, die sich in der Geliebten seiner Dichtung spiegelt, ist ebenfalls eine Fiktion. Sie ist eine zur Dichtung gewordene Inkarnation der Erfahrungen, die der Dichter in seinem Leben mit mehreren Frauen gemacht hat. Natürlich ist die Annahme, die Liebesdichtung des Dichters habe nichts mit seinem wirklichen Liebesleben zu tun, ein Dichter könne sich für leidenschaftliche Liebesdichtung interessieren, noch

26

Die Dichtung Tibulls

absurder als die Annahme, er sei strikt monogam gewesen. Eine solche

Annahme

kann

nur

dem

Gehirn

von

Literaturwissenschaftlern entspringen, deren Erfahrung mit dem Leben und mit der Liebe sich in der Lektüre erotischer Texte erschöpft; solche Leute gibt es natürlich. Was somit in dieser Dichtung das Leben, die persönliche Erfahrung des Dichters reflektiert, ist die in dieser Dichtung zum Ausdruck kommende sentimentale Erfahrung, nicht Fakten des äußeren Lebens. 4) Wie die Liebe der Elegie dezidiert eine große und emotional ernste ist, so ist – entsprechend den Regeln des decorum – die Sprache eher gehoben: Obszönitäten gibt es so gut wie nicht, selbst die Erwähnung des nackten Körpers ist die ganz große Ausnahme in Properz, in Tibull gibt es das nicht. Sexuelle Handlungen, die über Umarmungen und manchmal besonders heftige Küsse (Beißen und ,Knutschflecken‘ sind das Härteste, was ganz selten vorkommt).

Der

Geschlechtsakt

wird

nur

euphemistisch

umschrieben, einmal ist bei Tibull von heftigem Atem die Rede. 5) Allerdings ist die Beziehung, um die es geht, stets eine ,illegale‘, das gehört zur Würze dieses Verhältnisses wie es zur ,grande passion‘ der Romantik gehört. Die ,bürgerlichec Liebe‘, die zur Ehe führt, gibt es nur in der Neuen Komödie. In der Elegie ist Ehe stets undenkbar: die Frau ist unter der Kontrolle eines anderen Mannes, der manchmal eher die Züge eines Ehemannes,

27

Die Dichtung Tibulls

manchmal eher die eines Zuhälters hat, völlig klar ist es nie: realistische Beschreibung äußerer Umstände ist nicht die Sache dieser Dichtung. Man hat oft gefragt, ob die Geliebte der römischen Elegie eine Prostituierte oder eine untreue Ehefrau war. Nun: Clodia (Lesbia) war verheiratet Cytheris (Lycoris) eine bekannte Prostituierte. Die Antwort auf die soeben gestellte Frage ist einfach: die Elegie reflektiert Erfahrungen des Dichters mit Edelprostituieten und verheirateten Frauen, eben genau den beiden Typen von Frauen mit denen ein junger Mann in Rom sentimentale erotische Erfahrungen machen konnte. 6) Die Liebesbeziehung ist ganz von der Seite des Mannes beschrieben, von der eines jungen idealistischen Dichters, der seiner Geliebten nichts als echte Gefühle und von ihr inspirierte Dichtung anzubieten hat. Er ist von seiner Liebe so besessen, dass er über nichts anderes schreiben kann. Sein Mädchen ist die alleinige Muse seiner Dichtung. Das deuten die Pseudonyme Lesbia (Sappho als zehnte Muse, Lycoris, Delia Cynthia in Anspielungen auf Kultnamen des Dichtergotts Apollon). 7) Die Frau hingegen, die den jungen Mann so völlig ,dominiert‘ und die er ,domina‘ ,,Herrin“ nennt, ist alles andere als eine Frau, die dieses Liebe verdient: sie ist schwierig zu gewinnen, und hat man sie erst, unbeständig und gar überhaupt völlig treulos. Sie hat nämlich für große Gefühle gar keinen Sinn, sie ist geldgierig und

28

Die Dichtung Tibulls

materialistisch. So betrügt sie den Dichter auch nicht mit jungen, sexuell attraktiven Männern, sondern mit einem reichen Alten, der ihre materiellen Bedürfnisse befriedigt. Die Dominanz der Frau entspricht durchaus wieder der konkreten Lebensrealität: eine Frau die mit vierzehn Jahren oder auch etwas später bereits verheiratet war, ist dem jungen Dichter an Lebenserfahrung und Reife haushoch überlegen, eine Prostituierte ohnehin. Dass solche Frauen einen verliebten man, manipulierten, wie es ihnen gefiel, ist nur allzu leicht zu verstehen. 8) Das Wesen dieser Beziehung ist die Frustration eines großen Gefühls. Die Liebe des Dichters ist per definitionem eine unerfüllte, da sie sich auf ein unwürdiges Objekt richtet. Ja, der Dichter weiß das auch ganz genau. Gerade in der Frustration erlebt der Dichter das große Gefühl als überlebensgroßes Ideal, als eine Gegenwelt zum Alltäglich-Banalen. In seinem Festhalten an einer unwürdigen Frau steigert er sich zudem in die Illusion einer völlig selbtlosen Liebe hinein, und darin sieht er die Erfüllung eines Traums nach absoluter Liebe. Ja, Tibull bekennt am Ende von 2.5 etwas, das fast schon klingt wie: Trocknet nicht, trocknet nicht, Tränen der ewigen Liebe! Ach! Nur dem halbgetrockneten Auge,

29

Die Dichtung Tibulls

wie öde, wie leer die Welt ihm erscheint! Man wird gewiss annehmen dürfen, dass die Elegie des Cornelius Gallus der des frühen Properz sehr ähnlich war. Vergil präsentiert ihn in der zehnten Ekloge in ganz ähnlichem Gemütszustand wie derjenige des Properz des ersten Buches. Obwohl ihnen oben genannte Züge durchaus gemeinsam sind, kann

man

sich

kaum

zwei

unterschiedlichere

Dichterpersönlichkeiten als Tibull und Properz vorstellen. Properz ostentativ leidenschaftlich, bei allem Humor, der auch ihm nicht abgeht, ernst und auch dezidiert gelehrt. Sein erstes Buch besteht im Hauptcorpus aus klar, wie ich glaube, sogar strophisch gegliederten Gedichten,24 die man sehr wohl wie Jacoby als aufgeblähte Epigramme verstehen kann – auch wenn Jacobys genetische

Theorie

falsch

ist.25

Properzens

Gedichte

der

Monobiblos könnten Reden eines jungen Mannes der Neuen Komödie sein. Die Gedichte sind in einem klar, numerisch durchstrukturierten26 Buch pseudodramatisch angeordnet,27 so dass sie vorgeben, die Liebesgeschichte des Dichters mit einem 24

S. Günther 1997a; auch Goold 1999,

25

S. oben S. 10 Anm. 16.

26

Skutsch 1963.

27

Petersmann 1980.

30

Die Dichtung Tibulls

Mädchen vom Kennenlernen über Eroberung, Untreue und Trennung bis zum Todeswunsch und der endgültigen Resignation wiedergeben. Buch I erwähnt nur den archaischen Elegiker Mimnermos als Vorbild; Kallimachos und Philetas tauchen namentlich erst in Buch III auf. Bereits in Buch III spielen nicht-erotische Themen eine nicht unbedeutende Rolle, und das Buch endet mit einem geglückten Adieu an die Liebe (3.24/25).28 Das vierte, wesentlich später entstandene Buch ist dann eine eigentümliche Mischung einer

anderen

Art

von

Liebesdichtung

mit

patriotischer,

aitiologischer Dichtung. Die Liebesdichtung des vierten Buches zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass jetzt Frauen die Stimme des Liebenden verliehen wird. Denkt man daran, dass die Monologe des elegischen Liebhabers stark von den Monologen enttäuschter Frauen der hellenistischen Dichtung beeinflusst waren, ist dieser erneute Rollentausch im Grunde genommen eine Rückkehr zum alten Modell. Ovid hat diese Rückkehr mit seinen ,Heroides‘ vollständig vollzogen, indem er den Monolog wieder in den Mythos verlagert. So hat Ovid am Ende der augusteischen Epoche noch einmal eine meisterhafte gearbeitete, höchst amüsante eigene Variante 28

S. Günther 1997b.

31

Die Dichtung Tibulls

geliefert. Sein Versuch, in den ,Amores‘ die Elegie stricto sensu neu zu beleben, ist insgesamt weniger erfolgreich, obwohl ein so versierter Handwerker wie Ovid nie um gute Verse verlegen ist; und die gibt es auch in den ,Amores‘. Ein anderes Experiment mit Liebesdichtung wagt er in der Verwandlung der Elegie in ein Lehrgedicht (das ergibt sich zwanglos aus dem geläufigen Motiv des ,magister amoris‘). Die ,Ars Amatoria‘ ist auch in der Vielzahl der poetischen Techniken, der genialen Anordnung des Stoffes, der Langeweile vermeidet, dem feinen Witz ein Meisterwerk der lateinischen Literatur, aber ein Werk dieser Art in drei Büchern ist genug; die ,Remedia‘ halte ich – gemessen an dem, wozu ein Großer wie Ovid im Stande war – für einen Misserfolg. Die Entwicklung der Elegie zum Spätwerk des Properz und den Versuchen Ovids, sie in neuem Gewand wieder aufzulegen, zeigt: die Elegie mit ihrem ganz klar umrissenen ,Konzept‘ von Liebesdichtung war das Produkt einer bestimmten Zeit und ihres Lebensgefühls. Sie lief sich ziemlich schnell tot, und nach Ovid gab es auch nur noch ein qualitätsloses kurzes Nachspiel im Corpus Tibullianum und eines von höherer Qualität in den wohl unechten Gedichten der ,Heroides‘; dann war die Gattung gestorben.

32

Tibulls Werke Buch I Tibulls erstes Buch wurde wohl nicht allzu lang nach 27 v. Chr. veröffentlicht; das ergibt sich aus dem Geburtstagsgedicht an den Patron Messalla, 1.7.29 Es liegt somit nach dem ersten Buch von Properz (29/28 v. Chr.) und ist das Werk eines Dichters in der zweiten Hälfte seiner Zwanziger. Ich habe bereits auf die minutiös geplante Struktur gerade des augusteischen Elegienbuchs hingewiesen. Und die Buchstruktur scheint mir für Tibull von ganz besonderer Bedeutung: Tibulls Elegien sind von Anfang an für ihren Platz im Buchganzen verfasst. Die vorzügliche Einheit ist bei Tibull mehr als bei irgendeinem anderen Dichter das Buch, nicht so sehr das Einzelgedicht. Nun: dass Tibull durchaus in der Lage war, thematisch geschlossene Einzelgedichte zu organisieren, wenn er wollte, das zeigen auf den ersten Blick etwa 1.3 oder, bei Wiederherstellung der korrekten Versfolge, 1.4. Die anderen Gedichte sind ebenso sorgfältig, ja höchst subtil durchkonstruiert, allerdings ergibt sich 29

Maltby 2002: 280.

Tibulls Werke

ihre thematische Funktion erst aus ihrer Stellung im Buch. Dabei ist es durchaus aus so, dass antike Gedichte sehr oft überhaupt nicht neuzeitlichen Anforderungen an formal-gedankliche Einheit entsprechen: angefangen mit den langen, unübersichtlichen Gebilden Pindars,30 bei denen dies natürlich an ihren – Tibull nicht vergleichbaren – Kompositionsregeln liegt. Doch kann man auch Tibulls Zeitgenossen und Freund Horaz heranziehen: in seiner Episteldichtung schafft sich Horaz gerade durch die Fiktion des Briefes einen Freiraum für eine lose Gedankenstruktur mit viel Raum für Exkurse. Aber man kann auch an Gedichte wie C. 1.7 oder 1.9 denken:31 Gedichte, die sozusagen irgendwo anfangen und irgendwo anders aufhören. Wilamowitz hat bekanntlich selbst das vielbewunderte C. 1.9 für ein schlecht gearbeitetes jugendliches

Pasticcio

erklärt.

Tibull

verbindet

in

seiner

Kompositionstechnik alle vor ihm belegten ,disintegrativen‘ Kompositionselemente. Er bringt sie in lange Gedichtkomplexe von 60-100 Versen ein; und wenn selbstverständlich auch vor ihm – gerade in der Elegie – die Einzelkomposition mehr oder weniger im größeren Ganzen des Gedichtbuchs (oder auch eines Zyklus) 30

Die beste Darstellung von Pindars Kompositionsweise immer noch

Dornseiff 1921. 31

Günther 2013: 266ff., 273ff.

34

Tibulls Werke

aufgeht, Tibull bietet viel eher als einen Gedichtzyklus ein Gedichtbuch geteilt in mehrere Textparagraphen, in denen sich die in dem gesamten Buch immer wiederkehrenden und vor allem planvoll organisierten Motive und Topoi in immer neuer Art spiegeln.

Das

Buch

als

Ganzes

stellt

sozusagen

eine

Motiventfaltung dar. Zunächst folgt das Buch ganz den Konventionen des augusteischen Gedichtbuchs: zehn Gedichte. Das erste und letzte explizit programmatisch und deutlich aufeinander bezogen (A und A’): dieselben Thematik wird jeweils mit Akzentverlagerung behandelt. Der Gedichtumfang ist recht gleichmäßig. Die relativ langen Gebilde (64-100 Verse) stehen in deutlichem Kontrast zu den kurzen Einheiten der Monobiblos des Properz. 1.1 und 1.10 sind – bedenkt man die größere Lücke in 1.10 – ungefähr gleich lang (u.U. waren sie es exakt). Das Buch ist freilich nicht einfach symmetrisch konstruiert (wie etwa

Properz

Buch

I

und

viele

andere

augusteische

Gedichtbücher), noch folgt es einer linearen pseudodramatischen Struktur. Zunächst ist bemerkenswert, dass es entgegen jeder uns bekannten Konvention des Elegienbuchs zwei elegische Zyklen ineinander verwebt: einen heterosexuellen an Delia und einen homoerotischen an Marathus. Jeder der beiden Zyklen besteht aus

35

Tibulls Werke

Gedichtpaaren, die durch Einzelgedichte unterbrochen werden: zwei Deliazyklen (B: 1.2/3; B’: 1.5/6) und einem Marathuszyklus (C’: 1.8/9). Zwischen B und B’ steht ein Einleitungsgedicht zum Marathuszyklus (C: 1.4) und zwischen B’ und C’ ein Geburtstagsgedicht an Messalla, eine Art Intermezzo: dieses Intermezzo nimmt freilich ein zentrales Thema aus den Programmgedichten ,Das Landleben‘ eben als sein Zentrum wieder auf (A’’: 1.7), ebenso wie das Programmgedicht des Marathuszyklus durch die Ambientierung ganz auf dem Lande auf das zentrale Thema des Programmgedichts 1.1 rekurriert. Die Buchstruktur ist somit: 1A 2/3 B 4 C(A’’) 5/6 B’ 7 E(A’’) 8/9 (C’) 10 A’ Die Paare 5/6 und 8/9 haben zusammen genau dieselbe Verszahl (162); gewiss kein Zufall (auch dass 1.1 und 1.8 beide 78 Verse umfassen, 1.3 und 1.6 beide 92 und 1.4 und 1.9 beide 84 ist kein Zufall). 5/6 und 8/9 sind Paare, die sich deutlich an die bekannten dramatischen Paare des Elegienbuchs anlehnen. Allerdings variiert

36

Tibulls Werke

Tibull übliche Techniken und Topoi stets; nie übernimmt er sie unverändert. Das Paar betrachtet jeweils dieselbe Situation; der zeitliche Abstand ist nicht markiert (wie sonst üblich). Jeweils ist das zweite Gedicht aus einer schlimmeren Situation heraus und einer resignierteren Haltung dazu geschrieben. Schon so ist ein Element dramatischer Entwicklung, und zwar in einer Parallelentwicklung eingebracht. Die Parallelentwicklung wird sozusagen noch verdoppelt, indem im Marathuszyklus eine Dreiecksbeziehung miteingebaut wird; jeweils anders in 1.4 und in 1.8/9. Die beiden Paare frustrieren die positive Erwartungshaltung der Einleitungsgedichte A und C. Freilich, dem Gedichtpaar zu Delia geht bereit eine Folge von zwei Gedichten (B) voran, wo die Gefährdung des ,Traums‘ von 1.1. von innen (1.2) und außen (1.3) thematisiert wird. Erneut handelt es sich um zwei Gedichte, die topische Situationen der Gefährdung (1.2: Paraklausithyron, der Rivale;

1.3,

ein

,Antipropemptikon‘,

Krieg,

Krankheit,

,Liebestod‘) in stark variierter Form in höchst komplexen Gebilden sozusagen

konzentrieren.

Selbst

das

eingeschobene

Geburtstagsgedicht 1.7 betont den pseudodramatischen Rahmen: durch die Erwägung von Kriegszügen weist es auf 1.1, wo der Dichter seine Teilnahme ablehnt, und 1.3, wo er sie bereut, zurück. 1.7 rühmt er sich ihrer. In 1.1, 1.4 – 1.7, 1.11., exakt symmetrisch

37

Tibulls Werke

ertönt der programmatische Generalbass in jeweils anderem Ton: Natur und Liebe vs. Krieg, Gewalt und Materialismus. Kommen wir jetzt zur Mikroanalyse, d.h. der Verteilung der einzelnen elegischen Motive über das Buch: regelmäßig sind sie in antithetische Paare gespalten, wie gerade angedeutet bei dem Hauptmotiv: 1) das Leben in Liebe und Frieden auf dem Lande beinhaltet drei Aspekte: Liebe (a1), Naturidylle (a2), Frömmigkeit, Reinheit, göttlicher Schutz (a3) vs. Bedrohung durch Tod, Krieg, Krankheit, Gewalt (b). 2) wahre, große, völlig altruistische Liebe ohne materielles Interesse (c) vs. Störung durch einen reichen Rivalen (d1) oder materielle Gier der/des Geliebten (d2). Eminentester Ausdruck von c ist das Motiv des ,Liebestodes‘ (e). Letzteres Motiv wird weiterentwickelt in das eines glücklichen Lebens des wahrhaft Liebenden nach dem Tod (f1) und komplementär des göttlichen Schutzes im Leben (f2 ~ a3). Antithetisch steht dagegen die Strafe des Frevlers gegen die Liebe in Leben, speziell im Alter und im Tod (g). Ein weiteres für Tibulls erstes Buch so charakteristisches Motiv ist das der Dreiecksbeziehung, das in verschiedenen Varianten

auftaucht

(h);

sein

Aushangspunkt

im

Standardrepertoire ist der reiche Rivale, bzw. überhaupt das Faktum, dass die elegische Domina vergeben ist (d1).

38

Tibulls Werke

1.1 und 1.10 sind bestimmt von a1/2/3, kulminierend in c, e, f2 vs. b. 1.2. verlegt die negative Antithese nach d, darin scheint auch das Dreiecksverhältnis (h) zum ersten Mal in der konventionellen Variante auf; in 1.3 wird die Gefahr b real und somit rückt auch die Todesphantasie e in den Bereich des Realen. Die beiden Gedichtpaare 1.5/6 und 8/9 (= B’ und C’) konzentrieren sich auf c vs. d (g). 1.5 greift explizit auf a aus 1.1 zurück und präsentiert das Motiv als einen gescheiterten Traum. In den Marathusgedichten variiert Tibull das Motiv des Dreiecksverhältnisses (h) auf zwei verschiedene Weisen. Das Einleitungsgedicht präsentiert – dem ländlichen Ambiente des Elegienzyklus entsprechend – die ländliche Gottheit Priap recht humoristisch als ,magister amoris‘; seine äußerst optimistische Darstellung des Liebhabers von schönen Knaben wird in 1.8/9 gründlich desavouiert. Ja, sie wird es schon in der überraschenden Schlusswendung von 1.4: Tibull, selbst hoffnungslos in Marathus verliebt, holte Priapus’ Rat für einen Freund, Titius, ein. Der aber kann damit nichts anfangen – seine Frau steht im Wege. Und warum muss Tibull Rat bei einem anderen suchen? Er ist doch – wie er selbst sagt – ein bekannter ,magister amoris‘. Nun, er ist hoffnungslos in Marathus, einen Knaben verliebt, da hilft seine Kunst anscheinand nichts, und er kann nur hoffen, dass das missglückte Verhältnis nicht aufkommt, sonst

ist

sein

Ruhm

als

Liebesexperte

39

dahin.

In

den

Tibulls Werke

Marathusgedichten 1.8/9 schildert Tibull dann das frustrierende Verhältnis. Und da gibt es ein ganz anderes Dreieck: Marathus selbst ist in ein

sprödes Mädchen verliebt, aber Tibulls

Bereitschaft, Marathus, um dessen Gunst zu gewinnen, sind fruchtlos: weder überredet er das Mädchen, eine rechte elegische ,domina‘ – kein Interesse an hübschen Knaben, eher an reichen (alten) Säcken – noch ist ihm Marathus dankbar. Der männliche Liebhaber Tibulls ist dem Dichter selbst in paradoxer Weise parallel. Horaz hat diesen so reizvollen und eigenartigen Zug der Dichtung

Tibulls

in

seiner

Tibullode

C.

1.3332

schön

herausgestellt. Tibull variiert somit in höchst subtiler Weise den dramatischen Elegienzyklus des Properz und, wie wir vermuten dürfen, auch des Gallus: Properz zeichnet in der Monobiblos die Entwicklung des Liebesverhältnisses zu Cynthia vom Kennenlernen, zur Eroberung, den ersten Zwistigkeiten, den Problemen bis zu engdültigen Aus. Tibull präsentiert zwei Liebeszyklen: in 1.1-1.3 und 1.5/6 (A, B, B’) einen Liebestraum (A), seine Gefährdung (B), das Scheitern an der brutalen Realität eines Lebens in materieller Gier. In 1.4 und 1.8/9 (C, C’) sozusagen ein homoerotisches und – bei allem emotionalem Ernst – humoristisches Spiegelbild: guter Rat ohne 32

Günther 2013: 347ff.

40

Tibulls Werke

Bezug zur Realität (C), verzweifelte, sarkastiusche Resignation in das Schicksal des hoffnungslos Verliebten (dem Partner geht’s ja genauso) mit einem wenig überzeugenden, recht besehen illusorischen Wunsch, sich irgendwie zu befreien. Zum Scheitern verurteilt ist jetzt die Illusion, der Liebe zu entkommen, wie es zuerst der Traum von Liebeserfüllung war. Tibulls Zyklen sind das Portrait der Seele eines unglücklich Verliebten in all ihren Aspekten. Was bleibt diesem Mann? Das Leben in der Illusion: 1.10 nimmt 1.1 wieder auf. Die brutale Lebensrealität weist der Dichter erneut von sich; sein Ideal bleibt das Leben der Liebe auf dem Lande, es bleibt als ein Traum, ein Traum, den ihm nur die Dichtung, nie das äußere Leben gewähren kann. Und wenn auch die Liebe gescheitert ist, was nicht gescheitert ist, was bleibt, als ein Idealbild eines erstrebenswerten Lebens, ist die Reinheit, die echte ,Zivilisiertheit‘ (im Sinne der römischen mores) des heiteren, unbeschwerten Lebens auf dem Lande. Das ist etwas, das glücken kann, etwas, das auch das Geburtstagsgedicht 1.7 bestimmt, wo die Liebe ausgespart wird.

41

Tibulls Werke

Die einzelnen Gedichte 1.1 Das Programmgedicht ist eine der geradlinigsten Kompositionen Tibulls. Seine Struktur ist strikt zweigeteilt; zwei fast gleichlange Teile stehen einander gegenüber: A: 1-40, B: 41-78. Die erste Hälfte konzentriert sich ganz auf die Einfachheit und Reinheit des Landlebens unter göttlichem Schutz (a2, a3). Mit Richters Umstellung ist die Gedankenfolge kristallklar: A zerfällt in: Aα: 6+10 (= 2x8) Vv. (1-6: kein Luxus! + 25-32, 7f.: das einfache Leben auf dem Land: a1 vs. b) und Aβ: 24 (= 3x8) Vv. (9-24, 33-40: göttlicher Segen, a3). B zerfällt in: Bα: 10 + 6 Vv. (emphatische Aufnahme des Programmgedankens von Aα in exakter Spiegelbildichkeit in der Gliederung). Jetzt erst kommt das Motiv a1 dazu: jetzt ist Liebe Grund für die Ablehnung des Kriegsdienstes (b). Dann folgt der der Liebe gewidmete Teil Bβ: 12 (= 2x6) + 10 Vv. (57-78): in V. 57 wird die Geliebte in einer Anrede genannt (Delia). Der Liebesteil malt unzertrennliche Liebe in Leben und Tod und stellt so das ,Liebestodmotiv‘ (e) und dasjenige des Altersidylls (c, f1) nebeneinander. Aber es scheint auch kurz, kaum merklich das Motiv des ,amator exclusus‘ auf (d), das in 1.2 zentral wird. Es endet symmetrisch zum Anfang des

42

Tibulls Werke

ganzen Gedichts mit einer emphatischen Zurückweisung des Krieges (b); dieses Motiv steht somit am Anfang, in der Mitte und am Ende. B ist um ein Distichon kürzer; das wird auch intern in der Mikrogliederung reflektiertt: A zeigt 6 – 10 – 24 Vv., B 10 – 6; 12 – 10 Vv. Der erste Teil bietet eine liebevoll ausgemalte ländliche Szene, am Ende des Gedichts häufen sich die Motive in einer Art Stretta. Wir werden diese Technik bei Tibull wiederfinden. In diesem Programmgedicht scheinen alle wesentlichen Topoi der Liebeselegie auf, aber alles ist auf eine unnachahmliche, unscheinbare Art eingeschmolzen in die bis zum Ende dominierende Atmosphäre der friedlichen Idylle auf dem Lande, sie klingt auf geheimnisvolle Weise nach wie eine Melodie im Hintergrund bis zu dem in den verwendeten Motiven so anderen Ende. Tibull erweist sich gerade hier als Meister des Atmosphärischen: er hüllt alles – ohne explizit darauf rekurrieren zu müssen – in eine, in seine ganz eigene Atmosphäre von Reinheit, Frieden und stiller, auch von den harschesten Stürmen des Lebens nicht zu störender Heiterkeit. Diese Atmosphäre ist die der Reinheit der Natur, jener Natur, die Schiller so treffend als die Essenz der sentimentalischen Naturauffassung beschrieben hat: die Natur als Sehnsucht des Kranken nach Genesung. Aber wenn Horaz diese Sehnsucht immer wieder explizit macht, Tibull bedarf

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Tibulls Werke

dessen nicht: die Natur ist einfach da, sie ist stets da als heilende, beschützende Macht, die gesund macht, welche Krankheit das Leben des Dichters auch immer befallen mag. 1.2 Das Programmgedicht sprach von dem Traum des Dichters von einem ungestörten Leben in unverbrüchlicher Liebe umgeben von der Reinheit und dem Frieden der Natur. Vv. 55f. streiften jedoch fast unmerklich einen für die elegische Liebe entscheidenden Zug, der sonst ausgeblendet wurde: die Beziehung des Dichters zu seiner ,domina‘ ist prekär. Es ist keine bürgerlich, ,legale‘ Liebe, es ist per definitionem nicht harmonisch, es ist gefährdet. Die auf 1.1 folgenden Gedichte, 1.2 und 3, zeigen: auch Tibulls Liebe zu Delia fällt in dieses Muster der elegischen Liebe. 1.2 kommt präzise auf die in 1.1.55f. angesprochene Situation des ,amator exclusus‘ zurück – die Epitome der Schwierigkeiten der elegischen Beziehung: äußere Hindernisse und der schwierige Charakter der ,domina‘ verbinden sich (c). 1.2 spricht gleich zu Beginn von der Situation, die dem etablierten Gedichttyp des Paraklausithyrons entspricht. Aber 1.2 ist kein Paraklausithyron; Tibull folgt nie geradewegs einem generischen Vorbild.

44

Tibulls Werke

Was sagt dies zunächst für den pseudodramatischen Zyklus? Der ,realistische‘ des Properz geht von Kennenlernen, dem Triumph der Eroberung zu den Schwierigkeiten und dem Bruch. Bei Tibull ist diese Entwicklung ins Innere des Dichters verlagert: er geht vom Traum des Liebenden zu seinem Scheitern in und an der banalen Realität. In 1.1 hatten wir Zweiteilung unter knapper Verletzung voller Symmetrie

(dort

40:38)

als

Kompositionsprinzip

Tibulls

identifiziert; wir werden es auch in 1.3, 1.5, 1.6 und 1.10 finden. Das außerordentlich lange Gebilde 1.2 könnte als eine derartige Zweiteilung des Hauptteils mit einer Appendix angesehen werden. Dass dabei der A/B-Komplex wieder in 1-40 (A) zu 41-78 (=38 Vv. B) zerfällt, ist gewiss kein Zufall. Die Appendix C (79-98) ist mit 20 Versen genau halb so lang wie A. Aα1 (1-6) versucht der Dichter seinen Liebeskummer im Wein zu ertränken; in Vv. 5f. ist er in die Situation des ,amator exclusus‘ versetzt (c; dieses Motiv dominiert das gesamte Gesicht). Aα2 (714) fährt mit der Situation des Parklausithyrons fort, doch die Ausgangssituation war eine andere: in V. 1ff. hatte der Dichter einen Diener aufgefordert, ihm einzuschenken. Das evoziert eine Partyszene. Die ist in Aα2 vergessen: allenfalls könnte man umgekehrt die Situation des ,exclusus amator‘ als Reminiszenz im berauschten Gehirn des unglücklichen Trinkers ansehen. Wichtig

45

Tibulls Werke

ist jedenfalls: die äußere Situation des Anfangs wird vergessen zugunsten eines ausgiebigen Verweilens bei einer anderen assoziativ angeschlossen Situation. Aus der Situation des ,exclusus amator‘ heraus ist jedenfalls der Übergang zu Ermahnungen an Delia, das Hindernis der verschlossenen Tür zu überwinden, natürlich (Aβ1: 15-24). In der Folge (Aβ2: 25-32) wird dies durch den Hinweis auf Venus Unterstützung ihr treu ergebener Liebender bekräftigt (f1), und durch die Antithese ,Bestrafung dessen, der sich an der Liebe versündigt‘ (g) ergänzt (Aβ3: 33-40). Aβ bleibt ganz in der Situation des Paraklausithyrons, in einem kurzen Verweis auf Zeichen im auf dem Tisch verschütteten Wein (ein geläufiges Motiv) klingt auch das Symposionsambiente an. Die Erwähnung einer Person, die sich gegen treue Liebe stellen könnte, führt ungezwungen zum B-Teil, wo Delias Gatte auftaucht (man kann annehmen, dass er es war, der sie eingesperrt hält). Freilich, die Einführung des Gatten geschieht auf einem überraschenden – und höchst humoristischen – Umweg: der Dichter hat die Hilfe einer Zauberin in Anspruch genommen; die hat erreicht, dass der Gatte gegenüber allen Indizien für Tibulls und Delias Liaison völlig unsensibel ist, jeden anderen Fehltritt Delias jedoch sofort bemerkt (Bα1: 41-52). Die magischen Praktiken werden detailliert beschrieben (B α2: 53-64), doch

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Tibulls Werke

kommt Tibull im Schlussdistichon (63f.) noch einmal emphatisch auf das eben genannte Ergebnis des Zaubers zurück. Diese beeindruckende Vorführung der Allmacht der Zauberin führt dann zu der Beteuerung, dass der Dichter dennoch nicht um Befreiung von einer schwierigen Liebe, sondern um eine harmonische auf Gegenseitigkeit beruhende Beziehung gebetet hat, und so führt der B-Teil zu einer kondensierten Bekräftigung der Hauptpunkte des Programmgedichts zurück:

Bβ1 (65-70): Zurückweisung von

Reichtum, gewonnen durch Krieg (b) und Bβ2 (71-78): der brennende Wunsch nach harmonischer Zweisamkeit in der Natur (a). Wir erinnern uns daran, dass Tibulls Suche nach Reinheit und Frieden in der Natur eng mit seiner strikten Observanz gegenüber den göttlichen Kräften verbunden war. So ist es durchaus einsichtig, warum er im C-Teil zunächst sein devotes Verhalten gegenüber Venus betont und bekräftigt, alles zu tun, sie zu versöhnen, sollte er sie dennoch unabsichtlich beleidigt (Cα1 = 7986). Die Überraschung kommt mit Cα2 (87-96): hier erscheint unvorbereitet eine neue Person, die den Dichter in seiner Liebespein verspottet und dem Tibull die gebührende Strafe androht (erneut g). Solche überraschenden Schlusswendungen werden wir auch anderswo begegnen. Jedenfalls in all seiner vertrackten und komplexen Struktur ist 1.2 ein mit großer Kunst

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Tibulls Werke

konstruiertes Gedicht. Die Verbindung der heterogenen Motive und Situationen geschieht durch gleitende Übergänge. Würde nach solch einem Übergang das jeweils folgebnde Thema einfach kurz angesprochen und dann zur Ausgangssituation zurückgekehrt, so wäre alles völlig konzise und gewöhnlich. Was Tibull hier tut, um einen völlig neuen Effekt zu erreichen, ist seine Technik, jeweils bei dem folgenden Gedanken zu verweilen und ihn auszuspinnen. Dadurch entsteht ein Gedicht, dessen gedankliche Kohärenz – obwohl vorhanden – nicht mehr klar gefühlt wird. Die Einheit des Gebildes versteht man nur dann, wenn man sich von den aneinandergeknüpften Bildern treiben lässt und selbst in das Netz des Verwobenseins der verschiedenen Bilder und Motive eingeht. 1.3 Dieses Gedicht ist komplementär zu 1.2. Dieses Mal ist die Liebe allein von außen bedroht, und die Bedrohung betrifft den Dichter (Grundmotiv erneut b). Obwohl Tibull dies in 1.51-56 explizit abgelehnt hatte, scheint es nun so, dass er Messalla doch auf einer militärischen Expedition begleitet hat. Rückgriffe auf bereits Gesagtes (hier e contrario)sind Tibulls Mittel eine dramatische Entwicklung des Zyklus zu suggerieren. In 1.7 spricht er erneut von dieses Mal sogar zwei

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Tibulls Werke

Expeditionen. Jedenfalls befindet sich Tibull in 1.3 krank und allein auf der Insel Kerkyra, zurückgelassen vom Heer, das er in den Osten begleitet hat. Das Gedicht ist erneut zweigeteilt, erneut ist der zweite Teil kürzer, dieses mal um 10 Verse: A = 1-52, B = 53-94. Die Mikrostruktur beider Teile ist besonders regelmäßig: A = 8 + 18 + 8 + 18; B = 14 + 16 + 12 (d.h. eine Struktur, die ich bei Properz in Buch I ,dovetailing‘ = Überlappungstechnik genannt habe). Aα 18: der Dichter krank und allein bittet um Schonung vor dem Tod, da es niemanden gibt, der ihn begraben könnte; insbesondere Delia ist nicht da (Aβ 9-26). Tibull gibt dem geläufigen Motiv des ,Liebestodes‘ (e) eine, wenn auch nur geringfügige, so doch originelle neue Wendung, vor allem aber präsentiert er Delias Verhalten vor seiner Abfahrt sozusagen als Antipropemptikon (das ja auch gründlich schief geht). Die im Liebestodmotiv erstrebte Sorge der Geliebten um den Toten wird hier auf die Sorge um den sich in Todesgefahr Begebenden verschoben (a1, c): Trotz guter Omina versuchte Delia Tibull zurückzuhalten, er selbst suchte immer nach Gründen, die Abfahrt zu verschieben. Der einzige Schluss der so bleibt, die gegenwärtige Krankheit zu erklären: Tibull hat sein Versprechen an den Liebesgott gebrochen (g). Und wenn man an 1. 51-56 denkt, ist das ja auch wahr. Da kann nicht einmal Isis helfen.

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Tibulls Werke

Dennoch wagt der Dichter es (Aγ 27-34) Isis anzurufen. Wieder spinnt Tibull einen Gedanken so weiter, dass er sich fast verselbständigt. Das geschieht aber jetzt vor allem in Aδ 34-52: die Reinheit, die die Riten der Isis gebieten (a3), führt zu einem Preis des goldenen Zeitalters (der Herrschaft Saturns), wo die Abwesenheit von Habsucht und Materialismus (a2) ein Leben ohne Leid ermöglichte. Der A – Teil von 1.4 formt in höchst subtiler Weise die Motive von 1.1 ,negativ‘ um: Die Bedrohung des Lebens der Liebe auf dem Lande (b) wird wahr. Das Leben in Frieden und Glück ist nur noch ein vergangener Traum (die goldene Zeit, hier = a2). Die Strafe des Frevlers gegen die Liebe (g) aus 1.2 kehrt wieder: jetzt betrifft sie den Dichter selbst, der sich an Cynthias treu sorgender Liebe (c) versündigt. V. 53 markiert eine scharfe Zäsur: der Dichter resigniert und zieht den Gedanken des Todes in Betracht. Das entspricht dramatischen Gedichtpaaren zu Krankheit und Genesung wie Prop. 2.28, aber wieder ist Tibull anders, als was man gewöhnlich erwartet: es wird hier nicht von einer Verschlechterung oder Veränderung der äußeren Umstände gesprochen: nur die Einstellung des Sprechers ist eine andere. B ist somit ganz vom Todesmotiv bestimmt, aber Tibull kehrt die zu erwartende Reihenfolge der Motive um. Zunächst in Bα 53-66 erscheint das notorische Epitaph des Elegikers (das man eher am Ende erwartet):

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Tibulls Werke

es spricht von der Erwartung des seligen Lebens des Liebenden nach dem Tode (f2). Es folgt in Bβ 67-82 das Gegenstück: die Schrecken der Unterwelt, die den Sünder, auch den gegen die Liebe erwarten (g). Dann erscheint im Schlussteil Bγ 83-94 Delia. Hier könnte man das Liebestodmotiv erwarten. Tibull gestaltet es in bewunderswerter Weise um. Bβ war eine Warnung; Delia soll dem Andenken des Dichters treu bleiben, sie soll in weiblicher Gesellschaft bis tief in die Nacht sich häuslicher Arbeit widmen, ganz wie eine anständige Ehefrau. Das ist die ideale Geliebte des Liebestodmotivs der Elegie, wie sie sich der Dichter erträumt. Sicher, auch jetzt träumt der todkranke Dichter, aber jetzt in seinem Fiebertraum sinkt die Geliebte nach dem Tod des Dichters, in ihre Arbeit versunken, in den Schlaf, und wie im Traum, nein als ein Wunder erscheint er ihr tatsächlich, wie er vom Himmel herabsteigt und sie läuft ihm, barfuß, ungeschmückt entgegen und fällt in seine Arme. Und so endet das Gedicht mit der Hoffnung auf einen neuen Morgen, der den Dichter doch noch sicher nach Hause führen soll. Wieder werden die Themen am Ende des Gedichts enggeführt. Tibull erreicht in seiner Verschmelzung von Traum in Traum und Wunder eine vage Stimmung des des unbestimmt Bestimmten, einer Gefühlslage, die für Worte zu präzise ist, die hinundherschwebt zwischen. Traum, Wirklichkeit, Wunsch, Wunder und Ideal.

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Tibulls Werke

Tibull hat so in 1.2 und 1.3 die Motive von 1.1 in einer überraschend neuen Weise weiterentwickelt, zugleich hat er mit seiner Beschreibung der Magie in 1.2 und der Unterwelt in 1.3 mit breitem Pinsel kräftige Farben in seine zarte Welt des Traums einfließen lassen. 1.4 1.4 stellt das Einleitungsgedicht zum Marathuszyklus dar. Tibull findet eine höchst originelle Lösung für diesen Zweck: ein Dialog zwischen dem Dichter und dem obszönen ländlichen Gott Priap, der den Dichter in Sachen homoerotischer Beziehungen berät. Das Gedicht weicht in Form (Dialog) und Struktur vom Vorigen ab: es ist dreigeteilt: die didaktische Rede des Gottes steht im Zentrum (B: 9-70), umgeben von zwei assymetrischen kurzen Einleitungs- bzw. Abschlussteilen.

Ich habe anderswo die

Versordnung eingehend begründet. Akzeptiert man sie ist die Rede Priaps kristallklar konstruiert; 1.4 ist fast schon ein rhetorisches Gedicht. A (1-8) formuliert einfach die Frage des Dichters an den Gott, nicht ohne – ironischerweise – hinzuzufügeen, dass er den Erfolg des Gottes bei schönen Knaben angesichts seines rustikalen Äußeren nur erstaunlich finden kann. Die explizite Erwähung des

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Tibulls Werke

ländlichen Ambientes integriert das Gedicht natürlich gut in das Buch (a2). Die Antwort des Gottes ist äußerst klar in vier Teile zu je 12 Versen mit einem fünften zu 14 Versen gegliedert. Bα (9-14) beginnt mit einer Warnung, nicht für die Schönheit junger Knaben zu fallen, die, leider, so viele Formen annimmt, dass es hart ist, ihr zu widerstehen. Doch in Bβ (15-20) geht der Gott unmittelbar zu Ermutigung über: das Geschick des Menschen im Umgang mit den Gefahren der Natur, ja der Zähmung wilder Tiere wird ihn auch die Herausforderung der Knabenliebe bestehen lassen. Priap bleibt so passenderweise im ländlichen Ambiente; die zivilisatorische Leistung des Bauern, die in 1.7 zentral wird, wird hier vorbereitet. Die Methode, einen Knaben zu gewinnen ist das ,servitium amoris‘ (Bγ = 39-52; c): wieder werden passenderweise Tätigkeiten auf dem Lande als Beispiele angeführt. Bδ (55f., 71f., 21-25) zeigt den Dichter in Siegerpose, jetzt ist der Knabe so gefügig, dass er von selbst seine Liebesdienste anbietet. Das zu erreichen. kann dem Dichter jedes Mittel recht sein, der große Liebhaber Juppiter verzeiht in der Liebe jeden noch so schmutzigen Trick. Dies leitet mühelos zu einer Aufforderung zum ,carpe diem‘ über (Bε = 27-38), verbunden mit einer Klage über das

schnelle

Verfliegen

der

Zeit

(topisch

in

diesem

Zusammenhang, besobders in der homoerotischen Dichtung: der

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Tibulls Werke

Knabe hat wirklich recht wenig Zeit, attraktiv zu sein, sprießt der erste Bart, ist es aus). Es folgt – zwei Verse länger – (Bζ= 57-70) eine peroratio in Form einer Klage über die materialistischen Zeiten (d) mit ihrer Geringachtung des Dichters, endend in eine Aufforderung an die Jugend, sich nicht so zu verhalten, und in ein Loblied der Dichtung. Die Reaktion des Dichters auf diesen wohldurchdachten Rat ist denkbar überraschen (C = 73f., 75-84). Die Stretta noch dramatischer als die von 1.1. Zunächst: der Rat des Priap war gar nicht für Tibull gedacht; Tibull hat Priap im Auftrag eines Freundes, Titius, befragt (h). Für diesen freilich ist Priaps Rat nutzlos: Titius Frau steht im Wege (h). Freilich warum musste der Dichter Priap denn überhaupt fragen. Er ist doch, wie er gleich im Anschluss sagt, selbst der berühmte ,magister amoris‘. Nun, der große Experte ist selbst in höchster Liebesnot, er ist verliebt und kann sich nicht helfen – es ist ein Knabe Marathus (h), der ihn quält. Wenn das nur nicht lange so weitergeht und aufkommt: dann wird es mit dem Ruf des Dichters als Liebesexperten schlecht bestellt sein. Das Gedicht spielt in ironisch-sarkastischer Weise mit Standardmotiven der Elegie. Das Ideal der Liebe zu Delia in 1.1 war die Reinheit des Landes unter göttlichem Schutz (a1, a2, a3): hier gibt ein ländlicher Gott Rat, wie man Knaben fängt

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Tibulls Werke

(Umbiegung von a3). Die echte selbstlose Liebe (c) scheint auf im ,servitium amoris‘ hier jedoch verbunden mit dem zynischen Rat: in der Liebe ist alles erlaubt; das ist der Apex der Umbiegung von a3 und f2. Die Liebe soll angesichts der Kürze der Zeit rücksichtslos ausgekostet werden. Materialismus ist wieder die große Gefahr für die Liebe (b); wer ihm verfällt, zieht Gottes Zorn auf sich (g). Das Dreiecksverhältnis wird ebenfalls umgebogen: Tibulls Freund – ein Knabe – seine Frau. Tibull ist ,magister amoris‘, fragt aber einen anderen für den, der bei ihm Rat sucht. Er weiß ja keinen, er kann selbst seinen Knaben nicht erobern. Normalerweise macht die leidvolle Liebeserfahrung den Dichter geeignet zum ,magister amoris‘; hier macht sie ihn untauglich dazu. 1.5 Nach diesem neuen Einleitungsgedicht Tibull fährt nicht mit dessen Fortsetzung in einem Gedichtzyklus zu seiner Beziehung mit Marathus fort, er kehrt zu einem Gedichtpaar zu Delia zurück (1.5/ 6). Während in 1.3 die Frustration der Liebeserfüllung ganz in der äußeren Umständen lag, die den Dichter befielen, und selbst in 1.2 immer noch die Probleme weniger an Delia als an Personen, die der Beziehung im Wege standen (in gewisser Hinsicht h),

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zurückzuführen waren, so bietet Tibull mit 1.5 und 6 ein Gedichtpaar, das ganz demselben Thema gewidmet ist: der wachsenden Verzweiflung des Dichters über Delias Untreue und materialistische

Einstellung.

Deliagedichten

durchaus

Somit

eine

finden

lineare

wir

in

den

pseudodramatische

Entwicklung, auch ein fast regelrechtes dramatisches Paar steht hier am Ende, nur ist die Entwicklung von Liebesglück zu Entzweiung ganz ins Innere des Dichters verlagert: es geht um die Spiegelung des Äußeren in seinem Inneren. Somit stellen 1.5/6 auch kein dramatisches Paar im ursprünglichen Sinne dar: derselbe Zustand der Untreue der Geliebten wird in zwei Gedichten in zunehmender Intensität seiner Wirkung auf das Innere des Dichters geschildert. So beginnt 1.5 auch sozusagen mit einer – was die pseudodramatische Struktur angeht – Hysteron-Proteron: bisher gab es wohl Schwierigkeiten, doch keine, die ein völliges Zerwürfnis rechtfertigen würden. Mit 1.5.1ff. werden wir zunächst einmal unvermittelt in die Situation ganz am Ende des Elegienzyklus versetzt: der Dichter versucht, der Liebe zu entsagen, und erst langsam wird enthüllt warum. 1.5/6 sind wieder wie 1.1 und 1.3 zweigeteilte Strukturen, die volle Symmetrie knapp vermeiden. 1.5 zerfällt in A (1-36) und B (37-70). Wie in 1.1. ist der erste Teil um ein Distichon länger als der zweite. A zerfällt in zwei strikt gleichlange Teile: Aα (1-18):

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Delia hat den Dichter verlassen trotz der Tatsache, dass letzterer die Geliebte durch seine Gebete vor Krankheit bewahrt hat (b und c); jetzt erscheint das Krankheitsmotiv, das in 1.3 auf den Dichter übertragen wurde in der gewöhnlichen Form der Elegie. Aβ (1936) malt –in einem Rückgriff auf 1.1 (in Vv. 31-34 ist auch Messalla wie in 1.1 präsent)

– das idyllische Leben mit der

Geliebten als gescheiterten Traum (a1, a2), die erhoffte Belohnung nach ihrer Genesung aus. Der B-Teil ist in drei Sektionen unterteilt: Bα (37-46) spricht von erfolglosen Versuchen, sich von der Liebe zu befreien: Alkohol – eine Rückblende auf 1.2 oder – ein Standardtopos der Elegie – eine andere Frau (Inbegriff elegischer Liebe ist ja das Verfallensein an eine Frau; die Zuwendung zu anderen ist der ultimative Bruch mit dieser Einstellung). In Bβ (47-58) erscheint eine neue Figur, die das Liebesverhältnis von außen bedroht oder stört (h; in 1.2 waren es Gatte, Rivalen und ein Spötter): jetzt ist es – wieder ein geläufiger Topos – die Kupplerin (man sieht Tibull führt geläufige Topoi zunächst eher in leichter Verfremdung ein, dann erscheinen sie in der Normalform in seiner bereits genannten so charakteristischen Flashbacktechnik). Im Schlussteil (Bγ = 5970) warnt Tibull Delia, der Kupplerin zu gehorchen unter Verweis auf die Strafen für die Frevler gegen die Liebe (g), den Lohn – an seiner Seite – für treue Liebe (f; Kontrast c vs. d). Die letzten

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beiden Distichon lassen das Gedicht in einer Stetta enden, die deutlich auf die Situation von 1.2 zurückverweisen (wie der Alkoholkonsum zu Beginn des B-Teils): in Vv. 67ff. wird plötzlich klar, der Dichter befindet sich vor der verschlossenen Tür der Geliebten, in Vv. 69ff. wird ein im Moment triumphierender Rivale (h)gewarnt, er werde bald dasselbe Schicksal wie der unglückliche Dichter erleiden (g). 1.6 1.6 ist eine Art Appendix zu 1.5: der Versuch, sich loszusagen, in 1.5.1ff. angedeutet, ist gründlich gescheitert: die Struktur ist erneut eine Zweiteilung mit kürzerem B-Teil: A = 6. 1-32, 5. 71-76, 6.3242 (= 48 Vv.), B = 43-86 (= 44 Vv.). Bei der Mikrostruktur von A und B könnte man von fast von ,dovetailing‘ sprechen: 22 + 26 (A) + 24 + 20 (B). 1.6 setzt den expliziten Rückgriff von 1.5 auf 1.2 fort: zunächst bekennt Tibull seine völlige Enttäuschung mit Amors Tricks, ihm eine Chance in einem chanchenlosen Verhältnis vorzugauckeln (Aα1 = 1-4). Delia hält ihn zum Narren, und leider: er hat sie ja – in 1.2 (Flashbacktechnik)– selbst gelehrt, wie man Männer zum Narren hält (Aα2 = 5-14). Der ,magister amoris‘ ist noch weniger erfolgreich als in 1.4: er schadet sich gar selbst. Dann wendet er sich an Delias Gatten (Aα3 = 15-22) und

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im folgenden Abschnitt (Aβ1 = 23-32) wird die subtile Ironis, das Tibull dem ,magister amoris‘-Motiv bereits in 1.2 verleiht vollends zur Farce: er schlägt dem Gatten vor, ihn, der Delias Tricks ja so gut kennt, zu ihrem custos, d.h. den Bock zum Gärtner zu machen, Er gibt zu, Delias Gatten betrogen zu haben, doch ohne böse Absicht: wer könnte Amor widerstehen? Und jetzt sitzen Tibull und der Gatte in demselben Boot. Mit dem Schlussdistichon des Abschnitts, wo Tibull davon spricht, dass er es war, der oft vor Delias Tür stand und den Wachhung zum Bellen veranlasste, bedient sich der Dichter wieder der Technik des gleitenden Übergangs von einem Nebenmotiv her: in Aβ2 = 5.71-76, 6. 33-36) spricht Tibull von erinem anderen Mann, der jetzt Tibulls Stelle als Stalker vor Delias Haus eingenommen hat (h). Und ein Ehemann, der das offenbar so wenig zu verhindern weiß wie einst die Avancen des Dichters, was braucht der auch eine so attraktive junge Frau? Und so kommt Tibull in Aβ3 = 37-42 zu seinem Vorschlag zurück, Delias offizieller Beschützer sein zu dürfen. Wäre er dies, würde er – im Gegensatz zu ihrem nachlässigen Gatten – keine Qualen scheuen, die Geliebte unbehelligt zu besitzen. Mit Aβ erreicht Tibull den Höhepunkt von Ironie in Buch 1. Der B-Teil setzt sich davon in der Stimmung markant ab: Der Bα – Teil von 1.6 zerfällt in zwei exakt gleichlanger Teile. In Bα1

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(43-54) wird das bereits in 1.2 auftauchende Motiv der Magie (Flashback) breit ausgemalt; hier ist die zuständige Göttin die besonders furchterregende Bellona, die alle möglichen Strafen für Sünder gegen die Liebe androht. Natürlich müssen solche Strafen auch über die untreue Delia (Bα2 = 55-66) kommen, freilich der Dichter ist – wie er hier durchblicken lässt – immer noch emotional an sein Mädchen gebunden: er wünscht in ihrem Falle mögen sie leicht sein. Das scheint zunächst ein auch sonst belegtes elegisches Motiv, nur Tibull wendet es völlig anders. Sein Grund dafür, immer noch Delia verbunden zu sein, ist weniger Delia selbst, es ist ihre verstorbene Mutter, die ihm stets half, in der Liaison mit ihrer Tochter Erfüllung zu finden (Umkehrung des Motivs des störenden Dritten = h; hier zugleich liebevoll,romantisch‘ beschrieben). Die subtile Mischung von pittoresker Romantik und Ironie wird uns in Buch II wieder begegnen. Der erneut strikt symmetrisch untergliederte Bβ-Teil kehrt nun – am Ende des Deliazyklus’ – auch zu 1.1 zurück: Delias Mutter möge ihre Tochter während des Dichters Abwesenheit keusch und rein bewahren, so wie er sich das am Ende von 1.3 erträumt hatte (Bβ1: 67-76). Im Schlussteil wird dieses Idyll dem traurigen Schicksal der untreuen Frau im Alter gegenübergestellt (Bβ2: 7786; g). Und so endet das Gedicht ganz wie 1.1 im Wunsch. Mit der Geliebten in trauter Zweisamkeit zu altern (85f.)

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Bβ ist ganz aus Assoziationen zum Ende des vorigen Teils mit dem originellen Muttermotiv herausgesponnen. Jeder Bezug zur ,realen‘, aktuellen Situation des Dichters ist ausgeblendet. Der verzweifelte

Dichter

fällt

zurück

in

den

Traum

des

Einleitungsgedichtes wie am Ende von 1.3, und wieder wird klar: was hier gesagt wird ist ein Traum, sonst nichts. Delias Mutter ist tot: wie könnte sie Delia behüten. Aber die Erinnerung an sie ist im Dichter wach. Die Liebe ist tot; sie kann nur weiterleben in der Erinnerung und im Traum. 1.7 Die beiden Gedichtpaare des Deliuszyklus (1.2/3 und 1.5/6) wurden durch ein heterogenes Gedicht unterbrochen. Dasselbe gilt für die beiden erotischen Zyklen: der Deliazyklus (endend in 1.5/6) und das Gedichtpaar, das den in 1.4 angekündigten Marathuszyklus einlöst: 1.8/9. 1.7 ist ein Geburtstagsgedicht an den Patron Messalla. Messalla wurde im übrigen in 1.1, 1.3. und 1.5 erwähnt und 1.7 steht jetzt für den Höhepunkt der Panegyrik auf den Patron. Das Motiv ,Liebe‘ fehlt hier, dafür schneidet Tibull das Gedicht ganz auf sein zweites großes Thema zurecht: ländliche Idylle (a2). Zudem weist das Gedicht auf die militärische Expedition zurück, die in 1.3 den Hintergrund bildete (Flashback).

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Der Preis des Patrons zu seinem Geburtstag ist vor allen einer seiner militärischen Leistungen: es gab nicht nur die eine, in 1.3 erwähnte Exkursion in den Osten, sondern auch eine zweite in den Westen (beendet durch einen Triumph im September 27 v. Chr.), an der Tibull ebenfalls bekennt, teilgenommen zu haben. Denkt man an das Problem, das augusteische Dichter mit der Integration panegyrischer Dichtung in ihr persönliches Dichten hatten, so bietet Tibull hier eine verblüffend problemlose Lösung. Eine Recusatiodichtung gibt es bei ihm nicht. Das Geburtstagsgedicht an Messala wird über das Schwelgen in der geographischen Weite der militärischen Erfolge des Patrons zwanglos zu einen Lob des Landlebens. Das Gedicht sticht neben der anderen Thematik auch dadurch hervor, dass es das kürzeste ist, und wie das andere Gedicht, das alleine stehend Zyklen teilt, 1.4., so ist 1.7 dreiteilig: eine kurze Einleitung (A = 1-8) und eine genau doppelt so lange Appendix (C = 49-64) umrahmen den langen Mittelteil B: 9-48. Alle drei Teile weisen eine durch 8 teilbare Verszahl auf (8 + 40 + 16). Tibull beginnt damit, dass Messallas Triumph nach seinem Sieg über die auständischen Kelten in Aquitanien 27 v. Chr. ihm bei der Geburt von den Parzen in die Wiege gelegt worden war (A). Der lange Mittelteil (B) zerfällt in zwei leicht assymetrische Teile, dieses Mal ist der zweite etwas länger: Bα (9-26 = 18 Vv.) und Bβ (27-48

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= 22 Vv.). Vv. 9-26 enthalten einen langen Katalog der Orte, die Messala auf seinen Exkursionen besucht hat; der Katalog endet mit Ägypten und dem Nil. Das gibt Tibull die Gelegenheit in 27-38 den ägyptischen Gott Osiris (Isis kam schon in 1.3 an prominenter Stelle vor!) und dann sein römisches Äquivalent Bacchus als Zivilisationsstifter und Erfinder des Ackerbaus zu würdigen. Tibull macht so zwanglos und passend ein Geburtstahsgedicht zu einem Preis der göttlichen Mächte der Natur, ihren Segnungen und dem Schutz und Frieden, den sie dem Menschen gewähren, ganz im Sinne des Einleitungsgedichtes 1.1, der Atmosphäre, in der er in 1.5 davon träumt, auch Messalla zu empfangen. Der Schluss der Erfindungen des Ackerbaus mit der Weinherstellung führt zwanglos zur Geburtstagsparty mit dem Preis des Genius; zudem werden Messallas militärische Leistungen mit einer Friedensleistung, dem Bau einer Straße passend ergänzt (C: 49-64). 1.8 Nun folgt mit 1.8/9 der in 1.4 angekündigte Marathuszyklus; strikt parallel zu 1.5/6 in einem Gedichtpaar, noch dazu von zusammen exakt derselben Länge. Jetzt allerdings sind beide Gedichte dreigeteilt, nicht jedoch wie 1.4 und 1.7 so, dass zwei kurze

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Außenteile einen Mittelteil umgeben, sondern so, dass das Gedicht in drei Teile von gleichem Gewicht zerfällt: 1.8 bedient sich dabei erneut der Technik des ,dovetailing‘: A 26 : B 28 : C 24 Vv. (untergliedert in: 6 + 10 + 10 – 12 + 8 + 8 – 12 + 12). Die Situation von 1.8/9 ist der von 1.5/6 ebenfalls parallel: der Dichter wird vom Objekt seiner Begierde verschmäht und 1.8 setzt zudem von Anfang an den ironischen Ton von 1.6 fort. Ebenso nimmt Tibull das Thema des ,magister amoris‘ aus dem Einleitungsgedicht des Marathuszyklus’ 1.4 wieder auf; erneut wendet er es ganz neu und originell: In Aα (1-6) macht Tibull dem geliebten Knaben klar, dass er keine Chance hat gegenüber einem Liebesexperten wie Tibullus zu verheimlichen, dass er verliebt ist. Der Knabe ist in ein Mädchen verliebt (Aβ: 7-16). In amüsanter Weise wendet Tibull den elegischen Topos der ,Schmuckkritik‘ auf den Knaben an, der sich vergeblich stutzerhaft kleidet und schminkt, um ein Mädchen zu gewinnen, das sich – ganz im Sinne der idealen unverdorbenen Schönheit der elegischen Ideal-domina – überhaupt nicht um ihr Äußeres kümmert. Bei solch einem Mädchen freilich kann, so meint der Dichter schelmisch, die brennende Liebe des Knaben nur darauf zurückzuführen sein, dass er vorher mit ihr eine erfüllte sexuelle Beziehung hatte (Aγ: 1726). Somit haben wir hier erneut eine für die Elegie, die ja sonst

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Tibulls Werke

die homoerotische Liebe nicht kennt, ganz neue Dreieckssituation (h). In B (27-54) wendet der Dichter sich unvermittelt an das Mädchen: zuerst (Bα: 27-38) fordert er sie auf, nicht materielle Gaben eines alten Mannes der jugendlichen Schönheit eines Knaben vorzuziehen, Verbrechen gegen Venus rächen sich, wahre Liebe wird belohnt (c, d, f, g). Das hier eingeforderte Verhalten entspricht mutatis mutandis der Forderung des elegischen Liebhabers an seine ,domina‘. Dieser Aufforderung wird dann auch noch – ganz topisch – Nachdruck verliehen durch den Verweis auf das grausame Schicksal der untreuen Frau im Alter (Bβ: 39-46; g) und zum Schluss mit der Mahnung, die flüchtige Jugend zu genießen (Bγ: 47-54). Cα (55-66) bleibt zunächst bei der Anrede an das Mädchen; doch jetzt teilt er ihr die Worte des zu Beginn in all seiner Liebesnot geschilderten Knaben in direkter Rede mit: letzterer gab ihr wie ein rechter ,magister amoris‘ dieselben Ratschläge die Tibull seiner Geliebten in 1.2 und 1.6 (Flashback) gab – freilich vergebens: das Mädchen hat kein Interesse an ihm. Von der direkten Rede des Knaben kann Tibull zwanglos zu einer Anrede an ihn übergehen (Cβ: 67-78), und dieser Schlussabschnitt bildet wieder einmal eine Art Stretta – erneut eine voller Überraschung und subtiler Ironie: Der Knabe soll es aufgeben; doch gleich

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darauf wendet sich Tibull wieder an das Mädchen, jetzt mit Namen genannt, Pholoe (derartige griechische Namen implizieren, die Frau ist eine Prostituierte) und warnt erneut vor Strafe, und siehe da! das Beispiel, das er dafür anführt ist eben das seines pröden Liebhaber Marathus: er hat einst auch einen gequält, der ihn leidenschaftlich liebte, und genau deshalb muss er jetzt unter ihrer Sprödigkeit leiden. 1.9 Bereits in 1.8 sah der Dichter kaum Hoffnung, Marathus zu gewinnen (durchweg d, g); 1.9 ist ein eindeutiges ,Adieu an die Liebe‘, ganz analog zu Properz 3. 24/26 und Horaz C. 1.5; und Tibull wird ja auch keine homoerotische Liebesdichtung, jedenfalls keine, in die er involviert ist, mehr schreiben und mit der Kautel: soweit wir wissen. In 1.9 ist Tibull nur noch beschämt über seine Selbsterniedrigung in erfolglosem Werben um Marathus und wünscht nichts anderes mehr als Unglück für letzteren und für seinen Rivalen um dessen Gunst. Das Gedicht ist folgendermaßen gegliedert: A: 16 + 12 = 28 – B: 10 + 12 = 22 – C: 14 + 12 + 8 = 32. 1.9 beginnt wie 1.6 mit ,Betrug durch den/die Geliebte(n). Jetzt schwört Marathus den Meineid des Liebhabers (den Priap in 1.4

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verzeihlich fand; Flashback!), und Tibull stellt dem Knaben die Strafe Gottes für seine materielle Gier vor Augen; doch wie im Falle Delias in 1.6 bittet er die Götter, nicht allzu hart mit dem Knaben zu verfahren: Gier ist etwas nur allzu Menschliches (Aα: 1-16). Tibull scheint immer noch um das Schicksal des Knaben besorgt und so unterstreicht er seine Warnung mit dem Hinweis, dass die Götter ins Herz des Menschen sehen können und man sie nicht betrügen (Aβ: 17-28). Im Mittelteil schlägt die Stimmung um: der Dichter bereut seine früheren Worte und bisheriges (Bα: 29-38). Besonders bereut er, Marathus mit seiner unglücklichen Liebe geholfen zu haben (1.8; h; Flashback) und wünscht nun, was er in 1.8 am Ende dem Mädchen angedroht hatte, möge wahr werden: sie soll ihn verschmähen (Bβ: 39-50). Tibull ist mit Marathus fertig und wendet sich jetzt an seinen Rivalen (h): zunächst verflucht er noch in einem Distichon einen Zuhälter (51f.), dann überzieht er den Rivalen mit unappetitlichgen Wünschen, die aus etwas wie Ciceros ,Philippika‘ stammen könnten: er wünscht ihm, seine Frau (h) möge ihn schamlos betrügen, ja und als ob das nicht genug wäre,sie als schamlose Hure bloßzustellen, er wünscht, sie soll es noch wilder treiben als des Rivalen sittenlose Schwester, deren Verhalten in einer pittoresken Beschreibung drastisch vor Augen gestellt wird (Cα :

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Tibulls Werke

51-64). Danach kehrt Tibull noch einmal zu der Gattin des Rivalen zurück, beschreibt ihre Unzucht erneut und führt sie auf den verständlichen Ekel einer attraktiven jungen Frau gegenüber sexuellem Kontak mit einem widerwärtigen alten Mann zurück (Cβ: 65-76). In einer kurzen Coda (Cγ: 77-84) kommt Tibull zu Marathus zurück und stellt ihm vor Augen, wie er einst weinen wird, wenn Tibull einen neuen Liebhaber gefunden haben wird und zitiert zuletzt das Epigramm, das er Venus als Votivgabe für seine Befreiung von einer unglücklichen Liebe geweiht hat. So enden die Liebeszyklen mit einem endgültigen Adieu an unglückliche Liebe in einem Falle, dem der Knabenliebe. 1.10 Das programmatische Schlussgedicht, das Gegenstück zu 1.1. Schon in 1.1 erschien das Thema ,Liebe‘ erst nach der Mitte, während der Dichter zuvor die Freuden des einfachen Lebens auf dem Lande ausmalte. 1.10 widmet sich fast ganz dem Kontrast Frieden auf dem Lande vs. Krieg und materielle Gier (a2 vs. b). Erst ganz am Ende kommt wie beiläufig auch die Liebe ins Bild als Teil des ländlichen Idylls: die ,militia amoris‘ ist der einzige Krieg, für den der Dichter zu haben ist. Der mag manchmal zu etwas

allzu

leidenschaftlichen,

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die

Gewalt

streifenden

Tibulls Werke

Liebesspielen ausarten, aber zuviel darf es nicht werden. Venus ist eine Göttin des Friedens. Das Gedicht ist zweigeteilt; die Zaesur fällt nach V. 28. Unter Versetzung von Vv. 51f. und Annahme einer Lücke im A-Teil kann somit die Struktur nicht ganz geklärt werden. Der B-Teil umfasst 40 Verse mit einer strikt symmetrischen Binnengliederung in sehr kurze Einheiten (4+6+6+6+6+6+4).

Buch II Buch II dürfte kurz vor dem Tod des Dichters 19/18 v. Chr. publiziert worden sein: 2.5 weist auf ein Datum kurz vor 17 v. Chr.33 Sieben oder acht Jahre waren seit der Publikation von Buch I vergangen. Properzens Produktion gin schneller voran: zwischen den ersten drei Büchern liegen nur drei Jahre. Das Buch ist ohne jeden Zweifel unvollständig überliefert;34 nicht nur dass ein Buch von nur sechs Elegien ohne Parallele wäre: 2.6 hat in keiner Weise den Charakter eines Schlussgedichtes, 33

Murgatroyd 1994: 163.

34

See Reeve 1984 in AA.VV. 1986: 61ff.; Murgatroyd 1994: 240ff. ist in

keinem Punkt überzeugend.

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Tibulls Werke

zudem ist es ganz offenkundig unvollständig. Somit bleibt zur Buchstruktur wenig zu sagen. Doch vermutlich umfasste es zehn Gedichte wie Buch I: das große panegyrische Gedicht auf Messalla, das die Priesterweihe seines ältesten Sohnes feiert passt gut für die Mitte des Buches. Die erste Hälfte des Buches, die wir besitzen, sieht somit folgendermaßen aus: Auf ein langes Einleitungsgedicht (90 Vv.) folgt Tibulls kürzestes Gedicht (2.2: 20 Vv.); es ist wie 1.7 ein Geburtstagsgedicht, doch nicht auf Messalla, sondern einen unbekannten jungen Freund des Dichters: Cornutus. Es folgt ein Gedichtpaar über Tibulls Probleme mit seiner neuen ,domina‘ mit Namen Nemesis, bevor dann eben 2.5 folgt. D.h. in Buch II können wir wiederum die Dispositionstechnik des ersten Buchs erkennen, Gedichtpaare durch heterogene Einzelgedichte zu trennen. Das Programmgedicht 2.1 ist 1.1 und 1.10 eng verwandt. Noch mehr als in 1.1 ruht der Akzent auf dem Leben in einer gotterfüllten Natur; das Liebesthema kommt noch später als in 1.1., erst in einer Appendix ins Spiel. Indem 2.1 ein ländliches Opferfest beschreibt ist zudem der religiöse Aspekt noch deutlicher im Vordergrund: das setzt sich in 2.2 fort: ein Gebet an den Genius. 2.5 ist – als Gedicht auf eine Priesterweihe – ganz von religiöser Thematik durchzogen, und der Gott, um den es geht,

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Apollon, erscheint auch in 2.3, das einzige Gedicht Tibulls, in dem er seinen Liebesdienst mit einem mythologischen Beispiel illustriert, noch dazu indem die mythologische Erzählung fast ein Drittel des Gedichts in Anspruch nimmt. Neben diesem starken Hervortreten der religiösen Thematik zeichnet sich Buch II durch eine Fortsetzung und Steigerung der eigentümlichen Mischung von geradezu sarkastischem Humor und ,romantischen‘ Stimmungsbildern, die wir schon in 1.6 und den Marathusgedichten beobachten konnten, aus. Schon der neue Name der Geliebten ,Rache, Strafe‘ ist – gerade wenn man an die gewohnten Konnotationen der Pseudonyme der Elegie denkt – ein ziemlich harter Scherz. Die einzelnen Gedichte 2.1 2.1 ist eines der größten Meisterwerke augusteischer Dichtung. Wir erinnern uns, dass das geläufigste Gedichtschema des ersten Buches Zweiteilung mit kürzerem zweiten Teil, oft verbunden mit einer Art Stretta war. 2.1 ist in drei Abschnitte nach einem klaren numerischen Schema abnehmender Länge geteilt: A (1-36) = 36 Vv. – B (37-66) = 30 Vv. – C (67-90) = 24 Vv. = 6x6, 5x6, 4x6.

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Aα (1-16) beginnt mit der Aufforderung zum rituellen Schweigen der Gemeinde und ruft Bacchus an (bereits in 1.7 der Gott des Landlebens): Ruhe, Frieden und Reinheit erscheinen hier in einer Beschreibung des Ruhens der Arbeit und der rituellen Reinheit für das heilige Fest

(a3 und a2). Dann (Aβ: 17-30)

wendet sich der Dichter an die Laren: in implizitem Gegensatz zur rituellen Keuschheit steht das folgende Fruchtbarkeitsritual. Der Ton wandelt sich vom Weihevollen zum eher Spielerischen. So wandelt sich die Stimmung gar zur unbeschwerten Freude eines Trinkgelages (Bacchus!). Das ist auch eine Gelegenheit in einer kleinen Appendix auf Messalla anzustoßen (Aγ: 31-36). Der Mittelteil (B: 37-66) ist vielleicht die geglückteste Beschreibung der Arbeiten des Landmannes als Idylle (a2) in der augusteischen Dichtung; besonders schön im Kontrast zu dem Ruhen der Arbeit zu Beginn des Gedichts. En passent kam Liebe, auch die Arbeit der Frau bereits im ländlichen Treiben in B vor; jetzt im Schlussteil (C) spricht Tibull davon, der Liebesgott, Cupido, sei auf dem Lande unter den Tieren des Landes geboren (Cα: 67-80): dort auf dem Lande habe er zum ersten Male seine Kunst geübt und seine grenzenlose Macht über Alt und Jung, Frau und Mann erfahren und seine treuen Diener belohnt und Sünder grausam bestraft (c, f1, g).

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Der hymnische Anfang mit seiner Anrede an Bacchus und die Laren wird so am Ende – speilerisch-scherzhaft – wieder aufgenommen: in einem Gebet an den Liebesgott, seine übergroße Macht zu zügeln (Cβ: 81-86). In einer kurzen Appendix von nur zwei Disticha (Cγ: 87-90) verbindet Tibull die Aufforderung zum Genießen des Fest mit einer Beschreibung der heraufziehenden Nacht (vgl. e contrario 1.3). Das Gedicht kehrt so in C in immer zunehmender Dichte der Motivfolge zum Anfang zurück, zum Gebet, zum Fest, zum Frieden. Der Frieden ist jetzt derjenige der Nacht (wie in Vergils Eklogen 2 und 10); Tibull spielt hier mit der eben bei Vergil aufscheinenden hellenistischen Technik, im Gedicht eine Zeitspanne zusammenzuziehen und vergehen zu lassen. Er deutet sie freilich nur an: am Ende wird die Aufforderung zum Genuss nur mit einem Hinweis auf die bald kommende Nacht unterstrichen. 2.2 Wie Buch I so enthät Buch II ein Geburtstagsgedicht. Dieses auf einen

sonst

unbekannten

Freund

Cornutus

ist

von

fast

epigrammatischer Kürze: zwei Teile zu nur je 10 Vv. A (1-10) rufen unter Aufforderung zum Schweigen der Festgemeinde den Genius des Freundes an und fordern letzteren auf, seinen

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Geburtstagswunsch zu äußern. Doch den kennt der Dichter ohnehin (B: 11-20), und in den kann er auch vollen Herzens einstimmen: mehr als allen Reichtum wünscht sich der Freund eine Gattin, mit der er in unverbrüchlicher Liebe gemeinsam alt werden kann (a1). Die Verwirklichung des Traums des Elegikers ist dem Freund in einer ,bürgerlichen‘ Ehe vorbehalten. Und das ist die Bedeutung des Gedichts für den Zykluis: die elegische Beziehung ist

immer

eine

,illegale‘,

die

aber

in

ihrem

Ausschließlichkeitsanspruch eben auf eine ,ideale‘ Ehe zielt. Als Ideal ist dieses Verbindung zunächst Ausdruck der wesenhaften Unerfülltheit elegischer Liebe und die ,alltägliche‘ Ehe somit negatives Gegenbild. Positives Gegenbild wird sie freilich schon in Properzens drittem Buch und mehr noch den vierten. In diesem kurzen Gedichtchen spiegelt sich dieser Gedanke bei Tibull. 2.3 2.3 ist ein höchst subtiles Gedicht und dabei, wie bereits gesagt, das einzige, in dem Tibull seine Liebe sich in einem mythologischen Beispiel spiegeln lässt (eine für Properz so charakteristische dichterische Technik): der verliebte Apollon leistet einem Menschen Admet – unwürdigen – Liebesdienst. Sicher ist es kein Zufall, dass Tibull eine homoerotische

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Tibulls Werke

Beziehung wählt. Der uns erhaltene Teil des zweiten Buchs enthält jedenfalls keine homoerotische Beziehung des Dichters mehr. Die Gedichtstruktur kann man als eine Variante der Dreiteilung verstehen: A (1-10) führt in die Situation ein, mit B (11-32 = 26 Vv.) beginnt unvermittelt die mythologische Erzählung, mit B’ (35-60, ebenfalls 26 Vv.) stellt ihr die eigene Situation gegenüber (= ein exakt symmetrisch zweigeteilter Mittelteil 11-60). Eine Appendix C (61-80) wendet sich an den Rivalen und zieht den Schluss aus der hoffnungslosen Situation. Die Anrede an Cornutus, der im Verlauf des Gedichts keine Rolle mehr spielt, in V. 1 verbindet 2.3 mit 2.2: Cornutus’ Glück vs. Tibulls Unglück. A (1-10) zeigt Tibull in einer Situation, die wir aus Properz gut kennen: die Geliebte hat sich fort vom Dichter aufs Land begeben. Das kann verschiedene Gründe haben und Gefahren bergen: Ferien – da könnte sie den Begierden anderer Männer aussetzen, die sie sehr wohl erwidern könnte, – oder ein Rivale könnte sie gar eingeladen haben. Tibull spricht zunächst nur davon, dass sein Mädchen auf dem Lande ist und er sie so gern dorthin begleiten möchte. Vor dem Hintergrund, dass das Motiv der Trennung bedingt durch Aufenthalt auf dem Lande durch Properz, dessen Beziehung sich in der Stadt abspielt, etabliert ist, ist alleine schon die Verwendung durch Tibull eine Verfremdung: Tibull erträumt

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Tibulls Werke

sich doch ohnehin eine Liebe auf dem Lande. Jetzt, scheint es, muss er ihr aufs Land folgen (ironische Umkehrung von a1 und a2). An diese Darlegung der Situation hängt Tibull nun in Properzscher Manier (Bα: 11-28, incl. 14a-d) genannten Mythos an. Im Mythos, ja, da scheint es – nicht ohne Augenzwinkern gesagt – möglich, den Liebestraum von 1.1 zu leben (a1 und a2). Und so fasst Tibull auch seine recht ausgedehnte recht humorvolle mythologische Erzählung in Bβ (29-32) zusammen. Dieses Lob der guten alten Zeiten des Mythos führt über eine Diatribe gegen den Materialismus des ehernen Zeitalters (b, d) zur Gegenwart zurück (B’α: 33-48) und schließt mit dem Wunsch, dem Dichter möge das Leben in ländlicher Einfachheit von 1.1 beschieden sein (a2). In B’β (49-60) wendet – zunächst nicht erstaunlich – die Diatribe gegen Materialismus auf das weibliche Geschlecht an, und jetzt fällt in V. 51 auch zum ersten Mal der erstaunliche Name seiner neuen Geliebten – Nemesis. Und diese Nemesis, ja die ist doch eine elegante Dame Roms gerade dadurch, dass der Dichter sie so reich – selbst mit den notorisch-pikanten koischen Gewändern – beschenkt. Das tun elegische Dichter für gewöhnlich nicht. Doch die große Überraschung folgt erst im Schlussteil, der zu A, dem Aufenthalt auf dem Lande, zurückführt. Es ist ein Rivale

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(V. 61) der Nemesis jetzt – vom Dichter in Rom so reich bestückt – aufs Land entführt hat. Und dieser Rivale wird zunächst einmal gründlich verflucht (Cα: 61-66), wie wir das auch sonst kennen. Doch seine Nemesis, die liebt Tibull noch immer: zuletzt (Cβ: 6780) ist er bereit, die niedrigesten Arbeiten auf dem Land zu verrichten (das Landleben sieht jetzt etwas weniger idyllisch, dezidiert unkonfortabel aus), kann er nur mit seinem Mädchen zusammen sein, aber daran hindert ihn eine verschlossene Tür, nur – die ist jetzt die eines Landhauses: ein Paraklausithyron (vgl. 1.2) seltsamerweise aufs Land verlegt. 2.4 In 2.4 geht es um dieselbe Situation wie in 2.3. Die spielerische Ironie von 2.3 verwandelt sich in bittersten Sarkasmus. Das Gedicht ist deutlich kürzer als das vorhergehende; die Gliederung ist eine einfache Dreiteilung mit ,dovetailing‘: A (1-20) – B (2138) – C (39-60) = 20 + 18 + 22. Der Dichter weiß keinen Ausweg aus seiner verzweifelten Situation und wünscht sich, so gefühllos wie ein Stein zu sein (Aα: 1-10). Wenn nicht einmal seine Dichtung dazu geeignet ist, das Herz seiner Geliebten zu gewinnen, dann kann er gar auf seine Musen verzichten (Aβ: 11-20). Dichtung ist natürlich nutzlos in

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einer Zeit, wo es nur um materielle Gier geht, und so kann der Dichter, wie bereits in 2.3 angedeutet, sein Mädchen nur durch Geschenke besitzen, (Bα: 21-26), d.h. er muss sich mit jedem Mittel Geld beschaffen, und sei es Tempelraub, und wessen Tempel wäre da geeigneter als der der Venus?

Es folgt die

Verfluchung der Verantwortlichen für weibliche Gier (Bβ: 27-34) – sie ist Grund für die verschlossene Tür (vgl. 2.3), entsprechend öffnet Geld jede Tür. Die Beschreibung des luxuriösen Lebensstils der Damenwelt erinnert wieder an 2.3 (das koische Gewand taucht erneut auf; Flashback). Warum müssen aber solch abscheuliche Charaktere solche unwidersehlichen Reize besitzen? (Bγ: 35-38). In C spricht der Dichter dann direkt zu Nemesis: Cα (39-44): möge sie ihren materiellen Besitz nicht genießen können und wie das notorische treulose Weib enden (g). Wie anders ist das Schicksal einer treuen Frau, deren Grab pietätvoll von ihren Liebhaber, der sie überlebt, in hohem Alter geehrt wird (Cβ: 45-50): eine originelle Umkejrung des Liebestodmotivs. Freilich Tibull weiß, was immer er sagt ist umsonst, er muss sein letzten Pfennig hergeben, um sein gieriges Mädchen zu befriedigen, und er hängt halt doch so sehr an ihr, dass er bereit ist die unvorstellbarsten Dinge zu tun. Um sie nur behalten zu können. (Cγ: 51-60). In diesem Gedicht gerät die völlig selbstlose Liebe der Elegie zu einer Frau, die sie nicht wert ist, endgültig zur bloßen Farce.

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2.5 2.5 stellt Tibulls Tribut an politisch panegyrische Dichtung dar. Entsprechend seiner persönlichen Loyalität ist es Messalla, nicht Maecenas oder gar direkt Augustus gewidmet. Äußerer Anlass ist die Aufnahme des ältesten Sohnes des Messalla in das Priesterkollegium der sog. Decemviri sacris faciundis (kurz vor 17 v. Chr.), eines Priesterkollegiums, dem es oblag, in Notzeiten die sogenannten sibyllinischen Bücher prophetischen Inhalts zu konsultieren. Dies gibt Tibull die Möglichkeiten, das alte Rom, seine Gründung und seine Bestimmung in prophetischer Vorschau und deutlicher Anlehnung an Vergils ,Aeneis‘ (besonders das achte Buch) ins Zentrum des Gedichts zu stellen. Entsprechend diesem Fokus der Darstellung – aus dem Blick auf die Gegenwart als eines Blicks aus der Vergangenheit in die Zukunft – ist die Struktur dieses längsten der Gedichte Tibulls angelegt. Wieder (wie 2.1 und 2.2) beginnt das Gedicht mit einem Gebet, dieses Mal an den Gott der Zukunftsvorhersage, Apollon (der schon in 2.3 in der mythologischen Erzählung auftauchte). Das Gedicht zerfällt in einen fast symmetrischen zweigeteilten Hauptteil zum eigentlichen Anlass des Gedichts (A: 1-38 – A’: 3974, 77f.,, 76f. = 40 Vv.) und eine persönliche Appendix des

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Liebesdichters B: 79-122 = 44 Vv.). Diese Disposition erinnert an Prop. 4.6. Auf die Anrufung und zum Teil recht launinge Beschreibung Apolls (Aα: 1-10) wird Apoll als Letztinspiration aller Zukunftsdeutung beschrieben, auch derjenigen der Sibylle, die – laut Tibull – Aeneas seinen Weg aus dem brennenden Troia wies (Aβ: 11-22). Bevor diese Weissagung wörtlich zitiert wird, schiebt Tibull eine von Vergils achtem Buch inspirierte Beschreibung der Gegend des zukünftigen Rom ein (ähnlich Prop. 4.1), die liebevolle Züge ländlicher un erotischer Idylle trägt (Aγ: 23-38). Darauf folgt in zwei Teilen die Weissagung der Sibylle in direkter Rede, nicht nur an Aeneas (A’α: 39-50), reichend bis zur Gründung Alba Longas durch Aeneas’ Sohn Ascanius. Mit dem zweiten Teil (A’β: 51-66) folgt – sozusagen spiegelbildlich zu der Parenthese über die vorrömische Bauernwelt und in ebenfalls 16 Vv. – die Rhea Silvia Geschichte, der Hinweis auf die Gründung Roms und seine Bestimmung zur Weltherrschaft. Eine Appendix (A’γ: 67-74, 77f., 76f.) folgen die Weissagen von Sibyllen über die bedrohlichen Zeichen, die in der jüngeren Vergangenheit den Bürgerkrieg begleitet hatten. Diese Zeiten freilich sind jetzt vorbei, und so kann Tibull sich in einem Schlussteil ganz ungezwungen dem Grundthema seiner Dichtung hingeben: ein ländliches Friedensfest unter dem Schutz Apollons (Bα: 79-90); auch die

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Liebe kann da nicht fehlen (Bβ: 91-108): dabei wird Cupido auf dem Lande ganz ähnlich wie am Ende von 1.10 und 2.1. (Flashback) eingeführt, und jetzt wird auch noch launisch hinzugefügt, Apoll, der untrügliche Bogenschütze, soll doch bitte Amor in Zukunft verbieten, damit Unfug zu treiben. Das führt den Dichter zurück zu seinem eigenen Liebesleid (Bγ: 109-122), und wieder biegt Tibull ein Grundmotiv der Elegie originell um. Panegyrische Dichtung ist bei Properz eine Option des elegischen Dichters, der Liebesdichtung und so dem Leben der Liebe abzusagen, ein Versuch, der freilich nicht gelingt. Tibull bittet am Ende Nemesis, ihn zu schonen, damit er weiter Messallas Preis singen kann. Ein Schlussdistichon mit einem Gebet an Apollon führt zum Anfang zurück. Auch 2.5 ist eines der großen Meisterwerke der augusteischen Dichtung: Tibull zeigt, wie meisterhaft er auch mit einer hochkomplexen Großstruktur eines heterogenen Gedichts (Panegyrik – Liebe) umgehen kann. Zugleich hat das Gedichts nichts Offiziöses, nichts FeierlichGestelztes:

Gottesdienst,

die

Zukunft

Roms,

Naturidylle,

Liebesidylle und Liebesschmerz sind zu einer Einheit von einzigartig-lieblicher Anmut verschmolzen.

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2.6 Es folgt das letzte Gedicht des zweiten Buches, das wir besitzen. Da es unvollständig ist, kann seine Struktur nicht klar analysiert werden. So wie das Fragment dasteht, stellt es eine bunte Folge kleinener Einheiten dar. Gemeinsam ist allen die resignative Grundstimmung, die wir bereits kennen: der Dichter hat sich damit abgefunden, dass seine Liebe keine Erwiderung findet, aber er versucht, irgendwie mit dieser Tatsache zurechtzukommen. Gleich zu Beginn wird erneut ein Freund angeredet, der im Folgenden keine Rolle spielt (wie in 2.3): der Name Macer (,mager‘) ist ein sprechender Name, der zum Stilideal des λεπτόν = ,tenuis‘ passt. Dennoch ist es wahrscheinlicher, dass es sich um eine reale Person handelt und ein Wortspiel mit diesem realen Namen intendiert ist: es ist durchaus wahrscheinlich, dass es sich um den elegischen Dichter Aemilius Macer handelt, der Beziehungen zum Messallakreis unterhielt. A (1-10) kehrt das Motiv der Verweigerung des Kriegsdienstes durch den elegischen Dichter humoristisch um: Macer tut eben das, was Tibull in 1.1 und 1.10 in programmatischer Rede für sich zurückgewiesen hatte, doch jetzt in seiner Verweiflung ist ihm der echte Kriegsdienst lieber als die ,militia amoris‘, wenn der Liebesgott nur echte Soldaten in Ruhe lässt; und Tibull beginnt

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schon sich zu der gefundenen Lösung seiner Probleme zu beglückwünschen. Doch kaum hat er diese Worte gesprochen, muss Tibull einsehen: er kommt nicht von Nemesis los, selbst als miserabler ,amator exclusus‘, der bereits an Selbstmord gedacht hatte, kommt er doch stets zur Geliebten zurück (B: 11-20): Hoffnung hielt ihn vor der letzten Konsequenz zurück (C: 21-26). Unfähig, sich von seiner Liebe zu befreien, ruft Tibull nun gar die Knochen von Nemesis’ jüngerer Schwester an, die vor der Zeit gestorben war (D: 29-40). Wie in 1.6 mit Delias Mutter führt Tibull hier ein ,romantisches‘ Motiv ein, das höchst liebevoll und pittoresk ausgemalt wird. Der Dichter schmückt in rührender Pietät das Grab der kleinen Schwester mit Blumen, weint um ihren verfrühten Tod, sitzt als Bittsteller auf ihrem Grab und bittet um Nemesis’ Gnade. Sollte sie ihn nicht erhören, könnten böse Träume über die Umstände des Todes der Schwester ihren Schlaf stören: das Mädchen fiel aus einem Fenster und kam noch blutbeschmiert in der Unterwelt an. Tibull beschwört die Motivik von echten Grabepigrammen für Kinder. Die Atmosphäre ist suggestiv und zweideutig zugleich: was war das für ein Sturz aus dem Fenster? Könnte es ein Selbstmorversuch gewesen sein? Aus unglücklicher Liebe? In jedem Fall: die zärtlichen Gefühle des Dichters für das verstorbene Mädchen entsprechen dem Feingefühl

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des immer noch Verliebten gegenüber Nemesis: was immer sie getan hat, er möchte sie lieber nicht an eine schmerzliche Vergangenheit erinnern. Und Überhaupt Nemesis ist gar nicht schuld an ihrem üblen Verhalten; es ist die Kupplerin Phryne (E: 41-44). Dieses Motiv kennen wir (h), und so folgt auch der obligatorische Fluch über die böse Frau (F: 45-54). Doch im Gegenatz zu dem, was wir üblicherweise finden, hält sich Tibull hier mehr bei den Leiden auf, die er der Kupplerin zu verdanken hat, als bei den Strafen, die er ihr wünscht. Das Gedicht ist gewiss ein höchst originelles und ansprechendes Werk. Es ist nur allzu bedauerlich, dass es hier unvermittelt abbricht. Tibulls Kunst und dichterische Entwicklung Tibull war der Ausnahmedichter seiner Zeit. Aber trotz seines schmalen Werkes und obwohl er kein ,Systemkünstler‘ des Maecenaskreises war lässt sich bei Tibull eine künstlerische Entwicklung – wenn auch weniger an der Oberfläche – analog zu derjenigen der anderen augusteischen Dichter ausmachen. Die Tendez zur Monumentalität der augusteischen war nicht nur etwas politisch Erzwungenes, sie war der genuine Ausdruck eines künstlerischen Bedürfnisses. Die Dichtung, in der Dichter in Dichtung über ihr Verhältnis zur Kunst und speziell dieser

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Tendenz reflektierten war die Recusatio. Recusatiodichtung gibt es bei Tibull, der nicht dem Maecenaskreis angehörte nicht. Bei Tibull sind ,höherer‘, nicht private, römische Werte von Anfang an in seiner Dichtung wie selbstverständlich present, sie erreichen ihren Höhepunkt in 2.5; und wenn sie auch bereits in Buch I starker present sind als bei Properz vor seinem vierten Buch, so ist doch der Fokus insbesondere auf dem religiösen Aspekt der Dichtung Tibulls im zweiten Buch sehr viel starker ausgeprägt. Doch überhaupt lag ja der Akzent bei Tibull immer in gleicher Weise wie auf Liebe auf dem Preis ländlicher Idylle als der idealen, der unverzichtbaren Umgebung für sein ganz von Reinheit und idealer Zweisamkeit geprägtes Lebensideal mit Delia. Die Ablehnung von Materialismus und moralischer Dekadenz ist damit untrennbar verknüpft, genauso wie die fromme Scheu vor der Präsenz der Götter in der Natur. Tibull zeichnet ein ländliches Idyll, eine ideale Landschaft wie Vergil in den ,Eklogen‘. Auch bei Vergil war Liebe Teil dieser seiner idealen, naturgeprägten Gegenwelt voll Unschuld und Reinheit, bei Tibull ist die Natur der Rahmen und der Spiegel der Reinheit und Idealität der ,grande passion‘, des überlebensgroßen Gefühls. Das ist bei Tibull so anders als bei Properz.

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Wie bereits angedeutet für Tibulls Rückzug in die Natur aus dem Lärm und Materialismus des Roms seiner Zeit ist der religiöse Ton, den sein Naturgefühl in sich trägt, essentiell. Tibull ist ganz Goethes Liebender, ,der scheu alle Dämonen verehrt‘. Das Leben des Dichters und seiner Geliebten steht unter dem Schutz dieser Götter und ist getragen von der Hoffnung, sich in einem seligen Leben im Paradies der Liebenden nach dem Tode fortzusetzen.

Und

wenn

der

nonchalante,

selbstironische

Liebhaber, der Tibull ist, auch weit entfernt davon ist mit Klopstock auszurufen: Ich bin hinausgegangen, um anzubeten; und ich weine? so findet sich in der ,Sentimentalisierung‘ (im Sinne Schillers) der göttlichen Gegenwart in der Natur – etwas für den antiken, zumal den griechischen Menschen so Selbstverständliches, dass es gar nicht ausgesprochen warden muss – doch der Keim des neuzeitlichen Naturgefühl der Aufklärung und der Romantik der Anbetung der Nähe Gottes in der Natur (man denke an Gellerts ,Die Größe Gottes‘ in der Natur oder Pyrkers ,Allmacht‘, um zwei zu bekannten Liedern vertonte Texte zu nennen). Gabriele

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D’Annunzio, ein Dichter, der später wie kein anderer dieser ,romantischen‘ Einheit von Mensch und Natur seine ganz eigene und besonders intensive Note gegeben hat, nennt nicht zufällig den – zu dieser Zeit wenig prominenten – Tibull in einem Gedicht seines frühen Gedichtzylus ,Canto Novo‘: Ora a me il ritmo sereno d’Albio Tibullo, ove ride l’immensa pace de la campagna in fiore, ove ridon gli azzurri del cielo latino ed i soli flavi e le nuvole come in un terso rio! Chiedon l’esametro lungo salente i fantasmi che su dal core baldi mi fioriscono, e l’onda armonica al breve pentametro spira in un pispiglio languido di dattili. In dieser Sentimentalisierung der Natur, wo die Hingabe an die göttlichen Kräfte der Natur untrennbar mit derjenigen an die Macht der Liebe verbunden istm findet sich auch der Keim eines der sogenannten ,Empfindsamen Zeit‘ so lieben Motivs, dass die Natur erst durch die Gegenwart der Geliebten zu ihrer vollen Schönheit findet, wie etwa In Höltys schönen von Brahms so wunderbar vertonten Gedicht: Holder klingt der Vogelsang,

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wo die Engelreine, die mein Jünglingsherz bezwang, wandelt durch die Haine. Bunter blühen Tal und Au, grüner wird der Wasen, wo die Finger meiner Frau Maienblumen lasen. Wieland35 mit seiner großen Sensibilität für römische Dichtung hat das in seiner Bemerkung zur Tibullepistel Horazens sehr wohl bemerkt. Tibulls 1.5.21ff. kommt diesem Gefühl besonders nahe: Rura colam, frugumque aderit mea Delia custos, Area dum messes sole calente teret, Aut mihi servabit plenis in lintribus uvas Pressaque veloci candida musta pede; Consuescet numerare pecus, consuescet amanti Garrulus in dominae ludere verna sinu. Illa deo sciet agricolae pro vitibus uvam, Pro segete spicas, pro grege ferre dapem. 35

Wieland 1986: 106f.

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Illa regat cunctos, illi sint omnia curae, At iuvet in tota me nihil esse domo. Land würd ich pflegen, bei mir würde Delia die Früchte behüten, wo unterm Sonnenbrand Korn in der Tenne sich häuft, oder sie wahrte für mich in den vollen Trögen die Trauben: stieße da flink sie der Fuß, schäumete reichlich der Most. Würd sich die Schafe zu zählen gewöhnen, zu scherzen gewöhnt sich schwatzend der Dienstbursch; ihn hält liebend die Hausfrau im Schoß. Sie weiß dem ländlichen Gott für die Lese die Traube zu bringen, Ähren für glückliche Saat und für die Herde ein Mahl. Sie soll allen befehlen, nur sie mag um alles sich sorgen; mir aber sei es genug, zähle ich gar nichts im Haus. Das Mativ dürfte in der neuzeitlichen Literatur zumeist indirekt auf Tibull zurückgehen, obwohl es älter ist als die Rezeption Tibulls in der Renaissance. Es ist geläufig bereits in früherer intalienischer Liebedichtung, die nach dem Modell des ,Hoheliedes‘ gestaltet ist (,,Wer ist sie, die da kommt?“, e.g. 3.6; 6.10; 8.5). Gottesdienst auf dem Lande, angedeutet in 1.1. und 1.10, dominiert 2.1. Auch das Geburtstagsgedicht 2.2 (Wiederaufnahme des

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Gedichttyps aus 1.7) hat die Form eines Gebets zum persönlichen Schutzgeist, dem Genius; 2.3 enthält dann einen Mythos über Apollon, den Gott, dem das Gebet in 2.5 gilt. In diesem Gedicht zollt Tibull dem antiquarischen Thema zur Entstehunggeschichte Roms, dem nationalen Mythos seinen Tribut. Dadurch, dass bei ihm stets einstarker Akzent auf dem unverdorbenen Landleben der alten Zeit lag, kann er hier seine persönliche Liebesdichtung in einem solchen Ambiente nahntloser mit der antiquarischen Thematik des ländlichen Roms verbinden als jeder andere Augusteer. Selbst dieses große, nationale Gedicht ist von Anfang an von einem spielerisch-ironischen Ton durchzogen: von der Beschreibung Apollons zu Beginn bis zum Ende über das Liebesfest auf dem Lande, und Apollon war ja schon im Mythos von 2.3 Gegenstand heiterfrechen Scherzes. Ironie und Scherz stehen nicht im Gegensatz zu echter Religiosität für die Antike; gewiss ist dies weniger für die Römer der Fall, in eminentesten Maße freilich ist es dies bei den Griechen. Gerade in seinem zweiten Buch und gerade in seiner Behandlung des Göttichen dort eignet sich Tibull etwas an von jener griechischen ollympischen Heiterkeit, der ,Cháris‘ der klassischen griechischen Dichtung. Diese ungreifbare ,Cháris‘ (ein schlichtweg unübersetzbares Wort: im Deutschen kommt ihm vielleicht ,,Gnade“ am nächsten, wenn man an den Ausdruck ,,begnadet“, von einem

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Künstler gesagt, denkt). Tibulls zweites Buch wurde nach einer beträchtlichen Pause nach dem ersten veröffnetlicht. Es ist – wie Properzens viertes Buch – ein Spätwerk, nicht in dem Sinne, dass es das letzte des Dichters oder kurz vor seinem Tode entstanden wäre. Gewiss ist es kein Werk eines alten Künstlers, ebensowenig wie das vierte Buch des Properz. Tibulls zweites Buch ist ein Spätwerk in dem Sinne, dass es beherrscht ist von einer Reflexion auf das frühere Werk, das jetzt in einer Art ironischen Umkehrung erscheint (bei Properz ist das besonders offenkundig in 3.24/25 und 4.7 und 4.11). Sind Spätwerke auch nicht unbedingt Alterswerke, so sind sie doch – wie das Alter – beherrscht von einem Verzicht. Doch das ist ein Verzicht, der, wie Heidegger es in seinen berühmten Schussworten des ,Feldwegs‘ sagt, nicht nimmt, sondern gibt. Der ,kritische‘ Blick zurück auf das eigene Werk aus der Distanz gibt die Freiheit zum Verzicht, die aus einer neu gewonnenen Freiheit im Umgang mit sich selbst entspringt. Der Blick zurück aus dem Abstand gibt ein Zuhausesein in der eigenen Herkunft. Properz hat in seinem vierten Buch zu einer gelasseneren Haltung zur elegische Liebe als Chiffre für menschliches Streben nach etwas Höherem als das Mittelmaß der menschlichen Alltäglichkeit, einem Ideal, das per definitionem unerfüllt bleiben muss. In Tibull ist der ironische Abstand zu sich selbst bereits in Buch I unvergleich viel

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größer. Schon in Buch I verwandelt Tibull den leidenschaftlichen Ernst (jedenfalls an der Oberfläche) der Elegie des Gallus und Properz in ein idyllisches Gefühl, für das er einen heiter-spielerischen bis offen ironischen Ton findet. Zugleich ist Tibulls Elegie von Anfang an in Inhalt und Form komplexer als die Welt der Monobiblos des Properz. Tibull verbindet einen heterosexuellen Zyklus zu Delia – analog zu Properzens Cynthiazyklus – mit einem homoerotischen zu einem Knaben Marathus. Beide Zyklen in der Gedichtfolge ineinander verwoben; der dramatische Rahmen ist eher ins Innere des Dichters verlegt, als einen äußeren Fortschritt eines Geschehens zu markieren. Die Struktur der langen Tibullischen Einheiten ist hochkomplex im Vergleich zu den fast epigrammartigen Einheiten der Monobiblos. Im zweiten Buch ist das humoristisch-ironische Element noch stärker als im ersten; schon das neue Pseudonym der Geliebten ,Nemesis‘ ,,Rache, Strafe“ ist ein Witz. Daneben fällt, wie bereits gesagt, ein starker Akzent auf die religiöse Thematik. Der ,romantisch‘- träumerische Zug der Liebe von Buch I fehlt jetzt fast ganz. Liebeserfüllung gibt es jetzt nicht einmal mehr im Traum, sondern allenfalls – wie bei dem Properz des vierten Buches – in der ehelichen Liebe eines Freundes (2.2) oder en passent im Bild eines alten Witwers am Grab der toten Geliebten in 2.4 (das hat etwas mit der Gefühlswelt von Properz 4.7 gemeinsam). Die ,romantischen‘ Motive des ersten Buches erscheinen nun in ironischer Umkehrung.

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Bei 2.3 könnte es am Anfang so scheinen, als ob es sich um ein Gedicht auf Liebe in ländlicher Idylle handeln würde, doch gegen Ende wird klar: ein Rivale hat Nemesis aufs Land entführt. Der Dichter wünscht sich, es möge verboten sein Mädchen dorthin zu entführen, sie sollen lieber wie gute Mädchen in der Stadt bleiben! In 2.6 ist Kriegsdienst nicht mehr die ultimative Bedrohung der ersehnten Zweisamkeit elegischer Liebe, nein: der ,Kriegsdients‘ unter einer Befehlshaberin wie Nemesis ist härter als echter Militärdienst! Der Humor der Nemesisgedichte kann beißend und sarkastisch sein, grob oder frivol ist er nie. Und daneben finden sich auch überraschende Bekenntnisse echten Gefühls, und sie wirken umso echter, wenn sie in diesem Kontext ab und an hervorbrechen, als wenn sie sentimental ausgemalt würden. Eben in dem höchst sarkastisch und ironischen Gedicht 2.6 finden wir die rührende Szene am Grab der früh verstorbenen kleinen Schwester der Geliebten, das rührende Zartgefühl des Dichters, seiner – grausamen – Geliebten den Schmerz über den Tod der Schwester nicht unnötig ins Herz zu brennen. Die von antiken Grabepigrammen auf Kinder ausgehende Atmosphäre hat für uns bereits manches der vom 17. bis ins 19. Jh. geläufigen Gedichte junger Mädchen, die aus unerfüllter oder schändlicher Liebe Selbstmord begingen. Die Attitüde des Dichters in den Nemesisgedichten ist die eines Mannes, der – ohne die Sehnsucht nach dem großen Gefühl der

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elegischen Liebe aufgegeben zu haben – gelernt hat, mit ihr in Gelassenheit und innerer Ruhe und einer gesunden Dosis Realismus umzugehen (Selbstironie fehlte ihm ja nie). Und so ist es wohl doch eher so, dass Tibulls Freund Horaz ihm tatsächlich etwas von seinen beiden ,,großen Schätzen“, wie Wieland sagte, mitgeteilt hat, die Horaz in seinem so ereignisreichen Leben gewonnen hatte: ,,Kenntnis der Welt und Kenntnis seiner selbst.“ Und mir scheint fast, Tibull hat sie nur allzugut mit seinem ,,Traum“ und dem Glück der ,,süßen Verzauberung seiner Seele“ verbunden.36 Tibulls Dichtung besitz im höchsten Grade die vollkommene, organische Einheit von Form und Inhalt, die die augusteische Dichtung auszeichnet; sie begreift in sich all die Spannungen und Brüche einer hochdramatischen Epoche, eines von ungeheuren Umbrüchen, innerlich und äußerlich, gekennzeichneten Lebens, einer kaum zusammenzuhaltenden Vielfalt, die die augusteischen Dichter doch – ohne ihre inhärenten Spannungen und Kontraste zu leugnen oder einzuebnen – in eine bruchlose, bewegt-bewegliche

36

Wieland 1986: 107: ,,Tibulls Leben war ein Traum, und sein Glück eine

süße Berauschung der Seele. Horaz hat wachend gelebt, und durch seine Erfahrung zwei große Schätze gewonnen, Weltkenntnis und Kenntnis seiner selbst.“

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Einheit eingeschmolzen haben. Bei keinem augusteischen Dichter ist diese Einheit unscheinbarer, zärter und zerbrechlicher als bei Tibull. In ihrer Unaufdringlichkeit hat sie manchen dazu verleitet an ihrem inneren Reichtum an den reichsten, differenziertesten Farben, Schattierungen, Stimmungen und Gefühlen vorbeizugehen; viele Leser haben sie für Jahrhunderte übersehen – nicht so die Antike, für die Tibull der ,princeps elegiae‘ (Quintilian) war. Wenn wir freilich die Unscheinbarkeit von Tibulls Dichtung, mit der sie sich unserem direkten Zugriff entzieht, als Einladung verstehen, unser inneres Ohr zu öffnen und uns dem aussetzen, was wir – vielleicht – in ihr zu hören vermögen, so finden wir in ihr den unerschöpfichen Reichtum einer inneren Welt von so ungeheuer differenzierten Schattierungen innerer Spiegelungen, wir finden in dieser so ungeheuer musikalischen Dichtung Gefühle und Gedanken, die – um ein wunderbares Wort Mendelssohns über die Musik zu gebrauchen – ,,nicht zu vage, sondern eher zu präzise“ sind, sie in Worte zu fassen; und so wird die Dichtung Tibulls, jedes Mal, wenn wir sie lesen, in uns eine neue Saite zum Klingen bringen, eine Saite, von der wir zuvor noch nicht einmal wussten, das es sie in uns gab. Ich habe einmal über die augusteische Naturbeschreibung, besonders die Vergils gesagt, man könne auf sie das Wort Goethes über die Malerei Claude Lorrains anwenden, sie besitze nicht den

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geringsten Gehalt an Wirklichkeit, dafür jedoch den höchsten Gehalt an Wahrheit. Einer der anziehendsten Züge Tibulls ist seine ideale Landschaft, vergleichbar der von Vergils ,Eklogen‘ oder der seines Freundes Horaz. Jedesmal sind es ideale Landschaften, doch die ideale Landschaft Vergils und Horazens ist eine ideale Landschaft des Geistes – am deutlichsten bei Horaz, der seine Naturbilder konstruiert. Bei Tibull ist alles ins Innere gewendet, die äußere Welt erscheint in ihrem Abdruck im Spiegel der Seele des Dichters, und so ist es auch mit Tibulls idealer Landschaft. Und wenn die Landschaft Vergils derjenigen Lorrains in der Malerei gleicht, so könnte man diejenige Tibulls vielleicht von ihrem Zugang zum Äußeren her mit Turner vergleichen, nur dass die Bilder Turners mit ihrer Dramatik zu weit von der heiteren Gelassenheit der Trämereien Tibulls entfernt sind. Näher kommt ihm vielleicht die Welt John Atkinson Grimshaws, wenn letztere sich nicht fast ganz im Zwielicht der Nacht und des Abends erginge, während Tibull eher im Zwielicht des Sommertages lebt. Aber so habe ich doch ein eher ,lichtes‘ Bild Grimshaws als Cover gewählt, das, wenn auch nicht vom Sujet, so doch vom künstlerischen Zugang etwas von Tibull sehen lässt. Viel treffender aber lässt sich eine Parallele, wie schon angedeutet, zur Musik ziehen. Wenn in der Musik etwas eine geistige Landschaft im Sinne Goethes ist, dann ist es die Musik Debussys: sie

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vermittelt sozusagen das Wesen der Natur, wie es ist, nicht mehr wie die ,romantische‘ Musik eine Stimmung, ein Gefühlt, dem man allenfalls ein Naturbild aufpropfen konnte, um das zu beschreiben, was es dem Hörer vermitteln sollte (ein solches Gefühl ist auch dasjenige der Anbetung Gottes in der Natur, so eminent wichtig für Beethoven, aber auch Schubert oder Bruckners vierte Symphobie). In Debussys Musik spricht die Stimme des Windes, des Wassers, der Bäume selbst, und was wir dabei empfinden, ist in dieser Musik so wenig ,vorgebeben‘ wie im

Rauschen

eines

Bachs.

Das

Gefühl,

dass

uns

so

entgegenkommt, das nicht die Metapher für ein anderes ist, spricht zu uns in der Musik von Frederick Delius: hier spricht – wie bei Tibull – die Natur in ihrem Abdruck in der Seele. Und Delius’ Musik verbindet mit Tibull zugleich auch die – auf dem ersten Blick – völlig ins Unbestimmte zerfließende Form. Wenn es einen Künstler gibt, der mir eine mit der Dichtung Tibulls vergleichbare Erfahrung gibt, dann ist es Delius: wie Tibull ein Künstler, an dem die meisten vorbeigehen und der doch zu den größten seiner Zeit gehört.

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DER TEXT

TIBULLI CARMINUM LIBER PRIMUS

TIBULL: ELEGIEN. ERSTES BUCH

I Divitias alius fuluo sibi congerat1 auro et teneat culti iugera magna2 soli, quem labor adsiduus uicino terreat hoste, Martia qui somnos classica pulsa fugent: me mea paupertas uita3 traducat inerti, dum meus adsiduo4 luceat igne focus. | iam mihi, iam possim5 contentus uiuere paruo

5 6 256

nec semper longae deditus esse uiae, sed Canis aestiuos ortus7 uitare sub umbra

1

conserat Diomedes p. 484 (Keil) magna A : multa Diomedes Par. Fr. 3 uita Par. Fr. : uite A 4 exiguo Par. 5 iam modo non possum A : iam modo iam possim Fr. : corr. Schneidewin 6 25-32 post 6 transp. Richter, cf. CQ 47 (1997) 502 7 ictus Bentley 2

102

A: Einleitung I Das Ideal des Liebenden Reichtum häufe ein andrer, den rötlichen Schimmer des Goldes,1 nenne an Fluren bebaut Morgen sein eigen ohn Maß, einer – den mühe beständig die Furcht vor dem Feind in der Nähe: Kriegstrompetengetön schalle, ihm raub es den Schlaf! Mir soll ein Leben, das Mühen nicht kennt, meine Armut entbreiten, leuchte ohn Unterlass nur Feuer mir auf meinem Herd. | Jetzt, ja, jetzt mag ich leben und bin mir mit Kleinem zufrieden: keinem Weg mehr geweiht, der in die Ferne mich führt, kann ich Sommers den Aufgang des Hundssterns im Schatten jetzt meiden,

1

Das Motiv der ,Lebenswahl‘, ist für die Programmgedichte der Elegiker typisch. Tibull freilich spricht zunächst nicht davon, dass er sich für ein Leben ganz für die Liebe entschieden hat; er spricht für seine Entscheidunng für ein bescheidenes (das ist mit ,paupertas‘ in V. 5 mit ,,Armut“ übersetzt bedeutet eigentlich ein Leben in bescheidener ,Eleganz‘), von Ehrfurcht vor den göttlichen Kräften der Natur bestimmtes Leben auf dem Lande. Erst in mit Vv. 41 ff. mündet dieses Bekenntnis in ein Bekenntnis zu einer Liebe, die diesem Leben in Reinheit und Frieden kongenial ist. Tibull reduziert in Vv. 1 ff. die im Kontext der ,Lebenswahl typische Priamel ,andere ... andere ... andere etc. vs. ich ...‘ auf die binäre, antithetische Struktur ,ein anderer ... ich‘.

103

5 6 25

arboris ad riuos praetereuntis aquae, nec tamen interdum pudeat tenuisse bidentem1 aut stimulo tardos increpuisse boues;

30

non agnamue sinu pigeat fetumue capellae desertum oblita matre referre domum. ipse seram teneras maturo tempore uites

32 7

rusticus et facili grandia poma manu. || nec Spes destituat sed frugum semper aceruos praebeat et pleno pinguia musta lacu.

10

nam ueneror, seu stipes habet desertus in agris seu uetus in triuio florida serta lapis: et quodcumque mihi pomum nouus educat annus, libatum agricolae ponitur ante deo2. flaua Ceres, tibi sit nostro de rure corona

15

spicea, quae templi pendeat ante fores; pomosisque ruber custos ponatur in hortis terreat ut saeua falce Priapus aues. | uos quoque, felicis3 quondam, nunc pauperis agri custodes, fertis munera uestra, Lares. tunc uitula innumeros lustrabat caesa iuuencos: 1

bidentem Par. : ludentes AV : bidentes recc. deo recc. Muret : deum A 3 felices A : corr. recc. 2

104

20

den mir ein Baum an den Welln beut, die vorüber mir ziehn. Freilich, ein Schäfchen indes zu umsorgen, will nicht ich mich schämen, rufe, ist träge ein Rind, gern mit dem Stecken ihm zu;

30

will ein verlassnes Ziegenjunges, ein Lamm nicht im Schoße heimzutragen mich scheun, so es die Mutter vergaß.

32

Selbst will ich dann, so reif ist die Zeit, junge Weinstöcke pflanzen, 7 prächtige Äpfel mir zieh, Bauern geht’s leicht von der Hand. || O dass die Göttin der Hoffnung nicht trüge und immer mir Früchte schenke zuhauf, meinen Trog fülle der reichliche Most.

10

Denn ich nahe in Scheu jedem einsamen Reis auf dem Felde, jedem Stein, noch so alt, trägt er ein Blumengebind; und auch das Obst, was immer ein neues Jahr lässt gedeihen, steht vor dem ländlichen Gott, ihm als ein Opfer geweiht. Blonde Ceres! von Ähren aus unserer Flur eine Krone

15

trage du, schau doch! sie hängt vor deines Heiligtums Tür. Rot soll ein Wächter stehn in den obstbehangenen Gärten: mit seiner Sichel gar wild schrecke die Vögel Priap. | Ihr auch, eines gesegneten einst, eines ärmlichen Ackers Wächter, o Laren, nur heut, bringt eure Gaben auch ihr! Damals entsühnte geschlachtet ein Kälbchen unzählige Stiere,

105

20

nunc agna exigui est hostia parua soli, agna cadet uobis, quam circum rustica pubes clamet1 ‘io messes et bona uina date.’

24

at uos exiguo pecori, furesque lupique,

33

parcite: de magno2 praeda petenda grege. hinc3 ego pastoremque meum lustrare quot annis

35

et placidam soleo spargere lacte Palem. adsitis, diui, neu uos e paupere mensa4 dona nec e puris spernite fictilibus. fictilia antiquus primum sibi fecit agrestis pocula, de facili composuitque luto. ||

40

non ego diuitias patrum fructusque5 requiro, quos tulit antiquo condita messis auo: parua seges satis est; satis est, requiescere lecto6 si licet7 et solito membra leuare toro. quam iuuat immites uentos audire cubantem

1

45

clamat A : corr. recc. magno Fr. Par. 1 : magno est Par. 2 A 3 hic A : corr. Postgate 4 uos quoque adeste dei nec uos e p- Par. : ads- diui neu uos et p- A 5 fructusue Par. 6 s- est r- Par. | tecto recc. 7 scilicet Par. A : corr. recc. 2

106

jetzt ist ein schmächtiges Lamm Opfer für spärliches Land. Fallen wird euch ein Lamm, und die Jungschar ringsum des Landes, rufen soll sie: „Ach! gebt reichliche Ernte und Wein!“ Ihr aber, Diebe und Wölfe, o schonet mein Vieh, es ist wenig,

24 33

sucht eure Beute, wo groß euch eine Herde sich zeigt! Meine, die muss alle Jahr meinen Hirten ja wieder entsühnen:

35

oft besprengt ihre Milch Pales, dass gnädig sie sei. O seid nahe, ihr Himmlischen, sollt die Geschenke von armem Tisch nicht verschmähn, aus Gerät, das nur von Ton: es ist rein. Tönerne Becher, die schuf sich zuerst der Landmann vor Zeiten, und er gestaltete sie so aus geschmeidigem Schlamm. ||

40

Nicht begehr ich den Reichtum der Väter, nicht will ich die Früchte, welche dem Ahnen von einst früher die Ernte wohl barg. Wenige Saat ist genug, genug ist’s, zu ruhn auf dem Lager: lös ich die Glieder, so sei trauliche Statt mir gegönnt. Ach! wie vernimmst du die rohen Winde so froh auf dem Bette,

107

45

et dominam tenero continuisse1 sinu aut, gelidas hibernus aquas cum fuderit Auster securum somnos imbre2 iuuante sequi! hoc mihi contingat: sit diues iure3, furorem qui maris et tristes ferre potest pluuias4. |

50

o quantum est auri pereat potiusque5 smaragdi, quam fleat ob nostras ulla puella uias. te bellare decet terra, Messalla, marique, ut domus hostiles6 praeferat exuuias: me retinent uinctum formosae uincla puellae,

55

et sedeo duras ianitor ante fores. || non ego laudari curo, mea Delia: tecum dum modo sim, quaeso segnis inersque uocer. te7 spectem, suprema mihi cum uenerit hora, te8 teneam moriens deficiente manu. flebis et arsuro positum me, Delia, lecto, tristibus et lacrimis oscula mixta dabis. 1

tum tenuisse Baehrens imbre Par. : igne A 3 sit d- rure Par. : si d- iure A 4 et celi nubilia ferre potest Par. | Hyadas Heinsius 5 pereat pereatque Heinsius 6 exiles A : corr. recc. 7 et A : corr. recc. 8 et A : corr. recc. 2

108

60

hältst deine Herrin du nur fest dann in zärtlichem Schoß, oder wiegen dich Güsse von eisigen Wassern aus Winters Stürmen in sorglosen Traum, lauschst du zum Regen hinaus. Das sei mein Glück: soll einer sich Reichtum verdienen, vermag er garstige Schauer, der See Toben zu tragen dafür. |

50

O! alles Gold soll eher vergehn und alle Smaragde, als dass ein Mädchenherz weint über den Weg, der uns trennt. Dir, Messalla, stehn Kriege zu Lande wohl an und zu Wasser, Feindesbeute, die sei Glanz deinem Hause und Zier, mich hält das Band eines lieblichen Mädchens in Fesseln gebunden,

55

sitz einem Türhüter gleich vor einem herzlosen Tor. || Nicht gepriesen zu werden – nicht sorge ich, Delia, des mich: bin ich mit dir nur, man mag untätig, träge mich zeihn. Blicken will ich auf dich, kommt die letzte Stunde mir einstens, dich will ich halten im Tod, wenn meine Hand mir versagt. Weinen wirst du um mich, lieg ich da als ein Opfer den Flammen; Tränen der Trauernden eint dann sich der Kuss, den du gibst.

109

60

flebis: non tua sunt duro1 praecordia ferro uincta, nec2 in tenero stat tibi corde silex. illo non iuuenis poterit de funere quisquam

65

lumina, non uirgo sicca referre domum. tu manes ne laede meos, sed parce solutis crinibus et teneris, Delia, parce genis, | interea, dum fata sinunt, iungamus amores: iam ueniet tenebris Mors adoperta caput;

70

iam subrepet iners aetas, nec3 amare decebit, dicere nec cano blanditias capite. nunc leuis est tractanda uenus, dum frangere postes4 non pudet et rixas conseruisse5 iuuat. hic ego dux milesque bonus: uos, signa tubaeque6, ite procul, cupidis uulnera ferte uiris, ferte et opes: ego composito securus aceruo dites7 despiciam despiciamque famem. |||

1

dura A : corr. recc. uincta neque Fr. : iuncta nec A 3 nec Par. Fr. : neque A 4 posses A : corr. recc. 5 inseruisse A : corr. recc. 6 iam subreppet iners etas uos signa tubeq; Par. 7 despiciam dites Par. 2

110

75

Weinen wirst du, es ist ja der Raum deines Herzens von hartem Stahl nicht umschnürt, kein Gestein ragt in der zärtlichen Brust. Dieses Begräbnis, kein Jüngling verlässt es mit trockenem Blicke,

65

und keine Jungfrau bringt Augen ohn Tränen nach Haus. An meinem Schatten vergehe dich nicht, doch, Delia, schonen sollst du das Haar, das du löst, schonen die Wangen so zart! | Gönnt’s das Geschick, soll jetzt uns Liebe bis dann noch vereinen: nah ist heut schon der Tod, Dunkel umzieht ihm das Haupt.

70

Träges Alter beschleicht uns schon jetzt: da endet die Liebe, ziemt doch Schmeicheln dir nicht, wurde dein Haupt einmal grau. Jetzt, wo sie leicht, gib der Liebe dich hin, wo Pfosten zu brechen, nicht du dich schämst, du dich freust, gibt’s einen richtigen Streit. Da bin ein Feldherr, ein guter Soldat ich: ihr Feldzeichen, Hörner, weg mit euch! ferne! ihr bringt Wunden dem Mann, der begehrt! Bringt nur Güter: ich hab mein Häuflein gerichtet, verachte sorglos Reichtum und Gut, achte auch Hunger gering. |||

111

75

II Adde merum uinoque nouos compesce dolores, occupet ut fessi lumina uicta sopor, neu quisquam multo percussum tempora baccho excitet, infelix dum requiescit amor. nam posita est nostrae custodia saeua puellae,

5

clauditur et dura ianua firma sera. | ianua difficilis domini1 te uerberet imber, te louis imperio fulmina missa petant, ianua, iam pateas uni mihi uicta querellis, neu furtim uerso cardine aperta sones.

10

et mala si qua tibi dixit dementia nostra, ignoscas: capiti sint precor illa meo. te meminisse decet quae plurima uoce peregi supplice cum posti florida serta darem. || tu quoque ne timide custodes, Delia, falle. audendum est: fortes adiuuat ipsa Venus,

1

dominae recc.

112

15

B: Der Deliazyklus 1A II Bedrohte Liebe – fast ein Paraklausithyron Schenke mir nach und betäube mit Wein meinen Schmerz, der so frisch noch! Bringe dem Müden er Schlaf, der seine Lider bezwingt! Keiner störe mich jetzt, wo die Schläfen der Schlag von des Bacchus Gabe getroffen, es ruht glücklose Liebe derweil. Denn unser Mädchen, das steht unter Wächterschaft ohne Erbarmen, 5 fest ist verschlossen die Tür, hart ist der Riegel davor. | Türe, so schwierig bist du, dich peitsche der Regen des Herren,1 dich treffe Jupiters Blitz, den aus der Höhe er schickt! Tür, tu dich auf jetzt einzig für mich, lass den Sieg meinen Klagen, öffne dich leise, es dreht heimlich die Angel sich ja!

10

Und was ich alles – ach! wahnsinnig war ich – an Übeln dir fluchte, o verzeih mir, es sei nur meinem Haupte geweiht. Recht wär’s, dächtest du dran, wieviel ich mit flehender Stimme dargebracht: Blütengebind hat deine Pfosten geziert. || Musst ohne Scheu auch die Wachen, o Delia, mutig betrügen! Wagen muss man, es hilft Venus den Tapferen selbst,

1

Juppiter, der ,Herr‘ des Wetters.

113

15

illa fauet seu quis iuuenis noua limina temptat seu reserat fixo dente puella fores: illa docet molli furtim derepere1 lecto, illa pedem nullo ponere posse sono,

20

ilia uiro coram nutus conferre loquaces blandaque composais abdere uerba notis. | [nec docet2 hoc omnes, sed quos nec inertia tardat nec uetat obscura surgere nocte timor,]3 en ego cum tenebris tota uagor anxius urbe,

25

< ................................................................> nec sinit occurrat quisquam qui corpora ferro

25a4

uulneret aut rapta praemia ueste petat. quisquis amore tenetur, eat tutusque sacerque qualibet; insidias non timuisse decet. non mihi pigra nocent hibernae frigora noctis, non mihi cum multa decidit imber aqua. non labor hic laedit, reseret modo Delia postes et uocet ad digiti me taciturna sonum. | parcite luminibus, seu uir seu femina fiat5 1

m- f- derepere Fr. : f- m- decedere A decet A : corr. recc. 3 del. Scaliger 4 25 et 25a coniuncti sine intervallo in A 5 fias recc. 2

114

30

schenkt ihre Gunst, versucht’s an der Schwell einer Neuen ein Jüngling, öffnet ein Mädchen das Tor, welches ein Balken verschloss: lehrt, wie sie, ohn dass man’s merkt, sich vom weichen Lager herabstiehlt, lehrt, wie sie lautlos den Fuß niederzusetzen vermag,

20

lehrt, wie in Winken zu andern man spricht vor den Augen des Mannes, wie man in Zeichen geschickt schmeichelnde Worte verhehlt. | Ja, wie durch alle Quartiere der Stadt ich ängstlich im Finstern

22 25

Streiche, lässt mir keinen begegnen, der meinen Leib mit dem Stahle

25a

könnte verletzten, mein Kleid raubte, weil Beute er sucht. Wer sich der Liebe ergeben, der gehe nur sicher, ja heilig überall; Arglist und Mord fürchten, das steht ihm nicht an. Mir bleibt es gleich, macht die Kälte der Wintemacht andere träge, ruft sie mich ohne ein Wort hin, wo ihr Finger mir tönt. | Vorsicht nur mit den Blicken, mag Mann oder Frau in den Weg mir

115

30

obuia : celari uult sua furta Venus: neu1 strepitu terrete pedum neu quaerite nomen

35

neu prope fulgenti lumina ferte face, si quis et imprudens aspexerit, occulat ille perque deos omnes se meminisse neget: nam fuerit quicumque loquax, is sanguine natam, is Venerem e rapido2 sentiet esse mari. ||

40

nec tamen huic credet coniunx tuus, ut mihi uerax pollicita est magico saga ministerio, hanc ego de caelo ducentem sidera uidi, fluminis haec rapidi carmine uertit iter; haec cantu finditque solum manesque sepulcris elicit et tepido deuocat ossa rogo: iam tenet infernas magico stridore cateruas, iam iubet aspersas lacte referre pedem.

1 2

ne A : corr. recc. rabido recc.

116

45

treten: was Venus geheim tut, will sie zugedeckt sehn. Schreckt mit dem Lärm der Füße nur nicht, fragt nicht nach dem Namen,

35

bringt kein Licht in die Näh, Fackelglanz leuchte dort nicht. Hat einer ohne Bedacht es gesehn, so soll er’s verhehlen: bei allen Göttern! er soll schwören, er wisse es nicht. Redet einer zu viel, wer immer es sei, er wird spüren, dass aus reissender Flut Venus, von Blut ist geborn. ||

40

Freilich, dein Gatte, er wird ihm nicht glauben, so hat eine rechte Wahrsagerin mich beruhigt, Zauberkraft steht ihr zu Dienst.1 Hab sie gesehn, wie sie Sterne vom Himmel hemiederzwang, wie sie mit ihrem Liede den Lauf reißender Flüsse gewandt, wie sie mit Sängen die Erde gespalten, wie Geister aus Gräbern stiegen, wie Knochen sie rief, denen die Asche noch warm. Jetzt bannt mit Zaubergetön sie die Scharen dort unter der Erde, heißt sie dann wenden den Fuß, wie sie mit Milch sie besprengt.

1

Liebeszauber ist ein häufig belegter Topos der Elegie. Die hier im Folgenden aufgezählten Beweise der Macht einer Hexe sind weithin geläufig, und so ist es auch der Verweis auf Medea und Hekate, eine mit Luna, Diana und Proserpina indentifizierte Göttin, die insbesondere an Dreiwegen verehrt wurde und der eine Hundemeute als ihr Attribut folgt, die ihr Kommen andeutet.

117

45

cum libet, haec tristi depellit nubila caelo: cum libet, aestiuo conuocat orbe niues.

50

sola tenere malas Medeae dicitur herbas, sola feros Hecatae perdomuisse canes. | haec mihi composuit cantus, quis fallere posses: ter cane, ter dictis despue carminibus. ille nihil poterit de nobis credere cuiquam,

55

non sibi, si in molli uiderit ipse toro, tu tamen abstineas aliis, nam cetera cernet omnia, de me uno sentiet ille1 nihil. quin2 credam? nempe haec eadem se dixit amores cantibus aut herbis soluere posse meos,

60

et me lustrauit taedis, et nocte serena concidit ad magicos hostia pulla deos; non ego totus abesset amor, sed mutuus esset, orabam, nec te posse carere uelim. || ferreus ille fuit qui, te cum posset3 habere, maluerit praedas stultus et arma sequi.

1

ipse A : corr. recc. quid A : corr. Baehrens : quid? credam? interp. Luck post alios 3 possit A : corr. recc, 2

118

65

Wenn’s ihr beliebt, so vertreibt sie die Wolken vom Himmel, der trauert, wenn’s ihr beliebt, sammelt Schnee rings sich im Sommergefild.

50

Einzig sie hat, so sagt man, Medeas grässliche Kräuter, einzig sie hält im Zaum Hekates Hundegebälg. | Sie schrieb Gesänge mir auf, mit denen vermagst du zu trügen: dreimal sing sie und stets spucke, wenn du sie gesagt. Jener wird keinem zu glauben vermögen, der uns ihm verriete,

55

auch nicht sich selbst, mag uns zwei weich er gebettet auch sehn. Freilich, von anderen halte dich fern! Ansonsten entgeht ihm nichts; denn einzig bei mir, da nur bemerkt er es nicht. Soll ich es glauben, auch das? Ja, sie hat doch gesagt, sie vermöchte’s: mit ihre Sang, ihrem Kraut löst meine Liebe sie gar.

60

Mit ihren Scheiten entsühnt hat sie mich, und den Göttern des Zaubers sank zu Boden ein Tier, schwarz, in der heiteren Nacht. Dass sie zur Gänze vergehe, das nicht – dass die Liebe erwidert werde, das bat ich, dass auch du nicht könntst ohne mich sein. || Ach! von Stahl musst er sein, der, konnte er dich doch besitzen, Waffen lieber – der Tor! –, Beute zu raffen gewählt.

119

65

ille licet Cilicum uictas agat ante cateruas, ponat et in capto Martia castra solo, totus et argento contextus1, totus et auro, insideat celeri conspiciendus equo. |

70

ipse boues, mea si2 tecum modo Delia, possim iungere et in solito pascere monte pecus, et te dum liceat teneris retinere lacertis, mollis et inculta sit mihi somnus humo. quid Tyrio recubare toro sine amore secundo

75

prodest cum fletu nox uigilanda uenit? nam neque tunc plumae nec stragula picta soporem nec sonitus placidae ducere possit3 aquae. || num Veneris magnae4 uiolaui numina uerbo, et mea nunc poenas impia lingua luit? num feror incestus sedes adiisse deorum sertaque de sanctis deripuisse5 focis?

1

contectus recc. sic Scaliger et ‘vetus liber’ Statii 3 posset A : corr. recc. 4 magni A : corr. recc. 5 dirip- A : corr. recc. 2

120

80

Soll er umher den Kilikier1 nur treiben – besiegt sind die Scharen – Lager des Kriegs auf dem Land bauen, das so er besetzt; Silber ganz ihn durchzieht, im Glanz des Goldes und herrlich anzuschaun führe sein Ross hurtig er gegen den Feind. |

70

Selbst will ich, Delia, bin ich mit dir nur ins Joch meine Ochsen spannen und Vieh auf den Berg führen zur Weide von je, will solang mir’s gegönnt, dich in zärtlichen Armen nur halten: nackt sei der Boden und hart, süß schlaf ich dennoch und weich. Was nützt ein Lager dir purpurgedeckt, so auf ihm du ohn Liebe,

75

ruhst, die beglückt, und die Nacht weinend durchwachst, die dir naht? Dann können Daunen dir kaum, nicht Decken bestickt dir den Schlummer bringen und Wassers Getön auch nicht, so lieblich es klingt.2 || Ja, hat ein Wort von mir denn der Liebe Herrin beleidigt? Zahlst deine Strafe du jetzt, Zunge, für Frevel an ihr? Heißt’s gar, ich sei aus dem Schandbett zur Wohnstatt der Götter gekommen, hätte von heiligem Herd Blumengebinde geraubt? 1

Gegend im Südosten Kleinasiens an der Grenze zu Syrien; seit 101 v. Chr. Römische Provinz. 2 Das Geräusch fließenden Wassers wurde für schlaffördernd gehalten und in reichen Häusern auch derart benützt.

121

80

non ego, si merui, dubitem procumbere templis et dare sacratis oscula liminibus, non ego tellurem genibus perrepere supplex

85

et miserum sancto tundere poste caput. | at tu, qui laetus rides1 mala nostra, caueto mox tibi, non uni2 saeuiet usque deus. uidi ego qui iuuenum miseros lusisset3 amores post Veneris uinclis subdere colla senem

90

et sibi blanditias tremula. componere uoce et manibus canas fingere uelle comas, stare nec ante fores puduit caraeue puellae ancillam medio detinuisse foro: hune puer, hune iuuenis turba circumterit4 arta, despuit in molles et sibi quisque sinus. | at mihi parce, Venus, semper tibi dedita seruit mens mea: quid messes uris acerba tuas? |||

1

qui nimium letus Par. non unus A : et iratus Par. : corr. recc. 3 miseros iuuenum dampnasset Par. 4 circumdedit Par. 2

122

95

Will, so ich’s denn verdiene, vor Tempeln zu Boden mich werfen ohne Verzug, meinen Kuss drücken auf heilige Schwelln; will auf den Knieen die Erde bekriechen und bitten und flehen,

85

will mir das elende Haupt stoßen an Pfosten geweiht. | Du aber, der du mein Unglück verlachst, jetzt so froh bist, o hüt dich, bald grollt er dir, denn es grollt einem nicht immer der Gott. Manchen, der elende Liebe der Jugend verlachte, den sah ich wie seinen Nacken der Greis dann Venus’ Fesseln gebeugt:

90

Schmeichelworte versuchte mit zitternder Stimm er zu finden, suchte dem gräulichen Haar Form zu verleihn mit der Hand, stand vor der Tür und schämte sich nicht, die Magd des geliebten Mädchens hält auf dem Markt mitten im Volk er zurück. Um ihn drängen sich Kinder und um ihn Jugend in Scharen, jeder spuckt in den Bausch, spuckt in sein weiches Gewand.1 | Mich, Venus, schone! Mein Sinn, er ist allzeit geweiht deinem Dienste: was bist so grausam du, steckst selbst deine Ernte in Brand? |||

1

Ausspucken wehrt Unheil ab.

123

95

III Ibitis Aegaeas sine me, Messalla, per undas, o utinam memores ipse cohorsque mei! me tenet ignotis aegrum Phaeacia terris; abstineas auidas Mors modo nigra manus! abstineas, Mors atra, precor: non hie mihi mater

5

quae legat in maestos ossa perusta sinus, non soror, Assyrios cineri quae fundat1 odores et fleat effusis ante sepulcra comis. | Delia non usquam quae, me quam2 mitteret urbe. dicitur ante omnes consuluisse deos. illa sacras pueri sortes ter sustulit: illi rettulit e trinis3 omnia4 certa puer. cuncta dabant reditus, tamen est deterrita numquam5

1

dedat A: corr. Broukhuyzen, cf. Eikasmós 5 (1994) 268 cum A : corr. Dousa 3 triuiis A : corr. Muretus 4 omnia V ut videtur : omina A manu altera in rasura 5 nusquam V 2

124

10

B: Der Deliazyklus 1B III Krank und allein Ohne mich werdet die Welln des Ägäischen Meers ihr befahren, denkt, o Messalla, an mich, denkt an mich, du und dein Heer!1 Bleib ich doch krank auf Phaeacia2 zurück, einem Land, wo ich fremd bin: lass nur die gierige Hand weg von mir, schwärzlicher Tod! Weg von mir Dunkel des Todes, so bitt ich: hier ist keine Mutter,

5

die mein verbranntes Gebein liest in ihr Trauergewand, keine Schwester, die syrische Düfte der Asche könnt spenden, über den Grabstein ihr Haar breitet und so um mich weint. | ’s ist auch Delia nicht hier; bevor aus der Stadt sie mich gehn ließ, heißt es, sie habe um Rat erst alle Götter gefragt. Dreimal erhob sie die heiligen Lose des Knaben, es gab ihr sichere Antwort aus drein immer der Knabe zurück. Alles versprach meine Rückkunft, doch ließ sie niemals sich halten,

1

Bezieht sich auf Tibulls Teilnahme an Messallas Expedition in den Osten; s. S. 13. 2 Phaeacia: Kerkyra wurde mit dem Land der Phaeaken aus der Odyssee identifiziert.

125

10

quin1 fleret nostras respiceretque2 uias. ipse ego solator, cum iam mandata dedissem,

15

quaerebam tardas anxius usque moras, aut ego sum causatus aues aut3 omina dira Saturni4 sacram me tenuisse diem, o quotiens ingressus iter mihi tristia dixi offensum in porta signa dedisse pedem!

20

audeat inuito ne5 quis discedere Amore, aut sciat egressum se prohibente deo. quid tua nunc Isis mihi, Delia, quid mihi prosunt illa tua totiens aera repulsa manu, quidue, pie dum6 sacra colis, pureque lauari

25

te – memini – et puro secubuisse toro7? | nunc, dea, nunc succurre mihi (nam posse mederi picta docet templis multa tabella tuis) ut mea uotiuas persoluens Delia noctes8 ante sacras lino tecta fores sedeat 1

cum A : corr. ed. Aldina 1502 despueret Haupt, respueret iam recc. 3 aues dant A : corr. recc. 4 Saturni A : corr. quidam apud Broukhuyzen 5 neu A : corr. recc. 6 deum A : corr. recc. 7 quodue … te memini et p- s- toro temptauit Postgate 8 uoces A : corr. Scaliger 2

126

30

nicht zu weinen, und sah hinter sich nach meinem Weg. Selbst sprach ich Tröstung ihr zu, hatte schon sie dem Abschied befohlen,

15

sucht freilich immer noch bang Aufschub, der Untätgen Freund. Oder den Vögeln gab ich die Schuld und grausige Omen hielten mich oder Satums heiliger Tag1 noch zu Haus. Ach! wie oft war ich fertig zu gehn, dann sagt ich: ein schlimmes Zeichen ließ meinen Fuß straucheln: er stieß an die Tür.

20

Amors Willen zuwider soll niemand es wagen zu scheiden, wissen muss er, er geht gegen des Gottes Verbot. Was kann mir, Delia, jetzt deine Isis,2 was kann es nützen, dass du so oft mit der Hand stießt ihre ehernen Schelln, dass du – ich weiß es noch gut – solang du dich Heiligem weihtest,

25

rein dich wuschest und rein hast auf dem Lager geruht? | Jetzt, Göttin, hilf mir, jetzt komm! Denn heilen, so sagt ja das Bildwerk, das deinen Tempel verziert, heilen, das kannst du doch gut; dann soll die Nächte, die sie dir versprach, meine Delia dir weihen, vor deiner heiligen Tür sitzen in Linnen gehüllt, 1

Der Samstag = Unglückstag. Die ägyptische Göttin Isis wurde mit zahlreichen römisch- griechischen Götternidentifiziert. Ihr Dienst verlangte inbesondere sexuelle Abstinenz und Reinigungszeremonien. Ihr Attribut war eine Rassel, die auch von ihren Priestern und den Gläubigen getragen wurde. 2

127

30

bisque die resoluta comas tibi dicere laudes insignis turba debeat in Pharia. at mihi contingat patrios celebrare Penates reddereque antiquo menstrua tura Lari. | quam bene Saturno uiuebant rege, priusquam

35

Tethys1 in longas est patefacta uias! nondum caeruleas pinus contempserat undas, effusum uentis2 praebueratque sinum, nec uagus ignotis repetens compendia terris presserat externa nauita merce ratem.

40

illo non ualidus subiit iuga tempore taurus, non domito frenos ore momordit equus, non domus ulla fores habuit, non fixus in agris qui regeret certis finibus arua, lapis, ipsae mella dabant quercus, ultroque ferebant

45

obuia securis ubera lactis oues. non acies, non ira fuit, non bella, nec ensem immiti saeuus duxerat arte faber. nunc Ioue sub domino caedes et uulnera semper, nunc mare, nunc leti mille patentque3 uiae. 1

50

tellus A : corr. Markland, cf. ibid. 254 uet(er)is per abbreuiationem A : corr. recc. 3 reperte A : corr. Leo : repente siue multa reperta via recc.; ibid. 251 sqq. 2

128

zweimal am Tag soll sie lösen das Haar, mit Lob dich zu zieren, fromme dem Wort, das sie spricht unter der pharischen Schar. Mir aber winke das Glück, der Väter Penaten zu feiern, Weihrauch dem Laren von einst Monat um Monat zu weihn. | Ach! wie lebte sich’s gut, als Saturn noch regierte, bevor noch

35

Tethys geöffnet dem Weg ward, der die Feme erschloss! Hohn keiner Pinie Stamm noch sprach den bläulichen Wellen, keinem Wehen den Bausch windegeblasen noch bot, keiner über die See, aus Ländern, Gewinn sich zu holen, zog, die ihm fremd, kein Schiff drückten die Waren von fern.

40

Damals musste kein kräftiger Stier dem Joche sich fügen, da biss kein Ross noch gezähmt an seinem Zaumzeug sich wund, Türen hatte kein Haus, noch stand auch fest auf dem Acker da der Stein, der die Flur sicher in Grenzen zerteilt. Eichen schenkten von selbst ihren Honig, es trugen die Schafe

45

selbst die Euter mit Milch prall einem Sorglosen zu. Schlachtreihen, Zorn gab es nicht, keine Kriege, und Schwerter zog noch kein grausamer Schmied ab seiner herzlosen Kunst. Jetzt nur, wo Jupiter herrscht33, sind Morde, sind allezeit Wunden, jetzt ist das Meer, sind zum Tod aufgetan Wege ohn Zahl.

129

50

parce, pater, timidum non me periuria terrent, non dicta in sanctos impia uerba deos. || quod si fatales iam nunc expleuimus annos, fac lapis inscriptis stet super ossa notis: HIC IACET IMMITI CONSVMPTVS MORTE TIBVLLVS,

55

MESSALLAM TERRA DVM SEQVITVRQVE MARI, sed me, quod facilis tenero sum semper Amori, ipsa Venus campos ducet in Elysios. hic choreae cantusque uigent, passimque uagantes dulce sonant tenui gutture carmen aues;

60

fert casiam non culta seges, totosque per agros floret odoratis terra benigna rosis; ac iuuenum series teneris immixta puellis ludit, et adsidue proelia miscet amor, illic est, cuicumque rapax Mors uenit amanti, et gerit insigni myrtea serta coma. | at scelerata iacet sedes in nocte1 profunda abdita, quam circum2 flumina nigra sonant:

1 2

sub n- Par. circa Par.

130

65

Schonung, Vater! Ich muss ja nicht davor mich fürchten, nicht schreckt mich Meineid, kein unheilig Wort fluchte den Göttern ich je. || Doch hab ich jetzt schon erfüllt meines Schicksals Jahre, so sorge, dass über meinem Gebein rage dies steinerne Wort: „Hier liegt Tibull, den ein grausamer Tod aus dem Leben gerissen,

55

als er Messalla zu Land folgte und über die See.“ Freilich, mir schenkt, weil ich Amor, dem zärtlichen, immer mich füge, in des Elysiums Gefild Venus dann selbst ihr Geleit. Dort blühen Tänze, Gesänge, und rings um mich überall streifen Vögel und tönen ihr Lied süß aus der Kehle und zart.

60

Zimt trägt ohn alle Arbeit das Feld, es blüht auf den Äckern allen gesegnet das Land, duftend mit Rosen besät. Reihen von Jünglingen spielen und Mädchen zart sie sich mengen: Kämpfe, die mengt da und Streit immer die Liebe, allzeit. Dort wohnt der, den der Tod, der alles dahinrafft, als Liebenden findet, und es ziert eine Kron Myrthen sein herrliches Haar. | Freilich, der Ruchlosen Sitz, in Nachtestiefe verborgen liegt er, rings um ihn braust schwärzlicher Flüsse Gedröhn;

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65

Tisiphoneque1 impexa2 feros pro crinibus angues saeuit et hue illuc impia turba fugit;

70

tum3 niger in porta per centum Cerberus ora4 stridet et aeratas excubat ante fores, illic Iunonem temptare Ixionis ausi uersantur celeri noxia membra rota; porrectusque nouem Tityos per iugera terrae

75

adsiduas atro uiscere pascit aues. Tantalus est illic, et circum stagna: sed acrem iam iam poturi deserit unda sitim; et Danai proles, Veneris quod numina laesit, in caua Lethaeas dolia portat aquas.

80

illic sit quicumque meos uiolauit amores, optauit lentas et mihi militias. || at tu casta precor maneas5, sanctique pudoris adsideat custos sedula semper anus, haec tibi fabellas referat positaque lucerna

1

Tesiphoneque A Par. : corr. recc. implexa recc. 3 tum Par. : tunc A 4 in porta] intorto Heisius | serpentum c- ore A : corr. Palmer 5 c- p- m- Par. 2

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85

Tibulls Werke

da rast Tisiphones Wut, hat Schlangen anstelle von Haaren eingekämmt, hierhin und dort flieht die verworfene Schar;

70

dort ist Zerberus, schwarz, an der Pforte, aus Mündern zu hundert zischt er, nächtigt im Frein vor einem ehernen Tor. Auf dem Rad drehn dort sich Ixions schuldige Glieder eilig – er hatte’s gewagt, Jupiters Gattin zu frein; über neun Morgen liegt Tityos ausgestreckt dort auf dem Felde:

75

Vögel weiden sich stets an seinem dunkeln Gedärm. Tantalus siehst du dort auch und um ihn den See, doch die Welle – glaubt er, zu stillen des Dursts Stachel – sie lässt ihn im Stich. Und des Danaos’ Kinder, die tragen, weil sie gegen Venus’ Macht sich versündigt, ein Sieb, hohl, und das Wasser fließt fort.

80

Dort soll ein jeder sich finden, so er meiner Liebe Gewalt tat, mich eine endlose Zeit hat in den Kriegsdienst gewünscht. || Du freilich wahre dich rein, das bitt ich; der Scham, die dir heilig, Wächterin sei eine Frau, alt und geschäftig allzeit. Sie soll dir etwas erzählen, die Lampe neben euch stellen:

133

85

deducat plena stamina longa colu1; at2 circa grauibus pensis adfixa puella paulatim somno fessa remittat opus, tunc ueniam subito, nec quisquam nuntiet ante, sed uidear caelo missus adesse tibi. tunc3 mihi, qualis eris longos turbata capillos, obuia nudato, Delia, curre pede, hoc precor, hunc illum nobis Aurora nitentem Luciferum roseis candida portet equis. |||

1

colu Fr. : colo A Par. at Par. : ac A 3 nunc A : tunc recc. 2

134

90

voll sei der Rocken, sie zieht Fäden gar lang von ihm ab. Neben euch soll einer Magd, in Gedanken bei Wolle und Körben matt vom Schlummer, ihr Werk leise entgleiten der Hand. Dann will ich unversehns kommen, und keiner wird es dir melden, wie vom Himmel geschickt, scheint es dir dann, bin ich da. Dann komm mir, so wie du bist, dein langes Haar in Verwirrung, Delia, entgegen! Geschwind! Eile, die Füße noch nackt! Darum bitt ich, o bringe uns solch einen, solch einen Morgen glänzend des Morgenrots Strahl! Rosige Pferde hinan! |||

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90

IV1 ‘Sic umbrosa tibi contingant tecta, Priape, ne capiti soles, ne noceantque niues: quae tua formosos cepit sollertia? certe non tibi barba nitet, non tibi culta coma est; nudus et hibernae producis frigora brumae,

5

nudus et aestiui tempora sicca Canis.’ || sic2 ego; tum Bacchi respondit rustica proles armatus curua sic mihi falce deus. ‘o fuge te3 tenerae puerorum credere turbae, nam causam iusti semper amoris habent.

10

hic placet, angustis quod equum compescit habeni, hic placidam niueo pectore pellit aquam; hic, quia fortis adest audacia, cepit, at illi uirgineus teneras stat pudor ante genas, sed ne te capiant, primo si forte negabit, 1

ad uersuum ordinem huius carminis cf. CQ 47 (1997) 501-509 sit A : corr. recc. 3 fugite Fr. 2

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15

C: Der Marathonzyklus IV Ein Liebesexperte in Not „So sei ein schattiges Dach dir, Priapus, beschieden, so sollen

1

Sonnengluten dir nicht schaden, noch soll es der Schnee: was war die List, die dir Knabenschönheit gewonnen? Es glänzt ja weder dein Bart – aber nein! ungekämmt ist es, dein Haar. Nackt lässt die Fröste der Wintersonnwende du an dir vorüber-

5

ziehen und nackend die Frist trockener Hundstage auch.“ So sprach ich: es erwidert des Bacchus’ bäurischer Nachfahr so mir, der Gott, dem die Hand krumm eine Sichel bewehrt: „O lass es sein, vertraue dich nicht der Schar junger Knaben! Immer gibt’s einen Grund, der dich zur Liebe bewegt.

10

Der da gefällt, weil ein Ross mit gestrafften Zügeln er bändigt, klares Wasser durchbricht der da mit schneeweißer Brust. Der da gewinnt dich, weil Tapferkeit, Kühnheit ihm eigen, doch jenem ist, einer Jungfrau gleich, Scham zart auf die Wangen gelegt. Freilich, es narre dich nicht, wenn einer zunächst dir ein Nein sagt,

137

15

taedia: paulatim sub iuga colla dabit. longa dies homini docuit parere leones, longa dies molli saxa peredit aqua; annus in apricis maturat collibus uuas, annus agit certa lucida signa uice. |

20

tu, puero quodcumque tuo temptare libebit,

39

cedas1: obsequio plurima uincit2 amor.

40

neu comes ire neges, quamuis uia longa paretur et Canis arenti torreat arua siti, quamuis praetexens picta ferrugine caelum uenturam minitat3 imbrifer arcus aquam. uel si caeruleas puppi uolet ire per undas,

45

ipse leuem remo per freta pelle ratem. nec te paeniteat duros subiisse labores aut opera insuetas atteruisse manus; nec, uelit insidiis altas si claudere ualles, dum placeas, umeri retia ferre negent.

50

si uolet arma, leui temptabis ludere dextra; saepe dabis nudum, uincat ut ille, latus. |

1

credas A : corr. recc. uincet A : corr. recc. 3 minitat (siue minitet) scripsi : amiciat A, praetexat … minitans iam Rigler, alii alia 2

138

sei nicht verzagt, mit der Zeit legt er den Nacken ins Joch. Lernen – ein Tag ist genug – doch auch Löwen dem Menschen gehorchen, frisst doch – ein Tag ist genug – Wasser sich weich in den Stein. Über ein Jahr, da reift gar auf sonnigen Hügeln die Traube, Sterne kommen und gehn über ein Jahr ihre Bahn. |

20

Du gib nur nach deinem Knaben in allem, was auch zu beginnen

39

er von dir wünscht! Es gewinnt Liebe zumeist, die gehorcht.

40

Weigre dich nicht, sein Begleiter zu sein, wie weit auch der Weg führt, mag der Hundsstern die Flur dörren mit trocknendem Durst, mag den Himmel umflechten mit rostigen Farben des Regens Bogen und drohen, dass bald Wasser die Wolken durchbricht. Wenn er zu Schiffe begehrt, durch die bläulichen Wellen zu fahren,

45

stoße du selbst durch die See mit einem Ruder sein Boot. Nicht soll dich reun, alle Mühen, so hart sie auch sind, zu bestehen: scheure an Arbeit die Hand, ist sie’s auch sonst nicht gewohnt! Sollst dich nicht weigern, die Netze zu tragen: begehrt er, die tiefen Täler zu schließen mit List, leih deine Schulter ihm gern. So er nach Waffen verlangt, wirst leicht mit der Rechten du spielen; biete, dass er dich besiegt, nackt deine Seite ihm oft! |

139

50

tunc tibi1 mitis erit, rapias tum cara licebit oscula: pugnabit, sed tibi rapta dabit. rapta dabit primo, post adferet ipse roganti,

55

post etiam collo se implicuisse uelit.

56

blanditiis uult esse locum Venus ipsa: querellis

71

supplicibus, miseris fletibus2 illa fauet.’

72

nec iurare time: ueneris periuria uenti

21

inrita per terras et freta summa ferunt. gratia magna Ioui: uetuit Pater ipse ualere, iurasset cupide quidquid ineptus amor; perque suas impune sinit Dictynna sagittas

25

adfirmes, crines perque Minerua suos. | at si tardus eris errabis. transiet aetas quam cito! non segnis stat remeatque dies. quam cito purpureos deperdit3 terra colores, quam cito formosas populus alta comas! quam iacet, infirmae uenere ubi fata senectae, qui prior Eleo est carcere missus equus! uidi iam iuuenem, premeret cum serior4 aetas,

1

mihi A : corr. recc. flentibus A : corr. recc. 3 deperdit Par. : te perdit A 4 ferior Par. 2

140

30

Dann wird er sanft dir und weich, dann kannst du die Küsse erhaschen, die dir so lieb: so du haschst, gibt er sie, ziert er sich auch. Hasche: zunächst gibt er so sie; dann bringt er sie selbst auf dein Bitten; später wünscht er sie gar, schlingt um den Nacken den Arm.

55 56

Venus selbst schafft Gehör den Worten, die schmeicheln, den Klagen; Bitten, der Elenden Flehn, schenket sie gern ihre Gunst. Fürchte dich auch nicht zu schwören, der Liebe Meineide trägt ja

71 72 21

wirkungslos übers Meer, über die Länder der Wind. Groß ist Jupiters Gnade: der Vater verbot ja, dass gelte, was verzweifelte Lieb hat in Begierde geschworn. Auch Diktynna – magst alles bei ihren Pfeilen versprechen –

25

straft nicht; verschwörst du ihr Haar, lässt es Minerva geschehn. | Zauderst du freilich zu lange, so fehlst du: die Zeit geht vorüber, schnell, so schnell! und der Tag säumt nicht und kommt nicht zurück. Ach! wie schnell verliert die Erd ihre purpurnen Farben; hohe Pappel, wie schnell lässt du das Haar, das dich schmückt! Wie liegt im Staube das Ross, hält das kraftlose Alter es nieder, das aus den Schranken zuvor Elis ins Rennen geschickt! Manchen,Jüngling sah unter der Last ich späterer Tage

141

30

maerentem stultos praeteriisse dies; crudeles diui! serpens nouus exuit annos,

35

formae non ullam1 fata dedere moram. solis aeterna est Baccho Phoeboque iuuentas, nam decet intonsus crinis utrumque deum. |

38

heu male nunc artes miseras haec saecula tractant :

57

iam tener adsueuit munera uelle puer. at tua2, qui uenerem docuisti uendere primus, quisquis es, infelix urgeat ossa lapis.

60

Pieridas, pueri, doctos et amate poetas, aurea nec superent munera Pieridas. carmine purpurea est Nisi coma, carmina ni sint, ex umero Pelopis non nituisset ebur. quem referent Musae, uiuet, dum robora tellus, dum caelum stellas, dum uehet amnis aquas. at qui non audit Musas, qui uendit amorem, Idaeae currus ille sequatur Opis, et tercentenas erroribus expleat urbes

1 2

sed forme nullam Par. : f- non illam A : corr. recc. iam tu A : corr. recc.

142

65

trauern, dass seine Zeit einst er so töricht vertan. Grausame Götter! der Schlange gleich streift ihr ab eure Jahre;

35

Weile hat das Geschick keine der Schönheit gegönnt. Bacchus und Phoebus, nur ihnen allein währt ewig die Jugend; ungeschorenes Haar ziert nur die Götter wie sie. | Weh, o weh! wie ist’s heute so schlecht bestellt um die Künste:

38 57

schon in der Wiege das Kind ist an Geschenke gewöhnt. Doch der als erster die Liebe verkaufen du lehrtest, es laste glücklos, wer du auch seist, auf deinen Knochen der Stein.

60

Liebt die Musen, ihr Knaben, und liebt die Dichtergelehrten! Keine Gabe von Gold wiege die Musen je auf! Purpurn ist Nisus’ Haar durch das Lied nur, und gibt’s keine Lieder, strahlt Pelops’ Schulter auch nicht hell in des Elfenbeins Glanz. Wer im Munde der Musen, der lebt, solange auf Erden Eichen, am Himmel die Stern, Wasser in Flüssen hinzieht. Doch leiht einer den Musen kein Ohr, verkauft er die Liebe, soll er im Trosse der Ops1 laufen im Idagebirg; Städte zu Hunderten soll er durchirren, die Glieder sich wertlos

1

Gattin Satums, d.h. mit der griechischen Rhea, der Gattin des Kronos, identifiziert. Rhea wiederum wurde identifiziert mit Kybele, einer anatolischen Muttergöttin, verehrt im Idagebirge (nahe Troja), deren Kult 204 v. Chr. auch in Rom eingeführt wurde. Kybele wurde dargestellt mit Turmkrone und auf einem Löwenwagen. Ihre Priester waren Eunuchen.

143

65

et secet ad Phrygios uilia membra modos. ||

70

haec mihi, quae canerem Titio, deus edidit ore,

73

sed Titium coniunx haec meminisse uetat. pareat ille suae, uos me celebrate magistrum,

75

quos male habet multa callidus arte puer, gloria cuique sua est, me, qui spernentur, amantes consultent: cunctis ianua nostra patet. tempus erit, cum me Veneris praecepta ferentem deducat1 iuuenum sedula turba senem. eheu2 quam Marathus lento me torquet amore! deficiunt artes, deficiuntque doli. parce, puer, quaeso, ne turpis fabula fiam, cum mea ridebunt uana magisteria. |||

1 2

diducat A : corr. recc. heu heu A : corr. recc.

144

80

schneiden und stümmeln beim Klang soll er des phrygischen Lieds.“ || Dies hat mir, Titius1 zu singen, der Mund des Gottes verkündet;

70 73

freilich dass Titius dran denkt, hindert der Gattin Verbot. Ach! soll er ihr nur gehorchen: ihr freilich preist mich euren Lehrer,

75

ihr, die ein Knabe gewitzt hält unter elendem Bann. Anderen Ruhm hat eine jeder: verschmähte Liebende sollen mich befragen, es steht offen für sie meine Tür. Kommen wird eine Zeit, wo den Greis, der Venus’ Gebote kündet, der Jünglinge Schwann eifrig geleitet nach Haus.

80

Ach! was muss mich das Warten auf Marathus’ Liebe so quälen! All meine Kunst, sie versagt, ach! es versagt meine List. Schonung, Knabe, ich bitt dich, will nicht in der Stadt von mir hören, dass man den Lehrer verlacht, hilft seine Lehre doch nichts. |||

1

Falls es sich nicht um eine fiktive Person handelt, könnte es um Marcus Titius, den Nachfolger Messallas im Konsulat im Jahre 31 v. Chr. gehen.

145

V Asper eram et bene discidium1 me ferre loquebar, at mihi nunc longe gloria fortis2 abest. namque agor ut per plana citus sola uerbere turben3 quem celer adsueta uersat ab arte puer; ure ferum et torque, libeat ne dicere quicquam

5

magnificum post haec: horrida uerba doma, parce tarnen, per te4 furtiui foedera lecti, per uenerem, quaeso, compositumque caput. ille ego cum tristi morbo defessa iaceres te dicor uotis eripuisse meis:

10

ipseque te circum lustraui sulpure puro, carmine cum magico praecinuisset anus; ipse procuraui ne possent saeua nocere somnia, ter sancta deueneranda mola; ipse ego uelatus filo tunicisque solutis

1

dissidium A : corr. recc. fortis V : sortis A 3 turben Charisius p. 145, 8 Keil : turbo A 4 parce A : corr. recc. 2

146

15

B’: Der Deliazyklus 2A V Ein Gedichtpaar: Verzweiflung über Delias Untreue’ Trotzig war ich und sagte, würd leicht eine Trennung ertragen, jetzt freilich ist mir so fern, des ich mich tapfer gerühmt. Treib ich doch, wie ein Kreisel geschwind durch die Ebene hinfliegt, den ein Knabe mit Kunst schnellet so flink, wie er kann. Foltre, verbrenne den Wilden, von jetzt soll ihm nimmer gefallen, 5 groß zu reden, so leg grausige Worte in Zaum! Trotzdem – ich bitte beim Bett, das wir heimlich geteilet, sei gnädig, bei deiner Liebe, dem Haupt, das neben meinem geruht. Ich war’s, so heißt es, der einst, als in unselger Krankheit benommen auf deinem Bette du lagst, dich mit Gelübden erlöst:

10

hab auch selbst dich entsühnt und mit reinem Schwefel umzogen, zauberkräftig ihr Lied sang eine Greisin zuvor; sorgte selber dafür, dass schreckliche Träume nicht Schaden brächten, mit heiligem Schrot, dreimal zum Heile verbrannt; habe selbst mit dem Hute von Garn, mit dem Kleide entbunden,

147

15

uota nouem Triuiae1 nocte silente dedi. omnia persolui : fruitur nunc alter amore, et precibus felix utitur ille meis. || at mihi felicem uitam, si salua fuisses, fingebam demens et2 renuente deo.

20

rura colam, frugumque aderit mea Delia custos, area dum messes sole calente teret, aut mihi seruabit plenis in lintribus uuas pressaque ueloci candida musta pede, consuescet numerare pecus, consuescet amantis

25

garrulus in dominae ludere uerna sinu. illa deo sciet agricolae pro uitibus3 uuam, pro segete [et]4 spicas, pro grege ferre dapem. illa regat cunctos, illi5 sint omnia curae: at iuuet6 in tota me nihil esse domo. huc ueniet7 Messalla meus, cui dulcia poma Delia selectis detrahat arboribus. 1

uoca n- creme A : corr. recc. sed A : corr. Santen 3 uitibus A : fructibus V 4 et del. recc. 5 ille a.c. A 6 adiuuet A : corr. recc. 7 uenie(n)t A 2

148

30

Trivia1 im Schweigen der Nacht neunmal Gelübde geweiht. All das hab ich erfüllt, und ein andrer besitzt meine Liebe, hat jetzt von meinem Gebet glücklich allein den Gewinn. || Mir freilich hatt ich ein glückliches Leben erträumt, wenn gerettet du und genesen: wie dumm! weigerte’s doch mir der Gott.

20

Land würd ich pflegen, bei mir würde Delia die Früchte behüten, wo unterm Sonnenbrand Korn in der Tenne sich häuft, oder sie wahrte für mich in den vollen Trögen die Trauben: stieße da flink sie der Fuß, schäumete reichlich der Most. Würd sich die Schafe zu zählen gewöhnen, zu scherzen gewöhnt sich

25

schwatzend der Dienstbursch; ihn hält liebend die Hausfrau im Schoß. Sie weiß dem ländlichen Gott für die Lese die Traube zu bringen, Ähren für glückliche Saat und für die Herde ein Mahl. Sie soll allen befehlen, nur sie mag um alles sich sorgen; mir aber sei es genug, zähle ich gar nichts im Haus. Hier würd uns auch mein Mesalla besuchen, dem Delia süße Äpfel pflückt von Baum, sorgend und eifrig gewählt.

1

Hekate, s. oben S. 11 Anm. 1.

149

30

et, tantum uenerata uirum, +hunc1+ sedula curet, +huic paret atque+ epulas ipsa ministra gerat. haec mihi fingebam, quae nunc Eurusque Notusque

35

iactat odoratos uota per Armenios. || saepe ego temptaui curas depellere uino: at dolor in lacrimas uerterat omne merum. saepe aliam tenui: sed iam cum gaudia adirem, admonuit dominae deseruitque Venus.

40

tunc me discedens deuotum femina dixit, a2 pudet, et narrat scire nefanda meam3. non facit hoc uerbis,4 facie tenerisque lacertis deuouet et flauis nostra puella comis. talis ad Haemonium Nereis[que]5 Pelea quondam

45

uecta est frenato caerula pisce Thetis. | haec nocuere mihi [quod adest huic diues amator]6 uenit in exitium callida lena meum. sanguineas edat ilia dapes atque ore cruento 1

nunc et nunc paret in u. sq. recc.; sed totum locum, i.e. huic paret quoque corruptum duco, possis tum sedula curet/ et paret quas epulas … 2 et A : corr. L. Mueller 3 mea A : corr. Nodell 4 herbis recc. 5 que del. recc. 6 deleui; in interpretatione lac. e.g. suppleui

150

Und den Mann, den so hoch sie verehrt, soll sie emsig umsorgen, sei ihm zu Diensten und selbst reich sie als Magd ihm das Mahl. Solches erträumte ich mir, jetzt jagen der Ost und der Südwind

35

hin mein Gelübde, wo fern duftet Armeniens Land. || Hab so oft versucht, meinen Kummer im Wein zu ertränken, doch hat in Tränen der Schmerz nur mir verwandelt den Trank. Hielt so oft eine andre im Arm, doch wollt ich genießen, mahnt an die Herrin sie mich, und meine Liebeskraft schwand.

40

Dann verließ mich die Frau, und verhext, so sagte sie, sei ich – Schande! – erzählt gar, mein Lieb wisse verbotene Kunst. Tut sie’s mit Worten doch nicht, ihr Gesicht, ihre zärtlichen Arme, die verhexen, das Haar unseres Mädchens von Gold. So fuhr Nereus’ Tochter zu Peleus vom Lande des Haemon, Thetis, die meerblaue Maid, auf ihrem Fischegespann. | Das hat mir Schaden gebracht, kam einer Kupplerin List zu meinem Unglück dazu. Blut soll sie essen zum Mahl und, den Mund beschmiert mit dem Blute,

151

45

tristia cum multo pocula felle bibat:

50

hanc uolitent animae circum sua fata querentes semper, et e tectis strix uiolenta canat: ipsa fame stimulante furens herbasque sepulcris quaerat et a saeuis ossa relicta lupis; currat et inguinibus nudis ululetque per urbes,

55

post agat e triuiis aspera turba canum. eueniet; dat signa deus: sunt numina amanti, saeuit et iniusta lege relicta Venus. | at tu quam primum sagae praecepta rapacis desere, nam donis uincitur omnis amor.

60

pauper erit praesto tibi semper1: pauper adibit primus et in tenero fixus erit latere;2 pauper in angusto fidus comes agmine turbae subicietque manus efficietque uiam; pauper ad occultos furtim deducet amicos uinclaque de niueo detrahet ipse pede, heu canimus frustra nec uerbis uicta3 patescit ianua sed plena est percutienda manu.

1

tibi semper Rigler : tibi praesto A : semper te Par. et in duro limine fixus erit Par. 3 iuncta A : corr. recc. 2

152

65

trinken aus trübem Pokal, randvoll mit Galle gefüllt.

50

Sollen Gespenster flattern um sie, die ihr Schicksal beklagen, allzeit, und Eulengesang schauerlich klinge vom Haus. Selbst soll Kräuter sie suchen auf Gräbern vom Hunger gestachelt, rasend, den Rest von Gebein, das schon die Wölfe benagt; laufe, die Lenden nackt, durch die Städte und heule; am Dreiweg

55

jagt sie ein scheußlicher Schwarm Hunde mit Kläffen davon.1 So wird es sein; ’s gibt Zeichen ein Gott: auf die Liebenden sieht er, furchtbar ist Venus im Zorn schnöde verlassener Lieb. | Du, vergiss nur geschwind, was die gierige Hexe geraten, wird von Geschenken doch stets jegliche Liebe zerstört.

60

Ist einer arm, steht er allzeit bei dir, und zuerst kommt der Arme zu dir, heftet sich fest an deine liebliche Seit. Ist einer arm, ein treuer Begleiter im Menschengedränge wird dir mit eigener Hand bahnen den Weg durch den Schwarm. Ist einer arm, führt heimlich zu Freunden er dich im verborgnen und von dem schneeweißen Fuß zieht er die Bänder dir ab. Weh! ich singe vergeblich, von keinem Worte besiegen lässt sich die Tür, muss die Hand voll, will sie klopfen, doch sein. |

1

S. oben S. 11 Anm. 1.

153

65

at tu, qui potior nunc es, mea fata1 timeto: uersatur celeri Fors leuis orbe rotae. |||

1

702

furta A : corr. Muretus uu. qui post 70, i.e. 71-76, traditi sunt post 6. 32 transpos. Scaliger, cf. CQ (1997) 501 sq. 2

154

Du aber, der du glücklich jetzt bist, o fürchte mein Schicksal! Flink ist des Zufalls Rad, dreht sich auch anders gar leicht. |||

155

70

VI Semper ut inducar blandos offers mihi uultus, post tamen es misero tristis et asper, Amor, quid tibi, saeue, rei1 mecum est? an gloria magna est insidias homini composuisse deum? nam2 mihi tenduntur casses: iam Delia furtim

5

nescio quem tacita callida nocte fouet. illa quidem iurata3 negat, sed credere durum est: sic etiam de me pernegat usque uiro. ipse miser docui, quo posset ludere pacto custodes: eheu4 nunc premor arte mea. fingere tunc5 didicit causas ut sola cubaret, cardine tunc tacito uertere posse fores, tunc sucos herbasque dedi quis liuor abiret quem facit impresso mutua dente uenus.

1

saeue, rei Postgate : seuicie A iam recc. 3 iurata Heyne : tam multa A 4 heu heu A : corr. Baehrens 5 nunc A : corr. recc. 2

156

10

B’: Der Deliazyklus Ein Gedichtpaar: Verzweiflung über Delias Untreue’’ VI Bietest mir immer dein Schmeichelgesicht, und ich lass mich verführen, Amor, und bist dann doch schmerzlich mir Armem und hart. Was nur willst denn du Wilder von mir? Bringt das etwa großen Ruhm einem Gotte, wenn er Sterblichen Stricke gelegt? Netze spannt man mir aus: schon hält meine Delia, die schlaue,

5

heimlich im Schweigen der Nacht, weiß nicht wen, zärtlich und warm. Freilich, sie leugnet’s und schwört, doch wird es mir schwer, ihr zu glauben; leugnet sie so ja auch wieder und wieder dem Mann. Lehrt doch ich Armer die Weise sie selbst, wie die Wachen sie trügen könnte: mich drückt, o weh! jetzt meine eigene Kunst. Gründe lernte sie damals sich finden, alleine zu schlafen, lehrte auch, wie einer Tür lautlos die Angel man dreht. Gab da Säfte ihr, Kräuter, das bläuliche Mal zu entfernen, wo sich Venus dem Paar eindrückt in wechselndem Biss.

157

10

at tu, fallacis coniunx incaute puellae,

15

me quoque seruato, peccet ut illa nihil, neu iuuenes celebret multo sermone caueto neue cubet laxo1 pectus aperta sinu, neu te decipiat nutu, digitoque liquorem ne trahat et mensae ducat in orbe notas.

20

exibit cum2 saepe, time, seu uisere dicet sacra Bonae maribus non adeunda Deae. | at mihi si credas, illam sequar unus ad aras: tunc mihi non oculis sit timuisse meis. saepe, uelut gemmas eius signumue3 probarem,

25

per causam memini me tetigisse manum. saepe mero somnum peperi tibi, at ipse bibebam sobria supposita pocula uictor aqua. non ego te laesi prudens; ignosce fatenti. iussit Amor: contra quis ferat arma deos?

30

ille ego sum, nec me iam dicere uera pudebit, instabat tota cui tua nocte canis. non frustra quidam iam nunc in limine perstat sedulus ac crebro prospicit ac refugit 1

lasso A : corr. recc. cum scripsi (quom iam Francken) : quam A 3 signumque A : corr. recc. 2

158

32 5.71

Du aber, unvorsichtger Gemahl eines listigen Mädchens,

15

hüte sie gut auch für mich, sündigen darf sie in nichts. Vorsicht, dass Jünglingen nicht mit loser Zunge sie schmeichelt, dass kein loses Gewand bloß lässt im Ruhn ihre Brust, nicht sie mit Winken dich täuscht, dass sie nicht ihren Finger durchs Nasse führen kann, und auf dem Tisch ziehen sich Zeichen im Kreis.

20

Oft wird sie ausgehn, dann ängstige dich, und sei’s sie behauptet, dass Bona Dea zum Dienst – Männern verboten – sie geh. | Doch wenn du mir sie vertraust, geh allein mit ihr zum Altar ich: für meine Augen, o nein! fürchten für die muss ich nicht. Habe, wohl weiß ich’s noch, oft so getan, als wollt ihres Ringes

25

Stein ich bewundern, und so auch ihre Hand dann berührt. Oft hab ich Schlaf dir im Weine gereicht, trank selbst als der Sieger Wasser nur, nüchtern war heimlich mein eigner Pokal. Habe dich nicht mit Vorsatz verletzt; verzeih dem Bekenner! Amor befahl es, und wer hübe die Hand gegen Gott.

30

Ich bin es, ach! ich schäme mich nicht mehr, die Wahrheit zu sagen, dem deine Hündin des Nachts drohte mit ihrem Gebell.

32

Schon steht einer – und ganz gewiss nicht umsonst – an der Schwelle, 5.71 wichtig hat er’s, und oft schaut er nach vom, tritt zurück.

159

et simulat transire domum, mox deinde recurrit solus et ante ipsas exscreat usque1 fores, nescio quid furtiuus amor parat, utere quaeso,

75

dum licet: in liquida nat2 tibi linter aqua,

76

quid tenera tibi coniuge opus? tua si bona nescis

6.33

seruare3, frustra clauis inest foribus. te tenet, absentes alios suspirat amores

35

et simulat subito condoluisse caput, at mihi seruandam credas: non saeua recuso uerbera, detrecto non ego uincla pedum, turn procul absitis, quisquis colit arte capillos, et fluit4 effuso cui toga laxa sinu:

40

quisquis et occurret, ne possit crimen habere, +stet procul ante, aut alia stet procul ante uia+.5 || sic fieri iubet ipse deus, sic magna sacerdos est mihi diuino uaticinata sono. haec, ubi Bellonae motu6 est agitata, nec acrem 1

ipse A : corr. recc. nam A : corr. recc. 3 seruare et recc. 4 effluit A : corr. recc. 5 locus desperatus; in interpretatione sensum e.g. reddidi 6 mota A : corr. recc. 2

160

45

Tut so, als ging er am Hause vorbei, doch bald kommt er wieder, steht allein vor der Tür, räuspert sich gar fort und fort. Irgendwas plant eine heimliche Liebe. O nütz, was sich bietet,

75

jetzt, wo du’s kannst, denn es schwimmt schwankend im Nassen dein Kahn. Was brauchst du eine Gattin so zart? Weißt nicht deine Güter

76 6. 32

sicher zu warn, vor der Tür hängt dann der Riegel umsonst. Dich hält im Arm sie und seufzt doch nach ferner, nach anderer Liebe;

35

sagt dann plötzlich, der Kopf schmerze ihr, hat sie auch nichts. Mir vertraue sie an: will nicht mich den grausamsten Hieben weigern, entziehe mich nicht, bindet man Fesseln dem Fuß. Fern bleibt alle, die ihr euer Haar so kunstreich euch pfleget, fließt euch mit hängendem Bausch lässig die Toga herab!

40

Wer ihr auch immer begegnet, auf dass kein Vorwurf ihn treffe, fern bleib er, ferne von ihr, trete ihr nur aus dem Weg! || So befiehlt der Gott selbst, soll es sein, so hat es der hohen Priesterin Mund mir gesagt, und es war göttlich sein Ton. Die bleibt ohn Furcht, so sie von Bellonas1 Erschüttern getrieben; 1

Bellona: ursprünglich eine römische Kriegsgötin, später mit der griechischen Enyo (weibliches Gegenstück des Ares) und der kleinasiatischen Erd- und Muttergöttin Ma identifiziert.

161

45

flammam, non amens1 uerbera torta timet: ipsa bipenne suos caedit uiolenta2 lacertos sanguineque effuso spargit inulta deam, statque latus praefixa ueru, stat saucia pectus, et canit euentus quos dea magna monet.

50

‘parcite quam custodit Amor uiolare puellam, ne pigeat magno post didicisse malo, attigerit, labentur opes, ut uulnere nostro sanguis, ut hic uentis diripiturque cinis.’ et tibi nescio quas dixit, mea Delia, poenas3:

55

si tarnen admittas, sit precor illa leuis. non ego te propter parco tibi, sed tua mater me mouet atque iras aurea uincit anus, haec mihi te adducit tenebris multoque timore coniungit nostras clam taciturna manus:

60

haec foribusque manet noctu me adfixa proculque cognoscit strepitus me ueniente pedum, uiue diu mihi, dulcis anus: proprios ego tecum, sit modo fas, annos contribuisse uelim. te semper natamque tuam te propter amabo: 1

amens recc. : et amans A uiolata A : corr. recc. 3 quam … poenam Baehrens 2

162

65

Flammenstich fürchtet sie nicht, auch keine Geißel gekraust. Schlachtet den Arm mit der Macht ihrer eigenen Doppelaxtschläge: Blut fließt, und es besprengt straffrei die Göttin der Strom. Und in der Seite den Spieß steht sie da, in der Brust eine Wunde, kündet, was kommt; die sie mahnt, groß ist die Gottheit in ihr:

50

„Hütet euch, tut keinem Mädchen Gewalt, das Amor behütet, dass es nicht später euch reut, lernt ihr’s, ach! bitter bestraft. Rühre es nur einer an, sein Gut wird zergehn gleich dem Blute aus unsrer Wunde, wie Wind Asche zerstreut hier und dort.“ Dir auch verkündete sie, meine Delia, Strafe, weiß nicht mehr

55

welche: so dennoch du fehlst, leicht soll sie, bete ich, sein. Deinetwegen, da schon ich dich nicht, allein deine Mutter mahnt mich, und mehr als mein Zorn gilt mir die Greisin von Gold. Führte sie doch mich im Finstern zu dir, und schweigend verband sie heimlich unsere Hand, war auch die Furcht noch so groß.

60

Harrte meiner des Nachts an die Türe geheftet, von ferne kannte sie mich, wenn ich kam, kannt mich am Ton meines Schritts. Lebe mir lang, meine Alte so lieb, meine eigenen Jahre, wär es erlaubt, ach! ich wollt gerne sie teilen mit dir. Will dich stets, um deinetwillen die Tochter auch lieben:

163

65

quidquid agit, sanguis est tamen illa tuus. || sit modo casta, doce, quamuis non uitta1 ligatos impediat crines nec stola longa pedes. at2 mihi sint durae leges, laudare nec ullam possim3 ego quin oculos appetat ilia meos;

70

et si quid peccasse putet, ducarque4 capillis immerito pronas proripiarque uias. non ego te pulsare uelim, sed, uenerit iste si furor, optarim non habuisse manus. nec5 saeuo sis casta metu, sed mente fideli:

75

mutuus absenti te mihi seruet amor. 6 at quae fida fuit nulli, post uicta senecta ducit inops tremula stamina torta manu firmaque conductis adnectit licia telis tractaque de niueo uellere ducta putat. hanc animo gaudente uident iuuenumque cateruae commemorant merito tot mala ferre senem: 1

uicta A : corr. recc. et A : corr. Kraffert 3 possum A : corr. recc. 4 putat ducorque A : corr. recc. 5 ne Par. 6 post hunc u. lacunam suspectus est Muretus 2

164

80

was sie auch tue, ihr Blut ist doch das Blut auch von dir. || Keusch sei sie nur, das lehre sie du, wiewohl kein Binde bändigt ihr Haar, kein Gewand windet sich lang um den Fuß.1 Und auch auf mir liege hart ein Gesetz: keine Frau kann ich preisen, ohne dass sie sich dafür an meinen Augen vergreift;

70

und so in Sünde sie mich auch nur glaubt, lass ich, bin ich auch schuldlos, mich vornüber am Haar ziehn, wo es Wege nur gibt. Schlagen, dich schlagen, nein! das will ich nicht, doch kommt einmal jener Wahnsinn mich an, meine Hand – wollte, ich hätt sie dann nicht. Nicht sollst du keusch sein aus Furcht und aus Schmerz, nur aus Treue des Herzens:

75

Liebe, von beiden geteilt, wahre dich mir, bin ich fern. Freilich, die keinem getreu war, zieht später mit zitternden Händen Fäden von Wolle zerzaust, arm und vom Alter besiegt; quer läuft der Faden, fest flicht sie ihn an ein gedungnes Gewebe, meint, sie zieht das Gekraus ab einem schneeweißen Vlies. Dann wird die Jünglingsschar sie betrachten mit Freude im Herzen, sagen: recht so, dass jetzt Unglück die Alte erträgt; 1

Delia ist hier nicht gekleidet wie eine anständige Dame der Gesellschaft, obwohl sie in 1. 2 verheiratet scheint; s. S. 28.

165

80

hanc Venus ex alto flentem sublimis Olympo spectat et infidis quam1 sit acerba monet. haec aliis maledicta cadant: nos, Delia, amoris exemplum cana simus uterque coma. |||

1

quod A : corr. recc.

166

85

dann wird auf bittere Tränen vom hohen Olymp herab Venus schauen und mahnen: „So hart bin ich, ist eine nicht treu.“ Solche Flüche solln andre befallen; ein Beispiel der Liebe, wollen wir, Delia, noch sein, wenn unser Haar schon ergraut. |||

167

85

VII Hunc cecinere diem Parcae fatalia nentes stamina, non ulli dissoluenda deo: hune fore, Aquitanas posset qui fundere gentes, quem tremeret forti milite uictus Atax. euenere: nouos pubes Romana triumphos

5

uidit et euinctos1 bracchia capta duces. at te uictrices lauros, Messalla, gerentem portabat nitidis currus eburnus equis. || non sine me est tibi partus honos: Tarbella2 Pyrene testis et Oceani litora Santonici, testis Atur Rhodanusque celer magnusque Garunna3, Carnutis4 et flaui caerula lympha Liger. an5 te, Cydne, canam, tacitis qui leniter undis caeruleus placidis per uada serpis aquis, 1

ui(n)ctos A : corr. recc. tua bella A : corr. Scaliger 3 gerunna (a super e scr.) Fr. : garuña A 4 carnutis Fr. : Carnoti A 5 at A : corr. recc. 2

168

10

D: Intermezzo VII Messallas Geburtstag Dies ist der Tag: so sangen die Parzen beim Spinnen der Fäden unsres Geschicks, und was sie knüpfen, das löset kein Gott: der soll es sein, der das Volk Aquitaniens1 zu Boden wird strecken, zittern vor ihm soll die Aude, vor seinem siegreichen Heer. So ist’s gekommen: Roms Jugend hat neue Triumphe gesehen:

5

Führer in Banden, es zwang ihnen die Fessel den Arm. Dich aber trugen – der Wagen von Elfenbein, du mit des Siegers Lorbeer, Messalla, im Haar – schimmernde Pferde dahin. || Nicht ohne mich hast du Ehre gewonnen: Tarbeller2 sind Zeugen vom Pyrenäengebirg, wie das Santonengestad. Zeuge sind Saône und die große Garonne und die eilige Rhone, blonden Carnutenvolks, bläuliche Woge, die Loire. Oder3 soll, Kydnos, von dir ich singen, der langsam im stillen Wellenblau durch das Tal fließt – und sein Wasser so mild! –

1

Der zweite von Tibull erwähnte Feldzug Messallas, nach Gallien; s. S. 62. Hier und im Folgenden warden gallische Stämme genannt. 3 Die Exkursion Messalas in den Osten, s. S. 13. 2

169

10

quantus et aetherio contingens uertice nubes

15

frigidus intonsos Taurus alat1 Cilicas? quid referam ut uolitet crebras intacta per urbes alba Palaestino sancta columba Syro, utque maris uastum prospectet turribus aequor prima ratem uentis credere docta Tyros,

20

qualis et, arentes cum findit Sirius agros, fertilis aestiua Nilus abundet aqua? Nile pater, quanam possim te dicere causa aut quibus in terris occuluisse caput? te propter nullos tellus tua postulat imbres, arida nec pluuio supplicat herba Ioui. | te canit atque suum pubes miratur Osirim barbara, Memphiten2 plangere docta bouem.

1 2

arat A : corr. recc. Memphitem A : corr. recc.

170

25

oder wie kalt seinen luftigen Gipfel in Wolken der Taurus

15

bergend Kilikier nährt, die sich nicht scheren das Haar? Künd ich, wie unbehelligt die heilige Taube der Syrer1 in Palästina sich dicht drängende Städte durchfliegt, wie auf den weiten Spiegel des Meeres mit Türmen hinaussieht Tyros, das erstmals dem Wind wusst zu vertrauen ein Schiff,

20

und wie der Nil, wenn der Hundsstern die trockenen Felder lässt brechen, fruchtbar Wasser im Glühn solch eines Sommers noch führt? Nil, was ist, Vater, der Grund, was soll ich sagen, warum du, wo du, in welchem Gefild uns deine Quellen verbirgst?2 Deinetwegen verlangt ja dein eigenes Land nicht nach Schaurn, fleht zu des Regengotts Macht nicht das vertrocknete Gras. | Dich singen jungen Barbaren, bewundern dabei den Osiris,3 sie, die um Memphis’ Stier4 trauernd sich schlagen die Brust.

1

Die Taube war der phönizischen Natur- und Fruchtbarkeitsgöttin heilig, die die Griechen Astarte nannten (babyl. Istar) und die als Hauptgöttin von Tyros galt. Ihr Kult war weit verbreitet; sie wurde insbesondere mit Aphrodite (Venus), in Ägypten jedoch auch mit Isis identifiziert. 2 Der Grand für die sommerliche Nilüberschwemmung sowie die Frage seiner Quellen waren der Antike ein vieldiskutiertes Thema. 3 Osiris: Bruder und Gemahl der Isis, galt als Erfinder vonZivilisation, Gesetzen und Landbau; mit verschiedenen griechisch-römischen Gottheiten, insbesondere Dionysos (Bacchus), identifiziert. 4 Apis, der heilige Stier, galt als Inkarnation des Osiris.

171

25

primus aratra manu sollerti fecit Osiris et teneram ferro sollicitauit humum,

30

primus inexpertae commisit semina terrae pomaque non notis legit ab arboribus. hic docuit teneram palis adiungere uitem, hic uiridem dura caedere falce comam: illi iucundos primum matura sapores

35

expressa incultis uua dedit pedibus. ille liquor docuit uoces inflectere cantu, mouit et ad certos nescia membra modos: Bacchus et agricolae magno confecta labore pectora tristitiae1 dissoluenda dedit:

40

Bacchus et adflictis requiem mortalibus adfert2, crura licet dura compede3 pulsa sonent. non tibi sunt tristes curae nec luctus, Osiri, sed chorus et cantus et leuis aptus amor, sed uarii flores et irons redimita corymbis4, fusa sed ad teneros lutea palla pedes et Tyriae uestes et dulcis5 tibia cantu 1

laetitiae Muretus affer Fr. 3 cuspide A : corr. recc. 4 corimbis Fr. : chorimbis A 5 dulci recc. 2

172

45

Erstmals hat Pflüge mit kundigen Händen Osiris geschaffen und hat den Boden noch weich aufgerührt mit seinem Stahl;

30

erstmals gab Samen er an die Krume, die’s nie noch erfahren, pflückte vom Baum eine Frucht, welche noch keinem bekannt. Er hat gelehrt, wie an Pfähle die zarte Rebe man bindet, grünlich strotzendes Laub hart mit der Sichel man mäht; ihm hat zuerst den wohlgen Geschmack ihrer Säfte die reife

35

Traube geschenkt, die der Takt bäurischer Füße gepresst. Dies war das Nass, das die Stimme im Sang sich zu biegen gelehrt hat, fest im Takt nach dem Maß unkundge Glieder bewegt. Bacchus schenkte dem Landmann ein Herz, das auch dann, wenn es müde von seinen Mühen, sich doch von seiner Traurigkeit löst;

40

Bacchus spendet den Sterblichen, sind sie in Elend, den Frieden, tönt auch von härtestem Schlag eherner Fesseln der Fuß. Du kennst Trauer und Sorgen, du kennst das Leid nicht, Osiris, nein! nur Tanz und Gesang, Liebe, so leicht und genehm, Blumenvielfalt allein, mit Efeu die Stirne umwunden, kennst nur des Rosengewands Fluss, das den Fuß dir umspielt, Kleider von Tyros und Flöten so süß an Gesang, eine Lade,1

1

Heilige Attribute eines Gottes, insbesondere des Bacchus, wurden bei Prozessionen in einem Korb oder einer Kiste getragen.

173

45

et leuis occultis conscia cista sacris. || huc ades et Genium ludis centumque choreis1 concelebra et multo tempora funde mero:

50

illius et nitido stillent unguenta capillo, et capite et collo mollia serta gerat, sic uenias hodierne: tibi dem2 turis honores, liba et Mopsopio dulcia melle3 feram. at tibi succrescat proles quae facta parentis

55

augeat et circa stet ueneranda senem. nec4 taceat monumenta uiae, quem5 Tuscula tellus candidaque6 antiquo detinet Alba Lare. namque opibus congesta tuis hic glarea dura sternitur, hic apta iungitur arte silex.

60

te canet7 agricola, 8 magna cum uenerit urbe

1

Genium ludis (iam recc.) centumque G.G. Ramsay : centum ludos geniumque A 2 deus, tibi Francken 3 mella A : corr. recc. 4 ne A : corr. recc. 5 que A : corr. recc. 6 candidaue L. Mueller 7 canit A : corr. recc. 8 add. Baehrens

174

die um das Heilge, das leicht in ihr geborgen ist, weiß. || Hierher komme und feiere auch du den Genius mit hundert Spielen und Reigen, mit Wein netze die Schläfen ihm reich!

50

Von seinen glänzenden Haaren soll Öle und Salbe ihm tropfen, und auf dem Nacken, dem Haupt trag er ein weiches Gebind. Genius, komm, dieses Tags; ich will mit Weihrauch dich ehren, Kuchen mit Honig gesüßt bring ich aus Attika her. Dir aber wachse heran eine Brut, die die Taten des Vaters

55

mehrt und mit Ehrfurcht man sieht, steht sie im Alter um dich. Von deinem Denkmal, dem Weg,1 sei nicht stumm, wer uralten Stammes Albas weißliche Stadt, Tusculums Erde bewohnt. Wird doch vom Gute, das dein, der harte Kiesel gesammelt, den man dort streut, wo mit Kunst schicklich den Felsstein man eint. Dich soll der Landmann besingen, kommt spät er nach Haus aus der großen

1

Messalla ließ auf eigene Kosten die sog. via Latina von Rom ins Albanergebirge und nach Tusculum (Villenort daselbst) wiederherstellen. Alba Longa, das heutige Castelgandolfo, wurde der Sage nach von Aeneas’ Sohn Ascanius gegründet und ist so Stammutter Roms. Lat. albus bedeutet „weiß“; allerdings ist der Name ,Alba Longa‘ nicht lateinischen Ursprungs.

175

60

serus, inoffensum rettuleritque pedem. at tu, Natalis multos celebrande per annos, candidior semper candidiorque ueni.

176

Stadt und lenkt heimwärts den Fuß, stolpert im Dunkel er nicht. Du aber, Tag der Geburt, sei gefeiert noch Jahre um Jahre, strahlender stets, o komm strahlender immer zurück. |||

177

VIII Non ego celari1 possum, quid nutus amantis quidue ferant miti lenia2 uerba sono. nec mihi sunt sortes nec conscia fibra deorum, praecinit euentus nec mihi cantus auis: ipsa Venus magico religatum bracchia nodo

5

perdocuit multis non sine uerberibus. | desine dissimulare: deus crudelius urit, quos uidet inuitos succubuisse sibi. quid tibi nunc molles prodest3 coluisse capillos saepeque4 mutatas disposuisse comas,

10

quid fuco splendente genas5 ornare, quid ungues artificis docta subsecuisse manu ? frustra iam uestes, frustra mutantur amictus ansaque compressos colligat arta pedes, illa placet, quamuis inculto uenerit ore 1

celare A : corr. recc. ferant … lenia V : ferat … leuia A 3 prodest molles Par. 4 sepe et Par. 5 comas A Par. : corr. recc. 2

178

15

C’: Der Marathonzyklus Gedichtpaar’: Ein Spröder in Liebesnot VIII Kann verbergen es nicht, was Winke von Liebenden sagen, was ein geflüstertes Wort zuträgt mit schmeichelndem Ton. Lose hab freilich ich keine, noch kündet den Willen der Götter mir eine Faser, kein Lied singt mir ein Vogel davon.1 Venus, die meine Arme mit Zauberknoten gebunden, hat’s mich gelehrt, und nie hat sie mit Hieben gespart. | Leugne nicht länger! Der Gott wird einen nur grausamer brennen, sieht er, dass er sich sträubt, sich seinem Dienste zu weihn. Wozu nützt es dir jetzt, die weichen Locken zu pflegen, dass du in andere Form kämmst immer neu dir das Haar?

10

Wozu mit glänzender Schminke die Wangen noch schmücken, die Nägel kunstvoll dir stutzen, wozu tut’s eine kundige Hand? Wechselst vergeblich dein Kleid, dein Gewand jetzt, vergeblich den Mantel, und eine Öse umschlingt Füße von Enge bedrängt. Jene gefällt, und kommt sie daher und pflegt nicht ihr Antlitz, 1

Die beiden wichtigsten Methoden der Zukunftsdeutung in Rom: Eingeweideschau und Vogelflug.

179

15

nec nitidum tarda compserit arte caput: | num te carminibus, num te pallentibus1 herbis deuouit tacito tempore noctis anus? cantus uicinis fruges traducit ab agris, cantus et iratae detinet anguis iter,

20

cantus et e curru Lunam deducere temptat, et faceret, si non aera repulsa sonent. quid queror heu misero carmen nocuisse, quid herbas? forma nihil magicis utitur auxiliis; sed corpus tetigisse nocet, sed longa dedisse

25

oscula, sed femori conseruisse femur. || nec tu difficilis puero tarnen esse memento: persequitur poenis tristia facta Venus, munera ne2 poscas: det munera canus amator, ut foueat molli frigida membra sinu. carior est auro iuuenis, cui leuia fulgent ora nec amplexus aspera barba terit. huic tu candentes umero suppone lacertos, et regum magnae despiciantur opes.

1 2

pollentibus recc. ne A : corr. recc.

180

30

kämmt sich ihr leuchtendes Haar nicht mit gemächlicher Kunst. | Haben vielleicht dich die Lieder, vielleicht auch die grünlichen Kräuter von einer Greisin verhext in einer schweigenden Nacht? Sänge ziehn Früchte vom Felde hinüber auf andere Felder, Sänge, die hemmen den Weg gar einer Schlange im Zorn,

20

Sänge versuchen den Mond auch herab vom Wagen zu ziehen, täten es, tönte nicht laut unter den Schlägen das Erz. Ach! was beklag ich mich denn, dass ein Lied, dass Kräuter dem Armen Not gebracht, Schönheit bedarf Hilfe von Zauber ja nicht. Nein! dass den Körper berührt, er lange Küsse gegeben,

25

dass er ihr Seite an Seit ruhte, das bringt ihm jetzt Not. || Du aber denke daran, nicht schwierig gib dich dem Knaben: mit ihrer Rache verfolgt Venus die Tat, die verletzt. Fordre nicht Gaben! Die gebe ein Liebender, sind seine Haare grau schon: Glieder die kalt, wärmt so ein zärtlicher Schoß. Teurer als Gold ist ein Jüngling, des Antlitz von Glätte der Wangen glänzt, wo kein struppiger Bart deine Liebkosungen sticht. Dem sollst unter die Schultern die weißlichen Arme du schieben, Schätze von Königen solln alle verächtlich dir sein.

181

30

at Venus inueniet1 puero concumbere furtim,

35

dum timet et teneros conserit2 usque sinus, et dare anhelanti pugnantibus umida linguis oscula et in collo figere dente notas. | non lapis hanc gemmaeque iuuant, quae frigore sola dormiat et nulli sit cupienda uiro.

40

heu sero reuocatur amor seroque iuuentas cum uetus infecit cana senecta caput, tum studium formae est: coma tum3 mutatur, ut annos dissimulet4 uiridi cortice tincta nucis: tollere5 tum6 cura est albos a stirpe capillos

45

et faciem dempta pelle referre nouam. | at tu dum primi floret tibi temporis aetas utere: non tardo labitur illa pede, neu7 Marathum torque: puero quae gloria uicto est ? in ueteres esto dura, puella, senes. parce precor tenero: non illi sontica8 causa est, 1

inuenit A : corr. recc. conserere Heyne 3 tum … tum] tum … tunc A : nunc … nunc Par. 4 dissimilet A 5 uellere Cornelissen 6 tunc A : nunc Par. 7 seu A : corr. recc. 8 sontica Fr. : sentita A 2

182

50

Venus wird Wege dir finden, geheim bei dem Knaben zu liegen,

35

während er ängslich mit dir eint seinen kindlichen Schoß: gibst deinen feuchten Kuss du ihm, keucht er beim Kampfe der Zungen: bohrst in den Nacken ihm dann mit deinen Zähnen ein Mal. | Steine und Gemmen, die freun eine nicht, die kalt und alleine schlafen muss und keinem Manne jetzt noch Begierde erregt.

40

Ach! zu spät ruft sie dann nach der Liebe, zu spät nach der Jugend, wenn das gealterte Haupt gräulich der Greisin sich färbt. Dann wird das Äußre gepflegt, das Haar wird verändert, mit Nussbaums grünlicher Rinde1 benetzt lässt es die Jahre nicht sehn. Sorgt sich darum, jede weißliche Strähne samt Wurzel zu ziehen,

45

schabt sich die Haut vom Gesicht, glaubt, es wird so wieder neu. | Du aber nütz sie, solang die Zeiten dir blühn, wo die Jungend frisch ist, sie gleitet dir fort, steht nicht mit säumigem Fuß. Quäle auch Marathus nicht! Welchen Ruhm bringt’s, Mädchen? Besiegst ja bloß einen Knaben. Sei dann hart, wenn ein Greis dich bedrängt!

50

Schone, ich bitt, seine Jugend, es gibt keinen Grund, dich zu ängstgen:

1

Zum Herstellen von Haarfärbemittel.

183

sed nimius luto1 corpora tingit amor, uel miser absenti maestas quam saepe querellas conicit et lacrimis omnia plena madent! || ‘quid me spernis?’ ait. ‘poterat custodia uinci:

55

ipse dedit cupidis fallere posse deus. nota uenus furtiua mihi est, ut lenis2 agatur spiritus, ut nec dent oscula rapta sonum; et possum media quamuis obrepere nocte et strepitu nullo clam reserare fores,

60

quid prosunt3 artes, miserum si spernit amantem et fugit ex ipso saeua puella toro? uel cum promittit, subito sed perfida fallit, est mihi nox multis euigilanda malis. dum mihi uenturam fingo, quodcumque mouetur,

65

illius credo tunc sonuisse pedes.’ | desistas lacrimare, puer: non frangitur illa, et tua iam fletu lumina fessa tument. oderunt, Pholoe, moneo, fastidia diui, nec prodest sanctis tura dedisse focis. 1

luteo A : corr. recc. leuis A 3 possunt A : corr. recc. 2

184

70

nur seine Liebe zu dir färbt seinen Körper so gelb. Nein! bist du fern, wie oft schreit zu dir sein verzweifeltes Klagen! Feucht ist alles, vom Nass bitterer Tränen getränkt. || Sagt: „Warum fliehst du mich? Ließ sich die Wache doch leicht überwinden:

55

Gott gab dem, der begehrt, selber das Können zum Trug, weiß recht wohl, wie man heimlich sich liebt, wie leise man atmet, und wie ohn einen Ton Küsse man andern entreißt; kann auch zu dir, und sei es zu spätester Stunde, mich schleichen, heimlich ohn allen Lärm kann ich entriegeln das Tor.

60

Ach! was nützt alle Kunst, verschmäht ihren elenden Liebsten grausam ein Mädchen und zieht gar sich vom Bette zurück, oder verspricht sie etwas und täuscht dann im Nu mich so treulos? Dann muss in Leiden die Nacht gar ich durchwachen und Schmerz. Wie ich mir, dass sie zu mir kommt, erträume: was immer sich reget –

65

glaub, ich höre den Klang von ihrem Fuß, der sich naht.“ | Lass es! Nicht weine mehr, Knabe: sie lässt sich nimmer erweichen, und deine Augen sind müd, sind auch von Tränen geschwellt. Sprödigkeit hassen die Götter, das sag ich dir, Pholoe, nutzlos bleibt aller Weihrauch, den du schenkst einem heiligen Herd.

185

70

hic Marathus quondam miseros ludebat amantes, nescius ultorem post caput esse deum; saepe etiam lacrimas fertur risisse dolentis et cupidum ficta detinuisse mora: nunc omnes odit fastus, nunc displicet illi quaecumque opposita est ianua dura sera, at te poena manet, ni desinis esse superba. quam cupies uotis hunc reuocare diem! |||

186

75

Marathus spottete selbst einem elend Liebenden einstens: sah nicht den Gott, der es rächt, der doch schon hinter ihm stand. Oft hab gar er, so heißt es, gelacht über Tränen des Schmerzes, Hemmnisse dacht er sich aus, hielt, die ihn liebten, so hin. Hasst es jetzt selber, wenn eine sich ziert, jetzt ist ihm zuwider jegliche Tür, ach! so hart, wenn sie ein Riegel versperrt. Auch für dich steht Strafe bereit, lässt du nicht deinen Hochmut. Beten wirst einst du: „O käm, ach! dieser Tag doch zurück!“ |||

187

75

IX Quid mihi, si fueras miseros laesurus amores, foedera per diuos, clam uiolanda, dabas? a miser, et si quis1 primo periuria celat, sera tamen tacitis Poena uenit pedibus. parcite, caelestes: aequum est impune licere

5

numina formosis laedere uestra semel. lucra petens habili tauros adiungit aratro et durum terrae rusticus urget opus, lucra petituras2 freta per parentia uentis ducunt instabiles sidera certa rates:

10

muneribus meus est captus puer, at deus illa in cinerem et liquidas munera uertat aquas. iam mihi persoluet poenas, puluisque decorem detrahet et uentis horrida facta coma; uretur facies, urentur sole capilli, deteret inualidos et uia longa pedes. |

1 2

est si quis Par. petituras Par. : -os A

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C’: Der Marathonzyklus Gedichtpaar’: Käufliche Liebe IX „Wolltst eines Elenden Liebe du bloß verwunden, was schwurst du noch bei den Göttern mir zu, was du dann heimlich verletzt? O du Böser, mag einer zunächst einen Meineid auch decken, spät, aber dennoch, sie naht; Rache – ohn Laut ist ihr Schritt. Schonung, ihr Himmlischen! Darf einer doch, der so schön ist, missachten,

5

einmal straffrei gewiss selbst eure göttliche Macht. Sucht man Gewinn doch, wenn Ochsen man schirrt vor die handliche Pflugschar, wenn ein Landmann dem Feld abringt, was hart man erwirbt, sucht ihn zu Schiff auch ohne Verlass: doch führen’s die Sterne sicher durch Fluten, die nur Wetter sich fügen und Wind.

10

Gaben sind’s, die den Knaben gewannen. Doch soll sie in Asche, soll sie in flüssiges Nass alle verwandeln ein Gott. Und seine Strafe kommt bald, wird der Straße Staub doch die Anmut stehlen, wühlt doch der Wind bald schon im struppigen Haar. Da wird das Antlitz verbrannt, von der Sonne verbrannt seine Locken, und der Weg, wird er lang, scheuert den Fuß ohne Kraft. |

189

15

admonui quotiens ‘auro ne pollue formam: saepe solent auro multa subesse mala, diuitiis1 captus si quis uiolauit amorem, asperaque est illi difficilisque Venus.

20

ure meum potius flamma caput et pete ferro corpus et intorto uerbere terga seca, nec2 tibi celandi spes3 sit peccare paranti: scit4 deus, occultos qui uetat5 esse dolos: ipse deus tacito permisit saepe6 ministro

25

ederet ut multo libera uerba mero, ipse deus somno domitos emittere uocem iussit et inuitos facta tegenda loqui.’ || haec ego dicebam: nunc me fleuisse loquentem, nunc pudet ad teneros procubuisse pedes. tunc mihi iurabas nullo te7 diuitis auri pondere, non gemmis, uendere uelle fidem,

1

diuitiis Par. : O uiciis A ne Par. 3 celandi spes Par. : celanti fas A 4 est Par. : sit A : corr. recc. 5 uetat Par. : uetet A 6 leue A : corr. Muretus, alii alia 7 tibi A : corr. recc. 2

190

30

Habe – wie oft! – ihn gemahnt: „Verdirb nicht um Gold deine Schönheit! Übel lagen schon oft unter dem Gold versteckt. Wenn, mit Schätzen gekauft, an der Liebe sich einer vergangen, unerbittlich und hart ist Venus’ Zorn dann mit ihm.

20

Eher soll Feuer versengen mein Haupt, soll der Stahl mich durchbohren; schneide mit kreisendem Hieb eher den Rücken mir wund! Hoff nicht, du könntst es verbergen, wenn du zu Verbrechen bereit bist: Gott weiß alles, und Trug will nicht verborgen er sehn. Selbst lässt oft er es zu, dass ein Diener, sonst noch so verschwiegen,

25

doch dann im Rausche des Weins plaudert, von dem, was er weiß. Selbst ließ Gott schon so manchen, vom Schlummer bezwungen, gar manches sagen, und wollt er’s auch nicht, was er zu bergen gesucht.“ || Also sprach ich, jetzt schäme ich mich, dass beim Reden ich weinte, schäme mich, dass ich ein Knie, das noch so jung ist, umschlang. Damals schwurst du, du wollest unmöglich, und wög dir mit reichstem Gold, mit Juwelen sie auf einer, verraten die Treu,

191

30

non tibi si pretium Campania terra daretur, non tibi si Bacchi cura Falernus ager. illis eriperes1 uerbis mihi sidera caeli

35

lucere et pronas2 fluminis esse uias. quin etiam flebas, at non ego fallere doctus tergebam umentes credulus usque genas. | quid facerem3, nisi et ipse fores in amore puellae? sit precor exemplo sit4 leuis illa tuo.

40

o quotiens, uerbis5 ne quisquam conscius esset, ipse comes multa lumina nocte tuli! saepe insperanti uenit tibi munere nostro et latuit clausas6 post adoperta fores, tum7 miser interii, stulte confisus8 amari9,

45

nam poteram ad laqueos cautior esse tuos. quin etiam attonita laudes tibi mente canebam,

1

eriperet A : corr. recc. puras A : corr. Heyne 3 facerem Cuiacianus : faciam A : faceres recc. 4 sit (in ras.) precor exemplo s; A : sit precor exemplo s; V : sit uel sed … sit recc. 5 uerbis suspectum : possis furtis 6 sed … clausos A : corr. recc. 7 o Fr., a L. Müller 8 confixus Fr. 9 amori recc. 2

192

nicht mal würde zum Lohn dir Kampaniens Erde gegeben, nicht, würd ein Feld dir mit Wein gar des Falerners vertraut. Ließt mich mit jenen Worten vergessen, dass Sterne am Himmel

35

leuchten, das Wasser des Stroms stets in die Ebene fließt. Ja, du weintest sogar, und ich – nie lernt ich zu trügen – glaubte und wischte noch treu Träne um Träne dir ab. | Was sollt ich tun? – Nein! wärst du nicht selbst auch verliebt in ein Mädchen – leichtfertig soll sie dir sein; nehm sich ein Beispiel an dir!

40

Habe – wie oft – dass keiner erführe, was ihr zu bereden, selbst dich begleitet, und Licht trug ich in finsterer Nacht. Gabst oft die Hoffnung schon auf, und sie kam, nur weil ich sie beschenkte, heimlich stand sie bedeckt hinter verschlossenem Tor. Starb fast, ich Elender, da und traute – wie dumm! – deiner Liebe, Könnt vor den Schlingen von dir ich doch behutsamer sein. Ja, und im Rausche des Herzens, da hab ich dein Lob noch gesungen,

193

45

at1 me nunc nostri Pieridumque pudet. illa uelim rapida Vulcanus carmina flamma torreat et liquida deleat amnis aqua. ||

50

tu procul hinc absis, cui formam uendere cura est2 et pretium plena grande referre manu. at te qui puerum donis corrumpere es ausus rideat adsiduis uxor inulta dolis, et cum furtiuo iuuenem lassauerit usu,

55

tecum interposita languida ueste cubet. semper sint externa tuo uestigia lecto et pateat cupidis semper aperta domus: nec lasciua soror dicatur plura bibisse pocula uel plures emeruisse uiros.

60

illam saepe ferunt conuiuia ducere baccho, dum rota Luciferi prouocet orta diem, illa nulla queat melius consumere noctem aut operum uarias disposuisse uices. || at tua perdidicit nec tu, stultissime, sentis, cum tibi non solita corpus ab arte mouet. tune putas illam pro te disponere crines 1 2

et A : at siue ut recc. sit procul a nobis formam cui uendere cura est Par.

194

65

und jetzt schäm ich mich gar für meine Musen und mich Soll doch die Flamme Vulkans, die alles verschlingt, jene Lieder dörren, es soll sie ein Strom löschen mit flüssigem Nass. ||

50

Halte fern dich von hier, der du sorgst, wie du Schönheit verkaufest, wie deine Hand mit dem Lohn, den du nach Haus bringst, sich füllt, Dich aber, der mit Geschenken gewagt, meinen Knaben zu stehlen, lache die Gattin mit List straffrei ohn Unterlass aus. Hat sie mit heimlichen Diensten bereits einen Jüngling ermattet,

55

schlaff soll sie dann neben dir liegen, dazwischen ein Kleid. Auf deinem Bett sollen Spuren von anderen immer sich finden: jedem, der sie begehrt, öffne sich willig dein Haus. Nicht mal es habe die unzüchtge Schwester von dir, soll es heißen, mehr getrunken und mehr Männer in Diensten verbraucht.

60

Die, so sagt man, lässt Bacchus des öftrn beim Tranke verweilen, bis ihr des Morgensterns Rad aufsteigt, das Tageslicht bringt. Der tut keine es gleich, geht’s drum, eine Nacht zu verleben, weiß alle Dienste zu tun, wie’s die Gelegenheit beut. || Freilich, die Deine hat trefflich gelernt; du Dummer verstehst’s nicht, wenn ihren Leib eine Kunst biegt, die du sonst nicht gewohnt. Glaubst du denn, dass sie für dich ihre Haare bald so und bald so steckt,

195

65

aut tenues denso pectere1 dente comas? ista2 persuadet facies, auroque lacertos uinciat et Tyrio prodeat apta sinu?

70

non tibi sed iuueni cuidam uult bella uideri, deuoueat pro quo remque domumque tuam. nec3 facit hoc uitio, sed corpora foeda podagra et senis amplexus culta puella fugit. huic4 tamen accubuit noster puer: hunc ego credam

75

cum trucibus uenerem iungere posse feris. | blanditiasne meas aliis tu uendere es ausus, tune aliis demens oscula ierre mea? tum flebis, cum me uinctum puer alter habebit et geret in regno regna superba tuo.

80

at tua tum5 me poena iuuet, Venerique merenti fixa notet casus aurea palma6 meos: HANC TIBI FALLACI RESOLVTVS AMORE TIBVLLVS DEDICAT ET GRATA SIS, DEA, MENTE ROGAT. |||

1

pectore A : corr. recc. suppl. Postgate 3 hec A : corr. recc. 4 hunc A : corr. recc. 5 dum A : corr. recc. 6 parma Scaliger 2

196

Locken so dünn mit des Kamms Zähnen so dicht überfährt? Ha! bringt denn so ein Gesicht sie dazu, dass sie Gold um den Arm sich windet, mit Tyros’ Gewand angetan putzig spaziert?

70

Dir nicht, nein! einem jüngeren Mann will hübsch sie erscheinen, wünscht zum Teufel für ihn dich, was du hast, und dein Haus. Und wer wird’s ihr verübeln, es flieht ja ein feineres Mädchen Körper von Krankheit entstellt, flieht, wenn ein Greis sie umfängt. Dennoch, bei so einem liegt mein Knabe; von dem könnt ich glauben,

75

dass er sich garstigem Wild liebend zu einen vermag. | Hast du’s gewagt zu verkaufen, was dir meine Liebe geflüstert, gabst du im Wahnsinn den Kuss andern, den ich mir verdient? Tränen wirst du vergießen, wenn einst mich ein anderer Knabe fesselt und stolz, wo einst du König warst, König wird sein. Und deine Strafe, die wird mich dann freuen; verdient hat sich’s Venus, dass eine Palme von Gold kündet,1 was mir widerfuhr: „Dies hat Tibull dir geweiht von untreuer Liebe entbunden, und dass dein Herz es ihm dankt, bittet er, Göttin, dich so.“ |||

1

Der Dichter hält seinen Dank an die Liebesgöttin auf einer Weihinschrift fest. Die Palme ist Symbol des Sieges.

197

80

X Quis fuit, horrendos primus qui protulit enses? quam ferus et uere ferreus ille fuit! tum1 caedes hominum generi, tum proelia nata, tum2 breuior dirae mortis aperta uia est. an nihil ille miser meruit3, nos ad mala nostra

5

uertimus, in saeuas quod dedit ille feras? | diuitis hoc uitium est auri, nec bella fuerunt, faginus astabat cum scyphus ante dapes4. non arces, non uallus erat, somnumque5 petebat securus uarias dux gregis inter oues.

10

tunc mihi, uita foret [uulgi]6 nec tristia nossem arma nec audissem corde micante tubam. nunc ad bella trahor, et iam quis forsitan hostis haesura in nostro tela gerit latere. | 1

tum Par. : tunc A tum A : et Par. 3 forsan et ille nichil meruit Par. 4 aptabat Par. | sciphus Fr. : (s)ciphus Par. : ciphus A : corr. recc. | dapes A : merum Par. 5 sompnosque Par. 6 Tunc mihi inserui et uulgi deleui: uulgi varie temptatum (Valgi Heyne) 2

198

A’: Abschlussgedicht Fort mit Waffen und Geld! X Wer hat solch einen Abscheu, die Schwerter, als erster erfunden? Was für ein Erzschurke, ach! der war wahrhaftig von Erz! Da war der Mord dem Menschengeschlecht, warn Schlachten geboren, da war ein kürzerer Pfad offen zu grausigem Tod. Oder hat gar nichts verbrochen der elende Tropf, haben wir nur

5

übel gebraucht, was er gab, wilden Getiers uns zu wehrn? | Einzig das Gold, das uns reich macht, ist schuld, es gab keine Kriege als noch ein Becher von Holz stand auf dem Tisch vor dem Mahl. Burgen keine, kein Wall, es legte zur Ruh sich der Herde Hüter bei Schafen gescheckt, ohn alle Sorgen und Furcht. Hätt ich nur damals gelebt, dann kännt ich die traurigen Waffen gar nicht, Trompetengetön hörte nicht zuckend mein Herz. Jetzt zieht zum Krieg man mich fort, und es mag wohl ein Feind schon in Händen halten die Waffe, die einst mir in die Seite sich bohrt. |

199

10

sed patrii seruate Lares: aluistis et idem,

15

cursarem uestros cum tener ante pedes, neu pudeat prisco uos esse e stipite factos: sic ueteris1 sedes incoluistis aui. tunc melius tenuere fidem, cum paupere cultu stabat in exigua ligneus aede deus.

20

hic placatus erat, seu quis libauerat uuam2 seu dederat sanctae spicea serta comae. atque aliquis uoti compos liba ipse3 ferebat postque comes purum filia parua fauum. | at nobis aerata, Lares, depellite tela,

254

…………………………………… rusticus e lucoque uehit, male sobrius ipse5,

51

uxorem plaustro progeniemque domum.

52

……………………………………. hostiaque e plena rustica porcus hara.

26

hanc pura cum ueste sequar myrtoque canistra uincta geram, myrto uinctus et ipse caput. || 1

ueteres A : corr. recc. uuam ex corr. V : uua A 3 ipsa A : corr. recc. 4 lacunam inter uu. 25 et 26 agn. recc.; plus quam duos uu. excidisse et uu. 51sq., loco in quo traditi sunt plane inepti, huc pertinere suspicor 5 e lutoque … ipso A : corr. recc. 2

200

Rettet mich, Laren der Väter, habt ihr doch seit je mich erzogen,

15

schon als ein Kind ich noch war, euch zu den Füßen gespielt. Schämt euch dessen auch nicht, dass von uraltem Stumpf ihr geschaffen: wart ja Ahnen von einst Zierde der Wohnstatt genug. Damals hielt man sich besser die Treu, als in dürftiger Halle wohnte, bescheiden geehrt, ärmlich ein hölzerner Gott.

20

Gnädig war er, so einer ihm nur eine Traube gespendet, so man ein Ährengebind wand in sein heiliges Haar. Hatte sich einem sein Beten erfüllt, trug selbst er den Kuchen, nach ihm die Tochter, die bringt einen von Honig dazu. | Aber treibt von uns fort die Geschosse von Bronze, ihr Laren , .......................................................................................... Da fährt der Landmann heraus aus dem Hain – ist auch nicht ganz nüchtern –, fährt auf dem Wagen die Frau und seine Kinder nach Haus. ................................................................................................... Hinter der will ich gehen im reinen Gewand und die Körbe Tragen, mit Myrthe bekränzt, myrthenbekränzt auch mein Haupt. ||

201

51 52

sic placeam uobis: alius sit fortis in armis, sternat et aduerso1 Marte fauente duces,

30

ut mihi potanti possit sua dicere facta miles et in mensa pingere castra mero. | quis furor est atram bellis accersere2 Mortem? imminet et tacito clam uenit illa pede, non seges est infra, non uinea culta, sed audax

35

Cerberus et Stygiae nauita turpis3 aquae: illic pertusisque4 genis ustoque capillo errat ad obscuros pallida turba lacus. | quin5 potius laudandus hic est quem prole parata occupat6 in parua pigra senecta casa!

40

ipse suas sectatur oues, at filius agnos, et calidam fesso comparat uxor aquam. sic ego sim, liceatque caput candescere canis temporis et prisci facta referre senem. | interea pax arua colat. pax candida primum 1

aduerso A : corr. recc. arcessere Par. 3 puppis A : pupis siue pauppis Par. : corr. recc. 4 percussisque A : perscissisque Par. : corr. Livineius 5 quam Par. 6 occulit Par. 2

202

45

So will ich euch gefallen; ein andrer sei tapfer in Waffen, strecke, so Mars ihm geneigt, nieder die Führer des Feinds:

30

mir mag gern ein Soldat, wie ich trinke, von all seinen Taten schwatzen, malt auf dem Tisch Lager sein Finger mit Wein. | Was für ein Wahnsinn, mit Kriegen den schwarzen Tod noch zu locken! Nah ist er stets, und er kommt heimlich, hörst nicht seinen Schritt. Drunten, da gibt’s keine Saaten, nicht Rebengelände, den frechen

35

Zerberus nur, und auf Styx’ Wassern den Schiffer so graus. Dort irrt umher eine Schar, die ist bleich, ihre Wangen zerfressen und ihre Haare versengt, um sie das Dunkel des Sees. | Ja, da lob ich mir den, der ein ruhiges Alter in kleinem Hause verbringt, machen ihn doch seine Nachkommen reich.

40

Selbst geht er hinter der Herde, und hinter den Lämmern sein Knabe; ist er müde, besorgt wärmendes Wasser die Frau. So soll mir’s gehn, und möge mein Haupt nur in Silber ergrauen, will von den Taten von einst künden, bin einst ich ein Greis. | Friede segne indessen die Fluren. Wo Frieden erstrahlte,

203

45

duxit araturos sub iuga curua1 boues: pax aluit uites et sucos condidit uuae, funderet ut nato testa paterna merum; pace bidens uomerque nitent2, at tristia duri militis in tenebris occupat arma situs. | sed ueneris tunc bella calent, scissosque capillos

50 53

femina, perfractas conqueriturque fores; flet teneras contusa3 genas: sed uictor et ipse

55

flet sibi dementes tam ualuisse manus. at lasciuus Amor rixae mala uerba ministrat, inter et iratum lentus utrumque sedet. | a lapis est ferrumque, suam quicumque puellam uerberat: e caelo deripit4 ille deos.

60

sit satis e membris tenuem rescindere5 uestem, sit satis ornatus dissoluisse comae, sit lacrimas mouisse satis: quater ille beatus quo tenera irato flere puella potest. | sed manibus qui saeuus erit, scutumque sudemque 1

65

panda Par. bidens uomerque nitet (siue uitet) Par. : uidens (nidens p.c.) uomer uiderit A, nitent Guyetus 3 subtusa A : corr. Allen : obtusa Scaliger; cf. Eikasmós 5 (1994) 267 4 diripit A : corr. recc. 5 perscindere A : corr. recc. 2

204

schirrte dem Bogen des Jochs Ochsen zur Arbeit man an. Friede, der nährte die Reben und reifte den Saft in der Traube, und aus dem Kruge des Ahns floss einem Sohne der Wein. Herrscht der Friede, so glänzt die Pflugschar, die Hacke; die trüben Waffen des Kriegers, die deckt Rost und ein finsterer Ort. |

50

Freilich, die Kriege der Liebe, die brennen, und dass ihre Haare

53

einer zerzaust, ihre Tür aufbricht, das klagt manche Frau; weint, trifft die zarten Wangen ein Stoß, und es weint auch der Sieger,

55

weint, dass im Wahn seine Hand stark war, so Schlimmes zu tun. Amor freilich, der lose, kennt Scheltworte stets, wo sich’s streitet, lässig sitzt er, wo zwei zürnen, dazwischen herum. | Der ist von Eisen, von Stein, wer sein Mädchen martert mit Hieben heiliger Götter Schar reißt er vom Himmel herab.

60

Ist’s nicht genug, ihr das dünne Gewand auf dem Leib zu zerschlitzen, nicht, wenn die Locken, die sie kunstreich sich legt, du zerzaust. Kommen ihr Tränen, ist das nicht genug? O vierfach ist selig einer, wenn ob seines Zorns zärtlich ein Mädchen noch weint. | Doch wer ein Wüterich ist mit der Hand, soll den Langschild und Spitzpfahl

205

65,

is gerat et miti sit procul a Venere. at nobis, Pax alma, ueni spicamque teneto, profluat1 et pomis candidus ante sinus ! |||

1

prefluat A : corr. recc.

206

tragen, und ferne sei dem Venus, denn die ist gar sanft. Aber zu uns komme gütig der Frieden, die Ähre in Händen schütt er aus strahlenden Schoß Ströme von Obst vor sich aus! |||

207

TIBULLI CARMINUM LIBER SECVNDVS

208

TIBULL : ELEGIEN. ZWEITES BUCH

209

I Quisquis adest, faueat1: fruges lustramus et agros, ritus ut a prisco traditus extat auo. Bacche, ueni, dulcisque tuis e cornibus uua pendeat, et spicis tempora cinge, Ceres, luce sacra requiescat humus, requiescat arator,

5

et graue suspenso uomere cesset opus ; soluite uincla iugis: nunc ad praesepia debent plena coronato stare boues capite.2 omnia sint3 operata deo: non audeat ulla lanificam pensis imposuisse manum.

10

uos quoque abesse procul iubeo: discedat ab aris, cui tulit hesterna gaudia nocte Venus, casta placent superis: pura cum ueste4 uenite et manibus puris sumite fontis aquam. cernite, fulgentes ut eat sacer agnus ad aras uinctaque post olea candida turba comas. | 1

ualeat A : corr. Scaliger pl- c- uertice stare boues Par. 3 sunt A Par. : corr. recc. 4 p- c- mente Par. 2

210

15

Einleitungsgedicht: Ländliches Fest I Still, wer immer sich naht! Wir weihen die Früchte und Fluren, so wie der Ahne von einst uns hat die Weise bestimmt. Bacchus, komm, und es soll von den Hörnern1 dir hängen die süße Traube, Ceres, auch du, schlinge dir Ähren ums Haupt! Ruhn soll im heiligen Lichte der Boden, es ruhe der Pflüger,

5

lasse die Pflugschar am Pflock: heute da weile die Müh. Löset die Bande vom Joch! Jetzt solln vor den Krippen die Rinder stehen: die Krippen gefüllt, jedes mit Kränzen geziert. All unser Tun sei dem Gott nur geweiht, und keine soll’s wagen, dass ihre Hand zum Garn greife und Wolle jetzt spinnt.

10

Euch auch sag ich: bleibt fern! Es trete hinweg vom Altare jeder, dem Liebesgenuss schenkte die gestrige Nacht. Keuschheit lieben die Himmlischen ja, mit reinem Gewände kommt und mit Händen, die rein, schöpft aus der Quelle das Nass! Seht nur das heilige Lamm, wie es geht zum Altar, wie er glänzet; hellgekleidet die Schar, Blätter des Ölbaums im Haar. | 1

Bacchus (Dionysos) wurde ab der hellenistischen Zeit häufig mit Hörnern, Symbolen der Männlichkeit und Fruchtbarkeit dargestellt.

211

15

di patrii, purgamus agros, purgamus agrestes: uos mala de nostris pellite limitibus, neu seges eludat messem. fallacibus herbis, neu timeat celeres tardior agna lupos.

20

tunc nitidus plenis confisus rusticus areis1 ingeret ardenti grandia ligna2 foco, turbaque uernarum, saturi3 bona signa coloni, ludet et ex uirgis extruet ante4 casas, euentura precor: uiden ut felicibus extis

25

signified placidos nuntia fibra deos? nunc mihi fumosos ueteris proferte Falernos consulis et Chio soluite uincla cado. uina diem celebrent, non5 festa luce madere est rubor, errantes et male ferre pedes. | sed ‘bene Messallam’ sua quisque ad pocula dicat, nomen et absentis singula uerba sonent. gentis Aquitanae celeber Messalla triumphis et magna intonsis gloria uictor auis,

1

agris A : corr. Scaliger, cf. Eikasmós 5 (1994) 267 ligna ex lingua corr. A 3 satiri A : corr. recc. 4 arte recc. 5 celebrant nec Par. 2

212

30

Vatergötter, wir reingen das Land, wir reingen den Landmann: von unsem Schwellen vertreibt jegliches Übel nun ihr! Nicht soll die Saat um die Ernte durch tückisches Unkraut uns trügen, fürchten die Trägheit des Lamms nicht den geschwinderen Wolf.

20

Dann lege reinlich der Bauer – er traut auf gesegnete Scheuern – reichliche Stücke von Holz sich auf das Feuer des Herds: rings soll der Dienstburschen Schar – so zeigt sich das Wohl eines Hofes – spielen, errichte davor Häuschen aus Rutengeflecht. Sieh! mein Gebet wird erfüllt; es verheißen Glück die Gedärme,1

25

und jede Faser zeigt an, kündet, dass gnädig der Gott. Holt aus dem Fasse mir jetzt den rauchgen Falerner des alten Konsuls, bindet den Schlauch chiischen Weines mir auf! Rebensaft feire den Tag: zu erröten im Licht eines Festtags brauchst du nicht, tränkt dich der Wein, trägt dich nicht sicher dein Schritt. | Doch „Messalla zum Wohl“, das rufe beim Kreisen der Becher jeder, und sei er auch fern, ihn nenne jeder, der trinkt. Du, der Triumphe im Feld Aquitaniens gefeiert,2 Messalla, siegtest den Ahnen zum Ruhm, die sich nicht schoren das Haar,3 1

S. oben S. 1 Anm. 1. S. oben S. 62. 3 Glatte Rasur kam in Rom erst um 300 v. Chr. in Mode. Cicero lehnt sie ab. 2

213

30

huc ades aspiraque mihi, dum carmine nostro

35

redditur agricolis gratia caelitibus1. || rura cano2 rurisque deos, his uita magistris desueuit querna pellere glande3 famem: illi compositis primum docuere tigillis exiguam uiridi fronde operire domum;

40

illi etiam tauros primi docuisse feruntur seruitium et plaustro supposuisse4 rotam. tum5 uictus abiere feri, tunc insita6 pomus, tum bibit inriguas fertilis hortus aquas, aurea7 tum pressos pedibus dedit uua liquores mixtaque securo est sobria lympha mero, rura ferunt messes, calidi cum sideris aestu deponit flauas annua terra comas, rure leuis uerno flores apis ingerit8 alueo,

1

celicibus A : corr. recc. r- colo siue colis Par. 3 glande Par. : grande A 4 supposuisse Par. V : suppotuisse A 5 tum ter Par. : tunc ter A 6 consita A : corr. recc., cf. ibidem 265f. 7 aurea Par. : antea A 8 ingerit Par. : ingerat A 2

214

45

komm und schenk mir den Hauch deines Atems, solang unser Lied hier

35

danket dem himmlischen Volk, welches der Bauersmann ehrt. || Singe von Land, von den Göttern des Landes: entwöhnt hat das Leben ihre Lehre des Brauchs, Hunger mit Eicheln zu stilln: Jene wiesen zuerst, wie man Balken mit Balken verbindet, wie man mit grünendem Laub deckt ein bescheidenes Haus;

40

jene, so heißt es, haben als erste den Stieren gewiesen, Menschen zu dienen, ein Rad unter den Wagen gefügt. Da ging ein wilderes Leben zuende, da blühte der Obstbau, Gartenland früchtebesät trank von bewässerndem Nass, goldene Trauben beschenkten mit Saft den Fuß, der sie presste, Wein, der die Sorgen verbannt, mischte sich nüchternem Quell. Ernten bringt uns das Land, wenn im Brennen des glühenden Sternes jährlich die Erde sich trennt von ihrem güldenen Haar. Frühling zieht über’s Land, in den Stock trägt Blüten die Biene,1

1

Über die Produktion von Honig liefen in der Antike verschiedene Theorien um. Dass Bienen tatsächlich Blüten tragen, ist eine etwa in den Schriften des Aristoteles belegte Ansicht.

215

45

compleat ut1 dulci sedula melle fauos.

50

agricola adsiduo primum satiatus aratro cantauit certo rustica uerba pede et satur arenti primum est modulatus auena carmen, ut ornatos diceret2 ante deos, agricola et minio suffusus, Bacche, rubenti

55

primus inexperta duxit ab arte choros, hinc3 datus a pleno memorabile munus ouili dux pecoris hirtus auxerat hircus opes4, rure puer uerno primum de flore coronam fecit et antiquis imposuit Laribus.

60

rure etiam teneris curam exhibitura puellis molle gerit tergo lucida uellus ouis. hinc et femineus labor est, hinc pensa colusque, fusus et adposito pollice uersat opus. atque aliqua adsiduae textrix operata mineruae5

1

65

ut Par. : et A duceret A : corr. recc. 3 huic A : corr. Graef. 4 locus desperatus: hirtus au- hircus haesitanter scripsi : yrcus hauxerat (auxerat m2) hyrcus oues A; curtas siue paruas siue parcas opes iam Waardenburg, alii 5 assidue … mineruam A : corr. recc. 2

216

füllet das Wabengeflecht eifrig mit süßestem Seim.

50

Da sang zum ersten Male der Landmann: des ständigen Pflügens satt war er, bäurisch sein Wort, fest und beständig das Maß. Hatte er satt sich gegessen, blies erstmals er sich auf dürrem Rohre ein Lied: seinem Gott tönt es, den fromm er geziert. Auch hat der Landmann, Bacchus, beschmiert mit dem Rot des Zinnobers

55

erstmals den Reigen geführt, fehlte auch Übung und Kunst. Da war zu würdigem Lohn aus reicher Hürde der Herde struppiger Führer geschenkt, hat seine Güter gemehrt.1 Frühling zog über’s Land, und ein Knabe hat erstmals aus Blumen Kränze gesteckt, sie aufs Haupt Laren der Ahnen gesetzt.

60

Auch geschieht’s auf dem Lande, dass lieblichen Mädchen zur Sorge abstreift das Schaf, was an Fell weich auf dem Rücken ihm glänzt. Daher die Arbeit der Fraun, von dort gibt’s Wolle und Rocken, dreht sich die Spindel, das Werk läuft, wo der Daumen sie drückt; und eine Weberin singt in Minervas Geschäfte versunken,

1

Die Passage spielt auf die Entstehung der Tragödie an. Das griechische Wort tragodia bedeutet „Bocksgesang“; daran knöpften sich verschiedene Erklärungen der Entstehung der Tragödie. Tibull nimmt auf diejenige Theorie Bezug, die das Wort damit erklärt, daß ein Bock der Preis für einen Sänger in einem Wettkampf war.

217

65

cantat, et appulso1 tela sonat latere. || ipse quoque inter agros2 interque armenta Cupido natus et indomitas dicitur inter equas. illic indocto primum se exercuit arcu: ei mihi, quam doctas nunc habet ille manus!

70

nec pecudes, uelut ante, petit: fixisse puellas gestit et audaces perdomuisse uiros. hic iuueni detraxit opes3, hic dicere iussit limen ad iratae uerba pudenda senem: hoc duce custodes furtim transgressa iacentes

75

ad iuuenem tenebris sola puella uenit et pedibus praetemptat iter suspensa timore, explorat caecas cui manus ante uias. a miseri, quos hic grauiter deus urget! at ille felix, cui placidus leniter adflat Amor. | sancte, ueni dapibus festis, sed pone sagittas et procul ardentes hinc precor abde faces, uos celebrem cantate deum pecorique uocate

1

a pulso Muretus agros A : greges V : apros Klotz, ipse interque agnos Otto 3 opus A : corr. recc. 2

218

80

singt, und unter dem Stoß klingt auch der Faden dazu.1 || Auch Cupido ist unter den Herden, auf Fluren geboren, Stuten, die noch nicht gezähmt, sagt man, warn auch mit dabei. Dort versuchte zuerst er, noch wenig geschickt, den Bogen zu spannen: Weh mir! wie ist doch die Hand, die ihm jetzt eigen, geschickt!

70

Jetzt zielt er nicht wie einst nur auf Vieh, nein! Mädchen zu treffen, Männer, verwegen und kühn, zahm machen, das ist sein Ziel. Nimmt dem Jüngling, was er besitzt, den Greis lässt er Worte, die er bereut, an der Schwell sagen, so eine ihm zürnt. Ist ihr Führer, geht einsam ein Mädchen an Wächtern im Schlafe

75

heimlich im Dunkeln vorbei, kommt zum Geliebten sie so, sucht sie in Hangen und Bangen, den Weg mit dem Fuß sich zu bahnen, wo sie zuvor mit der Hand blind sich ertastet den Gang. Ach! wie arm, wen schwer dieser Gott bedrängt! Aber glücklich, glücklich ist einer, wenn hold Amor ihn anhaucht und mild. | Heiliger, komm, bereit ist dein Mahl, doch die Pfeile leg nieder! Darum auch bitt ich dich heut, birg deinen Scheit, der uns brennt! Preist ihn, ein Lied stimme an für den Gott eure Stimme, und ruft ihn 1

Die vertikalen Fäden des Webstuhls wurden durch Tongewichte straff gehalten; beim Stoß des Weberschiffschens an den Rahmen schlugen sie zusammen.

219

80

uoce: palam pecori, clam sibi quisque uocet. aut etiam sibi quisque palam, nam rurba iocosa

85

obstrepit et Phrygio tibia curua sono. | ludite: iam Nox iungit equos, currumque sequuntur matris lasciuo sidera fulua choro1, postque uenit2 tacitus furuis3 circumdatus alis Somnus et incerto Somnia nigra pede. |||

1

thoro A : corr. recc. p- u- A : accedit Par. 3 fuluis A Par. : corr. recc. 2

220

90

an für das Vieh: für das Vieh laut, jeder heimlich für sich! Oder ein jeder auch laut für sich selbst, denn die scherzende Menge

85

lässt es nicht hörn, wo der Hall phrygischer Flöten ertönt. | Freut euch am Spiel, schon einet die Nacht ihre Pferde, der Mutter Wagen folgt glänzend ein Chor, Sterne dem Übermut hold. Von seinen finsteren Schwingen umfangen kommt später in Schweigen Schlaf und mit schwankendem Schritt Träume, in Dunkel gehüllt. |||

221

90

II Dicamus bona uerba: uenit Natalis ad aras: quisquis ades, lingua, uir mulierque, faue ! urantur pia tura focis, urantur odores quos tener e terra diuite mittit Arabs, ipse suos adsit Genius1 uisurus honores,

5

cui decorent sanctas mollia serta comas, illius puro destillent2 tempora nardo, atque satur libo sit madeatque mero, adnuat et, Cornute, tibi, quodcumque rogabis. en age (quid cessas? adnuit ille) roga. augurar, uxoris fidos optabis amores: iam reor hoc ipsos edidicisse deos, nec tibi malueris3, totum quaecumque per orbem fortis arat ualido rusticus arua boue,

1

g- adsit A : corr. recc. distillent A : corr. recc. 3 Ne (te) tibi quaesieris Par. 2

222

10

Intermezzo: Cornutus’ Geburtstag II Segensworte wollen wir sagen; es tritt des Geburtstags Gott zum Altar, Mann und Frau, wer sich auch naht, schweige still! Brennen soll Weihrauch, der Göttern gefällt, und Düfte solln brennen, die uns der Araber schickt üppig aus Landen gar reich. Selbst soll der Genius sich nahn und beschauen, was ihm wir bereiten: 5 ehren mit weichen Gebinds Zierde sein heiliges Haar. Von seinen Schläfen soll tropfen die reine Feuchte der Narde, satt soll von Kuchen er sein, reichlich benässt auch von Wein. Möge, Cornutus,1 was immer du bittest, sein Nicken, verheißen. Auf denn! was zögerst du noch? Nickt er doch, bitte, nur zu! || Ahn es schon, wirst Liebe und Treu einer Gattin dir wünschen: glaub, selbst den Göttern ist das über und über bekannt. Willst wohl nichts auf der Welt, was an Fluren ein wackerer Landmann immer mit kräftigem Stier pflügen mag, lieber für dich, 1

Freund des Tibull, an dessen realer Existenz wohl kaum zu zweifeln ist, über dessen Identität jedoch nichts Sichers auszumachen ist; ein Marcus Cornutus wird zusammen mit Messalla in einer Inschrift des Jahres 21/20 v. Chr. erwähnt.

223

10

nec tibi, gemmarum quidquid felicibus Indis1

15

nascitur, Eoi qua maris unda rubet. uota cadunt: uiden ut2 strepitantibus aduolet alis flauaque coniugio uincula portet Amor, uincula quae3 maneant semper dum tarda senectus inducat rugas inficiatque comas. [haec ueniat, Natalis, auis prolemque ministret, ludat et ante tuos turba nouella pedes.]4

1

indis Par. : undis A utinam A : corr. recc. 3 uinculaq; (et ab altera manu sscr.) A : uincula que et V 4 deleui 2

224

20

nicht alle Perlen, wie sie den glücklich gesegneten Indern,

15

wie sie gedeihn, wo sich rot färben des Morgenlands Welln. Schau! es sinkt das Gebet von den Lippen: da! rauschender Schwingen Amor, eile und bring goldene Bänder dem Paar! Bande, die niemals sollen vergehen, bis langsam das Alter faltig sich eindrückt der Haut, schleicht in die Farbe des Haars. |||

225

20

III Rura meam, Cornute, tenent uillaeque puellam: ferreus est, eheu1, quisquis in urbe manet. ipsa Venus laetos2 iam nunc migrauit in agros, uerbaque aratoris rustica discit Amor, o ego, dum3 aspicerem dominam, quam fortiter illic

5

uersarem ualido pingue bidente solum agricolaeque modo curuum sectarer aratrum, dum subigunt steriles arua serenda boues! nec quererer quod sol graciles exureret artus, laederet et teneras pussula4 rupta manus. ||

10

pauit et Admeti5 tauros formosus Apollo, nec cithara intonsae profueruntue comae, nec potuit curas sanare salubribus herbis: quidquid erat medicae uicerat artis amor. 1

heu heu A : corr. recc. latos A : laetos recc. 3 cum A : corr. Heyne 4 pussula Fr. : pustula A 5 armenti A : corr. recc. 2

226

14

Gedichtpaar: Die Geliebte auf dem Land’ III Auf dem Land ist mein Mädchen, Cornutus,1 im Landhaus, da wohnt sie; ach! von Stahl muss er sein, der in der Stadt bleiben kann. Venus selbst ist jetzt fort auf die freudigen Felder gezogen, und wie ein Bauer vorm Pflug redet bald Amor, der Gott. Ach! und ich – könnt ich nur sehen die Herrin, wie wacker gewendet

5

wärn mit der Hacke von mir Schollen für künftige Frucht. Ginge nach Landmanns Art einher hinterm Pfluge gebogen, während die Ochsen entmannt lockern den Saaten die Flur! Klagte auch nicht, dass die Sonn mir die zarten Glieder versenget, dass eine Blase geplatzt scheuert die weichliche Hand. ||

10

Hat doch Apoll auch, der schöne, Admet seine Stiere geweidet, nichts hat die Leier genützt, nichts, dass sein Haar nicht geschorn. Konnte den Schmerz mit allen Kräutern, die heilen, nicht stillen: was auch die Heilkunst vermocht, gegen die Liebe half nichts.

1

S. vorige Anm.

227

14

ipse deus solitus stabulis expeliere uaccas

14a

14b

et miscere nouo docuisse coagula lacte,

14c1

lacteus et mixtis2 obriguisse liquor.

14d

tunc fiscella leui detexta est uimine iunci,

15

raraque per nexus est uia facta sero. o quotiens illo uitulum gestante per agros dicitur occurrens erubuisse soror! o quotiens ausae, caneret dum ualle sub alta, rumpere mugitu carmina docta boues!

20

saepe duces trepidis petiere oracula rebus, uenit et a templis inrita turba domum; saepe horrere sacros doluit Latona capillos, quos admirata est ipsa nouerca prius. quisquis inornatumque caput crinesque solutos aspiceret, Phoebi quaereret ille comam. Delos ubi nunc, Phoebe, tua est, ubi Delphica Pytho3? nempe Amor in parua te iubet esse casa. | felices olim, Veneri cum fertur aperte

1

14a et 14c sine intervallo A mixtus A : corr. recc. 3 phito A : corr. recc. 2

228

25

Selbst war der Gott es gewohnt, aus den Ställen die Kühe zu treiben,

14a 14b

und sie zu lehren, das Lab mit der Milch, die noch frisch ist, zu mengen, und wie, sind sie gemengt, fest wird das milchige Nass.

14c 14d

Dann wurd das Körbchen geflochten von leichten Ruten des Rohres: 15 schmal für die Molke der Weg, wo durch die Poren sie troff. Ach! wie so oft ist die Schwester doch, traf sie ihn, sah ihn ein Kälbchen tragen über das Feld, rot da geworden, so heißt’s! Ach! wie störte oft, sang er ein Lied auf dem Grund eines Tales, Ochsengebrüll seinen Sang, war er auch noch so gelehrt!

20

Oft haben Führer in schwanken Geschicken Orakel erbeten, und gingen ohne ein Wort aus seinem Tempel nach Haus. Oft war Latona betrübt, wie struppig die heiligen Locken jetzt geworden, die einst selbst seine Stiefmutter pries. Hätt einer da auf das Haupt ohne Schmuck, auf die wallenden Strähnen hingeblickt, hätt er gefragt: ist das von Phoebus das Haar? Wo ist, Phoebus, dein Delos jetzt, wo die delphische Pythia? In einer Hütte, sieh an! wohnst du auf Amors Geheiß. | O wie so glücklich die Zeit, wo der Liebe noch offen konnt dienen

229

25

seruire aeternos non puduisse deos.

30

fabula nunc ille est: sed cui sua cura puella est, fabula sit mauult quam sine amore deus. || [at tu, quisquis is es1, cui tristi fronte Cupido imperat ut nostra sint tua castra domo]2 ferrea non uenerem sed praedam saecula laudant:

35

praeda tamen multis est operata3 malis. praeda feras acies cinxit discordibus armis: hinc cruor, hinc caedes mors propiorque4 uenit. praeda uago iussit geminare pericula ponto, bellica cum dubiis rostra dedit ratibus5. praedator cupit immensos obsidere campos,6 ut7 multa innumera iugera pascat oue: cui lapis externus curae est, urbisque tumultu8 portatur ualidis mille columna iugis,

1

est A : corr. recc. deleui; post 34 lac. stat. Lachmann 3 est adoperta Par. 4 morsque propinqua Par. 5 cum tribuit dubie bellica rostra rati Par. 6 obsidere Par. : obsistere A 7 ut Par. : et A 8 tumulti A : corr. recc. 2

230

40

selbst ein ewiger Gott ganz ohne Schande und Scheu.

30

Heute, da klatscht man bloß über so einen, doch wer sein Mädchen liebhat, ist lieber ein Klatsch als ohne Liebe ein Gott. ||

32

Eherne Zeiten nur preisen die Liebe nicht, preisen die Beute,

35

Beute freilich gewinnst nur du mit Übeln ohn Zahl. Beute, für die ist der Preis, in der Schlachreihe stehn, wenn die Waffen streiten: Mord kommt und Blut, Tod bringt sie, jagst du nach ihr. Beute, die hieß die Gefahr auf des Meeres Wogen verdoppeln, als sie dem schwankenden Kahn Schnäbel zu Seekämpfen gab. Sucht einer Beute, will Land er, so viel er nur kann, sich gewinnen, um über Morgen ohn Zahl Schafe zur Weide zu führn. Der hängt sein Herz an Steine von fern, und Kräfte von tausend Jochen, die tragen mit Müh Säulen durchs Lärmen der Stadt.

231

40

claudit1 et indomitum moles mare, lentus ut intra

45

neglegat hibernas piscis adesse minas. at mihi2 laeta trahant Samiae conuiuia testae fictaque Cumana lubrica terra rota. | eheu3 diuitibus uideo gaudere puellas: iam ueniant praedae, si Venus optat opes:

50

ut mea luxuria Nemesis fluat utque per urbem incedat donis conspicienda meis. illa gerat4 uestes tenues, quas femina Coa texuit, auratas disposuitque uias: illi sint comites fusci, quos India torret

55

Solis et admotis inficit ignis equis, illi selectos certent praebere colores Africa puniceum purpureumque Tyros; nota loquor5: regnum ille6 tenet, que7 saepe coegit barbara gypsatos8 ferre catasta pedes. ||

1

claudat Par. mihi Par. : tibi A 3 heu heu A : corr. Baehrens 4 gerit A : corr. recc. 5 liquor A : corr. recc. 6 ipse A : corr. Guyetus 7 que A : corr. recc. 8 gipsatos Fr. : bipsatos A 2

232

60

Deiche schließen das Meer, das noch keiner gezähmt, damit drinnen

45

träge den Fisch es nicht schert, steht ihm der Winter ins Haus.1 Mir freilich möge von Samos ein Krügchen begleiten des Festmahls Freuden und Schlamm, den ein Rad drunten in Cuma geformt. | Weh, o wehe! ich seh’s, an Schätzen erfreun sich die Mädchen; Beute muss winken sogleich, wünscht sich die Liebe Besitz.

50

So lebt in Saus und in Braus meine Nemesis, und sie spazieret herrlich zu schaun durch die Stadt, hat sie doch Gaben von mir; trägt auch die dünnen Gewänder am Leib, wie auf Kos sie die Frauen spinnen und Strähnen von Gold kunstfertig weben darein. Hat gar Begleiter mit schwärzlichem Teint, wie sie Indien röstet:

55

braun macht das Feuer der Sonn, sind doch die Pferde so nah. Land um Land um die Wette will schenken erlesene Farben: Afrika punisches Rot, Tyros den purpurnen Ton. Weiß es auch jeder, ich sag’s: ihr König ist einer, den zwang man oft aufs Barbarengerüst, legte in Gips seinen Fuß. ||

1

Private Meeresaquarien.

233

60

at tibi dira1 seges, Nemesim2 qui abducis ab urbe, persoluat nulla semina terra fide; et tu, Bacche tener, iucundae consitor uuae, tu quoque deuotos, Bacche, relinque lacus. haud impune licet formosas tristibus agris

65

abdere: non tanti sunt tua musta, pater. | o ualeant fruges, ne sint modo rure puellae: glans alat et prisco more bibantur aquae,3 glans aluit ueteres, et passim semper amarunt: quid nocuit sulcos non habuisse satos ?

70

tunc, quibus aspirabat Amor, praebebat aperte mitis in umbrosa gaudia ualle Venus, nullus erat custos, nulla exclusura dolentes ianua: si fas est, mos precor ille redi.

75

horrida uillosa corpora ueste tegant.4 nunc si clausa mea est, si copia rara uidendi, heu miserum, laxam quid iuuat5 esse togam?

1

dura A : corr. Della Corte; tibi, dura seges, quae (iam recc.) etc. Postgate ne mesis qui A : corr. recc. 3 u. add. alia manus in A 4 uu. 74 et 76 nullo intervallo A 5 iuuat V : iuuet A 2

234

Schlecht freilich soll deine Saat dir gedeihn, der du Nemesis wegführst fort aus der Stadt, und die Treu halt deine Erde dir nicht. Und du, Bacchus, verzärtelter, der uns die Traube gepflanzt hat, Bacchus, lass farn deinen Trog, ist doch das Nass drin verflucht. Straflos darf man ja nicht auf traurigen Feldern die Schönen

65

bergen: o Vater, dein Most, so viel ist der doch nicht wert. | Lebt denn wohl, ihr Früchte, nur sei’n auf dem Land nicht die Mädchen: Eichel sei Speise und Trank Wasser, wie einstens es war. Eicheln nährten die Menschen von einst; stets trieben sie Liebe: was hat’s geschadet – wie gern missten sie Furchen und Saat!

70

Wehte da Amors Atem dir zu, gab Venus die Gnade, offen in schattigem Tal dich ihren Freuden zu weihn. Wächter gab’s keine, es gab keine Türen, und keiner litt Schmerzen, vor einem Schloss: ist es recht, der Brauch, der kehre zurück.

trage mein struppiger Leib dann nur ein zottiges Kleid. Jetzt, wo mein Mädchen verschlossen, wenn einmal kaum ich sie sehe, weh! mir Armem, was nützt jetzt mir ein wallend Gewand?

235

75

ducite: ad imperium dominae sulcabimus agros: non ego me uinclis uerberibusque nego. |||

236

80

Führt mich zu ihr! Auf der Herrin Geheiß will die Felder ich pflügen, weigre mich Fesseln auch nicht, nicht dass die Geisel mich trifft. |||

237

IV Sic mihi seruitium uideo dominamque paratam: iam mihi, libertas illa paterna1, uale. seruitium sed triste datur, teneorque catenis, et numquam misero uincla remittit2 Amor, et seu quid merui seu nil3 peccauimus, urit.

5

uror, io, remoue, saeua puella, faces, o ego ne possim tales sentire dolores, quam mallem in gelidis montibus esse lapis, stare uel insanis cautes obnoxia uentis, naufraga quam 4 tunderet unda maris! |

10

nunc et amara dies et noctis amarior umbra est: omnia iam5 tristi tempora felle madent. nec prosunt elegi nec carminis auctor Apollo: illa caua pretium flagitat usque manu, ite procul, Musae, si non prodestis amanti: 1

paterue A : corr. recc. remittet A : corr. recc. 3 quid A : corr. Heisius 4 Libyci Postgate : om. A : uasti recc. 5 nam A : nunc Par. : corr. recc. 2

238

15

Gedichtpaar: Die Geliebte auf dem Land’’ IV Nun denn, ich seh’s, es ist Sklavendienst mir bereit, eine Herrin: fahre denn Freiheit dahin, die mir der Vater vererbt! Not eines Sklaven lastet auf mir, in Ketten gehalten werd ich, dem Armen lässt Amor die Bande nicht los. Mag ich’s verdienen, mag sein, dass ich gar nichts verbrochen, es brennt mich;

5

ich brenn’, die Fackel, o weh! grausames Mädchen nimm fort! O wär es möglich, vermöcht ich nur Schmerzen wie die nicht zu spüren, dann wär ich lieber ein Stein hoch in den Bergen, im Eis, oder ich stünde, ein Riff, den rasende Winden entgegen, fühlte des libyschen Meers Welle, die Schiffe zerschellt. |

10

Jetzt ist mir bitter der Tag und bittrer der Schatten der Nächte: alles, Tag oder Nacht, trieft jetzt von Galle und Gift. Liebeslieder, die nützen jetzt nichts, nicht der Dichter Apollo: stets hält die Hand sie nur auf, fordert von mir ihren Preis. Fort denn, ihr Musen, mit euch, könnt nichts ihr dem Liebenden nützen!

239

15

non ego uos, ut sint bella canenda, colo, nec refero Solisque uias e qualis, ubi orbem1 compleuit, uersis Luna recurrit equis, ad dominam faciles aditus per carmina quaero: ite procul, Musae, si nihil ista ualent. ||

20

at mihi per caedem et facinus sunt dona paranda, ne iaceam clausam flebilis ante domum: aut rapiam suspensa sacris insignia fanis, sed Venus ante alios est uiolanda mihi, ilia malum facinus suadet dominamque rapacem

25

dat mihi: sacrilegas sentiat illa manus. | o pereat quicumque legit uiridesque smaragdos et niueam Tyrio murice tingit ouem. addit2 auaritiae causas et Coa3 puellis uestis et e Rubro lucida concha mari.

30

haec fecere malas: hinc clauim4 ianua sensit et coepit custos liminis esse canis. sed pretium si grande feras, custodia uicta5 est 1

equalis … urbem A : corr. recc. hic dat A : corr. Postgate; prebet auaritie causas pretiosa potentum Par. 3 choa A : corr. recc. 4 clauim Charisius p. 126, 4 Keil : clauem A 5 incerta A : corr. recc. 2

240

Denn dass von Kriegen ihr singt, nein! dafür brauch ich euch nicht. Auch von Pfaden der Sonne erzähl ich nicht, wie ihre Pferde Luna am End des Wegs wendet und rückwärts dann kehrt. Suche ja mit meinen Liedern zur Herrin nur leichter zu kommen: fort denn, ihr Musen, mit euch, haben sie da keine Macht! ||

20

Freilich, ich muss mit Verbrechen, mit Mord mir Geschenke beschaffen, sonst ist es zu: vor dem Haus liege ich, Jammer mein Los; Oder ich raube die Schätze aus allen Tempeln der Götter; Venus freilich – bei der breche als erster ich ein. Sie ist es, die zum Verbrechen mir rät, einer Räuberin dienen

25

lässt sie mich: auf denn! sie wird fühlen, wie Hände entweihn. | Tod über alle, die sich die Hände mit grünen Smaragden füllen, dem schneeweißen Schaf tyrischen Schneckensaft braun! Stacheln noch mehr die Gier den Mädchen sie doch mit Gewändern koischen Stoffs und vom Meer – rot nennt man’s – Muscheln ganz weiß. Das hat so schlecht sie gemacht: seitdem hat die Tür einen Riegel, so begann’s, dass der Hund jetzt eine Schwelle bewacht. Reicht der Lohn freilich aus, den du bringst, besiegt sind die Wachen,

241

30

nec prohibent claues et canis ipse tacet. | heu quicumque dedit formam caelestis auarae,

35

quale bonum multis addidit ille1 malis! hinc fletus rixaeque sonant, haec denique causa fecit ut infamis nunc deus erret2 Amor. || at tibi, quae pretio uictos excludis amantes, eripiant partas3 uentus et ignis opes:

40

quin tua tunc iuuenes spectent incendia laeti, nec quisquam flammae sedulus addat aquam. seu ueniet tibi mors, nec erit qui lugeat ullus nec qui det maestas munus in exsequias4. | at bona quae nec auara fuit, centum licet annos

45

uixerit, ardentem flebitur ante rogum; atque aliquis senior ueteres ueneratus amores annua constructo serta dabit tumulo et ‘bene’ discedens dicet ‘placideque quiescas, terraque securae sit super ossa leuis.’ | uera quidem moneo, sed prosunt quid mihi uera? illius est nobis lege colendus amor, 1

attulit ipse A : corr. recc., cf. Eikasmós 5 (1994) 268 hic deus esset A : corr. Broukhuyzen 3 portas A : corr. recc. 4 obsequias A : corr. recc. 2

242

50

Riegel sind auch nicht im Weg, ja selbst ein Hund wird dann still. | Weh über den, der Himmelsgestalt einer Gierigen gönnte!

35

Was für ein Gut hat er so Übeln in Scharen vereint! Daher der Lärm von Weinen und Streit, und daher am Ende ist es um Amors Ruf heute so übel bestellt. || Dir aber, die für Gewinn die Verlierer der Liebe du aussperrst, dir sollen Feuer und Wind rauben, was so du gewannst.

40

Ja! und wenn’s bei dir brennt, soll die Jugend sich freuen und zuschaun, doch wie die Flammen man löscht, sorgt keiner sich dabei. Kommt der Tod einst zu dir, gibt’s niemanden, der um dich trauert, keinen, der Gaben dir bringt, gibt man das letzte Geleit. | Aber die Gute, die Gier nicht gekannt, und lebt sie auch hundert

45

Jahre, man weint noch um sie, wenn sie zu Asche verbrannt; oft steht ein Greis, dem die Liebe noch heilig von einst, wo ihr Hügel jetzt sich erhebt, und er bringt jährlich ein Blumengebind, wendet sich wieder und sagt: „Ruhe wohl denn und schlafe in Frieden, leicht soll die Erde dir sein, dir, die jetzt frei aller Not.“ | Wahr, ja! das ist meine Mahnung, allein was nützt’s, dass sie wahr ist? Lieb ich sie, muss dem Gesetz hörig ich sein, das ihr lieb.

243

50

quin etiam sedes iubeat si uendere auitas, ite sub imperium sub titulumque, Lares, quidquid1 habet Circe, quidquid Medea ueneni,

55

quidquid et herbarum Thessala terra gerit, et quod, ubi indomitis gregibus Venus adflat amores, hippomanes cupidae stillat ab inguine equae, si modo2 me placido uideat Nemesis mea uultu, mille alias herbas misceat ilia, bibam. |||

1 2

quidquid V : quidquam A non A : corr. recc.

244

60

Mag sie mir dann gebieten mein Vaterhaus zu verkaufen: Laren, auf zur Auktion! Unter den Hammer mit euch! All das Gift, das Kirke besitzt, alles Gift der Medea,

55

was an Kräutern im Land nur von Thessalien wächst, Pferdetoll, das an dem Schoße von läufigen Stuten herabtropft, so einer Herde im Frein Venus Verlangen erregt – wenn ich nur Nemesis seh, wie sie freundlich lächelnd mich anblickt, tausendfach anderes Kraut mag sie mir reichen: ich trink’s. ||

245

60

V Phoebe, faue: nouus ingreditur tua templa sacerdos: huc age cum cithara carminibusque ueni. nunc te uocales impellere pollice chordas, nunc precor ad laudes flectere uerba meas, ipse triumphali deuinctus tempora lauro,

5

dum cumulant aras, ad tua sacra ueni. sed nitidus pulcherque ueni, nunc indue uestem sepositam, longas nunc bene pecte comas, qualem te memorant Saturno rege fugato uictori laudes concinuisse Ioui. |

10

tu procul euentura uides, tibi deditus1 augur scit bene quid fati prouida cantet auis; tuque regis sortes, per te praesentit haruspex, lubrica signauit cum deus exta notis; te duce Romanos numquam frustrata Sibylla, abdita quae senis fata canit pedibus.

1

debitus A : corr. recc.

246

15

Tribut an Messala: Priester Apolls1 V Phoebus, dem Priester, der neu deinen Tempel betritt, sei gewogen! Auf! jetzt komm mit dem Lied, mit deiner Leier hierher! Rühr mit dem Daumen die Saiten und lass ihre Lieder ertönen, eine, so bitt ich, dein Wort jetzt mit dem Preise von mir. Komme du selbst, mit dem Lorbeer des Sieges die Schläfen umwunden –

5

Gaben sind auf dem Altar – zu deinem heiligen Fest! Reinlich freilich und schön sollst du kommen; jetzt lege ein Kleid an, das du beiseite gelegt, kämm deine Locken jetzt gut, wie man sagt, dass du sangst, als Saturn vom Throne gestoßen: Jupiter priesest du da, der seinen Vater besiegt. |

10

Du weißt voraus, was da kommt, deinen Weisungen hörig erkunden schicksalskundigen Sang Augurn im Vogellied gut. Du bist’s, der lenkt, wo man lost, lässt den Opferschauer erahnen, wenn beim Gezuck des Gedärms Gott sich in Zeichen verrät.2 Lenktest du, führte noch nie die Sibylle die Römer ins Irre, die, was das Schicksal verbirgt, uns in sechs Füßen enthüllt. 1 2

S. S. 79. S. S. 1 Anm. 1.

247

15

Phoebe, sacras Messalinum sine tangere Chartas uatis, et ipse precor quid1 canat illa doce, haec dedit Aeneae sortes, postquam ille parentem dicitur et raptos2 sustinuisse deos3

20

nec fore credebat Romam, cum maestus ab alto Ilion ardentes respiceretque Lares. | (Romulus aetemae nondum formauerat urbis moenia, consorti non habitanda Remo; sed tune pascebant herbosa Palatia uaccae

25

et stabant humiles in louis arce casae. lacte madens illic suberat Pan ilicis umbrae et facta agresti lignea falce Pales, pendebatque uagi pastoris in arbore uotum, garrula siluestri fistula sacra deo,

30

fistula cui semper decrescit harundinis ordo, nam calamus cera iungitur usque minor; at qua Velabri regio patet, ire solebat exiguus pulsa4 per uada linter aqua, illa5 saepe gregis diti placitura magistro 1

quos A : corr. recc.; euentus quos Postgate, deletis ipse precor captos A : corr. recc. 3 Lares hic et deos in fine u. 22 A : transpos. Housman 4 pulla A : corr. recc. 5 illaque A : corr. recc. | ditis A : corr. recc. 2

248

35

Lass Messalinus, o Phoebus, die Hand an der Seherin Blätter legen, und was sie uns singt, bitt ich, das lehre ihn du! Sie wies Aeneas sein Los, als jener, so heißt es, den Vater, eilends die Götter ergriff, auf seine Schultern sie hob;

20

könnt er, dass Rom erstünd, auch nicht glauben, als hoch von der Warte Ilions er trauernd im Brand sah seine Heimat vergehn. | (Romulus hatte noch nicht um die ewige Stadt seine Mauern, die seinem Schicksalsgenoss Remus missgönnten, gebaut; waren da am Palatin noch Kräuter den Kühn eine Weide,

25

standen Hütten im Kreis: jetzo ragt Jupiters Burg; milchgetränkt stand Pan dort einst im Schatten der Eichen, hölzern und sichelbewehrt Pales, wie Bauern es sind. Hing eine Gabe am Baum, die ein schweifender Hirt seinem Gotte weihte, aus schwatzendem Rohr, heilig dem Herren des Walds,

30

eine Schalmei: der schwinden kleiner und kleiner die Halme, denn es bindet das Wachs Rohr an ein kürzeres Rohr. Doch wo Velabrums Senke sich öffnet, schwamm öfters ein Schiffchen, und durch die Seichte der Flut sah man ein Segel hinziehn. Oft fuhr, wollt sie gefallen dem reichen Heim einer Herde,

249

35

ad iuuenem festa est uecta puella die, cum qua fecundi redierunt munera ruris, caseus et niueae candidus agnus ouis.)1 || ‘Impiger Aenea, uolitantis frater Amoris, Troica qui profugis sacra uehis ratibus,

40

iam tibi Laurentes adsignat Iuppiter agros, iam uocat errantes hospita terra Lares, illic sanctus eris cum te, uenerande2, Numici unda deum caelo misent indigetem. ecce super fessas uolitat Victoria puppes;

45

tandem ad Troianos diua superba uenit. ecce mihi lucent Rutulis3 incendia castris: iam tibi praedico, barbare Turne, necem. ante oculos Laurens castrum4 murusque Lauini est Albaque ab Ascanio condita Longa duce. | te quoque iam uideo, Marti placitura sacerdos

1

post hunc u. nouum carmen inc. A ueneranda A : corr. L. Mueller 3 rutilis A : corr. recc. 4 castris A : corr. recc. 2

250

50

so ein Mädchen zum Fest, um ihren Jüngling zu sehn, und mit ihr kehrte zurück, was gesegnete Fluren verschenkten, Käse, ein Lämmchen ganz weiß, weiß seine Mutter wie Schnee.) || „Hör, Aeneas, du Bruder des fliegenden Gotts, der du rastlos fährst auf der Fliehenden Schiff Ilions heiligen Rest,

40

Jupiter weist dir an eine Statt, die Fluren Laurentums:1 irrende Laren, euch ruft zu sich ein gastliches Land. Dort wirst heilig du sein, fährst einst, wo die Welle Numicus’2 Fließt, in Ehren, ein Gott, huldreich zum Himmel empor. Über den Schiffen, so müd, schau! fliegt schon die Göttin des Sieges:

45

Trojas Erben besucht endlich die stolze jetzt auch. Schau nur! mir leuchtet der Schein vom Brand des rutulischen Lagers: Turnus, du Wilder, ich sag schon deinen Tod dir voraus. Schon vor den Augen mir stehn Laurentum, Laviniums Mauern, Alba Longa, das einst gründet Ascanius als Fürst. | Sehe dich, Ilia, schon, die Mars du solltest gefallen,

1

In einer Version der Sage ging Aeneas etwas südlich der Tibermündung in der heutigen Gegend von Pratica di Mare (Lavinium) in einer Ager Laurens genannten Gegend an Land, und errichtete dort die erste Siedlung in Italien das Castrum Laurens. 2 In einer siegreichen Schlacht gegen die Rutuler verschwand Aeneas in oder an den Wassern des Flusses Numicus (heute Rio Torto).

251

50

Ilia, Vestales deseruisse focos, concubitusque tuos furtim uittasque1 iacentes et cupidi ad ripas arma relicta dei. carpite nunc, tauri, de septem montibus herbas

55

dum licet: hic magnae iam locus urbis erit. Roma, tuum nomen terris fatale regendis, qua sua de caelo prospicit arua Ceres, quaque patent2 ortus et qua fluitantibus undis Solis anhelantes abluit amnis equos.

60

Troia quidem tunc se mirabitur et sibi dicet uos bene tam longa consuluisse uia3. uera cano: sic usque sacras innoxia laurus uescar4, et aeternum sit mihi uirginitas.’ haec cecinit uates et te sibi, Phoebe, uocauit,

65

iactauit fusas et caput ante comas. | Quid, quod Amalthea, quid, quod5 Marpesia dixit Herophile6, Phoeto Graia7 quod admonuit,

1

uictasque A : corr. recc. tepent tempt. Postgate 3 longam … uiam A : corr. recc. 4 noscar A : corr. recc. 5 quid, quod bis Leo, interrogationem post 70 indicans : quidquid bis A 6 heriphile A : corr. recc. 7 phebo grata A : corr. Lachmann; Phyto Huschke 2

252

wie, eine Priesterin, du ließt der Vestalinnen Herd: heimlich lagst du bei ihm, deine Binde daneben am Boden, und dort am Ufer des Gotts Waffen, der so dich begehrt. Pflückt, ihr Stiere, pflückt, solang ihr’s noch könnt, von den sieben

55

Hügeln das Gras: eine Stadt, groß, ist schon bald dieser Ort. Rom, dein Name soll lenken das Schicksal jeglichen Landes, wo nur vom Himmel herab Ceres erspäht eine Flur, wo der Morgen emporsteigt und wo unter wallenden Fluten schnaubend das Sonnengespann taucht in Okeanos’ Strom.

60

Da wird Troja freilich sich selbst bewundern, sich sagen: gut war es: weit war der Weg; dass wir ihn wählten, war gut. Was ich verkünde, ist wahr: so will ich von heiligem Lorbeer schadlos allzeit mich nährn, Jungfrau auf ewig ich sein.“ Dies sang die Seherin, Phoebus, und dich hat sie zu sich gerufen, schüttelt ihr Haupt, und davor flössen die Locken herab. Was Herophile sprach von Marpessos, und was Amalthea einst, was in Griechenland auch Phoito vor Zeiten gemahnt –

253

65

quasque1 Aniena sacras Tiburs2 per flumina sortes portarat sicco pertuleratque3 sinu?

70

hae4 fore dixerunt belli mala signa cometen, multus ut5 in terras deplueretque lapis,6 atque tubas atque arma ferunt strepitantia caelo audita et lucos praecinuisse fugam;

74

et simulacra deum lacrimas fudisse tepentes

77

fataque uocales praemonuisse boues,

787

ipsum etiam Solem defectum lumine uidit

75

iungere pallentes nubilus annus8 equos. ||

76

haec fuerant olim, sed tu iam mitis, Apollo,

79

prodigia indomitis merge sub aequoribus,

80

et9 succensa sacris crepitet bene laurea flammis, omine quo felix et sacer annus erit. laurus ubi bona signa dedit, gaudete coloni;

1

quodque A : corr. recc.; quaeque Postgate albana … tiberis A : corr. recc. 3 portarit … perlueritque A : corr. Postgate (pertuleritque iam recc.) 4 haec A : corr. recc. 5 et … depluerit A : corr. recc. 6 u. haud iniure uarie temptatus 7 huc transp. Rigler 8 amnis A : corr. recc. 9 ut A : corr. recc. 2

254

die von Tibur, was sie in heiligen Losen an Anios Strömen im trockenen Bausch barg des Gewands, was war das?

70

Einst würde, sagten sie, Kriege ein schreckliches Zeichen verkünden, zog ein Komet übers Land nach einem Regen von Stein. Sprachen vom Klang von Trompeten und Waffen, und bis in den Himmel dringt er, und Stimmen des Hains flüstern von Kämpfen und Flucht.

74

Tränen noch warm ergössen sich gar aus den Bildern der Götter,

77

Rinder, als sprächen sie klar, künden das Los, das da kommt.

78

Lichtlos musste ein wolkiges Jahr den Sonnengott sehen,

75

wie er ein bleiches Gespann unter dem Joche vereint. ||

76

Das ist gewesen: doch jetzt bist du gnädig und milde, Apollo, senk in die wütende See alles, was Not bringt, hinab! Glücklich knistere uns der Lorbeer in heiligen Flammen, sei uns ein Zeichen, dass heil, dass voller Segen das Jahr. Kündet des Lorbeers Reis dir Gutes, so freu dich, du Landvolk;

255

79 80

distendet spicis horrea plena Ceres, oblitus et musto feriet pede rusticus uuas,

85

dolia dum magni deficiantque lacus. ac madidus baccho sua festa Palilia pastor concinet: a stabulis tunc procul este lupi! ille leuis stipulae sollemnis potus aceruos accendet, flammas transilietque sacras. |

90

et fetus matrona dabit, natusque parenti oscula comprensis auribus eripiet, nec taedebit auum paruo aduigilare nepoti balbaque cum puero dicere uerba senem. tunc operata1 deo pubes discumbet in herba,

95

arboris antiquae qua leuis umbra cadit, aut e ueste sua tendent umbracula sertis uincta, coronatus stabit et ipse calix. at sibi quisque dapes et festas extruet2 alte caespitibus mensas caespitibusque torum. ingeret hic potus iuuenis maledicta puellae, postmodo quae uotis inrita facta uelit : nam ferus ille suae plorabit sobrius idem

1 2

operta (et sscr.) A (et operta V) : corr. recc. extruet A : corr. recc.

256

100

eure Scheuern, die füllt Ceres mit Korn bis zum Rand. Mostbeschmiert wird der Fuß des Bauern die Traube zertreten,

85

bis kein Fass mehr, kein Trog alles zu fassen vermag. Und von Bacchus getränkt wird der Hirt die Palilien besingen, sein Fest ist das ja: bleibt fern nur, ihr Wölfe, vom Stall! Trunken feiert er da und legt an die Haufen von leichtem Stroh sich ein Feuer und springt dann über heiligen Brand. |

90

Und ihre Brut gibt die Hausfrau heraus, der Sohn lockt dem Vater Kuss ab um Kuss, und er kneift, zupft ihn und greift nach dem Ohr. Großvater auch ist’s nicht lästig, den kleinen Enkel zu hegen nicht mit dem Bübchen, ein Greis, lallen ein kindisches Wort. Da ist das Jungvolk am Werke für Gott, zerstreut sich im Grase,

95

wo eines alten Gezweigs Schatten es sanft überwölbt. Spannt zur Laube die Kleider, es winden sich Blumengebinde um sie, da steht ein Pokal, und einen Kranz trägt auch er. Freilich, es richtet sich jeder ein Mahl; eine festliche Tafel richtet von Rasen er auf, richtet von Rasen ein Bett. Trunken lästert ein Jüngling mit Scheltworten wider sein Mädchen, alles gelobt er danach, wäre es nur nicht geschehn. Jetzt noch wild, wird er bald schon nüchtern, der Seinen in Tränen

257

100

et se iurabit mente fuisse mala.1 pace tua pereant arcus pereantque sagittae,

105

Phoebe, modo in terris erret inermis Amor, ars bona: sed postquam sumpsit sibi tela Cupido, eheu2 quam multis ars dedit ista malum! | et mihi praecipue, iaceo3 cum saucius annum et faueo morbo, quin4 iuuat ipse dolor:

110

usque cano Nemesim, sine qua uersus mihi nullus uerba potest iustos aut reperire pedes. at tu, nam diuum seruat tutela poetas, praemoneo, uati parce, puella, sacro, ut Messalinum celebrem, cum praemia belli

115

ante suos currus oppida uicta feret5, ipse gerens laurus: lauro deuinctus agresti miles ‘io’ magna uoce ‘triumphe’ canet. tune Messalla meus pia det spectacula turbae et plaudat curru praetereunte pater. ||

1

post hunc u. lacuman suspicatus est Baehrens heu heu A : corr. recc. 3 taceo A : corr. recc. 4 cum A : corr. Leo; dum iam Statius 5 ferent A : corr. recc. 2

258

120

schwören, sein Sinn war behext, so hat er’s gar nicht gemeint. Gibst du dein Ja, soll’s den Bogen nicht mehr, nicht die Pfeile mehr geben,

105

Phoebus, und Amor, der soll ohn alle Waffen dann sein. Gut ist die Kunst: dann nahm Cupido sich solche Geschosse: weh! wie vielen hat so Unglück gebracht, was er kann! | Mir vor allem, ein Jahr schon liege ich wund, und ich bin gar selbst meinem Leiden noch hold, freue mich an meinem Schmerz;

110

singe von Nemesis, sing, ohne sie will kein Vers mir gelingen, finde kein Wort und es fügt, nichts, was ich sag, sich dem Maß. Du aber – göttliche Mächte gewährn ihren Schutz ja den Dichtem – schone den Seher, ich mahn, Mädchen, dich, heilig ist er, dass Messalinus ich preise, wenn aus überwundenen Städten

115

vor seinem Wagen er führt Beute des Krieges einher, selber mit Lorbeer geschmückt: vom Lorbeer des Landes umwunden singt ihm ein „Heil!“ der Soldat, laut tönt die Stimme „Triumph!“ Dann wird, wie’s ihm gebührt, mein Messalla dem Volke sich zeigen, und zieht der Wagen vorbei, klatscht auch der Vater dazu. ||

259

120

adnue: sic tibi sint intonsi, Phoebe, capilli, sic tua perpetuo1 sit tibi casta soror. |||

1

perpetua A

260

Nicke nur gnädig: so sollst du dir, Phoebus, die Locken nicht scheren, so soll keusch allezeit sein deine Schwester und rein174. |||

261

VI Castra Macer sequitur: tenero quid fiet Amori? sit comes et collo fortiter arma gerat? et seu longa uirum terrae uia seu uaga ducent aequora, cum telis ad latus ire uolet? ure, puer, quaeso, tua qui ferus otia liquit,

5

atque iterum erronem sub tua signa uoca. quod si militibus parces, erit hic quoque miles, ipse leuem galea qui sibi portet aquam. castra peto, ualeatque Venus ualeantque puellae: et mihi sunt uires et mihi laeta1 tuba est. magna loquor, sed magnifice mihi magna locuto excutiunt clausae fortia uerba fores, iuraui quotiens rediturum ad limina numquam! cum bene iuraui, pes tarnen ipse redit.

1

facta A : corr. Postgate

262

10

Der Liebe verfallen VI Macer1 zieht jetzt ins Feld: was wird da aus Amor, dem zarten? Soll er mitgehn, den Hals wacker mit Waffen umhängt? Führt ein langer Weg auf dem Lande den Mann, führn die Wellen ihn in die Feme, trägt er Speere daneben für ihn? Kann deinen Frieden ein Rohling verraten, lass, Knabe, ihn, brennen, 5 ruf den Verirrten doch schnell zu deinen Fahnen zurück! Schonst du freilich Soldaten, ja dann will auch ich ein Soldat sein, trag, was ich trinke, im Helm: Wasser, das ist ja nicht schwer. Will jetzt ins Feld: leb, Venus, denn wohl, lebt wohl denn, ihr Mädchen! Stärke, die hab ich, bin froh, hör ich Trompetengetön. Große Worte! Allein, was ich groß da geredet, die wackern Worte, treibt großartig aus, eine verschlossene Tür! Hab – ach, wie oft! – schon geschworen, ich käme nie mehr zu der Schwelle. Schwur ja so gut: nur der Fuß kam von alleine zurück.

1

S. S. 82.

263

10

acer Amor, fractas utinam tua tela sagittas,

15

si licet1, extinctas aspiciamque faces! tu miserum torques, tu me mihi dira precari cogis et insana mente nefanda loqui. iam mala finissem leto, sed credula uitam2 spes fouet et fore eras semper ait melius3.

20

spes alit agricolas, spes sulcis credit aratis4 semina quae magno faenore reddat5 ager: haec laqueo uolucres, haec captat harundine pisces, cum tenues hamos abdidit ante cibus: spes etiam ualida solatur compede uinctum:

25

crura sonant ferro, sed canit inter opus; spes facilem Nemesim spondet mihi, sed negat illa. ei mihi, ne uincas, dura puella, deam. parce, per immatura tuae precor ossa sororis: sic bene sub tenera parua quiescat humo. illa mihi sancta est, illius dona sepulcro 1

scilicet A : corr. recc. finirent multi leto mala credula uitam Par. 3 et melius cras fore semper agit Par. 4 credita ratis Fr. 5 foenore reddit Fr. 2

264

30

Amor, du Schlimmer, ich wollt, es zerbrächen die Pfeile dir alle,

15

wollt, ist es möglich, gelöscht sehen die Fackel von dir. Du bist’s, du folterst mich Armen, du zwingst mich zu schrecklichen Bitten, bringst mich dazu, dass ich gar lästerlich rede im Zorn. Hätt mit dem Tod schon dem Übel ein Ende gemacht, doch es hält mich Hoffnung am Leben, sie sagt: morgen wird’s besser – man glaubst’s.

20

Hoffnung nährt auch den Landmann: vertraut sie die Samen gepflügten Furchen, gewaltigen Zins zahlt ihr der Acker zurück. Hoffnung fängt Vögel mit Schlingen, und Fische fängt sie mit Ruten, deckt den Haken zuvor Speise, so dünn wie er ist. Hoffnung gibt Trost, wenn starke Ketten die Füße dir binden;

25

tönt das Eisen am Knie ... Arbeit: du singst noch dazu. Hoffnung, die hat mir gelobt, dass mir Nemesis hold sei, doch jene: Nein! sagt sie. Ach! bist du hart: bietest der Göttin gar Trotz. Gnade! Ich fleh beim Gebein deiner Schwester zu dir, die gestorben vor ihrer Zeit; sei ihr Schlaf tief so, und weich sei der Grund! Heilig ist sie für mich, und Gaben will ihrem Grabe,

265

30

et madefacta meis serta feram1 lacrimis, illius ad tumulum fugiam supplexque sedebo et mea cum muto fata querar cinere, non feret usque suum te propter flere clientem:

35

illius ut uerbis, sis mihi lenta ueto, ne tibi neglecti mittant mala somnia manes, maestaque sopitae stet soror ante torum, qualis ab excelsa praeceps delapsa fenestra uenit ad infernos sanguinolenta lacus.

40

desino, ne dominae luctus renouentur acerbi: non ego sum tanti, ploret ut illa semel. nec lacrimis oculos digna est foedare loquaces: lena nocet nobis, ipsa puella bona est. lena necat miserum Phryne2 furtimque tabellas occulto portans itque3 reditque sinu: saepe, ego cum dominae dulces a limine duro4 agnosco uoces, haec negat esse domi; saepe, ubi nox mihi promissa est, languere puellam 1

ferant A : corr. recc. netat … phirne A : corr. recc. 3 tuncque A : corr. recc. 4 diro A : corr. recc. 2

266

45

Kränze ich bringen, getränkt von meinen Tränen um sie. Zu ihrem Hügel, dahin will ich fliehn, dort, ein Bittsteller, sitzen und ihrer Asche, die schweigt, klagen mein bitteres Los. Dulden wird sie es nicht, dass um dich ich weine und weine,

35

bin ihrem Schutz ich vertraut, heißt sie dich: sei nicht mehr kalt! Dass nicht in bösen Träumen Gespenster von Toten dir aufstehn, die du missachtet, betrübt steht dir die Schwester, vorm Bett, wie sie in jähem Fall vom ragenden Fenster herabglitt, und an der Schattenwelt See kam sie noch blutbespritzt an.

40

Bin ja schon still, will der Herrin den bitteren Schmerz nicht erneuern: dass sie auch einmal nur weint, nicht einmal das bin ich wert. Augen, die so viel sagen, durch Tränen zu trüben, nicht recht ist’s; Not bringt die Kupplerin nur, selbst ist das Mädchen schon gut. Tod bringt Phryne mir Armen, die Kupplerin; Briefe trägt heimlich sie im Gewande versteckt, geht hin und her, kommt zurück. Oft, wenn die süße Stimm ich der Herrin erkenn auf der harten Schwelle, da sagt sie zu mir trotzdem, sie sei nicht im Haus. Oft, wo mir schon eine Nacht sie verheißen, da heißt’s dann, das Mädchen

267

45

nuntiat aut aliquas extimuisse minas, tunc morior curis, tunc mens mihi perdita fingit, quisue meam teneat, quot teneatue modis: tune tibi, lena, precor diras: satis anxia uiuas, mouerit e uotis pars quotacumque deos.1 **************************************

1

finem carminis et secundi libri excidisse demonstrauit Reeve

268

50

ist jetzt zu matt, es hat Angst, fürchtet sich, fühlt sich bedroht. Dann bin ganz tot ich vor schlimmen Gedanken und denk mir verloren: wer hat mein Mädchen im Arm, was tut er alles mit ihr? Fluche dir, Kupplerin, dann: findst nie im Leben mehr Frieden, rührt nur ein bisschen von dem, was ich erbitt, einen Gott. **************************************************

269

50

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