Der befreite Mensch: Die Willenslehre in der Theologie Philipp Melanchthons 9783666551895, 3525551894, 9783525551899

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Der befreite Mensch: Die Willenslehre in der Theologie Philipp Melanchthons
 9783666551895, 3525551894, 9783525551899

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V&R

Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte

Herausgegeben von Adolf Martin Ritter und Thomas Kaufmann

Band 81

Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 2001

Der befreite Mensch Die Willenslehre in der Theologie Philipp Melanchthons

von Wolfgang Matz

Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 2001

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Matz, Wolfgang: Der befreite Mensch: die Willenslehre in der Theologie Philipp Melanchthons / von Wolfgang Matz. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2001 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte; Bd. 81) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1998/99 ISBN 3-525-55189-4

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft D5

© 2001 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen http://www.vandenhoeck-ruprecht.de Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Binderarbeiten: Hubert & Co., Göttingen

Magis timeo neglectionem literarum nocituram ecclesiis, quam arma adversariorum, etsi minantur atrociter. (Melanchthon an Amsdorf, 1540)

Vorwort

Die existentielle Bedeutung der theologischen Auseinandersetzungen, in denen Melanchthon sich seit seiner Übersiedlung nach Wittenberg befand und wie sie sich in dem Zitat ausdrücken, erschloß sich mir in besonderer Weise während meiner Mitarbeit an der Edition der „Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche im 16. Jahrhundert". Ich erhielt durch dieses zunächst von der DFG geförderte und dann 1996 von der Mainzer Akademie der Wissenschaft und der Literatur übernommene Projekt die Gelegenheit, die theologische und politische Brisanz dieses Ringens um eine schriftgemäße Theologie in besonders anschaulicher Weise durch ein umfangreiches Quellenstudium kennenzulernen. Dabei wurde ich darauf aufmerksam, daß die theologische Forschung die Thematik des liberum arbitrium in den Schriften vieler bedeutender Theologen immer wieder aufgegriffen hat, jedoch nicht bei Melanchthon, obwohl er an vorderster theologischer und damit auch (kirchen-)politischer Front kämpfte. Es war dabei sein Antrieb, eine schriftgemäße Lehre in das Zentrum der Disputationen und Diskussionen zu stellen, um der Wahrheit des christlichen Glaubens die Ehre zu geben. Dieses Bemühen Melanchthons, das reformatorische sola scriptura bei der Ausdeutung eines Begriffes zur Geltung zu bringen, der starke philosophische Implikationen aufweist und auch heute noch in einer aktuellen Diskussion - nun zwischen Physikern, Mathematikern und Neurologen - von großer Bedeutung für die Anthropologie ist, hat mich veranlaßt, die Willenslehre in Melanchthons Theologie zum Gegenstand meiner Dissertation zu wählen. Das Vorwort ist der rechte Ort, allen zu danken, die maßgeblich zum Gelingen meines Vorhabens beigetragen und mich auf diesem Weg begleitet haben: der

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Vorwort

Bonner Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität für die Annahme der Arbeit als Dissertation im Wintersemester 1998/ 99; meinem „Doktorvater" Herrn Professor Dr. Karl-Heinz zur Mühlen, der in vielfältigen Gesprächen und Diskussionen mit zahlreichen Anregungen nicht nur die Entstehung der Arbeit maßgeblich gefördert hat, sondern mir in besonderer Weise zum theologischen Lehrer geworden ist - auch, weil ich Ernsthaftigkeit in der Sache und Humor auf dem Weg dorthin immer wieder erleben durfte; Herrn Professor Dr. Karl Heinrich Faulenbach für die Erstellung des Zweitgutachtens; der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands für die Gewährung von großzügigen Druckkostenzuschüssen sowie Herrn Prof. Dr. Thomas Kaufmann und Herrn Prof. Dr. Adolf Martin Ritter als Herausgeber der Reihe für die Aufnahme der Arbeit. Es ist das zweifelhafte Privileg der Familie, die Entstehung einer Dissertation in allen Phasen mit Höhen und Tiefen mitzuerleben. Für die Begleitung während dieser Jahre einen herzlichen Dank an meine Eltern, die als Diskussionspartner in inhaltlichen Fragen jederzeit zur Verfügung standen und daneben auch durch ihr unermüdliches Korrekturlesen dieser Arbeit maßgeblich zum Erfolg verholfen haben. Meinen besonderen Dank an meine Frau. Es ist mir auch durch einen noch so großen Diskuss ionsbedarf zum Thema der Arbeit nicht gelungen, ihre Gesprächsbereitschaft zu überfordern. Sie wußte stets mit übertriebener Arbeitswut und Arbeitsunlust geschickt umzugehen, so daß beide Befindlichkeiten ohne negative Auswirkungen auf den Fortgang der Arbeit geblieben sind. Ihre Geduld und Beharrlichkeit scheinen kaum Grenzen zu kennen. Meckenheim, im März 2001 Wolfgang Matz

Inhalt

I.

Einleitung 1. Hinfuhrung zum Thema 1.1 Zur Melanchthon-Forschung 1.2 Die Fragestellung der Arbeit 2. Zur Methode 3. Begründung der Textauswahl

II. Die Willenslehre Philipp Melanchthons, dargestellt anhand ausgewählter Schriften 1. Melanchthons Willenslehre in den Jahren 1518-1521 1.1 Biographische Einleitung 1.2 Die Willenslehre in der Theologica Institutio von 1519 . . . . 1.3 Die Willenslehre in den Rerum theologicarum capita von 1520 1.4 Auswertung 2. Die Willenslehre in den Loci communes rerum theologicarum seu hypotyposes theologicae 1521 2.1 Einfuhrung 2.2 Analyse 2.2.1 Das Kapitel „De libero arbitrio" 2.2.2 Das Kapitel „De peccato" 2.2.3 Die Kapitel „De lege" und „De evangelio" 2.2.4 Die Kapitel „De gratia" und „De iustificatione et fide" 2.3 Auswertung 3. Die Willenslehre von 1522 bis zu den Scholia in Epistolam Pauli ad Colossenses von 1527 3.1 Einfuhrung 3.2 Die Veränderungen in den Thologicae hypotyposes 1522 gegenüber den Loci communes 1521 3.2.1 Die Veränderungen in der Willenslehre 3.2.2 Die Veränderungen in der Lehre von der christlichen Freiheit 3.2.3 Auswertung 3.3 Zur Methode der Schriftauslegung

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Inhalt

8 3.4

4.

5.

6.

7.

Analyse der Willenslehre in den Scholia in Epistolam Pauli ad Colossenses von 1527 3.5 Auswertung Die Willenslehre in den Locorum communium a Melanthone а. 1533. praelectorum fragmenta ex Ms. Bugenhagii Pommerani . . 4.1 Einfuhrung 4.2 Analyse 4.2.1 Das Kapitel „De viribus humanis seu de libero arbitrio" . . . 4.2.1.1 Die theologische Freiheit 4.2.1.2 Die philosophische Freiheit 4.2.2 Das Kapitel „De peccato" 4.2.3 Die Kapitel „De lege Dei" und „De Evangelio" 4.2.4 Das Kapitel „De bonis operibus seu impletione legis" . . . . 4.3 Auswertung Die Willenslehre in den Loci communes theologici recens collecti et recogniti a Philippo Melanthone von 1535 5.1 Einfuhrung 5.2 Analyse 5.2.1 Das Gesetz als Schlüsselbegriff 5.2.2 Evangelium als bedingungslose Verheißung 5.2.3 Der Wille des Menschen und die Werke 5.3 Auswertung Die Willenslehre in den Loci praecipui theologici nunc Denuo Cura et diligentia summa recogniti multisque in locis copiose illustrati von 1543 б.1 Einfuhrung 6.2 Analyse 6.2.1 Kirche als Ort der Verkündigung 6.2.2 Die Verkündigung des Gesetzes in der Kirche 6.2.3 Das Evangelium von Rechtfertigung und Gnade in der Verkündigung der Kirche 6.2.4 Der Wille und die guten Werke des Menschen 6.3 Auswertung Die Willenslehre in Ph. Mel. enarrationes aliquot librorum ethicorum Aristotelis 7.1 Einfuhrung 7.2 Analyse 7.2.1 Einordnung der ethischen Lehre in die göttliche Ordnung . 7.2.2 Die Unterscheidung zwischen einer allgemeinen und einer christlichen Ethik

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Inhalt

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7.2.3 Tugend als Terminus für das Handeln coram mundo 201 7.2.3.1 Melanchthons Interesse an der psychologischen Erklärung tugendhaften Handelns 201 7.2.3.2 Die recta ratio als Norm der Tugend 203 7.2.4 Der menschliche Wille als Ursache der Tugend 205 7.2.5 Der menschliche Wille als Möglichkeit zur Gerechtigkeit . 209 7.3 Auswertung 211 8. Die Willenslehre im Liber de anima von 1553 214 8.1 Einfuhrung 214 8.2 Analyse 216 8.2.1 Gliederung des Liber de anima 216 8.2.2 Die Willenslehre im Liber de anima 221 8.2.2.1 Der intellectus in Wahrnehmung und Erkenntnis als tätiger und passiver Verstand 222 8.2.2.2 Die voluntas als Möglichkeit zur Abkehr von Gott und zur Freiheit in äußeren Handlungen 224 8.3 Auswertung 230 III. Zusammenfassung 1. Die Entwicklung von Melanchthons Willenslehre 2. Hauptgesichtspunkte der Veränderungen von Melanchthons Willenslehre 2.1 Der Ausgangspunkt der Veränderungen 2.2 Die Affektenlehre 2.3 Die Erbsündenlehre 2.4 Die Dialektik von Gesetz und Evangelium 3. Ausblick

232 232 239 239 240 242 245 249

IV. Bibliographie 1. Quellen 2. Sekundärliteratur

252 252 254

V. Register 1. Personen- und Ortsregister 2. Sachregister

269 269 272

I. Einleitung

1. Hinführung zum Thema

„Melanchthon war weder als Theologe noch als Philosoph so bedeutend, daß wir ihn in eine Reihe derer einordnen dürften, von denen die großen geistigen Offenbarungen in der Geschichte der Menschheit ausgegangen sind. Sondern er gehörte, wie Dilthey einmal gesagt hat, zu den meist unterschätzten Geistern, die ohne schöpferisches Vermögen doch eine unermeßliche Wirkung ausgeübt haben. Er gehört also zu den großen Ordnern, welche die Gedanken Größerer überschaubar und lehrbar und damit breiten Schichten und vielen Generationen zum Besitz gemacht haben, etwa wie Cicero, Erasmus, der Aufklärer Christian Wolff u.a. So ist auch Melanchthons Denken ein Knotenpunkt großer geistiger Straßen: sie werden verbunden oder getrennt, abgebogen und weitergeführt. Bei solchen Denkern ist die Ortsbestimmung im großen Straßennetz der Geschichte ebenso wichtig wie die bloße Betrachtung ihres eigenen Systems."1 Mit diesen Worten hat Heinrich Bornkamm einen Vortrag über Melanchthons Menschenbild eingeleitet und darin Melanchthons historische Bedeutung treffend zusammengefaßt. Auch während der Untersuchungen zur vorliegenden Arbeit über die Freiheit des Willens anhand ausgesuchter Schriften Philipp Melanchthons haben sich die Aussagen dieses Zitates vielfach bestätigt. Die geschichtliche Position Philipp Melanchthons ist lange Zeit in der theologischen Forschung von dem Bild Luthers ausgehend beurteilt worden, das diesen als Elia und Melanchthon als Elisa beschreibt. Dieses von Melanchthon selbst geprägte Bild hat zu der Interpretation geführt, Melanchthon als adlatus Lutheri zu sehen. Diese Einschätzung ist sicherlich in der von H. Bornkamm erkannten Tatsache begründet, Melanchthon habe keine eigenen „großen geistigen Offenbarungen" hervorgebracht wie z.B. Luther. Aber gerade deswegen ist die Beobachtung interessant, wie sich Melanchthons Denken als „Knotenpunkt großer geistiger Straßen" in der Zuspitzung auf eine konkrete Fragestellung dem Leser seiner Schriften und Korrespondenzen erschließt.

' HEINRICH BORNKAMM, Melanchthons Menschenbild, in: Walter Elliger (Hg.), Philipp Melanchthon. Forschungsbeiträge zur vierhundertsten Wiederkehr seines Todestages dargeboten in Wittenberg 1960, Göttingen 1961, S. 76-90 (künftig zitiert als „Menschenbild"), S. 76.

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Einleitung

1.1 Zur Melanchthon-Forschung Die Melanchthon-Forschung ist im vergangenen Jahrhundert und in den ersten vier Jahrzehnten dieses Jahrhunderts an Melanchthons Theologie häufig aus der Luther-Perspektive herangetreten. Die Untersuchungen sind daher von zwei Interpretationswegen dominiert worden. Die Interpretationen des ersten Weges heben besonders die Nähe oder sogar die Übereinstimmung von Melanchthons Theologie mit der Martin Luthers hervor und nehmen die Unterschiede zwischen beiden Theologien nicht hinreichend wahr oder sind bemüht, diese weitgehend zu nivellieren. Hierzu sind die Arbeiten von Friedrich Galle, Heinrich Heppe, Albert Herrlinger, Hans Engelland und Friedrich Hübner2 zu zählen. Im Blickpunkt des zweiten Interpretationsweges stehen vor allem die Differenzen zwischen Melanchthonischer und Lutherischer Theologie, wobei die Abweichungen der Theologie Melanchthons von Luthers Theologie als Verderbnis von Luthers reformatorischer Erkenntnis interpretiert werden. Für diese Auffassung sind besonders Albrecht Ritsehl, Otto Ritsehl, Karl Holl und Reinhold Seeberg3 zu nennen. Neben diesen Forschungslinien, die besonders auf die Theologie und weniger auf die Philosophie Melanchthons eingehen, kristallisierte sich eine weitere heraus, deren vorrangiges Interesse auf die philosophischen Wurzeln von Melanchthons Theologie gerichtet ist. Innerhalb dieser Linie sind drei unterschiedliche Interpretationsansätze zu beobachten, die zugleich jeweils fur eine Epoche der Melanchthon-Forschung stehen. Zunächst wurde Melanchthons Theologie eng mit der aristotelischen Philosophie verknüpft, dann mit der neuplatonischen, und schließlich wurde beiden Autoritätenmodellen zugunsten eines positiv verstandenen philosophischen Eklektizismus-Modells eine Absage erteilt.

2 FRIEDRICH GALLE, Versuch einer Charakteristik Melanchthons als Theologen und einer Entwicklung seines Lehrbegriffs, Halle 1840; HEINRICH HEPPE, Dogmatik des deutschen Protestantismus im 16. Jahrhundert, Bd. 1, Gotha 1857; ALBERT HERRLINGER, Die Theologie Melanchthons in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Zusammenhange mit der Lehrgeschichte und Culturbewegung der Reformation dargestellt, Gotha 1879; HANS ENGELLAND, Die Frage der Gotteserkenntnis bei Melanchthon. Diss.theol. Tübingen, München 1930; FRIEDRICH HÜBNER, Natürliche Theologie und theologische Schwärmerei bei Melanchthon, Gütersloh 1936. 3

ALBRECHT RLTSCHL, T h e o l o g i e und Metaphysik, B o n n 2 1 8 8 7 ; OTTORITSCHL, D o g m e n -

geschichte des Protestantismus. Grundlagen und Grundzüge der theologischen Gedanken- und Lehrbildung in den protestantischen Kirchen, Bd. 2, Leipzig 1912; KARL HOLL, Die Rechtfertigungslehre im Licht der Geschichte des Protestantismus, (SGV 45) Tübingen 1906; REINHOLD SEEBERG, Lehrbuch der Dogmengeschichte. Bd. IV, 2. Hälfte, Die Fortbildung der reformatorischen und die gegenreformatorische Lehre (nebst alphabetischem Register über alle vier Bände), 2. u. 3. durchweg neu ausgearbeitete Auflage, Erlangen 1920.

Zur Melanchthon-Forschung

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Eröffnet wurde der Diskurs durch die Arbeit von Ernst Troeltsch, Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Melanchthon, Göttingen 1891. Er fuhrt die Psychologie Melanchthons auf Aristoteles zurück und versteht von daher die Vernunftbegabung des Menschen in Melanchthons Theologie als Anknüpfungspunkt für die göttliche Offenbarung. Als materialen Anknüpfungspunkt sieht Troeltsch die lex natura, der in der göttlichen Offenbarung die lex divina korrespondiert. Beiden Teilen des Gesetzes wird eine Erkenntnissphäre der menschlichen Seele zugeordnet, wodurch die Möglichkeit der menschlichen Freiheit einsichtig wird. Der lex natura wird der habitus intellectualis zugeordnet, der lex divina die theologische Erkenntnis. Für beide Erkenntnisweisen bediene sich Gott der menschlichen Seelenvermögen, wodurch der Mensch zu einer freien Erkenntnis kommen könne. Troeltsch erkennt bei Melanchthon eine enge Verbindung zwischen diesen psychologischen Aussagen und der Distinktion von Gesetz und Evangelium, wodurch das theologische Nebeneinander von freiem und unfreiem Willen verstanden werden kann. Für seine Untersuchung zieht Troeltsch überwiegend späte Schriften Melanchthons heran, was sich eher aus der Intention seiner Arbeit als aus einer inhaltlichen Notwendigkeit ableiten läßt. Er untersucht die Wirkung Melanchthons in der protestantischen Orthodoxie am Beispiel Johann Gerhards und überträgt daher einige Erkenntnisse aus der Orthodoxie auf Melanchthon. Den Argumentationsaufbau Melanchthons weist er als aristotelisch nach. Melanchthon wolle theologische Aussagen für den Verstand nachvollziehbar machen, der in allen Argumentationsgängen bedeutungsvoll sei. Ebenfalls auf einen großen aristotelischen Einfluß auf Melanchthons Theologie weist Peter Petersen hin.4 Melanchthon habe einen rationalistischen Glaubensbegriff, bei dem der Glaube zur Anerkennung der Offenbarung in der Heiligen Schrift und zu den Symbolen der protestantischen Kirche tendiere. Dabei legt auch Petersen seiner Untersuchung vor allem die späteren Melanchthon-Schriften zugrunde, in denen er die Vernunftbestimmtheit des menschlichen Willens und die Unterordnung der niederen Affekte unter den Willen findet. Melanchthon sehe in der Vernunftbegabung die Möglichkeit des Menschen zu kontingentem Handeln, das sich in Form von Zustimmung oder Ablehnung auch auf den Glauben beziehe. Diese Rationalisierung des Glaubensbegriffes bei Melanchthon wertet Petersen als Indiz für die aristotelische Tradition, in der Melanchthons Theologie stehe. Nach dem II. Weltkrieg sind mehrere Arbeiten erschienen, die in Melanchthons Theologie immer noch einen wichtigen Einfluß der aristotelischen Philosophie entdecken. Im Folgenden werden aus diesem Bereich drei Arbeiten 4

PETER PETERSEN, Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland, Leipzig 1921 und DERS., Aristotelisches in der Theologie Melanchthons, in: ZPPK 164, Reformationsheft 1917, S. 149-158.

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Einleitung

aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für die vorliegende Untersuchung zur Willenslehre Melanchthons herausgegriffen. Wilhelm H. Neuser analysiert einige frühe Schriften und Reden, um den Ansatz von Melanchthons Theologie herauszuarbeiten, und beschränkt sich dabei weitgehend auf den Betrachtungszeitraum bis 1522.5 Neuser sieht in den Loci 1522 den Abschluß einer Entwicklung Melanchthons vom Humanisten über den Theologen zu einem protestantischen Humanisten. Kriterium ist dabei das Verhältnis von Philosophie und Theologie, das Melanchthon in diesen Jahren unterschiedlich beschreibt. Neuser beobachtet bei Melanchthon zunächst eine positive Einstellung zur Philosophie, die ganz im humanistischen Sinne der Sittenverbesserung des Menschen diene. In den Loci 1521 werde dann die Philosophie von Melanchthon verdammt, jedoch ohne das humanistische Ideal der Sittenverbesserung aufzugeben. Aufgrund der Wittenberger Unruhen 1521/22 erkenne Melanchthon die Notwendigkeit der Philosophie erneut, wodurch schließlich in den Loci 1522 Humanismus und Reformation in „endgültiger Synthese" 6 vereinigt seien. In einem Ausblick bis 1527 erläutert Neuser, daß Melanchthon niemals die aristotelische Basis verlassen habe und von daher sowohl die Rhetorik als auch die Ethik von Aristoteles her wieder in seine Theologie integrieren konnte. Die Voraussetzungen dafür seien aber bereits 1522 vollständig gegeben. Dem widerspricht Paul Schwarzenau, der vor allem theologische Begründungen für den Wandel in Melanchthons Theologie anführt. 7 Sein Interesse gilt besonders der theologischen Ausrichtung Melanchthons. Er betrachtet dessen theologisches System der ersten fünf oder sechs Jahre als einen sich entwickelnden Vorläufer, der durch den Bauernaufstand und durch die daraus von Melanchthon gezogenen Konsequenzen eine neue Vollständigkeit erhalte, die sich jedoch erst 1532 im Kommentar zum Römerbrief endgültig manifestiere und schließlich 1535 in den Loci communes in ein System gebracht werde. Schwarzenau erklärt die Veränderungen von den Loci communes 1521 zu der neuen, bearbeiteten Auflage 1522 im Gegensatz zu Neuser nicht aus Melanchthons humanistischen Interessen, sondern aus Melanchthons Beeinflussung durch die Lehre Luthers. Es gehe letztlich um die Bewahrung des Evangeliums. Dieses sei der Antrieb, eine Lehre vom duplex regimen zu entwickeln, die in den Loci communes von 1521 noch nicht vorkomme. Melanchthon komme in seiner Theologie bis zum Römerbrief-Kommentar 1532 „ohne Zuhilfenahme eines psychologischen Sche-

5 WILHELM H. NEUSER, Der Ansatz der Theologie Philipp Melanchthons, Diss.masch. Göttingen, Göttingen 1950; erschienen unter dem gleichen Titel, jedoch überarbeitet: (BGLRK 9: Melanchthon-Studien, Teil 1) Neukirchen 1957 (künftig zitiert als „Ansatz"). 6 W.H. NEUSER, Ansatz, S. 135. 7 PAUL SCHWARZENAU, Der Wandel im theologischen Ansatz bei Melanchthon von 1525-1535, Gütersloh 1956 (künftig zitiert als „Wandel").

Zur Melanchthon-Forschung

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mas"8 aus. Erst im Römerbrief-Kommentar 1532 werde der Zusammenhang von Wille, Glaube und Geist deutlich, der zu der Kontingenzaussage menschlichen Handelns in beiden Bereichen göttlichen Handelns führe - sowohl in der actio Dei generalis als auch in der actio Dei specialis - , wie sie in den Loci communes 1535 getroffen werde. Schwarzenau weist dabei auf die Veränderung der Einstellung Melanchthons zur Philosophie seit 1524 hin, das argumentative Gewicht trägt jedoch die theologische Veränderung Melanchthons. Sowohl Neuser als auch Schwarzenau untersuchen jeweils einen Ausschnitt aus Melanchthons theologischem Werk, wobei Neuser eine Analyse der frühen Jahre vornimmt und hier die entscheidenden Veränderungen findet. Schwarzenau betrachtet eben diese Veränderungen als Anfangsetappe auf Melanchthons Weg zu einem theologischen System. Die eigentliche Systembildung finde erst in den Jahren 1525 bis 1535 statt. Neuser und Schwarzenau haben eine Entwicklung in Melanchthons Theologie festgestellt. Mit diesem Ergebnis stimmt Helmut Gerhards in seiner Dissertation „Die Entwicklung des Problems der Willensfreiheit bei Philipp Melanchthon" von 1955 überein.9 Er legt keinen Betrachtungszeitraum fest, sondern bezieht auch einige spätere Schriften in seine Untersuchung ein. Gerhards geht von einer humanistischen Grundausrichtung Melanchthons aufgrund dessen Ausbildung aus, von der Melanchthon sich unter dem Einfluß Luthers und dessen Theologie entferne. Ein deutlicher Indikator dieser Entwicklung sei Melanchthons Lehre vom unfreien Willen in den Loci communes 1521. Melanchthon lehne die Lehre vom freien Willen ab, da der Mensch vor Gott kein meritum verdienen könne; des weiteren verdunkele die Behauptung des liberum arbitrium die beneficia Christi. Die Prädestinationslehre diene wie bei Luther der Gewißheit der Rechtfertigung. So seien Melanchthon die theologischen Lehren vom servum arbitrium und von der Prädestination loci consolatorii. Melanchthon schließe in die Unfreiheit die äußeren Dinge nicht ein. Diese Antinomie stelle die Unbedingtheit Gottes gegen die Freiheit der Person und umgekehrt. Als wichtig betrachtet Gerhards im System Melanchthons die Unterstützung der Lehre vom unfreien Willen durch die Affektenlehre. Melanchthon beschränke seine Aussage damit nicht auf die geistlichen Dinge, sondern mache sie psychologisch faßbar und ordne sie dem Verstand zu. Auch Gerhards geht in seiner Untersuchung auf die Verankerung der lex natura in der menschlichen Natur ein und beurteilt sie als den Ausgangspunkt für die spätere Lehre von der relativen Willensfreiheit.

8

9

P. SCHWARZENAU, W a n d e l , S. 81.

HELMUT GERHARDS, Die Entwicklung des Problems der Willensfreiheit bei Philipp Melanchthon. Diss.phil. Bonn, Bonn 1955 (künftig zitiert als „Entwicklung").

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Einleitung

Bereits 1522 findet Gerhards eine leichte Verschiebung innerhalb der Lehre Melanchthons vom unfreien Willen. Als Ursprung der Sünde betrachte Melanchthon nicht mehr die unkontrollierbaren Affekte, sondern den Verstand. Nachdem vorher der Wille dem Verstand vorgeordnet war, werde nun ein gleichberechtigtes Verhältnis angenommen, da der Wille vom Urteil des Verstandes abhänge. Aber auch hier seien die Affekte durch den Willen nicht kontrollierbar. Mit den Visitationsartikeln von 1527 weist Gerhards einen Einschnitt in der Willenslehre Melanchthons auf. Die Bedürfnisse der äußeren Ordnung stünden nun wieder stärker im Mittelpunkt. Melanchthon habe bei seinen Visitationen erfahren müssen, daß die Lehre der Unfreiheit des Willens falsch verstanden wurde; eine sittliche und moralische Verantwortung für die eigene Handlung wurde von vielen Menschen nicht mehr gesehen. Gerhards hebt als Zentralproblem das Verhältnis von Kontingenz und Kausalität an dieser Stelle in Melanchthons Theologie hervor. Melanchthon löse das Problem nach 1527 im Sinne Augustins und der Scholastik damit, daß Gott den Menschen nur gemäß seiner schöpfungsmäßigen Naturanlage bewege. So erfülle der Mensch mit seiner freien Willensentscheidung, die er aber nur in äußeren Dingen habe, den Willen Gottes. Damit hebe Melanchthon die Notwendigkeit (necessitas) nicht zugunsten der Kontingenz auf, sondern unterscheide die Notwendigkeit im Sinne der Tradition in necessitas absoluta und necessitas consequentiae\ lediglich in letzterer habe der Mensch seine Freiheit. So Weise Melanchthon der philosophischen Freiheit ihren festen Raum zu, der durch die Rechtfertigungs- und Gnadenlehre begrenzt werde. Die Freiheit reiche nicht so weit, daß der Mensch sich mit seinem Willen entscheiden könne, vor Gott als gute Werke anerkannte Taten zu vollbringen. Hierzu bleibe die Wirkung des Heiligen Geistes unabdingbar. Gerhards findet den Determinismus der Loci communes von 1521 in den Schriften nach 1527 nicht mehr. Die Möglichkeit, einen gebundenen Willen ohne Determinismus zu lehren, bestehe in einem Eklektizismus aus stoischer Verknüpfung von Kausalität und Willensfreiheit und dem aristotelisch-scholastisch verwendeten Begriff von Kontingenz und Notwendigkeit. Als Endpunkt der Entwicklung gibt Gerhards die Loci communes 1533 bzw. 1535 an und terminiert somit ähnlich wie Schwarzenau. Gerhards versteht die folgenden Schriften Melanchthons hinsichtlich der Willensfreiheit nicht mehr als Weiterentwicklungen oder bedeutende Veränderungen, so daß sich die Darstellung der Willenslehre in diesen Schriften auf wenige Sätze mit Hinweis auf bereits bei ihm Gesagtes beschränkt. Die Arbeit von Gerhards ist die einzige, die sich mit dem gleichen Thema auseinandersetzt wie die vorliegende Untersuchung. Gerhards argumentiert jedoch aus der philosophischen Perspektive, so daß er theologische Begriffsklärungen weitgehend unterläßt. Er weist aber darauf hin, daß Melanchthons Lehre eklektisch verfährt und stellt damit gegenüber den beiden zuvor dargestellten Arbeiten

Zur Melanchthon-Forschung

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eine erweiterte These auf. Weder Neusers Orientierung am Humanismus noch die auf die Theologie fixierte Darstellung Schwarzenaus kann die Beobachtungen überzeugend belegen. Die Arbeit von Gerhards bildet mit der Aufweichung des aristotelischen Erklärungsmusters beinahe den Endpunkt der Melanchthon-Forschungsepoche, die besonders auf die aristotelische Philosophie als Erklärungsgrundlage für die Veränderungen von Melanchthons Theologie zurückgegriffen hat.10 Wilhelm Maurer verschob in den 60er Jahren das Interesse auf den Platonismus als Grundlage melanchthonischen Denkens.11 Aufgrund der philosophischen Ausbildung unter dem Einfluß Reuchlins sei bei Melanchthon das Interesse für Piaton in neuplatonischer Auslegung geweckt worden. Von dieser Grundausrichtung habe sich Melanchthon nicht mehr abgewendet, so daß er zwar auch den Aristotelismus in platonischer Deutung in seine Theologie aufgenommen habe, als Philosoph aber stets Platoniker geblieben sei. Dabei trenne Melanchthon Philosophie und Theologie im Sinne der reformatorischen Dialektik von Gesetz und Evangelium. Eine Erkenntnis des Gesetzes sei dem Menschen möglich; ausgeschlossen bleibe jedoch die rationale Erkenntnis Gottes. In der Gesetzeserkenntnis sei eine natürliche Erkenntnis von der Existenz Gottes gegeben, die jedoch in einer passiven Empfänglichkeit des Menschen bestehe und auf der Gottebenbildlichkeit des Menschen beruhe. Durch den Sündenfall sei die innere Ordnung der menschlichen Kräfte verlorengegangen, so daß die Kräfte nicht mehr mit dieser natürlichen Erkenntnis übereinstimmten. Als bestimmende Kräfte interpretiere Melanchthon die menschlichen Affekte, denen auch die Vernunft nicht widerstehen könne. Die Bestimmung des menschlichen Herzens durch die verkehrten Affekte verhafte den Menschen unter die Sünde, aus der er sich durch den unfreien Willen nicht befreien könne, weil der Wille den Affekten unterliege. In der überarbeiteten Auflage der Loci communes von 1522 nimmt Maurer eine Veränderung wahr. Der Intellekt des Menschen sei nun nicht mehr seinem Willen untergeordnet. Durch die verdunkelte Erkenntnis entstünden Unglaube und Verachtung Gottes in der Vernunft des Menschen. Maurer erklärt dieses neue, rationalistische Sündenverständnis mit einem erneuten Durchbrechen der platonischen Basis melanchthonischer Philosophie. Die natürliche Erkenntnis des 10 In diese „Epoche" gehört sicherlich auch HANS-GEORG GEYER mit seiner Dissertation „Welt und Mensch. Zur Frage des Aristotelismus bei Melanchthon. Diss. Bonn, Bonn 1959". Das besondere Verdienst GEYERS besteht in der Betonung von Melanchthons Affektenlehre als Schlüssel zu dessen Anthropologie. GEYER verweist besonders auf die geschenkte Freiheit und vermindert dabei aber die Bedeutung der äußeren Freiheit des Menschen zu sehr. 11 WILHELM MAURER, Der junge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation, Bd. 1. Der Humanist, Göttingen 1967 (künftig zitiert als „Melanchthon I") und DERS., Der junge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation, Bd. 2. Der Theologe, Göttingen 1969 (künftig zitiert als „Melanchthon II").

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Einleitung

Menschen in Melanchthons Theologie versteht Maurer im Sinne einer apriorischen Erkenntnis, wie sie im Piatonismus vertreten worden ist. Diese Erkenntnis werde durch die Sünde verdunkelt. In dem der Wille dem Verstand in seiner Sünde zustimme, werde die menschliche Verantwortung für seine Sündentaten deutlicher als durch das vorher von Melanchthon vertretene psychologische Schema, das die Sünde auf die Affekte zurückführt, denen Wille und Verstand unterworfen seien. Maurer konstatiert eine weitere Wandlung von Melanchthons Aussagen im Jahr 1527 und kurz danach, sieht in dieser jedoch keine bedeutende Veränderung. Melanchthon höre einfach auf, gegen die Verwendung des liberum arbitrium im Bereich der iustitia originalis zu polemisieren. Dagegen hebe er von da an die Freiheit philosophischer, sittlicher und politischer Entscheidung im Bereich der iustitia civilis hervor. Auch Maurers Analyse erweist - wie die Neusers - eine Veränderung in der Willenslehre Melanchthons zwischen den Loci communes 1521 und der überarbeiteten Auflage von 1522. Auch er fuhrt diese Veränderungen auf das Auftreten der Schwärmer in Wittenberg und auf die Wittenberger Unruhen zurück. Anders als Schwarzenau betrachtet Maurer die weiteren Veränderungen nicht mehr als bedeutend, sondern als Folge dieses ersten, wichtigen Wandels von Melanchthons Psychologie. Trotz ihrer unterschiedlichen philosophischen Intentionen kommen alle bisher dargestellten Arbeiten zu dem Ergebnis, daß eine Veränderung oder Entwicklung in der Lehre Melanchthons vorliegt. Sie nennen über den äußeren Anlaß der Wittenberger Unruhen und das Auftreten der Schwärmer hinaus überwiegend systemimmanente Gründe für Melanchthons theologische Entwicklung und terminieren die Wendepunkte unterschiedlich. Die Veränderungen von Melanchthons Theologie und Willenslehre werden auf die philosophische Basis seiner Ausbildung zurückgeführt. Die Grunddifferenz zwischen den genannten Arbeiten besteht darin, die Basis entweder in der aristotelischen Philosophie bzw. in einem auf dieser Philosophie fußenden Humanismus zu sehen oder aber im Neuplatonismus zu entdecken, der seine Wurzeln in der Florentiner Akademie hat. Über den Einfluß Luthers hinaus werden selten theologische Gründe an den Wendepunkten von Melanchthons Theologie angegeben. Siegfried Wiedenhofer und Günter Frank untersuchen in ihren Arbeiten, deren Erscheinen fast 20 Jahre auseinanderliegt, die Quellen melanchthonischer Philosophie und Theologie, ohne sich auf eines der beiden Autoritätenmodelle zu stützen. Beide betrachten Melanchthon im positiven Sinne als philosophischen Eklektiker, der verschiedene Theorien für die Theologie fruchtbar macht.

Zur Melanchthon-Forschung

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Wiedenhofer12 hebt vor allem auf die humanistische geistige Herkunft Melanchthons ab. Anhand der Theologie des Erasmus von Rotterdam erweist Wiedenhofer humanistische Theologie als „Koexistenz von widersprüchlichen Elementen"13, die sich sowohl aus unterschiedlichen philosophischen als auch aus verschiedenen scholastischen Strömungen speist. Jedoch zweifelt Wiedenhofer die These Maurers grundsätzlich an, indem er den Piatonismus nicht als Fundament von Melanchthons Philosophie sieht. Er verweist dagegen auf die allgemeine Aufnahme platonisch-philosophischer Motive in die Theologie. Die Bedeutung von Wiedenhofers Arbeit für die vorliegende Untersuchung zur Willenslehre Melanchthons besteht in der Analyse von Strukturen unterschiedlicher Traditionen, die in Melanchthons Theologie über den Humanismus eingedrungen sind. Zur Willenslehre Melanchthons äußert sich Wiedenhofer nicht eingehend, erhellt aber den Hintergrund, auf dem sich die Veränderungen melanchthonischer Willenslehre abzeichnen können. Günter Frank stellt seine Arbeit „Die theologische Philosophie Philipp Melanchthons"14 in den Kontext der Debatte um das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung. Sein besonderes Interesse richtet Frank auf das Problem der natürlichen Gotteserkenntnis in der theologischen Philosophie Melanchthons. Anhand dieser Thematik weist er auf, daß Melanchthon eklektischer Philosoph im positiven Sinne gewesen sei. Melanchthon dürfe nicht auf eine philosophische Schule festgelegt werden. Dessen Aussagen zu den notitiae naturales, die Frank für die Klärung des Verhältnisses von Vernunft und Offenbarung bei Melanchthon in einer zentralen Stellung sieht, entsprechen der platonischen Urbild-Abbild-Theorie und führen letztlich zu einem „Verlust der wesensmetaphysischen Perspektive der mittelalterlich-scholastischen Philosophie"15. Die Gotteserkenntnis des endlichen, menschlichen Geistes geschehe durch die dem Menschen eingestifteten notitiae naturales. Frank versteht Melanchthons Erkenntnistheorie als platonische Metexistheorie. In der Psychologie lege Melanchthon jedoch das aristotelische Schema zugrunde. Zusammenfassend beschreibt Frank die Philosophie Melanchthons als „theo-rationalistischen Typ der humanistischen Philosophie"16, aus dem sich trotz der theonomen Begründung eine Subjektphilosophie erkennen lasse. Auch Frank geht - wie Wiedenhofer - auf die Willenslehre nur am Rande ein. Aus der zusammenfassenden Definition melanchthonischer Philosophie ergibt sich 12

SIEGFRIED WIEDENHOFER, Formalstrukturen humanistischer und reformatorischer Theologie bei Philipp Melanchthon, (RSTh 2/I+II) Bern/Frankfurt a.M./München 1976 (künftig zitiert als „Formalstrukturen"). 13

S. WIEDENHOFER, F o r m a l s t r u k t u r e n , S. 8 4 .

14

GÜNTER FRANK, Die theologische Philosophie Philipp Melanchthons (1497-1560), (EThSt 67) Hildesheim 1995 (künftig zitiert als „Philosophie"). 15

G . FRANK, P h i l o s o p h i e , S. 3 3 6 .

16

G. FRANK, P h i l o s o p h i e , S. 3 3 7 .

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Einleitung

jedoch theologisch gesprochen die Dialektik von Gesetz und Evangelium, in der die theologische Anthropologie den Menschen betrachtet. Gesetz und Evangelium stellen somit auch den Rahmen für die Untersuchung der theologischen Willenslehre Melanchthons dar. Aus theologischer Perspektive ist jedoch zu fragen, ob die Analyse von Melanchthons Philosophie zur Klärung theologischer Fragen unmittelbar oder eher nur mittelbar beitragen kann; oder präziser: ob die beobachteten Veränderungen in Melanchthons Theologie philosophisch oder doch eher theologisch bedingt sind. Die Mehrzahl der Arbeiten legt ihr Gewicht auf die philosophische Betrachtung. Es liegt in dieser Perspektive begründet, daß dadurch die Untersuchung theologischer Einflüsse auf Melanchthons Theologie zurückgestellt wird, obwohl Melanchthon mindestens in gleicherweise als Theologe wie als Philosoph in Erscheinung getreten ist und besonders als Theologe in die Auseinandersetzungen der Reformationszeit eingebunden war. Es lohnt daher, aus einer theologisch gewichteten Perspektive die Entwicklung von Melanchthons Theologie zu untersuchen, wobei die philosophischen Grundvoraussetzungen und Einflüsse nicht übergangen werden dürfen. Besonders auffällig ist bei den Arbeiten bis in die 60er Jahre die Beschränkung der Untersuchung zu Melanchthons Theologie auf wenige Jahre von Melanchthons Wirken. Zwar wird diese zeitliche Begrenzung jeweils inhaltlich begründet; es bleibt aber stets die Frage, ob die ausgeblendeten Lebensjahre Melanchthons und seine in dieser Zeit entstandenen Schriften tatsächlich keine neuen Aspekte zu Melanchthons Theologie enthalten, die eine Analyse lohnen. Häufig werden die letzten beiden Lebensdekaden Melanchthons ausgeblendet oder aber aus philosophischer Perspektive ohne Anbindung an die früheren Melanchthonschriften betrachtet.17

1.2 Die Fragestellung der Arbeit Diese im Hinblick auf die Melanchthon-Forschung formulierten Desiderate können nun in bezug auf die Untersuchung zur Willenslehre Melanchthons konkretisiert werden. Das Interesse, Melanchthons Willenslehre zum Gegenstand einer Untersuchung zu machen, ist daraus erwachsen, daß es eine Vielzahl von Literatur über die Auseinandersetzung zur Willenslehre zwischen Luther und Erasmus gibt, aber nur die eine Arbeit von Helmut Gerhards, die speziell die Willenslehre bei Melanchthon untersucht. Die Willenslehre Melanchthons wird ansonsten in der dargestellten Literatur nur als Randproblem gestreift. 17 Einen weiteren Überblick über aktuelle Veröffentlichungen zum Thema vgl. WOLFGANG MATZ, Zur historischen Philosophie und Anthropologie sowie zum historischen und geographischen Umfeld Philipp Melanchthons, in: VuF 45, 2000, S. 46-60, bes. S. 46-58.

Die Fragestellung der Arbeit

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Aus drei Gründen ist das fehlende Interesse an der Thematik „Willensfreiheit bei Melanchthon" unverständlich. Erstens kann die Bedeutung Melanchthons für die Reformation und ihre Fragestellungen - zu denen auch die Willenslehre gehört - aufgrund seiner theologischen und politischen Tätigkeit kaum überschätzt werden. Zweitens hatte Luther selbst das Problem von Gnade und Willensfreiheit als den Kern der Dinge in der Auseinandersetzung mit der altgläubigen Theologie bezeichnet.18 Dabei wird der Stellenwert der Frage, ob der Mensch einen freien Willen hat, für Luther darin deutlich, daß er das Problem der Willensfreiheit mit der Gnadenlehre verknüpft, die bei seiner reformatorischen Entdeckung in der Frage nach dem gnädigen Gott die entscheidende Rolle gespielt hat. Es liegen zahlreiche Untersuchungen besonders zur Theologie des jungen Melanchthon vor, die aber das Problem der Willensfreiheit nur streifen oder weitgehend ausklammern. Drittens hatte Wilhelm Maurer 1958 in einem Aufsatz daraufhingewiesen, daß Melanchthon an dem Streit zwischen Erasmus und Luther nicht unbeteiligt gewesen ist, auch wenn die beiden Kontrahenten seinen Namen nur äußerst selten erwähnen.19 Aus diesen drei Beobachtungen lassen sich zwei Schlußfolgerungen ziehen: Erstens weist die gemeinsame Nennung von Gnade und Willensfreiheit als zentrale theologische Themen auf die Notwendigkeit hin, die Aussagen zum menschlichen Willen in der Theologie in enger Verknüpfung mit anderen theologischen Topoi, wie z.B. Rechtfertigung und Gnade, zu untersuchen. Dabei ist zu berücksichtigen, welche wechselseitigen Einflüsse zwischen diesen Themen zu Veränderungen der Aussagen zum menschlichen Willen führen. Zweitens liegt es aufgrund der von Maurer konstatierten Beteiligung Melanchthons am Streit zwischen Luther und Erasmus nahe, Melanchthons Aussagen zur menschlichen Willensfreiheit als Gegenstand einer Untersuchung zu wählen und die externen Einflüsse auf Melanchthons Willenslehre zu untersuchen. Es ist bekannt, daß Melanchthon durch seinen Kontakt zu Luther und Erasmus geistig beeinflußt wurde. Erasmus steht dabei stellvertretend für den humanistischen Einfluß, wobei Melanchthon in den ersten Jahren seiner Ausbildung vor allem durch Johannes Reuchlin mit humanistischem Gedankengut in Berührung kam. Melanchthons Verbundenheit mit humanistischen Kreisen in Deutschland findet Ausdruck im Briefwechsel mit zahlreichen zeitgenössischen Humanisten, die größtenteils der Reformation sehr nahe standen. Luthers theologisches Anliegen wuchs schnell zu einer Reformbewegung, die vor allem in humanistischen Kreisen große Zustim18

Vgl. WA XVIII, 721,25 und aaO., 786,26-29: „Deinde et hoc in te [Erasme, Anm. d. Verf.] vehementer laudo et praedico, quod solus prae omnibus rem ipsam es agressus, hoc est summam caussae, nec me fatigaris alienis illis caussis de Papatu, purgatario, indulgentiis ac similibus nugis potius quam caussis, in quibus me hactenus omnes fere venati sunt frustra." " Vgl. WILHELM MAURER, Melanchthons Anteil am Streit zw. Luther und Erasmus, in: ARG 49, 1958, S. 89-115.

Einleitung

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mung fand. Dabei zeigt sich die sowohl einende als auch spaltende Kraft der Ideen Luthers. „Fast nur solche Humanisten fallen Luther zu, die jünger sind als er; alle großen Männer der älteren Generation, Erasmus, Reuchlin, Zasius und Wimpfeling, Pirckheimer und Peutinger, wenden sich im Laufe der Zeit von ihm ab."20 Viele der jüngeren Humanisten aber - und allen voran Melanchthon - suchen den Kontakt zu Luther. Der Einfluß Luthers auf Melanchthon schlägt sich besonders in der theologischen Prägung Melanchthons nieder. In der engen Zusammenarbeit mit Luther lernt Melanchthon die Auseinandersetzung zwischen Luthers reformatorischer und der altgläubigen Theologie von ihrem Beginn an kennen, soweit sie sich in der „Öffentlichkeit" und nicht als innerer Glaubenskampf in Luther selbst abspielt. Mit der Theologie des Hoch- und Spätmittelalters war Melanchthon aufgrund seiner universitären Ausbildung vertraut, und er war aufgrund seiner humanistischen Prägung dieser gegenüber in ihrer scholastischen Erscheinungsform kritisch eingestellt. Hieraus ergibt sich für ihn ein eigener Zugang zu Luthers theologischem Anliegen, das in Melanchthons Theologie eine spezielle Ausprägung erfahren hat. Philipp Melanchthon und seine theologische Tätigkeit befinden sich im Schnittpunkt von drei unterschiedlichen Strömungen, wenn man neben Humanismus und lutherisch-reformatorischer Theologie auch die Theologie des Hochund Spätmittelalters ohne ihre Spezifikationen jeweils als eine Strömung rechnet. Diese Strömungen bilden den Hintergrund, vor dem die Willenslehre in ausgewählten Schriften Melanchthons untersucht werden soll. Aufgrund der von Luther geäußerten zentralen Bedeutung dieses Problems werden in dieser Arbeit neben dem locus vom menschlichen Willen auch die theologischen loci erörtert, deren Darstellung in Melanchthons Theologie einen Einfluß auf die Willenslehre vermuten lassen bzw. deren Aussagen von der Willenslehre mitbestimmt werden. Dabei ist davon auszugehen, daß auch verschiedene andere Faktoren zu Veränderungen von Melanchthons Theologie und seiner politischen Tätigkeit fur die sächsischen Kurfürsten, durch die er für einige Jahre im Zentrum der Kontroverse um die Spaltung der Kirche stand, geführt haben. Diese Arbeit geht also von den Fragen aus, wie Melanchthon sich zum Thema Willensfreiheit im Verlauf seines theologischen Schaffens äußert, wie sich seine diesbezüglichen Aussagen im Laufe der Jahre verändern und welche externen und inneren Ursachen in Melanchthons Theologie diese Veränderungen ausgelöst haben könnten.

20

BERND MOELLER, Die deutschen Humanisten und die Anfänge der Reformation, in: ZKG 70, 1959, S. 46-61 (künftig zitiert als „Humanisten"), S. 56.

2. Zur Methode

Da es in dieser Arbeit neben der Darstellung der Willenslehre auch um eine mögliche Entwicklung der diesbezüglichen Aussagen Melanchthons geht, wird sich der Aufbau der Arbeit an der Chronologie der untersuchten Schriften orientieren. Dabei soll Melanchthons Verständnis vom menschlichen Willen in jeder der berücksichtigten Schriften in einer intensiven Textanalyse ermittelt werden. Die Analyse wird sich dabei nicht nur auf die unmittelbaren Aussagen zur Willenslehre konzentrieren, sondern aufgrund der zentralen Stellung der Thematik in der reformatorischen Theologie auch die Verknüpfung mit anderen Topoi wie z.B. Sünde, Gesetz, Gnade, Rechtfertigung u.a. berücksichtigen. Aufgrund dieser Verknüpfungen bietet es sich an, den locus von der menschlichen Willensfreiheit als konkreten Bezugspunkt zu wählen, von dem aus in die anderen Topoi hineingefragt werden kann, um unter dieser Fragehinsicht einen Überblick über Melanchthons reformatorische Theologie zu erhalten. Dabei sollen die zeitlichen Umstände, in denen die Aussagen Melanchthons stehen, jeweils berücksichtigt werden, die häufig den Hinweisen, die Melanchthons Schriften selber geben, entnommen werden können. Die Beachtung des zeitlichen Kontextes von Melanchthons Aussagen zur Willenslehre und der damit verbundene chronologische Aufbau der Arbeit bedingt Doppelungen einiger Aussagen, wenn sie Beobachtungen enthalten, die bereits anhand einer früheren Schrift festgehalten werden konnten, aber im Kontext von Aussageveränderung unverzichtbare Bezugspunkte zu Melanchthons Theologie darstellen. Dieses Negativum wird jedoch dadurch aufgewogen, daß Veränderungen häufig auf zeitgenössische Einflüsse zurückzufuhren sind und sich dann auch nur von diesen her erschließen lassen. Melanchthons Theologie ist wie die der meisten Theologen kein monolithischer Block, der durch eine begrifflich systematisierte Untersuchung als ganzer erfaßt werden kann. Die Dynamik von Melanchthons theologischem und politischem Leben schlägt sich in seinen Schriften nieder. Die Analyse der Texte folgt weitgehend den von Melanchthon selbst angegebenen zentralen Begriffen und versucht, ihre Bedeutung innerhalb der jeweiligen Schrift zu ergründen. Dabei stellt die Willenslehre die leitende Fragestellung dar, von der aus und auf die hin die anderen Begriffe untersucht werden sollen.

3. Begründung der Textauswahl

Die Frage nach der Freiheit des Willens wird in den Schriften Philipp Melanchthons unter theologischen Gesichtspunkten erst im Jahre 1518 virulent. Für die Auswahl aus der Fülle möglicher Quellen nach 1518 für Melanchthons Willenslehre ist das theologische Hauptinteresse dieser Untersuchung bestimmend. Das Gerüst der Arbeit bilden die verschiedenen lateinischen theologischen Loci-Ausgaben21. In diesen faßt Melanchthon die von ihm als besonders wichtig erkannten theologischen Topoi zu einem System zusammen und gibt somit einen umfassenden Überblick über seine Theologie. Auf die Bedeutung dieses Werkes für Melanchthon weisen dessen mehrfache Neukonzipierungen und Überarbeitungen sowie deren Zeitpunkte hin. Es sind Loci-Ausgaben mit differierender inhaltlicher und formaler Gestaltung aus den Jahren 1521, 1522, 1533, 1535 und 1543 (1559) vorhanden. Melanchthon hat sein Leben lang seit 1521 an den Loci gearbeitet. Dieses ist ein Hinweis auf deren herausragende Stellung. Die deutschen Loci-Ausgaben sind größtenteils Übersetzungen der lateinischen, die von Georg Spalatin bzw. Justus Jonas besorgt wurden. Theologisch enthalten diese Ausgaben gegenüber den lateinischen Loci daher keine grundlegenden inhaltlichen Abweichungen.22 Ähnlich intensiv wie mit den Loci communes hat sich Melanchthon mit seinem Kommentar zum Römerbrief beschäftigt. Hier sind die Ausgaben von 1522,1532 und 1540 zu nennen. Römerbrief-Kommentar und Loci communes können aufgrund ihrer mehrfachen Bearbeitung als die theologischen Hauptschriften Melanchthons gelten. Kein anderes biblisches Buch hat Melanchthon so häufig bearbeitet wie den Römerbrief; die Loci communes sind die einzige Schrift Melanchthons, in der er systembildend die reformatorische Theologie über mehrere Jahrzehnte hinweg bearbeitet hat. Als systematische Darstellung können darüberhinaus die Confessio Augustana (CA), die Apologie der Confessio Augustana (ApolCA) und die Confessio Augustana Variata (CAvar) verstanden werden.

21 In der Begründung der Textauswahl häufig unter dem Begriff Loci communes zusammengefaßt, auch wenn der Titel der einzelnen Ausgaben abweicht. 22 Eine besondere Stellung nimmt sicherlich die dt. Loci-Ausgabe von 1553 ein, die in den ersten 16 Kapiteln auf ein Autograph von Melanchthon zurückgeht; vgl. hierzu JOHANNES SCHILLING, Melanchthons Loci communes deutsch, in: M. Beyer/G. Wartenberg (Hgg.), Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe ..., Leipzig 1996, S. 327ff., bes. S. 342ff.

Begründung der Textauswahl

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Auffallend ist die zeitliche Nähe, in der die einzelnen Ausgaben der genannten Schriften zueinander stehen. Die Römerbrief-Kommentare liegen zeitlich zu den Neubearbeitungen der Loci communes parallel oder gehen diesen unmittelbar voraus, wie es bei CA, ApolCA und CAvar in bezug auf die Loci communes von 1533 und 1543 der Fall ist. Die zeitliche Nähe der bedeutenden theologischen Schriften Melanchthons zueinander ist bedingt durch wichtige historische Ereignisse, die jeweils Anlaß zur Veränderung oder Präzisierung theologischer Aussagen gaben. Die Loci communes 1521/22 und der Römerbrief-Kommentar 1522 stehen in temporärer Verbindung mit dem römischen Prozeß gegen Luther und der aufkommenden reformatorischen Theologie. CA, ApolCA, der Römerbrief-Kommentar 1532 und die Loci communes 1533/1535 stehen in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Augsburger Reichstag 1530 und dessen unmittelbaren Auswirkungen auf die Reformation, während die um das Jahr 1540 entstandenen Schriften von der Kontroverse zwischen altgläubiger und protestantischer Theologie und Politik während der Religionsgespräche 1540/41 in Hagenau und Worms sowie während des Regensburger Reichstages beeinflußt worden sind. In dieser Untersuchung zur Willenslehre wird das Gewicht auf die Loci communes gelegt, da Melanchthon in diesen die neuen Erkenntnisse aus den verschiedenen Ausgaben seines Römerbrief-Kommentares verarbeitet hat. Die enge Verbindung zwischen diesen seinen beiden Schriften hat Melanchthon mehrfach betont, besonders jedoch im Zusammenhang mit den Loci communes von 1521.23 Auf eine eingehende Analyse der Willenslehre in Melanchthons verschiedenen Ausgaben des Römerbrief-Kommentares wird aus diesem Grund verzichtet. Des weiteren behandelt Melanchthon in diesen Kommentarausgaben den menschlichen Willen nahezu ausschließlich unter Berücksichtigung der Relation des Menschen coram Deo. Diese Perspektive ist jedoch nicht Gegenstand der entscheidenden Veränderungen in Melanchthons Willenslehre, die eher den Menschen in seiner ethischen Verantwortung, also coram mundo betreffen. CA, ApolCA und CAvar sind besonders in ihrer kontroverstheologischen Bedeutung hervorzuheben. Sie bieten zwar einen umfassenden Überblick über die Spitzenaussagen reformatorischer Theologie, sind aber im Blick auf die strittigen Punkte zwischen Altgläubigen und Protestanten verfaßt. Daher zeigt sich in ihnen nicht Melanchthons Theologie in ihrer spezifischen Ausprägung. Sie sind als Konsens der wittenbergisch-reformatorischen Theologie gegenüber der altgläubigen Seite formuliert. Daher könnte aus diesen Bekenntnisschriften die Willenslehre Melanchthons nur in einer schematischen Form ermitteln werden, in der die Spezifika melanchthonischer Willenslehre weitgehend verborgen blieben. Die Loci-communes als Gerüst fur die Untersuchung von Melanchthons Willenslehre zu verwenden, bietet den weiteren Vorteil, daß die Aussagen in23

Vgl. unten S. 39ff.

26

Einleitung

nerhalb einer Textgattung verglichen werden können. Aussageabweichungen müssen daher nicht hinsichtlich einer Formabweichung gewichtet werden. Als weitere theologische Schrift wird fur die vorliegende Untersuchung Melanchthons Kolosser-Vorlesung von 1527 herangezogen, der Melanchthon selbst eine besondere Stellung innerhalb seiner theologischen Schriften zugewiesen hat.24 Von Melanchthons philosophischen Schriften sind besonders der Kommentar zur Nikomachischen Ethik und der Liber de anima relevant. Auch diese beiden Schriften hat Melanchthon über einen langen Zeitraum seines Lebens mehrfach bearbeitet, wobei die jeweiligen Veränderungen nicht von wesentlicher inhaltlicher Bedeutung fur die Analyse der Willenslehre sind. Sie werden daher nur in ihrer „Endgestalt" berücksichtigt, ohne weiter auf die vorangegangene Bearbeitungsgeschichte einzugehen. Die zeitliche Nähe der in dieser Untersuchung berücksichtigten Schriften zu wichtigen historischen Ereignissen läßt auf äußere Einflüsse auf die jeweiligen Aussagen schließen. Daher werden kleinere Schriften und besonders der Briefwechsel Melanchthons für die Erhellung des Kontextes der analysierten Schriften herangezogen.

24

Vgl. unten S. 79f.

II. Die Willenslehre Philipp Melanchthons, dargestellt anhand ausgewählter Schriften

1. Melanchthons Willenslehre in den Jahren 1518-1521

1.1 Biographische Einleitung Melanchthon wurde nach einer einjährigen Ausbildung an der Lateinschule Georg Simlers in Pforzheim im Oktober 1509 in Heidelberg immatrikuliert1. Dort genoß er die Ausbildung nach der via antiqua und erwarb 1511 den Grad des Baccalaureus artium. Er blieb ein weiteres Jahr in Heidelberg, wechselte dann aber nach Tübingen. Für diese Übersiedlung werden mehrere Gründe angeführt. In Heidelberg soll Melanchthon von der Magisterprüfung wegen zu großer Jugend im Alter von 15 Jahren zurückgewiesen worden sein. Dies ist jedoch als Grund für die Übersiedlung unwahrscheinlich, da Melanchthon bereits im Herbst 1512 nach Tübingen gezogen ist, er sich aber erst 1513 zur Magisterprüfung hätte melden können. Ausschlaggebend dagegen dürfte der Tod seines Gastgebers Pallas Spangel im Juli 1512 gewesen sein. In Tübingen wechselte Melanchthon ohne Zwang von der Ausbildung in der via antiqua zur via moderna. Dort wurden beide Wege gelehrt, so daß er auch bei der via antiqua hätte bleiben können. Die Magisterprüfung nach dem modernen Weg hat Melanchthon am 25. Januar 1514 abgelegt. Die Tübinger Universität zeigte sich in dieser Zeit auch gegenüber neuen Strömungen aufgeschlossen. Bereits 1496 wurde ein Lehrstuhl für Rhetorik und Poesie eingerichtet. Dieses entsprach den humanistischen Forderungen, die andernorts noch Jahre später vorgebracht wurden und auch von Melanchthon selbst, der vor allem das Studium

1

Zu der biographischen Darstellung vgl. auch WILHELM MAURER, Melanchthon I, S. 14-83; DERS., Melanchthon II, S. 9-27; PETER MEINHOLD, Philipp Melanchthon. Der Lehrer der Kirche, Berlin 1969 (künftig zitiert als „Melanchthon"), S. 9-19; HEINZ SCHEIBLE, Melanchthon. Eine Biographie, München 1997 (künftig zitiert als „Melanchthon"), S. 14-27; ROBERT STUPPERICH, Melanchthon, ( S G 1190) Berlin 1960, S. 1 8 - 3 9 und DERS., D e r unbe-

kannte Melanchthon. Wirken und Denken des Praeceptor Germaniae in neuer Sicht, Stuttgart 1961 (künftig zitiert als „unbekannte Melanchthon"), S. 9-21.

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Melanchthons Willenslehre in den Jahren 1518-1521

von Geschichte und Poesie als notwendig betrachtete.2 Nach seiner Magisterprüfling wandte sich Melanchthon dem Studium der Theologie zu, wobei seine Vorliebe weiterhin den Fächern der Artistenfakultät gehörte und er daher keinen theologischen Doktorgrad erwarb. Neben Mathematik, Astronomie und Dialektik beschäftigte sich Melanchthon mit den alten Sprachen, Griechisch und Hebräisch. Neben einigen anderen Veröffentlichungen ist besonders eine Terenz-Ausgabe vom März 1516 zu nennen. Aus dem Studium der alten Sprachen ging dann 1518 eine von Melanchthon verfaßte griechische Grammatik hervor, die ein großer Erfolg wurde. In der Tübinger Zeit wurde Melanchthon weiterhin von seinem Mentor Johannes Reuchlin begleitet, mit dem er bereits 1509 in Pforzheim Kontakt bekommen hatte, als Melanchthon dort die Lateinschule besuchte. Der Ausbildungsweg Melanchthons weist zwei wichtige Grundlagen auf, die fur die Beurteilung von Melanchthons theologischer Entwicklung von Bedeutung sind. Zunächst ist die Ausbildung in den beiden Wegen der spätmittelalterlichen Universität zu nennen. Hier hat Melanchthon die breite Basis seines Wissens erlangt, mit dem er sich auf der zweiten Grundlage, d.h. dem Einfluß humanistischen Denkens, kritisch auseinandergesetzt hat. Neben Reuchlin und den Voraussetzungen, die die Tübinger Universität bot, dürfte der humanistische Einfluß auch auf Erasmus zurückzuführen sein, dessen Edition des Neuen Testamentes von 1516 zusammen mit der Methodus Melanchthon bekannt gewesen ist. Vor allem der Einfluß humanistischen Denkens ist in den Quellen, die in diesem Kapitel zunächst herangezogen werden sollen, besonders wirksam. So erwarb sich Melanchthon in den sechs Jahren seiner Studien in Tübingen ein großes geistiges Erbe, das er 1518 auf seinem Weg von Tübingen über Augsburg und Leipzig mit nach Wittenberg brachte.3 In Wittenberg hat Melanchthon bereits durch seine Antrittsrede alle Zweifler an seiner Person zum Verstummen gebracht, darunter auch Luther, der lieber einen anderen auf dem Lehrstuhl für Griechisch an der Artistenfakultät gesehen hätte. Auch wenn in der Antrittsrede Melanchthons in Wittenberg die Willenslehre nicht von Bedeutung ist, so soll sie zur Erläuterung Melanchthonischen Denkens fur die Anfangszeit in Wittenberg herangezogen werden. Wichtiger für die Unter-

2 Z.B. in Melanchthons Rede De artibus liberalibus von 1517, vgl. StA III, S. 26,3-6: „Omnes generis scripta usurpant historia et poema, nec alii maiori fruge operave leguntur auctores quam historici ac poetae." 3 Vgl. ROBERT STUPPERICH, Die Begründung der Willensfreiheit in der Welt der Renaissance, des Humanismus und der Reformation (dargestellt an Lorenzo Valla, Erasmus von Rotterdam und Philipp Melanchthon), in: Herbert Stachowiak (Hg.), Pragmatik. Handbuch pragmatischen Denkens, Bd. 1. Pragmatisches Denken von den Ursprüngen bis zum 18. Jahrhundert, Hamburg 1986, S. 341-357 (künftig zitiert als „Begründung"), S. 353.

Die Willenslehre in der Theologica Institutio von 1519

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suchung zu Melanchthons Willenslehre der Jahre 1518 und 1519 ist jedoch die Theologica Institutio von 1519, die als Niederschlag der verstärkten Bemühungen Melanchthons um die Theologie im Anschluß an die Leipziger Disputation zu verstehen ist. Des weiteren sind die Bakkalaureatsthesen zu beachten, die Melanchthon für die Disputation am 09. September 1519 zur Erlangung des Grades eines Baccalaureus biblicus verfaßt hat. Die Aussagen zur Willenslehre in diesen drei Werken lassen sich in den Capita von 1520 in weiterentwickelter Form nachweisen. Der Aufbau der Capita entspricht weitgehend dem der Loci communes 1521, in denen sich auch einige Formulierungen - zum Teil wörtlich - wiederfinden. Jedoch ist der locus De gratia in den Loci communes 1521 untergliedert in De evangelio und De gratia, so daß sich die Strukturpeccatum - lex und evangelium - gratia ergibt.4 Grundlegende Unterschiede in der Aussage zur Willenslehre ergeben diese Differenzierungen jedoch nicht. Daher wird im Hinblick auf die Theologica Institutio und die Capita heute auch häufig als Vorarbeiten zu den Loci communes 1521 gesprochen.5 Dieses Urteil entspricht jedoch nicht Melanchthons eigener Absicht, das, was heute als Theologica Institutio und Capita bekannt ist, in Form einer umfangreicheren Schrift auszuarbeiten.

1.2 Die Willenslehre in der Theologica Institutio von 1519 Die Theologica Institutio in epistolam Pauli ad Romanos ist das erste schriftliche Zeugnis Melanchthons, in dem er sich über die Freiheit des Willens im Kontext einer theologischen Erörterung äußert. Die uns erhaltene Form der Theologica Institutio stellt sehr wahrscheinlich die Grundlage von Melanchthons erster Römerbriefvorlesung aus dem Jahr 1519 in seiner schola privata dar. Die erste öffentliche Auslegung des Römerbriefes begann Melanchthon im Frühjahr 1520 und beendete sie wahrscheinlich im Frühjahr 1521. Er schreibt in einem Brief an Johannes Heß vom Februar 1521, daß er gerade beim zehnten Kapitel des Römerbriefes mit seiner Vorlesung stehe.6 Die Ausführlichkeit der Auslegung indiziert

4 Vgl. WILHELM MAURER, Melanchthons Loci communes von 1521 als wissenschaftliche Programmschrift. Ein Beitrag zur Hermeneutik der Reformationszeit, in: LuJ 27,1960, S. 1-50 (künftig zitiert als „Programmschrift"), S. 16. 5

S o z . B . HELMUT GERHARDS, E n t w i c k l u n g , S. 2 4 f . W . MAURER spricht v o n V o r s t u d i e n ,

vgl. DERS., Lex spiritualis bei Melanchthon bis 1521, in: Friedrich Hübner (Hg.), Gedenkschrift für D. Werner Eiert.... Berlin 1955, S. 171-198 (künftig zitiert als „Lex"), bes. S. 176. 6 Vgl. den Brief an Johannes Heß vom 27.04.1520, MBWI, Nr. 84, S. 195, 69f.: „Iam ad Obeliscos ac Pauli Romanos accingor." Vgl. auch den Brief an J. Heß vom 20.02.1521, MBW I, Nr. 126, S. 260,34f.: „Pauli Romanos adhuc enarro, nunc tractans caput X."

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Melanchthons Willenslehre in den Jahren 1518-1521

die Bedeutung des Römerbriefes für Melanchthon; denn es ist insbesondere der Römerbrief, in dem Paulus die zentralen loci der Theologie darbietet. 7 Dementsprechend war die Theologica Institutio nach der Loci-Methode gestaltet. Melanchthon nennt als die drei wichtigsten von ihm für die Theologie erkannten loci Sünde, Gesetz und Gnade. 8 Die Willenslehre behandelt Melanchthon in dem kurzen Abschnitt V der Theologica Institutio. Der Wille ist weder im Verhältnis zur Prädestination noch im Verhältnis zu den Affekten frei, so daß letztlich nicht einmal in äußeren Werken Freiheit besteht. 9 Melanchthon betrachtet dabei den Menschen vor allem aus der Sicht der Affektenlehre. Es ist immer ein Affekt, der den Menschen zur Handlung reißt. D a die Erbsünde den Menschen zu schlechten Taten durch schlechte Affekte hinwegreißt, kann der M e n s c h durch seine Kräfte keine gerechte Handlung hervorbringen. 10 Dieser theologischen Betrachtung des Menschen stellt Melanchthon eine Beschreibung der menschlichen Handlungen als tugendhafte bzw. nicht tugendhafte Handlungen voran. Es ist für den Menschen keine Frage, daß es besser ist, tugendhaft zu leben als lasterhaft. Aber der M e n s c h unterliegt seiner Liebe zu den Lastern, auch w e n n das

7 Vgl. CR XXI, Sp. 49: „Hi vero loci [peccatum, lex, gratia, Anm. d. Verf.] potissimum a Paulo in hac tractantur epistola." 8 Vgl. CR XXI, Sp. 49: „Inter locos Theologicos [...] praecipui sunt, et qui nostra maxime referunt, peccatum, lex, gratia, ut reliqui magis curiosas, quam utiles disputationes contineant." Für den Römerbrief gibt Melanchthon davon abweichend mit Rechtfertigung, Vorhersehung und Tugenden (mores) drei andere loci an, obwohl er unmittelbar zuvor noch einmal betont hatte, daß vor allem Sünde, Gesetz und Gnade von Paulus im Römerbrief behandelt werden: „Loci, ut opinor, Epistolae tres sunt. Primus de iustificatione, secundus de praedestinatione, et vocatione gentium. Tertius mores format." (CR XXI, Sp. 49) Zwischen diesen Aussagen besteht jedoch kein Widerspruch, weil Melanchthon im locus von der Rechtfertigung die drei loci Sünde, Gesetz und Gnade zusammenfaßt, so daß die beiden loci über die Vorhersehung und die Tugenden als Erweiterungen zu der Trias Sünde, Gesetz und Gnade zu verstehen sind: „Nam tribus his summa iustificationis nostrae comprehenditur, [...]." (Ebd.) Melanchthon behandelt daher fünf loci in der Theologica Institutio, wobei drei davon unter dem Oberbegriff iustiflcatio zusammengefaßt dargestellt werden. Zur Loci-Methode Melanchthons vgl. unten S. 87ff. 9

Vgl. CR XXI, Sp. 52: „Voluntas potest comparari vel ad praedestinationem, sie nullo modo est libera, sed huius sublimior est ratio, quam ut a nobis comprehendi queat: aut sua tantum natura consideratur; tum ad affectus, non est libera, et sicut affectus est operis externi pondus, ita membra secum rapit, si coeperit paulo vehementius saevire, ita nec in extemis operibus erit aliqua libertas." 10 Vgl. CR XXI, Sp. 51: „Cur non adsequimur iustitiam nostris viribus? Propter peccatum originale. Peccatum originale est genuinus ardor, impetus, raptus, quo trahimur ad vitia. Sicut in igne raptus est, quo sursum fertur: ita in homine ad peccatum."

Die Willenslehre in der Theologica Institutio von 1519

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Gewissen mit der menschlichen Natur an diesem Punkt kämpft.11 Es ist daher der Seele nicht möglich, sich durch äußere Werke selbst zu reinigen.12 Um den Menschen aus diesem Zustand zu erlösen, ist Christus gestorben. Christus leistet mit seinem Tod Satisfaktion fur die Sünde der Menschen und verdient den Geist, der den Menschen rechtfertigt. Rechtfertigung wird dabei in zweierlei Hinsicht verstanden; zum einen als Gerechtigkeit, die als iustitia extra nos für den Menschen von Christus verdient wird. Zum anderen bewirkt die Rechtfertigung die Erneuerung der Affekte, die den Menschen zur vollkommenen Tugend mitreißen sollen.13 In dieser doppelt verstandenen Rechtfertigung kommt der Ausrichtung auf die Tugend besondere Bedeutung zu. Die effektive Wirkung der Rechtfertigung besteht in der Erneuerung der Tugenden. Die Gnade bewirkt eine effektive Rechtfertigung, wobei Melanchthon Gnade als einen Affekt beschreibt, der den schlechten menschlichen Affekten entgegengesetzt wirkt und den Menschen zum Guten wegreißt.14 Unter den Affekten, die den Menschen zum Guten wegreißen, versteht Melanchthon die drei theologischen Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung. Sie werden durch die Gnade dem Menschen vermittelt. Aufmerksamkeit verdient die Beschreibung des Glaubens als stetige verstandesmäßige Zustimmung zum Wort Gottes.15 Melanchthon beschreibt damit auch die intellektive Seite des Menschen im Zusammenhang mit der Gnade, nachdem der Mensch vor allem durch seine Affekte charakterisiert worden ist. Diese von der Affektenlehre einerseits und der Gnadenlehre andererseits bestimmte Darstellung der effektiven Rechtfertigung weist auf ein Problem hin, auf das in der Untersuchung zu den Loci communes 1521 ausführlicher eingegangen werden soll. Melanchthon gründet die Aussage von der Gebundenheit des

" Vgl. CR XXI, Sp. 50: „Omnes homines censemus pro naturalis rationis consilio, satius esse cum virtute vivere, quam inter tot vitia. Verum in nobis deprehendimus amorem quendam ad vitia, talem, qui efficit, ut per ilium nobis bene sit in vitiis, in virtute non item. Pugnat ergo semper cum cupiditate naturae conscientia nostra, quae, quamquam videat, quid bonum, rectum, pium sit, tarnen non assequitur." 12 Vgl. CR XXI, Sp. 51: „Adhuc inter tot opera scaturiebat animus affectibus vitiosis, [...], ita nullis externis operibus animus purgatur." 13 Vgl. CR XXI, Sp. 51: „Deus enim in terras χριστόν misit, qui morte sua et satisfaceret pro delictis nostris, et emereretur spiritum iustificantem, hoc est, innovantem affectus nostros, et qui intimam propensionem peccati mutet, ut ipsum qui crederent esse autorem iustitiae, illorum peccata abolerentur, iis spiritus iustitiae daretur. [...] aliunde solari tristem conscientiam, aliunde sperare iustitiam et absolutam virtutem, quam a Christo!" 14 Vgl. CR XXI, Sp. 53f.: „Sic oportet contrarium quendam affectum in pectoribus nostris creari, quo nostra sponte, etiamsi nulla esset lex, ad bona rapiamur. Hic affectus meritus est per Christum, et gratia dicitur." 15 Vgl. CR XXI, Sp. 54: „Fides, adsensus constans verbi divini, et hac illuminamur et Deus nobis ostenditur."

Melanchthons Willenslehre in den Jahren 1518-1521

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Willens auf die Dominanz der fleischlichen Affekte über den menschlichen Willen. Diese Dominanz geht so weit, daß der Wille den guten Objekten, die ihm von der Vernunfterkenntnis vorgestellt werden, nicht folgen kann. Selbst wenn dadurch ein guter Affekt bewirkt wird, kann der Mensch diesem nicht sicher folgen. Mit dieser an den fleischlichen Affekten ausgerichteten Darstellung konkurriert die Beschreibung der effektiven Rechtfertigung als Erleuchtung durch Tugend. In der aristotelischen Tugendlehre spielt die Gewöhnung eine große Rolle, die dadurch entsteht, daß das mit dem Intellekt erfaßte Gute dem Willen immer wieder vorgestellt wird, so daß der Wille gegen die Untugend wiederholt das Tugendhafte wählt. Hieraus entsteht ein habitus des Menschen in bezug auf die tugendhafte Handlung. 16 In ähnlicher Form vertritt auch Erasmus eine Tugendlehre. Grundlage dieser Lehre ist die humanistische Annahme, menschliches Tugendstreben weise heimlich über den Menschen hinaus.17 Mit dieser Tugendlehre ist die Aussage eines unfreien Willens nicht vereinbar. Daß Melanchthon dieses Verständnis trotz seiner Lehre vom unfreien Willen seinen Überlegungen zugrundelegt, belegt die Definition des Glaubens als assensus. Der Glaube als Affekt folgt der Zustimmung des Verstandes zum Wort Gottes. Wenn aber die Herrschaft des Affektes über den menschlichen Willen die Entscheidungsfreiheit aufhebt, ist der assensus des Menschen unmöglich, weil der Mensch durch den Affekt des Glaubens zum Wort Gottes fortgerissen wird. Das Problem von Passivität des Menschen in der Rechtfertigung und Aktivität in der Heiligung, das Melanchthon in der effektiven Rechtfertigunglehre psychologisch erklären möchte, ist auf die Einflüsse zurückzufuhren, die auf Melanchthon während seiner Ausbildung eingewirkt haben. In der Vorrede zu seiner griechischen Grammatik von 1518 versteht Melanchthon Theologie ganz im Sinne des Humanismus als Weisheit, die den Menschen zur Kontrolle seiner Affekte anleitet.18 Es liege im Wesen der Theologie, auf die Affekte einzuwirken, da sie den Menschen durch Weisheit stärker als die allgemeine Philosophie zur Kontrolle seiner Affekte anleitet. Die Intellektbezogenheit der Theologie verdeutlicht Melanchthon z.B. in seiner Wittenberger Antrittsrede von 1518. In der Rede beschreibt er ausführlich den Verfall der Wissenschaften, um dann als Ergebnis festzuhalten, daß die Auswirkungen dieses Verfalls auf die Theologie besonders schwerwiegend sind. Der Verfall hat dazu gefuhrt, daß philosophische Spitzfindig-

16

Vgl. ARISTOTELES, Nikomachische Ethik, 1103b 22f. und 1114a 9-11. Vgl. HEINRICH BORNKAMM, Humanismus und Reformation im Menschenbilde Melanchthons, in: Ders., Das Jahrhundert der Reformation. Gestalten ..., Göttingen 1966, S. 69-88 (künftig zitiert als „Humanismus"), S. 71. 18 Vgl. MBW I, Nr. 16, S. 63,8f.: „Quae vera est sapientia et ad componendos hominum affectus coelo demissa, exulat." 17

Die Willenslehre in der Theologica Institutio von 1519

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keiten die wahre himmlische Weisheit verdrängt haben.19 Melanchthon sieht die Ursache der Verderbnis darin, daß in der theologischen Wissenschaft nicht mehr die Quellen selbst betrachtet werden, aus denen sich der sensus literae dem Menschen erschließt.20 Diese Betonung des Literalsinnes hat aber nicht zur Folge, daß Melanchthon eine allegorisierende Interpretation der Hl. Schrift grundlegend ablehnt. Das „grammatisch-philologische Erklären allein fuhrt nicht an den Kern der Dinge heran. Wenn die wörtliche Erklärung ihren Zweck erfüllt hat, muß sie zurücktreten und dem donum interpretationis Platz machen, das aus dem Glauben stammt."21 Die Wurzel der Melanchthonischen Anthropologie liegt also zu Beginn seiner Tätigkeit in Wittenberg im Humanismus. Theologie wird im Sinne derphilosophia christiana verstanden, die den Menschen zu einem tugendhaften und daher frommen Leben fuhrt, was Erasmus bereits im Enchiridion militis christiani vertreten hat. Erasmus beschreibt Tugend als Weg zu Christus und versteht unter Tugend sowohl die allgemeinen als auch die christlichen Tugenden. Das Streben nach den Tugenden wird als sicherer Weg zur Seligkeit gesehen.22 In diesem Kontext kann der Wille nur als freier Wille betrachtet werden, durch den der Mensch die Herrschaft der Affekte zurückdrängt. Die Nähe zu Luther und zu dessen theologischem Einfluß auf Melanchthon hat den Kontext der anthropologischen Aussagen Melanchthons im Jahre 1519 bereits verändert. „Melanchthon sah in dieser Zeit Luther und seinen Anhang noch ganz im Einklang mit Erasmus, ja sogar in dessen Nachfolge."23 Es gab in diesen ersten 19 Vgl. StA III, S. 40,1-6: „Verum quod ad sacra attinet, plurimum refert quomodo animum compares. Nam si quod studiorum genus, sacra profecto potissimum ingenio, usu et cura opus habent. Est enim odor unguentorum domini super humanarum disciplinarum aromata: Duce Spiritu comite artium nostrum cultu, ad sacra venire licet." Vgl. auch aaO., S. 40,28-30: „Hie caelestis sapientiae fructus est. Earn igitur quam purissime non interpollatam nostris argutiis colamus." 20 Vgl. StA ΠΙ, S. 40,14-16: „Ibi se splendor verborum ac proprietas aperietetpatescet velut intra meridiana cubilia verus ille ac genuinus litterae sensus." 21 R. STUPPERICH, unbekannte Melanchthon, S. 30. 22 Vgl. ERASMUS VON ROTTERDAM, Enchiridion militis christiani, übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Werner Welzig, (Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften. Ausgabe in acht Bänden, lateinisch und deutsch, hrsg. v. Werner Welzig, Bd. 1), Darmstadt 2 1990 (künftig zitiert als „Enchiridion"), S. 168: „Sed ut certiore cursu queas ad felicitatem contendere, haec tibi quarta sit regula, ut totius vitae tuae Christum velut unicum scopum praefigas, ad quem unum omnia studia, omnes conatus, omne otium ac negotium conferas. Christum vero esse puta non vocem imanem, sed nihil aliud quam caritatem, simplicitatem, patientiam, puritatem, breviter quiequid ille doeuit. Diabolum nihil aliud intellige, quam quiequid ab illis avocat. Ad Christum tendit, qui ad solam virtutem fertur." 23 HEINZ SCHEIBLE, Melanchthon zwischen Luther und Erasmus, in: August Buck, Renaissance - Reformation. Gegensätze und Gemeinsamkeiten, (WARF 5) Wiesbaden 1984, S. 155— 180, ZitatS. 161.

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Melanchthons Willenslehre in den Jahren 1518-1521

Jahren, in denen Luther ins Licht der Öffentlichkeit tritt, gerade unter den Humanisten des deutschen Sprachraumes eine große Zustimmung zu Luthers Bestrebungen. Sie verstanden seine Ziele in der gleichen Weise wie die ihren. „Die Humanisten sind der einzige geschlossene Kreis von Menschen, der sich schon in den ersten Jahren hinter Luther stellt, und es kann keinen Zweifel darüber geben, daß sie, die damals, lauter als ihnen zukam, die öffentliche Meinung in Deutschland repräsentierten, entscheidenden Anteil daran haben, daß die reformatorische Bewegung, gegen Luthers Willen, aus der Obskurität der Winkeluniversität Wittenberg ans Licht getragen wurde."24 Die Humanisten in Deutschland haben Luther wohl als einen der Ihren gesehen. Daß es sich dabei um ein „produktives Mißverständnis"25 gehandelt hat, das Luthers Anliegen erst überregional bekannt gemacht hat, aber eben tatsächlich ein Mißverständnis gewesen ist, zeigt nicht zuletzt die Differenz von Melanchthons Willenslehre zur humanistischen. Diese Differenz bricht in Melanchthons Willenslehre bereits 1519 auf, d.h. zu dem Zeitpunkt, als er Luther und sich selber noch ganz in der Nachfolge der Humanisten, besonders aber des Erasmus sah. Aber in der Willenslehre hatte Melanchthon sich zu diesem Zeitpunkt bereits von Erasmus gelöst. Im Vergleich zu Melanchthons Rhetorik, die 1519 erschienen ist, aber schon vor 1519 in der Tübinger Zeit entstanden sein dürfte, läßt sich die Veränderung darstellen. Die Rhetorik als Disziplin zielt „auf eine unmittelbare Einwirkung auf den Menschen ab. Besonders ist Melanchthon daran interessiert, daß diese Wirkung auch die Affekte, die unwillkürlichen Regungen des menschlichen Herzens, erfaßt; f...]."26 Es geht Melanchthon letztlich darum, daß die Rhetorik zur Charakterbildung (mores formare) dient.27 Eine solche Lehre setzt die Freiheit des Willens voraus, damit Bildung zur Kontrolle des Triebes oder der Affekte fuhren kann. Auch in der Theologica Institutio spricht Melanchthon von mores formare. Es ist der dritte locus, den Melanchthon im Römerbrief findet. Die Vollkommenheit der Tugend, auf die die Rechtfertigung entsprechend der Aussagen Melanchthons in der Theologica Institutio gerichtet ist, setzt zwei Dinge voraus. Zum einen muß man von der Freiheit des Willens ausgehen. Zum anderen muß Melanchthon die Aussagen der Hl. Schrift im Sinne der philosophia christiana verstehen, die als einzige Philosophie dem Menschen die Weisheit vermittelt, die zur Beherrschung der Affekte notwendig ist.

24 BERND MOELLER, Die deutschen Humanisten und die Anfänge der Reformation, in: ZKG 70, 1959, S. 46-61 (künftig zitiert als „Humanisten"), S. 51. 25

B . MOELLER, H u m a n i s t e n , S. 5 4 .

26

ADOLF SPERL, Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation, (FGLP, Reihe 10, Bd. 15) München 1959 (künftig zitiert als „Melanchthon"), S. 33. 27

V g l . A . SPERL, M e l a n c h t h o n , S. 3 7 .

Die Willenslehre in den Rerum theologicarum capita von 1520

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Mit beiden Voraussetzungen ist jedoch die Rechtfertigung Christi als iustitia extra nos, als relational verstandene Rechtfertigung, zunächst schwer vereinbar, wie sie Melanchthon von Luther gelernt hat. Daß das theologische Denken bei Melanchthon inzwischen der prägende Einfluß geworden ist, verdeutlicht u.a. die Aussage von der Unfreiheit des Willens. Im Verhältnis zur Rechtfertigung und zur Prädestination kann der Wille des Menschen nichts bewirken. Er kann auch seine Affekte nicht beherrschen. Diese Aussagen der Theologica Institutio stehen in krassem Gegensatz zur humanistischen Lehre. Da Melanchthon dennoch im Zusammenhang von Rechtfertigung und Gnade die vollkommene Tugend betont, kann nicht davon ausgegangen werden, daß sich Melanchthon von der humanistischen Grundlage seiner Anthropologie vollständig getrennt hat. Vielmehr dürfte Melanchthon, um das Nebeneinander beider Einflüsse zu harmonisieren, die Satisfaktion durch den Tod Christi am Kreuz besonders hervorgehoben haben, um damit den unaufgebbaren und besonders engen Konnex zwischen dem Kreuzesgeschehen und der Rechtfertigung in nobis als dessen unmittelbarer Wirkung zu lockern und so die Tugendlehre weiterhin argumentativ einsetzen zu können. Es läßt sich in bezug auf die Willenslehre schon in dem kurzen Zeitraum von 1518 bis etwa Juni 1519, an dessen Anfang die Rhetorik, die griechische Grammatik sowie die Wittenberger Antrittsrede und an dessen Ende die Theologica Institutio stehen, eine grundlegende Veränderung feststellen. Wurde die Freiheit des Willens in den drei Schriften, die bis 1518 entstanden sind, zunächst vorausgesetzt, da eine Kontrolle der lasterhaften Affekte durch den Intellekt als möglich und im Sinne der philosophia christiana auch als notwendig erschien, so vertritt Melanchthon in der Theologica Institutio die Lehre von der Unfreiheit des Willens aufgrund der Affekte und der Prädestination. Auffallend ist, daß der theologische Einfluß, dem die Lehre von der Unfreiheit des Willens entspringt, durch die Prädestinationslehre die Aussagen vom Menschen grundlegend beeinflußt. In der Ethik wird dieser Einfluß aber nicht konsequent weitergedacht, ansonsten wäre die Betonung der Bildung und der Tugend in diesem Kontext in der Weise, wie Melanchthon sie vertritt, nicht erklärbar.

1.3 Die Willenslehre in den Rerum theologicarum capita von 1520 Bei den Rerum theologicarum capita hat man es „wohl mit einer in Form einer Kladde gehaltenen Studienaufzeichnung zu tun, bei der in den feststehenden Rahmen Untergliederungen und Definitionen eingefugt wurden"28. Ursprünglich 28

W. MAURER, Melanchthon II, S. 113. Die Schrift wird im folgenden Capita genannt. Melanchthon hat sie selber als Lucubratiun-

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Melanchthons Willenslehre in den Jahren 1518-1521

hervorgegangen sind die Capita aus „kritischen Anmerkungen Melanchthons zu den Sentenzen des Petrus Lombardus"29. In dem, was heute als Capita vorliegt, dürfte zusätzlich Melanchthons RömerbriefVorlesung Verarbeitung gefunden haben. Die Bedeutung des Römerbriefes für Melanchthon in dieser Zeit kann gar nicht überschätzt werden. Mit ihm hat er sich in drei Vorlesungen in den Jahren zwischen Sommer 1519 und den ersten Wochen des Jahres 1522 beschäftigt. Des weiteren hat er in dieser Zeit beide Korintherbriefe ausgelegt.30 In der Rede zum Bekehrungstag Pauli, der alljährlich am 25. Januar mit einem Festakt an der Universität Wittenberg begangen wurde, verbalisiert Melanchthon im Jahr 1520 seine besondere Hochschätzung für den Apostel Paulus. „Wenn es dich danach verlangt, die ganze Theologie im Abriß zu finden, wenn dich danach gelüstet, zu erkennen, was die Wurzel der Tugenden und Laster ist, welches ihre Früchte, welche Lebensführung eines Christenmenschen würdig ist, was deine Pflicht gegen die Obrigkeit, gegen die geistliche und weltliche, gegen dein Volk, gegen göttliches und menschliches Gesetz ist, keiner sagt das genauer, keiner eingängiger als Paulus."31 Auch in dem einleitenden Abschnitt zu den Capita beruft sich Melanchthon in der methodischen Darstellung auf Paulus. Nach Paulus müsse man sich auf vier loci beschränken, wenn das Ziel verfolgt werden soll, Christus zu erkennen. Zu den drei loci praecipui, die Melanchthon in der Vorrede zur Theologica Institutio genannt hat, nämlich Sünde, Gesetz und Gnade, zählt Melanchthon nun als ersten locus der Capita von 1520 De libero arbitrio. In der Nennung der vier loci und in deren Aussagen stimmen die Capita im wesentlichen mit den Loci communes 1521 überein. Gegenüber der Theologica Institutio tritt in den Capita die Tugendlehre deutlich zurück. Dieses ist der Anfang einer Entwicklung, die in den ersten Jahren in Melanchthons Theologie stattfindet. Zwar betont Melanchthon auch im Jahr cula bezeichnet, die gegen seinen Willen veröffentlicht wurde; vgl. PHILIPP MELANCHTHON, Loci communes 1521, Lateinisch-Deutsch, übersetzt und mit kommentierenden Anmerkungen versehen von H.G. Pöhlmann (künftig zitiert als „Loci communes 1521"), S. 12, W 2. 29 H. GERHARDS, Entwicklung, S. 25. 30 Vgl. ANTON SPERL, Eine bisher unbeachtete Vorlesung Melanchthons über den Römerbrief im Herbst 1521, in: ZKG69,1958, S. 115-120, bes. 113f. 31 Die Übersetzung s. PAUL JOACHIMSEN, Loci communes. Eine Untersuchung zur Geistesgeschichte des Humanismus und der Reformation, in: LuJ 8, 1926, S. 27-97, Zitat S. 71. Den lateinischen Text vgl. StA I, S. 42,1-7: „Si rerum Theologicarum compendiariam rationem desideras, si cognoscere animus est, quae vitiorum ac virtutum radices sint, qui fructus, qui mores Christiana mente digni, quid principibus, quid episcopis, quid populo, quid tibi, quid humanis, quid divinis legibus debeas, nemo accuratius, nemo commodius Paulo docet." In der Vorrede zu Luthers Operationes in Psalmos vom März 1519 stellt Melanchthon besonders den Römerbrief neben die Psalmen als die herausragenden biblischen Schriften zur Beruhigung der Affekte und zur Heilsaneignung.

Die Willenslehre in den Rerum theologicarum

capita von 1520

37

1520 in der Festrede zur Bekehrung Pauli immer wieder die vollkommene Tugend, die durch Christus gelehrt wird. Diese Aussage ist aber gegenüber der Tugendforderung und dem Verständnis der Theologie des Apostels Paulus als doctrina christiana im Sinne von Erasmus im Laufe dieser eineinhalb Jahre seit Melanchthons Eintreffen in Wittenberg 1518 einem Wandel unterworfen. Eine wichtige Veränderung vollzieht sich dabei in der Lehre vom Gesetz. Das Gesetz dient als lex spiritualis nicht wie in der Interpretation von Erasmus dem Kampf gegen die schlechten Affekte, die durch den Intellekt beherrscht werden sollen, wie es auch Melanchthon in der Vorrede zu seiner griechischen Grammatik vertreten hat. Das Gesetz als lex spiritualis dient vielmehr der Forderung von Affekten, die dem ureigensten Affekt des Menschen, der Selbstliebe, entgegenlaufen.32 „Der Geistcharakter des Gesetzes zeigt sich also nicht darin, daß es zum Kampf gegen die Sinnlichkeit aufruft, sondern daß es den Willen des Menschen an die Liebe zu Gott binden will."33 Es tritt damit wesentlich stärker der rechtfertigende Charakter des Glaubens extra nos als Glauben an die Heilstat Christi hervor als in der humanistischen Lehre, die aufgrund der habitualen Gnade den Menschen zur Tugend befähigt sieht. Damit richtet sich die Forderung der lex spiritualis bei Melanchthon auf das Verhältnis des Menschen zu Gott, das der Mensch nicht aus eigener Kraft wiederherstellen kann. Damit erklärt sich nun auch leichter, warum Melanchthon die Lehre vom unfreien Willen in seine Theologie integrieren konnte. Die Bedeutung der Ethik als Forderung nach tugendhaftem Handeln tritt in den Jahren von 1518 bis 1520 stetig weiter zurück, bis das Gesetz als lex spiritualis vom Evangelium her eine neue Bedeutung erhält. Von diesem Verhältnis aus wird die Freiheit des Menschen neu definiert. Freiheit im Verhältnis zu Gott kann es für den Menschen nicht geben, weil er der Forderung des Gesetzes, die Selbstliebe aufzugeben und Gott zu lieben, nicht aus eigener Kraft nachkommen kann. Die Spannung von Geist und Fleisch umfaßt den Menschen von außen und bestimmt ihn nicht allein als Kampf von Verstand und Affekt im Sinne der Antike und des Humanismus.34 Damit ist das Verständnis von Tugend in einen neuen Kontext gestellt, der diese als die theologischen Tugenden versteht, die als Wirkung der Gnade in der Theologica Institutio beschrieben worden sind. Die anderen Tugenden verlieren in der Darstellung Melanchthons ihre Bedeutung so weit, daß die allgemeine Forderung nach tugendhaftem Leben bei der Beurteilung der Frage nach der Freiheit des Willens nicht mehr explizit berücksichtigt wird. 32

Vgl. CR XXI, 27/28: „Morales leges spirituals sunt et affectum exigunt." W. MAURER, Lex, S. 180. 34 Vgl. HEINRICH BORNKAMM, Melanchthons Menschenbild, in: Walter Elliger (Hg.), Philipp Melanchthon. Forschungsbeiträge ..., Göttingen 1961, S. 7 6 - 9 0 (künftig zitiert als „Menschenbild"), S. 63. 33

Melanchthons Willenslehre in den Jahren 1518-1521

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1.4 Auswertung Melanchthon hat 1518 im humanistischen Sinne von der Hl. Schrift als philosophia christiana gesprochen, die tugendhaftes Leben lehrt. Voraussetzung für diese Lehre ist ein freier menschlicher Wille, der den Erkenntnissen des Verstandes zustimmt. Das tugendhafte Leben wird in dieser Lehre als Gegensatz zum affektbestimmten Leben verstanden. So ist die philosophia christiana entsprechend der humanistischen Vorstellung daraufgerichtet, die Affekte zu beherrschen. Bereits 1519 spricht Melanchthon vom unfreien Willen, der den Affekten unterliegt. Das ist erklärbar durch den Einfluß Luthers, dessen Theologie Melanchthon in kurzer Zeit rezipiert haben muß, um zu einem so umfassenden theologischen Verständnis zu gelangen. Melanchthons Bakkalaureatsthesen von 1519 spiegeln seine Auffassung wider. Er geht von der Sündhaftigkeit des Menschen als anthropologischer Grundbestimmung aus. Alle Handlungen des Menschen sind Sünde, weil sie vom amor sui ausgelöst werden. Erst durch die aus dem Glauben hervorgehende Liebe kann der Wille den Verstand veranlassen, einer These (propositio) zuzustimmen, die außerhalb der Vernunft und seiner eigenen Erfahrung liegt.35 Der Glaube als assensus ist Indiz für einen von der Intelligibilität des Menschen ausgehenden theologischen Ansatz, der humanistischem Denken zugrundeliegt. Von hier aus ergibt sich Melanchthons Umdeutung der Tugendlehre, in der er Tugend nicht mehr als Handlungen versteht, bei denen der Mensch mit dem Willen den Affekten widersteht. Aufgrund der Gnade Gottes steht nun die Tugend als Ausdruck der Relation des Menschen zu Gott im Mittelpunkt, die an der lex spiritualis gemessen werden muß. Damit tritt die ethische Forderung im Sinne der Aufforderung zu tugendhaftem Leben in Melanchthons Theologie weitgehend in den Hintergrund, da das Verhältnis Gott - Mensch von Rechtfertigung und Gnade neu konstituiert wird und nicht vom menschlichen Willen her aufgebaut werden kann. Aber dennoch liegt Melanchthon in dieser Zeit noch an der realen Erfüllung der Gebote mehr „ - oder er spricht mehr davon - als daran, daß Christus das Gesetz erfüllt hat. Die unüberwindliche Macht der Sünde bedrängt ihn [Melanchthon, Anm. d. Verf.] zunächst mehr als die Schuld."36 So wird die Macht der Sünde durch den Affekt der Gottesliebe gebrochen, der den Menschen zu Gott fortreißt. Dieses Fortgerissenwerden versteht Melanchthon 1520 als eine virtus absoluta, die dem Menschen durch die Gnade zuteil wird. 35

Vgl. StA I, S. 24,4f. 17-28: „1. Natura humana diligit sese propter seipsam maxime. 9. Ergo Christi beneficium est iustitia. 10. Orrtnis iustitia nostra est gratuita dei imputatio. 11. Ergo et bona opera peccata esse non est absimile vero. 12. Intellectus nulli propositioni assentiri potest citra rationem aut experientiam. 13. Nec voluntas per sese intellectum eicotibus cogere potest, ut assentiatur. 14. Voluntas per charitatem rapta ad obiectum credibile imperat intellectui, ut assentiatur. 15. Hic assensus fides est seu sapientia." 34 H. BORNKAMM, Humanismus, S. 76.

2. Die Willenslehre in den Loci communes rerum theologicarum seu hypotyposes theologicae

1521

2.1 Einfuhrung Nachdem Melanchthon sich in den Jahren 1518-1521 in seiner Theologie intensiv mit der humanistischen Lehre und mit der reformatorischen Theologie Luthers auseinandergesetzt hat, zeigt sich in den Loci communes rerum theologicarum seu hypotyposes theologicae 1521 ein verändertes Bild. Melanchthon ist in die Auseinandersetzung Luthers mit der scholastischen Theologie nach der Leipziger Disputation 1519 hineingezogen worden, nachdem er in einem Brief an seinen Freund Oekolampad einen Bericht von der Disputation mit einer persönlichen Stellungnahme zu diversen Punkten geschrieben hatte. „In dieser Darstellung hob er den Unterschied zwischen der .Theologie Christi' und dem Aristotelismus der Scholastik als einen ihm besonders wichtig erscheinenden hervor, verurteilte an Eck den gelehrten Sophismus, erkannte aber gleichwohl seine großen Geistesgaben an, [...]."' Dieser Brief wurde veröffentlicht und rief eine heftige Reaktion Johann Ecks hervor, die Melanchthon seinerseits nicht unbeantwortet lassen konnte. Den Geist dieser Auseinandersetzung zwischen lutherisch-reformatorischer und scholastischer Theologie atmen die Loci communes 1521. Melanchthon kannte das Sentenzenwerk von Petrus Lombardus, über das er kritische Bemerkungen verfassen wollte.2 Die Auseinandersetzung mit der Theologie der Hochund Spätscholastik war in Wittenberg in vollem Gange und hat daher ihren Niederschlag in den Loci communes 1521 gefunden.3 Die Loci communes rerum theologicarum seu hypotyposes theologicae 1521 sind von Melanchthon als Verbesserung der Capita von 1520 herausgegeben worden. Im Sommer des Jahres 1520 war gegen Luther die Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine" ergangen, der im Januar 1521 die Bann-Bulle „Decet Romanum Pontificem" folgte. Nun war die gemeinsame theologische Arbeit mit Luther zu einer Sache auf Leben und Tod geworden. In diese Situation hinein schreibt Melanchthon zu Beginn des Jahres 1521 die Loci communes, die er im Laufe des Jahres immer wieder verändert hat, bevor sie 1

P. MEINHOLD, Melanchthon, S. 15. Vgl. Melanchthons Brief an Johannes Heß vom 27.04.1520, MBWI, Nr. 84, S. 192,30f.: „Ego in Obeliscis Sentenciarum ostendam, quibus locis in natura hominis hallucinati sint magisterculi Uli ,τριόβολοι'". 3 Vgl. W. MAURER, Melanchthon II, S. 113. 2

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Die Willenslehre in den Loci communes

1521

im Dezember 1521 erscheinen. Bereits im Februar 1521 hatte er die Veröffentlichung in einem Brief an Johannes Heß angekündigt, in den Druck gegangen sind die Loci communes aber erst im April 1521. Zeit zur Veränderung hatte Melanchthon auch noch während des Druckes. Luther erwähnt Anfang August in einem Schreiben an Melanchthon, daß der Druck so langsam vor sich geht, weil von sechs Druckpressen vier für ihn selbst und nur jeweils eine für Melanchthon und Karlstadt verwendet werden. Melanchthon beantwortet in einem Brief an Georg Spalatin am 3. September 1521 eine Frage bezüglich des Affektverständnisses in den Loci communes 1521,4 so daß davon auszugehen ist, daß Spalatin diesen Teil der Loci communes 1521 einige Tage vorher erhalten hat. Ende November schickt Melanchthon an Spalatin die Druckbögen F-P mit der Anmerkung, daß der Rest noch ca. zwei Bögen benötigt.5 Bei der Abfassung der Loci communes 1521 hatten auf Melanchthon Luthers Schriften des Jahres 1520 einen ebenso großen Einfluß wie auch dessen Schrift gegen Latomus 1521.6 Obwohl Melanchthon die wichtigsten Erkenntnisse für die Loci communes 1521 aus dem Römerbrief gewonnen hat, was sich aus den Vorarbeiten und der parallel zur Veröffentlichung von ihm gehaltenen RömerbriefVorlesung ableiten läßt,7 versteht er die Loci communes 1521 als Anleitung zum Verständnis der Hl. Schrift und nicht als Kommentar. Melanchthon bezeichnet die Loci communes 1521 immer wieder als Methodus und rückt sie damit in die Nähe von Erasmus' Ratio seu methodus compendio perveniendo ad veram theologiam von 1519, die Erasmus als Einleitung zur Ausgabe des Neuen Testamentes herausgegeben hat.8

4

Zu den drei angesprochenen Briefen vgl. Melanchthon an Johannes Heß vom 20.02.1521, MBW I, Nr. 126, S. 260,35f.: „Methodum quam pollicitus sum, in hanc aestatem, ut spero, edam." Vgl. LUTHER an Melanchthon vom 03.08.1521, MBW I, Nr. 158, S. 330,97-102: „Conqueritur etiam mihi de tarditate vestra excudendi, ,arguo' itaque et ,increpo' vos ,oportune' et,importune'. Ecce quid ultra faciam? Habetis, ut audio, sex praela, et ego, ut numero, solus quattuor occupo, Methodus tua et Carlstadius duo." Vgl. Melanchthon an Spalatin, [Anfang September 1521], MBW I, Nr. 163, S. 337,2-5. Zum Druck der Loci communes 1521 Anfang April vgl. MBW I, Nr. 135, S. 274,10. 5 Vgl. den Brief an Spalatin vom November 1521, M B W I , N r . 181, S. 384,4-385,9: „Quae volebas mitto: [...] - et de Methodo [meint die Loci communes 1521, Anm. d. Verf.] mea ab F. ad P. Ad summam eius operis duae tantum, ut spero, adhuc chartae accedent." 6 Vgl. R. STUPPERICH, Melanchthon, S. 38. 7 Vgl. den Brief Melanchthons an Johannes Heß vom 20.02.1521, MBW I, Nr. 126, S. 260,34f.: „Pauli Romanos adhuc enarro, nunc tractans caput X." 8 Zur Bezeichnung der Loci als Methodus vgl. MBW I, Nr. 126,35; aaO., Nr. 135,10; aaO., Nr. 158,100; aaO.,Nr. 163,5. Zum Verständnis Aer Ratio seu methodus compendio perveniendo ad veram theologiam von Erasmus vgl. PETER WALTER, Theologie aus dem Geist der Rhetorik. Zur Schriftauslegung des Erasmus von Rotterdam, (TSTP 1) Mainz 1991 (künftig zitiert als „Theologie"), S. 96ff. Vgl. S. WIEDENHOFER, Formalstrukturen, S. 315.

Einfuhrung

41

Die Willenslehre wird in den Loci von 1521 schwerpunktmäßig in den beiden Kapiteln De hominis viribus adeoque de libero arbitrio und De peccato entwikkelt. Diese beiden Kapitel enthalten die Grund- und Kernaussagen der Anthropologie; dabei macht Melanchthon bereits im Widmungsbrief und in der Einleitung deutlich, daß es nicht um eine philosophische Anthropologie geht, sondern um eine theologische. Melanchthon kritisiert an seinen Gegnern, daß sie die forma christianismi nicht allein aus der Hl. Schrift erheben, sondern sich der Philosophie bedienen, die er als humanae rationis aestimatio bestimmt.9 Dieses Vorgehen der Gegner führte zu „scholastischen Possen"10, nicht aber zu der Hl. Schrift angemessenen Aussagen. Melanchthons Ziel ist die Darstellung der Lehre Christi in den wichtigsten Hauptpunkten und die Abwehr der sich aus der Philosophie ergebenden aristotelicae argutiae, die er überall in der Theologie gegenwärtig sah.11 Die Ergebnisse der scholastischen Theologie blieben außerdem zu sehr im Bereich der Historie.12 Dieser Geschichtskenntnis setzt Melanchthon die cognitio christiana entgegen, die sich allein darauf richtet „zu wissen, was das Gesetz fordert, woher man die Kraft holen kann, das Gesetz zu erfüllen, woher man die Gnade für die Sünde bekommen kann, wie man den ins Wanken gekommenen Sinn [animus, Anm. d. Verf.] gegen Teufel, Fleisch und Welt aufrichtet, wie man das zerschlagene Gewissen tröstet"13. So hat Melanchthon als Ausgangspunkt seiner Loci der Philosophie und der Theologie jeweils eine bestimmte Erkenntnisweise zugeordnet. In der Philosophie beschäftigt man sich mit der Kenntnis der Historie (historiam novisse), z.B. mit den Tugenden und Lastern, in der Theologie dagegen mit der cognitio christiana, deren Gegenstand allein das beneficium Christi ist.14 Diese Unterscheidung von Philosophie und Theologie ist nicht ein hermeneutischer Schlüssel, mit dem Melanchthon an die Exegese der Hl. Schrift herangeht. Es handelt sich dabei vielmehr um eine in der Exegese gewonnene Erkenntnis, die er in der Einleitung vorausschickt, um das Verständnis des Folgenden zu erleichtern.15

9

Vgl. Loci communes 1521, S. 14/16, W,8. Vgl. Loci communes 1521, S. 16, W,10. " Vgl. Loci communes 1521, S. 12, W,4. 12 Vgl. Loci communes 1521, S. 22, 0 , 1 4 . 13 Loci communes 1521, S. 23/25, 0 , 1 6 (Übersetzung v. H.G. PÖHLMANN). 14 Vgl. Loci communes 1521, S. 22, 0 , 1 3 . 15 Vgl. W. MAURER, Programmschrift, S. 3. MAURER äußert hier über die Theologica Institutio in Epistolam Pauli ad Romanos, daß in ihr aufgrund der Anwendung der Regeln der Rhetorik die Loci-Methode als Sammlung von Hilfsbegriffen zu verstehen ist, die aus der Exegese gewonnen worden sind. Gleiches gilt für die Ablehnung der Philosophie in bezug auf die theologische Erkenntis in den Loci communes 1521\ auch sie ist ein Ergebnis der Exegese. 10

Die Willenslehre in den Loci communes 1521

42

Indem Melanchthon philosophische Spekulation in der Theologie ablehnt,16 wird deutlich, daß er in den Loci communes 1521 den Menschen in seinem Glaubensvollzug fest im Blick hat bei der Entwicklung der theologischen Argumente der Erkenntnis Christi.17 Das im Widmungsbrief und in der Einleitung entwickelte Programm weist darauf hin, daß die anthropologische Grundlegung in ihrer theologischen Ausrichtung auch für die sich in den Loci communes 1521 anschließenden Kapitel folgenreich ist. Zwar tritt die Behandlung der Willenslehre thematisch zurück, jedoch wird auf sie an entscheidenden Stellen immer wieder Bezug genommen. Der Einfluß der Aussagen zu den anderen theologischen loci auf die Willenslehre darf hierbei ebensowenig außer acht gelassen werden. In die Analyse der Willenslehre sind daher die Kapitel De lege, De evangelio, De gratia und De iustificatione et fide einzubeziehen.

2.2 Analyse 2.2.1 Das Kapitel „De libero arbitrio " Melanchthon weist in der Exposition18 des Kapitels De hominis viribusque adeoque de libero arbitrio die Eigenständigkeit der Theologie und ihrer Methode gegenüber der Philosophie auf. Dabei betont er, daß auch bei der Heranziehung der Tradition stets die Hl. Schrift der Maßstab der Beurteilung sein muß.19 Vernunfterkenntnisse dürfen in der Willenslehre aus der Tradition nicht übernommen werden, da die Schrift hier dem Urteil der Vernunft widerspricht.20 Das Studium scripturae ist das Ziel der doctrina Christiana, die mit ihrer methodischen Eigenständigkeit von der philosophia zu unterscheiden ist, die durch das iudicium rationis humanae zu ihren Ergebnissen kommt. Melanchthon hält die Unterscheidung von Theologie und Philosophie speziell in dem Kapitel über die Kräfte des Menschen für wichtig, da besonders in diesem locus die Philosophie den Einzug in die theologische Wissenschaft gehalten hat.21

16

17

Vgl. W. MAURER, Programmschrift, S. 24.

Vgl. Loci communes 1521, S. 24, 0,18. Loci communes 1521, S. 24/26,1,1-7. 19 S. WIEDENHOFER spricht vom „sogenannten Schriftprinzip" aufgrund der Thesen 16 und 17 aus Melanchthons Bakkalaureatsthesen von 1519; vgl. SIEGFRIED WIEDENHOFER, Formalstrukturen, S. 151. Die Thesen vgl. StA I, S. 24,29-32: „16. Catholicum praeter articulos, quorum testis est scriptura, non est necesse alios credere. 17. Conciliorum auctoritas est infra scripturae auctoritatem." 20 Vgl. Loci communes 1521, S. 26, 1,4. 21 Vgl. Loci communes 1521, S. 26, 1,4. 18

Analyse

43

Die Ablehnung der Verwendung philosophischer Erkenntnisse innerhalb der Theologie bleibt für die Argumentationsstruktur in den Loci communes 1521 ein bestimmender Faktor. Mit dieser Ablehnung nimmt Melanchthon neben Luthers Kritik auch die humanistische Kritik an der scholastischen Theologie auf, die auf der grundlegenden Differenzierung von Vernunft und Offenbarung basiert. So übt auch Erasmus „Kritik an der herrschenden Theologie, insofern diese für Erasmus inhaltlich von heidnischen Philosophien durchsetzt ist"22. Auch Luthers Philosophiekritik galt ihrer Verwendung in der Theologie. Das Aussehen der Weltgegebenheiten zu erfassen und im irdischen Sinne Zweckmäßiges zu lehren, liegt im Vermögen der Philosophie; dafür ist sie auch nach Luthers Auffassung sinnvoll einzusetzen.23 Nachdem Melanchthon in der Exposition des ersten Kapitels seine Vorbehalte gegenüber der Philosophie geäußert hat, wendet er sich einer Betrachtung der Natur des Menschen zu.24 Hierbei „greift Melanchthon eine u.a. auch in ,De theologia mystica' von Johannes Gerson begegnende anthropologische Unterscheidung auf' 25 , die er jedoch variiert. Dabei setzt er sich zugleich mit anthropologischen Unterscheidungen der franziskanischen Theologie auseinander, wie sie kontextual bei Gabriel Biel vorkommen. Daß es vor allem die Theologie Biels ist, die Melanchthon hier vor Augen hat, legt sich aus zwei Gründen nahe. Erstens treffen, wie sich zeigen wird, die im folgenden zu behandelnden Punkte in Melanchthons Willenslehre immer wieder Aussagen, die in dieser Form bei Biel zu finden sind. Dieses inhaltliche Indiz wird zweitens gestützt von einem historischen Argument. Melanchthon war in diesen frühen Jahren seines theologischen Wirkens stark von Luther beeinflußt.26 Luther selber hatte in seiner Auseinandersetzung mit der scholastischen Theologie stärker die Theologie der via moderna als die der via antiqua vor Augen, die ihm aufgrund seiner Ausbildung besonders aufgrund des Collectoriums von Gabriel Biel bekannt war.27 Zwar führte er mit der Disputatio contra scholasticam theologianι28 „vor allem einen Angriff gegen die Theologie von Gabriel Biel, [...] traf aber zugleich die gesamte scholastische 22

S. WIEDENHOFER, Formalstrukturen, S. 40. Vgl. WILFRIED JOEST, Ontologie der Person bei Luther, Göttingen 1967 (künftig zitiert als „Ontologie"), S. 84f. 24 Vgl. Loci communes 1521, S. 26/28, 1,8-18. 25 KARL-HEINZ ZUR MÜHLEN, Melanchthons Auffassung vom Affekt in den Loci communes von 1521, in: M. Beyer/G. Wartenberg (Hgg.), Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe ..., Leipzig 1996 (künftig zitiert als „Auffassung"), S. 328. 23

26

Vgl. R. STUPPERICH, Melanchthon, S. 25f.; vgl. auch PHILIPP MELANCHTHON. Eine

Gestalt der Reformationszeit, Karlsruhe 1995 (künftig zitiert als „Philipp Melanchthon"), S. 18. 27 Vgl. BERNHARD LOHSE, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995 (künftig zitiert als „Luthers Theologie"), S. 32f. 28 MARTIN LUTHER, Studienausgabe, Bd. 1, hrsg. v. H.-U. Delius, Berlin 1979, S. 165ff.

Die Willenslehre in den Loci communes 1521

44

Theologie"29. Die Auseinandersetzung Melanchthons mit Biel war aber auch vorbereitet durch die Ausbildung, die Melanchthon in seiner Tübinger Zeit erfahren hat. Ein Schüler Biels, Wendelin Steinbach, scheint einer der Lehrer des jungen Melanchthon gewesen zu sein, so daß dieser mit der via moderna bereits vertraut gewesen sein muß.30 Melanchthon unterscheidet nun die Seelenvermögen des Menschen in eine vis cognoscendi, d.h. eine erkennende, rezeptive Kraft des Menschen, und in eine vis, e qua affectus oriuntur, die intentionalen, strebenden Kräfte des Menschen.31 In der scholastischen Psychologie werden die beiden Seelenvermögen auch vis apprehensiva und vis appetitiva genannt, die man ebenso als die Unterscheidung des kognitiven und des affektiven Bereichs im Menschen betrachten kann. Im Gegensatz zu Biel verzichtet Melanchthon nun ausdrücklich auf eine weitere Unterscheidung von sentire (Empfinden mit den Sinnen) und intelligere (verstandesmäßig verstehen) auf der apprehensiven Seite, sowie von appetitus sensuum und appetitus superior auf der affektiven Seite. Eine Differenzierung der vis appetitiva hält er nicht für notwendig, da allein der appetitus superior Betrachtungsgegenstand sein soll. Die Aussagen hierzu sind ohnehin auch für den appetitus sensuum gültig, der als das Körperlich-Triebhafte dem vernünftigen Bereich der höheren Triebe untergeordnet wird. Indem Melanchthon diese beiden Differenzierungen innerhalb der beiden Seelenpotenzen für irrelevant erklärt, verneint er die Grundlage von Biels Lehre, die von einem Konflikt der höheren mit den niederen Strebekräften ausgeht, da die niederen dem Urteil der Sinnlichkeit folgen.32 Dient die Kraft des Erkennens für Melanchthon u.a. der Wahrnehmung, dem Verstehen und Schlußfolgern, so versteht er die Kraft, aus der die Affekte hervorgehen, auch als Wille oder Affekt, durch die das Erkannte verworfen oder befolgt werden kann. Das Wollen ist also mit dem Affekt identisch, so daß der

29

Vgl. HELMAR JUNGHANS in der Einleitung zum Text der „Disputatio contra scholasticam theologiam", in: Martin Luther, Studienausgabe 1, Berlin 1979, S. 163. 30 Vgl. W. MAURER, Melanchthon I, S. 36f. Mit der via antiqua war Melanchthon ebenfalls vertraut, da er in Tübingen JAKOB LEMP gehört hatte, der für die Lehre der via antiqua zuständig gewesen ist. Melanchthon einem der beiden Wege zuzuordnen, ist sicherlich nicht möglich; vgl. zu dieser Frage S. WIEDENHOFER, Formalstrukturen, S. 99ff. 31 Vgl. KARL-HEINZ ZUR MÜHLEN, Die Affektenlehre im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, in: ABG 35,1992, S. 93-114 (künftig zitiert als „Affektenlehre"), S. 93. 32 Vgl. GABRIEL BIEL, Collectorium circa quatuor libros Sententiarum, hrsg. v. W. Werbeck/U. Hofman, Bd. 2, 1984 (künftig zitiert als „Collectorium"), II dist. 30 q. 1 art.l, not 1-3 (A-C).

Analyse

45

Wille sich nicht - anders als es Biel lehrt - dem niederen Drang widersetzen und dem Urteil der Vernunft folgen kann.33 Melanchthon folgt der mittelalterlichen Betrachtung der Seelenpotenzen, wenn er das liberum arbitrium als den mit der Erkenntnis oder Einsicht des Verstandes geeinten Willen erklärt. Vom freien Willen wird also dann gesprochen, wenn die vis apprehensiva mit dem Willen in einem „interaktiven Verhältnis"34 steht, wobei es hier keine Rolle spielt, ob der Wille der Einsicht folgt oder sie verwirft. In diesem Verhältnis dient die Erkenntnis dem Willen. Steht der intellectus in dem Verhältais eines interaktiven Austausches mit dem Willen, dann spricht die Tradition von der ratio. Die ratio ist demnach die Voraussetzung für den freien Willen, da sie durch die Kräfte des Menschen an sich konstituiert wird, während der freie Wille die Umsetzung der Erkenntnis der ratio als actio beinhaltet. Diese Vorstellung basiert auf der aristotelischen Lehre, daß „sich menschliches Leben in der Selbstbewegung der Seele gemäß der ihr immanenten Entelechie"35 verwirklicht. Diese Begriffe des liberum arbitrium und der ratio, die in einer im Menschen angenommenen ontologischen Struktur wurzeln, lehnt Melanchthon für die Theologie ab. Er beschränkt sich auf die beiden dynamischen Begriffe vis cognoscendi und vis, e qua affectus oriuntur. Die Intention dieser Beschränkung ist die Identifikation des Willens als eine Weise des Affektes. In der aristotelisch beeinflußten Anthropologie war der Affekt dem appetitus sensuum zugeordnet, so daß der freie Wille durch die von den Affekten weitgehend unbeeinflußte Interaktion zwischen intellectus und voluntas als „Triebkontrolle"36 fungieren konnte. Indem Melanchthon aufgrund der unterlassenen Differenzierung die gesamte vis appetitiva, also auch den traditionell als appetitus superior bezeichneten Bereich des Menschen als einen beschreibt, der von der vis, e qua affectus oriuntur, dominiert wird, unterliegt der Wille des Menschen der Dominanz des Affektes. Melanchthon verlagert also die Frage der Freiheit des Willens von den in der Tradition behandelten Fragen des Verhältnisses von appetitus intellectivus zu appetitus sensitivus und dieses Verhältnisses innerhalb der vis appetitiva zu der vis apprehensiva

33 Vgl. L. GRANE, Contra Gabrielem. Luthers Auseinandersetzung mit Gabriel Biel in der Diskussion Contra Scholasticam Theologiam 1517, (AThD 4) Dyldendal 1962 (künftig zitiert als „Contra Gabrielem"), S. 82. 34 KARL-HEINZ ZUR MÜHLEN, Art. Affekt II. Theologiegeschichtliche Aspekte, TRE I (künftig zitiert als „Affekt II"), S. 599. 35 KARL-HEINZ ZUR MÜHLEN, Reformatorische Vernunftkritik und neuzeitliches Denken. Dargestellt am Werk M. Luthers und Fr. Gogartens, (BHTh 59) Tübingen 1980 (künftig zitiert als „Vernunftkritik"), S. 14. 36 K.-H. ZUR MÜHLEN, Affektenlehre, S. 93.

Die Willenslehre in den Loci communes 1521

46

auf die Klärung der Relation nur der beiden letztgenannten Kräfte, die er vis, e qua affectus oriuntur, und vis cognoscendi nennt.37 Die vis, e qua affectus oriuntur, ordnet Melanchthon zusammen mit der vis cognoscendi nun dem theologischen Begriff des Gesetzes, sowie der Alternative von Tugend und Sünde zu. Indem die Freiheit des Menschen sich im strebenden Handeln vollzieht, fällt sie in der Lehre von den Seelenkräften, wie sie Melanchthon hier vertritt, unter die Kraft und damit unter die Macht der Affekte; sie ist dem von den Affekten dominierten Willen zugeordnet, der, theologisch betrachtet, der Forderung des Gesetzes unterliegt. Mit dieser Lehre stellt sich Melanchthon gegen Biel, dessen Lehre von der Freiheit des Willens die Freiheit dem rationalen Teil der Strebekräfte zuordnet, indem der rationale Wille als appetitus cognitivus der Begierde widerstehen kann, während der appetitus sensitivus mit Notwendigkeit dem iudicium sensus folgt.38 In der Folge dieser ontologischen Verankerung der Freiheit kann diese verstanden werden als die Möglichkeit „zu handeln oder nicht zu handeln, so zu handeln oder anders zu handeln"39. Von Biel wird sie als Freiheit vom Zwang in philosophischer,40 aber auch in theologischer Hinsicht verstanden. Als theologische Freiheit ist sie die Freiheit im weiteren Sinne.41 Damit ist deutlich, daß Melanchthon aufgrund seiner gegenüber der traditionellen metaphysischen Psychologie veränderten Distinktionen in bezug auf die Struktur des Menschen zu einem anderen Ergebnis in der Beurteilung der Freiheit des menschlichen Willens kommt. Die Begründung ist in der fehlenden biblischen Fundierung jener Aussagen zu finden. Sie sind Vernunfterkenntnisse und widersprechen daher den Aussagen, die aus der Bibel zu erheben sind. Verständlich wird dies vor allem, wenn die Grundaussage der Schrift einbezogen wird, wie sie Melanchthon aus Rom 8 in De peccato erhebt, daß die Sünde stets den ganzen Menschen bestimmt.42 Melanchthon spricht also nur von den zwei Kräften im Menschen, der begehrenden und der kognitiven Kraft. Beide findet er in der Hl. Schrift, wenn dort vom Menschen gesprochen wird. Die Bedeutung dieser Distinktion wird in der Sündenlehre evident, da die Sünde als begehrende Kraft im Menschen plausibel beschrieben werden kann. Ob es sich bei der einzelnen Tatsünde um ein höheres oder niederes Begehren handelt, ist eine Unterscheidung, die Melanchthon in der scholastischen Theologie, nicht aber in der Hl. Schrift gefunden habe. Daher spricht er ausdrücklich nur von der appetitiven und der apprehensiven Kraft des 37

Loci communes 1521, S. 26, 1,9. Vgl. L. GRANE, Contra Gabrielem, S. 101. 39 Loci communes 1521, S. 29, 1,18 (Übersetzung von H.G. PÖHLMANN). 40 Vgl. G. BIEL, Collectorium, II dist.25 q. 1 art. 1, not. (D Iss.); vgl. auch ebd., (B; C 20 ss). 41 Vgl. G. BIEL, Collectorium, II dist.25 q. 1 art.l, not. (C 1-19). Zur Freiheit im engeren Sinne vgl. ebd., (C 20ss.). 42 Besonders Loci communes 1521, S. 66-72, 2,56-74. 38

Analyse

47

Menschen, nicht aber von der Unterscheidung eines höheren und eines niederen Teils dieser beiden Kräfte. Nach dieser Erläuterung zur Seelenlehre, die die Funktion des Willens in einem Erkenntnis- und Handlungsprozeß veranschaulicht, wendet sich Melanchthon der Frage zu, ob der Wille frei ist oder nicht. Als erstes theologisches Argument gegen eine als evident erkannte Freiheit führt Melanchthon die divina praedestinatio an.43 Mit ihrer Nennung eröffnet er die soteriologische Perspektive, aus der das Bibelstudium seiner Meinung nach betrieben werden muß. Auf die philosophischen Erläuterungen läßt er, wie angekündigt, Argumente aus der Hl. Schrift folgen. Die Prädestination als aus der Hl. Schrift gewonnener hermeneutischer Schlüssel44 der Anthropologie ist die Basis der Verwerfung der traditionellen Distinktionen der metaphysischen Psychologie. Aufgrund der Begründung der Unfreiheit des Willens durch die Prädestination verändert Melanchthon seine Anthropologie. Er verweist damit auf die Relation des Menschen zu Gott, die die bestimmende Wirklichkeit des Menschen ist. Das Streben und Handeln des Menschen darf nicht nur als Interaktion von vis apprehensiva und vis appetitiva verstanden werden, sondern der Mensch ist als ganzer Mensch innerhalb der Relation zu Gott zu betrachten. Dabei spielt der Affektbegriff eine zentrale Rolle. In einem Brief an Georg Spalatin schreibt Melanchthon, daß dieser Begriff aus den Psalmen gewonnen worden ist. Melanchthon deutet demnach die Affekte im Kontext der Sünde des Menschen.45 Daher ist der Begriff des liberum arbitrium als solcher in einer theologischen Anthropologie nicht aussagekräftig. Als theologisch tragfähig erachtet Melanchthon stattdessen den Begriff cor. Das Herz ist die biblische Bezeichnung des unmittelbaren Verhältnisses, in dem der Mensch vor Gott steht. Das Herz ist der Ort, an dem Gott den Menschen erkennt; es ist der vom Menschen selber nicht zu verändernde, innerste Ort, da an ihm die Affekte entstehen, die den Menschen bestimmen.46 Deshalb ist sich der Mensch in seinem Innersten entzogen.47

43

Vgl. Loci communes 1521, S. 28-32, 1,19-32. Melanchthon bezieht sich besonders auf Rom 11,36 und Eph 1,11. 45 Vgl. MBW I, Nr. 163, S. 337,2-10: „De discrimine adfectuum habes, quid possint adfectus aut quales sint ii qui naturae nostrae congeniti sunt, in mea Methodo, ubi de peccato disputo. Sunt autem amor sui, contemptus dei, nihil magni facere quod sit dei, iuxta Psalmum: .Dixit insipiens in corde suo, non est deus'. Econtra spiritus adfectus est sui contemptus, odium, fastidium, magni facere quae sunt dei, credere, timere deum. Nec adfedctus isti aliunde quam ex Psalmis rectius intelliguntur." 46 Vgl. Loci communes 1521, S. 36, 1,44-46. 47 Vgl. H.-G. GEYER, Welt und Mensch. Zur Frage des Aristotelismus bei Melanchthon. Diss. Bonn, Bonn 1959 (künftig zitiert als „Welt"), S. 121f. 44

Die Willenslehre in den Loci communes 1521

48

Anhand der Stellung des Menschen zur Prädestination verdeutlicht Melanchthon die Differenz einer substanzontologisch strukturierten Anthropologie, die die ratio besonders gewichtet, und einer theologischen Anthropologie, die den Menschen in der Relation zu Gott vom Heiligen Geist bestimmt sieht.48 Die Vernunft kann mit dem Begriff der divina praedestinatio nicht leben, aber der Glaube aus dem Geist „umarmt" diese Vorstellung freiwillig. An der divina praedestinatio entscheiden sich Gottesfurcht und Gottvertrauen des Menschen. Zur Konkretion fuhrt Melanchthon zwei intellektuelle Tugenden nach Thomas v. Aquin an,49 nämlich sapientia undprudentia. Sind sie für die scholastische Tradition als Tugenden positiv zu bewertende Kräfte des Menschen als Ausdruck eines Lebens in Gnade,50 so betrachtet Melanchthon sie als Störfaktoren des Glaubens. Als affectus carnis behindern sie den Geist. In der thomistischen Tradition dienten sie als höhere Vermögen der Triebkontrolle und damit der Zurückdrängung der schlechten Affekte. Auch Biel versteht tugendhaftes Leben als Ausdruck eines Lebens in Gnade und ordnet die Tugenden damit der ordinatio divina zu. Durch die Kritik dieser beiden Tugenden reißt Melanchthon den Gegensatz zwischen Glauben und Werken auf, wenn die Werke, wie an der Definition der sich im Handeln konkretisierenden Freiheit deutlich geworden ist, Inhalt des Strebens sind. Die Werke, als Konkretion der Affekte des Menschen verstanden, fixieren ihn auf sich selbst, so daß letztlich der Glaube verneint wird. Glaube dagegen bedeutet im Zusammenhang mit der Affektenlehre, daß der Mensch sich nicht auf seine Tugenden verläßt, sondern glaubt, daß alles von Gott her geschieht.51 Dann reißt der Glaube als affectus spiritus den Menschen von sich weg. So wird der Mensch von dem facere, quod in se est, also von den Werken, weggeführt hin zum Glauben, der wie alles andere auch von Gott und seinem Geist gewirkt wird. Dagegen sind die Werke eine sichtbare Manifestation menschlichen Strebens zu Gott. Melanchthon nimmt den Menschen nur in der Relation coram Deo in den Blick, in der der Wille „als grundlegendes Streben des Menschen entweder unter

48 Vgl. Loci communes 1521, S. 30/32,1,26-32. - Die Gegenüberstellung von substanzontologisch strukturierter Anthropologie und theologischer Anthropologie möchte nicht den Begriff Ontologie an sich gegen die theologische Anthropologie abgrenzen. Auch die Anthropologie Luthers oder Melanchthons ist „ontologisch". Zum Ontologie-Begriff vgl. W. JOEST, Ontologie, S.13ff. und TUOMO MANNERMAA, Hat Luther eine trinitarische Ontologie?, in: Anja Ghiselli/Kari Kopperi/Rainer Vinke (Hgg.), Luther und Ontologie. Das Sein Christi ..., (SLAG 31/ VLAR. 21) Helsinki/Erlangen 1993, S. 9-27 (künftig zitiert als „Luther"), S. 9 und S. 18. 49

V g l . THOMAS, v . AQUIN, S T h 11,1 qu. 5 7 .

50

Vgl. L. GRANE, Contra Gabrielem, S. 94. Vgl. Loci communes 1521, S. 30, 1,28.

51

Analyse

49

der Herrschaft Gottes oder der Herrschaft der Sünde"52 steht. Dennoch hält es auch Melanchthon für notwendig, daß der Mensch seine ratio in der Welt bemüht, um die Freiheit in äußeren Dingen auszufüllen. Die Prädestination kann er nicht verstehen, wohl aber erkennen, daß er sie nicht versteht.53 Diese Erkenntnis resultiert aus der Interaktion zwischen Glauben und Erkenntnis, also aus der Relation Gott - Mensch, da die Vernunft (ratio), mit den affectus carnis in Relation stehend, diese Erkenntnis von sich aus nicht haben kann. Lehnt der Mensch im Vertrauen auf die ratio carnis das Prädestinationswirken Gottes als unverständlich ab, so erkennt er im Glauben die Unergründlichkeit des Wirkens Gottes und vertraut auf dessen Lenkung. Deutlich wird, daß Melanchthon der philosophischen Anthropologie die Möglichkeit theologisch richtiger Aussagen abspricht; für die Beurteilung der Freiheit in äußeren Dingen läßt er jedoch gelten, daß der Wille hier eine gewisse Freiheit hat, diese jedoch soteriologisch irrelevant ist.54 Aber selbst diese beobachtbaren äußeren Freiheiten des Menschen sind davon bestimmt, daß die eine Begierde von der noch stärkeren anderen Begierde bestimmt wird. Die scheinbare Wahl des Willens ist daher lediglich eine Unterscheidung der Heftigkeit des jeweils bestimmenden Affektes. Die von der thomistischen Schule gelehrte Freiheit durch das consilium intellectus wird von Melanchthon als Heuchelei interpretiert, da der Mensch anders handelt, als es das Herz möchte. Diese dem Verstand zugestandene Möglichkeit ist kein Beweis der Freiheit, sondern vielmehr ein Erweis der Unfreiheit des Menschen, der als Heuchler kein gutes Werk tut. Mit der Bestreitung der Freiheit in der Wahl der Akte wendet sich Melanchthon gegen die Lehre von den actus eliciti,55 wie sie u.a. von Biel vertreten wurde. Der Wille ist laut Biels Lehre bei diesen Akten die immediata causa, nicht jedoch causa sufficiens,S6 „weil [das] velle ein erkanntes Objekt voraussetzt. Die Erkenntnis des Objekts ist also partielle Ursache für den Willensakt, weil dieser ohne sie nicht produziert werden kann."57 Wählt der Mensch nicht den von der Vernunft erkannten Akt, sondern gibt dem appetitus sensitivus nach, verliert der Wille die Rechtschaffenheit, die darin besteht, in Übereinstimmung mit Gottes Willen zu leben. Folgt der Mensch nicht der Vernunfterkenntnis, sondern unterliegt im Aufruhr der niederen Seelenkräfte gegen die höheren, wird dieses als Schwäche der Natur ausgelegt, die durch den Verlust der iustitia originalis ent-

52 53 54 55 56 57

K.-H. ZUR MÜHLEN, Auffassung, S. 329. Vgl. Koh 8,17. Vgl. Loci communes 1521, S. 34/36 1,42^43. Vgl. Loci communes 1521, S. 40/42, 1,56-60. G. BIEL, Collectorium, II d 25 q. 1 art.2 concl. prima et responsalis (G). L. GRANE, Contra Gabrielem, S. 138.

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steht. Iustitia originalis wird als donum supranaturale verstanden,58 das als qualitas den Menschen in dem inneren Konflikt unterstützt und die Möglichkeit des Freiheitsmißbrauches einschränkt.59 Die Ursache der Differenz in der Lehre von der Unfreiheit des Willens bei Melanchthon und der Freiheit des Willens bei Biel ist in der unterschiedlichen Auffassung von der Erbsünde begründet, die in der Sündenlehre abgehandelt wird.60 Dieses wird an der Lehre der actus eliciti deutlich, auf die Melanchthon auch in der Sündenlehre erneut Bezug nimmt.61 Jedoch kann schon hier gesagt werden, daß Melanchthon sündiges Handeln nicht als Ergebnis eines inneren Konfliktes versteht, sondern als fehlgeleitetes Streben des Herzens (cor) und damit des ganzen Menschen vor Gott. Es ist entweder der ganze Mensch von den affectus carnis oder vom affectus spiritus bestimmt. Da Melanchthon die Möglichkeit äußeren Handelns gegen einen Affekt nicht ausschließt, diesen jedoch als Heuchelei interpretiert, darf der Mensch nicht nach seinen Akten beurteilt werden, sondern allein nach seinem Herzen. Dabei ist zu bedenken, daß der Christ erkennt, daß er über nichts weniger bestimmen kann als über sein Herz.62 Dieses radikale Verständnis der Unfreiheit des menschlichen Willens entwickelt Melanchthon in bewußter Absetzung von der Willenslehre der Spätscholastik Gabriel Biels, die sich als metaphysische Psychologie präsentiert. Melanchthon lehnt genau diese philosophische Basis ab und kommt mit einer biblisch fundierten Willenslehre zu dem gegenteiligen Ergebnis, der Unfreiheit des menschlichen Willens, die z.T. sogar über den Willen im Bezug auf äußere Dinge ausgesagt werden kann. Die Radikalität dieses Ergebnisses wird letztlich erst plausibel, wenn die theologische Perspektive der Unfreiheit, nämlich die Sünde, nicht mehr nur als Basis zu vermuten ist, sondern im folgenden Abschnitt als eigenes Thema in den Blick kommt. 2.2.2 Das Kapitel „Depeccato " Bereits in der Einleitung zum Kapitel De peccato6i bezieht Melanchthon deutlich Position gegen die in der scholastischen Theologie übliche Unterscheidung von Erb- und Tatsünde und gegen die Bedeutung der ratio in der Sündenlehre. Auch diese Distinktionen sind Vernunfterkenntnisse, die nicht der Hl. Schrift entsprechen. Damit setzt Melanchthon seine Kritik an dem Verständnis von Sünde fort,

58 59 60 61 62 63

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

G. BIEL, Collectorium, II dist. 30 q 1 art.2 concl. 3 (D 23ss.). L. GRANE, Contra Gabrielem, S. 81f. Loci communes 1521, S. 50/52, 2,11. Loci communes 1521, S. 76/78,2,82. Loci communes 1521, S. 42, 1,65. Loci communes 1521, S. 46, 2,1-2.

Analyse

51

das die Sünde strukturell im Menschen verankert und der Vernunft als recta ratio im inneren Kampf gegen die Sünde eine bedeutende Position zuweist. Insofern ist es konsequent, daß Melanchthon auf die Frage quidpeccatum64 als Antwort eine Definition der .Erbsünde gibt und nicht der Sünde im Allgemeinen. Unter Erbsünde versteht er eine angeborene Neigung, einen durch die Zeugung vermittelten Drang und eine Kraft, die uns zum Sündigen hinwegreißt.65 Melanchthon verwendet hier dynamische Begriffe. Diese Kraft, die dem Menschen angeboren ist, hat in den Taten ihre Früchte, so daß Tat- und Erbsünde nicht unterschieden werden können. Ihre rationale Differenzierung trennt aufgrund der Wahrnehmung die Sünde als Tat von der Grundbefmdlichkeit des Menschen. Jedoch bringt nicht die Tat den Menschen um sein Heil, sondern der Affekt des Herzens, der zu der Tat führt. Aus dieser einleitenden Definition wird bereits deutlich, daß Melanchthon in der Lehre von den Kräften des Menschen zu einer anderen Aussage kommen mußte als die Lehrer der via moderna. Diese beschreiben Sünde eher als Möglichkeit des Menschen, der er nach dem Verlust der iustitia originalis gerne erliegt. Für Melanchthon beherrscht die Sünde den ganzen Menschen, was er durch die dynamischen Begriffepropensio, impetus und energia ausdrückt. Diese Herrschaft ist so drückend, daß der Mensch keine Möglichkeit aus sich selbst hat, der Sünde z.B. in einem willentlich gewählten guten Akt zu widerstehen. Die hier verwendeten Termini pravus affectus und pravus cordis motus beziehen sich auf den Menschen in seiner Grundausrichtung. In den Aussagen zu den Affekten war das Herz der Ort der vis appetitiva, so daß das Streben nun an sich als pravus bzw. sündhaft bezeichnet wird, da die vis ad peccandum mit der vis, e qua affectus oriuntur,66 identisch ist. Auch terminologisch wird evident, wie bestimmend die Sünde für alles Handeln des Menschen aus eigener Kraft ist. Die Folge der sündhaften Grundbefindlichkeit des Menschen ist die Eigenliebe, da die Seele des Menschen erblindet ist. Melanchthon fuhrt hier die Distinktion spiritus - caro ein, um das Erblinden der Seele mit dem biblischen Terminus „Leben nach dem Fleisch" zu identifizieren.67 Ansatzpunkt der Kritik Melanchthons an der scholastischen Sündenlehre ist die Erbsündenlehre. Durch die Unterscheidung des peccatum originale in carentia iustitiae originalis als forma und in concupiscentia als materia der Erbsünde,68 wie sie auch bei Biel zu finden ist, wird Sünde allein zur Eigenschaft der Substanz des 64

Vgl. Loci communes 1521, S. 46/48, 2,3-6. Vgl. Loci communes 1521, S. 46/48, 2,3. 66 Vgl. Loci communes 1521, S. 26, 1,9 und S. 48, 2,4. 67 Ausführlich geht Melanchthon auf die Distinktion caro - spiritus ein: Loci communes 1521, S. 66-78, 2,56-78. 65

68

V g l . HEIKO AUGUSTINUS OBERMAN, S p ä t s c h o l a s t i k u n d R e f o r m a t i o n , B d . 1, D e r H e r b s t

der mittelalterlichen Theologie, Zürich 1965 (künftig zitiert als „Spätscholastik I"), S. 117f.

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Menschen erklärt. Wird Erbsünde als aus dem Gericht bzw. Zorn Gottes folgende Abwesenheit der Urstandsgerechtigkeit verstanden, dann bleibt die anima des Menschen im wesentlichen unverletzt,69 so daß an sich die Möglichkeit zum Guten wie zum Schlechten strukturell im Menschen weiterhin bestehen bleibt. Diese Möglichkeit des Menschen ist die Voraussetzung der Freiheit des menschlichen Willens. Melanchthon setzt gegen diese Lehre Gen 6,3 und Rom 8,5. Diese Stellen belegen, daß die den Menschen im Urständ bestimmenden affectus spirituales durch die Erbsünde verlorengehen und der Mensch statt dessen den affectus naturae bzw. affectus carnales unterliegt. Als den wichtigsten Affekt der menschlichen Natur, die nicht vom Geist erleuchtet wird, bezeichnet Melanchthon den amorsui, der an die Stelle des ersten Affektes des geistbestimmten Menschen tritt, durch den der Mensch ganz in der Relation zu Gott gehalten wurde. Mit dieser Konzeption steht Melanchthon in der Tradition Augustins, bei dem durch die Erbsünde der amor Dei durch den amor sui ersetzt wird.70 Auch Melanchthon versteht den Verlust des Geistes als Verlust der iustitia originalis. Die Bedeutung der iustitia originalis ist bei ihm jedoch vom Wechsel der Herrschaft des amor Dei zum amor sui in der Grundausrichtung des Menschen her zu verstehen. Damit ist die Urstandsgerechtigkeit keine dem Menschen inhärierende qualitas, sondern Bestimmung des Verhältnisses des ganzen Menschen zu Gott.71 Die Folge des verlorenen amor Dei ist der aktive Haß des Menschen auf Gott, weil Gott durch das Gesetz den Menschen mit Forderungen bedrängt, die der cupiditas des Menschen widersprechen.72 Daß Gott den Menschen durch das Gesetz bedrängt, steht in einer positiven Spannung zu der Aussage, daß sich Gott nach dem Sündenfall gegen den Menschen richtet.73 Die Gegnerschaft richtet sich nicht gegen den Menschen an sich, sondern gegen den Haß des Menschen auf Gott, der als negativer Affekt im Menschen dominant wird, nachdem die den Menschen leitenden affectus spirituales durch den Sündenfall verlorengingen.

69

Vgl. L. G R A N E , Contra Gabrielem, S. 85. Vgl. A U G U S T I N , Sermo 96,2, PL 38, Sp. 538: „Prima hominis perditio, fuit amor sui. Si enim se non amaret, et Deum sibi praeponeret, Deo esse semper subductus vellet: non autem converteretur ad negligendam voluntatem illius, et faciendam voluntatem suam. Hoc est enim amare se, velle facere voluntatem suam. Praepone his voluntatem Dei: disce amare te, non amando te Nam tu sciatis Vitium esse se amare, sic Apostolus dicit: Erunt enim homines se ipsos amantes. Et numquid qui amat se, fidit in se? Incipit enim deserto Deo amare se, et ad ea diligenda quae sunt extra se, pellitur a se: usque adeo ut cum dixisset idem Apostolus, Erunt homines seipsos amantes, continuo subjiceret, amatores pecuniae (II Tim. 111,3)." 71 Vgl. Loci communes 1521, S. 50/52, 2,10f. 72 Vgl. Loci communes 1521, S. 52, 2,12f. 73 Vgl. Loci communes 1521, S. 48, 2,8. 70

Analyse

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Jetzt ist verständlich, was Melanchthon mit dem Begriff „Affekt" im Kapitel von den Kräften des Menschen gemeint hat. Er untersucht nicht einzelne Affekte, sondern alle Affekte des Menschen in ihrer Grundausrichtung. Hierbei differenziert Melanchthon zwischen den beiden Ausrichtungen auf Gott und auf den Menschen selbst, letztere ist eine Frucht der Erbsünde. Beide Affekte reißen den Menschen mit, den Sünder jedoch die Selbstliebe, so daß er gegenüber diesem Affekt keinen freien Willen zur Gottesliebe hat. Der Erbsünde unterliegt der Mensch von Geburt an, da sein animus jenen schändlichsten und elendesten Affekten unterworfen ist,74 so daß ihm keine Kraft eignet, durch die er Gutes hervorbringen könnte oder durch die er sich der Macht der Erbsünde entziehen könnte.75 Die Folge der Erbsünde ist die Sündhaftigkeit aller Menschen, so daß sich die Erbsünde in den Einzeltaten des Menschen konkretisiert. Melanchthon verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff animus in der Bedeutung von cor. Im Altlateinischen war diese Verwendung gebräuchlich, wenn eine „ganzmenschliche Wirklichkeit [bezeichnet wird], die dem ganzen Menschen als leiblich-geistiger Person zukommt und einer Unterscheidung zwischen Leib und Seele vorausgeht"76. Melanchthon unterscheidet nicht im Menschen die affektiven Kräfte, die der Sünde unterworfen sind, und die kognitiven Kräfte, mit denen der Mensch sich den sündhaften Tatsünden entziehen kann. Sünde ist die den ganzen Menschen stets umfangende Lebenswirklichkeit.77 Damit schließt Melanchthon erneut die Vernunft als Kontrollfunktion zur Verhinderung von Sünde aus. Die Vernunft kann die Affekte und deren Dominanz über den Menschen nicht begreifen, da diese Einsicht die Erkenntnis voraussetzt, daß alles von Gott kommt und daß es keine Freiheit für den Menschen gibt.78 Diese Erkenntnis läuft der Selbstliebe des Menschen zuwider,79 so daß er sie verweigert. Indem Melanchthon dieses Verhalten, das sich auf das blinde Urteil der erblindeten anima verläßt und das nichts anderes als die Dominanz der Affekte im menschlichen Herzen ist,80 der Sünde zuweist, weil hier das Leben nach dem Fleisch propagiert wird, überfuhrt er die Aussagen über die Affekte, die er zunächst philosophisch-anthropologisch begründet hatte, auch terminologisch in den 74

Vgl. Loci communes 1521, S. 58, 2,28. Vgl. Loci communes 1521, S. 52/54, 2,16-18. 76 J. NEMETH, Das Wort Anima und sein Verhältnis zu Animus, Diss. Wien, Wien 1969, S. 137. 77 Vgl. Loci communes 1521, S. 60,2,36: „Omnes homines per vires naturae vere semperque peccatores sunt et peccant." 78 Vgl. Loci communes 1521, S. 32, 1,31 f. 79 Vgl. Loci communes 1521, S. 52, 2,12. 80 Vgl. Loci communes 1521, S. 48/50, 2,8. 75

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theologischen Zusammenhang von Sünde und Erlösung. So weist er den Affekten als Sünde ihren Platz im Verhältnis des Menschen zu Gott zu. Die aus den Kräften des Menschen hervortretenden Affekte, die Melanchthon als affectus carnales erkannt hat, werden so als Ergebnis der zerstörten Relation Gott - Mensch dargestellt. Wie die Sünde im Verhältnis des Menschen zu Gott gründet, so liegt auch die Hoffnung des Menschen im Verhältnis zu Gott begründet. Es ist allein der Glaube an die Erlösung durch Jesus Christus, der den Menschen retten kann.81 Glaubt der Mensch an seine Erlösung durch Jesus Christus, dann liebt er auch Gott über alles. An dieser Liebe entscheidet sich die Stellung des Menschen zu Gott und damit zum Gesetz, da die Gesetzestreue von Melanchthon immer am ersten Gebot gemessen wird. Gottesliebe und Gesetzeserfiillung sind an den Glauben gebunden. Der Glaube als Vertrauen auf Gott und Liebe zu Gott ist die Wirkung des Heiligen Geistes.82 Melanchthon legt hier den argumentativen Grundstein für die Entfaltung der reformatorischen Distinktion von Glauben und Werken, um sich mit der Verdienstlehre der scholastischen Theologie, besonders der von Gabriel Biel, auseinandersetzen zu können. Die Frontstellung gegen jede Lehre eines Verdienstes des Menschen wird anhand der Erkenntnis Melanchthons aus dem Römerbrief deutlich, daß alle Kräfte des Menschen mit „Fleisch" zu bezeichnen sind.83 Von dieser Basis aus greift Melanchthon die Lehre Biels gezielt an einigen Punkten an. Biel geht von einem Verständnis der Erbsünde aus, in dem die Erbsünde zum Verlust der iustitia originalis fuhrt und der Mensch den inneren Kampf zwischen den kognitiven und den affektiven Kräften nicht mehr eindeutig zugunsten der ratio entscheiden kann.84 Dennoch bleibt die Freiheit des Willens für Biel bestehen, da die anima mit ihren Potenzen durch die Erbsünde nicht geschädigt wird. Bleibt die Seelenstruktur intakt, kann der Mensch mit dem Willen Akte erwählen. Hierbei dient die ratio, als recta ratio verstanden, als normatives Kriterium für die bonitas bzw. malitia eines Aktes.85 Recta ratio versteht Biel als die lex naturalis manifestierende ratio, wobei die lex naturalis auf die lex dei bezogen ist. So ist die recta ratio als praktische Vernunft zu verstehen, die ihre Norm an der ewigen recta ratio Gottes hat.86 Der Begriff der recta ratio geht dabei auf Aristoteles

81 82 83 84 85 86

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Loci communes 1521, S. 60/62, 2,39f. Loci communes 1521, S. 72, 2,72. Loci communes 1521, S. 68,2,60. Loci communes 1521, S. 74, 2,76. Loci communes 1521, S. 76, 2,81. K.-H. ZUR MÜHLEN, Vemunftkritik, S. 29f.

Analyse

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zurück.87 Stimmt der erwählte Akt88 mit der recta ratio überein, dann handelt es sich um einen tugendhaften Akt. Hierzu ist es notwendig, daß der Wille dem dictamen rectae rationis folgt. Wird der Akt nicht willentlich gewählt, sondern „natürlich" gehandelt, kann er nicht als moralisch gut betrachtet werden.89 Für den einzelnen Akt ist die conscientia die Richtschnur,90 wobei diese stets an der synderesis geschärft werden muß, die als „natürliche Neigung des Menschen, Gutes zu tun und Böses zu meiden"91, durch die Sünde nicht verletzt ist. Die synderesis ist eine potentia nata, die den ersten praktischen Prinzipien ihrer Natur nach zustimmt und als solche für die conscientia normativ wird. So ist ein actus elicitus als moralisch guter Akt willentlich erwählt und an der recta ratio und der conscientia ausgerichtet. Biel unterscheidet fünf Grade einer virtus moralis, die am actus moraliter bonus gemessen werden.92 Dieser actus moraliter bonus ist ein actus meritorius, wenn er nach dem höchsten Grad der virtus moralis gehandelt und von der gratia infusa vervollkommnet ist. Hier verdient die Seele, durch die Gnade geformt, aufgrund des vom Willen und der Gnade erwählten Aktes den Lohn des ewigen Lebens de condigno.93 Biel betont, daß der hierbei bestehende Zusammenhang von bonitas und dignitas Gott nicht zur Annahme verpflichtet, sondern daß die Annahme aufgrund des freien Willens Gottes de potentia ordinata geschieht. Beim actus moraliter bonus, der als actus meritorius de congruo die Gnade erwirbt, besteht zwischen verdienstlicher Tat des Menschen und dem Lohn auch kein kausales Verhältnis. Der Lohn wird vielmehr aufgrund von Gottes Barmherzigkeit gewährt.94 Hier disponiert sich der Mensch zur Gnade, indem er tut, was in 87

Vgl. ARISTOTELES, Nikomachische Ethik, 1140b 31-1141a 8. Vgl. Loci communes 1521, S. 76/78,2,82. 89 Vgl. L. GRANE, Contra Gabrielem, S. 160. 90 Dagegen vgl. Loci communes 1521, S. 78/80, 2,86f. 91 H.A. OBERMAN, Scholastik I, S. 64. 92 Der erste Grad benennt die Übereinstimmung des Wollens mit dem Spruch der recta ratio. Der gewählte Akt soll Ehrenhaftigkeit und Nutzen als Ziel haben. Der zweite Grad zielt auf die Konsequenz dieses so gewählten Aktes. Auch in der Konsequenz darf er nicht gegen die recta ratio „verstoßen". Der dritte Grad fordert, daß der Akt allein aufgrund der Übereinstimmung mit der recta ratio gewählt worden ist. Der vierte Grad fordert als Ziel den amor dei, womit sich das Ziel der virtus moralis verändert, nicht aber deren Wesen, da die recta ratio mit der ersten Tafel des Gesetzes im Sinne der lex naturalis „auch Gott als das ultimus finis erkennen kann" (K.-H. ZUR MÜHLEN, Vernunftkritik, S. 37). Als fünfter Grad bedeutet die virtus heroica die Befolgung der recta ratio bis ins Martyrium hinein. Daraus ergibt sich die Gottesliebe als das Ziel des actus moraliter bonus, der sein Kriterium allein im dictamen rectae rationis hat. 93 Vgl. G. BIEL, Collectorium, II d 27 q 1 art.2 concl 1 (E). 94 Vgl. JOHANNES ALTENSTAIG, Lexicon Theologicum complecetens vocabulorum descriptiones, Diffinitiones, & interpretationes..., Venetiis 1583 (künftig zitiert als „Lexicon"), Art. Meritum de congruo, 288v-289v; vgl. H.A. OBERMAN, Spätscholastik I, S. 161f. 88

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ihm ist.95 Dabei entspricht das in se dem dictamen rectae rationis „und das ,facere' dem ,se confirmare' der bona voluntas mit der recta ratio"96. Für den Glaubenden bedeutet das, die Sünden zu bekennen, in allen Dingen Gott gehorchen und seinen Geboten folgen zu wollen. Dadurch schiebt der Glaubende den Riegel weg, der den Empfang der Gnade als gratia gratum faciens verhindert. Daß in dem Augenblick der Zuwendung die Gnadeneingießung erfolgt, ist eine necessitas imm utabilitatis.97 Jedoch hält es Biel für ausreichend, wenn der Mensch in einem kurzen Augenblick einfacher Zerknirschung, der attritio, den Akt der reinen Liebe hervorbringt.98 Dabei geht Biel von einer Trennung von contritio und attritio aus,99 wodurch er die Möglichkeit des Menschen zu diesem ersten Akt der Liebe zu Gott auch ohne Gnade argumentativ sichert, da echte contritio ohne Gnade nicht angenommen werden kann. Hier stellt er sich gegen Thomas v. Aquin, bei dem der attritus durch das Sakrament ex opere operato in ausreichende Reue verwandelt wird.100 Der Zuwendung des Menschen geht bei Thomas die gratia gratum faciens voraus, die als gratia operans et cooperans die menschliche Seele heilt.101 Deutlich wird anhand dieser von Melanchthon aufgegriffenen Punkte die Bedeutung des freien Willens für das gesamte menschliche Handeln. Vor allem die Schlüsselstellung des Willens für die Beurteilung eines Werkes als meritum oder demeritum hat den Widerspruch Melanchthons geweckt, denn für den Anteil, den der freie Wille und die Gnade an einem Akt haben, bedeutet das, daß der Wille den Akt frei wählt. Die Gnade unterstützt als habitus lediglich den Willen, den Akt zu wählen, „wodurch dieser leichter, ungehinderter und mit größerer Freude erwählt wird"102. Daß der Akt verdienstlich ist, beruht auf der Caritas. Der Wille bleibt im Zusammenhang von meritum und demeritum kontingent. Werden ein habitus infusus oder auch moralische Tugenden gestärkt, so gilt für die Caritas,

95

Vgl. G. BIEL, Collectorium, II dist. 28 q. 1 art.2 conl 1 (115-18): „Item: Voluntas ex suis naturalibus potest se disponere (faciendo quod in se est) ad gratiae susceptionem; non autem sie disponit se per actum deformem rationis dictamini; ergo per actum conformem. Ule autem erit moraliter bonus." Vgl. Loci communes 1521, S. 82, 2,94. 96 Vgl. K.-H. ZUR MÜHLEN, Vernunftkritik, S. 39. 97 Vgl. L. GRANE, Contra Gabrielem, S. 220. 98 Vgl. G. BIEL, Collectorium, IV d 14 q 2 a 1 opinio 3 (H); vgl. H.A. OBERMAN, Spätscholastik I, S. 147; vgl. Loci communes 1521, S. 86, 2,100. 99 Vgl. J. ALTENSTAIG, Lexicon, Art. Contritio, fol. 105v: „[...] attritio non est pars contritionis [...]." 100 Vgl. H.A. OBERMAN, Spätscholastik I, S. 146. 101 Vgl. THOMAS v. AQUIN, STh I - I I , q 111,2 c. 102 Vgl. L. GRANE, Contra Gabrielem, S. 257.

Analyse

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daß sie nur von Gott als causa efficiens vermehrt werden kann, jedoch wirkt der Mensch meritorie mit.103 So werden Sünde, Rechtfertigung und Gnade eng mit einer Aktionsstruktur des Menschen verknüpft. Diese Betrachtung, die den Menschen von Gott aufgrund einer philosophischen Anthropologie trennt, widerspricht dem biblisch fundierten Verständnis Melanchthons. Erbsünde ist für Melanchthon nicht der Verlust der iustitia originalis als donum superadditum in Form einer qualitas des Menschen. Sie reißt den Menschen vielmehr aus seiner Beziehung zu Gott durch den Verlust des Geistes, des Lichtes, der Wahrheit und des Lebens.104 Der Mensch kann dann nur noch mit Eph 2,3 als filius irae bezeichnet werden, der nicht in der Lage ist, das Gesetz zu erfüllen, da sich die Stellung zum Gesetz am 1. Gebot entscheidet. Es ist daher ausgeschlossen, daß der Mensch Gott lieben kann um Gottes willen. Die Ursache dafür ist die durch die Erbsünde gänzlich verdorbene Natur des Menschen. Die Verderbnis besteht im Verlust des Geistes, der den Menschen bestimmt hat. Nun lebt der Mensch nach dem Willen des Fleisches. Melanchthon betont, daß die caro in der Schrift die vorzüglichsten Kräfte des ganzen Menschen umfaßt. Leben des totus homo nach dem Fleisch bedeutet, daß der Mensch ein totus peccator ist und alle Taten des Menschen eine Frucht des Fleisches sind.105 Diese Konsequenz kann auch das Gewissen als innere Norm nicht verhindern; denn das Gewissen belehrt den Menschen nur über Gottes Zorn, so daß der animus des Menschen vor Gott zurückschreckt und ihn nicht lieben kann. Jeder Akt der Liebe zu Gott gegen diesen impetus ist Heuchelei, da nichts vom Menschen geliebt wird außer dasjenige, das ihm angenehm ist. „Aber Gott will nicht um irgendeines Vorteils willen geliebt werden, sondern umsonst. Denn wer den Vorteil liebt, liebt nicht Gott, sondern sich selbst, und gegen diese verkehrte (verkrümmte) Liebe macht die Schrift überall sehr viele Bedenken geltend."106 Das Gewissen hat bei Melanchthon wie auch bei Biel die Funktion, den Menschen über Gut oder Böse zu unterrichten. Die Unterrichtung dient jedoch nicht der Verbesserung der Handlungsweise, sondern der Erkenntnis des Angewiesenseins auf den Heiligen Geist. So führt die Unterrichtung des Gewissens auch nicht zur Verbesserung des tugendhaften Handelns und damit zur Erlangung eines Verdienstes durch opera moralia. In der Verdienstlehre ist bei den opera moralia letztlich aus Sicht Melanchthons an die Erfüllung der Gesetzesvorschriften des Alten Testamentes ge-

103 104 105 106

Vgl. Vgl. Vgl. Loci

G. BIEL, Collectorium I d. 17 q. 4 art. 2 propos. 9 (H). Loci communes 1521, S. 74, 2,76. Loci communes 1521, S. 66/68 2,57f. communes 1521, S. 81, 2,89 (Übersetzung von H.G. PÖHLMANN).

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dacht,107 so daß es sich bei dem Ausdruck meritum congrui um eine Gerechtigkeit aus der Gesetzeserfüllung handelt. Dieses Verständnis Melanchthons belegen die als Synonyma verwendeten Ausdrücke „pharisaicae praeparationes"108, „sui liberi arbitrii viribus [...] legem facere"109 und „opera moralia"110. Mit dem meritum congrui werde das Verdienst des Menschen hervorgehoben und so die Gnade Gottes geschmälert, ja sogar beleidigt. So betrachtet Melanchthon das Streben nach wahrer Tugend im Hinblick auf Verdienste als Ausdruck der menschlichen Sünde. Dieses Streben führe nicht zu Verdiensten vor Gott, sondern zeige, wie sehr der postlapsarische Mensch der Gnade bedürftig ist, so daß Melanchthon die aus eigener Kraft hervorgebrachten Tugenden als Frucht des Fleisches bezeichnet. 111 Von daher ist die Kritik der attritio als Zuwendung zu Gott die konsequente Folge. Daß durch sie die erste Hinwendung zu Gott geschehe, um die Gnade zu erlangen, wie es angeblich Sach 1,3 fordert, lehnt Melanchthon rundweg ab. Es sei dem Menschen unmöglich zu lieben, was ihm nach seinem eigenen Verständnis schade. Alles, was der Mensch an Reue hervorbringe, geschehe aus Furcht vor Strafe und sei lediglich Frucht der Selbstliebe und daher ein amor mendax. Es handelt sich in der Beurteilung Melanchthons bei dem, was in der scotistischen Tradition der Erlangung der Gnade dient, im urtümlichen Sinne um Sünde. Wahre Reue, die nur aus wahrer Erkenntnis der Sünde entstehen kann, werde allein von Gott gewirkt. Melanchthon erinnert in diesem Zusammenhang an die Prädestination,1 12 die in der gesamten Argumentation gegen jegliche Beteiligung der menschlichen Werke am Erwerb von Gnade und Rechtfertigung mitgedacht werden muß. Das Handeln des glaubenden Menschen bezeichnet Melanchthon durch den Begriff „Buße". Er spricht im Zusammenhang mit der Buße von einer duplex conversio Dei ad nos.in Diese Zuwendung Gottes zum Menschen, in der der Mensch, auch semantisch, Objekt von Gottes Handeln ist, ist Voraussetzung der Buße. Dabei handelt Gott so am Menschen, daß er den Menschen mit dem Geist anhaucht, wodurch der Mensch zur Erkenntnis der Sünde befähigt wird und in Schrecken gerät. Das Gewissen, das den Menschen in Schrecken versetzt, hat seine Einsicht in bezug auf die Sünde also nicht in der dem Menschen eingestifteten recta ratio, sondern im Heiligen Geist. Diese Einsicht ist dem Menschen entzogen, außer sie wird ihm von Gott gegeben.

107 Vgl. ALTENSTAIG, Lexicon, Art. De Legibus veteris Testamenti, 256v-257: Die opera moralia, als actus morales bezeichnet, sind auf die Erfüllung der praecepta morales gerichtet. 108 Loci communes 1521, S. 82/84, 2,95. 109 Loci communes 1521, S. 84, 2,97. 110 Loci communes 1521, S. 84, 2,99. 111 Vgl. Loci communes 1521, S. 68, 2,63. 112 Vgl. Loci communes 1521, S. 86, 2,101; S. 30, 1,28. 113 Vgl. Loci communes 1521, S. 86, 2,103.

Analyse

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Erst jetzt wird der Mensch, der bisher passiv ist, durch die Buße selber aktiv; jedoch handelt es sich bei dieser Aktivität um die Wirkung des Geistes und damit des Glaubens. Gott zieht durch den Geist den Menschen zu sich und erläßt ihm dann in einer zweiten Zuwendung die Strafen und verkündigt ihm die Versöhnung. Der Mensch ist hierbei lediglich der Reagierende, der sein Scheitern an den Forderungen des Gesetzes erkennen muß. Melanchthon betont dabei den Zusammenhang von Gesetz und Evangelium so, daß er das Gesetz nicht allein mit der Ablehnung des freien Willens als aufgehoben oder ungültig bezeichnen muß. Das Gesetz hat demnach seine Wirkung gerade darin, daß der Mensch dieses nicht erfüllen kann, da der Mensch in der Buße durch die unerfüllbaren Forderungen die Barmherzigkeit Gottes liebgewinnt. Somit ist das Gesetz bei Melanchthon auch ein wichtiger Schritt zum amor Dev, jedoch nicht durch die Erfüllung der Forderung, sondern durch die Unerfullbarkeit seiner Forderungen, die auf die Barmherzigkeit Gottes verweist.114 Nachdem Melanchthon anhand des Erbsündenverständnisses den Dissens mit der scholastischen Lehre aufgeführt und dabei die fehlende Leistungsfähigkeit der Terminologie der metaphysischen Psychologie erwiesen hat, da sie den Menschen von Gott trennt und separat untersucht, behandelt Melanchthon die Begrifflichkeit der metaphysischen Psychologie im Zusammenhang von Sünde, Gesetz und Gnade. Auf dieser Basis widerlegt er die Argumente Biels, die eine erste Abkehr von der Sünde mit dem freien Willen des Menschen begründen. Bei diesem Argumentationsgang wird deutlich, daß die Lehre von der Unfreiheit des menschlichen Willens in Melanchthons Theologie ein Ergebnis der Sündenlehre ist, während Biel von einer unveräußerlichen Freiheit des Willens ausgegangen ist, die dieser als Voraussetzung verantwortlichen moralischen Handelns betrachtet. Die Anthropologie Melanchthons wird vom Sündenbegriff aus erhellt, der eine Aussage über die Relation des Menschen zu Gott ist. Melanchthon hat seine theologische Anthropologie aus der Hl. Schrift gewonnen und von dieser her seine Polemik bzw. Apologetik entwickelt. Sünde ist in der Theologie Melanchthons nicht das Gegenteil von Tugend. Die Tugend des Menschen aus eigener Kraft ist eine durch die Erbsünde depravierte Tugend, da das Herz als Quelle menschlichen Strebens durch die Erbsünde korrumpiert ist. Der Wille hat demnach aus eigener Kraft nicht die Freiheit, sich gegen die Sünde zu entscheiden, weil diese seine eigene Grunddisposition darstellt. Dieses für die menschliche Erkenntnis hoffnungslose Bild des Menschen, der unter der Macht der Sünde leben muß, erhält durch Gottes Offenbarung in Gesetz und Evangelium eine von Grund auf neue Perspektive.

114

Vgl. Loci communes 1521, S. 88, 2,105.

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2.2.3 Die Kapitel „De lege " und „De evangelio " Das Verständnis des Menschen als totus peccator, wie es in der Sündenlehre von Melanchthon dargestellt wird, ist letztlich das Ergebnis der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Beim Gesetz unterscheidet Melanchthon das natürliche, das göttliche und das menschliche Gesetz, wobei das natürliche wie das göttliche von Gott gegeben ist.115 Beide haben jedoch eine unterschiedliche Ausrichtung. Die lex naturalis richtet sich vor allem durch die Bekanntmachung der mores auf die Tugenden, denen im Zusammenleben von Menschen eine große Bedeutung beigemessen wird, so daß die lex naturalis ihre Wirkung im öffentlichen Leben entfaltet. Daß auch dieses Gesetz von Gott gewirkt ist, resultiert aus der Aussage „quod a Deo fiant omnia"116. Das göttliche Gesetz wird von Melanchthon konsequent in seiner Wirkung auf das Evangelium hin ausgelegt. Daher darf es nicht im Zusammenhang mit den opera moralia auf die opera externa gerichtet verstanden werden, wie es bei Biel und auch bei Thomas v. Aquin117 geschieht. Der Zusammenhang von göttlichem Gesetz und äußeren Werken werde von der ratio hergestellt, die den Zweck des Gesetzes in der Vermeidung von Lastern findet. In dieser Interpretation könne das Gesetz seine soteriologische Wirkung nicht entfalten, da es fleischlich verstanden wird. Wer das Gesetz so auslege, erkenne die evangelische Gerechtigkeit nicht, deren Wirkung die instauratio seu benedictio hominis118 sei, da ihm deren Notwendigkeit nicht einleuchte. Melanchthon bezeichnet einen solchen Gesetzesausleger, weil er die durch das Kreuz geschehene Offenbarung der Nichtigkeit von menschlichen Werken ignoriere, als inimicus cruris.119 Melanchthon wendet sich nun auch gegen die thomistische Theologie. Thomas unterscheidet zwischen der lex vetus, die er mit den Geboten des AT identifiziert und als in tabulis lapideis geschrieben versteht, sowie der nova lex, dem Evangelium.120 Diese Periodisierung lehnt Melanchthon als nicht schriftgemäß ab. Melanchthon zeigt anhand der drei ersten Gebote, daß das Gesetz eine Forderung an das Herz ist. Die Gebote können nur im Glauben erfüllt werden. Hierzu muß der freie Wille des Menschen getötet werden, da der Mensch ansonsten das

1,5

Vgl. Loci communes 1521, S. 100, 3,5, aaO., 3,9 und aaO., S. 110, 3,46. Loci communes 1521, S. 30, 1,28. 117 Vgl. STh I—II, 98,1 resp.; 100,2; aaO., 108,3 resp. - Zum Verhältnis Vernunft - göttliches Sittengesetz sowie göttliches Sittengesetz-Naturgesetz vgl. O.H. PESCH, Kommentar, in: Thomas von Aquin. Das Gesetz, kommentiert von ders., I—II, 90-105, (Die deutsche ThomasAusgabe Bd. 13) Heidelberg u.a. 1977, S. 529-734 (künftig zitiert als „Kommentar"), S. 621f. 118 Vgl. Loci communes 1521, S. 158, 4,3. Vgl. aaO., S. 114/116,3,61. 120 Vgl. SThl-II, 106,3 ad 3. 116

Analyse

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Handeln Gottes, die Abtötung des alten Menschen, nicht rückhaltlos hinnehmen kann.121 Auch Thomas sieht bzgl. des ersten und zweiten Gebotes des Dekalogs eine Erfüllung in Abhängigkeit vom Glauben, da nur der Glaube diese Gebote bekannt macht. In Abhängigkeit vom Glauben ist jedoch die Erfüllung des Gebotes an die Tugendhaftigkeit gebunden, so daß der Glaube hier als Herstellung der sittlichen Vollkommenheit zur Erfüllung des ersten Gebotes gedeutet werden kann.122 Der Mensch wird durch die Gnade, durch die der Glaube vermittelt wird, „ontologisch auf das Niveau göttlichen Lebens gebracht und dadurch erst fähig zu jener endgültigen Bestimmung"123, in der Tugend erst richtige Tugend wird. Melanchthon bleibt der augustinischen Deutung des Glaubens im Sinne des Liebesraptus näher, weswegen es bei ihm nicht um die Verwirklichung der Vollkommenheit im Werk geht.124 Das Gesetz ist vielmehr eine Forderung an den ganzen Menschen (totus homo), da es Forderung an das Herz des Menschen ist. Jedoch kann der Mensch die Forderung z.B. der Gottesliebe nicht aus vollem Herzen erfüllen. Folglich klagt ihn das Gesetz dieser Gesetzesübertretung an. Dabei kann den Menschen die Unerfüllbarkeit des Gesetzes nicht exkulpieren, denn gerade in der Verurteilung und Verfluchung des Menschen entfaltet das Gesetz seine Wirkung.125 Ohne das Gesetz hätte die Sünde keine todbringende Wirkung. Erst diese Wirkung, durch die das Gewissen Gott als den Zürnenden erkennt und das Herz erschreckt, bringt dem Menschen seine Unfreiheit unter der Sünde zum Bewußtsein. Es ist daher die Unfähigkeit des Menschen, das Gesetz, das geistlich ist, zu halten, wodurch das Gesetz zum Organum mortis wird. Wenn der Mensch mit Hilfe des Gesetzes seine Unfreiheit unter der Macht der Sünde erkennt, wird er sich auch der Unfreiheit seines Willens bewußt. Von der Macht der Sünde her über die menschlichen Kräfte lassen sich die Begriffe „Herz" und „Gewissen", mit denen zwei wichtige Teile der menschlichen Disposition zum Handeln bei Melanchthon bezeichnet werden, genauer definieren. Die Rede vom Herz (cor) verweist nach augustinischem Vorbild auf den Menschen in seinem intimsten Verhältnis zu Gott, während conscientia eher als Begriff für den Menschen in einer verantwortlichen Einzelentscheidung im Bezug zum Gesetz Gottes verwendet wird.126 121

Vgl. Loci communes 1521, S. 112ff„ 3,55f. und 3,59ff. Vgl. THOMAS V. AQUIN, STh I—II, 100,2 resp. und aaO., 100,3 ad 3. Besonders deutlich wird die Identifizierung der Erfüllung von den Forderungen des Evangeliums mit den perfectae virtutes bei der Interpretation von Mt 7, aaO., 108,3 resp. 123 OTTO HERMANN PESCH, Einfuhrung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, Darmstadt 1981 (künftig zitiert als „Einführung"), S. 79. 124 Vgl. K.-H. ZUR MÜHLEN, Vernunftkritik, S. 14. 125 Vgl. Loci communes 1521, S. 158,4,3. 126 Vgl. WOLF GEWEHR, ZU den Begriffen anima und cor im frühmittelalterlichen Denken, ZRGG 27, 1975, S. 4 0 - 5 5 , Zitat S. 55. 122

Die Willenslehre in den Loci communes 1521

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Dabei entfaltet nicht nur das Gesetz seine Wirkung im Gewissen, sondern auch das Evangelium. Der Heilige Geist wirkt im Menschen den Glauben, mit dem der Mensch den Verheißungen des Evangeliums glaubt.127 Die Verheißungen zielen auf die confirmatio conscientiae und damit auf den Ort, an dem der Mensch durch das Gesetz erschüttert wird. Schon diese ineinander verzahnte Wirkung macht die Periodisierung von Gesetz und Evangelium als AT und NT, wie sie bei Thomas zu finden ist, unmöglich. Aufgrund der Bezogenheit beider aufeinander kann Melanchthon auch im ersten Gebot den Zuspruch finden, der zu den Frommen durch den göttlichen Geist spricht.128 Melanchthon beschränkt die Wirkung des Zuspruchs auf die Frommen, da nur sie den durch den Geist hervorgerufenen Glauben haben und daher die Sünde durch das Gesetz erkennen und die Wirkung der Gnade Gottes durch den Heiligen Geist erfahren.129 So ist das Gewissen bei Melanchthon wie bei Luther der Ort, an dem der ganze Mensch die Spannung von Gesetz und Evangelium unmittelbar erfährt.130 Indem Melanchthon das Gesetz wie auch das Evangelium in der ganzen Schrift findet und beide auf das Herz und das Gewissen zielen, bindet er sie enger aneinander als Thomas. Während das Gesetz den Menschen verurteilt, spricht Christus dem Menschen, dem Sünder, die Gnade zu. Die Bezeichnung des Evangeliums als nova lex verfehlt aus der Sicht Melanchthons den Kern evangelischen Redens. Das Evangeliumsverständnis als nova lex sieht die dem Menschen dargebotene Gnade Gottes nicht, die das Spezifikum des Evangeliums gegenüber dem Gesetz ist. Die Gnade kann nur mit Sünde zugleich aufgewiesen werden; d.h., Evangelium und Gesetz müssen zugleich gepredigt werden.131 Somit bindet Melanchthon die Gnadengabe an den Glauben, da nur das geistlich verstandene Gesetz auf das Evangelium Christi verweist. Die Einschränkung der Gnadengabe auf die Glaubenden ist an dem pneumatologisch evozierten Glaubensaffekt orientiert. Glaube wird dabei niemals zur Bedingung der Gnade, sondern ist die notwendige Voraussetzung, die Sünde zurückzudrängen, nachdem man sie durch das Gesetz erkannt hat, und als der Ort, an dem die Gnade Gottes erfahren wird.132 Mit diesem Gesetzesverständnis eröffnet Melanchthon bereits in der Lehre vom Gesetz den Spannungsbogen von Gesetz und Evangelium, der auch schon in der Sündenlehre seine Spuren hinterlassen hatte. Es ist die theologische Funktion des Gesetzes, die Sünde aufzuzeigen. Dabei ist zugleich an die Unerfullbarkeit des Gesetzes gedacht. So kann der Mensch mit seinem Willen keine Akte wählen, die 127 128 129 130

Vgl. Loci communes 1521, S. 216, 6,20f. Vgl. Loci communes 1521, S. 166, 4,23. Vgl. Loci communes 1521, S. 112/114, 3,55f. Vgl. FRIEDHELM KRÜGER, Art. Gewissen. III. Mittelalter und Reformationszeit, in: TRE

X I I I , b e s . S. 2 2 2 - 2 2 5 . 131 132

Vgl. Loci communes 1521, S. 174,4,47. Vgl. Loci communes 1521, S. 174, 4,46f.

Analyse

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vor dem Gesetz Bestand haben, wenn es geistlich verstanden wird. In diesem Sinne erweist das Gesetz den Menschen stets als Sünder und daher den Willen des Menschen coram Deo als unfrei, denn die Freiheit, einen dem Gesetz gemäßen inneren Akt zu wählen, ist dem Menschen nach dem Sündenfall nicht gegeben. Die Erkenntnis der Sünde durch das Gesetz identifiziert Melanchthon mit dem Gericht über den Sünder, so daß nicht von der geringsten Vorleistung des Menschen im Sinne von contritio oder attritio gesprochen werden kann. Durch das Werk der Aufdeckung der Sünde, das allein Gottes Tat ist, wird der Anfang der Rechtfertigung vollzogen. Mit dem hierin gegründeten Schrecken des Gewissens und des Herzens beginnt die Buße des Menschen. Der Anfang der Buße ist keine Wirkung des freien Willens, sondern des Heiligen Geistes und des von ihm hervorgebrachten Glaubens. Im Glauben erkennt der Mensch die verurteilende Wirkung des Gesetzes und glaubt den Verheißungen des Evangeliums, der Gnade und der Rechtfertigung.133 Buße und Gericht sind dabei nicht als einmalige Akte zu verstehen. Melanchthon formuliert die Aussage im Präsens, daß es die Aufgabe des Heiligen Geistes ist, den erschrockenen Menschen, der vor Gott flieht, zurückzuziehen und zu festigen.134 Der Mensch bleibt der Sünder, der aufgrund des Schreckens, den die Erkenntnis der Wirkung des Gesetzes bei ihm hervorruft, vor Gott flieht und in seiner Sünde verstrickt bleiben möchte. Das Evangelium zeigt dem Menschen aber Gottes Barmherzigkeit und Gnade, so daß der Schrecken des Gesetzes im Blick auf das Evangelium zu einem heilvollen Schrecken wird. So verändern Gesetz und Evangelium die Perspektive des Menschen beim Anblick seiner Unfreiheit, da ihm, obwohl er unter der Herrschaft der Sünde steht, Gnade und Rechtfertigung im Evangelium verheißen werden. 2.2.4 Die Kapitel „De gratia " und „De iustificatione et fide " Als Verheißung des Evangeliums ist die Gnade für Melanchthon kein selbständiges Thema. Sie muß im Zusammenhang mit dem Evangelium, das die Gnade verheißt, und mit der Rechtfertigung, die die Wirkung der Gnade ist, sowie mit dem Glauben gemeinsam betrachtet werden, der die Gerechtigkeit selbst ist, wenn der Mensch an die Barmherzigkeit und die Gnade Gottes in Jesus Christus glaubt, wie sie im Evangelium verheißen ist. In dieser komplexen Einbindung richtet sich die Gnade auf den Menschen, der als totus homo wahrgenommen werden muß. Dem Menschen eignet keine durch die Gnade vermittelte, wie auch immer gestaltete qualitas. Hier richtet Melanchthon seine Argumentation auch gegen die

133

Loci communes 1521, S. 196, 4,114: „Lex terret, evangelium consolatur. Lex irae vox est et mortis, evangelium pacis et vitae [...]." 134 Vgl. Loci communes 1521, S. 192,4,102.

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thomistische Gnadenlehre, obwohl Thomas eine Bewegung des liberum arbitrium auf Gott hin ohne vorherige Wirkung der Gnade ausschließt. Thomas' Gnadenlehre basiert jedoch auf einer metaphysischen Psychologie mit substanzontologischen Kategorien. Die Gnade bezieht auch Thomas auf die Sünde des Menschen. Sünde versteht er als natura corrupta, durch die der Mensch das seiner Natur entsprechende Gute nicht mehr tun kann, da die Ordnung der Natur zerstört ist. Sünde ist bei Thomas daher als inordinatio der menschlichen Seele zu verstehen. Die Wirkung der auf die Sünde zielenden Gnade ist dementsprechend die Behebung dieser inordinatio bzw. corruptio oder deordinatio.ns Die Gnade überformt die corrupta natura bzw. inordinatio und ist in diesem Sinne eine quaedam qualitas, so daß die Gnade forma accidentalis der Seele ist und nicht forma substantialisP6 Thomas spricht im Zusammenhang mit der Gnadenlehre stets vom Menschen, an dem Gott seine Gnade wirkt, und hat daher einen anderen Ansatzpunkt für die Beschreibung der Wirkung der Gnade als Melanchthon. Dieser spricht im Blick auf Gnade allein von Gott. Gott wendet sich in der Gnade dem Menschen zu und erbarmt sich seiner. Diese Zuwendung ist gleichbedeutend mit der Vergebung der Sünden,137 sofern der Mensch an die im Evangelium verheißene Gnade glaubt. So ist der Schlüssel zum Gnaden- und Rechtfertigungsverständnis Melanchthons der Glaube, der durch den Heiligen Geist im Menschen bewirkt wird. Indem die gnadenhaft verheißene Rechtfertigung geglaubt werden muß, ist sie offenbarte Gerechtigkeit138 und als solche iustitia aliena. Bei diesem Glaubensverständnis ist für meritorische Werke kein Platz, da der Mensch passiv ist und bleibt, wenn er die Gerechtigkeit coram Deo empfängt. Thomas dagegen versteht auch den Glauben als otiosa qualitas in anima. Da dieser Glaube Heiden wie Christen inhäriert, kann dieser Glaube nicht die Gerechtigkeit sein, die vor Gott besteht. Thomas unterscheidet deshalb eine fides informis von der fides caritate formata. Die Liebe wird zur Form, die den Glauben als bloßen Akt des intellectus überformt und lebendig macht. Dieses Verständnis lehnt Melanchthon entschieden als unbiblisch ab. Eine Erkenntnis Gottes ohne den lebendigen Geist Gottes ist nichts anderes als eine bloße Meinung, die nicht als Glaube bezeichnet werden darf, sondern eher Unkenntnis und sogar Verachtung Gottes darstellt.139 Der ganze Mensch ist Objekt des Glaubens durch den Heiligen Geist, so daß nicht die Vernunft, sondern das Herz die Strenge Gottes erkennt und

135

V g l . THOMAS v . AQUIN, S T h I—II, 1 0 9 , 2 , resp.; a a O . , a d 2; a a O . , 1 0 9 , 7 r e s p . V g l . a u c h

aaO., 109,9, resp.: „[...] habituale donum, per quod natura humana corrupta sanetur." 136

V g l . THOMAS V. AQUIN, S T h I—II, 1 1 0 , 2 resp.; a a O . , a d 1 u n d a d 2 .

137

Vgl. Loci communes 1521, S. 202, 5,5-6; S. 204, 5,10f. Vgl. Loci communes 1521, S. 206, 6,2. Vgl. Loci communes 1521, S. 210, 6,8f.

138 139

Analyse

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sich der Mensch als homo coram Deo bzw. als Sünder bewußt wird und auf die Barmherzigkeit Gottes vertraut. Daraus folgt, daß Gnade das dynamische Geschehen ist, das den Glauben bewirkt. Dementsprechend kann Melanchthon Gnade nicht als qualitas verstehen, da sie als Rechtfertigung durch den Glauben das Werk des Heiligen Geistes ist.140 Die Gesetzesforderung verliert als geistliche Forderung für den Menschen durch den Heiligen Geist die ausschließlich erschreckende Wirkung, da er nicht mehr auf die Werke sehen muß mit der Angst vor dem Richter, sondern im Glauben auf Gott schauen kann. Indem Melanchthon den Glauben als „certitudo eorum, quae non apparent"141 bezeichnet, wobei die Gewißheit in der persönlichen Zusage der Gnade besteht, wird der Blick auf die Werke als Ausdruck des Unglaubens und der Sünde evident. Die Kräfte des Menschen versteht Melanchthon im Zusammenhang von Gnade und Rechtfertigung entsprechend der Abhandlung in den Kapiteln De libero arbitrio und De peccato als gänzlich zurückgedrängt. Anders lehrt es Thomas. Durch die Ausrichtung der Gnade auf die Heilung der Natur des Menschen werden die Kräfte dieser Natur auch im Zusammenhang mit der Rechtfertigung neu akzentuiert. Dabei wird der Wille nicht wie bei Biel als die Möglichkeit des Menschen verstanden, die erste Hinwendung zu Gott als dispositio ad gratiam zu vollziehen. Thomas setzt auch für die dispositio ad gratiam das Wirken Gottes voraus, die gnadenhafte Hilfe Gottes (auxilium gratuitum Dei). Diese Hilfe wirkt entsprechend dem Vermögen des Menschen auf das liberum arbitrium.U2 So bereitet sich der Mensch aus seinem eigenen Vermögen auf den Empfang der Gnade vor, wird dabei aber von Gott bewegt und zu Gott hingezogen.143 Dieses versteht Thomas als Aufstehen von der Sünde und als Akt des durch die Gnade befreiten Willens. Auf diesen Akt folgt die Eingießung der Gnade als donum habituale,144 durch das der Geistgrund des Menschen, die mens, geheilt wird. Der Mensch ist nun fähig, sich mittels des liberum arbitrium der Todsünden zu enthalten, da sie im höheren Strebevermögen ihren Sitz haben, während er den läßlichen Sünden ausgeliefert ist, die dem niederen Strebevermögen entspringen und daher nur teilweise durch die ratio vermieden werden können. In ihrer potentiellen Vermeidbarkeit liegt der Grund für die Annahme der Freiwilligkeit, die die Vor-

140

Vgl. Loci communes 1521, S. 216, 6,21: „Iustificat igitur sola fide." Loci communes 1521, S. 230, 6,57. 142 Vgl. THOMAS v. AQUIN, STh I—II, 113,3, resp.: „Homo autem secundum propriam naturam habet quod sit liberi arbitrii. Et ideo in eo qui habet usum liberi arbitrii, non fit motio a Deo ad iustitiam absque motu liberi arbitrii." 141

143

V g l . THOMAS V. AQUIN, S T h I—II, 1 0 9 , 6 , r e s p . ; v g l . a a O . , a d 1 u n d a d 4.; v g l . a a O . ,

112,2, resp. 144 Vgl. aaO., 109,7, resp. und ad 1; vgl. aaO., 112,2, resp.

Die Willenslehre in den Loci communes

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aussetzung ihres Verständnisses als Sünde darstellt.145 Andererseits ist die willentliche Enthaltung von der Sünde sowie die willentliche Handlung von guten Werken die Bedingung der als meritum verstandenen Akte. So geschieht die Heilung des höheren Strebevermögens auf die opera meritoria hin, bei denen es sich um tugendhafte Akte handelt, die aus den durch das Licht der Gnade dem Menschen gegebenen virtutes infusae hervorgehen. 146 Durch diese Werke verdient der Mensch das ewige Leben, wobei die Gnade in zwei Wirkweisen differenziert wird. Als den Willen zu einem verdienstlichen Werk anregende wird sie gratia operans genannt; als den Akt unterstützende bezeichnet Thomas sie als gratia cooperans.H1 Es ist daher die Gnade, die den Willen anregt und unterstützt; es ist aber das liberum arbitrium, durch das sich der Mensch von der Sünde abwendet und Gott zuwendet und daher verdienstliche Werke wirkt. An diesem Punkt setzt die Hauptkritik Melanchthons an Thomas ein. Hat Melanchthon zunächst in der Willenslehre und der Sündenlehre vor allem gegen den Voluntarismus Biels argumentiert, so greift er nun die Lehre an, daß der Mensch nach der Eingießung der Gnade verdienstliche Werke tun kann. Zum einen hatte Melanchthon schon in der Sündenlehre jegliche Unterscheidung von todeswürdigen bzw. läßlichen Sünden abgelehnt. Alle Werke des Menschen sind Todsünden, 148 da der Mensch nicht in niedere oder höhere Strebekräfte eingeteilt werden kann. Von hier aus hatte Melanchthon die Lehre vom liberum arbitrium als Verstandeseinsicht abgelehnt, die dem Sündenverständnis der Schrift widerspricht. Zum anderen lehnt Melanchthon die Rede von opera meritoria ab, da die Rechtfertigung prozeßhaft zu denken ist.149 Die Rechtfertigung ist stets nur eine begonnene, so daß das menschliche Herz nicht rein ist. Die aus dem Herzen entspringenden Werke können demnach nur unrein sein und taugen nicht zum Verdienst. Hier ist die Differenz zur Lehre von Thomas sehr groß. Um von verdienstlichen Werken sprechen zu können, nimmt Thomas die Rechtfertigung des Sünders in instanti in einer logischen Abfolge von der Eingießung der Gnade bis zur Nachlassung der Schuld an,150 da Gnade und Sünde nicht zugleich im Menschen sein können. Diese Differenz ist inhaltlich bedeutend, indem bei Thomas der Glaube als ein motus mentis bezeichnet wird. Diese Bewegung des Geistgrundes bedarf der Caritas formans, um ihr die rechte Richtung zu verleihen, die die natura corrupta von sich aus nicht haben kann. Fides caritate formata ist also die Bewegung des geheilten höheren Vermögens im Menschen. Dieses Vermögen 145

Vgl. aaO., 109,8, resp. Vgl. aaO., 109,9, resp.; vgl. aaO., 110,4, ad 2. 147 Vgl.aaO., 111,2, resp. 148 Vgl. Loci communes 1521, S. 72, 2,74: „[...] omnia hominum quantumvis laudabilia in speciem opera plane vitiosa esse et morte digna peccata." 149 Vgl. Loci communes 1521, S. 250, 6,113 und 250/252, 6,116. 150 Vgl. THOMAS v. AQUIN, STh I—II, 113,8, resp. 146

Analyse

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ist auf die Erfüllung der Tugendforderungen ausgerichtet. Letztlich ist entsprechend der Kritik Melanchthons dann die Liebe die Wurzel, aus der der Glaube und, diesem folgend, die Tugenden entspringen.151 Melanchthon versteht unter dem Glauben, daß der Mensch, der sich selbst als Sünder erkennt, den Verheißungen des Evangeliums glaubt. Dieser Glaube rechtfertigt den Menschen ohne Werke. Daß der Glaube nicht ohne Früchte ist, betont Melanchthon; aber die Früchte verdienen nicht das ewige Leben. Von der notwendigen Liebe, die diesen Glauben erst zum Glauben an Gott macht, möchte Melanchthon nicht sprechen; diese Aussage hält er nicht für schriftgemäß.152 Das Ziel des Glaubens ist das Zur-Ruhe-Kommen des Gewissens, das mit der Forderung der Werke nicht zu erreichen ist, da dann stets ein Werk zu erstreben sei, so daß der Mensch verzweifeln müsse.153 Wenn aber der Mensch sich als Gerechtfertigter und Sünder zugleich im Glauben erkennt, kann das Gewissen zur Ruhe kommen, weil er im Glauben erfährt, daß seine Werke, auch wenn sie Todsünden sind, nicht als Sünde angerechnet werden.154 Melanchthons Ablehnung der Lehre vom freien Willen im Zusammenhang von Rechtfertigung und Gnade richtet sich in erster Linie gegen die Forderung nach Werken, die das ewige Leben verdienen sollen, wie Thomas sie entwickelt. Der in diesem Zusammenhang als notwendig postulierte freie Wille ist fur Melanchthon eine Erkenntnis der Vernunft, eine opinio}55 Damit lehnt Melanchthon jede substanzontologische Interpretation der Rechtfertigung ab. Diese Interpretation ermögliche die Betonung der Forderung der Werke und damit das Verständnis des NT als nova lex, bringe aber die beneßcia Christi nicht zur Geltung, denn die Werke führen nicht zur Gewißheit der Rechtfertigung für den Einzelnen. Ihre Annahme durch Gott ist unsicher. Melanchthon bringt es auf die Formel: „Nun mag es genügen, daran zu erinnern, daß die Furcht auf unsere Werke und der Glaube auf die Barmherzigkeit Gottes bezogen werden muß."156 Es ist das dynamische Geschehen, in das der Mensch als ganzer eingeholt wird, das Melanchthon immer wieder betont, wenn er vom Herz spricht. In diesem Geschehen sind die Kräfte des Menschen ausgeblendet, da sie nichts vermögen. Das Herz bleibt der Ort, an dem die Sünde des Menschen ihren Sitz hat und an dem Gott den Menschen erkennt. Das Herz ist aber zugleich der Ort des Willens, der somit der Sünde und dem Urteil Gottes unterliegt. Weder gegenüber der Sünde noch gegenüber dem Urteil Gottes ist der Wille frei. 151

Vgl. Loci communes 1521, S. 262,6,144. Vgl. Loci communes 1521, S. 214, 6,17. 153 Vgl. Loci communes 1521, S. 270, 6, 170. 154 Vgl. Loci communes 1521, S. 250, 6,115. 155 Vgl. Loci communes 1521, S. 214, 6,18. 156 Loci communes 1521, S. 274, 6,182: „Nunc hoc monuisse satis sit timorem ad opera nostra, fidem ad misericordiam dei referri debere." 152

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Die Willenslehre in den Loci communes 1521

Sicherlich ist auch bei Thomas Rechtfertigung ein dynamisches Geschehen.157 Dieses Geschehen wird jedoch in gewisser Weise psychologisiert, indem es sich auf anthropologische Einzelaussagen einlassen muß, in denen das relationale Verhältnis zwischen Gott und Mensch deutlich in den Hintergrund tritt. Daß damit eine den ganzen Menschen umgreifende Dynamik in der Darstellung verloren geht, ist Ausdruck des Inhalts. Melanchthon kritisiert, daß zu sehr auf die Kräfte des Menschen geblickt wird, wenn die Werke betont werden. Dann handele es sich um ein Reich der Menschen und nicht um das Reich Christi.158 Als weiteres retardierendes Moment erscheint die Lehre von der iustificatio in instand. Sie verlegt die Rechtfertigung faktisch auf einen Augenblick und läßt so keinen Raum für eine Dynamik. So wie die Sündenlehre ihren Grund und ihr Ziel in der Rechtfertigungslehre hat, so wird auch die Lehre von der Unfreiheit des Willens, von Gottes Heilshandeln für den Sünder und am Sünder auf dieses Handeln Gottes, wie es im Evangelium offenbart ist, hin entwickelt. Die Unfreiheit ist unter der Sünde eine knechtische; sie ist aber unter der Gnade und Barmherzigkeit Gottes eine von Gott getragene Unfreiheit und daher für den Glaubenden keine Unfreiheit mehr, sondern die Einbindung des menschlichen Willens in den göttlichen Heilswillen.

2.3 Auswertung Melanchthons Willenslehre ist ein fester Bestandteil seiner Theologie. Melanchthon trifft seine Aussagen zur Willenslehre von den theologischen Loci Sünde, Gesetz und Gnade her. Es ist diese Trias, die die Loci communes 1521 deutlich bestimmt, auch wenn Gesetz und Evangelium als jeweils eigenes Kapitel dargestellt sind. Melanchthon behandelt sie jedoch nicht eigenständig, sondern so eng miteinander verzahnt, daß im Kapitel De evangelio fast mehr Raum auf das Gesetz verwendet wird als auf das Evangelium. Die Betonung des Gesetzes hat ihren Stellenwert in der Gesamtkonzeption, die von der Erkenntnis des Menschen als Sünder ausgeht und daher einen freien Willen verneinen muß. Die Gebundenheit unter die Sünde erkennt der Mensch allein durch das Gesetz, das ihm damit die Angewiesenheit auf die im Evangelium verheißene Gnade vor Augen fuhrt.159 Daher bleibt Melanchthon seinem Programm treu, daß er in der Einleitung angege-

157 Vgl. OTTO HERMANN PESCH, Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin. Versuch eines systematisch-theologischen Dialogs, (WSAMA 4) Mainz 1967 (künftig zitiert als „Theologie"), S. 634f. und 670f. 158 Vgl. Loci communes 1521, S. 252, 6,117. 159 Zur Veränderung des Aufbaus gegenüber den Capita 1520 vgl. W. MAURER, Programmschrift, S. 15 f.

Auswertung

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ben hat: „Dieses ist schließlich die christliche Erkenntnis, zu wissen, was das Gesetz fordert, woher man die Kraft holen kann, das Gesetz zu erfüllen, woher man die Gnade fur die Sünde bekommen kann, wie man den ins Wanken gekommenen Sinn gegen Teufel, Fleisch und Welt aufrichtet [...]."16° In der Darstellung dieser Trias verfährt Melanchthon apologetisch. Er wendet sich dabei vor allem gegen zwei Richtungen. Zum einen gegen den Voluntarismus, den Melanchthon in seiner Tübinger Zeit und später dann in der franziskanischen Theologie, vor allem bei Biel, kennengelernt hat. Zum anderen verwirft Melanchthon die Lehre von Thomas v. Aquin, daß der Mensch nach der Eingießung der Gnade durch seine Werke das ewige Leben verdienen könne. Melanchthon wendet sich also gegen die beiden führenden theologischen Strömungen seiner Zeit. In dem Kapitel De hominis viribus adeoque de libero arbitrio und in dem Teil Vis peccati et fructus aus dem Kapitel De peccato, der die argumentative Hauptlast des zweiten Kapitels trägt, verfährt er jeweils nach einem ähnlichen Schema. Hier greift er vor allem die metaphysische Psychologie an, wie sie dem Voluntarismus Biels zugrundeliegt. Zunächst zeigt Melanchthon, daß die Terminologie der metaphysischen Psychologie die theologischen Inhalte nicht transportieren kann.161 Sodann folgt ein biblisch fundierter Argumentationsgang, der anstelle der Begriffe vis cognoscendi und vis affectuum auf das Zusammenspiel von lex, peccatum und cor verweist.162 Auf dieser von ihm entwickelten Basis setzt er sich schließlich mit einzelnen Argumenten der Bielschen Lehre auseinander.163 Melanchthon hat also in den beiden ersten Kapiteln die anthropologische Voraussetzung erarbeitet, von der aus er die loci Gesetz und Gnade darstellen kann. In der Einleitung heißt es, daß Christus nur an den Wohltaten erkannt wird und daß dazu notwendig bekannt sein muß, warum dem Menschen diese Wohltaten zuteil werden. Die Basis dafür stellt die Erkenntnis dar, daß der Mensch durch und durch Sünder ist. Auf dieser Aussage basiert die Rede vom unfreien Willen bei Melanchthon. Daher kann der Mensch nicht mit seinem Willen eine Tat hervorbringen, die Gott dazu veranlassen müßte, die Gnade einzugießen. Der Sünder kann Gott nicht über alles lieben. Mit diesen Aussagen trifft Melanchthon Thomas v. Aquin nicht. Von der den natürlichen Kräften des Menschen eignenden Möglichkeit der Hinwendung zu Gott oder der Gottesliebe spricht Thomas nicht. Dennoch hat auch er den freien Willen im Rechtfertigungsgeschehen akzentuiert. Ursache ist der anthropozentri160

162 163

Loci Vgl. Vgl. Vgl.

communes 1521, S. 23/25, 0 , 1 6 (Übersetzung v. H.G. PÖHLMANN). Loci communes 1521, S. 26/28,1,8-18 bzw. aaO., S. 56-60, 2,25-36. Loci communes 1521, S. 28-32, 1,19-32 und aaO., S. 60-72, 2,36-75. Loci communes 1521, S. 32-42, 1,33-42 bzw. aaO., S. 74-90, 2,76-109.

Die Willenslehre in den Loci communes 1521

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sehe Ansatz, der seine Berechtigung aus der Sonderstellung der vernunftbegabten Seele des Menschen in der Schöpfung ableitet. Für Thomas ist die anima „ - als Titel für den Menschen - [...] jenes Seiende, das in seinem Sein mit dem All der Seienden übereinkommt, das in seinem Sein sich zum Sein im ganzen verhält, ja dieses geradezu ,ist"' 164 . Begründet wird diese in der menschlichen Seele ruhende Möglichkeit, das Sein als ganzes zu repräsentieren, mit der Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen. Die Freiheit des Menschen wird notwendig aus der Erkenntnis der Freiheit Gottes abgeleitet, nachdem die Ebenbildlichkeit des Menschen in der Seelenlehre diesen besonderen Ausdruck fand. Die imago Dei bestimmt den Menschen geradezu zur Freiheit, die die Grundlage der Bewegung des Menschen zu Gott ist.165 So wird besonders in der Freiheit des Menschen, in seinem liberum arbitrium die Ebenbildlichkeit Gottes sichtbar.166 Für Thomas steht die menschliche Freiheit niemals in Frage, so daß sie als Vorgabe für alle Aussagen zu verstehen ist. Gegen diese philosophische Grunderkenntnis, die an die biblischen Aussagen herangetragen wird, richtet sich Melanchthons Kritik. Auch Melanchthons Loci communes 1521 sind anthropozentrisch aufgebaut. Er sieht „von vornherein den Menschen in seinen natürlichen Kräften als dasjenige Geschöpf [...], dem Christi Erlösungswerk gilt"167. Gegenstand der Kritik ist die substanzontologische Argumentation, die seiner Meinung nach nicht den Aussagen der Bibel entspricht, die nicht von den Kräften des Menschen redet, sondern von Sünde, Gesetz und Gnade als Relationsbegriffen über das Verhältnis des Menschen zu Gott und Gottes zum Menschen. Die relationale Denkstruktur steht bei Thomas im Hintergrund. Daß es bei Thomas ebenfalls um das Verhältnis von Gott und Mensch geht, steht zwar außer Frage; die Argumentationsstruktur wird jedoch von einem Denken getragen, „das nach Sein, Natur und Qualität fragt"168. Indem aber dann die Gnade als Heilkraft der Seelenkräfte verstanden wird, damit sich der Mensch durch das liberum arbitrium der Todsünden enthalten und verdienstliche Werke wirken kann, um sich das ewige Leben zu verdienen, sieht Melanchthon die Erkenntnis der Sünde in ihrer Totalität in der Wirklichkeit des Menschen abgeschwächt und die Lehre der alleinigen Heilskraft der Wohltaten Christi in Gefahr; denn werden die opera meritoria so wie bei Thomas betont, findet die Rechtfertigung durch die 144

JOHANNES BABTIST METZ, Christliche Anthropozentrik. Über die Denkform des Thomas von Aquin, München 1962 (künftig zitiert als „Anthropozentrik"), S. 50. 165 Vgl. HANS VORSTER, Das Freiheitsverständnis bei Thomas von Aquin und Martin Luther, Göttingen 1965 (künftig zitiert als „Freiheitsverständnis"), S. 33ff. 166 Vgl. H. VORSTER, Freiheitsverständnis, S. 40. 167

HARTMUT OSKAR GÜNTHER, D i e E n t w i c k l u n g der W i l l e n s l e h r e M e l a n c h t h o n s in der

Auseinandersetzung mit Luther und Erasmus, Diss.theol. Erlangen, Erlangen 1963 (künftig zitiert als „Entwicklung"), S. 26. 168 O.H. PESCH, Theologie, S. 698.

Auswertung

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notwendigen opera meritoria ihre Vollendung erst in der Heiligung. „Die rechtfertigende Gnade ist die heiligmachende Gnade, die ohne den Seinsmodus der Werke nicht zu denken ist. Entsprechend rechtfertigt nicht der Glaube allein, sondern nur der durch die Liebe geformte Glaube (fides caritate formata)."169 Die Sündhaftigkeit des Menschen und die daraus resultierende Unfähigkeit des Menschen, verdienstliche Werke zu vollbringen, ist für Melanchthon eine ebenso unaufgebbare Aussage der Hl. Schrift, die in der Dialektik von Gesetz und Evangelium erkannt werden kann, wie die Rechtfertigung allein aus Glauben. So hat Melanchthon die von der thomistischen Schule gelehrte Freiheit durch das consilium intellectus, mit dem der Wille den Affekten widerstehen kann, bereits im ersten Kapitel als eine den Affekten dienende Kraft erwiesen. Melanchthon fuhrt den intellectus als Beleg gegen die menschliche Freiheit an, da er einerseits den Affekten dient und andererseits ohne die Gnade vor Gott ohne Bedeutung ist. Verdienste vor Gott kann der Mensch nicht erwerben. Zusammen mit der Sünde muß aus der Hl. Schrift die Gnade Gottes erkannt werden, die dem Sünder in der im Evangelium verheißenen Rechtfertigung zuteil wird. So stellt sich die Lehre von der Unfreiheit des Willens in den Loci communes 1521 als Erkenntnis aus der Dialektik von Gesetz und Evangelium dar. Indem Melanchthon seine theologischen Aussagen von der Hl. Schrift her entwickelt, setzt er einerseits die reformatorische Forderung um, daß die Schrift das einzige Kriterium theologischer Aussagen sein dürfe. Andererseits zwingt Melanchthon so die Gegner in der Auseinandersetzung um die rechte Lehre, diese auf dem Boden der Hl. Schrift zu fuhren. Mit dem Erweis der Schriftgemäßheit seiner Aussagen kann seine Theologie durch die Gegner nicht verketzert werden, ohne die Aussagen durch die Hl. Schrift zu widerlegen. Dieses kann als Lebensversicherung erscheinen, da Melanchthon die Loci communes 1521 schrieb, nachdem gegen Luther der Bann ausgesprochen und die Reichsacht über ihn verhängt worden war. Melanchthon hat sich bemüht, die theologischen Aussagen auf der Grundlage der Hl. Schrift zu treffen. Für die Frage nach der Freiheit des Willens nennt Melanchthon eine Vielzahl von Bibelstellen, die die Prädestination menschlichen Handelns als Aussage der Hl. Schrift belegen sollen, da die Vorherbestimmung des menschlichen Handelns durch Gott sein Hauptargument gegen die Lehre von der Freiheit des Willens ist. Auffallend ist aber, daß Melanchthon letztlich immer wieder auf das Schema der metaphysischen Anthropologie zurückgreift, um den Zusammenhang von Sünde, Gesetz und Gnade in seiner Lehre zu explizieren. Die häufig wiederkehrende Argumentationsstruktur geht von den Affekten aus, die den Menschen bestimmen und durch die Vernunft nicht kontrolliert werden können. 169

K.-H. ZUR MÜHLEN, Vemunftkritik, S. 17.

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Die Willenslehre in den Loci communes 1521

Dabei handelt es sich um die psychologische Formulierung des theologischen Satzes, daß der Mensch entweder von Gott oder von der Sünde bestimmt wird. Indem Melanchthons Argumentationsstruktur das Schema der metaphysischen Psychologie immer wieder heranzieht und in diesem argumentativen Zusammenhang nach der menschlichen Willensfreiheit fragt, ist in Melanchthons Loci communes 1521 das Problem der Vereinbarkeit der Prädestination mit der Forderung nach guten Werken offensichtlich.170 Melanchthon beruft sich für den locus „Von den guten Werken" ausdrücklich auf Luthers Schrift „Von den guten Werken" aus dem Jahre 1520.171 Der Kontext dieses Verweises in den Loci communes 1521 ist die Widerlegung des Argumentes, Gott fordere mit dem Gesetz nichts, was dem Menschen unmöglich sei. Diesen Einwand hatte Melanchthon mit dem Hinweis auf den Gebrauch des Gesetzes im Sinne des usus theologicus legis abgelehnt, wobei anzumerken ist, daß Melanchthon den Terminus usus legis erst sehr viel später gebraucht.172 Der Mensch kann einerseits aus seinen eigenen Kräften das Gesetz nicht erfüllen, da er unter der Macht der Sünde steht. Andererseits wird die Erfüllung im Menschen von Gott gewirkt. Dieses Geschehen ist unter dem Begriff Prädestination zusammengefaßt. Auch Luther hatte sich bei der Lehre vom unfreien Willen argumentativ auf die Prädestination gestützt. Die Auseinandersetzung mit Erasmus ist zu einem erheblichen Teil von dieser Frage geprägt. Entscheidend ist für Luthers Argumentation mit der Prädestination, daß er den Menschen coram Deo passiv denkt. Diese Passivität gilt für alle „psychischen" Teile und Bewegungen des Menschen, vor allem aber für den Glauben und den mit dem Glauben verbundenen intellectus fidei. „Es geht in diesem intellectus um das Existenzverhältnis zu Gott: daß Gott den Menschen ,ansieht', sich ihm zuwendet und ihn sich zuwendet."173 Melanchthon macht eine ähnliche Aussage im Zusammenhang mit der von ihm so170 H. GERHARDS, Entwicklung, S. 29. Diese Beobachtung (Unvereinbarkeit von Prädestination mit der Forderung nach guten Werken) auch auf Luther zu übertragen, wie Gerhards dies tut, ist m.E. unzutreffend. - Vgl. auch ROLF SCHÄFER, Christologie und Sittlichkeit in Melanchthons frühen Loci, (BHTh 29) Tübingen 1961 (künftig zitiert als „Christologie"), passim. Schäfer untersucht Melanchthons Christologie und seine Ethik aufgrund der Beobachtung, daß bei Melanchthon der Übergang vom Glauben zum Handeln eine „Lücke" (S. 19) aufweist (S. 10f.); die Ethik bezeichnet er als „Geistethik" (S. 26). Schäfer beobachtet, daß es eine Doppelstruktur in der Argumentation bei Melanchthon gibt, die er als „.subjektive Reihe' oder,Erfahrungsreihe'" bzw. „.objektive' oder,heilsgeschichtliche Reihe'" (S. 20) bezeichnet. Er erblickt die Ursache für diese Doppelstruktur vor allem in einer gegenüber Luther verkürzten Christologie, die zu einer Vereinfachung des Glaubensbegriffes geführt habe (S. 83ff.). 171 Vgl. Loci communes 1521, S. 116, 3,63. 172 Vgl. GERHARD EßELING, Zur Lehre vom triplex usus legis in der reformatorischen Theologie, in: Ders., Wort und Glaube, Tübingen 1960, S. 50-68 (künftig zitiert als „triplex usus legis"), S. 53. 173 Vgl. W. JOEST, Ontologie, S. 107.

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genannten duplex conversio, durch die er die Passivität des Menschen im Rechtfertigungsgeschehen ausdrückt. Er spricht davon, daß Gott den Menschen zur Buße einlädt und ihn dann selbst zu sich zieht. In dieser Aussage läßt sich eine Analogie zu Luthers Rede von der Passivität des Menschen erkennen. Luther erklärt dieses Geschehen christologisch, indem er lehrt, daß in Christus für den Menschen bereits alles geschehen ist und dadurch die Möglichkeit für den Menschen, zu Gott zu kommen, von Gott selbst bereits geschaffen ist. Dieses ist in einer Weise geschehen, „die unsere Vernunft und unsere Kräfte, zugleich die mechanischen und geistigen Gesetze der Welt überspringen kann"174. Das Überspringen der „mechanischen und geistigen Gesetze der Welt" nennt Joest „Analogie-Bruch"175. „Die ontologische Struktur des rationalen Erkenntnisvorgangs zwischen Mensch und Kreatürlichem ist also nicht analog der des geistlichen Erkenntnisgeschehens zwischen Mensch und Gott."176 So kann Luther das Handeln des Menschen aus dem Glauben dem Glaubensgeschehen unterordnen, ohne jedoch die psychologische Möglichkeit dieses Handelns im Menschen in der damals üblichen Weise strukturell zu verankern, da durch Gottes Wirken eine neue, nicht analoge Struktur geschaffen wird; wohlgemerkt, daß dieses Aussagen sind, die den Menschen coram Deo betreffen.177 Psychologisch gesprochen drückt 174

ERNST-WILHELM KOHLS, Luther oder Erasmus. Luthers Theologie in der Auseinandersetzung mit Erasmus, Bd. I, Basel 1972, S. 109. KOHLS führt für Luthers Aussagen vor allem die Rede vom fröhlichen Wechsel an. 175 W. JOEST, Ontologie, S. 117. Zum Unterschied zwischen metaphysischer und apostolischer Redeweise bei Luther vgl. auch SlMO PEURA, Wort, Sakrament und Sein Gottes, in: Anja Ghiselli/Kari Kopperi/Rainer Vinke, Luther und Ontologie. Das Sein Christi ..., (SLAG 31/ VLAR 21) Helsinki/Erlangen 1993, S. 35-69, bes. S. 38ff. 176 W. JOEST, Ontologie, S. 116f. Vgl. auch OSWALD BAYER, Luthers Verständnis des Seins Jesu Christi im Glauben, in: Anja Ghiselli/Kari Kopperi/Rainer Vinke, Luther und Ontologie. Das Sein Christi ..., (SLAG 31/VLAR 21) Helsinki/Erlangen 1993, S. 94-113, bes. S. lOlff. Bayer verdeutlich den Bruch anhand von Luthers Kirchenlied „Nun freut euch, lieben Christen g'mein...": „Der in seiner Tiefe gar nicht zu ermessende Bruch zwischen dem ersten und dem zweiten Teil der von dem Befreiungslied erzählten Geschichte ist so scharf, daß sich von der Gesetzeserfahrung aus kein Seinsbegriff denken läßt, der die beiden Teile der Geschichte miteinander vermitteln könnte. Es ist nicht nur eine im Menschen und seiner Welt liegende Vermittlung nicht zu denken. Nicht zu denken ist nicht einmal eine Einheit des Gottes, der - im Gesetz - gegen mich spricht, so daß ich ihn und sein Gericht von ganzem Herzen nur hassen kann (3,3), mit dem Gott, der - im Evangelium - für mich spricht, so daß ich ihn und seinen Sohn von ganzem Herzen nur lieben kann. Was jedenfalls landläufiges - auf Identität bedachtes, von einem Einheit wollenden Seinsoder Bewußtseinsbegriff beherrschtes - Denken nicht zu integrieren vermag, was dieses Denken vielmehr sprengt, das setzt das Evangelium ins Werk und Wort." (S. 101). 177 Vgl. M. LUTHER, Von den guten Werken, WA VI, 209,27-210,2: „[...], alszo ist auch sein werck (das ist der glaub odder zuvorsicht zu gottis hulden zu aller zeit) das aller erst, höchste, beste, ausz welchem alle andere flissen, ghan, bleyben, gericht unnd gemessiget werden mussenn, [...]."

Die Willenslehre in den Loci communes 1521

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Luther den Analogie-Bruch sehr drastisch aus: „Sich, das sein die drey stuck des menschen, die vonunfft, die lust, die unlust, darinne alle seine werck gahn: die mussenn alszo durch disse drey ubung, gottis regirung, unszer eygenn casteyung, andere beleydigung, erwürgt werden, und also geistlich gotte feyern, yhm zu seinen werckenn einrewmen."178 Melanchthon kennt den Analogie-Bruch in dieser Form nicht. Ein wichtiges Indiz dafür ist die an die Pneumatologie gebundene Rechtfertigung als effektives Geschehen im Menschen. Diese pneumatologische Ausrichtung der Theologie in den Loci communes 1521 kann als Wirkung von Melanchthons humanistischer Ausbildung verstanden werden.179 Erasmus ging von einer Differenz von Offenbarung und geschichtlicher Vernunft aus, die nur durch die rechte Lehre des Wortes Gottes überbrückt werden kann. Die rechte Lehre des Wortes Gottes und damit dessen Wirksamkeit ist an die „Einwohnung des Geistes Christi"180 gebunden. Die Wirksamkeit des durch die philosophia Christiana vermittelten Wortes besteht in geistlichen Affekten, die der Mensch hervorbringen soll, vor allemfiducia und caritas.m Melanchthon lehrt als Wirkung des Geistes den Glauben. Somit vollzieht sich die Erlösung und die Erkenntnis Gottes im Menschen durch den Heiligen Geist. Mit der Gabe des Heiligen Geistes verbindet Melanchthon keinen radikalen Neuanfang, wie dies bei Luther der Fall ist, der durch den unlöslichen Konnex von Rechtfertigung und Heiligung von guten Werken sprechen kann, die dem Glauben folgen. Die guten Werke des Menschen werden von Gott selber im Menschen durch den Glauben evoziert. Melanchthon kann diese Aussage in dieser Konsequenz in den Loci communes 1521 nicht treffen. Zwar spricht Melanchthon im Kapitel De caritate in den Loci communes 1521 auch davon, daß aus dem Glauben die Liebe zu Gott fließt, der ihrerseits die Liebe zum Nächsten nachfolgt.182 Aber ebenso sagt er, daß die Werke, die der Rechtfertigung folgen, im eigentlichen Sinne unrein sind, da sie, obwohl aus dem Geist kommend, im Fleisch erbracht sind.183 Diese Aussage ist jedoch von Melanchthons Sünden- und Rechtfertigungslehre her nicht erklärbar. Sie wäre verständlicher, wenn Melanchthon diesen Werken das Verdienst absprechen würde, weil die Bewegung und die Ursache zu 178

WA VI, 249,2-6. Vgl. zu den S. WIEDENHOFER, Formalstrukturen, S. 142ff. 180 S. WIEDENHOFER, Formalstrukturen, S. 71; vgl. zur Differenz von Offenbarung und Vernunft aaO., S. 39ff. und zu den humanistischen Grundlagen der pneumatologisch getragenen Theologie ebd., S. 142ff. 181 Vgl. S. WIEDENHOFER, Formalstrukturen, S. 69. 182 Vgl. Loci communes 1521, S. 364, 9,3-5. Die gleiche Aussage vgl. aaO., S. 258/260, 6,138-141. Die mit dem Glauben erbrachten Werke des Menschen werden auch als Tugenden bezeichnet, vgl. S. 262, 6,144. 183 Vgl. Loci communes 1521, S. 250, 6,113. 179

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diesen Werken dem Heiligen Geist zugeschrieben wird. Dieses sagt Melanchthon jedoch nicht, sondern gibt seiner Begründung eine andere Struktur. Da der Mensch noch im Fleisch ist und erst einen Teil der Rechtfertigung empfangen hat, nämlich „noch nicht einmal ein Zehntel", ist an den Werken etwas Unreines, so daß durch diese keine Verdienste erworben werden können.184 Melanchthon fundiert also aufgrund seines humanistischen Denkens die Anthropologie pneumatologisch, so daß er das metaphysisch-psychologische Schema, das seinem anthropologischen Denken zugrundeliegt, in seine Theologie integrieren kann. Da der Heilige Geist nun unmittelbar im Menschen die geistlichen Affekte wirkt und der Wille des Menschen diesen Affekten ebenso unterworfen ist wie den schlechten Affekten, die in seinem Herzen aus eigener Kraft entstehen, ist der Mensch auch nach der Gabe des Geistes dem göttlichen Willen oder aber der Sünde ganz unterworfen und kann demnach keinen freien Willen haben. Melanchthon argumentiert in der Darstellung von Sünde, Gesetz und Gnade weitgehend im Sinne Luthers auf der Basis einer relational verstandenen Ontologie, die nicht mit den substanzontologischen Kategorien des scholastischen Aristotelismus vereinbar ist. Er beschreibt aber die effektive Auswirkung des relationalen Verhältnisses Gottes zum Menschen oder des Menschen zu Gott im Menschen mit den substanzontologischen Strukturen, ohne wie Luther den Analogie-Bruch zu vollziehen. Auch Luther arbeitet, „wo er ontologische Fragen im Zusammenhang mit theologischer Aussage berührt, in der Regel durchaus mit aristotelischen Begriffen. Er ersetzt sie nicht durch Begriffe einer anderen Philosophie, sondern es ist gerade die aristotelische Terminologie, die er verwendet - aber freilich so, daß sie in der theologischen Aussage über das Sein des Menschen coram Deo gegenüber ihrem ursprünglichen Sinn in eigentümlichen Verfremdungen, bisweilen geradezu in paradoxe Umkehrungen der Bezüge gerät."185 Diese Verfremdungen sind bei Melanchthon in den Aussagen zur Anthropologie nicht zu finden, die auf die effektive Wirkung des Rechtfertigungsgeschehens im Menschen hin getätigt werden. Von diesem Verständnis der Willenslehre aus erscheint es als konsequent, daß Melanchthon die Werke der Heiligung nicht weiter thematisiert als durch den Verweis auf Luthers Schrift „Von den guten Werken", durch das auffällig kurze Kapitel De charitate und durch einige verstreute Hinweise innerhalb der einzelnen loci. Die guten Werke sind ganz im Licht der Prädestination als unmittelbare Werke des Heiligen Geistes, die anderen aber als Ergebnis der affectus carnis zu verstehen, wobei beide letztlich von Melanchthon vor der Vollendung in der Auferstehung nicht als gute Werke bezeichnet werden können. Wie dann ein 184

Vgl. Loci communes 1521, S. 250, 6,114.

185

W. JOEST, Ontologie, S. 134.

Die Willenslehre in den Loci communes 1521

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wirkliches Bemühen des Menschen um den Glauben, wie es Luther immer wieder fordert, aussehen soll, muß m.E. bei dieser anthropologischen Konzeption Melanchthons offen bleiben. Eine Forderung nach Werken des Menschen kann dann allein auf opera civilia gerichtet sein, bleibt aber von der Rechtfertigung des Sünders strikt in der Lehre getrennt. Wie wenig Melanchthon das Gesetz als Forderung nach Werken in den Loci communes 1521 im Blick hat, zeigt der geringe Raum, den er diesbezüglichen Aussagen einräumt. An wenigen Stellen äußert sich Melanchthon zum Naturgesetz und dessen Übereinstimmung mit den Moralgesetzen des Dekalogs. Die Werke, die der Mensch aufgrund dieser Forderung handelt, werden von Melanchthon theologisch als Sünde eingestuft und daher theologisch letztlich entwertet. Ein wenig relativiert Melanchthon dieses Urteil, indem er von einer gottgewollten äußeren Ordnung ausgeht, gegen die der Mensch in seinem Handeln nicht verstoßen darf.186 Die pneumatologisch getragene Struktur der Anthropologie findet sich bei Melanchthon auch noch in der Schrift „Unterschidt zwischen weltlicher und Christlicher Fromkeyt", die erst nach den sogenannten Wittenberger Unruhen gedruckt wurde.187 Es stehen in dieser Schrift nebeneinander die weltliche Gerechtigkeit, die von Gott angeordnet ist, aber von allen Menschen vollbracht werden kann, da Gott die Kenntnis der Forderung in die Vernunft aller Menschen gegeben hat, und die christliche Gerechtigkeit, die dem Menschen durch den Heiligen Geist in sein Herz gegeben wird und zur Sündenerkenntnis führt. Beides verbindet Melanchthon mit den zehn Geboten, in denen beides enthalten ist, je nach politischem oder theologischem Gebrauch.188 Die Betonung des Aspektes im Sinne des usus politicus legis geschieht nun stärker als in den Loci communes 1521 und kann als Auswirkung der sogenannten Wittenberger Unruhen gedeutet werden. Auf die um den Jahreswechsel 1521/22 in Wittenberg auftretenden Zwickauer Propheten scheint Melanchthon theologisch keine Antwort gefunden zu haben. Die direkte Wirkung des Heiligen Geistes im Menschen, die geistliche Affekte im Herzen des Menschen bewirkt, bleibt Bestandteil der Lehre Melanchthons, ohne Kriterien dafür anzugeben, welche äußere Erscheinung eine Wirkung des Heiligen Geistes ist und welche als qffectus carnis verworfen werden muß. Es wird gerade diese 186

Vgl. Loci communes 1521, S. 134, 3,119f. Zur Datierung auf das Jahr 1522 vgl. MELANCHTHON DEUTSCH, Bd. 2, Theologie und Kirchenpolitik, hrsg. v. Michael Beyer, Stefan Rhein, Günther Wartenberg, Leipzig 1997, S. 12. 188 Vgl. StA 1, S. 174,22-29: „Wenn aber nun prediger khomen und geben fur, Gottlich Fromkeyt stand in fasten oder solchen Sachen, odder weltlich oberkeyt foddert solchs, als werens stuck, daran die Christenheyt stond, sol man hie wider streben und bekennen, was Christenlich Fromkeyt ist und unser leben drob lassen, denn wir sollen uns nicht mit gewalt weren. Diß alles ist gefaßt inn die zehen gebot, [...]." - Melanchthon verwendet die Begriffe usus theologicus bzw. politicus legis nicht, nimmt aber inhaltlich eine entsprechende Differenzierung des Gesetzesbegriffes vor. 187

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Lehre gewesen sein, die ihn gegenüber den Zwickauer Propheten ohnmächtig sein ließ, da es sich um die Frage von deren angeblich direkter Berufung und der Wirkung des Heiligen Geistes in der Taufe handelt. „In der Auseinandersetzung mit den Schwärmern fühlt der biblische Humanist sich zugleich als ihr Verwandter und ihr Gegner."189 Die beiden miteinander konkurrierenden Strömungen, - Luthers Rechtfertigungslehre, die einen „Analogie-Bruch" voraussetzt, und die humanistische Anthropologie - die in Melanchthons Lehre parallel auftreten, spiegeln die Lehrstruktur an der Universität Wittenberg im Jahr 1521 wider, wie sie auch ihren Ausdruck in Melanchthons Wissenschaftsklassifikation aus dem Jahre 1520 aus den Capita gefunden haben dürften. Zielten die artes liberales in der Theorie Melanchthons, die er in der Rede De corrigendis adolescantiae studiis 1518 entwickelt hatte, als Vorbereitung auf die drei höheren Fakultäten, so weist die Klassifikation der Wissenschaften aus den Capita nur noch die Philosophie auf, die in theoretische und praktische Philosophie differenziert wird. „Die Theologie steht notwendigerweise außerhalb, weil sie eben nicht in der Natur verankert ist, sondern auf Offenbarung basiert."190 Entsprechend dem von Wiedenhofer dargestellten Schema für das Jahr 1520 ist davon auszugehen, daß im Rahmen der principia practica die Vorlesungen über Ethik weiterliefen. Die Bedeutung der Ethik in der theologischen Fakultät scheint jedoch seit dem Jahr 1518 in Wittenberg zurückgedrängt worden zu sein. War sie ohnehin nur für das Magisterium, nicht für das Bakkalaureat verpflichtend, wurde eine ethische Vorlesung von fünf Stunden pro Woche im Jahr 1518 nur noch als fakultativ zu belegende angeboten, um mehr Freiraum für die Studenten zum Besuch theologischer Vorlesungen zu schaffen. Mit der Auflösung des Augustinereremitenklosters in Wittenberg 1522 scheint die Ethik-Vorlesung schließlich eingestellt worden zu sein, da sie von einem Augustinermönch versehen worden war.191 Man darf aber aus dem Zurückdrängen der aristotelischen Ethik im Lehrbetrieb der Wittenberger Universität nicht auf eine grundsätzliche Ablehnung aristotelischer Philosophie schließen. Obwohl alle Stellen, an denen Aristoteles in den Loci communes 1521 genannt wird, ihn und seine Philosophie geringschätzig

189

W. MAURER, Melanchthon II, S. 207. Zur Auseinandersetzung mit den Zwickauer Propheten vgl. auch H. SCHEIBLE, Melanchthon, S. 69f. 190 S. WIEDENHOFER, Formalstrukturen, S. 354. Zu den verschiedenen Wissenschaftsklassifikationen vgl. aaO., S. 348ff. 1,1 Vgl. HEINZ SCHEIBLE, Aristoteles und die Wittenberger Universitätsreform. Zum Quellenwert von Lutherbriefen, in: Michael Beyer/Günther Wartenberg (Hgg.), Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe ..., Leipzig 1996, S. 123-144 (künftig zitiert als „Aristoteles"), S. 133.

Die Willenslehre in den Loci communes 1521

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abtun,192 so stand es außer Frage, daß Aristoteles in der Logik und der Physik an der Artistenfakultät weiterhin gelesen werden sollte.193 Im übrigen ist Melanchthons Urteil über Piaton in den Loci communes 1521 ebenfalls negativ,194 so daß die Kritik weder an Aristoteles noch an Piaton grundlegender Art sein dürfte, sondern sich auf die Verwendung ihrer Philosophie in der Theologie konzentriert. So ist es auch zu erklären, daß die aristotelisch-anthropologischen Begriffe bei Melanchthon weiterhin Verwendung fanden und in der Anthropologie die metaphysisch-psychologischen Strukturen erhalten blieben. Die Tatsache, daß ein humanistisch ausgebildeter Gelehrter wie Melanchthon zur theologischen Ethik, obwohl Ethik für den Humanismus die Voraussetzung eines christlichen Lebens war, in den Loci communes 1521 nur sehr wenig Stellung nimmt, läßt sich mit dem vorwiegenden theologischen Interesse an Gesetz und Evangelium und dem damit verbundenen argumentativen Schwerpunkt auf der anklagenden Wirkung des Gesetzes erklären. Unterstützt worden ist dieses theologische Interesse und das Zurücktreten theologischer Aussagen zur Ethik von der Zurückdrängung der aristotelischen Ethik aus der Theologie und im Lehrbetrieb der Wittenberger Universität.

192

Vgl. Loci communes 1521, S. 12/14, W 4f.; S. 26,1,6; S. 40/42,1,59; S. 60,2,35; S. 102,

3,14. 193 194

Vgl. HEINZ SCHEIBLE, Aristoteles, bes. S. 13Iff. Vgl. Loci communes 1521, S. 26,1,6; S. 58/60,2,34; S. 90, 2,110; S. 102, 3,11.

3. Die Willenslehre von 1522 bis zu den Scholia in Epistolam Pauli ad Colossenses von 1527

3.1 Einfuhrung Den Scholia in Epistulam Pauli ad Colossenses aus dem Jahr 15271 liegt eine Vorlesung zugrunde, die Melanchthon im gleichen Jahr gehalten hat. Es spricht vieles dafür, daß neben der Vulgata-Ausgabe, mit der die kurzen Zitate aus den einzelnen Versen übereinstimmen, von Melanchthon auch ein griechischer Text als Quelle benutzt worden ist. Indizien dafür sind die häufig in den Text eingestreuten griechischen Begriffe. Melanchthon weist im Widmungsbrief an Alexander Drach darauf hin, daß viele Kontroversen stattgefunden haben, die in die Scholien zum Kolosserbrief 1527 eingearbeitet werden mußten. Seit dem Jahr 1521, in dem die erste Ausgabe von Melanchthons Loci communes erschienen ist, sind neben den Auseinandersetzungen mit der römischen Kirche auch noch andere zu verzeichnen. Hier ist zunächst das Auftreten der Schwärmer in Wittenberg zum Jahreswechsel 1521/22 zu nennen, dem Melanchthon nicht richtig Herr geworden ist. In die gleiche Zeit fallen die Wittenberger Unruhen, denen Melanchthon ebenfalls theologisch nur wenig entgegensetzen konnte. Der Überfall Sickingens auf Trier 1522/23, Thomas Müntzer und die Bauernaufstände des Jahres 1525, zu denen Melanchthon auf Bitten Kf. Ludwigs V. v.d. Pfalz ein Gutachten2 verfaßte, haben die Notwendigkeit theologischer Aussagen zur öffentlichen Ordnung dann erneut verdeutlicht. Von besonderer theologischer Bedeutung ist vor allem Mitte der zwanziger Jahre des 16. Jh.s die Auseinandersetzung zwischen Erasmus und Luther um die Freiheit des Willens und die Klarheit der Hl. Schrift. Diese Ereignisse haben auf die Theologie Melanchthons Auswirkungen gezeitigt, die schließlich auch in den Scholien zum Kolosserbrief ihren Niederschlag gefunden haben. Den Scholien zum Kolosserbrief 1527 hat Melanchthon großen Wert beigemessen. Im Jahre 1529 stellte er für einen Theologiestudenten einen Studienplan auf. Hierbei äußert er u.a., daß er eigentlich gerne seine Loci communes 1521 zum Studium empfohlen hätte, die als eine Art Einführung in das Bibelstudium ver-

1

Künftig „Scholien zum Kolosserbrief 1527". Vgl. StA I, S. 190-214. Wiederabgedruckt in heutigem Deutsch in: MELANCHTHON DEUTSCH, Bd. 1. Schule, Universität, Philosophie, Geschichte und Politik, hrsg. v. Michael Beyer/Stefan Rhein/Günther Wartenberg, Leipzig 1997, S. 261-287. 2

80

Die Willenslehre von 1522 bis zu den Scholia... ad Colossenses von 1527

standen werden müssen.3 Er empfiehlt stattdessen die Scholien zum Kolosserbrief 1527 zu verwenden, in denen er die wichtigsten loci abgehandelt habe. Ursache dieser Empfehlung sind die vielen Ungenauigkeiten, die in den Loci communes 1521 vorhanden seien.4 Es sind an dieser Empfehlung zwei Dinge zu beachten. Zum einen will Melanchthon anscheinend auf keine andere Schrift verweisen, die in den Jahren zwischen 1521 und 1527 von ihm verfaßt worden ist. Hierbei ist von besonderem Interesse, daß er nicht die Überarbeitung der Loci von 1522 nennt, in denen es schon einige Veränderungen gegeben hat. Die Loci von 1522, die siebte, veränderte Auflage der Loci communes 1521, sind immerhin in neun weiteren Auflagen zwischen 1522 und 1525 erschienen. Die politischen Ereignisse und theologischen Diskussionen des Jahres 1525 haben neue Aussagen notwendig gemacht, die in den Loci communes 1521 bzw. 1522 nicht enthalten waren, so daß die Theologicae hypotyposes 1522 nach 1525 keine weitere Auflage erfahren haben. Zum anderen ist auffällig, daß Melanchthon eine Vorlesung, in der er den Kolosserbrief ausgelegt hat und die er anschließend, nachdem sie in gedruckter Form erschienen ist, als Kommentar bezeichnet hat,5 anstelle seines Methodus empfiehlt, wie er die Loci communes 1521 auch bezeichnet hatte. Eine Unterscheidung zwischen Kommentar und Loci bzgl. des zu entwickelnden Stoffes scheint Melanchthon in diesem Fall nicht gemacht zu haben, was es notwendig macht, auf die Frage der Bibelauslegung einzugehen.

3.2 Die Veränderungen in den Theologicae hypotyposes 1522 gegenüber den Loci communes 1521 3.2.1 Die Veränderungen in der Willenslehre Wie Melanchthon in seinem Brief vom 10. Mai 1522 an Spalatin schreibt, hat er seine Loci communes 1521 in dieser neuen Ausgabe, den Theologicae hypotyposes recognitae ab auctore von 1522, in den Punkten der Willensfreiheit und der christlichen Freiheit verändert.6 Die Veränderungen im Kapitel De hominis viribus

3

Vgl. oben II.2.1. Vgl. CR II, Nr. 953, Sp. 457: „Post hanc et Colossenses legendi cum commentario meo, in quo etiam volui complecti praecipuos locos. Iuberem et meos communes locos legere, sed multa sunt in illis adhuc rudiora, quae decrevi mutare. Facile tarnen intelligi potest, quid mihi ibi displiceat ex meis Colossensibus, ubi locos aliquot mitigavi." - Zu den weiteren Empfehlungen Melanchthons zum Theologiestudium vgl. H. SCHEIBLE, Melanchthon, S. 50f. 5 Vgl. oben S. 80, Anm. 4. 6 Vgl. MBW I, Nr. 228, S. 472,10f.: „In Hypotyposibus meis locum unum atque alteram dilucidius exposui: rationem liberi arbitrii et libertas χριστιανβε." 4

Die Veränderungen in den Theologicae hypotyposes 1522

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adeoque de libero arbitrio betreffen vor allem die Form der Darstellung und nur in geringem Maße den Inhalt. Wie in den Loci communes 1521 setzt sich Melanchthon in den Theologicae hypotyposes 1522 mit den Begriffen auseinander, die in der metaphysischen Psychologie verwendet werden. Neu ist nun, daß Melanchthon nicht nur wie in den Loci communes 1521 dem Willen mit dem Begriff cor einen biblischen Begriff zuordnet, sondern auch dem intellectus? Dieses geschieht nicht nur um der Vollständigkeit willen, da die theologische Disputation über die menschliche Natur nicht auf die aristotelischen Vokabeln zurückgreifen darf, die den Sachverhalt verdunkeln. Auch der Verstand darf von der Relation des Menschen zu Gott in der Untersuchung nicht ausgeschlossen werden.8 Nach dieser Klärung erläutert Melanchthon die Gliederung dieses Kapitels. Zunächst soll über die menschliche Natur gesprochen werden, anschließend über die Prädestination. Bei der Betrachtung der Natur des Menschen wird der Mensch nicht allein von den Affekten her betrachtet wie noch 1521. Melanchthon bezieht den intellektiven Teil des Menschen in die Untersuchung mit ein. Es scheint in äußeren Dingen eine gewisse Freiheit zu geben, die Gott aber nicht beachtet. Daher ist das nicht die Freiheit aus der Hl. Schrift, sondern nur die Freiheit der Tugenden in äußeren Dingen.9 Neu ist an dieser Darstellung, daß das Verhältais von Verstand und Wille eine leichte Verschiebung erfahren hat. In den Loci communes 1521 gewann man in bezug auf das Verhältnis von Verstand und Willen den Eindruck, daß die Erkenntnis des Verstandes nur von nebensächlicher Bedeutung für die menschliche Freiheit ist. Der Verstand diente dem Willen, und der Wille war ganz durch die Affekte beherrscht. Diese eindeutige Unterordnung der kognitiven Kräfte unter die appetitiven Kräfte des Menschen wird in den Theologicae hypotyposes 1522 nicht mehr ausgedrückt. Nun geht Melanchthon davon aus, daß der Verstand dem Willen die Objekte zeigt, die er erstreben kann. So wird der Verstand mit seiner Funktion im menschlichen Erkenntnis- und Handlungsprozeß von Melanchthon nun berücksichtigt. Da aber auch das Licht des Verstandes durch die Erbsünde verdunkelt ist, kann der Mensch mit dem Willen nicht das Gute erstreben und hat

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Vgl. CR XXI, Sp. 94: „[...], Quod nos intellectum, quatenus moderatur voluntatem, seu iudicium, seu aestimationem rerum vocamus, Scriptura fere lumen νοΰν & φρόνημα adpellat, Quod nos voluntatem, scriptura fere cor nuncupat." 8 Vgl. W.H. NEUSER, Ansatz, S. 117. 9 Vgl. CR XXI, Sp. 94: „Verum quia deus externa opera non respicit, est enim καρδιογνώστης, sed internes cordis motus, ideo scriptura nihili facit hanc libertatem. Qui externa & personata quadam civilitate mores fingunt, philosophi et recentiores theologi, huiusmodi libertatem docent." - Vgl. auch oben S. 47ff.

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Die Willenslehre von 1522 bis zu den Scholia ...ad Colossenses von 1527

daher keine Freiheit.10 Die Bedeutung dieser Veränderung zeigt sich in der Beurteilung des natürlichen Gesetzes. Das erste Gesetz, Gott zu verehren, darf nach Melanchthons Auffassung nicht unter die Naturgesetze gezählt werden. Die Vernunft hat nach Adams Fall keine sichere Erkenntnis von Gott, es sei denn durch den Glauben. Nur im Glauben wird die Schöpfung als Schöpfung Gottes verstanden.11 Da Melanchthon in den Theologicae hypotyposes 1522 den Willen als unfrei betrachtet, weil er ganz unter der Gewalt der Affekte steht, folgert er, daß es keine Freiheit des Willens gibt, auch nicht in den äußeren Werken, weil auch die affectus carnales nicht vom Menschen beherrscht werden können.12 Dieses Ergebnis formuliert Melanchthon aber bereits im Anschluß an seine Ausführungen zur menschlichen Natur, bevor er die Prädestination thematisiert. Hier hatte er 1521 noch eine gewisse Freiheit gesehen. Die Ursache liegt in der Einbeziehung des Verstandes in Melanchthons Erörterung zur Willenslehre. Auch 1521 hat er den Effekt der Erbsünde auf den Menschen als umfassende Wirkung dargestellt, dieses aber in der Willenslehre nicht verwertet. Nach diesem Ergebnis fuhrt Melanchthon die Prädestination als das zweite, stärkere Argument an, um auch die letzte Spekulation über eine gewisse Freiheit, die noch übrig sein könnte, zu beenden. Der Prädestination unterliegen alle Dinge, sowohl die äußeren Werke als auch die inneren Zwänge. Diese Lehre vermag der Mensch aber nur mit Hilfe des Heiligen Geistes lieben, so daß der Heilige Geist als das Ende der fleischlichen Affekte betrachtet werden kann. Der Heilige Geist als Gabe der Gnade, durch die Gott seine Vorherbestimmung ausübt, hebt die Freiheit des Willens im positiven Sinne auf.13 Konnte der Mensch unter der Herrschaft der fleischlichen Affekte aus eigener Kraft keine guten Werke vollbringen, 10 Vgl. CR XXI, Sp. 95: „Proinde cum tanta sit in lumine naturae caecitas, cum talis ignoratio dei, rerumque divinarum, cum in voluntate tantus sit contemptus dei, quae est hominis libertas?" " Vgl. CR XXI, Sp. 118, Anm. 26: „Posteriores duas leges facile colligat argumentis humana ratio. Primam legem, quomodo colligere possit, non video, sic occaecata, post Adae lapsum. Videmus enim ingeniosissimos quosque in eo fuisse, ut nihil esse deum sentirent. Id quod vel Plutarchus in philosophorum placitis, vel Cicero de divinatione testabitur. Proinde quantum intelligo, nihil certi de deo statuere mens humana per sese potest. Non percipit enim animalis homo ea quae sunt spiritus dei. Certe de potentia et voluntate dei iudicare per sese ratio non potest. Ut inter naturae leges haec numeretur, aliorum esto iudicium. Nam fide intelligi creationem Heb. XI. scribitur." 12 Vgl. CR XXI, Sp. 96: „Nunquam adfectus perpetuo dissimulari potest. [...] Ita vides delectum etiam externorum operum non satis liberum esse." Vgl. ebd.: „Nullam igitur libertatem esse voluntati humanae, in sumendis vel ponendis spiritualibus adfectibus, amore, metu dei, fide, spe &c. perspicuum est. Nam camales nihil moror, quanquam neque in his libera est." 13 Vgl. CR XXI, Sp. 96: „Magnum omnino est, commisisse omnia divinae voluntati. Tollit itaque omnem libertatem voluntatis nostrae praedestinatio divina. Qua de re copiose disseruit Paulus ad Roma, viiij."

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so kann er nun den geistlichen Affekten nicht mehr widerstehen, da der Wille des Menschen durch die Einwohnung des Heiligen Geistes im Glaubenden mit dem Willen des Heiligen Geistes identisch wird.14 Die Willenslehre in der überarbeiteten, siebten Auflage der Loci communes 1521 ist in ihrer Struktur wesentlich klarer als die der ersten. Nach der Begriffsklärung folgt die Betrachtung der menschlichen Natur, die bereits zu dem Ergebnis fuhrt, daß der Mensch keinen freien Willen hat, auch nicht in äußeren Dingen. Dieses war in den Loci communes 1521 nicht zum Ausdruck gekommen, auch wenn die Freiheit in äußeren Dingen durch die Macht der Sünde und des Teufels dort sehr eingeschränkt geschildert worden ist. Das Argument der Prädestination behält die Funktion, Aussagen über eine wie auch immer geartete Freiheit des Menschen gegenüber Gott zu widerlegen. Aber die Prädestination wird in ihrer Auswirkung auf die menschliche Freiheit dahingehend erweitert, daß sie auch in äußerlichen Dingen die Freiheit des Menschen beschneidet. Dieses darf jedoch nicht als Determinismus verstanden werden. Die Loci communes 1521, deren bei weitem größter Teil in den Theologicae hypotyposes 1522 übernommen worden ist, lassen eine deterministische Interpretation nicht zu. Die Aussage über die Gültigkeit der Vorherbestimmung auch in äußeren Dingen scheint vielmehr entsprechend der lutherischen Lehre verstanden werden zu müssen, wie sie in De servo arbitrio einige Jahre später formuliert worden ist. Anhand des Judasverrates erläutert Luther die Notwendigkeit des Verrates, die aber dennoch nicht ohne den Willen des Judas geschehen ist.15 Anthropologisch gesprochen, bestimmen die Affekte den Menschen in seinem Wollen und damit in seinem Handeln. Melanchthon schildert die Wirkung des Heiligen Geistes in diesem Sinne als Ursache geistlicher Affekte, durch die der Herrschaftswechsel von der Erbsünde zum Glauben auch in den Werken sichtbar werden soll.16 Die Wirkung des Heiligen Geistes betrifft nicht allein die affektive Seite des Menschen. Auch die Vernunft ist betroffen durch die Wirkung der Erbsünde und muß erst durch den Heiligen Geist erleuchtet werden, wenn der Mensch mit dem Willen gute Taten entsprechend der Erkenntnis vollbringen soll.17 Die neue Aussage von der Notwendigkeit der Erleuchtung durch den Heiligen Geist geschieht im Zusammenhang mit der Diskussion um die actus eliciti. Mit dieser Neuerung 14 Vgl. CR XXI, Sp. 203: „Breviter, quia voluntas eorum, spiritus sancti voluntas est, non possunt non id velle quod vult spiritus sanctus." 15 Vgl. WA 18, 715,17-716,1. Vgl. hierzu B. LOHSE, Luthers Theologie, S. 185f. 16 Es kann daher nicht von einer Gleichordnung von Wille und Verstand gesprochen werden, wie H. GERHARDS, Entwicklung, S. 49 in Übereinstimmung mit W.H. NEUSER, Ansatz, S. 116f. erläutert. 17 Vgl. CR XXI, Sp. 108, Anm. 10: „Quanquam nec recta ratio est nisi quae spiritu dei illuminata est."

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kritisiert Melanchthon die Aussage von den ausgewählten Handlungen gegen die Affekte in zweifacher Weise. Solche Taten gegen die Regungen des Herzens sind nicht nur Lügen, sondern sie können faktisch ohne Erleuchtung des Heiligen Geistes keine guten Werke sein, da die verdunkelte Vernunft dem Willen keine guten Objekte aufgrund eigener Erkenntnis vorstellen kann. Zur richtigen Erkenntnis benötigt der Mensch die Erleuchtung durch den Heiligen Geist. „Der Verstand hatte bisher nicht im Wirkungsbereich der Gnade gestanden. Auf die Erkenntnis bezog sich nur das Gesetz, das Evangelium aber auf den Willen. Diese Bestimmungen fallen nun fort. Der Mensch steht mit beiden Seelenvermögen sowohl dem Gesetz als auch dem Evangelium gegenüber."18 Die Veränderungen in der Willenslehre lassen sich eher auf den Einfluß der Schwärmer auf Melanchthon als auf eine kritische Haltung ihnen gegenüber zurückfuhren. Melanchthon schildert die unmittelbaren Wirkungen des Heiligen Geistes auf den ganzen Menschen keineswegs in abgeschwächter Form. Zusätzlich beschreibt er, daß die Prädestination Gottes den ganzen Menschen mit seinen inneren Zwängen und seinem äußeren Handeln umschließt. Diese Lehre ist nicht geeignet, um gegen Strömungen eingesetzt zu werden, die sich in ihrem Handeln auf die unmittelbare Wirkung des Heiligen Geistes berufen. Daß Melanchthon über das von ihm bereits in den Loci communes 1521 genannte Kriterium hinaus, daß nämlich die Hl. Schrift zur Beurteilung der Geistgaben herangezogen werden muß, kein weiteres Kriterium nennt, zeigt seine Unentschlossenheit gegenüber den Zwickauer Propheten. Dieses Kriterium war gegen den Anfuhrer Markus Stübner nur schwerlich in Anschlag zu bringen, da ihm eine große Tiefe der Bibelkenntnis und Schriftauslegung bescheinigt wird.19 Luther hatte Melanchthon in einem Brief mitgeteilt, daß „das Zeichen des Menschensohns und der Ausweis aller Christen [...] die Anfechtungsqual"20 ist. Dieses Kriterium wird jedoch nicht in die Überarbeitung der Theologicae hypotyposes 1522 aufgenommen. Melanchthon war in seinem vom Humanismus geprägten Denken anscheinend so sehr behaftet, daß er aus den negativen Erscheinungen der Zwickauer Propheten keine theologischen Konsequenzen für die pneumatologische Fundierung seiner Anthropologie ziehen wollte oder konnte. 3.2.2 Die Veränderungen in der Lehre von der christlichen Freiheit Die evangelische Freiheit thematisiert Melanchthon im Zusammenhang mit der Unterscheidung von Altem und Neuem Testament. Die Veränderungen dieser Thematik lassen sich im Unterschied zu denen der Willenslehre auf einen un18 19 20

W.H. NEUSER, Ansatz, S. 117. Vgl. W. MAURER, Melanchthon II, S. 206. W. MAURER, Melanchthon II, S. 209.

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mittelbaren Einfluß zurückfuhren, die Wittenberger Unruhen. Melanchthon verweist am Ende des Teils zu diesem Kapitel, der in den Theologicae hypotyposes 1522 verändert worden ist, selber auf diesen Umstand. Es handelt sich dabei um Neuerer, die die Abrogation des Gesetzes vertreten und sowohl den Gehorsam gegenüber dem Gesetz als auch gegenüber den Traditionen fur unchristlich erachten und daher die damit verbundenen Handlungsweisen abschaffen wollen.21 Bei diesen Veränderungen handelt es sich jedoch überwiegend um eine klarere Strukturierung der Aussagen gegenüber den Loci communes 1521 als um einen Wandel des Inhalts. Erstes Kennzeichen dieser um Klarheit bemühten Struktur ist die Identifikation des Alten Testaments mit dem Gesetz, die Melanchthon aber selber als grobe Vereinfachung bewertet.22 In den Loci communes 1521 hatte Melanchthon diejenigen, die Gesetz und Evangelium identifizieren, „unvernünftig" genannt. Diese folgten mehr dem Sprachgebrauch als der Vernunft.23 Die übrigen Aussagen der Loci communes 1521 zu dieser Thematik finden sich inhaltlich auch in der veränderten Ausgabe von 1522 wieder. Charakteristisch ist nun jedoch die gestraffte Argumentation. Wie auch schon 1521 nennt Melanchthon 1522 als Ursache der Freiheit vom Gesetz dessen Unerfüllbarkeit.24 Von dieser Ursache her untersucht Melanchthon die eigentliche Veränderung, die sich durch das Evangelium fur den Menschen gegenüber der Gesetzesforderung ergibt. Dabei nennt er zunächst, daß die verdammende Wirkung des Gesetzes für die Übertretung desselben aufgehoben worden ist, nicht jedoch das Gesetz.25 Das gilt ausschließlich für den neuen Menschen, da dieser den Heiligen Geist empfangen hat.26 Der Empfang des Heiligen Geistes ist die Voraussetzung für die freiwillige Erfüllung der Gesetzesforderungen durch den neuen Menschen. Ursächlich ist die Einheit des Heiligen Geistes mit dem Willen des Menschen, da der 21 Vgl. CR XXI, Sp. 204f.: „At nunc quidam nulla re alia Christiani videri volunt, quam contemptu ceremoniarum, omnis civilitatis, quae tarnen creaturae dei bonae sunt. Neque alii Evangelio tantum conciliant odii, quantum hi, qui pro sua libidine hac libertate abutuntur, ut plane videri possint hi esse, qui in castra Israelitica cacent, contra quam lex divina constituit, Deuter XXIII [vss. 12-14.]." 22 Vgl. CR XXI, Sp. 201: „Vetus testamentum lex est, ut simplicissime et pinguissime loquamur." 23 Vgl. Loci communes 1521, S. 288, 7,3. 24 Vgl. CR XXI, Sp. 202: „Fuit ergo haec legis abrogandae caussa, quia praestari seu fieri non potuit." Vgl. die entsprechende Aussage in den Loci communes 1521, S. 304, 7,45f. 25 Vgl. CR XXI, Sp. 203: „Non ergo lex abolita est, ne fiat, sed ne damnet, ubi violata est, at earn nemo non violat. Itaque non lex sed maledictio legis sublata est." Vgl. auch Loci communes 1521, S. 292, 7,13. 26 Vgl. CR XXI, Sp. 203: „Ergo lex non est abrogata, nisi populo novi testamenti, hoc est, novo homini, id est, vere fideli." Vgl. auch Loci communes 1521, S. 298/300, 7,32 und aaO., S. 304, 7,47.

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Heilige Geist das Herz des Menschen regiert und so die neuen, geistlichen Affekte selbst hervorbringt.27 Mit diesem Aufbau, der entsprechend Melanchthons Ankündigung zu diesem veränderten Kapitel tatsächlich klarer ist, konturiert Melanchthon die Kernaussage zur Befolgung des Gesetzes scharf. Weder die Befolgung des Gesetzes noch die Abrogation des Gesetzes, wenn sie für den Christen verbindlich gemacht werden, entsprechen der Aussage über die christliche Freiheit. Diese Aussage ist auch in den Loci communes 1521 zu finden, jedoch weniger pointiert. Die Pointierung zielt auf die Unruhen in Wittenberg, die sich anhand der Auseinandersetzung um äußere, kirchliche Traditionen und gesetzliche Ordnungen entzündet hatten. Daß Melanchthon an die 13. und 15. Auflage der Loci von 1521, die nach der Vorlage der siebten, veränderten Auflage von 1522 gedruckt worden sind, jeweils einen Abschnitt über die doppelte Gerechtigkeit unter der Überschrift Themata Philippi Melanchthonis de duplici iustitia28 anhängt, hat die Ursache in zwei anderen aufrührerischen Erscheinungen, die die öffentliche Ordnung gefährdet haben. „Sickingens Überfall auf Trier und die anschließende Belagerung der Feste Landstuhl (1522/23), vor allem aber das Treiben des Schwärmers Thomas Müntzer und der Bauernaufstand (1524/25)"29 haben diese Ergänzungen notwendig gemacht. Melanchthon nennt in diesem angehängten Kapitel zum ersten Mal in einer Loci-Ausgabe die gesellschaftliche Ordnung eine Ordnung Gottes. Zugleich geißelt er einen Verstoß gegen diese äußere Ordnung als Sünde.30 Bei diesem Anhang handelt es sich um den Abdruck der Themata ad sextamferiam discutiendail, einer Thesenreihe Melanchthons zu einer Disputation am 25.07.1522 in Wittenberg, die ihren Anlaß in den Wittenberger Unruhen hatte. In diesen Thesen werden iustitia spiritus und iustitia carnis „nun doch nicht nur in ihrem Gegeneinander, sondern auch in ihrem Zueinander gewertet"32. Waren in Wittenberg primär die kirchlichen Ordnungen Ziel der Unruhen und nicht die Obrigkeit, so ist bei den beiden Unruhen durch Sickingen und die Bauern die obrigkeitliche Ordnung gefährdet worden. Diese in ihrem Ausmaß wachsende Gefährdung dürfte Melan27 Vgl. CR XXI, Sp. 203: „Breviter, quia voluntas eorum, spiritus sancti voluntas est, non possunt non id velle quod vult spiritus sanctus. [...] Ita vides primum a lege neminem esse liberum, nisi eum, qui in Christo est, nam ille est novi testamenti mediator, deinde, necessario fieri legem moralem, quia id cogat natura spiritus, qui in cordibus Christianorum regnat." Vgl. auch Loci communes 1521, S. 296, 7,22.26; aaO., S. 304, 7,49 und aaO., S. 306, 7,51. 28 Vgl. CR XXI, Sp. 227-230. 29

Vgl. W.H. NEUSER, Ansatz, S. 131.

30

Vgl. CR XXI, Sp. 229: „Hoc est, quod Paulus Rom 13. potestatem ordinationem Dei vocat. Nam ordinatio a Deo est quales quales sunt, qui vel invadunt, vel gerunt imperium. [...] Hac ordinatione, quia bona creatura Dei est, uti sine peccato possunt legem ministri. Peccant, qui contra hanc ordinationem usurpant gladium, cuiusmodi sunt, qui aliena invadunt." 31 Vgl. StA I, S. 168-170. 32

P. SCHWARZENAU, Wandel, S. 16.

Zur Methode der Schriftauslegung

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chthon veranlaßt haben, die Disputationsthesen als Anhang zu den Loci-Ausgaben aus Straßburg vom Dezember 1523 und von 1525 drucken zu lassen. Melanchthons Forderung nach äußerem Gehorsam bleibt jedoch neben der unveränderten Lehre vom unfreien Willen und der Prädestination, die auch in diesen äußeren Dingen keine Freiheit des Menschen kennt, unverbunden stehen. Die obrigkeitliche Ordnung spielt als göttliche Anordnung in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 eine wichtige Rolle bei der Erörterung über die menschlichen Traditionen (traditiones humanae), deren erster Teil die öffentlichen Ämter und Gesetze betrifft. 33 Dieser Abschnitt in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 ist keineswegs mehr ein Anhang, sondern fester Bestandteil der Abhandlung über das Gesetz. 3.2.3 Auswertung Geblieben ist auch in diesen Jahren in den 17 Auflagen der Loci die Unverbundenheit von Unfreiheit des menschlichen Willens vor Gott und ethischer Forderung nach Werken des Menschen, wie sie bereits in den Loci communes 1521 zu beobachten war. Die Antwort auf die Frage, wie sich der Mensch der ethischen Forderung gegenüber verhalten soll, bleibt Melanchthon noch schuldig, da er zwar wie Luther von der Unmittelbarkeit der Geistwirkung ausgeht, aber zugleich psychologische Aussagen zur Geistwirkung machen müßte, die mit dieser Form der Prädestinations- und Willenslehre aber nicht vereinbar wären. Die Verstandeserkenntnis wird in ihrer Bedeutung für die theologische Anthropologie aufgewertet, wird aber nicht mit der Funktion der Triebkontrolle in Verbindung gebracht, weil auch die apprehensive Seite des Menschen von der Erbsünde beeinträchtigt wird.

3.3 Zur Methode der Schriftauslegung Wie in der Theologie Melanchthons läßt sich auch in der Methode seiner Schriftauslegung ein doppelter Einfluß identifizieren. Es handelt sich auf der einen Seite um die humanistische und auf der anderen um die lutherische Auslegung der Hl. Schrift. Beiden Einflüssen gemeinsam ist ihre kritische Grundhaltung gegenüber der scholastischen Schriftauslegung. Erasmus als wichtiger Vertreter eines theologisch geprägten Humanismus kritisiert an der scholastischen Methode vor allem, „daß sie das Grundgefälle zwischen Offenbarung und Vernunft nicht mehr berücksichtige, weil sie erstens die profanen Wissenschaften nicht mehr als profane verstünde, sondern die 33

Vgl. StA IV, S. 260,33-272,12.

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menschliche Philosophie mit göttlicher Offenbarung vermische, und zweitens, weil sie der Dialektik viel zu breiten Raum gebe und dadurch die Hl. Schrift vernachlässige, so daß sie schließlich selbst ganz von der heidnischen Philosophie und von der streitsüchtigen Dialektik geprägt werde."34 Dahinter steht die Meinung, daß die scholastische Methode gegenüber der Hl. Schrift als Quelle nicht angemessen ist. Zum einen mahnt Erasmus die fehlenden Kenntnisse der Ausleger in den alten Sprachen an; zum anderen kritisiert er, daß neben der Dialektik Grammatik, Rhetorik und Poetik in der scholastischen Ausbildung nicht genügend berücksichtigt würden. Beide Punkte rühren an die notwendigen grundlegenden Fertigkeiten, die ein Ausleger der Hl. Schrift in den Augen von Erasmus beherrschen muß, um den Text in seinen Facetten zu erfassen. Dieses Streben von Erasmus nach der Kenntnis der Quelle geht auf John Colet zurück, den Erasmus während seines ersten Englandaufenthaltes (1499-1500) in Oxford kennengelernt hatte.35 Trotz der Hinwendung zu einer „schlichten, sachlichen Interpretation"36 der Hl. Schrift, bleibt für Erasmus zunächst der vierfache Schriftsinn von grundlegender Bedeutung, auch wenn er schon in der ratio verae theologiae eine kritisch distanzierte Haltung zu diesem einnimmt, „weil er den Schematismus des vierfachen Schriftsinnes nicht für differenziert genug hält"37. „Vierfacher Schriftsinn" bezeichnet die Erläuterung der Schriftaussagen nach dem sensus literalis, dem sensus allegoricus, dem sensus tropologicus und nach dem sensus anagogicus. Dabei werden die drei letztgenannten unter dem Begriff sensus spiritualis zusammengefaßt. Erasmus kritisiert die scholastische Schriftauslegung, „weil sie die allegorische Schriftauslegung vernachlässigt habe"38. Der sensus allegoricus ist für Erasmus der wichtigste der drei sensus spirituales, die alle drei bei ihm weiterhin Bedeutung haben. Diese doppelte Struktur der Auslegung unter Verwendung des sensus literalis und der drei sensus spirituales entspricht dem Verständnis, das Erasmus von der Gestalt der Hl. Schrift hat. Die Hl. Schrift ist Werk des Heiligen Geistes und literarisches Werk,39 beidem wird man mit dem vierfachen Schriftsinn gerecht. 34

S. WIEDENHOFER, Formalstrukturen, S. 62. Vgl. ROBERT STUPPERICH, Erasmus von Rotterdam und seine Welt, Berlin/New York 1977 (künftig zitiert als „Erasmus"), S. 52f. Vgl. auch FRIEDHELM KRÜGER, Humanistische Evangelienauslegung. Desiderius von Rotterdam als Ausleger der Evangelien in seinen Paraphrasen, (BHTh 68) Tübingen 1986 (künftig zitiert als „Evangelienauslegung"), S. 10-15. 36 R. STUPPERICH, Erasmus, S. 53. 37 KARL-HEINZ ZUR MÜHLEN, Der Begriff des sensus in der Exegese der Reformationszeit, in: Lessico Intellettuale Europeo, Sensus · Sensatio...., Fierenze 1996, S. 141-156, Zitat S. 144. 38 GERHARD EBELING, Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik, (FGLP, Reihe 10, Bd. 1) München 1942 (künftig zitiert als „Evangelienauslegung"), S. 139. 39 Vgl. S. WIEDENHOFER, Formalstrukturen, S. 58. 35

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Luthers Schriftverständnis weist zu dem von Erasmus in einigen Punkten Parallelen auf. Die Kritik an der Verwendung der Philosophie innerhalb der Theologie hat Luther wiederholt geäußert, so z.B. in der Disputation gegen die scholastische Theologie von 1517 und in der Heidelberger Disputation von 1518. Der Unterschied zur Kritik von Erasmus besteht in Luthers Kritik darin, daß er nicht nur aus humanistischem Interesse heraus auf die Hl. Schrift als Quelle verwiesen hat, sondern aufgrund der anhand der Paulusexegese entdeckten alleinigen Autorität der Hl. Schrift. 40 Diese Methode, basierend auf dem, was häufig als Schriftprinzip bezeichnet wird, führte zu einem völlig veränderten Umgang mit dem vierfachen Schriftsinn. Die Hl. Schrift enthält nach Luthers Ansicht einen einfachen Sinn, der nicht in anderen, hinter dem sensus literalis verborgenen gesucht werden darf.41 Das bedeutet aber nicht, Luther habe die allegorische Auslegung grundsätzlich vermieden. Ebeling weist nach, daß Luther nicht die Allegorese an sich als Auslegungsmethode der Hl. Schrift kritisiert hat, sondern einen mehrfachen allegorischen Sinn. Durch die mehrfache allegorische Deutung wird der geistliche Gegenwartsbezug der Verkündigung des Wortes Gottes wieder in eine historische Distanz gerückt. Diese Distanz galt es zu beseitigen. Luther allegorisiert radikal christologisch, wobei der neue sachliche scopus der Auslegung der Ort ist, „an dem Gottes Offenbarung gegenwärtig geschieht: das Predigtamt. Das Predigtamt nicht als menschliche Institution, sondern als die von Gott angeordnete und geordnete Tatsache, daß sein Wort aufgrund der Schrift gegenwärtig als Gesetz und Evangelium die Gewissen bindet und löst, ist der neue und der einzige scopus der Allegorese nach Luther."42 Beide, Luther und Erasmus, waren sich in ihrem Ausgangspunkt der Schriftauslegung im Gegenüber zur scholastischen Methode also nicht fremd, 43 gingen aber in der Ausprägung unterschiedliche Wege.44 Beide haben Melanchthon 40

Vgl. B. LOHSE, Luthers Theologie, S. 114. Vgl. ARMIN BUCHHOLZ, Schrift Gottes im Lehrstreit. Luthers Schriftverständnis und Schriftauslegung in seinen drei großen Lehrstreitigkeiten der Jahre 1521-28, (EHS, Reihe 23, Bd. 487) Frankfurt a.M. u.a. 1993 (künftig zitiert als „Schrift"), S. 99f. 42 G. EßELING, Evangelienauslegung, S. 198. Vgl. zur streng christologischen Allegorese aaO., S. 182f., 191f, 197ff. und 226. 43 Vgl. CORNELIS AUGUSTIJN, Humanisten auf dem Scheideweg zwischen Luther und Erasmus, in: Otto Hermann Pesch (Hg.), Humanismus und Reformation - Martin Luther und Erasmus von Rotterdam in den Konflikten ihrer Zeit, (Schriftenreihe der katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg) München/Zürich 1985, S. 119-134, S. 128. 44 Wie sich der „moderne", von Luther betriebene Umgang mit Theologie und Heiliger Schrift im Unterschied zu der traditionellen scholastischen Methode verhält, hat LEIF GRANE in seiner Untersuchung zur Leipziger Disputation herausgearbeitet; vgl. DERS., Martinus Noster. Luther in the German Reform Movement, 1518-1521, (VIEG 155) Mainz 1994, S. 45-113, bes.S. 59-62 und 90-93. Die Leipziger Disputation hat Melanchthon bekanntlich dazu gebracht, intensiver Theologie zu betreiben. 41

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beeinflußt. Am deutlichsten ist der humanistische Einfluß auf Melanchthon an der Loci-Methode zu sehen. Die Loci-Methode diente seit der Antike der besseren Memorierung von Lernstoffen und wurde im Renaissance-Humanismus wieder stärker zur Anwendung gebracht. Dabei werden die Lernstoffe nach bestimmten „Themen" geordnet, die immer wiederkehren. Diesen Themen werden die Lernstoffe zugeordnet, so daß sich an einem „Ort" unterschiedliche Stoffe zum gleichen „Thema" finden.45 Diese Methode hat Melanchthon nicht nur in seinen Loci communes 1521 und den folgenden Ausgaben angewandt, sondern auch für die Scholien zum Kolosserbrief 1527. Melanchthon hat in den Loci communes 1521 seine Methodik erläutert. Eine Wissenschaft wie z.B. die Theologie faßt ihre ganze Lehre in den loci zusammen. Diese Zusammenfassung soll als Ziel aller Studien gelten.46 Als solche loci hat Melanchthon, wie bereits erörtert,47 Sünde, Gesetz und Gnade genannt. Daß Melanchthon die Scholien zum Kolosserbrief 1527 in diesem Sinne verstanden wissen wollte, zeigt die bereits erwähnte Empfehlung an einen Studenten, anstelle der Loci communes 1521 die Scholien zum Kolosserbrief 1527 zu verwenden, da in ihnen die Hauptpunkte abgehandelt worden seien. Melanchthon stellt die Scholien zum Kolosserbrief 1527 unter das Hauptthema der Unterscheidung von weltlicher und christlicher Gerechtigkeit, weil dieses das Argumentationsziel des Kolosserbriefes sei, der damit die Erläuterung intendiert, was das Evangelium ist.48 Melanchthon beginnt die Auslegung im ersten Kapitel des Kolosserbriefes über die Gnade, die er als Sündenvergebung und Gunst Gottes beschreibt.49 Im Kreuz wird dem Menschen die Gnade Gottes sichtbar.50 Es folgt eine längere Abhandlung über das Evangelium, die in weltliche und christliche Gerechtigkeit untergliedert ist.51 Dieser Abhandlung schließt sich die Auslegung zum Gesetz mit der Differenzierung von göttlichem und menschlichem Gesetz an, wobei im Teil über das menschliche Gesetz kirchliche und öffentli-

45

Vgl. P. WALTER, Theologie, S. 189-194. Vgl. Loci communes 1521, S. 16, O.l. 47 Vgl. oben II. 1.2 und II. 1.3. 48 Vgl. StA IV, S. 211,26-31: „Est itaque argumentum huius epistulae et status, quid sit Evangelium. Novam quandam doctrinam orbi terrarum pollicentur apostoli, earn hic definit, nec definit breviter, sed copiose discernit a iustitia Christiana iustitiam humanam collectam nostra industria, nostris viribus vel ex praeceptis hominum vel ex lege Mosaica sive decalogo." 49 Vg. StA IV, S. 213,32f.: „Gratia significat simpliciter remissionem peccatorum seu favorem Dei." Zur Verwendung des Begriffes favor Dei vgl. R. SCHÄFER, Christologie, S. 64ff., Anm. 1. 50 Diese Exposition vgl. StA IV, S. 213,32-220,7. 51 Den Abschnitt über die weltliche Gerechtigkeit vgl. StA IV, S. 220,9-244,2. Den Abschnitt über christliche Gerechtigkeit vgl. aaO., S. 244,5-251,13. 46

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che/staatliche Gesetze unterschieden werden.52 Der übrige Kommentar thematisiert überwiegend die ethischen Folgen der Rechtfertigung unter den Stichworten „gute Werke" und „christliche Freiheit", wobei die vorher explizierten loci als inhaltliche Bezugspunkte und Grundlagen verwendet werden. Melanchthon wendet die Loci-Methode in der Auslegung des Kolosserbriefes in nahezu gleicher Weise wie bei der Römerbriefauslegung in den Loci communes 1521 an. Der Hauptunterschied zwischen den Loci communes 1521 und den Scholien zum Kolosserbrief besteht in der formalen Gliederung. Benutzte Melanchthon in den Loci communes 1521 theologische Begriffe als Gliederungspunkte, so richtet er sich nun nach den Kapitel- und Verseinteilungen des Kolosserbriefes. Dieses ist wohl auf die unterschiedliche Form von Methodus und Kommentar zurückzufuhren. Der formale Unterschied verändert jedoch nicht die inhaltliche Methode, von den loci her bestimmte thematische Blöcke zu bilden, unter die der Text logisch untergeordnet wird. Die thematische Blockbildung entnimmt Melanchthon dabei dem Text. Über diese Methode gibt Melanchthon in der systematischen Darstellung Philippi Melanchthonis de locis communibus ratio53 von 1531 Auskunft. Er verweist dabei auf zwei herausragende Humanisten, nämlich Rudolph Agricola und Erasmus, bei denen man den Gebrauch der Loci-Methode am besten nachlesen könne.54 Die Loci-Methode diene in allen Dingen dazu, zu einem richtigen Urteil zu gelangen. Dazu seien die loci am Gegenstand der Betrachtung auszurichten und von diesem Gegenstand her zu gewinnen.55 Ihre Bedeutung haben die loci vor allem darin, eine Ordnung für die Memorierung bestimmter Stoffe zu erreichen, so daß diese leichter abgerufen werden können.56 Es handelt sich bei dieser Beschreibung um sehr allgemeine Angaben. Betrachtet man die Anwendung in den Loci-Ausgaben oder der Kolosserbriefvorlesung, scheint Melanchthon im Gegensatz zu Erasmus und Agricola an einem Zusammenhang der einzelnen loci interessiert zu sein. Erasmus meinte, „man könne auf 2 bis 300 kommen; 1519

52

Vgl. StA IV, S. 251,15-277,16. Vgl. CR XX, Sp. 695-698. 54 Vgl. CR XX, Sp. 696. - Durch De inventione dialectica von R. AGRICOLA wurde Melanchthon angeleitet, sich hinsichtlich der Rhetorik mit den antiken Schriftstellern - besonders mit Cicero - zu beschäftigen. Die Loci-Lehre hat Melanchthon jedoch nicht bei Agricola kennengelernt, sondern eher durch Reuchlin. Aber Melanchthon füllt die Loci-Lehre in anderer Weise als diese beiden. Vgl. hierzu auch W. MAURER, Melanchthon I, S. 113f. und DERS., Programmschrift, S. 24fT. 55 Vgl. CR XX, Sp. 695: „Qui volet igitur de rebus humanis recte iudicare, illum oportet, quicquid incident forte fortuna, ad has ceu formas rerum exigere. Pariter, cui cordi est recte de studiis iudicare, illum oportet tales locos in numerato habere." 56 Vgl. CR XX, Sp. 695: „Nam praeter id, quod sunt formae rerum et regulae, mire etiam memoriam adiuvant." 53

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sind es sogar unzählige" 57 . Melanchthon dagegen hält sich an wenige loci, in der Regel Sünde, Gesetz und Gnade, die er für die Theologie empfiehlt. 58 In der Abhandlung De modo et arte concionandi von 1537 oder 1539 wird die Loci-Methode in eine Systematik zur Methode der Bibelauslegung eingeordnet. Melanchthon fuhrt vier Regeln der Schriftauslegung an, deren erste die LociMethode nennt. 59 Anhand der dritten und vierten Regel ist der Einfluß von Luthers Auslegungsmethodik spürbar. Melanchthon verweist darauf, daß es nur einen Schriftsinn gibt, der für die Erklärung der Inhalte der Hl. Schrift grundlegend ist. Dennoch schließt Melanchthon die allegorische Deutung nicht aus, sondern bindet die Anwendung an große Klugheit. Die wechselseitige Beziehung der Regeln zueinander ist insofern bedeutend, als Melanchthon die Loci-Methode zur Strukturierung der aus der Hl. Schrift gewonnenen Erkenntnisse verwendet wissen möchte. Auf der anderen Seite gibt die Loci-Methode durch die eindeutige Zuordnung des Stoffes zu einer bei Melanchthon sehr begrenzten Anzahl von loci die Notwendigkeit auf, sich an den sensus literalis zu halten. Ziel muß es dabei sein, den Sinn zu erfassen, der das Gewissen über den Willen Gottes unterrichten kann.60 Gerichtet ist die Methode in der Theologie darauf, die menschliche Erkenntnis sowohl für die Anwendung in der Schriftauslegung als auch für die Anfechtung des Gewissens zuzurüsten, also in wissenschaftlicher wie in konsolatorischer Hinsicht zu Nutzen zu bringen. Melanchthon hebt ihre ethische und damit ihre praktische Bedeutung für das christliche Leben hervor. Diese Regeln hatte Melanchthon bereits 1521 angewendet, indem er als Ziel der Theologie angab, mit den „Hauptorten" die Erkenntnis der Wohltaten Christi zu fördern.61 Und ebenfalls mahnt Melanchthon den vorsichtigen Umgang mit der Allegorie bereits in den Loci communes 1521 an, der sich am Evangelium von 57

H. SCHEIBLE, Melanchthon zwischen Luther und Erasmus, S. 166. Melanchthon beschränkt sich nicht auf die Nennung von theologischen loci, sondern gibt auch für die Rechtswissenschaften loci an. Er ist also an einer allgemeinen wissenschaftlichen Methode interessiert, die für jede Wissenschaft jedoch spezifische Topoi herausbilden muß. Zur Loci-Methode in den Rechtswissenschaften vgl. auch HANS ERICH TROJE, Konrad Lagus (ca. 1500-1546). Zur Rezeption der Loci-Methode in der Jurisprudenz, in: H. Scheible, Melanchthon in seinen Schülern, (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 73) Wiesbaden 1997, S. 255-283. 59 Die zweite Regel: Das AT wird durch das NT erklärt; dritte Regel: Es gibt nur einen einzigen, hauptsächlichen Sinn der Schrift, von dem her die Inhalte den loci zugeordnet werden; vierte Regel: Die allegorische Deutung ist nicht ausgeschlossen, aber nur mit großer Klugheit vorzunehmen. Vgl. hierzu ausführlicher S. WIEDENHOFER, Formalstrukturen, S. 378ff. 60 Vgl. CR II, Sp. 458: „Et qui seiet omnia ad locos communes referre, huic nihil opus est quaerere multos sensus. Hoc potius agat, ut certam quandam sententiam constituat, quae certo conscientiam docere possit de voluntate Dei. Est enim ad usum et ad tentationes comparanda cognitio." 61 Vgl. Loci communes 1521, 0,13. 58

Zur Methode der Schriftauslegung

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Christus und an den Gesetzen ausrichten soll. Aber grundsätzlich weist Melanchthon auf die Tiefe der Aussagen hin, die durch den sensus literalis entdeckt werden kann.62 Das Ziel, die Wohltaten Christi zu erkennen, gibt Melanchthon auch in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 an. Die soteriologische Auslegung der Hl. Schrift von den Wohltaten Christi her ist Luthers Methodik sehr ähnlich. Wie Ebeling als scopus für Luthers allegorische Schriftauslegung das Predigtamt als Ort unmittelbarer Christusverkündigung nachgewiesen hatte, so bindet Melanchthon die Auslegung auf die Wohltaten Christi hin ebenfalls in die Verkündigung ein. Evangelium ist die Rede, in der die Wohltaten Christi rezitiert werden, deren Ziel das Verständnis der evangelischen Wohltaten ist.63 Dieser Abschnitt zur Methode von Melanchthons Schriftauslegung berührt die Auseinandersetzung zwischen Luther und Erasmus um die Willensfreiheit. Erasmus sah in der Frage nach der Freiheit des Willens „nur ein akademisches Problem, eine Frage, die die Gelehrten in aller Ruhe besprechen sollten, die jedoch keine Konsequenzen für die Lehre oder die Ausübung der Frömmigkeit hatte"64. Ganz anders beurteilte er die Fragen nach der Autorität und der Klarheit der Schrift. Für Luther waren diese Probleme in der Diskussion gleichrangig.65 Da aber Luther De servo arbitrio Schritt für Schritt entlang der Diatribe von Erasmus entwickelt hat,66 nimmt auch in De servo arbitrio die Erörterung der claritas scripturae großen Raum ein. Diese Frage steht in engem Zusammenhang mit dem vierfachen bzw. einfachen Schriftsinn. Erasmus geht davon aus, daß es unverständliche, dunkle Teile in der Hl. Schrift gibt, die durch die Auslegung der Hl. Schrift verdeutlicht werden müssen. Dem setzt Luther die doppelte Klarheit der Schrift entgegen. Der äußeren Klarheit der Schrift entspricht eine innere, durch den Heiligen Geist evozierte Klarheit, wobei als Kriterium für die Beurteilung der Bibelauslegung allein die äußere Klarheit zählt. Zwar hat jeder Christ die innere Klarheit und beurteilt als geistlicher Mensch alles. „Aber diese Beurteilung nützt keinem anderen und ist deshalb nicht wichtig. Aber es gibt ebenfalls die äußere 62

Vgl. aaO., S. 130/132,4,111-116; S. 194,4,111; S. 228, 6,54 und S. 238, 6,81. Vgl. StA IV, S. 220,11-17: „Est autem evangelium sermo, quo beneficia, quae per Christum donata sunt, recitantur; ea beneficia commemorat hoc loco Paulus rhetorica congerie, et incepta est narratio ab affectu:, Agite gratias Deo, quod fecerit vos idoneos ad partem hereditatis sanctorum', id est: ad consequenda evangelii beneficia." 64 C O R N E L I S A U G U S T I J N , Erasmus. Der Humanist als Theologe und Kirchenreformer, (SMRTh 59) Leiden/New York/Köln 1996 (künftig zitiert als „Erasmus"), S. 265. Vgl. auch M A N F R E D H O F F M A N N , Erasmus im Streit mit Luther, in: Otto Hermann Pesch (Hg.), Humanismus und Reformation ..., (Schriftenreihe der katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg) München/Zürich 1985, S. 91-118 (künftig zitiert als „Erasmus"), S. 91. 65 Vgl. B. L O H S E , Luthers Theologie, S. 181ff. 66 Vgl. A . B U C H H O L Z , Schrift, S. 6 0 . 63

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Untersuchung, mit der wir die Geister und die Dogmen beurteilen."67 Dieser äußeren und inneren Klarheit entspricht im Menschen eine externa et interna obscuritas. Beide hängen von der Dunkelheit des menschlichen Herzens ab, zu der die äußere Klarheit der Schrift vom Menschen zwar gehört, der Wille des Menschen aber das ihr Entsprechende nicht wollen kann. Das Herz des Menschen ist in der Macht des Teufels. So kann der äußeren Klarheit der Hl. Schrift durch die Predigt durchaus eine äußere Dunkelheit entgegenstehen, wenn durch die innere Dunkelheit des Predigers die äußere Klarheit der Hl. Schrift verdunkelt wird.68 In dieser Auseinandersetzung geht es um zentrale Punkte, die auch fur die Theologie Melanchthons von großer Bedeutung waren. Der Gegensatz zu Erasmus in der Willensfrage ist offensichtlich. Aber auch die Klarheit der Schrift wird von Melanchthon in den Loci communes 1521 hervorgehoben. Dieses geschieht bei der Behandlung des Problems, ob die Auslegung der Hl. Schrift unter Berufung auf den Heiligen Geist die Aussagen der Bibel inhaltlich normieren kann. Melanchthon wirft der Papstkirche dieses Verhalten vor, das auch Erasmus nicht fremd gewesen sein dürfte.69 Erasmus hat die Hl. Schrift als Quelle gelesen, aus der die Tradition wie ein Strom fließt.70 Von daher kann diese Quelle auch von der Tradition ausgehend verstanden werden. Melanchthon setzt den umgekehrten Weg dagegen. Nicht der Geist legt die Hl. Schrift aus, sondern nur das ist als Gabe des Heiligen Geistes anzuerkennen, was durch die Bibel bestätigt wird.71 Diesen methodischen Ansatz verfolgt Melanchthon konsequent, wie auch der Umgang mit der altkirchlichen Vätertradition zeigt. Im Gegensatz zur hohen Bedeutung, die die Kirchenväter als principium fidei neben der Hl. Schrift und den Konzilien in der altgläubigen Theologie genossen, werden in Melanchthons Theologie die Kirchenväter nur herangezogen, um die Übereinstimmung der Wittenberger Theologie mit der traditionellen Kirchenlehre zu beweisen. Vorraussetzung ist aber, daß die entsprechende Aussage eines Kirchenvaters mit der Hl. Schrift kongruiert. Die Hl. Schrift behält stets den Primat. Mit dieser Auffassung steht er der humanistischen Kirchenväterkritik sehr nahe, verfolgt aber auch hier wie bei der besonderen Stellung der Hl. Schrift eine davon abweichende Intention. Die humanistische Kritik richtet sich vor allem gegen die scholastische Theologie mit ihrem starren Lehrsystem, das stark von der Philosophie getragen sei. Diese Kritik zielt auf die alten Quellen, die durch Sprachkenntnisse wieder selber in den Mittelpunkt der Forschung gestellt werden sollen. Damals seien die Theologen noch nicht von der 67

C. AUGUSTIJN, Erasmus, S. 269. Vgl. A. BUCHHOLZ, Schrift, S. 78-84. Vgl. auch B. LOHSE, Luthers Theologie, S. 183f. 69 Vgl. Loci communes 1521, S. 138, 3,136. 70 Vgl. MARTIN LEINER, Die Anfänge der protestantischen Hermeneutik bei Philipp Melanchthon. Ein Kapitel zum Verhältnis von Rhetorik und Hermeneutik, in: ZThK 94,1997, S. 468487 (künftig zitiert als .Anfänge"), S. 477. 71 Vgl. Loci communes 1521, S. 138, 3,131.133. 68

Zur Methode der Schriftauslegung

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Philosophie verdorben gewesen, so daß sie die Hl. Schrift ohne ein von außen herangetragenes System interpretierten.72 Die humanistische Scholastikkritik greift demnach auf die Kirchenväter als Bibelausleger zurück und nicht so sehr als Lehrautoritäten wie die scholastische Theologie. Melanchthon kann auch davon sprechen, „daß die Kirchenväter einen purior christianismus vertreten haben, die Verdunkelung des Evangeliums ist erst im Mittelalter eingetreten. Seine eigene Zeit sieht er als Abend an, während sie noch zur Mittagszeit gelebt hatten." 73 Daraus leitet Melanchthon aber keine besondere Autorität für die Schriftauslegung ab. Auch wenn sie näher an der alten Zeit waren, „trage es nicht viel bei, was einer oder der andere gemeint haben, quando de scriptura sententia constat"74. Auf den Aussagen der Kirchenväter baut Melanchthon demnach seine Argumentationen nicht auf, sondern zieht deren Aussagen lediglich zur Bekräftigung seiner Position im Einzelfall heran.75 Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Scholien zum Kolosserbrief 1527 nur an neun Stellen auf die Kirchenväter rekurrieren.76 Bei der Auslegung des Kolosserbriefes richtet Melanchthon sein Interesse darauf, den Text mit Hilfe des Heiligen Geistes zum Sprechen zu bringen und zwar zu den loci Sünde, Gesetz und Gnade unter dem Hauptthema christliche und weltliche Gerechtigkeit. Es zeigt sich, daß diese Punkte, in denen sich Luther und Erasmus im Dissens befinden, von Melanchthons Lehre berührt werden. Melanchthon war, wie einige Anspielungen und direkte Adressen an ihn von Erasmus verraten, in dieser Auseinandersetzung nicht allein Beobachter oder Schlichter, der mit seinem direkten Eingreifen ausgleichend zwischen den beiden Kontrahenten wirken wollte. Melanchthon war an dem Streit, wenn auch eher indirekt, beteiligt.77 72 Vgl. LEIF GRANE, Some remarks on the church fathers in the first years of the reformation (1516-1520), in: Ders./Alfred Schindler/Markus Wriedt, Auctoritas patrum...., (VIEG, Beiheft 37) Mainz 1993, S. 21-32 (künftig zitiert als „remarks"), S. 24. Vgl. auch ROBERT STUPPERICH, Erasmus und Melanchthon in ihrem Verhältnis zu den Kirchenvätern, in: VoxTh 39, 1969, S. 80-92 (künftig zitiert als „Erasmus und Melanchthon"), S. 85. 73 R. STUPPERICH, Erasmus und Melanchthon, S. 89. 74 AaO., S. 89. Das lat. Zitat vgl. StA I, S. 148,6. 75 Dieses Vorgehen entspricht Luthers Umgang mit AUGUSTIN. „Luther hat sich Zeit seines Lebens auf Augustin berufen, doch diente ihm Augustin vor allem als Kommentar zu Paulus. So ist ihm spätestens seit der Römerbriefexegese 1515/16 Paulus entscheidende Autorität, Augustin dessen bester Interpret. Entwickelt jedoch Augustin Sachaussagen, die der HL. Schrift widersprechen, so korrigiert Luther Augustin von der HL. Schrift her." (KARL-HEINZ ZUR MÜHLEN, Die Rezeption von Augustins „Tractatus in Johannem 80,3" im Werk Martin Luthers, in: Leif Grane/Alfred Schindler/Markus Wriedt, Auctoritas patrum...., [VIEG, Beiheft 37] Mainz 1993, S. 271-281, Zitat S. 280). Vgl. auch PETER FRAENKEL, Testimonia patrum. The Function of the Patristic Argument in the Theology of Philipp Melanchthon, (THR 46) Genf 1961. 76 Vgl. StA IV, S. 232,237, 252,259, 260,261, 273,276,285. 77 Vgl. WILHELM MAURER, Melanchthons Anteil am Streit zwischen.Luther und Erasmus, in: ARG 49, 1958, S. 89-115. MAURER weist den Gegensatz zwischen Erasmus und Melan-

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Melanchthons Methodik der Schriftauslegung und ihre inhaltliche Qualifizierung können weder eindeutig dem Einfluß Luthers noch dem von Erasmus zugeordnet werden. Es ist jedoch erkennbar geworden, daß die theologische Nähe zu Luther die Inhalte in besonderer Weise bestimmt, während die Grundlagen der Methode aus Melanchthons humanistischer Prägung während seiner Ausbildung erklärt werden können. Wie schon in den Loci communes 1521 bei den Aussagen zur Anthropologie läßt sich also ein Neben- oder auch Ineinander zweier Strömungen erkennen, das je nach äußerer Notwendigkeit den einen oder den anderen Strang stärker akzentuiert.

3.4 Analyse der Willenslehre in den Scholia in Epistolam Pauli ad Colossenses vonl527 Die Frage nach der Freiheit des Willens behandelt Melanchthon in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 innerhalb des Abschnittes, in dem er vom Evangelium spricht,78 und bindet sie in die Erörterung zum Willen in der Affektenlehre ein.79 Vor dem Abschnitt über das Evangelium erläutert Melanchthon die Relation des glaubenden Menschen zu Gott anhand der Gnade.80 Um die Gnade zu erkennen, muß der Mensch den Willen Gottes erkennen. Hierzu ist der Mensch an das Kreuz verwiesen, weil er die Gnade nur erkennt, wenn er seine Erlösungsbedürftigkeit wahrnimmt. Am Kreuz Christi wird dem Menschen der Zorn Gottes deutlich, der ihn selbst hätte treffen müssen. Zugleich aber ist das Kreuz für den Menschen das Zeichen des göttlichen Wohlwollens.81 chthon auch anhand des Widmungsbriefes der Loci communes 1521 nach. Daß Erasmus in der Diatribe und den Hyperaspistes auf diese Gegensätze angespielt und diese verarbeitet hat, stellt MAURER überzeugend dar. M.E. trifft jedoch der Schluß, daß die drei Hauptteile des „programmatischen Widmungsbriefes" der Loci „bewußt eine Konkurrenz zu der Programmschrift [bilden, Ergänzung d. Verfassers], in der Erasmus die Grundsätze des christlichen Humanismus niedergelegt hatte" (aaO., S. 108), in dieser Form nicht zu. Die innere Verbundenheit Melanchthons mit dem Humanismus und Erasmus, die in vielen Aussagen und der Konzeption der Loci communes 1521 hervortritt, deutet m.E. nicht auf eine „ablehnende Haltung Melanchthons gegenüber der .Ratio seu Methodus'" (aaO., S. 111) hin, über deren Folge Melanchthon schließlich erschrocken sei (vgl. aaO., S. 114). 78 Den Abschnitt über das Evangelium vgl. StA IV, S. 220,9-251,13. Darin enthalten ist der Abschnitt über den Willen S. 222,20-225,13. 79 Die Affektenlehre vgl. 220,13-227,26. 80 Vgl. StA IV, S. 213,32-219,3. 81 Vgl. StA IV, S. 217,6-15: „Tertio, ut perferant crucem et in cruce addiscant praesentiam et benevolentiam Dei erga se. Cognoscere voluntatem Dei est serio et re vera sentire, quod Deus irascatur, peccantibus, et perhorrescere ac timere iram Dei. Rursus etiam serio et re vera sentire et credere, quod Deus propter Christum condonet peccata, receptos in gratiam defendat, gubemet suo spiritu, servet, velit affligi et carnem mortificari, sed tarnen in cruce consoletur et iuvet."

Analyse der Willenslehre in den Scholia ...ad Colossenses von 1527

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Die Erkenntnis des Zornes Gottes beschreibt Melanchthon als Anfechtung, aus der heraus der Sünder um die Hilfe Gottes bittet. Diese Anfechtung des Menschen gehört demnach zum Glauben, da der Mensch allein im Glauben die Anfechtung empfindet und Gott um Hilfe bittet. Die Bitte um Hilfe ist dem Sünder von Gott aufgetragen. 82 Melanchthon nimmt als Zeichen des Glaubens und damit als äußeres Kriterium der Wirksamkeit des Heiligen Geistes im Menschen die Anfechtung in die Argumentation auf. Es kann nicht nachgewiesen werden, daß dieses auf den Ratschlag Luthers zurückgeht, den dieser als Kriterium zur Prüfung der Echtheit der Geistwirkung bei den Zwickauer Propheten gegeben hatte. Die Veränderung gegenüber den Loci communes 1521 und 1522 in diesem Punkt legt aber den Verdacht nahe, daß ein Zusammenhang besteht. Die Anfechtung des Menschen ist zwar in den Loci communes 1521 in der Aussage vom erschrockenen Gewissen enthalten, wird aber nur an einer Stelle erwähnt.83 Inhaltlich unterscheidet sich diese Aussage von 1521 nicht von der aus den Scholien zum Kolosserbrief 1527. In den Scholien zum Kolosserbrief 1527 ist jedoch nicht nur der Umfang größer, den die Erörterung einnimmt, sondern auch die Stellung im Kontext eine andere. 1521 zielt die Aussage auf die Unmöglichkeit, die Sünde aus eigener Kraft zu erkennen. Die Sündenerkenntnis und der damit verbundene Schrecken für das Gewissen werden als Wirkung des Heiligen Geistes beschrieben. 1527 handelt ein ganzer Abschnitt von der Anfechtung durch das Kreuz, die zum Glauben gehört und die Bitte um Gottes Hilfe motiviert. Die Anfechtung dient also anders als der Schrecken des Gewissens zugleich der Erfahrung des Evangeliums und der Gnadenwirkung, weil nicht nur die Sünde erkannt wird, sondern im Kreuz Sündenerkenntnis und Sündenvergebung als Wirkung der Gnade Gottes zugleich erkannt werden. Diese veränderte Argumentationsstruktur ist für die Willenslehre insofern von Bedeutung, als Melanchthon den Menschen durch den Begriff Anfechtung stärker in der Relation coram Deo betrachtet, als wenn er vom erschreckten Gewissen spricht. Auch wenn das Gewissen durch den Heiligen Geist erschreckt und damit die coram-Deo-Relation deutlich wird, handelt es sich dabei um eine psychologische Aussage über den Menschen, wenn auch im streng theologischen Kontext. Die psychologische Betrachtung erweckt den Eindruck, daß der erschrockene Mensch erst in die Relation zu Gott eingeholt werden muß, während die Rede von der Anfechtung die Relation Gott - Mensch bereits voraussetzt. Die Psychologie

82

Vgl. StA IV, S. 219,If.: „Nam in afflictione iubet nos sentire, quod Deo placeat, ut affligamur." Vgl. weiterhin aaO., S. 219,27f.: „Secundo postulat Deus, ut in afflictione credamus eum nobis opem laturum esse, et iubet a se peti auxilium, [...]." 83 Vgl. Loci communes 1521, S. 190, 4,99.

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tritt, verglichen mit den Loci communes 1521, als Erklärungshilfe wieder in den Hintergrund. Es ist für die folgende Betrachtung der Affekte und des Willens als Ausgangspunkt des Abschnittes über das Evangelium von Bedeutung, daß Melanchthon sich bei der Erörterung der Affekte aus dem vorwiegend psychologischen Schema löst, indem er bei der Beurteilung der Affekte eine schärfere Trennung zwischen den affectus spirituales und den affectus carnales vornimmt. Standen sich in den Loci communes 1521 geistliche und fleischliche Affekte auf einer Ebene gegenüber, wobei die geistlichen im theologischen Sinne positiv und die fleischlichen negativ zu bewerten sind, wird in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 ein qualitativer Unterschied deutlich. Der Mensch wird bewußt nicht unter dem Gesichtspunkt seiner geschöpflichen Vermögen untersucht, wenn die Frage nach Affekt und Willen gestellt wird. In der Schöpfung steht der Mensch als Geschöpf Gottes zunächst in einer Reihe mit Bäumen und Tieren. Der entscheidende Unterschied, der den Menschen von der übrigen Schöpfung abhebt, ist das Verhältnis Gottes zum Menschen, das sich in Rechtfertigung, Heiligung und anderen Handlungen manifestiert, die nicht aus den natürlichen Eigenschaften des Menschen erklärt werden können. Der Mensch ist damit in seiner herausragenden Position in Gottes Schöpfung durch die Relation Gottes zum Menschen konstituiert. Aus dieser Relation entspringen die geistlichen Affekte, die nicht aus eigener Kraft vom Menschen hervorgebracht werden können.84 Gott bewirkt durch seine Führung, daß der Mensch in der Relation coram Deo gehalten wird. Melanchthon spricht an dieser Stelle nicht von Prädestination, sondern von Gottes Führung (gubernatio). Die Führung ist notwendig, weil die Schöpfung nicht ohne Gottes Hilfe bestehen kann.85 Dieses gilt ebenso vom Menschen. Der Begriff gubernatio „schließt [...] actio Dei generalis und specialis in sich ein"86. Melanchthon verwendet den Begriff actio Dei specialis in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 nicht, actio Dei generalis hingegen schon. Gubernatio Dei verwendet Melanchthon vor allem im Sinne der actio Dei generalis.87

84 Vgl. StA IV, S. 222,31-223,4: „Seu ut aliis verbis dicam: non quaeritur de creatione, quomodo agitet Deus omnes creaturas, arbores, bestias, homines. Sed quaeritur de iustificatione et sanctificatione, deque his actionibus, quae non cadunt in hominem quamquam naturali vita viventem, quam iuxta Deus impertit bonis et malis. Hoc itaque tenendum est naturam hominis naturalibus viribus non posse efficere verum timorem Dei et veram fiduciam erga Deum et reliquos affectus et motus spirituales." 85 Vgl. StA IV, S. 221,28-31: „Discimus igitur, quid creatio sit, non enim ita conditae res sunt, ut nunc sine Dei auxilio consistant, sed Deus gubernat eas et agitat assiduo, [...]." 86

P. SCHWARZENAU, Wandel, S. 123, Anm. 11.

87

Vgl. ebd.

Analyse der Willenslehre in den Scholia... ad Colossenses von 1527

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Daß der Mensch sich nicht als Geschöpf versteht, das von Gott geleitet wird in seinem Leben, ist die Folge der fleischlichen Affekte und der Dunkelheit in der Erkenntnis. Melanchthon spricht nicht von der strebenden und der erkennenden Seelenkraft im Menschen, sondern von deren Interaktion in der psychologischen Beschreibung des fleischlichen Menschen. Der Mensch hat durch die Wirkung der Erbsünde eine verdunkelte Seele. Hiervon ist nicht nur der Wille aufgrund der Verdorbenheit des Herzens betroffen, sondern auch die Erkenntnis. Dem postlapsarischen Menschen fehlt daher die Erkenntnis der Sünde und auch die Erkenntnis, was Gerechtigkeit vor Gott bedeutet. Diese Dunkelheit der Erkenntnis kann nicht so einfach behoben werden, weil der Mensch mit seinen Affekten vom Teufel zu schändlichen Taten angetrieben wird und sich daher auch vor äußeren Sünden nicht vollkommen schützen kann. Melanchthon spricht immer von ratio, der die Erkenntnis fehlt oder die vom Teufel mitgerissen wird wie durch einen Affekt.88 Melanchthon versteht demnach Vernunft hier im klassischen Sinne als den „mit dem Willen geeinten Verstand"89. Es wird deutlich, daß die affectus spirituales qualitativ von den affectus carnales abgesetzt sind. Die Ursache für diese Differenzierung besteht im Wandel der Beurteilung in bezug auf die affectus carnales. In den Loci communes 1521 identifiziert Melanchthon Sünde weitgehend mit allen Handlungen des Menschen, deren Ursprung in den affectus carnales liegt, so daß ein negatives Urteil über die fleischlichen Affekte vermittelt wird. Letztlich ist alles, was der Mensch hervorbringen kann, Sünde. Diese Schlußfolgerung wird in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 nicht mehr gezogen. Wenn in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 auf der Basis dieser Affektenlehre die Frage nach der Freiheit des Willens gestellt wird, muß sich auch diesbezüglich eine Veränderung ergeben haben. Die erste grundlegende Änderung besteht in der Begründung der fehlenden Freiheit des Willens. In den Loci communes 1521 war das entscheidende Argument die Prädestinationslehre. Auch in der siebten, veränderten Auflage von 1522 diente die göttliche Vorherbestimmung als das entscheidende theologische Argument gegen die Willensfreiheit, nachdem mit Hilfe der Affektenlehre die Rede von

88

Vgl. StA IV, S. 220,25-221,8: „Esse in tenebris est non nosse Deum, hoc est: non sentire seu statuere, quod vere irascatur peccantibus et quod condonet peccata, deinde nec scire, quid sit peccatum. Nam ratio non cernit haec peccata, concupiscentiam cordis, ignorationem Dei, vacare timore Dei, vacare fide; sed videt tantum haec peccata exteriora: caedem, furtum, adulterium, et similia. [...] Tertio nescit ratio, quae sit iustitia coram Deo, [...]. Quarto praeter haec dicit Paulus non simpliciter esse e tenebris ereptos, sed: ,ex potestate tenebrarum'. Nam impios impellit satan ad omnis generis flagitia perpetranda: nec iam ratio satis firma est adversus exteriora peccata cavenda, sed rapitur et praecipitatur a diabolo." 89 Vgl. Loci communes 1521, S. 28,1,14. In den Loci communes 1521 hat Melanchthon den Gebrauch des Wortes abgelehnt, da die appetitive Seite von größerem Interesse war.

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ad Colossenses

von 1527

der Freiheit sowohl in geistlichen wie auch in fleischlichen Dingen in einem psychologisch orientierten Argumentationsgang ausgeschlossen worden war. Daß der Mensch in geistlichen Dingen keinen freien Willen haben kann, beschreibt Melanchthon in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 nicht primär als Folge der Erbsünde, sondern als Notwendigkeit aufgrund der Konstituierung des Menschen durch die Relation coram Deo. Da der Mensch diese Relation nicht selber konstituiert hat und a se erhält, ist der Mensch in dieser Relation nicht frei, die geistlichen Affekte hervorzubringen, in denen sich das Verhältnis Gottes zum Menschen manifestiert.90 Die Unmöglichkeit, diese Affekte hervorzubringen, besteht in der Unkenntnis des neuen Lebens. Melanchthon verwendet hier konsequent ein Darstellungsschema, das das Handeln des Menschen als Interaktion der beiden Seelenkräfte beschreibt. Ist dem Menschen das geistliche Leben aber fremd, da es nicht zu seinen eigenen Qualitäten gehört, kann der Verstand dem Willen die geistlichen Objekte nicht vorstellen, die von diesem dann gewählt werden könnten. „Daher ist es leicht zu verstehen, daß der menschliche Wille keine Freiheit hat, wenn man hier das betrachtet, was der menschlichen Natur genommen worden ist, d.h. nicht das, was sie, geboren aus Adam, mit sich selbst mitfuhrt, [nämlich, Anm. d. Verf.] hier- und dorthin zu gehen, diese oder jene Art der Bekleidung auszuwählen, sondern das, was sich auf die Erneuerung oder auf die neue Geburt erstreckt, die der Heilige Geist bewirkt."91 Durch die Erbsünde hat der Mensch den Heiligen Geist verloren, der die Kenntnis des neuen Lebens bewirkt hat. Durch die gnadenhafte Gabe des Heiligen Geistes wird sich der Mensch dieser Relation wieder bewußt. Die Prädestination wird von Melanchthon im Zusammenhang mit der Unfreiheit in geistlichen Dingen in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 nicht mehr angeführt. Auch bezüglich der äußeren Dinge spricht Melanchthon in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 nicht mehr von der Prädestination. Dagegen greift er die von Erasmus in der Auseinandersetzung mit Luther zur Interpretation der Prädestination angeführte Distinktion von necessitas consequentiae und necessitas consequentis inhaltlich, wenn auch nicht wörtlich auf.92 Im Sinne der necessitas 90 Vgl. StAIV, S. 223,10-16: „Adeo claris sententiis traditum est humanam voluntatemnon habere eiusmodi libertatem, ut iustitiam Christianam seu spiritualem efficere possit. Idque ideo, ut discamus Christianam iustitiam non esse tantum civilia opera seu eiusmodi opera, quae ratio per sese efficit, sed novam quandam vitam prorsus ignotam impiis." 91 StA IV, S. 223,17-23 [Übersetzung vom Verf.]: „Itaque non difficile intellectu est humanam voluntatem non habere libertatem, si quis hue respexerit adimi naturae hominis, non quae ipsa secum attulit nascens ex Adam, ire hue aut illuc, diligere hoc aut aliud genus vestitus, sed ea, quae ad recreationem pertinent seu ad novam genituram, quam efficit Spiritus sanetus." 92 Vgl. ERASMUS, De libero arbitrio διατριβή sive collatio, in: Ders., Ausgewählte Schriften, Bd. IV, hrsg. v. Werner Welzig, Darmstadt 1969 (künftig zitiert als „διατριβή"), S. 102/104: „In his qui rem scholastica subtilitate discutiunt, recipiuntnecessitatem consequentiae, consequentis necessitatem reiciunt."

Analyse der Willenslehre in den Scholia ...ad Colossenses von 1527

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consequentiae hat der Mensch in äußeren Dingen einen gewissen Spielraum. Etwa greift Melanchthon das Argument von Erasmus auf, daß bei einer Vorherbestimmung des Menschen in allen Dingen auch die Sünde letztlich von Gott gewirkt sein müßte.93 Um dieser Konsequenz zu entgehen, spricht Melanchthon nur von einer actio Dei generalis, durch die Gott alles zur Bewegung antreibt. Der Wille des Menschen behält in den äußeren Dingen eine gewisse Freiheit, die von Gottes Handeln nicht vorherbestimmt ist. Melanchthon ist also bezüglich der christlichen Freiheit coram Deo in der Linie seiner Argumentation aus den Loci communes 1521 geblieben, wenn er auch die für Erasmus anstößige Rede von der Prädestination nicht wieder aufgenommen hat. Melanchthon verwehrt aber jedem Denken einer möglichen Freiheit in geistlichen Dingen die Berechtigung, indem er einen grundsätzlichen qualitativen Unterschied zwischen geistlichen und weltlichen Affekten herausstellt. Mit dieser Differenz veranschaulicht Melanchthon die Aussage, daß sich die Vernunft nicht auf die geistlichen Dinge erstreckt. Indem aber die geistlichen Affekte allein auf den Heiligen Geist zurückzufuhren sind, ist der Mensch in geistlichen Dingen von Gottes Willen vorherbestimmt. Die Beschränkung auf eine geistliche Vorherbestimmung und der Verzicht auf den Gebrauch des allgemeinen Prädestinationsbegriffes verhindern ein deterministisches Verständnis von Melanchthons Aussagen, das Erasmus in der Auseinandersetzung mit Luther immer wieder angegriffen hatte. Diese argumentative Veränderung ist als unmittelbare Auswirkung von Erasmus' Einwänden gegen die Lutherische und auch Melanchthonische Willenslehre zu deuten. Ein weiterer Grund für die Veränderungen in der Argumentationsstruktur liegt in den Erfahrungen, die Melanchthon während des Bauernaufstandes machen mußte. Schon in der Vorrede nennt Melanchthon als Proprium der neuen apostolischen Lehre die Unterscheidung von christlicher und weltlicher Gerechtigkeit. Daß die besondere Bedeutung dieser Thematik mit dem Bauernaufstand zusammenhängt, schreibt Melanchthon in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 selbst. Er wirft den Urhebern des Aufstandes vor, die geistliche Freiheit zur weltlichen zu verdrehen.94 Diese Unterscheidung von weltlicher und geistlicher Gerechtigkeit wird von Melanchthon in die Loci zum ersten Mal im zeitlichen Zusammenhang mit Sickingens Belagerung von Trier im Jahre 1525 aufgenommen. Entgegen der Tendenz der Loci communes 1521, die alles menschliche Handeln letztlich als Sünde bezeichneten und daher die Relevanz der iustitia civilis vor Gott in der Argumen93

Vgl. Erasmus, διατριβή, S. 88, 94 und 106. Vgl. StA IV, S. 296,7-10: „Quam procul a scripturae sententia discesserunt seditionis rusticanae auctores, qui scripturam de spirituali libertate loquentem detorserunt ad civilem libertatem." 94

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Die Willenslehre von 1522 bis zu den Scholia ...ad Colossenses von 1527

tation unberücksichtigt gelassen haben, hat schon die qualitative Unterscheidung der Affekte in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 deutlich gemacht, daß die Gegenüberstellung von geistlichen Affekten als guten inneren Bewegungen des Menschen im Gegensatz zu den fleischlichen, schlechten Bewegungen nicht das Argumentationsziel war. Hatte Melanchthon 1521 ausschließlich von Affekten coram Deo gesprochen und damit die geistlichen Affekte Glaube, Liebe und Hoffnung gemeint, wie er in einem Brief an Spalatin im September 1521 schreibt,95 dann legt sich der Schluß nahe, daß er die affectus carnales in dieser Zeit als weniger wichtig für die theologische Erörterung erachtete und sie als Regungen des Fleisches der Sünde zuordnete und somit abwertete. Melanchthon hat diesen Argumentationsgang im Blick auf die Insuffiziens menschlichen Handelns in der Rechtfertigung des Sünders gewählt. Aufgrund dieser Struktur entstand jedoch das Problem, wie ethischem Verhalten in der theologischen Erörterung Gewicht zu verleihen sei. Auf diese Frage reagiert Melanchthon mit der veränderten Affektenlehre, die eine Freiheit des Willens in den äußeren Dingen anerkennt. Für diese äußere Freiheit, die dem Menschen von Gott zuerkannt ist, lehrt Melanchthon jedoch eine grundlegende Einschränkung durch die Erbsünde und den Teufel, die den Menschen häufig seinen depravierten Affekten erliegen lassen oder zu schändlichen Werken antreiben.96 Der Mensch kann also auch diese Gerechtigkeit in äußeren Dingen nicht stetig hervorbringen. Melanchthon verdeutlich hier, daß der Mensch mit seinem Willen diesen Affekten nicht unterliegen muß. Er kann, wenn auch nicht immer, gegen die schlechten fleischlichen Affekte mit der Vernunft bestehen. Damit wird der Wille nicht mehr so eindeutig von den niederen Seelenkräften dominiert wie in den Loci communes 1521. Er wird zumindest auf die gleiche Stufe oder sogar über sie gestellt, um eine Triebkontrolle wenigstens teilweise zu ermöglichen. Melanchthon nähert sich hier dem aristotelischen Schema, das er noch in den Loci communes 1521 abgelehnt hatte. Jedes Handeln gegen den Affekt war Heuchelei. 1527 nennt er die Befolgung des Gesetzes als iustitia civilis eine imitatio legis, die auf die äußere Ordnung und nicht auf die Rechtfertigung gerichtet ist. Melanchthon erkennt nun wie auch in den Anhängen zur 13. und 15. Auflage der Loci von 1523 und 1525, daß dieser äußeren Ordnung als von Gott gegebener Ordnung ein Platz in der Schöpfung und damit auch eine eigene Bedeutung vor Gott zu-

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Vgl. oben S. 47, Anm. 45. Vgl. StA IV, S. 225,6-13: „Et quamquam tribuunt sacrae litterae quandam libertatem humanae voluntati in civilibus actionibus, tarnen eandem docent impediri dupliciter. Primo infirmitate carnis seu peccato originali. Est enim tanta infirmitas carnis, ut saepe omnes conatus nostras vincant pravi affectus. Secundo impedit libertatem diabolus, qui, quia insidiatur omnibus, saepe impellit homines ad manifesta et atrocia flagitia." 96

Analyse der Willenslehre in den Scholia ...ad Colossenses von 1527

103

kommt.97 Wenn auch deutlich von der christlichen Gerechtigkeit unterschieden, so ist die weltliche Gerechtigkeit für den Christen eine von Gott verbindlich vorgegebene Ordnung. Auf die Notwendigkeit, die doppelte Gerechtigkeit zu betonen und auch in das Lehrsystem zu integrieren, hat Melanchthon 1525 mit seinen Artikeln gegen die Bauernschaft reagiert. In den Artikeln basiert das christliche Handeln gegenüber der Obrigkeit und dem Nächsten, also die weltliche Gerechtigkeit, auf dem Glauben an Gott. Vom Glauben her wird die Liebe zum Nächsten und der Gehorsam gegenüber der von Gott gegebenen Ordnung entwickelt. Wer an Gott glaubt, der furchtet Gott und will Gott dienen. Aus diesem Zusammenhang wird der Gehorsam gegenüber der Obrigkeit als Dienst gegenüber Gott von Melanchthon erklärt.98 Diesem Verständnis entspricht die Art und Weise, in der Melanchthon in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 die weltliche Gerechtigkeit in die theologische Darstellung integriert hat, die von der Gnade her entwickelt wird.99 Die christliche Gerechtigkeit besteht in der Satisfaktion, die Christus fur die menschliche Sünde leistet. Diese ist die iustitia aliena außerhalb des Menschen pro nobis. Dem entspricht in nobis ein doppeltes Geschehen, nämlich die mortificatio, die Melanchthon mit der Buße gleichsetzt,100 und die viviflcatio, deren Geschehen die Vergebung der Sünden und die Gabe des Heiligen Geistes ist.101 Die Gabe des Heiligen Geistes hebt die Dunkelheit im Menschen auf, so daß der Mensch durch den Heiligen Geist in seinem Leben geführt wird. Mit diesen Aussagen bleibt Melanchthon konsequent bei dem Verständnis, daß der Mensch in geistlichen Dingen keine Freiheit hat und der Wille daher nicht an den Taten beteiligt ist, sondern diese allein aus dem impetus des Heiligen Geistes erwachsen. Insofern versteht Melanchthon den Begriff der Heiligung, der in den

97

Vgl. StA IV, S. 253,5-8: „Itaque multis legibus et caeremoniis assuefieri et coerceri Israelitas voluit [Deus, Anm. d. Verf.], et semper vult omnes homines coerceri aliquibus legibus. Ideo et gentibus dedit magistratus et leges." 98 Vgl. StA I, S. 195,25-29: „Und ist das wol zu merken, das Gott die oberkeyt eyngesetzt hat, auff das sie, die oberkeyt wisse, das sie ynn eym stand sey, der Gott gefellig ist, denn man kan Gott nicht dienen ynn den werken odder Stenden, die er nicht geordnet odder eyngesetzt hat." 99 Der Gehorsamsforderung an die Untertanen stellt Melanchthon die Pflicht der Regierenden gegenüber, aus den theologischen Kontroversen die notwendigen Reformen abzuleiten, um Ruhe im Herrschaftsgebiet zu schaffen. (Vgl. CR I, Consilium de forma coenae sacrae recte constituenda von 1526, Sp. 819.) 100 Vgl. StA IV, S. 247,lf.: „Mortificatio seu poenitentia est cognoscere peccatum et vere terreri iudicio Dei, [...]." 101 Vgl. StA IV, S. 249,12-14: „Viviflcatio duo continet: remissionem peccatorum, seu gratiam et donationem Spiritus sancti, seu gubernationem per Spiritum sanctum."

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Die Willenslehre von 1522 bis zu den Scholia ...ad Colossenses von 1527

Loci communes 1521 nicht vorkam, als Handeln Gottes am Menschen.102 Das Geschehen der Heiligung erläutert Melanchthon nun mit Hilfe der metaphysischen Psychologie. Der Heilige Geist ruft die Buße und die wahre Liebe hervor. Diese wahre Liebe ist eines der Werke, die dem Glauben notwendig folgen. Damit wird die effektive Rechtfertigung des Sünders durch die Wirkung des Heiligen Geistes erklärt, während Christus Genugtuung leistet für die Sünden der Menschen. „Göttliches Wirken und menschliche Lebensantwort, davon die bona opera ein Teil sind, ergeben zusammen erst den Gesamtaspekt der einen gubernatio Dei."103 Es bestehen zwei grundlegende Unterschiede zwischen christlicher und weltlicher Gerechtigkeit. Die christliche Gerechtigkeit rechtfertigt den Menschen durch die Satisfaktion Christi, und sie verändert das menschliche Herz durch die Einwohnung des Heiligen Geistes, der geistliche Affekte evoziert.104 Beides ist der weltlichen Gerechtigkeit nicht möglich. Aber indem die weltliche Gerechtigkeit der von Gott verordneten weltlichen Ordnung entspricht, ist auch sie in ihrem Handeln vor Gott nicht bedeutungslos, wenn sie auch nicht rechtfertigt. Hier hat der Wille seine Freiheit, sich gegen die schlechten fleischlichen Affekte zu behaupten. Den kognitiven Kräften des Menschen kommt somit eine neue Bedeutung in der göttlichen Weltordnung zu, die Melanchthon in den Loci communes 1521 nicht vertreten hat. Er untermauert seine neue Position durch einen langen Exkurs zum Verhältnis von Theologie und Philosophie anhand Kol 2,8.105 Die Philosophie hat ihre Bedeutung in bezug auf die Vernunft des Menschen, mit deren Hilfe der Mensch die äußere göttliche Ordnung erkennen und auch verstehen kann, soweit die göttliche Ordnung die Dinge der Vernunft betrifft. Auf diese Weise verbindet Melanchthon die äußere Freiheit des Menschen und die gubernatio Dei, wodurch der Widerspruch zwischen Gottes Vorherbestimmung und äußerer menschlicher Freiheit, den sie in Melanchthons Lehre eingenommen hatten, gemildert wird.106 Entsprechend den Aussagen Melanchthons zur menschlichen Willensfreiheit kann diese als Freiheit in bezug auf die iustitia civilis und als Unfreiheit bezüglich der iustitia Dei jeweils einem Gebrauch des Gesetzes zugeordnet werden, auch wenn Melanchthon weder den Sammelbegriff usus legis noch die Begriffe usus theologicus bzw.politicus verwendet. Die Möglichkeit des Menschen, die iustitia civilis zu erlangen, ist dem Menschen gegeben, so daß ihm nach dem usus politi102

Vgl. StA IV, S. 245,24f.: „Sed Christus exhibet iustitiam vere et sanctificat corda."

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P. SCHWARZENAU, W a n d e l , S. 4 7 .

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Vgl. StA IV, S. 244,21-28: „Primum quia Christiana satisfacit Deo eo, quod credit, quod propter Christum pater ignoverit, [...]. Secundo interest: Quia Christianam efficit Spiritus sanctus, qui mortificat camem, hoc est: incutit nobis metum divini iudicii, et rursus erigit per fidem, et affert reliqua sua dona." 105 Vgl. StA IV, S. 230,3-243,2. 106 Vgl. H. GERHARDS, Entwicklung, S. 65.

Auswertung

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cus legis eine Freiheit zukommt. Sieht sich der Mensch dagegen der Forderung des usus theologicus legis gegenüber, dann kann nur von Unfreiheit gesprochen werden, weil hier dem Menschen keine Möglichkeit gegeben ist, dieser Forderung aus eigenen Kräften zu entprechen.

3.5 Auswertung Melanchthon differenziert in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 deutlicher als in den Loci communes 1521 zwischen der Unfreiheit des Willens entsprechend der theologischen Forderung des Gesetzes und der Freiheit des Willens entsprechend der politischen Forderung des Gesetzes. Der menschlichen Freiheit coram mundo hat Melanchthon in den Loci communes 1521 nur geringe theologische Relevanz zuerkannt; ab der siebten, überarbeiteten Auflage von 1522 wurde ihr Stellenwert noch weiter minimiert. Für den Erweis der Unfreiheit des menschlichen Willens benutzte Melanchthon als wichtige Argumentationsgrundlage die Prädestinationslehre, die in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 in diesem Zusammenhang unerwähnt bleibt, weil deren Verwendung zu dem Mißverständnis gefuhrt hatte, daß Luther und Melanchthon eine deterministische Lehre vertreten. Stattdessen greift Melanchthon aus der Auseinandersetzung zwischen Luther und Erasmus inhaltlich, jedoch nicht begrifflich, die Differenzierung von necessitas consequentiae und necessitas consequentis auf, die Erasmus gegen eine absolute Determination menschlichen Handelns aufgrund göttlicher Vorherbestimmung angeführt hatte. Dem entspricht, daß Melanchthon jetzt von gubernatio Dei spricht, die dem Menschen die Möglichkeit einer Willensentscheidung im Bereich der iustitia civilis eröffnet. Die Behauptung, daß Melanchthon in den Loci communes 1521 eine deterministische Auffassung vertreten habe, wie sie von Erasmus erhoben wird, wenn er von der necessitas absoluta bei Luther und Melanchthon spricht, trifft m.E. auf Melanchthons Argumentation nicht zu, da er die Wahlfreiheit in den Loci communes 1521 vertreten hat und in den Theologicae hypotyposes 1522 davon gesprochen hat, daß sie nicht ausreiche, um von einem freien Willen zu sprechen.107 Von einer bestehenden Wahlfreiheit ist Melanchthon demnach 1522 dennoch ausgegangen, auch wenn sie als nahezu unbedeutend bzw. gering dargestellt worden ist. Die entscheidende Wirkung der neuen Betonung der Freiheit in äußeren Dingen in der Kolosservorlesung 1527 betrifft die iustitia civilis. Diese Freiheit der Entscheidung bindet Melanchthon an die Forderung des göttlichen Gesetzes, um auch diese Freiheit innerhalb des von Gott gewährten Raumes in der Schöp107

esse."

Vgl. CR XXI, Sp. 96: „Ita vides delectum etiam externorum operum non satis liberum

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Die Willenslehre von 1522 bis zu den Scholia ...ad Colossenses von 1527

fung zu verorten. Damit bedeutet evangelische Freiheit nicht die absolute Freiheit vom Gesetz und der alleinigen, persönlichen Verantwortung des Einzelnen vor Gott, sondern Freiheit des Gewissens von der Sünde und aufgrund der Gabe des Heiligen Geistes auch Freiheit von der Macht des Teufels.108 Es ist als Folge der politischen Unruhen der Jahre zwischen 1522 und 1525 zu verstehen, wenn Melanchthon die Gültigkeit der Gesetzesforderung für den Menschen in der Weltordnung betont, die ebenfalls als göttliche Ordnung für den Christen absolute Verbindlichkeit hat, solange nicht die evangelische Freiheit tangiert ist. Um dem Menschen die Verantwortlichkeit seines Handelns auch in der Lehre aufzuzeigen, hat Melanchthon die Dominanz der Affekte über den menschlichen Willen in seinem Wollen im Bereich der iustitia civilis in der Darstellung deutlich zurückgenommen. Der Bruch zwischen Affektenlehre und geforderter weltlicher Gerechtigkeit in der 13. und 15. Auflage der Loci von 1521, der durch den Anhang des Kapitels von der doppelten Gerechtigkeit entstanden ist, hat wahrscheinlich dazu geführt, daß keine neuen Auflagen mehr erschienen sind. In diesem thematischen Bereich finden entscheidende Veränderungen in der Lehre Melanchthons statt. Melanchthon hat auf die verschiedenen Herausforderungen seiner Zeit reagiert, indem er die Gewichtung der theologischen Erörterung von der Fokussierung auf den Menschen im Rechtfertigungsgeschehen, bei dem er ausnahmslos passiv ist, auf den Menschen mit seinen beiden Relationen coram Deo und coram hominibus verschoben hat. Melanchthon vermittelt dadurch ein vollständigeres Bild der theologischen Anthropologie, soweit diese in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 erörtert wird. Hieraus ergeben sich die inhaltlichen Veränderungen in der Affektenlehre, weil das Verhältnis von affectus spirituales und affectus carnales in dieser neuen Perspektive dargestellt werden mußte. Ob diese Veränderungen der Lehre eher als neue Klarheit verstanden werden müssen, da Melanchthon neue Aspekte in die Betrachtung aufnimmt, wodurch offene Fragen aus den Loci communes 1521 geklärt werden, oder ob die Betrachtung der affectus spirituales in ihrer qualitativen Unterscheidung zu den fleischlichen Affekten ein Schritt in einer Entwicklung ist, kann hier noch nicht entschieden werden. Es spricht jedoch für eine Entwicklung der Affektenlehre weg von der Dominanz der Affekte über jede Bewegung des Willens, daß Melanchthon in seiner Lehre dem Menschen eine zeitweilige Kontrolle über den raptus der fleischlichen Affekte konzediert. Dieses Handeln wird nicht mehr als Heuchelei bezeichnet, sondern als imitatio legis in der göttlichen Ordnung verortet und damit positiv gewertet. Es bleibt festzuhalten, daß Melanchthon erneut bei den Aussagen zur theologischen Anthropologie besonderes Gewicht auf die Wirkung des Heiligen Geistes 108 Vgl. StA IV, S. 287,8-11: „Est autem libertas Christiana: Primum conscientiam habere liberatem a peccato; Secundo habere Spiritum sanctum et esse liberatum a potestate diaboli, qui corda impiorum incitat et rapit ad varia peccata."

Auswertung

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im Menschen legt, um die Wirkung der satisfactio Christi im Menschen zu beschreiben. Diese Wirkung wird mit Hilfe der Affektenlehre in den Kategorien der metaphysischen Psychologie geschildert. Die beiden prägenden Einflüsse auf Melanchthons Theologie, die humanistische Ausbildung und die im Zusammenarbeiten mit Luther gewonnenen theologischen Einsichten, haben ihr Verhältnis zueinander in der Darstellung in den Scholien zum Kolosserbrief 1527 verändert und sind an den angesprochenen Stellen miteinander verwoben worden, wo sie in den Loci communes 1521 eher unverbunden nebeneinanderstehen. Nach wie vor offen bleibt die Frage, wie der Mensch in der Anfechtung sein Bemühen um den Glauben haben kann, wie es Luther in „Von den guten Werken" immer wieder fordert. Durch die streng christologische Lehre entspricht dem pro nobis der Heilstat Christi das in nobis als effektiver Rechtfertigung durch Christus, wodurch die neue Wirklichkeit im Menschen und für den Menschen deutlich wird. Indem Melanchthon die effektive Wirkung der Rechtfertigung pneumatologisch fundiert und mit Kategorien der metaphysischen Psychologie beschreibt oder zumindest die Erklärungsstruktur dieser beibehält, bleibt der Abstand zwischen neuer Wirklichkeit in nobis und pro nobis. Die radikale Erneuerung im Menschen muß weiterhin prozeßhafit gedacht werden, wie Melanchthon dieses auch schon in den Loci communes 1521 geschrieben hat, und zwar nicht im Sinne eines simul iustus et simul peccator, dem ein partim iustus et partim peccator korrespondiert als Beschreibung des ganzen Menschen coram Deo, sondern so, daß das partim iustus et partim peccator die Beschreibung des peccator aus dem simul iustus et simul peccator ist.

4. Die Willenslehre in den Locorum communium a Melanthone a. 1533. praelectorum fragmenta ex Ms. Bugenhagii Pommerani

4.1 Einfuhrung Die Fragmenta locorum communium von 1533 sind entstanden, nachdem sich Melanchthon einerseits intensiv mit dem Römerbrief und andererseits mit der Ethik des Aristoteles auseinandergesetzt hat.1 Der heute bekannte Text dieser Fassung der Fragmenta locorum communium von 1533 ist einer Vorlesungsmitschrift Johannes Bugenhagens entnommen.2 Er liegt leider nur als Fragment vor, ist aber umfangreich genug, um die gegenüber den Loci communes 1521 veränderte Konzeption aufzuweisen. Die Vorlesung entstand als Vorarbeit zu der geplanten verbesserten Loci-Ausgabe, die 1535 erschienen ist.3 In der ersten Ausgabe der Loci communes 1521 hatte Melanchthon die Behandlung der loci supremi, nämlich „de deo, de unitate, de trinitate dei, de mysterio creationis, de modo incarnationis"4 unterlassen, da sie unbegreiflich seien.5 Sein Interesse an Theologie galt vielmehr den Wohltaten Christi,6 woraus sich der soteriologische Aufbau der Loci communes 1521 ergab. Nachdem sich die Wittenberger Theologie bis zum Augsburger Reichstag 1530 darum bemüht hatte, einen neuen theologischen Ansatz zu etablieren, war man nun gezwungen, die traditionellen Punkte mit neuem Leben zu füllen. Waren sowohl die Loci communes 1521 als auch die CA und ApolCA von der Auseinandersetzung mit den altgläubigen Gegnern geprägt, begann sich die protestantische Position nach der Gründung des Schmalkaldischen Bundes 1531 politisch zu festigen. Nun galt es, in dieser Phase auch die Theologie zu konsolidieren. Es war notwendig, in der neuen Konzeption der Theologie auch die Punkte zu berücksichtigen, die traditionell darin vorkommen. Daher erinnert der Aufbau der Fragmenta locorum communium 1533

1

Vgl. CR XXVIII, Annales vitae et iudices, Sp. 41-42. Vgl. auch H. SCHEIBLE, Melanchthon, S. 50 und 93. 2 Vgl. CR XXI, Sp. Xlf. und JOHANN CARL EDUARD SCHWARZ, „Melanchthon's Loci nach ihrer weiteren Entwicklung", in: ThStKr 30, 1857 (künftig zitiert als „Melanchthon's Loci"), S. 300. 3 Vgl. CRH, Sp. 661, Nr. 1123: „Praelegonunc iterum locos communes, ut novam editionem atque emendationem adornem, in his etiam attigi." 4 Loci communes 1521, S. 20, 0 , 8 . 5 Loci communes 1521, S. 1 8 , 0 , 5 : „In his ut quidam prorsus incomprehensibilis sunt [...]." 6 Vgl. Loci communes 1521, S. 22, 0 , 1 3 .

Einführung

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auf den ersten Blick an die historica series der Dogmatik.7 Bei genauerer Betrachtung des übergeordneten Aufbaus ist aber eine Abweichung von der historica series spätestens ab dem Kapitel De lege Dei evident. Melanchthon begründet die Abweichung mit der Notwendigkeit, sich im Aufbau der Theologie an der Hl. Schrift selber zu orientieren. Hierbei seien um des besseren Verständnisses willen auch erläuternde Ergänzungen zu Aussagen der Hl. Schrift vorzunehmen.8 Die Abweichung von der historica series ist vor allem damit begründet, daß in den bisherigen Sentenzen und Summen die Philosophie in die theologischen Abhandlungen eingedrungen ist, daß das Ziel der Theologie, die Gewissen zu trösten, aus den Augen verloren worden ist und schließlich die Lehre in wichtigen Punkten nicht mehr dem Evangelium entsprochen hat wie z.B. in der Sünden- und Rechtfertigungslehre .9 Die Ausrichtung an der Hl. Schrift ist die Grundlage für den Aufbau der Fragmenta locorum communium 1533; dennoch bemüht sich Melanchthon, die Aussagen der altkirchlichen Tradition soweit wie möglich zu berücksichtigen.10 Hinter dieser Aussage steht neben einem theologischen auch ein politisches Interesse, das eine immer noch von Apologetik geprägte protestantische Theologie verrät. Melanchthon betont mit dem Bekenntnis zur kirchlichen Tradition gleich zu Beginn der Fragmenta locorum communium 1533, daß die protestantische Lehre, auch wenn sie sich von der altgläubigen Lehre an einigen Punkten grundlegend unterscheidet, dennoch mit der katholischen Kirche übereinstimmt. Diese Übereinstimmung mit der Tradition wurde auch in der CA immer wieder betont, um den Graben zur römischen Kirche nicht zu groß werden zu lassen."

7

Vgl. WILHELM NEUSER, Ansatz, Diss.masch, S. 86 (Seitenzählung des Originals: S. 116f.). 8 Vgl. CR XXI, Sp. 254: „Ac profecto nulla methodus magis concinna informari potest quam haec ipsa scripturae series, si quis earn modo observet et attendat. Sed quia prodest fortasse quasi titulis et notas addere ipsis scripturae locis ad admonendos lectores nos statuemus methodum, In qua propemodum sequentes hanc ipsam seriem scripturae praecipuos locos ostendemus, ut agnosci in scriptura citius possint, [...]." 9 Vgl. CR XXI, Sp. 253f.: „[...], Postea addunt disputationes ex philosophia, nihil ad iuvandam conscientiam pertinentes, plaeraque etiam docent palam dissentientia ab Evangelio de remissione peccatorum et iustificatione et de aliis vicinis locis." Vgl. aaO., Sp. 255: „Alii cum locos theologicos colligunt, plaerumque numerant tantum virtutum species, perinde ut fit in morali philosophia." 10 Vgl. CR XXI, Sp. 254: „[...]. ad haec etiam ostendere quid vetustissimi scriptores in ecclesia senserint." 11 Vgl. LEIF GRANE, Die Confessio Augustana. Einführung in die Hauptgedanken der lutherischen Reformation, Göttingen 41990, S. 16.

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Die Willenslehre in den Fragmenta locorum communium 1533

Aber nicht allein im Gegenüber zur römischen Kirche entwickelt Melanchthon seine Theologie in den Fragmenta locorum communium 1533.12 Im Hintergrund steht weiterhin die Auseinandersetzung mit Johann Agricola, die in der Zeit der Entstehung der Fragmenta locorum communium 1533 erneut angefacht werden sollte. Ausdrücklich nennt Melanchthon desweiteren in einem Brief an Johannes Brenz im Juli 1533 Michael Servet, gegen dessen Auffassung von der Christologie und Abwertung des AT er sich auch in den Fragmenta locorum communium 1533 wendet.13

4.2 Analyse 4.2.1 Das Kapitel „De viribus humanis seu de libero arbitrio " Melanchthon hat die Struktur des Kapitels und damit auch dessen Aussage gegenüber den Loci communes 1521 deutlich verändert. Auffallend ist die Konzentration auf den Begriff des Gesetzes, der in den Loci communes 1521 noch nicht diese Bedeutung in dem Kapitel De hominis viribus adeoque de libero arbitrio hatte. Insgesamt ist der Anteil apologetischer Passagen deutlich zurückgegangen, was mit der veränderten politischen Situation der protestantischen Reichsstände und damit auch der protestantischen Theologie erklärt werden kann. 4.2.1.1 Die theologische Freiheit Zu Beginn dieses Kapitels wird deutlich, warum Melanchthon in den Fragmenta locorum communium 1533 nicht die historica series als Aufriß wählt, sondern erneut wie in den Loci communes 1521 die anthropologisch-soteriologische Perspektive. Wiederum sollen peccatum, lex und beneficium Christi in ihrer Bedeutung für den Menschen erklärt werden,14 wie Melanchthon es schon in der Einleitung als schriftgemäß hervorgehoben hat.15 Dazu ist es aber unerläßlich, vorher die Frage nach dem freien Willen zu klären, die nur im Zusammenhang mit der Frage nach der Natur des Menschen beantwortet werden kann. Die Frage nach der natura hominis behandelt Melanchthon relational, indem er nach der mensch12 Vgl. zum Gegenüber der Melanchthonischen zur altgläubigen Theologie in den Fragmenta locorum communium 1533 auch WOLFGANG MATZ, Streitpunkt: Willenslehre. Am Beispiel der Loci-Vorlesung Philipp Melanchthons (1533), in: Athina Lexutt/Wolfgang Matz, Relationen - Studien zum Übergang vom Mittelalter zur Reformationszeit, (Arbeiten zur Historischen und Systematischen Theologie 1) Münster 2000, S. 235-247. 13 Vgl. CR II, Nr. 1123, Sp. 660f. 14 Vgl. CR XXI, Sp. 274: „Necesse est de viribus humanis aliquid praefari, ut ea quae postea de peccato Item de lege, de beneficio Christi dicenda erunt, facilius intelligi possint." 15 Vgl. CR XXI, Sp. 254: „Initio de creatione, de peccato hominis, de promissionibus loquitur, postea tradit legem, deinde docet Evangelium de Christo."

Analyse

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liehen Natur in Beziehung zum Gesetz fragt, wobei die durch die Erbsünde korrumpierte Natur von Interesse ist.16 Der freie Wille in der noch nicht verdorbenen Natur ist die „causa contingentiae actionum"17 gewesen. Diese contingentia bestand im Rahmen der von Gott vorherbestimmten necessitas consequentiae", sie ist nicht absolut zu verstehen. Innerhalb dieser zuerkannten Freiheit war es dem Willen möglich, zusammen mit dem Teufel zur Ursache der Sünde zu werden.18 Welche Auswirkung die Tat des freien Willens und die zur Wirklichkeit des Menschen gehörende Sünde auf die Freiheit des Willens hat, ist die Ausgangsfrage Melanchthons in dem Kapitel über die Freiheit des Willens, wenn er danach fragt, wie beschaffen die Natur des Menschen ist.19 Dabei betrachtet er den Menschen, wie auch in den vorangegangenen Kapiteln zu beobachten war, in seiner Ganzheit, so daß der Wille nur als Bestandteil der menschlichen Natur richtig verstanden werden kann. Der Mensch im status corruptionis wird auf sein Verhältnis und seine Möglichkeiten im Verhältnis zum Gesetz Gottes untersucht. Bei einem ungetrübten Verhältnis gäbe es in der Natur des Menschen „vera notitia dei sine dubitatione, verus timor, vera fiducia, vera dilectio dei, denique summa obedientia sine peccato"20. Damit ist der wahre Glaube beschrieben, wie ihn Melanchthon im Anschluß an Paulus versteht und von dem her er den Wert menschlicher Handlungen beurteilt.21 Die Verbindung des Glaubens mit der notitia Dei entspricht der Struktur der menschlichen Seele, wie sie Melanchthon seiner Psychologie zugrundelegt.22 Diese Erkenntnisfähigkeit des Menschen setzt auch das Evangelium voraus, das den Menschen in die Lage versetzen soll, die Verdorbenheit seiner Natur zu erkennen. Das bedeutet, der Mensch wird durch das Evangelium gestärkt, die erkannte Unfähigkeit zur Erfüllung des Gesetzes zu ertragen und sich nicht von Gott abzuwenden. Die Stärkung durch das Evangelium besteht in der Verkündigung und im Zuspruch der Gerechtigkeit Christi, aber nicht in der Eingießung einer qualitas in die natura hominis, wie sie Thomas v. Aquin und auch Gabriel Biel und die via 16

Vgl. CR XXI, Sp. 274: „[...], an in hac corrupta natura possit esse vera et perfecta obedientia erga legem dei sine peccato, [...]." 17 Vgl. CR XXI, Sp. 273: „Et quidem voluntas nostra ante peccatum libera fiiit. Est autem libertas voluntatis causa contingentiae actionum." 18 Vgl. CR XXI, Sp. 272: „[...], peccati causam non esse Deum sed voluntatem Diaboli, Item hominis." - Zur necessitas consequentiae vgl. aaO., Sp. 274: „Haec [haereses, Anm. d. Verf.] cum sint natura contingentia, tarnen fiunt necessaria, sed necessitate consequentiae." 19 Vgl. CR XXI, Sp. 275: „Hic quaerendum est qualis sit hominis natura, [...]." 20 CR XXI, Sp. 274f. 21 Vgl. CARL E. MAXCEY, Bona Opera. Α Study in the Development of the Doctrine in Philip Melanchthon, Chicago 1980 (künftig zitiert als „Bona Opera"), S. 92. 22 Vgl. unten S. 115.

Die Willenslehre in den Fragmenta locorum communium 1533

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antiqua bzw. via moderna behaupten.23 Dieses scholastische Verständnis zeigt sich auch in der Confutatio. Danach assistiert die Gnade gleichsam dem Menschen, wenn er nach der Tilgung der Erbsünde in der Taufe verdienstliche Taten vollbringt.24 Rechtfertigung ist fur Melanchthon dagegen immer relational zu denken; dabei ist der Glaube entscheidend, so daß nicht mit ontologisch-anthropologisch vorgegebenen Strukturen gearbeitet werden darf, wenn im Zusammenhang von Sünde, Gesetz und Gnade über den freien Willen gesprochen werden soll. Es soll auch nicht über die necessitas als Grund für eine Ablehnung der Lehre von der Willensfreiheit spekuliert werden. Diese Einleitung zum Kapitel De viribus humanis seu de libero arbitrio weist eine andere Intention auf als die Exposition zu dem gleichen Kapitel in den Loci communes 1521. Ging es in den Loci communes 1521 vor allem um die Eigenständigkeit sowie die Richtigkeit theologischer Aussagen gegenüber philosophischen Aussagen, wie sie Melanchthon bei den Hauptvertretern der hoch- und spätmittelalterlichen scholastischen Theologie fand, so beginnt Melanchthon 1533 sofort mit der theologischen Grundlegung des Kapitels. Bereits im Anfang des Kapitels wird sehr deutlich, daß ihn kein philosophisches Interesse leitet. Mit dem Stichwort lex hat Melanchthon von Anfang an einen zentralen theologischen Begriff des Kapitels genannt. Bereits in dieser Exposition zu dem Kapitel über die Kräfte des Menschen werden die theologischen Begriffe peccatum, lex und evangelium mit ihrer gesamten theologischen Bedeutungsfülle genannt, so daß das Kapitel über die Kräfte des Menschen der Fragmenta locorum communium 1533 eigentlich erst richtig verstanden werden kann, wenn die Kapitel über Sünde, Gesetz und Gnade bekannt sind. Das Kapitel De hominis viribus adeoque de libero arbitrio der Loci communes 1521 entwickelte dieses Gefalle zu den Kapiteln Sünde, Gesetz und Gnade erst allmählich und auch dann nicht in dieser Deutlichkeit, da cor der zentrale Begriff neben affectus war, was auf die stets vorhandene Auseinandersetzung mit philosophischen Argumenten hinwies. Bei der Erörterung über die Beschaffenheit der Natur stellt Melanchthon sein Hauptargument gegen die Willensfreiheit aus den Loci communes 1521, die

23

Vgl. THOMAS V. AQUIN, STh I—Π, 110,2 resp.; ebd. ad 1 und ad 2. Vgl. G. BIEL, sent. III d. 27 q. un. art. 2 concl. 1-3; 5. Vgl. zu Biel auch L. GRANE, Contra Gabrielem, S. 257f. 24 Vgl. Confutatio der Confessio Augustana, in: Die Confutatio der Confessio Augustana vom 3. August 1530. Bearbeitet von Herbert Immenkötter, (CCath 33) Münster 1979 (künftig zitiert als „Confutatio"), S. 84,14-16; vgl. auch ATHINA LEXUTT, Rechtfertigung im Gespräch. Das Rechtfertigungsverständnis in den Religionsgesprächen von Hagenau, Worms und Regensburg 1540/41, (FKDG 64) Göttingen 1996 (künftig zitiert als „Rechtfertigung"), S. 57.

Analyse

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praedestinatio, zurück.25 Die Prädestination soll nicht als Begründung für die Antwort herangezogen werden, weil sich die ratio nicht auf diesen Bereich erstreckt. Diese Einschränkung der Möglichkeiten der ratio kannte Melanchthon auch schon 1521, aber er nutzte sie nur als argumentative Grundlage, um die Notwendigkeit derflducia und derfides zu unterstreichen.26 1533 hat Melanchthon seine Meinung an dieser Stelle korrigiert. Nicht, daß er die Prädestination als solche nun ablehnt; aber sie kann nicht als Begründung für die Ablehnung der Lehre vom freien Willen dienen. Ursache dieses Sinneswandels ist wohl die langjährige Auseinandersetzung zwischen Luther und Erasmus über die Frage nach dem freien oder unfreien Willen gewesen. Melanchthon stand der Position des Erasmus in der Frage der Willenslehre nicht so ablehnend gegenüber wie Luther. Aber auch die Art der Auseinandersetzung hat ihn betrübt.27 Bereits 1526 schreibt Melanchthon an Camerarius, daß ihn der Vorwurf kränkt, er habe an der Willenslehre Luthers mitgewirkt.28 Damit ist jedoch keine Ablehnung von Luthers Willenslehre gemeint, wie Melanchthon in einem Brief an Caspar Aquila 1528 betont.29 Aber beides, seine nicht ganz so ablehnende Haltung und die Betrübnis über die Art und Weise der Auseinandersetzung, hat dazu geführt, daß er seine eigene Darstellung im Anschluß an diese Auseinandersetzung gemäßigt hat, wie

25 Vgl. Loci communes 1521, S. 28,1,19: „Quandoquidem omnia quae eveniunt, necessario iuxta divinam praedestinationem eveniunt, nulla est voluntatis nostrae libertas." 26 Vgl. Loci communes 1521, S. 30, l,26f.: „Abhorret ab hac sententia iudicium carnis seu rationis humanae, contra amplectitur eam iudicium spiritus. Neque enim vel timorem dei vel fiduciam in deum certius aliunde disces, quam ubi imbueris animum hac de praedestinatione sententia. Annon eam ubique in proverbiis inculcat Solomon, ut alias timorem, alias fidem doceat?" 27 Vgl. CR IV, Nr. 484 b, Sp. 964: „Erasmus scripsit argutissime de libero arbitrio, et quidem his diebus propter id scriptum graviter contristatus sum." Vgl. auch CR I, Nr. 514, Sp. 946: „Quanquam enim non soleo dissimulare, quid de controversia illa sentiam, tarnen nunquam ita amavi Lutherum, ut veluti instruxerim eius in disputando vehementiam. Tantum abest, ut nunc adiuvare velim et, ut ita dicam, oleum igni addere. Atque huius mei iudicii ipse mihi Lutherus optimus testis est. Utinam vero non esset tarn atrox certamen inter vos susceptum. Neque satis enim habuit fortasse tuae dignitatis rationem Lutherus. Et tu vicissim illum mirifice deformasti, quem quidem virum ego meliorem esse iudico, quam qualis videtur facienti de eo iudicium ex illis violentis scriptionibus ipsius. Plus profutura erant ecclesiae utriusque vestrum studia, si ad sananda haec dissidia conferrentur." 28 Vgl. MBW I, Nr. 459, S. 417f.: „Ecquid unquam legisti scriptum acerbius, Ioachime, quam Erasmicum Ύπερασπιστήν? Est is plane aspis. Quo animo acceperit Lutherus, nondum scio. Sed ego iam iterum obstatus sum hominem per omnia sacra, ut, si quid respondere velit, breviter, simpliciter ac sine conviciis disputet." 29 Vgl. CR IV, Sp. 964, Nr. 484 b: „Erasmus scripsit argutissime de libero arbitrio, et quidem his diebus propter id scriptum graviter contristatus sum. Neque tarnen eripiet mihi veram sententiam."

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er 1536 im Zusammenhang mit der neuen Ausgabe der Loci von 1535 in einem Brief an Erasmus bemerkt.30 Melanchthon erklärt die Frage nach der necessitas im Zusammenhang mit dem freien Willen für zweitrangig.31 Hatte Erasmus seinen Widerspruch gegen Luther immer wieder anhand dieser Frage deutlich gemacht und mit der Kontingenz menschlichen Handelns begründet,32 so geht Melanchthon auf diese Frage nicht weiter ein, da sie in diesem Zusammenhang nichts austrage. Jedoch versäumt er nicht, eine Spitze gegen Erasmus zu setzen; denn wenn die Vernunft in der Frage der Prädestination zu keinem Ergebnis kommen kann, dann ist die Schlußfolgerung von Erasmus zu dieser Frage nur Spekulation und nicht als Vernunfterkenntnis zu verstehen. Die Frage nach der necessitas muß hinter die von Paulus aufgeworfene Frage nach der cognitio peccati zurücktreten. Melanchthon verweist hier auf die Hl. Schrift, um in der Frage weiterzukommen. Zwar hatte sich auch Erasmus in der Diatribe darauf eingelassen, die Aussagen der Hl. Schrift genau zu prüfen. Dazu hatte er als Belege für einen freien Willen vornehmlich Stellen aus dem AT herangezogen.33 Für die gegenteiligen Stellen führte er die Erklärung an, daß Gott niemand vergewaltige, sondern lediglich dessen Willen im voraus wisse.34 Aber Erasmus zieht aus den Untersuchungen der Bibelstellen immer wieder den vernunftmäßigen Schluß „ubi mera perpetuaque necessitas est, nulla possunt esse merita neque bona neque mala"35. Gegen diese Schlußfolgerung richtet sich die Spitze Melanchthons, wenngleich er ihm in der Unterscheidung von necessitas consequentiae und necessitas consequentis zustimmt. Im Gegensatz zu der Frage nach der Notwendigkeit menschlichen Handelns im allgemeinen gibt Melanchthon als gültigen Maßstab für die Frage nach der Beschaffenheit der menschlichen Natur im Hinblick auf den Willen die „obedientia erga legem dei"36 an. Das Gesetz als Maßstab der Reflexion über den Menschen und auch als Maßstab der Selbstreflexion des Menschen, wie es Melanchthon hier zur Geltung bringt, ist auf die noetischen Fähigkeiten des Menschen

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Vgl. CR III, Nr. 1421, S. 68f. Vgl. CR XXI, Sp. 275: „[...], non movent quaestiones utrum omnia bona et mala et indifferentia fiant necessario etc." 32 Aus der Vielzahl der Stellen sei hervorgehoben: ERASMUS VON ROTTERDAM, διατριβή, S. lOOff., Illa 8.—lila 10. 33 Vgl. R. STUPPERICH, Erasmus von Rotterdam, S. 158. 34 Vgl. ERASMUS VON ROTTERDAM, διατριβή, S. 98: „Ita dei voluntas, quoniam est principalis causa omnium, quae fiunt, videtur nostrae voluntati necessitatem inducere. [...], [Deus, Anm. d. Verf.] praescit illum peccaturum et usurum ingenio suo et vult eum perire et vult eum aliquo pacto peccare, nec tarnen excusatur servus, qui suapte malitia peccavit." 35 Vgl. aaO., S. 104. Weitere Stellen vgl. S. 66, 68, 72, 74, 76 etc. 36 Vgl. CR XXI, Sp. 275. 31

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gerichtet. War der Mensch entsprechend der Willenslehre der Loci communes 1521 gezwungen, die Prädestination zu glauben und auf den Heils willen Gottes zu vertrauen, ohne letztlich verstehen zu können, warum er für die Sünde zur Verantwortung gezogen wird, so hebt Melanchthon nun die anklagende Wirkung des Gesetzes hervor. Diese Anklage ist für ihn rational nachvollziehbar und zielt auf die Erkenntnis der eigenen Schwäche.37 Indem Melanchthon von der Frage, was geschehen muß oder was notwendig geschieht, absieht, erreicht er eine Personalisierung der Fragestellung. Die Frage nach der Natur des Menschen ist nun die Frage nach der Schwäche des Menschen, nach der Person im Verhältnis zum Gesetz. Der Begriff „Natur" hat von Melanchthon eine theologische Kontur erhalten. Die metaphysische Psychologie wird weitgehend in den Hintergrund gedrängt, so daß die menschliche Natur von den Begriffen Sünde, Gesetz und Gnade her definiert wird. Nach diesen von reformatorischer Theologie geprägten Korrekturen erscheint die gegenüber den Loci communes 1521 verkürzte Darstellung der traditionellen Psychologie als Einschub. Entscheidend ist nun, daß Melanchthon diese Unterscheidung der menschlichen Kräfte wie auch schon in den Loci communes 1521 im biblischen Sinne für irrelevant erklärt. Die Bibel spricht von cor oder mens, wenn sowohl die appetitiones als auch das iudicium gemeint sind.38 Die Betrachtung einer menschlichen Handlung anhand des Herzens ist umfassender als wenn das äußere Werk beurteilt wird. Aufgrund der Betrachtung der Regungen des Herzens werden Werke, die die scholastische Theologie als actus eliciti bezeichnet, weil sie auf Befehl des Willens nach dem Ratschlag des Verstandes gegen die appetitio sensuum begangen werden, als erheuchelt erkannt. Der Blick auf das cor ist der Blick auf den Grund des Menschen ohne Heuchelei. Es ist deutlich geworden, daß die Frage, ob der Mensch einen freien Willen hat, nur als integraler Bestandteil einer Untersuchung zur Beschaffenheit der menschlichen Natur geklärt werden kann. Die Frage nach dem liberum arbitrium39 37 Vgl. CR XXI, Sp. 275: „Paulus cum damnat vires hominis revocat nos ad cognitionem peccati, ait nos sub peccato esse, ait nos non posse lege iustificari. Haec ostendunt nobis infirmitatem nostram [...]." 38 Vgl. CR XXI, Sp. 276: „Scriptura cum nominat cor, mentem etc. complectitur iudicium et ipsas appetitiones veras non aliquod simulatum externum opus." 39 Die Begriffe libertas voluntatis und liberum arbitrium sind Synonyma mit einem unterschiedlichen Schwerpunkt. Während das liberum arbitrium die grundsätzliche Möglichkeit der Freiheit des menschlichen Willens beschreibt, richtet sich der Blick bei der Verwendung von libertas voluntatis stärker auf die aus dieser grundsätzlichen Möglichkeit sich ergebende Freiheit in concreto, wobei dieses auch die grundsätzliche Frage nach der Erfüllung des Gesetzes sein kann. Voluntas betont die strebende Kraft, die die Erkenntnis umsetzt. Vgl. hierzu z.B. die Verwendung beider Begriffe nebeneinander CR XXI, Sp. 277: „Primum igitur sie tollit doctrina Evangelii lib. arbitrium, quod docet in homine horribilem corruptionem esse quae naturaliter

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ist theologisch gesprochen eine Frage nach der Natur des Menschen, der in Relation zu Gott betrachtet werden muß. Maßstab der Beurteilung der Willensfreiheit ist die Erfüllung des Gesetzes Gottes, da sich an ihr der ganze Mensch messen lassen muß. Hierbei ist auf den ganzen Menschen zu schauen und nicht nur auf „aliquod simulatum externum opus"40. Von diesen Voraussetzungen her entwikkelt Melanchthon drei Argumentationsziele. Zuerst ist ihm wichtig, daß das Gesetz vom Menschen nicht erfüllt werden kann. Ohne dieses Faktum wird die Verkündigung des Evangeliums unverständlich, daß der Mensch propter Christum und nicht seiner eigenen Gerechtigkeit wegen gerechtgesprochen wird. Ferner: Um dem Evangelium und damit Gott richtig zu vertrauen, muß die Natur des Menschen durch den Heiligen Geist radikal erneuert werden. Erst in dieser Erneuerung beginnt die verheißene Freiheit des Menschen, sein Glaube und auch die Erkenntnis Gottes.41 Schließlich betont Melanchthon die Notwendigkeit der Gesetzesbefolgung als Einübung der bonae mores um des Evangeliums willen. Dieses kann dann leichter gehört und verstanden werden.42 Daher wird in der Ausgangsfrage für die weitere Untersuchung von Melanchthon der Mensch mit seinen natürlichen Kräften „sine spiritu sancto'M als „Untersuchungsobjekt" genannt, um genau zu prüfen, was der Mensch selber vermag und was nicht.44 Kann der Mensch ohne Erneuerung durch den Heiligen Geist zur Gesetzesbefolgung und zur wahren Erkenntnis Gottes kommen? In dieser Frage deutet Melanchthon bereits die große Bedeutung der Pneumatologie für seine Anthropologie an. Mit dieser Untersuchung zur Natur des Menschen und seines Handelns hat Melanchthon die Voraussetzung für die Ausgangsfrage nach dem liberum arbitrium erarbeitet, wenn sie aus theologischer Perspektive gestellt werden soll. Der Mensch sine spiritu saneto wird charakterisiert durch das peccatum originis in seiner Natur, das die perpetua totius naturae nostrae obedientia verhindert. Ursarepugnat legi dei, et hanc corruptionem non potest humana voluntas per sese tollere ex natura, [...]." Vgl. auch bei O.H. PESCH, Theologie, S. 513f. die Unterscheidung von Wahl- bzw. Wesensfreiheit. 40 CR XXI, Sp. 276. 41 Vgl. CR XXI, Sp. 279: „Primum enim oportet scire quod homines non possint satisfacere legi dei. Nisi enim id teneamus, non poterit intelligi hoc quod Evangelium praeeipue praedicat. homines propter Christum iustos pronunciari, non propter nostram impletionem legis. Secundo, Oportet scire quod hanc veterem et corruptam naturam aboleri oporteat, et novam et spiritualem naturam condi, quae praestet veram obedientiam deo." 42 Vgl. CR XXI, Sp. 279f.: „Tertio. Ettamen scire oportet quod [...] civilia bona opera a nobis effici possint, et quod deus hanc disciplinam requirat, etsi propter earn non simus iusti coram deo. [...] Quodsi disciplina est paedagoga, et quidem In Christum, nequaquam negligenda erit. Valet enim paedagogia ut assuefacti bonis moribus, audiamus et discamus Evangelium." 43 CR XXI, Sp. 276. 44 Vgl. CR XXI, Sp. 280: „[...] quid possint humanae vires quid non possint, [...]."

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che der fehlenden perpetua obedientia ist der Verlust der clara de deo notitia, wodurch der Mensch mit Zweifeln gegenüber Gott angefüllt wird und Gott deswegen haßt, weil Gott ihm, der das Gesetz nicht erfüllt, Strafe angedroht hat. Melanchthon vertritt hier ein deutlich von der Theologie Gabriel Biels und der via moderna abweichendes Erbsündenverständnis. Bei Biel ist die Ursache für das fehlende Streben nach dem höchsten Guten letztlich der Wille, der gegen die ratio und den intellectus handelt, „die dem Willen sein Objekt vorstellen"45. Melanchthon sieht dagegen den ganzen Menschen in seiner Person als durch die Erbsünde verderbt an. Er wiederholt hier die Aussagen über die umfassende Wirkung der Erbsünde aus der ApolCA gegen die Confutatio46 und die nominalistische Schultheologie und setzt sich an dieser Stelle auch mit der Position Johann Ecks47 auseinander, die stärker von der via moderna geprägt ist. In der Confutatio der Confessio Augustana wurde ein radikales Verständnis der Erbsünde ausdrücklich verworfen.48 Melanchthon verwendet für die theologische Untersuchung der Freiheit des Willens die traditionelle Differenzierung in die zwei vires hominis dagegen nicht, da biblisch gesprochen nur der ganze Mensch bzw. das Herz des Menschen Gegenstand der Betrachtung sein kann. Jene Unterscheidung ist de facto für die Aussagen Melanchthons in den Fragmenta locorum communium 1533 auch nicht weiter relevant, da die Erbsünde sowohl depravierte Affekte hervorruft, in denen der Mensch dem Gesetz widerstrebt, als auch die vis apprehensiva beeinträchtigt, da die clara de deo notitia fehlt.49 Die Verdorbenheit der Natur des Menschen verdeckt die für die unverdorbene Natur überall sichtbaren imagines Dei, so daß die mens humana diese nicht mehr erkennen kann.50 Die Seele selbst wird durch das peccatum originis in ihren beiden Seelenkräften verderbt. Nicht die Prädestination wie in den Loci communes 1521 ist der erste Grund für die Ablehnung der Lehre von der Willensfreiheit, sondern die Erbsünde. Sie übt solche Macht auf den Menschen aus, daß er sich in seiner Stellung zum Gesetz nicht frei entscheiden kann. Aus der totalen Wirkung der Sünde auf den Menschen ergibt sich Melanchthons Vorwurf, daß von der scholastischen Theologie die Macht der Sünde unterschätzt wird. Sowohl Thomas als auch Biel sehen die Seele strukturell unver45 K . - H . Z U R M Ü H L E N , Vernunftkritik, S . 34. Vgl. auch L . G R A N E , Contra Gabrielem, S . 8 5 . Vgl. zum Bielschen Erbsündenverständnis oben S. 49ff. 46 Vgl. ApolCA, in: BSELK, S. 148,28-149,4. 47 Zum Anteil J. E C K S an der Confutatio vgl. die Einleitung von H . I M M E N K Ö T T E R , Confutatio, S. 17-23, bes. S. 23. 48 Vgl. Confutatio, S. 80,8-10. 49 Vgl. CR XXI, Sp. 276: „[...] natura ipsa oppressa corruptione et morbo originis repugnat legi, non habet nunc firmam de deo notitiam, [...]." 50 Weitere Erläuterungen hierzu vgl. unten S. 123ff.

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ändert; aber nach dem Verlust der iustitia originalis wird der Kampf der niederen Seelenkräfte gegen die höheren zu einem zentralen Problem. Die „ursprüngliche Gerechtigkeit [bestand] im rechten Unter- und Einordnungsverhältnis der Seelenvermögen, nämlich dergestalt, daß die Vernunft, die ratio - hier gefaßt als Inbegriff der geistigen Vermögen, als Ich-Zentrum - Gott gehorsam unterworfen ist, die sinnlichen Vermögen dem Ich-Zentrum vollkommen bereitwillig folgen und der Leib mit seinen physiologischen Abläufen der Seele untersteht"51. Dieses Unter- und Einordnungsverhältnis wird durch das nicht mehr kontrollierbare Aufbegehren der niederen gegen die höheren Seelenkräfte in Unordnung gebracht. Melanchthon dagegen möchte die Wirkung der Sünde nicht in dieser Weise betrachten. Die Frage nach der Freiheit des Willens richtet sich für ihn vielmehr auf die Stellung des menschlichen Herzens zum Gesetz, womit alle Regungen des Menschen gemeint sind. Es geht daher nicht um eine funktionierende oder nicht funktionierende Kontrolle der niederen Strebekräfte, sondern um die Strebekräfte insgesamt in ihrer aktuellen Dynamik. Mit diesen Strebekräften widerstreitet der ganze Mensch dem Gesetz Gottes, so lehrt es das Evangelium. Diese Verderbtheit kann die humana voluntas nicht aus eigener Kraft entfernen.52 Natura ist fur Melanchthon demnach kein statischer Begriff. Der ganze Mensch wirkt seiner Natur nach sowohl in seinen strebenden Kräften wie in seiner vis apprehensiva. So ist Melanchthon hinsichtlich der Wirkung der Sünde auf den freien Willen nicht an der Veränderung des Verhältnisses der Seelenkräfte zueinander oder an der Veränderung der qualitas des Menschen durch den Verlust der iustitia originalis interessiert, sondern an der Relation des ganzen Menschen zu Gott, die sich am Gesetz entscheidet. Wie in der Ausgangsfrage nach der Freiheit des Willens von Melanchthon bereits angedeutet wurde, ist der Träger der Relation des Menschen zu Gott der Heilige Geist. Nur durch den Heiligen Geist kann der Wille wahrhaft dem ersten Gebot genügen, was „habere notitiam dei firmam, vere timere deum, vere credere etc."53 bedeutet, weil dieser im menschlichen Herzen die „motus spirituales, timorem dei et veram fiduciam"54 hervorruft. Hier argumentiert Melanchthon auf der Basis von Rom 8,7 mit dem Gegensatz von spiritus und caro. Caro bedeutet die ganze Natur des Menschen mit Sinnen und

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O.H. PESCH, Theologie, S. 487. Vgl. CR XXI, Sp. 277: „Quum igitur quaeritur de lib. arbitrio, sciamus praecipue quaeri, non de externis factis hominis, sed de ipsa natura et de interioribus motibus erga deum." Vgl. femer CR XXI, Sp. 277: „Primum igitur sic tollit doctrina Evangelii lib. arbitrium, quod docet in homine horribilem corruptionem esse quae naturaliter repugnat legi dei, et hanc corruptionem non potest humana voluntas per sese tollere ex natura, [...]." 53 CR XXI, Sp. 277. 54 CR XXI, Sp. 277. 52

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Vernunft ohne den Heiligen Geist.55 Es gibt also für Melanchthon keine strukturell unverdorbene Seele wie in der scholastischen Tradition. Diese Lehre von der unverdorbenen Seele führte vor allem in der nominalistischen Tradition zu der Annahme, der Mensch könne sich durch die Kraft des Willens der bösen Taten enthalten und mit der willentlichen Zuwendung zu Gott selber zum Empfang der Gnade disponieren.56 Möglich wird diese dispositio ad gratiam in der Wahl des actus moraliter bonus durch die Interaktion zwischen voluntas, ratio und intellects. Dabei ist der moralische gute Akt „ein vom Willen in Übereinstimmung mit der recta ratio frei gewählter Akt"57. Mit dieser bonitas voluntatis disponiert sich der Mensch auf den Empfang der übernatürlichen Gnade. Die Voraussetzung für die Wahl eines solchen Aktes ist die Erkenntnis der ratio. Gerade diese Voraussetzung ist aus Melanchthons Sicht insuffizient; denn als Fleisch oder Buchstabe werden alle Bemühungen des Menschen ohne den Heiligen Geist bezeichnet, die auch die ratio einschließen, weil auch die Vernunft von der Verdorbenheit des Herzens betroffen ist.58 Diese Unkenntnis der Vernunft über ihre eigene Situation vor Gott ist die Ursache der Lehre, der Mensch könne dem Gesetz aus eigener Kraft Genüge tun. Demgegenüber mache nur das Evangelium den Menschen frei, die Sünde zu erkennen, und offenbart die Gerechtigkeit jenseits des Gesetzes. Mit dem Evangelium verbindet Melanchthon die Gabe des Heiligen Geistes, der den Menschen anleitet, geistliche Werke zu tun, nämlich Gott zu vertrauen, Gott zu lieben und zu fürchten, also das erste Gebot zu halten.59 Es besteht daher für Melanchthon kein Zweifel, daß es eine Freiheit des menschlichen Willens aufgrund der eigenen Natur in bezug auf die lex divina nicht geben kann. Diese Schlußfolgerung ist konform mit der Lehre der Loci communes 1521\ jedoch weicht der Argumentationsgang deutlich von dem damaligen ab und zwar nicht nur aufgrund der veränderten Meinung über die Bedeutung der praedestinatio in der Frage der Willensfreiheit. 1521 war Melanchthon noch in der philosophischen Diskussion um die metaphysische Psychologie gefangen. Seine Argumentationsbasis war bestimmt von einer Affektenlehre, gegen die er sich mit der 55

Vgl. CR XXI, Sp. 277: „Et in his sententiis sciendum est, quod caro significet totam hominis naturam, sensum et rationem sine spiritu sancto." 56 Vgl. L. GRANE, Contra Gabrielem, S. 215. 57 K.-H. ZUR MÜHLEN, Vemunftkritik, S. 36. 58 Vgl. CR XXI, Sp. 278: „Literam vocat omnem doctrinam, notitiam, bonam intentionem atque bona opera facta conatu rationis. qua putat ratio se legi dei satisfacere nec videt interim quales morbi haereant in animis." 59 Vgl. CR XXI, Sp. 278: „Ex his sententiis et similibus planum fit voluntatem hominis sine spiritu sancto non posse spiritualia opera efficere scilicet verum timorem dei, veram fiduciam dei, veram dilectionem etc."

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biblischen Kategorie des cor und des peccatum absetzte. Verständlich wurde diese Absetzung aber erst richtig nach der Lektüre des zweiten Kapitels über die Sünde, weil er dort der Exegese von Rom 8 folgte, die den Menschen sine spiritu sancto als caro im Gegensatz zu spiritus herausarbeitete. 1533 verlegt Melanchthon die Exegese von Rom 8 in bezug auf die Unterscheidung caro - spiritus bereits in das Kapitel über den freien Willen, da die gesamte Ausführung nun auf einer biblisch-theologischen Intention basiert. Melanchthon kündigt an, die Frage nach der Willensfreiheit mit den Fragen nach Sünde und Gesetz gemeinsam zu beantworten, da die Frage nach dem Willen theologisch von diesen Fragen untrennbar ist.60 Dieses zeigt deutlich den veränderten Kontext, in dem Melanchthon nun steht. Ist Melanchthon in den Loci communes 1521 letztlich genauso vorgegangen und hat die Klärung der Willensfrage vom Kapitel über die Sünde ausgehend herbeigeführt, so hat er dennoch der Widerlegung der Aussagen, die aus der metaphysischen Psychologie in die Theologie hineingetragen worden sind, sehr viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Es war sein Bestreben, die Argumentation bis an den Punkt zu fuhren, an dem es evident wird, daß theologische Aussagen allein auf dieser Basis nicht mehr getroffen werden können, so daß diese Überfuhrung in einen klaren theologischen Kontext konsequent erscheint. In den Fragmenta locorum communium 1533 argumentiert er von Beginn an theologisch, so daß sich die Ankündigung, die Klärung der Frage in den loci De peccato und De lege Dei zu vollziehen, als Konsequenz den bisherigen Überlegungen ergibt. So wird die zentrale anthropologische Frage nach dem freien oder unfreien Willen in den soteriologischen Kontext eingebunden, der pneumatologisch bestimmt ist. Das Eingangskapitel dient der Horizontöffnung fur eine theologische Untersuchung des Problems. Diese Veränderung in der Methode ist ein Indiz fur die abgemilderte apologetische Situation und für die Notwendigkeit, die klassischen theologischen loci von der reformatorischen Lehre her neu zu entwickeln. Dabei wird als neues Gewicht in der Darstellung der theologischen loci gegenüber den Loci communes 1521 auch die Ethik aufgenommen. Denn trotz der streng theologischen Interpretation von Freiheit bzw. Unfreiheit des Menschen spricht Melanchthon auch von einer Freiheit des Menschen in äußeren Dingen, die auch philosophisch betrachtet werden kann. 4.2.1.2 Die philosophische Freiheit Da in den opera externa civilia sowohl ein Urteil als auch eine Wahl vorgenommen werden können, kann in diesen Dingen von der libertas voluntatis gesprochen werden. Von dieser Freiheit ist zugleich schriftgetreu zu sprechen, da auch diese 60

Vgl. CR XXI, Sp. 280: „Transformabimus igitur quaestionem liberi arb. in quaestionem de peccato et de lege, et recensebimus ordine quid improbemus."

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Freiheit eingeschränkt ist und die Natur des Menschen häufiger schlechten Affekten gehorcht als der durch die ratio erkannten öffentlichen Gerechtigkeit.61 Diese Freiheit soll der Mensch gebrauchen; denn die Ausübung der bonae mores ist von Gott ausdrücklich gefordert, auch wenn durch diese lediglich die iustitia civilis erreicht werden kann. Mit der Forderung der Gesetzeserfüllung verbindet Melanchthon zugleich die Buße, die von Gott gefordert ist, auch wenn die Rechtfertigung nicht aufgrund der Buße geschieht.62 Diente 1521 der Tugendbegriff im Zusammenhang mit der Willenslehre allein dem Aufweis, daß die scholastische Lehre des actus moraliter bonus im Hinblick auf das meritum unzutreffend ist, so wird der Tugendbegriff nun auch positiv konnotiert.63 Die Negation eines Verdienstes durch tugendhaftes Leben bleibt unverändert; aber tugendhaftes Handeln ist für die Erhaltung der äußeren Ordnung von Gott angeordnet. Die Einbindung der Tugendlehre in die Fragmenta locorum communium 1533 hat sich in den Scholien von 1527 zum Kolosserbrief bereits angedeutet. Melanchthon hatte in der 2. Hälfte der 1520er Jahre erkannt, daß der theologischen Lehre ein wichtiger Bestandteil fehlt, wenn Tugendlehre und Ethik nicht explizit ausgeführt werden, und daher in die Scholien zum Kolosserbrief 1527 beides aufgenommen. Melanchthon entwickelt in seiner Auseinandersetzung mit dem nominalistischen Gesetzesverständnis wie in den Loci communes 1521 die These, daß das Gesetz nicht primär äußere Werke fordere, sondern auf das Herz ziele. Daraus schließt er, daß das Gesetz vom Menschen nicht ohne den Heiligen Geist erfüllt werden könne. Daher kann der Mensch auch keine Verdienste durch Gesetzeswerke erlangen.64 So betont Melanchthon auch 1533 wieder den Gesichtspunkt der certitudo, die die dem Menschen im Evangelium geschenkte Freiheit bedeutet, nicht aus eigenen Verdiensten die Gerechtigkeit vor Gott erlangen zu können und zu müssen. Das Gesetz aber erschreckt die Gewissen, weil es keine Gewißheit geben kann und zielt so nicht auf die Werke, sondern auf den Glauben an 61

Vgl. CR XXI, Sp. 278f.: „Sicut enim in natura manent iudicium et delectus aliarum rerum quae sunt sensui subiectae seu rationi, ita manent iudicium et delectus operum externorum civilium. Et haec est libertas voluntatis de qua philosophi loquuntur." Vgl. weiterhin CR XXI, Sp. 279: „Sed haec ipsa libertas efficiendae civilis iustitiae, reliqua in natura hominis, saepe vincitur cum imbecillitate naturae quae malorum affectuum plena est, quibus saepius obtemperant homines quam recto iudicio." 62 Vgl. CR XXI, Sp. 318: „Quare igitur opus additur? quia poenitentia est necessaria ut saepe iam dixi. [...] Dicimus legemnecessariam esse, sednon placere sine Christo, obedientiam erga legem necessariam esse etc. quia nemo legi satisfacit." Vgl. zur Forderung der Werke auch C.E. MAXCEY, Bona Opera, S. 85ff. 63 Zu den geforderten Werken, die mit dem freien Willen gewirkt werden können, vgl. unten S. 130ff. Dort werden die positiven Aussagen ausgeführt. Bis hierher war lediglich die Frage nach den Werken im Zusammenhang mit dem Gesetz als Forderung an das Herz relevant. 64 Vgl. oben S. 60ff.

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Christus.65 Aus Dtn 30,11 leitet Melanchthon ab, daß das Gesetz nur im Glauben an Christus erfüllt werden kann. Diese Feststellung ist für Melanchthon unabdingbar, so daß das Gesetz für den Menschen ohne den Heiligen Geist eine unerfüllbare Forderung darstellt. Diese Erkenntnis des Gesetzes kann aber nicht aus der Vernunft entstehen. Mit der Vernunft kann der Mensch zu dem Urteil kommen, daß er den Forderungen nicht genügt; daher richtet das Gesetz. Die daraus resultierende Unsicherheit kann durch den Glauben aufgehoben werden, da aufgrund seiner Barmherzigkeit Gott im Glauben auch der unvollständige Gehorsam gefällt.66 Die Funktion des Gesetzes wird somit durch das Evangelium nicht aufgehoben, wohl aber in Wahrheit erst richtig zur Geltung gebracht. Die Gesetzeserfüllung mit Hilfe des Heiligen Geistes versteht Melanchthon immer noch in der gleichen Weise wie 1519 in der Theologica Institutio. Der Mensch wird durch den Heiligen Geist zum Guten hingerissen, „der ohne gesetzlichen Zwang, aus freien Stücken, in uns wirkt".67 Durch die Bindung der Gesetzeserfüllung an das Evangelium wird die Freiheit des Willens im Bezug zum Gesetz konsequent aufgehoben. Melanchthon geht in diesem letzten Argumentationsgang ähnlich vor wie in den Loci communes 1521. Jedoch besteht ein Unterschied darin, daß 1521 diese Ausführungen im Abschnitt De lege zu finden sind. Dort wird davon gesprochen, daß die Gesetze auf die Affekte zielen.68 Dabei war die Affektenlehre der metaphysischen Psychologie der Hintergrund, vor dem die ganze Lehre entwickelt wurde. Entsprechend bestimmt der Begriff affectus das gesamte erste Kapitel der Loci communes 1521. 1533 wird der Begriff affectus in dem Kapitel De viribus humanis nur an drei Stellen verwendet,69 wobei für die Interpretation von affectus die Verwendung im Zusammenhang mit der iustitia civilis ausschlaggebend und auch hinsichtlich des impetus des Menschen in bezug auf weltliche Dinge verstanden wird. Melanchthon unterscheidet nun auch begrifflich den Menschen in einer neuen Weise. In der Relation zu Gott wird der Mensch durch die Begriffe cor und peccatum beschrieben; eine Freiheit des Willens besteht nicht. Spricht Melanchthon dagegen von den äußeren Möglichkeiten des Menschen im Blick auf die iustitia civilis, dann benutzt er die Terminologie einer metaphysischen Psychologie. 65

Vgl. CR XXI, Sp. 281: „Item [Paulus, Anm. d. Verf.] legi tribuit quod occidat quia scilicet iudicat conscientiam et perterrefacit etc." Vgl. weiterhin CR XXI, Sp. 282: „[...], Nam ut maxime detorqueatur hic locus [Dtn 30,11, Anm. d. Verf.] ad vires humanas tarnen non erit excludendus Christus, Sicut supra dixi, in omnibus sententiis de lege addi debere hanc interpretationem. legem possibilem esse credenti in Christum." 66 Vgl. CR XXI, Sp. 283: „Ita tunc prodest notitia legis non solum ad arguenda peccata sed etiam ad faciendam legem cum haec fides accedit, qua fit ut illa inchoata obedientia placeat." 67

V g l . W . MAURER, L e x , S. 187.

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Vgl. Loci communes 1521, S. 110, 3,48; 112, 3,50; 116, 3,63-67 u.ö. Vgl. CR XXI, Sp. 276; 279; 282.

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Zwar war Melanchthon 1521 thematisch durch die Nähe zu Luther schon sehr fest in der reformatorischen Theologie verwurzelt, in der theologischen Erörterung orientierte er sich jedoch noch stärker an der humanistischen Sprache. 1533 zieht Melanchthon schließlich auch die sprachlichen Konsequenzen aus der als richtig erkannten Lehre. Auch wenn die metaphysische Psychologie als Erklärungsmuster für die Darstellung der Seelenlehre in ethischen Zusammenhängen benutzt wird, so finden die durch den biblisch-theologischen Kontext veränderten Inhalte in einer theologisch fundierten Terminologie ihren Ausdruck. Diese Beobachtung zur Sprache entspricht der bereits beobachteten konsequenten theologischen Argumentationsweise Melanchthons in diesem Kapitel der Fragmenta locorum communium 1533, die dennoch in ihrem Bemühen um Plausibilität nicht auf die in der Philosophie bewährten Darstellungsweisen verzichten möchte. 4.2.2 Das Kapitel „Depeccato " Neben den Verschiebungen, die sich durch den geänderten Kontext gegenüber den Loci communes 1521 ergeben haben, sind zwei Punkte im Aufbau dieses Kapitels besonders auffallend. In den Loci communes 1521 war die Exegese zu Rom 8 und die Unterscheidung von caro - spiritus die entscheidende Argumentationsgrundlage; in diesem Kapitel fehlt diese Erörterung, da Melanchthon sie bereits in das Kapitel über die Kräfte des Menschen vorgezogen hat. Die zweite auffällige Unterscheidung ist der neue Abschnitt über die Aktualsünden. In den Loci communes 1521 hatte es Melanchthon noch als überflüssig bezeichnet, die Unterscheidung von Erb- und Aktualsünde aufzunehmen,70 so daß die Aktualsünden nicht als Früchte der Sünde separat untersucht wurden, sondern im Zusammenhang mit der Macht der Sünde. In dieser Veränderung schlägt sich vermutlich die Diskussion um die Sünde nieder, wie sie bei Melanchthon in der CA und vor allem in der ApolCA ihren Ausdruck gefunden hat. Auch ist als neues Thema gegenüber den Loci communes 1521 die Frage nach der Forderung der Werke in diesem Abschnitt hinzugekommen. Melanchthon trifft in den Fragmenta locorum communium 1533 die meisten Aussagen über die Sünde und ihre Wirkung auf den Menschen in ähnlicher Weise wie in den Loci communes 1521. Dabei geht er wiederum von der Unterscheidung des Sündenverständnisses der Hl. Schrift und der Vernunft aus. Der Grundfehler im scholastischen Erbsündenverständnis ist nach Melanchthon die Differenzierung in peccatum originis und peccatum actuale, die dazu führte, daß die concupiscentia als die Verführung des Menschen durch das Fleisch verstanden wurde, den 70

Vgl. Loci communes 1521, S. 46, 2,1.

Die Willenslehre in den Fragmenta locorum communium 1533

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Anordnungen der recta ratio ungehorsam zu sein.71 Damit wird in der Scholastik die Betrachtung der Sünde auf ihre Konkretion in der Einzeltat verschoben.72 Hieraus ergab sich nach der Einschätzung Melanchthons der weitere Fehler, daß die Erbsünde als carentia iustitiae originalis gesehen wurde. In dieser Lehre bleibt z.B. bei Biel die Natur des Menschen an sich unverletzt, so daß der Mensch weiterhin die Wahl hat, zu sündigen oder nicht. Dementsprechend kann als Sünde lediglich bezeichnet werden, was der Mensch willentlich tut.73 Die explizite Erörterung der Frage der Willentlichkeit der Sünde kommt als neuer Aspekt gegenüber den Loci communes 1521 in die Argumentation von 1533 hinein. 1521 bestand dieses Problem für Melanchthon nicht, da durch die Prädestination als Argument gegen das liberum arbitrium die Antwort auf diese Frage zweifelsfrei gegeben worden war. Für Biel war diese Frage von besonderer Bedeutung, da er von der Freiheit des Willens als conditio sine qua non ausging.74 Was nicht aufgrund dieser Freiheit geschieht, liegt nicht in der Verantwortung des Menschen. Melanchthon verneint nun die Frage nach der Freiheit des Willens 1533 aufgrund der Erbsünde. Erbsünde versteht Melanchthon alsperpetuum Vitium, das die Natur des Menschen so weit korrumpiert, daß sie mit dem Gesetz kämpfen muß. 75 Dieses ist die Grundlage des Sündenverständnisses, von dem her Melanchthon die weiteren Aussagen über Sünde und Werk des Menschen trifft. Sofern es bei der Erbsünde um die Natur des Menschen geht, ist natura kein substanzontologisch zu verstehender Begriff. Das perpetuum Vitium ist nicht die Beschreibung einer veränderten qualitas der natura. Natura versteht Melanchthon vielmehr als von Gott gegebenes und bewahrtes relationales Sein. Ebenso ist das perpetuum Vitium von dieser Relation des Menschen zu Gott aus zu verstehen. 76 Daher ist Sünde die den ganzen Menschen umfangende Wirklichkeit, wie es Melanchthon auch in den Loci communes 1521 bereits gesagt hatte.77 Die Erbsünde verstrickt den Menschen gänzlich in Schuld, da seine Relation zu Gott gestört

71

Vgl. H.A. OBERMAN, Spätscholastik I, S. 117. Vgl. CR XXI, Sp. 284: „Nam et theologi multi hie lapsi sunt, qui peccatum intellexerunt tantum civiliter de factis." 73 Vgl. CR XXI, Sp. 285: „[...], deinde hue detorquent imperiti quaedam dicta, videlicet naturam bonam esse, Item peccatum non esse peccatum nisi sit voluntarium." 74 Vgl. H.A. OBERMAN, Spätscholastik I, S. 125f. 75 Vgl. CR XXI, Sp. 284: „Peccatum [...] significat et perpetuum Vitium, hoc est corruptionem naturae pugnantem cum lege dei, [...]." 76 Vgl. CR XXI, Sp. 272: „Itaque etsi Deus conservat naturam et suppeditat ei vitam et vires, tarnen voluntas diaboli aut hominis deficiens in agendo, et resistens in obiecto prohibito a Deo, est causa peccati." 77 Vgl. CR XXI, Sp. 286: „Nos igitur contra sie sentimus. peccatum originis non tantum esse imputationem seu reatum sed etiam naturae hominis corruptionem, qua fit ne possimus vere obedire legi dei et sine peccato esse." Vgl. auch Loci communes 1521, S. 56,2,26. 72

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ist.78 Dieses steht im Gegensatz zu der Lehre von Thomas, der Erbsünde als personale Schuld nur dann versteht, wenn „die sündige Natur die Person ,infiziert', das heißt zu personaler Schuld fuhrt"79. Im Zusammenhang mit der zeitgenössischen Lehrmeinung, wie sie in der Confutatio begegnet, setzt sich Melanchthon mit diesem Erbsündenverständnis auseinander. Zum einen richtet er sich gegen die erste Verwerfung der protestantischen Lehre im Artikel über die Erbsünde in der Confutatio, daß fehlender Glaube, wie Melanchthon ein Leben ohne Gottvertrauen und Gottesfurcht definiert, ein unmittelbares Zeichen der Erbsünde sei. In der Confutatio wird diese als ein „wurkliche sunde eines gewachsen menschen bezeichnet" und an den „brauch der Vernunft"80 gebunden. Dahinter steht die Haltung, daß eine Handlung nur dann sündhaft sein kann, wenn sie willentlich im Konsens mit der Versuchung des Menschen geschieht.81 Zum anderen hält es Melanchthon für unbiblisch, wenn in der Confutatio die Lehre verworfen wird, daß die Erbsünde „ein sund sey auch nach dem tauf und bleib in dem kinde".82 Die materiale Tilgung der Erbsünde durch die Taufe findet laut Melanchthon nicht statt. Andernfalls wäre die concupiscentia nur die Strafe für die Erbsünde, könnte aber durch die voluntas, wenn sie der recta ratio folgt, unschädlich werden. Es läge dementsprechend in der Macht des Menschen, sich den Folgen der concupiscentia zu enthalten, indem er sich für das dictamen rectae rationis entscheidet. Gegen die so verstandene Wirkung der Taufe, die den Menschen qualitativ vom peccatum originis befreit, setzt Melanchthon die imputative Freiheit, die den Menschen zum Glauben an Gott befreit, da Gott die Strafe nicht mehr verhängt, obwohl der Mensch strafwürdig gewesen wäre. Damit kann im Menschen kein liberum arbitrium angenommen werden, wodurch er den Prozeß des Glaubens und damit das neue Leben bewirken bzw. verhindern kann. Der Glaube ist an die Gabe des Heiligen Geistes gebunden, die der Beginn dieses Prozesses ist.83 Melanchthon begründet so die fehlende Freiheit des Willens konsequent mit der Erbsünde, wie er es im vorangegangenen Kapitel begonnen hat. Die Erbsünde umfängt mit 78 Vgl. CR XXI, Sp. 290: „In baptismo remitti reatum et tarnen manere ipsum morbum. hoc est manet morbus sed non imputatur credenti." 79 O.H. PESCH, Theologie, S. 487. 80 Confutatio, S. 80,11 f. 81 Vgl. KLAUS RISCHAR, Johann Eck auf dem Reichstag zu Augsburg 1530, Münster 1968 (künftig zitiert als „Johann Eck"), S. 42. 82 Confutatio, S. 80,17f. 83 Vgl. CR XXI, Sp. 290: „Praeterea cum datur spiritus sanctus concipimus novos et pios motus, quibus aliqua ex parte corrigi morbus incipit, atque ita per omnem vitam luctandum est cum hoc morbo dupliciter. [...]. Hoc cum fit, aliquo modo corrigitur morbus et inchoatur vita aeterna. [...] Haec testantur adhuc in natura haerere et concupiscentiam et defectus. Et necesse est scire haec esse peccata i.e. res vere dignas damnatione quod ad ipsius morbi naturam attinet, sed tarnen ita non imputari, si fide misericordiam apprehendamus."

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Die Willenslehre in den Fragmenta locorum communium 1533

solcher Macht die Wirklichkeit des Menschen, daß er sich ihr nicht aus eigener Kraft entziehen kann. Wenn der Mensch aber nicht nicht sündigen kann, darf auch nicht von einem freien Willen gesprochen werden. Jedoch fuhrt Melanchthon zu diesen radikalen Aussagen über die Wirkung der Sünde ein Gegengewicht ein. Hatte er diese Schlußfolgerungen in den Loci communes 1521 mit der völligen Bedeutungslosigkeit der opera externa vor Gott unterstrichen und daher die philosophisch erkannte Freiheit des Menschen als belanglos und die moralischen Werke sogar als Lügen abgetan,84 so erhält diese Freiheit nun auch theologisch ein Gewicht. Sie soll dem Menschen dienen, die von Gott gesetzte Ordnung zu erhalten, die den Raum für die Verkündigung des Evangeliums garantiert.85 Die Verbindlichkeit der Forderungen Gottes bleibt bestehen, auch wenn der Mensch den Forderungen nur sündhaft nachkommen kann. Das bedeutet nicht, daß Gott sündhaftes Handeln fordert, sondern eine gute Tat, auch wenn sie aufgrund der Untrennbarkeit des Werkes von der Person sündig ist.86 Das Werk an sich ist also weder sündig noch verdienstvoll. Daß auch der sündige Mensch ohne Glauben die Gesetze erkennen kann, liegt in der natürlichen Erkenntnis des natürlichen Gesetzes begründet, die dem Menschen gegeben ist. Hierbei greift Melanchthon auf sein Verständnis vom Naturrecht zurück, das er bereits 1519 in seinen De Rhetorica libri Tres geäußert hat. Die leges naturales sind als Grundformen der Wirklichkeitsstruktur wie Leben, Schicksal und auch sittliche Haltungen zu verstehen. Diese Grundformen sind a priori in die mens des Menschen eingeprägt.87 War die Erkenntnis des Gesetzes von Gott vor dem Sündenfall eindeutig und waren daher alle natürlichen Bewegungen des Menschen im Einklang mit dem Gesetz, so ist diese Erkenntnis durch die Erbsünde verloren, so daß der Mensch mit dem Gesetz Gottes kämpft.88 Das bedeutet, daß die Möglichkeit der Erkenntnis an sich gegeben wäre, durch die Erbsünde aber verdunkelt ist. „Die ,lex Dei' bezieht sich also auf die vollkommene Gottesgemeinschaft des Menschen, Gottesgehorsam und die vollständige 84

Vgl. Loci communes 1521, S. 36,1,43 und aaO., S. 84, 2,99. Vgl. CR XXI, Sp. 292: „Requirit autem et propter tranquilitatem hominum inter se et propter disciplinam, hoc est, ut institui ac doceri homines de Evangelio possint." 86 Vgl. CR XXI, Sp. 290f.: „Simul autem complecti debes personam et opus. Ita facile intelliges omnia opera impii esse peccata. Quia enim persona sine timore et fiducia dei operatur, ideo fructus omnes sunt impii et damnati." Person und Werk sind untrennbar, wohl aber unterscheidbar; vgl. unten S. 130ff. 87 Vgl. HERMANN PFISTER, Die Entwicklung der Theologie Melanchthons unter dem Einfluß der Auseinandersetzung mit den Schwarmgeistern und Wiedertäufern, Diss.phil. Freiburg i.Br. 1968 (künftig zitiert als „Entwicklung"), S. 13. 88 Vgl. CR XXI, Sp. 276: „In natura essent motus naturales omnes consentientes cum lege dei [...]. Nunc autem quia natura humana corrupta est peccato originis [...] Non potest praestare illam integram obedientiam, hoc est natura ipsa oppressa corruptione et morbo originis repugnat legi, non habet nunc firmam de deo notitiam [...]." 85

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Erfüllung des göttlichen Gesetzes vor dem Sündenfall. Weil die Natur des Menschen durch den Sündenfall korrumpiert wurde, ist die Stimme des Gesetzes das Urteil Gottes, indem es die Sünde im Menschen verurteilt."89 Der Mensch kann also die Forderung an sich erkennen, versteht aber die heilvolle Bedeutung des Gesetzes nicht. Mit dieser Erkenntnis wird nicht das Evangelium erkannt, so daß das Gesetz nicht aus Liebe zu Gott und Vertrauen auf ihn erfüllt wird, sondern aus Zweifel über den Willen Gottes.90 Melanchthon greift mit dieser Deutung der natürlichen Erkenntnisfähigkeit des Menschen auf die Lehre von den noetischen Voraussetzungen zu guten Taten zurück, wie er sie auch in den Loci communes 1521 verwendet hatte.91 Aufgrund der theologischen Bedeutungslosigkeit der Werke des Menschen bestand aber in den Loci communes 1521 ein nahezu „unüberbrückbarer Gegensatz zwischen dem Abschnitt ,de viribus humanis seu de libero arbitrio', [...], und dem Abschnitt ,de lege naturae'"92. In den Fragmenta locorum communium 1533 nutzt Melanchthon die Kategorien der metaphysischen Psychologie, bringt sie aber ausschließlich im Zusammenhang mit ethischen Äußerungen zur Geltung. Auch wenn die Forderung der Werke im Zusammenhang mit der Erörterung Depeccatis actualibus geschieht und dem Werk im Zusammenhang mit der Rechtfertigung wie 1521 keine Bedeutung zugemessen wird, da alle Werke des Menschen Sünde sind, so ergibt sich nun dennoch eine Bedeutung im Kontext der Heiligung und damit eine ethische Relevanz. Melanchthon nimmt jedoch nicht die Unterscheidung von peccatum originis und peccatum actuale auf, um dann den peccata actualia die Tugenden wie z.B. die Liebe gegenüberzustellen, wie es in der scholastischen Sündenlehre geschehen ist. Melanchthon betrachtet die Werke im Zusammenhang von Sünde, Gesetz und Glaube; daher bleiben alle Werke Sünde, auch wenn sie als opera moralia tugendhafte Werke sind. Der Glaube wird durch die Verkündigung des Evangeliums und durch die Gabe des Heiligen Geistes im Menschen aufgerichtet. Dieses ist der Anfang der Heiligung des Lebens, die sich in Taten vollzieht. In diesem Zusammenhang ist die Frage nach der Freiheit des Willens erneut zu stellen, da mit dem Willen das Erkannte erstrebt oder abgelehnt wird, so daß der Wille in der Begründung der theologischen Ethik nicht ohne Bedeutung bleiben kann. 4.2.3 Die Kapitel „De lege Dei" und „De Evangelio " Melanchthon geht 1533 nicht expressis verbis auf die Frage der Periodisierung von Gesetz und Evangelium ein, wie er es 1521 noch getan hat. Er setzt aber in der Einleitung das Verständnis voraus, daß Gesetz alles ist, was eine Verheißung an 89

GÜNTER FRANK, P h i l o s o p h i e , S. 1 4 6 .

90

Vgl. CRXXI, Sp. 291: „[...] tarnenpolluit omnes has actiones dubitatio de voluntate dei." Vgl. z.B. Loci communes 1521 S. 100, 3,9; S. 102, 3,13.

91 92

H.GERHARDS, E n t w i c k l u n g , S. 9 4 .

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1533

eine Bedingung knüpft, während das Evangelium durch Christus sichere Wohltaten ohne Bedingung verheißt. Die Bedeutung der Bedingung basiert auf Melanchthons schon häufiger formuliertem Verständnis, daß das Gesetz Geistliches fordert, der postlapsarische Mensch aber Fleisch ist.93 Damit läßt das Gesetz mit seinen Verheißungen den Menschen im Zweifel, da er nicht gewiß sein kann, den Forderungen des Gesetzes entsprochen zu haben.94 In dieser Ungewißheit entwikkelt das Gesetz seine anklagende Wirkung, die den Menschen ermuntert, im Glauben die Vergebung der Sünden und die Tröstung des Gewissens zu ergreifen. Dabei darf die Ungewißheit nicht im Sinne der contritio als ein meritum verstanden werden.95 Hinter der contritio steht der willentliche Akt der Liebe des Menschen zu Gott, der von Melanchthon nun ausdrücklich zurückgedrängt wird. Vergebung der Sünden umfaßt die Gabe des ewigen Lebens und die Rechtfertigung, die erneut prozeßhaft gedacht ist.96 Dieser Prozeß ist dem menschlichen Willen entzogen, da er gnadenhaft geschieht. Durch die Verheißung des Evangeliums und der Gabe des Heiligen Geistes entsteht der Glaube im Menschen, was bedeutet, allein auf die in Christus verheißene Barmherzigkeit zu vertrauen, um das getröstete Gewissen zu erhalten.97 Dieser Vorgang ist nicht in instanti zu verstehen, wie es bei Thomas der Fall ist,98 damit die Rede von verdienstlichen Werken möglich ist. Der Vorgang wird bestimmt von einem Widerstreit des Gewissens gegen die Rechtfertigung, da das Gewissen erschrocken ist vom Gesetz und Gott als den Zürnenden erkannt hat. Dem Willen kann für die Rechtfertigung keine Bedeutung zugewiesen werden. Indem Melanchthon das Gewissen als der Rechtfertigung widerstreitend interpretiert, ist der Wille des Menschen nicht auf die Rechtfertigung ausgerichtet, da das dictamen rectae rationis als Richtschnur des Gewissens fungiert. Die conscientia verleitet den Willen zum falschen Wollen. So ist das Vertrauen auf die Barmherzigkeit als die Regung im Menschen den Kräften des Menschen selber entzogen. Hierzu bedarf der Mensch der Gabe des Heiligen Geistes, der die Erkenntnis von der Gnade Gottes und das Vertrauen auf die Barmherzigkeit bewirkt.99 Der Mensch hat gerade nicht eine ihm inhärierende Freiheit, mit der er 93

Vgl. CR XXI, Sp. 295: „Hoc sentit Paulus cum inquit, Lex est spiritualis [...]." Vgl. CR XXI, Sp. 304: „Ita lex et legis promissiones cum sint conditionales relinquunt conscientias in dubitatione." 95 Vgl. zur Lehre von der contritio bzw. attritio oben S. 56. 96 Vgl. CR XXI, Sp. 304: „Ideo Paulus interpretatur iustificationem imputationem iustitiae et continuam remissionem peccatorum." 97 Vgl. CR XXI, Sp. 307: „Haec exempla clarissime testantur fiduciam debere niti sola promissa misericordia In Christo non nostra dignitate. Et valent ad consolandas pias mentes." 98 Vgl. THOMAS v. AQUIN, STh I—II, 113,8, resp. 99 Vgl. CR XXI, Sp. 279: „Oportet item scire quare opus sit spiritu sancto, quare deus polliceatur spiritum sanctum, ut cognita nostra imbecillitate et tyrannide diaboli, sciamus contra 94

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sich auf die Rechtfertigung einlassen kann, sondern seine Freiheit ist die zugesprochene evangelische Freiheit. Melanchthon betont, daß die Werke des Menschen selber nichts zur Rechtfertigung beitragen und daß der Glaube kein Werk des Menschen ist, bevor er sich dem Thema der guten Werke zuwendet. Die Werke sind deutlich unterhalb des Glaubens anzusiedeln.100 Damit schließt Melanchthon die Lehre der Confutatoren aus, daß es Glaube und Werke sind, um derer willen „durch die barmhertzigkeit Gottes das ewig leben gegeben wirdt"101. Die Lehre der Confiitatio läßt eine Unterstützung des Willens für die Erlangung der Rechtfertigung zu, da die Akte, die verdienstlich sind, durch den Willen gewählt werden müssen. So ist die Lehre über Gesetz und Evangelium in den Fragmenta locorum communiurn 1533 inhaltlich nicht von der in dem gleichen Kapitel 1521 unterschieden. Die Tendenz ist jedoch verändert. Hatte Melanchthon 1521 betont, die einzige Funktion des Gesetzes liege im Aufweis der Sünde,102 liegt nun der Schwerpunkt auf der Aussage, daß das Gesetz nicht gerecht macht. Somit ist der Weg, der einem freien Willen möglich gewesen wäre, als Heilsweg ausgeschlossen. Allein die evangelische Freiheit befreit den Menschen. Dennoch ist die Forderung des Gesetzes nicht aufgehoben. Die Richtung der Argumentation zielt damit sowohl gegen die altgläubige Position als auch gegen die Angriffe aus dem eigenen Lager, wie sie Melanchthon von Johann Agricola erfahren hatte. Neben der unbestrittenen Bedeutung des Evangeliums soll auch die Beachtung des Gesetzes mit einem neuen Akzent versehen werden, jedoch ohne das Gesetz mit der Funktion des Evangeliums zu überfrachten. Bevor die Werke in dem nachfolgenden Kapitel thematisiert werden, wollte Melanchthon die Deutung der Werke als causa der remissio peccatorum vermeiden. Daß diese Lehre Melanchthons doch immer wieder falsch verstanden worden ist, zeigt der Streit mit Cordatus, der im Sommer 1536 zum Ausbruch kam und sich an der Frage der causa iustificationis entzündet hatte.103

in Evangelio deum nobis liberationem et auxilium polliceri, quod cum petimus et confidimus nos iuvari exercetur fides in nobis et crescit notitia dei." 100 Vgl. CR XXI, Sp. 308: „Quare necesse est opera longe infra fidem collocari." 101 Confutatio, S. 92,23f. 102 Vgl. z.B. Loci communes 1521, S. 180, 4,66.75.94 u.ö. 103 Vgl. die Darstellung des Streites bei WILHELM HEINRICH NEUSER, Luther und Melanchthon- Einheit im Gegensatz. Ein Beitrag zum Melanchthon-Jubiläum 1960, (TEH, N.F. 91), München 1961 künftig zitiert als „Luther und Melanchthon"), S. 6ff.

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4.2.4 Das Kapitel „De bonis operibus seu impletione legis" In diesem Kapitel verbindet Melanchthon die bisher nebeneinander stehenden Aussagen, daß die Werke für die Rechtfertigung keine Bedeutung haben, sie aber dennoch von Gott gefordert sind. Melanchthon legt hier also dar, in welchem Verhältnis Rechtfertigung und Heiligung bzw. Glaube und Werke in seiner Lehre stehen. Hierbei überrascht Melanchthon mit der Aussage, daß der Glaube das erste und wichtigste geforderte Werk ist.104 Dementsprechend würde der Mensch doch durch Werke, nämlich vor allem durch das Werk des Glaubens gerecht. Die Aussage, daß der Glaube ein Werk ist, nimmt Melanchthon im Verlauf der Untersuchung nicht zurück. Ebenfalls hält er an der Aussage fest, daß dieses Werk vom Menschen durch das Gesetz gefordert ist. Diese Forderung bezieht sich aber auf die vom Gesetz geforderten Regungen des Herzens, die der Mensch nicht in seiner Kontrolle hat. Vielmehr ist der Glaube die Wirkung des Evangeliums, begleitet durch die Gabe des Heiligen Geistes, wie es Rom 10,17 und Gal 3,2 steht.105 Wenn der Mensch nur von diesem Glauben aus die anderen Werke des Gesetzes vollbringen kann, wie Melanchthon betont,106 so ist die Gesetzeserfüllung dem Menschen vollständig entzogen und an das extra nos verwiesen, nämlich an die Verheißung und die Barmherzigkeit Gottes.107 Die Erfüllung des Gesetzes ist daher eine Gabe an den Menschen. Melanchthon betont aber ebenso, daß der Glaube und damit die Rechtfertigung nicht in instanti, sondern prozeßhaft geschieht, so daß der Gehorsam gegenüber dem Gesetz im Leben des Menschen unvollständig bleibt. Der Mensch bleibt immer Sünder in seinem Leben. Die Werke des Menschen haben daher keine Würde in bezug auf die Vergebung der Sünden und die Rechtfertigung, bevor nicht die vollständige Erneuerung des Menschen geschehen ist, die sich im Leben eines Menschen nicht ereignen wird. Aber selbst diese Würde in der Vollendung ist eine verliehene, da die Wiederherstellung des Menschen die Wirkung der Rechtfertigung ist, die nicht vom Menschen selber verdient oder bewirkt werden kann. Um so viel mehr ist jede Würde der Werke des Menschen extra nos erlangt. Die Basis dieser Lehre ist die Unterscheidung von Person und Werk, wie sie Melanchthon für die Beurteilung der Würde bezüglich der Rechtfertigung fordert. 104 105

Vgl. CR XXI, Sp. 311: „Primum ac praecipuum opus est ipsafides[...]."

Vgl. CRXXI, Sp. 317: „Ad hunc modum iudicandum est de actione spiritus sancti, quod non praecurrat spiritus sanctus verbum seu apprehensionem verbi sed comitetur eam, sicut scriptura [Rom. 10, 17.] inquit. Fides ex auditu est Item ad Gal. Ut detur promissio spiritus ex fide." 106 Vgl. CR XXI, Sp. 313: „Haec recitavi ut intelligatur fidem praecipuum opus esse, et gignere alia spiritualia opera." 107 Vgl. CR XXI, Sp. 317: „Verum ut supra saepe dictum est, non est intuenda in hoc agone propria qualitas aut dignitas operum sed respiciendum ad promissionem et misericordiam extra nos, et statuendum quod placeamus per misericordiam propter Christum et quidem gratis, [...]."

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Die Person gefällt gratis propter Christum. Nur deswegen gefällt dann auch das Werk der Person. Es ist aber der Glaube an Christus, durch den die Gerechtigkeit Christi zugerechnet wird und durch den der Beginn des Gesetzesgehorsams geleistet wird, auch wenn er nicht vollständig ist.108 Hier entwickelt Melanchthon ein imputatives Rechtfertigungsverständnis, das durch die effektive Wirkung der Gesetzesbefolgung begleitet wird. Der Mensch bleibt aber in der Befolgung des ersten Gebotes und damit auch in der Befolgung der weiteren Gebote immer in einem gewissen Anfang stehen,109 so daß letztlich alle Taten des Menschen Todsünden sind. Dieses Verständnis des Gesetzes als anklagendes aufgrund des geistlichen Gesetzesverständnisses ist die Voraussetzung für Melanchthons Lehre von der Notwendigkeit der Werke, die dem Glauben folgen. Die Betonung der Werke brachte Melanchthon bereits 1527 bei Johann Agricola in den Verdacht, das sola fide aufzugeben. Der Streit mit Agricola hat seine Ursache in dessen Geringschätzung des Gesetzes. Agricola sah im Gesetz „den verfehlten Versuch Gottes, durch Drohung die Menschen zu leiten"110. Theologisch wird die Wirkungslosigkeit des Gesetzes bei Agricola in der Sündenlehre fundiert. Unter Sünde versteht er einzig den Unglauben. Hier ist er mit Melanchthon darin einig, daß auch dieser den Unglauben als die Kardinalsünde versteht. Agricola nimmt aber der Sünde alles Schreckliche und Beängstigende und lehrt, daß sich der Mensch von der Sünde leicht lösen kann.111 Daher ist das Gesetz sinnlos. Hieraus entstand bei Agricola eine grundlegende Ablehnung des AT, da er Gesetz und Evangelium periodisierte und mit dem AT bzw. NT identifizierte. Dem liegt das Verständnis des Evangeliums als duplex revelatio zugrunde, das einerseits die Gerechtigkeit Gottes, andererseits aber auch den Zorn Gottes offenbart. Damit wird der Beginn der Buße dem Evangelium zugeschrieben. Von dieser Lehre herkommend mußte ihm Melanchthons Gesetzesverständnis suspekt erscheinen, daß das Gesetz geistliche Werke fordere und nach wie vor gültig sei. Dieser schwebende Streit mit Agricola erhielt 1533 sicherlich neuen Nährstoff durch den doppelten Konvertiten Witzel. Dieser lehnte das sola fide mit der Begründung ab, daß ein Leben nicht ungöttlich 108 Vgl. CR XXI, Sp. 310: „[...], Ideo quamquam legi non satisfacimus et adhuc in nobis peccatum haeret tarnen statuere debemus personam placere deo gratis propter Christum. Postea placet et sequens obedientia quia persona propter aliud scilicet propter Christum placet." 109 Vgl. CR XXI, Sp. 313: „[...], tunc fides existere potest et fit inchoatio quaedam primi praecepti, et parit dilectionem dei et invocationem." 110 BERNHARD LOHSE, Dogma und Bekenntnis in der Reformation: Von Luther bis zum Konkordienbuch, in: Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte II, ungekürzte Studienausgabe Göttingen 1988, Nachdruck 1989, S. 1-166, S. 42. 111 Vgl. JOACHIM ROGGE, Johann Agricolas Lutherverständnis. Unter besonderer Berücksichtigung des Antinomismus, (Theologische Arbeiten XIV) Berlin o.J., (künftig zitiert als „Lutherverständnis"), S. 75.

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und werklos sein dürfe.112 Zusätzlich betonte auch Witzel wie Melanchthon die Buße, was Agricolas Mißtrauen gegen Melanchthon noch mehr steigern mußte. Auf dieser Folie ist Melanchthons Bemühen zu verstehen, Glaube und Werke eindeutig in den richtigen Kausalzusammenhang zu setzen. Es sollten keine Zweifel bleiben, daß die Werke keine absoluta causa iustificationis sind, auch wenn sie notwendig geschehen müssen.113 Das bedeutet, daß sie ihre Würde und damit die ihnen spezifische Notwendigkeit für die Rechtfertigung von der absoluta causa, Christi Heilstat und Gottes Barmherzigkeit, her empfangen. Die Werke als solche dürfen in der Lehre aber nicht vernachlässigt werden. Die verheerenden Auswirkungen hatte Melanchthon bei seinen Visitationsreisen und zuvor beim Auftreten der Schwärmer in Wittenberg erlebt. Neben dem bestehenden Streit mit Agricola entstand Melanchthon eine neue Herausforderung. 1531 hatte Michael Servet mit seinem Buch „De Trinitatis Erroribus Libri Septem" für Aufsehen gesorgt, da er die altkirchliche Trinitätslehre anzweifelte. Bereits ein Jahr später erschien ein weiteres Werk Servets, in dem er seine ein Jahr zuvor erschienenen Thesen neu bearbeitet hatte, weil sie nicht vollkommen genug waren."4 Melanchthon reagierte auf diese Schrift mit Ablehnung. An Brenz schreibt er, daß Servet in einigen Punkten irre, vor allem in der Frage der Naturen Christi. Einer der erwähnten Punkte ist die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.115 Servet wirft den Lutheranern vor, das Gesetz nicht genügend vom Evangelium zu trennen.116 Servet verwendet den Ausdruck discernere, während Melanchthon die Unterscheidung mit differentia verdeutlicht. Darin ist bereits die jeweilige Intention zu erkennen. Servet möchte das Gesetz im Zusammenhang mit der Rechtfertigung als negative Folie verwenden, wobei er das Gesetz dem AT und das Evangelium dem NT zuordnet. Das Gesetz ist lediglich in Stein gehauen gewesen, während das neue Gesetz Christi in die Herzen geschrieben wurde.117 Die Propheten hatten nicht den Geist Gottes, sondern haben zu weltlicher und fleischlicher Verehrung Gottes angehalten, während nun eine

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Vgl. J. ROGGE, Lutherverständnis, S. 127ff. Vgl. CR XXI, Sp. 309: „Etsi iam diximus bona opera necessaria esse, Item cuius generis bona opera necessaria sint, tarnen nondum absoluta est haec causa, [...]." 114 Vgl. MICHAEL SERVET, Dialogorum De Trinitate Libri Duo. De Iustitia Regni Christi, .... [Hagenau], Anno M.D.XXXII, unveränderter Nachdruck Frankfurt/M. 1965 (künftig zitiert als „Libri Duo"), A l : „Quae nuper contra receptam de Trinitate sententiam, Septem libris scripsi, omnia nunc, candide lector, restracto. Non quia falsa sint, sed quia imperfecta, [...]." 115 Vgl. CR II, Nr. 1123, Sp. 669: „De discrimine veteris et novi Textamenti aperte delirat, cum Prophetis adimit Spiritum sanctum." 116 Vgl. M. SERVET, Libri Duo, C. ΙΠ, unfoliiert: „Lutherani etiam, qui legem ab evangelio non satis discemunt, [...]." 117 Vgl. M. SERVET, Libri Duo, C. III, unfoliiert: „Primo, quia Mosaica lex erat in tabulis lapideis scripta, lex vero Christi est secundum Hieremiam lex cordis, id est lex fidei, [...]." 113

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geistliche Anbetung möglich ist.118 Servet widerspricht damit Melanchthons Gesetzesverständnis, daß das Gesetz nicht mit dem AT identifiziert werden darf und daß es geistliche Forderungen stellt. Für Servets Interpretation des Gesetzes ist seine Christologie verantwortlich, die in eine Trinitätslehre eingebunden ist, um die sich in der Folgezeit die Hauptauseinandersetzung drehen sollte.119 „Die Selbstoffenbarung Gottes geschieht auch bei Servet ausschließlich durch Christus."120 Damit unterscheidet er sich wohl nicht grundlegend von vielen anderen Theologen seiner Zeit. Der Unterschied entsteht durch die Konsequenz, dem AT den Geist Gottes abzusprechen und es daher abzulehnen. Gegen diese Verkürzung des AT und des Gesetzes richtet Melanchthon die Forderung der Werke des Gesetzes, nachdem er die Insuffizienz der Werke bezüglich der Rechtfertigung pointiert herausgestellt hat. Dennoch, obwohl der Mensch mit den Taten, die er willentlich vollbringt, nur Todsünden verüben kann, bleiben die Forderungen nach den Werken durch das Gesetz in Kraft und gelten ausdrücklich auch fur die opera civilia, auf die sich die Freiheit des Willens erstreckt. Da sie aber im Zusammenhang mit der Rechtfertigung und der Vergebung der Sünden unwirksam sind, ist die Frage nach der Notwendigkeit der Werke berechtigt. Die Notwendigkeit der Werkforderung besteht in den dauerhaft gültigen Verheißungen Gottes für die guten Werke. Für diese Werke ist nicht die Gnade verheißen; sondern für diese sind allgemeine Verheißungen gegeben, denen Forderungen vorausgehen, die Melanchthon in dem Begriff der Buße zusammenfaßt.121 Hierbei blickt er vor allem auf die moralischen Vorschriften. Es ist also die Buße, die sich in der Befolgung der moralischen Gebote bewährt. Sie ist als Grundhaltung des Menschen vom Gesetz gefordert, damit der Mensch den Glauben einübt.122 Den verheißenen Lohn darf der Christ nicht in dieser Welt erwarten, da das Königreich Christi nicht von dieser Welt ist. 118 Vgl. M . S E R V E T , Libri Duo, C . III, unfoliiert: „Carnalis et mundana erat olim adoratio, in lucis, excelsis, statuis et tabemaculis ligneis, et lapideis domibus. Nunc autem spiritualiter adoratur Deus in solo vivente Christo." 1,9 Zur Trinitätslehre SERVETs vgl. ROLAND H. BAINTON, Michael Servet. 1511-1553, Gütersloh 1960, S. 19ff. 120 Vgl. E R N S T W O L F , Deus omniformis. Bemerkungen zur Christologie des Michael Servet, in: Theologische Aufsätze. Karl Barth zum 50. Geburtstag, hrsg. v. E. Wolf, München 1936, S. 443-466, Zitat S. 453. 121 Vgl. CR XXI, Sp. 315: „Prior enim sententia de poenitentia, posterior de praemiis loquitur." - Zu Melanchthons Bußverständnis vgl. auch W L B K E J A N S S E N , Poenitentia Variata Beobachtungen zur Lehre von Buße und Beichte in der Confessio Augustana Variata, in: Athina Lexutt/Wolfgang Matz, Relationen - Studien zum Übergang vom Mittelalter zur Reformationszeit, (Arbeiten zur Historischen und Systematischen Theologie 1) Münster 2000, S. 282-297. 122 Vgl. CR XXI, Sp. 316: „Haec satis sit monuisse de promissionibus legalibus, quomodo eis utendum sit et ut exerceatur fides in hoc genere promissionum in ipsis operibus et afflictionibus [...]."

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Die Werke, die aus der Bußhaltung hervorgebracht werden, haben ihr Korrektiv und ihren Maßstab im Gewissen des Menschen. Das Gewissen kann aber seine Ruhe nur aus dem Glauben, d.h. aus dem Vertrauen in die Barmherzigkeit Christi gewinnen.123 Es ist also der Glaube die Voraussetzung für die Taten des Gesetzes, wenn das Gewissen ohne Zweifel sein soll, daß die Taten Gott gefallen, weil im Glauben die Gewißheit besteht, daß die Person gnadenhaft gefällt und damit auch die Werke. Daraus kann geschlossen werden, daß der Wille, der dem dictamen rectae rationis folgt, an den Glauben gebunden ist, da dem Glauben eine Erkenntnis Christi korrespondiert, die es der ratio ermöglicht, dem Willen die richtigen Dinge vorzustellen.124 Daß es bei den Werken des Gesetzes nicht allein um tugendhaftes Handeln geht, demonstriert Melanchthon anhand der Liebe. Die Liebe wird in der Confutatio als „die furtrefflichist tugent"125 ausgezeichnet und im Anschluß an I Kor 13,2 als bedeutender für die Rechtfertigung eingestuft als der Glaube. Es ist unbestreitbar, daß die Liebe eine von den leges naturales geforderte Tugend ist, die dem Menschen aufgrund des eingegebenen göttlichen Lichtes als Forderung erkennbar ist. Melanchthon exemplifiziert nun gerade anhand der Liebe, daß der Mensch von der Erfüllung dieser Forderung des Gesetzes am weitesten entfernt ist.126 Daran muß ein Gewissen verzweifeln, es sei denn, es erkennt, daß die Person wegen der Gerechtigkeit gefällt und daher auch die Tugend. Dieses ist die Erkenntnis Christi, die dem Glauben korrespondiert. Nur aufgrund dieser Erkenntnis führt die Forderung der Liebe das Gewissen nicht in die Verzweiflung. Es ist daher der Glaube, der auch im Zusammenhang mit den opera civilia bzw. den opera moralia den Willen zur tatsächlichen Entscheidungsmöglichkeit befreit. Melanchthon deutet den Begriff „Tugend" um, den er selbst noch in seinen Schriften von 1518 und Anfang 1519 verwendet hat.127 Dieser aus dem Humanismus überkommene Tugendbegriff stützt sich auf die Autonomie menschlichen Handelns, die in der Freiheit des Willens und in den intellektiven Fähigkeiten des Menschen ihre Möglichkeit hat. Die Unterscheidung von necessitas consequentiae und necessitas consequentis läßt es in diesem System zu, wie es auch bei Erasmus 123

Vgl. CR XXI, Sp. 330: „Sed etsi condemnet nos cor nostrum, maior est deus corde nostro i.e. hoc quod tu facis bona conscientia non satis est coram deo, sunt interim peccata omissionis, non satisfacimus legi etc. si hoc sentimus, [...]." 124 Vgl. CR XXI, Sp. 316: „Etsi autem nullum opus suscipi debet contra legem aut sine lege dei, tarnen ad opus bonum non lege tantum sed etiam cognitione Christi opus est, et fides significat proprie non legis notitiam aut tantum historiae notitiam sed fiduciam misericordiae propter Christum promissae [...]." 125 Confutatio, S. 92,7. 126 Vgl. CR XXI, Sp. 321: „Dilectio est maxima virtus, igitur omnium minime iustificat, quia longissime absumus a perfectione summae legis ac summae virtutis." 127 Vgl. oben S. 29ff.

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zu finden ist, sowohl Gottes heilvolle Führung in der Welt als auch die Freiheit des Menschen zu guten wie bösen Taten argumentativ zu sichern. Melanchthon greift auf die Differenzierung der beiden Notwendigkeiten in den Fragmenta locorum communium 1533 nicht zurück, da im Zentrum seines Interesses das Handeln des Menschen coram Deo steht, für das der Wille keine Freiheit hat. Dennoch spricht Melanchthon von der Tugend. Tugend in diesem Sinne hat ihre Möglichkeit nicht im gemeinsamen Wirken von Willen und Verstand, sondern im Glauben als Bewegung des Heiligen Geistes, der sowohl den Willen als auch den Verstand erst zum tugendhaften Handeln fuhrt. Der freie Wille im Zusammenhang mit dem Werk des Gesetzes ist demnach der durch den Glauben zur guten Tat befreite Wille, der nun von der ratio die richtige Wahlmöglichkeit gezeigt bekommen kann. Weil dem Menschen in den opera civilia eine gewisse Freiheit zugestanden ist, kann der Mensch weitgehend frei wählen, ob er dem Gewissen folgt und in der Bußhaltung verharrt oder ob er seinen eigenen Vorteil wählt. Diese Freiheit ist jedoch nicht gänzlich gegeben, da auch bei dieser Wahlmöglichkeit die schlechten Affekte des Herzens den menschlichen Willen mitreißen, so daß er häufiger gegen das Gewissen entscheidet. Die Werke werden also keine causa der Rechtfertigung, da der Mensch immer Sünder bleibt, auch wenn die Werke, die in Übereinstimmung mit dem Gewissen gehandelt werden, als gute Werke im Sinne der opera civilia betrachtet werden können. Auch hier besteht eine wichtige Einschränkung, da das ruhige Gewissen als Beurteilungsmaßstab und damit als beruhigende Handlungsgrundlage dem Menschen helfen kann; aber ein ruhiges Gewissen bedeutet nicht, in einer Handlung nicht zu fehlen. Melanchthon erinnert in diesem Zusammenhang an die Unterlassungssünden, die dem Menschen aber nicht bewußt sind und daher sein Gewissen nicht erschüttern. Melanchthon entzieht der menschlichen Erkenntnis sogar die Gewißheit der ethisch guten Handlung, da auch das dictamen rectae rationis keine ausreichende Vergewisserung für die Beurteilung eines Werkes darstellen kann. Der Gehorsam gegenüber dem Gesetz wird von Melanchthon als ungebrochen gefordert in der Hl. Schrift gefunden; aber selbst dieser Gehorsam, der nicht der Rechtfertigung dienen kann, bringt auch in diesem Zusammenhang keine Gewißheit. Diese Zurückdrängung der Bedeutung der Werke geschieht, damit das Vertrauen in die Rechtfertigung niemals auf den Werken selbst gegründet werden kann. Melanchthon fuhrt auch die Lehre von den Werken und ihrer Notwendigkeit auf das solus Christus hin, von dem her die Rechtfertigung sola fide verstanden werden muß.128 128

Vgl. CR XXI, Sp. 327: „Ita non tollimus obedientiam sed tantum detrahimus ei fiduciam iustificationis ut retineatur certitudo. Deinde cum requiramus obedientiam ac poenitentiam. nihil est incommodi fiduciam iustificationis in solum Christum transferre."

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Melanchthon macht im Zusammenhang mit der Lehre von der Erfüllung des Gesetzes die metaphysische Psychologie wieder fruchtbar. Sie dient als Denkgerüst, um dem Leser bzw. Hörer einen Anhaltspunkt zu geben, wie die Wirkung des Glaubens in der Lebensführung verstanden werden kann. Terminologisch ist durch Verwendung des Affektbegriffes, der wieder gehäuft vorkommt, ein Bruch zu den terminologisch sehr konsequent theologisch gestalteten Kapiteln über die Sünde und über das Evangelium festzustellen. Es wird nun auch verständlich, warum Melanchthon an das Kapitel Depeccato den Absatz über die Affektenlehre angehängt hat. Aus dem Duktus des Kapitels selbst ist diese Notwendigkeit nicht zwingend; eher wirkt dieser Absatz nachklappend und unpassend. Die erklärbaren psychischen Vorgänge, die menschliche Handlungen auslösen oder begleiten, möchte Melanchthon dem Hörer bzw. Leser der Loci verständlich in bekannten Kategorien darbieten. Diese Kategorien eröffnen Melanchthon die Möglichkeit mitzuteilen, daß die Affekte, soweit sie den Menschen bestimmen oder zumindest beeinflussen, nicht per se negativ gesehen werden müssen, auch wenn theologisch betrachtet das Werk an sich nicht gut ist. Die Intention ist wohl, die grundlegende Affektkritik der Stoiker nicht aufkommen zu lassen, die unter den Affekten eine krankhafte Veränderung des Logos gesehen haben. In diesem Zusammenhang darf man Melanchthon dann wohl auch nicht unterstellen, daß er 1521 alle Affekte negativ beurteilte. Melanchthon hat in den Loci communes 1521 die guten Affekte nicht erwähnt, weil ihn allein die Affekte gegenüber Gott interessiert haben.129 Mit der Affektenlehre steht er nun ausdrücklich der peripatetischen Lehre nahe, daß zum Handeln das theoretische Urteil nicht ausreicht, sondern auch ein triebhafter Impuls gehört.130 Dem Glauben korrespondiert die Erkenntnis Christi, die den Menschen fordert und befähigt, sein Leben im Glauben zu heiligen. Hierzu wird der Wille befreit.131 Die terminologische Differenz bei der Beschreibung von Rechtfertigung und Heiligung führt letztlich aber nicht dazu, daß beide unverbunden nebeneinander stehen, wie es in den Loci communes 1521 der Fall gewesen ist. Auch die opera civilia werden dem göttlichen Heilshandeln und Heilswillen zur Erhaltung der Schöpfung in Melanchthons Lehre eingegliedert. Auf diese Weise verbindet sich lutherische Rechtfertigungstheologie und humanistische Tugendlehre ohne die großen Brüche, die in den Loci communes 1521 zwischen den Aussagen zur 129

Vgl. MBW I, S. 337,3-10. Vgl. MAX POHLENZ, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen 21959, S. 147ff. 131 Das Fazit von R. BRING, daß die Willenslehre Melanchthons das liberum arbitrium als das Subjekt des im religiösen Sinne Guten beschreibt, so daß Gott dem Menschen lediglich seine Hilfe auf dem Weg zum Heil verleiht, trifft m.E. ebensowenig zu wie sein Fazit, die Anschauung Melanchthons zur Willensfreiheit sei letzten Endes thomistisch; vgl. RAGNAR BRING, Das Verhältnis von Glauben und Werken in der lutherischen Theologie, München 1955, S. 74f. 130

Auswertung

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Rechtfertigung und Heiligung bestanden. Es bleibt aber auch hier die Frage, ob die Notwendigkeit der Heiligung als Forderung an den Menschen in der Theologie Melanchthons plausibel wird. Er versteht die extra nos geschehende Rechtfertigung konsequent imputativ, versucht aber die effektive Rechtfertigung in nobis mit den bekannten Kategorien der metaphysischen Psychologie zu verbinden.

4.3 Auswertung Melanchthon geht in seiner Willenslehre von der Frage aus, welche Auswirkung die Tat der libertas voluntatis für den Menschen hat, als diese zur Ursache der Sünde wurde. Die Frage nach der zur Wirklichkeit des Menschen gehörenden Sünde bestimmt die Untersuchungsperspektive von Melanchthon. Hierbei beginnt Melanchthon seine Erhebungen mit der Stellung des Menschen zum Gesetz als Maßstab der Selbstreflexion des Menschen, wodurch eine Personalisierung der Fragestellung erreicht wird. Jeder einzelne wird in seiner Relation zum Gesetz coram Deo betrachtet oder zur Betrachtung aufgefordert. Von hier aus lassen sich dann Schlüsse auf die Natur des Menschen ziehen. Dabei kann der Mensch für Melanchthon zweifellos ohne den Heiligen Geist niemals das Gesetz befolgen, das auf das Herz zielt und erst an zweiter Stelle auf die bonae mores. Es ist daher die Wirkung der Sünde, daß der Wille gemessen am Gesetz unfrei ist. Sünde bedeutet, ohne Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit zu leben, was umfassend als Leben ohne Glaube bezeichnet werden kann. Ohne Glaube ist der menschliche Wille unfrei, dem Gesetz Genüge zu tun. Der Umkehrschluß ist für den Menschen nach dem Sündenfall jedoch nicht zutreffend. Mit dem Glauben ist das Werk an sich immer noch nicht gesetzeskonform. Der Glaube setzt keine veränderte qualitas im Menschen. Dieses Dilemma löst Melanchthon mit einem imputativen Rechtfertigungsverständnis, d.h., dem Menschen wird die Gerechtigkeit zugesprochen. Mit diesem Zuspruch sieht Melanchthon die effektive Wirkung verbunden, daß der Mensch nun versucht, das Gesetz zu erfüllen, da es durch die imputatio iustiflcationis seinen Schrecken verloren hat. Der Glaube erneuert also die Relation des Menschen zu Gott. Die Sünde als Begründung der fehlenden Willensfreiheit ist die erste deutliche Veränderung gegenüber den Loci von 1521, in denen als wichtigster Grund die Prädestination angegeben worden ist. Damals entstand beinahe eine Diastase zwischen der unbedingten Angewiesenheit auf den göttlichen Willen und der dennoch geforderten Befolgung des Gesetzes. Nun dient das Gesetz nicht mehr allein der Sündenerkenntnis, sondern bleibt aktuelle Forderung auch an den gerechtfertigten Menschen. Indem Melanchthon den Zuspruch des Evangeliums sowohl imputativ als auch effektiv versteht, überwindet er die Trennung von

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Rechtfertigung und Heiligung mit Hilfe einer pneumatologisch fundierten Anthropologie. Daraus ergibt sich dann eine moderatere Betrachtung des menschlichen Willens. Konnte in den Loci communes 1521 der Eindruck entstehen, daß der Wille überhaupt keine Freiheit hat, da letztlich alle Affekte des Menschen schlecht sind, ist dem Willen im Zusammenhang mit der ethischen Vervollkommnung des Menschen durchaus eine gewisse Freiheit zugestanden, die theologische Relevanz besitzt, da die bonae mores untersützend den Raum für das Hören des Evangeliums in der Welt sichern helfen. Ihnen kommt jedoch dabei nicht die Funktion einer causa zu, da sie als Wirkung des durch den Glauben befreiten Willens betrachtet werden müssen. Diese Differenzierung der beiden Bereiche, coram Deo und coram mundo, hebt Melanchthon auch mit Hilfe unterschiedlicher Terminologie hervor. Spricht er von der evangelischen Freiheit des Willens, dominieren Begriffe wie cor, peccatum, lex etc. Behandelt er dagegen die philosophische Freiheit des Menschen, die bei ihm aber strenggenommen zur Freiheit zu ethischem Handeln wird, dann überwiegen die Ausdrücke affectus oder virtus. Diese begriffliche Differenzierung war in den Loci communes 1521 so noch nicht zu beobachten. Daß Melanchthon nun die Erfüllung des Gesetzes als gültige Forderung an den Menschen anmahnt, ist die bedeutendste Veränderung gegenüber den Loci communes 1521. Diese Neuerung ist von den politischen Umständen und von den persönlichen Erfahrungen in den 1520er Jahren her zu verstehen. Damals begann die zur Ethik hin gerichtete Veränderung in den Schriften Melanchthons. Diese Entwicklung hat nun auch für die Fragmenta locorum communium 1533 ihre Auswirkung gezeitigt. Die theologischen Auseinandersetzungen dieser Zeit haben sicherlich dazu geführt, die Forderung nach ethischem Handeln aus der Spannung von Gesetz und Evangelium heraus zur Geltung zu bringen, damit nicht der Eindruck einer Verdienstlehre hervorgerufen bzw. gefestigt wird, wie er bei Agricola entstanden war. Auf der anderen Seite wollte Melanchthon auch verhindern, daß das AT mit dem Gesetz identifiziert und aufgrund des Evangeliums im NT in seiner Bedeutung geschmälert wird, wie es bei Agricola und bei Servet beobachtet werden kann. Melanchthon bindet seine Willenslehre in eine komplexe Struktur theologischer Aussagen zu den wichtigen loci ein und gewinnt von daher die neue differenzierte Sicht, die den Willen des Menschen für seine doppelte Relation coram Deo et coram mundo jeweils spezifisch betrachtet.

5. Die Willenslehre in den Loci communes theologici recens collecti et recogniti a Philippo Melanthone von 1535

5.1 Einfuhrung Die Loci communes 1535 sind das Ergebnis von etwa zweijährigen Modifikationen und Vorarbeiten nach der Vorlesung aus dem Jahre 1533. Läßt sich die Unruhe der Jahre seit dem Beginn der Auseinandersetzung um die Bedeutung des Gesetzes mit Agricola im Jahr 1527 in den Fragmenta locorum communium 1533 noch nicht so eindeutig nachweisen, so wird die Betonung des Gesetzes 1535 um so augenfälliger - vielleicht auch, weil die Fragmenta locorum communium 1533 nicht vollständig überliefert sind. Der Abschnitt über das Gesetz ist in den Loci communes 1535 erheblich ausgeweitet gegenüber den Loci communes 1521 und differenzierter. Melanchthon verweist darauf, daß die Erläuterungen zum Gesetz und zu den usus legis erst in den loci von der Rechtfertigung und von den Werken ausführlich gegeben werden.1 Hieraus kann zweierlei geschlossen werden. Zunächst wird die Bedeutung des theologischen Topos lex als Verständnisgrundlage in alle loci eingetragen. Als zweites deutet dieses darauf hin, daß Melanchthon eine systematische Durchführung der Differenzierung von Gesetz und Evangelium vornimmt, wie sie vorher in dieser Deutlichkeit noch nicht feststellbar war. Die Konsequenz dieser Durchführung indiziert der neu aufgenommene locus De libertate Christiana, der die Unterscheidung der Relationen des Menschen coram Deo und coram mundo aufgrund der Betonung des Gesetzes und der Werke in den Loci communes 1535 akzentuiert. Die Notwendigkeit, die Bedeutung von Gesetz und Evangelium in ihrer wechselseitigen Beziehung konsequent in einem System zu verankern, verdeutlicht ein Blick auf die Jahre vor und nach der Ausgabe der Loci communes 1535. Das Erscheinen der beiden Abhandlungen über die Trinitätslehre2 Michael Servets 1531 und 1532 sowie der 1533 neu aufflammende Streit mit Johann Agricola anhand der Gültigkeit des AT und des Gesetzes sind Anlaß dieser Veränderungen gewesen. Die Periodisierung von Gesetz und Evangelium bei Agricola als AT und NT läßt durch die Überbetonung des Evangeliums das Gesetz als überflüssig erscheinen. Gegen diese Tendenz setzt Melanchthon nun eine ausführliche Lehre 1

Vgl. CR XXI, Sp. 406: „Nam cum de iustificatione dicemus, de secundo usu legis iterum dicendum erit. Tertius usus repetetur in loco de operibus; item, de abrogatione legis." 2 Vgl. M. SERVET, De Trinitatis Erroribus Libri Septem, Hagenau 1531. Vgl. DERS., Libri Duo.

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vom Gesetz, die ihm jedoch keine Ruhe bringen sollte; die Auseinandersetzungen um seine Theologie gingen weiter. Es war Melanchthons Ziel, die iustitia distributiva zur Geltung zu bringen, damit die Lehre von der Barmherzigkeit Gottes nicht dazu fuhrt, daß die Ethik vernachlässigt wird.3 Melanchthon wollte einen neuen Akzent auf die Ethik setzen. Hierzu bearbeitete er in dieser Zeit immer wieder die Nikomachische Ethik des Aristoteles, dort vor allem das 5. Buch, das die Aussagen zur Gerechtigkeit enthält, und den Römerbrief, den er als einzige biblische Schrift in dieser Zeit intensiv untersuchte.4 Diese deutliche Hinwendung zur Ethik ist als Tendenz bereits in den Fragmenta locorum communium 1533 nicht zu übersehen. Für die Loci communes 1535 weist Melanchthon in seinem Widmungsbrief an Kg. Heinrich VIII. v. England selber auf diese Intention hin.5 Daß Melanchthon der ethischen Unterweisung für den Christen und der Ausübung des Glaubens eine besondere Bedeutung zumißt, ergibt sich aus der Stellung dieser Erörterung im ersten Satz des Briefes. Sie stellt quasi die Prämisse der Loci communes 1535 dar. Von dieser Basis aus wird dann das methodische Vorgehen expliziert. Daß dieses Interesse dem Verhalten des Glaubenden gilt und nicht dem tugendhaften Verhalten des Ungläubigen, zeigen die verwendeten Begriffe pietas und exercitia piorum. Melanchthon richtet seinen Blick auf die theologische Ethik, auch wenn er auf die aristotelische Ethik zurückgreift. Pietas ist bei Melanchthon der Begriff für die „,christliche Frömmigkeit', zu der allerdings die mit der weltlichen Frömmigkeit bezeichneten äußerlichen Aspekte - konkretisiert durch die gebotene Liebe und den geforderten Gehorsam gegen Eltern und Obrigkeit - automatisch dazugehören. Weltliche Frömmigkeit kann es für Melanchthon zwar ohne christliche Frömmigkeit geben, aber christliche Frömmigkeit nie ohne weltliche Frömmigkeit."6 Melanchthon versteht sich mit seiner Absicht in der christlichen Tradition verankert. Auch die altkirchlichen Symbole verfolgten seiner Meinung nach das Ziel, die notwendigen Punkte der christlichen Lehre ad pietatem in einen kurzen Begriff zu stellen.7 Die Absicherung der Methode durch die Berufung auf die 3 Vgl. den Brief an den bayerischen Kanzler Dr. Leonhard Eck vom 18.10.1535, CR II, Nr. 1345, Sp. 956ff. 4 Vgl. CR XXVII, Annales vitae, Sp. 41-46. 5 Vgl. CR II, Sp. 921: „[...], collegi et ego praecipuos locos doctrinae Christianae, eosque quos arbitrabar maxime ad pietatem alendam conducere, et in vita et in exercitiis piorum usum habere, [...]." 6 MARTIN H. JUNG, Frömmigkeit und Theologie bei Philipp Melanchthon. Das Gebet im Leben und in der Lehre des Reformators, (BHTh 102) Tübingen 1998, S. 11. 7 Vgl. CR II, Sp. 922: „Sunt initio et symbola hoc consilio condita, ut extaret brevis quaedam summa doctrinae Christianae, in qua locos ad pietatem necessarios, tanquam simul in una tabula propositos, conspicere et complecti homines possent. Nam haec una est ratio utiliter

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altkirchlichen Symbole greift auf deren Dignität zurück, die vor allem dem Nicänum durch die zeitliche Nähe zur Entstehung der Schriften der Bibel zukommt.8 Diese Dignität führte sicherlich dazu, daß das Nicänum in der Kontroverse zwischen altgläubigen und protestantischen Theologen in der Reformationszeit unumstritten war. So kann Luthers Schrift von 1538 „Die drei Symbola oder Bekenntnis des Glaubens Christi" als Beweis dafür gelten, die Übereinstimmung mit der Alten Kirche darzulegen.9 Die mit dem besonderen Interesse an christlicher Ethik einhergehende Betonung der Werke führte trotz der ausfuhrlichen Erläuterungen zu einer Auseinandersetzung mit Konrad Cordatus und Nikolaus von Amsdorf, die erst Ende des Jahres 1536 beigelegt werden konnte.

5.2 Analyse 5.2.1 Das Gesetz als Schlüsselbegriff Die wichtige Bedeutung des Gesetzes für die Ausgestaltung der Loci communes 1535 läßt sich nicht nur dem gegenüber 1521 weiter ausgeweiteten und ausdifferenzierten locus De lege divina entnehmen, der in den Loci communes 1521 nur De lege heißt. Während in den Loci communes 1521 die Prädestination als Beurteilungsmaßstab für die Beantwortung der Frage, ob der Wille frei sei,10 gedient hat, gibt Melanchthon in den Loci communes 1535 wie auch in den Fragmenta locorum communium 1533 dem Gesetzesgehorsam die kriteriologische Funktion. Melanchthon sieht den Menschen vom Gesetz in dreifacher Weise in Anspruch genommen. Die Inanspruchnahme hat ihre Grundlage in der Konditionierung der Gesetzesverheißungen; der Gesetzesgehorsam wird vom Menschen also gefordert um der Verheißung willen." Konstitutiv für das Gesetz ist der göttliche Wille, der in der Gesetzesverheißung dem Menschen offenbart ist und sich auch durch die fortgesetzte Lenkung docendi. Quare non sum autor novi exempli in Ecclesia." - Dieses Verständnis läßt sich, so R. STAATS, auch Melanchthons Ennarationes Symboli Niceni von 1550 und 1557 entnehmen; vgl. REINHART STAATS, Das Nizänum in der lutherischen Reformation, in: L. Grane/A. Schindler/M. Wriedt (Hgg.), Auctoritas patrum. Zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert, (VIEG, Beiheft 37) Mainz 1993, S. 213-226 (künftig zitiert als „Nizänum"), S. 219. 8 Vgl. L. GRANE, remarks, S. 21. GRANE nennt die Nähe zur Entstehung der Schriften der Bibel zwar als Argument für die Dignität der Kirchenväter, dieses läßt sich m.E. vor allem auf das Nicänum übertragen. 9 Vgl. R. STAATS, Nizänum, S. 213 und 219. 10 Vgl. CR XXI, Sp. 375: „Sciendum est igitur de libero arbitrio: non posse homines legi Dei satisfacere." " Vgl. CR XXI, Sp. 398: „Sed sciendum est, omnes promissiones Legis conditionales esse."

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und Bewahrung der Schöpfung manifestiert.12 Das Gesetz wird in drei usus verwendet. Auffällig ist die Nennung des Begriffes usus legis divinae in der Überschrift, während die einzelnen usus dann im Text als officio bezeichnet werden. Der Sammelbegriff triplex usus legis erscheint bei Melanchthon noch nicht.13 Zunächst nennt Melanchthon das officium civile, das auf die äußere Ordnung abzielt, um damit den Wirkungsbereich für das Evangelium zu öffnen. Das Gesetz im secundum officium zeigt dem Menschen die Sünde auf und erschreckt daher die Gewissen. Diese beiden officio, entsprechen dem reformatorischen Gesetzesverständnis, wie es von Luther her bekannt ist.14 Das dritte officium des Gesetzes ist in dieser Eindeutigkeit gegenüber der Lehre Luthers und der Lehre der Loci communes 1521 und 1533 jedoch ein Novum. Dieses lehrt Melanchthon, um die Notwendigkeit ethischen Verhaltens, ausgerichtet am Gesetz, auch für den Glaubenden in Geltung zu setzen. Die Lehre vom tertium officium legis ist für die Willenslehre von hervorragender Bedeutung, weil in ihr die Unebenheit aus den Loci communes 1521 - das Nebeneinander von Prädestination und Gesetzesforderung - überwunden wird, indem das Gesetz zum Maßstab in der Willensfrage erhoben wird. Diese Darstellung der officio legis im Sinne des triplex usus legis, den Melanchthon in den Loci praecipui 1543 dann auch mit diesem Begriff bezeichnet, kann als Folge der Auseinandersetzung mit dem antinomistischen Widerspruch gegen die Lehre Melanchthons seit den Visitationsartikeln verstanden werden. Vor allem Agricola hatte dem Gesetz eine Funktion im Rahmen der Rechtfertigung im Zusammenwirken von Gesetz und Evangelium abgesprochen. Vielmehr füllt das Evangelium auch den Platz aus, der bei Melanchthon durch das tertium officium legis besetzt ist.15 Im Gegenüber zu der Lehre Agricolas differenziert Melanchthon wie auch schon 1533 dezidiert Gesetz und Evangelium. Gesetz ist alles, was die Verheißung an eine Bedingung knüpft, so daß Gesetz auch im NT zu finden ist. Melanchthon polemisiert so erneut gegen die Periodisierung von Gesetz und Evangelium als AT und NT. Er versteht die Buße als eine Bedingung, die nicht als evangelische Forderung betrachtet werden kann. Der Mensch wird durch das Gesetz zur Buße angeleitet. So ordnet Melanchthon die Buße in der Zusammenwirkung von Gesetz und Evangelium dem Geschehen des Gesetzes, also der Anklage zu. Er beruft sich dabei auf den Verkündigungsauftrag aus Lk 24,47, der

12 Vgl. CR XXI, Sp. 368: „Hic intelligenon solum conditionem, sedperpetuam gubernationem et conservationem." 13 Vgl. G. EßELING, triplex usus legis, S. 53f. 14 Zur Verwendung der Begriffe von den usus legis bei Luther vgl. G. EßELING, triplex usus legis, S. 58-64. 15 J.ROGGE, Lutherverständnis, S. 79. - Vgl. auch oben S. 130ff.

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Buße und Vergebung der Sünden parallelisiert wie Gesetz und Evangelium.16 Die Predigt der Buße ist fur Melanchthon gleichbedeutend mit der Predigt des Gesetzes und dem secundum officium legis}1 Buße kann aber nur durch das Gesetz bewirkt werden, wenn das Gesetz auf das Evangelium hin gelesen wird. Melanchthon kann daher sagen, daß auch das Evangelium die Buße lehrt.18 Diese Aussage muß vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium anhand der bedingten, beziehungsweise unbedingten Verheißung verstanden werden; auch das Evangelium mit der Vergebung der Sünden muß auf die Buße verweisen, damit der Glaubende versteht, was Vergebung der Sünden ist, weil er in der Buße seine Sünden erkennt. Die Bedeutung des Gesetzes in der „Dialektik" von Gesetz und Evangelium und die fortwährende Gültigkeit des Gesetzes auch für den Wiedergeborenen in Melanchthons Lehre vom Gesetz begründen seine Aussagen vom tertium officium legis. Mit der Hervorhebung der Bedeutung des Gesetzes in dieser Form möchte Melanchthon verhindern, daß das Evangelium zum Gesetz gemacht wird.19 Diese Lehre Melanchthons vom Gesetz hat eine doppelte Folge für die Willenslehre, die sich zum einen in der Lehre von der Rechtfertigung und zum anderen in der Lehre von den Werken nachweisen läßt. Gesetz versteht Melanchthon ganz im Sinne der Ausführungen in den Fragmenta locorum communium 1533, formuliert jedoch in den Loci communes 1535 ausfuhrlicher und klarer. Melanchthon unterscheidet drei Gesetzesformen: natürliches, göttliches und menschliches Gesetz. Das göttliche Gesetz ist wiederum zu unterscheiden in ein Judikal-, Zeremonial- sowie das Moralgesetz und wurde in der Hl. Schrift offenbart. Die ersten beiden Arten gelten allein für Israel, soweit sie nicht das natürliche Gesetz berühren. Das moralische Gesetz ist für alle Menschen gültig und hat seine besondere Ausprägung im Dekalog.20 Die lex moralis ihrerseits ist mit dem natür16

Vgl. CR XXI, Sp. 378: „Christus complexus est summam doctrinae Evangelii et quasi methodum informavit, cum iubet praedicare poenitentiam et remissionem peccatorum." Melanchthon lag offensichtlich ein Bibeltext vor, der die Variante zu der bei NESTLE-ALAND, Novum Testamentum Graece, 26. Auflage, Stuttgart 1979 als wahrscheinlicher angebotenen Lesart bietet. 17 Vgl. CRXXI, Sp. 378: „Porro praedicatiopoenitentiae accusat et damnat peccatum; [...]." 18 Vgl. CR XXI, Sp. 421: „Evangelium, ut dixi, docet in summa de poenitentia et remissione peccatorum propter Christum." 15 Vgl. CR XXI, Sp. 415: „Si enim non videamus hanc particulam de gratuita promissione, manet in animis dubitatio, et Evangelium transformatur in legem, et nihilo certiores reddit conscientias de remissione peccatorum seu iustificatione, quam lex aut naturale iudicium rationis." 20 Vgl. CR XXI, 391: „[...]; ideo omnia moralia praecepta in decalogum includimus, [...]."; vgl. CR XXI, Sp. 392: „[...], decalogus aptissima quaedam methodus est, in quam omnes leges morales includi possunt."

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lichen Gesetz konform, woraus sich der allgemeingültige Anspruch des moralischen Gesetzes an alle Menschen ableitet.21 Allen Menschen wäre daher die Erkenntnis des göttlichen Willens möglich, wäre die Erkenntnis nicht durch die Erbsünde verdunkelt. Der Mensch ist mit dieser sicheren Erkenntnis geschaffen worden; postlapsarisch wird er mit der äußerst verdunkelten Gotteserkenntnis geboren, so daß nun eine sichere Erkenntnis aus den Kräften des Menschen allein nicht mehr möglich ist.22 Diese Einschränkung der Erkenntnis hatte in der 7. Auflage der Loci communes 1521, also 1522 dazu gefuhrt, daß Melanchthon das erste Naturgesetz, Deus colendus est, nicht mehr als allgemein erkennbares Gesetz verstanden hatte, weil es der verdunkelten Erkenntnis des postlapsarischen Menschen verborgen bleibt.23 Hier ist die Wirkung der Erbsünde im Menschen angesprochen. Melanchthon begründet die ursprüngliche Möglichkeit der Erkenntnis der lex natura für den Menschen mit der Einprägung der Ebenbildlichkeit Gottes (imago Dei) in den menschlichen Geist.24 Darunter ist die natürliche intellektive Fähigkeit des Menschen zu verstehen, eine dem Glauben korrespondierende Erkenntnis Gottes zu haben, die dem menschlichen Willen gottgefällige Objekte vorstellen kann. Die Intelligibilität des Menschen ist ein grundlegendes Kennzeichen seiner Natur und „gleichzeitiger Ausdruck eines besonderen Gottesverhältnisses"25. Diese Erkenntnis wird durch die Erbsünde verdunkelt, so daß der Mensch dem Gesetz Gottes nicht mehr Genüge tun kann. Die Schwäche manifestiert sich vor allem in der Unfähigkeit, die durch das Gesetz geforderten geistlichen Bewegungen hervorzubringen. Das Gesetz entwickelt daher seine anklagende Wirkung, die verhindert, daß das Gewissen zur Ruhe kommt und dem ersten Gebot Folge geleistet wird.26 Die Ursache für diese Unfähigkeit des Menschen ist die Erbsünde, die die menschliche Natur korrumpiert, so daß sie mit dem Gesetz Gottes kämpfen muß.27 21

Vgl. CR XXI, Sp. 398: „Lex naturae est notitia legis divinae, naturae hominis indita." Vgl. CR XXI, Sp. 399: „Homo enim conditus est praecipue ad agnoscendum Deum et ad obedientiam perfectam erga Deum; ideo habuit notitiam firmam legis de Deo, [...]." und ebd.: „Et quia erant lumen naturae divinitus insitum, ideo mens hominis adsentiebatur eis certo sine ulla dubitatione, et vires omnes perfecte obedire isti notitiae poterant. [...]. Sed nunc ita est obscurata, nascimur adferentes obscurissimam quandam notitiam de Deo, [...]." 23 Vgl. CR XXI, Sp. 118, Anm. 26: „Primam legem, quomodo colligere possit, non video, sic occaecata, post Adae lapsum." 24 Vgl. CR XXI, Sp. 398f.: „Nec est quicquam in tota rerum natura melius ac pulchrius, neque ullum praesentius Dei vestigium, quam quod Deus hanc suam effigiem et imaginem suae sapientiae humanis mentibus impressit." 25 G. FRANK, Philosophie, S. 88. 26 Vgl. CR XXI, Sp. 393: „[...]; nam fiducia sine Christo nulla esse potest, cum Lex ipsa semper accuset et damnet." 27 Vgl. CR XXI, Sp. 378: „Peccatum [...] significat et perpetuum Vitium, hoc est, corruptionem naturae pugnantem cum lege et facta pugnantia cum lege Dei." 22

Analyse

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Melanchthon definiert Erbsünde in nahezu unveränderter Weise zu den Fragmenta locorum communium 1533, in denen die Erbsündendefinition vor allem im Gegenüber zu den diesbezüglichen Aussagen der altgläubigen Theologie vorgenommen wurde.28 Daß nun auch die Erkenntnismöglichkeit des Menschen von der Erbsünde betroffen ist, muß im Zusammenhang mit der umfassenden Betrachtung des Menschen verstanden werden, wie sie durch die Verwendung des Begriffes cor indiziert ist.29 Erbsünde ist keine qualitative Beschreibung der menschlichen Seele, sondern eine relationale des ganzen Menschen (totus homo). Sieht der Mensch sich nicht mehr in dieser Relation, dann erkennt er die eingestifteten leges naturales nicht mehr im Sinne der vestigia Dei. Ebenso verliert er die Erkenntnis seiner eigenen Ebenbildlichkeit (imago Dei). Es bleibt dem Menschen nun verborgen, daß mit den moralischen Forderungen nicht allein äußere Werke gefordert sind, sondern auch geistliche Bewegungen. Daß der Mensch die Forderungen als drückend empfindet und Gott daher hassen muß, führt Melanchthon in den Loci communes 1535 nicht deutlich aus. In den Fragmenta locorum communium 1533 war dieses noch eine wichtige Argumentationsfigur, um die anklagende Funktion des Gesetzes zu betonen, das den Menschen nicht zum Glauben anleiten kann. 1535 beschreibt er lediglich, daß der Haß auf Gott eine Folge der Sünde ist. Das bedeutet, daß das secundum officium legis als solches nicht mehr im Zentrum der Auseinandersetzung gestanden hat. Es ging nicht mehr darum, das Verständnis des Gesetzes als Anleitung zu heilsnotwendigen Handlungen abzuwehren, wovon noch die Kontroverse mit der altgläubigen Theologie im Nachklang des Augsburger Reichstages 1530 geprägt war. Vielmehr wollte Melanchthon die Notwendigkeit des Gesetzes an sich in seiner Theologie zur Geltung bringen. Hier treten also die innerprotestantischen Divergenzen in dieser Thematik zutage. Gesetz kann als neue und notwendige Offenbarung verstanden werden, die wegen der Verdunkelung des menschlichen Geistes geschehen ist, damit der Mensch die Erkenntnis des Willens Gottes überhaupt haben kann. Ohne das Wort und Zeugnis Gottes, wie es dem Menschen zum Beispiel im ersten Gebot begegnet, kann der Mensch nicht einmal sicher sein, was von ihm gefordert ist oder wie er antworten soll. Der Mensch bedarf also des Gesetzes, das er von der evangelischen Verheißung her überhaupt nur als Gesetz Gottes verstehen kann, um den

28 Vgl. oben S. 16ff. (K4). Vgl. auch CR XXI, Sp. 380: „Et hie sciendum est utrumque esse materiale peccati, et concupiscentiam et defectus; siquidem formale peccati vere ac proprie est reatus seu imputatio." und aaO., Sp. 382: „Quia enim ratio non cernit hanc infirmitatem esse rem damnatam et philosophia nihil iudicat esse vitiosum, quod non est in potestate nostra, [...]." 29 Vgl. CR XXI, Sp. 373: „Scriptura cum nominat cor, mentem et similia, complectitur iudicium et ipsas appetitiones veras, non simulatum aut externum opus."

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Willen Gottes zu erkennen.30 Das Gesetz zielt nun auf die Intelligibilität des Menschen. Dem Menschen war in seiner Ebenbildlichkeit auch ein Abbild der göttlichen Weisheit eingeprägt worden, mit dem die Einprägung der leges naturales verbunden war. Da nun aber auch die intellektive bzw. kognitive Seite des Menschen von der Erbsünde verdunkelt ist, kommt dem Gesetz so etwas wie eine ausgleichende Funktion im Verhältnis zur verdunkelten menschlichen Erkenntnis zu. Entsprechend Melanchthons Verständnis von der menschlichen Natur, das sich in der Analyse zu den Fragmenta locorum communium 1533 als strikt relationales erwiesen hat und in den Loci communes 1535 in gleicher Weise darstellt, zielt das Gesetz nicht auf den Ausgleich eines qualitativen Verlustes der menschlichen Vernunft. Das Gesetz hilft dem Menschen in seiner Dunkelheit, indem es ihm die beiden Relationen verdeutlicht, in denen er steht. Zum einen klagt es die Selbstliebe des Menschen an und setzt zum anderen die Gottesliebe dagegen, wodurch die Anklage der Selbstliebe geschieht. Mit der Wirkung des Gesetzes auf den ganzen Menschen ist nun aber darüber hinaus verbunden, daß der Mensch die Erkenntnis, die ihm ursprünglich im Naturgesetz als klare Erkenntnis eingeprägt worden war, erneut gewinnen kann, indem er sich in der Relation zu Gott versteht. In diesem Sinne kommt dem Gesetz auch die Funktion zu, im Blick auf das Evangelium dem Menschen den Willen Gottes für ein ethisch bewußtes Handeln vorzuhalten. Melanchthon hebt in den Loci communes 1535 das Gesetz in secundum und tertium officium als notwendige Verkündigung des göttlichen Willens an die Sünder und die volle Gültigkeit des Gesetzes auch für den Wiedergeborenen hervor. Diese beiden Schwerpunkte lassen darauf schließen, daß die Kontroverse mit der altgläubigen Theologie nun weniger im Zentrum von Melanchthons Interesse stand als die für ihn ebenso verheerende Ablehnung der Bedeutung des AT für die protestantische Verkündigung, die das Evangelium zum Gesetz machen und den christlichen Glauben seines Propriums, der bedingungslosen Rechtfertigung, berauben würde. Ohne diese Verheißung der bedingungslosen Rechtfertigung ist der Glaube des Menschen nicht auf Christus gerichtet, sondern auf die eigenen Werke. Eine Tröstung des Gewissens wird dann nicht erreicht, da das Gewissen als dictamen rectae rationis die richtige Erkenntnis benötigt, die der ratio außerhalb der Relation zu Gott nicht möglich ist. Diese Erkenntnis ist allein im Glauben möglich, da es sich nicht um eine notitia historica handelt, sondern 30

Vgl. CR XXI, Sp. 392: „Modus est, ut apprehendatur Deus per suum verbum et testimonium. Quia enim ratio humana, cum sine verbo et testimonio Dei quaerit Deum aut instituit cultus, non potest reddi certa, sed dubitat, utrum apprehenderit Deum, utrum Deus curet humana, utrum Deo placeant isti cultus etc."

Analyse

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um notitia de Deo. Die notitia historica kann allein zu einem iudicium naturale rationis fuhren,31 das aufgrund der Verdunkelung der Erkenntnis nicht das iudicium rectae rationis sein kann.

5.2.2 Evangelium als bedingungslose Verheißung Die besondere Betonung der Bedeutung des Gesetzes führte dazu, daß Melanchthon auch die Lehre vom Evangelium pointierter als in den Fragmenta locorum communium 1533 darstellte. Melanchthon mußte verhindern, daß die Antinomisten im protestantischen Lager ihren Verdacht bestätigt fanden, daß nun die Rechtfertigung an die Erfüllung des Gesetzes gebunden wird, da die Gesetzesforderungen als weiterhin gültig von Melanchthon interpretiert wurden. Zu diesem Zweck hat Melanchthon die Differenzierung von Gesetz und Evangelium anhand der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Verheißung erklärt. Auch das Gesetz gibt eine Verheißung, die jedoch als Lohn an die Erfüllung einer Forderung gebunden ist. In dieser Unterscheidung von konditionierter und gnadenhafter Verheißung besteht der entscheidende Grund, Gesetz und Evangelium zu differenzieren.32 Als Negation jeglicher Bedeutung der Werke für die Verheißung des Evangeliums verwendet Melanchthon immer wieder den Begriff gratis. Das Evangelium ist die gnadenhafte Verheißung der Sündenvergebung, der Gerechterklärung und der Erneuerung des Sünders.33 Hinter der Trias Sündenvergebung, Gerechterklärung und Erneuerung des Sünders verbirgt sich ein Zweifaches. Durch die gnadenhafte Verheißung der Sündenvergebung und der Gerechterklärung wird die Bedingung und damit die Last der Rechtfertigung vom Menschen genommen und auf Christus extra nos übertragen.34 Melanchthon umfaßt mit diesen beiden Ausdrücken die Erklärung der imputatio der iustitia aliena. In Christus ist die Rechtfertigung des Sünders bereits vollendet. Die Erneuerung des Sünders oder auch die Erbschaft 31 Vgl. CR XXI, Sp. 415: „Si enim non videamus hanc particulam de gratuita promissione, manet in animis dubitatio, et Evangelium transformatur in legem, et nihilo certiores reddit conscientias de remissione peccatorum seu iustificatione, quam lex aut naturale iudicium rationis." 32 Vgl. CR XXI, Sp. 414: „Sed sciendum est, duplices esse promissiones in scripturis divinis. Quaedam sunt additae legi, et habent conditionem legis, hoc est, exhibentur propter impletionem legis. Tales sunt promissiones legis. [...] Alia est promissio Evangelii propria, quae non habet conditionem legis tanquam caussam, hoc est, non promittit propter impletam legem, sed gratis propter Christum." 33 Vgl. CR XXI, Sp. 415f.: „Haec sit Evangelii definitio, in qua tribus membris complexi sumus beneficia Evangelii propria, scilicet, quod propter Christum gratis remittantur peccata, quod gratis pronuntiemur iusti, hoc est, reconciliati seu accepti, et haeredes vitae aetemae." 34 Vgl. CR XXI, Sp. 415: „Proinde particula, Gratis, non excludit fidem, sed conditionem nostrae dignitatis excludit, et transfert caussam beneficii a nobis in Christum."

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des ewigen Lebens sind als Heiligung davon zu unterscheiden, dürfen aber nicht davon getrennt werden. Diese gnadenhafte Verheißung kann sich der Mensch nicht selber sagen. Sie ist nicht, wie die gesetzliche, mit der Vernunft zu begreifen. Hier ist der Mensch auf die göttliche Offenbarung angewiesen. Die Gnadenhaftigkeit der Sündenvergebung ist so auch der Unterschied zwischen der Beruhigung des Gewissens, daß die Verheißung gewiß ist, und dem Zweifel.35 Mit der Erneuerung des Sünders, mit der der Empfang des Glaubens einhergeht, aus dem heraus der Mensch leben kann, ist die Gabe des Heiligen Geistes verbunden. Die pneumatologische Verankerung der Heiligung in seiner Theologie hat Melanchthon bereits in den Fragmenta locorum communium 1533 ausgeführt. Indem die Gabe des Heiligen Geistes in der Rechtfertigung von Melanchthon hervorgehoben wird, ist die Heiligung des Lebens durch den Glaubenden als Folge der Rechtfertigung an diese untrennbar gebunden. Die Rechtfertigung als Zurechnung der Gerechtigkeit ist dabei das in Christus abgeschlossene Geschehen.36 Dieses ist Gegenstand des Glaubens und Quelle der anderen Früchte, da mit diesem Geschehen die Gabe des Heiligen Geistes und die des Glaubens verbunden sind. In dieser Verbindung versucht Melanchthon der Kritik vorzubeugen, die die Werke des Wiedergeborenen in seiner Lehre als Ursache der Rechtfertigung verstehen könnte, da Melanchthon die zur Rechtfertigung des Sünders gehörende Heiligung als einen Prozeß im Leben des Sünders beschreibt.37 Diese Zweiheit des Rechtfertigungsgeschehens nimmt in der Lehre vom Gesetz die Unterscheidung von secundum officium und tertium officium legis auf. Es wird deutlich, wie sehr Melanchthon die Lehre von Gesetz und Evangelium durchgestaltet und zum tragenden Gerüst der Loci communes 1535 ausgeformt hat.38 35 Vgl. CR XXI, Sp. 415: „Est igitur Evangelium praedicatio poenitentiae et promissio, quam ratio non tenet naturaliter, sed revelata divinitus, in qua Deus pollicetur, se propter Christum filium suum remittere peccata, et nos pronuntiat iustos, id est, acceptos, et donat Spiritum sanctum et vitam aetemam, modo ut credamus, hoc est, confidamus haec nobis propter Christum certo contingere; atque haec gratis pollicetur, ut sint certa." 36 Vgl. CR XXI, Sp. 421f.: „Cumque Deus remittit peccata, simul donat nobis spiritum sanctum, qui novas virtutes in piis efficit. Et libenter et clara voce profiteor, oportere in piis existere non tantum fidem, sed etiam alios fructus Spiritus, ut postea dicemus. Neque tarnen propterea iudicandum est, nostram dignitatem aut munditiem causam remissionis peccatorum esse." Vgl. auch CR XXI, Sp. 422: „Et contendit ita pronuntiari nos iustos, si credamus nobis remitti peccata." 37 Zu den tatsächlich entstandenen Mißverständnissen vgl. W.H. NEUSER, Luther und Melanchthon, S. 8ff. 38 Vgl. auch W.H. NEUSER, Ansatz, Diss.masch., S. 88f. (Seitenzählung im Original: S. 120ff.) Für Neuser liegt das Gewicht jedoch so sehr auf dem Gesetz, daß letztlich das Evangelium in Melanchthons Theologie in den Loci communes 1535 an die Gesetzeserfullung gebunden sei.

Analyse

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Daß die Werke des Menschen als Früchte der Rechtfertigung keine Rechtfertigungsdignität besitzen, unterstreicht Melanchthon mit der Gnadenlehre. Hatte Agricola bei Witzel gesehen, daß die Betonung der Werke die Rückkehr zum alten Glauben mit sich bringen kann, so trifft diese Befürchtung auf Melanchthon keinesfalls zu. Ein meritorisches Verständnis der Werke war für Melanchthon weiterhin völlig ausgeschlossen. Gnade ist Attribut des Gegenübers im Glauben. Im Glauben erkennt der Mensch, daß Gott das Subjekt des gnadenhaften Handelns ist. Die Gnade wird dem Menschen nicht als gratia habitualis gegeben, so daß der Glaube als Beschreibung der Relation des menschlichen Vertrauens auf die Wohltat zu verstehen ist, die propter Christum verheißen ist.39 In diesem Vertrauen wird das Gewissen, das dem Menschen Rechenschaft über seine eigenen Taten ablegt, getröstet und kommt zur Ruhe. Gnade bedeutet also gerade keinen habitus, sondern ist in ihrer das menschliche Gewissen tröstenden Wirkung zu interpretieren.40 Dabei betont Melanchthon neben der Universalität die Personalität der Gnade.41 Der Mensch soll sich als Einzelner von der Gnade angesprochen fühlen; damit ist als Folge der Gnade auch das Handeln eines jeden Einzelnen im Blick. Die Taten eines jeden Menschen und damit auch sein Wille sind bedeutungsvoll für das Leben im Glauben. Die Bedeutung der Taten des Menschen für die Heiligung wird ermöglicht durch die christliche Freiheit, die dem Menschen durch die gnadenhafte Vergebung der Sünden geschenkt wird. Diese führt zur Tröstung des Gewissens und ermöglicht damit, daß der Mensch aus seinem eigenen Rechtfertigungszwang befreit ist, durch den er das Gesetz als Weg zur Gerechtigkeit mißdeutet.42 Von diesem Rechtfertigungszwang mit seiner Verunsicherung des Gewissens durch die Anklage des Gesetzes ist der Mensch befreit, wenn er Buße tut.43 Die Vorausset39 Vgl. CRXXI, Sp. 423: „Quare cum dicitur,fide iustificamur, ita recte intelligi haec figura potent, cum transformabitur in correlativam: Iustificamur per misericordiam promissam propter Christum; [...]." 40 Zur Gnade als qualitas vgl. THOMAS V. AQUIN, STh I—II, q 110,2. Vgl. auch THOMASALBERT DEMAN, Kommentar, in: Thomas von Aquin, Der neue Bund und die Gnade ..., (Die deutsche Thomas-Ausgabe Bd. 14), Heidelberg u.a. 1955, S. 285-441 (künftig zitiert als „Kommentar"), S. 354ff. Zur Gnade als habitus infusus vgl. G. BIEL, Collectorium, II d. 26 q. un.; vgl. auch L. GRANE, Contra Gabrielem, S. 88f. 41 Vgl. CR XXI, Sp. 428: „Ideo non repugnemus mandato Dei, sed credamus, et se singuli in illam universalem promissionem includant, et sciant se vere consequi beneficium Christi, si credant promissioni." 42 Vgl. CR XXI, Sp. 458: „Primus gradus libertatis Christianae est, quod non propter legem, sed gratis propter Christum donantur remissio peccatorum et imputatio iustitiae. [...]; estque libertas spiritualis prorsus nihil ad exteriorem seu civilem vitam pertinens, sed tantum pertinet ad certamen conscientiae in iudicio Dei, in quo opus est hac consolatione." 43 Vgl. CR XXI, Sp. 459: „[...]: Esse liberum a lege, non esse liberum ab obedientia legis moralis, sed a maledictione legis; [...]."

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zung fur das Gesetzesverständnis im Sinne des tertium officium ist das Verständnis des Gesetzes vom Evangelium her. Nur von der dem Glauben korrespondierenden Erkenntnis der Barmherzigkeit Gottes her versteht der Mensch das Gesetz nicht als Forderung, die er nicht erfüllen kann. Befreit vom Gehorsamszwang strebt der Mensch, bewegt vom Heiligen Geist, nach der Erfüllung des Gesetzes, ohne sein Scheitern als Verurteilung zu empfinden, da er an die Vergebung der Sünde in Christo glaubt. 5.2.3 Der Wille des Menschen und die Werke Der Rechtfertigung, die sich im Menschen durch die Gabe des Heiligen Geistes manifestiert und in der imputatio iustitiae alienae und damit in der remissio peccatorum besteht und sich im Glauben äußert, müssen die guten Werke notwendig folgen. Das bedeutet, daß die Rechtfertigung des Sünders im Lebensvollzug nicht folgenlos bleiben darf. Die Werke bleiben gefordert trotz der evangelischen Verheißung, die eine Verheißung ohne Bedingung ist. Die Notwendigkeit der weiterhin gültigen Gesetzesforderung für die Heiligung ergibt sich in der Unterscheidung von Rechtfertigung und Heiligung. Für die Heiligung sind die Gesetze notwendig wegen der Einübung des Glaubens.44 Die Betonung der Einübung einer Grundhaltung ist gegenüber den vorangegangenen Loci-Ausgaben neu. Sie hat ihren Auslöser vermutlich in der erneuten Beschäftigung Melanchthons mit der Aristotelischen Ethik. Aristoteles lehrt, daß eine feste Grundhaltung aus wiederholten gleichen Einzelhandlungen erwächst.45 Die von den Menschen wiederholt versuchte Befolgung des Gesetzes im Glauben führt zu der geforderten Bußhaltung. Prüfstein ist das Gewissen des Menschen, das durch den Glauben darin beruhigt ist, daß die Übertretung des Gesetzes in Christus vergeben ist und daher Gott ganz vertrauen kann.46 Melanchthon versteht anhand von Rom 5,1 das Gewissen als ein durch das Gesetz erschrockenes. Der Schrecken hat seinen Auslöser darin, daß das Gesetz lediglich mit der notitia historica erkannt wird und daher nur die Einsicht des eigenen Scheitems an der als richtig erkannten Forderung bleibt. Der Glaube, der sich auf die beneßcia Christi richtet, ist in diesem Streit das beruhigende Licht,

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Vgl. CR XXI, Sp. 435: „Sic exerceri fidem Deus praecipit, et ob hanc causam operibus addidit promissiones, ut fidem per tales occasiones exerceamus, [...]." 45 Vgl. ARISTOTELES, Nikomachische Ethik, hrsg. v. Immanuel Bekker, 1831, S. 1103b 22f.; 1114a 9-11. 46 Vgl. CR XXI, Sp. 432: „Postremo nec fides potest existere cum mala conscientia, quia fides est fiducia, quod Deus sit nobis propitius. Mala conscientia contrarium iudicat. Item, qui non agunt poenitentiam, sed indulgent vitiosis cupiditatibus, non retinent fidem."

Analyse

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das der ratio die Erkenntnis eröffnet, daß die Sünde vergeben ist.47 Hat der Mensch dieses dictamen rectae rationis und richtet sich auch danach, so verharrt er in der geforderten Bußhaltung. Hier kommt nun die gegenüber den Loci communes 1521 veränderte metaphysische Psychologie zum Tragen, die der Willenslehre Melanchthons zugrundeliegt. Aufgrund der mit dem Glauben einhergehenden Erkenntnis, durch die die ratio wieder als recta ratio dem Willen die richtigen Objekte zeigen kann, bekommt der Wille die entscheidende Funktion in der Heiligung. Melanchthon ordnet den Willen auf der Seite der appetitiven Kräfte mm wieder den vires superiores zu, wodurch er dem Menschen die Möglichkeit konzediert, sich den vires inferiores zu widersetzen, zu denen nun auch die Affekte zählen.48 Melanchthon nimmt also das Schema der Triebkontrolle durch den Willen auf, wie es aus der aristotelischscholastischen Tradition und aus der Tugendlehre des Humanismus bekannt ist. Dabei kann man die Frage, ob der Wille die vires inferiores eindämmen kann oder nicht, durchaus im Sinne der scholastischen Tugendlehre als die Frage nach der Funktion des Willens im Kampf der höheren mit den niederen Seelenkräfte verstehen.49 Es geht Melanchthon hier jedoch ausschließlich um die Heiligung des Menschen, die der extra nos geschehenen Rechtfertigung folgen muß. Das bedeutet, daß das Gewissen an den nun vom Glauben her erkannten Forderungen des Gesetzes geschärft wird. Handelt der Mensch dann mit einem guten Gewissen, kann das Werk durchaus als gutes Werk bezeichnet werden. Aber auch dieses Werk hat die Würde nicht aus sich selbst oder vom Täter, sondern von Gott.50 Das liegt begründet in der sich im Menschen vollziehenden Rechtfertigung, die den Menschen stets als simul iustus et peccator existieren läßt.51 Da sich die Beurteilung des Täters aus der Relation coram Deo ergibt, konstituiert diese Relation

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Vgl. CR XXI, Sp. 427: „Hic duo tribuit fidei, quod et iustificemur fide, et quod fides reddat pacatas conscientias. Quare fidem non intelligit Paulus otiosam notitiam, sed luctantem cum terroribus in certamine conscientiae." 48 Vgl. CR XXI, Sp. 373: „Voluntas, quae vel obtemperat vel repugnat iudicio, et imperat inferioribus viribus." 49 Die Einordnung des Willens in die vires superiores zur Triebkontrolle kann durch das erneute Studium der Nikomachischen Ethik von Aristoteles motiviert sein. Aristoteles sieht in der willentlichen Abwehr übermäßiger Empfindungen einen Ausdruck tugendhaften Lebens. Dieses gilt für alle von ihm erörterten Tugenden in den Büchern II-IV der Nikomachischen Ethik. 50 Vgl. CR XXI, Sp. 432: „Etsi virtutes et bonae actiones nostrae nequaquam satis excitatae aut mundae sunt, tarnen ad gloriam Christi pertinent, ideo magna earum dignitas est. Et ut sciamus eas Deo valde placere, ornat eas Deus honorificis titulis." 51 Vgl. CR XXI, Sp. 430: „Reliqua est enim in sanctis concupiscentia, ut constat, quae est sua natura peccatum et digna morte; nec est otiosa, sed perpetuo parit vitiosos affectus."

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die Natur des Menschen und damit auch die Güte seiner Werke.52 Daraus folgt, daß auch diese bona opera des Sünders vergebungswürdige Sünden sind.53 Diese Lehre von der Heiligung liegt in einer Linie mit der von Melanchthon in den Fragmenta locorum communium 1533 expressis verbis vorgenommenen Differenzierung von Person und Werk,54 die in dieser Deutlichkeit wie in den Fragmenta locorum communium 1533 in den Loci communes 1535 nicht vorgenommen wird. Melanchthon zieht trotz der Verwendung des aristotelisch-scholastischen Schemas einer möglichen Triebkontrolle des Willens gegenüber den Affekten nicht den Schluß, daß der Mensch dadurch in die Lage versetzt wird, opera meritoria zu erlangen, wie es aufgrund der Lehre von der gratia habitualis in der scholastischen Theologie verstanden worden ist. Er weist dem Willen im Zusammenhang von Rechtfertigung und Heiligung dennoch eine Rolle zu. Er bezeichnet den Willen neben dem Wort und dem Heiligen Geist als eine causa im Zusammenhang von Rechtfertigung und Heiligung. Es ist die Aufgabe des Willens, seine eigene Schwäche zu bekämpfen.55 Nachdem bereits die Wirkung der Sünde auf die Erkenntnisfähigkeit und auf die vires inferiores als pravae cupiditates erwähnt wurde, sieht es Melanchthon nun in die Verantwortung des Willens gegeben, den pravae cupiditates nicht zu folgen, was aber aufgrund der Schwäche des Menschen nicht immer möglich ist. Diese Schwäche ist als Folge der Sünde zu verstehen, so daß Melanchthon die Verdorbenheit des menschlichen Herzens in biblischer Sprache auch in den Kategorien der metaphysischen Psychologie als umfassende Krankheit aller Seelenkräfte darstellt. Daß dieser geschwächte Wille befähigt wird zu einer Entscheidung gegen seine eigene Schwäche, bewirkt das Wort Gottes selbst. Das Wort versteht Melanchthon zum einen selbst als verbum efflcax im Sinne des schöpferischen Wortes Gottes, zum anderen als das Wort, durch das der Heilige Geist wirkt, der dem Menschen gegeben wird.56 Die Wirkung des verbum efficax ist der Glaube als Beginn des neuen Lebens in der Gabe des Heiligen Geistes. Der Mensch wird nicht qualitativ verändert, wie es in der Confutatio durch die Taufe angenommen

52 Vgl. CR XXI, Sp. 387: „[...]; ideo opus ipsum non est obedientia erga Deum. Ille autem est iustus finis operum vere bonorum, ut sint obedientia erga Deum. Deus igitur rem quidem bonam requirit, sed natura vitiosa illud ipsum, quod Deus requirit, contaminat." 53 Vgl. CR XXI, Sp. 430: „Haec vitia non sunt extenuanda, sed sunt sua natura vere peccata, sed condonantur credentibus." 54 Vgl. oben S. 130ff. 55 Vgl. CR XXI, Sp. 376: „In hoc exemplo videmus coniungi has causas, Verbum, Spiritum sanctum, et voluntatem, non sane otiosam, sed repugnantem infirmitati suae." 56 Vgl. CR XXI, Sp. 367: „Ubi significat, res ex nihilo conditas esse per verbum Dei." Vgl. auch CR XXI, Sp. 376: „Et Spiritus sanctus ibi efficax est per verbum."

Analyse

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wird.57 Verändert wird durch das Wort die Lebenswirklichkeit des Menschen, der im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit die Tröstung des Gewissens empfängt. Diese Veränderung ist für den Menschen eine ebenso umfassende wie vorher die Veränderung durch die Sünde, jedoch dieser entgegengesetzt. Der Mensch empfängt die neue Erkenntnis Gottes, die mit dem Glauben einhergeht, und das neue Leben, also die Kraft zu Entscheidungen des Willens auch gegen die pravae cupiditates.$i Wenn Melanchthon die voluntas als causa bezeichnet, so versteht er darunter nur den zur Entscheidung durch das Wort und den Geist befreiten Willen. Melanchthon spricht in diesem Kontext von der voluntas und nicht vom liberum arbitrium. Er bezieht sich also auf das Streben des Menschen und nicht auf dessen grundsätzliche Möglichkeit, sich frei für die Annahme des Glaubens zu entscheiden. Letzteres schließt die Bestimmtheit aus, mit der Melanchthon von der umfassenden Sünde des Menschen auch nach der Erneuerung und dem Beginn des neuen Lebens spricht. Eine willentliche, nicht sündliche Tat bleibt auch weiterhin ausgeschlossen. Es kann daher von der voluntas des Menschen als dem von Gott befreiten Willen gesprochen werden. Diese Befreiung des Willens ist die Ursache für die dem Menschen geschenkte Möglichkeit, sich dem Bösen zu widersetzen. Die Möglichkeit ist an die Gabe des Heiligen Geistes gebunden, der die Menschen regiert und verteidigt. Um diese Unterstützung soll der Mensch in der Anfechtung bitten. Die Möglichkeit, sich des Bösen zu enthalten, ist dem Menschen also nicht als eigene Kraft gegeben; vielmehr empfängt er sie aus dem Glauben in der Bitte um die Unterstützung des Heiligen Geistes.59 Diese Befreiung bewirkt ein Doppeltes. Sie ist zunächst die Voraussetzung dafür, daß der Mensch in der Heiligung etwas bewirken kann; sodann besteht sie in der Begleitung des Willens in seinem Wollen im Rahmen der Heiligung.60 Das befreite willentliche Handeln geschieht zusammen mit der Erkenntnis der Wohltat 57

Vgl. Confutatio, S. 80,15-21. Vgl. CR XXI, Sp. 383: „In baptismo remitti reatum, et tarnen manere ipsum morbum; hoc est, manet morbus, sed non imputatur credenti. Praeterea cum datur Spiritus sanctus, concipimus novos et pios motus, quibus aliqua ex parte corrigi morbus incipit. Atque ita per omnem vitam luctandum est cum hoc morbo dupliciter: primum fide statuendum est, quod non imputetur; deinde fide etiam concipienda est notitia Dei et fiducia misericordiae et consolatio; hoc cum fit, aliquo modo corrigitur morbus, et inchoatur vita aeterna." 59 Vgl. CR XXI, Sp. 458: „Secundus gradus est donatio Spiritus sancti, quo credentes vivificantur et reguntur ac defenduntur adversus saevitiam diaboli. [...]. In pavoribus conscientiae primus gradus intuendus est; in aliis vitae periculis secundus gradus admoneat nos, ut nos erigamus et petamus regi et defendi Spiritu sancto." 60 Vgl. CR XXI, Sp. 428: „De libero arbitrio supra diximus: Quoniam a verbo ordiendum est, non debemus repugnare verbo. Agimus igitur aliquid, cum desperationi resistimus, et nos erigimus atque consolamur promissione Christi. Quod cum facimus, Deus est efficax per verbum, et nos adiuvat." 58

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Christi, die auch den historischen Hintergrund benötigt, an den sie sich halten kann. Gemeinsam mit dieser Erkenntnis ereignet sich ein Akt oder ein habitus des Willens, mit dem der Mensch die Verheißung Christi annehmen will. Die Anleitung zu diesem Akt des Willens gibt dem Wiedergeborenen das Gesetz. Melanchthon hebt jedoch hervor, daß dieser Akt des Willens nicht selbst das Heil herbeifuhrt, sondern er verweist in diesem Zusammenhang auf Christus. Von Christus her entwickelt sich das Vertrauen sowohl durch die notitia historica als auch durch den actus voluntatis. Erkenntnis und Wille zielen beide auf die Verheißung Christi, von der her sie ihre Bestimmung erhalten. So bringt das Gesetz im tertius usus als Anleitung zur Buße die Gesetzesforderungen neu zur Geltung, so daß das Gesetz einerseits seine anklagende Wirkung voll entfaltet. Andererseits geschieht dieses aber von der evangelischen Verheißung aus und auf diese hin, so daß das Vertrauen in Christo letztlich zur Ruhe kommt.61 Die Vorordnung des Rechtfertigungsgeschehens als Gerechterklärung des Menschen vor jegliches Handeln des Menschen betont Melanchthon immer wieder. Er weist aber ebenso daraufhin, daß die Gabe des Heiligen Geistes im Menschen Folgen hat, die nicht von alleine entstehen. Der Mensch ist als intelligibles Wesen mit Verstand und Willen von Gott geschaffen, so daß er durch den Willen befähigt ist, Handlungen willentlich hervorzubringen. An dieser Disposition des Menschen geht in der Sicht Melanchthons auch das Rechtfertigungsgeschehen nicht vorbei. Der Mensch ist keine Statue, sondern hat einen Willen, der tatsächlich in das Rechtfertigungsgeschehen eingebunden wird. Die Einbindung des Willens geschieht, indem der Mensch mit dem Willen der Verzweiflung widerstehen soll und sich durch die Verheißung Christi tröstet. Damit läßt der Mensch auch in seinem Leben das Wort Gottes wirksam sein, so daß er die Unterstützung Gottes erfährt.62 Der Wille, der dem Wort nicht widerstreben soll, ist aber keine Einschränkung der Wirksamkeit des Gotteswortes. Melanchthon verwendet das „ cum " in dem Satz „ Quod cum facimus, Deus est efficax per verbum, et nos adiuvat. "63 als cum explicativum, so daß dem Menschen das „Wie" des eigenen Handelns erklärt wird, um sich nicht der Heiligung zu widersetzen. Melanchthon bindet die Vernunft und den Willen des Menschen in seine Theologie ein und bezieht ihre Wirksamkeit auf die Heiligung, d.h. auf die opera externa, die zu dem Teil der Welt gehören, auf den sich die menschliche Vernunft erstreckt. Die Heiligung beruht dabei jedoch nicht auf einer bloßen Vernunfterkenntnis des postlapsarischen Menschen, sondern auf der Glaubenserkenntnis des 61

Vgl. CR XXI, Sp. 422: „Complectitur ergo fiducia illa et notitiam de Christo filio Dei, et voluntatis seu habitum seu actionem, qua vult et accipit promissionem Christi, atque ita acquiescit in Christo." 62 Vgl. oben S. 153, Anm. 60. 63 CR XXI, Sp. 428.

Analyse

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vom Heiligen Geist bewegten Menschen. So ist die Heiligung das Handeln des Einzelnen aus seinem persönlichen Glauben heraus. Melanchthon spricht zwar von einer universalen Verheißung der Gnade, betont aber im Zusammenhang mit der Aufgabe des Willens die Personalität des Geschehens. Die Verheißung gilt jedem Einzelnen,64 so daß die Folge, die Heiligung des Lebens, auch bei jedem Einzelnen sichtbar werden muß. Indem die Gnade jedem Einzelnen persönlich zuteil wird, bleibt trotz der Gnade die individuelle Sünde von Belang und damit das Handeln jedes Einzelnen. Vergebung der Sünden bedeutet nämlich auch, daß der Mensch vor Gott für sein Handeln verantwortlich ist. Melanchthon greift hier auf eine Erkenntnis zurück, die er aus dem 5. Buch der Nikomachischen Ethik des Aristoteles gewonnen hat. Dort beschreibt Aristoteles verschiedene Formen der innerweltlichen Gerechtigkeit, u.a. auch die iustitia distributiva. Er versteht diese als Gerechtigkeit des Einzelnen im Verhältnis zum Ganzen und bezeichnet sie als geometrische Proportion. Dieser Aussage liegt die Meinung zugrunde, daß Gerechtigkeit niemals ein Extrem ist, sondern stets ein Mittleres. Bei der iustitia distributiva wird das Mittlere als geometrische Proportion beschrieben, also jeder erhält z.B. seinen Anteil am Gewinn entsprechend des Einsatzes. Melanchthon schreibt bezüglich dieser Aussagen von Aristoteles in einem Brief vom 18.10.1535 an den bayerischen Kanzler Dr. Leonhard Eck, daß er diese Passage, bezogen auf Gott, mit vielen anderen lange Zeit falsch verstanden habe, und bezieht sich mit dieser Aussage auf die Lehre von der Gerechtigkeit Gottes von Anselm v. Canterbury, Petrus Lombardus, Thomas v. Aquin, Bonaventura, Johannes Duns Scotus und Gabriel Biel, um nur die Hauptvertreter zu nennen. Sie alle verstanden die Gerechtigkeit Gottes letztlich als ein Nebeneinander von strafender Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, wenn auch einige von ihnen den Versuch unternahmen, „Gerechtigkeit und Barmherzigkeit durch einen Oberbegriff, die condecentia bonitatis divinae, zu einen"65. Aristoteles spreche aber, so Melanchthon, an dieser Stelle nicht nur von den Strafen, sondern auch von den Tugenden, so daß Melanchthon L. Eck aufgefordert sieht, entsprechend dessen politischen Möglichkeiten zum Wohl der Wissenschaften und des Staates zu handeln.66 64 Vgl. CR XXI, Sp. 428: „Ideo non repugnemus mandate Dei, sed credamus, et se singuli in illam universalem promissionem includant, [...]." 65 H. BORNKAMM, Iustitia dei in der Scholastik und bei Luther, in: ARG 39,1942, S. 1-46, Zitat S. 22. 66 Vgl. CR II, Nr. 1345, Sp. 957: „Consilium Aristotelis de distributiva iustitia numquam intellexi, ac multa mihi obstrepebant, donee totum ilium locum animadvert! ex Quinto de legibus Piatonis sumptum esse. Hic primum vidi quid spectaverit Aristoteles, qui quidem solet lectissimas sententias ex Piatone decerpere, et in methodum conferre. Nam tum alii inepte hunc locum in Aristotele de poenis intellexerint, hic longe aliud agit. Omnia personarum discrimina in vita

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Die Willenslehre in den Loci communes 1535

Iustitia distributiva Dei bedeutet demnach, daß Gott für böse Taten Strafen angedroht, für gute Werke aber auch schon in dieser Welt Lohn verheißen hat, auch wenn diese Taten das ewige Leben nicht verdienen. Gerechtigkeit Gottes muß nicht auf die strafende Gerechtigkeit eingeschränkt werden, weil sich das verheißene Heil für gute Werke nicht auf das ewige Heil erstrecken darf. Indem es diese Gerechtigkeit als belohnende für das Handeln dieses Menschen gibt, der vom Heiligen Geist bewegt wird, muß sie als ein Wirken verstanden werden, „durch das Gott zu sich selbst in ein Verhältnis setzt, und sie ist das Verhältnis selbst, das aus diesem Wirken entspringt. Gottes Gerechtigkeit ist die Wirklichkeitsmacht der Gemeinschaft, die Gott den Menschen mit sich selbst gewährt, in der er ihnen Lebensrecht gibt und es mit ihrem Leben recht macht. Die Eröffnung dieser Wirklichkeit ist keineswegs nachträgliches Reagieren Gottes auf menschliche Vorgegebenheiten und Leistungen, sondern aktives, schöpferisches Handeln, und zwar heilsschaffendes Handeln. Sie ist ihrem Wesen nach das unbedingt Vorgegebene, aus dem alles rechte Menschsein erst entspringt."67 Melanchthon macht an dieser Stelle die wichtigste reformatorische Entdekkung, die Gerechtigkeit Gottes, so für seine Heiligungslehre fruchtbar, daß die allem Handeln des menschlichen Willens stets vorangehende wirkende Gerechtigkeit Gottes weitgehend plausibel wird. So gründen in Melanchthons Theologie Rechtfertigung und Heiligung in der Gerechtigkeit Gottes, wobei für die Heiligung die Gerechtigkeit in nobis durch den Heiligen Geist vermittelt und gewirkt wird und somit dem Heiligen Geist die spezifische Funktion der Heilsgegenwart Gottes im Menschen zukommt.

5.3 Auswertung In der Auslegung Melanchthons entspricht der Differenzierung von Rechtfertigung und Heiligung die Unterscheidung von Person und Werk. Der Wille, der auf das Werk gerichtet ist, hat seinen theologischen Ort bei Melanchthon in der Heiligung. Indem aber die Wirksamkeit des Wortes Gottes dem menschlichen Handeln vorangeht, ist der Wille als causa sanctiflcationis im Zusammenhang mit dem tertium officium legis der befreite Wille. publica et privata, in imperiis, in magistratibus legendis, in familiis, constitui vult Geometrica proportione, ut efficiatur inter Tyrannidem et Democratiam salutaris generi humani mediocritas, hoc est, ut plurimum valeat optimorum autoritas. [...], te oro et propter ipsum decus literarum, et propter Reipub. salutem, ut tua consilia, tuamque autoritatem ad hoc conferas, ut studiis tranquillitas moderatis consiliis restituatur, qua in re praeclare de universa Ecclesia deque omni posteritate mereberis." 67 WILFRIED JOEST, Art. Gerechtigkeit Gottes, IV. Dogmatisch, 3RGG II, Sp. 1407-1410, Zitat Sp. 1409.

Auswertung

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Diese Aussagen von Melanchthon über den Willen basieren auf der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Dabei kommt dem Gesetz neben dem officium civile ein doppelter theologischer Gebrauch zu. Durch den Glauben an die evangelische Verheißung der Sündenvergebung erkennt der Mensch einerseits durch das Gesetz seine Sünde, da er der geistlichen Forderung des Gesetzes nicht nachkommen kann. Andererseits ist das Gesetz dem Wiedergeborenen nach seinem tertium officium legis zugleich die Anweisung zu gottgewolltem Handeln. Im Zusammenhang mit diesem dritten Gebrauch des Gesetzes kommt dem Willen die Aufgabe zu, sich dem Wort nicht zu widersetzen und den Objekten zuzustimmen, die von der durch den Heiligen Geist erleuchteten Vernunft dem Willen vorgestellt werden. Es handelt sich dabei um den durch die evangelische Verheißung befreiten Willen, der als causa materialis an der Rechtfertigung des Sünders beteiligt ist.68 Rechtfertigung ist dabei als Vergebung der Sünden bzw. als Gerechtsprechung des Sünders von der Heiligung des christlichen Lebens durch den gerechtfertigten Sünder zu unterscheiden. Die Werke der Heiligung sind die Folge der Gerechtsprechung. Mit dieser Pointierung im Sinne eines dritten Gebrauches des Gesetzes setzt Melanchthon ein Gegengewicht zur Vernachlässigung des Gesetzes, wie sie von Johann Agricola gelehrt wurde. Dabei greift Melanchthon auf die traditionelle Seelenlehre zurück, um die Notwendigkeit menschlicher Bemühungen um ein christliches Leben einsichtig zu machen. Der Mensch mit seiner psychischen Disposition ist in das Rechtfertigungsgeschehen eingebunden. Aus dieser Einbindung resultiert die Akzentuierung des Willens auch für dieses Geschehen in der Theologie Melanchthons. Um zu verhindern, daß dem Willen und den durch den Willen gewählten Akten eine verdienstliche Wirkung für die Vergebung der Sünden zuerkannt wird, betont Melanchthon die iustitia aliena als iustitia imputativa. Diese zuerkannte Gerechtigkeit befreit den Menschen vom Gesetz als Heilsweg, nicht aber davon, dem Willen Gottes in der Buße folgen zu wollen. Melanchthon hat in den Loci communes 1535 die Frage nach der Funktion des Willens so eng an die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium gebunden, daß die Frage nach dessen Freiheit nur im Bezug zum Gesetz gestellt wird. Dagegen hatte Melanchthon die Frage, ob der Wille frei sei, in den Loci communes 1521 anhand der Prädestination generell verneint. In den Loci communes 1535 ist dagegen die Möglichkeit und Notwendigkeit zur willentlichen Entscheidung des Menschen im Zusammenhang mit dem tertium officium legis von Melanchthon im Unterschied zu den vorangegangenen Loci-Ausgaben deutlich hervorgehoben worden. 68

Vgl. LOWELL C. GREEN, The Three Causes of Conversion in Philipp Melanchthon, Martin Chemnitz, David Chytraeus, and the „Formula of Concord", in: LuJ 47, 1980, S. 89-114 (künftig zitiert als „Three Causes"), S. 96ff.

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Die Willenslehre in den Loci communes 1535

Melanchthon hat also nun die Diastase zwischen Rechtfertigung und Heiligung, die in den Loci communes 1521 festgestellt worden ist, überwunden. Hierzu lassen sich drei wichtige Stichworte nennen, die die Entwicklung der Jahre zwischen 1521 und 1535 in diesem Punkt charakterisieren: Heiliger Geist, Tugend und tertium officium legis. Melanchthon hatte von Beginn seiner Theologie an großes Gewicht auf die Pneumatologie gelegt, um das Handeln des glaubenden Menschen als Antrieb durch die affectus spirituales zu beschreiben. Da jedoch dem Willen keine Freiheit zukommt, war nicht einsichtig, was die Forderung solcher geistlicher Affekte gemäß dem Gesetz bedeuten soll, wenn der Mensch sich zu diesen nicht entscheiden kann. Folgerichtig hatte Melanchthon allein die anklagende Wirkung des Gesetzes betont. Durch die verschiedenartigen Einflüsse aus Humanismus und lutherischreformatorischer Theologie hat Melanchthon in den Scholia ad Colossenses 1527, aber auch in den Fragmenta locorum communium 1533 den Tugendbegriff neu akzentuiert und auf die Prädestination als Grund fur die Ablehnung des freien Willens verzichtet. Die Frage nach der Freiheit des Willen wurde in diesen beiden Werken vor allem im Zusammenhang mit der Gesetzeserfullung gestellt und verneint. Aufgrund des umgedeuteten Tugendbegriffes und der inhaltlichen Aufnahme der Unterscheidung von necessitas consequentiae und necessitas consequentis - auch wenn die Begriffe nicht vorkommen - , deutete sich an, daß die Intelligibilität des Menschen in der Theologie Melanchthons nicht unberücksichtigt bleiben soll. Schließlich ist sie dann in der Aussage über den Willen als tertia causa in der Rechtfertigung und der Heiligung einbezogen worden, wobei die Forderung an den Willen, der Verzweiflung oder der Schwäche des Menschen zu widerstehen, als Antwort des Glaubens auf die Gabe des Heiligen Geistes zu verstehen ist. Die Einbindung des menschlichen Willens in Gottes Heilshandeln und seinen Heilswillen geschieht durch das Gesetz, das dem Glaubenden nun als Handlungsaufforderung, aber nicht mehr als Anklage begegnet. Indem Melanchthon das tertium officium legis aus der Dialektik von Gesetz und Evangelium ableitet, ist der Wille des Menschen der Rechtfertigung Gottes unter- und eingeordnet. Diese neue Ordnung bringt die Freiheit des Willens mit sich, aus der heraus er seine Wahl zu ethisch guten Handlungen trifft. In den drei Begriffen Heiliger Geist, Tugend und tertium officium legis verbindet Melanchthon schließlich auch die beiden wichtigen Einflüsse, Humanismus und lutherisch-reformatorische Theologie, wobei ersterer in der Erklärung der Heiligung terminologisch und fur die anthropologische Vorstellungswelt prägend bleibt, während letzterer die theologischen Aussagen zur Rechtfertigung als iustitia extra nos bestimmt und daher inhaltlich die Basis aller Aussagen zur Heiligung normiert.

6. Die Willenslehre in den Loci praecipui theologici nunc Denuo Cura et diligentia summa recogniti multisque in locis copiose illustrati von 1543

6.1 Einführung Die Loci mit dem in der Überschrift angegebenen Titel sind die Loci der tertia aetas in der Fassung von 1559. Die tertia aetas der loci communes umfaßt die Ausgaben zwischen 1543 und 1559. In dieser Untersuchung werden sie zeitlich vor Melanchthons Ethikkommentar von 1546 eingeordnet, da der Widmungsbrief auf das Jahr 1543 datiert ist. Erschienen ist die erste Auflage der tertia aetas tatsächlich erst im Jahre 1544. In der Edition von Engelland, die dieser Untersuchung zugrundeliegt, werden die Loci praecipui theologici in der letzten von Melanchthon überarbeiteten Fassung von 1559 wiedergegeben.1 Aus dem textkritischen Apparat bei Engelland läßt sich entnehmen, daß die Überarbeitung in den Jahren von 1543 bis 1559 nicht zu grundlegenden Veränderungen in der Aussage geführt hat. Die Einordnung dieser Loci in den Kontext des Jahres 1543 im Zusammenhang dieser Arbeit erscheint sinnvoll, da bei den vorangegangenen Ausgaben die Ereignisse vor der Abfassung bzw. Neufassung jeweils spürbaren Einfluß auf Melanchthons Argumentation ausgeübt haben. Als Form der Loci praecipui 1543 gibt Melanchthon selbst eine Verbindung von /oc/-Methode und historica series an, wobei jedoch die Ordnung entsprechend der paulinischen loci dominiert.2 Wie auch die bisher untersuchten Schriften Melanchthons lassen die Loci von 1543 den zeitlich kontextualen Hintergrund nicht außer acht. Melanchthon schreibt im Widmungsbrief von 1543 an den frommen Leser, daß er sich seinem Gewissen verpflichtet fühlt und daher den Anklagen von Johann Eck, Johann Cochläus und Alfons Virvesia nicht nachgeben kann. Damit bezieht sich Melanchthon auf Angriffe aus den Jahren der Religionsgespräche in Hagenau und Worms 1540/41 und des Regensburger Reichstages von 1541.3 1

Vgl. StA II/l, S. 164-fin. und II/2. Vgl. StA II/l, S. 170,9-23 (CR XXI, Sp. 605f.): „Est enim historica series in libris Propheticis et Apostolicis, ordiuntur a prima rerum creatione et conditione Ecclesiae, [...]. Et in concionibus Christi continentur articuli fidei, explicatio Legis et Evangelii. Accedunt et Pauli disputationes, qui ut artifex instituit disputationem in Epistola ad Romanos de discrimine Legis et Evangelii, de Peccato, de Gratia seu Reconciliatione, qua restituimur ad vitam aeternam." 3 Vgl. StA II/l, S. 165,20-22 (CR XXI, Sp. 601): „[...], ac meae conscientiae testimonium antefero criminationibus Ecii, Cochlei, Alfonsi et multorum, qui illis applaudunt." 2

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Die Willenslehre in den Loci praecipui theologici 1543

Eck war in Worms und Regensburg einer der Hauptverhandlungsführer der altgläubigen Theologie, mit dem Melanchthon harte theologische Auseinandersetzungen gehabt haben muß. Ein Beispiel dafür ist das Kolloquium zwischen Eck und Melanchthon im Januar 1541 in Worms über die Erbsünde. Um hier ein letztlich dann doch nur vorläufiges Ergebnis zu erhalten, haben Eck und Melanchthon drei Tage über den Artikel II der CA verhandelt. Darf man den Worten Melanchthons glauben, haben die Verhandlungen dazu geführt, daß Eck gegenüber dem ksl. Orator Granvella schließlich geäußert hat, daß die protestantische Auffassung von der Erbsünde wahr sei, er sie aber bei den altgläubigen Ständen nicht durchsetzen könne.4 In der Diskussion beriefen sich beide Kollokutoren u.a. auf Augustin, als sie die Frage diskutierten, ob auch nach der Taufe im Menschen noch das peccatum originale sei.5 Im Vorfeld des Regensburger Reichstages griff Eck in seiner Schrift An speranda sit Wormaciae concordia Melanchthon an und bezweifelte dessen Ausgleichswillen durch die hier sinngemäß wiedergegebene Aussage: „Melanchthon wolle als theologischer Abgesandter Kursachsens zum gegenwärtigen Gespräch in Worms auch überhaupt den Altgläubigen keinerlei Zugeständnisse machen."6 Auch während des Reichstages in Regensburg lassen sich weitere heftige Auseinandersetzungen zwischen Eck und Melanchthon belegen. In seinem Bericht vom Juni 1541 über den Reichstag in Regensburg schreibt Melanchthon von Streitigkeiten mit Eck über die Artikel von der Rechtfertigung, der Wandlung des Brotes und über die Freiheit des Willens.7 Bei den vielen anderen Dissensen, die Melanchthon in seinem Bericht über den Regensburger Reichstag erwähnt, 4 Vgl. CR IV, Nr. 2137, Sp. 89f.: „Publici congressus nostri, ut spero sint, satis honesti fuerunt; postea decurrit Eccius privatim ad formulam, cum diceret aperte Granvelo, veram esse sententiam nostram, sed non posse obtenari apud suos; [...]." 5

6

Vgl. A. LEXUTT, Rechtfertigung, S. 219f.

GEORG KUHAUPT, Veröffentlichte Kirchenpolitik. Kirche im publizistischen Streit zur Zeit der Religionsgespräche (1538-1541), (FKDG 69) Göttingen 1998 (künftig zitiert als „Kirchenpolitik"), S. 254. 7 Vgl. CR IV, Nr. 2278, Sp. 414: „Ventum est ad locum de iustificatione, ubi cum liber neque Eccio neque mihi placeret, coepimus libere disputare de summa rei: cumque esset acerrimum certamen, [...]."; vgl. aaO., Sp. 415: „De conversione panis in coena domini magnam tragoediam excitavit Eccius."; vgl. aaO., Sp. 417: „In loco de libertate voluntatis nos addimus annotationem de impletione legis repudiatam ab Eccio, quae tarnen, nisi recepta et explicata fuerint, tota res evertetur." - In der deutschen Fassung des Berichtes (CR IV, Nr. 2279, Sp. 419-31), den Melanchthon erst im Oktober 1541 geschrieben hat, spricht er auch im Artikel über die Kirche von einer besonderen Härte Ecks in den Verhandlungen: „Ich will auch den Herren nicht bergen, da ich zu Ecken sagt, ich merkte wohl, daß er so hart waer in diesem Punkt von wegen folgender Artikel von der Verwandlung des Brods im Sacrament [...]." Es ist fraglich, ob die deutsche Fassung in allen Punkten wörtlich verstanden werden darf. Der Abstand zu den Gesprächen und die erheblichen Abweichungen zum lateinischen Text lassen darauf schließen, daß Melanchthon auch kommentierende und erläuternde Ergänzungen vornimmt.

Einführung

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nennt Melanchthon keine Namen, aber auch hier darf die Beteiligung der beiden angenommen werden. Johann Cochläus hat in seiner „Philippica quinta in tres libellos Philippi Melanchthonis" von 1540 Melanchthon angegriffen. Er wendet sich gegen die drei Schriften Melanchthons „De ecclesia et autoritate Dei", „Die furnemsten Unterscheid zwischen reiner christlichen Lehre des Evangelii und der abgöttischen papistischen Lehre" und „De officio principum, quod mandatum Dei praecipiat eis tollere abusus Ecclesiasticos", die 1539 veröffentlicht worden sind.8 Diese Quellen deuten daraufhin, daß sich anhand der einzelnen Streitpunkte immer wieder die Auseinandersetzung über die Frage der Lehrautorität in der Kirche entzündet hat. Die Bedeutung der Diskussion um die verfaßte Kirche in diesen Jahren betont auch G. Kuhaupt bei seiner Analyse kirchenpolitischer Publikationen zur Zeit der Religionsgespräche.9 Mit dieser Erkenntnis, daß die Diskussion immer wieder die verfaßte Kirche behandelt, geht die Beobachtung konform, daß ecclesia in den Loci praecipui 1543 zu einem Schlüsselbegriff geworden ist, während er in den Loci communes 1535 dieses Gewicht bei weitem nicht hat. Die neue Bedeutung des Begriffes ecclesia in den Loci praecipui 1543 läßt sich als Auswirkung der intensiven und langwierigen Verhandlungen auf Reichsebene zwischen protestantischen und altgläubigen Ständen, an denen Melanchthon als einer der wichtigen Wortführer der Protestanten teilgenommen hat, interpretieren. Die Religionsverhandlungen auf Reichsebene nahmen seit der Initiative Kf. Joachims II. v. Brandenburg im Jahre 1538 für einen dauerhaften Frieden zwischen Altgläubigen und Protestanten zunehmend Gestalt an und gipfelten in den bereits erwähnten Reichsreligionsgesprächen von Hagenau, Worms und Regensburg in den Jahren 1540/41.10 8 Vgl. G. KUHAUPT, Kirchenpolitik, S. 243ff. - „De ecclesiae autoritate" vgl. StA I, S. 323-386; „Die furnemsten Unterscheid [...]" sind als Druck von 1539 zugänglich, (bibliographischer Nachweis: VD 16: Μ 4377); „De officio principum" vgl. StA I, S. 387-410. 9 Vgl. G. KUHAUPT, Kirchenpolitik, S. 19f. Ob damit aber der Artikel De ecclesia auch theologisch zum articulus stantis et cadentis ecclesiae wird, wie KUHAUPT es annimmt, ist zu bezweifeln. Es scheint vielmehr, daß sich die Lehrunterschiede der anderen Artikel in der Kirchenlehre niederschlagen. 10 Melanchthon war bei dieser Entwicklung von Anfang an dabei. Er war auch Teilnehmer an den Religionsgesprächen 1534 und 1539 in Leipzig, die eher regionalen Charakter hatten. Teilnehmende Stände waren Kursachsen, das Hgtm. Sachsen und die Lgft. Hessen. 1539 wurden die Territorien jeweils vertreten durch ihre Kanzler und einen Theologen. - Vgl. zur Entwicklung der Religionsgespräche VOLKMAR ORTMANN, Die Tätigkeit Martin Bucers bei den Religionsgesprächen in Leipzig, Hagenau, Worms und Regensburg 1539-1541, (VIEG) Mainz, im

Druck; IRENE DINGEL, Art. R e l i g i o n s g e s p r ä c h e , T R E X X V I I I , Sp. 6 5 4 - 6 8 1 u n d MARION

HOLLERBACH, Das Religionsgespräch als Mittel der konfessionellenund politischen Auseinandersetzung im Deutschland des 16. Jahrhunderts, (EHS.G 165) Frankfurt a.M./Bem 1982, S. 108-161.

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Die Willenslehre in den Loci praecipui theologici 1543

Unmittelbarer Anlaß, die neue Ausgabe der Loci praecipui 1543 auszuarbeiten, scheinen für Melanchthon die Religionsgespräche in Worms und Regensburg gewesen zu sein. Darauf deutet nicht nur die Erwähnung von Eck und Cochläus im Widmungsbrief hin, sondern auch die Ankündigung in einem Brief an Veit Dietrich vom 09. September 1541, die Loci überarbeiten zu wollen.11 Die besondere Bedeutung des Kirchenbegriffes für Melanchthon in den Jahren nach den Religionsgesprächen 1540/41 wird dadurch indiziert, daß der locus De ecclesia die umfangreichste Überarbeitung der einzelnen loci in den Loci praecipui 1543 erfährt. Auch 1545 für die zweite Auflage, also ein Jahr nach Erscheinen der ersten Auflage, hat Melanchthon hier eine Neugestaltung vorgenommen.12

6.2 Analyse 6.2.1 Kirche als Ort der Verkündigung Der locus De ecclesia ist erst seit der Ausgabe von 1535 in den Loci von Melanchthon zu finden. Dort ist er in die zwei Kapitel De ecclesia und De traditionibus humanis aufgeteilt. In den Loci praecipui 1543 in der zweiten Auflage von 1545 wird der locus De ecclesia in einem Kapitel mit drei Hauptabschnitten abgehandelt. Der erste Hauptabschnitt umfaßt die Lehre von der sichtbaren Kirche, der Tradition und der kirchlichen Autorität in Auseinandersetzung mit der altgläubigen Lehre; der zweite Hauptabschnitt Contra Donatistas widerlegt die These, daß die Wirksamkeit des Evangeliums und der Sakramente an die Würde des minister evangelii gebunden sei. Im letzten Hauptabschnitt De signis monstrantibus ecclesiam, quae alii notas nominant hebt Melanchthon hervor, daß Kirche am unverfälschten Wort und dem rechten Gebrauch der Sakramente erkannt wird und nicht an äußerer Macht und Titeln. Im ersten Hauptabschnitt gibt Melanchthon eine prägnante Definition seines Kirchenbegriffes: Kirche ist ein corpuspermixtum, das konstituiert wird durch das Evangelium Christi und den rechten Gebrauch der Sakramente. In der Kirche ist

11 Vgl. CR IV, Nr. 2372, Sp. 654: „Ego novam praefationem addidi locis Communibus, editis. Sed, si vivam, totum librum retexam." 12 Vgl. CR XXI, Sp. 827-833, Anm. 88. - Über die geringen Veränderungen der Auflagen s. W. NEUSER, Ansatz, Diss.masch., S. 84f. - Ob aufgrund der neuen Bedeutung der Kirchenlehre, die auch zu einer Verschiebung der Interpretation der anderen Aussagen fuhren kann, auch wenn sich die Einzelaussagen und Begriffsdefinitionen von Melanchthon nicht geändert haben, NEUSER zuzustimmen ist, daß die ,JLoci communes 1535 und 1559 eine einheitliche, langwährende Periode bilden", ist fraglich.

Analyse

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Gott durch sein Wort wirksam und erneuert viele Menschen.13 Mit dieser grundlegenden Definition weicht Melanchthon nicht von CA VII oder den Loci communes 1535 ab.14 Zusätzlich betont Melanchthon die Sichtbarkeit der Kirche und nimmt damit die Kontroverse um die sichtbare bzw. unsichtbare Kirche auf, die auch schon in der Apologie ausfuhrlich behandelt worden ist, nicht jedoch in den Loci communes 1535.15 Dabei geht es um den Vorwurf altgläubiger Theologen, die Wittenberger Theologen erdichteten eine „in den Wolken schwebende"16 civitas platonica, indem sie zwischen der sichtbaren Versammlung und denen unterscheiden, die innerhalb der sichtbaren Versammlung als Wiedergeborene sind. Die Aufnahme der Kontroverse um die sichtbare bzw. unsichtbare Kirche deutet auf den Einfluß der Religionsverhandlungen mit den altgläubigen Theologen auf die Locipraecipui 1543 hin. Die während des Augsburger Reichstages 1530 verfaßte und bis zum Oktober 1531 immer wieder überarbeitete Apologia Confessionis Augustanae behandelt diese Frage, während die stärker von innerprotestantischen Auseinandersetzungen geprägten Loci communes 1535 dieses Thema ausklammern. Melanchthon verändert die Differenzierung von sichtbarer bzw. unsichtbarer Kirche zur Unterscheidung von wahrer und unwahrer Kirche.17 Wahre Kirche ist die Gemeinschaft deqenigen, die mit der wahren Lehre der Kirche übereinstimmen. Unwahre Kirche ist die, in der Unwahres gelehrt wird oder aber die Sakramente nicht richtig verwaltet werden. Die Zeichen wahrer Kirche sind demnach unverfälschte Lehre und rechtmäßiger Gebrauch der Sakramente. Beides ist gebunden an die Führung des Heiligen Geistes, bzw. an das lebendige Wort Gottes.18 Die Sakramente sind für Melanchthon als Zeichen der Verheißung dem 13

Vgl. StAII/2, S. 476,12-17 (CR XXI, Sp. 826): „Ecclesia visibilis estcoetus amplectentium Evangelium Christi et recte utentium Sacramentis, in quo Deus per ministerium Evangelii est efficax et multos ad vitam aeternam regenerat, in quo coetu tarnen multi sunt non renati, sed de vera doctrina consentientes." 14 Vgl. BSELK, S. 59,17-60,3: „Est autem ecclesia congregatio sanctorum, in qua evangelium pure docet et recte administrantur sacramenta."; vgl. CR XXI, Sp. 506: „Sed Ecclesia proprie et principaliter significat congregationem iustorum, qui vere credunt Christo, et sanctificantur spiritu Christi. Atque haec Ecclesia habet externas notas, purum verbum Dei et legitimum usum Sacramentorum." 15 Vgl. BSELK, S. 283,17-239,9. 16 W I L F R I E D JOBST, Dogmatik, Bd. 2. Der Weg Gottes mit dem Menschen, Göttingen 1986, S. 531. 17 Vgl. StA II/2, S. 477,19-21 (CR XXI, Sp. 830): „Haec historica exempla ideo scripta sunt, ut doceant discrimen verae et falsae Ecclesiae." 18 Vgl. StA II/2, S. 492,35-493,3 (CR XXI, Sp. 843): „Signa, quae monstrant Ecclesiam, sunt Evangelium incorruptum et legitimus usus Sacramentorum. Et quamquam Ecclesia non semper floret simili gloria, tarnen subinde aliquae significationes Spiritus sancti in miranda gubernatione accedunt."

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Wort Gottes zugeordnet, so daß dieses als Träger sakramentalen Handelns verstanden werden muß.19 Gerade also die sichtbare Kirche ist allein vom Wort Gottes her zu verstehen, wodurch der Tradition und den auf ihr beruhenden Entscheidungen ein die Kirche konstituierender Charakter abgesprochen wird. In der Wiederaufnahme dieser Thematik wird die Kontroverse mit den altgläubigen Theologen der Jahre um die Religionsgespräche 1540/41 evident. Besonders betont Melanchthon daher die konstituierende Kraft der Predigt des Evangeliums oder auch des Dienstes am Evangelium. Obwohl Melanchthon die Praxis der römischen Kirche, neben der Hl. Schrift auch die Tradition und die Lehrautorität der Kirche normativ zu verstehen, durch den Verweis auf das Evangelium infragestellt, möchte er der römischen Kirche nicht absprechen, Kirche Jesu Christi zu sein. Daß die römische und die Wittenberger Kirche die Sakramente jeweils wirksam austeilen, bestreitet Melanchthon nicht. Die Unterschiede in den Bräuchen und die Zugehörigkeit des Priesters zu einer anders verfaßten Kirche ändern nichts an der Wirksamkeit kirchlichen Handelns. Dieses hebt Melanchthon in dem Kapitel Contra Donatistas ausdrücklich hervor und darf inhaltlich wohl auch auf die Kontroverse zwischen Altgläubigen und Protestanten übertragen werden. Es war gängige Praxis im 16. Jh., die abweichende theologische Lehre einer anderen Gruppe polemisch als „donatistisch" zu bezeichnen. Mit dem Stigma des Donatismus wurden gerne die Wiedertäufer von altgläubiger wie protestantischer Seite belegt. Aber auch die Wittenberger reformatorische Theologie mußte sich immer wieder gegen dieses Verdikt wehren, das von der römischen Kirche über die Wittenberger gefällt wurde, da sie zur Spaltung der Kirche beigetragen hatten.20 Die Kirche wird vom Heiligen Geist gebaut durch die Predigt des Evangeliums; daher sind Evangelium und Sakramente wegen der Verheißungen Gottes wirksam.21 Melanchthon bindet so das kirchliche Handeln unmittelbar an das Evangelium. Mit dieser Lehre untermauert Melanchthon seine Antwort auf die von ihm selbst gestellte Frage nach der die Kirche konstituierenden Funktion der

19 Vgl. StA II/2, S. 508,11-19 (CR XXI, Sp. 853f.): „Baptismus est integra actio, videlicet mersio et verborum pronuntiatio: Ego baptizo te in nomine Patris et Filii et Spiritus sancti. Principalis autem significatio et finis Baptismi discitur ex promissione: ,Qui crediderit et baptizatus fuerit, salvus erit.' Ideo enim Baptismus proprie Sacramentum dicitur, quia huic promissioni additus est, ut testetur promissionem gratiae vere ad hunc pertinere, qui baptizatur." 20 Vgl. DAVID WRIGHT, The Donatists in the Sixteenth Century, in: Leif Grane/Alfred Schindler/Markus Wried (Hgg.), Auctoritas patrum II (VIEG, Beiheft 44) Mainz 1998, S. 281-293, bes. S. 282-288. 21 Vgl. StA II/2, S. 488,12-16 (CR XXI, Sp. 840): „Fieret igitur incerta fides, si vis Evangelii et Sacramentorum penderet ex dignitate ministri. Ideo sciendum est Evangelium et Sacramenta efficacia esse propter promissionem Dei, non propter ministri personam."

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Tradition.22 Indem alles von der Verkündigung des Evangeliums abhängt, ist der emanzipierte Umgang der Wittenberger Theologen mit der Tradition als rechtmäßig anzusehen. Dieser emanzipierte Umgang konnte auch schon in den Loci communes 1521 beobachtet werden. Melanchthon behandelt z.B. die Kirchenväter von Beginn seiner theologischen Studien an als Menschen, die eine vom zeitlichen Kontext beeinflußte Schriftauslegung betrieben haben.23 Mit dieser Auffassung befindet sich Melanchthon im Einklang mit einer Geistesströmung, die durch den italienischen Humanismus ausgelöst und durch den Ausbruch des Konflikts um Johannes Reuchlin in Deutschland neu belebt wurde. Der emanzipierte Umgang mit den Kirchenvätern diente der Kritik an der scholastischen Theologie.24 Diese Interpretation der Kirchenväter vertritt Melanchthon auch in den Loci praecipui 1543. Nicht auf die Kirchenväter soll sich die Lehre stützen, sondern auf Jesus Christus. Kirche ist nicht an Titel oder die bischöfliche Sukzession gebunden. Wer dieses dennoch meint, überfuhrt die Kirche in eine weltliche Herrschaft.25 Die Kritik Melanchthons wird vor allem dadurch herausgefordert, daß die starke Gewichtung der Tradition auf ein rationalistisches Kirchenverständnis hinausläuft, das aus Machtinteressen und Nützlichkeitserwägungen verfochten wird. Aus weltlicher Herrschaft aber wird kein Glaube geboren, sondern allein aus dem Wort Gottes. Da das Wort Gottes und nichts anderes die Kirche konstituiert, schließt sich Melanchthon dem Satz an, daß außerhalb der Kirche kein Heil besteht.26

22

Vgl. StA II/2, S. 479,24-28 (CR XXI, Sp. 834): „An Ecclesia alligata sit ad Episcopos et eorum collegia, quae dicuntur tenere ministerium. Item: An alligata sit ad ordinariam successionem Episcoporum et collegiorum." 23 Vgl. SCOTT H. HENDRIX, Deparentifying the Fathers, in: Auctoritas patrum...., (VIEG, Beiheft 37) Mainz 1993, S. 55-68 (künftig zitiert als „Deparentifying"), S. 64. 24 Vgl. L. GRANE, Remarks, S. 21f. 25 Vgl. StA II/2, S. 483,31-484,5 (CRXXI, Sp. 837): „Ideo Basilius, Ambrosius, Epiphanius, Augustinus, Bernardus et multi alii, etiamsi fundamentum recte tenuerunt, tarnen aliquid interdum dicunt inconsiderate de ritibus humanis, ut omnibus aliquid contagii aspersit consuetudo sui seculi. [...]. .Fundamentum', inquit [Paulus, Anm. d. Verf.], ,ηοη potest poni aliud praeter id, quod positum est, quod est Iesus Christus.'" Vgl. weiterhin aaO., S. 479,38^*80,7 (CR XXI, Sp. 834f.): „Ex hac regula iudicari potest Ecclesiam non alligatam esse ad certos titulos aut successionem ordinariam. [...] Ideo intuentes imperia et politias humanas quadam imitatione transformant Ecclesiam in regnum." 26 Vgl. StAII/2, S. 480,23-27 (CRXXI, Sp. 835): „Amat enimhumanaratio talem picturam Ecclesiae congruentem cum civilibus opinionibus, et potentes intelligunt augeri hac opinione suam auctoritatem et hanc formam existimant ad pacem utiliorem esse." Vgl. weiter aaO., S. 478,35-479,3 (CR XXI, Sp. 834): „Deinde et hoc additum est, quod Deus vere per hoc ministerium, id est, per vocem Evangelii auditam, lectam, cogitatam sit efficax, moveat mentes Spiritu sancto, velit nos assentiri, adiuvet assentientes et inchoet in eis vitam aeternam." Vgl. auch aaO., S. 482,30-33 (CR XXI, Sp. 836f.): „Vult enim Deus in Ecclesia esse ministerium vocis. Quare audienda est Ecclesia ut doctrix, sed fides et invocatio nituntur verbo

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Kirche ist für Melanchthon kein Abstraktum, sondern ein in seinem Handeln wahrnehmbares Faktum. So zeigt sich in der Kirchengeschichte die Heilsgeschichte, während Weltgeschichte für Melanchthon im wesentlichen politische Geschichte ist.27 Hieraus ergibt sich ein ambivalentes Verhältnis Melanchthons zur kirchlichen Tradition. Er kritisiert den Traditionsgebrauch der römischen Kirche durch den Vorrang, den er den Aussagen der Hl. Schrift gibt. Die Traditionskritik erfährt durch den Primat der Hl. Schrift, der nicht von Anfang an bei Melanchthon vertreten wird, eine inhaltliche Veränderung. Konnte Melanchthon in der Wittenberger Antrittsrede von 1518 den Beginn des historischen Verfalls in bezug auf die Theologie auf den Gotensturm datieren und den Tiefstpunkt des theologischen Niedergangs etwa im 13. Jh. sehen, von dem sich die Theologie bis in Melanchthons Zeit nicht erholt hatte, so werden die Aussagen zur Tradition durch die Einbeziehung des sogenannten Schriftprinzips variabler. In der Antrittsrede offenbart Melanchthon ein humanistisches Geschichtsbild. „Es war in diesen Kreisen üblich, den Verfall der Kultur in den letzten 300 oder 400 Jahren zu beklagen. Dieses Schema hat Melanchthon nicht als erster auf die Entwicklung des kirchlichen Lebens angewendet."28 Je weiter sich Melanchthon von der humanistischen Wertschätzung der Hl. Schrift als alter Quelle neben anderen kirchlichen Quellen der Kirchenväter entfernte und je näher er dem Verständnis von der Hl. Schrift als normativer Quelle gegenüber anderen kirchlichen Schriften kam, desto kritischer wurde sein Blick auf die Kirchenväter. „Auch Melanchthon kann die Schriftauslegung der Kirchenväter insgesamt mit ähnlicher Zielrichtung in negativem Licht erscheinen lassen [wie Luther, Anm. d. Verf.], wenn er die Lektüre der altkirchlichen Exegeten empfiehlt, ,um sich von der Albernheit derer zu überzeugen, welche die Lehre vom rechtfertigenden Glauben nicht kennen'."29 Demnach ist die vorher noch als goldene Zeit der Kirche geschilderte Epoche bis zum Gotensturm nun bereits von Unkenntnis des wahren Glaubens geprägt. Dennoch hat Melanchthon seine Lehre immer wieder mit Traditionsbelegen gestützt und gilt sogar „als der .Traditionalist' unter den Reformatoren"30. Der

Dei, non humana auctoritate." Vgl. weiter aaO., S. 482,25f. (CR XXI, Sp. 836): „Habemus testimonia in scripturis manifesta, quae affirmant extra Ecclesiam non esse salutem." 27

28

Vgl. S. WIEDENHOFER, Formalstrukturen, S. 487.

A. SPERL, Melanchthon, S. 31 f. MARKUS WRIED, Die Autorität der Kirchenväter in der Debatte um die Bildungsreform zu Beginn der Reformation, in: Leif Grane/Alfred Schindler/Markus Wried (Hgg.), Auctoritas patrum II...., (VIEG, Beiheft 44) Mainz 1998, S. 261-279, Zitat S. 265. 30 RALPH HENNINGS, Hieronymus zum Bischofsamt und seine Autorität in dieser Frage bei Luther, Melanchthon und Zwingli, in: Leif Grane/Alfred Schindler/Markus Wried (Hgg.), Auctoritas patrum II (VIEG, Beiheft 44) Mainz 1998, S. 85-103 (künftig zitiert als „Hieronymus"), S. 97. Vgl. auch PETER FRAENKEL, Testimonia patrum. The Function of the Patristic Argument in the Theology of Philipp Melanchthon, (THR 46) Genf 1961. 29

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Rückgriff auf die kirchliche Tradition geschieht in Melanchthons Argumentation überwiegend im Erörterungszusammenhang von Fragen zur Orthopraxie. Immer wenn es um die Frage geht, wie die biblische Botschaft in die Praxis umzusetzen ist, wird die Tradition zur Beantwortung der Frage herangezogen.31 So wird Kirche als Geschöpf des Wortes Gottes betrachtet. Sie bildet eine jeweils aktuelle Gestalt in der jeweiligen Epoche aus. Aufgrund der Geistwirkung ist es ausgeschlossen, daß kirchliche Gebräuche in der ganzen Kirche falsch sind, wobei dieses eine historische und keine juristische Aussage ist. Dennoch können sich Formen kirchlichen Handelns bilden, die gegen die Lehre der Hl. Schrift verstoßen. Daher ist die Hl. Schrift immer wieder zur Überprüfung der Praxis heranzuziehen. So behält die Hl. Schrift ihre kriteriologische Funktion gegenüber der Tradition in Melanchthons Theologie, wenn primär nach der Lehre gefragt wird. Richtet sich das Augenmerk dagegen vornehmlich auf das praktische Handeln der Kirche, ist Melanchthon stets um die Betonung der „Rezeption einer schriftgemäßen Tradition"32 bemüht. Dieser Exkurs zeigt, wie eng Kirche von Melanchthon an ihre Praxis gebunden wird, in der die Wirksamkeit des Heiligen Geistes sichtbar wird. Daher werden kirchliche Autoritäten nicht grundsätzlich kritisiert. Aber sie sind nicht alle gleich erleuchtet durch den Heiligen Geist und daher vom Evangelium aus zu korrigieren, sofern das notwendig ist.33 Dieser kritische Umgang mit der kirchlichen Tradition bezieht dennoch die Autorität der Kirchenväter in die Lehre mit ein; denn auch in ihrer Überlieferung wird durch die mit dem Evangelium übereinstimmende Lehre die Wirkung des Evangeliums und des Heiligen Geistes manifest. In dieser Funktion sind die Diener am Wort Gottes wertvolle Zeugen, aber nicht durch eine aus ihnen selbst entspringende Autorität; denn die Macht in der verfaßten Kirche ist nicht identisch mit der Gabe der Schriftauslegung. Diese Gabe geschieht exklusiv durch den Heiligen Geist, dessen Gabe selbst nicht an eine äußere Ordnung gebunden ist.34 Es ist im Zuge dieser Lehre nur konsequent, wenn

31 Vgl. KAARLO ARFFMAN, Die Begründung der Kindertaufe mit der Alten Kirche in der Wittenberger Theologie (1521-1536), in: Leif Grane/Alfred Schindler/Markus Wried (Hgg.), Auetoritas patrum II...., (VIEG, Beiheft 44) Mainz 1998, S. 1-11, bes. S. 9. 32 R. HENNINGS, Hieronymus, S. 97. 33 Vgl. StA II/2, S. 479,31-38 (CR XXI, Sp. 834): „Ecclesia ad ipsum Evangelium Dei alligata est, quod ut sonet in ministerio, Deus subinde excitat aliquos recte docentes, ut Ephes. 4. dicitur, etiamsi inter hos alii plus, alii minus lucis habent. Cum autem ministri sive Episcopi sive collegia sive alii docent pugnantia cum Evangelio et doctrina Apostolorum, necesse est sequi regulam Pauli: ,Si quis aliud Evangelium docet, anathema sit.'" 34 Vgl. StA II/2, S. 493,32-36 (CR XXI, Sp. 844): „De potestate vero interpretationis sciendum est magnum discrimen esse inter potestatem et donum. In Ecclesia donum est interpretationis non alligatum certo ordini, sicut propter locum vel titulum non datur Spiritus sanetus."

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Melanchthon von Kirche auch schon vor der Zeit des Mose spricht.35 Gott hat seine Kirche von allem Anfang an gesammelt. Aufgrund dieses an Gottes Wort gebundenen Kirchenbegriffes und aufgrund des emanzipierten Traditionsbegriffes darf geschlossen werden, daß Melanchthon in der Tradition Zeugen sieht, die trotz der unterschiedlichen Erscheinungsformen von Kirche sichtbar machen, „wie die reine Lehre des Evangeliums in den verschiedenen Zeiten bewahrt oder auch durch zahlreiche Verirrungen und Lehrstreitigkeiten entstellt worden ist. So deckt also die Kirchengeschichte einmal den ununterbrochenen Fortbestand der Kirche zu allen Zeiten auf, zum anderen erkennt man an ihr, welche Lehren die Kirche in den verschiedenen Zeiten gehabt hat, welches ihre hervorragenden Lehrer und Zeugen waren, welche Kämpfe und welche Nöte sie durchzustehen hatte und welche Aushilfen sie von Gott dabei erfahren hat."36 In den Loci communes 1535 hat Melanchthon deutlicher als in den Loci praecipui 1543 unterschieden zwischen einer nur verfaßten Kirche, die durch ihre Macht und ihre Erscheinung beeindruckt, aber dennoch nicht wahre Kirche sein muß, und der durch das Wort gebildeten. Melanchthon hat bei dieser Unterscheidung von zwei Körpern der Kirche gesprochen.37 Die Zeichen für die wahre Kirche hat Melanchthon dann inhaltlich in gleicher Weise dargestellt wie in den Loci praecipui 1543. In den Loci communes 1535 hat er diese verfaßte, weltliche Macht beanspruchende Kirche ecclesia hypocritica genannt. In dieser polemischen Form äußert er sich in den Loci praecipui 1543 nicht. Die abgeschwächte Polemik und die differenziertere Ausführung im locus De ecclesia, die auf die klare Gegenüberstellung dieser zwei Körper der Kirche verzichtet, ist ein erneuter Hinweis auf den Einfluß der Ausgleichsverhandlungen zwischen den altgläubigen und den protestantischen Theologen. Die Unterschiede in der Lehre werden in sachlicher Form argumentativ von Melanchthon verarbeitet. Aufgrund der von Melanchthon ausgeführten Kirchenlehre versteht sich die „Wittenberger Kirche", wie Melanchthon sie in der Einleitung zu den Loci praecipui 1543 nennt, als eine Ausprägung der einen Kirche Jesu Christi. Melanchthon geht von einer Mehrzahl von verfaßten Kirchen aus, die mit ihrer Lehre gemäß dem Evangelium sich von Jesus Christus leiten und regieren lassen.38 Aus dieser 35

Vgl. StA II/l, S. 281,34-282,3 (CR XXI, Sp. 688): „Hae [Decalogi repetitiones et explicationes, Anm. d. Verf.] cum sint aeternae regulae mentis divinae, semper sonuerunt in Ecclesia, etiam ante Mosen, et semper mansurae sunt et ad omnes gentes pertinent." 36

37

P. MEINHOLD, Melanchthon, S. 91.

Vgl. CR XXI, Sp. 507: „Et oportet pios tenere hoc discrimen duorum coiporum Ecclesiae, ne autoritate tituli Ecclesiae decipiantur. Nam corpus illud hypocriticae Ecclesiae habet magnam etprobabilem speciem; [...]." 38 Vgl. StA II/l, S. 166,1-8 (CR XXI, Sp. 602): „Non gigno novas opiniones nec aliud maius scelus esse in Ecclesia Dei sentio, quam ludere fingendis novis opinionibus et discedere

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Einordnung der Wittenberger Kirche in die allgemeine Kirche, die sich in ihrer äußeren Erscheinungsform nicht monolithisch darstellt, lassen sich zwei Dinge ableiten. Zum einen betont Melanchthon die Einheit der Kirche durch die Lehre, die an der Hl. Schrift zu messen ist. Dahinter steht die Absicht, als Wittenberger Kirche nicht als abgefallene Kirche betrachtet werden zu können. Die Übereinstimmung der protestantischen Lehre mit der Hl. Schrift und mit der Tradition hervorzuheben, wo die Tradition mit der Hl. Schrift übereinstimmt, hatte neben dem theologischen das politische Ziel, in den Verhandlungen weiterhin als Gesprächspartner anerkannt zu werden. Dazu war Voraussetzung, die Zweifel an der Rechtgläubigkeit der Protestanten zu zerstreuen. Es bestand unter den protestantischen Ständen die begründete Furcht, daß sie mit militärischer Gewalt zum Einlenken gezwungen werden sollten. Bereits im Januar 1540 schreibt Melanchthon von der Möglichkeit eines Krieges, die ihn aber nicht davon abhalten werde, die rechte Lehre zu vertreten.39 Daß diese Sorge vor einem Krieg trotz allen Gottvertrauens, das Melanchthon äußert, berechtigt war, zeigt die militärische Intervention Ks. Karls V. gegen Hermann v. Wied im Jahre 1543, um eine Ausbreitung der Reformation im Erzbistum Köln zu verhindern. Der Kaiser hatte Geldern unter seinen Einfluß gebracht, indem er es mit den Niederlanden verbunden hatte. Den Reformationsversuch Hermanns beendete der Kaiser durch einen Truppenaufmarsch in und um Bonn. Wo sich die Möglichkeit bot, militärisch zum Ziel zu kommen, wartete Karl V. nicht lange ab. Zum anderen steht hinter der Aussage von der Wittenberger Kirche auch das neue Selbstbewußtsein der Protestanten. Galten die Protestanten nach dem Augsburger Reichstag 1530 offiziell als widerlegt, werden sie reichsrechtlich als Gegenüber anerkannt. 1532 haben die protestantischen Stände im Nürnberger Anstand erreicht, daß die Zusage vom Nürnberger Reichstag von 1524 bezüglich eines allgemeinen Konzils erneuert wurde.40 Es wurde ihnen zugesagt, daß vom Kaiser keine weiteren Schritte wegen der Glaubensfrage gegen sie eingeleitet

a Prophetica et Apostolica scriptum et consensu vero Ecclesiae Dei. Sequor autem et amplector doctrinam Ecclesiae Witebergensis et coniunctarum, quae sine ulla dubitatione consensus est Ecclesiae catholicae Christi, id est, omnium eruditorum in Ecclesia Christi." 39 Vgl. CR III, Nr. 1911, Sp. 916: „Sed difficultatibus et periculis omnibus, si non sumus Epicurei, necesse est nos anteferre mandatum Dei, quod praecipit, ut omnes pii in Ecclesia rectae doctrinae propagationem adiuvent, et monet summum Dei cultum esse συναγωνίζεσθαι τΟ εύαγγελίω. Nec dubitemus, quin Deus, ut solet Ecclesiam mirabiliter regere, exitum gubernaturus sit, ac daturas mentem Caesari aliam, quam isti Optant, qui eum ad crudelitatem accedunt." 40 Vgl. DRTA.JR X/3, S. 1513,39-42: Den Protestanten wurde zugesagt, die Religionsstreitigkeiten zu beraten auf einem „[...] gemeinen, freyen, christlichen concilio, wie sollichs uff dem reichstag zu Nurmberg beschlossen ist oder, so das sein furgang nit haben wurde, bis die gemeine stendt des Reichs uf ein gelegen maistat wirder beruft und beschreiben wurden [...]".

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werden bis zu der versprochenen Beratung.41 Im Zuge dieser Zusage sind die Gespräche in Frankfurt 1539 und die Religionsgespräche in Hagenau, Worms und Regensburg in den Jahren 1540/41 zu verstehen. Auf dem Reichstag in Regensburg waren die Protestanten als eigene Partei mit gleicher Stimmenanzahl in den Ausschüssen vertreten wie die altgläubige Partei. Diese Gleichstellung wurde nicht von allen altgläubigen Ständen gebilligt. Besonders die bayerischen Herzöge Ludwig X. und Wilhelm IV. sprachen sich massiv gegen die Verhandlungen mit den Protestanten aus. Sie sahen darin Zeitverschwendung, da mit den Protestanten ohnehin kein akzeptables Ergebnis in der Religionsfrage zu erreichen sei.42 Weil die Einigung auch in Regensburg 1541 nicht gelungen war, wurde den Protestanten die Verlängerung des Nürnberger Anstandes bis zu einem Generaloder Nationalkonzil im Regensburger Reichstagsabschied zugesagt. Den altgläubigen geistlichen Prälaten wurde vom Kaiser in Absprache mit dem päpstlichen Legaten aufgetragen, „eine christliche Ordnung und Reformation vorzunehmen und aufzurichten, die zu guter, gebührlicher und heilsamer Administration der Kirchen forderlich und dienlich sey"43. Des weiteren wurden bis zum versprochenen Konzil die Prozesse am ksl. Kammergericht, gegen die Protestanten „in Religion und andern (Sachen) geschehen"44, suspendiert. Diesen offiziellen Dokumenten darf sicherlich entnommen werden, daß die Protestanten in dieser Zeit nach den Religionsgesprächen 1540/41 Grund für gedämpften Optimismus zur Beilegung der Kirchenstreitigkeiten hatten. Die Konsolidierung der protestantischen Kirche im Kftm. Sachsen findet auch in dem Versuch ihren Ausdruck, geistlich unabhängige Bischöfe ohne weltliche

41

DRTA.JRX/3 S. 1514,64-69: „Dazu hat die röm. ksl. Mt. [...] gewilligt und zugesagt, das ir Mt. alle rechtfertigung in Sachen, den glauben belangendt, so durch ire Mt. fiscal und andre wider den Kf. zu Sachsen und sein zugewandten angefangen weren oder noch angefangen werden mochten, anstellen bis zu nechstkunftigem concilio [...]." 42 Vgl. die Denkschrift Leonhards v. Eck über die Beschlüsse der Hgg. Ludwig X. und Wilhelm IV. v. Bayern vom 09.06.1540, in: ADRG1/2, Nr. 221 A, S. 576,28-577,9: „Dann das sich die Lutterischen durch gnedigiste erinnerung Irer Irrthung von denselben abweisen oder weichen werden, das ist nit zuvermueten, noch zuglauben unnd sonderlich dieweil sich dieselben aufjungst gehallten Iren versamblung tag zu Schmalkallden In beisein Irer predicanten enntlich entschlossen haben, was sie hierinn thun unnd lassen wollen. Sollte man dann auf disem tail sich in disputation begeben, das wäre on frucht und machte bei der gueten partei In dem glauben merern zweifl unnd abfal unnd den Lutterischen merer besterckhung, dann mit disputiern oder antzaigung der schrifft werden die abfeiligen nach Irer verstogkhung nit widerpracht, wie das werch bisher nach vil gehalten und ergangen disputacionen zuerkennen gibt und die 1er der heiligen Apostl clärlich anzaigt." 43 CR IV, Nr. 2353, Sp. 628. 44 CR IV, Nr. 2353, Sp. 629.

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Macht einzusetzen. Als erster protestantischer Bischof wurde 1542 Nikolaus von Amsdorf in Naumburg ordiniert.45 Es darf aber nicht vergessen werden, daß hinter dieser formalen Gleichbehandlung der Protestanten in Regensburg 1541 und dem Versuch, Bischöfe zu ordinieren, die militärische Stärke des Schmalkaldischen Bundes stand, die die altgläubige Seite zu erheblichen Zugeständnissen gezwungen hatte. Als aufgrund der Doppelehe Lgf. Philipps v. Hessen die Macht des Schmalkaldischen Bundes schrumpfte, begann sich das Bild zu ändern. Die militärische Intervention des Kaisers 1543 in Geldern und Bonn sowie der Schmalkaldische Krieg sind sicherlich auch eine Konsequenz dieser Schwächung der protestantischen Position. Daß die Position der Protestanten gegenüber den Altgläubigen vornehmlich auf ihrer militärischen Stärke basierte, dürfte Melanchthon ebensowenig entgangen sein wie das Faktum, daß diese Stärke mit dem Bekanntwerden der Doppelehe Lgf. Philipps v. Hessen bereits zu schwinden begann. So kann zusammenfassend aus Melanchthons Kirchenlehre geschlossen werden, daß das Selbstbewußtsein, das sich in der Kirchenlehre ausdrückt, aus der Sicherheit entspringt, mit dieser Lehre auf dem Fundament des Evangeliums Christi zu basieren. Kirche hat zu verschiedenen Zeiten verschiedene Ausprägungen erfahren, sie ist aber stets der Raum gewesen, in dem das Evangelium verkündigt worden ist, da sie selber durch das Evangelium erbaut wird. Die Wittenberger Theologen sind sich sicher gewesen, daß durch ihre Lehre das Evangelium richtig gelehrt wird, wie es CA VII als Zeichen von Kirche fordert, und daß daher die Wittenberger Kirche eine Ausprägung der wahren Kirche Jesu Christi ist. 6.2.2 Die Verkündigung des Gesetzes in der Kirche In den Loci praecipui 1543 haben sich die Aussagen über Gesetz und Evangelium sowie Gnade und Rechtfertigung gegenüber den Aussagen der Loci communes 1535 kaum verändert. Die Einteilung in göttliches und menschliches Gesetz sowie die weitere Differenzierung des göttlichen Gesetzes in zeremoniales, judikales und natürliches Gesetz ist gleich geblieben. Ebenfalls die Identität von natürlichem und moralischem Gesetz, das Gott in die menschliche Vernunft (mens) geschrieben hat, ist unverändert geblieben. Leicht verändert, vor allem aber klarer, ist die Thematik der Verdunkelung des natürlichen Gesetzes in der menschlichen Erkenntnis. Melanchthon erklärt den Grund der Verdunkelung des göttlichen Lichtes in der Vernunft des postlapsarischen Menschen, während dieser Sachverhalt von ihm bisher eher nur konstatiert wurde.

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Vgl. H. SCHEIBLE, Melanchthon, S. 134.

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Ausgangspunkt für die Verdunkelung der Vernunft ist die Erbsünde, durch deren Wirkung neben dem Herzen auch die Vernunft betroffen wird. Melanchthon verwendet in den Loci praecipui 1543 den Begriff mens für die Vernunft, da dieses der biblische Begriff für intellectus oder ratio ist. Mens meint den erkennenden und urteilenden Teil im Menschen. Diesem steht als Begriff für den begehrenden Teil des Menschen cor gegenüber. Anders als in den früheren LociAusgaben spricht Melanchthon nicht mehr von den menschlichen Kräften {vires humanae), sondern lediglich von Teilen {partes) des Menschen. Innerhalb des begehrenden Teils unterscheidet er nun expressis verbis einen höheren und einen niederen Teil, wobei der Wille dem höheren, die sinnlichen Begierden und die Affekte aber dem niederen begehrenden Teil zugeordnet werden.46 Was aus den Loci communes 1535 lediglich erschlossen werden konnte, ist nun eindeutig. „Melanchthon schwenkt wieder auf die aristotelisch-scholastische Linie der Triebkontrolle durch die durch den Willen vermittelte Vernunft ein, [...]."47 Die Betonung der Affekte, wie sie in den Loci communes 1521 an dieser Stelle zu beobachten war, nimmt Melanchthon in den Loci praecipui 1543 nicht mehr vor. Der Kampf der niederen mit den höheren Strebekräften spielt insgesamt eine sehr untergeordnete Rolle. Vielmehr interessiert Melanchthon die Folge der Sünde im Zusammenspiel von Vernunft {mens) und Herz {cor), wobei der Wille aus dem „Sammelbegriff' Herz häufig herausgelöst wird. Dieses Zusammenspiel war in den Loci communes 1521 in bezug auf die Wirkung der Erbsünde noch nicht weiter ausgeführt worden. Melanchthon hatte die Dominanz der Affekte über den menschlichen Willen als zentrales Thema untersucht, so daß die Bedeutung der Vernunft für die Handlungen des Menschen in den Hintergrund treten mußte. Anhand der Untersuchung der Affekte kam Melanchthon zu dem Schluß, daß alle Werke des Menschen, auch die nach außen hin gut erscheinenden, todeswürdige Sünden sind. Das bedeutet, daß dem Menschen zwar mit seiner Vernunft die Erkenntnis des Gesetzes möglich ist, sie ihm aber vor Gott in seinem Leben keine Verdienste einbringen kann, da die Werke weiterhin schlecht bleiben. Dieser Zusammenhang von Affekt und Erkenntnis des Gesetzes hatte sich in den Loci communes 1535 bereits verändert. Melanchthon betonte die Bedeutung der Ethik für die Heiligung des Lebens in der theologischen Lehre, da die weitgehende Fokussierung auf die Werke im Verhältnis zur Rechtfertigung bei gleichzeitiger

46 Vgl. StA II/l, S. 237,17-24 (CR XXI, Sp. 653): „In homine est pars cognoscens ac iudicans, quae vocatur mens vel intellectus vel ratio, in hac parte sunt notitiae. Altera pars appetens vocatur voluntas, quae vel obtemperat iudicio vel repugnat, et sub voluntate sunt appetitiones sensuum seu affectus, quorum subiectum et fons est cor, qui interdum congruunt, interdum pugnant cum voluntate. Est sub voluntate et locomotiva." 47 K.-H. ZUR MÜHLEN, Affektenlehre, S. 334.

Analyse

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Vernachlässigung der Werke im Verhältnis zur Heiligung Unklarheiten in sich geborgen hatte. Unklar ist z.B., warum der Mensch nicht ethisch gut handeln soll, wenn die vollständige Erkenntnis des Gesetzes aufgrund der von der Erbsünde nicht betroffenen menschlichen Vernunft möglich sein müßte. Melanchthon hat zwar konstatiert, daß der Mensch das Gesetz nicht als Forderung nach geistlichen Bewegungen verstehen kann, ist aber eine hinreichende Begründung schuldig geblieben. Melanchthon hatte die Erbsünde in den Loci communes 1521 nahezu ausschließlich in ihrer Wirkung auf die appetitiven Kräfte des Menschen betrachtet. Daher nennt Melanchthon neben den depravierten Affekten als Folge der Erbsünde in den Loci communes 1535 auch die Verdunkelung der Vernunft als Hinderungsgrund dafür, daß der Mensch seine natürliche Schwäche erkennt und deswegen das Gesetz allein auf äußerliche Taten gerichtet sieht. Diese Auswirkung der Verdunkelung der Vernunft beschreibt Melanchthon in den Loci praecipui 1543 ausfuhrlicher als in den Loci communes 1535 und führt als umfassenden Ausdruck für die Verdunkelung den Begriff der Ungerechtigkeit (iniustitia) ein. Die Verdunkelung der Vernunft geht von der Ungerechtigkeit des Menschen aus. Ungerechtigkeit als Attribut des sündigen Menschen subsumiert den Kampf des Menschen mit den wahren Erkenntnissen, die Abkehr des Willens von Gott, Gottesverachtung, Vertrauen in die eigenen menschlichen Kräfte und die Dominanz der heftigen Verlangen (impetus) in der Bewegung des Menschen, die mit dem göttlichen Licht in der Vernunft kämpfen.48 Diese Beschreibung der Wirkung von Erbsünde unterscheidet sich zunächst nicht grundlegend von der Definition in den Loci communes 1521. Der Unterschied besteht in der Ausfuhrung der Wirkung auf die Vernunft des Menschen. Melanchthon fordert im Gegensatz zu den Loci communes 1521 in den Loci praecipui 1543 wie in den Loci communes 1535 den Menschen auf, sich mit dem Willen den Affekten zu widersetzen und gute Werke zu vollbringen, indem der Mensch dem Wort Gottes zustimmt und mit dem Willen dem von der Vernunft vorgestellten Objekt folgen soll, auch wenn der Mensch mit dem Herzen das Wort Gottes abschütteln könnte.49 Die erste Einschränkung, ein gutes Werk zu vollbringen, besteht in der Verdunkelung der Vernunft. Die Vernunft (mens) ist auch postlapsarisch zur wahren Erkenntnis fähig. Diese Fähigkeit wird dadurch eingeschränkt, daß der Mensch die Unterscheidung von Ehrenhaftem und Schändlichem 48 Vgl. StA II/l, S. 314,33-36 (CR XXI, Sp. 712): „[...] regnat iniustitia pugnans cum his notitiis, scilicet aversio voluntatis a Deo, contemptus Dei, fiducia propriarum virium, denique varii impetus pugnantes cum lumine divinitus insito mentibus." 49 Vgl. StA II/l, S. 243,17-21 (CR XXI, Sp. 658): „Posset enim [verbum Dei, Anm. d. Verf.] excutere, ut excutit Saul sua sponte. Sed cum mens audiens ac se sustentans non repugnat, non indulget diffidentiae, sed adiuvante etiam Spiritu sancto conatur assentiri, in hoc certamine voluntas non est otiosa."

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zwar noch „hat", aber dem als ehrenhaft Erkannten nicht immer zustimmt und daher dem Willen falsche Objekte vorstellt.50 Diese Zustimmung zur Erkenntnis findet entsprechend dem psychologischen Schema, das Melanchthon verwendet, auf der Seite der apprehensiven Kräfte im intellectus statt.51 Die fehlende Zustimmung zum Erkannten geht vom heftigen Verlangen (impetus) des Menschen aus, also dem appetitiven Teil, der sich gegen diese vom Gesetz geforderte Unterscheidung wendet. Dieses beschreibt Melanchthon mit der Formulierung, daß die „wahren Erkenntnisse in der Ungerechtigkeit zurückgehalten werden"52. Biblisch ausgedrückt verliert der Mensch die Reinheit seiner Ebenbildlichkeit.53 Die Wirkung der Sünde auf die appetitiven Kräfte des Menschen wird von Melanchthon weiterhin gelehrt wie auch schon in den Loci communes 1521. Die Auswirkung auf die apprehensiven Kräfte des Menschen, wie sie in den Loci communes 1535 als neue Betrachtung hinzugekommen war, wird in den Loci praecipui 1543 von Melanchthon im Verhältnis zu den Affekten als neuer Bestandteil der Argumentation untersucht. Dabei wird aus der Beschreibung das komplexe Verständnis deutlich, in dem Melanchthon die Teile der Seele sieht. Der postlapsarische Mensch ist zwar zur wahren Erkenntnis fähig, jedoch wird der Kampf mit diesen Erkenntnissen dadurch ausgelöst, daß das Herz diesen Erkenntnissen widerstrebt. Die beiden Teile des Menschen befinden sich in einer Interaktion, so daß die Wirkung der Erbsünde nicht isoliert auf einen dieser Teile betrachtet werden darf. Blickt man allein auf den intellectus als menschliche Disposition zur Erkenntnis, so wäre die Erkenntnis auch für den sündigen Menschen ungetrübt. Aber der Mensch wehrt sich gegen diese Erkenntnis, da sie seinen Affekten widerspricht. Dieser innere Widerspruch fuhrt im Menschen dazu, daß er das Erkannte ablehnt. Daher hat der Mensch keine feste Erkenntnis von Gott. Trotz der Bedeutung der Intelligibilität des Menschen sieht Melanchthon den entscheidenden Faktor der Sündhaftigkeit des Menschen im Herzen. Das Herz ist als Quelle menschlichen Handelns zugleich die Quelle der Ungerechtigkeit des Menschen, wodurch Ungerechtigkeit nicht als ein Defekt der menschlichen Dispo-

50

Vgl. StA II/l, S. 314,12-19: „[...], tarnen quia propter labem originis accessit quaedam caligo et cor habet contraries impetus discrimini honestorum et turpium, ideo homines non tarn constanter assentiuntur his notitiis: Deo obediendum est, Adulterium est vitandum, Honesta pacta sunt servanda, sicut huic notitiae: Bis quatuor sunt octo. Manet notitia Legum, sed assensus est infirmus propter contumaciam cordis." 51 Vgl. StA II/2, S. 418,19f. (CR XXI, Sp. 785): „[...], sed fides significat in intellectu notitiam et assensum promissionum de Christo [...]." 52 StA II/l, S. 314,31f. (CR XXI, Sp. 712): „[...], tarnen hae verae notitiae detinentur in iniustitia, [...]." 53 Vgl. StA II/l, S. 315,31-316,1 (CR XXI, Sp. 713): „Quamquam autem in hac naturae corruptione deformata imagine Dei non ita fulgent notitiae, manent tarnen, sed cor repugnat et incurrunt dubitationes propter quaedam, quae pugnare videntur cum illis notitiis."

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sition dargestellt wird, sondern als Handeln des Menschen im Verhältnis zu Gott. Auf dieses Handeln und seine Quelle zielt das Gesetz mit seinen Forderungen an den Menschen. Die Erweiterung der Darstellung von der Wirkung der Sünde auf den Menschen gründet in der gegenüber den Loci communes 1521 veränderten Bedeutung des Gesetzes für die Frage nach der Freiheit des Willens und für die Funktion des Willens in der Rechtfertigung, wie sie auch schon in den Loci communes 1535 beobachtet worden ist. Wie in den Loci communes 1535 wird das Gesetz von Melanchthon im usus politicus, usus theologicus und usus in renatis gelehrt, wobei er jetzt auch diese Begriffe verwendet. In den Loci communes 1535 hatte er noch von den officia legis gesprochen.54 Von theologischer Bedeutung sind primär die beiden letztgenannten usus. Den usus theologicus mit seiner erschreckenden und anklagenden Wirkung beschreibt Melanchthon in den Loci praecipui 1543 als Funktion der Kirche und ihrer Verkündigung. Damit füllt Melanchthon eine Lücke in seiner theologischen Lehre. Bei seinen bisherigen Erörterungen zum Gesetz wurde nicht deutlich, wo es dem Menschen in seinem Leben begegnet. Die enge Verbindung von göttlichem und natürlichem Gesetz sowie die weitgehend fehlenden Aussagen zu den Folgen der Erbsünde in der menschlichen Vernunft haben die Vermutung nahegelegt, daß das Gesetz Gottes dem Menschen auch als Vernunfterkenntnis begegnen kann. Aufgrund von Melanchthons Kirchenlehre in den Loci praecipui 1543 ergibt sich die Notwendigkeit der Gesetzespredigt in der Kirche. Kirche versteht Melanchthon als Kirche unter dem Kreuz. Sie ist keine Gemeinschaft von Heiligen ohne Sünde, sondern von erlösungsbedürftigen Glaubenden. Daher besteht in der Kirche die Aufgabe aufzuzeigen, daß die menschliche Vernunft über die Sünde ohne das Gesetz im usus theologicus nur irren kann.55 Diese Aussage bezieht sich zwar direkt auf die Kirche, ist aber inhaltlich gefüllt durch das Erbsündenverständnis. Denn im Unterschied zur altgläubigen Lehre legt Melanchthon das Gewicht der in der Kirche vermittelten Sündenerkenntnis auf die Erbsünde. Allein die Kirche erkennt die Wurzel der Sünde, die

54 Vgl. oben S. 141f. Vgl. auch zur Verwendung der Begriffe bei Melanchthon und Luther: G. EßELING, triplex usus legis, passim. 55 Vgl. StA II/l S. 324,14-31 (CR XXI, Sp. 718): „Sonat igitur, ut dixi, in Ecclesia haec vox Legis, magis etiam sentiuntur haec fulmina in Ecclesia. [...]. Et ut sentiatur hoc iudicium et agnoscatur peccatum, Ecclesia subiecta est cruci, cum interim mundus coecus et furens contemnat iudicium Dei. Nihil igitur dubium est hanc vocem Legis arguentem peccata in Ecclesia oportere perpetuo proponi et tradi, imo gravissimum scelus esset occultare iudicium Dei et vocem denuntiantem iram adversus peccatum, [...]. Sed illa est in Ecclesia disputatio. Hypocritae putant Legem proponi, ut mereatur reconciliationem seu tollat peccatum."

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in der Dunkelheit in der mens und in der Abkehr des Willens von Gott besteht.56 Hierbei unterscheidet Melanchthon nicht, ob es sich um Getaufte oder Ungetaufte handelt. Diese Aussage polemisiert gegen die altgläubige Erbsündenlehre, die Melanchthon hier mit dem abschätzig verstandenen Begriffphilosophia belegt. Um das Erbsündenverständnis hatten Altgläubige und Protestanten seit dem Augsburger Reichstag 1530 heftig gestritten. Die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Melanchthon und Eck vor der Neuausgabe der Loci im Jahre 1543 während des Religionsgespräches in Worms vom 14.-17. Januar 1541 und die Verhandlungen auf dem Regensburger Reichstag 1541 haben Auswirkungen auf die Loci praecipui 1543 gehabt. Melanchthon nimmt für die Entwicklung der Erbsündenlehre in den Loci praecipui 1543 die Hauptpunkte des Kolloquiums mit Eck in Worms wieder auf. Da bei diesem Kolloquium die Apologie der Confessio Augustana zugrundegelegen hat, knüpft Melanchthon von daher auch an die Erbsündenlehre der Apologie an. Melanchthon beginnt die inhaltliche Argumentation über die Erbsünde in dem Kapitel De peccato der Loci praecipui 1543, nachdem er die Sündenerkenntnis in einem einleitenden Abschnitt der Kirche und der Gesetzespredigt zugewiesen hatte, mit der Widerlegung der altgläubigen Position in der Unterscheidung von Erb- und Aktualsünde. Eck hatte die altgläubige Position zu dieser Unterscheidung während des Kolloquiums in Worms 1541 vertreten. Vor der Taufe gebe es keinen Unterschied zwischen Erb- und Tatsünde in bezug auf Schuld und Strafe. Nach der Taufe bliebe aber lediglich die concupiscentia als Strafe im Menschen, so daß nach der Taufe nicht mehr von Sünde im Menschen gesprochen werden darf.57 Wie Melanchthon auch schon in dem Wormser Kolloquium die Einheit von Sünde und Schwäche dargelegt hat,58 so wendet er sich nun auch in den Loci praecipui 56 Vgl. StA II/l, S. 253,17-23 (CR XXI, Sp. 665): „Nec arguit Ecclesia tantum externas actiones, pugnantes cum Lege Dei aut ratione, sicut Philosophia, sed arguit radicem et fructus, interiorem caliginem mentis, dubitationes de voluntate Dei, aversionem voluntatis humanae a Deo et contumaciam cordis contra Legem Dei. Arguit et ignorationem et contemptum Filii Dei." 57 Vgl. CR IV, Nr. 2132, Sp. 45: „Felicius ergo videretur pro concordia actum, si cum communi Ecclesia concupiscentiam faterentur ante Baptismum esse culpam et poenam, post Baptismum vero duntaxat esse poenam aut (ut Augustinus solet dicere) malum." Eck beruft sich auf eine Stelle aus Augustins Contra Iulianum (vgl. AUGUSTINUS, Contra Iulianum, 1. V, c. 8, PL 44, Sp. 787). Zu der unterschiedlichen Augustininterpretation von Melanchthon und ECK vgl. KARL-HEINZ ZUR MÜHLEN, Die Kirchenväter in der Diskussion zwischen J. Eck und Ph. Melanchthon über die Erbsünde auf dem Wormser Religionsgespräch 1540/41, in: Leif Grane/Alfred Schindler/Markus Wried (Hgg.), Auctoritas patrum III...., (VIEG, Beiheft) Mainz, im Druck, passim. 58 Vgl. CR IV, 52: „[...], et peccatum esse causam peccati, et poenam peccati, hunc morbum dici. Sed nominatim Paulus hic de infirmitate loquitur repugnante legi Dei. Id autem peccatum vocari sua natura nemini obscurum est."

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1543 dagegen, den aktuellen Ungehorsam vom generellen Ungehorsam zu trennen, der aus dem Schaden der Natur herrührt.59 Er will damit den Unterschied von Aktual- und Erbsünde nicht nivellieren; der Unterschied besteht jedoch fur Melanchthon in der Wahrnehmbarkeit der Sünde, nicht aber in der Substanz. Die Aktualsünde ist die Manifestation der Erbsünde.60 Dieser Dissens zwischen protestantischer und altgläubiger Lehre über die Differenzierung von Erb- und Aktualsünde ist die Folge der elementaren Lehrdifferenz über den formalen bzw. materialen Charakter der Erbsünde. Melanchthon versteht unter formaler Erbsünde sowohl die Anklage (reatus) als auch den Fehler in der Natur, der die Grundlage der Anklage ist. Der Fehler in der Natur, den er mit dem altgläubigen Begriff der concupiscentia identifiziert, ist als Formalursache der Tatsünden zu verstehen, da die Konkupiszenz nicht als einzelne depravierte Begierden (appetitiones) des Menschen verstanden werden darf. Concupiscentia ist ein anderer Ausdruck für die Unordnung der menschlichen Begierden, die durch die Erbsünde entstanden ist und mit der der Mensch geboren wird.61 Weil durch die Taufe der Anklagegegenstand aufgehoben wird, bleibt im Menschen nach der Taufe der Fehler zurück, dessen materiale Ausprägung die Aktualsünden sind.62 Gegen diese Lehre hatte Eck bereits während des Wormser Kolloquiums Stellung genommen und diese als den Hauptpunkt des Dissenses in der Erbsündenlehre bezeichnet. Eck versteht unter formaler Erbsünde allein die Anklage, die durch die Taufe aufgehoben wird. Damit bleibt im Menschen nach der Taufe allein der materiale Aspekt der Erbsünde, die Konkupiszenz, wie es Eck im letzten Argumentationsgang zum Abschluß des Wormser Kolloquiums am 17. 59

Vgl. StA II/l, S. 256,10-13: „Peccatum definit inobedientiam maledictam a Deo. Et intelligatur inobedientia non tantum actualis, sed universa, quae est in natura hominis adversus Deum." 60 Vgl. StA II/l, S. 271,20f.: „Haec mala [caligo in mente, aversio voluntatis a Deo, contumacia cordis adversus legem Dei, Anm. d. Verf.] non vocantur actiones, sed ex eis oriuntur actualia peccata interiora et exteriora, [...]." 61 Vgl. StA II/l, S. 264,4-11 (CR XXI, Sp. 673): „Est autem fundamentum huius reatus ipsum in homine vitium nobiscum nascens, quod vocant vel defectus vel pravas inclinationes vel concupiscentiam. Nam his appellationibus omnibus eadem mala significantur seu potius magna confusio malorum. Intelligenda est enim concupiscentia non de appetitionibus in natura conditis, sed de άταξίςί omnium appetitionum." - Vgl. auch aaO., S. 264,22-31 (CR XXI, Sp. 674): „Estque prudenter discemenda αταξία ab ipsis appetitionibus, quales a Deo conditae sunt, ut infra copiosius dicam. Cum igitur quaeritur, quod sit formale peccati originis, recte respondetur, reatus. Deinde vero quaerendum est fundamentum huius relationis. Id vero est, ut dixi, ipsum vitium nobiscum nascens, quod est malum pugnans cum Lege Dei, quod cum sit magna confusio malorum, perinde ac si quis dicat multos morbos simul esse, facile intelligi potest formale harum confusionum esse defectus." 62 Vgl. StA II/l, S. 270,5-8 (CR XXI, Sp. 677f.): „In baptismo tolli peccatum, quod ad reatum seu imputationem attinet, sed manere morbum ipsum, qui est malum pugnans cum Lege Dei, [...]."

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Januar 1541 formuliert hat. Dort wird der materiale Aspekt der Erbsünde Konkupiszenz genannt, die aus der Sünde stammt und zur Sünde neigt, aber nicht im eigentlichen Sinne Sünde genannt werden darf.63 Dieser grundlegende Unterschied in der Erbsündenlehre ist in dem Vergleichstext, der im Anschluß an das Wormser Kolloquium formuliert worden ist, nicht wiedergegeben worden. Dort wird sehr moderat formuliert und auf eine inhaltliche Füllung der Begriffe verzichtet.64 In der Darstellung der Lehre der Wittenberger Kirche, wie Melanchthon diese in den Loci praecipui 1543 vornimmt, kann er auf eine klare Begrifflichkeit nicht verzichten, so daß die Gegensätze, die sich in dem Kolloquium gezeigt hatten, von ihm erneut aufgerissen werden. Melanchthon betrachtet es als Aufgabe der Kirche, dem Menschen in der Verkündigung die biblischen Aussagen zu verdeutlichen.65 Hierbei beruft sich Melanchthon auf eine Vielzahl von Bibelstellen, die den Fehler im Menschen von Geburt an belegen.66 Die Fehler im Menschen sind nicht im Sinne einer substanzontologischen Habituslehre so zu erklären, daß sie durch Gewohnheit (consuetudo) dem Menschen zum Habitus geworden sind. Wäre dieses der Fall, könnte die Schlechtigkeit des Menschen auch in der umgekehrten Weise durch die Einübung fehlerfreien Verhaltens behoben werden. Indem Melanchthon den Fehler in der den Menschen konstituierenden Relation zu seinem Schöpfer, die vor dem Fall von der Ebenbildlichkeit bestimmt gewesen ist, verankert sieht, darf geschlossen werden, daß er die Möglichkeit der willentlichen Korrektur dieses Fehlers durch den Menschen negiert. Dieser Schluß wird von Melanchthon durch die Ablehnung der securitas des Menschen und durch den Verweis auf die Kirche als Ort der Sündenerkenntnis gezogen. Die securitas richtet den Menschen auf seine eigenen Kräfte aus, so daß er Gott vernachlässigt, was für Melanchthon entsprechend der kurz zuvor zitierten Stelle

63

Vgl. CR IV, Sp. 78: „Clare fatentur omnes Adam propagatos secundum legem communem nasci peccato originali et ita in ira Dei. Esse autem peccatum originale carentiam iustitiae originalis debitae inesse, cum concupiscentia. Et in baptismo reatum peccati originalis, et omnia peccata remitti per meritum passionis Christi. At morbum remanentem, ipsam nimirum vitiosam concupiscentiam, cum ex peccato relicta ad peccatum semper inclinet, ob hoc peccatum dici posse, sicut scriptura dicitur manus. Propterea tarnen nec proprie et formaliter peccatum damnabile appelatur." 64 Zum Vergleichstext des Wormser Kolloquiums über die Erbsünde vgl. A. LEXUTT, Rechtfertigung, S. 232-235. 65 Vgl. StA II/l, S. S. 261,9-14 (CR XXI, Sp. 671): „Nam vetus docendi consuetudo fuit talibus brevibus sententiis tanquam gnomis includere insignes articulos doctrinae, quas Ecclesia ministerio Evangelii evolvere et explicare debet, ut aliquo modo ostendat amplitudinem rerum, quae in eis continentur." 66 In der Reihenfolge der Nennung: Eph. 2,3; loh 3,5; Ps 50,7, Gen 8,21 etc.

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Rom 8,7 ein Indiz der Feindschaft des Menschen gegen Gott ist.67 Aus eigenen Kräften gelingt dem Menschen die Sündenerkenntnis nicht, sondern nur das Gegenteil. Die Kirche ist der Ort, an dem der Mensch seine Sünde erkennt. Es gibt demnach keine von der Kirche isolierte Erkenntnis der Sünde, sondern nur eine an die Offenbarung Gottes gebundene, die in der Kirche durch Wort und Sakrament verkündigt wird. Der Mensch wird mit seiner Intelligibilität von Melanchthon in die Lehre theologisch-anthropologisch eingebunden. Diese Einbindung geschieht mit den Kategorien der metaphysischen Psychologie wie auch schon in den vorangegangenen Loci-Ausgaben. Die theologische Perspektive wird nun aber durch die Zugehörigkeit des Menschen zur Kirche aufgrund seines Glaubens deutlicher als zuvor. So beantwortet Melanchthon die Frage, an welchem Ort dem Menschen die Offenbarung begegnet und ihm die wahre Erkenntnis von Gott zuteil wird. Die wahre Erkenntnis kann der Mensch aber nicht allein aufgrund des secundus usus legis haben. Dieser zweite Gebrauch führt bei einem Glaubenden zur contritio, die den Glauben nicht allein erhalten kann, da sie letztlich zum Schrekken im Gewissen führt. Daher muß in der Kirche mit dem Gesetz auch das Evangelium verkündigt werden, das die Barmherzigkeit Gottes und Jesus Christus als Mittler offenbart.68

6.2.3 Das Evangelium von Rechtfertigung und Gnade in der Verkündigung der Kirche Melanchthon hat die Lehre vom Evangelium in den Loci praecipui 1543 im Verhältnis zu den Loci communes 1535 nicht grundsätzlich verändert. Er hat ihr jedoch durch die Betrachtung im Zusammenhang mit der Kirchenlehre eine neue Wendung gegeben, die sich für die Willenslehre als relevant erweist. Mit dem Kapitel De evangelio verfolgt er in den Loci praecipui 1543 wie in den Loci communes 1535 die Intention, die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium sowie das Proprium des Evangeliums gegenüber dem Gesetz zu vermitteln. Als Unterscheidungsmerkmal gesetzlicher und evangelischer Verheißung wird erneut 67

Vgl. StA II/l, S. 259,21-30: „Et Rom. 8.: ,Sensus carnis inimicitia est adversus Deum, nam Legi Dei non subiicitur nec subiici potest.' Haec est tristis et horribilis descriptio generis humani. Nam verba clare ostendunt non dici de actuali malo tantum, sed etiam de malo haerente in ipsa natura, quod vocat inimicitiam adversus Deum. Quid atrocius dici potest, quam naturam hominis inimicitiam esse Deo, hoc est, [...], securitatem negligentem Deum, [...]." 68 Vgl. StA II/l, S. 325,10-19 (CRXXI, Sp. 719): „Denique contritio, quam sie vocant, in poenitentia ita clare intelligi potest, si sciamus earn huiusmodi veros terrores esse. Sed addenda est vox Evangelii, quae monstrat agnum Dei tollentem peccata ac revelat inenarrabilem misericordiam Dei, qui cum vere irascatur peccato, iudicat quidem peccatum, sed tarnen vult liberare credentes in Filium, quem fecit victimam. Ideo Paulus inquit terreri nos, non ut pereamus, sed ut confugiamus ad Mediatorem: .Conclusit omnes sub peccato, ut omnium misereatur.'"

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deren Bedingtheit bzw. Unbedingtheit genannt, wobei Melanchthon die Besonderheit der Unbedingtheit evangelischer Verheißung durch die „Unvernünftigkeit" dieser Lehre hervorhebt. Er kommt zu der Aussage, daß die Vernunft die verheißene Gerechtigkeit aus Glauben haßt, weil die Vernunft aufgrund der Verdunkelung die evangelische Gerechtigkeit nicht verstehen kann.69 Für das Verständnis der Glaubensgerechtigkeit ist Glaube notwendig, durch den der Mensch die gnadenhafte Verheißung der Barmherzigkeit annehmen kann. Melanchthon beleuchtet auch in den Loci praecipui 1543 wie in den Loci communes 1535 die psychologischen Auswirkungen des Glaubens im Zusammenspiel von mens, conscientia und voluntas. „Glaube" versteht Melanchthon als das Vertrauen in die Barmherzigkeit, dem eine Erkenntnis korrespondiert. Vertrauen ist als Bewegung des Herzens dem appetitiven Teil des Menschen zuzurechnen. Mit dem Glauben ist die Gabe des Heiligen Geistes verbunden, wodurch das Gewissen erleuchtet wird und als dictamen rectae rationis wieder zur Kontrollinstanz wahrer Erkenntnis wird. So kann durch das Vertrauen in die Barmherzigkeit, das mit der von der Vernunft nun richtig erkannten Barmherzigkeit übereinstimmt, das menschliche Gewissen zur Ruhe kommen, weil Erkenntnis und Strebekräfte des Menschen übereinstimmen und beide am Gewissen ausgerichtet sind. Der Glaube als Vertrauen ist der Affekt des Herzens, der auf Gott gerichtet ist, weil er vom Heiligen Geist evoziert wird. Ebenfalls im Heiligen Geist hat die wahre menschliche Erkenntnis der göttlichen Barmherzigkeit ihre Ursache, da der Heilige Geist die verdunkelte Seele erleuchtet. So opponieren weder die Erkenntnis noch die begehrenden Kräfte gegen das Gewissen. Melanchthon versteht unter Vertrauen in die Verheißung die Bewegung des Willens, der Verheißung zuzustimmen. In dieser Bewegung kommt auch der Wille zur Ruhe,70 weil die niederen Strebekräfte mit den von der Vernunft gezeigten Objekten übereinstimmen. Dieser beschriebene Ablauf ohne Einschränkungen ist die vollendete Rechtfertigung nicht nur extra nos, sondern wäre diese auch in nobis. Der Mensch müßte entgegen seiner verdunkelten Vernunfterkenntnis zu jedem Zeitpunkt seines Lebens darauf vertrauen, daß das Gesetz mit seinen Forderungen und verheißenen Strafen ihn nicht tötet. Da durch die fortwährende Wirkung der Erbsünde der Mensch nicht von allem Zweifel befreit ist, ist die Notwendigkeit der Verkündigung in der Kirche, durch die das erschreckte Gewissen durch die gemeinsame Verkündigung von der Buße und der Verheißung der 69 Vgl. StA II/2, S. 371,11-13 (CR XXI, Sp. 750): „Ratio humana intelligit iustitiam operum, hanc miratur unam et ilia, quae de iustitia fidei dicuntur, quia sunt aliena a politicis opinionibus, acerbe odit." Daß Melanchthon bei dieser Aussage nicht auf 1 Kor 1,18 verweist, ist verwunderlich. In den Annotationes in Epistulos Pauli ad Corinthios hat er bereits den Unterschied zwischen der auf die Werke gerichteten menschlichen Weisheit und der durch Christus geschenkten Gerechtigkeit hervorgehoben; vgl. StA IV, S. 20,24-21,17. 70 Vgl. StA II/2, S. 363,lOf. (CR XXI, Sp. 744): „Nam fiducia est motus in voluntate necessario respondens assensioni, seu quo voluntas in Christo acquiescit, [...]."

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Sündenvergebung zur Ruhe kommt, gegeben. Außerhalb der Kirche kann aufgrund der fehlenden Offenbarung Gottes die gnadenhafte Sündenvergebung nicht gelehrt werden, da die Angewiesenheit des Menschen auf das Opfer Christi und die iustitia aliena aufgrund ihrer „Unvernünftigkeit" ohne Offenbarung nicht gelehrt und verstanden werden können.71 Diese Lehre von der kirchlichen Verkündigung der Rechtfertigung basiert in den Loci praecipui 1543 wieder auf pneumatologischen Aussagen. Der Heilige Geist, der zugleich mit der Rechtfertigung des Sünders dem Gerechtfertigten gegeben wird, ist wie auch schon 1535 causa efficiens aller Bewegungen im Menschen auf die Verheißung hin. So erfährt der Einzelne in der Gabe des Heiligen Geistes die Vergebung der Sünden als individuelles Geschehen. Melanchthon betont die Individualität des Geschehens durch die Verwendung der zweiten Person Singular.72 Die Erfahrbarkeit dieses Geschehens vergleicht Melanchthon sehr plastisch mit einer Gerichtsverhandlung, in der der Angeklagte gerechtgesprochen wird.73 So wie der Heilige Geist als das lebendige Wort die Kirche baut, so bewegt er den Einzelnen, dieses Wort zu glauben, wodurch der Mensch die Rechtfertigung erlebt. Melanchthon hat, indem er die Lehre von der Kirche in die in diesem Kapitel untersuchten loci eingetragen hat, die umfassende Wirkung von Gottes Handeln für den Sünder scharf konturiert. Gott handelt durch den Heiligen Geist in der Sammlung der Kirche, die der Ort ist, an dem dem Menschen die Offenbarung verkündigt wird. Zugleich trägt Gott durch die Gabe des Heiligen Geistes Sorge dafür, daß der Mensch die Verheißung hört und auch annimmt. Der Mensch hat durch den Heiligen Geist von dem Geschehen pro nobis aufgrund kirchlicher Verkündigung Kenntnis. Die Wirksamkeit der Verheißung in nobis erfährt er ebenfalls durch den Heiligen Geist, so daß Gottes barmherzige Führung der Schöpfung den Menschen als Teil der Kirche ganz umfängt. Diese Deutlichkeit in der Aussage über Gottes den Menschen umfassendes Handeln ist gegenüber den Loci communes 1535 neu entwickelt durch die ausgeprägte Lehre von der Kirche. Wenn Melanchthon den Willen wie in den Loci communes 1535 auch in den Loci praecipui 1543 im Geschehen von Gnade und Rechtfertigung als eine causa beschreibt, ist das Handeln des menschlichen Willens im Kontext der Rechtfertigungslehre zu betrachten, deren Erfahrbarkeit 71 Vgl. StA II/2, S. 354,1-3 (CR XXI, Sp. 739): „[...], non intelligebant [Pharisaei, Anm. d. Verf.] oportere victimam fieri pro genere humano ad placandam iram Dei adversus peccatum et aliam iustitiam donaturum esse." 72 Vgl. StA II/2, S. 368,22-24 (CR XXI, Sp. 748): „Hoc est testimonium, quod perhibet Spiritus sanctus in corde tuo dicens: Dimissa sunt tibi peccata tua." 73 Vgl. StA Π/2, S. 359,10-15 (CR XXI, Sp. 742): „Iustificatio significat remissionem peccatorum et reconciliationem seu acceptationem personae ad vitam aetemam. Nam Hebraeis iustificare est forense verbum, ut si dicam: Populus Romanus iustificavit Scipionem accusatum a tribunis, id est, absolvit seu iustum pronuntiavit."

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Melanchthon nun auch formal fest in die Verkündigung der Kirche und damit in die Wirkung des Heiligen Geistes eingebunden hat. 6.2.4 Der Wille und die guten Werke des Menschen Melanchthon strukturiert die Aussagen zur Willensfreiheit anhand der drei usus des Gesetzes. Dabei verweist Melanchthon auf die Kirche als Kontext dieser Frage. Dieser Verweis ist in den Loci praecipui 1543 notwendig, da Melanchthon wie in den Loci-Ausgaben von 1533 und 1535 die Sündenerkenntnis jeder Aussage über die Freiheit des Willens vorgeordnet hat.74 Weil Melanchthon den Aufweis menschlicher Sünde und die Bußforderung als ein Proprium kirchlicher Verkündigung erkannt hat, ist die Willenslehre durch die von Melanchthon vorgenommene Verknüpfung mit der Sünden- und Gesetzeslehre letztlich in den Kontext der Lehre von der Kirche eingebunden. Christliche Verkündigung mit ihrem dreifachen Gebrauch des Gesetzes muß daher zu einer je nach Gebrauch des Gesetzes differenzierten Aussage von der Willensfreiheit kommen. Entsprechend dem usus politicus hat der Mensch einen freien Willen, da im Zusammenhang mit äußeren Dingen dem Menschen trotz der verdunkelten Seele eine Freiheit eignet, das äußere Verhalten zu steuern.75 Diese Freiheit, auch wenn sie ebenfalls durch die Erbsünde eingeschränkt ist, weil der Mensch seinen depravierten Affekten unterliegt, muß vom Menschen im positiven Sinne, also entsprechend den Gesetzesforderungen, ausgefüllt werden, da mit dieser Freiheit die äußere Ordnung hergestellt wird. Diese Ordnung hebt Melanchthon wie schon in den Loci-Ausgaben zuvor als notwendige Voraussetzung für die Verkündigung des Wortes hervor.76 Die daraus entspringenden Werke verdienen dem Menschen die Gerechtigkeit des Fleisches, nicht aber die Gerechtigkeit vor Gott. Betrachtet man den Willen und seine Möglichkeiten im Zusammenhang des usus theologicus legis, darf nicht von einer Freiheit des Willens gesprochen werden. Das Gesetz im zweiten Gebrauch fordert nicht nur äußere Werke, sondern auch die Übereinstimmung der Bewegungen des Herzens mit dem Willen und dem Handeln. Gemessen an den Gesetzesforderungen kann der Mensch keine Willensfreiheit haben, da er aus eigener Kraft unfähig ist zu erkennen, daß er den Forde74

Vgl. StA II/l, S. 238,7-12 (CR XXI, Sp. 653): „Cum enim dubitatur, an voluntas humana sit libera, quo quaeritur in Ecclesia, an et quatenus voluntas humana possit obedire Legi Dei: de hac quaestione iudicari non potest, nisi magnitude peccati, quod nobiscum nascitur, seu naturalis infirmitas consideretur." 75 Vgl. StA II/l, S. 240,1 lf. (CR XXI, Sp. 655): „Sed tarnen inter haec impedimenta manet aliquis delectus, aliqua libertas in mediocriter sanis regendi externos mores." 76 Vgl. StA II/l, S. 239,12-15 (CR XXI, Sp. 654): „Etsi enim disciplina non meretur remissionem peccatorum nec est iustitia, qua coram Deo iusti dicimur, tarnen res necessaria est, ut de Christo interim doceri possimus."

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rungen nicht entspricht. Von einer Abkehr von der Sünde aus eigener Kraft kann ohnehin nicht gesprochen werden. Vielmehr wird der Mensch vom Gesetz angeklagt, wodurch dem Menschen im Glauben die Notwendigkeit der Wohltaten Christi einsichtig wird.77 Eine Freiheit des Willens entsprechend dem Gesetz in seinem theologischen Gebrauch wird von Melanchthon daher verneint. Aus eigener Kraft ist der Mensch nicht fähig, die Forderung des Gesetzes richtig zu verstehen, da das menschliche Urteil auf der Erkenntnis der verdunkelten Vernunft basiert. Der Mensch ist daher ganz auf die göttliche Offenbarung angewiesen.78 An dieser Stelle wird deutlich, wie entscheidend der Unterschied in der Erbsündenlehre zwischen Melanchthon und Eck während des Wormser Kolloquiums gewesen ist. Wird durch die Taufe und die Gabe der Gnade die Erbsünde formal aufgehoben und bleibt allein die concupiscentia als Strafe bzw. materiale Ausprägung der Erbsünde im Menschen zurück, wie die Altgläubigen erklärten, dann besteht kein Grund, dem Menschen die Freiheit des Willens auch in bezug auf die theologisch verstandenen Gesetzesforderungen abzusprechen. Der Mensch ist mit dem Willen entsprechend der altgläubigen Lehre in der Lage, sich der Neigung zu den Aktualsünden zu widersetzen und gute Werke auch im Sinne eines Verdienstes zu vollbringen, nachdem er die gratia habitualis gnadenhaft erhalten hat. Indem Gnade aber von Melanchthon nicht substanzontologisch beschrieben wird, sondern als fortwährend dynamischer Akt der Sündenvergebung, ist Gnade der Ausdruck für das Opfer Christi pro nobis. Diesem Geschehen entspricht als Gabe der Gnade die Gabe des Heiligen Geistes in nobis als der Beginn des ewigen Lebens, wodurch der Mensch bewegt wird, den Weg der Heiligung zu gehen.79 Der Mensch bleibt stets auf die iustitia aliena angewiesen, da seine eigene Gerechtigkeit nur als begonnene bezeichnet werden kann und allein durch die Gabe des Heiligen Geistes für ihn begonnen wird. Damit diese Bemühungen um die begonnene Gerechtigkeit des Menschen neben der iustitia aliena nicht bedeutungslos erscheinen und auch in seiner Theologie einen Platz erhalten, hat Melanchthon die Forderung des Gesetzes an den

77 Vgl. StA II/l, S. 240,32-38 (CR XXI, Sp. 655): „Iudicat et damnat Lex peccatum in natura hominis, non tollit. [...] Haec mala agnoscenda sunt, ut e regione beneficia Christi conspiciantur, qui tollit peccatum et mortem et instaurat naturam humanam." 78 Vgl. StA II/l, S. 240,19-23 (CR XXI, Sp. 655): „Denique natura humana oppressa est peccato et morte, nec magnitude huius mali conspicitur humano iudicio, sed in verbo Dei revelato. Hie certum est homines non habere libertatem deponendi hanc pravitatem nobiscum nascentem aut deponendi mortem." 79 Vgl. StA II/2, S. 372,18-23 (CR XXI, Sp. 751): „Est autem gratia remissio peccatorum gratuita seu misericordia seu acceptatio gratuita. Deinde donum per gratiam significat donationem Spiritus sancti et vitae aeternae, id est, novam et aeternam iustitiam et vitam, quae hic inchoatur et postea perficitur."

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Glaubenden im Sinne des tertius usus legis als usus legis in renatis in den Loci seit 1535 gelehrt. Gemessen am usus legis in renatis kommt dem Willen eine bedingte Freiheit zu. Die Wiedergeborenen, denen der Heilige Geist gegeben ist, sehen sich den Forderungen des Gesetzes nicht mehr allein als unerfüllbaren Forderungen zum Aufweis der Sünde gegenüber, sondern als Forderungen, gute Werke zu vollbringen. Melanchthon spricht in den Loci praecipui 1543 wie bereits in den Loci communes 1535 von den drei Ursachen der guten Handlungen. Dabei ist der menschliche Wille zwar als dritte Ursache genannt, seine Funktion aber gegenüber der Darstellung in den Loci von 1535 noch weiter eingeschränkt. Ausgangspunkt und causa efficiens guter Taten ist das Wort Gottes und der Heilige Geist als das lebendige Wort Gottes. Dem Willen kommt die Wirksamkeit im materialen Sinne zu, wobei Melanchthon die Zustimmung des Willens zu dem als gut erkannten Objekt in den Loci praecipui 1543 durch den Zusatz einschränkt, daß die Zustimmung „kraftlos" geschieht.80 Eine auch noch so geringe effektive Wirksamkeit darf dem Willen daher nicht zugeschrieben werden. Dennoch ist der Mensch nicht regungslos im Geschehen der Heiligung, sondern mit seinen durch die Erbsünde eingeschränkten Möglichkeiten eingebunden. Diese bedingte Freiheit des Willens ist ganz an die Wirksamkeit des Wortes Gottes und des Heiligen Geistes gebunden. Dennoch ist die aus dieser Freiheit mögliche Zustimmung im Sinne einer causa sine qua non von Melanchthon verstanden worden, weil der Mensch, wenn er mit dem Willen die Zustimmung nicht gibt, das Heil verliert.81 Wenn der menschliche Wille die Zustimmung nicht gibt, bedeutet das, daß der Wiedergeborene willentlich gegen das Gesetz und das Gewissen handelt, weil er durch den Heiligen Geist den Willen Gottes als recta ratio kennt und sein eigener Wille, unterstützt vom Heiligen Geist, dem Willen Gottes zustimmen könnte, der Mensch mit seinem Willen aber diese Zustimmung verweigert.82 Diese Zustimmung ist als Ausdruck des Vertrauens in die Barmherzigkeit Gottes ein herausragendes Werk des Menschen, indem der Glaubende mit seinem Willen dem göttlichen Gnadenhandeln antwortet. Um diese Notwendigkeit der guten Werke zum Heil ist bereits seit 1536 eine Auseinandersetzung entbrannt, die von Cordatus ausgelöst wurde und sich mit 80 Vgl. StA II/l, S. 244,15-19 (CR XXI, Sp. 658): „Cum autem sit certamen ingens et difficile, voluntas non est otiosa, sed languide assentitur, et nisi promissionibus et exemplis inter invocandum subinde commonefieret ac iuvaretur a Spiritu sancto, rueret in desperationem." 81 Vgl. L. GREEN, Three causes, S. 95f. 82 Vgl. StA II/l, S. 274,21-29 (CR XXI, Sp. 682): „Et manent in gratia renati, etiamsi sunt in eis illi vitiosi affectus, si tarnen repugnant et fide agnoscunt condonationem propter Christum. Sed si non repugnant, ait morituros esse. Ut autem intelligi possit, qui sint non repugnantes, gradum constituit, videlicet delinquentes contra conscientiam, hoc est, eos, qui scientes et volentes indulgent aut etiam obtemperant in externa actione vitiosis illis motibus et flammis."

Analyse

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ihren Auswirkungen in Melanchthons Briefwechsel bis 1539 nachweisen läßt.83 In dieser Auseinandersetzung sagt Melanchthon deutlich, daß die guten Werke zum Heil notwendig seien, versteht aber darunter, daß die geistliche Erneuerung zum ewigen Leben notwendig ist.84 Er möchte daher die Werke nicht als eine causa secunda zur prima causa der göttlichen Barmherzigkeit verstanden wissen. 85 Der Wille ist dementsprechend keine Zweitursache, die das Heil bewirkt (causa secunda efficiens). Er ist der passive Wille des Menschen, der in der Heiligung die Bewegung auf Gott zu und zu guten Werken durch den Heiligen Geist erfährt, hier aber in seiner Eigenschaft als Willen zustimmen kann oder nicht. Hier schlägt sich vermutlich die alltägliche Beobachtung nieder, daß ein glaubender Christ auch weiterhin Handlungen begeht, die nach außen als Sünde identifiziert werden können, so daß ohne die Willensentscheidung der Heilige Geist als Ursache des Bösen gelten müßte. Wie das Adverb „kraftlos" inhaltlich zu füllen und vorzustellen ist, erläutert Melanchthon nicht. So sehr er ansonsten auf die rationale Nachvollziehbarkeit der Aussagen zur Ethik bedacht ist, an dieser Stelle ist die Verwendung des Begriffes „kraftlos" von dem Bestreben Melanchthons motiviert, die Diskussion um einen möglichen Synergismus des göttlichen und menschlichen Wirkens in der Lehre von den guten Werken zu vermeiden. Viel wichtiger als die rationale Nachvollziehbarkeit ist Melanchthon in dieser Konzeption der Lehre vom Willen, daß der Mensch mit seinen Fähigkeiten vollständig in die sichtbare Kirche eingebunden ist, die durch das Wort Gottes und die Sakramente konstituiert wird. Der Mensch erfährt durch die Bußpredigt der Kirche, daß sein Wille coram Deo keine Freiheit aus sich selbst hat; er erkennt aber aufgrund der Verkündigung des Evangeliums in der Kirche, daß sein Wille durch die Gaben des Heiligen Geistes und den Glauben befreit ist, in der Heiligung gute Werke zu wählen. Es ist zu betonen, daß Melanchthon als erstes Werk der Heiligung den assensus des Glaubenden in der Rechtfertigung beschreibt, der durch den Heiligen Geist 83 Vgl. einen Brief Melanchthons an Cordatus vom 05.11.1536, CR III, Nr. 1481, Sp. 181: „Audio te spargere epistolas, in quibus me atrociter ac hostiliter insectaris, nec satis scio, quae sit odii causa, aut quid reprehendas." In einem Brief an Bucer vom 23.04.1537 erläutert Melanchthon das Anliegen von Cordatus, vgl. CR III, Nr. 1566, Sp. 356: „Ego in novum periculum incidi. Est apud nos quidam homo durus, και άμουσος, cui nomen est Cordato. Is me crudeliter insectatur, eo quod dixi, Bona opera necessaria esse ad salutem." 84 Vgl. CR III, Nr. 1566, Sp. 356: „Quis autem sanae mentis negare potest hanc propositionem: Novitas spiritualis est necessaria ad vitam aeternam? Hoc dico, cum dico novam obedientiam necessariam esse ad vitam aeternam." 85 Vgl. einen Brief an Veit Dietrich vom 06.10.153 8, in dem Melanchthon darauf aufmerksam macht, daß Dietrich Luther in dessen Psalmenauslegung sicher nicht richtig wiedergebe, wenn er die Anerkenntnis der Sünde als eine Zweitursache der Rechtfertigung beschreibe, vgl. CR III, Sp. 593f.: „Rectius illud erat, solam misericordiam esse causam efficientem, propriam et immediatam remissionis, sed agnitionem esse aut praecedens quidam, aut certe causam ών ούκ ανευ, ut ego loquor; sed causam secundam nemo sie appellat."

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hervorgerufen wird. Damit rechnet Melanchthon jedes Werk des Menschen der Heiligung zu, auch wenn der assensus die unmittelbare Antwort des Sünders auf seine Rechtfertigung ist. Vermutlich wollte Melanchthon mit der Zuordnung des assensus zur Heiligung weiteren innerprotestantischen Auseinandersetzungen entgehen. Er war bereits Anfang und Mitte der 1530er Jahre wegen seiner Aussagen zur Notwendigkeit menschlicher Werke angegriffen worden, so daß er nun die Rechtfertigung des Sünders deutlich von jedem Handeln des Menschen unterscheiden möchte, auch wenn er die Glaubensantwort des Menschen als notwendig erachtet, das Heil nicht zu verlieren. Aufgrund der Bindung von Kirche allein an das Wort Gottes und die erhaltene Wirkung des Heiligen Geistes unter dem Haupt der Kirche, Jesus Christus, wird der heilvolle Charakter von Kirche sichtbar. Daß hinter diese Konzeption aus protestantischer Sicht alle Fragen zurücktreten mußten, die die verfaßte Kirche betreffen, ist insofern einsichtig, da sie für die Verkündigung von Buße und Evangelium nicht primär sind, sondern allein den organisatorischen Rahmen abdecken. Dieser Dissens mit der römischen Kirche hat die Diskussion zwischen altgläubigen und protestantischen Theologen gerade während der Religionsgespräche in Worms und Regensburg geprägt. Dieses wird deutlich aus dem rückblikkend geschriebenen Bericht Melanchthons über die Verhandlungen während des Reichstages in Regensburg. Als Melanchthon Eck eine harte Position attestiert in bezug auf die Lehre von der Kirche und den Konzilien „von wegen folgender Artikel von der Verwandlung des Brods im Sacrament und von der Beicht und anderen, bekannte er frei, dieses waere die Ursach"86. Daß Gott in der Kirche die guten Werke bereitet, hat dementsprechend in der protestantischen Lehre eine andere Bedeutung als in der altgläubigen. Während Melanchthon diese Aussage allein vom Wort Gottes her als Geschenk versteht, wie es aus der Hl. Schrift begegnet, vertritt die römische Kirche aus seiner Sicht die Position, Autorität über die Schriftauslegung zu haben.87 Die Lehre über die Notwendigkeit der guten Werke als Zeichen der Heiligung und aufgrund der Forderung Gottes hat Melanchthon in den Loci praecipui 1543 gegenüber den Loci communes 1535 in der Substanz unverändert gelassen. Jedoch hat Melanchthon nun in seiner Lehre der Einbindung des Menschen mit seinem Willen und seinen Werken des Glaubens in die vom Heiligen Geist gesammelte 86

CR IV, Nr. 2279, Sp. 422. Vgl. CR IV, Nr. 2279, Sp. 421: „Aber in der Kirchen ist die Auslegung nicht eine Gewalt, sondern eine Gabe Gottes, und nur in etlichen, die andern zu lehren, welche folgen darum, daß sie gewisse und gleichstimmende Zeugnis in Gottes Wort finden, und werden selbst auch von Gott angezogen, und solche Gabe ist allein der Frommen und nicht (der) Boesen, darum soll man nicht Gewalt daraus machen, und dazu dieselbige den Boesen geben." 87

Analyse

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Kirche Ausdruck verliehen. Die Zustimmung mit dem Willen zu den geistlichen Bewegungen, die vom Heiligen Geist im Herzen des Menschen hervorgerufen werden,88 geschieht in den Wiedergeborenen. Da Melanchthon in den Aussagen der Locipraecipui 1543 die unauflösliche Verbindung des Glaubens und der Gabe des Heiligen Geistes mit der Kirche und ihrer Verkündigung dargestellt hat, ist es konsequent, wenn Melanchthon die guten Werke in seiner Lehre ebenfalls an die Kirche bindet. Gott selber bereitet diese guten Werke im Menschen.89 Als herausragendes Werk wird wie in den vorangegangenen Loci-Ausgaben der Glaube von Melanchthon erkannt, der um die Führung Gottes im Leben bittet. Dieser Bitte um Führung liegt bereits die Sündenerkenntnis zugrunde, die durch die Kirche vermittelt wird. In der Bitte um die Unterstützung Gottes manifestiert sich sowohl die von Gott geforderte Bußhaltung, in der der Glaubende ganz auf die Barmherzigkeit Gottes vertraut, als auch die wahre Kirche, die sich in dieser Haltung von der Anrufung der anderen Völker, also der Nicht-Glaubenden, unterscheidet.90 Der Kern der Aussage liegt in der Übereinstimmung von der Anrufung - als äußerer Haltung des Glaubenden - und von dem Vertrauen - als innerer Bewegung des Glaubenden. Das Vertrauen wird allein aufgrund des Zuspruchs des Evangeliums in der Verkündigung des Wortes Gottes geweckt. Auch wenn Melanchthon in den Loci praecipui 1543 die Aussage von den drei Ursachen der guten Werke aus den Loci communes 1535 wiederholt, so wird die Aussage formal in doppelter Weise abgeschwächt. Wie bereits aufgezeigt, hat Melanchthon auch in den Loci communes 1535 dem Willen der Wiedergeborenen keine Ursächlichkeit im Sinne einer causa efficiens zugeschrieben. Nun aber wird der Wille als causa materialis, an der der Heilige Geist und das Wort Gottes handeln,91 noch stärker betont. Dieses geschieht zum einen in der Aussage, daß der Wille des Menschen kraftlos dem Wort Gottes zustimmt. Zum anderen wird die Ohnmächtigkeit des menschlichen Willens in bezug auf seine Heiligung durch die konsequente Unterordnung unter die Wirksamkeit des Heiligen Geistes in der Sammlung der Kirche in Melanchthons Lehre vermittelt. Der Wille des nicht 88

Vgl. StA II/2, S. 391,4-7 (CR XXI, Sp. 765): „Vocat [Zacharias, vgl. Sach 12,10; Anm. d. Verf.] Spiritum gratiae, eo quod testificator in cordibus nostris, quod Deus sit nobis propitius, cum videlicet movet corda, ut promissioni assentiamur et statuamus nos a Deo recipi." 89 Vgl. StA II/2, S. 387,5-8 (CR XXI, Sp. 762): „Primum enim de necessitate concionatur, cum ait: Nos iterum conditos esse ad bona opera. Deinde consolatio est, quod inquit: Deum praeparare in Ecclesia bona opera, [...]." 90 Vgl. StA II/2, S. 393,5-7 (CR XXI, Sp. 767): „Oportet enim discrimen esse inter invocationem veram seu populi Dei et invocationem Iudaicam seu Turcicam." 91 Vgl. L. GREEN, Three causes, S. 97: „Hence, we see that when the Aristotelian term of ,cause' is applied to the will, this does not imply that the unregenerate person is expected to cooperate toward his salvation, but rather the will is the .material' upon which the first two .causes' operate, namely the Spirit and the Word."

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Wiedergeborenen ist ohne Kraft, eine Wahl zu treffen, die vor Gott bestehen kann. Aber der Glaubende ist als Teil der Kirche durch das wirksame Wort Gottes dazu bereitet, dem Wort Gottes zuzustimmen. Diese Zustimmung ist eine conditio sine qua non, da der Glaubende ansonsten das Heil verliert, sie geschieht aber nicht aus der Kraft des menschlichen Willens, sondern dadurch, daß der Wille durch den Heiligen Geist befreit und bewegt wird.

6.3 Auswertung Melanchthon hat in den Loci praecipui 1543 durch das Gewicht, das er auf die Lehre von der Kirche gelegt hat, eine neue Klarheit in den Aussagen über die Freiheit des Willens erreicht. Hierbei haben ohne Zweifel die intensiven Auseinandersetzungen mit den altgläubigen Theologen, allen voran Johann Eck, einen gewichtigen Anteil. In diesen Diskussionen wurde den Protestanten vorgeworfen, sie hätten sich von der Kirche entfernt und damit die Einheit der Kirche zerstört.92 Es lag daher im Interesse Melanchthons zu erweisen, daß seine Lehre nicht außerhalb der allgemeinen Kirche Jesu Christi steht, wie er es auch Eck auf dessen Vorwurf entgegnet hat. Melanchthon schreibt das Wirken in der Kirche allein dem lebendigen Wort Gottes zu, indem das Rechtfertigungsgeschehen pro nobis durch den Mittler Jesus Christus bereits geschehen ist, der das Haupt der Kirche ist. In der Kirche wird die Vergebung der Sünden und der Beginn des ewigen Lebens durch den Heiligen Geist in nobis gewirkt. Indem das Geschehen der Heiligung durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes der Kirche zugeordnet wird, ist die Differenzierung in die drei verschiedenen Aussagen über die Freiheit des menschlichen Willens verständlich, wie sie in den Loci communes 1535 zwar erschlossen werden konnte, von Melanchthon aber noch nicht explizit genannt worden war. Dabei unterschied Melanchthon zwischen dem unfreien Willen im Rechtfertigungsgeschehen, dem befreiten, kraftlosen Willen in der Heiligung und dem weitgehend freien Willen in allen äußeren Werken, wobei diese Freiheit stets im Verhältnis zum Gesetz entsprechend seinen Gebräuchen ausgesagt ist. Der zweite und der dritte Gebrauch 92

Vgl. CR IV, Sp. 34; Eck sagt zu Melanchthon in der einleitenden Rede zu dem Gespräch: „Verum cum simus ita animati, ut nihil magis pensi habemus, quam ut Christianam concordiam cum illis inire possemus, qui ex nobis exierunt, etiam maiora libentius passuri, pro unitate Ecclesiae reconcilianda, et procuranda animarum salute." Melanchthon weist diesen Vorwurf entschieden zurück, vgl. CR IV, Sp. 37f.: „Quod adiecit [Eccius, Anm. d. Verf.], exiisse nos ex ipsis, obiiciens videlicet crimen desertae Ecclesiae, ad id respondere necesse est, etsi id faciemus hoc loci breviter. [...]: non discessimus ab Ecclesia catholica Christi, sed relinquimus taxatos abusus. Ac ab ipsis verius ex ipsorum coetibus expulsi sumus, violentis Edictis, excommunicationibus, et nova acerbitate, quae in Ecclesia non fuit usitata."

Auswertung

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des Gesetzes sind die Anwendung des Gesetzes auf den simul iustus et simul peccator. Einerseits befreit zum Gesetzesgehorsam, bedarf der Mensch andererseits immer wieder der Sündenerkenntnis und der Aufforderung zur Buße, da die Macht der Erbsünde im Menschen fortbesteht. Dieses Geschehen am Menschen vollzieht sich allein in der Offenbarung, die dem Menschen in der kirchlichen Verkündigung zugesprochen wird, also in einem Geschehen, das den Menschen dauerhaft umfängt. „Die wirkliche Offenbarung kennt den Menschen nicht jenseits des Aktes der Gnade Gottes in einem teilweise schon erreichten Begnadigtsein, sondern nur als Gegenstand gerade dieses Aktes, also nicht in irgendeinem Frieden oder auch nur Waffenstillstand zwischen Geist und Fleisch, in welchem er sozusagen psychologisch photographiert werden könnte, sondern nur mitten in diesem Streit, der in keiner Phase schon das Bild der gefallenen Entscheidung zeigt, der er [der Streit, Anm. d. Verf.] entgegenführt."93 Gnade wird von Melanchthon daher unterschieden in die Gnade an sich als Vergebung der Sünden und die Gabe der Gnade als Gabe des Heiligen Geistes und des ewigen Lebens. Durch dieses Gnadenverständnis schließt Melanchthon die habitual verstandene Gnade aus, wie sie in der altgläubigen Theologie gelehrt wurde.94 Die habituale Gnade ist die Voraussetzung für die Lehre von der Freiheit des Willens, der Werke entsprechend den Gesetzesforderungen wählen kann. Melanchthon verhindert in seiner Lehre die „substanzontologische Photographie" und erklärt den Vorgang der Heiligung innerhalb des Rechtfertigungsgeschehens relational-theologisch. Ziel ist es, in der Verkündigung die Forderung nach ethischem Handeln weiterhin wie auch schon in den vorangegangenen LociAusgaben zur Geltung zu bringen, ohne jedoch die Mitwirkung des menschlichen Willens an der Rechtfertigung des Sünders auszusagen. Melanchthon verliert dabei nicht aus dem Blick, daß die Suche des Menschen nach einer dem Glauben korrespondierenden Erkenntnis auch in der Verkündigung der Kirche ihre Berücksichtigung finden muß, wenn der Glaubende verstehen soll, was ihm verkündigt wird. Daher ist Melanchthons Theologie, wie er sie in allen Loci darlegt, an den Aussagen der Hl. Schrift orientiert, wie er selber immer wieder betont und durch eine Vielzahl von Schriftzitaten belegt; aber sie ist dennoch auf die Intelligibilität des Menschen ausgerichtet, der Antworten auf seine Fragen haben möchte.95 93 K A R L B A R T H , Die Kirchliche Dogmatik, 1 / 2 . Studienausgabe Bd. 4 , Die Lehre vom Wort Gottes, Dritter Abschnitt: Die Ausgießung des Heiligen Geistes, Zürich 1993, S. 399. 94 Vgl. T H O M A S V . AQUIN, STh I—II, q 111,2 resp.; vgl. A. LEXUTT, Rechtfertigung, S. 239 zum Regensburger Buch. 95 Vgl. StA II/l, S. 167,21-168,1 (CR XXI, Sp. 603): „Ita conditi sunt homines a Deo, ut numeros et ordinem intelligant et in discendo multum utraque re, numeris et ordine, adiuventur."; vgl. auch StA II/l, S. 171,3-6 (CR XXI, Sp. 606): „Et quia rüdes non ubique genus sermonis intelligunt, non statim vident ordinem rerum, commonefaciendi sunt voce interpretum de genere sermonis et de rerum ordine."

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Melanchthon hat durch die Einbindung der auf den Adressaten der kirchlichen Verkündigung ausgerichteten Lehre in die Kirchenlehre die Kluft noch weiter geschlossen, die in seiner Theologie zwischen der reformatorischen Rechtfertigungslehre von der iustitia aliena und der ethischen Forderung an den Menschen bestand. Diese zwei Strömungen fielen bei Melanchthon auseinander, weil er den Menschen weiterhin mit substanzontologischen Kategorien beschrieben hat, um ethisches Handeln als psychologischen Vorgang im Menschen zu erklären. In den Loci communes 1535 diente im Gegensatz zu den Loci communes 1521 die Pneumatologie nicht mehr allein der Erläuterung, wie im Menschen geistliche Bewegungen entstehen können. Der Heilige Geist wurde von Melanchthon auch mit seiner die menschliche Vernunft erleuchtenden Wirkung dargestellt, so daß das Gesetz als Forderung geistlicher Werke erkannt wird, der Mensch aber von dieser Forderung nicht mehr zu Tode erschreckt wird. Das tertium officium legis divinae ist demnach die Forderung des Gesetzes an den durch den Heiligen Geist befreiten menschlichen Willen. In den Loci praecipui 1543 wird diese neue Freiheit des Menschen in einem neuen Zusammenhang geschildert. Der Mensch wird nicht mehr als Individuum in den Vordergrund gestellt, sondern als Glied der vom Heiligen Geist gesammelten Kirche betrachtet. Gemäß dem Traditionsverständnis ist der Mensch mit seinem Wollen und Handeln in den großen heilsgeschichtlichen Plan Gottes mit seiner Kirche integriert. Versucht sich der Mensch in der Sünde gegen den göttlichen Heilswillen zu stellen, wird sein Wille von der Sünde versklavt. Holt Gott den Sünder in seinen eigenen Heilswillen ein, erscheint dem Sünder dieses als Zwang, wenn er sich dem Glauben verschließt. Im Glauben liegt aber die eigentliche Bestimmung des Menschen und daher seine Befreiung. Gegen dieses Eingeholtwerden von Gott, also gegen die Rechtfertigung, wehrt sich der menschliche Wille, so daß in diesem Kontext auch nicht im eigentlichen Sinne von einer Willensfreiheit gesprochen werden kann. Aus der Befreiung ergibt sich aber die Freiheit des Menschen zur Heiligung des Lebens. Diese Freiheit besteht darin, daß der Wille in der Heiligung die Möglichkeit hat, zuzustimmen oder nicht zuzustimmen. Die Zustimmung des Willens ist Teil des Heilsplanes Gottes für seine Kirche, so daß der menschliche Wille zwar frei ist aufgrund der Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen durch die Wirkung des Heiligen Geistes, aber keine Kraft hat, den Heilsplan Gottes zu verwirklichen oder zu verhindern, wohl aber die Möglichkeit, eingebunden zu werden. In diesem Sinne kann auch die göttliche Prädestination als locus consolatorius vom Menschen begriffen werden. Wenn Melanchthon davon spricht, daß der Wille in der Heiligung „kraftlos" zustimmt, bleibt er jedoch die letzte Antwort schuldig, wie die Heiligung als Ausdruck der effektiven Rechtfertigung des Sünders psychologisch zu erklären ist.

Auswertung

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Verstehen kann man dieses System Melanchthons, wenn in dem „kraftlos" der „ontologische Bruch" verstanden wird, der zwischen der gefallenen Welt des Sünders und der neuen Schöpfung bei Luther so deutlich zum Ausdruck kommt.96 Die zwei Strömungen, der Humanismus in der Anthropologie und die lutherisch-reformatorische Theologie, sind von Melanchthon miteinander verwoben worden. Terminologisch ist dabei die metaphysische Psychologie von Melanchthon auf die Aussagen begrenzt worden, die mit dem Handeln des Menschen unmittelbar zusammenhängen. Melanchthon ist, wenn man die Terminologie betrachtet, in den untersuchten theologischen Schriften über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren immer mehr Theologe geworden.

96

Vgl. oben S. 7Iff.

7. Die Willenslehre in Ph. Mel. enarrationes aliquot librorum ethicorum Aristotelis 7.1 Einfuhrung Melanchthon hat in seinen theologischen Schriften die Willenslehre vor allem von der Rechtfertigungslehre aus betrachtet. Dabei hob er seit 1527 die Notwendigkeit menschlichen Handelns aus Glauben hervor und betonte dessen Bedeutung für die Heiligung christlichen Lebens. Die Bedeutung des politischen Handelns thematisierte Melanchthon seit 1522 in seinen theologischen Schriften mit fortschreitend stärker werdender Geltung; aber aufgrund des besonderen theologischen Interesses von Melanchthon wurde das politische Handeln kein zentraler Punkt seiner Darstellungen, wenngleich er um die Notwendigkeit wußte, die äußere Ordnung als Grundlage eines Lebens im christlichen Glauben zu erhalten. Das politische Handeln wurde also in seiner rahmengebenden Funktion wahrgenommen, aber auch weitgehend auf diese beschränkt. Ebenso war die Tugendlehre, die Melanchthon im Laufe der Jahre ausgebildet hat, ebenfalls geprägt von der theologischen Perspektive, den Menschen coram Deo in das Zentrum der Aussagen zu stellen. In seinem Kommentar zur Nikomachischen Ethik widmet sich Melanchthon einem Text, der nicht-christlichen Inhalts ist und das Handeln des Menschen coram mundo in einer ausfuhrlichen Tugendlehre darlegt. Die Einordnung der Analyse von Melanchthons Enarrationes aliquot librorum ethicorum Aristotelis1 von 1546 bzw. 1560 in dieser Untersuchung zur melanchthonischen Willenslehre im Anschluß an die Analyse der Locipraecipui 1543 hat den formalen Grund, daß die in CR XVI wiedergegebene Fassung von 1546 bzw. 1560 stammt und als letzte von Melanchthon besorgte Ausgabe seines Kommentars zu den Büchern eins bis drei und fünf der Nikomachischen Ethik den Endpunkt der Überarbeitung darstellt.2 Die erste Ausgabe eines Kommentars zur Nikomachischen Ethik von Aristoteles hat Melanchthon 1529 herausgegeben und zwar zu den ersten beiden Büchern. Bis 1532 erfolgte die Arbeit an den Büchern drei und fünf, die im gleichen Jahr als Kommentar in einer Ausgabe zusammen mit den ersten beiden Büchern erschienen. Ihnen folgten mehrere Überarbeitungen, wobei Melanchthon sich stets auf diese vier Bücher der Nikomachischen Ethik beschränkte. Die letzte von Melanchthon besorgte Ausgabe der ersten drei Bücher erfolgte 1546, die letzte des fünften Buches in seinem Todesjahr 1560. Dieses fünfte Buch hat für Melan1 2

Im folgenden „Ethik-Kommentar 1546" genannt. Zu den Ausgaben des Ethik-Kommentars vgl. CR XVI, Sp. 277/278.

Einfuhrung

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chthons Erkenntnis in bezug auf die Gottesgerechtigkeit und die Notwendigkeit menschlichen Handelns eine besondere Bedeutung gehabt.3 Neben den Kommentaren zur Nikomachischen Ethik hat Melanchthon die Philosophiae moralis epitomes libri duo im Jahr 1538 erstmals herausgegeben. Sie sind wahrscheinlich aus der Aristoteles-Vorlesung Melanchthons im Jahre 1532 entstanden.4 Weitere Auflagen erfuhren sie bis 1548 mit einigen deutlichen Veränderungen in der Darstellung, jedoch weniger im Inhalt. 1550 kam eine erneut veränderte Fassung mit dem neuen Titel Ethicae doctrinae elementa et enarratio libri quinti Ethicorum heraus, die trotz ihrer Abweichungen als Fortsetzung der vorangegangenen Auflage von 1548 verstanden wurde.5 Sie ist in vier Auflagen erschienen, deren letzte im Jahr 1560 herauskam.6 Verändert sind die Ethicae doctrinae elementa gegenüber der Philosophiae moralis epitomes besonders in der Art der Darstellung und weniger im Inhalt, wobei auch neue Kapitel aufgenommen wurden. Die Veränderungen am Kommentar zur Nikomachischen Ethik im Laufe der Jahre sind nur an drei Stellen grundsätzlicher Natur und betreffen die Einleitung7 sowie die Abschnitte zum Ius positivums und De ambitione9 aus dem fünften Buch. Von diesen drei Veränderungen sind für diese Untersuchung zur Willenslehre die Aussagen der erst- und der letztgenannten Veränderung von Bedeutung. Anstelle der Abschnitte Utilitates philosophiae moralis, De textu und Caput I boten die Ausgaben von 1530, 1532 und 1535 einen einleitenden Abschnitt über die Unterscheidung von christlicher Lehre und Philosophie sowie über die Unterscheidung der christlichen von der philosophischen Tugend und einen Abschnitt Argumentum primi libri. Der Abschitt De ambitione war in den sechs Ausgaben vor 1545 nicht vorhanden. An seiner Stelle hatte Melanchthon eine Summa quinti libri Ethicorum gegeben, die eine thematische Zusammenfassung der Aussagen bietet. Aufgrund der geringfügigen Veränderungen am Ethik-Kommentar ist nicht zu erwarten, daß in der Ausgabe von 1546 bzw. 1560 die zeitgenössischen Umstände eindeutige Wirkungen hinterlassen haben, die gesonderte Berücksichtigung in dieser Untersuchung finden müßten. Auf die Notwendigkeit der Ausgestaltung 3

Vgl. oben S. 150ff. Vgl. HERMANN HEINECK, Die älteste Fassung von Melanchthons Ethik. Zum ersten Mal herausgegeben, in: Philosophische Monatshefte 29,1893, S. 9-177, bes. S. 9. 5 Vgl. CR XVI, Sp. 13/14: „Anno 1550. Melanthon[!] librum edidit, qui, quamquam post dedicationem, fol. 1 libri principium verbis: Epitome philosophiae moralis repetita anno 1548. et omnia sequentia folia Epitome philos. moralis inscripta sunt, tarnen quod ab illis epitomes philosophiae moralis editionibus valde differt, [...]." 6 Vgl. CR XVI, Sp. 165/166. 7 Vgl. CR XVI, Sp. 280-284, Anm. 1 und 2. 8 Vgl. CR XVI, Sp. 392-394, Anm. 95. 9 Vgl. CR XVI, Sp. 411-414, Anm. 87. 4

194 Die Willenslehre in Ph. Mel.

enarrationes aliquot librorum ethicorum Aristotelis

einer theologischen Ethik, die Melanchthon - wie bereits geschildert - seit dem Auftreten von öffentlichem Aufruhr sah, zu dem theologische Gründe angeführt wurden, ist bereits hingewiesen worden.10

7.2 Analyse 7.2.1 Einordnung der ethischen Lehre in die göttliche Ordnung Die Verortung der Ethik innerhalb einer größeren Ordnung ist fur die Beurteilung der Willenslehre von Bedeutung, weil Ethik die Lehre von den öffentlichen Sitten ist. Alles Handeln, also auch das sittliche, wird durch den Willen vollzogen. Durch die Einordnung der Ethik in einen größeren Kontext, als sie ihn selber vorgibt, entstehen auch für die Lehre vom Willen als handelndem Prinzip des Menschen Konsequenzen. Die vorrangigste Konsequenz ist die einer geänderten Frageperspektive, der eine Veränderung in bezug auf die zu betrachtenden Objekte, die dem Willen vorgestellt werden, folgt. Melanchthon beginnt den Ethik-Kommentar 1546 mit der Einordnung der Ethik in das göttliche Gesetz. Die ethische Lehre ist „ein Teil des göttlichen Gesetzes über öffentliche Sitten"11. Er mahnt die Notwendigkeit an, die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zu beachten, mit denen die philosophia moralis verglichen werden soll. Melanchthon ordnet also die Ethik zunächst in die theologische Lehre ein und legt damit über seine Betrachtungsperspektive Rechenschaft ab; er kommentiert die Nikomachische Ethik als Theologe. Als zweites ordnet Melanchthon die Ethik dem Naturgesetz als Teilbereich zu,12 das Melanchthon in seinen verschiedenen Loci-Ausgaben als göttliches Licht in der menschlichen Vernunft beschrieben hat. Damit sind mit der theologischen und der philosophischen Betrachtung zwei differierende Perspektiven ethischer Lehre genannt, ohne jedoch die Philosophie wie in den Loci communes 1521 gegenüber der Theologie abzuwerten. Die Vernunftbegabung des Menschen ist seine Möglichkeit, die Dinge zu beherrschen, die seiner Sinnlichkeit und dem körperlichen Leben zuzuordnen sind. Über den göttlichen Willen kann der Mensch mit der bloßen Vernunft ohne Kenntnis des 10

Vgl. oben S. 84ff., lOlff. u.ö. " CR XVI, Sp. 277f.: „Utilis est collatio cum Evangelio et lege Dei, ac illustrat genera doctrinae. Tenendum enim est discrimen legis et Evangelii, et sciendum ethicam doctrinam esse partem legis divinae de civilibus moribus." 12 Vgl. CR XVI, Sp. 278f.: „Quia ethica doctrina pars est legis naturae, et quia Deus vult legem naturae cognosci, certe hae disputationes prosunt, quae per signa et demonstrationes colligunt leges naturae, et ordinem monstrant."

Analyse

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Wortes Gottes nichts aussagen. Dieses hatte Melanchthon in den Fassungen der Ethik bis 1535 in dieser Deutlichkeit gesagt,13 in den späteren Ausgaben aber darauf verzichtet. Mit der Verbindung der beiden Aussagen zur theologischen und zur philosophischen Ethik durch den gemeinsamen Bezug auf die göttliche Ordnung ist inhaltlich jedoch das Gleiche intendiert. Beiden Formen der Ethik wird ein bestimmter Bereich zugeordnet, wobei die Theologie der Philosophie übergeordnet wird. Die Aussagen von Aristoteles sind daher nicht obsolet, sondern innerhalb der Betrachtung zum natürlichen Gesetz aussagekräftig, weil auch das natürliche Gesetz den Willen Gottes kundtut, wenn auch in grundsätzlich anderer Form als das Gesetz in der Distinktion von Gesetz und Evangelium. Diese beiden einleitenden Feststellungen Melanchthons lassen keinen Raum für eine Untersuchung jenseits der göttlichen Ordnung. Melanchthon versteht den Menschen konsequent als Geschöpf Gottes und seine Umwelt als Gottes Schöpfung. Jede Erörterung, die die Ordnung Gottes für seine Schöpfung zeigt, ist nützlich, weil sie dem Willen Gottes entspricht, daß das Gesetz der Natur vom Menschen erkannt werden soll.14 Wenn die Ordnung der Natur erkannt wird, zeigt sich in ihr die gubernatio Gottes, wie Melanchthon in einem Exkurs zum Naturgesetz im fünften Buch seines Ethik-Kommentars 1546 ausfuhrt. Von der erkannten Ordnung aus kann der Mensch auf die erste Ursache einer ungeheuren Macht zurückschließen.15 Deqenige, der mit seiner Vernunft die Ordnung betrachtet, erkennt aber nicht Gott selbst, sondern kann nur auf eine ungeheure Macht hinter der ersten Ursache schließen, die aber nicht als der Gott erkannt werden kann, der sich in Gesetz und Evangelium offenbart. In diesem Schluß auf eine immensa potentia geht Melanchthon über Aristoteles hinaus. Er greift die Transzendenz Gottes gegenüber der Schöpfung argumentativ auf und begründet die Ordnung von Gottes Transzendenz her,16 woraus sich die besondere Verbindlichkeit der leges naturae für alle Menschen, also auch für die Christen, ergibt. Das Verhältnis von Philosophie und Theologie ist nun nicht mehr, wie in den Loci communes 1521, von äußerster Kritik an der Philosophie geprägt, sondern von der Meinung, daß die 13

Vgl. CR XVI, Sp. 281, Anm. 1: „Quanquam enim ratio de voluntate Dei iudicare ac statuere sine verbo Dei, et sine fide nequeat, tarnen est bona Dei creatura condita ad iudicanda ea, quae sensibus subiecta sunt, quaeque ad hanc corporalem vitam retinendam ac regendam conducunt: [...]." 14 Vgl. oben S. 194, Anm. 12. 15 Vgl. CR XVI, Sp. 386: „Huius legis [naturae, Anm. d. Verf.] multae sunt demonstrationes. Primum enim esse Deum, et curare humana, nec casu res oriri, aut occidere, testatur pulcherrimus ordo naturae, qui sine mente et consilio aliquo existere non potuit, et physica ratio ostendit in serie causarum necessario perveniri ad unam primam causam, intelligentem, immensae potentiae." 16

V g l . G. FRANK, P h i l o s o p h i e , S. 2 7 3 f . u n d ROLF BERNHARD HUSCHKE, M e l a n c h t h o n s

Lehre vom Ordo politicus. Ein Beitrag zum Verhältnis von Glauben und politischem Handeln bei Melanchthon, (SEE 4) Gütersloh 1968, S. 73f.

196 Die Willenslehre in Ph. Mel.

enarrationes aliquot librorum ethicorum Aristotelis

Philosophie eine nützliche Ergänzung sein kann, wobei die Erkenntnis der Philosophie niemals so weit fuhren kann wie die Erkenntnis des Glaubens; wohl aber sind auch philosophische Erkenntnisse dort nützlich, wo der Glaube fehlt, wenn sie auf die Ordnung der Natur verweisen. Dieses einerseits produktive Verhältnis von Theologie und Philosophie verdeutlicht andererseits auch den grundlegenden Unterschied zwischen beiden. Die Philosophie erkennt die Ursache für die Schwäche des Menschen nicht und kann daher den Grund, warum Ethik als Lehre überhaupt notwendig ist, nicht angeben. Dagegen ist die Theologie in der Lage, die Ursache aufzuzeigen.17 Melanchthon verwendet in der Einleitung den Terminus „Erbsünde" für die Ursache der menschlichen Schwäche nicht, sondern den philosophischen Begriff der verdunkelten Erkenntnis18 und paßt sich somit sprachlich seinem Untersuchungsgegenstand an. Obscura notitia ist eine von den möglichen Beschreibungen in der metaphysischen Psychologie, die Melanchthon für den theologischen Sachverhalt der „Erbsünde" verwendet. Bei der Analyse zu Melanchthons Fragmenta locorum communium 1533 hat sich ergeben, daß die verdunkelte Erkenntnis für Melanchthon eine Folge der Erbsünde ist.19 Anders, als es bei dem Titel Enarrationes aliquot librorum ethicorum Aristoteles zu erwarten ist, bietet Melanchthon keine rein philosophische Abhandlung. Vielmehr hat er die Ethik in die Theologie eingeordnet. Daraus ergibt sich für die Untersuchung der Willenslehre im Ethik-Kommentar 1546 eine unverändert theologische Basis. Melanchthon bringt zum Ausdruck, daß sich die Betrachtungsperspektive entsprechend dem Gegenstand gegenüber der Perspektive in den theologischen Schriften verschiebt. Im Zentrum stehen nun die civiles mores und die leges naturales, die damit auch als Objekte des menschlichen Willens in den Blick kommen. 7.2.2 Die Unterscheidung zwischen einer allgemeinen und einer christlichen Ethik Das erste Buch der Nikomachischen Ethik thematisiert zwei Ziele menschlichen Handelns. Das erste Ziel richtet sich auf das reine Tätigsein, während das zweite, höher einzuschätzende Ziel auf das Ergebnis des Handelns gerichtet ist. In dieser allgemein gehaltenen Aussage ist die Differenz in bezug auf die Ziele von der allgemeinen und der christlichen Ethik noch offengelassen. Die Ethik beschäftigt 17

Vgl. CR XVI, Sp. 280: „Eo etiam testificator de doctrina religionis, quia philosophia cemit infirmitatem in hominis natura, et fatetur se causam tantae calamitatis non videre. Ideo cum divina doctrina causam ostendit, et offert remedia, agnoscendum est superius doctrinae genus." 18 Vgl. CR XVI, Sp. 279: „Nunc vero sunt obscurae notitiae: [...]." 19 Vgl. oben S. 123ff.

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sich mit dem zweiten Ziel des Handelns, das hinter dem Handeln an sich liegt, weil dieses Ziel das Handeln des Menschen bestimmt.20 Ein äußerstes Ziel des Handelns zu haben, wird von Melanchthon entsprechend der aristotelischen Aussage in seiner Notwendigkeit für den Menschen genannt.21 Die Differenz der Aussagen zum Ziel des Handelns hebt Melanchthon nun aber deutlich hervor. Aristoteles sage, daß die Glückseligkeit das Ziel des Handelns sei, und definiere es als tugendhaftes Handeln. Im Unterschied dazu werde als Ziel des göttlichen Gesetzes Gotteserkenntnis und Gehorsam gegen Gott vorgegeben.22 Melanchthon kommentiert die Aristotelische Lehre aus der christlich-theologischen Perspektive und macht daher auf den Kardinalunterschied christlichen und nicht-christlichen Handelns aufmerksam, der für die jeweilige Ethik grundlegende Bedeutung besitzt. Diese Differenz bleibt auch weiterhin im Blickfeld des EthikKommentars 1546, wie Melanchthon hervorhebt.23 Aber nicht nur in bezug auf das Ziel des Handelns ist die Theologie der Philosophie in ihren Erklärungsmöglichkeiten überlegen. Die Philosophie kennt bei den principia moralia zwei Formen, die speculabilia und die practica bzw.principia moralia. Zu den speculabilia gehören z.B. die mathematischen Prinzipien, zu den moralia z.B. die Forderungen: „Pacta sunt servanda, Mendacium fugiendum est, Adulterium vitandum est"24. Die Anfrage an diese Erklärung ist für Melanchthon nun, warum die Menschen sich an die speculabilia viel eher halten und diese als verbindlich akzeptieren, während sie die moralischen Prinzipien, die in der Praxis ihren Wert erweisen und greifbar sind, viel häufiger mißachten. Hierauf kennt die Philosophie keine Antwort. Diese Frage kann allein die Theologie beantworten. Ursache für die größere Zustimmung zu den speculabilia als zu den praktischen Prinzipien ist die Erbsünde. Die Wirkung der Erbsünde erklärt Melanchthon mit der Affektenlehre. Die Affekte reißen den Willen mit, der den vorgestellten Objekten nicht sicher zustimmt.25 20

Vgl. CR XVI, Sp. 285: „Ita ultimus gradus bonorum seu finis semper in conspectu esse debet, ut consilia et actiones gubernet." 21 Vgl. CR XVI, Sp. 284f.: „Necesse est, aliquem esse extremum et ultimum finem hominis, quem praecipue oportet expeti, nec contra eum quicquam agi, et eas actiones suscipi, quae ad illum finem quadrant." 22 Vgl. CR XVI, Sp. 285: „Postea vero de fine hominis nominatim dicetur, quem Aristoteles constituit esse beatitudinem, quam interpretatur actionem virtutis. Lex divina constituit finem, agnoscere Deum, et obedire Deo, ut suo loco dicetur." 23 Vgl. CR XVI, Sp. 285: „Idque infra fiet, ubi monebimus quid intersit inter Aristotelis dicta, et coelestem doctrinam de fine hominis." 24 CR XVI, Sp. 286. 25 Vgl. CR XVI, Sp. 286: „Respondeo: Bona mens sciat parem esse certitudinem principiorum speculabilium et practicorum. Tam oportuit assentiri his propositionibus: Deus est timendus, Adulterium est vitandum, quam huic: Bis quatuor sunt octo. Quod autem videntur practica flexibiliora, fit propter morbum originis." Vgl. ferner aaO., Sp. 287: „Retinemus notitias

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Diese Erklärung mit Hilfe der Affektenlehre widerspricht der aristotelischen Ansicht, daß die Erkenntnis dem Willen die Objekte vorstellt und dieser in seiner Freiheit diese wählt, um so die schändlichen Affekte einzudämmen. Die aristotelische Meinung ist Teil der Unterscheidung menschlicher Handlungen in drei Arten. Die erste Art des Handelns hat der Mensch mit den Pflanzen gemeinsam, sie besteht in den vegetativen Handlungen. Die zweite Art besteht in der „sinnlichen" Handlung (actio sensuum) und wird auch von den nicht vernunftbegabten Lebewesen ausgeführt, während die dritte Art nur dem Menschen eignet. Sie besteht in der Interaktion von Vernunft oder Geist und Willen. Dabei richtet sich die Handlung an der recta ratio aus, die die praktischen Prinzipien aus der Natur erkennen kann, da diese in die Natur hineingegeben sind.26 Aristoteles geht - wie bereits mehrfach genannt - davon aus, daß der Wille der Erkenntnis zustimmen kann, so daß der Mensch die Glückseligkeit als Ziel des Handelns erreichen kann. Voraussetzung dafür ist die Freiheit des Willens, der Erkenntnis zu folgen, wobei der Wille durch Gewöhnung veranlaßt werden kann, der guten Erkenntnis sicher zu folgen.27 Dagegen wirft Melanchthon Aristoteles vor, aufgrund der Dunkelheit des menschlichen Geistes nur von den Tugenden zu sprechen, die sich auf die Gesellschaft beziehen. Das vorrangige Urteil der Vernunft bestehe aber in der Erkenntnis Gottes, im Gehorsam gegen Gott in bezug auf die Unterscheidung von Ehrenhaftem und Schändlichem etc. Nur durch die Engführung in der Betrachtung von äußerlichen Handlungen könne Aristoteles zu dem Schluß gelangen, daß die Glückseligkeit eine Handlung der menschlichen Vernunft sei, die als tugendhafte Handlung ehrenhaft ist und mit der menschlichen Natur übereinstimmt.28 utcunque, sed cor non obtemperat. Ideo rapitur voluntas diversis affectibus, ne tarn firma sit assensio, sicut in speculabilibus, ut quotidie experimur, adfectibus impediri vera iudicia." 26 Vgl. CR XVI, Sp. 298: „Enumerat igitur gradus actionum et virium hominum. Primus gradus est generis vegetativi, quod commune est cum plantis. Secundus sensuum, qui communes sunt cum brutis. Tertius rationis seu mentis et voluntatis. Harum partium ordinata et praecipua actio, finis est hominis, videlicet praecipua actio mentis et voluntatis." Vgl. weiter aaO., Sp. 298f.: „Principia practica naturae indita sunt, ut regant actiones. Ergo his obtemperandum est. Unde et hoc sequitur, ordinatas actiones praestantiores esse, quam alias actiones, quae ab his notitiis naturalibus dissentiunt. Porro cum Aristoteles nominat actionem secundum virtutem, intelligit actionem, quae recta ratione gubematur, [...]." 27 Vgl. CR XVI, Sp. 307: „Mens eruditione indiget, voluntas et cor flectuntur persuasione et assuefactione, ut cives." 28 Vgl. CR XVI, Sp. 298: „Et inter ordinatas prima est vero rationis iudicium, agnitio Dei, et obedire Deo in observando discrimine honestorum et turpium, ac referre caeteras virtutes et obedientiam, eo, ut Dei agnitio patefiat et celebretur, sed Aristoteles in hac caligine humanae mentis, de iis virtutibus maxime loquitur, quae in hac communi societate exercendae sunt erga homines." Vgl. weiter aaO., Sp. 298: „Propria actio hominis est beatitudo. Actio rationis est propria hominis. Ergo beatitudinem oportet esse aliquam rationis actionem." Vgl. femer aaO., Sp. 300: „Quarto monet gubernari virtutis actionem a recta ratione. Haec est enim regula et propria causa, cur actio sit, et dicatur honesta, id est, recta, et naturae conveniens."

Analyse

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Melanchthon schließt aus den Erläuterungen von Aristoteles, er habe richtige Beobachtungen für den Bereich coram mundo wiedergegeben, bringe jedoch für das Ziel menschlichen Handelns das Entscheidende nicht zur Geltung, nämlich die Ursache für die menschliche Schwäche.29 Die Unmöglichkeit für die Philosophie, die Ursache für die Schwäche zu benennen, ist die Kardinaldifferenz zwischen philosophischer und christlich-theologischer Ethik, ist aber zugleich auch die Erklärung der Aporie philosophischer Ethik, wie sie Melanchthon wahrnimmt. Dahinter steht die Frage nach dem Zusammenhang von Tugend und Glück. Der Tugend des Menschen folgt nicht immer das Glück, so wie es die Menschen erwarten. Dieses Phänomen ist für die Philosophie nur erklärbar unter Zuhilfenahme des Schicksalsbegriffes.30 Auch in der Definition des Glücks besteht eine Differenz zwischen Theologie und Philosophie. Glückseligkeit bestehe nicht in den materiellen oder ideellen irdischen Gütern, die durch die Tugend erstrebt werden, sondern darin, Gott zu gehorchen. In diesem Leben seien Übel und Glückseligkeit in der Wahrnehmung des Menschen verbunden.31 Wird die Frage nach dem Glück vom Evangelium her beantwortet, seien die als glücklich zu bezeichnen, denen das Licht und die Gerechtigkeit Gottes zuteil geworden ist und die die Erstlingsgabe des ewigen Lebens haben sowie Gottes Führung und Verteidigung.32 Es ist offensichtlich, daß die Grundlage einer theologischen Ethik von der einer philosophischen Ethik in Melanchthons Sichtweise substantiell different ist. Dieses liegt nicht nur in der unterschiedlichen Perspektive, den Menschen in seiner Relation zu Gott zu betrachten und ihn nicht nur in den ihm eigenen Möglichkeiten des Handelns wahrzunehmen. Der Unterschied besteht auch darin, daß eine theologische Ethik ihre Wertmaßstäbe nicht aus der Beobachtung der Vernunft erhält, sondern aus der Offenbarung des Evangeliums, die jede menschliche 29 Vgl. CR XVI, Sp. 287: „Quod autem flexibiliora sunt practica, et facile contra iudicium mentis vitiosi mores recipiuntur, causam praecipuam monstrat sola doctrina divinitus tradita, quae concionatur de morbo originis, de imbecillitate humani cordis, et potentia Diaboli." Vgl. auch S. 198, Anm. 27. 30 Vgl. CR XVI, Sp. 302f.: „Gradus igitur facit Aristoteles: Beatus est, qui virtute praeditus est, nec opprimitur saevis fortunae casibus, [...]. Miser est qui contaminatus est sceleribus, sive foveatur indulgentia fortunae, [...]. Medius gradus est Aristoteli eorum qui virtute praediti sunt, et tarnen saevis casibus fortunae opprimuntur [...]." 31 Vgl. CR XVI, Sp. 304: „Ita fatetur Evangelium, in hac vitabeatitudini adiuncta esse mala, hoc est, mortem et alias aerumnas, et causas monstrat, quas recensui, sed postea inquit secuturam esse beatitudinem, in qua nihil sit aerumnarum." 32 Vgl. CR XVI, Sp. 304: „Nec potest philosophia satis hanc quaestionem explicare, quia virtuti fortuna respondere debebat. Quod cur non fiat, causa ignota est philosophiae, quia humana natura est oppressa peccatum, ac propterea subiecta ingentibus aerumnis, sed Evangelium docet beatos in hac vita esse, habentes inchoatam lucem et iustitiam et vitae aeternae primitias, ac Deum gubernantem et defendentem."

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Erfahrung transzendiert und daher eine neue Wirklichkeit schafft. Verbunden mit den veränderten Wertmaßstäben ist eine Neuorientierung auf ein anderes Handlungsziel. Aristoteles findet das Glück als Ziel menschlichen Handelns laut Melanchthon in der Tugend des Menschen begründet, wobei das Schicksal einen bedeutenden Einfluß darstellt. Dagegen versteht Melanchthon die Begründung theologischer Ethik vom Evangelium her, so daß der Mensch im Glauben sowohl das Ziel als auch die Wertmaßstäbe von außen erhält und so von sich selbst weg auf Gott hin ausgerichtet wird. Drückt man diese Aussage, die Melanchthon im philosophischen Kontext mit einem entsprechenden Vokabular ausfuhrt, theologisch aus, ist die Grundlage der theologischen Ethik der Glaube, der den Menschen in der Relation zu Gott hält und ihm in dieser Relation den Beginn des neuen Lebens schenkt und damit eine neue Wirklichkeit, in der die Erkenntnisse der Vernunft und die Mühen um der eigenen Gerechtigkeit willen ad absurdum gefuhrt werden. Die Vernunft, selbst wenn sie nach dem Guten strebt, zeigt dem menschlichen Willen nur Objekte nach dem Gesetz und nicht gemäß der evangelischen Gerechtigkeit. Das Gesetz beantwortet aber die Frage nach dem göttlichen Willen nicht ohne das Evangelium, so daß das vernunftmäßige Handeln des Menschen niemals dem göttlichen Willen ganz entsprechen kann.33 Diese Unmöglichkeit wird noch größer durch die Schwäche der menschlichen Natur, so daß der Mensch nicht einmal entsprechend dem natürlichen Gesetz gerecht sein kann, weil ihn sein Herz mit seinen unsteten und dem Irrtum unterworfenen Antrieben mitreißt.34 Melanchthon verfolgt in seinem Ethik-Kommentar 1546 ein anderes Ziel als Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik. Ging es Aristoteles darum, als Ziel menschlichen Handelns das Glück hervorzuheben, das der Mensch erreichen kann, da es seinen eigenen Möglichkeiten entspricht, so klammert Melanchthon dieses Ziel entschieden aus. Glück wird von Gott her definiert und liegt nicht in der Macht des Menschen. Wenn Aristoteles im zweiten Buch der Nikomachischen Ethik die Tugend als Weg zur Glückseligkeit untersucht, stellt sich die Frage, wie Melanchthon die Tugend als erstrebenswertes Ziel für das menschliche Handeln und den Willen darstellt. Von Aristoteles aus ist zu fragen, warum der Mensch mit dem Willen Handlungen wählen soll, die nicht - nach seinem eigenen Vernunfturteil - zu seiner Glückseligkeit beitragen und daher nicht erstrebenswert sind.

33

Vgl. CR XVI, Sp. 308: „Respondeo: Ratio monstrat ut lex, nec satis est legem nosse, cum quaerimus de voluntate Dei erga nos." 34 Vgl. CR XVI, Sp. 308: „Sed harmonia virium [hominum, Anm. d. Verf.] conturbata est, cor habet vagos et errantes impetus, et rapit secum voluntatem."

Analyse

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7.2.3 Tugend als Terminus fiir das Handeln „coram mundo" 7.2.3.1 Melanchthons Interesse an der psychologischen Erklärung tugendhaften Handelns Tugend als Begriff für menschliches Handeln beschränkt Melanchthon auf die Akte des Menschen coram mundo. Alle Aussagen im Zusammenhang mit der Tugend beziehen sich nicht auf die Rechtfertigung, die der Mensch als imputative empfängt.35 Melanchthon ordnet im Ethik-Kommentar 1546 zum ersten Kapitel des zweiten Buches den Terminus „Tugend" innerhalb der Theologie dem innerweltlichen Bereich zu, in dem das Handeln aus Glauben sichtbar wird, das aber auf die Gerechtigkeit des Sünders nicht angerechnet wird. Des weiteren setzt er sich von der Aussage des Aristoteles zu den Ursachen eines tugendhaften Aktes ab. Aristoteles nenne zwei Ursachen der Tugend, den urteilenden menschlichen Verstand und den Willen, der dem richtigen Urteil des Geistes folge. Da auch Aristoteles die menschliche Schwäche in die Aussagen einbeziehe, müsse der Wille zum Gehorsam gegenüber dem richtigen Urteil durch „den Zaum und die Gewöhnung" gefuhrt werden. Diese Aussage beziehe sich aber nur auf die öffentlichen Tugenden; von den geistlichen Tugenden müsse anders gesprochen werden. Für diese nennt Melanchthon vier Ursachen: das Wort Gottes, den Heiligen Geist, den zustimmenden Geist und den gehorchenden Willen.36 War der Wille in den Loci praecipui 1543 noch die tertia causa für die Handlungen der Heiligung, so ist er nun die quarta causa. Zu den drei Ursachen der Loci praecipui 1543 ist der „zustimmende Verstand" hinzugekommen. Im Kontext der aristotelischen Ethik ist das Hinzutreten dieses neuen Elementes bei der Beschreibung menschlichen Handelns verständlich. Aristoteles hat die Vernunftbegabung des Menschen hervorgehoben, durch die sich der Mensch von den Tieren und den Pflanzen unterscheidet. Für die Vernunft als Möglichkeit zur Tugend ist der menschliche Verstand der wichtigere der beiden Gründe bei Aristoteles, da der urteilende Verstand vom Willen lediglich Gehorsam benötigt, der eingeübt werden kann. Es ist daher fur Melanchthon nahezu unmöglich, im EthikKommentar 1546 auf die Nennung des Verstandes zu verzichten, auch wenn er über die Tugend aus der theologischen Perspektive spricht.

35

Vgl. CR XVI, Sp. 311: „Caeterum de iustitia, id est, de imputatione, alia prorsus quaestio est, quam hic praetereo." 36 Vgl. CR XVI, Sp. 309f.: „Sunt autem virtutum duae causae: Mens iudicans et voluntas obtemperans recto iudicio, [...]. Deinde tanta est imbecillitas hominum, ut etiam bonae naturae facile degenerent. Ideo et huic parti, scilicet voluntati et cordi, opus est freno et assuefactione. [...]. Illud etiam hic monendi sunt studiosi, Aristotelem loqui de civilibus virtutibus, aliquanto aliter de spiritualibus dicitur, ut in Ioseph concurrunt quatuor causae. Verbum Dei, Spiritus sanctus, mens assentiens, et voluntas obtemperans."

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Die Aufnahme des Verstandes in die Aufzählung der Ursachen läßt sich darüberhinaus inhaltlich begründen. In den Locipraecipui 1543 galt Melanchthons primäres Interesse dem Glauben als Bewegung des menschlichen Herzens, der menschliche Handlungen für die Heiligung möglich macht. Im Ethik-Kommentar 1546 gilt das Interesse stärker der Erklärbarkeit solcher Akte und ihrem Zustandekommen innerhalb der psychologischen Disposition des Menschen. In den LociAussagen hatte Melanchthon stets die Bedeutung der Erkenntnis genannt, die dem Glauben korrespondiert. Die Möglichkeit dieser Erkenntnis sah Melanchthon in der Offenbarung Gottes in der Hl.Schrift, aus der der Mensch den göttlichen Willen erkennen kann. Da zu dieser Erkenntnis der Glaube die notwendige Voraussetzung ist, hat Melanchthon diesen in besonderer Weise ins Zentrum der Betrachtung gestellt. Die vier Ursachen eines geistlichen Aktes stehen untereinander in einem interaktiven Verhältnis. Das Zustandekommen einer menschlichen Handlung auch als geistlicher Tugend - hängt von einer Erkenntnis ab. Daher nennt Melanchthon das Wort Gottes als den ersten Grund einer solchen Handlung. Die Erkenntnis ist dem Menschen ohne die Führung seines Verstandes durch den Heiligen Geist nicht möglich. Nur durch die Führung des Heiligen Geistes kann der menschliche Verstand den Vorschriften Gottes zustimmen. Melanchthon fuhrt im Ethik-Kommentar 1546 keine Begründung für die Notwendigkeit der Führung durch den Heiligen Geist an. In den Loci-Ausgaben wurde die Notwendigkeit mit der Unvernünftigkeit dieser Vorschriften für das menschliche Verständnis erklärt. Durch die Führung des Heiligen Geistes sammelt der Verstand Gründe, die seine Zustimmung hervorrufen. Diese Gründe bewegen den Willen zur Zustimmung zu den vorgestellten Objekten, den geistlichen Tugenden; jedoch auch hier nur mit Hilfe des Heiligen Geistes, der den Willen versichert und antreibt.37 Die Beschreibung der Interaktion zwischen den vier Ursachen zeigt, daß die Ursachen nicht gleichberechtigt sind. Das Wort Gottes und der Heilige Geist sind dem Verstand und dem Willen des Menschen qualitativ vorgeordnet. Die Einbeziehung des menschlichen Verstandes in die Erklärung einer virtus spiritualis führt demnach nicht zu einer inhaltlichen Veränderung der Aussage über den Willen als Ursache eines guten Werkes, sondern ist lediglich Ausdruck der veränderten Fragehinsicht Melanchthons. Die Ursachen für eine menschliche Handlung als psychologischer Vorgang sind Gegenstand der Erläuterung, bei der die menschliche Vernunft mit Verstand und Wille nicht ausgelassen werden kann.

37

Vgl. CR XVI, Sp. 310f.: „Cogitat Ioseph praeceptum: Non moechaberis, et Spiritus sanctus inclinat mentem, ut assentiatur praecepto, et colligat multas causas, [...]. His argumentis movetur voluntas et confirmat spem Spiritus sanctus, ut obtemperet legi. Ac voluntas confirmata a Spiritu sancto, et incitata, cohercet externa membra, [...]."

Analyse

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Dagegen liegt in den Loci praecipui 1543 das Gewicht auf der Betrachtung des Wertes einer menschlichen Handlung. Der Wert der Handlung, das hat Melanchthon in den theologischen Schriften stets betont, hängt nicht von der Handlung an sich ab, sondern von den konstituierenden Ursachen. Da die menschliche Erkenntnis fur die geistliche Handlung insuffizient ist, kommt ihr in bezug auf den Wert der Handlung keine Bedeutung zu. Sie ist vom Gegenstand der Erkenntnis abhängig, der ihr allein durch die Führung des Heiligen Geistes erkennbar wird, wenn es sich dabei um den Willen Gottes handelt. Der menschliche Wille ist für die Beurteilung des Wertes einer Handlung dagegen bedeutend. Im Willen des Menschen bleibt die Erbsünde material bestehen, so daß die schlechten Affekte den Menschen gegen die Erkenntnis zur Sünde wegreißen können. Handelt der Mensch dennoch gegen die Affekte des Herzens und entsprechend der Erkenntnis, dann handelt es sich um einen geheuchelten Akt, wenn dieser nach der Bewegung des Herzens beurteilt wird. Dieses hatte Melanchthon besonders in den Loci communes 1521 zum Ausdruck gebracht. Daher spielt der Wille für die Frage nach der Beurteilung einer Handlung eine gewichtigere Rolle als der Verstand. Entscheidet der Wille in Übereinstimmung mit den Affekten des Herzens, angetrieben durch den Heiligen Geist, dann ist das Werk als gutes Werk zu beschreiben, das seinen Platz in der Heiligung des christlichen Lebens hat. Weil Melanchthon im Ethik-Kommentar 1546 im Anschluß an Aristoteles erklärt, aufweiche Weise in der menschlichen Seele eine Handlung entsteht, nennt er mit Verstand und Willen die beiden Teile der Seele, die den Akt konstituieren. Die Nennung von vier Gründen gegenüber zwei bei Aristoteles ist notwendig, wenn eine Beurteilung als geistliche Tugend erfolgen soll. Sie kann nicht ohne die Wirkung des Wortes Gottes und des Heiligen Geistes entstehen. 7.2.3.2 Die „recta ratio " als Norm der Tugend Das vorrangige Interesse Melanchthons an der Handlung selbst und an ihrem Zustandekommen wird durch die weitere Erläuterung im zweiten Kapitel des zweiten Buches ebenfalls deutlich. Die Ursache der Tugend ist die recta ratio, wobei Melanchthon sich in seiner Kommentierung zunächst darauf beschränkt, die recta ratio zu nennen und von ihr aus die Erklärung vorzunehmen, ohne sie theologisch in ihrer Rückbindung auf das Wort Gottes und den Heiligen Geist zu erläutern. Für die Beurteilung der Tugend ist der Verweis auf die recta ratio notwendig, da es kein System unveränderlicher Regeln gibt wie z.B. in der Geometrie. Zwar sind die Regeln des Naturgesetzes anzuführen, doch erscheinen diese dem Menschen aufgrund der Erbsünde nicht verbindlich.38 Es ist daher für die Willensent38

Vgl. CR XVI, Sp. 311: „Repetit autem id quod supra monuit, non quaerendam hic esse certitudinem talem, ut in geometria. Semper manet immota haec sententia: Omnes lineae a centra ad circumferentiam circuli ductae, sunt aequales. At in moralibus non manet semper

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Scheidung notwendig, durch das dictamen rectae rationis die Gewißheit zu erhalten, daß der Wille den richtigen Akt wählt. Als Maß für die Tugendhaftigkeit einer Handlung gebe Aristoteles das mittlere Maß an, an dem sich die Handlung auszurichten habe. Hierbei gehe Aristoteles von der geometrischen Bestimmung der Mitte aus, da sie sich an der Proportion ausrichte. Maß der Mitte sei letztlich die recta ratio. Wenn das Maß einer Handlung mit ihr übereinstimme, sei die „Mitte" richtig gewählt. Von der Regel zur allgemeinen Ethik geht Melanchthon zu Aussagen theologischer Ethik über. Mit der philosophischen Definition von Tugend ist der Glaube als die theologische Kardinaltugend vereinbar. Die von Aristoteles für die Tugend geforderte Mitte besteht in bezug auf den Glauben in der brennenden Liebe zu Gott, da das an Gesetz und Evangelium geschärfte Gewissen (dictamen rectae rationis) diese Liebe fordert. Hier definiert sich das mittlere Maß der Liebe von einem anderen Verständnis her, als von der Mitte zwischen epikureischer Gleichgültigkeit und religiösem Wahn, wie Melanchthon anmerkt.39 Melanchthon verwendet so die gleiche Tugenddefinition fur die christliche Tugend, die Aristoteles für die philosophische Tugend gebraucht. Die besondere Differenz besteht jedoch im Kriterium des Gewissens. Bezieht bei Aristoteles das Gewissen seine Norm aus dem Naturgesetz als eine dem Menschen eingestiftete Ordnung, so ist in Melanchthons Lehre das Gewissen an Gesetz und Evangelium ausgerichtet. So wie die äußere Ordnung, in die Melanchthon die Ethik einordnet, in Gott gründet und daher den Menschen transzendiert, so transzendiert auch die Norm des Gewissens dieses selbst, so daß die Beurteilung der Norm der menschlichen Vernunft entzogen ist. Wenn daher theologisch eine tugendhafte Tat als Sünde zu bezeichnen ist, steht das nicht im Widerspruch dazu, daß die gleiche Tat von einem anderen als gutes Werk beurteilt werden könnte. Der Mensch ist von dem Naturgesetz in Übereinstimmung mit dem Gesetz Gottes zu äußerlichen Taten unter Einbindung seines Willens aufgefordert, wobei sich die Handlungen, die der jeweiligen Gesetzesforderung entsprechen, in der äußerlichen Erscheinung nicht unterscheiden müssen. Für die menschliche Vernunft ist diese Möglichkeit differierender Beurimmota: Redde depositum, ut si gladium furens reposcat. Variantur enim praecepta secundum diversas circumstantias in obiectis, ut in medendo. Sed tarnen principia quaedam oportet esse immota, quae sunt regulae inferiorum praeceptionum, ut, Deo est obediendum. Nemo sine iusta causa laedendus est. [...]. Haec sunt perpetua, ut geometrica. Sed cur non sie assentiantur homines his notitiis, ut geometricis, supra dictum est." 39 Vgl. CR XVI, Sp. 321: „Disputant et theologi, quomodo dilectio Dei sit mediocritas, cum ardentissima dilectio maxime sit virtus, et satis belle respondent, virtutes reeipere incrementa graduum eiusdem rationis: ac medium diversae rationis esse ab extremis, videlicet, non convenientibus ad rectam rationem, ut, dilectio medium est inter duo vitia, inter Epicureum contemptum, et superstitionem."

Analyse

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teilung unvernünftig - je nachdem, ob es sich um eine theologische oder philosophische Aussage handelt-, in der christlichen Norm entspricht sie jedoch der neuen Gerechtigkeit, die nach den geistlichen Bewegungen fragt, die sich an Gesetz und Evangelium ausrichten. Der Wille wählt einen Akt, der als geistlicher Akt mit dem an Gesetz und Evangelium geschärften Gewissen und mit den geistlichen Bewegungen des Herzens übereinstimmt. Die Aussagen Melanchthons zur Norm guter Werke im Ethik-Kommentar 1546 stimmen mit den Aussagen der Loci-Ausgaben überein. Hinsichtlich der Tugend wird der theologische Tugendbegriff verwendet, den Melanchthon auch in den späteren Loci-Ausgaben verwendet hat. Verändert gegenüber den Loci-Ausgaben ist der Argumentationsgang. Die philosophische Tugend wird nicht als Sünde oder schändliche Handlung bezeichnet, da sie gemessen an der innerweltlichen Norm gut ist. Diese Norm stützt sich auf die leges naturales, die für Melanchthon innerhalb des göttlichen ordo liegen und daher den Willen Gottes zum Erhalt der äußeren Ordnung mitteilen. Für den Christen bedeutet das, daß er sich nicht vom Erhalt der politischen Ordnung zurückziehen darf, obwohl das Naturgesetz keine spezifisch christliche Forderung an den Menschen enthält. Ob der Handelnde zu einer weltlichen oder geistlichen Tugend gelangt, unterscheidet sich nach der Bewegung des Herzens und nicht nach der Tat. 7.2.4 Der menschliche Wille als Ursache der Tugend Die Betrachtung des Willens als eine Ursache für die Tugend ist die Ausgangsbasis für Melanchthons Ethik-Kommentar 1546 zum dritten Buch. Auch hier nennt Melanchthon die vier Ursachen für ein gutes Werk im christlichen Sinne: „Verbum Dei, Spiritus sanctus, mens hominis, et voluntas hominis"40. Dabei sind das Wort Gottes als besonderes Licht im Verstand und der Heilige Geist als Hilfe für den Willen spezifische Stücke des Evangeliums.41 Melanchthon geht also davon aus, daß das Erklärungsschema für die Aufgabe des Willens bei der Entstehung eines tugendhaften Aktes prinzipiell bei einer philosophischen und einer christlichen Tugend vergleichbar ist; das Schema für eine geistliche Tugend ist jedoch komplexer und enthält statt zwei vier Ursachen. Ebenfalls greift Melanchthon auf das traditionelle Schema der Interaktion von Geist und Willen zur Eindämmung der schändlichen Affekte zurück, das er hier 40

CR XVI, Sp. 340. Vgl. CR XVI, Sp. 347f.: „Doctrina Evangelii addit causis haec duo: In mente lucem, seu notitiam iubentem dimicare propter Deum, et petere ab eo auxilium, et referre dimicationem ad gloriam Dei. In voluntate vero auxilium Dei, non solum iuvantis cor Spiritu sancto, sed etiam gubernantis exitum, dantis laetos successus." 41

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Di e Willenslehre in Ph. Mel. enarrationes aliquot librorum ethicorum Aristotelis

im aristotelischen Sinne verwendet. Der Affekt als Bewegung des Herzens sei zunächst nicht negativ zu betrachten, wie es die Stoiker getan haben. Gott habe die menschliche Natur mit Affekten geschaffen und schreibe diese sogar vor.42 Aber durch die Selbstliebe des Menschen sei Unordnung in das Herz als Quelle der Affekte geraten, so daß die schändlichen Affekte von extremen Bewegungen begleitet werden und nicht zu tugendhaften Akten fuhren können,43 weil Tugend an das mittlere Maß gebunden ist. Eine Erklärung für diese Unordnung könne Melanchthon bei Aristoteles nicht finden, da er die Erbsünde nicht kenne. Wie schon in den Loci communes 1521 erklärt Melanchthon den psychologischen Vorgang mit Hilfe der metaphysischen Psychologie, drückt damit jedoch den gleichen Sachverhalt aus, der in den späteren Loci-Ausgaben unter weitgehendem Verzicht auf die Terminologie der metaphysischen Psychologie beschrieben worden ist. So wie Melanchthon hier den Begriff Erbsünde einführt, um zu zeigen, wo die Theologie mit ihren Erklärungen der Philosophie überlegen ist, so hatte er in den theologischen Erläuterungen der späteren Loci-Ausgaben weitgehend auf die philosophischen Erklärungsmuster verzichtet, da die theologische Terminologie an den fur sie wichtigen Punkten die philosophische übersteigt. Um für einige Aussagen ein allgemeines Verständnis zu ermöglichen, hatte Melanchthon vereinzelt auf die metaphysische Terminologie zurückgegriffen. Melanchthon geht im Ethik-Kommentar 1546 bei der psychologischen Beschreibung der Entstehung einer Handlung von der Aussage aus, daß der menschliche Verstand etwas vorschreibt und der gehorchende Wille dieses den äußeren Gliedern befiehlt, fügt dann aber hinzu, daß für den Geist des Christen zusätzlich Aufträge Gottes hinzukommen.44 In diesem Vorgang, vor allem aber bei der Eindämmung der schändlichen Affekte, kommen dem Willen zwei Aufgaben zu, wobei die eine von Melanchthon bisher nicht genannt wurde und das Verhältnis von Wille und Geist des Menschen aus dem bisher im Ethik-Kommentar 1546 angeführten Schema von Befehl und Gehorsam bzw. Ungehorsam gelöst wird. Die erste Aufgabe des Willens besteht darin, seiner Bestimmung zu folgen, das Gute zu wählen und das Böse zu

42 Vgl. CR XVI, Sp. 352. „Porro alio loco refutavi Stoicorum deliria de affectibus, qui finxerunt affectus esse opiniones, et omnes vitiosos ac ex natura tollendos esse, [...]. [...]. Natura sie est condita, ut habeat appetitionem, et addita sunt instrumenta multiplicia, cor, villi cordis, humores certi, imo Deus etiam praeeipit, ut sint affectus acerrimi in natura [...]." 43 Vgl. CR XVI, Sp. 353: „Est autem affectus motus cordis aut voluntatis, sequens notitiam, prosequens aut fugiens obiecta, qui cum laedat aut delectet naturam, semper comitantur extremi motus, [...]." 44 Vgl. CR XVI, Sp. 357: „Praescribit ergo mens modum, et voluntas obtemperans imperat extemis membris, ut alant corpus, nec tarnen ingerant amplius quam opus est. In Christiano mens non tantum has philosophicas rationes considerat, sed etiam mandatum Dei: [...]."

Analyse

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fliehen.45 Der Mensch hat mit dem Willen so die Freiheit zur guten Bewegung des Willens. Auch wenn in äußerlichen Dingen die Freiheit zum Guten häufig nicht zum Tragen kommt, so bestehe doch keine Notwendigkeit, daß der Wille den schlechten Affekten folgt.46 Diese Aussage Melanchthons ist im Rahmen dieser Untersuchung bereits in dem Kapitel zu den Loci praecipui 1543 dargestellt worden. Neu ist jedoch die Aussage, daß die Beziehung Geist - Wille nicht nur in dieser Richtung abläuft, sondern auch umgekehrt vom Willen zum Geist. Melanchthon geht hierbei von der Ebenbildlichkeit des Menschen zu Gott aus, die darin bestehe, das Urteil Gottes zu erkennen, Ehrenhaftes und Schändliches zu unterscheiden und mit dem Willen das Ehrenhafte zu wählen. Auch wenn die Erbsünde die Ebenbildlichkeit verdunkelt, so bleiben Erkenntnis und Wahlmöglichkeit in äußeren Dingen. Zu den äußeren Dingen gehört auch das Naturgesetz, das Gott in den menschlichen Verstand gegeben hat und durch das der Mensch in der Betrachtung der äußeren Ordnung ein Wissen von Gott in der Form haben kann, daß hinter der Ordnung eine ungeheure Macht steht. Es ist nun die Aufgabe des Willens, wenn ihm vom Verstand keine Objekte vorgestellt werden, so daß er führungslos Objekte erstrebt, den Verstand nach den Objekten zu fragen.47 Der Wille muß daher laut Melanchthons Aussage den Verstand antreiben, Erkenntnisse zu erlangen, auch bezüglich des göttlichen Gesetzes, da der Verstand Gottes Existenz erahnen kann und daher fragen muß. Diese Erläuterung Melanchthons geht von dem Grundsatz aus, daß Unwissenheit nicht vor Strafe schützt. Wenn also danach gefragt wird, ob ein Vergehen als solches willentlich gewählt wird - und das gilt auch für einen Verstoß gegen göttliche Forderungen - , wenn der Handelnde keine Kenntnis vom Verbot der Handlung hatte, so beantwortet Melanchthon die Frage positiv. Das Schändliche an dieser Handlung ist dann primär nicht die Gesetzesübertretung, sondern die Verletzung der Sorgfaltspflicht, sich kundig zu machen.48 Der Wille muß dementsprechend nicht nur die treibende Kraft zur Ausführung von Handlungen sein, sondern treibt den Menschen auch zur Erkenntnis an, wenn der Geist des Menschen die Erkenntnis nicht von sich aus dem Willen vorstellt. Auch wenn sich 45

Vgl. CR XVI, Sp. 338: „Sic condita est voluntas, ut in bono acquiescat, idque prosequatur, et fugiat malum." 46 Vgl. CR XVI, So. 339f: „Saepe autem haec libertas vincitur, cum ab imbecillitate nostra, tum a Diabolo, sed tarnen non necesse est obsequi voluntatem vitiosis motibus, [...]." 47 Vgl. CR XVI, Sp. 332: „Quare cum mens ignara non iudicat, nec praemonstrat voluntati quid agendum sit, temere et sine duce fertur voluntas. [...]. Estque usitata regula: Ignorantia facti excusat non iuris. Non excusat ignorantia Evangelii eos, qui adversantur verae doctrinae. Peccat enim voluntas, cum id, quod homo scire debet, non inquirit. Omnes autem scire debent ius divinum et naturale." 48 Vgl. CR XVI, Sp. 333: „Quia nemo satis aut vigilans, aut diligens est in officio suo."

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Melanchthon in diesem Kontext nicht darüber äußert, kann nur das Gewissen als Normmitteilung für menschliche Handlungen den Willen dazu veranlassen, den Geist zur Frage anzutreiben. Melanchthon entwickelt im Zusammenhang mit der Tugendlehre im Kommentar zum dritten Buch der Nikomachischen Ethik eine Psychologie, in der die Funktion des Willens bedeutender ist, als es zunächst im Kommentar zu den ersten beiden Büchern zum Ausdruck gekommen ist. Der Wille entscheidet nicht nur in äußeren Dingen, ob die Bewegung den vom Verstand vorgestellten Objekten folgt oder nicht, sondern er muß den Verstand auch zur Erkenntnis antreiben und ist daher das bewegende Prinzip innerhalb der menschlichen Seele, auch für die apprehensiven Kräfte. Diese zentrale Funktion kommt dem Willen vor allem in den äußeren Dingen zu, ist aber auch in der Heiligung von Bedeutung. Die äußere Disziplin ist von Christen ebenso wie von Ungläubigen gefordert. Melanchthon fuhrt dafür vier Gründe an: Mandatum Dei, ad vitandas poenas, ut aliorum tranquillitati serviamus etpaedagogia in Christum.*9 Für den vierten Grund nennt Melanchthon das Gewissen als Kriterium. Der Heilige Geist bleibe nur in dem Menschen wirksam, der nicht ständig gegen sein Gewissen handelt.50 Für den Christen sind daher die Sitten als Forderungen verbindlich und auch die Forderung der Buße und des Glaubens. Diese sind zusätzliche Forderungen, die jedoch das sittliche Verhalten des Christen einschließen. Melanchthon hat im Ethik-Kommentar 1546 zunächst die Ethik als Lehre vom menschlichen Handeln im Kontext von Gottes Ordnung für seine Schöpfung erklärt. Anschließend wurde die Ethik als Gegenstand der Theologie von der Ethik als Gegenstand der Philosophie unterschieden. Diese Unterscheidung gibt die Struktur von Melanchthons Aussagen zur Tugend vor, die die philosophische Tugendlehre als Erklärungsschwerpunkt haben. Aus dieser Perspektive erläutert Melanchthon die theologische Tugendforderung an den Menschen als eine weiterreichende gegenüber der philosophischen. Aufgrund dieser Untersuchungsperspektive ist Melanchthons Darstellung auf die psychologische Beschreibung tugendhaften Handelns ausgerichtet. Dieses Interesse unterscheidet den EthikKommentar 1546 von den Aussagen zu den guten Werken in den Loci-Ausgaben und der Kolosservorlesung 1527. Die Beurteilung eines guten Werkes hängt aus der theologischen Perspektive nicht vom Zusammenwirken menschlicher Dispositionen ab. Die philosophische Tugend wird beschrieben als Übereinstimmung der Verstandeserkenntnis mit dem gehorchenden Willen und der recta ratio. Der 49

Vgl. CR XVI, Sp. 340. Vgl. CR XVI, Sp. 340: „Sed Christianos necesse est vero studio hanc disciplinam praestare, id est, ita regere actiones, ne ruant contra conscientiam." 50

Analyse

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theologische Tugendbegriff beschreibt als gutes Werk eine Handlung, deren geistliche Bewegung auf Gott ausgerichtet ist. Diese Ausrichtung wird dem Menschen in der Hilfe des Heiligen Geistes zuteil. Die Handlungsnorm ist dem Menschen ebensowenig immanent wie dem ordo naturae Gottes, sondern transzendent. 7.2.5 Der menschliche Wille als Möglichkeit zur Gerechtigkeit Entsprechend dem philosophischen Tugendbegriff beschreibt Melanchthon zunächst die zwei unterschiedlichen Begriffe philosophischer Gerechtigkeit, wie sie bei Aristoteles genannt werden. Die iustitia universalis verstehe Aristoteles als den Gehorsam gegenüber allen Gesetzen. Dabei gehe es vorrangig um das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft und dem Gesetz. Piaton dagegen verstehe Gerechtigkeit auch als innere Übereinstimmung der menschlichen Kräfte.51 Melanchthon überhöht diese Aussagen theologisch, indem er iustitia universalis als Gott geschuldeten Gehorsam entsprechend der im Naturgesetz dem Menschen eingeprägten Unterscheidung von Ehrenhaftem und Schändlichem beschreibt.52 Die andere Form von Gerechtigkeit bestehe in der iustitia particularis, die auf die Gleichheit gerichtet sei. Dabei unterscheide Aristoteles iustitia particularis als geometrische Gleichheit entsprechend dem Stand der Personen und als arithmetische Gleichheit gemessen an der Verteilung der Güter.53 Diese zwei Formen nennt Melanchthon auch als Gerechtigkeit im theologischen Sinne. Hinzu kommt jedoch als dritte Gerechtigkeit die zugesprochene Gerechtigkeit des Glaubens.54 In diesem Zusammenhang ist das platonische Gerechtigkeits verständnis wichtig, Gerechtigkeit des Menschen in bezug auf seine eigenen Kräfte zu verstehen. Denn der Mensch sei auf Gott hingeordnet,55 so daß sich die Frage, ob ein Mensch gerecht sei, nicht an seinen Taten nach außen messe, sondern daran, ob die Kräfte des Menschen auf Gott ausgerichtet sind. Die

51 Vgl. CR XVI, Sp. 364: „Dicit iustitiam universalem esse obedientiam, quae praestatur omnibus legibus; [...]." Vgl. auch aaO., Sp. 365: „Aristoteles collocat hominem in civitatem, ac simpliciter considerat, qui sit ordo homini ad magistratus et cives. Plato altius fuit exorsus, consideravit enim, qui sit ordo homini ad suas vires, [...]." 52 Vgl. CR XVI, Sp. 365: „[...], sed eruditior definitio esset, dicere, iustitiam universalem esse obedientiam Deo debitam, iuxta discrimen honestorum et turpium, quod impressit Deus humanae naturae, [...]." 53 Vgl. CR XVI, Sp. 364: „[...]; iustitiam vero particularem, constituere aequalitatem, vel geometricam erga gradus personarum, vel arithmeticam, in rerum commutatione." 54 Vgl. CR XVI, Sp. 364f.: „Saepe in Ecclesia, nomine iustitiae intelligitur iustitia universalis, id est, obedientia universae legi debita, [...]. Interdum significatur particularis iustitia, [...]. Saepe autem, ut apud Paulum, cum dicitur de reconciliatione, significat acceptationem divinam, imputationem iustitiae, [...]." 55 Vgl. CR XVI, Sp. 365: „Primum enim homini ad Deum ordo est, [...]."

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Relation des Menschen zu Gott hat die kriteriologische Funktion bei der Bestimmung von menschlicher Gerechtigkeit als theologischer Aussage. Dieses gilt sowohl für die iustitia universalis als auch für die iustitia particularis. Von besonderer Bedeutung ist für Melanchthons Ethik die iustitia distributiva als eine Gestalt der iustitia particularis und zwar nach der geometrischen Proportion. Die iustitia particularis versteht Melanchthon als Forderung Gottes, der der Mensch nachkommen muß.56 Sie sei jedoch keine Gerechtigkeit im Sinne der Annahme der Person.57 Die Forderung der iustitia distributiva gewinnt ihre besondere Bedeutung innerhalb der iustitia particularis, weil sie auf den Einzelnen gerichtet ist. In besonderer Weise finde die Gerechtigkeit als Tugend daher ihre Ausprägung in der iustitia distributiva.58 So fordert Gott den Einzelnen mit seinen Möglichkeiten, diese Gerechtigkeit zu verwirklichen. Das bedeutet, daß der Wille des Menschen die Objekte wählen muß, die ihm vom Verstand entsprechend dessen Erkenntnis vorgestellt werden. Dabei handelt es sich beim Christen um Handlungen, die der Erkenntnis des Glaubens und der Bewegung des Herzens durch den Heiligen Geist folgen. Weil Melanchthon von einer gewissen Autonomie des Willens über die Affekte ausgeht, hält er es auch beim Christen für notwendig, daß der Wille der Bewegung des Herzens, die mit der Erkenntnis des Verstandes übereinstimmt, zustimmt, so daß eine Kongruenz aller Kräfte des Menschen in der Ausrichtung auf Gott entsteht. Dieses entspricht formal der Beschreibung eines gerechten Werkes entsprechend der aristotelischen Bestimmung, da die Bewegung durch den Heiligen Geist nur Werke hervorrufen kann, die in bezug auf die Gemeinschaft gerecht sind. Diese Kongruenz der menschlichen Kräfte entspricht aber formal auch dem platonischen Gerechtigkeitsverständnis. Der entscheidende Unterschied zu beiden philosophischen Gerechtigkeitsdefinitionen besteht in der von Gott dem Menschen gegebenen Bewegung aufgrund der imputativen Gerechtigkeit und dem Antrieb durch die Gabe des Heiligen Geistes. Der Wille des Menschen ist demnach in der Lehre Melanchthons für die Heiligung christlichen Lebens eine wichtige Ursache, die jedoch dem Glauben nachgeordnet ist. Sie trägt nichts zur Rechtfertigung des Sünders bei. Der Wille des Menschen ist aber gefordert, dem Willen Gottes zu gehorchen. Dieses gilt für den Christen wie für den Nichtchristen in gleicher Weise. 56 Vgl. CR XVI, Sp. 366: „Haec iustitia vocatur particularis, et est virtus servans aequalitatem arithmeticam in contractibus, geometricam in personis ordinandis. Utramque sanxit Deus in praecepto (Matth. 19,19.): Diligas proximum sicut te ipsum." 57 Vgl. CR XVI, Sp. 373: „Cum iustitia particularis sit aequalitas, primum testatur Deum, cum sit iustus, aequalem esse erga omnes, aequaliter se habentes, nec esse acceptatorem personarum, [...]." 58 Vgl. CR XVI, Sp. 375: „Necessaria igitur virtus est haec distributiva iustitia, quae nos de personis monet."

Auswertung

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7.3 Auswertung Daß Melanchthon anhand seines Ethik-Kommentars 1546 von der Beschreibung der philosophischen Tugend ohne Bruch zur theologischen Tugend gelangen kann, ist in der Exposition des Kommentars begründet. Melanchthon hat von Anfang an die philosophische Ethik als defizitär gegenüber der theologischen beschrieben. Den theologischen Sachverhalt der Ebenbildlichkeit des Menschen, die durch die Erbsünde verdunkelt worden ist, kennt die philosophische Anthropologie nicht. Sie ist daher nicht in der Lage, die Ursache fur die Störung der menschlichen Seele zu erklären. Auch die Philosophie geht davon aus, daß der Mensch auf das Gute ausgerichtet ist. Daher kann sie das Phänomen untugendhaften Verhaltens lediglich wahrnehmen und als Störung mit Hilfe der metaphysisch-psychologischen Kategorien beschreiben. Dieses Defizit begründet Melanchthon nicht mit einer prinzipiellen Trennung von Philosophie und Theologie. Auch die Philosophie kann in der von Gott geordneten Natur richtige Erkenntnisse haben, auch wenn sie die Ursache der Ordnung selbst nicht erkennt. Melanchthon nutzt die philosophische Tugenderklärung in vollem Umfang, um eine psychologische Beschreibung tugendhaften Handelns zu geben. Er verwendet diese Beschreibung auch, um die Tugend im theologischen Verständnis zu erläutern. Dabei hebt Melanchthon jedoch hervor, daß hier der Mensch nicht nur in seiner Relation zur Gemeinschaft und in der Relation seiner eigenen Kräfte zueinander gesehen werden darf, sondern daß hier eine neue Ursache des Handelns die Bewertungsmaßstäbe grundlegend verändert. Als neue Ursache der Tugend gelten nicht mehr Erkenntnis und Wille, sondern Wort Gottes, Heiliger Geist, Verstand und Wille des Menschen. Von den beiden menschlichen Ursachen hat sich besonders der Wille als bedeutend in Melanchthons Darstellung erwiesen. Mit seinem Willen muß sich der Mensch bemühen, entsprechend der Forderung im Sinne der iustitia distributive! zu handeln. Gott hat für menschliche Taten zeitlichen Lohn verheißen bzw. zeitliche Strafen angedroht, so daß Gott nicht nur gerecht ist gemäß der imputativen Gerechtigkeit, sondern auch nach der iustitia distributiva. So ist der Mensch mit seinem Willen gefordert, jedoch ist dieser Wille - theologisch verstanden - der durch die Bewegung des Heiligen Geistes befreite Wille. Melanchthon beschreibt in seinem Ethik-Kommentar 1546 den Menschen, der von den leges naturales und der lex divina gefordert ist; er verwendet aber zur Beschreibung dieser Forderung den Sammelbegriff triplex usus legis nicht, wie er es in den Loci praeeipui 1543 getan hat. Die ethische Erörterung im Kommentar zur Nikomachischen Ethik geht von den leges naturales aus, die in der Forderung nach Werken mit der lex divina entsprechend deren politischem Gebrauch identisch sind. Aber den Terminus usus politicus legis verwendet Melanchthon nicht,

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sondern umschreibt den Sachverhalt der Identität durch die Einordnung der leges naturales in die göttliche Ordnung. Melanchthon verdeutlicht, ausgehend von den Erläuterungen zur Tugendlehre, den Unterschied von den opera civilia und den opera spiritualia, ohne jedoch den Begriff sanctiflcatio zu nennen. Ebensowenig gebraucht Melanchthon den Ausdruck usus legis in renatis, auch wenn nur der Wiedergeborene gemeint sein kann, der geistliche Tugenden hervorbringt. Die Rechtfertigung des Sünders kommt außer in einigen seltenen Erwähnungen nicht vor; hier markiert Melanchthon lediglich die Grenze der Erörterung durch den Hinweis, daß im Kontext des Ethik-Kommentars 1546 alle Aussagen, die die Rechtfertigung des Sünders betreffen, nicht untersucht werden. Auch der usus theologicus legis ist daher nur indirekt, nämlich als Grenze der Erörterung vorhanden, wenn Melanchthon auf die Erbsünde zu sprechen kommt. Da die Erbsünde nur durch das Gesetz in seinem theologischen Gebrauch erkannt werden kann, findet sich in Melanchthons Erörterung, die von den leges naturales ausgeht, keine über eine Erwähnung hinausgehende Ausführung zur Erbsünde, wobei er die Erbsünde als Grenze der Erörterung stetig präsent hält durch den Vergleich zwischen Theologie und Philosophie. Im Hintergrund des Erklärungsschemas des Ethik-Kommentars 1546 zur Tugendforderung an den Menschen kann man die Lehre von der Forderung des göttlichen Gesetzes an den Menschen nach einem triplex usus legis vermuten, genannt wird diese jedoch nicht. Weil der Mensch im Gegenüber zur Gesetzesforderung nach dem usus theologicus nicht im Blickfeld des Ethik-Kommentars 1546 steht, wird auch keine Aussage bezüglich des menschlichen Willens im Verhältnis zu dieser Gesetzesforderung getroffen. Bei Handlungen politischer Tugenden ist der Wille in der Lage, frei zu entscheiden, auch wenn er bisweilen den schlechten Affekten unterliegt. In bezug auf die Heiligung wird von Melanchthon sowohl das Wort Gottes als auch die Bewegung durch den Heiligen Geist den menschlichen Möglichkeiten vorgeordnet, diese werden dabei aber nicht übergangen. Der Wille des Menschen ist eine materiale Ursache der Werke der Heiligung, nachdem er durch die Bewegung des Geistes befreit worden ist. Melanchthon beschreibt den Willen als die quarta causa im Gegensatz zu den Loci communes 1535 und 1543, in denen er noch die tertia causa gewesen ist. Dieser Unterschied konnte aber als Spezifikum der philosophischen Perspektive erwiesen werden, aus der heraus der Ethik-Kommentar 1546 argumentiert. Inhaltlich fuhrt diese formale Differenz zu keiner aussagekräftigen Veränderung. Melanchthon kommt demnach im Ethik-Kommentar 1546 zu den gleichen inhaltlichen Aussagen über die Freiheit des Willens wie in den theologischen Schriften, wobei er sich auf die Willensentscheidung in der öffentlichen Handlung und der Heiligung beschränkt. Melanchthon bleibt in der Erörterung konsequent

Auswertung

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beim philosophischen Sprachgebrauch, solange die psychologischen Vorgänge so beschrieben werden können. Statt theologischer Begriffe gebraucht Melanchthon dabei philosophische Umschreibungen, auch wenn die theologischen Begriffe den Sachverhalt prägnanter zusammenfassen würden. Dieses Ergebnis zeigt, daß Melanchthons Lehre einheitlich geworden ist und der Bruch zwischen metaphysisch-anthropologischer Beschreibung zur Erklärung des Handelns und der theologischen Rechtfertigungslehre so sehr verringert worden ist, daß zwischen diesen beiden allein die theologisch notwendige Differenz besteht, die Joest bei Luther als ontologischen Bruch beschrieben hat und die auch bei Melanchthon in ihrer Grundsätzlichkeit nicht überboten werden kann. Diese Differenz zwischen menschlicher Tugend und göttlicher Rechtfertigung, die besonders in der Forderung der Heiligung christlichen Lebens evident wird, ist aufgrund der engen Berührung dieser beiden Bereiche in der Lehre von der Heiligung schwer zu fassen. Der Wille Melanchthons zur psychologischen Erklärung in diesem Grenzbereich fordert eine Aussage über die Funktion des menschlichen Willens in der Heiligung. Das Attribut „kraftlos", das Melanchthon in den Loci praecipui 1543 vor die Zustimmung des Willens zum guten Werk gesetzt hatte, gebraucht er im Ethik-Kommentar 1546 nicht. Dieses Attribut ist die Verbalisierung der Unmöglichkeit, den ontologischen Bruch zwischen Rechtfertigung und Tugend bezüglich der Funktion des menschlichen Willens zu erläutern. Dieser Bruch ist im Ethik-Kommentar ebenso gegenwärtig, wird von Melanchthon jedoch nicht in dieser Form beschrieben, sondern in der stetigen Unterscheidung der Möglichkeiten von Philosophie und Theologie.

8. Die Willenslehre im Liber de anima von 1553

8.1 Einfuhrung Der Liber de anima von 15531 ist das zweite in dieser Untersuchung berücksichtigte Werk Melanchthons, das ursprünglich als Kommentar zu einer Schrift von Aristoteles entstanden ist. Aristoteles' ΠΕΡΙ ΨΥΧΗΣ hatte einen festen Platz in der Universitätsausbildung im Rahmen des Studiums der artes liberales. In dieser Ausbildung wurde vorrangig philosophiert, weniger theologisiert. Die Philosophie wurde in Philosophia naturalis, moralis und rationalis gegliedert. „Erstere umfaßte die Metaphysik, Mathematik und Physik, [...]."2 In der Physik waren „die Naturdinge als materielle und bewegliche Körper"3 Gegenstand des Lehrbetriebes, der somit auch die Seelenlehre einschloß.4 Gelehrt wurde die Seelenlehre vor allem aus den Schriften Aristoteles' und Galens, die jedoch eher in der Medizin als in der Artistenfakultät verwendet wurden. Melanchthon hatte bereits 1533 gemeinsam mit Jacob Milichius, einem Wittenberger Professorenkollegen, begonnen, ein Lehrbuch der Physik zu verfassen. Es erwies sich im Laufe der Zeit als notwendig, die Anthropologie mit ihren Teilbereichen Anatomie, Physiologie und Psychologie abzutrennen und separat zu publizieren. Melanchthons Psychologie hielt sich an Aristoteles' ΠΕΡΙ ΨΥΧΗΣ, wobei sie sich nur soweit an dessen Schrift anlehnte, wie es christlich-theologisch zu vertreten war.5 Unter dem Titel Commentarius de anima wurde Melanchthons Anthropologie 1540 zum ersten Mal in Wittenberg herausgegeben und erschien in elf weiteren Auflagen in Straßburg, Paris, Lyon, Basel und Wittenberg zwischen 1540 und 1550.6 Der Commentarius de anima wurde in Wittenberg und an anderen Universitäten, wie die verschiedenen Druckorte belegen, als sicherer Wegweiser „zur Seelenlehre von Aristoteles und Galen, aber auch als Propädeutik der

1

Künftig zitiert als „De anima". JOHANNES HIRSCHBERGER: Geschichte der Philosophie. Band I: Altertum und Mittelalter, Sonderausgabe der 14. Auflage, Freiburg/Basel/Wien 1991 (künftig zitiert als „Geschichte I"), S. 529. 3 J. HIRSCHBERGER, Geschichte I, S. 530. 4 Zum Lehrbetrieb der Artistenfakultät in Wittenberg an der Leucorea vgl. H. SCHEIBLE, Aristoteles, S. 128ff. 5 Vgl. H. SCHEIBLE, Melanchthon, S. 94f. 6 Vgl. HANS-THEODOR KOCH: Bartholomäus Schönborn (1530-1585), Melanchthons de anima als medizinisches Lehrbuch, in: Heinz Scheible (Hg.), Melanchthon in seinen Schülern, (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 73) Wiesbaden 1997, S. 323-339 (künftig zitiert als „Schönborn"), S. 332, Anm. 62. 2

Einführung

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Anatomie"7 verwendet. 1543 erschien jedoch von Vesal, einem Anatomen aus Padua, das Werk De humani corporis fabrica, in dem er einige Korrekturen gegenüber der Anatomie Galens anbrachte. Diese Schrift Vesals hatte Melanchthon gelesen8 und veranlaßte ihn, 1547 eine Neubearbeitung seines Commentarius de anima anzukündigen.9 In diese Neubearbeitung ist auch das Buch De anima des Mediziners Christoph Stathmion eingeflossen, das dieser nach mehrmaligem Bitten Melanchthons im April 1551 an ihn schickte.10 Es sind wohl die politischen Umstände nach dem Schmalkaldischen Krieg und die daraus resultierenden längeren Abwesenheiten von Wittenberg gewesen, die das Erscheinen der Neubearbeitung seines Kommentars bis 1553 hinauszögerten. Spätestens seit November/Dezember 1550 arbeitete Melanchthon an der Überarbeitung, wie einem Brief an Johannes Stigel vom 05.12.1550 zu entnehmen ist. Melanchthon verweist dort auf vorgenommene Änderungen gegenüber dem Commentarius sowie auf eine kürzlich an Stigel geschickte Abbildung." Die Geschichte von De anima weist darauf hin, daß es sich um ein medizinisches Lehrbuch handelt. Dieses wird auch anhand der Gliederung einsichtig, die als zweiten Schwerpunkt des Buches neben der Seelenlehre die Anatomie erweist. Aus dem Brief Melanchthons an Michael Maienburg vom 22.07.1553 läßt sich auch die Verwendung von De anima als medizinisches Lehrbuch nachweisen. Melanchthon schreibt, daß Maienburgs Sohn nach De anima lernt und von ihm selbst abgefragt wird.12 Die neue, überarbeitete Auflage von 1553 erfuhr allein in Wittenberg bis 1576 zwölf Neuauflagen, weitere wurden in Leipzig, Basel und Zürich herausgegeben. Insgesamt erfuhr Melanchthons Seelenlehre zwischen 1540 und 1603 „etwa 40 Ausgaben und mehrere Bearbeitungen"13. Damit dürfte der Uber de anima zu den erfolgreichsten Schriften Melanchthons gehören. Die Bedeutung von De anima für die vorliegende Untersuchung ergibt sich zum einen aus einem umfangreichen 7

8

H.-TH. KOCH, Schönborn, S. 3 3 3 .

Melanchthon besaß selbst ein Exemplar dieser Schrift; vgl. DOROTHY Μ. SCHULLIAN: Philipp Melanchthons Observations on the Human Body, Los Angeles 1949. 9 Vgl. den Brief Melanchthons an Hieronymus Baumgartner von Ende Juli 1547, CR VII, Nr. 4310, Sp. 88: „Libellum tibi dicatum de Anima retexere cogito." 10 Vgl. MBW.R VI, Nr. 6007 (5), S. 133. Der Brief ist bisher ungedruckt. 11 Vgl. CR VII, Nr. 4823, Sp. 694: „De commentario περι ψυχής spero has δευτέρας φροντίδας non fore inanes. Heri mutavi locum de Malleolis et Talis, in quo Gaza et Erasmus a doctrina anatomica discesserunt. Malleoli, σφυρά, sunt ossa, quae supra parvum pedem eminent, die Rnöchlin, et sunt appendices της κρήμης καν της πρόνης, et sunt septa Talorum. Sunt Tali αστράγαλοι interiora ossa, quae non eminent, et adiuvant flexum pedis. Picturam habes in paginis, quas tibi misi." 12 Vgl. CR VIII, Nr. 5436, Sp. 128: „Filius, Dei beneficio, recte valet, et discit. Nunc in libro de anima discit anatomica, de quibus in mensa sciscitor aliquid." 13 Vgl. H.-TH. KOCH, Schönborn, S. 332.

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Die Willenslehre im Liber de anima von 1553

Kapitel über das liberum arbitrium und der Einordnung der Seele in die Anatomie des Menschen und der damit einhergehenden anatomischen Verortung des liberum arbitrium. Darüberhinaus ermöglicht De anima einen tieferen Einblick in Melanchthons Psychologie, durch den ein umfangreicheres Bild von dieser erzeugt werden kann, als bisher anhand der untersuchten Schriften geschehen konnte.

8.2 Analyse 8.2.1 Gliederung des Liber de anima In dem einleitenden Abschnitt Quid continet haecparsphilosophiae, cui titulus est De Anima ordnet Melanchthon die Seelenlehre, wie die Ethik im Ethik-Kommentar 1546, in den göttlichen ordo ein. Diese Ordnung wird in zwei verschiedenen Weisen erkannt, nämlich zunächst durch das Gesetz, das als dem Menschen angeborene Erkenntnis von den Prinzipien der Wissenschaften verstanden wird. Sodann und davon prinzipiell unterschieden, empfängt der Mensch durch das Evangelium eine besondere Offenbarung, die ihm nicht eingeboren ist, sondern in anschaulichen Zeugnissen zugänglich wird.14 Weil die Lehre des Evangeliums in den Menschen nicht erstrahlt, ergeht sie in der Offenbarung so, daß die Menschen sie verstehen können.15 Die Erkenntnisse des Menschen müssen von den Begierden unterschieden werden, die den Erkenntnissen zuwiderlaufen können, auch wenn diese wahr, richtig, ewig und unveränderlich sind. Die Begierden halten den Menschen und seine Erkenntnisse in der Ungerechtigkeit gefangen. Dennoch bleibt im Menschen die Erkenntnis, weil Gott erkannt werden will und auch will, daß eine Ordnung herrscht. Hierzu besteht die Freiheit des menschlichen Willens, äußerliche Bewegungen zu kontrollieren, wozu auch der Dienst an der Ordnung zählt.16 An diese 14

Vgl. CRXIII, Sp. 7: „Necesse est omnibus in conspectu esse discrimen legis etEvangelii. Hie si quis recte didicit hanc puerilem doctrinam, seit legem noticias esse nobiscum nascentes, sicut aliarum artium prineipia et demonstrationes. Sed Evangelium dissimilimam vocem esse, ac nequaquam nobiscum nasci, sed singulari revelatione a Deo illustribus testimoniis patefactum esse." 15 Vgl. CR XIII, Sp. 8: „Non fulgebit sapientia et iusticia Dei in illis, qui non inchoant eam in hac mortali vita. Ideo vox doctrinae sonat in genere humano, et gubernatio instituta est, et multis vineulis munita." 16 Vgl. CR XIII, Sp. 7: „Postea rursus discerni necesse est, noticias et appetitiones. Sunt in mente noticiae verae, rectae, aeternae et immotae. Et tarnen appetitiones contrariae sunt. Quare Paulus inquit, homines veritatem Dei, id est, veras noticias divinitus nobis insitas, in iniusticia captivas detinere. [...]. Manent utcunque noticiae legis, quia Deus vult se agnosci, vult peccatum intelligi et accusari, vult etiam regi diseiplinam. Manet igitur et libertas voluntatis in regenda loco motiva, quae est velut ministra diseiplinae."

Analyse

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theologische Richtungsweisung schließt Melanchthon unter der Fragestellung Quid est Anima? einen Überblick über verschiedene philosophische Definitionen der menschlichen Seele an, in der er besonders die von Galen und Piaton berücksichtigt. Danach folgt die Definition von Aristoteles, daß die Seele die erste Endelechie des physisch-organischen Körpers ist, der in seiner Möglichkeit das Leben hat.17 In der sich anschließenden Erläuterung dieser Definition steht der Begriff Endelechia im Mittelpunkt, durch den Melanchthon den Terminus Seele anders definiert als Aristoteles, der von εντελέχεια spricht.18 Melanchthon folgt bei der Verwendung von Endelechia der Interpretation Ciceros, weist aber in der Obiectio, die auf die Erläuterung der aristotelischen Seelendefinition folgt, einen weiteren Widerspruch Ciceros gegen Aristoteles zurück. Cicero lehne die Definition der Seele als Bewegung ab, da die Bewegung ein Akzidenz ist, die Seele aber nicht akzidentiell verstanden werden dürfe. Aristoteles setze die Unterscheidung einer ενδελέχεια substantialis und accidentalis dagegen, die auch von Melanchthon gegen Cicero vertreten wird.19 Über Aristoteles hinaus geht der folgende Abschnitt über die in der Kirche gebräuchliche Seelendefinition. Der Grund dieses Abschnittes ist die theologische Notwendigkeit, die Unsterblichkeit der Seele fest in die Abhandlung über die menschliche Seele zu integrieren. Der Garant für die Unsterblichkeit der Seele ist Gott selbst, der die Seele geschaffen hat und sie bewahrt.20 Die Frage De quaestione, An sit Anima in toto, et qui in qualibetparte tota? beantwortet Melanchthon eindeutig mit dem Herzen des Menschen. In ihm hat sie ihren Sitz, aus ihm heraus ruft sie die Bewegungen hervor. Diese im Herzen „behauste" Seele hat fünf Seelenkräfte, nämlich die vegetative, sensitive, appetitive, lokomotive und rationale Kraft.21

17

Vgl. CR XIII, Sp. 12: „Anima est Endelechia prima corporis physici organici, potentia vitam habentis." 18 Vgl. ARISTOTELES: Über die Seele. Mit Einleitung, Übersetzung (nach W. Theiler) und Kommentar hrsg. v. Horst Seidl. Griechischer Text in der Edition von Wilhelm Biehl u. Otto Apelt, griechisch-deutsch, (PhB 476) Hamburg 1995,412a 27f. 19 Vgl. CR XIII, Sp. 14f.: „Agitatio seu motio est accidens. Anima non est accidens. Igitur non proprie dicitur esse Agitatio. Respondeo. Aristoteles ipse diluit hanc obiectionem. Inquit enim duplicem esse ένδελέχειαν. Alteram substantialem, alteram accidentalem." 20 Vgl. CR XIII, Sp. 18: „Adiungamus et testimonia divinitus tradita, quae adfirmant, Deum semper vitae datorem et conservatorem esse, sicut antea dictum est: In ipso vivimus, movemur et sumus." 21 Vgl. CR XIII, Sp. 19: „Homines habere legem scriptam in cordibus. Sit igitur cor animae domicilium, in quo ad certam distantiam in coeteris membris ciet actiones." Vgl. weiter aaO., Sp. 20: „Sunt igitur in homine potentiae quinque: Vegetativa, Sentiens, Adpetitiva, Loco motiva, Rationalis."

218

Die Willenslehre im Liber de anima von 1553

Diese bisher dargestellten Abschnitte von De anima behandeln die einleitenden Fragen, um in die Problematik und Fragestellung der Seelenlehre einzuführen. Dabei stellt die Einfuhrung bereits entscheidende Weichen für die Ausführungen zu den Detailfragen. Hierbei ist vor allem die Verwendung des Begriffes Endelechia in Abweichung vom aristotelischen Begriff der Entelechie zu nennen und natürlich die Einordnung der Erörterung zur menschlichen Anatomie und Seele in den christlich-theologischen Kontext und den ordo Dei, wie es aus dem EthikKommentar 1546 bereits bekannt ist. An diese Einleitungsfragen schließt sich ein großer Komplex über die menschliche Anatomie an,22 der in Aristoteles' ΠΕΡΙ ΨΥΧΗΣ nicht vorkommt. Aus dem anatomischen Teil von De anima sind zwei Abschnitte hervorzuheben, da sie Beispiele für die Verknüpfung von Anatomie und Seelenlehre darstellen. Zunächst ist der Abschnitt De motibus cordis zu nennen,23 in dem Melanchthon zwei Bewegungen des Herzens lehrt, den Puls und die Affekte. Den Puls erklärt er als Wechsel von Ausdehnung und Kontraktion des Herzmuskels bzw. als Diastole und als Systole.24 Der Affekt ist ebenfalls eine Bewegung des Herzens, die durch Ausdehnung und Kontraktion des Herzmuskels hervorgebracht wird. Mit der Ausdehnung des Herzens ist z.B. Freude verbunden, so daß das Herz Begehren und Angenehmes spürt, während mit der Kontraktion des Herzens Traurigkeit einhergeht und das Herz einen Schmerz fühlen kann. Der Affekt folgt dabei auf eine Überlegung oder eine Erkenntnis, wodurch Melanchthon die Verbindung zwischen dem Gehirn und dem Herzen herstellt, aber nicht näher erläutern kann, weil sie ein Wunder ist.25 Als zweites soll der Abschnitt De supremo ventre. Caput, κεφαλή26 genannt werden, in dem Melanchthon die Gottebenbildlichkeit des Menschen am deutlichsten im Kopf findet, weil in ihm Denken, Verstand, Vernunft usw. sind.27

22

Vgl. CR XIII, Sp. 20-89. Vgl. CR XIII, Sp. 57-59. 24 Vgl. CR XIII, Sp. 58: „Est autem Pulsus motus cordis, quo dilatantur et contrahuntur ventriculi cordis, ut attrahere aerem et exhalare possit, item ut generet ac transmittat spiritus." Ebd.: „Fit autem haec dilatatio et contractio διαστολή και συστολή, sua quadam cordis natura, nec regitur a cerebro aut nervis." 25 Vgl. CR XIII, Sp. 58: „Alter motus in corde nominatur Adfectus, qui cogitationem sequitur, et accenditur noticiis, estque totius cordis vel dilatatio, ut in laeticia, qua cor sentit voluptatem seu suavitatem, vel compressio, ut in moesticia, qua cor non sentit suavitatem, sed dolorem, et torrefit ac destruitur. [...]. Multa sunt autem miracula in hac re." 26 Vgl. CR XIII, Sp. 65-68. 27 Vgl. CR XIII, Sp. 66: „[...]: tarnen vestigia divinitatis maxime expressa et perspicua sunt in ea parte, in qua sunt: Cogitatio, Intellectus numerorum et ordinis, Ratiocinatio, Iudicium, Memoria, Libertas electionis, discrimen honestorum et turpium." 23

Analyse

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Der anatomischen Beschreibung des Menschen, die im aristotelischen Sinne als Beschreibung der materia verstanden werden muß, folgt die Lehre von der Seele als forma des Leibes.28 Zu Beginn der Seelenlehre stellt Melanchthon erneut wie zu Beginn von De anima fest, daß es fünf Potenzen der Seele gibt. Entsprechend dieser Seelenkräfte gliedert Melanchthon diesen zweiten großen Teil von De anima. Er beginnt mit den vegetativen Kräften Ernähren, Wachsen und Zeugen29 und handelt diese in einzelnen Abschnitten ab. Anschließend erläutert Melanchthon die potentia sentiens, die er in die äußeren und die inneren sensitiven apprehensiven Kräfte unterscheidet. Bei den äußeren Sinnen handelt es sich um die fünf klassischen Sinne des Menschen Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten,30 die jeweils einzeln unter Berücksichtigung spezifischer Gesichtspunkte erklärt werden. Die inneren Sinne sind der sensus communis, die cogitatio und die memoria, denen die Aufgabe zukommt, zunächst die Sinneseindrücke der äußeren Sinne aufzunehmen und die einzelnen Gegenstände der Wahrnehmung zu unterscheiden, sodann die Eindrücke urteilend zu verarbeiten und schließlich der Erinnerung zuzuführen. Mit dieser Einteilung folgt Melanchthon der Lehre Galens.31 Von den appetitiven Potenzen der Seele handelt der folgende Abschnitt.32 Die appetitive Seelenpotenz wird in drei Einzelpotenzen unterschieden, die natürliche, die sensitive und die willentliche. Die appetitio naturalis ist eine natürliche mit einer Handlung verbundene Neigung. Sie erstreckt sich auf die nicht dem Willen unterliegenden Kräfte, die als appetitiones deutlich von den Affekten unterschieden werden müssen, die ihrerseits der cognitio folgen, aber der Kontrolle der Vernunft unterliegen.33

28

Vgl. CR XIII, Sp. 89-178. Vgl. CR XIII, Sp. 90: „Tria sunt officia vegetativae potentiae: nutrire, augere, et gignere." 30 Die äußeren und inneren Kräfte vgl. CR XIII, Sp. 108-119 und StA III, S. 307,1-309,31 (CR XIII, Sp. 120-122). Zu den äußeren Sinnen vgl. CR XIII, Sp. 108: „Sensus exteriores sunt quinque: Visus, auditus, olfactus, gustus, tactus." 31 Vgl. StA III, S. 308,8-18 (CR XIII, Sp. 121): „Nos Galenum sequimur, qui tres sensus interiores recenset: Sensum communem, cogitationem seu compositionem, et memoriam. [...]. Sensus communis apprehendit imagines oblatas a sensibus exterioribus, et discernit obiecta singulorum sensuum. Deinde alia vis, componens et dividens, et aliud ex alio eliciens tamquam ratiocinatur et iudicat. Tertia retinet obiectorum memoriam, eaque recordatur." 32 Vgl. StA III, S. 309,33-325,14 (CR XIII, Sp. 122-136). 33 StA III, 310,16—18.23f.27—31 (CR XIII Sp. 122f.): „Hic enim significat et naturalem inclinationem et actiones, quae tarnen non oriuntur a sensu, [...]. Hic appetitus ad vegetativam potentiam pertinet, [...]. Nos tarnen non nimis subtiliter loquentes, transferimus famen et sitim ad appetitiones naturales, ut has appetitiones ab affectibus discernamus, qui sequuntur Cognitionen!, et aliquo modo regi possunt imperio rationis." 29

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Die sinnlichen Begierden begleiten die sinnliche Wahrnehmung und werden entsprechend den durch Kontakt oder ohne Kontakt entstehenden Wahrnehmungen differenziert.34 Die dritte Art der appetitio wird von Melanchthon in diesem Abschnitt über die appetitiven Kräfte der Seele noch nicht ausdrücklich thematisiert. Melanchthon beginnt jedoch eine Untersuchung über die Affekte. Er nennt sie eine differierende Art der appetitiones, die im Unterschied zu den appetitiones nicht durch Kontakt, sondern durch Erkenntnis hervorgerufen werden und ihren Sitz im menschlichen Herzen haben.35 Da Melanchthon aber bereits erwähnte, daß die Affekte dem Urteil der Vernunft unterliegen und von der Vernunft dominiert werden können, ist die im Uber de anima folgende Darstellung über die Affekte36 und deren bewegende Kraft als Hinfuhrung zum Kapitel vom freien Willen zu verstehen, in dem dann der Zusammenhang von Willen und Begehren geklärt wird. Die vierte Potenz der Seele dient dazu, den Menschen von einem Ort zum anderen zu bewegen; die dazu notwendigen „Organe" des Körpers sind Nerven, Muskeln und Sehnen. Als fünfte und höchste Kraft der menschlichen Seele beschreibt Melanchthon die vernunftmäßige. Ihr sind wiederum zwei Seelenvermögen zugeordnet, der Verstand und der Wille. Diese beiden Seelenvermögen stehen für die höheren apprehensiven und appetitiven Kräfte des Menschen. In den apprehensiven Kräften leuchtet noch das Licht der göttlichen Weisheit, nicht aber im Willen oder im Herzen.37 Des weiteren stellt Melanchthon die Fragen, warum Gott wollte, daß die Erkenntnis des Gesetzes Gottes im Menschen übrig ist, und wie die Freiheit im Willen beschaffen ist.38 Über die Freiheit des Willens stellt Melanchthon fest, daß der Wille dem Urteil der Vernunft widerstehen kann,39 bevor er in ausfuhrlichen Untersuchungen der Frage nach dem intellectus und der voluntas nachgeht.

34

Vgl. StA III, 310,32-311,20 (CR XIII, Sp. 123f.). Vgl. StA III, 311,21-23 (CRXIII, Sp. 124): „Sunt igitur alii quidam gradus appetitionum, qui non fiunt per contactum, sed sequuntur cogitationem, et proprie sunt in corde, ac nominantur affectus." 36 Vgl. StA III, S. 311,21-325,14 (CR XIII, Sp. 124-136). 37 Vgl. StA III, S. 325,17-20 (CRXIII, Sp. 136): „Est potentia [potentia locomotiva, Anm. d. Verf.], quae quamcunque partem corporis externam, ciente imaginatione, ut in pecudibus, aut ratione, ut in hominibus, ex alio loco in alium transfert. Organa sunt nervi, musculi et chordae, hoc ordine." Vgl. aaO., S. 328,18f. (CR XIII, Sp. 139): „Duae sunt potentiae in hac summa parte, ut sie dicam: Intellectus et voluntas." Vgl. aaO., S. 329,4-6 (CR XIII, Sp. 139f.): „Hi radii sapientiae Dei lucent in potentia cognoscente, [...]. Sed nec in voluntate, nec in corde sunt motus et flammae congruentes cum lege Dei." 38 Vgl. StA III, S. 329,23-25 (CR ΧΙΠ, Sp. 140). 39 Vgl. StA III, S. 330,24f. (CR XIII, Sp. 141): „Potest enim voluntas repugnare recto iudicio." 35

Analyse

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An die Seelenlehre, die weitgehend als philosophische Darstellung der Seele im medizinischen Kontext erläutert wird, schließt Melanchthon zwei von ihm spezifisch christlich gehaltene Aussagen über die Seele an. In der ersten christlichen Aussage über die menschliche Seele behandelt Melanchthon im Abschnitt De imagine Dei in homine die Gottebenbildlichkeit des Menschen. Sie ist keine Potenz der Seele, sondern das Licht Gottes in ihr, das in den menschlichen Verstand von Gott hineingegeben worden ist. Die Ebenbildlichkeit wird jedoch erst in der himmlischen Kirche vollendet werden.40 Die zweite spezifisch christlich fundierte Aussage betrifft die Unsterblichkeit der Seele, die von Piaton her bekannt ist und in einigen Aussagen auch bei Aristoteles vorkommt, aber aus philosophischer Sicht ganz anders begründet wird als in einer christlichen Argumentation. Melanchthon beginnt den Abschnitt De immortalitate animae humanae mit der Auferstehung Christi. Von ihr ausgehend verbindet er die Kirche in der Welt als Kirche Jesu Christi mit der eschatologischen Kirche.41 8.2.2 Die Willenslehre im Liber de anima Der menschliche Wille als dritte appetitive Kraft der menschlichen Seele muß in seiner Beziehung zu den Affekten und zum Intellekt verstanden werden. Er hat seinen Ort zusammen mit dem Verstand in der potentia rationalis des Menschen. Wie auch in den späten Loci-Ausgaben versteht Melanchthon in De anima den Willen als Möglichkeit, die vom Verstand vorgestellten guten Objekte gegen die schlechten Affekte zu wählen und so als Triebkontrolle zu fungieren. Diese Führung durch den menschlichen Willen setzt eine gewisse Freiheit voraus. Dabei unterscheidet Melanchthon zwei Arten der Führung durch den Willen, die despotische (δεσποτική) und die angenehme (πολιτική). Erstere besteht im Zwang zu äußerlicher Handlung durch Geist und Willen auch entgegen den Affekten. Die zweite Art meint die Übereinstimmung des Herzens mit der recta ratio als der ratio, die der ursprünglichen Ordnung des Menschen entspricht, wie sie von Gott geordnet dem Menschen gegeben worden ist. Ein solcher Akt, der auf der Übereinstimmung des Herzen mit der recta ratio beruht, wird Tugend genannt. Eine solche Bewegung des Menschen geschieht aber 40 Vgl. StA III, S. 362,lOf. (CR XIII, Sp. 169): „Indidit igitur menti humanae notitias, quae monstrant et esse Deum, et qualis sit." Vgl. auch aaO., S. 364,25-28. (CR XIII, Sp. 171): „Nomino igitur imaginem Dei potentias animae, sed lucente in eis Deo. Eritque tum demum perfecta imago, cum in caelesti ecclesia erit Deus omnia in omnibus." 41 Vgl. StA III, S. 365,2-4 (CR XIII, Sp. 172): „Illustre testimonium est de vita perpetua secutura post hanc mortalem vitam, quod filius Dei dominus noster Iesus Christus crucifixus et mortuus, postea revixit." Vgl. auch aaO., S. 365,27-30 (CR XIII, Sp. 172): „Sed eius ecclesiae caelestis nemo civis erit, nisi prius in hac mortali vita civis fuerit huius ecclesiae, in qua sonat vox evangelii, et conversus fuerit ad Deum, antequam ex hac vita discederet."

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nicht ohne göttliche Hilfe.42 Die Struktur der Verknüpfung von Intellekt, Wille und Affekten entspricht dabei weitgehend der aristotelischen Konzeption.43 Unterschiede zu Aristoteles' Lehre bestehen aber in der Darstellung von intellectus und voluntas. 8.2.2.1 Der intellectus in Wahrnehmung und Erkenntnis als tätiger und passiver Verstand Bei Aristoteles wird der Verstand primär aktiv verstanden. Aristoteles betrachtet die Gegenstände der Wahrnehmung als bloße Möglichkeit, die erst durch den Verstand zu ihrer Wirklichkeit gelangen.44 Die Wirklichkeit wird fur den Menschen durch den Verstand „gemacht" (ποιεΐν). Demnach handelt es sich um eine Erkenntnis α posteriori, weil diese auf die Wahrnehmung der Objekte folgt und von diesen abgeleitet wird. Aber auch Aristoteles kommt wie sein Lehrer Piaton nicht ohne einen Apriorismus aus,45 da er den Verstand in bezug auf die Sinneswahrnehmung als abtrennbar, leidensunfähig und unvermischt beschreibt,46 so daß die Erkenntnis sui generis nicht als Produkt der Sinneswahrnehmung verstanden werden darf, sondern als tätiger Verstand der Wahrnehmung vorausgeht. Als tätiger Verstand ist er dann aber auch unsterblich und ewig, weil er Prinzip ist. Den anderen Teil des Verstandes versteht Aristoteles als leidenden. Der leidende Verstand nimmt die Sinneswahrnehmungen auf, ist daher veränderlich und somit auch vergänglich.47 Die Erkenntnis als Sinneswahrnehmung des leidenden Verstandes geschieht demnach α posteriori, während die Erkenntnis des aktiven Verstandes als Prinzip gegenüber der Wahrnehmung als Materie α priori verstanden werden muß. Melanchthon hat demgegenüber eine andere Auffassung von Verstand, Wahrnehmung und Erkenntnis. Zwar unterscheidet auch Melanchthon einen aktiven und einen passiven Verstand, das „aristotelische Begriffspaar wird in seiner Funktionszuweisung jedoch umgestellt und zugleich aus dem ursprünglich ontologischen Zusammenhang, der bei Aristoteles durch die dialektischen Begriffe .Möglichkeit' und .Wirklichkeit' von konstitutiver Bedeutung war, herausgelöst: der aktive Intellekt ist der Urheber der Erkenntnis, der die Gegenstände wahr-

42

Vgl. StA III, S. 318,37-319,1 (CR XIII, Sp. 130): „Cumque talis consonantia est recti iudicii, voluntatis, cordis et extemorum membrorum, ea actio iuste nominatur virtus." AaO., S. 319,2f. (CR XIII, Sp. 130): „Et sicubi est talis virtus, [...], non est sine singulari motu divino [-]•" 43 44

Vgl. ARISTOTELES, Seele, 432a 15^34a 21. - Vgl. oben S. 17Iff. Vgl. ARISTOTELES, Seele, 430a 14f.

45

Vgl. J. HIRSCHBERGER, Geschichte I, S. 181.

46

Vgl. ARISTOTELES, Seele, 430a 17f.

47

Vgl. ARISTOTELES, Seele, 430a 22-25.

Analyse

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nimmt, zusammenstellt, einteilt, Schlußfolgerungen zieht und beurteilt."48 Der passive Intellekt ist deqenige, der die Schlußfolgerungen und Urteile des aktiven Verstandes versteht, erkennt und annimmt.49 Die Umkehr der Reihenfolge hat ihren Grund darin, daß der Verstand in Melanchthons Theorie nicht wie bei Aristoteles aus den Sinneswahrnehmungen eine Wirklichkeit schafft, sondern bereits im Erkenntnisprozeß handelt, indem er bei der Betrachtung eines Objektes ein Ebenbild herstellt, über das er anschließend nachdenkt.50 Somit verwendet Melanchthon das Aristotelische Schema des leidenden Seelenteiles als materia und des aktiven als forma bzw. als Möglichkeit und Wirklichkeit nicht. Melanchthon versteht menschliche Erkenntnis als eine rezeptive Aktivität, die sich auf Objekte außerhalb des Menschen bezieht, nämlich auf Gott und das All der Dinge.51 Nur durch diese Vertauschung von aktiver und passiver Seele kann die apriorische Kenntnis des natürlichen Gesetzes philosophisch erklärt werden. Melanchthon verwendet diese Erklärung, um die Gewißheit der Erkenntnis hinsichtlich der von Gott geschaffenen Ordnung argumentativ zu sichern.52 Melanchthon weicht von der aristotelischen Verstandeslehre ab und beschreibt die Ordnung der menschlichen Seele als Ordnung auf Gott hin. Diese Relation des Menschen zu Gott konstituiert den menschlichen Verstand, weil der Mensch zur Erkenntnis Gottes und der göttlichen Ordnung geschaffen ist. Die Relation schließt dann eine tätige Seele im Sinne der Aristotelischen νοΰς-Lehre aus, da allein Gott die Wirklichkeit schafft, die der Mensch erkennt. Die Erkenntnismöglichkeit fur den Menschen ergibt sich aus der Ähnlichkeit des menschlichen Verstandes zur ewigen mens Gottes.53 Hierzu hat Gott dem Menschen die notitiae naturales eingestiftet, die eine von Gewißheit geprägte Erkenntnis ermöglichen. Diese Erkenntnis stellt dem Willen die Objekte vor, denen der Wille zustimmen bzw. nicht zustimmen kann.

48 GÜNTER FRANK, Philipp Melanchthons Idee von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, in: ThPh 68,1993, S. 349-367 (künftig zitiert als „Idee"), S. 357. 49 Vgl. StA III, S. 338,8f. (CR XIII, Sp. 148): „Alterum officium est postea inventa intelligere, agnoscere, et tamquam dictata accipere." 50 Vgl. StA III, S. 334,31 f. (CR XIII, Sp. 145): „Notitia est mentis actio, qua rem aspicit, quasi formans imaginem rei, quam cogitat." 51 Vgl. StA III, S. 332,28-30 (CR XIII, Sp. 143): „Ens quam late patet, hoc est, Deus et tota rerum universitas est obiectum intellectus, ad cuius agnitionem conditi sumus." 52 Vgl. StA III, S. 340,11-14 (CR XIII, Sp. 150): „Vult firmas esse notitias numerorum, ut intelligamus unum esse Deum, non innumerabiles, et ut in tota vita discernamus unum, et multa et ordinem considerare possimus." 53 Vgl. StA III, S. 341,17-21 (CR XIII, Sp. 151): „Deus est mens aeterna, sapiens, verax, iusta, casta, benefica, conditrix mundi, servans rerum ordinem, et puniens scelera. Mens humana ad hanc similitudinem condita est. Sit igitur homo verax, iustus, beneficus, castus."

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Melanchthon weicht an einem wichtigen Punkt von der Aristotelischen νοΰςLehre ab. Nimmt man die Aristotelische νοΰς-Lehre als Beurteilungsmaßstab für das Melanchthonische Verständnis von mens, dann wäre die mens immer passiv, weil sie nicht als Prinzip eine Wirklichkeit begründet, sondern in bezug auf die Wirklichkeit ausschließlich rezeptiv tätig ist. Melanchthon ordnet Gott als Schöpfer der menschlichen Erkenntnis prinzipiell vor, so daß der aktive Verstand nicht als forma des passiven Verstandes begriffen wird. Melanchthons philosophische Lehre wird von der theologischen Erkenntnis des relationalen Verhältnisses Gottes zu den Menschen bestimmt, was sich in der lehrhaften Vorordnung von Gott und seiner Schöpfungsordnung vor die menschliche Erkenntnis manifestiert. 8.2.2.2 Die voluntas als Möglichkeit zur Abkehr von Gott und zur Freiheit in äußeren Handlungen Von diesen vom Verstand dem Willen vorgestellten Objekten „ziehen" den Menschen häufig die schlechten Affekte weg. Hinzu kommt die Wahrnehmung Melanchthons, daß dem Willen die richtigen Objekte nicht immer zuverlässig vorgestellt werden, da im menschlichen Verstand Schatten vorhanden sind.54 Melanchthon betrachtet in De anima wie im Ethik-Kommentar 1546 den Willen und seine Freiheit in bezug auf die äußeren Taten. Die Willensfreiheit darf in der Lehre aber nicht auf die inneren Bewegungen des Menschen ausgedehnt werden, weil damit die Lehre von den Wohltaten Christi und von der Verheißung des Heiligen Geistes zerstört wird.55 Melanchthon zieht in De anima die gleiche Grenze fur die Betrachtung der Freiheit des menschlichen Willens wie im Ethik-Kommentar 1546, die er ebenfalls mit dem von Gott abgewendeten menschlichen Willen begründet, der von den irrenden Affekten des Herzens mitgerissen wird.56 Die Freiheit kann im philosophischen Kontext nur in dem Bereich untersucht werden, der weitgehend von der menschlichen Seele erfaßt wird; daher beschränken sich die Aussagen auf den Menschen coram mundo. Wie diese Aussagen zur Freiheit des Willens in äußeren Dingen entsprechen auch die weiteren inhaltlichen Aussagen Melanchthons zur Willenslehre seinen Ausführungen in den Loci-Ausgaben weitgehend. Auffallend ist jedoch die be54 Vgl. StA III, S. 346,7-11 (CR XIII, Sp. 155): „Ac nunc cum similes sumus illi viatori vulnerato et spoliato, et in mente tenebrae sunt, id est, multae tristes dubitationes de Deo, et non est in cordibus amor Dei, voluntas alia obiecta quaerit, non Deum, ac horum ordo etiam conturbatur." 55 Vgl. StA III, S. 354,31-355,1 (CR XIII, Sp. 162f.): „Ex hac distinctione, quam recitavi, potest utcumque intelligi, qualis adhuc sit libertas voluntatis, quae habet, ut dixi, suas metas, nec ita amplificanda est, ut obruatur doctrina de beneficiis filii Dei, et de promissione Spiritus sancti, item de nostra infirmitate." 56 Vgl. StA III, S. 355,3-7 (CR XIII, Sp. 163): „Voluntas aversa est a Deo, non timet Deum, non ardet fiducia et dilectione Dei, negligit aut tristi fremitu fugit eum. Corda varie errantibus affectibus aliis atque aliis incenduntur, et voluntatem secum rapiunt."

Analyse

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sondere Betonung der Kontingenz Gottes als Schöpfer gegenüber seinen Geschöpfen und der nicht vorhandenen necessitas des Bösen zu Beginn des Abschnittes De libero arbitrio. Nach der weitgehenden Ausblendung von direkten theologischen Aussagen ist die theologische Ausrichtung des Abschnittes De libero arbitrio auffällig. Aristoteles geht von einer autonomen menschlichen Seele aus, die durch die Verbindung mit dem menschlichen Körper zu ihrer ersten Vollendung gelangt.57 Melanchthon dagegen versteht in einer davon abweichenden Definition Seele als Endelechia,58 da der Mensch mit Leib und Seele Geschöpf ist. Sowohl der Verstand als auch der Wille des Menschen sind aus ihrer Relation zu Gott zu verstehen. Ist diese Ordnung beider Teile der Seele auf Gott hin außer Kraft, spricht Melanchthon beim Verstand von Dunkelheit und beim Willen von Abkehr und beschreibt die Folgen in der menschlichen Seele via negationis. Demnach geht Melanchthon nicht von einer selbsttätigen Seele aus, sondern von einer geschaffenen. Hieraus ergibt sich ein gegenüber Aristoteles veränderter Freiheitsbegriff Melanchthons. Der Mensch, der mit seiner Vernunft von seinem Schöpfer auf diesen hin geschaffen worden ist, empfängt nach Melanchthons Lehre in den LociAusgaben auch seine Freiheit von diesem Schöpfer. Dem Menschen wird seine Autonomie hinsichtlich der Welt verliehen, nicht aber in der Beziehung zu Gott. Die Hervorhebung der göttlichen Freiheit dient Melanchthon dazu, den Schluß abzuwehren, daß Gott an die causae secundae, nämlich die Handlungen des Menschen, gebunden sei und letztlich auch diese hervorbinge. Gott wäre in diesem Falle auch der Urheber des Bösen. Gott hat den Menschen in der Schöpfung mit seiner Weisheit ausgerüstet, die in der Erkenntnis des Gesetzes Gottes, der Gerechtigkeit und dem freien Willen besteht, wobei Freiheit des Willens die Möglichkeit des Willens bezeichnet, so oder anders zu handeln bzw. etwas zu tun oder nicht zu tun.59 Diese Freiheit ist die Ursache für die Kontingenz des Menschen in der Frage nach dem Gehorsam gegen Gott. Der gut geschaffene Wille des Men57

Vgl. ARISTOTELES, Seele, 412a 25-28. Vgl. GÜNTER FRANK, Philipp Melanchthons „Liber de anima" und die Etablierung der frühneuzeitlichen Anthropologie, in: Michael Beyer/Günther Wartenberg (Hgg.), Humanismus und Wittenberger Reformation. ..., Leipzig 1996, S. 313-326 (künftig zitiert als „Liber de anima"), S. 321f. 59 Vgl. StA III, S. 349,19-23 (CR XIII, Sp. 158): „Ac procul explodantur impii furores Stoicorum, qui fingunt Deum alligatum esse ad causas secundas, nec posse aliter agere, quam sicut cient causae secundae, et necessario eum velle et agere bona et mala, honesta et turpia." Vgl. aaO., S. 349,28-31 (CR ΧΙΠ, Sp. 158): „Iam constitute propositione, quod Deus sit agens liberum, sciamus eum et angelos et homines in creatione omasse his tribus bonis, quae sunt in ipso optima, sapientia videlicet, notitia suae legis, iustitia, et libertate voluntatis." Vgl. aaO., S. 349,6-10 (CR ΧΙΠ, Sp. 158): „Nunc tantum hoc dicam libertatem in divina voluntate, et in creaturis rationalibus, angelis et hominibus, esse facultatem voluntatis, quae possit agere, ac non agere, aut sie, aut aliter agere." 58

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sehen hat die Freiheit, Gott zu gehorchen, aufgegeben, indem er sich durch den Sündenfall von Gott abgewendet hat.60 Freiheit des Menschen kann es daher nur in der intakten Relation des Menschen zu Gott geben, wenn die inneren Bewegungen des Menschen mit seinem Willen und seiner Erkenntnis übereinstimmen. Diese Harmonie hat der Mensch aus eigenem Willen beendet. Melanchthon kann den Zustand des sündigen Menschen auch medizinisch beschreiben. In dem Kapitel De motibus cordis schreibt Melanchthon dem Herzen zwei Bewegungen zu, den Puls und die Affekte. Wie der Puls durch Diastole und Systole entsteht, so ist mit dieser Tätigkeit des Herzmuskels auch die Entstehung der Affekte verbunden. Die Affekte folgen dabei der Erkenntnis oder dem Denken. Mit der Kontraktion des Herzens verbindet Melanchthon den Schmerz, mit der Entspannung die Freude.61 Dabei sagt er jedoch nicht, daß Kontraktion und Ausdehnung kausal fur Schmerz bzw. Freude sind; sondern er läßt Raum für die besondere Wechselwirkung zwischen Psyche und Physis, die er als Wunder beschreibt, das nur durch Gottes Schöpfung erklärt werden kann. Das mangelnde menschliche Verständnis für den consensus zwischen Gehirn und Herz begründet Melanchthon mit der inzwischen eingetretenen Verwirrung der von Gott geschaffenen Harmonie zwischen Gehirn und Herz. Das Gehirn als Sitz des Verstandes und das Herz als Wohnsitz (domicilium) des Willens sind auch in medizinischer Sicht in einer ersten Harmonie von Gott geschaffen worden.62 Wenn mit der seelischen Unordnung so die anatomische verbunden wird, zeigt Melanchthon ein Verständnis des Menschen als leib-seelischer Einheit. Diese enge Verbindung von physiologischen und psychologischen Vorgängen deutet daraufhin, daß Melanchthon sich in der engen Verbindung von Leib und Seele an Aristoteles anlehnt. Indem er aber die Seele nicht als erste Entelechie, sondern als Endelechie beschreibt, weicht er deutlich von Aristoteles in der Vorstellung ab. Der Begriff „Entelechie" bedeutet bei Aristoteles „soviel wie vollendet sein, das Ziel, den Zweck erreicht haben."63 Neben der Bewegung schließt „Entelechie" den Aspekt des Vollendetseins ein. Der Begriff „Endelechie" betont 60 Vgl. StA ΙΠ, S. 350,21-27 (CR XIII, Sp. 159): „Cum igitur Deus nec velit, nec approbet, nec efficiat peccata, manifestum est ea non oriri a voluntate Dei, sed a voluntatibus diabolorum et hominum, qui cum boni conditi essent, suis voluntatibus quae erant liberae, se sponte a Deo averterunt. Est autem libertas fons et causa contingentiae." 61 Vgl. CR XIII, Sp. 58: „Alter motus in corde nominatur Adfectus, qui cogitationem sequitur, et accenditur notieiis, estque totius cordis vel dilatatio, ut in laeticia, qua cor sentit voluptatem seu suavitatem, vel compressio, ut in moesticia, qua cor non sentit suavitatem, sed dolorem, et torrefit ac destruitur. Etsi autem ad hunc sensum voluptatis et doloris nervi concurrunt, tarnen natura cordis proprie adfectuum causa est." 62 Vgl. CR ΧΙΠ, Sp. 58: „Multa sunt autem miracula in hac re. [...]. Aut quae vis est cerebri et spirituum ferientium corda, ut tarn varii motus cieantur? Hic ostendere aliam causam non possumus, nisi quia sic condita est natura, ut talis sit cerebri et cordis consensus ac συμπάθεια " 63

J. HIRSCHBERGER, Geschichte I, S. 210.

Analyse

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dagegen den durativen Aspekt, also die Fortdauer der Bewegung, ohne auf die Vollendung zu verweisen. Melanchthon möchte mit der Verwendung des Begriffes „Endelechie" also den Aspekt der Seele als Bewegungsprinzip des Menschen betonen, der auch bei Aristoteles große Bedeutung hat. Bei der Hervorhebung dieses Aspektes sieht sich Melanchthon in Übereinstimmung mit vielen Aristoteles-Auslegern.64 Melanchthon wehrt sich aber entschieden gegen das Verständnis, daß die Seele durch die Vereinigung mit dem Körper zur Vollendung gelangt sei,65 was bei der Anwendung des forma-materia-Schemas jedoch im aristotelischen Sinne verstanden werden müßte. Als forma des Leibes betrachtet Aristoteles die Seele selbst als unbewegt, während Melanchthon die Seele durch den Heiligen Geist bewegt sieht, der im Herzen des Menschen die geistlichen Bewegungen hervorruft.66 Diese Konzeption Melanchthons weist auf Piatons Seelenlehre hin, die ebenfalls von einer bewegten Seele ausgeht. Der Unterschied zu Piaton besteht aber darin, daß sich die Seele nach dessen Lehre selbst bewegt, während Melanchthon die Bewegung der Seele bei den sündigen Bewegungen auf den Willen des Menschen zurückfuhrt, durch den sie jedoch ihre Bestimmung verfehlt, nach der sie auf Gott hin geschaffen worden ist. Bei den Werken des Glaubens wird die Seele durch den Heiligen Geist angeregt, wobei der Wille zustimmt, so daß die Bewegung der Seele, wenn sie ihrer Bestimmung gerecht wird, ihren Anstoß von außen, nämlich von Gott, erhält. Melanchthon überlagert daher die aristotelische Seelenlehre mit einer biblisch-theologischen Psychologie, die er selbst in Zusammenhang mit der Lehre von Averroes bringt.67 Deutlich wird anhand dieser Untersuchung, daß die Seelenlehre, in die die Willenslehre integriert ist, von Melanchthon nicht in Anlehnung an ein bestimmtes philosophisches Modell gestaltet wird. Der Rückgriff auf philosophische Erklärungsmuster geschieht im Hinblick auf die Plausibilität seiner Erläuterungen, wobei stets eine biblisch-theologische Perspektive bestimmend bleibt. In der Anthropologie geht er dabei vom sündigen Menschen aus, dessen Relation zu seinem Schöpfer gestört ist. Aus dieser Perspektive erweist sich jedes philosophische Modell als insuffizient, da die Relation Gott - Mensch alle philosophischen 64

Vgl. CRXIH, Sp. 12: „Haec Aristotelica si quis perspicit,etiam hic intelliget, quo consilio Animam dicat esse Endelechiam, id est, agitationem seu actum, ut veteres verterunt." 65 Vgl. CR ΧΙΠ, Sp. 14: „Argyropylus Ciceronem reprehendit, et maluerunt alii quidam verti Endelechiam, perfectionem interiorem, quasi τό έντός τελειοϋν." 66 Vgl. auch G. FRANK, Liber de anima, S. 321f. 67 Vgl. StA ΙΠ, S. 339,28-33 (CR ΧΙΠ Sp. 149): „Etsi autem Averrois divinatio deridetur et fortassis ab Aristotele aliena est, tarnen si dextre intelligitur, non est absurda. Cum enim ait, facientem intellectum esse ipsum Deum cientem excellentiores motus in hominibus, vere dicit, excellentes et salutares cogitationes a Deo ipso monstrari et regi, [...]." Vgl. auch zur Verbindung der aristotelischen mit der averroes'schen Lehre G. FRANK, Idee, S. 359.

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Die Willenslehre im Liber de anima von 1553

Erklärungen transzendiert und ihnen eine neue Wirklichkeit gegenüberstellt. Melanchthon greift daher nicht verschiedene philosophische Theorien auf, um eine neue, komplexere zu entwickeln; sondern er legt eine biblisch-theologisch fundierte Anthropologie zugrunde, die er mit Hilfe philosophischer Erläuterungen vermitteln möchte. Die biblisch-theologische Basis, die Melanchthon De anima zugrunde legt, fuhrt zu einer grundlegenden Differenz in der Lehre von der immortalitas animae humanae gegenüber den philosophischen Meinungen. Außer in der Überschrift zu dem Abschnitt spricht Melanchthon in De anima nicht von „Unsterblichkeit" (immortalitas), sondern stets von der anima superstes. Diese begriffliche Differenz zwischen Überschrift und Text indiziert eine relevante Bedeutungsabweichung von der Unsterblichkeitsaussage. Vor allem die platonische Philosophie, aber auch Aristoteles selbst in seiner Seelenlehre, betrachten lediglich die intellektive Seele als unsterblich. Sie ist nicht aus den Grundstoffen geschaffen, wie der Leib des Menschen.68 Melanchthon argumentiert ausgehend von der Auferstehung Jesu Christi, die auf die Kreuzigung und den Tod folgte. Die Auferstehung sieht Melanchthon nicht allein als Auferstehung der Seele, sondern in leib-seelischer Einheit, in der er den geschaffenen Menschen versteht. Grundlage dieser Lehre sind die Erscheinungsberichte vom Auferstandenen.69 So entsteht nicht der Gegensatz von einer unsterblichen Seele zu einem sterblichen Leib. Vielmehr mahnt Melanchthon als Desiderat der philosophischen Erläuterungen an, daß diese nichts über die Wiederherstellung des Leibes aussagen.70 Melanchthon geht daher in De anima von einer Auferstehung von Leib und Seele aus. Der Auferstehung geht aber der Tod des ganzen Menschen voraus. Melanchthon spricht von haec mortalis vita71 bzw. in der Kreuzigungsszene72 von einem „sterbenden" Räuber, der den „sterbenden" Jesus um Vergebung der Sünden bittet. 68 Vgl. StA III, S. 368,21-25: „Sed si qui [Philosophi, Anm. d. Verf.] existimant, post mortem aliam vitam secuturam esse, cogitant, tantum animas superstites esse, quod ut consentaneum videatur, aiunt eas oriri a caelesti natura, non ex elementis." 69 Vgl. StA ΙΠ, S. 365,2-10 (CR ΧΙΠ, Sp. 172): „Illustre testimonium est de vita peipetua secutura post hanc mortalem vitam, quod filius Dei dominus noster Iesus Christus cruciiixus et mortuus, postea revixit. Et ne spectrum existimaretur, familiaritate quadraginta dierum ostendit Apostolis et aliis multis, se vere revixisse, et rursus vere copulatam esse animam suo corpori, in quo antea vixerat. Ac ut pluribus exemplis fides confirmaretur, simul et aliis multis, qui mortui fiierant, vita in corporibus reddita est." 70 Vgl. StA III, S. 368,20f. (CR XIII, Sp. 175): „Philosophi nihil dixerunt de restitutione corporum, quam vox divina planissime patefecit." 71 Z.B. StA ΙΠ, S. 365,3.22.28 u.ö. 72 Vgl. StA III, S. 367,14-19: „Per hunc sciunt se liberari a peccato et morte, ut hic latro petit liberationem a peccato et ab aeterna morte, agnoscit hunc, a quo petit opem, quamquam morientem, tarnen non prorsus extingui, sed ita vivere, ut etiam reddat aliis vitam aetemam."

Analyse

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Die Fortdauer der Seele (anima superstes) ist somit keine Eigenschaft der Seele. Die Seele muß mit dem Körper sterben. Beide bleiben aber nicht im Tod, wenn der Mensch in seinem irdischen Leben aus der Beziehung zu Gott lebt und Glied der Kirche ist, in der das Evangelium verkündigt wird.73 Das Evangelium ist das Leben spendende Wort Gottes, das den Menschen zur Auferstehung fuhrt. Melanchthon spricht daher nicht von der Unsterblichkeit als qualitas der Seele, wie es in der Philosophie bei Piaton und Aristoteles74 für die intellektive Seele gilt, sondern von der Wirkung des neu schaffenden Wortes Gottes, das dem Glaubenden im Evangelium begegnet. Der Ort der Begegnung ist die Kirche in der Welt. Die Zugehörigkeit zur irdischen Kirche bildet die Voraussetzung für die Teilhabe an der himmlischen Kirche. In der Überschrift De immortalitate animae humanae greift Melanchthon demnach die gebräuchliche philosophische Terminologie auf und grenzt in der Erläuterung den theologisch gedeuteten Terminus anima superstes gegen den Begriff immortalitas ab, ohne ihn jedoch erneut zu verwenden. So setzt Melanchthon gegen die philosophische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele eine biblisch-theologische Lehre von der Auferstehung des ganzen Menschen. Diese ganzheitliche Sicht des Menschen in der Seelenlehre kongruiert mit dem Verständnis des totus homo als Sünder vor Gott, das den theologischen Schriften Melanchthons im Verlauf dieser Untersuchung entnommen werden konnte. In der Seelenlehre wird besonders deutlich, daß menschliches Leben durch die Relation Gottes zu den Menschen konstituiert wird. Wenn dementsprechend alle Aussagen über den Menschen von Gott her ihre Begründung erfahren, trifft dieses auch für den Willen zu. Der Wille ist fest eingebunden in die physiologische und die psychologische Struktur des Menschen. Beide sind als Gottes Schöpfung auf Gott ausgerichtet. Die mit der Schöpfung dem Menschen gegebene Freiheit ist die Möglichkeit gewesen, sich aus der willentlichen Ausrichtung auf Gott zu lösen. Mit dieser Entscheidung ist der Mensch in eine Wirklichkeit getreten, die nicht mehr seiner Bestimmung entspricht. Alle Aussagen vom Menschen empfangen ihre Qualität von der Relation Gott - Mensch, so daß es keine allein vom Menschen ausgehenden Aussagen geben kann, die den ganzen Menschen mit seinen 73 Vgl. StA ΙΠ, S. 365,19-30: „Et adiungamus ad hoc exemplum doctrinam, in qua planissime affirmat ipse, redditurum se esse vitam in corporibus omnibus hominibus post mortem, et eos, qui in hac mortali vita ad Deum conversi fuerunt, in omni aeternitate deinceps in caelesti ecclesia ita victuros esse, ut Deum coram intueantur et fruantur eius sapientia, iustitia et laetitia, et vicissim eum grati celebrent. Sed eius ecclesiae caelestis nemo civis erit, nisi prius in hac mortali vita civis fuerit huius ecclesiae, in qua sonat vox evangelii, et conversus fuerit ad Deum, antequam ex hac vita discederet." 74 Vgl. ARISTOTELES, Seele, 430a 22f.

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Die Willenslehre im Liber de anima von 1553

Relationen zu Gott und zu den Menschen richtig beschreiben. Dieses gilt daher auch für den Begriff der menschlichen Freiheit, die an die Möglichkeiten des Willens gebunden ist. Der Wille, der in einer von Gott abgewandten Seele ist, kann nicht frei sein im Sinne seiner Bestimmung, da er die Freiheit von Gott erhält. Freiheit hat der postlapsarische Mensch daher nur noch in dem Bereich, der aufgrund der göttlichen Ordnung der menschlichen Vernunft zugänglich ist. Aber auch diese Freiheit wird von dem durch die Erbsünde geschädigten Menschen nur noch teilweise erfahren, weil sie durch die Verdunkelung der Seele und die schlechten Affekte eingeschränkt wird.

8.3 Auswertung Der Liber de anima gibt dem an der Willenslehre Melanchthons interessierten Leser Auskunft darüber, wie der menschliche Wille und die anderen Seelenpotenzen in die Psychologie und in die Physiologie zu Melanchthons Zeit eingeordnet wurden. Die psychischen Vorgänge werden dabei von Melanchthon weitgehend mit physischen Abläufen in Verbindung gebracht. Indem Melanchthon die Verknüpfung der sieht- und spürbaren biologischen Vorgänge mit den psychischen Bewegungen innerhalb der menschlichen Seele darstellt, werden auch letztere greifbar. Die Erkenntnisse von Melanchthons Psychologie verlieren so ihren abstrakten, spekulativen Charakter, den der moderne Leser der Loci-Ausgaben Melanchthons empfindet. Melanchthon betrachtet den Menschen in dieser medizinischen Sichtweise nicht als autonomes Wesen, sondern erklärt zu Beginn von De anima den schöpfungsbedingten Bezug des Menschen zu Gott. Auf dieser Basis wird die Aporie hinsichtlich des Zusammenhangs der Bewegungen von Gehirn und Heiz als Folge der gestörten Relation des Menschen zu Gott und der von Gott im Menschen geschaffenen Ordnung beschrieben. Die Notwendigkeit dieser Ordnung bzw. die Bedeutung ihrer Zerstörung wird in De anima erst wirklich sichtbar in der Psychologie, also in der zweiten Hälfte des Buches. Angedeutet hat sich diese Tatsache bei der Beschreibung des Kopfes, der als besonderer Ort der menschlichen Gottebenbildlichkeit von Melanchthon beurteilt worden ist. Der Kopf ist der Ort des Intellekts und damit der Erkenntnis. Die von Melanchthon erkannte göttliche Grundordnung führt zu einer gegenüber Aristoteles veränderten Erkenntnislehre. Melanchthon versteht die Schöpfung als die der menschlichen Erkenntnis vorgegebene Wirklichkeit, die der Mensch mit Hilfe der Sinne wahrnimmt und durch seinen Verstand verarbeitet. Der Verstand des Menschen erzeugt aber nicht als Prinzip eine Wirklichkeit wie bei Aristoteles. Daher kehrt Melanchthon das Verhältnis von aktivem und passivem

Auswertung

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Verstand um. Die Wahrnehmung sowie die erste Zuordnimg des Wahrgenommenen geschieht durch den aktiven Verstand, während der passive Intellekt die Beurteilung und die Begriffsbildung übernimmt. Dieses Intellekt-Schema harmoniert mit dem Verständnis des Menschen, der durch die Relation zu Gott konstituiert ist. Die Aktion der menschlichen Seele richtet sich nach außen, auf Gott, und nicht auf den Menschen selber, wenn die Seelenfunktion ungestört ist. Diese Grundbestimmung des Menschen verändert die theologisch-anthropologischen Aussagen gegenüber den philosophischen, da die theologisch-anthropologischen Aussagen im Blick auf Gott von Gott her eine neue Bestimmimg erfahren. Dennoch zieht Melanchthon die philosophischen Erklärungen heran, da sie als damals bekannte Erklärungsmuster zur Plausibilität theologischer Wahrheiten beitragen. Er gestaltet die Muster jedoch um und verbindet sie zu einem neuen Schema, damit dieses der christlich-theologischen Anthropologie, wie Melanchthon sie versteht, möglichst gerecht wird. Melanchthon beschränkt die Aussagen dabei bewußt auf den Bereich diesseits der Rechtfertigung, da er um die Insuffiziens der Philosophie in bezug auf diese Fragen weiß. So verwendet Melanchthon die Philosophie als ancilla der Theologie. Auch in Melanchthons Darstellung des Willens und seiner Einbindung in die Seelenlehre ist deutlich geworden, daß dem Willen keine Freiheit als qualitas zukommt. Alle Eigenschaften, die von der menschlichen Seele ausgesagt werden, basieren auf der Relation Gott - Mensch und werden von ihr her bestimmt, oder sie werden unter dem Vorbehalt genannt, daß sie nicht für die Relation coram Deo gelten. Abweichend von der aristotelischen Seelenlehre ist die Freiheit des menschlichen Willens in Melanchthons Psychologie aufgrund des Geschöpf-Seins des Menschen nur in dem Bereich feststellbar, der ihm von Gott anvertraut worden ist. Eine weitergehende Freiheit negiert Melanchthon als unsachgemäß, weil der Mensch nicht als autonomes Wesen ohne seine Grundbestimmung betrachtet werden kann.

III. Zusammenfassung

1. Die Entwicklung von Melanchthons Willenslehre

Die Beobachtung in der Melanchthon-Forschung, es habe in der Theologie Melanchthons eine Entwicklung stattgefunden, hat sich auch anhand der vorliegenden Untersuchung zu seiner Willenslehre bestätigt. Diese Entwicklung hat nach den Ergebnissen der Untersuchung in fünf Phasen stattgefunden. In der ersten Phase (Kapitel II.l) der Willenslehre Melanchthons ist eine Inhomogenität in seiner Theologie zu beobachten, die auf zwei Einflüsse in den beiden Anfangsjahren in Wittenberg zurückzufuhren ist. Einerseits ist Melanchthon in der geistigen Welt des Humanismus beheimatet, andererseits beginnt er, die lutherisch-reformatorische Theologie aufzunehmen. Beide geistigen Strömungen stellen nicht per se einen Widerspruch dar, gehen aber in der Willenslehre von unterschiedlichen Prämissen aus. In Melanchthons Theologie entsteht durch die Aufnahme bzw. Fortfuhrung beider Strömungen die Spannung zwischen der lutherischen Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben ohne Werke und der aristotelischen Tugendlehre, die als Grundlage der altgläubigen Lehre von der Notwendigkeit guter Werke für die Rechtfertigung verstanden wurde. Diese Spannung beinhaltet die Frage nach der Mitwirkung des Menschen und damit nach der Freiheit des Willens. Übergeordnet wird diese Spannung in den Horizont des Verhältnisses von Vernunft und Offenbarung eingeordnet. Ebenfalls leitend für die Abgrenzung der unterschiedlichen Phasen - und damit auch für diese erste Phase - ist die Bestimmung des Verhältnisses von Verstand, Wille und Affekten zueinander. Als Melanchthon im Jahre 1518 nach Wittenberg kam, lehrte er den Glauben als Übereinstimmung des Glaubensaffektes mit dem verstandesmäßigen assensus zum Wort Gottes, wodurch die Theologie als philosophia Christiana verstanden wird, die zu tugendhaftem Handeln bewegt. Grundlage einer solchen Tugendlehre ist die Freiheit des Willens, da die Wahl des Willens, dem Verstand zu folgen, die Herrschaft des Willens über die untugendhaften Affekte voraussetzt. Auch in der Theologica Institutio von 1519 spricht Melanchthon davon, daß die Theologie die Aufgabe habe, den Menschen in seinem Handeln zu Tugenden anzuleiten. Dennoch lehrt Melanchthon in dem Abschnitt über den menschlichen Willen keine notwendige Freiheit zu tugendhaftem Leben, sondern spricht von der

Die Entwicklung von Melanchthons Willenslehre

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Unfreiheit des menschlichen Willens in der Prädestination. Beide Aussagen werden nicht miteinander harmonisiert. Bereits in den Capita von 1520 tritt die Forderung nach tugendhaftem Leben in den Hintergrund von Melanchthons Theologie, so daß Melanchthon die Unfreiheit des Willens aussagen kann, ohne daß der Widerspruch zur Tugendforderung augenscheinlich wird. Die Entwicklung innerhalb dieser ersten Phase verläuft demnach in drei Stufen: Zunächst setzt Melanchthon in den theologischen Schriften und Reden des Jahres 1518 die Freiheit des menschlichen Willens in Übereinstimmung mit der humanistischen Tugendlehre voraus. In der zweiten Stufe - besonders in der Theologica Institutio - stehen die Annahme menschlicher Willensfreiheit aufgrund der Tugendlehre und die theologische Aussage von der Unfreiheit des Willens nebeneinander, bevor schließlich in der dritten Entwicklungsstufe dieser ersten Phase die Lehre von der Unfreiheit des Willens in Melanchthons Theologie gegenüber der weitgehend zurückgedrängten Annahme der Willensfreiheit des Menschen dominiert. Für diese Entwicklung ist der Einfluß Luthers verantwortlich, der die theologische Aussage von der Unfreiheit des menschlichen Willens in Melanchthons früher Theologie stetig dominanter werden ließ. Hauptschrift der zweiten Phase (Kapitel II.2) sind die Loci communes 1521 mit ihrem komplexen Lehrsystem. In den Loci communes 1521 verarbeitet Melanchthon die beiden ihn prägenden Einflüsse - Humanismus und lutherische Theologie - , aber auf zwei unterschiedlichen Ebenen: auf einer Aussage- und auf einer Argumentationsebene. Auf der Aussageebene ordnet Melanchthon alles der theologischen Erkenntnis von der Rechtfertigung allein aus Glauben unter. Dementsprechend erscheint die Lehre von der Unfreiheit des Willens coram Deo als dominant, die Melanchthon im ersten Kapitel der Loci communes 1521 entwickelt. Die von Melanchthon daneben vertretene Willensfreiheit in äußeren Dingen wird vor allem durch den Hinweis auf die göttliche Prädestination soweit zurückgedrängt, daß sie als reale Freiheit zum guten Handeln nicht in Erscheinung tritt. Die aus Melanchthons Sicht geringe theologische Bedeutung einer solchen Freiheit begründet er auf der Argumentationsebene durch die Darstellung der Willenslehre mit Hilfe der Affektenlehre. Diese Argumentation verweist aber auf das weiterhin bei Melanchthon bestehende humanistische Denkschema einer metaphysischen Psychologie. Aus dem Nebeneinander dieser beiden Ebenen ergibt sich für Melanchthon die Notwendigkeit, die effektive Rechtfertigung in einem rational nachvollziehbaren System zu begründen. Theologisch wird die effektive Rechtfertigung als Führung des Menschen im Glauben zu geistlichen Werken durch den Heiligen Geist erläutert.

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Zusammenfassung

Melanchthon hat die strikte Unterscheidung, die in Luthers Theologie zwischen Glauben und Werken soteriologisch aufbricht, nicht nachvollzogen. Aus diesem Grunde wurde in Melanchthons Loci communes 1521 eine Diskrepanz zwischen der Aussage von der menschlichen Unfreiheit coram Deo und der - stark eingeschränkten - Freiheit coram mundo sichtbar, weil nicht erörtert wird, wie und warum der Mensch diese Freiheit nach Kräften ausfüllen soll, da er ja der göttlichen Prädestination und seinen eigenen Affekten unterliegt. Bereits mit der siebten, veränderten Auflage der Loci communes 1521, den Theologicae hypotyposes 1522, beginnt die dritte Phase (Kapitel II.3) der Willenslehre, wobei in diesen Loci einerseits die Entwicklung der Loci communes 1521 zu einem Höhepunkt gefuhrt wird, so daß die Theologicae hypotyposes 1522 noch zur zweiten Phase der Entwicklung gezählt werden können. Melanchthon erkennt dem Willen nicht einmal mehr in äußeren Werken eine gewisse Freiheit zu und begründet dieses mit der den ganzen Menschen treffenden Wirkung der Erbsünde und mit der göttlichen Prädestination. Andererseits fugt Melanchthon 1523 und 1525 an die Theologicae hypotyposes 1522 ein Kapitel an, in dem die gesellschaftliche Ordnung als gottgewollte Ordnung beschrieben wird, so daß mit den Theologicae hypotyposes 1522 eine Neuerung eintritt, die den Beginn der dritten Phase markiert. Diese Neuerung steht im zeitlichen Zusammenhang mit dem Überfall Sickingens auf Trier (1522/23) und dem Bauernaufstand (1524/25). Den Gehorsam gegenüber den Gesetzen, die die göttliche Ordnung in der Welt aufrechterhalten sollen, kann der Mensch mit seinem Willen leisten. Die Freiheit zu diesem gerechten Handeln steht ab 1523 als Forderung neben der Aussage, daß der Mensch keinen freien Willen hat, auch nicht in äußeren Dingen. Melanchthon hatte erkannt, daß falsch verstandene christliche Freiheit verheerende politische Folgen haben kann, und reagierte theologisch mit einer dezidierten Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Die Loci communes 1521 in ihrer 13. und 15. Auflage mit dem Anhang zur weltlichen Ordnung sind der Anfang der Entwicklung, in deren Verlauf Melanchthon sich bemüht hat, christliche Freiheit und Unfreiheit in ihrer theologischen Bedeutung zu erläutern. Hierzu mußte er den Bruch zwischen der Unmöglichkeit, durch gute Werke gerecht zu werden, und der dennoch bestehenden Forderung nach guten Taten wieder glätten. Daher entwickelt Melanchthon eine differenziertere Darstellung von Gesetz und Evangelium als vorher, damit evangelische Freiheit nicht mit einer gänzlichen Funktionslosigkeit des Gesetzes verwechselt wird. Innerhalb der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium kommt der Pneumatologie eine tragende Rolle zu, weil der Heilige Geist den Menschen fuhrt. Angesichts dieser Führung und der Prädestination erschien vielen Menschen die Bedeutung des Gesetzes fraglich, wogegen Melanchthon seine Argumentation richtet.

Die Entwicklung von Melanchthons Willenslehre

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In der Kolosser-Vorlesung 1527 führt er diese Entwicklung weiter. Melanchthon löst sich aus der einseitigen Betrachtung des Menschen coram Deo und nimmt als zweite wichtige Perspektive den Menschen coram mundo hinzu. Auch die innerweltliche Freiheit des Willens hat nun eine theologische Bedeutung, die die Umdeutung auch der affectus carnales gegenüber den Loci communes 1521 notwendig macht. Hatte Melanchthon in den Loci communes 1521 alle menschlichen Affekte als affectus carnales und im Sinne der Unterscheidung von Geist und Fleisch als Sünde bezeichnet, so werden nun die affectus carnales qualitativ von den affectus spirituales unterschieden. Die affectus carnales sind nicht per se sündig, sondern vom Gesetz gefordert. Ihre theologische Relevanz besteht im Bereich der iustitia civilis. Dieser Punkt wird von Melanchthon nun in die Theologie integriert und erscheint nicht mehr als Appendix wie in den Loci 1523 bzw. 1525. Mit dieser neuen Beurteilung der Affekte verbindet Melanchthon eine veränderte Betrachtung des Verhältnisses von Affekten und Willen. Der Wille steht nun in einer den geistlichen Affekten gleichgeordneten Position, da der Mensch mit dem Willen laut Melanchthons Aussage den schändlichen Affekten widerstehen und so gemäß dem Erhaltungswillen Gottes handeln kann. Damit hat Melanchthon die Notwendigkeit der bestehenden äußeren Ordnung und ihrer Erhaltung theologisch begründet. Darüber hinausgehende Forderungen nach guten Werken, wie sie bei Luther als Folge des Glaubens und als Bemühung um den Glauben erscheinen, sind mit dieser Theologie noch nicht plausibel vermittelbar. Auch in der Kolosser-Vorlesung 1527 argumentiert Melanchthon mit Hilfe metaphysisch-psychologischer Kategorien hinsichtlich der effektiven Rechtfertigung. Daher bleibt auch 1527 eine plausible theologische Begründung für die Forderung guter Werke aus. Die Wirkung des Heiligen Geistes im Menschen versteht Melanchthon in der Kolosser-Vorlesung 1527 wie in den Loci communes 1521 als einen Prozeß, in dem der Mensch Sünder bleibt, so daß die Aufforderung an den Menschen, sich um gute Werke zu bemühen, notwendig erscheint, die Frage nach der Möglichkeit jedoch unbeantwortet ist. Am Ende dieser dritten Phase der Willenslehre wird deutlich, daß beide Einflüsse, Humanismus und lutherisch-reformatorische Theologie, enger miteinander verwoben sind als in den beiden vorangegangenen Phasen. Melanchthon hat aus dem Streit zwischen Erasmus und Luther den Anstoß aufgenommen, im Blick auf die Notwendigkeit menschlichen Handelns Unterschiede einzuführen, um nicht Gott zum Urheber des Bösen zu machen. Freiheit und Unfreiheit des Willens treten nun aufgrund der theologischen Wahrnehmung beider Relationen des Menschen - coram Deo und coram mundo - in eine Beziehung zueinander und stehen nicht mehr unverbunden nebeneinander. Die Verbindung bleibt aber unvollständig, da Melanchthon die Relation coram mundo weiterhin mit metaphy-

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Zusammenfassung

sisch-psychologischen Kategorien erklärt, wodurch die neue Wirklichkeit, die durch den Glauben entsteht, in der Relation coram mundo nicht deutlich wird. Anhand der Fragmenta locorum communium 1533 und der Loci communes 1535 kann eine Weiterentwicklung in der vierten Phase (Kapitel II.4 und II.5) beobachtet werden. Die Frage nach der Freiheit des Willens wird von der Prädestinationslehre und den Aussagen zur Notwendigkeit des Handelns entsprechend der Distinktion necessitas consequentiae und necessitas consequentis gelöst. Als Kriterium zur Beurteilung der Willensfreiheit dient in Melanchthons Argumentation nun die Stellung des Menschen zum Gesetz. Das Gesetz wird dabei in drei officio wahrgenommen, die den Menschen unterschiedlich beanspruchen. Neu ist bei Melanchthon die Funktion des Gesetzes in seinem dritten Gebrauch. Mit der Aufnahme des tertium officium legis in die Theologie reagiert Melanchthon auf die Abrogation des Gesetzes durch Agricola. Zugleich wird damit neben dem politischen Bereich und der unmittelbaren Relation des Menschen zu Gott mit der Heiligung eine neue Betrachtungsmöglichkeit gegeben, die den Glaubenden mit seinem Lebensvollzug in der Welt wahrnehmen kann. In der Willenslehre unterscheidet Melanchthon nun drei unterschiedliche Aussagen. In bezug auf die Rechtfertigung, nämlich die Vergebung der Sünden und die Erneuerung, betrachtet Melanchthon den menschlichen Willen nicht als frei, da der Mensch die geistlichen Forderungen des Gesetzes nicht erfüllen kann. Hinsichtlich der Gesetzesforderung in ihrem ersten Gebrauch ist der Wille dagegen weitgehend frei, so daß er in diesem Sinne gerechte Werke mit seinem Willen hervorbringen kann. Die Gesetzesforderungen nach dem tertium officium legis kann der Mensch aber erst dann erfüllen, wenn der Wille durch den Heiligen Geist befreit ist. Die Ursächlichkeit des Willens beschränkt sich dabei auf die bloße Zustimmung, so daß der Wille nicht als causa secunda efficiens, sondern als causa materialis zu verstehen ist, an der das Wort Gottes und der Heilige Geist als causa efficiens handeln. Melanchthon erläutert den assensus als Antwort des Glaubens im Kontext der Heiligung. Auf die Erklärung und Zuhilfenahme der Affektenlehre verzichtet Melanchthon in dieser vierten Phase weitgehend. Die Beschreibung des Willens als Ursache der Heiligung weist besonders deutlich darauf hin, daß im Hintergrund der Anthropologie Melanchthons stets ein Schema metaphysischer Psychologie steht. Im Kontext theologischer Aussagen verzichtet Melanchthon jedoch weitgehend auf die metaphysisch-psychologische Terminologie. Dennoch hat er die humanistische Tugendlehre dabei soweit wie möglich für die theologischen Aussagen zur Heiligung nutzbar gemacht. Von besonderer Bedeutung für die Willenslehre ist die Überwindung der Spannung zwischen der Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben und der Forderung nach den guten Werken, wie sie Melanchthon durch die Einbindung des menschlichen Willens in die Heiligung

Die Entwicklung von Melanchthons Willenslehre

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gelungen ist. Die Heiligung wird von Melanchthon streng pneumatologisch verstanden. Die Rechtfertigung des Sünders außerhalb seiner selbst wird weiterhin streng imputativ gedacht, deren effektive Wirkung den Menschen selbst zum assensus und zur Heiligung anregt. Der Wille erscheint dabei als tertia causa sanctificationis. In derfönften Phase (Kapitel II.6) finden sich die entscheidenden Veränderungen eher im Umfeld der Willenslehre als in dieser selbst; dabei ist besonders auf die Bedeutung der Kirchenlehre hinzuweisen. In der Willenslehre präzisiert Melanchthon die Frage nach der Mitwirkung des Willens im Geschehen der Heiligung und konzentriert damit die Spannung zwischen psychologischer Erklärung der effektiven Rechtfertigung des Sünders und der theologischen Erläuterung der imputativen Rechtfertigung in Christo letztlich auf das Wort „kraftlos". Dieses Wort trägt in Melanchthons Loci praecipui 1543 die ungeheure Spannung, die Joest bei Luther als Analogie-Bruch1 bezeichnet hat. Für die psychologische Erklärung der Willenslehre innerhalb der Theologie verzichtet Melanchthon ebenso wie Luther nicht auf die Kategorien der metaphysischen Psychologie, deutet diese aber nicht so radikal um wie Luther. Daß die Beschreibung der effektiven Rechtfertigung und der daraus folgenden Heiligung dennoch keinen Einfluß auf das hat, was theologisch mit der imputatio der Rechtfertigung extra nos in Christo ausgesagt wird, drückt Melanchthon in dem Adverb „kraftlos" aus, dessen inhaltliche Füllung er jedoch offenläßt. Die „Offenheit" im Verständnis dieses einen Wortes enthält die grundsätzliche Differenz zwischen der Wirklichkeit des alten und des neuen Menschen. An den Rändern dieser Differenz erfährt der Sünder durch das Wort Gottes und durch den Heiligen Geist die Befreiung zum Handeln allein aus Glauben. Maßstab für dieses Handeln bleibt auch in den Loci praecipui 1543 das Gesetz. Melanchthon ordnet die drei Aussagen zur fehlenden bzw. vorhandenen Freiheit des Willens eindeutig den drei usus legis Dei zu. Entsprechend dem primus usus legis hat der Mensch die Freiheit zur äußerlichen Erfüllung des Gesetzes, wobei auch hier die schändlichen Affekte die Freiheit beschneiden. Jedoch ist Melanchthon bereits in den Loci communes 1535 zum aristotelischen Seelenschema zurückgekehrt, so daß er die Möglichkeit der Triebkontrolle durch den Willen als gegeben ansieht. Der Mensch kann demnach den schlechten Affekten widerstehen und sich in der äußeren Gerechtigkeit steigern. Die Anklage des Gesetzes im secundus usus legis läßt dem Sünder keine Willensfreiheit. Zum tertius usus legis wird der Sünder durch die Gabe des Heiligen Geistes befreit. Diese Befreiung bindet den ganzen Menschen ein, so daß auch der Wille befreit wird, dem Glauben und seinen Werken in der Heiligung Raum zu

1

Vgl. oben S. 7Iff.

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Zusammenfassung

geben, indem er „kraftlos" der Glaubenserkenntnis und der Bewegung des Herzens durch den Heiligen Geist zustimmt. In den philosophischen Schriften hat Melanchthon diese Willenslehre beibehalten und als Grundlage auch des medizinisch-philosophisch ausgerichteten Liber de anima verwendet. Lediglich die Betrachtungsperspektive differiert zwischen dem Ethik-Kommentar 1546 und Liber de anima einerseits und den Loci-Ausgaben andererseits. Während die Loci-Ausgaben den Menschen primär aus der theologischen Perspektive beschreiben, gewichten der Ethik-Kommentar 1546 und der Liber de anima die philosophische Darstellung des Menschen stärker. Bezogen auf die Willenslehre wird der menschliche Wille in den Loci-Ausgaben besonders im Verhältnis zum usus theologicus legis und zum usus legis in renatis untersucht. In der Ethik blickt Melanchthon auf die Erfüllbarkeit der Forderungen entsprechend dem usus politicus legis und von dort aus auf den usus legis in renatis als die Grenze der Betrachtung, wobei in seiner theologischen Anthropologie die Erbsündenlehre die unverzichtbare Basis aller Aussagen darstellt. So wie Melanchthon in den Loci communes 1535 und 1543 weitgehend auf die philosophische Terminologie zur Darstellung seiner Anthropologie verzichtet hat, so beschränkt sich Melanchthon in den philosophischen Schriften weitgehend auf eben diese Terminologie und greift auf die theologischen Begriffe nur dort zurück, wo es unverzichtbar ist, z.B. beim Begriff Sünde. Die Darstellung der Willenslehre ist mit fortschreitender Entwicklung „theologischer" geworden. Die Philosophie wurde dennoch nicht aus der Theologie ausgeschlossen, auch wenn die negativen Äußerungen zur Philosophie in den Loci communes 1521 zunächst anderes erwarten ließen. Vielmehr wurde die Philosophie in den späten Loci-Ausgaben für die Theologie gewinnbringend eingesetzt, ohne zu den theologischen Aussagen in Konkurrenz zu geraten. Dieses Konkurrenzverhältnis bestand in den Loci communes 1521, worauf sowohl die sprachliche Vermischung als auch die strikte thematische Trennung der Relationen des Menschen coram Deo und coram mundo hinweisen. In beiden Indizien zeigen sich grundlegende Veränderungen, die aus der Trennung der Philosophie von der Theologie eine Unterscheidung von beiden Bereichen in bezug auf die Erkenntnisund Darstellungsweisen entwickeln. So entspricht der inhaltlichen Entwicklung der Willenslehre, die an der Grenze von Theologie und Philosophie verläuft, auch deren formale Entwicklung in der Theologie Melanchthons.

2. Hauptgesichtspunkte der Veränderung von Melanchthons Willenslehre

2.1 Der Ausgangspunkt der Veränderungen Die Veränderungen der Willenslehre in den jeweiligen Phasen werden von Modifikationen der Theologie Melanchthons begleitet. Dabei besteht zwischen diesen Veränderungen und der Entwicklung der Willenslehre in ihren einzelnen Stufen eine Wechselwirkung, so daß die Kausalität, welche Modifikation eine andere bedingt, nicht eindeutig geklärt werden kann. Wichtig ist jedoch auch die Beobachtung äußerer Einflüsse, die für die Gesamtentwicklung Melanchthonischer Theologie entscheidende Impulse gegeben haben. Ein prägender Faktor der Theologie Melanchthons in den Jahren 1518 und 1519 ist die Tugendlehre gewesen. Melanchthon verstand das Evangelium im humanistischen Sinne als philosophia christiana, so daß das Evangelium den Menschen unterrichten sollte, wie er zu einem tugendhaften Leben kommen könne. Für die psychologische Erklärung verwendet Melanchthon als Argumentationsgrundlage die Affektenlehre, wobei er zunächst vom aristotelischen Verständnis ausgeht, daß der Wille die niederen Affekte beherrschen kann. Der Wille wird demnach dem höheren Strebevermögen zugerechnet. Der theologischen Anwendung des aristotelischen Schemas entspricht das Verständnis des Glaubens als assensus. Der intellectus stellt aufgrund der Glaubenserkenntnis dem Willen das Erkannte vor, dem der Wille zustimmt. Bereits 1519 wird in Melanchthons Theologie die Tendenz sichtbar, den Willen der Bewegung der Affekte unterzuordnen. Neben dem verstandesmäßigen assensus ist der von den fleischlichen Affekten beherrschte Wille nicht mehr in der Lage, der Erkenntnis des Verstandes sicher zuzustimmen. Melanchthon beschreibt dabei auch den Glauben als den Affekt, der als effektive Wirkung der göttlichen Gnade der den schlechten Affekten entgegengesetzte gute Affekt im Menschen ist. Dieser Affekt reißt den menschlichen Willen mit. In dieser Psychologie konkurrieren einerseits die Lehre von der iustificatio extra nos und die aristotelisch-scholastische Tugendlehre, wie sie auch von Humanisten vertreten worden ist. Das tugendhafte Leben wird als gottgefälliges Leben verstanden, das ein notwendiger Bestandteil gerechten Lebens ist. Mit dieser Tugendlehre unvereinbar ist jedoch die Unfreiheit des Willens, die Melanchthon mit der göttlichen Prädestination begründet. In den Capita mindert Melanchthon die Bedeutung der allgemeinen Tugendlehre und verlegt den Schwerpunkt in diesem Punkt auf die theologischen Tugen-

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Zusammenfassung

den, auf die er weitgehend die Bedeutung des Gesetzes konzentriert, das er als lex spiritualis versteht. Damit dient das Gesetz nicht mehr der Eindämmung der schlechten Affekte durch die Vernunfterkenntnis, der der Wille folgt, sondern der Forderung von Affekten, die dem Affekt der menschlichen Selbstliebe entgegenlaufen. Eine Freiheit gegenüber diesem Gesetz kann es nicht geben. So versteht Melanchthon Tugend im Sinne des geistlichen Affektes, der jedoch nicht mehr deswegen als guter Affekt definiert wird, weil er durch den Sieg des Intellekts über den schändlichen Affekt entsteht. Theologische Tugend betrifft den ganzen Menschen in seinem Verhältnis zu Gott, so daß die Beurteilung tugendhaften Verhaltens nicht nach einem dem Menschen inhärierenden Kriterium vorgenommen werden kann, sondern allein entsprechend der Grundrelation des Menschen. Die Willenslehre Melanchthons steht in den Anfangsjahren demnach in einem Geflecht von Aussagen, die einerseits humanistischem, andererseits lutherischreformatorischem Einfluß entspringen und sich in manchen Punkten widersprechen, so daß diese Widersprüche in die Willenslehre hineingetragen werden. In den Capita zeichnen sich jedoch schon einige wichtige Entscheidungen ab, die für die Willenslehre bestimmend bleiben und in den Loci communes 1521 zum ersten Mal bei Melanchthon in einem System umfassend dargestellt werden. Bei diesen wichtigen Punkten handelt es sich um die Affektenlehre, die Erbsündenlehre und die Dialektik von Gesetz und Evangelium. Letztere erfährt ihre Modifikationen besonders in der Gesetzeslehre. Grundlage der anthropologischen Aussagen, die anhand der genannten Punkte getroffen werden, ist stets die Pneumatologie. Der Heilige Geist als Gabe der Gnade Gottes bewirkt die effektive Rechtfertigung im Menschen, erleuchtet den Verstand und ruft geistliche Affekte hervor. Ohne die Geistgabe versteht der Mensch die Offenbarung Gottes nicht. Der Heilige Geist wird daher dem Menschen mit dem Glauben gegeben und wirkt diesen Glauben selber. Glaube ist Liebe zu Gott, Vertrauen in Gottes Barmherzigkeit und Erkenntnis der Wohltaten Christi.

2.2 Die Affektenlehre Die Affektenlehre ist im Laufe der theologischen Entwicklung Melanchthons, wie sie anhand der Loci-Ausgaben beobachtet werden kann, in ihrer theologischen Bedeutung zurückgetreten, während sie in den philosophischen Schriften Melanchthons zur Ethik und zur Seelenlehre ihre Bedeutung nicht verloren hat. Die Affektenlehre wird von Melanchthon als Bestandteil der metaphysischen Psychologie betrachtet und in deren Rahmen erläutert. Da die metaphysische Psychologie als theologisch-anthropologische Argumentationsstruktur im Laufe der theologi-

Die Affektenlehre

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sehen Entwicklung Melanchthons in den Hintergrund tritt, verliert auch die Affektenlehre ihre Bedeutung innerhalb der theologischen Erörterung. In den Loci communes 1521 dominiert die Affektenlehre das Kapitel De hominis viribus adeoque de libero arbitrio. Die Affekte werden nach der Prädestination als zweiter Grund für die Unfreiheit des menschlichen Willens genannt. Hierzu ordnet Melanchthon den Willen und die Affekte unter Verzicht auf eine Unterscheidung von appetitus superior und inferior zwar gleichrangig ein, jedoch sind die Affekte des Menschen stärker als sein Wille, so daß sie den Willen mitreißen. Melanchthon untersucht die Affekte besonders im Zusammenhang mit der Erbsünde und spricht daher in den Loci communes 1521 allein von den schändlichen Affekten. Der Mensch kann demnach keine guten Werke hervorbringen, da ihn seine schlechten Affekte dominieren. Handelt der Mensch mit dem Willen gegen diese Affekte, liegt auch dann keine gute Tat vor, weil diese Tat gegen den Affekt des Herzens geschieht und somit eine Heuchelei darstellt. Der Begriff cor soll, so Melanchthon, den Affektbegriff in der theologischen Argumentation ablösen. „Herz" führt er als theologischen Ausdruck an, der den ganzen Menschen in seinem Streben bezeichnet. Das Herz ist demnach der Sitz der Affekte und des Willens. Seine vollständige theologische Füllung erhält der Begriff jedoch erst in der Erbsündenlehre. In den Loci 1522 bleibt die Affektenlehre ein wichtiger Bestandteil der Argumentation in nur geringer Modifikation gegenüber den Loci communes 1521, bevor in der Kolosser-Vorlesung 1527 in der Affektenlehre eine entscheidende Veränderung stattfindet. Im Zusammenhang mit der neuen Bedeutung der weltlichen Gerechtigkeit zur Erhaltung der von Gott gegebenen inneren Ordnung schildert Melanchthon die carnales ajfectus nicht mehr als sündiges Gegenteil der gerechten ajfectus spirituales. Die fleischlichen Affekte sind zum Handeln des Menschen in der Welt notwendig, da sie den Menschen zum Handeln bewegen. Von den Fragmenta locorum communium 1533 an verzichtet Melanchthon in seiner theologischen Argumentation weitgehend auf die Affektenlehre. Sie tritt jedoch vereinzelt an die Oberfläche im Zusammenhang mit der theologischen Tugendlehre und der Notwendigkeit der Zustimmung des menschlichen Willens in der Heiligung. Seit den Loci communes 1535 differenziert Melanchthon erneut zwischen höheren und niederen Strebekräften und rechnet den Willen zu den höheren Strebekräften, so daß seine Lehre die Dominanz der Affekte über das menschliche Handeln nicht mehr enthält. Affekte als Antrieb des Menschen zu seinen Handlungen sind jedoch weiterhin Bestandteil des psychologischen Schemas, das Melanchthon zur Erklärung menschlicher Handlungen besonders in seinen philosophischen Schriften weiterhin verwendet. An die Stelle der noch in den Loci communes 1521 strukturgebenden Affektenlehre tritt mit den Fragmenta

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Zusammenfassung

locorum communium 1533 eine ausgeprägte Lehre von der menschlichen Natur, die vor allem auf der Basis der Erbsündenlehre entwickelt wird. In der Ethik 1546 und in De anima verliert die Affektenlehre ihre Bedeutung nicht. In beiden Werken greift Melanchthon konsequent auf die aristotelische Seelenlehre zurück. Anhand der Affektenlehre wird die terminologische Unterscheidung deutlich, die Melanchthon zwischen theologischer und philosophischer Argumentation in den Loci-Ausgaben seit 1533 einhält. Diese Unterscheidung ist ein Indiz fur die perspektivische Differenzierung, die Melanchthon anhand der Kritik an den philosophischen Begriffen in der Theologie bereits in den Loci communes 1521 ankündigt, in diesen jedoch nicht durchhält. Die theologische Argumentation betrachtet den ganzen Menschen in seinen Relationen. Dabei überwiegt die Betrachtung in der Relation coram Deo. Von ihr her wird der Mensch als Sünder beschrieben und als solcher in seiner Relation coram mundo wahrgenommen. Die philosophische Argumentation blickt besonders auf den Menschen coram mundo, auch wenn sie um seine Geschöpflichkeit weiß. Aus dieser Perspektive steht die Frage nach der psychologischen Beschreibung menschlichen Handelns im Zentrum des Interesses. Beide Perspektiven kann Melanchthon getrennt behandeln, wobei der philosophischen Betrachtung in den Gegenständen, die vom Verstand erfaßt werden können, eine Grenze gesetzt ist. Aber auch innerhalb dieser Grenze sind bei Melanchthon Gott der Schöpfer und der Mensch als Sünder die unverzichtbare Voraussetzung des Philosophierens.

2.3 Die Erbsündenlehre Im vorangegangenen Abschnitt wurde festgestellt, daß die Erbsündenlehre in der Entwicklung der Willenslehre nach den Loci 1522 argumentativ an die Stelle der Affektenlehre tritt. Diese Entwicklung vollzieht sich in einem Übergang, der mit zwei wichtigen Begriffen verbunden ist, Herz und Natur. In den Loci communes 1521 ist im Kontext der Erbsündenlehre der Begriff cor von Melanchthon als Bezeichnung des ganzen Menschen in seiner Relation zu Gott verwendet worden. Aufgrund der Erbsünde ist der grundlegende Affekt des Menschen nicht mehr die Liebe zu Gott, sondern die Selbstliebe. Melanchthon betrachtet also in der Sünde nicht die einzelne Tat, sondern die Grundausrichtung des postlapsarischen Menschen. Für die Erklärung zieht Melanchthon die Affektenlehre heran und beschreibt die Selbstliebe als Affekt. Diesem schlechten Affekt steht der Affekt des Glaubens als Wirkung des Heiligen Geistes gegenüber. Indem das Herz in der Theologie der Ort ist, an dem der Mensch von Gott erkannt wird, bzw. das Herz mit seiner schlechten Grundausrichtung, der Selbstliebe, den Menschen mitreißt, ist der Mensch als Sünder sich in seinem Innersten entzogen. Eine Kontrollfunk-

Die Erbsündenlehre

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tion des Intellekts über die Selbstliebe schließt Melanchthon durch die von ihm gelehrte Herrschaft der Affekte über den Willen aus. Diese Erbsündenlehre richtet sich gegen die scholastische Lehre, die die Wirkung der Erbsünde im Verlust der iustitia originalis sieht, wodurch der Mensch den inneren Kampf der Seelenkräfte nicht mehr eindeutig zugunsten der ratio entscheiden kann, die die Erkenntnis des Guten weiterhin hat. Die scholastische Erbsündenlehre geht jedoch vom Fortbestand der Willensfreiheit nach dem Sündenfall aus, so daß trotz Erbsünde dem Menschen mit einer Willensentscheidung meritorisches Handeln möglich ist. Dagegen erweist Melanchthons relationales Verständnis des Menschen und der Erbsünde die Frage nach den Einzeltaten soteriologisch als irrelevant, da es nicht primär auf die Tat, sondern auf das menschliche Herz ankommt. Die Loci 1522 dehnen die Wirkung der Erbsünde über die affektiven Kräfte des Menschen hinaus auf die kognitiven Kräfte des Menschen aus. Auch der Intellekt wird durch die Erbsünde verdunkelt. So kann der Verstand dem Willen aufgrund der Erbsünde nicht mehr die richtigen Objekte vorstellen. Hiermit geht die Veränderung in Melanchthons Willenslehre einher, den Willen nicht mehr in einer dem Verstand übergeordneten Funktion zu sehen. Den Satz, daß die Vernunft dem Willen diene, äußert Melanchthon nicht mehr. An der Interaktion beider menschlicher Kräfte entsprechend dem Schema der metaphysischen Psychologie hält Melanchthon dabei fest. Mit der Aufwertung der kognitiven Kräfte in seiner Lehre verbindet Melanchthon deren Betroffenheit von der Erbsünde, so daß auch die Erkenntnis des Verstandes dem Menschen keinen Halt gegen die Erbsünde bieten kann. Erbsünde ist kein Problem zwischen den beiden menschlichen Kräften, sondern die Beschreibung des Verhältnisses des Menschen zu Gott. In der Kolosser-Vorlesung 1527 wird der Mensch zwar weiterhin in seiner Beziehung zu Gott als Sünder durch den Begriff „Erbsünde" beschrieben. Melanchthon betont aber neben dieser Relation auch das Verhältnis des Menschen zur Welt. Der glaubende Mensch erkennt im göttlichen Gesetz neben seiner Sünde auch die Forderung nach weltlicher Gerechtigkeit, die Melanchthon als Dienst an der göttlichen Ordnung versteht. Somit bindet sich der Mensch im Glauben freiwillig an das Gesetz Gottes zum Erhalt der göttlichen Ordnung, obwohl er als Sünder dieses Gesetz haßt. Es wird deutlich, wie sehr Melanchthon in seiner Anthropologie die Wirkung der Erbsünde auf den ganzen Menschen nicht nur in der Relation coram Deo, sondern auch in der Relation coram mundo zur Geltung bringt. Der Begriff Erbsünde ist dabei eng an die Dialektik von Gesetz und Evangelium gebunden und erfährt zugleich in der Betrachtung des Menschen als Geschöpf Gottes im Gegenüber zu seinem Schöpfer eine inhaltliche Füllung.

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Zusammenfassung

In den Fragmenta locorum communium 1533 wirkt die Auseinandersetzung mit der altgläubigen Theologie im Blick auf die Erbsündenlehre nach. Melanchthon versteht die Erbsünde als ein perpetuum Vitium, das nicht durch die Taufe getilgt wird. Sie besteht nach der Taufe fort und bedroht den Menschen mit der Dunkelheit des Verstandes in der Macht der Selbstliebe. Damit richtet sich Melanchthon u.a. gegen die Auffassung der Confutatio, daß die Erbsünde durch die Taufe formal getilgt werde und die concupiscentia als Strafe der Sünde im Menschen bleibe, erst aber nach einem neuen Konsens des Willens als Sünde zu verstehen sei. Dementsprechend bleibt die menschliche Natur nach der Taufe nicht mehr von der Erbsünde bedroht. Melanchthon greift in seiner Gegenargumentation den Begriff der menschlichen „Natur" auf, erklärt ihn jedoch streng relational und gebraucht ihn wie cor. Eine reine Natur ohne Erbsünde ist charakterisiert durch wahren Glauben und wahre Erkenntnis Gottes. Glaube und Erkenntnis können dabei als die theologischen Begriffe für die beiden Kräfte des Menschen verstanden werden; sie stehen so für den ganzen Menschen. Melanchthons Erklärung wird somit auch Ansprüchen der metaphysischen Psychologie gerecht. Die Frage nach der Gerechtigkeit wird aber nicht aufgrund des Verhältnisses der beiden menschlichen Kräfte zueinander bestimmt wie in der Tugendlehre, sondern aufgrund des Verhältnisses beider Kräfte zum Gesetz. Im Gesetz begegnet dem Menschen der Wille Gottes als Forderung an seinen Verstand und sein Herz, so daß das Gesetz der Prüfstein fur das Verhältnis des Menschen zu Gott und fur die menschliche Freiheit ist. Damit richtet Melanchthon den Blick auf die Grundausrichtung des Menschen, wenn er von Natur spricht, und nicht auf die Einzeltat als Ergebnis der Interaktion der menschlichen Kräfte wie z.B. die Confutatio. Für die Beurteilung der Werke des Menschen ergibt sich daraus eine doppelte Bewertung. Die Werke in der Welt können als gute Werke bewertet werden, da diese Bewertung nicht nach der Relation des Menschen zu Gott fragt. Coram mundo wird das Werk an sich nach dem Buchstaben des Gesetzes beurteilt. Aber coram Deo werden Person und Werk unterschieden. Das gesetzestreue Werk ist an sich weder verdienstlich noch sündig. Der postlapsarische Mensch ist jedoch durch die Erbsünde stets ein Sünder, so daß das Werk coram Deo nicht verdienstlich sein kann, weil das Werk nach der sündigen Person beurteilt wird. Der anthropologische Naturbegriff wird von Melanchthon streng theologisch von der Erbsünde ausgehend verstanden. Der Affektenlehre kommt nur noch eine Randbedeutung zu; sie ist sozusagen durch die Naturlehre abgelöst worden. Melanchthons Verständnis der Erbsünde als Schwäche der Natur bleibt in den folgenden Jahren unverändert. Dieses ist mit den anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen der Wittenberger und der altgläubigen Theologie um dieses Thema verbunden. Auch während des Wormser Religionsgespräches 1540/41 ist

Die Dialektik von Gesetz und Evangelium

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die Erbsünde ein Kontroverspunkt. Eine neue Bedeutung bekommt die Erkenntnis der Erbsünde in den Loci praecipui 1543. Als Erkenntnis des Glaubens ist die Erbsünde zwar theologisch erfaßt, die Frage nach dem Ort der Begegnung mit dem Glauben und der Erkenntnis der Sünde ist aber offengeblieben. In den Loci praecipui 1543 wird beides als Aufgabe der Kirche geschildert, der die Kirche durch die Predigt von Gesetz und Evangelium nachkommen soll.

2.4 Die Dialektik von Gesetz und Evangelium Gesetz und Evangelium hatte Melanchthon in seinen ersten beiden Jahren in Wittenberg vorrangig aus der humanistisch geprägten Perspektive als philosophia christiana betrachtet, durch die der Mensch zu einem tugendhaften Leben gelangen kann, wenn die Gnade Gottes den Sünder zur wahren Gotteserkenntnis fuhrt. Bereits in den Capita wird der Einfluß Luthers bei diesem theologischen Topos sichtbar, bevor in den Loci communes 1521 die drei loci Sünde, Gesetz und Gnade zu den Säulen Melanchthonischer Theologie werden. Dabei wird die Aufgabe des Gesetzes von Melanchthon weitgehend auf die anklagende Wirkung des Gesetzes beschränkt. Dieses steht im Zusammenhang mit dem anthropologisch ausgerichteten Aufbau der Loci communes 1521. Das Kapitel über die Sünde trägt das inhaltliche Gewicht der anthropologischen Aussagen, die auch für das Verständnis des ersten Kapitels De hominis viribus adeoque de libero arbitrio grundlegend sind. Seine Erkenntnis von der Unfreiheit des Willens gewinnt Melanchthon anhand der Auslegung von Gesetz und Evangelium. Er versteht das Gesetz nicht als bloße Werkforderung, sondern als Forderung von geistlichen Affekten, die der postlapsarische Mensch nicht aus eigener Kraft hervorbringen kann. Angesichts der unerfüllbaren Forderung erkennt der Mensch sein Scheitern und sich selbst als Sünder. Diese Erkenntnis wird durch die Verheißung der Gnade Gottes für den Menschen erträglich, da ihm seine Schuld vergeben wird und seiner Unfreiheit gegenüber der Gesetzeserfüllung die verheißene Freiheit Gottes gerade in der Prädestination - entgegengestellt wird. Melanchthon konzentriert seine Aussagen über die Rechtfertigung auf die Wirkung der Heilstat Christi pro nobis. Der Glaube an diese Tat, den der Heilige Geist in nobis wirkt, tröstet das Gewissen des Sünders. Das Gesetz Gottes wird demnach in seiner anklagenden Wirkung in der Dialektik von Gesetz und Evangelium wahrgenommen, die auf den Menschen in seiner Relation zu Gott als Sünder zielt. Die geforderten Werke blendet Melanchthon weitgehend aus, da sie für die Rechtfsertigung des Sünders insuffizient sind. Diese Sichtweise behält Melanchthon auch in den Loci 1522 bei.

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In der Kolosser-Vorlesung 1527 beginnt eine Veränderung des Gesetzesbegriffes. Das Gesetz Gottes erhält nun in Melanchthons Theologie zusätzlich eine Bedeutung für die politische Ordnung. Schon in den Loci communes 1521 unterscheidet Melanchthon das göttliche und das natürliche Gesetz, die beide von Gott gegeben sind, eine theologische Auswertung des natürlichen Gesetzes nimmt Melanchthon jedoch nicht vor. Nach den Bauernaufständen bewertet Melanchthon die politische Ordnung dagegen durchaus als theologisch relevant, da auch die öffentliche Ordnung eine von Gott gewollte Ordnung ist wie die Schöpfungsordnung. Dabei handelt es sich bei der Einhaltung des Gesetzes Gottes im Sinne der iustitia civilis um eine imitatio legis, da das Gesetz hinsichtlich des vollständigen Gehorsams geistliche Affekte fordert, die der Mensch nicht aus eigener Kraft hervorbringen kann. Melanchthon spricht jedoch nicht mehr wie noch in den Loci communes 1521 von Heuchelei, wenn die Affekte nicht mit der äußeren Tat übereinstimmen. Das Gesetz bietet dem Willen Anhaltspunkte sowohl zur Ausübung seiner Freiheit gegenüber den schlechten fleischlichen Affekten als auch zur Befolgung der guten fleischlichen Affekte. Diese enge Anbindung der Frage nach der Freiheit des menschlichen Willens an die Forderung des Gesetzes bei gleichzeitiger Unterscheidung vom Evangelium übernimmt in den Loci-Ausgaben von 1533 und 1535 eine wichtige kriteriologische Funktion für die Aussagen von Freiheit und Unfreiheit. In der Kolosser-Vorlesung 1527 trat neben das Verhältnis des Menschen zum Gesetz als Kriterium menschlicher Freiheit das Problem der Notwendigkeit menschlichen Handelns unter der Führung Gottes. Die Erörterung der necessitas consequentiae und der necessitas consequentis in der Kolosser-Vorlesung 1527 ist auf den Einfluß der Auseinandersetzung Luthers mit Erasmus um die Willensfreiheit zurückzuführen. Kontingentes Handeln des Menschen kann demnach nur innerhalb dieser Grenze betrachtet werden. Damit ist jedoch eine Einschränkung der Freiheit ausgesagt. In den Fragmenta locorum communium 1533 lehnt Melanchthon sowohl die Prädestinationslehre als auch Aussagen über die Notwendigkeit menschlichen Handelns als Kontext der Erörterung der Willenslehre ab. Einziges Kriterium für die Beurteilung der Willensfreiheit ist der menschliche Gehorsam gegenüber dem Gesetz. Die Konzentration auf dieses eine Kriterium führt zur Personalisierung der Willensfrage. Es sind nicht mehr die allgemeinen, schöpfungsbedingten Umstände für Freiheit oder Unfreiheit des Willens ursächlich, sondern maßgeblich ist das individuelle Verhalten gegenüber der Forderung des Gesetzes. Gerechtigkeit ist demnach eine Beurteilung menschlichen Handelns entsprechend den beiden Relationen des Menschen. Melanchthons theologische Argumentation basiert dabei sowohl auf der anklagenden Funktion des Gesetzes als auch auf den Verheißungen des Gesetzes. Der Unterschied der gesetzlichen zur evangelischen Verheißung besteht in der Bedingtheit gesetzlicher Verheißungen,

Die Dialektik von Gesetz und Evangelium

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d.h., sie sind für gesetzestreue Taten des Menschen verheißen und nicht gnadenhaft geschenkt. Um das Verhältnis der Verheißungen zu den Werken zu verstehen, ist erneut auf die Unterscheidung von Person und Werk zu verweisen. Eine Handlung des postlapsarischen Menschen kann entsprechend der geistlichen Forderung des Gesetzes nicht gerecht sein, da er nicht zu den geistlichen Bewegungen des Herzens aus eigenen Kräften fähig ist, die das Gesetz verlangt. Ein Werk kann aber im Sinne der iustitia civilis als gerecht betrachtet werden, wenn es als Tat gesetzeskonform ist. Die Bemühungen des Sünders, den Forderungen des Gesetzes zu entsprechen, sind Ausdruck der christlichen Bußhaltung und dienen der Einübung des Glaubens. Ohne den Glauben an die Gerechtigkeit in Christo und an die Gabe des Heiligen Geistes ist aber auch dieses Bemühen um iustitia civilis dem Menschen versagt. Die Bedeutung des Gesetzes wird in der Theologie Melanchthons in einer Zeit gesteigert, in der Agricola und Servet, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, die Bedeutung des Gesetzes für den Christen bestreiten. Durch die inhaltliche Auseinandersetzung mit der altgläubigen Theologie während und nach dem Augsburger Reichstag 1530 gelangt Melanchthon zu einem theologischen Verständnis, das ganz an der Dialektik von Gesetz und Evangelium ausgerichtet ist und die Unterscheidung von Person und Werk vollzieht. Daher ist das Verständnis von Melanchthons Heiligungslehre im Sinne einer scholastischen Werkgerechtigkeit seiner Theologie nicht angemessen. Tugend entsteht durch die Bewegung des Heiligen Geistes im Menschen, der die Grundausrichtung des Menschen von der Selbstliebe zur Gottesliebe verändert. Tugend ist somit nicht die Frage nach der Interaktion zwischen Verstand und Willen in der Eindämmung der schlechten Affekte. Die Gerechtigkeit des Menschen hängt von seiner Person ab und nicht von seinen Werken. Was sich in den Fragmenta locorum communium 1533 mit der theologischen Tugendlehre angedeutet hat, wird in den Aussagen zum tertium officium legis in den Loci communes 1535 manifest. Auch der Christ kann in seinem Bemühen um den Glauben auf die Anleitung des Gesetzes in der Forderung nach Heiligung des Lebens zurückgreifen. Dieses Gesetzesverständnis setzt den Glauben an die Vergebung der Sünden voraus, die im Evangelium offenbart wird. Die Offenbarung der Gnade versteht der Glaubende zugleich als Hinweis auf die Buße. Den Willen Gottes zu einem Leben im Glauben erkennt der Mensch aus dem Gesetz. Die Bindung dieser Erkenntnis an den Glauben und an das Evangelium betont Melanchthon in einer pointierter als 1533 dargestellten Lehre vom Evangelium. Unter Evangelium versteht Melanchthon nun expressis verbis die Verheißung der Sündenvergebung, der Gerechterklärung und der Erneuerung des Sünders. Damit sind sowohl die imputatio der iustitia aliena als auch die sanctificatio bezeichnet, da Erneuerung des Sünders die Gabe des Heiligen Geistes meint. Somit treten in

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Zusammenfassung

der Theologie Melanchthons Rechtfertigung und Heiligung durch den Heiligen Geist in ein unauflöslich enges Verhältnis. Das Verständnis vom Heiligen Geist als Gabe der Gnade qualifiziert den Begriff Gnade als Beschreibung des Urhebers der Gnade. Gnade wird in der Gnadenlehre Melanchthons nicht zur Qualität im Gnadenempfänger, weil evangelische Gerechtigkeit in jedem Augenblick des Lebens eines Sünders als Vergebung der Sünden verstanden werden muß. Die dem Sünder vergebene Sünde ist nicht formal ausgelöschte Sünde im Sinne der Heilung eines Schadens, sondern bleibt gegenüber Gott als Sünde das, was sie ist. Durch die Vergebung verliert sie aber ihren schuldhaften Charakter. Die enge Verknüpfung von Glaube und Gnade personalisiert die Rechtfertigung des Sünders und damit auch die Bußforderung. Befreit vom Rechtfertigungszwang ist der Wille des Menschen in der Lage, sich der Bußforderung zu stellen. Gesetzesgehorsam erscheint nicht mehr als Zwang zu einer unerfüllbaren Forderung, sondern als Einübung der neuen Freiheit. Daß auch die Werke der Heiligung Sünden sind, schreckt den Glaubenden nicht, dessen Schuld vergeben ist. Die neue Bedeutung der Verheißungen des Gesetzes verdankt Melanchthon dem Studium der aristotelischen Ethik. Melanchthon erkennt, daß Gott auch in den Gesetzesverheißungen eine iustitia distributiva offenbart, so daß nicht mehr nur Strafe für Sünden oder aber gnadenhafte Vergebung bei Gott geglaubt werden darf. Gott hat dem Menschen gerechte Vergeltung auch der guten Werke verheißen, die der Mensch entsprechend seinen Möglichkeiten als Sünder vollbringt. Diese Lehre vom dreifachen Gebrauch des Gesetzes strukturiert Melanchthon in den Loci praecipui 1543 klarer, ohne in der Sache Neuerungen einzuführen. Entsprechend dem dreifachen Gebrauch wird die Freiheit des Willens in drei Differenzierungen angegeben. Nach dem usus theologicus legis hat der Mensch keine Willensfreiheit, hinsichtlich des usus politicus legis ist der Wille per se weitgehend frei, während er im Blick auf den usus legis in renalis zur Entscheidung durch den Heiligen Geist befreit wird. Diese Entscheidungsmöglichkeit des Willens wird von Melanchthon zwar zu einem minimalen, kraftlosen Zustimmen zur Bewegung durch den Heiligen Geist verringert. Sie aber ist unverzichtbar, da der Mensch ohne die Zustimmung sein Heil verliert. Das Gesetz in seiner kriteriologischen Funktion wird in der Kirche gepredigt, die - wie auch der Mensch - durch den Heiligen Geist erhalten wird. Die Predigt der Kirche lebt von der Offenbarung des Evangeliums, durch das die vom Gesetz erschrockenen Gewissen getröstet werden. So liegt der Grund der Heiligung in der Predigt von Gesetz und Evangelium und nicht im Menschen. Melanchthon beschreibt die Kirche als den Ort, an dem der Mensch offenbar wird als der, der er ist: ein Sünder. Kirche ist aber zugleich der Ort, an dem der Mensch sein darf, was er aufgrund der Gnade Gottes ist: ein erlöster und ein befreiter Mensch.

3. Ausblick

Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, daß Melanchthon im Sinne H. Bornkamms nicht in die Reihe derer eingereiht werden darf, „von denen die großen geistigen Offenbarungen in der Geschichte der Menschheit ausgegangen sind"2. Melanchthons Denken ist vielmehr „ein Knotenpunkt großer geistiger Straßen: sie werden verbunden oder getrennt, abgebogen oder weitergeführt"3. Er verarbeitet dabei unterschiedliche Strömungen, die er bereits vorfindet, zu einer Theologie mit einem eigenständigen Profil. Von daher ist zunächst gegen K. Holl festzustellen, daß Melanchthon in seiner Theologie nicht Luthers reformatorische Erkenntnis verdunkelt hat, indem er sie durch scholastische und humanistische Lehren überlagert hat. Vielmehr hat Melanchthon theologische Erkenntnisse Luthers aufgenommen und anhand von Fragestellungen weiterentwickelt, auf die er in der Auseinandersetzung mit dem Humanismus und der altgläubigen Theologie gestoßen ist. Indem er sich in verschiedenen Kontroversen inhaltlich mit Strömungen seiner Zeit in Humanismus und Theologie auseinandersetzt, erhält seine Theologie ihren spezifischen Charakter. S. Wiedenhofer ist zuzustimmen, daß man Melanchthons Theologie nicht mit einem der beiden philosophischen Autoritätenmodelle, Aristotelismus oder Platonismus, gerecht wird. Es läßt sich weder ein eindeutig dominierender aristotelischnoch platonisch-philosophischer Einfluß feststellen. Vielmehr hat Melanchthon durch seine umfassende humanistische Ausbildung unterschiedliche philosophische Lehren rezipiert. Dies hat G. Frank in seiner Dissertation zur theologischen Philosophie nachgewiesen.4 Bei der Beantwortung der Frage nach den verschiedenen Einflüssen aus der Philosophie auf die Theologie Melanchthons trat bisher jedoch der Aspekt zu sehr zurück, daß Melanchthons Schriften primär von der reformatorischen Theologie her zu verstehen sind. Es hat sich in dieser Untersuchung zur Willenslehre gezeigt, daß Melanchthon die theologische Erkenntnis Luthers vom servum arbitrium aufgenommen, aber in einer eigenständigen Weise weiterentwickelt hat. Melanchthon versuchte, die schwierige Aussage vom servum arbitrium plausibel darzustellen. Daher nahm er schließlich zur Erklärung der Funktion des menschlichen Willens in Rechtfertigung und Heiligung die aus der scholastischen Theologie bekannte Differenzierung von causa materialis und causa efficiens auf. Der Wille ist in Rechtfertigung und Heiligung causa materialis, während die causa efficiens in der Rechtfertigung 2 3 4

H. Bornkamm, Menschenbild, S. 76; vgl. auch oben S . l l . AaO. Vgl. oben S. 19.

Zusammenfassung

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Gott selbst bzw. das Wort Gottes und in der Heiligung der mit dem Gotteswort dem Menschen gegebene Heilige Geist ist. Melanchthon legt seinen Aussagen jedoch nicht wie z.B. Gabriel Biel und die nominalistische Theologie primär das Schema der aristotelischen Psychologie zugrunde, zu dem die menschliche Willensfreiheit gehört. Melanchthons Erkenntnis von der Gebundenheit des menschlichen Willens basiert auf der theologischen Einsicht von der Dominanz der Erbsünde. Damit übernimmt die theologische Grunderkenntnis die kriteriologische Funktion für die Rezeption der philosophischen Kategorien. Die Frage nach der Willensfreiheit des Menschen ist für Melanchthon eine zutiefst theologische, die er von Luthers Theologie her eigenständig entwickelt, damit der Leser seiner häufig an Studenten gerichteten Schriften reformatorisch-theologische Aussagen verstehend nachvollziehen kann. Wie sehr die Theologie das Denken Melanchthons im Laufe der Jahre zunehmend bestimmt, hat sich auch in der Untersuchung zu den beiden „philosophischen" Schriften gezeigt. Die Tugendlehre des Ethik-Kommentars 1546 und die Anthropologie des Liber de anima sind wie die Aussagen zum menschlichen Willen an der theologischen Erkenntnis orientiert, daß der Mensch in seinen beiden Relationen coram Deo und coram hominibus beschrieben werden muß. Diese reformatorische Erkenntnis hat Melanchthon in Übereinstimmung mit Luthers Theologie von Beginn seiner theologischen Arbeit an vertreten. Er hat dabei in dem Bemühen um Plausibilität der Heiligung bzw. der theologischen Ethik seit den 1530er Jahren breiten Raum gegeben, auch wenn die Betonung der Notwendigkeit menschlichen Handelns in Melanchthons Theologie viele seiner reformatorischen Mitstreiter irritiert hat. Daher haben Friedrich Galle, Heinrich Heppe u.a. recht, wenn sie die Nähe von Melanchthons Theologie zur Theologie Luthers betonen. Aber auch Albrecht Ritsehl, Otto Ritsehl, Karl Holl und Reinhold Seeberg weisen zutreffend auf Differenzen hin.5 Alle diese Theologen beschreiben jedoch die Theologie Melanchthons aus der Perspektive Luthers und sehen daher entweder deren Eigenständigkeit oder aber deren Übereinstimmung mit Luthers Theologie nicht hinreichend. Melanchthons Theologie sollte weder als Kopie noch als Abschwächung oder Verdunkelung von Luthers Theologie wahrgenommen werden. Luther und Melanchthon haben die Unterschiede ihrer theologischen Aussagen zueinander gesehen, haben diese aber als gegenseitige Bereicherung empfunden. Daher läßt schon das Selbstverständnis der beiden Wittenberger Theologen weder die Interpretation der Theologie Melanchthons als Kopie noch als Verdunkelung zu. In der Analyse der Melanchthonischen Anthropologie anhand des Begriffs der Willensfreiheit ließ sich nachweisen, daß Melanchthon von theologischen Erkenntnissen ausgeht, wenn er Aussagen aus der philosophischen Tradition rezi5

Vgl. oben S. 12.

Ausblick

251

piert. Als Kriterium für deren Rezipierbarkeit gibt Melanchthon selbst die Hl. Schrift an; an ihr soll sich die Theologie stets ausrichten. Daher zieht Melanchthon gegen die humanistische Lehre von der Willensfreiheit den Schluß, daß der Mensch vor Gott keinen freien Willen habe. Aber in seinem Bemühen um Plausibilität bleibt Melanchthon nicht bei Luthers Aussage vom servum arbitrium aus dem Streit mit Erasmus stehen, sondern spricht schließlich in Aufnahme metaphysisch-psychologischer Kategorien von der voluntas als causa materialis in Rechtfertigung und Heiligung, wobei er von dem befreiten Willen redet, der vom Heiligen Geist als causa efficiens bewegt wird. Dabei verwendet Melanchthon das aristotelische causa-Schema mehr pädagogisch als systemtheoretisch.

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V. Register

1. Personen- und Ortsregister Agricola, Johann 110, 129, 131, 132, 138, 139, 142, 149,157, 236,247 Rudolf 91 Altenstaig, Johannes 55-57 Ambrosius v. Mailand 165 Amsdorf, Nikolaus v. 141,171 Anselm v. Canterbury 155 Aquila, Caspar 113 Arffman, Kaarlo 167 Aristoteles 13, 14, 32, 54, 77, 78, 108, 140, 150, 151, 155, 192, 193, 195-201, 203, 204,206,209,214,217,221-223,225-230 Augsburg, Stadt 28,125 RT (1530) 25,108,145,163,169,176,247 Augustijn, Cornells 89, 93, 94 Augustinus, Aurelius 16, 52, 95, 160, 165 Averroes, Ibn Roschd 227 Bainton, Roland H. 133 Barth, Karl 133, 189 Basel, Stadt 214, 215 Basilius d. Gr. 165 Bayer, Oswald 73 Bayern, Hgtm., Ludwig X., Hg 170 Wilhelm I V , Hg. 170 Bernard v. Clairvaux 165 Beyer, Michael 43, 76, 77 Biel, Gabriel 43^16, 48-51, 54-57, 59, 60, 65, 66, 69, 111, 112, 117, 124, 149, 155, 250 Bonaventura 155 Bonn, Stadt 169, 171 Bornkamm, Heinrich 11,32,37,38,155,249 Brandenburg, K f t m , Joachim I I , Kf. 161 Brenz, Johannes 110, 132 Bring, Ragnar 136 Bucer, Martin 185 Buchholz, Armin 89, 93, 94 Buck, August 33 Bugenhagen, Johannes 108

Camerarius, Joachim 113 Cicero 11,82,91,217 Cochläus, Johann 159, 161, 162 Colet, John 88 Cordatus, Konrad 129, 141, 184 Delius, H.-U. 43 Deutschland 13, 21, 34,161, 165 Dietrich, Veit 162, 185 Dilthey, Walter 11 Dingel, Irene 161 Duns Scotus, Johannes 155 Ebeling, Gerhard 72, 88, 89, 93,142,175 Eck, Dr. Johann 39, 117, 159, 160, 162, 176, 177, 183,186, 188 Dr. Leonhard 140, 155 Eiert, Walter 29 Elliger, Walter 11,37 Engelland, Hans 12, 159 England, Kgr, Heinrich VIII, Kg. 140 Epiphanius, Bf. v. Salamis 165 Erasmus v. Rotterdam, Desiderius 11, 19-22, 28, 32-34, 37, 40, 43, 70, 72-74, 79, 87-89, 91-96, 100, 101, 105, 113, 114, 134, 215, 235,246, 251 Fraenkel, Peter 95,166 Frank, Günter 18,19,127,144,195,223, 225, 227, 249 Frankfurt, Verhandlungen (1539) 170 Galen 214,215, 217, 219 Galle, Friedrich 12, 250 Gerhard, Johann 13 Gerhards, Helmut 13, 15-17, 20, 29, 36, 72, 83,104,127 Gerson, Johannes 43 Gewehr, Wolf 61 Geyer, Hans-Georg 17, 47 Ghiselli, Anja 48, 73 Grane, Leif 45, 46, 48-50, 52, 55, 56, 89, 95, 109, 112, 117,119, 141,149,164-167, 176

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Register

Granvelle, Nikolaus Perrenot de 160 Green, Lowell 157, 184, 187 Günther, Harmut O. 70, 76, 77, 79, 225 Hagenau, Religionsgespräch (1540) 25, 159, 161, 170 Heidelberg, Stadt 27, 60, 149 Hendrix, Scott H. 165 Hennings, Ralph 166, 167 Heppe, Heinrich 12, 250 Herrlinger, Albert 12 Heß, Johann(es) 29, 39, 40 Hessen, Lgft. 161 Philipp, Lgf. 171 Hirschberger, Johannes 214, 222,226 Hofman, Udo 44 Holl, Karl 12, 249,250 Hollerbach, Marion 161 Hübner, Friedrich 12, 29 Huschke, Rolf B. 195 Jacob, Günter 214 Janssen, Wibke 133 Joachimsen, Paul 36 Joest, Wilfried 43, 48, 72, 73, 75, 156, 163, 213,237 Jonas, Justus 24 Jung, Martin H. 140 Junghans, Helmar 44 Karlstadt, Andreas Bodenstein v. 40 Klaus, Bernhard 125 Koch, Hans-Theodor 214, 215 Kohls, Ernst-Wilhelm 73 Köln, Ebtm. 169 Kopperi, Kari 48, 73 Krüger, Friedhelm 62, 88 Kuhaupt, Georg 160, 161 Leiner, Martin 94 Leipzig, Stadt 12, 13, 24, 28, 43, 76, 77, 90, 161,215, 225 Disputation (1529) 29, 39, 90 Religionsgespräch (1534) 161 Religionsgespräch (1539) 161 Lemp, Jakob 44 Lexutt, Atthina 110,112,133,161,178,189 Lohse, Bernhard 43, 83, 89, 93, 94, 131 Lombardus, Petrus 39, 155 Luther, Martin 11, 12, 14,15, 18, 20-22, 25, 28, 33-36, 38-40, 43, 44, 48, 62, 68-75, 77, 79, 83, 84, 87, 89, 90, 92, 93, 95, 96, 100, 101, 105, 107, 113, 114, 123, 129,

131, 142, 148, 155, 166, 175, 185, 191, 213,235,237,249, 250 Lyon, Stadt 214 Maienburg, Michael 215 Mannermaa, Tuomo 48 Matz, Wolfgang 20,110, 133 Maurer, Wilhelm 17-19,21,27,29,35,37,39, 41, 42, 44, 68, 77, 84, 91, 95, 96, 122 Maxcey, CarlE. 111,121 Meinhold, Peter 27, 39, 168 Metz, Johannes Babtist 70 Milichius, Jacob 214 Moeller, Bernd 22, 34 Mühlen, Karl-Heinz zur 43-45, 49, 54-56, 61, 71,88, 95, 117, 119, 172, 176 Müntzer, Thomas 79, 86 Naumburg, Btm. 171 Nemeth, Josef 53 Neuser, Wilhelm H. 14, 15, 18, 81, 83, 84, 86, 109,129, 148,162 Nürnberg, Anstand 169,170 RT (1524) 169 Oberman, Heiko Augustinus 51, 55, 56,124 Oekolampad, Johannes 39 Ortmann, Volkmar 161 Oxford, Stadt 88 Paris, Stadt 214 Pesch, Otto Hermann 60, 61, 68, 70, 89, 93, 116, 118, 125 Petersen, Peter 13 Peura, Simon 73 Peutinger, Kapsar 22 Pfalz, Kftm., Ludwig V., Kf. 79 Pfister, Hermann 126 Pforzheim, Stadt 27, 28 Pirckheimer, Willibald 22 Piaton 17, 78, 155,217 Plutarchus 82 Pohlenz, Max 136 Pöhlmann, Hans Georg 36,41, 46, 57, 69 Regensburg, RAb (1541) 25,170 RT (1541) 25, 159-162, 170, 171, 176, 186 Reuchlin, Johannes 17, 21, 22, 28,91,165 Rhein, Stefan 76 Rischar, Klaus 125 Ritsehl, Albrecht 12, 250 Ritsehl, Otto 12, 250 Rogge, Joachim 142 Sachsen, Hgtm. 161

Personen- und Ortsregister Sachsen, Kftm. 160,161,170 Schäfer, Rolf 72, 90 Scheible, Heinz 27, 33, 77, 78, 80, 92, 108, 171,214 Schindler, Alfred 95,141,164,166,167,176 Schmalkalden, Bund 108, 171 Krieg 171,215 Schullian, Dorothy Μ. 215 Schwarz, Johann C. E. 108 Schwarzenau, Paul 14-18, 86, 98,104 Seeberg, Reinhold 12, 250 Servet, Michael 96, 110, 132, 133, 138, 140, 247 Simler, Georg 27 Spalatin, Georg 24, 40,47 Spangel, Pallas 27 Sperl, Adolf 34, 36, 166 Staats, Reinhard 141 Stachowiak, Herbert 28 Stathmion, Christoph 215 Steinbach, Wendelin 44 Stigel, Johannes 215 Straßburg, Stadt 87, 214 Stübner, Markus 84 Stupperich, Robert 27, 28, 33 40,43, 88, 95, 114 Thomas v. Aquin 48, 56, 60-62, 64-70, 79, 86,111,112,117,125,128,149,155,189

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Trier, Ebtm. 79,101 Troeltsch, Ernst 13 Troje, Hans E. 92 Tübingen, Stadt 12, 27, 28, 44, 45, 72, 88, 140 Universität 27, 28 Vesal, Andreas 215 Vinke, Rainer 48, 73 Virvesia, Alfons 159 Vorster, Hans 70 Walter, Peter 11,37,40, 90 Wartenberg, Günther 43, 76, 77 Welzig, Werner 33 Werbeck, Wilfrid 44 Wied, Hermann v. 169 Wiedenhofer, Siegfried 18, 19, 40, 42-44, 74, 77, 88, 89, 92,166, 249 Wittenberg, Stadt 11, 18, 28, 33, 34, 36, 37, 39,76, 77, 79, 86, 132,214, 215, 232,245 Schwärmer 18, 79, 84,132 Universität 36, 77 Unruhen (1521/22) 14, 18, 76, 79, 85, 86 Wolff, Christian 11, 133 Worms, Stadt 160, 176, 177, 183 Religionsgespräch (1540/41) 25, 159, 161, 162,186, 244 Wriedt, Markus 95, 141 Wright, David 164

2. Sachregister abrogatio legis 85, 86, 139, 236 actio 197, 198, 208,211,213,232 civilis 102,212 Dei 61,181 generalis 15, 98, 101 specialis 15, 98 hominis 83, 101, 111, 115, 135, 155, 158, 175,191,192,199-201,235,241,242,250 sensuum 198 actus 46-48, 50, 52, 53, 56, 58, 62, 73, 149, 173,202, 204, 208, 211, 224, 244 elicitus 49, 50, 55, 84, 115 meritorius 55, 67,129, 243 moraliter bonus 30, 32, 54, 55, 57, 83,119, 121, 127, 134, 206, 233 voluntatis 51, 154 affectus 13, 16-18, 30-38, 43-54, 71, 7 4 76, 81-84, 86, 93, 98-102, 104, 106, 112, 117, 121, 122, 135, 136, 138, 151, 152, 158, 172-174, 180, 182, 184, 197, 198, 203, 205, 206, 210, 218, 220, 221, 224, 226, 230, 232, 235, 237, 239-243, 247 bonus 32, 136, 239, 240 carnalis/carnis 32, 48-50, 54, 75, 82, 83, 98, 99, 102, 104, 106, 235, 239, 241, 246 cordis 51, 241 fidei 62, 232 pravus 31, 35, 37, 51, 75, 102, 102, 121, 135, 173, 182, 198, 203, 205-207, 212, 221, 224,230, 235, 237, 239-241, 247 spiritualis/spiritus 48, 50, 52, 75, 76, 82, 83, 86, 98, 99, 101, 102, 104, 106, 158, 231,235,240, 245,246 Affekt, s. affectus afflictio 97, 107, 153 Akt (des Menschen), s. actus Aktualsünde, s. peccatum actuale Altes Testament 60, 62, 84, 85, 92, 110, 114, 131-133, 138, 139, 142, 146,178, 203 Altgläubige 161, 164, 171 amor 58 Dei 37, 38, 53-55, 59, 61, 69, 74,127,146, 204, 240, 242, 247 sui 37, 38, 47, 51-53, 58, 146, 206, 240, 242-244, 247

Anfechtung, s. afflictio anima 13, 31, 45, 51-56, 64, 70, 99, 111, 117-119, 145, 174, 180, 182, 203,208,211, 216-231 hominis/humana 111, 145, 203, 208, 211, 216,218, 223 obscura 99, 180,181,230 superstes 228, 229 animus 31, 36,41,53, 57 Anthropologie 35, 45, 47, 48, 71, 75, 77, 96, 116, 138,191,214, 227, 250 Melanchthonische 17, 33, 41, 84, 236, 243, 250 philosophische 57, 211 theologische 20,47,48, 87, 106, 231, 238 Antinomisten 147 ApolCA 24, 25,108, 117, 123, 163, 176 appetitio/appetitus 44-46, 49, 115, 145, 177, 206,216,219, 220,241 arbitrium, s. liberum/servum arbitrium assensus 32, 38, 185, 232, 236, 237, 239 attritio 56, 58, 63, 128 Auferstehung 228,229 Autonomie (des Willens) 220,225 baptismum 77, 112, 125, 152, 153, 160, 164, 176, 177,183,244 Bauernaufstand (1524/25) 79, 86,101, 234 beatitudo 199,200 Begierde, s. cupiditas benedictio hominis 60 beneficium 128, 147, 153, 224, 240 Christi 15, 38, 41, 67, 69, 70, 92, 108, 110, 149, 150, 183 Dei 215 benevolentia Dei 96 bona opera, s. opus bonae mores, s. mos bonitas 55, 119 Buße, s. poenitentia Bußhaltung 187 CA 24, 25, 40, 92, 108, 109, 123, 160, 163, 171 carentia iustitiae originalis 51, 124 Caritas 31, 33, 38, 56, 66, 74

Sachregister caro 37,41,51, 53, 54, 57, 58,69,74,75,96, 102,104,118-120,123,124,128,189,235 causa 49, 111, 129, 135, 138,152, 153, 181, 201, 203, 205 absoluta 132 efficiens 56, 181, 184, 185, 187, 236, 249-251 materialis 157, 187, 212, 236, 249-251 peccati 124, 176 prima 185, 195 principalis 114 quarta 212, 201,212 sanctificationis 156, 237 secunda 185, 225, 236 tertia 158, 201,212, 237 CAvar 24, 25 certitudo 121,134 claritas scripturae 93 cognitio 41,219 Christi 134 peccati 114, 115 concupiscentia 51, 99, 124, 125, 145, 176178, 183,244 Confutatio der CA 112,117, 125, 152, 244 congregatio 163 conscientia 31,41, 55, 57,58,61,62, 67, 89, 92, 97, 101, 106, 109, 121, 122, 128, 134, 135, 149-151, 180, 204, 205, 208, 210, 245,248 consolatio 128, 146, 149, 153, 187 contritio 56, 63, 128, 179 cor 17, 34, 47,49-51, 53, 59-62, 64, 66, 67, 76, 81, 84, 86, 91, 94, 99, 104, 112, 117, 118, 121, 125, 120, 122, 130, 132, 134, 137, 138, 145, 152, 172, 174, 187, 198, 199, 224,241,244 coram Deo 25, 48, 63-65, 72, 73, 75, 9 7 102, 106, 107, 116, 134, 135, 137-139, 151, 182, 185, 192, 200, 202, 205, 206, 210, 217, 218, 221, 226, 230, 231, 233235, 238, 241-244, 250 coram hominibus 106, 250 coram mundo 25, 105, 138, 139, 192, 199, 201, 224, 234—236, 238, 242-244 corruptio (naturae hominis) 115, 124, 144 creatio 70, 82, 98, 102, 106, 110, 137, 142, 159,181,191,195,208,225,226,229,230 crux Christi 35, 60, 90, 96, 97, 175 culpa 38, 125, 176, 248

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cupiditas 31, 52,150,152, 153, 172, 216,220 Decalogus 90,143 demeritum 56 desperatio 158, 184 Determinismus 16, 83 Diabolus 33 41, 69, 99, 102, 106, 112, 125, 129, 153, 207 Dialektik 17,28, 88 Gesetz - Evangelium 20,143,240,243,245, 247 dictamen rectae rationis 55, 83,125, 128,134, 135,146, 151, 180, 204 dignitas 55 dilectioDei 111,131,204, 224 dispositio ad gratiam 65, 119 doctrina, Christiana 37,42, 140 Evangelii 143 donum, habituale 64, 65 supranaturale 50 duplex conversio 73 duplex regimen 14 Ebenbildlichkeit, s. imago Dei ecclesia 109, 160, 161, 163-168, 171, 175, 176, 178, 179, 181, 182, 185-190, 221, 229, 245,248 catholica 109, 169, 188 falsa 163 hypocritica 168 invisibilis 163 subiecta cruci 175 uni versa 156 vera 163,168, 187 visibilis 162-164,185 Eigenliebe, s. amor sui Eingießung der Gnade, s. infusio gratiae έ ν δ ε λ έ χ ε ι α 217, 218, 225, 226 energia 51 Entelechie 45,218, 226 Erbsünde, s. peccatum originis Erkenntnis, s. notitia Erlösung 53, 54, 74 Erneuerung des Sünders, s. reconciliatio Ethik 14, 26, 32, 35, 37, 54, 72, 77, 78, 108, 120, 121, 127, 138, 140, 141, 150, 151, 155, 172, 185, 192-197, 199-206,210-213,216, 218, 224,238, 240, 242,248, 250 aristotelische 77, 108, 140, 150, 201, 248 Melanchthonische 72, 210 philosophische 195,199, 211

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Register

theologische 78,127,140,195,199 evangelium, passim Ewiges Leben, s. vita aeterna extra nos 31, 35, 37,130,137,147,151,158, 180, 237, 239 favor Dei 90 Feindschaft, s. inimicitia fides, passim caritate formata 64, 66, 71 informis 64 fiducia74, 111, 113,118,119,127,128,134, 136,150,153,154, 180 Dei/erga Deum 48, 54, 98, 125, 126, 187, 224 Fleisch, s. caro Forderung des Gesetzes, s. Gesetzesforderung forma 41, 51, 64, 219, 223, 224, 227 Freier Wille, s. libertas voluntatis u. liberum arbitrium Freiheit, s.a. libertas äußere 49, 83, 87, 101, 102, 104, 105, 120, 207, 234 evangelische 84, 106, 129, 138 Frömmigkeit, s. pietas Gebrauch des Gesetzes, s. usus legis Gehorsam, s. obedientia Geist, menschlicher, s. mens Gerechtigkeit, s. iustitia Gericht Gottes 52, 63 Gesetz, s. lex Gesetzeserfullung, s. impletio legis Gesetzeserkenntnis, s. notitia legis Gesetzesforderung 85, 147, 150, 154, 182, 183, 189, 212, 236, 246 Gesetzesgehorsam, s. oboedientia legis Gesetzespredigt, s. praedicatio legis Gewissen, s. conscientia Gewißheit, s. certitudo Glaube, s. fides Glaubensaffekt, s. affectus fidei Glaubenserkenntnis, s. notitia fidei Glückseligkeit, s. beatitudo Gnade, s. gratia gnadenhaft, s. gratis Gottebenbildlichkeit, s. imago Dei Gotteserkenntnis, s. notitia Dei Gottesgerechtigkeit, s. iustitia Dei Gottesliebe, s. amor Dei

gratia 21,23,29-31,35-38,41,42, 48,55,56, 58,59,61-71,75,82,84,90,92,95-97,103, 112, 115, 119,129, 133, 149, 155, 171, 179, 181,183, 189, 239, 240, 245, 247, 248 cooperans 56, 66 gratum faciens 56 habitualis 37, 149, 152, 183,189 infusa 55 operans 56, 66 gratis (propter Christum) 130, 131, 147-149, 247 gubernatio (Dei) 104, 105,142,195, 216 habitus 13, 32, 56, 149,154, 178 intellectualis 13 Handeln (Handlung), s.a. actio/actus äußeres 84, 221 ethisches 189 kirchliches 164, 175 kontingentes 13, 246 sinnliches, s. actio sensuum sündhaftes 126 vegetatives 198 Haß auf Gott, s. inimicita Dei Heiliger Geist, s. spiritus sanctus Heiligung, s. sanctificatio Heilswille Gottes 68, 115, 158, 190 Herz, s. cor historica series 109 Heilige Schrift, s. scriptura sacra Hoffnung, s. spes Humanismus 14, 17-19, 22, 24, 27, 28, 32-34, 36-38, 43, 77, 78, 84, 87, 89, 90, 96, 135, 151,158,165, 191,225, 232, 233, 235, 249 Humanist(en) 14,17,21,22,27,34,77, 89,91, 93, 239 ignoratio Dei 82 imago Dei 17, 70, 117, 144-146, 174, 178, 207,211,218, 221,230 imbecillitas (hominum) 201, 207 imitatio legis 102, 106, 246 immortalitas (animae humanae) 217,221, 228, 229 impetus 30, 51, 57, 103, 122, 173, 174 impletio legis 54,111,121, 122,130,147,158, 160, 245 imputatio (iustificationis, iustitiae alienae) 124, 137, 145, 147, 149, 150, 177, 201, 209, 237, 247 infusio gratiae 66

Sachregister inimicitia Dei 52,145,173,179 in nobis 103, 107, 137, 156, 180, 181, 183, 188,245 iniustitia 173, 174, 216 inoboedientia 177 instauratio hominis 60 intellectus 13, 15-18, 32, 35, 37, 38, 45, 49, 64,71,72,81-84,100,115,117, 119,135, 154, 172, 174, 201-203, 205-208, 210, 211, 218, 220-225, 230-232, 239, 240, 242-244, 247 invocatio 131 iraDei 52, 96, 131, 178 iudicium 46, 113, 115, 220 carnis 113 rationis (humanae) 42,45,113, 143, 147 rectae rationis 147 ius, divinum 207 naturale 207 iustificatio 15, 21, 23, 30-32, 34, 35, 38,42, 56, 58, 61, 63-68, 70, 71, 74-76, 91, 98, 102, 104, 106, 107, 109, 112, 121, 127139, 142, 143, 146-152, 156-158, 160, 170-172, 175, 178-181, 185, 186, 189, 190, 201, 210, 212, 213, 231-233, 235237, 239, 245,248-251 effectiva 190, 233, 235, 237, 240 per fidem 232, 236 iustitia 28, 31, 38, 57, 60, 63-65, 76, 86, 90, 95, 99, 101-104, 106, 111, 116, 118, 119, 121, 131, 134, 137, 140, 148, 149, 155157, 180, 182, 183, 199-201, 205, 209211, 225, 237, 241, 243, 244, 246-248 aliena 64, 103, 147, 150, 157, 181, 183, 190, 247 carnis 86, 182 Christiana 76, 90, 95, 100, 101, 103

civilis 18,76,101,102,104-106,121,123, 155, 235, 246, 247 coram Deo 99, 121, 182 Dei 104, 131, 155, 156, 193, 199 distributiva 140, 155, 156, 210, 211, 248 duplex 86, 103, 106 extra nos 31, 35, 158 fidei 180, 209 humana 90, 95, 101, 103, 104, 106, 210 imputative 157, 210, 211, 209 originalis 18,49-52, 54, 57, 118, 178, 243 particularis 209, 210

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universalis 209, 210 Kirche, s.a. ecclesia Jesu Christi 164 protestantische 170 römische 22, 110, 164, 166,186 Wittenberger 164, 168, 169, 171, 178 Kirchenväter 94, 95,141,165-167 Kontingenz 16, 114, 225 Kräfte (des Menschen/der Seele), s. vis Kreuz (Christi), s. crux (Christi) Leben, s. vita lex 36,42, 52, 54, 57, 60, 63, 90, 91, 110-112, 120, 139 ceremonialis 143, 171 cordis 133 Dei/divina 13, 17, 20, 23, 29, 30, 36, 37,41, 46, 54, 59, 60, 63, 68, 72, 84, 85, 89-92, 95, 102, 105,110-112, 114-119, 122, 124, 126, 128, 134,135, 138-140,144-146, 150,157, 159, 171, 175, 177, 179, 180, 188, 194, 197, 200, 204, 207, 211, 216, 234, 235, 237, 243-246,248 fidei 133 humana 90,91, 143, 171 moralis 60, 143,144, 171 naturae/naturalis 13,15, 54, 55, 60, 82, 126, 134,143-146,171,175,194-196,200,203205,207, 209, 211, 212, 223, 246 spiritualis 37, 38, 240 libertas 15, 17, 30, 37, 81, 82, 85, 100, 103, 106, 111, 115, 116, 121, 158, 225,231,234, 245 Christiana 81, 86, 91, 101, 106,149, 234 civilis 101 Dei 70, 225 hominis 13,46, 53, 70, 71, 82, 83,190 spiritualis 101 voluntatis 11, 15, 16, 21-24, 28, 29, 34, 37, 46, 50, 52, 54, 59, 71, 72, 79, 80, 82, 93, 96, 99, 102, 104, 105, 111-113, 115-122, 125, 127, 135-138,158,160, 175, 182, 188, 189, 198, 212, 216, 220, 224, 231-233, 235, 237, 246, 248 voluntatis Dei 55 liberum arbitrium 13, 15, 18, 21, 33, 38, 42, 45,47, 59,60, 63-66, 70,81, 105, 110-113, 115, 116, 118, 120, 124, 125, 136, 141, 153, 158, 182, 190, 216, 224, 233, 234, 236, 237, 243,246, 248, 249, 250, 251

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Register

Liebe 30, 31, 37, 38, 54, 56, 57, 64, 67, 71, 74, 102-104, 127, 128,134,140 s.a. amor/caritas/dilectio lumen naturae 82,144 materia 51, 219, 223 mens 65, 82, 115, 126, 128, 171, 185, 189, 198, 201, 205, 207, 216, 224 Dei 223 hominis/humana 19, 117, 144, 145, 205, 208, 221, 235 meritum 17, 54, 56-58, 66, 71, 74,114, 121, 128,172, 178, 183 metus Dei 82 misericordia 55, 59, 63, 65, 67, 68, 122, 125, 128, 130, 132, 134, 137, 140, 149, 150, 153, 155, 179, 180,183-185, 187, 240 Moralgesetz, s. lex moralis morbus originis 117, 126 mortificatio 103 mos 30, 34,81 bona 116, 121, 137, 138 civilis 194, 196 natura 30, 118, 124, 198, 211, 242, 244 Christi 132 corrupta 64, 111, 116 hominis/humana 15, 31, 38, 39,43, 52, 57, 65, 82, 83, 98, 100, 110-112, 114-118, 121, 124, 126, 127, 137, 144, 146, 152, 177, 179, 183, 196, 199, 200, 206, 209, 242,244 Naturgesetz/-recht, s. lex natura necessitas 16, 112, 114, 186, 225 absoluta 16, 105 consequentiae 16, 100, 105, 111, 114, 134, 158,236, 246 consequentis 100, 105,114,134,158,236, 246 immutabilitatis 56 Neues Testament 28,40, 62, 67, 84, 92, 131, 132, 138, 139, 142 Nicänum 141 notitia 13, 45, 84, 135, 146, 153, 198, 202, 206, 207, 211, 216, 220, 221, 223, 224, 226, 230 a posteriori 222 a priori 18, 222 Christi/de Christo 42,134, 136,154

de Deo/Dei 17, 19, 64, 82, 111, 116-118, 126, 129, 144, 147, 153, 174,179, 197, 198, 223, 244,245 fidei 154, 196, 210, 239, 245 historiae/historica 134, 146, 150, 154 hominis/humana 83, 92, 99, 171, 203, 223 legis (divinae) 17, 122, 126, 144, 172, 173, 220, 225 naturae/naturalis 17,19, 126, 198, 223 obscura 17, 144, 146, 147, 172, 173, 180, 183, 196 peccati (originalis) 58, 76, 176, 178, 182, 187, 189,245 rationis 32,42, 46,49, 50, 81, 114, 154, 175, 200 vera 173,174, 180 Notwendigkeit, s. necessitas oboedientia 111, 114,116, 121, 122,131,136, 141, 144, 152,185, 189, 209 ergaDeum 127, 197, 198, 225 legis 131, 149, 246, 248 Obrigkeit 103,140 obscuritas scripturae 94 Offenbarung, s. revelatio officium 175, 236 civile 142, 157 legis 142 secundum 142,143,145, 146, 148, 179 tertium 142, 143, 146, 148, 150, 156-158, 190, 236, 247 Ontologie 43, 48, 72, 73, 75 opus 15, 16, 29-31, 45, 48, 49, 54, 58, 60, 61, 63-71, 72-76, 82-84, 87-89, 95, 102-104, 115, 119, 121-124, 126-137, 139,141, 143, 145-152, 156-158, 172, 173, 180, 182-190, 203-205, 208-215, 227, 232-237, 241, 242, 244,245, 247, 248 bonum 16, 38, 74, 75, 83, 84, 91, 104, 116, 119, 129, 132-135, 150-152, 156, 173, 184, 185, 187, 202, 204, 205, 209, 213, 232, 234, 241, 244, 248 civile 76,100, 133-135, 137,212 externum 30, 31, 60, 81, 82, 105, 115, 116, 120, 121, 126, 145, 154, 176, 182, 188 morale 57, 60, 126, 127, 134 meritorium 64, 66, 70, 71, 126, 128, 152 spirituale 119, 130, 131, 190,212,233 ordinatio Dei/divina 48, 86 ordo 86,104,234, 241

Sachregister civilis 104,205, 234,246 Dei/divina 86, 195, 205, 208, 212, 216, 218,223,230,243 externa 16, 102, 121, 142, 167, 182, 192, 204, 205,207, 235 naturae 195, 196, 209 pars (humana), appetens 172, 174, 180 cognoscens 172 iudicans 172 peccator 53, 57, 60, 62, 63, 127,151, 189 peccatum 16-18, 23, 29-31, 36, 38, 41, 46, 47, 49-51, 53-56, 58, 59, 61-72, 75, 76, 83, 86, 90, 92, 95-97, 99, 101-103, 106, 110-112, 115-120, 122-127, 129, 131, 134, 136-138, 142, 143, 145, 150-153, 155, 157, 159, 160, 172, 174-179, 181185, 190, 199, 203-205, 216, 226, 235, 238, 242-245, 248 actuale 46, 50, 51, 53, 123, 124, 127, 176, 177,183 mortale 65-67, 70, 131, 172 originale/originis 30,50-54, 57,59, 81-83, 87, 99, 100, 102, 111, 112, 116, 117, 123127, 144-146, 160, 172-178, 180, 182184, 189, 196, 197, 203, 206, 207, 211, 212, 230, 234, 241-245, 250 persona 15, 126, 131, 134, 152, 156, 164, 210, 244, 247 philosophia 12-14,17-20, 32,41,42, 77, 88, 89, 94, 104, 109, 123, 145, 176, 193-195, 197, 199, 206, 208, 211-214, 228, 231, 238, 249 Christiana 33-35, 38, 232 239, 245 moralis 109, 194, 214 rationalis 214 pietas 93, 140 Piatonismus 17-19, 249 Pneumatologie 74,116, 158, 190, 234, 240 poenitentia 58, 59, 63, 73, 103, 104, 121, 131-133, 135, 142, 143, 148-150, 154, 157, 179, 180, 186, 189, 208, 247 potentia animae 13, 44, 46, 49, 70, 84, 100, 117, 118, 152, 217, 219, 220, 230, 243 appetitiva 99, 118, 217, 219, 221, 239, 241 apprehensiva 99, 219 locomotiva 217 inferior 102, 118, 151 rationalis 217, 221 sensitiva 217, 219

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sentiens 219 superior 118, 151 praeceptum morale 143 praedestinatio 15, 30, 35, 47-49, 58, 71, 72, 75, 81-84, 87, 98, 100, 101, 104, 105, 113115, 117, 119, 124, 138, 141, 142, 157, 158, 190, 233,234, 239, 241,245 praedicatio 89, 93,94,126,127, 146,148,164, 165,175,180-182, 187,189, 248 poenitentiae 143,185 legis 175,176 Predigt, s. praedicatio Predigtamt 89, 93 principia, moralia 197 practica 77, 197,198 speculabilia 197 principium fidei 94 Prinzipien, s. principia pro nobis 103, 107,181,183,188, 245 promissiollO, 130, 133, 141, 147, 148, 149, 154, 157, 164, 179, 184, 245, 247 Evangelii 145, 147, 150, 154, 157, 179, 246 gratuita 147, 148 legalis/legis 128, 134, 141, 147, 179, 246, 248 universalis 155 propter Christum 148, 149 Protestanten 161, 164, 169-171, 176, 188 Psychologie 44, 70, 97, 115, 157, 208, 214216, 218, 219, 221, 227, 229-231, 239,240 aristotelische 227, 228, 231, 242, 250 Melanchthonische 13, 18,47, 111,214-216, 230, 231 metaphysische 46, 47, 59, 64, 69, 72, 81, 104, 107, 115, 119, 122, 123, 127, 136, 137, 151,152, 179, 191,196, 206, 233, 236, 237, 240,243, 244 qualitas 50, 52, 57, 63, 64, 111, 118, 124, 130, 137,149, 229, 231,248 raptus 30, 106 ratio 13, 17, 19, 30, 38, 40, 42, 43, 45, 48-51, 53-55, 58, 60, 64, 65, 67, 71, 73, 74, 76, 81-85, 87, 88, 91, 99-102, 104, 113, 114, 117-119, 121-125, 134, 135, 140, 145, 146, 148, 151, 154, 157, 165, 171-173, 175, 180, 183, 184, 190, 194, 195, 198, 200-204, 208, 218-221,225, 230, 243 s.a. recta ratio reatus 124, 145,153,177, 178

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Register

Rechtfertigung, s. iustificatio reconciliatio 151, 184, 247 recta ratio 51, 54, 55, 58 83, 119, 124, 125, 151, 184,198,199,203, 204,208, 221 s.a. dictamen rectae rationis Relation 48, 235, 238, 250 Gott - Mensch 37, 38, 47, 52, 54, 59, 70, 75, 81, 96, 97, 116, 118, 124, 125, 137, 151, 199, 200, 210, 223, 225-227, 229, 231,236, 242,244 coram Deo 25, 48, 242, 243 coram mundo 242, 243 Religionsgespräch 161, 162, 164 s.a. Hagenau (1540); Regensburg, RT; Worms (1540/41) remissio peccatorum 64, 90, 97, 103, 109, 128-130, 143, 147-150, 155, 157, 181183, 188, 189 revelatio 13, 19, 43, 59, 60, 74, 77, 87-89, 133, 145, 148, 179, 181, 183, 189, 200, 202, 216, 232, 236, 240, 247, 248 duplex 131 sacramentum 162-164, 179, 185 sanctificatio 32, 71, 74, 75, 98, 103, 104, 127, 130, 137, 138, 148-158, 172, 173, 183-190, 192, 201-203, 208, 210, 212, 213,236, 237,241,247-251 satisfactio (Christi) 31, 35, 103, 104,107 Scholastik 16, 39 Schöpfung, s. creatio Schriftauslegung 87-89,92,93,95,167,186 Schriftsinn 88, 89, 92, 93 Schuld, s. culpa scriptum sacra 33, 34, 38,40-42, 46,47, 50, 59, 71, 79, 81, 84, 87-89, 92-95, 109, 114, 123, 135, 143, 164, 166, 167, 169, 186, 189, 251 securitas 178, 179 Seele, s. anima Seelenkraft, s. potentia animae Seelenpotenzen, s. potentia animae Seelenvermögen, s. potentia animae Selbstliebe, s. amor sui sensus 88, 179, 219 literae/literalis 33, 88, 89, 92, 93 spiritualis 88 servum arbitrium 15,113,120,188,249,251 simul iustus et peccator 107, 151, 189 sola fide 131, 132, 135

solus Christus 136 spes 31, 54,102 spiritus 31, 37, 47, 48, 50, 51, 82, 83, 86, 96, 100, 103, 104, 113, 118, 120, 123, 125, 130, 148, 150, 152-158,163, 164, 167, 180-190, 201,202, 205,218, 224 Dei 82 iustificans 31 Sanctus 15,16, 33,48, 52, 54,57, 58,62-65, 74-77, 82-86, 93, 94, 97,100,101,103,104, 106, 116, 118, 119, 121, 122, 125, 127-130, 132, 135, 137, 148, 152, 153, 163,167, 181, 183, 184, 201-203, 205, 208-212, 224, 227, 233-238, 240, 242,245, 247, 248, 250, 251 Stände, altgläubige 160, 161, 170 protestantische 161, 169 Sünde, s. peccatum Sündenfall 17, 52, 63, 126, 127, 137, 226, 243 Sündenvergebung, s. remissio peccatorum Sünder, s. peccator synderesis 55 Tat, s. actus Tatsünde, s. peccatum actuale Taufe, s. baptismum Theologen altgläubige 163,164, 168, 186,188 protestantische 168, 186 Wittenberger 163, 165,171 Theologie 14,17,19,22,32,33,39,41^13,60, 89,90,92,104,108,109,117,120,194-197, 201, 206, 208, 212, 213, 231, 232, 238, 242, 250,251 altgläubige 21, 22, 25, 94, 145, 146, 159, 189, 244,247, 249 franziskanische 43, 69 Lutherische 12, 15, 39, 234, 250 lutherische 158,233 Melanchthonische 12-14, 16-18, 20, 23, 36, 37, 59, 69, 79, 94, 107, 110, 137, 145, 148, 156-158, 167, 189, 190, 232, 233, 239, 245, 246, 248-250 protestantische 25,109,110 reformatorische 25, 115,123,191, 232, 235, 249 scholastische 39, 41,43,46, 50, 89, 94, 112, 115,117, 152, 165,249 Wittenberger 94, 108, 244 timorDei 113, 118, 119

Sachregister Triebkontrolle 45,48,87,102,151,152,172, 221,237 triplex usus legis, s. usus legis, triplex Tröstung, s. consolatio Tugend, s. virtus Unfreiheit 15, 120, 234 des Willens 13, 15, 16, 35, 37, 38, 47, 50, 61, 68, 69, 71, 87, 105, 233, 235, 239, 241, 245, 246 menschliche 49, 63, 234 Ungerechtigkeit, s. iniustitia Unsterblichkeit (der Seele), s. immortalitas Ursache, s. causa Urstandsgerechtigkeit, s. iustitia originalis usus legis 72, 104, 139, 182 Dei/divinae 142, 237 in renatis 175, 184, 212, 238, 248 politicus 76,104, 175, 182, 211, 238, 248 primus 237 secundus 139, 188, 237 tertius 139, 154, 184, 189, 237 theologicus 72, 104, 175, 182, 212, 238, 248 triplex 142,211,212 verbum, Dei/divinum 31, 32, 152,156,162165, 167, 168, 173, 183, 184, 186, 187, 195,201-203,205,211,212,229,232,250 efficax 152 Verdienst, s. meritum Verhältnis Gott - Mensch, s. Relation Verheißung, s. promissio Verkündigung, s. praedicatio Vernunft, s. ratio Vernunftbegabung 13, 194, 201 Vemunfterkenntnis, s. notitia rationis Verstand, s. intellectus Vertrauen, s. fiducia via antiqua 27, 43, 111 via moderna 27, 43,51,112,117 virtus 30-38, 41, 46, 48, 56, 58-61, 66, 67, 74, 81, 109, 127, 134, 135, 138, 148, 151, 155, 158, 193, 198-206, 208, 210-213, 221,232, 240, 247 vis, aetema 125 affectuum 53, 54, 69 ad peccandum 51 appetitiva 44-47, 51, 53, 54, 81, 151, 173, 174, 180, 220, 243

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apprehensiva 44-47,117,118,174,208,220 cognoscendi 44-46, 69, 81, 243 e qua affectus oriuntur 44-46, 51 hominum/humana 17, 30, 42, 45, 46, 48, 51, 54,57,61,65,67,69,70,72,110,112,115117, 122, 123, 128, 144, 172, 178 inferior 44, 65, 66, 151, 152, 172 superior 44, 65, 66, 151, 172 vita, aetema 67, 69, 70, 128, 129, 147, 148, 153, 156,159, 163,181,183, 188, 189, 199 mortalis 228 privata 156 publica 155 Vitium perpetuum 124,144, 244 vivificatio 103 voluntas 30,38,44-49,55,56, 81-84, 86,104, 106, 114, 125, 149, 151-153, 180, 182, 184, 194, 198, 200, 202, 205-208, 212, 220, 222-224,244,251 Dei/divina 49, 52, 75, 92, 96, 114, 127, 141, 146, 176, 184, 195, 200, 202, 203, 210, 225, 226, 244, 247 diaboli 111,226 hominis/humana 23, 32, 67, 100, 116, 118, 124, 154, 156, 172, 176, 181, 182, 200, 201, 203,205,210,211,213, 227 Vorherbestimmung, s. praedestinatio Werk, s. opus Werkgerechtigkeit Wille, s.a. voluntas befreiter 153, 156, 157, 190, 211, 251 Willensfreiheit, s. libertas voluntatis Willenslehre 14, 16,18-30, 34, 35, 3 9 , 4 1 ^ 3 , 50, 66, 68, 70, 75, 79, 80, 82-85, 87, 96, 97, 101, 108,110,113, 115, 121, 136-139, 142, 143, 151, 159, 179, 182, 192-194, 196, 214, 221, 224,227, 230, 232-240, 242, 243, 246, 249 Lutherische 113 Melanchthonische 18-20,28, 29, 34, 35, 39, 41,43,68,82, 84, 85,87,115,121, 137,138, 151, 192, 230, 232, 234, 237 Wohltat, s. beneficium Wort Gottes, s. verbum Dei lebendiges, s. viva vox Zeremonialgesetz, s. lex ceremonialis Zweitursache, s. causa secunda

Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Herausgegeben von Adolf Martin Ritter und Thomas Kaufmann Eine Auswahl

80 Jörg Haustein Liberal-katholische Publizistik im späten Kaiserreich „Das Neue Jahrhundert" und die Krausgesellschaft. 2001. 407 Seiten mit 12 Abbildungen, geb. ISBN 3-525-55188-6 79 Ernst Feil Religio Dritter Band: Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs im 17. und frühen 18. Jahrhundert. 2001. 542 Seiten, geb. ISBN 3-525-55187-8 78 Wiebke Bähnk Von der Notwendigkeit des Leidens Die Theologie des Martyriums bei Tertullian. 2001. 356 Seiten, geb. ISBN 3-525-55186-X 77 Barbara Müller Der W e g des Weinens Die Tradition des „Penthos" in den Apophthegmata Patrum. 2000. 284 Seiten, geb. ISBN 3-525-55185-1 76 Emidio Campi / Leif Grane / A d o l f Martin Ritter (Hg.) Oratio Das Gebet in patristischer und reformatorischer Sicht. Festschrift zum 65. Geburtstag von Alfred Schindler. 1999. 260 Seiten mit 6 Abbildungen, geb. ISBN 3-525-55184-3 75 Angelika Dörfler-Dierken Luthertum und Demokratie Deutsche und amerikanische Theologen des 19. Jahrhunderts zu Staat, Gesellschaft und Kirche. 2001. 448 Seiten, geb. ISBN 3-525-55183-5 74 W o l f g a n g Sommer Politik, Theologie und Frömmigkeit im Luthertum der Frühen Neuzeit 1999. 317 Seiten, geb. ISBN 3-525-55182-7

73 Uwe Rieske-Braun Duellum Mirabile Studien zum Kampfmotiv in Martin Luthers Theologie. 1999. 287 Seiten, geb. ISBN 3-525-55181-9 72 Holger Strutwolf Die Trinitätstheologie und Christologie des Euseb von Caesarea Eine dogmengeschichtliche Untersuchung seiner Piatonismusrezeption und Wirkungsgeschichte. 1999. 469 Seiten, geb. ISBN 3-525-55180-0 71 Klaus Fitschen Messalianismus und Antimessalianismus Ein Beispiel ostkirchlicher Ketzergeschichte. 1998. 379 Seiten, geb. ISBN 3-525-55179-7 70 Ernst Feil Religio Zweiter Band. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs zwischen Reformation und Rationalismus (ca. 1540-1620) 1997. 372 Seiten, geb. ISBN 3-525-55178-9 69 W o l f g a n g Sommer Politik, Theologie und Frömmigkeit im Luthertum der Frühen Neuzeit Ausgewählte Aufsätze. 1999. 317 Seiten, geb. ISBN 3-525-55182-7 68 Martin Wallraff Der Kirchenhistoriker Sokrates Untersuchungen zu Geschichtsdarstellung, Methode und Person. 1997. 379 Seiten, geb. ISBN 3-525-55176-2

V&R

Vandenhoeck Ruprecht