Die rechtlichen Grenzen der Entscheidung des Vormundschaftsgerichts im Rahmen des § 1643 BGB [1 ed.] 9783428476558, 9783428076550

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Die rechtlichen Grenzen der Entscheidung des Vormundschaftsgerichts im Rahmen des § 1643 BGB [1 ed.]
 9783428476558, 9783428076550

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HOLGER SCHRADE

Die rechtlichen Grenzen der Entscheidung des Vormundschaftsgerichts im Rahmen des § 1643 BGB

Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp

Band 70

Die rechtlichen Grenzen der Entscheidung des Vormundschaftsgerichts im Rahmen des § 1643 BGB

Von Holger Schrade

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Schrade, Holger: Die rechtlichen Grenzen der Entscheidung des Vormundschaftsgerichts im Rahmen des § 1643 BGB / von Holger Schrade. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 70) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-07655-9 NE:GT

D6 Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-07655-9

Meinen Eltern und Bärbel

Vorwort Die hier veröffentlichte Arbeit lag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Sommersemester 1992 als Dissertation vor. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. W. Schlüter, der die Thematik angeregt und die Arbeit betreut hat. Danken möchte ich ferner Herrn Prof. Dr. H. Holzhauer, der das Zweitgutachten erstellt und mir durch die Arbeit an seinem Institut Einblicke in weitere Forschungsgebiete ermöglicht hat. Den Herausgebern der "Münsterischen Beiträge zur Rechtswissenschaft", insbesondere Herrn Prof. Dr. H. Kollhosser, danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Schriftenreihe.

Münster, im Oktober 1992

Holger Schrade

Inhaltsverzeichnis Einleitung

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1. Kapitel

Die Entstehungsgeschichte des Genehmigungserfordernisses und die Funktion des Vormundschaftsgerichts A. Die Entstehungsgeschichte des § 1643 BGB ...................................................... I. Überlegungen des Gesetzgebers von 1896.............. ........................ ........... 11. Die Zeit seit Inkrafttreten des BGB .... ........ ........ .......... ........ ...... ........ ........ 1. Änderungen der Vorschrift .......... ................ ........ ........ ................ ........... 2. Sinn und Zweck der Änderungen ........................................................... III. Tendenzen in der Rechtsprechung.............................. ........ ........................ 1. Die ältere Rechtsprechung...................................................................... 2. Die neuere Rechtsprechung .................................... ................................ N. Das Nutznießungsrecht............................................................................... B. Die Funktion des Vonnundschaftsgerichts bei der Erteilung der Genehmigung..................................................................................................................... I. Überblick über die Funktion des Vonnundschaftsgerichts ........................ 11. Sinn und Zweck des Genehmigungserfordernisses ......... ........................... I. Schutz vor Verlust ökonomisch wichtiger Vennögensgegenstände...... 2. Schutz des Selbstbestimmungsrechts vor den Risiken persönlicher Haftung.................................................................................................. C. Zusammenfassung ....... ................ ........... ............. ..... ........... ........ ........ ................

16 16 18 18 19 21 21 22 24 27 27 28 28 29 30

2. Kapitel

Das Genehmigungserfordernis in verfassungsrechtlicher Hinsicht A. Die Genehmigung unter Berücksichtigung von Art. 6 GG ...... ............. ......... ..... I. Ehe und Familie, Art. 6 Abs. I GG ............................................................ 11. Elternrecht und staatliches Wächteramt, Art. 6 Abs. 2 GG ... ..................... 1. Schutz der Vermögenssorge durch Art. 6 Abs. 2 GG............................ a) Darstellung des Meinungsstands ........... ........... ................................

33 33 34 34 34

10

Inhaltsverzeichnis

b) Eigener Standpunkt........ ... ..... ... ..... ... .... .... ..... ................ ........ ... ..... ... aa) Kongruenz von verfassungsrechtlichem und bürgerlich-rechtlichem Elternrecht... ... ........... .......... ........ ... ........ ........ ........ ........ bb) Wortlaut... ........ ... ..... ........... ........ ........ ..... ... ........ ..... ... ..... ... ........ 2. Aufgabe und Grenzen des staatlichen Wächters.... ............. ........ ........... 3. Träger des Elternrechts ....................... ................ ...................................

36 36 36 40 42

B. Weitere verfassungsrechtliche Aspekte des Genehmigungserfordernisses......... I. Eigentumsgarantie, Art. 1400.................................................................. 11. Berufsfreiheit, Art. 12 00 .. ................ ........ ............. ........ ................ ........... m. Allgemeines Persöolichkeitsrecht, Art. 2 Abs. I, 1 Abs. 1 00..................

49 49 50 51

C. Zusammenfassung .................................................................... ................ ...........

52

3. Kapitel

Die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts A. Der Entscheidungsmaßstab .............................. ........... ............. .............. ............. I. Einführung.................................................................................................. 11. Kindeswohl oder Kindesinteresse? .......... ........................ ........................... 1. Die Bedeutung der Begriffe "Wohl" und "Interesse" in der Alltagssprache und Gesetzesterminologie ........ ........ ..................... ................... 2. Persönlichkeitsbezug des Kindeswohlbegriffs ...... ................ ................ 3. Der umfassende Begriff des Kindesinteresses .. .......... ........ ................... 4. Konsequenzen für § 1643 BGB ............. ................................ ................ m. Rechtstheoretische Präzisierung ................................. ........ ........ ........ ........ 1. Die normative Bedeutung des übergeordneten Maßstabes.................... 2. Stabilisierung der Entscheidungsfmdung ...................... ........ ........ ........ 3. Eingriffslegitimation und Entscheidungsmaßstab ................................. 4. Das Vorgehen nach Standards ........................... :................................... a) Die Anwendung auf den Einzelfall....................................... ........... b) Positive oder negative Eingrenzung im Rahmen des § 1643 BGB.. IV. Zusammenfassung ................... ................................... ........ ................... .....

53 53 55 55 58 60 61 63 63 65 66 68 69 72 76

B. Die Entscheidungslcriterien .... ................ ........ ................ .......... ........ .............. ..... I. Kontrollbefugnis des Vormundschaftsgerichts........................................... 11. Entscheidungskriterien in rechtlicher Hinsicht... ........ ..... ........ ................... 1. Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts...... ........................ ........ ........... ..... a) Offensichtliche Unwirksamkeit........ ........................ ................... ..... b) Wirksamkeitszweifel..... ................................................................... aa) Aussetzung ................................................................................. bb) Versagung der Genehmigung ohne Sachprüfung....... ........... ..... ce) Versagung bei hohem Prozeßrisiko............................................ dd) Keine Versagung der Genelunigung ohne Sachprüfung ............ ee) Zusammenfassung...................................................................... 2. Bestehen einer Rechtspflicht .................................................................

76 77 78 79 79 80 81 82 85 90 90 91

Inhaltsverzeichnis

11

III. Entscheidungskriterien rechtstatsächlicher Art .. ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... ........ 1. Der lediglich rechtliche Vorteil im Sinne des § 107 BGB .................... 2. Grundsätze der wirtschaftlichen VermögensverwaltlUlg....................... a) GeltlUlg der Grundsätze fiir § 1643 BGB ......................................... b) Einzelne Ausprägungen der Grundsätze........................................... c) Geschäftsrisiko ................................................................................. 2. Immaterielle GesichtsplUlkte ................................. ................... ............. a) Wertung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ........................ b) Gesetzessystematik ... ..... ... ... .......... ... ........ ... ..... ... ..... ..... ... ..... ... ... ..... aa) Anstand....................................................................................... bb) Sittliche Pflicht ........ ... ..... ...... ..... ..... ... ..... ... ..... ........ ... ..... ... ..... ... (1) Familienfriede...................................................................... (2) Belange Dritter .. ... ... ..... ..... ........ ... ........ ..... ........ ........ ... ..... ... (3) Öffentliche Interessen .......................................................... N. Gesamtabwägung........................................................................................

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Die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts als Ermessensentscheidung? .... I. Problemstellung .......................................................................................... 11. Das Ermessen im Zivilrecht........................................................................ 1. Der weite Ermessensbegriff Rittners ...................................................... 2. Die Lehre vom Tatbestandsermessen ..................................................... 3. Ermessen als "Rechtsfolgeermessen" ..................................................... 4. Eigener Standpunkt................................................................................. III. Kriterien zur Ermessensbestimmung bei § 1643 BGB...............................

115 115 117 118 118 120 120 123

D. Nebenbestimmungen zur Entscheidung .............................................................. I. Grundsätze des § 36 Vw VfG ... ... ....... ...... ... ..... ........ ... ........ ... .......... ... ..... ... 11. Modifizierende Ablehnung. ..... ... ... .......... ... ..... ........ ........ ... ..... ... ..... ... ..... ... III. Zu lässigkeit der Nebenbestimmungen ..... ... ..... ... ..... ........ ... ........ ..... ... ..... ... I. Einzelne Nebenbestimmungen ... ... ..... ... ..... ... ..... ... ..... ... ........ .... .... ..... ... a) Befristung ......................................................................................... b) Bedingung...... ........... ................................... ..... ........ ........................ c) Auflage.. ........... ..... ........... ..... ... ........ ..... ... ..... ........ ... ..... ........... ..... ... d) Widerrufs- und Auflagenvorbehalt........... ........ ........ ..... ................... 2. Weitere Voraussetzungen ......................................................................

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Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

138

Literaturverzeichnis

140

c.

Einleitung § 1643 BGB regelt das Erfordernis vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung zu Rechtsgeschäften, die die Eltern für ihre Kinder vornehmen wollen. Die Vertretungs macht der Eltern in vermögensrechtlichen Angelegenheiten wird durch diese Vorschrift erheblich eingeschränkt. 1 Die Erteilung der GenehmigWlg erscheint dennoch wenig spektakulär. Gleichwohl rückte das Genehmigungserfordernis des § 1643 BGB in den Vordergrund wissenschaftlicher Auseinandersetzung, als das Bundesverfassungsgericht 1986 die Unvereinbarkeit der §§ 1643, 1629 Abs. 1 BGB mit Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG erklärte? In dieser Entscheidung hat sich das BWldesverfassungsgericht allerdings nur mit der Frage auseinandergesetzt, ob der eng umrissene Kreis der genehmigungspflichtigen Rechtsgeschäfte ausreicht, den Minderjährigenschutz in hinreichendem Maße zu gewährleisten. Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit einer anderen Problematik. Soweit es um die vormundschaftsgerichtliche Genelnnigung zu einem Rechtsgeschäft geht, ist zwischen der Genehmigungspflicht und der Genehmigungsfähigkeit des Geschäfts zu unterscheiden. Die Frage, ob ein Geschäft genehmigwlgspflichtig ist, bereitet in der Regel wenig Probleme. Hier hilft ein Blick in das Gesetz. § 1643 Abs. 1 BGB verweist auf die Vorschriften der §§ 1821,1822 Nr. 1,3,5,8 bis 11 BGB, also auf einen abschließenden Katalog genehmigungspflichtiger Rechtsgeschäfte. Schwierigkeiten entstehen hingegen, soweit es um die Genehmigungsfähigkeit eines Rechtsgeschäfts geht. Hier schweigt das Gesetz. Ein tatbestandlich fixierter Maßstab oder gar ein Katalog abschließender Kriterien, die das Vormundschaftsgericht bei seiner Entscheidung zu beachten hat, fehlen. Zu der für die Eltern letztlich entscheidenden Frage, unter welchen Umständen die GenehmigWlg zu erteilen ist, sagt das Gesetz somit nichts. Damit ist der AusgangspWIkt für diese Arbeit gefunden. Die Grenzziehung zwischen Elternrecht und staatlichem Wächteramt gehört zu den rechtspolitisch

Staudinger-Engler § 1643 Rdnr. 2. BVerfGE 72, 155 =FamRZ 1986, 769 = NJW 1986, 1859 WM 1986,828 = JZ 1986, 632 = JuS 1986,806. 1

2

= BB 1986, 1248 =

Einleitung

14

besonders umstrittenen Problemfeldem im geltenden Kindschaftsrecht. 3 Auch der Umfang der Entscheidungsbefugnis des Vormundschaftsgerichts wirft viele Fragen auf. Im Rahmen des § 1643 BGB kann es dem Vormundschaftsrichter nicht anheimgestellt sein, nach eigenem Belieben die Genehmigung zu erteilen oder zu versagen. Die Grenzen seiner Entscheidung sind festzulegen. Die vorliegende Arbeit gibt zunächst einen Überblick über die Ausprägungen, die das Genehmigungserfordernis in seiner geschichtlichen Entwicklung erfahren hat. Im Anschluß wird der Frage nachgegangen, ob die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung verfassungsrechtliche Bezüge - insbesondere zu Art. 6 GG - aufweist. Das letzte Kapitel der Arbeit beschäftigt sich mit der eigentlichen Entscheidung des Vormundschaftsgerichts. Hier ist von zentraler Bedeutung, welcher Maßstab der Entscheidung zugrunde liegt. Anband der ermittelten Ergebnisse wird aufgezeigt, welchen Grenzen das Vormundschaftsgericht bei seiner Entscheidung unterworfen ist. Dabei werden die durch Rechtsprechung und literatur entwickelten Kriterien kritisch bewertet. Von Bedeutung ist ferner, ob dem Gericht ein Ermessen zusteht, dessen Grenzen nur beschränkt überprüfbar sind. Auch die Frage nach möglichen Nebenbestimmungen zur Entscheidung stellt sich in diesem Zusammenhang.

3

SchUlter, Familienrecht, § 1

n 2 (S. 6).

1. Kapitel

Die Entstehungsgeschichte des Genehmigungserfordernisses und die Funktion des Vormundschaftsgerichts Gesetzliche Regelungsmechanismen erlauben staatliche Einflußnahmen auf das Eltern-Kind-Verhältnis. Bestandteil dieser Mechanismen ist das Genehmigungserfordernis des § 1643 BGB, das dem Vormundschaftsgericht Einwirkungen in vermögensrechtlicher Hinsicht gestattet.

Es erscheint heute selbstverständlich, daß der Staat auf familienrechtliche Verhältnisse Einfluß nehmen kann. Das Recht der elterlichen Sorge ist in einem pflichtbetont vormundschaftlichen Sinne ausgestaltet) und muß wegen der Gefahr eines möglichen Elternversagens staatlicher Einflußnahme zugänglich sein. Der vormundschaftliche Charakter der elterlichen Sorge kommt unter anderem darin zum Ausdruck, daß gesetzestechnische Verweise aus dem Recht der elterlichen Sorge in das Vormundschaftsrecht erfolgen. Gerade § 1643 BGB ist dafür ein gutes Beispiel, denn diese Norm nimmt Bezug auf die vormundschaftsrechtlichen Vorschriften der §§ 1821, 1822 Nr. 1, 3, 5, 8 bis 11, 1825, 1828 bis 1831 BGB. Allerdings wurde diese Einflußnahme durch das Vormundschaftsgericht auf das Eltern-Kind-Verhältnis als öffentliche Bevormundung der Eltern verstanden? Vor allem die vormundschaftsgerichtliehe Genehmigung nach § 1643 BGB spiegele "das bedauerliche Übermaß reiner äußerlicher Rechtsvorschriften" wider, die "leider" Ausdruck des den Inhabern elterlicher Gewalt entgegengebrachten Mißtrauens seien.3 Eine derartige Verkennung geschichtlicher Traditionen lenkt den Blick auf die Entstehungsgeschichte des Genehmigungserfordernisses und die Funktion des Vormundschaftsgerichts bei Anwendung des § 1643 BGB. ) So schon Motive, Band N, S. 72A. So Fischer, Familie lUld Erbe, s. 14: "Jedenfalls haben deutsche Eltern es nicht nötig, zu Vormündern herabgedrückt und dadurch in ihren Beziehungen zu ihren Kindern selbst öffentlich bevormlUldet zu werden." 3 Fischer, Familie und Erbe, S. 13. 2

16

I. Kapitel: Die Entstehungsgeschichte des Genehmigungserfordemisses

A. Die Entstehungsgeschichte des § 1643 BGB I. Überlegungen des Gesetzgebers von 1896 Der Gesetzgeber von 1896 hat die Zahl der Genehmigungserfordemisse im Vergleich zum alten Recht erheblich erweitert. So fanden im Gemeinen Recht auf den Vater als Träger der elterlichen Gewalt die Vorschriften keine Anwendung, die die Vertretungs macht des Vormunds beschränkten. Dem Vater stand grundsätzlich die vollständige vermögellsrechtliche Vertretung zu. Allerdings war er partikularrechtlich in verschiedenen gemeinrechtlichen Gebieten insbesondere bei der Veräußerung von Immobilien einem gerichtlichen oder obervormundschaftlichen Genehmigungserfordernis unterworfen. 4 Auch im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 fanden sich nur wenige Genehmigungserfordernisse, die den Vater trafen. S Nur die Vorschriften der Preußischen Vormundschaftsordnung vom 5. Juli 1875, die dem BGB insoweit als Vorbild dienten,6 sahen in einem dem BGB vergleichbaren Umfang auch für den Träger der elterlichen Gewalt genehmigungspflichtige Rechtsgeschäfte vor.? Der Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts erkannte die bestehende Gefahr des Elternversagens und weitete die Tatbestände der genehmigungspflichtigen Rechtsgeschäfte aus. Damit wollte er der "Sicherheit des Kindes" dienen, dem gegenüber der Träger der elterlichen Gewalt zu einer Sicherheitsleistung nicht verpflichtet war. 8 Die "Interessen" des Kindes sollten umfassend gewahrt werden. 9 Auffällig ist indes, daß sich das Genehmigungserfordernis für den Träger der elterlichen Gewalt bei weitem nicht auf alle die Geschäfte erstreckte, für die ein Vormund nach den §§ 1821, 1822 BGB eine Genehmigung benötigte. Der Gesetzgeber stellte die Eltern bewußt freier als den Vormund. lo Der Vater als Träger der elterlichen Gewalt behielt die freiere Stellung im Vergleich zum Vormund selbst dann, wenn die Mutter starb. Zwar fehlte in Motive, Band IV, S. 763. Motive, Band IV, S. 763, z.B. in A.L.R. n, 2 §§ 170 ff. 6 Coing, Europäisches Privatrecht 11, S. 333; Oberloskamp-Oberloskamp, Vormundschaft, § 1 Rdnr. 17. ? Motive, Band IV, S.763 mit Verweis auf §§ 41, 42 der Preußischen Vormundschaftsordnung. 8 Motive, Band IV, S. 764. 9 Motive, Band IV, S. 756, 766. \0 Motive, Band IV, S. 724. 4

5

A. Die Entstehungsgeschichte des § 1643 BGB

17

diesem Fall das Regulativ der Kontrolle des Vaters durch die Mutter. Die Gefahr des Versagens oder gar des Mißbrauchs der väterlichen Gewalt wurde dadurch erhöht. Doch sah der Gesetzgeber davon ab, einem vom Code civil vorgesehenen Prinzip zu folgen, wonach sich die väterliche Gewalt beim Tod der Mutter in eine gesetzliche Vormundschaft verwandelte, die einer erhöhten staatlichen Kontrolle unterworfen war. 11 Die Übernahme einer derartigen Regelung in das deutsche Recht wurde abgelehnt, weil seine Einführung nur "auf Kosten der natürlichen Stellung und der Autorität des Vaters" erfolgen und "den Anschauungen des deutschen Rechtes" nicht entsprechen würde. 12 Derartige Überlegungen betrafen jedoch nicht nur neue, dem deutschen Recht nicht bekrumte Rechtsinstitute, sondern auch jeden einzelnen Genehmigungstatbestand, dessen Übernahme in Rede stand. So erkannte der Gesetzgeber zum Beispiel, daß es durchaus geboten sein könnte, den heutigen § 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB\3 in das Genehmigungserfordernis des § 1643 BGB zum Schutze des Kindesvermögens einzubeziehen. 14 Davon wurde jedoch abgesehen, weil ein entsprechendes Bedürfnis gefehlt habe. Ferner beruhe die elterliche Gewalt auf einer natürlichen Grundlage und sei der Vormundschaft nicht ohne weiteres gleichzustellen. Beschränkende Eingriffe in die väterliche Gewalt seien deshalb soweit als möglich zu vermeiden. 1s Mit dem durch das BGB in Kraft getretenen vormundschaftsgerichtlichen Kontrollmechanismus sah der Gesetzgeber eine Grenze als erreicht, durch die das natürliche Verhältnis zwischen Eltern und Kindern in gerade noch angemessener Weise Beachtung fand. 16 Eine darüber hinausgehende Ausdehnung der Genelunigwlgserfordernisse krun für ihn nicht in Betracht, weil weitere, den Inhaber der elterlichen Gewalt treffende Genehmigungstatbestände mit dessen Stellung unvereinbar wären. 17 Über die Problematik der Beschränkung elterlicher Gewalt hinaus war dem Gesetzgeber bewußt, daß durch eine Ausdehnung der vormundschaftsgerichtli-

11 Art. 390 Code civil in der ursprünglichen Fassung. Nach Art. 397-1 Code civil in der heute geltenden Fassung behält der überlebende Ehegatte weiterhin die elterliche Gewalt, vgl. Ferid/Sonnenberger, Französisches Privatrecht, 4 C 327 (S. 356). 12 Vgl. zum Vorstehenden Motive, Band N, S. 724. \3 § 1821 Abs. I Nr. 4 BGB a.F. bzw. § 1674 Nr. 5 BGB in der Fassung des ersten Entwurfs von 1888, vgl. Motive, Band N, S. 767. 14 Motive, Band IV, S. 767. IS Vgl. zum Vorstehenden Motive, Band N, S. 767. 16 Vgl. Motive, Band IV, S. 764, 765. 17 Motive, Band IV, S. 766.

2 Schrade

18

l. Kapitel: Die Entstehungsgeschichte des Genehmigungserfordemisses

ehen Kontrollbefugnisse das Kind wegen der Schwerfälligkeit des Verfahrens als Geschäftspartner wenig attraktiv wird. 18 Festzuhalten bleibt, daß der Gesetzgeber des BGB sich bemühte, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen elterlicher Befugnis und staatlicher Kontrolle zu schaffen. Tradierten Vorstellungen sollte entsprochen und der Schutz berechtigter Kindesinteressen sichergestellt werden.

11. Die Zeit seit Inkrafttreten des BGB 1. Änderungen der Vorschrift

Die Vorschrift des § 1643 BGB ist so, wie sie in ihrer aktuellen Fassung zu finden ist, weitgehend schon in das BGB vom 8. August 1896 aufgenommen worden. Sie wurde seit Inkrafttreten nicht wesentlich geändert. Die wichtigsten Novellierungen im Kindschaftsrecht - das Gleichberechtigungsgesetz l9 , das Nichtehelichengesetz20 , das Volljährigkeitsgesetz21 und das Erste Eherechtsgesetz22 - haben § 1643 BGB entweder unberührt gelassen oder lediglich im Sinne der beabsichtigten Reformzwecke sprachlich angeglichen. Lediglich zwei inhaltliche Änderungen, die über eine bloße Anpassung hinausgehen, lassen sich feststellen. So fügte eine Verordnung aus dem Jahre 194023 dem Katalog des § 1821 Abs. 1 BGB dessen heutige Nr. 3 hinzu, paßte die weiteren Tatbestände des § 1821 BGB an und ergänzte § 1643 BGB um die entsprechende Verweisung. Diese Änderung geschah jedoch nicht, um Kindesinteressen zu wahren, sondern war eine Reaktion auf die Neuregelung der

18 So wurde schon 1888 festgestellt, daß der mit der Einholung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung verbundene Zeitverlust dem Kind zum Nachteil gereichen kann, vg!. Motive, Band IV, S. 766. 19 Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des Bürgerlichen Rechts vom 18. Juli 1957 (BGB!. I, S. 6(9). 20 Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (BGB!.I, S. 1243). 21 Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters vom 31. Juli 1974 (BGB!. I, S. 1713). 22 Erstes Gesetz zur Reform des Ehe und Familienrechts vom 14. Juni 1976 (BGBl. I, S. 1713). 23 Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken vom 21.12.1940 (RGBI. I, 1609, 1611).

A. Die Entstehungsgeschichte des § 1643 BGB

19

Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken. 24 Die einzige inhaltliche Änderung, die ihren Grund in der Sorge um die Interessen des Kindes hatte, ist durch das Sorgerechtsgesetz25 eingeführt worden. Es ist über die schlichte Angleichung des BGB an die beabsichtigten Reformzwecke hinausgegangen und hat den Umfang der genehmigungspflichtigen Rechtsgeschäfte erweitert. § 1643 Abs. 1 BGB erstreckt nun die Genehmigungspflicht insgesamt auf die Rechtsgeschäfte des § 1821 BGB, so daß auch der in der Praxis sehr häufige Fall des entgeltlichen Grundstückserwerbs 26 vom Genehmigungserfordernis erfaßt ist. Außerdem wurde der zweite Absatz des § 1643 BGB, der die Genehmigungspflicht bei Ausschlagung einer Erbschaft, eines Vermächtnisses oder bei Verzicht auf einen Pflichtteil vorsieht, an den Gesamtvertretungsgrundsatz des § 1629 Abs. 1 BGB angepaßt. 2. Sinn und Zweck der Änderungen

Wie oben schon bemerkt, ging es bei den meisten Änderungen des § 1643 BGB um eine Angleichung der Vorschrift an die beabsichtigten Reformzwecke, ohne daß die Norm inhaltlich verändert werden sollte. Einzig die Erweiterung des Genehmigungserfordernisses auf alle Tatbestände des § 1821 BGB ging darüber hinaus. Der nun eingeführte Verweis auch auf § 1821 Abs. 1 Nr.5 BGB hatte den Zweck, einen bis dahin bestehenden Automatismus zu vermeiden. Der entgeltliche Erwerb eines Grundstücks erfordert wegen des damit verbundenen hohen Kapitalaufwandes in der Regel, daß der Kaufpreis finanziert wird. Eine Finanzierung erfolgt häufig dadurch, daß für das Kind ein Kredit aufgenommen wird und somit eine vormundschaftsgerichtliehe Genehmigung nach den §§ 1643, 1822 Nr. 8 BGB erforderlich ist. Erfolgte nun der nach altem Recht genehmigungsfreie Erwerb des Grundstücks, bevor ein "Kredit" aufgenommen und genehmigt wurde, sah sich das Vormundschaftsgericht gezwungen, die Genehmigung zum Geldkreditgeschäft zu erteilen, um etwaige Ersatzansprüche des Verkäufers gegen das Kind zu

24 Eingetragene Schiffe sollten nach den Grundsätzen des GTlUldstücksrechts behandelt werden. Doch war eine Anpassung an das BGB erforderlich, so daß einige zusätzliche Vorschriften eingefügt werden mußten, vg!. Palandt, 5. Auflage, München, 1942, Gesetz über die Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbau werken, Einleitung, Anm.l,3. 25 Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18. Juli 1979 (BGB!. I, S. 1061). 26 RGRK-Adelmann § 1643 Rdnr. 1.



20

1. Kapitel: Die Entstehungsgeschichte des Genehmigungserfordernisses

vermeiden. 27 Dieser Automatismus ist nun beseitigt, denn es ist von vornherein die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts auch für den Erwerb des Grundstücks erforderlich. Diese Erweiterung vormundschaftsgerichtlicher Regelungsbefugnisse hinsichlich der an sich freien Vermögensverwaltung der Eltem28 wurde weitgehend als sinnvoll erachtet.29 Sie sollte umfassend die Vermögens interessen des Kindes sicherstellen.3O Dazu dehnte der Gesetzgeber durch die Bezugnahme auf § 1821 Nr. 5 BGB das Genehmigungserfordernis auf den in § 1821 BGB mit einer gewissen Sonderstellung ausgestatteten Tatbestand aus. Den Vorschriften des § 1821 Nr. 1 bis 4 BGB liegt der Gedanke zugrunde, daß das in Form von Grundbesitz bestehende Vermögen weitgehend ungeschmälert erhalten bleiben soll.31 § 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB regelt gerade den umgekehrten Fall, nämlich die Vermehrung des Grundbesitzes durch Erfüllung des genehmigungspflichtigen schuldrechtlichen Vertrages. 32 Die Gefahr elterlichen Vers agens und die daraus resultierenden Konsequenzen sind somit wesentlich geringer als in den Fällen, in denen es von vornherein um die Preisgabe sicherer Vermögensgüter geht. Doch hielt der Gesetzgeber des Jahres 1979 im Gegensatz zu dem des Jahres 189633 die mit dem Zuwachs des Kindesvermögens gleichzeitig verbundene

Gefahr für so gravierend, daß er eine gesetzliche Regelung geschaffen hat, die zu Lasten der Entscheidungspriorität der Eltern geht. Dadurch wurde die im Vergleich zum Vormund freiere Stellung des Trägers der elterlichen Gewalt34 allerdings etwas "unfreier". Zwar dachte der Gesetzgeber auch über andere, weniger schwerwiegende Eingriffe in das Elternrecht nach. So wurde ein Genehmigungserfordernis nur für die Fälle des finanzierten entgeltlichen Erwerbs erwogen. 35 Eine derartige gesetzliche Lösung wurde deshalb nicht berücksichtigt, weil weder für den Verkäufer noch für den Grundbuchbeamten zu erkennen sei, ob eine fremdfinanzierung vorliege, die wegen der möglicherweise fehlenden Genehmigung BT-Drucksache 7(2060/1974 S. 27; 8(2788/1979, S. 57. Belchaus, Elterliches Sorgerecht, § 1643 Rdnr. 2. 29 Jans/Happe, Sorgerechtsgesetz, § 1643 Anm. 2. 30 BT-Drucksache 7(2060/1974, S. 27; 8(2788/1979, S. 57. 31 Vgl. BayObLG, Rpfleger 1979,455,457; ferner Motive, Band IV, S. 1136; RGZ 108, 356, 363. 32 V gl. dazu auch RGZ 108, 356, 364. 33 Vgl. oben S. 17. 34 Motive, Band IV, S. 724. 35 Rechtsausschuß, BT-Drucksache 8/2788, S. 57. 27 28

A. Die Entstehungsgeschichte des § 1643 BGB

21

des Vormundschaftsgerichts zur schwebenden Unwirksamkeit des Vertrages führen könnte. Derartige Unsicherheiten könnten im Interesse des Rechtsverkehrs nicht akzeptiert werden. Ferner wurde befürchtet, daß der Verkäufer oder Grundbuchbeamte selbst durch Nachfragen nicht in jedem Fall eine zuverlässige Antwort erhalten würde, so daß das Genehmigungserfordernis als das einzig adäquate und auch verhältnismäßige Mittel erschien, um diese Rechtsunsicherheit zu vermeiden. 36 Eine weitere gesetzliche Möglichkeit, den oben genannten Automatismus auszuschließen, nämlich die Freigabe zweckgebundener Kreditaufnahmen an die Eltern, wurde nicht einmal erwogen. 37 Die Aufgabe hoheitlicher Eingriffsbefugnisse im Eltern-Kind-Verhältnis zugunsten der Eltern wird somit nur selten oder gar nicht in Betracht gezogen. Die gesetzliche Änderung stieß deshalb nicht nur auf positive Resonanz. Ihr wurde entgegengehalten, daß sie ein symptomatischer Ausdruck des "herrschenden Zeitgeistes" sei, nach dem elterliche Freiheiten mehr und mehr auf das Niveau vormundschaftlicher Befugnisse reduziert würden. 38

III. Tendenzen in der Rechtsprechung 1. Die Altere Rechtsprechung

Sowohl die Rechtsprechung des Reichsgerichts als auch die des Bundesgerichtshofs bemühten sich, ein Ausufern des Genehmigungserfordernisses im Eltern-Kind-Verhältnis zu vermeiden. Das läßt sich exemplarisch anband von Entscheidungen zu einer nach altem Recht sehr streitigen Frage nachweisen. Streitig war es, ob die vormundschaftsgerichtliehe Genehmigung auch dann erforderlich war, weml die Finanzierung eines Grundstückskaufs durch Bestellung einer Restkaufpreishypothek erfolgte. 39

Rechtsausschuß, BT-Drucksache 8/2788,5.57. Gernlmber, Familienrecht, § 52 V 4 (5. 808). 38 Gernhuber, Familienrecht, § 52 V 4 (5. 807). Ferner sieht Gernhuber in der elterlichen Bindung bei Grundstücksgeschäften eine "traditionelle Verhärtung kaum noch zeitgemäßen Rechtsgutes", § 52 V 4 (5. 806). 39 Vgl. 5taudinger-Engler, 10./11. Auflage, §§ 1821, 1822 Rdnr. 18 ff mit weiteren Nachweisen zu den diesbezüglich vertretenen Ansichten. 36 37

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l. Kapitel: Die Entstehungsgeschichte des Genehmigungserfordernisses

Die Genehmigung wäre zumindest dann Wirksamkeitsvoraussetzung, wollte man sich streng an die gesetzlich gegebene Systematik halten. Das Bestellen einer (Restkaufpreis-) Hypothek setzt voraus, daß das Kind zunächst Eigentümer des zu belastenden Grundstücks wird. Erst in einem logisch nachfolgenden Akt wird das Grundstück dann mit einem Recht, nämlich mit der Restkaufpreishypothek, belastet.40 Damit läge ein genehmigungspflichtiges Rechtsgeschäft nach den §§ 1643, 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB vor. 41 Das Reichsgericht42 und ihm folgend der Bundesgerichtshof3 entschieden hingegen anders. Der Erwerb des Grundstücks und die Bestellung der Restkaufpreishypothek stelle sich faktisch als Einheit dar. Vor allem aber seien derartige Geschäfte der "dinglichen Fürsorge des Vormundschaftsgerichts entzogen", damit die dem Träger der elterlichen Gewalt vom Gesetz gewährte "Bewegungsfreiheit" nicht verkümmere.44 Die ältere Rechtsprechung gab somit der primären Entscheidungszuständigkeit der Eltern den Vorzug vor staatlichen Eingriffen in das Eltern-Kind-Verhältnis. Sie war also bestrebt, einer Ausuferung des Genehmigungserfordernisses durch eine restriktive Anwendung des § 1643 BGB entgegenzuwirken. 2. Die neuere Rechtsprechung

Neuester höchstrichterlicher Rechtsprechung läßt sich hingegen eine eher umgekehrte Tendenz entnehmen. In dem schon oben erwähnten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 19864s stellte das Gericht fest, daß § 1629 BGB i.V.m. § 1643 Abs. 1 BGB mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar sei, soweit Eltern im Zusammenhang mit der Fortführung eines ererbten Handelsgeschäftes Verbindlichkeiten zu Lasten des Kindes eingehen könnten, die über die Haftung mit dem ererbten Vermögen hinausgingen. Das Selbstbestimmungsrecht des Kindes als Ausprägung des allgemeinen Per-

Staudinger-Engler, 10./11. Auflage, §§ 1821, 1822 Rdnr. 18. Auch das Reichsgericht (RGZ 108, 356, 363) erkannte, daß die Voraussetzungen der §§ 1643, 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB an sich erfullt sind, weil das Bestellen einer Hypothek begrifflich das Eigentum des Kindes voraussetzt. 42 RGZ 108,356; 110, 173; 137, 7; zustimmend Dölle, Familienrecht TI, § 94 IV 1 (S.211). 43 BGHZ 24, 372 ff. 44 RGZ 108, 356, 365. 45 BVerfGE 72, 155 ff, Beschl. v. 13.5.1986 - 1 BvR 1542/84- = FamRZ 1986,769 ff; NJW 1986, 1859 ff; BB 1986, 1248 ff; WM 1986, 828 ff; JZ 1986, 632 ff; JuS 1986, 906 ffund oben S. 13. 40 41

A. Die Entstehungsgeschichte des § 1643 BGB

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sönlichkeitsrechts sei ansonsten gefährdet. Durch diese Unvereinbarerklärung46 ist der Gesetzgeber gehalten, eine den Kriterien des Bwdesverfasswgsgerichts entsprechende Vorschrift zu schaffen.47 Das Bwdesverfassungsgericht nimmt somit an, daß die vormundschafts gerichtliche Genehmigung ein adäquates und erfolgreiches Mittel ist, die Kindesinteressen sicherzustellen. Dem Beschluß lassen sich hingegen keine Überlegungen entnehmen, in welchem Maße es möglich ist, die mit Verfasswgsrang ausgestattete ElternverantwortWIg an die Entscheidwgsbefugnisse des Vormunds anzupassen. Überhaupt fehlen dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts jegliche AusführWlgen, die das Verhältnis von Elternrecht wd vormwdschaftsgerichtlicher Regelungsbefugnis betreffen. Das ist vor allem deshalb erstaunlich, weil gerade der zugrundeliegende Fall Anlaß geboten hätte, die tatsächlichen Möglichkeiten wd Fähigkeiten des Vormundschaftsrichters bei der Erteilung der Genehmigung in Frage zu stellen. Zu der mißlichen Haftungslage, die das Selbstbestimmungrecht des Kindes beeinträchtigte, kam es nur deshalb, weil das Vormundschaftsgericht durch die Verweigerung der Genehmigung verhinderte, daß das Unternehmen der Erbengemeinschaft in eine haftungsbeschränkende Organisation, nämlich in die von der Mutter beantragte Kommandilgesellschaft, überführt wurde.48

46 Es handelt sich hier um eine sog. Teilnichtigerklärung ohne Normtextreduzierung, vgl. Hüffer, ZGR 1986,601,643. 47 Vgl. zu den verschiedenen Gesetzgebungsvorschlägen K. Schmidt, BB 1986, 1238, 1245. Wenig geeignet wäre es, dem Vorschlag des BVerfU (FamRZ 1986, 769, 773) zu folgen und die Fortfiihrung des ererbten Handelsgeschäfts von der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung abhängig zu machen. Das Unternehmen ist der Erbengemeinschaft kraft Gesetzes angefallen. Eine schwebende Unwirksamkeit mangels Genehmigung ließe sich damit nur schwerlich vereinbaren, vgl. dazu K. Schmidt, BB 1986, 1238, 1243. A.A. Hiiffer, ZGR 1986, 601, 651, der eine Erstreckung vormundschaftsgerichtlicher Genehmigungserfordernisse auch auf die Fortfiihrung eines von einem Minderjährigen ererbten Erwerbsgeschäfts fiir die einzige Möglichkeit hält und dazu auf die Vorschrift des § 233 des österreichischen ABGB verweist. Für eine Ergänzung des § 1822 Nr. 3 BGB: Derleder, RdIB 1988,416,428. 48 lohn, Anmerkung BG~, JZ 1985, 243, 246 spricht deshalb davon, daß den Kindern die "Wohltat staatlicher Uberwachung (... ) zur Plage geworden" sei. Damrau, NJW 1985,2236 geht davon aus, daß "an die Genehmigungspflichten des Vormundschaftsgerichts keine zu hohen Erwartungen geknüpft werden dürfen". Auch Hertwig, FamRZ 1987, 124, 126 fragt sich, ob denn der Vormundschaftsrichter tatsächlich sachgerechter als der Träger elterlicher Sorge entscheiden würde.

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1. Kapitel: Die Entstehungsgeschichte des Genehmigungserfordemisses

IV. Das Nutznießungsrecht Wenn auch nur wenige gesetzliche Änderungen den § 1643 BGB betrafen, ist die Abschaffung eines anderen Rechtsinstituts nicht ohne Einfluß auf den hier in Rede stehenden Regelungskomplex der elterlichen Vermögenssorge geblieben. Durch das Gleichberechtigungsgesetz vom 18.6.1957 wurde das Nutmießungsrecht am Kindesvermögen (§§ 1649 - 1663 BGB a.F.), das bis dahin dem Vater als dem Träger der elterlichen Gewal~9 zustand, abgeschafft. Das Nutznießungsrecht erlaubte dem Inhaber der elterlichen Gewalt, die Früchte der zum Kindesvermögen gehörenden Sachen und Rechte und die durch ihren Gebrauch gewährten Vorteile zu ziehen.so Nach § 1652 BGB a.F. erwarb der Vater die Nutzungen des Vermögens, das seiner Nutznießung unterlag, wie ein Nießbraucher. Bis zur Abschaffung des Nutznießungsrechtes bezog sich § 1643 BGB nur auf den Teil der Vermögensverwaltung, der nicht Nutznießung war. S1 Soweit der Vater aufgrund der ihm zustehenden Rechte am Kindesvermögen im eigenen Namen handelte, traf ihn das Erfordernis vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung nicht. s2 Ihm standen damit durchaus Möglichkeiten offen, das Kindesvermögen zu seinen eigenen Gunsten zu verwenden. Auch wenn das Recht der Nutmießung auf eine lange Tradition zurückblikken konnte, schien die Aufnahme dieses Rechtsinstituts in das BGB wenig konsequent. Den Motiven läßt sich entnehmen, daß man vom Leitbild der väterlichen Gewalt nach römischem Recht abrücken wollte. Die patria potestas stellte sich als ein vorwiegend den Interessen des Hausvaters dienendes Herrschaftsrecht dar, das seinen Ausdruck auch in dem dem Hausvater zustehenden Nutzungs- und Verwaltungsrecht am Vermögen des selbst vermögensunfähigen Kindes s3 fand. 54 49 Mit Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgrundsatzes wurde davon ausgegangen, daß das Nutznießungsrecht beiden Elternteilen gemeinschaftlich zustand; vgl. BGR, FamRZ 1957, 50 mit zustimmender Anmerkung Bosch; OLG Ramm, JMBlNRW 1953, 238; LG Göningen, NJW 1953, 1105; Beitzke, Familienrecht, 5. Aufl. 1957, S. 128 f; Bosch, Rpfleger 1954, 2, 11; Dölle, JZ 1953, 353, 362; vgl. ferner Paulick, FamRZ 1958, 1. so Dölle, Familienrecht II, § 94 Vll2 (S. 234). SI SiebertlVogel, Familienrecht, § 1641-1643 Anm. 1. S2 Z.B. bei einem Pachtvertrag über ein Kindesgrundstück, vgl. Palandt, 5. Auflage, München, Berlin, 1942, § 1643 Anm. 1 mit Verweis aufRG, Recht 24, Nr. 1520. 53 Kaser, Römisches Privatrecht, § 82 IV 1 (S. 343); Dölle, Familienrecht II, § 91 11 1 (S. 138); Coing, Europäisches Privatrecht I, S. 246.

A. Die Entstehungsgeschichte des § 1643 BGB

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Im Gemeinen Recht hingegen kam dem Vater die eher pflichtbetonte Stellung eines gesetzlichen Vertreters des Kindes ZU. 55 In der rechtlichen Pflichtenbindung des Vaters zeigt sich die Übernahme der frühen deutschrechtlichen Ausfonnung der elterlichen Gewalt. 56 Im deutschen Recht des Mittelalters stand dem Vater die Munt über das Kind zu. Darunter ist neben dem Herrschaftsrecht über die Person vor allem eine den Vater treffende Schutzpflicht zu verstehen.57 Die väterliche Gewalt war somit in einem eher vonnundschaftlichen Sinne ausgestaltet. Auch die Verfasser des BGB folgten grundsätzlich dem Leitmodell der vormundschaftlichen Ausgestaltung der väterlichen Gewalt. Das Recht der Nutznießung wurde als ein fremdartiges Element empfunden, das dieser Ausgestaltung nicht entsprach,58 obwohl es auch mit dem väterlichen Mundium nach deutschem Recht verbunden war. 59 Demloch wurde das Nutznießungsrecht beibehalten. Es sollte im Falle des Wohlstands des Kindes bei Mittellosigkeit der Eltern letzteren eine nach außen hin angemessene Stellung einräumen. 60 Der Vater müsse kraft eigenen Rechts auf das Vennögen des Kindes zurückgreifen können. 61 Die eigennützige Verwaltung des Kindesvermögens durch den elterlichen Gewalthaber sollte vor allem dessen Autorität stärken. 62 Durch Abschaffung des Nutznießungsrechtes wurde mit dieser langen Rechtstradition gebrochen. Zwar hatte der Gesetzgeber des Gleichberechtigungsgesetzes auch erwogen, das Nutznießungsrecht auf beide Elternteile gleichmäßig zu übertragen.63 Doch empfand der Gesetzgeber die Möglichkeit der Eltern, kraft eines ihnen zustehenden Nutzungsrechts persönliche Vorteile aus dem Vermögen des Kindes zu ziehen, als mit modemen Anschauungen nur noch schwer vereinbar. 64 Es sei vielmehr in erhöhtem Maße Ausdruck der el54 Vgl. Kaser, Römisches Privatrecht, § 7 I 1, 2 (S. 36 t) und Motive, Band IV, S.722. 5S Vgl. Motive, Band IV, S. 722, 723. 56 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 230. 57 Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, Kap. 4 11 2 (S. 25). 58 Motive, Band IV, S. 724; vgl. auch Dölle, Familienrecht 11, § 94 11 2 (S. 234), der das "Nutznießungsrecht wie ein[en] Fremdkörper innerhalb der Elemente der elterlichen Gewalt" empfindet. 59 Motive, Band IV, S. 725. 60

61 62 63 64

Vgl. zum Vorstehenden Motive, Band IV, S. 725, 726. Motive, Band IV, S. 725, 726. MünchKomm-Hinz § 1649 Rdnr. I. BT-Drucksache 11/224, S. 61. Vgl. BT-Drucksache 1I/224, S. 61.

1. Kapitel: Die Entstehungsgeschichte des Genehmigungserfordernisses

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terlichen Fürsorge, wenn die nicht benötigten Nutzungen dem Kindesvermögen belassen würden. 6S Allerdings hilft die durch das Gleichberechtigungsgesetz als "Ersatzregelung" für das weggefallene Nutzungsrecht geschaffene Vorschrift des § 1649 Abs. 2 BGB, wenn sich der Zustand ergibt, daß das Kind in wesentlich besseren Verhältnissen lebt als dessen Eltern. 66 Diese im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens als eine unbestimmt gefaßte Billigkeitsnorm verstandene Vorschrift67 ermöglicht es den Eltern, auf den nicht dem Unterhalt des Kindes dienenden Teil der Einkünfte aus dem Kindesvermögen zurückzugreifen, um ihren eigenen Unterhalt und den der Geschwister des Kindes sicherstellen zu können. Das Gleichberechtigungsgesetz hat nun den letzten Bestandteil elterlicher Gewalt im Sinne eines Herrschaftsrechts beseitigt. 68 Die vormundschaftliche Ausgestaltung der elterlichen Sorge wurde dadurch wiederum betont.69 Es wird deutlich, daß sich eine eigennützige Verwaltung des Kindesvermögens mit den heutigen Vorstellungen vom Inhalt der elterlichen Sorge nicht vereinbaren läßt. 7o Nur in der Ausnahmesituation des § 1649 BGB können Billigkeitsgesichtspunkte dazu führen, daß Vermögens interessen des Kindes zurückzustehen haben.

Vgl. BT-Drucksache 1I/224, S. 61. Dölle, Familienrecht n, § 94 vn 1 (S. 234): Zur Kritik an der GeneralklauseI des § 1649 BGB n.F. siehe Zöllner, FamRZ 1959, 393. 67 Zöllner, FamRZ 1959, 393. 68 RGRK-Wenz Vor § 1626 Rdnr. 45. 69 V gl. dazu auch Coing, Europäisches Privatrecht n, S. 322, der feststellt, daß durch die fehlende Rezeption des Nutzungsrechts in das österreichische ABGB eine "(...) konsequente Durchführung der Annäherung der Stellung der Eltern an die eines Vormunds ( ... )" erfolge. 70 MünchKomm-Hinz § 1649 Rdnr. 1. 6S

66

B. Die Funktion des Vonnundschaftsgerichts

27

B. Die Funktion des Vormundschaftsgerichts bei der Erteilung der Genehmigung

J. Überblick über die Funktion des Vormundschaftsgerichts In früherer Zeit stand zunächst der Sippe die Oberaufsicht über den von der verwitweten Mutter oder durch letztwillige Verfügung des Vaters bestimmten Vormund zu. 7t Diese Obervormundschaft ging im 13. Jahrhundert auf den König und die Städte über.72 Im Gemeinen Recht war sie - schon als Bestandteil der freiwilligen Gerichtsbarkeit - zum Teil partikularrechtlieh den Zivilgerichten zugewiesen. 73 Aus der Obervormundschaft entwickelte sich das Vormundschaftsgericht,74 das vor allem mit der Kontrolle und Aufsicht über die Personen betraut ist, die eine Vormundschaft fUhren. Die Einrichtung und Verwaltung der Vormundschaften ist seitdem "eine der obersten Aufgaben der staatlicher Wohlfahrtspflege"75 und soll den Schutz durch die Familie ergänzen. Soweit es um Eingriffe des Vormundschaftsgerichts in das Eltern-Kind-Verhältnis geht, fallt dem Gericht nicht die Aufgabe zu, eine ständige und regelmäßig organisierte Aufsicht über die Eltern zu führen. Das Gericht darf nur ausnahmsweise und bei Vorliegen besonderer Umstände eingreifen.76 § 1643 BGB erfordert nun von vornherein ein Tätigwerden der Gerichte. Ohne diese Tätigkeit können die Eltern ihre Vorstellung über die Verwaltung des Kindesvermögens nicht realisieren, soweit dazu genehmigungspflichtige Tatbestände gehören. Diese präventive Aufsicht des Vormundschaftsgerichts über die Eltern in feststehenden Fällen nimmt also im Vergleich zu der ansonsten eher restriktiven Kontrolle durch das Vormundschaftsgericht eine herausgehobene Stellung ein. Sie läßt sich nur aus der Gefahrenintensität, die in der Vornahme der in den §§ 1643, 1821 f BGB genannten Geschäfte liegt, erklären und rechtfertigen.

Oberloskamp-Oberloskamp, Vormundschaft, § 1 Rdnr. 13. Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, § 3 I 1 (S. 13); Oberloskamp-Oberloskamp, Vormundschaft, § 1 Rdnr. 14; MünchKomm-Schwab Vor § 1773 Rdnr. 4. T3 Motive, Band IV, S. 1011; RudorjJ, Vormundschaft L S. 13: "(... ), bildet als Theil 71

72

der jurisdictio voluntaria ein Annexum jeder Civilgerichtsbarkeit ( ...)". 74 Vgl. Oberloskamp-Oberloskamp, Vormundschaft, § 1 Rdnr. 22. 75 BVerfUE 10, 302, 311. 76 Dölle, Familienrecht IL § 100 I (S. 343).

28

1. Kapitel: Die Entstehungsgeschichte des Genehmigungserfordemisses

Diese exponierte Stellung des § 1643 BGB im Gefüge vormundschaftsgerichtlicher Kontrolle darf jedoch nicht dazu führen, daß man die Versagung der Genehmigung fälschlich als eine "Demonstration der Staatsverantwortung gegenüber minderjährigen Bürgern" und ihrer Erteilung als eine "riskante Maßnahme" versteht. 77 Der Vormundschaftsrichter hat sich vielmehr bei seiner Entscheidung an Siml und Zweck des Genehmigungserfordernisses und an bestehenden Grundsätzen zur elterlichen Vermögensverwaltung zu orientieren.

11. Sinn und Zweck des Genehmigungserfordernisses Kriterien für die Genehmigungsfältigkeit eines Geschäftes nennt § 1643 BGB nicht. Der Schutzzweck des Genehmigungserfordernisses kann insoweit Aufschluß geben. 78 Im Vordergrund der Regelung steht das Vermögen des Kindes. Davon ausgehend lassen sich zwei Schutzrichtungen aufzeigen, wobei zu berücksichtigen ist, daß von den verschiedenen Genehmigungstatbeständen, auf die § 1643 BGB verweist, beide Funktionen gleichermaßen wahrgenommen werden können. 1. Schutz vor Verlust ökonomisch wichtiger VermögensgegenstAnde

Zum einen ist Zweck des vormundschaftsgerichtlichen Genehmigungserfordernisses, dem Kind ökonomisch wichtige Vermögensgegenstände zu erhalten, die eine besonders wertvolle und sichere Art des Vermögens darstellen. 79 Dieser Zweck wird vor allem von den Genehmigungstatbeständen erfüllt, die Geschäfte über das Grundvermögen betreffen und in den §§ 1821 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BGB geregelt sind. Aber auch die Veräußerung eines Erwerbsgeschäftes, die nach § 1822 Nr. 3 BGB genehmigungspflichtig ist, gehört in diese Fallgruppe. Ferner ist § 1643 Abs. 2 BGB in diesen Zusammenhang einzuordnen, denn diese Vorschrift dient dem präventiven Schutz des Kindesvermögens vor einer voreiligen Ablehnung des durch den Erbfall bewirkten Zuwachses an Vermö-

77 78

79

Vgl. K. ScJunid/, BB 1986, 1238, 1239. Vgl. Grube, Anmerkung BayOblG, Rpfleger 1990,67,68. Vgl. BayOblG, Rpfleger 1979,455,457; BayObLGZ 1976, 281, 286.

B. Die Funktion des Vormundschaftsgerichts

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gen.80 Dem Erhalt des sonstigen Vermögens dient der in der Praxis allerdings wenig relevante81 § 1822 Nr. 1 BGB. 2. Schutz des Selbstbestimmungsrechts vor den Risiken persönlicher Haftung

Ein weiterer Schutzzweck der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung liegt darin, ungünstige Haftungslagen für das Kind zu vermeiden, die zu einer Überschuldung und damit zu einer möglichen Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Minderjährigen führen könnten. Dieser Zweck wird vor allem durch die Genehmigungspflicht der Rechtsgeschäfte erfüllt, die eine in die Zukunft gerichtete lange Bindung für das Kind entfalten. Zunächst ist der Schutzzweck des § 1822 Nr. 3 BGB dieser Gruppe zuzuordnen, soweit es um den Erwerb eines Erwerbsgeschäfts oder um den Abschluß eines auf den Betrieb eines Erwerbsgeschäfts gerichteten Gesellschaftsvertrages geht. Hier besteht die Gefahr einer umfassenden Haftung und einer Dauerbindung mit Person und Vennögen. Darüber hinaus soll aber auch der Rechtsverkehr vor Eltern geschützt werden, die nach eigenem geschäftlichen Mißerfolg nun ein Geschäft im Namen des Kindes führen wollen. 82 Ferner liegt in der Möglichkeit der unbeschränkten Vertretung durch den zur Vertretung berechtigten Gesellschafter ein erhebliches Risiko für das Kind. 83 Letzteres führt dazu, daß nach den §§ 1643, 1822 Nr. 11 BGB auch die Erteilung einer Prokura unter das Genehmigungserfordernis fällt. Weiterhin liegt den Genehmigungstatbeständen des § 1822 Nr. 8 und 9 BGB der hier in Rede stehende Schutzzweck zugrunde. Die in diesen Vorschriften genannten Rechtsgeschäfte führen zu einem nicht unerheblichen Haftungsrisiko für das Kind. Auch wird man § 1822 Nr. 10 BGB diesen Schutzzweck beimessen müssen. Durch das Genehmigungserfordernis bei der Übernahme einer fremden Verbindlichkeit soll das Kind davor geschützt werden, daß es letztlich für die fremde Verbindlichkeit haften muß, weil die Eltern an die Erfüllung der Verbindlichkeit durch den Erstschuldner glaubten. 84 Ferner soll das durch § 1822 Nr. 5 BGB statuierte Genehmigungserfordernis vor den Risiken persönlicher Haftung schützen. Hier geht es um langfristige 80

Vgl. Gernlwber, Familienrecht, § 52 V 3 (S. 805).

81

Oberloskamp-Pollak, Vormundschaft, § 8 Rdnr. 174.

Staudinger-Engler § 1643 Rdnr. 25. BayOblG, FamRZ 1990, 208, BayObLGZ 1976, 281, 286; Grube Anmerkung BayOblG, RPfleger 1990,67,68. 84 Gernhuber, Familienrecht, § 52 V 10 (S.816), MünchKomm-Schwab § 1822 Rdnr. 61; Erman-Holzhauer § 1822 Rdnr. 22. 82

83

30

I. Kapitel: Die Entstehungsgeschichte des Genehmigungserfordernisses

Verträge des Kindes bei Miet- und Pachtverträgen oder bei Verträgen, durch die das Kind zu wiederkehrenden Leistungen verpflichtet wird. Bindet ein Vertrag ein Kind noch lange Zeit über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus, wird die Möglichkeit der Selbstbestimmung des Kindes in seiner Zukunft als Erwachsener unter Umständen beträchtlich geschmälert.83 Auch § 1821 Nr.5 BGB ist dieser Gruppe zuzuordnen. Zwar birgt der Erwerb eines Grundstücks 86 für sich gesehen nicht das Risiko der persönlichen Haftung. Doch sind die in § 1821 Nr.5 BGB genannten schuldrechtlichen Verträge von erheblichem finanziellen Ausmaß und bewirken häufig eine Aufnahme von Krediten. die das Kind über lange Zeit belasten.87 Vor allem das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß aus dem Jahre 198688 den Schutz des Minderjährigen vor den Risiken persönlicher Haftung betont. Der Schutz des Selbstbestimmungsrechts wird damit in die Aufgabe des Vormundschaftsgerichts gestellt. so daß der Überschuldungsschutz des Kindes für die Genehmigungsfähigkeit einzelner Rechtsgeschäfte von zentraler Bedeutung ist.

C. Zusammenfassung Die vormundschaftsgerichtlichen Eingriffsbefugnisse im Eltern-Kind-Verhältnis rechtfertigen sich aus dem Schutzbedürfnis des Kindes und der vormundschaftlichen Ausformung der elterlichen Sorge. Eigennützige Motive der Eltern sind der Verwaltung des Kindesvermögens nach heutigem Recht grundsätzlich fremd. Der Umfang der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigungserfordernisse stößt an eine Grenze, die durch das natürliche Elternrecht geboten ist. Allerdings kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, daß sowohl Gesetzgebung als auch Rechtsprechung den Überlegungen der Verfasser des BOB zum Verhältnis von Elternrecht und staatlicher Kontrolle im Bereich der wenig spektakulären Vermögensverwaltung kaum Beachtung schenken.

Gernhuber, Familienrecht, § 52 V 7 (S. 813). Gleiches gilt für den Erwerb eines Schiffs oder Schiffsbauwerks. 87 Das war auch der Grund, warum der Genehmi~gstatbestand des § 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB nach dem Sorgerechtsgesetz durch eine Anderung des § 1643 BGB erfaßt wurde, vgl. oben S. 19. 88 BVerfGE 72, 155 ff = FamRZ 1986, 769 ff. 85

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C. Zusammenfassung

31

Das Oenehmigungserfordemis des § 1643 BOB soll das Kind vor allem vor dem Verlust ökonomisch wichtiger VermögensgegeIlStände schützen und sein Selbstbestimmungsrecht als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wahren.

2. Kapitel

Das Genehmigungserfordernis in verfassungsrechtlicher Hinsicht Das Oenehmigungserfordernis kann unter verschiedenen Aspekten verfassungsrechtlich betrachtet werden. § 1643 BOB schränkt die elterliche Vertretungsmacht für vermögensrechtliche Angelegenheiten des Kindes ein. Betroffen ist also die elterliche Vermögenssorge. Im Bereich der Vermögenssorge werden verfassungsrechtliche Fragen selten aufgeworfen. Das mag daran liegen, daß man derartige Fragen für praktisch wenig relevant hält. 1 Darüber hinaus konzentrierten sich verfassungsrechtliche Überlegungen auf Reformvorhaben im Bereich der elterlichen Personensorge.2 Die wenigen gesetzlichen Änderungen, die die Verwaltung des Kindesvermögens in jiingerer Zeit betroffen haben, sind bis auf die Abschaffung des Nutznießungsrecht des Vaters eher sprachlicher Natur. Darüber hinausgehende inhaltliche Änderungen haben nicht zur Einführung neuer, dann vielleicht umstrittener Instrumentarien geführt, sondern allenfalls bestehende vormundschaftsgerichtliche Regelungen ergänzt.3 Selbst die als sensationell empfundene4 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 19865 hat die verfassungsrechtlichen Überlegungen hinsichtlich der elterlichen Vermögenssorge lediglich in den Bereich der Art. 2 Abs. I, 1 Abs. 1 00 gerückt. Das Bundesverfassungsgericht entschied, daß es mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen nicht zu vereinbaren sei, wenn die Eltern durch Fortführung eines ererbten Handelsbetriebes in ungeteilter Erbengemeinschaft die Kinder auch über den Zeitpunkt der Volljährigkeit hinaus unbegrenzt verpflichten könnten, ohne einer Kontrolle - durch das Vormundschaftsgericht - ausgesetzt zu sein. Durch eine mögSoerge1-Strätz § 1626 Rdnr. 2. V gl. Fehnemann, ZBUugR 1986, 178. 3 So z.B die Ergänzung des § 1643 BGB durch das Sorgerechtsgesetz 1979, vgl. oben S. 19 f. 4 K. Schmidt, BB 1986, 1238. 5 BVerfGE 72,155 FamRZ 1986,769. 1 Z.B.

2

=

A. Die Genehmigung unter Berücksichtigung von Art. 6 GG

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licherweise eintretende Überschuldung erreichten die Kinder nur eine "scheinbare Freiheit", was mit ihrem Selbstbestimmungsrecht nicht zu vereinbaren sei. Eine derartig einseitige Diskussion um das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes erstaunt um so mehr, weil Art. 6 GG der eigentliche Ausgangspunkt für staatliche Reglementierungen im Eltern-Kind-Verhältnis ist. 6

A. Die Genehmigung unter Berücksichtigung von Art. 6 GG I. Ehe und Familie, Art. 6 Abs. 1 GG So ist zunächst darrul zu denken, daß das Genehmigungserfordernis dem Regelungsbereich von Ehe und Familie, Art. 6 Abs. 1 GG, zuzuordnen ist. Die Vermögens sorge der Eltern wird durch das Genehmigungserfordernis eingeschränkt. Vereinzelte Literaturstimmen gehen davon aus, daß die elterliche Vermögenssorge durch Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlichen Schutz genieße.7 Die Vermögens sorge sei Bestandteil des von Art. 6 Abs. 1 GG erfaßten materiell-wirtschaftlichen Bereichs der Frunilie. 8 Danach wäre durch § 1643 BGB ein Regelungsbereich betroffen, der Art. 6 Abs. 1 GG zuzuordnen ist. Zwar ist es richtig, daß dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG sowohl immateriell-persönliche als auch materiell-wirtschaftliche Aspekte zu eigen sind.9 Doch sollen die materiell-wirtschaftlichen Gesichtspunkte der Familie lediglich einen Raum eröffnen, in dem sie vor wirtschaftlichen Benachteiligungen allein aufgrund der fruniliären Beziehung zwischen Eltem und Kindern geschützt ist. lO Die Familie als "geschlossener, eigenständiger Lebensbereich"ll soll vor Benachteiligungen wirtschaftlicher Art geschützt werden. Die Vermögenssorge für ihre Kinder steht den Eltern hingegen nicht als Instrumentarium BVerfGE 24, 119, 135. Fehnemann, ZBUugR 1986, 178, 183; ohne nähere Begründung RGRK-Wenz Vor § 1626 Rdnr. 46, der davon ausgeht, daß Art. 6 Abs. 1 GG die Vermögenssorge bei den Eltern beläßt und dem Staat nur ein Wächteramt zugesteht. Wenz stellt damit wenig überzeugend den schrankenlosen (BVerfGE 31, 68, 69; 24,119,135; Leibholz/RinckJHesselberger, GG, Art. 6 Rdnr. 71) Art. 6 Abs. 1 GG ebenfalls unter das Wächteramt des Art. 6 Abs. 2 GG. 8 Fehnemann, ZBUugR 1986, 178, 183. 9 BVerfGE 28, 104, 112; 40, 121, 132; 60,68,74. 10 Vgl. BVerfGE 28, 104, 112; Leibholz/RinckJHesselberger, GG, Art. 6 Rdnr. 86. Gemeint sind vor allem Benachteiligungen der Familie auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts. Hinsichtlich der Witwenversorgung z.B. BVerfGE 62, 323, 332. 11 Vgl. zu dieser Formulierung BVerfGE 24,119, 135. 6

7

3 Schrade

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2. Kapitel: Das Genehmigungserfordernis in verfassungsrechtlicher f!insicht

zur Verfügung, um derartige wirtschaftliche Nachteile abzuwehren. Sie ist lediglich Bestandteil des familienrechtlichen Internums, eines Bereichs, in dem die Eltern treuhänderisch für ihre Kinder tätig werden. Der dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG zuzuordnende materiell-wirtschaftliche Bereich der Familie ist somit nicht Standort für den Schutz der elterlichen Vermögenssorge. Das zeigt sich auch daran, daß Art. 6 Abs. 1 GG die Familie unabhängig vom Bestehen der elterlichen Sorge oder vom Alter der Kinder schützt. 12

11. Elternrecht und staatliches WAchteramt, Art. 6 Abs. 2 GG Allerdings 'köl1l1te sich ein verfassungsrechtlicher Schutz der Vermögenssorge aus Art. 6 Abs. 2 GG ergeben. 1. Schutz der Vennögenssorge durch Art. 6 Alls. 2 GG

a) Darstellung des Meinungsstands Die Ansichten dazu, ob die Vermögenssorge in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 GG fällt, sind geteilt. Die ältere Rechtsprechung und ein Teil der literatur gehen davon aus, daß die Vermögenssorge nicht Bestandteil des unter Art. 6 Abs. 2 GG fallenden Elternrechts sei. 13 Das ergebe schon der Wortlaut dieser Verfassungsbestimmung, dem sich entnehmen lasse, daß der grundrechtliche Schutz der elterlichen Sorge auf die "Pflege" als Sorge für die körperliche Existenz des Kindes und die "Erziehung" als einer dynamisch gedachten Förderung beschränkt sei. 14 Die Vermögens sorge sei von diesen Begriffen nicht erfaßt. lS

Vgl. Leibholz/RinIclHesselberger, 00, Art. 6 Rdnf. 60 ff. LG Augsburg, FamRZ 1961, 332, 324; LG Stuttgart, FamRZ 1961, 325, 326; MünchKomm-Hinz § 1626 Rdnr. 11; Horndasch, Zum Wohle des Kindes, S.55, 56; Fehnemann, ZBUugR 1986,178, 183; Holzhauer, FamRZ 1982, 109; S. Hinz, Lediglich rechtlich vorteilhaft, S. 14. 14 MünchKomm-Hinz § 1626 Rdnr. 11 mit Verweis auf Peters, in Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Band 4, 1. Halbbd., S. 369, 381, der sich dazu jedoch nicht eindeutig äußert und auch gegenteilig verstanden wird; vgl. auch Fehnemann, ZBUugR 1986, 178, dort Fußn. 6. 15 Horndasch, Zum Wohle des Kindes, S. 55. 12 13

A. Die Genehmigung unter BerUcksichtigung von Art. 6 GG

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Nach anderer Ansicht wird die Vermögenssorge und damit auch die elterliche Vertretungsmacht für vermögensrechtliche Angelegenheiten des Kindes von Art. 6 Abs. 2 GO geschützt, weil dieser Vorschrift ein umfassender Begriff der Pflege und Erziehung zugrunde liege. 16 Er umfasse die zentralen Bestandteile der elterlichen Sorge, die Personen- und die Vermögenssorge. Das Bundesverfassungsgericht hat zu dieser Problematik noch nicht ausdrücklich Stellung bezogen. Doch impliziert der Beschluß aus dem Jahre 198617 , daß es davon ausgeht, die Vermögenssorge sei in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 GG einbezogen. In dieser Entscheidung wird festgestellt, daß der Gesetzgeber in Wahrnehmung seines Wächteramtes zu handeln habe, um einem möglichen Eltemversagen im Bereich der Vermögensverwaltung durch präventive Regelungsmechanismen entgegenzuwirken. 18 Das Bundesverfassungsgericht hätte sich auf das Wächteramt nicht berufen müssen, wenn es nicht davon ausgegangen wäre, daß die Vermögenssorge von Art. 6 Abs. 2 GG erfaßt werde. 19 Auch der Gesetzgeber des Sorgerechtsgesetzes nahm an, daß die Vermögenssorge durch Art. 6 Abs. 2 GG erfaßt sei, denn er orientierte sich bei der Neuregelung des die Vermögens sorge betreffenden § 1667 BGB an Art. 6 Abs. 2 BGB. 20

16 Maunz/Dürig/Henog/Scholz-Dürig, 00, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 19; Maunz/Dürig/ HerzoglScholz-Maunz, GG, Art. 6 Rdnr. 24; v. Münch-E.-M. v. MÜlleh, 00, Art. 6 Rdnr. 16; Staudinger-Engler § 1643 Rdnr. 49; Staudinger-Göppinger, 10./11. Auflage, Vorbem § 1666 Rdnr. 9; nach Erman-Michalski Vor § 1626 Rdnr. 86 spiegelt sich in § 1643 das staatliche Wächteramt des Art.6 Abs. 2 wider; auch Massfeller/Böhmer/Coester, Das gesamte Familienrecht, § 1626 Anm. 19 gewinnen die Einflußnahme des Staates im Hinblick auf die Vermögenssorge aus dessen Wächteramt. 17 BVerfG, FamRZ 1986,769; auch BVerfGE 61,358 mißt § 1671 an Art. 6 Abs. 2 GG, ohne die Vermögens sorge auszunehmen, vgl. ferner RGRK-Wenz Vor § 1626 Rdnr. 46. 18 BVerfG, FamRZ 1986, 769, 773. 19 Auch RGRK-Wenz Vor § 1626 Rdnr. 46 versteht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wohl so, wenn auch seine Schlußfolgerung hinsichtlich eines Wächteramtes aus Art. 6 Abs. 1 00 wegen dessen Schrankenlosigkeit nicht überzeugen kann. 20 Vgl. BT-Drucksache 8/2788, S. 38.

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2. Kapitel: Das Genehmigungserfordernis in verfassungsrechUicher Hinsicht

b) Eigener Standpunkt

aa) Kongruenz von verfassungsrechtlichem und bürgerlichrechtlichem Elternrecht Eine Antwort ließe sich sehr schnell finden, wenn die elterliche Sorge so, wie sie im BGB Ausdruck gefunden hat, auch am verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 2 GG partizipieren würde. 21 Dann fiele die Vermögenssorge schon aus diesem Grund in den Regelungsbereich der Verfassungsvorschrift. Eine derartige Kongruenz des verfassungsrechtlichen Elternrechts und der bürgerlichrechtlichen Ausgestaltung der elterlichen Sorge wird jedoch zu Recht verneint. Die §§ 1626 ff BGB enthalten lediglich eine Konkretisierung der elterlichen Sorge auf dem Gebiet des Bürgerlichen Rechts. Daneben bestehen Ausprägungen des Elternrechts auf anderen Rechtsgebieten.22 Selbst das Verfassungsrecht enthält in Art. 6 Abs. 1 GG Aussagen zum Eltern-Kind-Verhältnis. 23 Das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG spiegelt sich somit nicht vollständig (und ausschließlich) in den §§ 1626 ff BGB wider, sondern findet in anderen Vorschriften weitere Ausgestaltungen. Gleiches gilt aber auch umgekehrt. Die Vorschriften der §§ 1626 ff BGB geben nur die Vorstellungen des Gesetzgebers von der Ausformung der elterlichen Sorge auf einfachgesetzlicher Ebene wieder. Diese kölmen über das zwingend vorgesehene Maß, das Art. 6 Abs. 2 GG voraussetzt, hinausgehen. Außerdem hätte eine Kongruenz von verfassungsrechtlichem und bürgerlichrechtlichem Elternrecht eine Versteinerung des Rechts der elterlichen Sorge in der Form, wie es der Grundgesetzgeber vorgefunden hat, zur Folge. 24 bb) Wortlaut Vor allem der Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 GG wird dagegen angeführt, die Vermögenssorge in den Schutzbereich dieser Vorschrift einzubeziehen. Art. 6 Abs. 2 GG versteht die Pflege und Erziehung der Kinder als das natürliche Recht der Eltern. Unter "Pflege" ist dabei die auf den physischen Bereich erstreckte Sorge für das Kind zu verstehen, die um die körperliche Existenz des

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Vgl. zum Meinungsstreit MünchKomm-Hinz § 1626 Rdnr. 11. Staudinger-Donau, 10./11. Auflage, § 1626 Rdnr. 8. Vgl. MünchKomm-Hinz § 1626 Rdnf. 11. MünchKomm-Hinz § 1626 Rdnr. 11; Gernhuber, Familienrecht, § 5 IV 3 (5. 43).

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Kindes und seine geistige und seelische Entwicklung bemüht ist. 25 Die "Erziehung" stellt sich hingegen als eine "dynamisch gedachte Förderung" dar,26 die den jungen Menschen durch geistig seelische Einwirkungen zu einer vollwertigen Persönlichkeit formt. 27 Mit heiden Definitionen lasse sich ein Einbeziehen der Vermögenssorge nicht vereinbaren. Sie sei deshalb vom Begriff der Pflege und Erziehung nicht umfaßt. 28 Es erscheint hingegen bedenklich, alleine durch die Wiedergabe derartiger Einzeldefinitionen die Vennögenssorge aus dem Bereich des Art. 6 Abs. 2 GG ausscheiden zu wollen. Der Verfassungs gesetzgeber wollte keine unterschiedlichen Rechtsfolgen an die verschiedenen Begriffe knüpfen. 29 Er selbst hat also an eine strikte Unterscheidung nicht gedacht, so daß von einem umfassenden Begriff der Pflege und Erziehung auszugehen ist.30 Aber selbst welill man den oben genaImten Definitionen folgt, stellt sich die Wahrnehmung der Vermögens sorge als Bestandteil der "Erziehung" dar. Auch im Bereich der Vermögens sorge steht den Eltern die Möglichkeit offen, auf das Kind erzieherisch einzuwirken.31 Deutlich wird diese erzieherische Komponente der Vermögens sorge vor allem an der Vorschrift des § 1626 Abs. 2 S. 2 Vgl. Staudinger-Göppinger, 10./11. Auflage, Vorbem § 1666 Rdnr. 9. MünchKomm-Hin: § 1626 Rdnr. 11. 27 Vgl. Staudinger-Göppinger, 10./11. Auflage, Vorbem § 1666 Rdnr. 9. 28 MünchKomm-Hinz § 1626 Rdnr. 11; Horndaseh, Zum Wohle des Kindes, S.55. Auch in der Kommentierung zu Art. 120 WRV ging man wohl davon aus, daß die Vermögenssorge nicht vom Wortlaut dieser Vorschrift erfaßt wurde, vgl. Gebhard, WRV, Art. 120 Anm. 4 c a, der lediglich die die Personen sorge des BGB betreffenden Vorschriften als gesetzliche Bestimmungen verstand, die in Erflillung des Wächteramtes dem "Vollzug des Art. 120" dienten. A.A. diesbezüglich wohl Nipperdey-Klumker, WRV, Band 2, S. 102, der unter das Wächteramt des Art. 120 auch "eine Anzahl jener vormundschaftlichen Maßnahmen, die sich am meisten auf finanzieBern Gebiet des Kindes annehmen", faBen lassen will. Aussagen zur WRV sind aBerdings nur von geringer Bedeutung. Einerseits enthielt Art. 120 WRV einen bloßen Programmsatz (vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Maunz, GG, Art. 6 Rdnr. 6; Beitzke, FamRZ 1958, 7, 9), andererseits war die Zielsetzung des Art. 120 WRV eine andere. Will Art. 6 Abs. 2 GG das Elternrecht umfassend im Interesse der Eltern und des Kindes schützen, so erfaßt Art. 120 WRV nur den Teil des Elternrechts, an dem vor allem "der Staat und die Verfassung ein unmittelbares Interesse haben", vgl. Nipperdey-Klumker, WRV, Band 2, S.99. Damit kann trotz der terminologischen Übereinstimmung der heiden Verfassungsbestimmungen zum Grundrechtsverständnis hinsichtlich Art. 6 Abs. 2 GG nicht an Art. 120 WRV angeknüpft werden, vgl. Ossenbiihl, Erziehungsrecht, S. 36. 29 Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Maunz, GG, Art. 6 Rdnr. 24; Fehnemann, ZBlJugR 1986,178,182. 30 Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Maunz, GG, Art. 6 Rdnr. 24. 31 Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 19; vgl. auch Briiggemann, ZBIJugR 1980, 53, 59, der instruktive Beispiele der erzieherischen Einwirkung im Bereich der Vermögenssorge aufzählt. 2S

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2. Kapitel: Das Genehmigungserfordernis in verfassungsrechtlicher Hinsicht

BGB. Die Eltern haben danach Fragen der "elterlichen Sorge" mit ihren Kindern zu besprechen. Ziel ist es, das Kind an ein selbständiges und verantwortungsbewußtes Handeln heranzuführen; das Kind soll zu einer reifen Persönlichkeit geformt und damit "erzogen" werden. Die pädagogisch-erzieherische Funktion dieser Vorschrift32 ist unverkennbar und spiegelt sich insbesondere darin wider, daß die Verfassungsmäßigkeit des § 1626 Abs. 2 BGB gerade deshalb bezweifelt wurde, weil man das durch Art. 6 Abs. 2 GG aufgestellte Primat elterlicher Erziehung nun durch ein staatlich oktroyiertes Erziehungsverfahren gefährdet sah.33 Der Wortlaut des § 1626 Abs. 2 S.2 BGB weist nun darauf hin, daß Fragen der elterlichen Sorge insgesamt - also der Personen- und der Vermögenssorge - mit dem Kind besprochen werden sollen. Damit geht der Gesetzgeber davon aus, daß auch die Wahrnehmung der Vermögenssorge ein Bestandteil erzieherischer Förderung des Kindes ist. Das Kind soll an die Verwaltung seines Vermögens durch die Eltern herangeführt werden. Unerläßlich ist es dann, daß den Eltern zur Erfüllung dieser Erziehungsaufgabe die Vermögenssorge selbst zukommt. Die erzieherische Komponente bei Wahrnehmung von Aufgaben, die der Vermögensverwaltung zuzuordnen sind, erstreckt sich dabei nicht nur auf die weniger wichtigen Geschäfte. Eine erzieherische Einbeziehung der Kinder in die elterliche Entscheidungsfindung ist auch dann erforderlich, wenn es um Geschäfte geht, die zu einer längerfristigen Bindung des Kindes führen. 34 Auch hier müssen die Eltern versuchen, die Tragweite ihrer Entscheidung dem Kind vor Augen zu führen. Darin zeigt sich, daß die Vermögenssorge in vielen Bereichen nicht von der Personensorge getrelmt werden kann. 3s Das gilt über die oben erwähnte "Vermögenserziehung" hinaus selbst für den Bereich der "Pflege" des Kindes, also der Sorge für dessen körperliche Existenz. Als Beispiel seien hier Unterhaltsanspruche genannt, die für das Kind geltend gemacht werden. Das ge-

32 Diese Vorschrift wird allerdings häufig als lex imperfecta verstanden, weil ein Verstoß nicht sanktioniert ist, vgl. Hollgrave, JZ 1979,665. 33 VgI. MünchKomm-Hinz § 1626 Rdnr. 59; Schmidl Glaeser, DÖV 1978,629,634; ders., Das elterliche Erziehungsrecht, S.59; Ossenbühl, Erziehungsrecht, S.85; Blau, JA 1982,575,578 f. 34 VgI. Brüggemann, ZBUugR 1980, 53, 59. Sein diesbezüglicher Hinweis "(... ), soweit nicht ohnehin die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich ist, ( ... )" kann wohl nicht dahin verstanden werden, daß es in diesen Fällen nicht erforderlich ist, das Einvernehmen mit dem Kind herbeizuführen. Er weist vielmehr auf die erzieherische Komponente auch bei Vornahme der Geschäfte nach den §§ 1643, 1821, 1822 BGB hin. 3S VgI. Staudinger-Göppinger, 10./11. Auflage, Vorbem § 1666, Rdnr. 8; Brüggemann, ZBlJugR 1980,53,59.

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schieht in Erfüllung der Personensorge, wenngleich das Geltendmachen sonstiger vennögensrechtlicher Anspruche der Vermögens sorge zuzuordnen ist.36 Auch wenn die erzieherische Komponente der Vermögens sorge durchaus erkannt wird, wird eine Erstreckung des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 2 GG auf die Vermögenssorge abgelehnt. Allein tatsächliche Berührungspunkte stünden einer klaren rechtlichen Trennung nicht entgegen?7 Eine derartige Schlußfolgerung kann nicht überzeugen. Wenn die Wahrnehmung der Vermögenssorge zu einem Teilbereich der Erziehung gehört, handelt es sich nicht nur um tatsächliche, sondern um rechtliche Berührungspunkte. Wollte man diesen Teil der Erziehung aus dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 GG herausnehmen, so wäre ein Teil der Erziehungsverantwortung der Eltern von vornherein aus dem verfassungsrechtlichen Elternrecht ausgeklammert. Selbst wenn man die Konzeption des Art. 6 Abs. 2 GG mit der herrschenden Meinung als Schutz nur eines gewissen Kernbereichs versteht,38 ließe es sich damit nicht vereinbaren, diesen Kernbereich von vornherein um den Komplex der "Vermögenserziehung" zu verengen. Auch ein Vergleich des Wortlauts von Art. 6 Abs. 2 GG mit einschlägigen Gesetzesvorschriften des BGB kann nicht zu einem anderen Ergebnis führen. So wird auf die Vorschrift des § 1667 BGB verwiesen, also auf eine Regelung, die bei einer Gefährdung des Kindesvennögens Maßnahmen des Vormundschaftsgerichts zuläßt. Diese Vorschrift sei auch schon dem Grundgesetzgeber bek31U1t gewesen. Dieser hätte - wenn er auch die Vermögenssorge unter verfassungsrechtlichen Schutz hätte stellen wollen - die Grundgesetzbestimmung des Art. 6 Abs. 2 GG eindeutiger fassen können. 39 Doch beschränken sich gerade grundrechtliehe Verfassungsbestimmungen auf ein Minimum an gesetzlicher Nonnierung. Außerdem hat sich der Grundgesetzgeber nicht an der Terminologie des BGB orientiert. Das zeigt sich schon darin, daß in Art. 6 Abs. 2 GG der Begriff "Pflege" von vornherein aufgenommen wurde. In das BGB40 hat dieser Begriff erst 1979 durch das Sorgerechtsgesetz Einzug gehalten. Ferner wurden selbst wichtige Bestandteile der Personensorge nicht ausdrückliche in das Grundgesetz aufgenommen, ohne daß daraus der Schluß gezogen wird, derartige Bestandteile der Personensorge seien nicht vom Elternrecht des Art. 6 36 Vgl. SchWur, Familienrecht, § 22 11 1 a (5. 181), der dazu auf § 1690 Abs. 1 BGB verweist. Soergel-Slrälz § 1631 Rdnr. 24 gewinnt dieses Ergebnis aus § 1629 Abs. 2 S.2 BGB n.F.; hinsichtlich weiterer Überschneidungen der Personen- und Vermögenssorge vgl. MünchKomm-Hinz § 1626 Rdnr. 41. 37 Fehnemann, ZBUugR 1986, 178, 182. 38 Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Maunz, GO, Art. 6 Rdnr. 24 b. 39 Vgl. Horndasch, Zum Wohle des Kindes, S. 55, 56. 40 Dort in § 1631 Abs. I BGB.

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2. Kapitel: Das Genehmigungserfordemis in verfassungsrechtlicher Hinsicht

Abs. 2 GG umfaßt.41 Darüber hUlaus tritt die zwar grundsätzlich bedeutsame Entstehungsgeschichte emer Norm für die Auslegung der Bestimmung dann m den Hintergrund, wenn der Anwendungsbereich der Vorschrift nach neuerern Grundrechtsverständnis expandiert; gerade Art. 6 Abs. 2 GG ist dafür ein gutes Beispie1.42 Damit fällt auch die Vermögens sorge m den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 GG, so daß auch das Entscheidungsrecht der Eltern für ihre Kinder in vermögensrechtlicher Hinsicht durch Art. 6 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich abgesichert ist. Die Verfassung erkennt somit an, daß die Eltern für ihre Kinder entscheiden und diese binden können.43 Diese Schlußfolgerung wird auch durch die geschichtlichen Ausprägungen von Vermögenssorge und Genehmigungsvorbehalt bestätigt. 44 Die Verwaltung des Kindesvermögens war m allen historischen Rechtsgebieten Bestandteil der väterlichen (elterlichen) Gewalt. Davon war auch die Vertretung des Kindes m vermögensrechtlicher Hinsicht umfaßt. Der Grundgesetzgeber hat dieses Elternrecht als ein elementares vorstaatliches Recht vorgefunden,45 das von ihm als Verfassungsprinzip und subjektives Grundrecht bestätigt und konstituiert wurde.46 Orientierte sich das Elternrecht des Grundgesetzes an vorgegebene Voraussetzungen, ohne em neues Elternrecht konstruieren zu wollen, so mußte es auch die Vermögenssorge als Bestandteil der elterlichen Gewalt unter den verfassungsrechtlichen Schutz stellen. 2. Aufgabe und Grenzen des staatlichen Wächters

Nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG wacht über die Betätigung der Eltern die staatliche Gemeinschaft; dem Staat kommt ein sog. Wächteramt zu. Emgriffe m das verfassungsrechtliche Elternrecht smd nur dann zulässig, wenn sie in Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes geboten smd. Vgl.Fehnemann,ZBlJugR 1986, 178, 181, 182. Vgl. Ossenbühl, Erziehungsrecht, S. 36, 37. 43 Wohl h.M, vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Maunz, GG, Art.6 RdßT. 24; Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 19, 20; v. Münch-E.-M. v. Münch, GG, Art. 6 Rdnr. 16; Staudinger-Donau, 10./11. Auflage, § 1626 Rdnr. 3; Staudinger-Göppinger, 10./11. Auflage, Vorbem § 1666 Rdnr. 9; HamanniLenz, GG, Art. 6 Anm. 4; vgl. ferner S. 35 Fußn. 16. 44 Vgl. oben I. Kapitel A., S. 16 ff. 45 Staudinger-Göppinger, 10./11. Auflage, Vorbem § 1666 Rdnr. 2, 7; Salgo, FuR 1990, 363; Schlüter, Elterliches Sorgerecht im Wandel, S. 29. Für die WRV AnschÜlz, WRV, Art. 120 Anm. 2: "Die Reichsverfassung schafft mit ihrem Art. 120 nichts inhaltlich Neues, sondern konfirmiert ein bereits Bestehendes". 46 Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Maunz, GG, Art. 6 Rdnr. 22, 26c. 41

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Über die Aufgaben des staatlichen Wächters enthält Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG keine Aussagen. Doch wird dieser Verfassungsbestimmung entnommen, daß das "Wohl und Interesse" des Kindes die "oberste Richtschnur" jeglicher hoheitlicher Tätigkeit ist.47 Wie diese Richtschnur die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts, das ein besonders wichtiger Funktionsträger im Sinne des Art. 6 Abs. 2 GG ist,48 beeinflußt und welche Kriterien diese generaIkIauselartigen Begriffe ausfüllen, ist damit allerdings noch nicht gesagt. Droht ein Versagen der Eltem, so ist zunächst der Gesetzgeber aufgerufen, Regelungen zum Schutze des Kindeswohls zu treffen. Der Gesetzgeber kann neben Organen der Exekutive auch die Gerichte einsetzen, um seine Vorstellungen im Hinblick auf den Schutz des Wohls und der Interessen des Kindes zu realisieren.49 Allerdings hat er dabei zu beachten, daß auch dem Entscheidungsrecht der Eltem wegen des in Art. 6 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden Primats der Eltemverantwortung eine zentrale Bedeutung zukommt. Sowohl die Rechte des Kindes als auch diejenigen der Eltern müssen in ein ausgewogenes Verhältnis gesetzt werden. so Dabei ist das Primat der Eltemverantwortung nicht nur für legislative Entscheidungen von Relevanz, sondem bindet femer jeden anderen staatlichen Funktionsträger, der die Rolle des staatlichen Wächters ausfüllt. Die aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG folgende primäre Entscheidungszuständigkeit der Eltem nimmt selbst die Möglichkeit von Nachteilen für das Kind in Kauf, die durch staatlich gesetzte Maßstäbe gegebenenfalls vermieden werden könnten. 51 Der Staat ist in Erfüllung seines Wächteramtes wie bei jedem hoheitlichen Handeln stets an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden. 52 Unzumutbare, d.h. nicht mehr zu billigende Eingriffe in das Eltemrecht, die einen wenn auch noch so unwahrscheinlichen Nachteil für das Kind abwenden sollen, sind deshalb zu vermeiden.53 Eine Legitimation des Staates, unter dem Vorwand der Kindesinteressen bevormundend in Elternrechte einzugreifen, folgt aus dem Wächteramt nicht. 54 Der Staat hat den Eltem ein Maximum an eigener Entscheidungskompetenz einzuräumen. Staatliche Eingriffsbefugnisse sind ledigRGRK-Wenz Vor § 1626 Rdnr. 26. Staudinger-Donau, 10./11. Auflage, Vorbem §§ 1626 Rdnr. 42. 49 Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Maun:, GG, Art. 6 Rdnr. 26d. so Vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Dürig, GG, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 20. 51 Vgl. BVerfGE 24, 119, 144; 34, 165, 184; 72, 122, 140; BVerfG FamRZ 1982, 567,570; RGRK-Wenz Vor § 1626 Rdnr. 38. 52 Schlilter, Elterliches Sorgerecht im Wandel, S. 29. S3 MaunzlDürig/Herzog/Scholz-Maunz, GG, Art.6 Rdnr. 26a, mit Verweis auf BVerfGE 4,52; 7, 33. 54 SchUlter, Elterliches Sorgerecht im Wandel, S. 29. 47 48

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2. Kapitel: Das Genehmigungserfordernis in verfassungsrechtlicher Hinsicht

lich als unterstützende Hilfe für die Eltern zu verstehen. ss Das Grundgesetz stellt hohe Anforderungen, will der Staat den elterlichen Erziehungs- und Entscheidungvorrang widerlegen.s6 Gerade in den Zwischenbereichen, in denen klare gesetzliche Grenzziehungen nicht mehr möglich sind und der Gesetzgeber auf Typisierungen zurückgreifen muß, behält das elterliche Bestimmungsrecht den Vorrang vor staatlichen Einwirkungen. s7 Auch das Vormundschaftsgericht ist bei Wahrnehmung der ihm nach § 1643 BGB zugewiesenen Aufgabe an die zu dieser Verfassungsvorschrift entwikkelten Grundsätze gebunden. Art. 6 Abs. 2 GG ist vom Rechtsanwender vor allem in seiner Funktion als "wertentscheidende Grundsatznorm" zu beachten.s8 Diese vom Bundesverfassungsgericht entwickelte zweite Komponente der Grundrechte, die gleichwertig neben die Funktion als Abwehrrecht tritt,59 fand in der richterlichen Praxis vor allem im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 GG nur wenig Beachtung.6O Sie ist vom Richter insbesondere bei der Anwendung und Auslegung sorgerechtlicher Normen zu berücksichtigen. 3. Träger des Elternrechts

Die Grundsätze des Art. 6 Abs. 2 GG sind vom Vormundschaftsgericht jedoch nur dann zu beachten, wenn Entscheidungsträger agieren, die in den Schutzbereich dieser Verfassungsbestimmung fallen. Nach dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 GG ist die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern. Trotz dieses an sich eindeutigen Wortlauts ist die Frage danach, wer zu den Rechtsträgern im Sinne des Art. 6 Abs. 2 GG zählt, umstritten. Für die vorliegende Arbeit ist sie nur insofern von Bedeutung, als es um Personen geht, die auch die elterliche Sorge nach bürgerlichem Recht ausüben. Nur diese Personen nehmen auch die Vermögenssorge für das Kind wahr. Von diesen Personen fallen zunächst die leiblichen, ehelichen Eltern in den über Art. 6 Abs. 2 GG geschützten Rechtskreis. 61 Auch die

ss Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Maunz, 00, Art. 6 Rdnr. 26a. Salgo, FuR 1990,363. 57 Vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Dürig, 00, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 26.

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SB OssenbühJ, Erziehungsrecht, S.44; Schwab, Familienrecht, Rdnr. 14; Kirchhof, Die Grundrechte des Kindes, S. 180 f. S9 Vgl. Ossenbühl, NJW 1976,2100. 60 Ossenbühl, Elternrecht, S. 44, 45. 61 BVerfGE 24, 119, 135; Staudinger-Göppinger, 10./11. Auflage, Vorbem § 1666 Rdnr. 10; Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Maunz, 00, Art. 6 Rdnr. 25; SchliiJer, Familienrecht, § 1 11 2 (S. 5).

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nichteheliche Mutter gehört zu den Rechtsträgern des Art. 6 Abs. 2 GG. 62 Ferner werden die Adoptiveltern von Art. 6 Abs. 2 GG erfaßt, del1l1 Art. 6 Abs. 2 GG stellt auf den Begriff der Eltern im Rechtssil1l1e ab. 63 Für die vormundschafts gerichtliche Genehmigung ist aber vor allem von Interesse, ob sich auch der Vormund auf Art. 6 Abs. 2 GG berufen kann. Träfe das zu, würde die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 2 GG die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts unabhängig davon beeinflussen, ob es um die Beschränkung der Vertretungsmacht der Eltern nach § 1643 BGB oder um die des Vormunds nach den §§ 1821 f BGB geht. Das Primat der Elternverantwortung wäre bei jeder Entscheidung des Vormundschaftsgerichts zu beachten; gleiche Sachverhaltskonstellationen kÖl1l1ten nicht deshalb zu unterschiedlichen Entscheidungen führen, weil einmal der Vormund, das andere Mal die Eltern für das Kind rechtsgeschäftlich handeln. Die überwiegende Ansicht lehnt es kategorisch ab, den Vormund in den Kreis der Rechtsträger des Art. 6 Abs. 2 GG einzubeziehen.64 Der Vormund sei nicht Mitglied der Familie; seine Gewalt sei lediglich der elterlichen Gewalt nachgebildet. Schon deshalb könne er nicht Träger des verfassungsrechtlichen Elternrechts sein.6s Ihm könne allenfalls der Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG zuteil werden. 66 Dem wird entgegengehalten, daß es die starke Pflichtgebundenheit des Elternrechts und das Schutzbedürfnis des Kindes rechtfertige, den Vormund einzubeziehen.67 Ferner könne der Vormund die leiblichen Eltern nicht ersetzen, wenn ihm nicht die auf eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 GG gestützte Verfassungsbeschwerde zur Verfügung stehe. 68

62 BVerfGE 24, 119, 135; Staudinger-Göppinger, 10./11. Auflage, Vorbem § 1666 Rdnr.11. 63 Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Maunz, GO, Art. 6 Rdnr. 25. 64 Staudinger-Göppinger, 10./11. Auflage, Vorbem § 1666 Rdnr. 15; MünchKomm-Schwab § 1837 Relnr. 3; Maunz/Dürig/Herzog/Scho1z-Dürig, GO, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 20; v. Münch-E.-M. v. Münch, GO, Art. 6 Rdnr. 21; JarraslPieroth, GG, Art. 6 Rdnr. 23; Reinicke, Der Zugang des Minderjährigen, S. 83. 6S GernlJUber, Familienrecht, § 5 N 5 (S.45); Moritz, Die rechtliche Stellung der Minderjährigen, S. 132 Fußn. 32. 66 Staudinger-Göppinger, 10./11. Auflage, Vorbem § 1666 Rdnr. 15. 67 Hahnzog, FamRZ 1971, 334, 339; Horndasch, Zum Wohle des Kindes, S. 45, 46; Erman-Holzhauer Vor § 1773 Rdnr. 6. 68 v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Art. 6 Anm. N 2 b (S. 272).

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2. Kapitel: Das Genehmigungserfordernis in verfassungsrechtlicher Hinsicht

Das BWldesverfassungsgericht hat sich bisher in zwei Entscheidungen zu dieser Problematik geäußert, die allerdings nicht Hauptgegenstand der Verfahren war. 69 So entschied das Bundesverfassungsgericht zunächst, daß sich der Vormund nicht auf Art. 6 Abs. 2 GG berufen könne, delm er sei nicht Mitglied der Familie, seine Gewalt sei der elterlichen Gewalt lediglich nachgebildet. Deshalb werde Art. 6 Abs. 2 GG durch eine Beschränkung vormundschaftlicher Befugnisse nicht berührt.70 In einer späteren Entscheidung7! stellte das Bundesverfassungsgericht hingegen fest, daß der Vormund zum Kreis der Grundrechtsträger des Art. 6 Abs. 2 GG gehöre, weil er "anstelle der Eltern für Pflege und Erziehung des Kindes verantwortlich" sei. Der ersten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lag eine Vormundschaft über Volljährige zugrunde, während die zweite eine solche über Minderjährige betraf. Darin mag der Grund für die Gegensätzlichkeit der Entscheidungen gelegen haben, wenn es auch für das Bundesverfassungsgericht in seiner älteren Entscheidung näher gelegen hätte, ein verfassungsrechtliche Erziehungsrecht für den Vormund mit dem Hinweis darauf abzulehnen, daß Art. 6 Abs.2 GG nur für Minderjährige greift. 72 In der Literatur werden beide Entscheidungen nur selten gesehen und in ein Verhältnis gesetzt.73 Zum Teil wird jedoch die Schlußfolgerung gezogen, daß sich der Vormund grundsätzlich nicht auf Art. 6 Abs. 2 GG berufen könne, es sei denn, er nehme die Pflege und Erziehung des Kindes anstelle der Eltern war. 74 Eine derartige Argumentation kann jedoch nicht überzeugen. Nach § 1773 BGB ist Voraussetzung für die Anordnung einer Vormundschaft über Minderjällrige, daß das Kind nicht unter elterlicher Sorge steht. Nach §§ 1800 i.V.m. 1631 Abs. 1 BGB fällt dem Vormund insbesondere die Aufgabe zu, das Kind zu pflegen und zu erziehen. Damit ist die Vormundschaft primär ein Ersatz für

69 Damit läßt sich vielleicht erklären, daß nur BVerfGE 10, 302, 328 als sich mit dieser Frage befassend in das Nachschlagewerk des BVerfG, 61. Lieferung, Stand Mai 1990, zu Art. 6 Abs. 2 NT. 2 aufgenommen wurde. 70 BVerfGE 10, 302, 324. 71 BVerfGE 34, 165,200. n Vgl. dazu Hahnzog, FamRZ 1971, 334, 335, der daraus folgert, das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung im 10. Band eine allgemeine Aussage für den Vormund, also auch für den über Minderjährige, treffen wollen. 73 V gl. jedoch Halmzog, FamRZ 1971, 334, 335.

A. Die Genehmigung unter Berücksichtigung von Art. 6 GG

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die fehlende elterliche Pflege und Erziehung. 7s Der Vormund handelt immer anstelle der Eltem, er ist für das Kind verantwortlich. Nach der oben dargestellten Ansicht könnte der Vormund somit immer den Schutz des Art. 6 Abs. 2 GG in Anspruch nehmen. Dem Vormund kommt hingegen nicht allein deshalb, weil ihm erzieherische und pflegerische Aufgaben zugewiesen sind, das Elternprivileg des Art. 6 Abs. 2 GG zu. Dem steht schon entgegen, daß von ihm ein weniger uneigennütziges Handeln erwartet wird als von den Eltem.76 Das wird dadurch bestätigt, daß der Gesetzgeber den Vormund - insbesondere im Bereich der Vermögens sorge weniger frei stellt als die Eltern.77 Die weniger freie Stellung des Vormunds äußert sich auch darin, daß dem Vormundschaftsgericht in vielen Bereichen vormundschaftlicher Betätigung ein Letztbestimmungsrecht zukommt. So entscheidet es bestehende Meinungsverschiedenheiten von Mitvormündem nach den §§ 1797 Abs. 1, 1798 BGB letztverbindlich. Die insoweit für die Eltern bestehende Parallelvorschrift des § 1628 BOB läßt hingegen die Entscheidungskompetenz bei den Eltern. Dem aus Art. 6 Abs. 2 GG folgende Grundsatz elterlicher Erziehungspriorität wird somit entsprochen. Auch die Vorschrift des § 1837 BGB, die umfassende Kontrollbefugnisse des Vonnunds durch das Vormundschaftsgericht vorsieht, wäre mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG nur schwerlich zu vereinbaren. Zwar sind vormundschaftsgerichtliche Eingriffe hinsichtlich der Amtsführung des Vormunds auf das Notwendige zu beschränken. 78 Der darin zum Ausdruck kommende Grundsatz der Selbständigkeit des Vormunds ist allerdings nicht Resultat eines verfassungsrechtlichen Schutzes, sondem soll lediglich motivierend auf die Bereitschaft des Vormunds einwirken, seine Tätigkeit auszuführen. 79 Das Prinzip der Selbständigkeit des Vormunds wurde eingeführt, weil ein System umfassender Kontrolle des Vormwlds durch das Vormundschaftsgericht, wie es noch im Preußischen Allgemeinen Landrecht vorgesehen war, als zu schwerfällig und bürokratisch empfunden wurde. 80 Die Selbständigkeit des Vormunds ist 74 Leibholz/RincldHesselberger, GG, Art. 6 Rdnr. 556; wohl auch Schlüter, Familienrecht, § 1 11 2 (S. 5). 7S Ygl. Dölle, Familienrecht 11, § 116 I (S. 646). 76 Das spiegelt sich auch darin wider, daß die Einzelvormundschaft als Regelfall der gesetzlichen Konzeption durch die Amtsvormundschaft in ihrer Bedeutung abgelöst wurde, vgl. Gernhuber, Familienrecht, § 64 11 1 (S. 10191). 77 S.o. S. 16. 78 79

80

Ygl. MünchKomm-Schwab § 1837 Rdnr. 5. MünchKomm-Schwab § 1837 Rdnr. 5. Ygl. Coing, Europäisches Privatrecht 11, S. 333.

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2. Kapitel: Das Genehmigungserfordernis in verfassungsrechtlicher Hinsicht

somit nicht Selbstzweck, sondern lediglich Ausdruck gewünschter Praktikabilität. Deshalb sind Eingriffe des Vonnundschaftsgerichts schon dann möglich, wenn das verfassungsrechtliche, "natürliche" Elternrecht dem Erreichen der erforderlichen Eingriffsschwelle noch entgegenstehen würde. 81 Allerdings wird die Fonnulierung "natürliches Recht" in Art. 6 Abs. 2 GG auch dahingehend verstanden, daß sie nur die "Unnatürlichkeit" eines staatlichen Erziehungsanspruchs ausdrücke.82 Der Staat hätte keine bessere Einsicht in die Pflege und Erziehung der Kinder als der Vormund. Deshalb müsse auch dem erziehungsberechtigten Vonnund ein verfassungsrechtlicher Schutz zukommen, damit er sich gegen "ungehörige" staatliche Eingriffe in seine Erziehungsverantwortung zur Wehr setzen kann. Das könne nur mit Hilfe einer auf Art. 6 Abs. 2 GG gestützten Verfassungsbeschwerde geschehen.83 Diese Argumentation kann schon deshalb nicht überzeugen, weil die Hypothese vom fehlenden verfassungsrechtlichen Rechtsschutz für den Vonnund nicht zutrifft. Selbst wenn sich der Vonnund nicht auf Art. 6 Abs. 2 GO stützen kann, ist damit noch nicht gesagt, daß ihm nicht ein anderes Grundrecht zur Seite steht. Hier ist an den Auffangtatbestand des Art. 2 Abs. 1 GG zu denken, der dem Vonnund einen Schutz seiner Rechte innerhalb der bestehenden Gesetze garantiert.84 Hätte der Verfassungsgesetzgeber hingegen jedem Erziehungsberechtigten eine den (leiblichen, ehelichen) Eltern vergleichbare privilegierte und verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositon einräumen wollen, so hätte er - wie es in Art. 6 Abs. 3 GG geschehen ist - anstatt des Begriffs "Eltern" den der "Erziehungsberechtigten" wählen können. 85 Freilich darf auch der Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 GG nicht überbetont werden. Wollte man allein den "natürlichen", d.h. leiblichen und ehelichen Eltern ein Recht aus Art. 6 Abs. 2 GG zugestehen, dann dürfte man auch die Adoptiveltern nicht zu den Rechtsträgem aus Art. 6 Abs. 2 GG zählen. Das BundesverfassungsgerichtB 6 hat jedoch geklärt, daß der Staat gehalten ist, für die Kinder, die nicht in den Genuß elterlicher Fürsorge geraten, geeignete LebensbedinVgl. MünchKomm-Schwab § 1837 Rdnr. 5. v. MangoldllKlein, Das Bonner Grundgesetz, Art. 6 Anm. N 2 b. 83 v. MangoldtlKlein, Das Bonner Grundgesetz, Art. 6 Anm. N 2 b; zustimmend Sclzüler-Springorum, FamRZ 1961, 296 und Erman-Holzhauer Vor § 1773 Rdnr. 6. 84 Vgl. Staudinger-Göppinger, 10./11. Auflage, Vorbem § 1666 Rdnr. 15. 85 Vgl. Hansmann, FamRZ 1962,452; anders hingegen Rauschert, ZBUugR 1962, 152, 159, der von einem "juristischen Elternbegriff' in Art. 6 Abs. 2 GO ausgeht und deshalb auch den Vormund in den Schutzbereich dieser Verfassungsvorschrift fallen lassen will. 86 BVerfGE 24, 119 ff. 81

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A. Die Genehmigung unter Berllcksichtigung von Art. 6 GG

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gungen zu schaffen. Das gelingt am ehesten dadurch, daß man das Kind in eine Familie integriert, die diese Aufgabe freiwillig übernimmt. 87 Dazu gehört auch die Beachtung und Zuordnung der sich letztlich aus der Wertschätzung der Familie ergebenden und in Art. 6 Abs. 1 bis 3 GG widerspiegelnden Rechte, die unter anderem eine Reduzierung staatlicher Erziehungsvorgaben zugunsten anderer Personen verlangen.88 § 1754 Abs. 1 BGB ordnet an, daß ein angenommenes Kind die gleiche rechtliche Stellung wie ein eheliches Kind erhält. Den annehmenden Eltern wird damit gleichzeitig die positive Stellung leiblicher Eltern gewährt. Der Staat optimiert durch diese rechtliche Zuordnung seine Aufgabe, geeignete Lebensbedingungen für die Kinder zu schaffen. Es ist verfehlt, daraus nun zu folgern, daß der Staat gehalten sei, allen Erziehungsberechtigten den Schutz des Art. 6 Abs. 2 GG zukommen ZU lassen.89 Selbst wenn die positive Ausrichtung des Art. 6 Abs. 2 GG hinsichtlich der Ausgestaltung bestmöglicher Lebensbedingungen für das Kind entscheidend sein sollte, um den Elternbegriff zu bestimmen, ist damit noch nicht gesagt, warum auch der Vormund in das Privileg dieser Verfassungsnorm gelangen soll. Zwar ist das Bestehen des Elternrechts grundsätzlich entscheidend für eine positive Gestaltung der lebensbedingungen des Kindes. Doch zeigt gerade das staatliche Wächteramt, daß die prinzipiell positive Wirkung der sich aus dem Elternrecht ergebenden Befugnisse auch ins Gegenteil umschlagen kann. Derartigen Nachteilen wird im bestehenden Vormundschaftsrecht zu Lasten des Vormunds durch eine umfassende gerichtliche Kontrolle entgegengewirkt. Soll diese staatliche Eingriffssphäre aufgegeben werden, bedarf es eines besonderen Vertrauens in die Person, der sie gilt. Eine derartige Aufgabe zugunsten des Vormunds fmdet sich im geltenden Recht ebensowenig wie eine eindeutige rechtliche Zuordnung der Elternrechte. Die positive Ausrichtung des Elternrechts allein erlaubt es somit nicht, die damit verbundenen umfassenden Rechtsbefugnisse gleichermaßen auf alle Erziehungsberechtigten zu erstrecken. Allein die rechtliche Zuordnung ist entscheidend. Sie dokumentiert, daß der Staat nur in gewisse Personen dasselbe Vertrauen setzt wie in die Eltern. Damit kann auch nur sie bedeutsam sein für die Übertragung der aus Art. 6 Abs. 2 GG fließenden Rechte auf andere Personen als die leiblichen Eltern. Selbst wenn die rechtlichen Befugnisse des Vormunds denen der Eltern angeglichen und seiner Aufgabe wie der der Eltern ein treuhänderisches Moment BVerfGE 24, 119, 149. Vgl. BVerfGE 24, 119, 149. 89 So hingegen Hahnzog, FamRZ 1971, 334, 339; wohl auch Rauschert, ZBUugR 1962, 152, 159. 87 88

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2. Kapitel: Das Genehmigungserfordemis in verfassungsrechtlicher Hinsicht

anhaftet, rechtfertigt sich daraus nicht die Übertragung aller Eltemrechte.90 Dadurch werden vielmehr nur die Elemente des verfassungsrechtlichen Elternrechts betont, die unzweifelhaft positiv auf die l..ebensgestaltung des Kindes einwirken. Zu diesen Elementen gehört nach grundgesetzlichen Vorstellungen, daß das Kind keinem absoluten staatlichen Erziehungsanspruch unterliegt. 91 Darin zeigt sich deutlich die Mehrdimensionalität des Art. 6 Abs. 2 GG. Diese Verfassungsbestimmung setzt das Recht der Eltern "auf' und das des Kindes "an" einer Erziehung unter Abwesenheit absoluter staatlicher Einflußnahme in ein Verhältnis. Deunoch ist es unzutreffend, den Vonnund in den Kreis der Rechtsträger des Art. 6 Abs. 2 GG zu stellen, obwohl ihm die eigennützige elterliche Komponente dieses Rechtes fehlt. 92 Geht es um das Verbot eines absoluten staatlichen Erziehungsanspruchs zugunsten des Kindes, so stehen nicht mehr die Rechte der Eltern, sondern die des Kindes im Vordergrund. Damit ist das durch einen Vonnund betreute Kind nicht schlechter gestellt als ein solches, zu dessen Gunsten ein mit dem Elternprivileg ausgestatteter Entscheidungsträger handelt. Art. 6 Abs. 2 GG fordert im Interesse des Kindes an einer Zurückhaltung des Staates einen Verzicht auf die Anwendung der Grundrechte im Eltern-Kind-Verhältnis, um die familiäre Intimssphäre zu erhalten und dadurch die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes zu fördern. 93 Dieser Geltungsverzicht endet, wenn es um den Schutz der Persönlichkeit des Kindes geht. 94 Steht dem Kind somit niemand zur Seite, der die Rechte aus Art. 6 Abs. 2 GO um seiner Persönlichkeit willen geltend machen kann, so wird dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes eine größere Bedeutung zukommen. Ein zwingender Rückgriff auf Art. 6 Abs. 2 GG ist hingegen nicht geboten. Diese Problematik mag an dieser Stelle letztlich offenbleiben. Im Bereich vonnundschaftlicher vennögensbezogener Entscheidungen geht es um eine Kontrolle des Vonnunds und nicht um die Abwehr eines absoluten staatlichen Erziehungsanspruchs zugunsten des Kindes. Der Vonnund handelt hier lediglich als Vertrauensperson des fürsorgenden Staates. Rechte aus Art. 6 Abs. 2 GG, die ihn ebenso frei stellen wie die Eltern, kommen ihm nicht zu.

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So jedoch Hahnzog, FamRZ 1971, 334, 339. Hahn:og, FamRZ 1971,334,339.

92 So jedoch Hahnzog, FamRZ 1971, 334, 339, der gleichzeitig auf die Probleme hinweist die entstehen, wenn eine juristische Person des öffentlichen Rechts - z.B. das Jugendamt als Amtsvormund - das Elternrecht wahrnehmen soll. 93 Relder, Kindesgrundrechte, S. 190 f. 94 Relder, Kindesgrundrechte, S. 192.

B. Weitere verfassungsrechtliche Auswirkungen

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B. Weitere verfassungsrechtliche Auswirkungen des Genehmigungserfordernisses I. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG § 1643 BGB gibt dem Vonnundschaftsrichter die Möglichkeit, die Veräußerung von Bestandteilen aus dem Kindesvermögen oder den Neuerwerb von Vermögensgegenständen zu vereiteln, indem er die Genehmigungserteilung verweigert.

Die Veräußerungsbefugnis ist jedoch eigentumsrechtlich geschützt.95 § 1643 BGB greift somit in den durch Art. 14 GG geschützten Bereich der Eigentumsgewährleistung ein. Ob daneben auch die Erwerbsfreiheit vom Schutz des Art. 14 GG umfaßt wird, wird unterschiedlich beurteilt.96 Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, daß ein Tatbestand, der entweder Veräußerungs- oder Erwerbsrechte beeinträchtigt, eine das Eigentum betreffende Beschränkung enthalte.97 Die Frage mag hier offen bleiben. Selbst wenn man die Erwerbsfreiheit Art. 14 GG unterstellen möchte, bereiten die durch § 1643 BGB statuierten Veräußerungs- und Erwerbsbeschränkungen wenig Probleme. Derartige Beschränkungen greifen nicht in den Eigentums- wld Rechtsbestand ein, sondern berühren allenfalls die Freiheit der Eigentumsnutzung. Sie sind deshalb Ausdruck der aus Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG resultierenden Inhalts- und Schrankenbestimmung98 und im Interesse eines umfassenden Minderjährigenschutzes unerläßlich. Allerdings ist bei der Rechtsanwendung des § 1643 BGB wie bei jeder Einschränkung der Eigentümerbefugnisse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.99 Die Versagung der Genehmigung muß damit insbesondere 95 BVerfGE 42, 229, 232; v. Münch-Bryde, GO, Art. 14, Rdnr. 13; MaunzlDürig/Herzog/Scholz-Papier, GO, Art. 14 Rdnr. 210. 96 Überwiegend wird die Erwerbsfreiheit ähnlich wie die Vertrags freiheit dem Regelungsbereich des Art.2 Abs. 1 GO zugeordnet, vgl. dazu MaunzlDürig/Herzog/Scholz-Papier, GO, Art. 14 Rdnr. 211. Andere greifen direkt auf Art. 14 GO zurück, so z.B. v. Münch-Bryde, GG, Art. 14 Rdnr. 13; Schmidt/BleibtreuJKlein Art. 14 Rdnr. 6. 97 BVerfGE 21, 73, 79; ähnlich auch Kloep[er, Grundrechte als Entstehungssicherung, S. 46 ff, der annimmt, daß die in Art. 14 GO verankerte Veräußerungsfreiheit ein ergänzungsbedürftiges Entsprechungsrecht darstelle, das ohne die Ergänzung um die Erwerbsfreiheit nicht vorstellbar sei. 98 Vgl. BVerfDE 26, 215, 221 f; Maunz/Dürig/Herzog/Scholz-Papier, GO, Art. 14 Rdnr.21O. 99 Vgl. BVerfGE 26, 215, 228; 68, 361, 372 f. 4 Schrade

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2. Kapitel: Das Genehmigungserfordernis in verfassungsrechtlicher Hinsicht

im Hinblick auf ihre realen Folgen geeignet und notwendig sein, den Schutz der Interessen des Kindes sicherzustellen. Sie darf weder unzumutbar noch übermäßig belastend sein. Eigentümerbefugnisse des Kindes dürfen nur insoweit zurückgedrängt werden, wie es die im einschränkenden Gesetz zum Ausdruck kommende Interessenabwägung gebietet. loo 11. Berufsfreiheit, Art. 12 GG Auch der Abschluß eines Gesellschaftsvertrages ist ohne die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (schwebend) unwirksam, §§ 1643, 1822 Nr. 3, 1829 Abs. 1 S. 1 BGB. Das gleiche gilt für den Erwerb oder die Veräußerung eines Erwerbsgeschäfts. Die Berufsfreiheit des Art. 12 GG erfaßt auch die Gewerbefreiheit. lol Damit verbunden ist die freie Gründung von Unternehmen. I02 Stellt § 1643 BGB den Erwerb eines Erwerbsgeschäfts oder den Abschluß eines Gesellschaftsvertrages unter das Genehmigungserfordernis, so ist damit die Gründung von Unternehmen von der staatlichen Genehmigung abhängig. Die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts hat deshalb für den Fall, daß der Minderjährige einem Unternehmen beitreten und es führen will, ebenfalls Auswirkungen auf die durch Art. 12 GG geschützte berufliche Sphäre des Kindes. Ein derartiger Eingriff in die Berufsfreiheit - wohl als subjektive Zulassungsvoraussetzung in die "Drei-Stufen-Theorie" des Bundesverfassungsgerichts einzuordnen - ist wiederum auch hier erforderlich, um das wichtige Gemeinschaftsgut des Minderjährigenschutzes zu gewährleisten. § 1643 BGB ist insoweit durch den Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S.2 GG gedeckt. DellllOch ist der Vormundschaftsrichter gehalten, mögliche Berufsvorstellungen des Kindes, die durch ein Geschäft realisiert werden sollen, zu berücksichtigen.

BVerfGE 68, 361, 372 f. v. Münch-Gubelt, 00, Art. 12 Rdnr. 18. 102 v. Münch-Gubelt, 00, Art. 12 Rdnr. 18; MaunzlDürig/Herzog/Scholz-Scholz, GG, Art. 12 Rdnr. 184. 100 101

B. Weitere verfassungsrechtliche Auswirkungen

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III. Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG Auf die Bedeutung, die das Oenehmigungserfordemis im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes hat, wurde mehrfach hingewiesen. 103 Es ist zunächst dadurch berührt, daß der Minderjährige seine eigenen Rechtsverhältnisse nicht selbst gestalten kann, sondern durch das System der gesetzlichen Vertretung Minderjähriger in seiner Privatautonomie umfassenden Beschränkungen unterliegt. 104 Diese Beschränkungen dienen gleichzeitig dazu, das individuelle Selbstbestimmungsrecht des Kindes sicherzustellen. Ist dazu eine Fremdbestimmung des Kindes durch die Eltern erforderlich, entspricht das dem Interesse und Wohl des Kindes, so daß eine Verletzung seines allgemeinen Persölllichkeitsrechts ausscheidet. los Die allgemeine Handlungsfreiheit des Minderjährigen ist damit von vornherein eingeschränkt durch die EntscheidUllgsbefugnis seiner Eltern. Sie nehmen die Ausgestaltung der Persönlichkeit ihres Kindes als treuhänderische Aufgabe war; sie sind "Sachwalter" des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Kindes.t