Der Begleitfund: Zu den Grenzen strafverfahrensrechtlicher Informationsverwertung beiläufig erlangter Informationen im Rahmen präventiv-polizeilicher Tätigkeit [1 ed.] 9783428495863, 9783428095865

In den vergangenen Jahren wurden die Eingriffsgrundlagen in den Polizeigesetzen erheblich ausgedehnt. Mit der polizeilic

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Der Begleitfund: Zu den Grenzen strafverfahrensrechtlicher Informationsverwertung beiläufig erlangter Informationen im Rahmen präventiv-polizeilicher Tätigkeit [1 ed.]
 9783428495863, 9783428095865

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Nicola Lindner · Der Begleitfund

Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik Herausgegeben von Prof. Dr. Horst Ehmann und Prof. Dr. Rainer Pitschas

Band 17

Der Begleitfund Zu den Grenzen strafverfahrensrechtlicher Informationsverwertung beiläufig erlangter Informationen im Rahmen präventivpolizeilicher Tätigkeit

Von

Nicola Lindner

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Lindner, Nicola:

Der Begleitfund : zu den Grenzen strafverfahrensrechtlicher Informationsverwertung beiläufig erlangter Informationen im Rahmen präventiv-polizeilicher Tätigkeit I von Nicola Lindner. Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum Recht des Informationsverkehrs und der Informationstechnik ; Bd. 17) Zugl.: Trier, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09586-3

Alle Rechte vorbehalten

© 1998 Duncker & Humb1ot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0940-1172 ISBN 3-428-09586-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Vorwort Diese Arbeit hat im Frühjahr 1998 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation vorgelegen. Sie ist auf dem Stand von April 1998. Meinem Doktorvater Prof. Dr. Rainer Zaczyk möchte ich meinen besonderen Dank aussprechen. Er hat meine gesamte juristische Ausbildung begleitet vom dreistufigen Deliktsaufbau im ersten Semester über die ,,kleinen" und "großen" Scheine bis hin zur Anregung des Themas und dem Betreuen der Dissertation. Ich spreche wahrscheinlich fiir viele, wenn ich ihm für sein Engagement und seine Hingabe in der Ausbildung danke. Herr Prof. Dr. Hans-Reiner Kühne hat sich der Mühe der Zweitkorrektur unterzogen. Dafür sei ihm ebenso herzlich gedankt wie Herrn Prof. Dr. Horst Ehmann, der diese Arbeit in die vorliegende Schrifterneibe aufgenommen hat. Meine Mutter, Frau Isolde Lindner, hat bei der Korrektur des Manuskripts unermüdliches Engagement gezeigt. Hilfreich zur Seite stand mir auch mein Freund Jörg Risse, dessen wertvolle Amegungen diese Arbeit wesentlich beeinflußt haben. Meine Freunde hatten in dieser Zeit große Geduld bei meinen "außerjuristischen" Problemen. Bei ihnen allen bedanke ich mich sehr. Weit über den Augenblick hinaus danke ich schließlich meinen Eltern, die mich in allen Phasen meines Lebens gefördert und begleitet haben. Dresden, im Mai 1998

Nicola Lindner

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

15

Erstes Kapitel

Einführung in die Problematik

15

A. Situationsbeschreibung .............................................................................................. 15 B. Die Begleitinformation als bisher unbekannte Kategorie des Informationsanfalls .... 19 I.

Einflihrung ......................................................................................................... 19

II. Systematisierung des Informationsaufkommens ................................................ 21 1. Die Absichtsinformation ("gefahrspezifische" Information) .........................24 2. Die präventiv-polizeiliche Zufallsinformation ("gefahrunspezifische" Information) .....................................................................................................25 3. DieBegleitinformation ("gefahrunspezifische" Information) .......................26 III. Die terminologische Kehrseite aufEingriffsebene .............................................28 IV. Zusamrnenfassung .............................................................................................. 29 C. Die "gefahrunspezifische" (Begleit-)Information als ,,Begleitfund" ......................... 30 I.

,,Zufall und Notwendigkeit" ............................................................................... 31

II. Der "Beg1eitfund" .............................................................................................. 32 D. Widerstreitende Interessen und die darin liegende Problematik ................................ 33 I.

Innere Sicherheit als Staatsaufgabe und ihr Stellenwert ..................................... 33 1. Staatstheoretischer Ansatz.............................................................................34 2. Verfassungsrechtlicher Ansatz ......................................................................36 3. Der öffentliche Strafanspruch .......................................................................39

II. Freiheit- Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe .............................................40 111. Ergebnis ............................................................................................................ .41 E. Der Begleitfund - Folge weitgefaßter präventiv-polizeilicher Ermächtigungsgrundlagen .................................................................................................................42 I.

Recht auf informationeHe Selbstbestimmung.................................................... .42

II. Gesteigertes Informationsaufkommen................................................................47 1. Gefahr .......................................................................................................... .48

Inhaltsverzeichnis

8

2. Erweiterung polizeilicher Tätigkeit durch operatives Vorgehen ................... 50 a) Grundsätzliche Überlegungen zur polizeilichen Präventivtätigkeit ....... 50 b) Operatives Vorgehen der Polizei ........................................................... 53 c) Das operative Vorgehen- Gefahrenvorsorge ........................................ 55 3. Informationserhebung nach dem VE ME PolG ............................................ .59 a) Systematik der Befugnisnormen ............................................................60 b) Datenerhebung nach§ 8a VE ME PolG ................................................61 c) Datenerhebung bei öffentlichen Veranstaltungen, Ansammlungen und Versammlungen nach§ Sb VE ME PolG ....................................... 63 d) Besondere Formen der Datenerhebung nach § Sc VE ME PolG ........... 64 e) Polizeiliche Beobachtung nach§ 8d VE ME PolG ................................66 4. Analyse der Eingriffsstruktur ........................................................................66 a) Adressatenkreis ......................................................................................67 b) Gefahr .................................................................................................... 68 c) Vorbeugende Verbrechensbekämpfung ................................................. 69 d) Breitstreuende Ermächtigungsgrundlagen ............................................. 71 aa) Technische Unzulänglichkeiten als Ursache ftir die Erhebung von Begleitfunden ........................................................................... 71 bb) Eindringen in den Privatbereich ......................................................72 e) Ergebnis ................................................................................................. 73 F. Zusammenfassung der Ergebnisse des ersten Kapitels ............................................. 74 Zweites Kapitel

DerBegleitfund als Quelle neuen staatlichen Eingriffspotentials

75

A. Polizeigesetz in Verbindung mit der Strafprozeßordnung - neues Eingriffspotential? ...................................................................................................................76 I.

Aufnahme der Ermittlungstätigkeit .................................................................... 78

II. Unmittelbare Beweisverwertung im Prozeß, §§ 244 11, 261 StPO ..................... 80 111. Mittelbare Beweisverwertung ............................................................................ 81 IV. Ergebnis ............................................................................................................. 81 B. DerBegleitfund- auch Produkt repressiv-polizeilicher Tätigkeit? ...........................83 I. Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten- Prävention oder Repression? ........ 83 II. Doppeltrelevante Sachverhalte? .........................................................................89 1. Überschneidungsbereiche präventiver und repressiver Intention .................. 89 2. Kritik ............................................................................................................. 91 3. Die Gemengelage- präventives und repressives Vorgehen in Kumulation ..... 94 4. Ergebnis ........................................................................................................ 95 5. DerBegleitfund- selten Produkt auch repressiv-polizeilicher Tätigkeit ...... 96 C. Zusammenfassung der Ergebnisse des zweiten Kapitels ...........................................96 Drittes Kapitel

Zusammenfassung der Ergebnisse des ersten Teils

97

Inhaltsverzeichnis

9

Zweiter Teil

Problematik des neuen Eingriffspotentials

99

Erstes Kapitel

Grundsätzliche Überlegungen

99

A. Einfuhrende Gedanken .............................................................................................. 99 B. Gang der Untersuchung ........................................................................................... 103 Zweites Kapitel

Der Begleitfund als Produkt grundrechtsintensiver Informationserhebung am Beispiel des 'Großen Lauschangriffs' 105 A. Das "Raumgesprächsurteil" des Bundesgerichtshofs .............................................. 107 B. DerBegleitfund - Art. 13 III GG unterscheidet zwischenStörerund Nichtstörer... 109 C. Ergebnis ................................................................................................................... 113 Drittes Kapitel

Problematik des Begleitfundes trotzrechtmäßiger Beweiserhebung

115

A. Problematisierungsansätze in bezug auf eine uneingeschränkte Verwertbarkeit rechtmäßig erlangter Informationen ........................................................................ 115 I.

Ausgangspunkt.. ............................................................................................... 115

II. "Verfassungsrechtliche Verwertungsverbote" - DerBegleitfund als verfassungsrechtliches Problem? ............................................................................... 117 III. Der "klassische" Zufallsfund ........................................................................... 120 I. Vorbemerkung ............................................................................................ 120 2. Der klassische repressiv-polizeiliche Zufallsfund ....................................... 122 a) Problematisierungsansatz: Begrenzungsfunktion der Eingriffsnorm ... 123 b) Problematisierungsansatz: Zweckbindung der Eingriffsnorm ............. 125 c) Relevanz für den Begleidund .............................................................. 128 d) Kritik an den Problematisierungsansätzen ........................................... 129 aa) Begrenzungsfunktion der Eingriffsnorm ....................................... 129 bb) Zweckbindungsformei ................................................................... I32 (1) Zufallsfund und Zweckbindung .............................................. 132 (2) Grundrechtsrelevanz der Informationsverwertung .................. 134 (3) Verwertungsregelungen in der Strafprozeßordnung ................ 138 cc) Ergebnis der Kritik ........................................................................ 141 dd) Konsequenz flir die Problematisierung des Begleitfundes ............. 141 IV. Eigener Problematisierungsansatz.................................................................... 143 I. Informationen als Voraussetzung für effektive Strafverfolgung: Allgemeine und besondere Justizpflichten................................................................. 144

10

Inhaltsverzeichnis 2. Dieallgemeine Justizpflicht ........................................................................ 147 a) Die Schöffenpflicht. ............................................................................. 147 b) Die Zeugenpflicht ................................................................................ 148 3. Die besondere Justizpflicht des Beschuldigten und des Nichtbeschuldigten .... 150 a) Die Inanspruchnahme des Nichtbeschuldigten .................................... 152 aa) Die Sonderopferlage des Nichtbeschuldigten............................. 152 bb) Übertragung auf den klassischen Zufallsfund................................ 152 b) Die Inanspruchnahme des Beschuldigten ............................................ 154 aa) Das Strafverfahren als justizförmiger Entscheidungsfindungsprozeß - Die Bedeutung der Unschuldsvermutung für die verfahrensrechtliche Stellung des Beschuldigten ............................... 154 bb) Das Strafverfahren - Wiederherstellung des gestörten Rechtsfriedens .......................................................................................... 156 cc) Übertragung auf den klassischen Zufallsfund................................ 161

B. Ergebnis - Der klassische Zufallsfund als Aufopferungsproblem .......................... 162 Viertes Kapitel

Die mögliche Überinanspruchnahme des einzelnen als Problematik des Begleitfundes

164

A. Grundrechtsbetroffenheit der Adressaten ................................................................ 166 I.

Störer und Nichtstörer ...................................................................................... 166

II. Nicht anwesender Dritter ................................................................................. 167 III. Ergebnis- Grundrechtsrelevanz des Begleitfundes ......................................... 168 B. Dem Staat zurechenbare Grundrechtseinbuße ......................................................... 168 I. Heimliche Maßnahmen als Eingriff?................................................................ 169 II. Erlangung von Begleitfunden als Produkt eines Eingriffs? .............................. 170 1. EinfUhrendes Beispiel ................................................................................. 171 2. Das klassische Eingriffsverständnis ............................................................ 172 3. Erweiterung des Eingriffsbegriffs ............................................................... 172 4. Übertragung auf den Beispielsfall ............................................................... 174 a) Finaler Eingriff- der Absichtsfund ..................................................... 174 b) Unmittelbarer oder mittelbarer Eingriff- der Begleitfund .................. 175 c) Eingriffslose Informationserhebung- die präventiv-polizeiliche Zufallsinformation ................................................................................... 176 5. Ergebnis ...................................................................................................... 178 C. DerBegleitfund als Aufopferungsproblem .............................................................. l79 I.

Die Verwertung von Begleitfunden- mögliche Überinanspruchnahme? ........ 180 I. Gefahrverursacher .......................................................................... ............. 180 2. An Gefahrentstehung Unbeteiligter............................................................. I 81 3. Konsequenzen ............................................................................................. 182

II. Der Begleitfund- Gefahrenabwehr wird zu Strafverfolgung ........................... 183 D. Konsequenzen .......................................................................................................... l85

Inhaltsverzeichnis

11

Fünftes Kapitel

Zusammenfassung der Ergebnisse des zweiten Teils

187

Dritter Teil Zur Verwertbarkeit des Begleitfundes

190

Erstes Kapitel

Bisherige Handhabung des Begleitfundes

190

A. Regelungen der Gesetzgebung: Polizeigesetze und Strafprozeßordnung ................ 191 I.

Regelungen im Präventivbereich...................................................................... 192

II. Regelungen im Repressivbereich ..................................................................... 194 I. Regelungen de lege lata: Die Strafprozeßordnung ...................................... 194 a) Die Wesentlichkeitsdoktrin.................................................................. l95 b) Das Legalitätsprinzip als Verwertungsermächtigung? ......................... 196 aa) Erfassung von nicht intendierten Informationen ............................ 196 bb) Positive gesetzgebensehe Entscheidung? ...................................... 200 2. Regelungende lege ferenda: Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1994 ........ 20 I 3. Ergebnis .......................................................................................................202 B. Richtiger Regelungsstandort .................................................................................... 203 I.

Art. 74 I Nr. I GG ............................................................................................ 203

II. Annexkompetenz der Länder?.......................................................................... 204 111. Ergebnis ...........................................................................................................206

Zweites Kapitel

Lösungsanslitze in Rechtsprechung und Literatur

207

A. Verwertungsvorschläge flir den Absichtsfund ......................................................... 207 I. Rechtsprechung ................................................................................................ 208 II. Literaturmeinungen .......................................................................................... 21 0 111. Ergebnis ........................................................................................................... 212 B. Verwertungsvorschläge flir den Begleitfund ........................................................... 213 C. Die Praxis - Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage vom 3. Juli 1995 (BT-Drs. 13/1925) ..........................................................................................214 D. Schlußfolgerung ......................................................................................................216

Inhaltsverzeichnis

12

Drittes Kapitel

Minimalisierung der Eingriffsfolgen: Gedankliche Vorüberlegungen

218

A. Für die Lösung zu berücksichtigende Vorgaben ...................................................... 218 I. Art der Inanspruchnahme der involvierten Personen .......................................218 1. Ausgangslage unter Berücksichtigung der bisherigen Ergebnisse...............218 2. Entschädigungslos hinzunehmendes Sonderopfer oder Überinanspruchnahme? ........................................................................................................ 220 II. Verfahrensstufen ..............................................................................................220 B. Exkurs: Die Behandlung der Absichtsinformation sowie der präventiv-polizeilichen Zufallsinformation unter Berücksichtigung der Aufopferungslage .................222 Viertes Kapitel

Durch Verwertung des Begleitfundes begründeter rechtswidriger Zustand 224 A. Gefahrenabwehr als rechtmäßiges Verhalten .......................................................... 224 B. Der Begleitfund führt zu rechtswidrigem Zustand................................................... 224 I.

"Gespaltene Rechtswidrigkeit" ........................................................................ 225

II. Rechtswidrigkeit des Begleitfundes ................................................................. 228 l. Betroffene Personen ....................................................................................228 2. Rechtswidrigkeit .........................................................................................229 C. Sonderfälle -keine Überinanspruchnahme? ............................................................231 I.

Doppelfunktionale polizeiliche Tätigkeit ......................................................... 231

II. Vorsorge für die künftige Straftatverfolgung ...................................................232 D. Ergebnis ................................................................................................................... 234 Fünftes Kapitel

Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes

235

A. Dogmatische Verankerung ......................................................................................235 I. Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch ............................................. 235 II. Der Folgenbeseitigungsanspruch .....................................................................237 l. Dogmatische Herleitung des Folgenbeseitigungsanspruchs ........................238 2. Bedeutung der Dogmatik für den Begleitfund .............................................24l B. Tatbestandsvoraussetzungen des Folgenbeseitigungsanspruchs ..............................243 I.

Hoheitliches Handeln .......................................................................................243

II. Noch andauernder rechtswidriger Zustand ....................................................... 244 111. Die Rechtsfolge: Der Folgenbeseitigungsanspruch als Restitutionsanspruch ..246 l. Vernichtung des Begleitfundes ................................................................... 247

Inhaltsverzeichnis

13

2. Beseitigung des Tatverdachts ......................................................................247 a) Prävention endet in Strafverfolgung ....................................................250 b) Ermittlungsmaßnahmen im Repressivbereich- kein Sonderopfer? .....250 c) Der Begleitfund - Produkt präventiver, breitstreuender Eingriffsmaßnahmen.......................................................................................... 251 d) Bewertung............................................................................................251 e) Ergebnis ...............................................................................................252 IV. Einschränkungen des Folgenbeseitigungsanspruchs ........................................252 I. Nachträgliche Legalisierungsmöglichkeit ...................................................252 2. Entgegenstehende öffentliche Belange ........................................................ 255 3. Nochmals: Die Wesentlichkeitsdoktrin ....................................................... 259 4. Ergebnis ...................................................................................................... 260 C. Regelungsvorschlag ................................................................................................. 261 I.

Orientierung an§ 138 StGB ............................................................................. 261

II. Übergangsweise Geltung .................................................................................262 Sechstes Kapitel

Zusammenfassung der Ergebnisse des dritten Teils

264

Vierter Teil Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit

271

Literaturverzeichnis ......................................................................................................276 Stichwortverzeichnis ....................................................................................................292

Erster Teil

Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr Erstes Kapitel

Einführung in die Problematik A. Situationsbeschreibung In den letzten Jahren ist die Kriminalitätsrate in der Bundesrepublik Deutschland sprunghaft gestiegen.' Diese Entwicklung ist insbesondere auf die Ausweitung der arbeitsteilig und flächendeckend arbeitenden organisierten Kriminalität zurückzufiihren. 2 Nach einer Definition des Ad-hoc-Ausschusses des Arbeitskreises II der Innenministerkonferenz 1983 ist unter dem Begriff der organisierten Kriminalität "ein arbeitsteiliges, bewußtes und gewolltes, auf Dauer angelegtes Zusammenwirken mehrerer Personen zur Begehung strafbarer Handlungen- häufig unter Ausnutzung moderner Infrastrukturen - mit dem Ziel, möglichst schnell hohe fmanzielle Gewinne zu erzielen" zu verstehen. 3 Strukturen organisierter Kriminalität haben sich in den letzten Jahren4 in vielen ' So gab es im Jahre 1963 noch 1.679.000 polizeilich registrierte Straftaten, während die Zahl bis zum Jahr 1990 auf 4.455.000 anstieg, sich also in einem Zeitraum von knapp drei Jahrzehnten fast verdreifachte, und im Jahr 1993 - allerdings aufgrund der absoluten Zahlen insofern verzerrend, als die neuen Bundesländer miterfaßt sind - bei 6.751.000 liegt; vgl. das Schaubild bei Eisenberg, Kriminologie,§ 45, Rdn. 7. 2 Zur Arbeitsweise der organisierten Kriminalität: Zachert, Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland: Strukturen, Bedrohungspotential, Bekämpfungsprobleme, BKA-Vortragsreihe Band 36 - Organisierte Kriminalität in einem Europa durchlässiger Grenzen, S. 37 ff. 3 Ostendorf, JZ 1991, 62 (63). Kritisch zu dieser Definition Hettinger, Entwicklungen im Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Gegenwart, S. 55 ff. m.w.N., der beispielsweise darauf hinweist, daß das Zusammenwirken mehrerer nichts anderes ist als der bereits seit langem bekannte Bandendiebstahl oder die Bandenhehlerei; in diesem Sinne auch Leutheusser-Schnarrenberger, ZRP 1998, 87 (88), die die unterstellte und noch nicht bewiesene Gefahrdung der Rechtsgemeinschaft durch die organisierte Kriminalität auf die Unkenntnis des Staates über ihre Funktionsweise zurückfUhrt. 4 Unter anderem aufgrund der politischen Entwicklungen in den mittel- und osteuropäischen Staaten sowie im wiedervereinigten Deutschland, Kühne in Kühne/Miyazawa, Neue Strafrechtsentwicklungen, S. 153 (167).

1. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

16

Bereichen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, wie etwa in der Industrie, der Justiz, der Politik, in Bereichen der Polizei5 sowie der Finanzen6 ausgebreitet und verfestigt. Prognosen gehen von einem stark steigenden Trend aus. 7 Dieser bedrohlichen Entwicklung Einhalt zu gebieten, ist gesamtgesellschaftliches Ziel und staatliche Aufgabe. 8 Die Kriminalitätsbekämpfung oder, genauer gesagt, die Kriminalitätskontrolle - eine vollständige Beseitigung der Kriminalität ist Utopie9 - und damit die Gewährleistung von Rechtsfrieden ist eine dem Staat zugewiesene Aufgabe. Auch verfügt nur der Staat über ein entsprechendes personelles und organisatorisches Instrumentarium. Vor dem Hintergrund der steigenden Kriminalität ist der Ruf nach Gegenmaßnahmen immer lauter geworden, wobei insbesondere der Gesetzgeber aufgefordert wird, entsprechende Rechtsgrundlagen zu schaffen. 10 Wenn sich diese Arbeit mit den einschlägigen Rechtsgrundlagen beschäftigt, so soll dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Ausdehnung staatlicher Eingriffsbefugnisse nicht der einzige Weg ist, gegen kriminogene Strukturen vorzugehen. Beispielsweise hat neben einer besseren personellen und fmanziellen Ausstattung der zuständigen staatlichen Organe11 das Problem der organisierten Kriminalität insofern auch eine gesamtgesellschaftliche Dimension, als ihre Bekämpfung nicht allein Aufgabe des Gesetzgebers sein kann. Vielmehr karm auch Aufklärung der Bevölkerung etwa in bezug auf das Verbraucherverhalten eben-

s Krey, JR 1998, 1. Burghard, Kriminalistik 1990,501 ff.; Wittmann, DIE ZEIT v. 3.5.1996, S. 25. 7 Nach einem Bericht des BKA, Organisierte Kriminalität - Wie groß ist die Gefahr?, S. 25, wird von einer Verdoppelung der organisierten Kriminalität bis zum Jahr 2000 gesprochen. Danach soll ihr Anteil an der Gesamtkriminalität von 19% im Jahr 1988 auf etwa 37% im Jahr 2000 steigen; Risch, Kriminalpolitik 1997, 82; vgl. auch die FAZ v. 25.11.1996, S. 9, in welcher der Berliner Polizeipräsident Saberschinsky von einer "metastasenartigen" Ausbreitung der organisierten Kriminalität spricht. Im Jahre 1996 waren 845 Ermittlungsverfahren wegen organisierter Kriminalität anhängig, im Jahre 1995 waren es noch 787; im Gegensatz dazu ist die allgemeine Kriminalität leicht rückgängig, vgl. die FAZ v. 2.9.1997, S.4. Kritisch zu solchen Statistiken allerdings Hettinger, Entwicklungen im Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Gegenwart, S. 9 f., der zu Recht auf die Fehleranfälligkeit solcher Verbrechensstatistiken hinweist, was nicht zuletzt damit zusammenhängen dürfte, daß eine Definition der organisierten Kriminalität aufgrund der unterschiedlichen Interpretation des Begriffs nur schwer gelingt (S. 58). Durch die damit gegebene schwere Einschätzbarkeil der gegenwärtigen Situation wird eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf die künftige Kriminalitätsentwicklung noch schwieriger. s Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 11; Götz, HStR, § 79, Rdn. 4. Vgl. dazu auch die Ausführungen in diesem Kapitel, D. 9 Kniesel, Kriminalistik 1996, 229. 10 Etwa Saberschinsky, Europa als Absatzmarkt des illegalen Rauschgifthandels, in: BKA-Vortragsreihe Band 36, S. 179 (195 f.). II Dies sieht auch Kühne in Kühne/Miyazawa, Neue Strafrechtsentwicklungen, S.l53(169). 6

1. Kap.: Einftihrung in die Problematik

17

so zu einer Kriminalitätskontrolle beitragen wie eine sinnvolle Wirtschafts- und Sozialpolitik. 12 Die Bekämpfung der Alltags- und der organisierten Kriminalität ist in der Bundesrepublik der Polizei zugewiesen und zweigleisig geregelt. Man versucht, sich ihr auf zwei Weisen zu nähern und unterscheidet dabei die Bereiche der Prävention und der Repression. Auf der Ebene der Prävention wird versucht, einen deliktsbedingten Schaden erst gar nicht entstehen zu lassen; einer Erschütterung des Rechtsfriedens soll also vorgegriffen werden. Ziel ist demnach, Gefahrenherde auszumachen, die auf ein in der Zukunft liegendes delinquentes V erhalten schließen lassen, um diesem rechtzeitig entgegenzutreten. Während damit die Prävention zukunftsgerichtet arbeitet, orientiert sich die Repression an in der Vergangenheit liegenden Sachverhalten. Insoweit setzt sie erst ein, wenn ein Rechtsgut bereits verletzt ist und es nur noch um die Suche nach dem dafür Verantwortlichen geht. Strafrechtlich sanktioniertes V erhalten soll geahndet werden. Oberstes Ziel der Prävention ist es, Rechtsgutsverletzungen bereits im Vorfeld zu vermeiden, während die Strafverfolgung auf ein in der Vergangenheit liegendes V erhalten reagiert. Obwohl es sich dabei um einen für sich genommen abgeschlossenen Vorgang handelt, beinhaltet auch die staatliche Repression präventive Elemente, und es schließt sich der Kreis zur Schadensverhinderung. So enthält die Strafverfolgung ebenso ein Moment der Prävention, nämlich das der Spezial- wie das der Generalprävention: 13 Der einzelne Straftäter soll ebenso wie die Allgemeinheit durch die Durchführung des Strafverfahrens davon abgehalten werden, sich künftig gegen die Rechtsordnung aufzulehnen. 14 Die Rechtsgrundlagen für das präventive und repressive Vorgehen des Staates und seiner Organe sind für den gefahrenabwehrrechtlichen Bereich die Polizeigesetze der Länder und für die staatliche Strafverfolgung die bundesrechtliche Strafprozeßordnung. Beide Regelungsbereiche haben aus jeweils 12 Vgl. dazu den Bericht des BKA, Organisierte Kriminalität- Wie groß ist die Gefahr?, S. 122 f Weitere interessante Denkansätze finden sich bei Kube/Vahlenkamp, Die Polizei 1993, 241 ff. 13 Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts Allg. Teil, § 8, II, 3a; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht Allg. Teil, § 63, Rdn. 88 ff. Der Präventionsgedanke geht zurück auf Feuerbach, vgl. Döring, Feuerbachs Straftheorie und ihr Verhältnis zur Kantischen Philosophie, S. 29; Schäfer in Löwe!Rosenberg, Kommentar zur StPO, Ein!. Kap. 6, Rdn. 2; Tiedemann, FS ftir Peters, S. 131 (141); vgl. auch die knappe Darstellung zur Entwicklung der Straftheorien bei Bock, JuS 1994, 89 (90 f); eine ausfUhrliehe Darstellung findet sich bei Eisenberg, Kriminologie, § 41 und § 42. Jedoch zeigt sich der präventive Effekt der Straftatverfolgung flir die Kriminalitätsbekämpfung als Ganzes nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar, da die Erschütterung des Rechtsfriedens bereits eingetreten ist. Dies verkennt wohl Stümper, Kriminalistik 1975,49. 14 Wobei die Prävention durch Abschreckung nicht bereits im Rahmen des Strafverfahrens greifen darf, sondern erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung. Erst dann besteht eine Straflegitimation, Krauß, FS ftir Schaffstein, S. 411 (424). 2 Lindner

18

I. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

unterschiedlichem Blickwinkel zum Ziel, der Sicherheit im Staat zu dienen und damit ein friedliches Zusammenleben aller zu gewährleisten. Allerdings wird dem Staat vorgeworfen, die Handlungsfähigkeit seiner Organe zu sehr zu beschränken, so daß eine effektive Kriminalitätsbekämpfung unmöglich sei. 15 Die Landesgesetzgeber haben bereits reagiert und die Polizeigesetze mit der Absicht geändert, der Polizei mehr Eingriffsbefugnisse zu verleihen. So haben einige Länder die verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrollen eingefiihrt. 16 Es wurden aber insbesondere der sog.17 "Große Lauschangriff"18 nach dem Vorbild des § 8c III VE ME PolG19 - als die kontrollierte Ausforschung von Lebensvorgängen innerhalb einer Wohnung20 - und der Einsatz Verdeckter Ermittler entsprechend dem Vorschlag von§ 8c II Nr. 3 VE ME PolGin die Landespolizeigesetze aufgenommen. Man verspricht sich durch diese Maßnahmen, einen besseren Einblick in die spezifische Vorgehensweise der organisierten Kriminalität und in die besonderen, sie auszeichnenden Strukturen zu bekommen. Der Bundesgesetzgeber hat durch das OrgKG21 die Strafprozeßordnung in Teilbereichen geändert, was aber von einigen Kritikern als noch unzureichend eingestuft wird.22 Insbesondere bestand, nach dem Vorbild der Polizeigesetze, die Forderung nach der Aufnahme des "Großen Lauschangriffs" und damit auch nach einer Änderung des Grundgesetzes, was heftige Diskussionen ausgelöst23 und nach sieben Jahren der Diskussion erst in allerjüngster Zeit eine Mehrheit im Parlament gefunden hat.24 15 Vgl. etwa Finkenzeller "Lauschen aufbayerisch" in FAZ v. 26.11.1993. Er spricht im Zusammenhang mit der Strafverfolgung von Behörden, die gezwungen sind, in Fesseln zu arbeiten. 16 Sehr kritisch Lisken, NVwZ 1998, 22 ff. 17 Gegen diese tenninologische Bezeichnung wendet sich aufgrund der mit ihr verbundenen negativen..Assoziation Zachert, DRiZ 1992, 355, der neutralere Ausdrücke wie "elektronische Uberwachung" oder "elektronische Aufklärung" vorzieht. Um wenigstens die im "Lauschangrifl" enthaltene Aggressivität zu vermeiden, sollte aber von einem "Lauscheingriff' gesprochen werden. 18 Der "Große Lauschangrifl" wird im Gegensatz zum "kleinen" ohne Beisein eines polizeilichen Organs durchgeflihrt, Kleinknecht/Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO, § I OOc, Rdn. 5; Krey, Rechtsprobleme des strafprozessualen Einsatzes Verdeckter Ermittler, BKAForschungsreihe, Rdn. 33 ff.; Hermes in Dreier, Kommentar zum GG, Art. 13, Rdn. 49. 19 Veröffentlicht mit amtlicher Begründung von Kniesel/Vah[.e, Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes in der Fassung des Vorentwurfs zur Anderung des ME PolG, Heidelberg 1990; ohne amtliche Begründung und ohne Alternativvorschläge ist der VE ME PolG auch abgedruckt bei Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdn. 409 ff. 20 Raum/Palm, JZ 1994, 447. 21 Gesetz vom 15. Juli 1992, BGBI. 1., S. 1302 ff. .. 22 Etwa Krüger, Die Polizei 1993, 29 ff.; anders Zaczyk, StV 1993, 490 ff. , der in den Anderungen bereits heute eine zu große Einengung der Verfahrensrechte des Beschuldigten sieht; ähnlich kritisch Deckers, NJW 1991 , 1151 ff. 23 V gl. zu den Diskussionspunkten etwa die Ausflihrungen in: Der Spiegel v. 17.6.1996, S. 40ff.; die FAZ v. 15.6.1996 oder das Interview mit dem ehemaligen Innenminister von NRW Schnoor",Ein Verdacht alleine reicht nicht aus", in: DIE ZEIT v. 12.11.1993; Eisen-

I. Kap.: Einführung in die Problematik

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Eine Ausweitung der Möglichkeiten der Kriminalitätsbekämpfung ist jedoch nicht umsonst zu haben. So steht auf der Kostenseite der Umstand, daß durch jede Ausdehnung staatlicher Eingriffsbefugnisse dem Freiheitsbereich des Bürgers nun von einer anderen Seite - nämlich von der staatlichen selbst - Gefahr droht. Denn die an sich legitime Zielverfolgung des Staates führt dazu, daß Privatpersonen ihnen vorher unbekannten Eingriffen in ihr Privat- und Intimleben unterworfen sind. Es kann etwa die Wohnung des Bürgers abgehört werden, oder ein staatliches Organ kann sich, ohne daß es fiir den Bürger erkennbar wäre, in sein Vertrauen einschleichen, um auf diese Weise an bestimmte Informationen zu gelangen, die ihm in seiner Eigenschaft als staatlicher Person niemals anvertraut worden wären. Damit auch dem Freiheitsbereich des Bürgers ausreichend Rechnung getragen wird, darf deshalb die staatliche Informationserhebung keinesfalls grenzenlos sein. Daß sie zu einer völligen Aushebung des Freiheitsbereiches fiihren kann, hat die Polizeitätigkeit während des Nationalsozialismus oder des SED-Regimes eindrucksvoll bewiesen. Insofern gleicht die Kriminalitätsbekämpfung einer Gratwanderung zwischen hinreichender Gewährleistung von innerer Sicherheit und dem Abgleiten in einen freiheitsfeindlichen Polizeistaat.

B. Die Begleitinformation als bisher unbekannte Kategorie des Informationsanfalls I. Einführung Eine in diesem Grenzbereich liegende Frage - innerer Frieden auf der einen Seite, Freiheitsrechte des einzelnen auf der anderen- will vorliegende Arbeit klären. Während die grundrechtliche Problematik erweiterter Eingriffsbefugnisse von anderer Seite bereits ausgiebig und mit widerstreitenden Argumenten erörtert

berg, NJW 1993, 1033 (1037 f.); Seifert, KJ 1992, 355 ff.; Lisken, ZRP 1993, 121 (122); BK-Herdegen, Kommentar zum GG, Art. 13, Rdn. 86 f; Raum!Palm, JZ 1994, 447ff.; Leutheusser-Schnarrenberger, ZRP 1998, 87ff.; Krey, JR 1998, I (6) mit dem Hinweis darauf, daß der "Große Lauschangriff' bereits in vielen westlichen Demokratien, wie etwa in den Vereinigten Staaten, in England oder Italien, geltendes Recht ist. 24 Der Deutsche Bundestag hat am 16.1.1998 aufgrund der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsauss!ihusses (BT-Drs. 13/9642 und 13/9660) jeweils mit den erforderlichen Mehrheiten die Anderung von Art. 13 GG beschlossen sowie dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität (BT-Drs. 13/8651, 13/9644, 13/9661) zugestimmt (BR-Drs. 8/98 v. 16.1.1998). Am 6.2.1998 hat auch der Bundesrat der Grundgesetzänderung zugestimmt (BR-Drs. 8/98 v. 6.2.1998); wegen zahlreicher Divergenzen beim einfachgesetzlichen Ausflihrungsgesetz, insbesondere in bezugauf den Schutz von Berufsgeheimnisträgem, hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen. Einen Überblick über den Verlauf der Beratungen sowie über die Änderungen der StPO geben Meyer!Hetzer, NJW 1998, I 017 ff.

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1. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

wurde,2s ist eine Folgeproblematik, die sich bei unterstellter Rechtmäßigkeit staatlicher Informationserhebung ergibt, fast unbeachtet geblieben. Angesprochen ist die Frage nach dem Umfang der Verwertbarkeit von Informationen, die während präventiv-polizeilicher Tätigkeit anfallen, unmittelbar fiir die Gefahrbeseitigung aber nicht notwendig sind, sondern, da sie auf eine begangene Straftat hinweisen, einen Tatverdacht begriinden. Im Gegensatz zur ähnlich gelagerten Problematik bei auf strafprozessualer Ebene erhobenen Informationen, auf die es die Polizei im Rahmen einer Maßnahme nicht abgesehen hat, die ausfiihrlich untersucht26 und teilweise im Gesetz ausdrücklich geregelt ist,27 sind die Grenzen staatlicher Informationsverarbeitung fiir im Gefahrenabwehrbereich angefallene Informationen weitestgehend unerforscht geblieben. Während sich diese Problematik beim bekannten sog. "Zufallsfund" klassischerweise allein im Rahmen strafprozessualer Eingriffsmaßnahmen bewegt,28 wendet sich die unter präventiven Gesichtspunkten vorgenommene Informationserhebung dann in Strafverfolgung des einzelnen, wenn während der Gefahrenabwehr strafrechtlich interessantes Informationsmaterial anfallt. Ob eine vollumfangliehe Nutzung dieser Informationen auch dann gelten kann, wenn es sich um Daten handelt, die aufgrund von präventiv-polizeilichen Eingriffstatbeständen angefallen sind, bei denen ein solcher Informationsanfall gehäuft auftritt, ist Thema dieser Arbeit. Insoweit ist es aufgrund technischer Grenzen in vielen Fällen unmöglich, Tatbestandsnormen so zu fassen, daß nur die Informationen erhoben werden, die zur Gefahrenabwehr benötigt werden. Wäre dagegen eine fokussierte Informationserhebung möglich, würde und müßte sich diese allein auf Personen beschränken, die zur Gefahrenabwehr benötigt werden. Da dies aber unmöglich ist, wird eine Vielzahl von Personen zwangsläufig in 2S Vgl. etwa Hund, NJW 1992,2118 ff.; ders., ZRP 1991,463 ff.; Welp, DÖV 1970, 267 ff.; Rudolphi in FS fur Schaffstein, S. 433 ff.; Wolter, GA 1988, 49 ff.; Küpper, JZ 1990, 416 ff.; Behrendes, Die Polizei 1988, 220 ff.; Köhler, StV 1994, 386 ff.; Lisken, DRiZ 1987, 184 ff.; ders., ZRP 1993, 121 ff.; Peitsch, ZRP 1992, 127 ff.; Rieft, NJ 1992, 491 ff.; Rogall, GA 1985, I ff.; Geiger, Verfassungsfragen zur polizeilichen Anwendung der Videoüberwachungstechnologie bei der Straftatbekämpfung, Berlin 1994; Neumann, Vorsorge und Verhältnismäßigkeit, Berlin 1994; speziell zum "Lauschangriff': De Lazzer!Rohlf, JZ 1977, 207 ff.; Raum/Palm, JZ 1994, 447 ff.; Seifert, KJ 1992, 355 ff.; Zachert, DRiZ 1992,355 ff. 26 Vgl. beispielsweise Kaiser, NJW 1974, 349f.; Knauth, NJW 1977, 1510ff.; ders., NJW 1978,741 ff.;Maiwald,JuS 1978,379 ff.; Schünemann, NJW 1978,406 ff.; Welp, Jura 1981, 472 ff.; Prittwitz, StV 1984, 302 ff.; Labe, Zufallsfund und Restitutionsprinzip, Berlin 1990. 27 Etwa in§§ IOOb V, !!Oe, 163d IV 5 StPO. 28 So versteht man unter dem Terminus ,,Zufallsfund" Erkenntnisse, die bei strafprozessualer Tätigkeit entstehen, die sich jedoch nicht auf die Tat beziehen, derentwegen die jeweilige Maßnahme angeordnet und durchgeflihrt wurde, Labe, Zufallsfund und Restitutionsprinzip, S. I 05. Aus dieser Umschreibung wird bereits deutlich, daß der Begriff des Zufallsfundes grundsätzlich bisher nur im Kontext mit der staatsanwaltschaftliehen Ermittlungstätigkeit im Rahmen der Strafprozeßordnung auftaucht und diskutiert wird.

I. Kap.: Einführung in die Problematik

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polizeiliche Maßnahmen miteinbezogen, und es stellt sich das Problem der Verwertbarkeit von solchen Informationen, bei denen sich der Informationsgehalt nicht auf den gefahrenabwehrrechtlichen Zweck bezieht. Daß diese Frage nicht ohne weiteres bejaht werden kann, sondern vielmehr problematisch ist, zeigt bereits die an die Bundesregierung gerichtete Große Anfrage vom 3. Juli 1995.29 Darin fragten Vertreter des Bundestages unter anderem, was mit den Informationen geschehe, die im Wege des Einsatzes elektronischer Mittel erlangt werden und in wievielen Fällen die im gefahrenabwehrrechtlichen Bereich erhobenen Daten in der Vergangenheit zur Strafverfolgung genutzt worden sind.30 Im folgenden soll allerdings zunächst herausgearbeitet werden - unter der noch zu verifizierenden Hypothese, daß die präventiv-polizeilichen Eingriffsgrundlagen zu einer Vielzahl an Informationen fiihren -,was im Rahmen dieser Arbeit unter einer Information zu verstehen ist, die im Einzelfall zwar beiläufig, insgesamt aber notwendig und damit in vorhersehbarer Weise erlangt wird. Dabei wird es erforderlich sein, das polizeiliche Informationsaufkommen grundsätzlich zu systematisieren. Hier wird sich zeigen, daß die bisher angenommenen Fundkategorien um die Fallgruppe der beiläufig erlangten, insgesamt aber typischerweise anfallenden Information zu erweitern ist.

II. Systematisierung des Informationsaufkommens Der Begriff der Gefahrenabwehr ist vielschichtig und dementsprechend auch die tägliche Polizeiarbeit So geht es nicht nur darum, einen Selbstmörder daran zu hindern, aus dem Fenster zu springen, die Bevölkerung vor Taschendieben zu warnen oder entlaufene Tiger wieder einzufangen und somit Gefahren von Leben, Gesundheit und Eigentum abzuwehren. In den genannten Beispielen ist eine Zuordnung der polizeilichen Tätigkeit zu einem defmierbaren und zu schützenden Schutzgut leicht möglich: Die Gefahr ist in ihrer konkreten Gestalt erkennbar und die einzusetzenden Mittel, um sie zu bekämpfen, können an ihr ausgerichtet werden: Der Selbstmörder soll durch psychologischen Beistand überredet werden, von seiner Tat Abstand zu nehmen; vorsichtshalber wird ein Sprungtuch gespannt. Für die Unfallopfer werden Erste-Hilfe-Maßnahmen eingeleitet und ein Krankenwagen gerufen. Der Tiger wird wieder eingefangen und in den Zoo zurückgebracht. Diesen Maßnahmen ist gemeinsam, daß neben ihnen, mangels Einschätzungsprärogative der Polizei, kaum Alternativen bestehen: Die Tatsache, daß eine Gefahr vorliegt, kann ebenso genau bestimmt werden wie das Ausmaß der Gefahr. Damit aber liegt eine genaue Zielvorgabe vor, die staatliche Maßnahme kann fokussiert werden.

29 30

BT-Drs. 13/1925. Dazu im dritten Teil, 2. Kapitel, C.

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I. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

Wie bereits ausgeführt, beschränkt sich die Aufgabe der Gefahrenabwehr allerdings nicht nur auf das, was in der Bevölkerung gemeinhin als die Aufgabe des "Schutzmanns" angesehen wird. So gibt es auch Gefahren, die nicht unmittelbar als solche erkennbar sind oder bei denen es zumindest zweifelhaft ist, ob sie überhaupt vorliegen oder, wenn dies feststeht, welches Ausmaß sie haben. Eine attributive Bestimmung ist also schwierig. Natürlich wäre es möglich abzuwarten, bis klar ist, ob überhaupt eine Gefahr vorliegt oder bis das Ausmaß und die möglichen Gefahrenquellen stärker konturiert sind. In diesem Fall aber würde das Risiko bestehen, daß durch Zeitlauf unveränderbare Tatsachen geschaffen werden und die Gefahr überhaupt nicht mehr abgewendet werden kann. Knüpft man also in diesen Fällen an den Begriff der Gefahr an, so ist sie eine unbestimmte Größe, die mangels genauer Zielvorgabe nicht mit nur einem bestimmten Mittel bekämpft werden kann. Dem Merkmal der Gefahr kommt nicht die ihr grundsätzlich vorgesehene innewohnende steuernde Funktion zu, denn es gilt, eine unbekannte Größe zu bekämpfen. Dementsprechend können die staatlichen Eingriffsbefugnisse auch nicht in dem Maße kanalisiert werden, wie dies bei einer genau defmierten Zielvorgabe der Fall ist. Liegt etwa ein Fall von Wasserverunreinigung vor und ist der dafür Verantwortliche bekannt, so kann allein gegen ihn vorgegangen werden. Ist dagegen unbekannt, auf wen die Verunreinigung zurückzuführen ist, so wird gegen mehrere Personen als potentiell Verantwortliche vorgegangen werden müssen. Nur auf diese Weise wird der eigentliche Verursacher gefunden werden. Stützt sich die Polizei im Rahmen ihrer Suche nach dem Gefahrenherd zusätzlich auf Informationserhebungsmaßnahmen, denen deshalb eine "Streubreite"31 zukommt, weil von ihnen auch Personen erfaßt werden können, die von vornherein zur Gefahrbeseitigung nichts beitragen können, so kann dies zu einem erhöhten Informationsaufkommen führen. Hier sei der sog. "Lauschangriff" nach dem Vorbild des§ 8c III VE ME PolG genannt, bei dem die Polizei mittels Riebtmikrophonen das in einer Wohnung gesprochene Wort abhört. Bei dieser Art des Vorgehens ist es technisch nicht möglich, nur die zur Gefahrenabwehr unmittelbar relevanten Informationen herauszufiltern. Darüber hinaus ist eine sachliche Bewertung der Informationen erst im nachhinein möglich, so daß zunächst die Notwendigkeit besteht, alle Informationen zu erfassen. Die staatlichen Organe sind sich also bereits zu Beginn einer Maßnahme bewußt, daß ihr Eingriffaufgrund seiner Streubreite zu einer Fehlerquote führen wird, sie die Erstreckung auf bestimmte Informationen also nicht steuern können. Schließlich gibt es noch die Variante, bei der die Polizei im Rahmen sich laufend neu aktualisierender Eingriffe vorgeht. In diesem Fallliegt eine Kumulation von Quailtität und Streubreite vor. Dies trifft insbesondere auf den Verdeckten Ermittler zu, also auf eine Person, die sich unter einer Legende im kri31 Dieser treffende Ausdruck stammt von Welp, Jura 1981,472.

1. Kap.: Einflihrung in die Problematik

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minellen Milieu zu etablieren versucht, um auf diese Weise an für die Polizei strafrechtlich interessante Informationen zu gelangen. Sein Einsatz ist auf längere Zeit angelegt, so daß er zur Abwehr einer unmittelbaren konkreten Gefahr erst gar nicht geeignet ist. 32 Da diesem Eingriff neben seiner Intensität auch das Element der Dauer innewohnt, werden in seinem Rahmen besonders viele Informationen bekannt. Damit ist festzuhalten, daß die Polizeiarbeit aufgrund tatsächlicher Unzulänglichkeiten mehr Informationen hervorbringt, als die Polizei letztlich fiir das Ziel der Gefahrenabwehr benötigt. Insoweit fehlen ihr in vielen Fällen einfach nähere Informationen, die es ihr erlauben, direkt und unmittelbar die Gefahrenabwehr einzuleiten. Darüber hinaus betritt die Polizei mehr und mehr durch die präventive Kriminalitätsbekämpfung den Bereich der Gefahrenvorsorge,33 d.h., sie will einer Gefahrentstehung bereits im Vorfeld begegnen. Schließlich tragen zu diesem erhöhten Informationsanfall auch technische Unzulänglichkeiten bei, da es rein faktisch nicht möglich ist, genau auf die Informationen Zugriff zu nehmen, die für die gefahrenabwehrende Maßnahme relevant sein werden. Kommen dann noch Eingriffsermächtigungen hinzu, die aufgrundihrer Streubreite eine Vielzahl von Informationen hervorbringen, dann liegt eine Kumulation von Eingriffsqualität und -quantität vor, die zu einem massiven Informationsaufkommen fuhren - die polizeilichen Möglichkeiten sind so ausgestaltet, daß eine Vielzahl von Personen betroffen ist: Störer, Nichtstörer sowie gänzlich unbeteiligte Dritte. Die in diesem Zusammenhang anfallenden Informationen sind von unterschiedlicher Qualität, da es sich einmal um Informationen handeln kann, auf die es die Polizei abgesehen hat, es andererseits aber zu vielen Informationen kommt, die die Polizei gar nicht erheben wollte oder mit denen sie nicht gerechnet hat. Während weder die Rechtsprechung noch die Literatur34 oder der Gesetzgeber Unterscheidungen im Hinblick auf die Qualität einer im Rahmen einer polizeilichen Tätigkeit anfallenden Information macht, kann bei der Frage nach der Verwertbarkeit einer nicht intendierten Information nicht auf eine entsprechende Kategorisierung verzichtet werden. Vielmehr hat sich die Verwertbarkeitsrrage an der Art und Weise auszurichten, die zu dem jeweiligen Informations32 Was Bäum/er in HbdPR, Kap. J, Rdn. 514, zu Recht bemerkt, jedoch gleichzeitig darauf hinweist, daß, da der Verdeckte Ermittler bereits dann eingesetzt werden darf, wenn noch keine unmittelbar drohende Gefahr vorliegt, der Einsatz nicht unzulässig wird, wenn es dann doch zu einer Gefahr kommt. 33 Vgl. dazu in diesem Kapitel unterE, II, 2c. 34 Eine Ausnahme bildet Labe, Zufallsfund und Restitutionsprinzip, S. 88 ff., der die Eingriffsbefugnisse im strafprozessualen Bereich in drei Gruppen unterteilt, je nachdem, mit welcher Zielgenauigkeit das polizeiliche Handeln aufgrund der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage möglich ist. Labe zieht allerdings aus dieser Erkenntnis keine Konsequenzen flir die Definition des Begriffs Zufallsfund, vgl. S. 104 ff.

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1. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

anfall gefiihrt haben. So ist es für die Inanspruchnahme des einzelnen von Bedeutung, mit welcher Aggressivität und Zielgerichtetheit die Polizei in die grundrechtsgeschützte Persönlichkeitssphäre der Betroffenen eingreift und dabei, aufgrund des spezifischen Charakters der Maßnahme, in vorhersehbarer Weise auch zu Informationen über Personen gelangt, die mit dem eigentlichen, auf Gefahrenabwehr gerichteten Vorgang nichts zu tun haben. Die hier notwendige qualitative und terminologische Kategorisierung soll im folgenden vorgenommen werden, da sich eine unterschiedliche Behandlung der jeweiligen Informationen auf strafprozessualer Ebene aufdrängt.

1. Die Absichtsinformation (" gefahrspezifische" Information 35) Führt die Polizei bestimmte Maßnahmen durch, so stützt sie sich dabei auf Eingriffsnormen, die ihr Handeln defmieren und beschränken. Geht sie aufgrund einer bestimmten Ermächtigungsgrundlage vor, so verfolgt sie den Zweck, an die Informationen zu gelangen, derentwegen sie die Maßnahme vorgenommen hat. Entsprechend der polizeilichen Intention könnte man - in Anlehnung an das traditionelle Tatbestandsmerkmal der Gefahr - von einer gefahrspezifischen Information oder von einer Absichtsinformation sprechen. Hier besteht Deckungsgleichheit zwischen lnformationserhebung, lnformationserlangung und schließlicher Gefahrbeseitigung. Als Beispiel soll die einfache Identitätskontrolle dienen, die vor einem Fußballspiel durchgeführt wird, um Fans, die beim letzten Spiel Schaden angerichtet haben, am Einlaß zu hindern. Ziel ist es, eine erneute Rechtsgutsverletzung zu verhindern. In diesem Fall ist die polizeiliche Maßnahme allein auf die Identitätskontrolle gerichtet; nur die Personenidentität ist für die Polizei interessant, und die Erhebung dieser Information liegt in ihrer Absicht. Entdeckt die Polizei bei der Kontrolle zufälligerweise einen entwichenen Straftäter oder eine aus anderen Gründen polizeilich gesuchte Person, so ändert dies an der Qualität des Absichtsfundes nichts. Zwar zieht die Identitätskontrolle nun auch Strafverfolgung nach sich, diese kann jedoch unmittelbar auf die vorhergegangene Identitätsfeststellung der Person zurückgeführt werden. Es wurde kein Mehr an Information erlangt, vielmehr ist der Stellenwert, welcher der Information nun beigemessen werden kann, ein anderer. Als Unterfall der gefahrspezifischen (Absichts-)Information könnte man hier von einem Absichtsfund mit Begleitfunktion zur Strafverfolgung sprechen. Zwar hat die sich anschließende Strafverfolgung mit dem ursprüngli35 Mit diesem Ausdruck soll nur deutlich gemacht werden, daß die erhobene Information mit der polizeilichen Intention, derentwegen die Maßnahme durchgeführt wurde, in Zusammenhang steht. Daß sich nach heutigem Polizeiverständnis die polizeiliche Tätigkeit auch auf Feldern bewegt, bei denen keine konkrete Gefahr vorliegt und vielmehr Gefahrvorsorge betrieben wird, wird dabei nicht verkannt, soll aber der terminologischen Einfachheit halber außer Betracht bleiben.

1. Kap.: Einfiihrung in die Problematik

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eben Eingriffsgrund der Gefahrenabwehr nichts mehr zu tun, sie knüpft jedoch unmittelbar an den Informationsgehalt der Absichtsinformation an. So handelt es sich in dem Beispielsfall der Gewässerverunreinigung auch dann um eine Absichtsinformation, wenn der letztlich Verantwortliche gegen das Umweltstrafrecht verstoßen hat und er sich diesbezüglich auch strafrechtlich zu verantworten hat. 2. Die präventiv-polizeiliche Zufallsinformation (,,gefahrunspezifische " lnformation 36)

Die präventiv-polizeiliche Zufallsinformation unterscheidet sich von der Absichtsinformation dadurch, daß sie "gefahrunspezifisch" ist: Zur Gefahrbeseitigung trägt sie nichts bei, sie fallt aber gleichwohl im Rahmen der Gefahrenabwehrmaßnahme an. Allerdings liegt ihr Informationsanfall unter Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten so außerhalb der Erhebungsnorm, daß mit ihr zu Beginn der Maßnahme keinesfalls gerechnet werden konnte. Im Rahmen des bereits bekannten Beispielsfalls der Identitätsfeststellung würde es sich etwa dann um eine Zufallsinformation handeln, wenn bei Aufnahme der Personalien - etwa beim Herausnehmen des Personalausweises - ein Päckchen Heroin auf die Erde fallen würde. So ist zwar auch diese Folge primär auf die ursprüngliche Maßnahme zurückzufiihren, denn ohne sie wäre es zu dem Vorfall von vomherein nicht gekommen. Allerdings ist dieser konkrete Erfolg keine Realisation der der spezifischen Ermächtigungsgrundlage innewohnenden Streubreite. Gerade bei der Identitätsfeststellung handelt es sich um einen punktuellen Zugriff, da sich die Informationserhebung von vornherein nur auf die Person beschränkt, die ihre Identität preisgeben muß. Eine präventiv-polizeiliche Zufallsinformation liegt schließlich auch dann vor, wenn sich zwar die in der Ermächtigungsgrundlage spezifischerweise enthaltene Streubreite und damit die Fehlerquote realisiert, die auf diese Weise erlangte Information aber so außerhalb einer Vorhersehbarkeit liegt, daß mit ihr zu Beginn der Erhebungsmaßnahme billigerweise nicht gerechnet werden konnte. In diesem Fall verwirklicht sich nämlich nicht allein der in der Ermächtigungsgrundlage enthaltene schwer steuerbare lnformationszugriff, sondern ein in Kumulation dazu vorliegendes Element, welches es nicht mehr rechtfertigt, den Fund als eingriffsimmanent zu bezeichnen. Zu denken ist hier etwa an das Abhören einer Wohnung oder an eine telefonische Abhörmaßnahme, während der sich die abgehörten Personen nicht nur über ihre, sondern auch über die Straftaten eines Dritten, nicht Anwesenden, unterhalten. 37 In diesem Fall realisiert sich zwar auch das Unvermögen

V gl. hier auch die vorstehende Fußnote. Vgl. hier zur Eingriffsproblematik die Ausführungen im zweiten Teil, 4. Kapitel, B, II, 4, b, c. 36 37

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I. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

des staatlichen Vorgehens, allein auf die für die Gefahrenabwehr interessanten Informationen zugreifen zu können. Jedoch kommt ein weiteres, zu Beginn der Maßnahme unerwartetes Moment hinzu, welches die Kausalkette zum staatlichen Verantwortungsbereich unterbricht, mit der Folge, daß die Erhebung der Information eine Realisation des allgemeinen Lebensrisikos darstellt. Denn daß sich die Gesprächsteilnehmer über Dritte unterhalten und dabei von deren Straftaten erzählen, ist nicht mehr spezifische Eingriffsfolge der Abhörmaßnahme. Insoweit fehlt es an einem Verantwortungsbereich, der dem Staat zuzuordnen wäre. Mit dieser Folge kann vernünftigerweise nicht gerechnet werden. Die präventiv-polizeiliche Zufallsinformation zeichnet sich also insgesamt dadurch aus, daß die unter Berücksichtigung der Ermächtigungsgrundlage ermittelte Wahrscheinlichkeit der zufälligen Informationserlangung extrem gering ist. 3. Die Beg/eitinformation ("gefahrunspezifische" Information)

Gerade dieses Wahrscheinlichkeitsurteil unterscheidet die präventiv-polizeiliche Zufallsinformation von der Begleitinformation. Zwar besteht immer dann, wenn der Staat in die Freiheitssphäre des Bürgers eingreift, die Möglichkeit, daß er nicht nur auf die Daten zugreift, die eigentlich von ihm intendiert waren, sondern daß er ein Mehr an Informationen erhebt. Dabei hängt der Informationsüberschuß davon ab, wie genau die Zielvorgaben defmiert sind und welche spezifischen Informationserhebungsmaßnahmen dem Staat zur Verfiigung stehen. Je punktueller der Staat vorgeht, je mehr er also seinen Eingriff fokussieren kann, desto weniger besteht die Gefahr, daß im Rahmen der Erhebungsmaßnahme auch Informationen anfallen, die außerhalb der Eingriffsmaßnahme stehen. Umgekehrt besteht aber auch die Gefahr, daß der Staat die von ihm beabsichtigte Information nicht erhält, er also mit seinem Eingriff letztlich "danebenschießt". Nimmt die Polizei beispielsweise eine Person in Gewahrsam,38 weil diese sich in einem Zustand befindet, in dem sie nicht mehr Herr ihrer Entschlüsse ist, dann nehmen die staatlichen Organe genau auf diese Person Zugriff. Daß im Rahmen dieser Maßnahme noch weitere Informationen anfallen werden, ist aufgrund der genauen Zielvorgabe des Eingriffs höchst unwahrscheinlich. Je breiter dagegen die Angriffsfläche ist, desto weniger kann der Eingriff gelenkt werden, so daß es zu vielen beiläufigen, im Rahmen der eigentlichen Gefahrenabwehr nicht interessanten Informationen kommt. Je mehr Streubreite demnach ein Eingriffstatbestand entfaltet, desto weniger kann die Informationserhebung auf bestimmte Informationen beschränkt werden; eine Bündelung des Eingriffs ist mithin kaum möglich. Es wird noch zu

38

Vgl. § 13 I Nr. I VE ME PolG.

l. Kap.: Einführung in die Problematik

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zeigen sein,39 daß die neuen Polizeigesetze nach dem Vorbild des Musterentwurfs für ein einheitliches Polizeigesetz (VE ME PolG) Eingriffstatbestände aufgenommen haben, die prädestiniert sind, eine Vielzahl an Informationen hervorzubringen - Informationen, die ~t der urspriinglichen Eingriffsermächtigung nichts mehr zu tun haben. Insoweit könnte man sie, da sie mit der eigentlichen gefahrenabwehrenden Maßnahme in keinem inneren Zusammenhang stehen, als gefahrunspezifische Informationen bezeichnen. Dieser Informationsüberschuß ist typische Nebenfolge eines auf breitstreuenden EiDgriffstatbeständen gestützten polizeilichen Vorgehens: Zwar tritt sie nicht im Rahmen jeder Maßnahme auf, so daß sie im Einzelfall als zufällig bezeichnet werden könnte, jedoch ist sie unter Berücksichtigung der Vielzahl und der Streubreite der Eingriffe ein unvermeidbares Ergebnis polizeilicher Tätigkeit. Eine in diesem Sinne breitstreuende Maßnahme ist die durch technische Mittel abgehörte Wohnung nach§ 8c III VE ME PolG. Werden dabei auch Gespräche aufgezeichnet, die nicht Grund der Abhörmaßnahme waren und zur Gefahrbeseitigung auch nicht dienlich sind, jedoch zwangsläufig aufgezeichnet werden, so würde es sich um gefahrunspezifische Informationen handeln. Mangels Filterungsmöglichkeit der eigentlich interessierenden Gespräche besteht folglich bei jeder Abhörmaßnahme grundsätzlich die Möglichkeit, daß auch Gespräche Anwesender aufgenommen werden, die an der Gefahrenstehung oder -beseitigung unbeteiligt sind.40 Denkbar ist demnach, daß ein Anwesender über eine von ihm verübte Straftat berichtet. Diesen Fällen ist gemeinsam, daß die Kenntniserlangung des Staates über die begangene Straftat in keinem Zusammenhang mit der Unterredung steht, aufgrund derer sich die Polizei veranlaßt sah, den Raum abzuhören.41 Da also ein bestimmter Typus an Information bei bestimmten Ermächtigungsgrundlagen gehäuft auftritt, kann man von einer den Eingriff begleitenden Information sprechen und damit von einer Begleitinformation.42 Vgl. in diesem Kapitel, E, II, 3. Insoweit wird die Umschreibung des Begleitfundes noch im Rahmen des zweiten Teils spezifiziert werden, vgl. zur Zurechenbarkeit von Informationen in bezug auf Dritte die Ausführungen im zweiten Teil, 4. Kapitel, B, II, 4, b und c. Es wird noch zu zeigen sein, daß sich Begleitinformation und präventiv-polizeiliche Zufallsinformation dadurch unterscheiden, daß die Erhebung einer Begleitinformation in zurechenbarer Weise auf die jeweilige staatliche Eingriffsmaßnahme zurückgeführt werden kann. Liegt der Informationsanfall dagegen außerhalb des staatlichen Verantwortungsbereiches, ist eine präventiv-polizeiliche Zufallsinformation gegeben. Sie kann im Rahmen eines Eingriffs erhoben werden oder aber eingriffslos anfallen. 4 1 In diese Kategorie gehört auch das Beispiel von Wolter, ZStW 107 (1995), 793 (81 0), in welchem die Polizei eine Straßenkreuzung technisch überwachen läßt, um Drogenstraftaten zu verhindem und dabei auch die Verkehrsunfallflucht eines Straßenverkehrsteilnehmers aufgezeichnet wird. 42 Bei der Frage der Abgrenzung der Begleitinformation zur präventiv-polizeilichen Zufallsinformation spielt die Frage eine Rolle, in welchen Fällen der Informationsanfall noch auf die staatliche Tätigkeit zurückzuführen ist. Ist dagegen der staatlichen Kenntnisnahme kein Eingriff vorausgegangen, dann liegt kein Begleitfund, sondern eine prä39

40

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1. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

111. Die terminologische Kehrseite auf Eingriffsebene

Die Absichts-, Begleit- und die präventiv-polizeiliche Zufallsinformation sind Produkt staatlicher Inforlnationserhebung. Als freiheitsbeschränkende Maßnahmen ist ihnen grundsätzlich43 ein Eingriff in Freiheitsrechte vorangegangen. Da dieser Eingriff auf die Erhebung einer Information gerichtet ist, nennt ihn Schwan einen Informationseingriff.44 Und weil jede staatliche Beschränkung von Freiheitsrechten nur zu einem bestimmten Zweck erfolgen darf, kann ein solcher Informationseingriff nicht um seiner selbst willen vorgenommen werden, sondern er bedarf eines bestimmten Zwecks. Im Polizeirecht ist dies grundsätzlich die Gefahrenabwehr. Jedoch kann in den meisten Fällen der Zweck nicht bereits mit der Vomahme eines Informationseingriffs erreicht werden, da die Polizei zunächst noch weitere Informationen benötigt. Dies ist etwa der Fall, wenn noch gar nicht klar ist, ob überhaupt eine Gefahr vorliegt. Oder aber eine Gefahr liegt unproblematisch vor, ihre Quelle oder ihr Verursacher sind noch unbekannt. Die hier noch notwendigen Informationen werden mit Informationseingriffen erhoben. Erst wenn die Polizei über die entsprechenden Informationen verfUgt, kann sie sinnvoll gegen die Gefahr vorgehen. An den oder die primären Informationseingriffe schließen sich demnach weitere Eingriffe an. Aufgrund der zeitlichen Abfolge könnte man sie als Folgeeingriffe45 bezeichnen. Insgesamt kann man im Rahmen einer Absichtsinformation von einer doppelten Finalität staatlicher Informationserhebung sprechen: Damit ein bestimmter Zweck erreicht werden kann (im Wege eines Folgeeingriffs), müssen zunächst die dafiir notwendigen Grundlagen geschaffen werden (Informationseingrift). Eine solche intendierte zeitliche und substantielle Abfolge liegt allein vor, wenn der Informationseingriff auf die Erhebung einer Absichtsinformation gerichtet ist. Die Absichtsinformation ist Zwischenziel auf einem Weg, der noch mit weiteren Eingriffsmaßnahmen verbunden sein wird. Bemüht man hier erneut das Beispiel der Fußballfans, die aufgrund ihres Verhaltens bei vorangegangenen Spielen am Einlaß in das Stadion gehindert werden sollen, so ist in diesem Fall die Identitätskontrolle der Informationseingriff, da es der Polizei ausschließlich auf die Identität der Einlaß begehrenden Personen ankommt. Stellt sich dabei heraus, daß tatsächlich eine Person unter den Besuchern ist, von der eine Gefahr ausgeht, so knüpfen sich an diese Erkenntnis weitere Eingriffe an, wie etwa die Verweigerung des Einlasses. Weder bei einer Begleit- noch bei einer präventiv-polizeilichen Zufallsinformation liegt eine von vornherein bestehende innere Verknüpfung von Inforventiv-polizeiliche Zufallsinformation vor, vgl. hierzu die ausführliche Darstellung im zweiten Teil, 4. Kapitel, II, 2, d. 43 Allein die präventiv-polizeiliche Zufallsinformation kann eingriffslos anfallen. 44 Schwan, VerwArch 66 (1975), 120 (128). 45 Schwan, VerwArch 66 (1975), 120 (128).

I. Kap.: Einführung in die Problematik

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mations- und Folgeeingriff vor. Als nicht intendiertes Produkt staatlicher Informationserhebung stehen beide Informationskategorien außerhalb der zu Beginn eines Informationseingriffs vorliegenden Zweckbestimmung (andernfalls würde es sich um eine Absichtsinformation handeln). Dies heißt jedoch nicht, daß sich an die Begleit- oder an die präventiv-polizeiliche Zufallsinformation nicht auch Folgeeingriffe knüpfen könnten. Bezieht sich ihr Informationsgehalt auf eine Straftat, so sind entsprechende Folgeeingriffe vom Legalitätsprinzip sogar ausdriicklich gefordert. Ob dies auch dann gelten kann, wenn diese Beziehungslosigkeit zwischen Informations- und Folgeeingriff bereits von vomherein droht, wie dies bei der Begleitinformation der Fall ist, wird noch ausfiihrlich zu prüfen sein. Damit ergibt sich auf Eingriffsseite folgendes Bild: Die Absichtsinformation unterscheidet sich von den beiden anderen Fundkategorien dadurch, daß ihre Erhebung zu einem bestimmten Zweck erfolgt. Dieser Zweck, der im Wege eines Folgeeingriffs realisiert wird, ist gleichzeitig Eingriffsrechtfertigung fiir die freiheitsbeschränkende Maßnahme. In allen übrigen Fällen erlangt die Polizei ein Mehr an Information, als sie zur Gefahrabwendung benötigt. Mögliche Folgeeingriffe stehen außerhalb der ursprünglichen staatlichen Intention, derentwegen der Informationseingriffvorgenommen wurde.

IV. Zusammenfassung Im Rahmen der staatlichen Informationserhebung ist von folgender Systematik auszugehen: Eine Absichtsinformation liegt dann vor, wenn die Information genau der Erwartungshaltung der Polizei entspricht und ihre Erhebung von ihr intendiert war. Die dadurch geschaffene Tatsachenbasis ist dann Grundlage von Folgeeingriffen. Die Begleitinformation ist Realisation der einer polizeilichen Eingriffsgrundlage immanenten Streubreite, so daß ihr Anfall bereits zu Beginn der Maßnahme vorhersehbar war. Dagegen resultiert der Fehler in der Informationserhebung bei der präventiv-polizeilichen Zufallsinformation nicht aus einer weitgreifenden Ermächtigungsgrundlage, vielmehr realisiert sich in ihr das allgemeine Lebensrisiko, das jedermann trifft. Ebenso wie bei der Begleitinformation besteht auch bei der präventiv-polizeilichen Zufallsinformation zu Beginn der polizeilichen Tätigkeit keine intendierte Verbindung zwischen der Informationserhebung und den drohenden Folgeeingriffen. In dieser Arbeit wird es allein um die Frage nach der Verwertbarkeit der Begleitinformation gehen. Da sie im Rahmen staatlicher Tätigkeit beiläufig erlangt wurde, würde sie nach bisheriger Terminologie in die Kategorie des Zufallsfundes fallen. Da der Begriff des Zufallsfundes jedoch bereits terminologisch nicht zwischen vorhersehbarem und unvorhersehbarem Informationsanfall unterscheidet, verschließt er sich gleichzeitig auch differenzierten Lösun-

30

I. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

gen. Aus diesem Grund ist nach einer neuen Bezeichnung zu suchen, die der Vorhersehbarkeit eines an sich nicht intendierten Informationsanfalls bereits in terminologischer Hinsicht Rechnung trägt.

C. Die "gefahrunspezifische" (Begleit-)lnformation als "Begleitfund" Damit stellt sich die Frage, ob man die während der präventiv-polizeilichen Tätigkeit anfallenden Informationen rein begrifflich auch dann noch als Zufallsfunde bezeichnen kann, wenn mit ihrem Anfall bereits zu Beginn der Erhebungsmaßnahme gerechnet werden muß, oder ob nicht in Abgrenzung zur tatsächlich zufällig erlangten präventiv-polizeilichen Zufallsinformation eine abweichende Terminologie angezeigt ist. Zwar ist beiden Fundkategorien eigen, daß sie nicht auf eine Art und Weise gewonnen wurden, die vom Gesetz vorgesehen ist.46 Sie unterscheiden sich jedoch im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit des Informationsanfalls, so daß sich die Frage stellt, wann ein solcher Informationsanfall noch auf einem Zufall beruht.47 Hilfreich könnte in diesem Zusammenhang eine Begriffsdefmition im Sinne einer WOrtsinnuntersuchung sein. Bei einem "Zufall" handelt es sich um "die Unbestimmbarkeit oder Regellosigkeit individueller Ereignisse oder Vorgänge; oft auch das unvorhergesehene Zusammentreffen zweier Ereignisse"48 oder um "ein Ereignis, für welches eine Gesetzmäßigkeit nicht zu erkennen ist". 49 Auf einen Zufall kann man folglich keinen Einfluß haben, da sein Eintritt gerade nicht auf einer Regelmäßigkeit beruht und damit nicht in die Kalkulation miteinbezogen werden kann. So schließen sich die Begriffe "Notwendigkeit" und "Zufall" begriffslogisch aus mit der Folge, daß es einen notwendigen Zufall nicht gibt, dies wäre ein Oxymoron. Unter Zugrundelegung dieser Erkenntnis ist zu untersuchen, inwieweit die Begleitinformation, gemessen an dem erwarteten Ergebnis, dem Zufall entspricht, mithin auf keiner Notwendigkeit beruht. Oder umgekehrt formuliert um nicht eine den Blickwinkel verengende Erwartungshaltung entstehen zu lassen -, inwieweit dem polizeilichen Vorgehen ein notwendiges Element innewohnt, welches für einen Zufall keinen Raum mehr läßt. Auf diese Weise läßt Labe, Zufallsfund und Restitutionsprinzip, S. 231. Wenn im Repressivbereich von einem planmäßigen Zufallsfund gesprochen wird, dann beruht auch diese intendierte Informationserhebung nicht auf einem Zufall, sondern es wird eine flir sich genommen rechtmäßige Maßnahme, meist eine Durchsuchung, mißbraucht, um nach Beweismaterial zu suchen, das mit dem eigentlichen Verfahrensgegenstand in keinem Zusammenhang steht. Zu dem Problem des planmäßigen Zufallsfundes Kaff, Die Polizei 1986, 413 ff. Es steht außer Frage, daß ein solches Vorgehen unzulässig ist, LG Bremen, StV 1984, 505; LG Berlin, StV 1987,97. 48 Der große Brockhaus, Band 12 (VEK-ZZ). 49 Deutsches Rechtslexikon, Band 3 (R-Z). 46 47

1. Kap.: Einführung in die Problematik

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sich ermitteln, ob die beiden oben herausgearbeiteten Kategorien von Informationen, die mit der Gefahrbeseitigung nichts zu tun haben, tatsächlich beide als "Zufallsfund" tituliert werden können. I. "Zufall und Notwendigkeit"

Das Begriffspaar "Zufall und Notwendigkeit" stammt ursprünglich aus dem Bereich der Evolution50 sowie aus der Physik51 • Unabhängig von diesen spezifischen Bereichen läßt sich dieses biologisch-physikalische Prinzip jedoch auch auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation übertragen, in der es um eine sowohl in die Tiefe als auch in die Breite gehende polizeiliche Präventivtätigkeit geht. Denn unter der Überschrift "Zufall und Notwendigkeit" wird ein Prinzip verstanden, durch welches allein durch die Vielzahl von bestimmten gleichen oder gleichartigen Ereignissen eine Gesetzmäßigkeit ausgedrückt wird: Die unzählige Wiederholung eines Ereignisses führt zu einem bestimmten Ergebnis. Der gleiche Vorgang hätte, wären quantitativ weniger Ereignisse vorangegangen, zu einem anderen Ergebnis geführt. Die Frage des Zufalls oder der Notwendigkeit ist demnach eine Frage der Einzel- oder der Gesamtbetrachtung. Sieht man nämlich jede einzelne polizeiliche Maßnahme, wie beispielsweise den Einsatz technischer Mittel in Wohnungen nach § 8c III VE ME PolG getrennt von anderen Eingriffen auf gleicher Ermächtigungsgrundlage, ist jedem in diesem Rahmen anfallenden Fund52 zu bescheinigen, daß er auf einem Zufall beruht. Die polizeilichen Organe rechnen zu Beginn der Abhörmaßnahme nicht damit, noch von Straftaten Kenntnis zu erlangen, die nicht als Absichtsinformation Grund der Maßnahme waren. Betrachtet man dagegen die polizeiliche Tätigkeit in ihrer Gesamtheit, kommt man zu einem anderen Ergebnis. Stellt man etwa die - zurückhaltende - These auf, daß die Polizei bei 10% der breitstreuenden Maßnahmen von Straftaten Kenntnis erlangt, die keine Absichtsinformationen sind, es also bei jeder zehnten Abhörmaßnahme zu Funden kommt, die Anlaß zu einem Strafverfahren geben können, so liegt in diesem Gesamtvorgang eine Notwendigkeit, da in der Kenntniserlangung von Straftaten eine Gesetzmäßigkeit liegt. Im Hinblick auf die Art der Eingriffsermächtigung ist es gesicherte Erkenntnis, daß die Polizei 50 Eigen vertritt die Theorie, daß die Entstehung der Erde in ihrem heutigen Zustand zwar das Ergebnis einer Unzahl von Zufällen ist, dieses aber aufgrundder Vielzahl der mit vielen evolutionalen Irrtümern gesetzmäßig einhergegangenen Erfolge zwingend war: " ... daß die Notwendigkeit gleichberechtigt neben den Zufall tritt, sobald für ein Ereignis eine Wahrscheinlichkeitsverteilung existiert und diese sich ... durch große Zahlen beschreiben läßt.", Eigen, Vorwort in: Monod, Zufall und Notwendigkeit, S. 14. 51 Stichwort: Boyle-Mariottesches Gesetz (Kinetischer Gasdruck), vgl. dazu Franke, Lexikon der Physik II, S. 882. 52 Mit Ausnahme natürlich der Absichtsinformation.

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I. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

bei jeder auf sie gestützten Maßnahme mit 1O%iger Wahrscheinlichkeit weitere Straftaten entdeckt neben denen, derentwegen sie die Maßnahme angeordnet hat. Fraglich ist also, ob sich die Polizei auf eine Einzelbetrachtung zurückziehen kann oder ob sie sich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung beurteilen lassen muß. Nur bei ersterer wird ihr ein Zufall attestiert, während die Einzelfälle in ihrer Gesamtheit eine Notwendigkeit darstellen. Die Quantität der polizeilichen Tätigkeit verändert also die Qualität jeder einzelnen Maßnahme. Für den betroffenen Bürger ist die jeweilige Abhörmaßnahme immer ein Einzelfall, ebenso wie der dabei entstehende Fund sich aus seiner Sicht als zufällig darstellt. Nehmen die staatlichen Organe aber zehn Maßnahmen nach dem Vorbild von § Sc III VE ME PolG vor, ergibt sich notwendigerweise ein Fund, wobei nur offen ist, bei welcher Abhörmaßnahme er genau entstehen wird. Berücksichtigt man, daß es vorliegend um die Polizeiarbeit in ihrer Gesamtheit geht, ist es gerechtfertigt, nicht aus Bürger-, sondern aus Staatssicht zu argumentieren. Denn es handelt sich um die generelle Frage, was mit den in diesem Rahmen entstandenen Funden geschehen soll. Dies kann nur aus einer gesamtbetrachtenden Sicht beantwortet werden, um der Qualität der Polizeiarbeit gerecht zu werden und um sie in ihrem Ausmaß und ihrer Tragweite zu erfassen. Letztlich hat dieses gesamtheitliehe Verständnis aber auch Auswirkungen auf die Sichtweise des einzelnen Bürgers. Der von einer Maßnahme Betroffene sieht sich zwar jeweils einem einzelnen Eingriff ausgesetzt. Dessen belastende Wirkung liegt jedoch nicht nur in der intendierten Offenbarung von Absichtsinformationen, sondern auch in der 1O%igen Gefahr, zu darüber hinausgehenden Informationen zu führen. Damit ist festzuhalten, daß die Polizeiarbeit notwendig Funde hervorbringen kann, die auf die Verübung einer begangenen Straftat hindeuten. Bei ihnen kann nicht mehr von solchen gesprochen werden, deren Entdeckung auf einem Zufall beruht. Ihr Anfallen ist insgesamt zu sehr Folge polizeilicher Tätigkeit, als daß im Einzelfall noch von einem Zufall gesprochen werden kann: "So sehr die individuelle Form ihren Ursprung dem Zufall verdankt, so sehr ist der Prozeß der Auslese ... unabwendbare Notwendigkeit". 53 II. Der "Begleitfund"

Der Terminus Zufallsfund kann damit nicht auf den zwar unbeabsichtigten, wohl aber in vorhersehbarer Weise entstandenen Informationsanfall übertragen werden. Daher ist nach einer anderen Bezeichnung zu suchen. So könnte man etwa - in Anlehnung an die Terminologie des materiellen Strafrechts - von einem "in Kauf genommenen Fund" sprechen. Jedoch würde damit der Polizei

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Eigen, Vorwort in: Monod, Zufall und Notwendigkeit, S. 15.

l. Kap.: Einflihrung in die Problematik

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eine Erwartungshaltung unterstellt, die sie bei ihrer Tätigkeit nicht hat und die sie in dieser konkreten Form auch nicht haben kann. Folglich ist es wertneutraler, eine objektivierte Sichtweise einzunehmen und von einem "fast zwingenden Begleitfund" zu sprechen. Damit kommt zum Ausdruck, daß die Begleitinformation als Nebenprodukt polizeilicher Tätigkeit anfällt. Sie ist gewissermaßen deren Begleiterscheinung. Um sich jedoch nicht in Mutmaßungen zu verlieren, wie zwingend dieser spezifische Informationsanfall nun tatsächlich ist, erscheint es sinnvoll, auf ein diesbezügliches Wahrscheinlichkeitsurteil ganz zu verzichten und schlicht von einem "Begleitfund" zu sprechen. Zusammenfassend läßt sich damit ein solcher Begleitfund als Information defmieren, die unter strafrechtlichen Gesichtspunkten relevant ist und aufgrund breiter Angriffsrichtung und daher schlechter Steuerbarkeit einer präventiv-polizeilichen Informationserhebungsmaßnahme zwar unbeabsichtigt, jedoch in vorhersehbarer Weise anfällt. Bevor jedoch der in dieser notwendigen Informationserhebung liegende Kern und damit die Problematik des Begleitfundes im einzelnen angegangen werden kann, müssen noch einige Rahmendaten herausgearbeitet werden, in deren Spannungsfeld sich mögliche Lösungsansätze bewegen. Denn wenn es allgemein um die Frage nach den Grenzen staatlicher Informationsverarbeitung zur Strafverfolgung geht, sind zwei Rechtsgüter angesprochen, denen je nach Schwerpunktsetzung ein unterschiedlicher Stellenwert zukommt. Gemeint sind hier die Rechtsgüter der inneren Sicherheit auf der einen und das Freiheitsrecht des einzelnen auf der anderen Seite.

D. Widerstreitende Interessen und die darin liegende Problematik Ebenso wie eine durchgängige Strafverfolgung der Sicherheit des einzelnen vor Übergriffen Dritter förderlich ist, schränkt sie auf der anderen Seite seinen Freiheitsbereich im Verhältnis zum Staat ein. Umgekehrtes gilt bei einer nur eingeschränkten staatlichen Strafverfolgungstätigkeit Durch staatliche Zurückhaltung in diesem Bereich wird der Freiheitsbereich des einzelnen zwar erweitert, bedingt durch das erhöhte Kriminalitätspotential gleichzeitig von anderer Seite aber wieder eingeschränkt.

I. Innere Sicherheit als Staatsaufgabe und ihr Stellenwert Der Tenninus Sicherheit ist ein vielschichtiger Begriff, da mögliche Sicherheitsrisiken in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens denkbar sind, wie etwa die Sicherheit im Straßenverkehr oder die Sicherheit von Kemkraftanlagen. Der Bereich der inneren Sicherheit beschränkt sich dagegen auf die Ver3 Lindocr

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1. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

brechensbekämpfung sowie auf die Aufgaben der Sicherheitsbehörden.54 Innere Sicherheit begreift sich also als Schutz des inneren Friedens55 und damit als umfassender Schutz nach allen Richtungen: Schutz vor Übergriffen anderer Staaten, Schutz vor Übergriffen durch den eigenen Staatsapparat und Schutz des einzelnen im Verhältnis zu anderen Privatpersonen. Zunächst soll die These überprüft werden, nach der es Aufgabe des Staates ist, Sicherheit innerhalb seines Hoheitsbereiches zu gewährleisten und zugleich der damit einhergehenden Aufgabe nachzukommen, der Kriminalität - also der Betätigung strafrechtlich sanktionierten Verhaltens - Einhalt zu gebieten. Die Verifikation dieser These kann einmal aus einem rechtsphilosophischen bzw. staatstheoretischen Ansatz hergeleitet werden, zum anderen aber ergibt sie sich auch unmittelbar aus der bundesdeutschen Verfassung. 1. Staatstheoretischer Ansatz Die Frage, aus welchen Gründen und mit welcher Berechtigung dem Staat die Herrschaftsgewalt über seine Bürger zusteht, wurde in der Vergangenheit unterschiedlich beantwortet.56 Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, auf sie im einzelnen einzugehen. Insoweit soll es an dieser Stelle genügen, allein die Grundidee darzustellen, auf der die Übertragung von Herrschaftsgewalt auf den Staat beruht. Für seine Zeit bahnbrechend war das Staatsverständnis von Thomas Hobbes (1588-1679). Nach ihm ist der ursprüngliche Zustand, in dem sich die Menschen befmden, ein kriegerischer.57 Der Staat leitet seine Legitimation und damit seine Existenzberechtigung allein aus dem Gewaltverzicht seiner Bürger ab. 58 Danach verzichtet der Bürger auf ein ihm von Natur aus zustehendes Recht, nämlich auf das Recht, sich selbst verteidigen zu können. 59 Dieses Selbstverteidigungsrecht wird dem Staat delegiert, der es fortan für ihn ausübt. Damit bildet der Rechtsschutz, den der Staat gewährleistet, den Aus54 Die Sicherheitsbehörden in der Bundesrepublik Deutschland sind die Polizei, die Verfassungsschutzämter sowie die Nachrichtendienste, Götz in HStR, § 79, Rdn. 4. 55 Götz in HStR, § 79, Rdn. 6. 56 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, S. 63 ff. 57 Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, 1. Teil, 13. Kapitel:" ... daß die Menschen während der Zeit, in der sie ohne eine allgemeine, sie alle im Zaum haltende Macht leben, sich in einem Zustand befinden, der Krieg genannt wird, und zwar in einem Krieg jeder gegen jeden." 58 Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, 2. Teil, 22. Kapitel: " ... denn diese Freiheit (des Menschen, gegen einen anderen Menschen kämpfen zu können, d.Verf.) beraubt den Souverän der Mittel zu unserem Schutz und zerstört deshalb das eigentliche Wesen der Regierung"; StafJ, Lehren vom Staat, S. 82 ff. 59 Dem Bürger bleibt nur die unmittelbare Selbstverteidigung, nicht aber das Recht zu eigenmächtiger Rechtsverfolgung.

1. Kap.: Einführung in die Problematik

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gleich für die Friedenspflicht des Bürgers.60 Dieser Zustand währt jedoch nur so lange, wie der Staat seiner Verpflichtung nachkommt, das Verteidigungsrecht des Bürgers für jenen auszuüben. Andernfalls zerfällt die Staatsmacht, und das Recht, seine Rechtsgüter selbst zu verteidigen, fällt an den Bürger zurück.61 Und auch nach John Locke (1632-1704) ist der Mensch in seinem Naturzustand frei, so daß er allein über die ihn betreffenden Angelegenheiten entscheiden kann.62 Die eigentliche Motivation des einzelnen, diesen Naturzustand zu verlassen, ist es, den kriegerischen Auseinandersetzungen zu entgehen.63 Im Gegensatz zu Hobbes sieht Locke aber nicht nur die Notwendigkeit der Sicherheitsgewährleistung durch den Staat, sondern er sieht auch die damit verbundene Gefahr zu weitgehender Freiheitsbeschränkung der Rechtsunterworfenen. Insofern fordert Locke eine Begrenzung staatlicher Machtentfaltung, da es Rechte des einzelnen gäbe, die auch im Naturzustand nicht disponibel seien.64 Zwar ergäbe sich die Existenzberechtigung des Staates aus seiner Pflicht, eine gewaltfreie Gesellschaftsordnung zu gewährleisten. Damit sei jedoch nicht auch die Legitimation verbunden, die Freiheitsrechte des einzelnen grenzenlos einzuschränken. Dieses Staatsverständnis ist auch für den modernen Verfassungsstaat bestimmend.65 So ist die staatliche Gewalt streng an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden: Freiheitsrechte dürfen nur dann eingeschränkt werden, wenn dies im Einzelfall geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist. Im Ergebnis korrespondiert also das Gewaltmonopol des· Staates mit der Pflicht, die übertragene Gewalt auch auszuüben. 66 Folglich ist die Gewährleistung von innerer Sicherheit unter gleichzeitiger Beachtung der Freiheitsrechte des einzelnen funktionsnotwendig Aufgabe des Staates.67 Diese staatliche Pflicht hat auch ihre verfassungsrechtliche Umsetzung im Grundgesetz gefunden.

Jsensee, FS für Eichenberger, S. 23 (26); ders., FS für Sendler, S. 39 (48). Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, 2. Teil, 22. Kapitel: "Die Verpflichtung der Untertanen gegen den Souverän dauert nur so lange, wie er sie auf Grund seiner Macht schützen kann, und nicht länger. Denn das natürliche Recht der Menschen, sich selbst zu schützen, wenn niemand anders dazu in der Lage ist, kann durch keinen Vertrag aufgegeben werden. Die Souveränität ist die Seele des Staates ... Entsagt der Monarch der Souveränität flir sich und seine Erben, so fallen seine Untertanen in die uneingeschränkte natürliche Freiheit zurück." 62 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, 2. Buch, 2. Kapitel, § 4. 63 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, 2. Buch, 3. Kapitel,§ 21. 64 Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, 2. Buch, 11. Kapitel, § 137. 65 Vgl. nur Götz in HStR III, § 79, Rdn. 8. 66 Jsensee in HStR V,§ 115, Rdn. 115. 67 So auch Kühne in Kühne/Miyazawa, Neue Strafrechtsentwicklungen, S. 153; Pitschas, JZ 1993, 857 (858). 60

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1. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

2. Verfassungsrechtlicher Ansatz

Ein explizites Grundrecht auf Sicherheit enthält das Grundgesetz nicht. 68 Ebenso fehlt eine ausdrückliche Verpflichtungsnorm an den Staat, fiir innere Sicherheit zu sorgen.69 Will man eine solche Pflicht aus dem Grundgesetz ableiten, so ist dies nur durch Auslegung der im Grundgesetz enthaltenen Normen möglich.70 Die historische Auslegung hilft hier nicht weiter. So erwog zwar der Parlamentarische Rat die Aufnahme eines Rechtes auf Sicherheit in Art. 2 II GG. Er nahm jedoch mangels eigenständigen Funktionsbereiches neben dem Recht auf Freiheit wieder davon Abstand. 71 Man sah folglich auch damals in dem Recht auf Sicherheit nur ein Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat, nicht aber ein Recht auf aktiven staatlichen Schutz. Nach heute ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beschränken sich die im Grundgesetz gewährleisteten Grundrechte allerdings nicht darauf, bloße Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat zu sein. Vielmehr fmdet in ihnen eine objektive Werteordnung Ausdruck, die eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung verkörpert.72 Die Grundrechte des Grundgesetzes sind- anders als die der Weimarer Reichsverfassung- mehr als bloße Programmsätze. Sie verkörpern in ihrer Gesamtheit eine objektive Werteordnung, mit der gewisse Grundentscheidungen zwingend vorgegeben sind und an denen sich alle staatlichen Entscheidungen und Maßnahmen messen lassen müssen. Insoweit sind aus der objektiven Werteordnung bestimmte elementare Verpflichtungen des Staates vorgezeichnet. Ein verfassungsrechtlicher Schutzauftrag des Staates in diesem Sinne ergibt sich zunächst aus der staatlichen Schutzverpflichtung des Art. 1 I 2 GG, eines der Konstitutionsprinzipien des Grundgesetzes.73 Danach ist es Aufgabe aller staatlichen Gewalt, die Würde des Menschen nicht nur zu achten, sondern sie auch zu schützen. So ist es Kern aller Freiheits- und Gleichheitsrechte, die Menschenwürde angesichts unterschiedlicher Gefährdungen zu konkretisieren. 74 Die Ausübung von Grundrechten wird nicht nur dadurch gestört, daß der Staat selbst Eingriffe vornimmt, sondern selbst dann, wenn der Staat gar nicht 68 Kritisch deshalb auch Denninger, KJ 1985, 215 (217); Vage/sang, Grundrecht auf informationeile Selbstbestimmung?, S. 193; Wo/ter, GS flir Meyer, S. 493 (506). 69 Anders wohl BK-Wernicke, Kommentar zum GG, Art. 2, II, 1e (S. 3), der in Art. 2 II GG ein Recht auf Sicherheit sieht, da es dort um die Wahrung des eigenen Rechtsbereiches geht. 70 Isensee in HStR V,§ 111, Rdn. 12. 71 JöR, NF, Band I, S. 62. 12 BVerfGE 39, 1 (41); 46, 160 (164); 49,89 (141 f.); 53,30 (57); 77, 170 (214). 73 BVerfGE 45, 187 (227); 54, 148 (153). 74 Bleckmann, Grundrechte, S. 445; vgl. zur Systematik von Art. I I GG zu den übrigen Verfassungsprinzipien und Grundrechten, Dürig in Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 1, Rdn. 6 ff.; vgl. auch ausführlich Stern, Staatsrecht, Band III/1, §58.

1. Kap.: Einführung in die Problematik

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aktiv handelt. Ein Unterlassen kann dann insofern einem Eingriff gleichkommen, als Übergriffe Dritter nicht verhindert werden. Der Vorwurf staatlicher Passivität und Eingriffsenthaltsamkeit begründet sich in der Garantenstellung des Staates, einen Grundrechtsgebrauch des Bürgers zu ermöglichen. Denn aus der Errichtung einer bestimmten Werteordnung folgt zwangsläufig auch die Notwendigkeit, die Voraussetzungen für ihren Gebrauch zu schaffen.75 Verfassungsrechtlich gewährleistete Bürgerfreiheiten laufen nämlich auch dann leer, wenn zwar der Staat seine eigene Eingriffsenthaltsamkeit garantiert,76 die Grundrechtsausübung aber durch massive Eingriffe Dritter behindert oder unmöglich gemacht wird. Diese Übergriffe können die Rechtsgüter des einzelnen in einem erheblich stärkeren Maß beeinträchtigen, als staatliche Eingriffe den Grundrechtsgebrauch stören können.77 Der Inhalt der Grundrechtsgewährleistung ist abhängig von Rahrnenbedingungen, also von Komponenten, die Einfluß haben auf ihre Natur und sich entsprechend ändern. 78 Eine dieser Rahmenbedingungen ist das Vorliegen von Sicherheit in einem Staat, die das Fundament bildet fiir ungestörte Grundrechtsausübung und Voraussetzung ist für die verfassungsrechtlich zuerkannten Werte. Denn das Vertrauen in die Integrität eines Rechtsgutes ist Teil seiner Integrität,79 so daß eine Wechselwirkung zwischen Sicherheit im Staat und der Grundrechtsgewährleistung durch den Staat besteht. Aus der Sicht des Bürgers macht es letztlich keinen Unterschied, ob der Staat selber seine Freiheitsposition gefahrdet, oder aber ob seine Freiheit durch eine ausufernde Kriminalität eingeschränkt wird, die vom Staatsapparat nicht genügend bekämpft wird. Der Staat ist vielmehr verpflichtet, aktiv zu handeln und darf sich nicht auf eigene Passivität berufen. Kommt er pflichtwidrigerweise dieser Schutzpflicht nicht nach, dann ist dieses Unterlassen grundsätzlich einer Verletzung des beeinträchtigten Grundrechts gleichzustellen.80 Damit ergibt sich aus der objektiven Wertentscheidung des Grundgesetzes, daß der Staat die Verpflichtung hat, den einzelnen vor Übergriffen auf die grundrechtlich geschützten Rechtsgüter zu bewahren.81 Insoweit kann man auch von einem Recht auf Freiheit von Furcht sprechen.82 Damit folgt aus dem Schutzauftrag der Verfassung eine Polizei- und Justizgewährungspflicht, die in der staatlichen Pflicht besteht, die dem einzelnen von 7 5 Schwager/, ZRP 1988, 167 (168); Murswiek in Sachs, Kommentar zum GO, Art. 2, Rdn. 24. 76 Kniesel, NJW 1992, 857 (861 ). 77 Murswiek in Sachs, Kommentar zum GO, Art. 2, Rdn. 24. 78 Isensee in HStR V, § 115, Rdn. 113; Peitsch, Die Polizei 1990, 213 (217). 79 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 225. 80 BVerfGE 77, 170 (214); Murswiek in Sachs, Kommentar zum GG, Art. 2, Rdn. 24. 81 BVerfGE 79, 174 (201 f.); 39, 1 (42). 82 Denninger, VVdStRL 37 (1978), 7 (27 ff.); Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 225; Götz in HStR III, § 79, Rdn. 12.

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I. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

anderen drohenden Gefahren abzuwehren83 und - wenn es gleichwohl zu einem Übergriff gekommen ist und die Prävention damit fehlgeschlagen ist - die Rechtsordnung dadurch wiederherzustellen, daß das Verhalten nicht sanktionslos bleibt.84 Als Ausfluß des Rechtstaatsprinzips sprechen einige Polizeigesetze aus, daß die Polizei insbesondere die verfassungsmäßige Ordnung und die ungehinderte Ausübung staatsbürgerlicher Rechte zu gewährleisten hat. 85 Auch die geschichtliche Entwicklung des Strafverfahrens zeigt, daß es Verpflichtung des Staates ist, fiir inneren Frieden zu sorgen: Immer dann, wenn die Strafverfolgung nicht durch den Staat gewährleistet wurde, kam es zu einer Störung des Rechtsfriedens. Im ältesten römischen Recht war die Strafverfolgung grundsätzlich noch Privatsache, wobei zwar nicht alle Straftaten, wohl aber Delikte gegen den einzelnen, wie etwa Eigentums- und Vermögensdelikte sowie Körperverletzungen, privat verfolgt werden konnten. Unter die staatliche Strafverfolgung fielen dagegen die schweren Verbrechen oder Delikte, die von der Gemeinschaft als besonders verwerflich angesehen wurden. Sie unterlagen der Strafgerichtsbarkeit Dieses System konnte jedoch im ersten Jahrhundert vor Chr. nicht mehr aufrechterhalten werden. Bürgerkriegsähnliche Zustände, die nicht zuletzt aus der veränderten Bevölkerungsstruktur resultierten, zwangen den Staat, einzugreifen und die strafrechtliche Verfolgung an sich zu ziehen.86 Aus Fehde und Rache im Privatstrafrecht in germanischer Zeit, bei der nur geringfiigig von einer allgemeinen öffentlichen Strafe gesprochen werden kann, 87 wurde im fränkischen Recht das Kompositionensystem ausgebaut, wobei gegen Ende dieser Epoche das ursprünglich an die Verwandten eines Getöteten zu zahlende Bußgeld dem Staat zufiel. Das schließliehe Versagen der Justiz ist wohl auf das Auseinanderfallen des großfränkischen Reiches zurückzufUhren, so daß das Privatstrafrecht wieder auflebte. Die damit einhergehende ritterliche Fehde fiihrte zu Unruhen, 88 die erst dann endeten, als ein unabhängiges und unparteiisches Gerichtsverfahren eine geordnete Rechtspflege ermöglichte.89 Insgesamt ergibt sich das Bild, daß der Einfiihrung einer Justizgewährung eine Friedensfunktion zukommt und Ausfluß sozialstaatlicher Fürsorge ist, da durch das staatliche Bestrafungsmonopol derjenige geschützt wird, der selbst zur Durchsetzung des Rechts nicht imstande ist. 90

83 VGH Mannheim, NJW 1987,3022 (3023); /sensee, FS flir Sendler, S. 39 (51).

Lisken, DRiZ 1987, 184. Etwa§ I I 2 PoiG BW, § I I 2 Nr. 1 SächsPoiG. 86 Hübner, FS flir Oehler, S. 3 ff.; Wolfs/ast, Staatlicher Strafanspruch und Verwirkung, S. 59 f. 87 Vgl. v. Hippe/, Lehrbuch des Strafrechts, S. 20. 88 Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, S. 17. 89 Eb. Schmidt, Einflihrung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 51. 90 Hübner, FS für Oehler, S. 3 (10). 84

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1. Kap.: Einflihrung in die Problematik

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So spricht auch das Bundesverfassungsgericht von der Sicherheit als einem Verfassungswert, der mit anderen in gleichem Rang steht und unverzichtbar ist, weil die Institution Staat von ihr die eigentliche und letzte Rechtfertigung herleitet.91 Inwieweit dem Staat das gelingt, zeigen Umfragen unter der Bevölkerung.92 Dabei ist erstaunlich, daß das subjektive Sicherheitsgefühl93 des einzelnen im Vergleich zur persönlichen Einschätzung der objektiven Sicherheitslage erheblich abweicht.94 3. Der öffentliche Strafanspruch

Aus dieser verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates, für inneren Frieden zu sorgen, ergibt sich nicht nur das Gebot, aktiv zu handeln, sondern auch die Pflicht, dann reaktiv einzuschreiten, wenn es zu einem Normverstoß gekommen ist. Reaktives Handeln driickt sich durch das Recht und die Pflicht zu strafen aus. 95 Insoweit korrelieren das Gewalt- und Justizmonopol des Staates und die daraus erwachsende Justizgewährungspflicht mit dem Recht des Staates auf alleinige Strafgewalt.96 Der Staat hat also nicht nur das alleinige Recht zu strafen, sondern auch die Pflicht, sein diesbezügliches Recht zu realisieren. Da es insoweit nicht um subjektive staatliche Interessen geht, sondern um die Durchsetzung des objektiven Rechts, obliegt es allein dem Staat, Strafverfolgung und Strafvollstreckung zu betreiben.97 Dem widerspricht es auch nicht, dem Staat bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs insoweit 91 BVerfGE 49, 24 (56 f.); ebenso BVerwGE 49, 202 (209). 92 Vgl. den Bericht von Köcher "Das unsichere Gefühl der Sicherheit", in der FAZ v.

20.11.1996, S. 5. In diesem Zusammenhang finden sich auch einige flir die vorliegende Thematik interessante Umfragen, vgl. dazu die FN 92 und 93. 93 Zum Sicherheitsgeflihl wurde folgende Frage gestellt: "Uns interessiert einmal, wie sicher sich die Menschen fühlen, wie sehr sie glauben, von irgendwelchen Verbrechen gefährdet zu sein. Wie ist das bei Ihnen, wie sicher flihlen Sie sich vor Verbrechen?". Auf diese Frage antworteten im Jahr 1996 nur 20% der Befragten, sie fühlten sich "unsicher, sehr bedroht". 37% dagegen flihlten "sich weitgehend sicher" und 43% waren unentschieden. Dabei ist erstaunlich, daß sich das Sicherheitsgeflihl in den letzten vier Jahren verbessert hat. So antworteten noch im Jahr 1992 auf dieselbe Frage 25%, sie fühlten sich "unsicher" und nur 32% fühlten sich "weitgehend sicher", FAZ v. 20.11.1996, s. 5. 94 Zur Einschätzung der inneren Sicherheit wurde folgende Frage gestellt: "Die wichtigste Aufgabe unseres Staates ist ja, die Bürger zu schützen, die äußere und innere Sicherheit der Bürger zu garantieren. Fühlen Sie sich in unserem Staat gut beschützt oder nicht gut beschützt?" Von der gesamtdeutschen Bevölkerung antworteten im November 1996 51%, sie seien "nicht gut schützt", während sich nur 22% "gut beschützt" fühlten. 27% der Befragten waren "unentschieden". Noch knapp zwei Jahre zuvor fühlten sich dagegen noch 40% "gut beschützt", während sich nur 41% "nicht gut beschützt flihlten", FAZ v. 20.11.1996, S. 5. 95 Götz in HStR III, § 79, Rdn. 12. 96 Schäfer in Löwe/Rosenberg, Kommentar zur StPO, Ein!. Kap. 6, Rdn. 2. 97 Flume, FS für Smend, S. 59 (79).

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I. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

die Stellung einer organisatorischen Zuständigkeit zuzuweisen,98 soll durch diese Charakterisierung doch nur zum Ausdruck gebracht werden, daß der Strafanspruch kein subjektives und damit disponibles Recht ist. 99 Die Ausführungen haben gezeigt, daß der Staat die Pflicht hat, Rechtsfrieden zu gewährleisten. Untrennbar damit verbunden ist auch die Pflicht, auf Normverstöße sanktionierend zu reagieren. Mit der Rechtsfriedensfunktion des Staates korrespondiert seine Justizgewährungspflicht. Die notwendig kursorisch gebliebene Untersuchung zeigte klar, daß die repressive Strafverfolgung als Ausfluß des Grundrechts auf Sicherheit verfassungsrechtlich verbürgt ist. Diese Erkenntnis ist gleichzeitig ein Eckpfeiler für den Verwertungsumfang des Begleitfundes, was jedoch nicht zu dem Schluß verleiten darf, Strafverfolgung sei - da verfassungsrechtlich gefordert - um jeden Preis zu betreiben. Vielmehr steht auf der Kostenseite ein anderes Rechtsgut, welches dem der inneren Sicherheit im Rang nicht nachsteht. II. Freiheit - Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe Staatliche Kriminalitätsbekämpfung setzt Eingriffe in die persönliche Entfaltungsfreiheit voraus, denen die Grundrechte im Grundgesetz grundsätzlich entgegenwirken wollen. In ihrer oben abgeleiteten Funktion verbürgen die Grundrechte ein Recht auf Sicherheit, verpflichten den Staat also zu den Eingriffen, die zur Kriminalitätsbekämpfung notwendig sind. Während es bei der Frage nach dem Recht auf Sicherheit um den "Grundrechtsstatus des potentiellen Opfers" 100 geht, dreht es sich bei der Freiheit des einzelnen und ihrer Grenzen um den "Grundrechtsstatus des potentiellen Störers" 101 • Nach Art. 2 I 1 GG hat jeder das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Als allgemeines Freiheitsrecht bietet es Schutz gegen jede staatliche Freiheitsbeschränkung, solange nicht ein spezielles Grundrecht eingreift. 102 Die Freiheitsgrundrechte gewährleisten dem einzelnen einen Lebensraum, in welchem er sein Verhalten entsprechend seiner autonomen Überzeugung auszurichten vermag. 103 Ein Mensch kann sich nur dann im Sinne seiner Wünsche, Tiedemann, FS für Peters, S. 131 (141). Warum Wolfslast meint, der Ausdruck der organisatorischen Zuständigkeit sei ,,zu nüchtern", bleibt offen, vgl. Wolfs/ast, Staatlicher Strafanspruch und Verwirkung, S. 94, FN 293. Vielmehr wird durch die organisatorische staatliche Zuständigkeit deutlich zum Ausdruck gebracht, daß der Staat im Rahmen seiner Justiztätigkeit die Allgemeinheit und deren Strafanspruch verkörpert, so daß es einen Strafanspruch des Staates, als subjektiv disponibles Recht an sich, nicht gibt. 10o Isensee in HStR V,§ 115, Rdn. I 13. 101 Isensee in HStR V,§ 115, Rdn. 113. 102Murswiek in Sachs, Kommentar zum GG, Art. 2, Rdn. 10. 103 BVerfGE 12, I (3). 98

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

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Neigungen und Vorlieben entwickeln, wenn er dabei nicht Angst vor staatlicher Überwachung und anschließender Sanktion haben muß. 104 Nicht von ungefähr wird von dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit als einem Hauptfreiheitsrecht105 mit einer Auffangfunktion gesprochen, während die übrigen Grundrechte nur besondere Ausgestaltungen dieser Freiheit sind, die vor spezifischen Gefahrdungen schützen wollen. 106 Die Einhaltung der durch Rechtsregeln konstituierten Rechtsordnung gewährleistet damit einen Anspruch gegenüber der staatlichen Seite auf Respektierung der grundrechtlich geschützten Freiheit. Natürlich hat auch diese Freiheit ihre Grenzen. Als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger107 hat der einzelne Einschränkungen in den allgemeinen Freiheitsanspruch hinzunehmen, wenn diese zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich sind. 108

111. Ergebnis Es ist deutlich geworden, daß sich der Staat bei der Kriminalitätsbekämpfung in einem Spannungsfeld bewegt. Auf der einen Seite verpflichtet ihn das aus dem "Gesellschaftsvertrag"Hl9 der Bürger entstandene Gewaltmonopol und der damit einhergehenden Pflicht, fiir inneren Frieden zu sorgen, sich folglich umfassend fiir die Bekämpfung der Kriminalität einzusetzen. Andererseits aber hat er ebenso die Rechte derer zu achten, die sich nicht gegen die Rechtsordnung gestellt haben, gleichwohl aber Beeinträchtigungen ihres Grundrechtsstatus' hinzunehmen haben. Ihre Grundrechte setzen dem Staat Grenzen bei der K.rirninalitätsbekämpfung. 110 In diesem grundrechtliehen Spannungsfeld bewegt sich das nun herauszuarbeitende Problem der Verwertbarkeit des Begleitfundes.

104 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 225; Denninger, VVdStRL 37 (1978), S. 7 (27 ff.); Salzwedel, GS flir Peters, S. 756 (761). 105Murswiek in Sachs, Kommentar zum GG, Art. 2, Rdn. 12. 106 Kunig in v. Münch/Kunig, Kommentar zum GG, Art. 2, Rdn. 12 m.w.N. 107 BVerfGE 4, 7 (15); 45, 187 (227). 1os BVerfG NJW 1966, 243 (244). 109 Rousseau, Gesellschaftsvertrag; im ersten Buch, 6. Kapitel, schreibt Rousseau (1712-1778) etwa: "Finde eine Form des Zusammenschlusses, die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögenjedes einzelnen Mitglieds verteidigt und schützt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genauso frei bleibt wie zuvor..... bis dann, wenn der Gesellschaftsvertrag verletzt wird, jeder wieder in seine ursprünglichen Rechte eintritt, seine natürliche Freiheit wiedererlangt und dadurch die auf Vertrag beruhende Freiheit verliert, für die er die seine aufgegeben hatte." Gerade die Freiheit ist für Rousseau das Moment, was das Menschsein einer Person ausmacht. Dazu schreibt er im ersten Buch, 4. Kapitel: "Auf seine Freiheit verzichten heißt auf seine Eigenschaft als Mensch, auf seine Menschenrechte, sogar auf seine Pflichten verzichten." 110 Natürlich setzen auch die Grundrechte derjenigen, gegen die ein Tatverdacht besteht, dem Staat Grenzen. Auch ihnen gegenüber haben die staatlichen Organe insoweit

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I. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

E. Der Begleitfund - Folge weitgefaßter präventiv-polizeilicher Ermächtigungsgrundlagen I. Recht auf informationeile Selbstbestimmung

Die polizeiliche Tätigkeit besteht im wesentlichen aus der Erhebung und Auswertung von Informationen. Gefahrenabwehr ist zuförderst Informationserhebung, Strafverfolgung dagegen grundsätzlich Informationsverarbeitung. 111 Ohne Daterunaterial als Grundlage weiteren Vorgehens wäre polizeiliche Arbeit undenkbar, denn Informationen sind Bewertungsgrundlage für polizeiliche Entscheidungen. Je mehr Informationen der Polizei verfügbar sind und je lükkenloser ihre Datenerhebung und Datenverarbeitung funktioniert, desto fundierter wird ihre Entscheidungsgrundlage bei der polizeilichen Arbeit sein. Insoweit besteht ein großer Teil der polizeilichen Tätigkeit darin, Informationen zu sammeln und diese auszuwerten. 112 In diesem Zusarrunenhang wird das Recht des einzelnen, selbst über die Nutzung seiner Daten zu bestirrunen, eingeschränkt. Damit sind die Vorschriften, die das Recht des Staates auf Erhebung und Nutzung von Informationen enthalten - sowohl auf repressiv-polizeilicher als auch auf der in dieser Arbeit interessierenden präventiv-polizeilichen Ebene - Normierungen, die die Informationsverteilung zwischen Staat und Bürger regeln. 113 Die Polizeigesetze bestirrunen und begrenzen die dem Staat und seinen Organen zur Verfügung stehenden freiheitsbeschränkenden Informationseingriffe. Der in diesem Zusammenhang angesprochene spezielle Freiheitsbereich, nämlich das Recht des einzelnen, selbst über die Verwendung der ihn betreffenden Daten entscheiden zu können, ist das Recht auf informationeHe Selbstbestirrunung. 114 Am 15.12.1983 erging das sog. "Volkszählungsurteil" des Bundesverfassungsgerichts, 115 welches dem bis zu diesem Zeitpunkt zwar bereits bekannten, 116 aber in seinem Ausmaß noch nicht erkannten Recht auf informationeHe Selbstbestimmung einen bisher unbekannten Stellenwert vermittelt hat. Als durch Artt. 2 I, 1 I GG konstituiertes Recht beinhaltet es die Befugnis einer jekein schrankenloses Zugriffsrecht DerBegleitfund fällt jedoch grundsätzlich im Rahmen präventiv-polizeilicher Tätigkeit an, in deren Rahmen noch kein Tatverdacht vorliegt. 111 Roga/1, ZStW 103 (1991), 907 (935). 112 Treffend ist daher die Bezeichnung des Polizeirechts als Informationsrecht, Peitsch, ZRP 1992, 127. 113 Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß, S. 30 und passim. 114 Vgl. die Zusammenstellung von Ehmann in Erman, Kommentar zum BGB, Anh. zu § 12, Rdn. 28, welche Lebensbereiche nach der Rechtsprechung noch unter das Selbstbestimmungsrecht fallen. m BVerfGE 65, I ff., vgl. auch die Fortführung in BVerfGE 78, 77 ff.; vgl. auch den Beschluß des OLG Frankfurt v. 19.5.1994 in: StV 1996,349. 116 Vgl. nur einige der "Vorläufer": BVerfGE 27, I (7)- Mikrozensus; BVerfGE 35, 202 (220); 63, 131 (142).

I. Kap.: Einführung in die Problematik

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den Person, grundsätzlich selbst darüber entscheiden zu können, welche personenbezogenen Daten117 über sie gespeichert, verarbeitet, weitergegeben oder der Öffentlichkeit zugänglich118 gemacht werden.119 Die Frage, welcher verfassungsdogmatische Stellenwert dem Recht auf informationeHe Selbstbestimmung zukommt, wird unterschiedlich beantwortet. Während die einen seine ausdrückliche Aufnahme in das Grundgesetz fordern, 120 leugnen die anderen seine Existenz, da es nicht als eigenes Schutzgut begriffen, sondern als zu den tradierten Persönlichkeitsrechten, wie dem Recht am eigenen Wort oder Bild, gezählt werde.121 Jedoch unabhängig von seiner dogmatischen Einordnung ist man sich über den "Gedanken der Selbstbestimmung"122 einig - grundsätzlich hat jeder einzelne selbst zu bestimmen, in welchem Umfang über seine personenbezogenen Daten verfUgt werden kann. Natürlich bedeutet dies nicht, daß die Verfügungsgewalt über die eigenen Daten grenzenlos wäre, besteht doch in vielen Bereichen der Gesellschaft ein Bedürfuis, auf bestimmte Daten Zugriff nehmen zu können.123 Vielmehr geht es darum, daß der Staat im Rahmen abstrakter Normierung zu bestimmen hat, welche Daten er wann und aus welchen Gründen für sich in Anspruch nehmen möchte. Nur dann, wenn sich ein Mensch in seinen beiden Erscheinungen als Intim- und Sozialperson124 sicher sein kann, daß die über sie gespeicherten Informationen nicht unbegrenzt genutzt werden dürfen, wird sie sich auch in Zukunft im Rahmen ihrer verschiedenen sozialen Rollen, etwa als Gewerkschaftsrnitglied, Arbeitnehmer oder Sozialhilfeempfanger, frei von Ängsten entfalten können und von ihren Grundrechtsverbürgungen Gebrauch machen. So sagt denn auch das Bundesverfassungsgericht, daß mit diesem gesellschaftsrechtlichen Anspruch "eine GesellEine Umschreibung dieses Begriffs findet sich in§ 3 I BDSG. BVerfGE 78, 77 (84). 119 Dies gilt auch flir das auch im Zivilrecht geltende und über§§ 823, 1004 BGB geschützte Allgemeine Persönlichkeitsrecht, Ehmann, JuS 1997, S. 193 (196). Vgl. auch die Zusammenstellung von Ehmann (S. 193 ff.), der das Allgemeine Persönlichkeitsrecht in flinf verschiedene Schutzbereiche kategorisiert. 120 Vgl. die Stellungnahme von Simitis vor der Gemeinsamen Verfassungskommission am 9.9.1992 in: KritV 1993, 46 ff. Im Gegensatz zum Grundgesetz haben einige Landesverfassungen das Recht auf informationeile Selbstbestimmung als Grundrecht aufgenommen, vgl. etwa Art. 33 SächsVerf. oder Art. 4 II Verf. von NRW. 121 So etwa Rogall, ZStW 103 (1991), 907 (926); ders., Informationseingriffund Gesetzesvorbehalt im Strafprozeßrecht, S. 57; Vogelsang, Grundrecht auf informationeile Selbstbestimmung?, passim (vgl. auch die Zusammenfassung der Kritikpunkte aufS. 256 f., sowie den Vorschlag zu einem abgestuften Persönlichkeitsschutz aufS. 258 ff.). 122 Ehmann in Erman, Kommentar zum BGB, Anh. zu § 12, Rdn. 28. 123 BVerfGE 65, I (43 f.) 124 Ehmann, JuS 1997, 193 (196), spricht hier anschaulich von der Doppelnatur des Menschen. Diese Terminologie bringt die beiden Rollen zum Ausdruck, im Rahmen derer eine Person Angriffen auf ihre informationeile Selbstbestimmung ausgesetzt sein kann; ders., in Erman, Kommentar zum BGB, Anh. zu § 12, Rdn. 14, 24, 31 ; ders., AcP 188 (1988), 230 (232 f.). 117

11s

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I. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

schaftsordnung Wld eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar (ist, d.Verf.), in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann Wld bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Nur wenn sich eine Person im klaren darüber sein kann, welche Informationen über sie dem Staat bekannt sind, kann von einem autonom handelnden, freiverantwortlichen und selbstbestimmten Bürger gesprochen werden. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert Wld als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen".125 Richtig ist in diesem Zusammenhang aber auch, daß das Bundesverfassungsgericht im "VolkszählWlgsurteil" gezögert hat, dem Recht aufinformationeile Selbstbestimmung eine Rechtsschutzwirkung für jede erdenkliche Information zu entnehmen. Wie insbesondere Brossette126 herausgearbeitet hat, schränkt das Urteil den Anwendm1gsbereich des Selbstbestimmungsrechts durch zahlreiche Begrenzungen Wld Bedingungen ein, die in der aktuellen Diskussion, die insoweit von einer absoluten Rechtsposition ausgeht, übersehen werden. Im Bereich des Zivilrechts würde die Hochstilisierung des Rechts auf informationeile Selbstbestimmung zu einem zu starken Zurückdrängen des grundsätzlichen Rechts führen, wahre Tatsachen zu wissen, auszusprechen und nutzen zu dürfen. 127 Grundsätzlich begrenzt ist nur das Recht, Informationen gegen den Willen des Informationsinhabers erheben zu dürfen. Im "Volkszählungsurteil" nimmt das Recht auf informationeile SelbstbestimmWlg daher nur die Rolle einer sog. "Schranken-Schranke"128 ein, die das durch das Volkszählungsgesetz begründete, in die Allgemeine Handlm1gsfreiheit nach Art. 2 I GG eingreifende Pflicht zur Ausfüllung des Datenerfassm1gsbogens, begrenzt. Für den Bereich des Zivilrechts erscheint es daher zu weitgehend, hieraus ein absolut geschütztes Recht i.S.v. § 823 I BGB herleiten zu wollen. 129 Diese richtigen Überlegungen können jedoch auf das hier zu untersuchende Polizei- und Strafprozeßrecht, in welchem der Staat dem Bürger mit seiner gesamten Machtfülle gegenübersteht, nicht übertragen werden. Erhobene Informationen werden vom Staat nicht nur - wie im Privatrechtsverkehr - ausgesprochen, sondern als Ausgangspunkt für Folgeeingriffe genutzt. Im Bereich des Strafprozeßrechts ist dieser Eingriff der schwerste, den die Rechtsordnung kennt, der Freiheitsentzug. Im Grundsatz zwingt dabei das Legalitätsprinzip Staatsanwaltschaft und Zitat aus BVerfGE 65, I (43). Brossette, Der Wert der Wahrheit, S. 229 ff., unter Zitierung und Hervorhebung der insoweit einschlägigen Passagen. 127 Brossette, Der Wert der Wahrheit, S. 232. 128 Brossette, Der Wert der Wahrheit, S. 232. 129 Brossette, Der Wert der Wahrheit, S. 232, der hier aber vernachlässigt, daß ein Grundrecht auf informationeHe Selbstbestimmung keinesfalls - auch nicht über Drittwirkungslehren - einem sonstigen Recht i.S.v. § 823 I BGB gleichzusetzen ist. 125

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

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Gerichte, vorhandene Informationen über Straftaten zur Straftatverfolgung und Straftatahndung einzusetzen. Ein effektiver Grundrechtsschutz muß daher schon auf der vorgelagerten Ebene der Informationserhebung, -Verarbeitung und -verwertung einsetzen. Im hier zu untersuchenden Bereich ist es daher geboten, vom eigenständigen Recht auf informationeile Selbstbestimmung zu sprechen und diesem nicht nur eine komplementäre Funktion zuzumessen. Darüber hinaus haben auch die technischen Möglichkeiten der Datenverwendung, etwa die Datenabfrage, die Datenverknüpfung oder der Datenabgleich130, eine besondere Schutzbedürftigkeit des Rechts auf informationeile Selbstbestimmung hervorgerufen. Durch die Verbindung von Informationen kommt einer einzelnen Information ein Stellenwert zu, den sie bei isolierter Betrachtung nicht hat. 131 Das Bundesverfassungsgericht hat im ,.Volkszählungsurteil" an sich nur auf die spezifische, mit der Volkszählung einhergehende Gefahrenlage geantwortet: An sich belanglose Daten werden durch datenverarbeitungsgestützte Verknüpfung und Auswertung in neue, nun für die Polizei und sonstige staatliche Organe hochgradig relevante Informationen umgesetzt. Dieser spezifischen Gefahrdungslage hat das Bundesverfassungsgericht zum Schutz des Bürgers das Recht auf informationeile Selbstbestimmung entgegengesetzt. Das wirft die heute meist vernachlässigte Frage auf, ob das Recht auf informationeile Selbstbestimmung auch dort greift, wo eine computergestützte Analyse eines einzelnen Datums weder erfolgt noch auch nur beabsichtigt ist. 132 Diese berechtigte Frage ist jedenfalls für den Bereich des Polizeirechts zu bejahen. Die dort nur mit modernsten technologischen Methoden erhobenen Daten sind sowohl in ihrem grundrechtliehen Gefahrdungspotential als auch in der Art ihrer Entstehung - durch Nutzung des technologischen Fortschritts- mit dem dem ,.Volkszählungsurteil" zugrunde liegenden Sachverhalt vergleichbar. Zudem ist ungewiß, ob die erhobenen Informationen später nicht computergestützt ausgewertet werden. Hier eine Abgrenzung zwischen vom Recht auf informationeile Selbstbestimmung erfaßter und nicht erfaßter Datenerhebung und Datenverwendung vorzunehmen, erscheint weder durchführbar noch verfassungsrechtlich angezeigt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, daß das Recht auf informationeile Selbstbestimmung Daten dem Zugriff und der Verwendung durch den Staat nicht isoliert entzieht, sondern dem Staat eine formelle (Eingriffsregelung durch Gesetz) und materielle (Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit) Rechtfertigungslast zuweist. Dies ist auch deshalb nicht unbillig, da sich der Staat durch Nutzung modernster tech130 Zu diesen Begriffen Kniesel/Tegtmeyer/Vahle, Handbuch des Datenschutzes, Rdn. 333-338. 131 Schwan, VerwArch 66 (1975), 120 (133). Vgl. auch die anschauliche Darstellung von Ehmann, AcP 188 (1988), 230 (259 ff.) zum Stellenwert von Informationen in der

heutigen technisierten Gesellschaft. 132 Ehmann, AcP 188 (1988), 230 (316 f.).

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I. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

nologischer Möglichkeiten ein neues Eingriffspotential erschließt. Aufseiten des Grundrechtsschutzes darf diese Entwicklung nicht unberücksichtigt bleiben. Die Ausdehnung des Schutzbereichs des Rechts auf informationeile Selbstbestimmung über die im "Volkszählungsurteil" gezogenen Grenzen hinaus erscheint daher folgerichtig. Da insoweit jede polizeiliche Datennutzung einer personenbezogenen Information ein Eingriff in das Recht auf informationeile Selbstbestimmung darstellt, bedarf sie einer Ermächtigungsgrundlage. 133 Zwar folgt aus den strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Datenverarbeitung nicht notwendig, daß diese ebenso auf die Nutzung der Daten zu übertragen sind.134 Gerade aber im Polizei- und Strafprozeßrecht ist die Datenerhebung und anschließende Auswertung zumindest dann der Regelfall, wenn die erhobene Information auf eine Straftat hinweist. Das Legalitätsprinzip zwingt die staatlichen Organe zu diesem Automatismus; das Recht auf informationeile Selbstbestimmung unterbricht ihn, indem es dem Staat eine Rechtfertigungslast dafiir auferlegt, warum und in welchem Umfang er von den Informationen Gebrauch macht. Da insoweit das Recht auf informationeile Selbstbestimmung sowohl bei der Datenerhebung als auch bei der Datenverarbeitung Anwendung fmdet, waren die Gesetzgeber in vielen Bereichen gezwungen, den strengen, durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Vorgaben gerecht zu werden. Danach haben die zur Datenerhebung ermächtigenden Vorschriften nicht nur den rechtsstaatliehen Anforderungen an das Gebot der Normenklarheit135 und der Verhältnismäßigkeit136 zu genügen, sondern auch dem Grundsatz der Zweckbindung sowie dem Gebot von organisatorischen und verfahrensrechtlichen Vorschriften. Das Gebot der Zweckbindung verlangt, daß der Gesetzgeber bereits bei Erlaß einer Norm zu bestimmen hat, in welcher Weise die im Rahmen dieser Norm erlangten Informationen verwendet werden dürfen. 137 Er hat also genaue und präzise Eingriffsvoraussetzungen zu defmieren, wer wann und zu welcher Gelegenheit die einmal erlangten Informationen nutzen darf, so daß die bisher verbreitete Praxis der Weiterleitung über die Amtshilfe - sog. Informationshilfe138 - nicht mehr hinnehmbar ist. 139 Unter einem prozeduralen Grundrechtsschutz versteht das Bun133 Wenn das Bundesverfassungsgericht einerseits bereichsspezifische Regelungen fordert, andererseits aber auch sagt, der Gesetzgeber habe "nicht alles selbst zu regeln", müsse "aber daflir sorgen, daß das Notwendige geschieht", ist fraglich, welche Anforderungen nun an eine Eingriffsregelung zu gelten haben, vgl. BVerfGE 65, 1 (59). 134 Ehmann, RDV 1986, 69 (72); ders., AcP 188 (1988), 230 (318). m BVerfGE 45, 400 (420). 136 BVerfGE 19, 342 (347). 137 Zum Gebot der Zweckbindung ausführlich Vogelsang, Grundrecht auf informationeile Selbstbestimmung?, S. 71 ff. 138 Würz, Polizeiaufgaben und Datenschutz in Baden-Württemberg, Rdn. 3. 139 Etwas anders hier Krause, JuS 1984, 268 (273), der aus der Entscheidung auch die Möglichkeit zur Einzelfallabwägung abliest.

I. Kap.: Einführung in die Problematik

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desverfassungsgericht schließlich den Einbau von Verfahrenssicherungen, die eine mögliche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verhindern. Dazu zählen etwa Löschungspflichten, die bereits die Möglichkeit nehmen, erhobene Daten nicht bereichsspezifisch zu nutzen oder lnformationspflichten, die den Bürger über seine verfahrensrechtliche Stellung informieren. Auch die Erhebung von Begleitfunden schränkt das Recht des einzelnen auf informationeile Selbstbestimmung ein. Zwar handelt es sich beim Begleitfund nicht um ein von den staatlichen Organen intendiertes Produkt eines Informationseingriffs,jedoch ist er Ergebnis präventiv-polizeilicher Ermächtigungsgrundlagen, die es dem Staat in weitem Maße erlauben, in den Freiheitsbereich der Bürger einzudringen. Dies sehen die Landespolizeigesetze nun ausdrücklich vor: Da auch die Datenerhebung und die Datenverarbeitung der Polizei in vielen bereichsspezifischen Regelungen unzureichend war, wurde der Arbeitskreis II ("Öffentliche Sicherheit und Ordnung") von der Innenministerkonferenz damit beauftragt, das Ausmaß notwendiger Änderungen vor dem Hintergrund der bundesverfassungsgerichtliehen Vorgaben zu prüfen. Ein von diesem Arbeitskreis gebildeter Ad-hoc-Ausschuß "Recht und Polizei" entwarf Vorschriften zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder (Me PolG). Bereits 1985 wurde ein Vorentwurfzur Ergänzung des ME PolG vom 25.11.1977 vorgelegt, welcher aber aufgrund kritischer Äußerungen aus den Reihen der Politik, Wissenschaft und der Praxis noch nachgebessert wurde und seine heute endgültige Fassung im VE ME PolG vom 12.3.1986 gefunden hat. Dieser Musterentwurf ist von den einzelnen Bundesländern mit unterschiedlichen Variationen in den jeweiligen Landespolizeigesetzen umgesetzt worden.l40 II. Gesteigertes Informationsaufkommen Bisher wurde mit der Hypothese gearbeitet, daß der Begleitfund Ergebnis präventiv-polizeilicher Ermächtigungsgrundlagen ist, die es den staatlichen Organen in weitreichendem Maße ermöglichen, Informationen über die Bürger zu erheben. Folge dieser Informationseingriffe ist in vielen Fällen die beiläufige Erhebung von Informationen, die außerhalb der eigentlichen Gefahrenabwehr-

140 Vgl. die unterschiedlichen Regelungen auf Länderebene ftir Bayern Honnacker/ Bartelt, BayVBI. 1991, 10 ff.; für Baden-Württemberg Heckmann, VBIBW 1992, 164 ff. und 203 ff.; Messner, BWVP 1992, 193 ff. und 228 ff.; Jelden/Fischer, BWVP 1992, 79 ff. und I 03 ff.; ftir Harnburg Sproß, NVwZ 1992, 642 ff.; Rand/, NVwZ 1992, 1070 ff.; für Hessen Schild, NVwZ 1990, 738 ff.; ftir Nordrhein-Westfalen Kniesel!Vahle, DÖV 1990, 646 ff.; Habermehl, JA 1990,331 ff.; Kniesel, NVwZ 1990, 743 f.; ftir Sch1eswig-Holstein Bäumler, NVwZ 1992, 638 ff.; für das Saarland Mandelartz, DVBI. 1989, 704 ff.; für die neuen Bundesländer vgl. Meierkord/Müller, DVBI. 1993, 985 ff.; Knemeyer!Müller, NVwZ 1993,437 ff.

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1. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

aufgabe stehen und die, sind sie unter strafrechtlichen Gesichtspunkten interessant, staatliche Strafverfolgungstätigkeit auslösen können. Das hohe Informationsaufkommen beruht zunächst auf dem neuen Selbstverständnis der Polizei in bezug auf ihre Präventionsaufgabe. Während nach traditionellem Verständnis klare Eingriffsbeschränkungen bestanden, wonach Präventivtätigkeit bei Vorliegen einer Gefahr beginnt und dort endet, wo die Gefahr beseitigt ist oder ein Tatverdacht Repressivtätigkeit auslöst, bewegt sich die polizeiliche Tätigkeit nun auch in einem Vorfeld- einer Art "Vorgefahr" -, die eine klare und eindeutige Defmition unmöglich werden läßt. Je früher der Zeitpunkt angesetzt wird, zu dem die polizeilichen Organe einer Schadensentstehung entgegenwirken sollen, desto weitgefaßter müssen die polizeilichen Eingriffsgrundlagen ausgestaltet sein. Je mehr dies jedoch der Fall ist, desto größer wird der Personenkreis werden, der von der spezifischen polizeilichen Maßnahme betroffen sein wird, und je mehr Informationen werden erhoben. Wenn aber viele Informationen erhoben werden, dann befmden sich darunter auch viele Begleitfunde. Dieses gesteigerte Informationsaufkommen soll im folgenden Abschnitt verifiziert werden. Traditionelle Eingriffsschranke polizeilicher Tätigkeit ist das Vorliegen einer Gefahr. Jedoch unabhängig von dem noch darzustellenden Wandel des polizeilichen Aufgabenverständnisses ist auch mit diesem zentralen Tatbestandsmerkmal nicht die Eingriffsbegrenzung verbunden, die einen klaren und eindeutigen Handlungsspielraum der polizeilichen Organe defmiert. In welchen Fällen tatsächlich eine Gefahr vorliegt und die Polizei zum Einschreiten ermächtigt, ist oft eine Frage der Einschätzung, die sich im nachhinein als falsch herausstellen kann. Um aber überhaupt herauszufmden, ob eine Gefahr vorliegt, ist die Polizei gezwungen, in viele Richtungen Eingriffe vorzunehmen. Je mehr Informationseingriffe der Staat aber vornimmt, desto mehr besteht die Gefahr nicht nur der Erhebung von Absichtsfunden, sondern auch des Anfallens von Begleitfunden. 1. Gefahr

Das Vorliegen einer Gefahr setzt einen Sachverhalt voraus, der bei ungehindertem Fortschreiten des Geschehens zu einem Schaden führen wird. Die Polizei kennt die Situation und die Quelle der Gefahr; ihr ist daher ein gezieltes Vorgehen möglich. Sie kann unmittelbar gegen den Störer oder Nichtstörer vorgehen, so daß ihr Informationsbedürfnis in bezug auf die Zielerreichung bereits von vornherein begrenzt ist. Zwar ist auch hier in der notwendigen Gefahrenprognose eine Fehlerquote enthalten, jedoch ändert diese in den meisten Fällen aufgrund der empirischen Situation nichts an einem fmalen Informationszugriff. Anders ist die Lage jedoch dann, wenn nur Anhaltspunkte dafür vorliegen, die den Verdacht einer Gefahr begründen, somit das Vorliegen einer

1. Kap.: Einführung in die Problematik

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Gefahr nicht sicher ist und sich dadurch ein gezieltes Vorgehen verbietet. 141 Hier ist die Polizei zunächst aufgefordert, das tatsächliche Vorliegen einer Gefahr und daran anschließend deren Ursachen zu erforschen. Erst wenn beides bekannt ist, kann sie entsprechende Maßnahmen in Form von Folgeeingriffen einleiten. Hier handelt es sich um den im Polizeirecht bekannten sog. Gefahrerforschungseingriff. Dieser ermächtigt die Behörde nur zu solchen Maßnahmen, die zur Aufklärung eines Gefahrenverdachts unumgänglich sind. 142 Trotz der Orientierung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der damit einhergehenden Restriktion der staatlichen Organe muß der Rechtsunterworfene (Erforschungs-)Eingriffe hinnehmen. Polizeirechtlich wird er als Störer betrachtet, dies auch dann, wenn sich im nachhinein herausstellt, daß er für die Gefahr objektiv nicht verantwortlich war, der Eingriff also "ins Leere" ging. Denn in diesem Fall kommt es für die als Entscheidungsgrundlage geforderte Gefahrenprognose auf die Ex-ante-Sicht der Verwaltung an. 143 So ist vorstellbar, daß die staatlichen Organe, bevor sie auf den tatsächlichen Störer stoßen, lange Zeit im dunkeln tappen und ihre Eingriffe erfolglos sind. Dieses suchende und sich vortastende polizeiliche Vorgehen im Sinne des "trial and error" endet erst dann, wenn der Gefahrenherd tatsächlich entdeckt wird. Einer polizeilichen Entdeckung vorausgegangen sind also eine Vielzahl von Informationseingriffen, die mit dem später vorliegenden Wissen nicht hätten vorgenommen werden dürfen, da sie sich gegen einen Nichtverantwortlichen richteten. Eine ähnliche Konstellation liegt auch in den Fällen der sog. Anscheinsgefahr144 vor, bei der zwar zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Gefahr für ein Schutzgut bestand, die staatlichen Organe aber zum Zeitpunkt des behördlichen Einschreitens aufgrund hinreichend gesicherter objektiver Anhaltspunkte von einer Gefahrenlage ausgehen durften. 145 Auch hier kommt es also auf die Exante-Sicht der Behörde an, und der Betroffene muß sich als Störer Eingriffe gefallen lassen, obwohl sich im nachhinein herausstellt, daß zu keinem Zeitpunkt eine Gefahrensituation vorlag. Also ging auch dieser Eingriff "ins Leere". Insgesamt ist also festzustellen, daß der Staat trotz des Tatbestandsmerkmals der Gefahr befugt ist, Eingriffe vorzunehmen, die er - hätte er ex ante über die ex post vorliegenden Kenntnisse verfügt - nicht hätte tätigen dürfen. An der Rechtmäßigkeit des Handeins ändert dies nichts. Durch die damit einhergehenden vermehrten Informationseingriffe fallen viele Informationen an, darunter 141 Zur Konstellation des Gefahrenverdachts vgl. Denninger in HdbPR, Kap. E, Rdn. 38; Reichert/Ruder, Polizeirecht, Rdn. 227 ff. 142 Papier, DVBI. 1985, 873 (875); Denninger, HbdPR, Kap. E, Rdn. 38. 143 VGH Mannheim, NVwZ-RR 1991,22 (24). 144 BGHZ 5, 144 (151). 145 Schoch, JuS 1993, 724 (725). 4 Lindncr

I. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

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auch solche, deren Informationsgehalt sich nicht auf den polizeilichen Zweck bezieht, derentwegen die polizeiliche Maßnahme durchgeführt wurde. Seine eigentliche Bedeutung gewinnt der Begleitfund jedoch erst durch den bereits angesprochenen Wandel im gefahrenabwehrrechtlichen Polizeiverständnis. So beschränkt sich die polizeiliche Tätigkeit nicht nur auf die herkömmliche Art der Gefahrenabwehr, sondern sie bewegt sich nun auch auf einem Feld, das ein globales generalisierendes Abwehrverständnis für sich in Anspruch nimmt. Dieser Umstand ist jedoch nur zu verstehen, wenn man ihn in den Rahmen eines gesellschaftspolitischen Wandels einordnet. 2. Enveiterung polizeilicher Tätigkeit durch operatives Vorgehen

a) Grundsätzliche Überlegungen zur polizeilichen Präventivtätigkeit Grundsätzlich ist Gefahrenabwehr eine punktuelle, einzelfallbezogene Staatstätigkeit, die erst dann zum Tragen kommt, wenn ein Zustand vorliegt, der vom gesetzlich vorgesehenen Normalzustand einer friedlichen Koexistenz der Bürger abweicht. 146 In diesen Fällen des reaktiven Handeins als Antwort auf einen bestimmten Zustand kann staatliches Einschreiten aus zwei Gründen normativ festgelegt werden: Zum einen reagieren die staatlichen Organe retrospektiv auf einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt, so daß ihre Aktivität, gemessen an der Zielvorgabe, normativ ausriebtbar ist. Die den Staat ermächtigenden Normen können genau determiniert werden. Zum anderen ist auch die praktische Umsetzung der Normen festgelegt, denn als bloße Reaktion stehen ihre Komponenten meist fest. Man kann also von einem repressiv-limitierenden Staat sprechen: 147 Die staatliche Überwachungstätigkeit hält sich grundsätzlich zurück, der sich entfaltende Bürger bleibt unbehelligt. Kommt es dagegen zu einem Rechtsverstoß, dann wird dieser reaktiv geahndet. Das spezial- und generalpräventive Element fmdet sich in diesem Fall in dem Steuerungselement des Strafrechts, welches das sanktionierte Unrecht gesetzlich defmiert148 und damit eine soziale Kontrolle des einzelnen ausübt. 149 Von einem anderen Staatsverständnis ist dagegen die Frage geleitet, ob es sich ein Gemeinwesen überhaupt leisten kann, vorwiegend reaktiv tätig zu werden, also erst dann in Erscheinung zu treten, wenn ein Schaden tatsächlich unmittelbar droht oder vielleicht sogar bereits eingetreten ist und es nur noch um die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs oder um sonstige sanktionierende Maßnahmen geht. So leuchtet es ja nicht unmittelbar ein, daß die AllgeGrimm, KritV 1986, 38 (39). Albrecht, KritV 1986, 55 (58). 148 Grimm, KritV 1986, 38 (39). 149 Köhler, ZStW 104 (1992), 3. 146 147

1. Kap.: Einführung in die Problematik

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meinheit tatenlos zusehen soll, wie eine Vielzahl an Gefahren entsteht, von denen einige abgewehrt werden können, andere sich aber realisieren und zu einem Schaden führen. Kann es sich eine Gemeinschaft überhaupt erlauben zuzusehen, wie Gefahren und Sachverhaltskonstellationen entstehen, die wegen ihrer schieren Quantität oder spezifischen Qualität nicht mehr effektiv kontrolliert und bekämpft werden können? Harmoniert ein solches Staatsverständnis tatsächlich noch mit der Pflicht eines Staates, Sicherheit zu gewährleisten? Der Gedanke der Prävention ist alt und verstärkt dort zu fmden, wo besondere Risikopotentiale vorhanden sind. So verfügte auch der liberale Verfassungsstaat des 19. Jahrhunderts über eine umfangreiche Normierung gerade in bezug auf technische Anlagen. Im Unterschied zum modernen Präventionsgedanken setzte die Gefahrenabwehr jedoch erst zu einem Zeitpunkt ein, an dem die Störung unmittelbar bevorstand oder gar schon eingetreten war. Der Sinn einer weitreichenden Normierung war also ein anderer: Während es im modernen Präventionsstaat um Freiheitsbeeinträchtigung durch vorgelagerte und dauerhafte Kontrolle geht, sollte im liberalen Rechtsstaat insofern Rechtssicherheit geschaffen werden, als die willkürliche Einzelentscheidung des kontrollierenden Staatsapparates limitiert werden sollte. Prävention war also freiheitsschützend, da sie vor dem willkürlichen Zugriff absolutistischer Prägung bewahrte sie wirkte also gerade nicht freiheitsbegrenzend. 150 Ebenso in diesen Zusammenhang läßt sich die Entwicklung auf technologischem Sektor in den letzten fiinfzig Jahren stellen. Sie hat eine kaum übersehbare Anzahl von Vorschriften hervorgebracht mit dem gemeinsamen Zweck, das dieser neuen Technologie innewohnende Risiko zu begrenzen. Dabei geht es nicht mehr um die Beherrschung aktueller Gefahren, sondern um die Antizipation potentieller Gefahrenverläufe. 151 Während der Staat hier also seinem Schutzauftrag in bezug auf Leben und Gesundheit gerecht wird, hat er im kriminologischen Bereich die Aufgabe, die innere Sicherheit zu schützen, um eine möglichst friedliche Koexistenz der Bürger zu erreichen. Es wurde bereits ausgefiihrt, 152 daß der einzelne unter Berufung auf die innere Sicherheit ein Recht darauf hat, vor Übergriffen anderer geschützt zu werden. Damit könnte man sich fragen, ob es nicht einfacher und effektiver wäre, auch in diesem Bereich nach Krisenherden Ausschau zu halten, um einer Gefahr früher zu begegnen und einen Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abzuwehren. 153 So kennt etwa das Gewerbe- oder das Immissionsschutzrecht eine dauerhafte Datenerhebung, diese sogar teilweise automatisiert. 150 Preuß,

KritV 1989, 3. Kühne in Kühne/Miyazawa, Neue Strafrechtsentwicklungen, S. 153 (164); Strate, StV 1992, 29 (31 ). 152 In diesem Kapitel, D, I. 153 Backes, KritV 1986, 315 (325). 151

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1. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

Sollte man dann nicht auch im Bereich der weitaus gefährlicheren Kriminalität dauerhaft Daten erheben? Präventives Vorgehen erfordert, daß potentielle Gefahrenherde ausgemacht werden. Es kann folglich nicht einzelfallbezogen vorgegangen werden, sondern nur typologisierend. 154 Prävention zeichnet sich nämlich dadurch aus, daß einer möglichen regelwidrigen Entwicklung entgegengewirkt oder sie zu einem möglichst frühen Zeitpunkt entdeckt wird. Dabei handelt es sich um ein ehrgeiziges Unterfangen. Als zukunftsorientiertes Vorgehen ist die Inanspruchnahme vieler erforderlich, denn die möglichen Gefahrenquellen sind vielschichtig und unübersehbar, ihre Auslotung und Veriftkation erfordert ein Eindringen in die Persönlichkeitssphäre des letztlich zu Schützenden. 155 Wird damit nicht nur irreparablen Schäden entgegengewirkt, so daß man wenigstens von einer vorverlagerten Freiheitsgewährleistung sprechen kann, 156 geht dieser Gewinn an Schadensminderung zwangsläufig zu Lasten der Freiheit des einzelnen. Je effektiver der Staat präventiv handeln soll, desto mehr ist er auf Informationen angewiesen, die als Grundlage seines Vorgehens dienen. 157 Dies hat zur Folge, daß auch rechtmäßiges Verhalten zu staatlicher Erfassung führen kann, wenn nur bestimmte Merkmale in das Präventionsschema fallen. 158 Ein umfassendes Persönlichkeitsbild macht eine umfassende Kriminalitätsbekämpfung möglich, ohne Informationen tappt die Polizei im dunkeln; Freiheitsschutz und Freiheitseingriff korrespondieren miteinander.159 Bei der Frage "Repression contra Prävention" handelt es sich nicht um einen akademischen Streit oder um ein politisches GlasperlenspieL Nicht nur bedingt durch den Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft, 160 sondern auch aufgrund sozialer, wirtschaftlicher, technischer und ethischer Veränderungen unterliegt der Staat einem Wandel in den ihn prägenden Rahmenbedingungen. 161 Will er seiner Aufgabe der Gewährleistung sowohl von Sicherheit als auch von Freiheit gerecht werden, kann er nicht statisch an einem Staatsverständnis festhalten. Als Aufgabenträger unterliegt der Staat einem Funktionswandel und er muß sich verändernden Determinanten anpassen. In der heutigen Ossenbühl, FS für Lerche, S. 151 (161). Grimm, KritV 1986, 38 (39). 156 Grimm, KritV 1986, 38 (49). 157 Lorenz, JZ 1992, 1000 (1003). 158 Grimm, KritV 1986, 38 (39). 159 Grimm, KritV 1986, 38 (49); so auch Lorenz, JZ 1992, 1000 (1001), der sich aber von klar definierten Ermächtigungsgrundlagen löst und in rechtsstaatlich bedenklicher Weise Eingriffsvoraussetzungen einer Verhältnismäßigkeitsabwägung unterstellt, vgl. auch den anderen Ansatz von Denninger, KJ 1988, 1 ff. 160 Ehmann, AcP 188 (1988), 230 (259 f). 161 Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 8 I; ebenso Ehmann, AcP 188 (1988), 230 (259): "Neue Techniken verändern im Maße ihrer Bedeutung stets auch die Rechtsund Gesellschaftsordnung." 154 155

1. Kap.: Einfiihrung in die Problematik

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Zeit ist die gesetzgebensehe Entscheidung, die in ihrer spezifischen Ausformung politisch geprägt ist, zugunsten von Prävention eindeutig. 162 Darin spiegelt sich die Erkenntnis wider, daß überwiegend repressives Handeln im Sinne von bloßer Reaktion zu wenig wäre, um ausreichend für inneren Frieden zu sorgen. Dies zeigt sich unter anderem auch im Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes sowie in seiner Umsetzung in den Polizeigesetzen der Länder. 163 Maßgeblich in diesem Zusammenhang ist der sog. operative Bereich. b) Operatives Vorgehen der Polizei Der Gedanke, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt Gefahrenherden entgegenzuwirken, hat in den letzten Jahren immer mehr an Raum gewonnen und ist auch im Rahmen vollzugspolizeilicher Tätigkeit zu fmden. Neue Erscheinungsformen der Kriminalität haben die Polizei zu neuen Vorgehensweisen und Strategien genötigt. 164 In Bereichen potentieller Risikoentwicklung werden Informationen gesammelt, die eventuell zu einem späteren Zeitpunkt von Nutzen sein werden. 165 Man umschreibt diese Tätigkeit mit dem schillemden Begriff des sog. operativen Vorgehens, welches als Informationsgewinnung defmiert werden kann, die unabhängig von einem konkreten Verdacht und unabhängig von einer konkreten Gefahrenlage betrieben wird. 166 Insbesondere die organisierte Kriminalität, die sich gegen die polizeiliche Überwachung dadurch zu schützen sucht, daß sie ihr kriminelles Verhalten als Normalverhalten tamt167 sowie durch den Umstand, daß sie ihre Aktivitäten in Bereichen entfaltet, in denen es keine personifizierten Opfer gibt oder, falls vorhanden, jene sich nicht als solche begreifen, wie etwa Drogenopfer, zwingt die Polizei zu einer neuen Art von Präventivtätigkeit Damit ist nach heutigem polizeilichen Aufgabenverständnis das grundsätzlich schlichte Warten auf eine konkrete Gefahr nicht mehr ausreichend. 168 Vielmehr zeichnet sich Gefahrenabwehr nach modernem Verständnis durch ein generelles Vorgehen aus mit dem Ziel, der Verfestigung von Organisationsstrukturen entgegenzuwirken und dem kriminellen Milieu das Arbeiten schwer 162 Daß es sich in diesem Zusammenhang um eine gesetzgeberische Entscheidung handelt und nicht um ein Rollenverständnis der Polizei, übersieht Herold, Die Polizei 1972, 133 (134 und passim). 163 Kühne in Kühne/Miyazawa, Neue Strafrechtsentwickungen, S. 153 (161). 164 Sehr kritisch und mit beachtlichen Argumenten hiergegen Hund, ZRP 1991, 463 ff. 165 Kritisch Backes, KritV 1986, 315 (327). 166 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 110; vgl. auch Neumann, Vorsorge und Verhältnismäßigkeit, S. 46 f.; Denninger in HbdPR, Kap. E, Rdn. 156 ff.; Kniesel, Kriminalistik 1996,229 f.; ders., ZRP 1992, 164 f.; ders., Die Polizei 1991, 185 (188). 167 Kniesel, Die Polizei 1991, 185 (187). 168 Kniesel, Kriminalistik 1996, 229.

1. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

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zu machen. Eine sich einnistende Kriminalität soll durch Analyse ihrer spezifischen Verhaltens- und V orgehensweisen in ihren Strukturen erkannt werden, 169 um ihrer weiteren Ausbreitung entgegenwirken zu können. Das Risiko kriminellen Verhaltens soll auf dem Wege der Omnipräsenz erhöht werden, das Moment der Abschreckung spielt eine große Rolle. Die Polizei geht dabei offen und verdeckt vor- sie führt Razzien170 oder Personenkontrollen durch und zeigt damit immer ihre Allgegenwart. Inwieweit die Polizei dabei tatsächlich Straftaten verhindert, oder ob ein derartiges Vorgehen nur dazu führt, daß sich kriminogene Strukturen verändern, sich anpassen und damit nur verlagern, 171 so daß insgesamt nicht viel erreicht wird, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls entspricht es sowohl dem polizeilichen Verständnis, dem des Gesetzgebers als auch der Praxis selbst. Allerdings stellt sich die Frage nach der Geeignetheit dann, wenn es um die Problematik der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ermächtigungsgrundlagen geht, denn diese müssen sich am Maßstab der Verhältnismäßigkeitmessen lassen. Eine besondere Qualität erlangt das operative Vorgehen im übrigen dann, wenn es sich nicht nur auf die Vollzugspolizei beschränkt, sondern wenn auch Sonderordnungsbehörden involviert werden. So werden etwa von der Gewerbeaufsicht Kontrollen durchgeführt, und auch die Bauaufsicht überprüft unter baupolizeilichem Aspekt die Räumlichkeiten des einschlägigen Milieus. 172 In diesen Fällen liegt nicht nur die sonst gegebene funktionelle Trennung von Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörde vor, sondern auch eine personelle Trennung. Insgesamt zeigt sich das primäre Ziel operativen Agierens in der Präsenz in kriminellen Brennpunkten. Davon wird die beste Straftatenkontrolle erwartet. Da der Staat sich demnach bereits zu einem Zeitpunkt auf ein Informationsbedürfnis beruft, bei dem noch gar keine konkrete Gefahr vorliegt, resultiert das gesteigerte Informationsaufkommen insbesondere aus der operativen polizeilichen Tätigkeit. Die in diesem Zusammenhang notwendigen Informationseingriffe zeitigen auch dort Folgewirkungen, wo das Primärziel- Verbrechensverhütung - nicht erreicht wurde: Es kommt zu Begleitfunden.

Die Polizei 1991, 185 (188). Razzien häufig mit typischen Strafverfolgungsmaßnahmen wie etwa einem Haftbefehl enden, will Rachor, HbdPR, Kap. F, Rdn. 59, diese der Strafverfolgung zurechnen, wobei es aber mangels eines konkreten Anfangsverdachts an einer gesetzlichen Normierung fehle. Vgl. auch die Ausführungen zur polizeilichen Taktik bei Schoreit, StV 1991, 535 (536 f.) 171 Albrecht, KritV 1986, 55 (67); anders Kniesel, Kriminalistik 1996, 229 (233), der in der mit der Verdrängung verbundenen Kapazitätsbindung bereits einen Erfolg sieht. 172 Kniesel, Kriminalistik 1996, 229 (233). 169 Kniesel, 170 Da

1. Kap.: Einfiihrung in die Problematik

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c) Das operative Vorgehen- Gefahrenvorsorge Um der Praxis des operativen Vorgehens eine gesetzliche Grundlage zu verschaffen, bestimmt§ 1 I 1 VE ME PolG 1986, daß die Polizei die Aufgabe hat, "im Rahmen dieser Aufgabe (der Gefahrenabwehr, d.Verf.) auch für die Verfolgung von Straftaten vorzusorgen und Straftaten zu verhüten (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten) sowie Vorbereitungen zu treffen, um künftige Gefahren abwehren zu können (Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr)". Damit wird der Polizei nicht nur die Gefahrenabwehr, sondern auch die Gefahrenvorsorge unterstellt. Nach der amtlichen Begründung zum VE ME PolG 1986 handelt es sich dabei nicht um eine Erweiterung der polizeilichen Aufgabenzuweisung, sondern allein um eine gesetzliche Klarstellung, 173 die deshalb auch nur von einigen Bundesländern in die jeweiligen Polizeigesetze aufgenommen wurde. 174 Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten als operatives Vorgehen wird teilweise unter den Begriff der abstrakten Gefahr subsumiert. m Andere sehen ihn dagegen als neben der Gefahrenabwehr bestehende dritte Aufgabe an, 176 bei der es sich nicht mehr nur um Gefahrverhinderung, sondern auch um Gefahrenvorsorge handele177 und es nicht sicher sei, ob es überhaupt zu einer konkreten Gefahr komme. 178 Auch die Verfasser des VE ME PolG 1986 erkennen, daß der Bereich des operativen Vorgehens insofern auf besondere Schwierigkeiten stößt, als er zwar traditionell als Variante der Gefahrenabwehr angesehen wird - denn auch vor der Änderung des Musterentwurfs war es selbstverständlich Aufgabe der Polizei, im Rahmen der Gefahrenabwehr die Begehung von Straftaten zu verhindem -, jedoch die typischen Kategorien von Polizeipflichtigen nicht mehr anwendbar sind. 179 Alltägliches Beispiel für die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten ist die einfache Streifenfahrt - hier hat die Polizei keinerlei Anhaltspunkte für das Bevorstehen einer konkreten Straftat, gleich173 Amtliche Begründung zum Musterentwurf, Begründung zu § 1; Wolf in Wolf/ Stephan, Kommentar zum PolG BW, § 1 Rdn. 4. 174 Z.B. Art. 13 I Nr. 2 BayPAG, § 1 I 2 PolG NW, § I I 2 u. 3 NGefAG, § 1 I 2 u. 3 RhPfPVG, § 1 I 2 Nr. 2 u. 3 SächsPolG, § 2 I 2 ThürPAG. 11s Kniesel, Die Polizei 1983, 374 (377); so ebenfalls die amtliche Begründung zum VE ME PoiG, abgedruckt bei Kniesel/Vah/e, ~usterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes in der Fassung des Vorentwurfs zur Anderung des ME PolG, vgl. Begründung zu§ 8a. 176 Heußner, FS für Simon, S. 231; Merten, NJW 1992, 354 (355); Kniesel, Kriminalistik 1996, 229 (230); Stümper, Kriminalistik 1975, 49 (51); ders., FS für Samper, S. 1 (3); Paeffgen, JZ 1991, 437 (443); Deutsch, Die heimliche Erhebung von Informationen und deren Aufbewahrung durch die Polizei, 188 ff.; Neumann, Vorsorge und Verhältnismäßigkeit, S. 46; a.A. Waiden , Zweckbindung und -änderung, S. 164 f.; anders wohl auch Denninger, HbdPR, Kap. E, Rdn. 161. 177 Kniesel, Kriminalistik, 1996, 229 (230); ders., ZRP 1992, 164 (165). 178 Peitsch, Die Polizei 1990, 213 (214); Rachor, HbdPR, Kap. F, Rdn. 95. 179 Vgl. die Begründung zum Musterentwurf, A.3.6.

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I. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

wohl geht es ihr darum, die Begehung von Straftaten zu verhindern. 180 Da es sich bei dieser schlicht-hoheitlichen Tätigkeit aber nur um einen Teilbereich der polizeilichen Aufgabenzuweisung handelt, der gerade nicht mit Eingriffen in den Freiheitsbereich des Bürgers verbunden ist, ist dieses Feld der Gefahrenvorsorge unproblematisch. Jedoch ist man insofern durch das "Volkszählungsurteil" sensibler geworden, als schlicht-hoheitliche Tätigkeit der Polizei nur noch in engen Grenzen angenommen wird. Hat man früher einen Eingriff verneint, weil das Persönlichkeitsrecht des Bürgers nur marginal betroffen war, oder hat man ihn zwar bejaht, die polizeiliche Generalklausel, 181 allenfalls konkretisiert durch verwaltungsinterne Vorschriften182, als ausreichende Ermächtigungsgrundlage erachtet, so wird dies heute im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung den bundesverfassungsgerichtliehen Vorgaben nicht mehr gerecht. 183 Unter dieser Prämisse ist auch den Verfassern des Musterentwurfs darin zu widersprechen, daß eine gegenüber der Polizei freiwillig gemachte Angabe keinen Eingriff darstelle und ihre Entgegennahme deshalb auch keiner Ermächtigungsgrundlage bedürfe. 184 In dieser Pauschalität ist diese Aussage gerade vor dem Hintergrund der modernen Techniken der Datenverarbeitung nicht haltbar. Eine Einwilligung in den Zugriff auf ein Rechtsgut setzt voraus, daß derjenige, der freiwillig Einblick in seine Rechtsgüter gewährt, den Umfang und die Tragweite dieses Schrittes kennt. Einem fiir sich betrachtet unbedeutenden Datum kann aber dadurch ein neuer Stellenwert vermittelt werden, daß es in Verbindung mit anderen Daten gebracht wird. Eine solche Möglichkeit hat zur Konsequenz, daß sich eine im voraus gegebene Einwilligung nur auf genau das Datum beziehen kann, in dessen Erhebung eingewilligt worden war. Eine Einwilligung in die Verknüpfung mit anderen Informationen ist damit aber nicht verbunden. 185 Gerade vor dem Hintergrund der vom Bundesverfassungsgericht betonten Gefahren der Datenverarbeitung und Datenverknüpfung kommt dieser Feststellung besondere Bedeutung zu.

180 Beispiel

von Peitsch, Die Polizei 1990,213 (214). Sogar noch BGH NJW 1991 , 2651; vgl. auch Kniesel/Vahle/Tegtmeyer, Handbuch des Datenschutzes, Rdn. 49, die noch 1987 einen Lauschangriff auf die polizeiliche Generalklausel stützen wollten. 182 Wie etwa die "Richtlinien flir die Führung Kriminalpolizeilicher personenbezogener Sammlungen" (Kps-RL) oder die "Dateien-Richtlinien" (Dateien-RL), vgl. die Begründung zum Musterentwurf, A.2.1 . 183 Für den Sicherungslauschangriff zum Schutze eines Verdeckten Ermitt1ers, a.A. Krey (Hrsg.), Rechtsprobleme des strafprozessualen Einsatzes Verdeckter Ermittler, BKA-Forschungsreihe, Rdn. 298. 184 Vgl. die amtliche Begründung zum Musterentwurf, Begründung zu§ 8a. IBS Schwan, VerwArch 66 (1975), 120 (133). 181

1. Kap.: Einführung in die Problematik

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Abgesehen von diesem Umstand handelt es sich immer dann um einen sog. "lnformationseingriff',I86 wenn die Informationsbeschaffung mit einem Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen verbunden ist, so daß eine bereichsspezifische Ermächtigungsgrundlage notwendig ist. Dringt etwa die Polizei in eine durch Art. 13 GG geschützte Wohnung ein, um an bestimmte Informationen zu gelangen, steht die Eingriffsqualität der Informationserhebung außer Frage. Entsprechende bereichsspezifische Regelungen sind nun durch die Umsetzung des Musterentwurfs geschaffen worden. Die besondere Qualität des operativen Vorgehens liegt dabei in zweierlei: Erstens ist es kennzeichnendes Element, daß die Regelungen zur Datenerhebung und Datenverarbeitung nicht an die Störereigenschaft anknüpfen, so daß die klassischen Einteilungen der "konkreten Gefahr" sowie des "Störers" nicht anwendbar sind. 187 Vielmehr ist eine Prognoseentscheidung darüber ausschlaggebend, ob nach polizeilicher Erfahrung Anhaltspunkte vorliegen, die fiir eine zukünftige Straftatbegehung sprechen. 188 Da es also nicht mehr um Gefahrenabwehr, sondern um Gefahrenvorsorge und Risikovermeidung geht, scheitert eine Störerqualifikation daran, daß keine konkrete Gefahr vorliegen muß, grundsätzlich also jedermann potentiell verantwortlich ist und Störer sein kann. 189 Zweitens, und hier zeigt sich die besondere Neuerung, haben die polizeilichen Organe nun Eingriffsbefugnisse an die Hand bekommen, die ihnen ein weites Vordringen in die Persönlichkeitssphäre des einzelnen erlauben. Hier wird deutlich, wie geeignet die Regelungen des § 8 VE ME PolG in bezug auf die polizeiliche Datenerhebung sind, Handlungsgrenzen der polizeilichen Arbeit aufzuweichen und weitreichende Informationserhebungsmöglichkeiten zu bieten, die ihrerseits zu einem fast grenzenlosen Informationsaufkommen führen. In Kombination mit der Möglichkeit, in einen Bereich einzudringen, der außerhalb einer konkreten Gefahr oder eines konkretisierbaren Tatverdachts liegt, welcher bisher ausschließlich den Nachrichtendiensten vorbehalten war, 190 hat die Polizei nun die ausdrückliche gesetzliche Befugnis, in einem Umfang Informationen zu erheben, wie es ihr früher verwehrt war. Diese Annäherung der polizeilichen Aufgabenbefugnisse an die der Nachrichtendienste ist um so erstaunlicher, als letzteren eine ganz andere Aufgabenstellung zukommt: Der Verfassungsschutz, dessen verfassungsrechtliche Rechts186 Vgl. zu diesem Begriff Schwan, VerwArch 66 (1975), 120 ff. sowie die obigen Ausführungen unter B, II, 4. 187 Amtliche Begründung zum Musterentwurf, A.3.6., was im übrigen dagegen spricht, daß die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten bereits seit jeher in die gefahrenabwehrrechtliche Dogmatik eingeordnet werden konnte, worauf Neumann, Vorsorge und Verhältnismäßigkeit, S. 36, zu Recht hinweist. 188 Amtliche Begründung zum Musterentwurf, A.3 .6. 189 Riegel, Die Polizei 1991, 1 (8); Merten!Merten, ZRP 1991,213 (217 f.). 190 Hund, ZRP 1991,463 (467).

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I. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

grundtagen sich in Art. 73 Nr. 10 GG und Art. 87 I 2 GG fmden, ist nachrichtlicher Verfassungsschutz und dient der Abwehr von Bedrohungen fiir die Bundesrepublik Deutschland. So bestimmt§ 3 I Nr. 1 BVerfSchG, daß er die Aufgabe hat, Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, zu überwachen. Damit obliegt ihm die Aufgabe der Beobachtung von politisch-extremen Bestrebungen des Rechts- und Linksextremismus sowie nach§ 3 I Nr. 3 BVerfSchG des Ausländerextremismus, 191 wobei hier- als Besonderheit zum Polizeirecht - nicht die Bestrebungen eines einzelnen gemeint sind, sondern die einer Personerunehrheit. Der Verfassungsschutz ist jedoch keine Polizei, dementsprechend stehen ihm auch keine polizeilichen Kompetenzen zu. Jedoch verfiigt er über weitreichende Machtbefugnisse im Bereich der Informationstätigkeit, wie etwa das Abhören des Telefonverkehrs zwischen Ausländern im Ausland. Diese Befugnisse resultieren aus der von Heimlichkeit geprägten Vorgehensweise, die die Erfiillung der dem Verfassungsschutz zugewiesenen Aufgabe in weiten Teilen erfordert. Zu dieser Zweckverfolgung hat ihm der Gesetzgeber einen weiten Eingriffsspielraum zugewiesen, indem es das BVerfSchG mit vielen Generalklauseln ausgestattet hat. Mit der Erweiterung der polizeilichen Befugnisse ergibt sich allerdings das Problem der damit einhergehenden Aufweichung des Trennungsgebots zwischen Polizei und Verfassungsschutz. 192 Im Unterschied zum Verfassungsschutz beschränkt sich die Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes auf die Abwehr außenpolitischer Gefahren. Auch auf diesem Gebiet wurde sein Tätigkeitsbereich durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 insofern erweitert, als der BND nun etwa auch die Möglichkeit hat, ohne konkreten Verdacht den Fernmeldeverkehr zwischen der Bundesrepublik und dem Ausland aufStraftaten zu überwachen. Eine Bindung an das Legalitätsprinzip besteht dabei nicht. 193 Das heißt, das Bundesamt fiir Verfassungsschutz ist nicht gezwungen, die ihm während seiner Tätigkeit bekannt gewordenen Straftaten an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten. Bisher gilt sogar insofern Gegenteiliges, als angefallene Informationen nach einer vom damaligen END-Präsidenten Klaus Kinkel ergangenen Anweisung unverzüglich vernichtet werden müssen. 194 Dies zeigt, daß sich auch hier in ähnlicher Weise die bereits oben kurz angesprochene Problematik der Verwertbarkeit während staatlicher Tätigkeit zufallig erlangter Informationen bezüglich begangener Straftaten stellt. Bei der verfassungsschutzrechtlichen Tätigkeit ist sie also bisher zugunsten des einzelnen und zu Lasten der Strafverfolgung gelöst.

191 Schwager{, ZRP 1988, 167 (169). 192Afbert, ZRP 1995, 105 ff. 193 Köhler, StV 1994,386 (387). 194 Vgl. Kingst, DIE ZEIT v. 25 .2.1994.

1. Kap.: Einfiihrung in die Problematik

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Bisher wurde herausgearbeitet, daß insbesondere durch die operative polizeiliche Tätigkeit - aufgrund des Eindringens in Bereiche, bei denen noch gar keine Gefahr vorliegt - in großem Umfang Informationsmaterial anfällt. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis ist nun im folgenden zu untersuchen, welche Ermächtigungsgrundlagen nach dem Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz zu einem erhöhten Informationsaufkommen führen können. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Datenerhebung nach§§ 8a-d VE ME PolG zu richten sein. Es sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß es vor dem Hintergrund der Zielvorgaben des "Volkszählungsurteils" um so erstaunlicher ist, wie der Gesetzgeber die an ihn gestellten Vorgaben umgesetzt hat. Zwar sind die Normen des VE ME PolG 1986 sowohl bestimmt als auch normenklar, jedoch eröffnen sie der Polizei eine Informationserhebungsbefugnis in weiten Grenzen. Inwieweit damit nicht das "Volkszählungsurteil" konterkariert wird, wonach der einzelne doch vorhersehen können soll, welche Daten zu welchem Zweck über ihn gespeichert werden, mag zunächst dahingestellt bleiben. Die folgenden Ausführungen legen den Musterentwurf von 1986195 zugrunde, da er Vorbild für die Novellierungen aufLänderebene war. In den Fällen, in denen signifikante Abweichungen zu den von diesem Musterentwurf vorgeschlagenen Regelungen bestehen, wird darauf hingewiesen werden. 3. Informationserhebung nach dem VE ME Po/G Eine Statistik darüber, inwieweit bei präventiv-polizeilicher Tätigkeit Kenntnisse über begangene Straftaten erlangt werden, existiert nicht, was eine Anfrage an alle Landeskriminalämter der alten Bundesländer ergab. 196 Den Landeskriminalämtern der alten Bundesländer wurden im Januar 1994 folgende drei Fragen gestellt: 1. Wie oft kommt es vor, daß im Rahmen der präventiv-polizeilichen Tätigkeit von Straftaten Kenntnis erlangt wird? 2. Zeichnet sich schon jetzt ein Unterschied ab zu der Zeit vor Änderung des Polizeigesetzes Ihres Landes, kommt es also heute zu mehr Zufalls- und Begleitfunden197, als dies früher der Fall war? 3. Wie behandeln Sie diese Funde? Freundlicherweise haben alle befragten Landeskriminalämter auf die Befragung reagiert. Sie gaben übereinstimmend an, daß sie über die Häufigkeit einer 195 Veröffentlicht mit amtlicher Begründung bei Kiesel/ Vahle, M!;lsterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes in der Fassung des Vorentwurfs zur Anderung des ME PolG, Heidelberg 1990. 196 Liegt der Verfasserio vor. 197 Diese Terminologie ist zwar neu, der Ausdruck wurde jedoch von den Befragten mit dem in dieser Arbeit zugrundegelegten Verständnis belegt.

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l. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

beiläufigen Kenntniserlangung in bezug auf Straftaten keine Mitteilung machen könnten. Hier bestünden keine meldedienstlichen Auflagen, so daß keine Aufzeichnungen oder Statistiken vorliegen würden. Demzufolge könne auch keine Aussage darüber gemacht werden, inwieweit sich der Informationsanfall im Vergleich zu früher erhöht habe. Zu der Frage, was mit den Informationen geschehe, deren Informationsgehalt eine Straftat betrifft, wurde ganz überwiegend mit dem Hinweis auf eine bestehende Weiterleitungspflicht nach dem Legalitätsprinzip geantwortet. Allein das Landeskriminalamt von Rheinland-Pfalz fiihrte aus, daß nur die Straftaten an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet würden, die sich auf eine Katalogtat nach § 1OOa StPO bezögen. Alle übrigen Straftaten würden dagegen nur im Wege einer mittelbaren Beweisverwertung zu Strafverfolgungsmaßnahmen fUhren. Damit gibt es keine empirischen Erkenntnisse darüber, aufgrund welcher präventiv-polizeilichen Maßnahmen und in wievielen Fällen die Polizei im Rahmen präventiv-polizeilicher Tätigkeit Begleitfunde erhebt. Folglich ist der fiir die Landespolizeigesetze als Vorbild dienende Musterentwurf daraufhin zu untersuchen, ob er Ermächtigungsgrundlagen enthält, die anfällig dafiir sind, daß auf sie gestützte Maßnahmen über das eigentliche Ziel der Gefahrenabwehr hinausschießen und sich nicht nur auf die Erhebung der Informationen beschränken, die Anlaß fiir die eingeleitete Maßnahme waren. a) Systematik der Befugnisnormen Ausgangspunkt der im Musterentwurf vorgesehenen Informationserhebung ist die Generalklausel des § 8, wonach "die Polizei ... die notwendigen Maßnahmen treffen (kann), um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr fiir die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die §§ 8a bis 24 die Befugnisse der Polizei besonders regeln." Damit geht zwar die Generalklausel des § 8 davon aus, daß eine polizeiliche Maßnahme zulässig ist, um eine Gefahr abzuwenden. Dieses Grundprinzip wird jedoch durch die nachfolgenden vorrangigen Standardermächtigungen in sein Gegenteil verkehrt, da jene überwiegend kriminalpräventiv ansetzen, so daß die grundsätzliche Bindung an das Vorliegen einer Gefahr entfällt. 198 Auch arbeitet der Entwurf mit sog. eingeschränkten Generalklauseln, die den polizeilichen Handlungsspielraum erweitern. Während die Generalklausel eine allgemeine Befugnis zur Gefahrenabwehr gibt, umschreiben die Standardmaßnahmen dezidiert und an engen Tatbestandsmerkmalen orientiert die Voraussetzungen, unter denen die Polizei eine bestimmte Maßnahme durchfUhren darf. Liegen diese Voraussetzungen dagegen nicht vor, hat die Polizei immer noch die Möglich198

Neumann, Vorsorge und Verhältnismäßigkeit, S. 40.

1. Kap.: Einführung in die Problematik

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keit, die gleichen Maßnahmen zur Abwehr einer im Rahmen der Standardmaßnahme wnschriebenen Gefahr durchzufiihren. 199 Der Musterentwurf begründet diese Systematik mit der Schwierigkeit, im Rahmen der polizeilichen Präventivtätigkeit jede Sachverhaltskonstellation genau regeln zu können. Zwar ist der amtlichen Begründung darin zuzustimmen, daß die Anforderungen an einen Eingriff reziprok zur Tiefe des Eingriffs sind, 200 jedoch verliert dieser Umstand an Bedeutung, wenn bei Nichtvorliegen der Eingriffsvoraussetzungen dieselbe Maßnahme auch zur Abwehr einer Gefahr möglich ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß aufgrund der eindeutigen verfassungsrechtlichen Vorgaben in bezug auf Normenklarheit und Bestimmtheit kein Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel möglich ist. 201 Die eingeschränkte Generalklausel entbindet aber von einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen einer Standardermächtigung. Nachstehend soll gezeigt werden, daß der Polizei in weitreichendem Maße Informationseingriffe ermöglicht werden, im Rahmen derer viele Informationen - unter anderem auch Begleitfunde - anfallen. Dies soll an §§ 8a-d VE ME PolG exemplifiziert werden. b) Datenerhebung nach § 8a VE ME PolG202

§ 8a I VE ME PolG bestimmt den Personenkreis, über den die Polizei personenbezogene Informationen erheben darf. Dies sind neben den typischen Polizei- und Notstandspflichtigen, also dem Störer und dem Nichtstörer, auch Zeugen sowie Personengruppen, die geschädigt, hilflos oder gefährdet sind.203 In diesem Falle muß die Information zur Abwehr einer Gefahr204 oder zum Schutz privater Rechte oder zur Vollzugshilfe erforderlich sein. Bei § 8a II reicht es dagegen aus, wenn die Datenerhebung erfahrungsgemäß zur vorbeugenden BeAmtliche Begründung zum Musterentwurf, A.3.4. Amtliche Begründung zum Musterentwurf, A.3.5. 201 Dies stellt die amtliche Begründung ausdrücklich heraus, vgl. A.3.4. 202 Art. 31 BayPAG, § 20 PoiG BW, § 30 BbgPoiG, § 9 PolG NW, § 27 I, 111 SOG MV, § 31 NGefAG, § 25a PoiG, Rhpf PVG, § 37 SächsPolG, § 26 SPolG, § 32 ThürPAG, restriktiv§ l3 HessSOG. 203 § 13 II Nr. 3 HessSOG, § 27 I, 111 SOG MV, vgl. aber§ 25a RhPf PVG, der nur von "anderen" Personen als dem Verhaltens-, Zustands- oder Nichtstörer spricht. Vgl. auch § 32 ThürPAG, der auch von "anderen" Personen spricht. 204 Auf das Merkmal einer Gefahr verzichtet § 31 I Nr. 1 BayPAG, da andernfalls eine polizeiliche Wahrnehmung nur bei Vorliegen einer konkreten Gefahr zulässig wäre, vgl. Honnaker/Bartelt, BayVBI. 1991, lO (12); ebenso fehlt bei § 37 SächsPolG eine Gefahr als Tatbestandsvoraussetzung. Zwar ist dort von der Erfüllung der durch das PoiG übertragenen Aufgaben und damit auch von der Gefahrenabwehr in § I die Rede, jedoch ist damit - im Unterschied zu§ 9, der eine abstrakte Gefahr verlangt- eine konkrete Gefahr gemeint, so daß der Nichtnennung einer Gefahr in§ 37 I eine eigenständige Bedeutung zukommt. 199

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I. Teil: Informationserhebung im Rahmen der Gefahrenabwehr

kämpfung von Straftaten erforderlich ist. In diesem Fall können die Daten auch von unbeteiligten Personen und deren Kontakt- oder Begleitpersonen205 erhoben werden, wenn bei ihnen Anhaltspunkte bestehen, daß sie künftig Straftaten begehen oder Opfer von Straftaten werden, sowie von Zeugen und sonstigen Hinweispersonen. Während sich also § 8a Nr. 1 noch an dem überkommenen Verständnis von Störerund Notstandspflichtigen orientiert, nehmen alle weiteren Aufzählungen Erweiterungen vor, die weit über diese klaren Begriffe hinausgehen. Liegt demnach eine konkrete Gefahr vor, so dürfen auch Geschädigte, Hilflose, Vermißte - einschließlich ihrer gesetzlichen Vertreter oder Vertrauenspersonen- gefährdete Personen, Zeugen, Hinweisgeber oder sonstige Auskunftspersonen in Anspruch genommen werden. Aus der Gesetzessystematik ergibt sich, daß die Voraussetzungen für das mutmaßliche Vorliegen einer geplanten Straftat gering sind. In Abgrenzung zu § 8a I, der eine vorliegende Gefahr verlangt, setzt § 8a II eine solche Gefahr gerade nicht voraus. Damit ist es ausreichend, wenn die Polizei zwar von einer geplanten Straftat weiß, ihr die näheren Umstände der Tat jedoch noch nicht bekannt sind. 206 Schließlich erweitert Abs. 2 die Inanspruchnahme auch auf Unbeteiligte, wenn dies zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist. Dies hat zur Folge, daß sich hier eine Ausdehnung des Personenkreises in Nr. 1 bis 4 in einer Abs. 1 entsprechenden Weise mit dem weiten Begriff der vorbeugenden Straftatbekämpfung verbindet, so daß im Ergebnis grundsätzlich jedermann in Anspruch genommen werden kann.207 Eine genaue Adressatenregelung scheitert im Bereich der Gefahrenvorsorge daran, daß grundsätzlich jeder zur Risikovermeidung beitragen kann. Insofern liegen wenig Unterscheidungsmerkmale zwischen Polizeipflichtigen und Unbeteiligten vor, die als nach außen sichtbare Anknüpfungspunkte polizeilichen Handeins genommen werden könnten. 208 Nach dem Alternativentwurf der SPO-regierten Bundesländer (sog. A-Vorschlag) reicht eine Informationserhebung nur zur allgemeinen Vorbeugung von Straftaten nicht aus, vielmehr muß sich die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten auf enumerativ genannte Straftaten beziehen, bei denen teilweise zusätzlich noch die Vermutung bestehen muß, daß sie in erheblichem Umfang begangen werden. Aber auch in diesem Fall geht eine Schätzung dahin, daß Eine Umschreibung dieses Personenkreises findet sich etwa in§ 36 III SächsPolG. Vgl. auch die amtliche Begründung zum Musterentwurf, Begründung zu § 8a. 207 Kniesel!Vahle, DÖV 1987, 953 (957); kritisch auch Backes, KritV 1986, 315 (333). 208 Kniesel, Kriminalistik 1996, 229 (236), der aus diesem Grund von einer "Scheintatbestandlichkeit" der Eingriffsnormen spricht. Diese Feststellung ist auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten insofern interessant, als es nach Aussage des Bundesverwaltungsgerichts mit dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren ist, jedermann als potentiellen Rechtsbrecher zu betrachten, BVerwGE 26, 169 ( 170). 205

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1. Kap.: Einführung in die Problematik

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insgesamt 123 Straftaten zu dieser Form der Datenerhebung fiihren können,209 weshalb diesem Vorschlag teilweise Unpraktikabilität vorgeworfen wird.210 § 8a III, der die Datenerhebung von Personen regelt, die sich zur Hilfeleistung in Gefahrenfallen verpflichtet haben, hat insofern wohl nur deklaratorischen Charakter, als diese Personen in den meisten Fällen mit der Datenerhebung einverstanden sein werden.211 Schließlich ergibt sich noch aus § 8a IV, daß auch bei Dritten Daten erhoben werden dürfen, wenn die Erhebung beim Betroffenen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist, oder die Erfüllung der polizeilichen Aufgaben verhindert oder erschwert würde. lnsoweit soll zwar der Zugriff auf Dritte nur die Ultima ratio sein, jedoch besteht die Gefahr ihrer Inanspruchnahme aus Zweckmäßigkeitserwägungen. c) Datenerhebung bei öffentlichen Veranstaltungen, Ansammlungen und Versammlungen nach§ 8b VE ME PolG212 § Sb regelt die Datenerhebung bei öffentlichen Veranstaltungen, Versammlungen und Ansammlungen, die nicht dem Versammlungsgesetz unterliegen. Hier kann die Polizei personenbezogene Daten213 erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung entstehen. Hierunter verstehen die Verfasser des Musterentwurfs eine Vorfeldtätigkeit, die gerade bei Großveranstaltungen Ausschreitungen im "Schutz der Menge" verhindem soll.214 Allerdings verlangt der Alternativentwurf der A-Länder bei der Datenerhebung im Rahmen öffentlicher Versammlungen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, daß bei oder in Zusammenhang mit der Versammlung Straftaten begangen werden. Will die Polizei Bildoder Tonaufzeichnungen vornehmen, muß die Begehung einer Straftat sogar unmittelbar bevorstehen. Soweit die Daten nicht aus einer öffentlichen Versammlung stammen, die nach Beendigung der Versammlung - auch nach dem Alternativentwurf - sofort vernichtet werden müssen, besteht ein Vernichtungsverbot nur dann, wenn die Daten nicht zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung benötigt werden. Diesbezüglich sieht Weßlau, CILIP, Nr. 24 (2/1986), S. 65 . DÖV 1989, 953 (957). 211 Kniese//Vahle, DÖV 1989, 953 (957). 212 Art. 32 BayPAG, § 21 PolG BW, § 31 BbgPoiG, § 15 PoiG NW, § 14 HessSOG, § 32 NGefAG, § 38 SächsPoiG, § 27 SPolG, § 33 ThürPAG. 213 Der Personenbez