Der Aufstieg Der Ärzte Im 19. Jahrhundert Vom Gelehrten Stand Zum Professionellen Expertendas Beispiel Preussens 9783647357270, 3525357273, 9783525357279

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Der Aufstieg Der Ärzte Im 19. Jahrhundert Vom Gelehrten Stand Zum Professionellen Expertendas Beispiel Preussens
 9783647357270, 3525357273, 9783525357279

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Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 68

V&R © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka Hans-Ulrich Wehler Band 68 Claudia Huerkamp Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert Vom gelehrten Stand zum professionellen Experten: Das Beispiel Preußens

von

Claudia Huerkamp

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Huerkamp, Claudia: Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert: vom gelehrten Stand zum professionellen Experten: das Beispiel Preußens / von Claudia Huerkamp. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1985. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 68) ISBN 3-525-35727-3 NE:GT

Mit finanzieller Unterstützung der Robert-Bosch-Stiftung © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1985. - Printed in Germany. Alle Rechte des Nachdrucks, der Vervielfältigung und der Übersetzung vorbehal­ ten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Werk oder Teile daraus auf photomechanischem (Photokopie, Mikrokopie) oder akustomechamschem Wege zu vervielfältigen. Gesetzt aus Bembo auf Linotron 202 System 3 (Linotype). Satz und Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen. Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen.

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Inhalt Vorwort

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Kapitel I: Einleitung

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1. Erkenntnisinteressen und Ziele 2. Professionalisierungstheorien

9 14

Kapitel II: Vom »Medicus purus« zum Allgemeinpraktiker: Die Herausbildung einer einheitlich vorgebildeten akademischen Ärzteschaft in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts

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1. D ie traditionale Struktur des Gesundheitswesens in der ständischen Gesellschaft Preußens a) D ie gelehrten Ärzte b) Wundärzte, Hebammen, Laienheiler c) D ie Segmentierung des »Gesundheitsmarktes« 2. D ie Bestimmungen von 1825 3. D er Weg zum »Einheitsstand«

22 22 34 40 45 50

Kapitel III: Herkunft und Ausbildung der akademischen Ärzte

60

1. Herkunft: Begrenzte soziale Öffnung und neuer Exklusivitätsanspruch . . 2. Vorbildung: Humanistisches Gymnasium gegen »realistische« Vorbildung 3. Medizinische Wissenschaft, Ausbildung und Prüfungen: Verwissenschaftlichung und Spezialisierung a) D ie Entwicklung der medizinischen Wissenschaft im Überblick . . . . b) D as Verhältnis von Theorie und Praxis in der Ausbildung c) D ie Rolle der Spezialfächer bei den verschiedenen Prüfungsrevisionen 4. D ie Rolle der Ausbildung in der Diskussion um die sog. »Überfüllung« des Arztberufs seit den 80er Jahren

61 78 87 87 98 102 110

Kapitel IV: Auf dem Weg zum professionellen Experten: Der Arzt im Beruf

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1. Aufbau einer Praxis und die Normen der Kollegialität a) D ie Probleme des Anfängers bei der Niederlassung b) D er Ausbau kollegialer Kontrolle seit den 80er Jahren

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2. D as Arzt-Patient-Verhältnis: Loslösung von Laienkontrolle a) D ie Rolle des medizinischen Fortschritts b) D ie Expansion des »Gesundheitsmarktes« c) D as »moderne« Arzt-Patient-Verhältnis: Entwicklungstrends und Grenzen Kapitel V: Medizinalbeamtc, Allgemeinpraktiker, Spezialisten: Zur Differenzierung der Berufsrollen 1. Vom Physikus zum Kreisarzt: Stellung und Aufgaben des Medizinalbeamten 2. D ie Spezialisierung der ärztlichen Praxis a) D ie Herausbildung des modernen »Spezialistentums« seit den 80er Jahren: Bedingungen und Formen b) Von der Spezialisierung nicht tangiert: die Landärzte c) Interessenkonflikte zwischen Allgemeinpraktikern und Spezialisten . .

131 132 137 153 167 167 177 177 185 190

Kapitel VI: Die Kassenarztfrage

194

1. Entstehung und Ausdehnung der Gesetzlichen Krankenversicherung bis zum Inkrafttreten der Reichsversicherungsordnung 1914 2. D as kassenärztliche Honorar und die ärztliche Einkommenslage 3. D as Dreiecksverhältnis Arzt-Kassen vorstand-Patient 4. D ie Forderung nach »freier Arztwahl« und ihre Gegner

194 199 216 224

Kapitel VII: Die ärztlichen Berufsorganisationen

241

1. D ie Anfänge des ärztlichen Vereinswesens und der deutsche Ärztevereinsbund 2. Ärzte und Staat: Von der Einführung der Kurierfreiheit 1869 auf dem Weg zur »Ärzteordnung«: Ärztekammern und Ehrengerichte a) D ie Stellung des Arztes in der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869 und der Wandel in der Haltung der Ärzte zur Gewerbefreiheit b) Staatlich anerkannte Standesvertretungen: die Ärztekammern c) D as preußische Ehrengerichtsgesetz von 1899 d) Unerfüllte Wünsche: das Kurpfuschereiverbot 3. Organisierung des ärztlichen Angebots gegenüber der kollektiven Nachfrage der Kassen: der Leipziger Verband und die Ärztestreiks a) D ie Gründung des Leipziger Verbandes 1900 - programmatische Auseinandersetzungen b) Streiks und andere Kampfmaßnahmen c) D ie Auswirkungen der Verbandspolitik auf die Kohärenz der Ärzteschaft Kapitel VIII: Zusammenfassung

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Anmerkungen

310

Verzeichnis der Abkürzungen

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Literaturverzeichnis

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Register

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Verzeichnis der Tabellen

1. Zahl der Ärzte und Wundärzte in Preußen 1828-1846 2. D ie medizinischen Staatsprüfungen in Preußen 1832—1841 3. Medizinstudenten an deutschen Universitäten 1830—1911 (Tabelle und Schaubild) 4. D ie soziale Herkunft der Göttinger Medizinstudenten 1852—1891 5. D ie soziale Herkunft der Göttinger Medizinstudenten in zwei ausgewählten Zehn-Jahres-Gruppen: 1852-1861 und 1882-1891 6. Soziale Herkunft der Studenten an preußischen Universitäten nach ausgewählten Väterberufen 1887/88-1891 7. Soziale Herkunft der Studenten in Berlin und Leipzig 1850-1878 8. Soziale Herkunft der reichsangehörigen Studierenden an preußischen Universitäten nach ausgewählten Väterberufen (1887/88-1911/12) (in%) 9. D as Studienverhalten der Arztsöhne 1887/88-1911/12 10. (D iagramm): Krankenbett-, Hospital-und Labormedizin 11. Entwicklung der Ärztedichte in Preußen (alte Provinzen) 1828-1887 12. Ärztedichte nach Gemeindegrößenklassen. Deutsches Reich 1876—1909 13. D ie Ausdehnung der Gesetzlichen Krankenversicherung im Deutschen Reich 1885-1914 14. Einkommensverteilung der Ärzte im Bezirk der Ärztekammer Brandenburg/ Berlin 1900-1906 15. Organisationsgrad der deutschen Ärzteschaft 1874—1911 (Mitglieder im Deutschen Ärztevereinsbund) 16. D ie Tätigkeit der ärztlichen Ehrengerichte in Preußen 1904—1909 17. Mitgliederentwicklung im Leipziger Verband bis 1911

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Vorwort

Ein so weitgespanntes Projekt wie das einer Geschichte der Ärzteschaft in Preußen und im D eutschen Reich über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren lag ursprünglich nicht in meiner Absicht. Meine Interessen richteten sich zunächst auf die Einführung der Gesetzlichen Krankenversicherung, ihre Auswirkungen auf die ärztliche Praxis und die Reaktionen der Ärzte­ schaft darauf. Zwar ist diese Thematik ein Kernstück der Untersuchung geblieben, es zeigte sich aber, daß erst unter dem theoretischen Zugriff der »Professionali­ sierung« Probleme des Gesundheitsmarktes befriedigend eingeordnet und dimensioniert werden konnten. D ie Entscheidung für das Professionalisie­ rungsmodell hatte zur Konsequenz, daß weitere Aspekte aufzunehmen wa­ ren, wie etwa der Wandel der medizinischen Ausbildung, bestimmte Verän­ derungen im Arzt-Patient-Verhältnis oder auch der ganz pragmatische All­ tag in der (land)ärztlichen Praxis . . . Außerdem erwies sich eine zeitliche Ausdehnung des Untersuchungsrahmens als unabdingbar: Professionalisie­ rungstendenzen waren deutlich schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun­ derts festzustellen. Nach und nach ist so eine Geschichte der preußisch­ deutschen Ärzte entstanden, ein erster Versuch, diesen sozialhistorisch viel­ schichtigen Komplex als Professionalisierungsprozeß darzustellen. D ie Ar­ beit wurde im Sommersemester 1983 von der geschichtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bielefeld als D issertation angenommen und liegt jetzt, überarbeitet und gekürzt, als Buch vor. Wenn wissenschaftliche Untersuchungen sich unter der Hand ausweiten, konzeptuell ins Uferlose abzugleiten drohen und in ihrer Materialbasis unüberschaubar werden, führt das häufig zu mehr oder weniger existentiel­ len Krisen für den Bearbeiter. D aß ich von solchen entmutigenden Krisen weitgehend verschont geblieben bin, verdanke ich in erster Linie meinen beiden Kindern Florian und Felix (1980 und 1983 geboren). Sie haben lautstark und hartnäckig dafür gesorgt, daß die wissenschaftliche Arbeit niemals zu meinem einzigen oder auch nur wichtigsten Lebensinhalt gewor­ den ist. Andrerseits haben mich die oftmals sich ausschließenden Bemühun­ gen um Erziehung und Dissertation zu der notwendigen Umsicht, Zielstre­ bigkeit und Selbstdisziplin angehalten. D iese Arbeitsökonomie war nur durchzuhalten, weil mein Mann mir den nötigen Freiraum für den zeit- und energiezehrenden Aufwand verschaffte, indem er die alltäglichen Belastun7

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gen solidarisch mit mir teilte. Außerdem konnte ich immer wieder Pro­ bleme und Fragen, die im Arbeitsprozeß auftauchten, mit ihm besprechen, und nicht selten haben mich seine unkonventionellen Ideen aus einer Sack­ gasse herausgeführt. Prof. Dr. Jürgen Kocka hat mich zur Bearbeitung des Themas ermuntert und den Prozeß der Fertigstellung mit Interesse und manchen Ratschlägen begleitet, wofür ich ihm herzlich danke. Anregungen und Hinweise verdan­ ke ich Prof. Dr. Florian Tennstedt, Prof. Dr. Reinhard Spree, Dr. Hartmut Titze und den Teilnehmern des Bielefelder Kolloquiums zur neueren Sozial­ und Wirtschaftsgeschichte. Prof. Dr. Hans-Ulrich Wehler bin ich vor allem für seine sorgfältige Lektüre des Manuskripts und zahlreiche stilistische Verbesserungsvorschläge verpflichtet. D ie Freunde Ute Frevert und Rolf Behler haben die Dissertation ebenfalls gelesen und aus umfänglicher Sach­ kenntnis heraus auf Möglichkeiten zur Präzisierung aufmerksam gemacht, die bei der Überarbeitung berücksichtigt wurden. Die großzügige finanzielle Unterstützung der Robert-Bosch-Stiftung hat die Drucklegung des vorliegenden Buches ermöglicht.

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KAPITEL I

Einleitung 1. Erkenntnisinteressen und Ziele In den letzten Jahren mehren sich in der Bundesrepublik die Anzeichen für eine zunehmend skeptische Haltung gegenüber der modernen, hoch­ technisierten, professionalisierten Medizin. Ob es nun um die seit 1980 stattfindenden alternativen Gesundheitstage geht oder um Selbsterfah­ rungsgruppen von Patienten, die an derselben Krankheit - etwa Krebs oder Rheuma - leiden; ob es sich um zuerst von der Frauenbewegung propagierte Selbstbehandlungsgruppen von Frauen handelt oder um den zunehmenden Protest gegen die lückenlos überwachte, wie am Fließband routinisierte Klinikgeburt; ob die Rede ist von der wiederaufgelebten D e­ batte um humanes Sterben, um das Recht des Einzelnen auf einen men­ schenwürdigen Tod anstelle eines durch medizinische Apparaturen um je­ den Preis verlängerten Lebens, oder allgemein von Skepsis und Zweifeln daran, wie weit eigentlich die These von den Errungenschaften der mo­ dernen Medizin angesichts gleich hoch bleibender Morbidität berechtigt ist:1 An allen Ecken und Enden beginnt das ehemals strahlende Bild der von Triumph zu Triumph fortschreitenden modernen Medizin abzubrök­ keln. In den Sog der Kritik geriet mit der medizinischen Wissenschaft und Praxis auch die Ärzteschaft. So entstanden etwa Selbsterfahrungs- und Selbstbehandlungsgruppen nicht nur aus dem Gefühl der Patienten her­ aus, daß die moderne Medizin ihren Leiden nicht in jeder Hinsicht beizu­ kommen in der Lage ist, sondern sie drücken gleichzeitig auch einen Pro­ test aus gegen eine Arzt-Patient-Beziehung, in der der Arzt aufgrund sei­ ner Fachkompetenz die Therapie autonom und von oben herab festlegt, während dem Patienten nur die Rolle des passiv Leidenden bleibt. Stei­ gendes Selbstbewußtsein von Patienten gegenüber dem professionellen Experten »Arzt« drückt sich auch in der zunehmenden Zahl von Kunst­ fehlerprozessen gegen einzelne Ärzte aus. Gleichzeitig sieht sich die Ärzte­ schaft, deren hohe, weit über dem durchschnittlichen Niveau anderer aka­ demischer Berufsgruppen liegende Einkommen seit Jahren einen Stein des Anstoßes in der Öffentlichkeit bilden, wachsender Kritik an ihrer gesell­ schaftlich privilegierten Stellung ausgesetzt. D ie »Halbgötter in Weiß« 9

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scheinen also den Zenit ihres professionellen, allgemein gesellschaftlich anerkannten, gegen jegliche Kritik von außen abgeschirmten Status über­ schritten zu haben.2 Gerade unter diesen Umständen erscheint es notwendig und reizvoll, den Ursprüngen des professionellen Status der Ärzte genauer nachzuspüren. Wenn auch davon ausgegangen werden muß, daß der Professionalisierungs­ prozeß der Ärzteschaft - sowohl in Deutschland als auch in anderen Staaten erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts abgeschlossen ist, so liegen doch die Wurzeln und entscheidenden Weichenstellungen dieses Prozesses eindeutig im 19. und frühen 20. Jahrhundert. In diesem Zeitraum erfuhr der Arztberuf tiefgreifende Funktionswandlungen: sie und ihre Auswirkungen auf die Position und das Verhalten der Berufsangehörigen sind Thema der vorlie­ genden Untersuchung. D iese orientiert sich an einer Konzeption sozialge­ schichtlicher Forschung, die zwar soziologische Theorien als Strukturie­ rungselemente der thematisierten sozialen Prozesse einbezieht, aber gleich­ zeitig darauf besteht, daß diese Prozesse in ihren jeweiligen konkreten historischen Entstehungs- und Wirkungszusammenhängen untersucht wer­ den müssen. Nicht nur die aktuellen Veränderungen in der gesellschaftlichen Position der Ärzte begründen ein Interesse daran, die historischen Entstehungsbedin­ gungen des modernen Arztberufs zu untersuchen, sondern auch durch die derzeitige Forschungslage wird die Beschäftigung mit dem Gegenstand nahegelegt, und zwar in dreierlei Hinsicht: 1. Mit dem an den medizinischen Fakultäten etablierten Fach der Medi­ zingeschichte, die über eigene Lehrstühle, Zeitschriften, wissenschaftliche Vereinigungen verfügt, gibt es zwar eine Institution, die sich ausschließlich der Erforschung der Geschichte der medizinischen Wissenschaft und des Ärztestandes widmet: Wohl keine andere Berufsgruppe hat sich mit ihrer eigenen Vergangenheit so vielfach und so gründlich befaßt wie gerade die Mediziner. D och hat sich deren Interesse von jeher auf bestimmte Aspekte konzentriert, wobei die wissenschaftlichen Fortschritte und großen Entdek­ kungen der Medizin und dementsprechend die großen Entdecker ganz eindeutig im Vordergrund stehen. D iese Tendenz ist vor allem für die größeren Kompendien der Medizingeschichte charakteristisch, in denen die Entwicklung der modernen Medizin als Prozeß immerwährenden Erkennt­ nisfortschritts und stetig verbesserter Diagnose- und Behandlungstechniken erscheint.3 Die Medizingeschichte hat sich zwar auch in zahlreichen Untersuchungen mit dem Ausbau des Gesundheitswesens, dem Wandel des Arztberufs, der Entwicklung der ärztlichen Berufsorganisationen beschäftigt. D och nur wenige Untersuchungen streben vom Ansatz her eine Verknüpfung von medizinischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Faktoren an.4 Im allgemeinen bleiben die Arbeiten deskriptiv und verzichten weitgehend auf eine Ursachenanalyse der von ihnen dargestellten Entwicklungen. 10 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Trotz mancher zaghafter Bemühungen um eine Ausweitung des Themen­ spektrums5 bleibt die inhaltliche Ausrichtung der Medizingeschichte auf die Geschichte der D isziplin und einzelner herausragender Ärzte vorherr­ schend. D em entspricht eine methodische Verengung auf rein geistesge­ schichtliche Untersuchungsverfahren. Als immer noch aktuell kann hier Walter Artelts »Einführung in die Medizinhistorik« von 1949 gelten, die als Quellen für den Medizinhistoriker in erster Linie literarische Texte, daneben auch bildliche D arstellungen, Baudenkmäler und Gebrauchsgegenstände nennt, statistische Materialien dagegen, etwa über Mortalität und Morbidi­ tät sowie über Ärztedichte und andere D aten medizinischer Infrastruktur, mit keinem Wort erwähnt. Gerade solche Quellen sind aber am ehesten geeignet, die Frage, wieweit die Erkenntnisfortschritte der wissenschaftli­ chen Medizin tatsächlich der »leidenden Menschheit« zugute kamen, was von den traditionellen Medizinhistorikern stets als selbstverständlich unter­ stellt wird, einer Beantwortung näher zu bringen. Sowohl die inhaltliche als auch die methodische Ausrichtung traditionel­ ler Medizingeschichtsschreibung führt dazu, daß eine Kritik des »triumpha­ len Königswegs«6 der wissenschaftlichen Medizin unterbleibt. Manchmal hat man den Eindruck, daß durch die Heroisierung der eigenen Vergangen­ heit als fortschreitenden Prozeß zum immer Besseren hin auch jede Kritik am heute erzielten Stand professionalisierter medizinischer Versorgung der Bevölkerung tabuisiert werden soll. 2. Während lange Zeit Sozialgeschichte und Medizingeschichte als zwei verschiedene D isziplinen relativ isoliert nebeneinander standen, kann seit einigen Jahren ein zunehmendes Interesse von Sozialhistorikern an medizin­ geschichtlichen Fragen konstatiert werden. D ies neuerwachte historische Interesse ist nicht zuletzt stimuliert worden durch aktuelle gesundheitspoli­ tische Probleme, wie sie sich aus dem Wandel der Krankheitsbilder, der verlängerten Lebenserwartung, den Gesundheitsbedrohungen durch die in ihrem ökologischen Gleichgewicht gefährdete Umwelt und der Expansion des Gesundheitswesens ergeben. Aus solchen die Medizinsoziologie be­ schäftigenden Problemen lassen sich die Bereiche ableiten, die das Arbeits­ feld einer Sozialgeschichte der Medizin konstituieren: I. Geschichte der sich verändernden Krankheitsmuster; IL Sozialer Wandel im Umgang mit Gesundheit und Krankheit; III. Entwicklung der Medizin zur Profession; IV. Entstehung und Expansion von Gesundheitseinrichtungen.7 In den USA, in England8 und vor allem in Frankreich9 ist die Forschung auf allen diesen Arbeitsfeldern schon wesentlich weiter fortgeschritten als in Westdeutschland, wo sie noch ganz in den Anfängen steckt10. Auch hier beginnen jedoch Sozialhistoriker sich mit Veränderungen von Mortalität und Morbidität im historischen Kontext, mit dem Wandel in der Einstellung zur Krankheit, der Entwicklung von Säuglingssterblichkeit und Geburten11 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

kontrolle, dem Ausbau der medizinischen Infrastruktur usw. zu beschäf­ tigen.11 Alle diese Entwicklungen lassen sich mit dem von der französischen Forschung geprägten Begriff der »Medikalisierung« zusammenfassen.12 Damit werden die Auflösung und Verdrängung traditionalen, subkulturell verfestigten Gesundheitsverhaltens, die Durchsetzung »hygienischer« Nor­ men sowie die zunehmende Orientierung auf die rationalistischen Maßstäbe der naturwissenschaftlichen Medizin beschrieben; mit anderen Worten: »Medikalisierung« meint die Ausdehnung des Marktes für medizinische Dienstleistungen derart, daß es für den »Alltagsmenschen« zunehmend selbstverständlich wird, im Krankheitsfall den kranken Körper ärztlicher Kontrolle zu unterstellen und sich nach den Anweisungen des Experten »Arzt« zur Wiederherstellung seiner Gesundheit zu richten. D amit verbun­ den ist ein Kompetenzverlust des Patienten, eine wachsende Unfähigkeit, mit Gesundheitseinbußen selbst fertig zu werden, und ein zunehmendes psychisches Angewiesensein auf den Beistand eines »Experten«. Im hier zugrundegelegten Verständnis ärztlicher Professionalisierung bil­ det die Medikalisierung der Bevölkerung ein notwendiges Pendant zum Professionalisierungsprozeß der Ärzte. Unter diesem ist, grob gesprochen, der Aufstieg des approbierten Arztes zum allein zuständigen Experten in Fragen von Gesundheit und Krankheit zu verstehen, der dementsprechend ein tendenzielles Monopol auf dem Markt für medizinische D ienstleistun­ gen besitzt. Eine solche Entwicklung setzt voraus, daß der größte Teil der Bevölkerung den Arzt als berufenen Experten in Krankheitsfällen akzeptiert und daß dementsprechend parallel zum offiziellen Gesundheitssystem exi­ stierende alternative Angebote medizinischer Versorgung sich auf die Dauer auflösen. Insofern gewinnt eine Analyse des ärztlichen Professionalisierungsprozes­ ses, wie sie für die deutschen bzw. die preußischen Ärzte bislang fehlt, ihre Berechtigung und Bedeutung im Rahmen einer Sozialgeschichte des Ge­ sundheitswesens, der Krankheiten und der Medizin. 3. Über den medizingeschichtlichen Rahmen hinaus versteht sich die vorliegende Untersuchung, indem sie die Entwicklung der Ärzteschaft als einer wichtigen bildungsbürgerlichen Berufsgruppe thematisiert, auch als Beitrag zur Geschichte des Bildungsbürgertums im 19. Jahrhundert. Nach­ dem in den letzten Jahren die Erforschung anderer sozialer Gruppen und Schichten, insbesondere der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen, deut­ liche Fortschritte gemacht hat; nachdem auch die Mechanismen, mit denen das Besitzbürgertum und die politischen Eliten ihre Interessen im Kaiser­ reich durchgesetzt haben, zunehmend untersucht sind, scheint es für den Sozialhistoriker an der Zeit, seine Aufmerksamkeit verstärkt der nicht durch Besitz, sondern durch Qualifikation privilegierten Gruppe des Bürgertums zuzuwenden und deren Strategien zur Sicherung bzw. zum Ausbau ihrer privilegierten Position zu analysieren. 12 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Die Untersuchung des Bildungsbürgertums bzw. einzelner bildungsbür­ gerlicher Gruppen kann zudem Anregungen gewinnen aus der Erweiterung der Perspektive, die sich seit einigen Jahren in der Erforschung der Lebens­ und Arbeitsbedingungen einzelner Schichten und Gruppen der Gesellschaft erkennen läßt. So wurde in Untersuchungen zur Geschichte der Arbeiter­ klasse der interessenanalytische Gesichtspunkt zunehmend ergänzt durch die Frage nach der sozialen und kulturellen Konstitution des Proletariats. 13 Damit rückten Probleme der sozialen Lebenswelt, der Werteinstellungen, des Lebensstils, der sozialen Kontakte in den Blickpunkt. Angesichts des gegenwärtigen Forschungsstandes ist es jedoch noch un­ möglich, diese Fragen in einer umfassenden, empirisch gesättigten Ge­ schichte des deutschen Bildungsbürgertums zu beantworten. Auch diese Arbeit kann zur näheren Erforschung solcher Problemkomplexe kaum mehr als erste Ansätze liefern: Es wird zwar versucht werden, möglichst viele Dimensionen der sozialen Lebenswelt der Ärzte einzubeziehen und ein möglichst dichtes Sozialprofil der Gruppe zu geben, aber Quellenlage und Forschungsstand sowie auch der gewählte Professionalisierungs-Ansatz bringen es mit sich, daß interessenanalytische Gesichtspunkte eindeutig im Vordergrund stehen. Im übrigen geht es nicht so sehr darum, bisher unbekannte D etails zur Geschichte der deutschen Ärzteschaft aufzudecken und noch nicht genutzte Quellen neu zu erschließen als vielmehr darum, vielfach schon bekannte Entwicklungen unter einem neuen Blickwinkel zu sehen. Damit ist zum einen gemeint, eine manchmal verabsolutierte Fortschritts­ perspektive ideologiekritisch aufzubrechen, indem auch die »sozialen Ko­ sten« des ärztlichen Professionalisierungsprozesses thematisiert werden; zum anderen ist beabsichtigt, die Geschichte der Ärzteschaft in übergreifen­ de gesellschaftliche Veränderungsprozesse des 19. Jahrhunderts einzubet­ ten. U m diese Ziele zu erreichen, bedarf es einer theoretischen Leitlinie, eines roten Fadens zur Strukturierung der empirischen D aten, wie er sich im Begriff der Professionalisierung anbietet. Allerdings ist dieser Begriff in einer Reihe von Theorien und Untersuchungen in höchst unterschiedlicher Weise verwendet worden, und weder über die Definition von Professionali­ sierung noch über die Kriterien, die einen Beruf zu einer »profession« machen, besteht in der sozialwissenschaftlichen D iskussion Konsens. D es­ halb sollen im folgenden ein knapper Abriß der Professionalisierungsfor­ schung gegeben, die hauptsächlich verwendeten Professionalisierungskrite­ rien erörtert und das der vorliegenden Arbeit zugrundegelegte Konzept von Professionalisierung skizziert werden.

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2. Professionalisierungstheorien War die angloamerikanische D iskussion über die »professions« in den 30er Jahren noch geprägt von dem Versuch, Stellung und Funktion der modernen Professionen innerhalb der Gesamtgesellschaft zu bestimmen, so verengte sich das Forschungsinteresse in den folgenden Jahrzehnten zunehmend auf Detailstudien zur Lage einzelner Professionen in der amerikanischen Gegen­ wartsgesellschaft. 14 Die soziologische Forschung konzentrierte sich im wesentlichen darauf, Merkmale und Kriterien zusammenzustellen - und diese in empirischen Untersuchungen zu testen -, die jeweils nur den »professions« eigen sein und diese von den anderen Berufen unterscheiden sollten.15 Dabei wurden die Privilegien und die herausgehobene Stellung der »professions« in der modernen Industriegesellschaft mehr oder weniger als gegeben hingenom­ men, die Rolle, die Macht und Einfluß in Professionalisierungsvorgängen spielen, nicht thematisiert. D ie Kriterien, die diese Forschung anbietet, um eine »profession« von einem Beruf abzugrenzen, reichen daher nicht aus, um einen für historische Untersuchungen brauchbaren Idealtypus »Profes­ sionalisierung« zu bilden. Das gilt auch für die funktionalistische Betrachtung der »professions«, die in der Soziologie der 60er Jahre immer größere Bedeutung gewann. Aus­ gangspunkt dieses Modells16 ist die Tatsache, daß aufgrund des komplexen, hochspezialisierten Fachwissens, das die Grundlage professioneller Berufs­ tätigkeit bildet, die Kontrolle der Leistung durch die Abnehmer schwerer zu bewerkstelligen ist als in anderen Berufen, daß andrerseits aber an einer Kontrolle der Leistungskompetenz der »professionals« ein erhöhtes gesell­ schaftliches Interesse besteht, da deren Tätigkeit für zentrale gesellschaftli­ che Werte (Gesundheit, Gerechtigkeit) von großer Relevanz ist. Die Lösung dieses Problems in der funktionalistischen Theorie besteht in der Annahme eines virtuellen »Vertrages« zwischen Gesellschaft und Berufsgruppe, wo­ nach die Berufsangehörigen sich selbst kontrollieren. In der Zusammenfas­ sung von D ietrich Rüschemeyer: »Individuell und kollektiv durch ihre Verbände sichern sie den Klienten und der Gesellschaft Fachkompetenz und Integrität zu und verweisen auf Ausbildung und sorgfältige Auswahl ihrer Mitglieder, auf formelle und informelle Beziehungen zwischen Kollegen, auf Berufskodizes und Ehrengerichte als Garanten der Selbstkontrolle. Im Gegenzug erwarten und erhalten sie das Vertrauen von Klienten und Gesell­ schaft, relative Freiheit von sozialer Kontrolle durch Laien, Schutz gegen unqualifizierten Wettbewerb und - last, not least - hohes Einkommen und ein entsprechendes gesellschaftliches Ansehen.«17 Die Kritik an diesem Modell ist vor allem von Johnson, Freidson und Rüschemeyer entwickelt und formuliert worden.18 Nur die wichtigsten Punkte seien hier kurz rekapituliert. D as Modell unterstellt, daß die profes­ sionelle Selbstkontrolle die einzig mögliche Lösung des Kontrollproblems 14 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

darstellt. Alternative Lösungsmöglichkeiten, etwa die Kontrolle der Lei­ stungskompetenz durch die Klienten oder durch staatliche Instanzen, wer­ den gar nicht in Betracht gezogen. D amit sitzt die Theorie dem Selbstver­ ständnis der »professions« auf, die dazu neigen, die Diskussion über jedwede Form der Frcmdkontrollc zu tabuisieren mit dem Hinweis, dem Laien fehle die nötige Fachkompetenz, um die Leistungen der Berufsangehörigen beur­ teilen zu können. Ebenso übernimmt das Modell die Professionsideologie von der sachlichen Notwendigkeit einer langdauernden Spezialausbildung und fragt nicht, ob und wieweit die Art der Ausbildung dazu dient, den Zugang zum Beruf zu erschweren und Einkommen und Ansehen der Be­ rufsangehörigen zu erhöhen. Wie in der Frage der Berufsausbildung, vernachlässigt das funktionalisti­ sche Modell auch in der Analyse des Verhältnisses der »professions« zur Gesamtgesellschaft die Rolle von Interessen, Macht und Einfluß. So gibt es für die implizite Annahme einer automatischen Rückkoppelung zwischen professionellen Privilegien wie Autonomie, Ansehen, hohem Einkommen einerseits, der Effizienz der Selbstkontrolle und der beruflichen Integrität andrerseits keinerlei empirische Belege. Vielmehr ist davon auszugehen, daß diese Privilegien in erster Linie »Ausdruck der Machtressourcen der jeweili­ gen Berufsgruppe«19 sind. Ferner überschätzt die funktionalistische Theorie den Grad der Rationali­ tät in der kollegialen Selbstkontrolle und bezieht intraprofessionelle D iffe­ renzierungslinien, Hierarchien und Konflikte nicht genügend in die Analyse mit ein. Schließlich geht das Modell davon aus, daß die Werte, auf die sich die Hochschätzung professioneller Tätigkeit gründet, von gleicher zentraler Relevanz für alle Schichten der Gesellschaft sind und daß daher die Gesell­ schaft als ganze daran interessiert ist, den Schutz solcher gesellschaftlichen Werte mit Belohnungen wie Status, Einkommen, Freiheit von Fremdkon­ trolle usw. zu honorieren. Diese Argumentation übersieht, daß die Konzep­ tion dessen, was gesellschaftlich wichtig und schützenswert ist, sozialkultu­ rellem Wandel unterliegt und nicht zuletzt von den »professions« selber beeinflußt und inhaltlich geprägt wird. Eng damit zusammen hängt ein letzter Kritikpunkt, daß nämlich das Ausmaß unterschlagen wird, in dem die Muster professioneller Orientie­ rung die spezifische Klassenlagc der freiberuflich Tätigen und die Zugehö­ rigkeit zu bestimmten Subkulturen, konkret der Mittelschicht mit den ihr eigenen Werten und Einstellungen, widerspiegeln. Aufgrund der hier knapp zusammengefaßten Kritik an der funktionalisti­ schen Theorie der »professions« hat sich die Forschung in den letztenjahren wieder stärker auf makrosoziologische und historische Fragen orientiert und dabei die privilegierte Stellung der »professions« in der modernen Gesell­ schaft einer kritischen Betrachtung unterzogen. Von den neueren Ansätzen zu einer Theorie der Professionen sollen zwei wichtige Arbeiten, Eliot Freidsons »Profession of Medicine« von 1970 und die 1977 erschienene 15 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Untersuchung von Magali Sarfatti-Larson »The Rise of Professionalism«, kurz vorgestellt werden. Freidson sieht als strategisch wichtigstes Kriterium für die Unterscheidung, ob ein Beruf eine Profession darstellt oder nicht, professionelle Autonomie, d.h. die Möglichkeit der »professional«, die Inhalte ihrer Berufsausübung selber festzulegen und sich dabei nicht von Außenstehenden kontrollieren zu lassen. Anders als die funktionalistische Theorie, die das Fehlen von Fremdkontrolle im Charakter des professionel­ len Wissens und im Berufsethos der »professional« begründet sah, betont Freidson aber, daß die Professionen ihre Autonomie der Protektion durch eine herrschende Elite und dem Schutz des Staates verdanken. D afür ist nicht unbedingt das gesicherte Fachwissen der »professional« von ausschlagge­ bender Bedeutung, sondern deren Möglichkeit, durch Beziehungen und Einfluß den Staat von der Nützlichkeit und Schutzwürdigkeit ihrer Arbeit zu überzeugen. Auf die besonderen historischen Bedingungen, unter denen die medizinische Profession diese staatlich garantierte, sie vor anderen Beru­ fen privilegierende Autonomie erringen konnte, geht Freidson allerdings nicht näher ein; sondern er beschäftigt sich hauptsächlich mit ihren Folgen, etwa für die berufliche Lage der medizinischen Paraprofessionen, wie Kran­ kenschwestern, untersucht, wieweit die Garantie der Leistungskompetenz und Integrität durch Kollegenkontrolle empirisch funktioniert, und plädiert in den Schlußkapiteln für eine Einschränkung des seiner Meinung nach weder moralisch noch funktional gerechtfertigten Maßes an professioneller Autonomie. U m so ausführlicher untersucht M. Sarfatti-Larson das Zustandekom­ men professionell privilegierter Stellung im Zusammenhang mit der histori­ schen Entwicklung industriekapitalistischer Strukturen. D abei macht sie den Faktor, der für Freidson eher ein Nebenprodukt professioneller Autono­ mie ist, nämlich die Monopolstellung der Profession auf dem Markt für ihre Produkte, zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. D anach ist der Profes­ sionalisierungsprozeß einer Berufsgruppe, das »professional project«, ge­ kennzeichnet durch den Versuch, die Absatzchancen auf dem Markt für professionelle D ienstleistungen zu erweitern und Marktmacht zu etablieren. Das setzt zunächst einmal eine klare D efinition des zu verkaufenden »Pro­ dukts« und seine Abgrenzung von konkurrierenden Produkten voraus. D a das »Produkt« der Professionsangehörigen eine Dienstleistung ist, als solche also personengebunden, kann seine Standardisierung nur über eine »Stan­ dardisierung der Produzenten« erfolgen, die wiederum die Institutionalisie­ rung einer standardisierten Ausbildung erforderlich macht. D er D urchset­ zung einheitlicher Ausbildungsanforderungen kommt daher eine entschei­ dende Bedeutung zu, wenngleich diese noch nicht hinreichend ist; der Erfolg des »professional projeet« hängt zunächst von der Struktur des Marktes und damit von der Sozialstruktur der Gesellschaft ab, die den Bedarf nach professionellen D ienstleistungen determiniert. D as Bevölke­ rungswachstum, insbesondere das Wachstum der Mittelschichten, politi16 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

sche Revolutionen, verbesserte Verkehrs- und Kommunikationsmöglich­ keiten bieten den »professional« neue, in der traditionalen Gesellschaft nicht vorhandene Möglichkeiten, durch Verkauf ihrer »Ware« ihren Le­ bensunterhalt zu verdienen. D iese neuen Chancen müssen aber von den Professionen oder Teilen von ihnen, i. d. R. den »lower branches«, die an den alten korporativen Privilegien keinen Anteil hatten, durch Weckung und Intensivierung der Nachfrage erst realisiert werden. Die erweiterten Märkte versuchen die »Professionals« dann für sich zu monopolisieren, was nur mit Hilfe staatlichen Schutzes möglich ist. Weil sie im 19. Jahrhundert noch nicht auf Expertentum und anderen Anbie­ tern qualitativ überlegenes Wissen als Basis für die Legitimierung ihrer monopolistischen Ziele verweisen können, greifen sie auf ideologische Strukturen zurück, die sie von der alten traditionalen Ordnung haben, etwa die besondere Verpflichtung auf das öffentliche Wohl. Wie schon Freidson, so unterstreicht auch Sarfatti-Larson die Bedeu­ tung staatlicher Rückendeckung und betont den Stellenwert von Einfluß und sozialem Kredit für die Erlangung staatlichen Schutzes, ohne den die »professionals« ihre Ziele, professionelle Autonomie und Monopol auf dem jeweiligen Markt ihrer D ienstleistungen, nicht durchsetzen könnten. Sehr deutlich wird bei Sarfatti-Larson, daß Professionalisierung ein an konkrete historische Bedingungen geknüpfter, insbesondere mit Industrialisierung und Verallgemeinerung von Marktstrukturen verbun­ dener Prozeß ist, den bestimmte, schon in der vorindustriellen Gesell­ schaft existierende und einige neu entstehende Berufe während des 19. und teilweise des 20. Jahrhunderts durchliefen, und nicht eine außerhalb von Zeit und Raum stehende Entwicklung, die von beliebigen Berufs­ gruppen unter beliebigen Umständen zur Erhöhung des Status der Be­ rufsangehörigen in Gang gesetzt werden kann. Die vorliegende Arbeit knüpft in ihrer theoretischen Fundierung eng an die Untersuchungen von Sarfatti-Larson und Freidson an und ver­ steht demzufolge Professionalisierung als einen Vorgang, der sich in al­ len während des 19. Jahrhunderts industrialisierenden Ländern feststellen läßt und auf einer hohen Abstraktionsebene folgende Merkmale auf­ weist: 1. D ie Erweiterung des Marktes für die jeweiligen professionellen Dienstleistungen, und zwar sowohl durch Ausweitung der Nachfrage als auch durch Verdrängung anderer Anbieter vom Markt; monopolistische Ansprüche auf die erweiterten Märkte, für deren Realisierung die Profes­ sion staatliche Unterstützung und Garantien braucht. 2. D ie Entwicklung standardisierter wissenschaftlicher Ausbildung und dadurch klare Außenabgrenzung und soziale D istanzierung der »Professionals«. 3. D ie Maximierung beruflicher Autonomie - hauptsächlich durch Be­ rufung auf spezialisiertes Expertenwissen -, also die D urchsetzung 17 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

größtmöglicher Freiheit von Fremdkontrolle durch Laien, sei es nun seitens des Staates oder seitens der Abnehmer der Leistungen, der Klienten. Während sich diese drei eng miteinander verflochtenen D imensionen historischer Professionalisierungsprozesse mehr oder weniger deutlich in allen modernen Industriegesellschaften finden lassen, ergeben sich bei ge­ nauerem Hinsehen vor allem im Verlauf und hinsichtlich der Antriebskräfte der jeweiligen Professionalisierungsvorgänge bedeutsame Unterschiede, welche die Untersuchung ihrer konkreten Ausprägungen in verschiedenen Berufen und unter unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingun­ gen notwendig und lohnend erscheinen lassen. D ie durch andere historische Bedingungen entstehenden Abweichungen vom Modell werden besonders augenfällig beim Vergleich der Entwicklung in England und den USA einer­ und in Kontinentaleuropa andrerseits. Gerade auf die deutsche Entwicklung lassen sich die besprochenen Professionalisierungsmodelle nur unter Modi­ fikationen anwenden. D ie Unterschiede betreffen v. a. die Rolle des Staates und, daraus folgend, die Funktionen der Berufsverbände. In Preußen wie auch in den anderen deutschen Staaten fand schon vor der Modernisierung des traditionellen Arztberufs die Ausbildung der Ärzte in vom Staat kontrol­ lierten und finanzierten Institutionen statt. Ebenso fiel die Prüfung und damit die Zulassung zur Berufsgruppe in die Kompetenz staatlicher Organe, und die Ärzte konnten höchstens indirekt darauf Einfluß ausüben. D ie deutschen Ärzte waren daher viel enger mit dem Staat verbunden als ihre englischen oder amerikanischen Kollegen. Eine entsprechend geringere Rolle spielten in D eutschland die berufsständischen Organisationen. D ie deutschen Ärztevereine beschränkten sich lange Zeit vorwiegend auf geselli­ ge und wissenschaftliche Zwecke; der Kampf für die wirtschaftlichen Inter­ essen ihrer Mitglieder erlangte erst spät zentrale Bedeutung, und die Kon­ trolle über den Inhalt der Ausbildung und die Zulassung zum Beruf errangen sie nie in der Ausschließlichkeit, wie es in England und vor allem in den USA der Fall war. Es ist daher auch kein Zufall, daß die bislang erörterte Literatur zur Professionalisierungsfrage ausnahmslos im anglo-amerikanischen Raum angesiedelt ist und ihr empirisches Material aus der englischen oder amerika­ nischen Entwicklung der »professions« bezieht, ebensowenig wie es ein Zufall ist, daß es im D eutschen für die englische Bezeichnung »profession« keine adäquate, allgemein gebräuchliche Übersetzung gibt: »Expertenbe­ ruf«, »freier« oder »akademischer Beruf« spiegeln jeweils nur Aspekte des komplexeren Begriffs »profession« wider. Vielleicht wegen der Abweichungen vom an den anglo-amerikanischen Verhältnissen gewonnenen Professionalisierungs-Modell fehlt es hierzulan­ de bisher an fundierten historischen Untersuchungen über Professionalisie­ rungsprozesse im 19. und frühen 20. Jahrhundert. 20 An diesem Mangel scheint es mir u. a. zu liegen, wenn sich in soziologischen Beiträgen zur Lage der Professionen in D eutschland häufig Fehleinschätzungen ihrer histori18 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

schen Entwicklung finden. So unterscheidet Albert Mok in seinem Aufsatz »Alte und neue Professionen« 21 zwei Professionalisierungsprozesse: einen ersten, der zur Herausbildung der traditionellen akademischen Berufe, der Ärzte, Hochschullehrer, Richter und Rechtsanwälte geführt hat, und einen zweiten, der einherging mit der Verwissenschaftlichung der Arbeit seit der Industriellen Revolution. Typische »neue« Professionen dieses zweiten Pro­ fessionalisierungsprozcsses sind Chemiker, Techniker, Ingenieure. Sie sind wissenschaftlich und nicht klientenorientiert; Kompetenz im Sinne von Wissensbeherrschung hat für sie Vorrang vor Integrität im Sinne von Ver­ haltensbeherrschung; die typische Arbeitsorganisation ist das Team inner­ halb einer bürokratischen Organisation. Angehörige der »alten« Professio­ nen dagegen arbeiten typisch allein und erbringen D ienstleistungen für eine Laienklientel; Integrität geht ihnen vor Kompetenz; ihre Wertorientierung ist an Werten wie Autonomie, Selbständigkeit, Solidarität ausgerichtet. Dadurch daß Mok die Herausbildung der »alten« Professionen mit dem Säkularisierungsprozeß, innerhalb dessen sie sich von der Oberaufsicht der Kirche lösten, ineinssetzt und diesen ersten Professionalisicrungsprozeß »zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert« ansiedelt, und zwar ausdrücklich vor der Industrialisierung, während der zweite Professionalisierungsprozeß »seit Beginn der Industriellen Revolution« datiert wird, gerät ihm der Wandel, den die »alten« Professionen im 19. und frühen 20. Jahrhundert im Kontext der Entstehung von Industriegesellschaften durchlaufen haben, völlig aus dem Blick. D as traditionelle Professionsmodell wie auch das moderne bleiben in sich jeweils statisch. In ähnlicher Weise spricht Schluch­ ter von der »alten, personalen Profession« der Medizin, der er eine »klassi­ sche« Arzt-Patienten-Bezichung zuordnet, gekennzeichnet durch Freiwil­ ligkeit, Vertrauen des Patienten in die Kompetenz des Arztes, Behandlung des Patienten als psychosomatische Einheit durch den Arzt. 22 D ieses Ver­ hältnis zwischen Arzt und Patient sieht er gefährdet durch zunehmende Spezialisierung und Technisierung, sowie durch Bürokratisierung in Großkrankenhäusern, wobei diese Entwicklungen aber ausdrücklich erst in der Nachkriegszeit angesiedelt werden. Mit dieser Sicht wird im wesentli­ chen der Blickwinkel, unter dem die Professionsangehörigen sich selber sehen, übernommen. D aß sich die »klassische« Arzt-Patient-Beziehung erst im 19. Jahrhundert entwickelte und überdies nur einen kleinen Teil der Patienten erfaßte - für die Masse der im Zuge der Markterweiterung zwangsweise mit der professionellen Medizin in Berührung gebrachten Patienten galten die Kriterien »Freiwilligkeit« und »Vertrauen« jedenfalls nicht unbedingt -, diese D ifferenzierungen werden der idealtypischen Ge­ genüberstellung der alten »personalen« und der technisierten, bürokratisier­ ten, »seelenlosen« Medizin der neuesten Zeit geopfert. Gerade um die in soziologischen Untersuchungen 23 häufig übersehenen Wandlungsprozesse, denen die Ärzteschaft und damit auch das Arzt-Patient­ Verhältnis im Zusammenhang mit den Modernisierungsprozessen des 19 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

19. Jahrhunderts unterlag, geht es in der vorliegenden Arbeit. Sie wird zu zeigen suchen, daß eine scharfe Trennungslinie24 zu ziehen ist zwischen der vormodernen Ärzteschaft des 18. und frühen 19. Jahrhunderts und dem modernen Expertenberuf, wie er den Professionalisierungstheorien als Ziel­ vorstellung zugrundeliegt. Noch um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhun­ dert beruhte die gesellschaftliche Position der Professionsangehörigen auf ganz anderen Grundlagen als die heutiger »professional«, wie im folgenden Kapitel zu zeigen sein wird. Weder verfügten die Ärzte über die professionel­ le Autonomie des Experten gegenüber ihren Patienten, noch hatte die Aus­ bildung vorwiegend die Funktion, Expertenwissen zu vermitteln. Zudem war der Markt für ärztliche D ienstleistungen außerordentlich beschränkt, und die gelehrten Ärzte hatten keineswegs ein Monopol auf diesem Markt. Die Attribute des modernen Expertenberufs - professionelle Autonomie, wissenschaftliche Expertenausbildung und tendenzielles Monopol auf ei­ nem ausgedehnten Markt - entwickelten sich erst langsam im Laufe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Der hier gewählte Ansatz mit seinen drei Dimensionen erlaubt nicht nur, den grundlegenden Wandel vom vormodernen Bildungsberuf zur moder­ nen »profession« in den Blick zu bekommen, sondern er ist gleichzeitig auch flexibel genug, die nur im konkreten historischen Prozeß auffindbaren besonderen Bedingungen dieses Wandels hervortreten zu lassen. Zu diesen besonderen preußisch-deutschen Bedingungen gehört etwa die Rolle, wel­ che die Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung 1883 sowohl für die Expansion der Nachfrage nach medizinischen Leistungen spielte wie auch als Gefährdung des Ziels professioneller Autonomie durch die eigen­ tümlichen Kontrollmechanismen, denen sie die Ärzte unterwarf. Ferner gehören zu diesen Bedingungen die zentrale Funktion des Staats in der Ausbildung der Ärzte und das Weiterwirken ständischer Traditionen, das die Ziele der ärztlichen Berufsorganisationen deutlich prägte, insbesondere ablesbar an der Haltung der Ärzte zur Gewerbeordnung und an der Forde­ rung nach staatlich anerkannten Ehrengerichten. Insgesamt geht es bei der Analyse der Triebkräfte des ärztlichen Professio­ nalisierungsprozesses in Preußen-Deutschland vor allem um folgende drei Faktoren: 1. die spezifischen Interessen und Aktivitäten des Staates, die diesen Pro­ zeß vorantrieben und ihm eine besondere Ausprägung gaben; 2. die Strategien und Ressourcen der sich professionalisierenden Berufs­ gruppc, die nicht nur Subjekt des Professionalisierungsprozesses war, son­ dern in vielerlei Hinsicht - vielleicht stärker als in den angelsächsischen Ländern - auch Objekt, von übergeordneten gesellschaftlichen Entwicklun­ gen und staatlichem Handeln profitierend; 3. die Funktion der wissenschaftlichen Entwicklung, speziell des medizi­ nischen Fortschritts. Wenn auch die Rolle wissenschaftlicher Expertise gera­ de in der lange vorherrschenden funktionalistischen Professions-Theorie 20 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

überzeichnet wurde, so ist das Expertenwissen als Grundlage professioneller Berufsausübung doch keineswegs ohne Bedeutung. D iese, wenn auch be­ grenzte Bedeutung etwa für die D urchsetzung professioneller Autonomie im Arzt-Patient-Verhältnis oder für den Wandel in Selbstverständnis und Fremdeinschätzung der Ärzteschaft wird herausgearbeitet werden. Die Gliederung der Arbeit nimmt nicht direkt die herausgearbeiteten drei Dimensionen historischer Professionalisierungsprozesse auf- Ausdehnung des Marktes, Standardisierung wissenschaftlicher Ausbildung, Maximie­ rung beruflicher Autonomie -, sondern es werden - nach einem allgemei­ nen Kapitel, das die Ausgangslage zu Beginn des 19. Jahrhunderts und die Herausbildung einer einheitlich vorgebildeten Ärzteschaft untersucht - ein­ zelne Felder der Geschichte der Ärzte im 19. Jahrhundert analysiert. Zu­ nächst werden Herkunft und Ausbildung untersucht, wobei der Wandel der Ausbildung im Hinblick auf Verwissenschaftlichung und Standardisierung im Mittelpunkt steht. Es folgt ein Kapitel über das ärztliche Berufsleben, in dem es sowohl um die Ausdehnung des Marktes für ärztliche Dienstleistun­ gen als auch um Fragen der beruflichen Autonomie geht. Während in diesen beiden Kapiteln die Ärzteschaft als ganze behandelt wird, zeigt Kapitel V Differenzierungen - und auch Interessenkonflikte - zwischen verschiedenen Ärztegruppen auf, konkret zwischen Medizinalbeamten auf der einen, nie­ dergelassenen praktischen Ärzten auf der anderen Seite, zwischen Spezial­ ärzten einer- und Allgemeinpraktikern andrerseits. Weitere D ifferenzierung in die Ärzteschaft, nämlich die Unterscheidung in Kassenärzte und Nicht­ Kassenärzte, brachte das Krankenversicherungsgesetz von 1883, das in sei­ nen Auswirkungen auf Lage, Organisationsverhalten und Kohärenz der Ärzteschaft kaum überschätzt werden kann und dem daher ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Den Abschluß bildet die Untersuchung der ärztlichen Berufsorganisationen, die wesentlichen Anteil an der D urchsetzung der professionellen Ziele der Ärzte hatten. Die Untersuchung bezieht sich für die Zeit vor 1870 auf Preußen als den größten deutschen Einzelstaat; für die Zeit des Kaiserreichs bildet teilweise Preußen die Bezugsgröße - etwa bei der Untersuchung der Aufgaben des Kreisphysikus, der Ärztekammern und des Ehrengerichtsgesetzes -, teil­ weise ist die Untersuchung in diesem Zeitraum auch auf das ganze Deutsche Reich bezogen. Das gilt für die Ausbildungsreformen - die Medizinerausbil­ dung war nach 1871 reichseinheitlich geregelt -, für die Kassenarztfrage, da auch die Krankenversicherung ein Reichsgesetz war und ihre Auswirkungen sich nicht nur auf die preußischen Ärzte bezogen, sowie für große Teile des ärztlichen Organisationswesens, vor allem den Ärztevereinsbund und den Leipziger Verband (Hartmannbund).

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KAPITEL II

Vom »Medicus purus« zum Allgemeinpraktiker: Die Herausbildung einer einheitlich vorgebildeten akademischen Ärzteschaft in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts 1. D ie traditionelle Struktur des Gesundheitswesens in der ständischen Gesellschaft Preußens Wie in den anderen europäischen Staaten auch, war das wesentliche Merk­ mal der vorindustriellen Ärzteschaft in Deutschland ihre Segmentierung in verschiedene Subgruppen, die sich hinsichtlich ihrer Herkunft, Vorbildung und Ausbildung, ihres Status und des Zugangs zu je unterschiedlichen Klientengruppen scharf voneinander unterschieden. Auf der einen Seite gab es die kleine Gruppe der gelehrten Ärzte, die an der medizinischen Fakultät einer Universität ein Studium absolviert hatten, auf der anderen Seite stan­ den die Chirurgen, die Wundärzte verschiedener Grade, die Bader und Barbiere, die bestenfalls eine »handwerkliche« Ausbildung genossen hatten. a) D ie gelehrten Ärzte Ein Bild der gelehrten Ärzte zu zeichnen ist unmöglich, ohne gleichzeitig einen Blick auf den Zustand der wissenschaftlichen Medizin im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu werfen. Trotz fortschreitender Erkenntnisse im Bereich der Anatomie, der Physiologie und der Pathologie stand die gelehrte Medizin den meisten Krankheiten hilflos gegenüber.1 Zu einem großen Teil konnten die Ärzte die Leiden, die sie behandeln wollten, nicht einmal diagnostizieren. Sie beschränkten sich in der Regel darauf, das kör­ perliche Befinden des Patienten durch Befragen und durch eigene Beobach­ tung, nicht aber durch physische Untersuchung festzustellen.2 Wichtigstes diagnostisches Hilfsmittel war die Pulsmessung.3 Physikalische Untersu­ chungsinstrumente, wie etwa das Stethoskop, das 1819 in Frankreich ent­ wickelt wurde, waren in D eutschland bis in die 40er Jahre hinein nicht gebräuchlich.4 D ie Diagnose und Behandlung »äußerer Leiden«, also Ver­ letzungen, Brüche, Verrenkungen etc. fiel ohnehin nicht in den Kompetenz22

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bereich der gelehrten Mediziner. Diese beschränkten als »medici puri« in der Regel ihre Tätigkeit darauf, »innere Leiden« durch Verordnung von Medi­ kamenten zu bekämpfen. Die wichtigsten und am häufigsten verabreichten Arzneien waren Ader­ lässe, Brech- und Abführmittel. Zwar wurde gerade gegen Ende des 18. und in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine Reihe wirksamer phar­ mazeutischer Substanzen entdeckt, etwa 1785 die Digitalis als Herzmittel, 1811 das Jod, und 1820 wurde aus der schon seit dem 17. Jahrhundert gegen Fieber verwendeten Chinarinde erstmals das Chinin isoliert. D och war man sich über die spezifische Wirkungsweise dieser Mittel lange im unklaren; sie wurden in einer Vielzahl von Fällen angewendet, in denen sie bestenfalls wirkungslos blieben, oft aber eher schädliche Wirkungen hervorriefen.5 Ähnlich war es mit den meisten anderen bekannten pharmazeutischen Sub­ stanzen. Therapeutische Erfolge waren deswegen in höchstem Maße unge­ wiß und zufällig. Wenn trotzdem viele der alten Ärzte in der Krankenbe­ handlung durchaus geschickt und erfolgreich waren, verdankten sie das eher einem injahrelanger, oft jahrzehntelanger Praxis erworbenen Fingerspitzen­ gefühl und ihrer Erfahrung, nicht jedoch einer »wissenschaftlich« fundierten Kompetenz. Die herrschende allgemeine Unsicherheit über die jeweils angemessene Behandlung drückte sich einerseits in der raschen Aufeinanderfolge ver­ schiedener Therapieformen aus, die für wenige Jahre jeweils zu einer Art Mode und dann bei fast allen Krankheiten angewendet wurden, andrerseits in der Anwendung verschiedenster, oft gegensätzlicher Kuren bei ein und derselben Krankheit. 1850 urteilte der Physiologe Karl Wunderlich in seiner Leipziger Antrittsrede über die gerade zu Ende gegangene erstejahrhundert­ hälfte: »Die Therapie hat am Wendepunkt unseres Jahrhunderts große Revo­ lutionen durchgemacht. Kaum waren noch Brech- und Purgiermittel in voller Geltung, so kamen mit der Brownschen Lehre die stärksten Reizmit­ tel an die Reihe. Ihre Herrschaft hatte noch nicht ein halbes Menschenalter gedauert, so wurden sie wie die ersteren als eminent schädliche Substanzen verurteilt und nur milde Tisancn, Schleime gereicht, dafür aber Blut in Menge gelassen. Wiederum einige Jahre, und Mittel, die man eben noch kaum in kleinster Dosis zu reichen sich erlaubte, wurden in einer zuvor für giftig gehaltenen Gabe verwandt. «6 Über die Behandlung einer häufig tödlich endenden Infektionskrankheit, des Typhus, äußerte sich 1843 ein Arzt wie folgt: »Ja, man kann sagen, jeder Arzt hat seine eigene Curmethode des Typhus; während der eine sein Heil in der Antiphlogose sucht, glaubt es der andere in den kräftigsten Excitantien zu finden und scheut wie eine Todsünde jeden Tropfen Blutes, der dritte verfährt exspeetativ, läßt die Natur walten, und spielt den bescheidenen minister naturae. D er vierte hingegen ist versichert, daß er nur durch ein entschiedenes, eingreifendes Verfahren als magister naturae dem Kranken Heil bringen könne, und die Erfahrung lehrt, daß bei allen diesen contradic23 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

torischen Heilverfahren cm - größerer oder kleinerer - Theil der Kranken stirbt, während der andere genest. «7 Dieser Mangel an gesicherten Erkenntnissen, die eine fachliche Überle­ genheit der studierten Ärzte hätten begründen können, hatte Auswirkungen auf ihre berufliche Praxis, konkret auf das Verhältnis zu ihren Patienten, die in der Regel der begüterten gesellschaftlichen Oberschicht angehörten -nur um diese Gruppe von Patienten geht es jedenfalls auf den folgenden Seiten. Das Vertrauen der meisten Menschen auf die ärztliche Kunst und das Vermögen der Ärzte, ihre Gesundheit wiederherzustellen, scheint im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert nicht sehr ausgeprägt gewesen zu sein. Jedenfalls mußten die Ärzte ständig befürchten, in der Behandlung eines Kranken entweder von einem anderen Arzt oder gar einem Laienheiler abgelöst zu werden. Im Hinzuziehen mehrerer Ärzte, einer Sitte, die »zumal in den höheren Ständen« verbreitet war, 8 sah der zuerst behandelnde Arzt, wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht, gewöhnlich einen Beweis des Mißtrauens seinem ärztlichen Können gegenüber. Konsultationen mit anderen Ärzten am Kran­ kenbett waren daher bei der Ärzteschaft im allgemeinen wenig beliebt.9 Ein weiterer Grund dafür war der Umstand, daß eine Konsultation häufig Meinungsverschiedenheiten über die richtige Behandlung des Kranken zu­ tage förderte und so dem Urteil der Öffentlichkeit über die »bekannte Streitsucht der Ärzte« neue Nahrung gab. 10 Der Patient konnte gewisser­ maßen die Ärzte am Krankenbett gegeneinander ausspielen und damit einen Zustand perpetuicren, in dem professionelle Autonomie - definiert durch ausschließlich auf Fachkompetenz beruhende kollegiale Kontrolle - sich nicht entfalten konnte. Daß sich in der verbreiteten Gepflogenheit, Kranke von mehreren Ärzten gleichzeitig behandeln zu lassen, zwar Vorbehalte gegenüber dem Können des einzelnen Arztes, aber doch ein gewisses Vertrauen auf die von den akademischen Ärzten vertretene medizinische Wissenschaft ausgedrückt habe, erscheint wenig wahrscheinlich: eher ist darin eine Art Ritual zu sehen, mit Hilfe dessen die Angehörigen eines Kranken - angesichts der Ohnmacht sowohl der wissenschaftlichen als auch der Volksmedizin gegenüber der Mehrzahl der Krankheiten - sich selber versichern konnten, nichts unver­ sucht gelassen zu haben, was dem Kranken eventuell hätte Rettung bringen können. Darauf daß es sich bei Konsultationen am Krankenbett eher um eine soziale Konvention als um einen für die Wiederherstellung des Patienten wirklich zweckdienlichen Schritt handelte, deutet auch der sarkastische Hinweis des späteren Hannoveraner Hofrates und Obermedizinalrates Jo­ hann Stieglitz hin, die Angehörigen zögen möglichst früh einen der Ärzte heran, »deren Gegenwart zu jedem rechtmäßigen Tode eines nur etwas bedeutenden Menschen in der Gegenwart erfordert wird«.11 In dieselbe Richtung weist auch die Tatsache, daß Ärzte nicht nur Kolle­ gen neben sich tolerieren mußten, sondern ihnen die Gunst ihrer Patienten 24 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

ebenso gut von Laienheilern streitig gemacht werden konnte. »Ein Schäfer, ein Barbiergeselle, eine abgelebte Hebamme, ein Urinbescher und ähnliche Menschen haben sich . . . sehr oft bei manchen Layen einen bedeutenden Kredit erworben und erhalten in vielen Fällen den Vorzug vor dem einsichts­ vollsten Heilkünstler«, klagte ein Mediziner 1806. 12 Spektakuläre Kuren sog. »Wunderdoktoren« zogen nicht nur arme Leute, sondern auch das reiche und gebildete Publikum in Scharen an. 13 Die ständige Gefahr, von nicht-professionellen Heilem ausgestochen zu werden, ist vielleicht das deutlichste Indiz für das Fehlen einer ausgeprägten professionellen Autorität, wenn auch keineswegs das einzige. D aß die für die moderne Profession charakteristische D istanz von Experten und Laien kaum gegeben war, zeigt sich auch im konkreten Verhalten des Kranken und seiner Angehörigen dem Arzt gegenüber. »Nichts kann mehr kränken, als wenn der Kranke dem Arzt . . . seine besten Pläne durchkreuzt, zernichtet, seine Ratschläge halb oder gar nicht befolgt, die gegebenen Arzneyen nicht nimmt, mit dem Arzte über die Verordnungen disputiert und ihn wol gar belügt . . ,.« 1 4 Schon die übliche Situation, daß im Krankenzimmer eine große Anzahl von dem Patienten nahestehenden Personen versammelt war, 1 5 die alle die Behandlungsweise des Arztes kommentieren zu können glaubten, war der Ausbildung einer ärztlichen Autorität im höchsten Maße hinderlich. In dieser Lage blieb den Ärzten gar nichts anderes übrig, als in therapeuti­ scher Hinsicht Zugeständnisse zu machen: »Über ein vorgeschlagenes Mit­ tel, über eine Verordnung disputieren zu müssen, ist allerdings beschwerlich für den Arzt, indessen, wenn es der Kranke selbst oder dessen Verwandte thun, so ist billig, daß der Arzt den Nuzen des gegebenen Rathes darthue, und wenn es immer die Umstände erlauben, daß die Ausführung noch verschoben werde, daß die Verordnung modificiert werde und dgl., so ist der Arzt diese Gefälligkeit dem Kranken schuldig, und er muß keinen Anstand nehmen, durch geschickte Substitution anderer, gleichfalls zum Zweck führender D inge, vielleicht oft nur durch Abänderung der Form eines Medicaments die Verordnung annehmlich zu machen. « 16 War auf der einen Seite solche Rücksichtnahme auf die Wünsche und Eigenheiten der Patienten ein Gebot ärztlicher D iplomatie, versuchten die Ärzte andrerseits, in einschlägigen Publikationen die Einflußnahme von Laien auf ihr ärztliches Handeln, die ihnen derartige Zugeständnisse abnö­ tigte, zurückzudrängen. D em diente in erster Linie der nachdrückliche Hinweis auf die Komplexität der Materie und die Vielfalt der Krankheitsfor­ men, die nur der Arzt aufgrund seines gelehrten Studiums zu durchdringen in der Lage sei. D er Laie könne weder beurteilen, ob es sich bei auftretenden Krankheitssymptomen um eine leichte, schnell vorübergehende Erkran­ kung handele oder ob diese Anzeichen einer gefährlichen, schweren Krank­ heit seien, noch könne er sich ein Urteil über die Maßnahmen und den Heilplan des Arztes erlauben. 17 Besonderes Gewicht legten die akademi25 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

schen Ärzte stets auf die Feststellung, daß Erfolg oder Mißerfolg der Be­ handlung nichts über die Tüchtigkeit und das Können des Arztes aussage. »Gesundheit, Fortdauer und Verschlimmerung der Krankheit oder der Tod zeugen in einzelnen Fällen so wenig für als wider das Angemessene der Rathschläge«, postulierte Stieglitz, 18 und ganz in dem gleichen Sinne ließ sich der Breslauer Arzt Samuel Breinersdorf vernehmen, wenn er Laien die Möglichkeit absprach, »den Heilkünstler nach dem Eintreffen oder Nicht­ eintreffen seiner Prognose zu beurtheilen und die eigentliche Behandlung der Krankheit hiernach zu ermessen«. 19 Diese Abkoppelung der konkreten Ergebnisse ärztlichen Handelns von dem Urteil über die ärztliche Kompetenz lag aus naheliegenden Gründen im ureigenen Interesse der akademischen Arzte. D a sie häufig erst dann zu einem Kranken gerufen wurden, wenn sein Zustand schon sehr ernst oder gar hoffnungslos war, vermochten sie mit ihrer ärztlichen Kunst, deren Überlegenheit über ein empirisch fundiertes Laienwissen man in dieser Zeit ohnehin stark bezweifeln muß, einen letalen Verlauf der Krankheit in vielen Fällen nicht zu verhindern. Ein Vergleich der Erfolgsbilanz eines akademi­ schen Arztes mit der eines nichtapprobierten Heilkundigen konnte mithin sehr leicht zuungunsten des ersteren ausfallen. D as Interesse der Ärzte, ihre Berufstätigkeit nicht am Erfolg messen zu lassen, ist daher nur allzu ver­ ständlich. Die zahlreichen Traktate und Schriften von Medizinern, die dem Arzt die Rolle des alleinigen Experten am Krankenbett zuweisen sollten, lassen sich jedoch ebensogut als Beweise für den fortdauernden Einfluß von Laien in der Krankenbehandlung lesen. Immer wieder ist da von »anmaßenden«, »unkundigen«, »vorurtheilsvollen« Menschen die Rede, die »in ihrem D ün­ kel . . . vom Arzte Rechenschaft (fordern) über jeden Schritt, und, ob sie gleich von allen gegebenen Erklärungen gar nichts verstehen, . . . sich dennoch berechtigt (glauben), Einwendungen und Gegenvorschläge ma­ chen zu können«. 2 0 Mit besonderer Polemik wandten sich die Ärzte, wie kürzlich Ute Frevert in einer detaillierten Studie herausgearbeitet hat, 21 in ihrer Laienschelte gegen Frauen, seien es nun »alte Matronen«, »abgelebte Hebammen«, »eine alte Base oder Kinderfrau«, oder sonstige »Weibsbil­ der«. D as Terrain, das die Ärzte für sich okkupieren wollten, war traditionell weitgehend von Frauen besetzt. Ihnen kam die entscheidende Kompetenz in der Gesundheitspflege und Krankenheilung im Rahmen der Familie zu. Durch die Erfahrung von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett schie­ nen sie eine Art von natürlicher Autorität in allen den Körper betreffenden Fragen innezuhaben. Zudem waren sie für die Aufzucht der von Krankheits­ risiken besonders betroffenen Säuglinge und Kinder verantwortlich. Frauen fühlten sich daher unter den Angehörigen eines Kranken am ehesten in der Lage, Arzneimittel und Behandlungsweise des Arztes einer kritischen Beur­ teilung zu unterziehen; sie widersetzten sich am häufigsten den ärztlichen Ratschlägen; sie hielten am hartnäckigsten, auch gegen den Widerstand des 26 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Arztes, an ihren eigenen erprobten Hausmitteln fest. Es ist daher wenig erstaunlich, wenn den Ärzten, die ihren Kompetenzbereich am Krankenbett zu erweitern versuchten, das Verhalten von Frauen besonders suspekt war. Die nicht endenden Klagen von Ärzten über den mangelnden Respekt der Laien, insbesondere der Frauen, vor ihrer professionellen Tätigkeit zeigen deutlich, daß »Gehorsam« der Patienten und pünktliche Befolgung der ärztlichen Anordnungen in der Mehrzahl der Fälle ein ärztlicher Wunsch­ traum blieben. Außer dem niedrigen Stand des medizinischen Wissens stand ein zweiter Faktor der Ausbildung ärztlicher Autorität hinderlich im Wege: Das war die enge Begrenztheit der Nachfrage nach medizinischen Leistungen. Abgese­ hen von traditionalen Einstellungen zu Gesundheit und Krankheit, die noch näher zu beschreiben sind, waren hierfür ganz triviale Gründe verantwort­ lich: Für den größten Teil der ländlichen Bevölkerung war ein akademisch ausgebildeter Arzt im Notfall gar nicht erreichbar, denn promovierte Ärzte praktizierten fast ausschließlich in den Städten. Wenn auch die Ärzte in kleineren Städten teilweise die ländliche Bevölkerung mitversorgten, so war diese doch gegenüber den städtischen Einwohnern wegen der erheblich weiteren Entfernungen zum nächsten Arzt benachteiligt- ein Umstand, der durch die im allgemeinen schlechten Wegeverhältnisse noch verschärft wur­ de und zudem die Arztkosten in die Höhe trieb. Aber auch in den Städten konnte es sich der größere Teil der Bevölkerung aus Geldmangel kaum leisten, die Hilfe eines akademischen Arztes in An­ spruch zu nehmen. D er erste Besuch eines Arztes kostete nach der preußi­ schen Medizinaltaxe von 1725 einen Taler, bei ansteckenden Krankheiten sogar zwei. 2 2 Auch die Medizinaltaxe von 1815, die für jede ärztliche Lei­ stung ein Minimal- und ein Maximalhonorar festlegte, sah für den ersten Besuch einen Mindestsatz von 16 Groschen vor, und wenn der Kranke mehr als zwei Kilometer von der Stadt entfernt wohnte, einen Taler. 23 Bedenkt man, daß im 18. Jahrhundert der Tagelohn eines Arbeiters etwa 3 bis 6 Groschen betrug, ein Knecht wöchentlich 8 bis 9 Groschen und eine Köchin 4 bis 5 Groschen verdiente, 24 wird klar, daß die gelehrten Ärzte ihre Dienste nur der begüterten gesellschaftlichen Oberschicht anboten. D ie Folge davon war, daß der Arzt im sozialen Status typischerweise unterhalb eines großen Teils seiner Klienten stand und sich weitgehend nach den Wünschen und Launen seiner ebenso selbstbewußten wie anspruchsvollen Patienten richten mußte. Zu dieser sozialen Inferiorität trat noch die konkrete ökonomische Ab­ hängigkeit. D a der Kreis der potentiellen Klienten in aller Regel recht begrenzt war, der einzelne Arzt also meist nur wenige Patienten behandelte, waren einerseits die ärztlichen Honorarsätze begreiflicherweise relativ hoch, andererseits war der Arzt auf die Zahlungen einer kleinen Klientel angewie­ sen. So konnte z. Β. der Verlust auch nur einer einzigen H ausarztposition eine Stellung, in der ein Arzt eine ganze Familie gegen eine jährliche Pau27 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

schalsumme in Krankheitsfällen versorgte - eine empfindliche Einkom­ menseinbuße bedeuten. Außerdem verstärkte die weit verbreitete Gewohn­ heit, daß eine Familie einen Arzt gegen ein Jahresfixum gewissermaßen »anstellte«, die von den Ärzten häufig beklagte Einstellung, daß gerade »vornehme« Patienten »in ihrem Arzt nur einen D iener sehen«. 25 Insgesamt läßt sich daher die typische Arzt-Patient-Beziehung als ein Patronagc-System charakterisieren, in dem der einzelne Klient nicht so sehr hilfsbedürftiger Patient als vielmehr D ienstherr und Gönner des Arztes war und der Arzt weniger die Rolle des autonomen Experten als vielmehr die des abhängigen Bediensteten bei seiner vermögenden Klientel spielte. Der Umstand, daß sie ihre D ienste vorwiegend einer exklusiven Ober­ schichtklientel anboten, brachte für die Ärzte aber nicht nur die geschilder­ ten und von ihnen ständig beklagten Widrigkeiten mit sich, sondern die dadurch gegebene enge Verbindung mit der gesellschaftlichen Oberschicht, der sie sich in Lebensstil und Verhaltensweisen anzugleichen suchten, war gleichzeitig auch eine Quelle von gesellschaftlichem Einfluß und gab ihnen die Chance, »in bedeutende Connexionen zu kommen«. 2 6 Wenn die Ärzte bestrebt waren, in Umgangsformen, Gewohnheiten und Lebenszuschnitt der gesellschaftlichen Oberschicht nachzueifern, so geschah dies aus einem doppelten Motiv heraus. Gesellschaftlicher Schliff und gewisse Standards in Kleidung, Sprache und Betragen waren ein notwendiges Erfordernis für den Arzt, um überhaupt konsultiert zu werden, da die Patienten ihn nicht aufgrund seiner Fachkom­ petenz, sondern nach Kriterien wie Sympathie und Antipathie wählten. Nie würde er sich »dergleichen kostbare Kleider« anschaffen, seufzte etwa der bekannte Berliner Arzt Ernst Ludwig Heim in den 80er Jahren des 18. Jahr­ hunderts, »wenn es nicht zur medicinischen Politik gehörte, wohlgeputzt einherzugehen«. 27 Ebenso charakteristisch ist es, wenn der Arzt Gottfried Wilhelm Plouequet in einer 1797 erschienenen Schrift in zwei Kapiteln mit den Überschriften »Erwerbung des Zutrauens« bzw. »Erwerbung der Gunst [des Publikums]« eine Reihe von Attributen aufzählte, die mit berufli­ cher Kompetenz wenig zu tun hatten. D en Unterricht durch einen Tanzmei­ ster hielt er für ebenso erforderlich wie die Kenntnis der französischen Sprache; 28 eine »wol versehene auserlesene Bibliothek« für ebenso wichtig wie »Urbanität und Liebenswürdigkeit« und »gebildeten Anstand«. Ferner wurde der Arzt gewarnt vor allzu lautem Sprechen, Fluchen und Schwören, Witzeleien etc., weil solche Gewohnheiten Verstöße gegen die feine »Le­ bensart« darstellten. 29 Außer ihrem Zweck, das »Zutrauen« des Publikums zu fördern, hatten diese Attribute eines höheren Lebensstils gleichzeitig auch die Funktion, ihren Besitzer sozial nach unten abzugrenzen und herauszuheben. An dieser Stelle drängt sich die Frage nach der ökonomischen Lage der Ärzte auf. Konnte sich der durchschnittliche Praktiker die großzügige pri­ vate Lebensführung, die Voraussetzung für den angestrebten Lebensstil war, 28 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

ohne weiteres leisten? Leider existieren nur wenige konkrete Angaben über das Einkommen von Ärzten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, und diese Informationen beziehen sich fast ausschließlich auf berühmte und gesuchte Praktiker, die eine ausgedehnte Klientel hatten. So betrug etwa das Einkommen des Nürnberger Arztes Johann Karl Osterhausen 1823 ca. 5730 Gulden, das entspricht 11 460 Mk. 30 Aber Osterhausen dürfte ebensowenig repräsentativ sein wie der Berliner Arzt Heim, dessen Einkommen sich 1790, nach 15 Praxisjahren, auf 8000 Reichstaler bar und 800 Reichstaler in wertvollen Geschenken belief.31 Der Medizinhistoriker Baas nimmt für das 18. Jahrhundert ein ärztliches Jahreseinkommen von 4000-6000 Mk. durchschnittlich an,32 und die von ihm vertretene Ansicht, daß das 18. Jahrhundert die »goldene Zeit« des Arztberufs gewesen sei, sowohl vom Einkommen wie auch von der sozialen Stellung her, wird in vielen medizinhistorischen D arstellungen geteilt.33 Anderen Autoren zufolge scheinen hohes Einkommen, Ansehen und Ein­ fluß aber nur für eine Elite unter den Ärzten, insbesondere die Hof- und Leibärzte, charakteristisch gewesen zu sein, während die materielle Lage des Durchschnittsarztes keineswegs so rosig aussah.34 Für diese Annahme einer relativ labilen materiellen Position spricht die dargestellte Unsicherheit und Abhängigkeit im Verhältnis des Arztes zu seiner Klientel sowie der vielfach zitierte »Brotneid« der Ärzte untereinander. Andrerseits muß auch bedacht werden, daß in einer großen Zahl von Städten überhaupt nur ein einziger akademischer Arzt praktizierte, dem dann eine zwar kleine, aber begüterte Klientel konkurrenzlos zufiel. D er Begrenztheit der Nachfrage nach medizi­ nischen Leistungen entsprach eine äußerst beschränkte Anzahl akademischer Ärzte. Berlin hatte gegen Ende des 18. Jahrhunderts bei einer Bevölkerung von ca. 160000 Einwohnern35 40 bis 50 gelehrte Ärzte;36 das bedeutete, daß für etwa dreieinhalbtausend Einwohner ein Arzt zur Verfügung stand. Noch wesentlich weniger Ärzte als in der finanzkräftigen Residenzstadt praktizier­ ten in den übrigen Städten der Provinz. D ie gesamte Mark Brandenburg zählte 1802 nur 114 gelehrte Ärzte, denen 334931 Stadt- und 439162 Land­ bewohner gegenüberstanden.37 D amit kamen 6790 Personen auf einen Arzt. Obwohl diese zum größten Teil nicht einmal potentielle Klienten waren, bedeutete die große Einwohnerzahl pro Arzt für diesen doch immer­ hin eine Chance, im Laufe der Jahre eine Praxis mit so vielen zahlungsfähi­ gen Patienten aufzubauen, daß er ein standesgemäßes Auskommen hatte. Ploucquet rechnete es jedenfalls 1797 ausdrücklich zu den Vorzügen des ärztlichen Berufs, daß der Arzt »Vermögen, vielleicht Reichthum erwerben und, wie man sagt, sein Glück machen (kann), wenigstens in größeren Städten und reichen Ländern«.38 Sicherlich heißt das nicht, daß jeder Arzt ein Vermögen erwarb. Andrer­ seits wäre es voreilig, aus der Abhängigkeit der Ärzte von ihren Patienten und der geringen Nachfrage nach ärztlichen Leistungen direkt auf eine ökonomisch und sozial marginale Position des Arztes zu schließen. Um die 29 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

soziale Lage der Ärzte zu beurteilen, müssen nicht nur ihre ökonomische Situation und ihr berufliches Handeln am Krankenbett - das sie in der Tat in eine untergeordnete Position verwies - berücksichtigt werden, sondern ebensoschr auch die Tatsache, daß sie dank ihrer Ausbildung an der Univer­ sität Mitglieder des Gelehrtenstandes waren und daher an seinem hohen Sozialprestige teilhatten. D ie Qualität der »gelehrten« ärztlichen Ausbil­ dung und die Funktionen des medizinischen Universitätsstudiums müssen daher näher untersucht werden. Die medizinischen Fakultäten vermittelten den Medizinstudenten des 18. Jahrhunderts ein vorwiegend theoretisches Wissen. D as Interesse der medizinischen Wissenschaft richtete sich in erster Linie darauf, das »Wesen« der Krankheiten zu erkennen und diese nach ihren äußerlichen Symptomen in Familien, Gattungen und Arten zu klassifizieren, um eine phänomenolo­ gische Ordnung in »das Reich der Krankheiten« zu bringen. Entscheidend war der Platz der Krankheit in einem nosologischen System. Ihre konkrete Manifestation im Körper des Kranken erschien demgegenüber akzidentell und das Problem der Lokalisierung des Krankheitsherdes sekundär. 39 Eine dementsprechend untergeordnete Rolle spielte der klinische Unter­ richt am Krankenbett. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde jedoch an vielen Universitäten eine sog. akademische Armensprechstunde eingeführt, in der arme Kranke aus den Unterschichten unter Anleitung akademischer Lehrer untersucht und behandelt wurden; 40 auch wurden seit den 80er Jahren zunehmend Universitätskliniken eingerichtet, die sich jedoch mit einer durchschnittlichen Bettenzahl von 10 bis 20 Betten sehr bescheiden ausnahmen. Das 1726 in Berlin errichtete Charité-Krankenhaus, das mit jährlich ca. 3000 Patienten gegen Ende des 18. Jahrhunderts die größte Krankenanstalt in D eutschland darstellte, 41 war im 18. Jahrhundert an keine Universität angegliedert und nahm daher Lehrfunktionen nur in beschränktem Umfang wahr. Ebensowenig war das 1713 in Berlin errichtete »theatrum anatomi­ cum« 4 2 mit der traditionellen Medizinausbildung an den Universitäten ver­ knüpft. Seine Sammlungen sollten hauptsächlich als D emonstrationsobjek­ te für die bessere Ausbildung von Wundärzten, vornehmlich für den Bedarf der Armee, 4 3 dienen; genauso zielte das Curriculum des 1723 geschaffenen »Collegium medico-chirurgicum« in erster Linie darauf ab, eine Elite unter den bislang rein handwerklich ausgebildeten Wundärzten besser zu qualifi­ zieren; beide Institute wurden aber vielfach auch von gelehrten Ärzten nach Abschluß der Universitätsstudien besucht. Diese Institutionen waren mithin nicht als Konkurrenzunternehmen zur medizinischen Ausbildung der gelehrten Ärzte an den Universitäten ge­ dacht: gleichwohl spiegelt ihre Existenz strukturelle Schwächen der univer­ sitären Ausbildung der Ärzte in D eutschland wider, 4 4 die vor allem in der Praxisfernc des Universitätsunterrichts lagen. D iese zeigte sich, abgesehen von der Dürftigkeit der praktischen Unterweisung am Krankenbett, auch in 30 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

der untergeordneten Stellung, welche die Chirurgie, ein ganz auf Praxis ausgerichtetes medizinisches Fach, an den deutschen Universitäten des 18. Jahrhunderts einnahm. Seitdem im späten Mittelalter die meist geistlichen Ärzte das Operieren aufgrund kirchlicher Verbote des Blutvergießens aufgegeben hatten, war die Chirurgie, das Handanlegen mit dem Messer, jahrhundertelang ein mehr oder weniger verachtetes Handwerk gewesen, das in der Regel von Badern und Barbieren ausgeübt wurde. 45 Erst das 18. Jahrhundert erlebte, im Ge­ folge der wissenschaftlichen Grundlegung der Anatomie, die allmähliche Umwandlung der Chirurgie aus einem Handwerk in eine experimentelle Wissenschaft.46 D ies trifft vor allem für England und Frankreich zu: In beiden Ländern gelang es einer Elite unter den Wundärzten, sich aus ihrer Verbindung mit dem Barbierhandwerk zu lösen; in England wurde 1745 eine »Surgeons' Company« gegründet, die am Ende des Jahrhunderts zum »Royal College of Surgeons« aufgewertet wurde. Die in ihm zusammenge­ schlossenen Chirurgen galten als Spezialisten und konnten durchaus die gleiche Reputation erlangen wie die »gelehrten« Ärzte für Innere Medizin (physicians).47 Auch in Frankreich war schon 1731 eine »académie de Chirur­ gie« gegründet worden,48 und in den Pariser Kliniken zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren Chirurgen wie Roux, Recamier, D esault hoch an­ gesehene Wissenschaftler, deren kühne Operationen viel Aufsehen er­ regten.49 Auch in Deutschland hatte sich die Chirurgie im Verlauf des 18. Jahrhun­ derts einen Platz im Universitätsunterricht erobert; aber damit war noch lange nicht die gleichberechtigte Anerkennung der praktischen Chirurgen verbunden. Zunächst wurde die Chirurgie an den deutschen Universitäten vielfach rein theoretisch betrieben: Selbst Universitätslehrer, die das Fach vertraten und jedes Semester über Chirurgie Vorlesungen hielten, hatten bisweilen nicht einen einzigen Schnitt am lebenden Menschen ausgeführt. Das gilt etwa für den berühmten Göttinger Kliniker Albrecht v. Haller50 und ebenso für seinen Nachfolger, R. A. Vogel, der von 1753 bis 1774 in Göttingen neben anderen D isziplinen auch Chirurgie lehrte und jedesmal, wenn in seiner Klinik chirurgische Fälle vorkamen, den Universitätschirur­ gus rufen ließ, der dann nach seinen Anordnungen die nötigen Eingriffe durchführte.51 D er Chirurg Matthäus v. Mederer, der an der Universität Freiburg lehrte und 1773 in seiner Antrittsvorlesung sowohl die gleichge­ wichtige Ausbildung in Chirurgie und (Innerer) Medizin als auch die Aus­ übung der Praxis in beiden Fächern forderte, mußte sich wegen dieser Forderungen handgreifliche D rohungen von seiten der Studenten gefallen lassen.52 Universitätslehrer, die wie v. Mederer zuerst eine chirurgische Ausbildung, meist als Militärchirurg, durchlaufen hatten, wurden ohnehin von den Vertretern der alten medizinischen Universitätsdisziplinen lange nicht als gleichberechtigt angesehen.53 Obwohl es schon seit langem diese Möglichkeit gab, unterzogen sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts nur 31 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

sehr wenige angehende Ärzte einer chirurgischen Prüfung und ließen sich als »doctor medicinac et chirurgiac« approbieren.54 D ie meisten waren sog. »medici puri«, die nur zur Ausübung der inneren Praxis berechtigt waren und auf das rohe Handwerk der Chirurgen mit Verachtung herabsahen. Spielten also sowohl die Chirurgie als auch der klinische Unterricht in der Ärztcausbildung des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts längst nicht die Rolle, die ihnen im späten 19. Jahrhundert zukam, so war auf der anderen Seite das Medizinstudium der traditionalen ärztlichen Profession viel breiter angelegt als die moderne Expertenausbildung. Es umfaßte nicht nur die medizinischen Fächer im engeren Sinne, sondern ebenso Botanik und Zoo­ logie, Mineralogie und Chemie, also das gesamte Spektrum der damaligen Naturwissenschaft, und darüber hinaus noch Logik und Philosophie. Insgesamt lag der Schwerpunkt der universitären ärztlichen Ausbildung um die Jahrhundertwende eher auf der Theorie als auf der Praxis, eher auf den häufig noch lateinisch gehaltenen Vorlesungen als auf der praktischen Demonstration am Krankenbett.55 Zwar wurde der allmähliche Wandel, wie er sich vor allem in der Einführung des klinischen Unterrichts abzeich­ nete, von der preußischen Bürokratie gefördert und beschleunigt, vor allem durch Erlaß entsprechender Prüfungsordnungen.56 Sie waren ein Teil der schon während des ganzen 18. Jahrhunderts betriebenen Politik des aufge­ klärt-absolutistischen Staates, die Hochschulen auf beruflich-utilitaristische Funktionen hin auszurichten. Im Rahmen der administrativen Erfassung und Durchorganisierung der Gesellschaft sollten die Universitäten zu »aka­ demischen Bergwerken« umfunktioniert, d. h. direkt den staatlichen Inter­ essen, vor allem dem an einer qualifizierten Ausbildung der späteren Beam­ ten, dienstbar gemacht werden.57 Die mit der stärkeren Praxisorientierung verbundene Funktion der Aus­ bildung, die Vermittlung von berufsbezogenem, praxisrelevantem Fachwis­ sen, konnte jedoch zunächst nur langsam an Boden gewinnen. D enn die medizinische Wissenschaft, gerade in D eutschland, hatte nicht viel an Kenntnissen anzubieten, die dem späteren Arzt in seiner praktischen Berufs­ tätigkeit hätten nützlich sein können. Ohne daher die Tendenzen zum Wan­ del zu unterschätzen, kann davon ausgegangen werden, daß zumindest bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die wichtigste Funktion des akademischen Medizinstudiums die war, den Schlüssel zur Welt der Gebildeten zu liefern, seine Absolventen als Angehörige der gelehrten Stände auszuweisen. Dem »Gelehrtenstand«, der insgesamt eher durch ständischen Lebensstil als durch berufliche Funktionalität, eher durch Rekurs auf die gemeinsame Zugehörigkeit zur »res publica literaria« als durch spezifische Qualifikation charakterisiert war, 58 kam eine hohe Rangposition in der sozialen Hierarchie der ständisch gegliederten Gesellschaft zu. Nach einer Frankfurter Kleider­ ordnung von 1731, die fünf Stände unterschied, gehörten die Doktoren der Jurisprudenz und die der Medizin zusammen mit dem Patriziat zum ersten Stand, rangierten mithin noch vor den reichen Kaufleuten, die den zweiten 32 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Stand bildeten. 59 In Preußen zählten die Angehörigen der Berufe, die ein Universitätsstudium erforderten, zum »eximierten« Bürgertum: Anstelle von Untergerichten oder der adligen Privatgerichtsbarkeit waren für sie die staatlichen Obergerichte zuständig, ein Vorrecht, das sie im Hinblick auf den Gerichtsstand dem Adel gleichstellte und sie von den anderen Gruppen des Bürgertums, vor allem den gewerbetreibenden Handwerkern und Kaufleu­ ten abhob. 60 Ähnlicher Lebensstil, das gemeinsame Universitätsstudium, die Kenntnis des Lateinischen als der universalen Gelehrtensprache, die Vertrautheit mit der klassischen Bildung und Kultur, eine durch den engen Konnex mit dem Staat bzw. der gesellschaftlichen Oberschicht herausgehobene soziale Posi­ tion - das sind einige der Kriterien, welche die relative Homogenität des Gelehrtenstandes des 18. Jahrhunderts ausmachen. Es gab aber auch Unter­ schiede und Abstufungen. So haben von den drei traditionalen Professionen der Juristen, der Mediziner und der Theologen zweifellos die ersteren den höchsten Sozialstatus gehabt. Im Justizdienst und in der Verwaltung reprä­ sentierten sie unmittelbar die Staatsgewalt und bezogen von daher eine hoheitliche Legitimation. D iese den anderen Professionen überlegene Posi­ tion drückt sich auch aus im relativ hohen Prozentsatz von Adligen, die jura studierten, gegenüber der rein bürgerlichen Herkunft der Medizin- und Theologiestudenten. 61 Das Sozialprestige der akademischen Ärzte dürfte demgegenüber darun­ ter gelitten haben, daß sie sich am Krankenbett in einer untergeordneten Position befanden, sowohl in ihren Behandlungsmethoden als auch den Honorarverhältnissen ganz von der Gunst ihrer begüterten Klientel abhän­ gig waren. D iese persönliche Abhängigkeit machte den Arztberuf für Ange­ hörige des Adels im allgemeinen unattraktiv. Insofern ist auch die D arstel­ lung vieler medizinhistorischer Lehrbücher, das 18. Jahrhundert als das »goldene Zeitalter« des Arztes habe diesem ein Höchstmaß an Ansehen, Einkommen und Einfluß beschert, zu korrigieren. Andrerseits ist zu berücksichtigen, daß die Berufstätigkeit wahrscheinlich nicht in demselben Maße den Mittelpunkt des Lebens bildete, wie das für moderne Professionen charakteristisch ist. Viele Ärzte betrieben neben ihrer ärztlichen Tätigkeit Studien zur Anatomie, Chemie, Botanik und anderen Naturwissenschaften 62 - wozu sie sich durch ihre breitangelegten Universi­ tätsstudien berufen fühlten - , oder sie betätigten sich sonstwie wissenschaft­ lich oder literarisch. D er tägliche Broterwerb wurde nur als Teil der Lebens­ aufgabe begriffen. Aber auch in der beruflichen Tätigkeit im engeren Sinne spiegelt sich ein Stück dieses Selbstverständnisses als Gelehrter. D ie konkrete Tätigkeit des Arztes am Krankenbett bestand im wesentlichen darin, daß er »mit goldbe­ knöpftem Stocke, in Cylinder und schwarzem Gehrocke, . . . gravitätisch Puls, Zunge und Urin betrachtete, einige tröstende Worte sprach und sein Recept verschrieb . . ,« 6 3 . 33 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Diese seiner überwiegend theoretischen Ausbildung entsprechende, the­ rapeutisch häufig ineffiziente Behandlung dürfte zwar einerseits zu einer gewissen molièreschen Skepsis des Publikums gegenüber dem gelehrten Mediziner beigetragen haben, sie setzte diesen aber andrerseits in die Lage, jede unmittelbare Berührung mit den Konkretionen von Krankheit, mit Schmutz, Blut, Eiter zu vermeiden: Manuelle Tätigkeiten wie Aderlässe, das Verbinden von Verletzungen, Aufschneiden von Geschwüren, Richten von verrenkten oder gebrochenen Gliedmaßen wiesen die gelehrten Ärzte weit von sich. Erst recht galt das für Operationen, wie Bruch- und Stein­ schnitte oder Amputationen. D ie Abstinenz von dem ganzen Feld der Chi­ rurgie im weiteren Sinne ermöglichte es den akademischen Ärzten, ihren Sozialstatus als Gelehrte, gekennzeichnet durch »feinere« Bildung und Le­ bensart, zu behaupten und war gleichzeitig eine Bedingung dafür, sich von den anderen ärztlichen Subgruppen, den handwerklich ausgebildeten und handwerklich tätigen Chirurgen und Wundärzten, deutlich abzusetzen. b) Wundärzte, Hebammen, Laienheiler Unter der dünnen Schicht akademisch ausgebildeter Ärzte stand die bei weitem größere Gruppe von Wundärzten verschiedener Abstufungen und Grade. Alfons Fischer schätzt, daß im 18. Jahrhundert auf einen akademi­ schen Arzt etwa 12 Wundärzte kamen.64 Für 1806 liegen erstmals präzise Zahlen vor: danach gab es im zu dieser Zeit unter französischer Verwaltung stehenden Roer-Departement (in etwa dem späteren Regierungsbezirk Aa­ chen) 28 promovierte Ärzte und 72 Wundärzte.65 Schon dieses Zahlenverhältnis deutet darauf hin, daß die Abgrenzung zwischen den beiden Gruppen von Medizinalpersonen keineswegs mit der Abgrenzung der Befugnisse zusammenfiel, wonach die gelehrten Ärzte für die Kur innerlicher Krankheiten durch Verordnung von Medikamenten zuständig waren, die Wundärzte dagegen für die Heilung äußerlicher Krankheiten, die chirurgische Eingriffe erforderten. Zwar sahen die preu­ ßischen Medizinaledikte von 1685 und 169366 eine solche Einteilung vor, doch entsprach das keinesfalls der Realität. D iese sah vielmehr so aus, daß der weitaus größte Teil der Bevölkerung nie mit dem studierten Arzt in Berührung kam - außer der geringen Ärztedichte und finanziellen Gründen ist hierfür die kulturelle und soziale D istanz gegenüber dem »gelehrten« Arzt verantwortlich -, sondern, wenn überhaupt eine approbierte Medizi­ nalperson, in Krankheitsfällen einen Wundarzt zu Rate zog, gleichgültig, ob es sich nun um »innere« oder um »äußere« Krankheiten handelte. Mehrfach wurde durch Verordnungen dieser den gesetzlichen Bestimmun­ gen zuwiderlaufende Zustand notdürftig legitimiert, etwa wenn 1727 »in denen kleinen Städten oder Flecken, woselbst kein medicus wohnen und subsistieren kann« den Chirurgen, allerdings nur den »für tüchtig befunde34 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

nen«, auch das innere Kurieren und Dispensieren von Medikamenten gestat­ tet wurde. 67 Die Trennung der Ärzteschaft in wissenschaftlich gebildete, »gelehrte« innere Ärzte und handwerklich ausgebildete Wundärzte oder Chirurgen war weit mehr als nur eine Trennung nach der Art der Ausbildung und daraus resultierenden Befugnissen und Kompetenzen; sie war überlagert und ge­ prägt von einer sozialen Trennung: Die in der Hierarchie der Ärzteschaft die unteren Ränge einnehmenden Wundärzte, Barbierchirurgen usw. waren auch für die medizinische Versorgung der unteren Ränge der gesellschaftli­ chen Hierarchie verantwortlich. Zwar wurden durch das schon erwähnte »theatrum anatomicum« sowie das »Collegium medico-chirurgicum« Anstrengungen gemacht, entspre­ chend der allmählich fortschreitenden Etablierung der Chirurgie als wissen­ schaftlicher D isziplin die Ausbildung für eine kleine Elite von Wundärzten zu verbessern; für das Gros dieser Klasse von Medizinalpersonen blieb jedoch eine handwerkliche Lehre bei einem Barbier, der möglicherweise gleichzeitig »Meister der Wundarzneikunst« war, oder allenfalls eine Ausbil­ dung als Feldscher bei der Armee die Regel. Die Verknüpfung der Chirurgie mit dem Handwerk des Baders oder Barbiers ist historisch lange zurückzu­ verfolgen.68 Im 18. Jahrhundert war das Recht zur Ausübung der Chirurgie allgemein von dem Besitz einer Barbierstubengerechtigkeit abhängig, eine Regelung, die in Preußen bis zur Aufhebung der Zünfte (1811) galt. Urteile sowohl zeitgenössischer, meist ärztlicher Beobachter als auch späterer Medizinhistoriker stimmen in der Regel überein, daß die Wundärzte sich durch »haarsträubende Unwissenheit und Rohheit« auszeichneten, daß sie in der Ausübung der Chirurgie völlig unerfahren und daher nicht besser als Pfuscher seien und zudem in der Behandlung der Kranken besonders brutal vorgingen.69 Zwar sind diese Negativurteile von der Verachtung der akademischen Mediziner für die handwerklichen, »ungebildeten« Wundärzte geprägt, und es ist trotz solcher Urteile anzunehmen, daß die Wundärzte, die sich aus der lokalen bäuerlichen und handwerklichen Bevölkerung rekrutierten und mit deren Lebens- und Leidensverhältnissen vertraut waren, in der Regel auch das Vertrauen der Landbewohner genossen, jedenfalls eher als ein ihnen fremder »studierter« Arzt. Es kann jedoch nicht als ausgemacht gelten, daß dies in jedem Fall so war. Die oft zitierte Voreiligkeit von Barbierchirurgen, insbesondere von solchen, die ihre Ausbildung beim Militär erhalten hatten, wenn es um chirurgische Eingriffe ging,70 einerseits und die ebenso oft bezeugte - bei dem damaligen Stand der Chirurgie kaum verwunderliche­ Furcht der meisten Menschen vor dem chirurgischen Messer71 andrerseits deuten darauf hin, daß die Wundärzte vielfach wenig beliebt, eher gefürchtet waren. Unter den unterschiedlich ausgebildeten und geprüften Wundärzten - in Preußen gab es z.B. höher qualifizierte Stadt- und geringer qualifizierte 35 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Landwundärzte - befanden sich auch Spezialisten, die einen guten Ruf genossen und ihm eine ausgedehnte Klientel verdankten. D iese Wundärzte konnten entweder Chirurgen sein, die am »Collegium medico-chirurgi­ cum« eine über die übliche handwerkliche Lehre hinausgehende Ausbildung durchlaufen hatten, 72 oder auch Autodidakten, die sich durch Talent und jahrelange Übung eine besondere Geschicklichkeit in bestimmten Operatio­ nen erworben hatten und ihre Kunst meist im Umherziehen ausübten. 73 Letztere, zu denen vor allem die Starstechcr sowie die Bruch- und Stein­ schneider gehörten, erhielten oft eigene behördliche Konzessionen, auch ohne die für die Approbation jeweils vorgeschriebene Prüfung abgelegt zu haben. Im Grunde spielt die Frage, bis zu welchem Grade die Wundärzte das Vertrauen der breiten Masse der Bevölkerung genossen, auch nur eine untergeordnete Rolle angesichts der Tatsache, daß ihre Zahl ohnehin für eine geregelte medizinische Versorgung bei weitem nicht ausreichte. 1824 kam im Durchschnitt der preußischen Monarchie ein Wundarzt auf 5337 (bei den promovierten Ärzten waren es 6774) Einwohner, in den preußischen Ost­ provinzen war die Relation noch wesentlich ungünstiger: im Regierungsbe­ zirk Königsberg betrug sie 1:8868, im Regierungsbezirk Gumbinnen gar 1.16509. 74 Wesentlich wichtiger für die medizinische Versorgung gerade der Landbe­ völkerung war ein Netz von nicht-approbierten Heilem. D ie Heilpraktiken dieser Personengruppe bestanden zum einen in der Anwendung von Kräu­ termitteln, Tees, sclbstverfertigten Salben u.ä., zum anderen aber auch in symbolisch-magischen Akten, wozu das »Besprechen« der erkrankten Kör­ perteile sowie sympathetische Verfahren, etwa die Übertragung von Krank­ heiten vom menschlichen Organismus auf tote Körper mit Hilfe genau einzuhakender Rituale, gehörten. Noch in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts, als von akade­ misch gebildeten Ärzten eine ganze Reihe von Untersuchungen über die Bräuche und Verfahrensweisen dieser sogenannten »Volksmedizin« er­ schien, 75 kann man offensichtlich von weiter Verbreitung und allgemeiner Anwendung solcher »parallelmedizinischer« Praktiken ausgehen, insbeson­ dere bei Kinderkrankheiten. Für den Beginn des 19. Jahrhunderts wird man die Volksmedizin kaum als »Parallelmedizin« zum offiziellen Medikalsy­ stem bezeichnen können: Vielmehr war sie für große Teile der Bevölkerung die einzige Medizin. Die volksmedizinischen Bräuche und Vorstellungen speisten sich aus unterschiedlichsten Quellen. 76 Zum Teil lassen sie sich auf uralte heidnisch­ germanische Traditionen zurückführen: etwa der Brauch, kranke Kinder durch Baumspalten zu ziehen, was eine Art - gesunde - Wiedergeburt bewirken sollte; zum Teil sind sie mit christlichen Einflüssen verknüpft, wie z. Β. das »Gesundbeten«; dazu kommen empirische Elemente, wie sie in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kräuterbüchern überliefert sind; den 36 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Vorstellungen über das »Wesen« der Krankheiten schließlich liegt die auf die Antike zurückgehende Lehre von den Körpersäften zugrunde; sie sind also humoralpathologischer Natur und als aus der gelehrten Medizin »abgesun­ kenes Wissen« zu betrachten.77 Die Volksmedizin vollzog jedoch den Um­ schwung von der Humoralpathologie zur im einzelnen Organ lokalisierten und schließlich zur Zellularpathologie, den die Schulmedizin in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts durchlief, nicht nach. Sie blieb bei der Vorstellung, daß Krankheiten auf eine »schlechte Mischung« der Körpersäfte zurückzuführen seien. D as humoralpathologische System mit seiner Entsprechung der vier Körpersäfte Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle und der vier Tempera­ mente, von denen aus noch symbolische Analogien zu den vier Elementen, vier Lebensaltern, vier Jahreszeiten konstruiert wurden,78 entsprach volks­ medizinischen Vorstellungen, in denen die raumzeitliche Symbolik, wie Mondphasen, Sternbilder, Jahreszeiten, ebenfalls eine große Rolle spielte, viel eher als die moderne naturwissenschaftliche Medizin. Die »Volksärzte« spiegeln in ihrer Zusammensetzung die Vielfalt volks­ medizinischer Heilmethoden wider. Neben ausgesprochenen »Wunderdok­ toren« , denen übernatürliche magische Kräfte zugeschrieben wurden und zu denen die Bauern oft weit anreisten, waren vor allem Schäfer, Hirten, Hufschmiede, weise Frauen, später auch zunehmend Geistliche und Volks­ schullehrer, medizinisch tätig. Auf die große Rolle, die Frauen in diesem Medikaisystem spielten, weisen schon die vielfachen Bezeichnungen ihrer Tätigkeiten hin: da ist die Rede von »Kräuterweibern«, »Streichfrauen«, »Renkeweibern«, »weisen Frauen«, »alten Weibern« und »Schröpfwei­ bern«. D ie besonderen Kenntnisse in Fragen von Gesundheit und Krank­ heit, die sich darin spiegeln, verdanken die Frauen sicherlich nicht zuletzt ihrer Vertrautheit mit biologischen Funktionen, wie sie aus Schwanger­ schaft, Geburt und Säuglingspflege resultierte. Außer ihrer Rolle im lokalen Netz von Laienheilern nahmen die Frauen auch innerhalb der Familie eine zentrale Stellung in der Krankheitsbehand­ lung und -heilung ein. Selbstmedikation und Behandlung in der Familie prägten in der vormedikalisierten, noch überwiegend agrarischen Gesell­ schaft des frühen 19. Jahrhunderts das Verhalten des Einzelnen in viel stärke­ rer Weise als das heute der Fall ist, abgesehen davon, daß die subjektive Krankheitsschwelle viel höher angesetzt war. D er Bauer nehme Krankhei­ ten zunächst nicht ernst, wird oft berichtet.79 Erst wenn er in seiner Arbeits­ fähigkeit erheblich beeinträchtigt sei, greife er zu allerlei Hausmitteln. D er nächste Schritt sei die Ratsuche bei Nachbarn und Verwandten, dann bei einem Laienmediziner der lokalen Gemeinschaft. Erst wenn dies alles nicht geholfen habe, werde eventuell eine approbierte Medizinalperson aufge­ sucht. Besonders bei bestimmten Krankheitsgruppen, etwa bei Krankheiten des Säuglings- und Kleinkindalters, blieb es noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die Regel, daß sie ausschließlich innerhalb der Familie behandelt 37 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

wurden. D as traditionelle Pflegewissen von Müttern, Großmüttern und anderen weiblichen Verwandten bestimmte die Behandlung kranker Kin­ der. Allenfalls eine Hebamme wurde noch zu Rate gezogen. Hebammen nahmen in der vorindustriellen Gesellschaft über ihre ge­ burtshelferischen Aufgaben hinaus wichtige paramedizinische Funktionen wahr. D ies läßt sich schon an Zahlen ablesen: 1824 gab es in Preußen 10307 Hebammen gegenüber 1776 promovierten Ärzten, d.h. fast sechsmal so viele.80 Von den Hebammen praktizierten mehr als zwei D rittel auf dem Lande, wo es akademische Ärzte nur sehr selten gab. Gerade in den östlichen Provinzen mit ihrer außerordentlich niedrigen Ärztedichte waren Heb­ ammen relativ zahlreich vertreten: Im Regierungsbezirk Königsberg kam eine auf 1087 Einwohner, im Regierungsbezirk Gumbinnen eine auf 1662 Einwohner, in der Provinz Sachsen waren es sogar nur 880 Einwohner pro Hebamme. Interessanterweise war die Hebammendichte in der Rheinpro­ vinz, die in der Versorgung mit Ärzten an erster Stelle stand, wesentlich geringer; am wenigsten Hebammen fanden sich im Verhältnis zur Bevölke­ rung in der Großstadt Berlin: Hier kam eine Hebamme auf 4390 Einwohner. Die umgekehrte Proportionalität zwischen Hebammen- und Ärztedichte läßt sich nicht damit erklären, daß in Regionen mit mehr Ärzten, etwa großen Städten, ein nennenswerter Teil der Geburten unter ärztlicher Lei­ tung stattgefunden hätte, denn noch 1901, als die Medizinalabteilung des Preußischen Kultusministeriums erstmals genaues Zahlenmaterial zu dieser Frage veröffentlichte, wurden nur 5,6% sämtlicher Geburten von Ärzten geleitet; selbst in einer mit Ärzten gut versorgten Großstadt wie Berlin waren es nicht mehr als 12,8%. 81 Vielmehr scheint dies Verhältnis ein deutlicher Hinweis auf die paramedizinischen Funktionen von Hebammen in mit Ärzten völlig unterversorgten Gebieten zu sein. Gerade in den dünn­ besiedelten östlichen Provinzen Preußens, in denen eine einzelne Hebamme trotz der verhältnismäßig günstigen Relation zur Einwohnerzahl immer noch einen flächenmäßig größeren Bezirk zu versorgen hatte als in den westlichen Provinzen, war eine über die Geburtshilfe hinausgehende medi­ zinische Betätigung schon ein Gebot der Existenzsicherung. Wegen der weiten Entfernungen und der schlechten Wegeverhältnisse war es kaum möglich, daß die Hebamme in jedem Geburtsfall rechtzeitig zur Stelle war. Viele Frauen zogen es deshalb und wegen der Kosten einer approbierten Hebamme vor, sich bei ihren Geburten von einem Mitglied der Familie oder einer Nachbarin helfen zu lassen. Aus amtlichen Erhebungen in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts geht hervor, daß selbst zu diesem Zeitpunkt in einzelnen Kreisen Ostpreußens bei weniger als einem Drittel der Entbindun­ gen eine approbierte Hebamme assistierte.82 Unter solchen Bedingungen hatte eine Hebamme häufig nur 30 bis 40 Geburten pro Jahr zu betreuen.83 Von dem daraus resultierenden geringen Verdienst konnte sie kaum leben, selbst wenn sie als Bezirkshebamme noch gemeindliche Zuschüsse erhielt.84 Die meisten Hebammen betrieben daher nicht nur Geburtshilfe, sondern 38 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

nahmen zumindest bei den Frauen und Kindern der Landbevölkerung auch Aufgaben der medizinischen Versorgung wahr, wozu sie ihre aus ihren geburtshelferischen Erfahrungen resultierende Einsicht in Anatomie und Physiologie des weiblichen Körpers gewissermaßen prädestinierte. In der Regel waren sie auch mit allerlei pflanzlichen Heilmitteln vertraut und besaßen konkretes Wissen über Verhütungs- und Abtreibungsmethoden: »Sie (die Hebamme) weiß immer noch den besten Rath und das beste Tränklein aus heilsamen Kräutern zu brauen. Sie weiß Salben, Schmieren, Geister, Pflaster, Köchlein, Wasser, Bäder, Riechtropfen, Labemittel, Kly­ stiere, Zäpfchen und Rauch zu bereiten, die in keinem Buche verzeichnet sind . . . Mädchen und junge Weiber sind ihre liebste Kundschaft. Wie dem Priester werden ihr geheime Sünden offenbar, und wenige gehen ungetrö­ stet von hinnen. Sie zaubert die »Reinigung« hervor (Anspielung auf die im Falle der Schwangerschaft ausbleibende Regelblutung, C. H.), bannt den »Fluß«, hat ein mit »Jungfernwachs« überzogenes Kränzlein bereit gegen den »Vorfall«, kurzum sie ist Meisterin der Gynäkologie. Ihre höchsten Triumphe feiert sie aber als Kinderarzt . . .«. 85 Trotz der in solchen und ähnlichen Äußerungen deutlich hervortretenden Mißbilligung der medizinischen Tätigkeit der Hebammen durch die ärztli­ che Profession war es Ärzten wie Medizinalbehörden gleichermaßen klar, daß auf die Hebamme als Glied in der Kette medizinischer Versorgung keinesfalls verzichtet werden konnte. Besonders, um die vermutete Kom­ plizenschaft der Hebammen mit ihren Klientinnen in Fragen der Verhütung und Abtreibung zu unterbinden, versuchten die Behörden daher, sie wenig­ stens stärkerer Kontrolle zu unterwerfen. Nachdem einzelne Städte schon seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert »Hebammenordnungen« mit genau­ en Regeln für die Ausbildung und das Berufsverhalten der Hebammen erlassen hatten,86 erreichten die Bemühungen um Einbindung der Heb­ ammen in staatspolitische Zwecke, ζ. Β. die Peuplierungspolitik Preußens, im 18. Jahrhundert mit der Einrichtung von Hebammenschulen87 eine neue Stufe. Hierdurch wurde allmählich die traditionale Ausbildung, eine Lehre bei einer alten erfahrenen Hebamme, durch einen von männlichen » Accou­ cheuren« geleiteten theoretischen Unterricht88 ersetzt. Die Vorschrift, daß die Hebammenschülerinnen beim Eintritt in die Heb­ ammenschule ein Zeugnis des Ortspfarrers über ihren Lebenswandel vorzu­ legen hatten,89 die Prüfungen durch die mit Ärzten besetzten Medizinalkol­ legien und die Anstellung durch die Gemeindebehörden taten ein übriges, um die Hebamme immer stärker »zum verlängerten Arm der offiziellen Medizin und Gesundheitspolitik zu machen«.90 Sie sollte auf diese Weise zur »Vermittlerin zwischen zwei Kulturen (werden), die Stadt und Land, akade­ mische und Volksmedizin miteinander verband. « 91 Ob diese unverkennbare Absicht staatlicher Medizinalpolitik sich in der Praxis aber wirklich durch­ setzte, ist schwer zu beurteilen: Angesichts der Tatsache, daß noch 1850 im Kreis Greifswald von 24 Landhebammen nur 13 schreiben und lesen konn39 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

ten,92 ist die Wirksamkeit schriftlicher Verhaltensmaßregeln zumindest stark in Zweifel zu ziehen. c) Die Segmentierung des »Gesundheitsmarktes« Daß den solcherart differenzierten Anbietern medizinischer D ienstleistun­ gen - von den akademischen Ärzten über die Wundärzte und Barbierchirur­ gen sowie die Hebammen bis zu den Laienheilern unterschiedlichster Prove­ nienz- auch unterschiedliche Abnehmergruppen gegenüberstanden, wurde schon verschiedentlich angedeutet. Die D ifferenzierungslinien verliefen zwischen städtischen Einwohnern, denen häufig ein schon ins Mittelalter zurückreichendes, durchorganisiertes Medizinalwesen zur Verfügung stand, auf der einen und der ländlichen Bevölkerung auf der anderen Seite, zwischen den gesellschaftlichen Ober­ schichten einer- und den besitzlosen Unterschichten andrerseits. Besonders auf dem Land waren außer der Armutsschranke und der Tatsa­ che, daß approbierte Medizinalpersonen wegen der weiten Entfernungen gar nicht zu erreichen waren, großes Mißtrauen gegenüber dem offiziellen Medikaisystem und seinen Vertretern sowie ein von den städtischen Mittel­ und Oberschichten stark differierendes Krankheitsverhalten für die Arztfer­ ne verantwortlich. Jedenfalls finden sich in Schriften von ärztlicher Seite immer wieder Klagen über die »große Gleichgültigkeit gegen Tod und Sterben« und über »die Indolenz und Stumpfheit« der Landbewohner, die das rechtzeitige Aufsuchen ärztlicher Hilfe verhinderten.93 D ie Einstellun­ gen der ländlichen Bevölkerung scheinen also in einen kulturellen Rahmen eingespannt gewesen zu sein, der das spezifische Verhalten bei Gesundheits­ einbußen - zuerst Ignorieren, dann Anwenden von Hausmitteln, schließlich der Gang zum Gesundbeter oder sonstigen Volksheiler - stärker gesteuert hat als ökonomische Rücksichten. Für diese Vermutung spricht auch, daß gerade die ländliche Bevölkerung den Ende des 18. Jahrhunderts allmählich einsetzenden, von Obrigkeit und ärztlicher Profession gemeinsam getrage­ nen Bemühungen um Medikalisierung des Individuums und der Familie die stärkste und am längsten andauernde Resistenz entgegensetzte. Daß das offizielle Medikaisystem im ersten Quartal des 19. Jahrhunderts auf dem Lande jedenfalls höchstens rudimentär präsent war, belegt folgende Zahl: Von den 182(3-24 im Landkreis Köln Gestorbenen waren 80% vor ihrem Tod nicht ärztlich behandelt worden; dagegen hatten 1820 von 1226 in Stadt und Landkreis Bonn Gestorbenen immerhin 471 (= 38%) eine ärztli­ che Behandlung genossen.94 Der Prozentsatz von mehr als einem Drittel ärztlich Behandelter in Stadt und Land zusammen legt gleichzeitig den Schluß nahe, daß die ärztliche Klientel sich nicht ausschließlich aus Angehörigen der gesellschaftlichen Oberschicht zusammensetzte, sondern auch weitere Bevölkerungskreise 40 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

einschloß. Ganz ohne jeden Kontakt zur Masse der Bevölkerung waren die akademischen Ärzte demnach doch nicht. Zwar war für den kleinen Gewer­ betreibenden, den Subalternbeamten, den Handwerker oder gar den Tage­ löhner der akademisch gebildete, promovierte Arzt gewiß nicht die erste Anlaufstelle bei auftretenden Krankheiten; vorher hatte er wahrscheinlich eine Reihe von Hausmitteln ausprobiert, bei Nachbarn oder Verwandten Rat gesucht und einen Laienheiler oder Wundarzt in Anspruch genommen. Die letzte Station, wenn alle anderen Mittel nichts gefruchtet hatten, war dann eventuell der akademische Arzt. Schon dadurch, daß Angehörige der Mittel- und Unterschichten einen Arzt, wenn überhaupt, nur in verzweifelten Notfällen aufsuchten, war das Arzt-Patient-Verhältnis hier anders strukturiert als bei der reichen Ober­ schicht, deren Mitglieder den Arzt öfter kommen ließen. Hinzu kam, daß er gegenüber Unterschichtpatienten nicht zur Rücksichtnahme auf ihre Wün­ sche, zur Anpassung an ein bestimmtes Benehmen und einen bestimmten Lebensstil gezwungen war, weil er von ihnen ökonomisch nicht abhängig war. Von den meisten dieser Patienten konnte er gar kein Geld verlangen, weil für sie die hohen Arzthonorare schon im Normalfall unerschwinglich waren, erst recht aber im Krankheitsfall, wenn sie zusätzlich durch Ver­ dienstausfall und Apothekerrechnungen belastet waren.95 Sofern ihm nicht die Betreuung armer Kranker aus der städtischen Armenkasse vergütet wurde, trugen Unterschichtpatienten zur ökonomischen Subsistenz des Arztes nichts oder nur wenig bei. Ihre medizinische Versorgung hatte für ihn vielmehr die Funktion, sich in die Praxis einzuüben und in seiner Gemeinde bekannt zu werden. Aber nicht nur für den einzelnen Arzt, auch für den Fortschritt der medizinischen Wissenschaft insgesamt waren die Armen als Patienten nicht zu entbehren. Die medizinische Armenpraxis bot sich als Experimentierfeld für Arzneimittel und Kuren an, deren Wirkung erst noch erprobt werden mußte. Auf das Lob eines Ministers für die Heilung seines Kutschers erklärte beispielsweise der behandelnde Arzt, »eine Excellenz wäre von dieser Krankheit nicht mit dem Leben davongekommen, weil man nicht gewagt hätte, ihr solche Arzneien zu geben«.96 Besonders deutlich wurde diese Funktion der Armenklientel, dem Fort­ schritt der Wissenschaft zu dienen, in den Hospitälern, die sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts immer stärker zu Stätten empirischer Forschung und Weiterentwicklung der medizinischen Technik entwickelten und deren Insassen zum größten Teil aus Tagelöhnern, Arbeitern, Armen und Dienst­ boten bestanden.97 Im Krankenhaus noch stärker als in der städtischen Armenpraxis konnte der Arzt dem Patienten gegenüber unumschränkte Autorität ausüben. Hier war er der dominierende Part im Arzt-Patient­ Verhältnis und nicht der Patient wie in der Privatpraxis. Die Schichtzugehö­ rigkeit des Patienten spielte nach alledem für die konkrete Ausgestaltung des Arzt-Patient-Verhältnisscs eine ausschlaggebende Rolle. Ebenso groß war 41 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

ihre Bedeutung für dessen langsamen Wandel, auf den weiter unten noch ausführlich eingegangen wird. 98 Trotz des sporadischen Kontakts der akademischen Ärzte zur Masse der Bevölkerung - in der städtischen Armenpraxis, im Hospital, bei lebensge­ fährlichen Erkrankungen - kann insgesamt doch konstatiert werden, daß das staatliche Medizinalwesen einschließlich der niederen Ärztekategorien keineswegs die gesamte Bevölkerung erreichte, also auch keine gesamtge­ sellschaftliche Legitimation genoß. Erst recht gilt dies für den akademisch gebildeten Teil der Ärzteschaft: D ie gelehrten Ärzte besaßen nur ausgespro­ chen partikularistische Absatzchancen auf dem Markt für medizinische Dienstleistungen, der als einheitlicher gar nicht existierte, sondern in eine Reihe relativ unverbundener Teilmärkte zerfiel. Das Bemühen, einen solchen homogenen Markt zu konstituieren und auf ihn dann monopolistische Ansprüche zu erheben, welches den Beginn mo­ derner Professionalisierungsbestrebungen markiert, gehört jedoch genauso­ wenig zu den Charakteristika der vormodernen Profession wie die Legiti­ mation durch eine praxisrelevantes Fachwissen vermittelnde Spezialausbil­ dung. Zwar lassen sich seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts Tendenzen zu einer Ausweitung des Kompetenzbereichs und der Kompetenzansprüche der akademisch gebildeten Ärzte feststellen: Sie suchten ihre Kontrolle über das niedere Heilpersonal zu festigen und zu erweitern; in einer Welle popu­ lärmedizinischer Aufklärungsliteratur präsentierten sie sich als Ratgeber und berufene Experten in allen gesundheitlichen und diätetischen Fragen;“ in Plänen und Entwürfen zur Gestaltung des Medizinalwesens, gerichtet an die Adresse des Staates, suchten sie ihren Einfluß in gesundheitspolitischen Fragen zu stärken. 100 Das bekannteste Beispiel dafür ist Johann Peter Franks 1779ff. erschienenes »System einer vollständigen medicinischen Policey«. Aber diese ausgeklügelten Konzeptionen eines Medizinalwesens, in dem alle Bereiche sozialen Lebens der hygienischen Kontrolle der Gesundheits­ polizei unterworfen sein sollten, behielten lange Zeit weitgehend utopischen Charakter, wenn auch unverkennbar ist, daß für den preußischen Staat und seine Bevölkerungspolitik Fragen der Gesundheit seiner Staatsbürger an Bedeutung gewannen. Ebenso blieben die Erfolge der von Ärzten betriebe­ nen Gesundheitspropaganda äußerst begrenzt: Sie erreichte nur einen klei­ nen Teil der Bevölkerung, vornehmlich das gebildete, städtische Bür­ gertum. Wenn sich so auch schon im 18. Jahrhundert der Anspruch der akademi­ schen Ärzte auf eine Rolle als alleinige Experten in Fragen von Gesundheit und Krankheit ankündigte, war es doch von da bis zum Anspruch auf die alleinige medizinische Versorgung der Bevölkerung noch ein weiter Weg: Zunächst blieb eine Arbeitsteilung selbstverständlich, und zwar derart, daß ein semiprofessionelles Personal zuständig war für die Versorgung der brei­ ten Masse der Bevölkerung. »D er gelehrte Arzt und der reiche Bürger des 42 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Staates ziehen sich gegenseitig an wie freundschaftliche Pole. D ieser wählt und bezahlt das Bessere, jener kennt den Werth seines Eigenthums und veräußert es nicht ohne ein verhältnismäßiges Äquivalent. « 101 Den »Dienst für den großen Haufen«102 überließen die gelehrten Ärzte den Wundärzten, denn diese würden »oft mit dem Bürger in elenden Flecken, mit dem Bauer etc. weit eher fertig und richtc(n) mehr mit ihm aus als der gebildete Arzt, dessen feinere Erziehung ihm schon meistens dazu im Wege ist«. 103 Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts machten die akademischen Ärzte sich zwar Gedanken darüber, wie die medizinische Versorgung insbesondere auf dem Lande verbessert werden könnte; jedoch dachten sie zunächst nicht daran, diese Funktion für sich selber zu beanspruchen. So schlug der Hallen­ ser Medizinprofessor Johann Christian Reil 1804 vor, eigene Ausbildungs­ stätten für »ärztliche Routiniers« einzurichten: In solchen »Pepinieren« soll­ ten Schüler, an deren Bildungsvoraussetzungen keine großen Ansprüche gestellt wurden, in rein mechanischem D rill, ohne Vermittlung medizini­ scher Grundlagenkenntnisse, zur Krankenbehandlung »abgerichtet« wer­ den; dann könnten sie, ohne den Sozialstatus und die Privilegien eines gelehrten Arztes zu beanspruchen, den »großen Haufen« medizinisch ver­ sorgen.104 Der Leibarzt der königlichen Familie, Christoph Wilhelm Hufeland, der aufgrund seiner Position - er war außerdem Direktor des »Collegium medi­ co-chirurgicum« - großen Einfluß auf das preußische Medizinalwesen hatte, nahm in dieser Frage eine ambivalente Haltung ein. Während er den Vor­ schlag Reils mit dem Argument, dadurch würde die ärztliche Praxis unge­ bildeter Pfuscher nur staatlich legalisiert, ablehnte,105 schlug er selber weni­ ge Jahre später vor, die Landgeistlichen zur medizinischen Primärversor­ gung der Bevölkerung heranzuziehen.106 D aß dies nicht nur ein auf dem Papier stehender Plan war, sondern mindestens hier und da paramedizini­ sche Funktionen von den Pfarrern tatsächlich übernommen wurden, zeigen die medizinischen Vorlesungen für Theologen, die sich an einer Reihe von deutschen Universitäten, zum Teil bis in die 50er Jahre des 19. Jahrhunderts hinein, nachweisen lassen, sowie die über hundert Traktate, die medizini­ sche Grundkenntnisse für Geistliche vermitteln sollten.107 Das Ergebnis einer Preisfrage der Churfürstlichen Akademie zu Erfurt aus dem Jahre 1797 kann ebenfalls nicht als Beweis dafür gewertet werden, daß die beteiligten Ärzte die medizinische Versorgung der gesamten Bevölke­ rung für die eigene Gruppe beanspruchten. D ie Akademie hatte folgende Preisfrage gestellt: »Ist es notwendig und ist es möglich, beide Theile der Heilkunst, die Medicin und die Chirurgie, sowohl in ihrer Erlernung als Ausübung wieder zu vereinigen? Welches waren die Ursachen ihrer Tren­ nung, und welches sind die Mittel ihrer Wiedervereinigung?« Zwar spra­ chen sich von 15 eingegangenen Arbeiten 14 für eine Vereinigung von Chirurgie und Medizin aus, 108 jedoch wäre es übereilt, dies als ein Votum für eine einheitlich vorgebildete Ärzteschaft zu interpretieren, die die medizini43 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

sche Versorgung der Gesamtbevölkerung hätte monopolisieren sollen. Viel­ mehr ging es den Einsendern in erster Linie darum, der Chirurgie einen gebührenden Platz im Universitätsunteriicht zu sichern und dadurch den wissenschaftlichen Rückstand gegenüber England und insbesondere Frank­ reich aufzuholen. Als Gründe für die Notwendigkeit der einheitlichen Aus­ bildung in Chirurgie und Medizin wurden meist solche wissenschaftlicher Natur genannt: Chirurgie und Medizin seien nur zwei Zweige einer einheit­ lichen Wissenschaft, jede Grenzziehung müsse künstlich bleiben; wegen des Ineinandergreifens beider Disziplinen sei ein Chirurg ohne fundierte medizi­ nische Kenntnisse notwendig ein Stümper usw. In solchen Argumenten wird sowohl der Wandel der Chirurgie als auch ein neuer Blick auf das Phänomen Krankheit deutlich. D ie Grenzziehung zwischen Medizin und Chirurgie, zwischen innerlichen und äußerlichen Krankheiten, war so lange möglich gewesen, wie die Krankheiten nach Symptomen klassifiziert wurden, und entscheidend für die Einordnung einer Krankheit in ein nosologisches System »der Grad ihrer Ähnlichkeit zu einer anderen«109 war. Als sich um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in der Ätiologie eine Verzeitlichungstendenz110 durchzusetzen begann, als die Genese von Krankheiten ins Blickfeld rückte und man zwischen Sym­ ptomen und Ursachen zu unterscheiden begann, wurde auch offenbar, wie inadäquat und künstlich die Trennung in innere und äußere Krankheiten war. D adurch daß diese traditionelle Teilung problematisiert und in Frage gestellt wurde, wurde gleichzeitig auch die darauf aufbauende Teilung in »innere« Ärzte und Chirurgen fragwürdig. Verstärkt wurde diese Tendenz durch die wissenschaftliche Fundierung der Chirurgie. Sobald die Chirurgie nicht mehr rein empirisch-handwerksmäßig betrieben, sondern ihr Handeln aus anatomischen und physiologischen Gesetzmäßigkeiten begründbar wurde, mußte ein Chirurg ohne Kenntnis solcher Gesetze notwendig ein »Stümper« sein. Schließlich deutete sich in dieser Argumentation auch die neue Qualität der medizinischen Univcrsitätsausbildung an. Es wird davon ausgegangen, daß die an der Universität vermittelten medizinischen Kennt­ nisse für den Chirurgen notwendig und nützlich, daß sie praktisches Han­ deln anzuleiten in der Lage seien. Während einige Antworten auf die Preis­ frage der Akademie offenbar die Frage, ob die handwerkliche Ausbildung von Wundärzten bei einer Vereinigung von Medizin und Chirurgie an den Universitäten wegfallen solle, überhaupt nicht thematisierten, wollten an­ dere zwar das gesamte niederärztliche Personal abgeschafft wissen, da die Chirurgie dann ebenfalls von den akademisch gebildeten Ärzten ausgeübt werde. D aß aber die wichtigere Funktion der Wundärzte gar nicht in ihrer Spezialisierung auf äußere Krankheiten und chirurgische Verrichtungen lag, sondern in der allgemeinmedizinischen Versorgung breiterer Bevölkerungs­ schichten, als die gelehrten Ärzte sie erreichen konnten; daß also bei einem Wegfall dieser Ärztekategorie das Problem entstand, wie überhaupt die medizinische Versorgung der Bevölkerung sichergestellt werden sollte, 44 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

das wurde in den Einsendungen in der Regel nicht ventiliert. Dies zeigte sich auch in dem Argument, daß es ein Gewinn für den Kranken sei, wenn er nicht unkoordiniert von zwei Ärzten gleichzeitig, von denen einer zuständig sei für innere und der andere für äußere Krankheiten, behandelt werde: Von den Kranken jedoch, für die eine Behandlung durch zwei Arzte ohnehin nicht in Frage kam, die sich, wenn überhaupt, nur einen Wundarzt leisten konnten, wurde nicht gesprochen. Ein Beantworter der Preisfrage wünsch­ te zwar die »Vereinigung von Chirurgie und Medizin«, wollte aber gleich­ zeitig eine Trennung der Ärzteschaft in »gelehrte« und »brauchbare« Ärzte beibehalten.111 Hier wird exemplarisch deutlich, daß die Forderung nach Aufhebung der Trennung von Chirurgie und Medizin durchaus noch nicht die Forderung nach dem »Einheitsstand«, der einheitlich vorgebildeten Ärzteschaft, der die medizinische Versorgung der Bevölkerung allein zu­ kommen sollte, implizierte.

2. D ie Bestimmungen von 1825 Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts meldeten sich schon vereinzelt ärztli­ che Stimmen für eine völlige Aufhebung des niederärztlichen Personals,112 zu einer breiten Bewegung innerhalb der Ärzteschaft wurden solche Forde­ rungen jedoch erst in den 30er und vor allem den 40er Jahren, also erst gut ein Jahrzehnt nach dem Erlaß einer neuen preußischen Prüfungsordnung im Jahre 1825, welche die Klassifikation des Heilpersonals neu regelte. Diese in der Hauptsache von dem Geheimen Obermedizinalrat im Ministerium der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenhciten, Johann Nepomuk Rust, verfaßte Prüfungsordnung ist später von der Ärzteschaft und auch in der Medizingeschichtsschreibung sehr kritisiert und als »unheilvoller« Irr­ weg bezeichnet worden.113 Für ihre Zeit kann sie aber durchaus als Aus­ druck der Interessenlage sowohl der Ärzteschaft wie auch des Staates ange­ sehen werden. Sie hob die wissenschaftlich obsolet gewordene Trennung der Heilkunde in Chirurgie und Medizin auf, indem sie von den Wundärzten erster Klasse, welche die ehemaligen Stadtwundärzte ersetzten, nicht nur eine chirurgische Ausbildung, sondern auch medizinische Kenntnisse verlangte, und anderer­ seits auch den auf der Universität ausgebildeten Medizinstudenten ein chi­ rurgisches Studium und eine anschließende Prüfung ihrer chirurgischen Kenntnisse zur Pflicht machte. Die derart ausgebildeten Studenten konnten dann wählen, ob sie sich als reine Mcdiker (medici puri) oder als Ärzte und Wundärzte zugleich (Mediko-Chirurgen) approbieren lassen wollten.114 Ein zweiter wichtiger Punkt der Prüfungsreform war die Verschärfung der Qualifikationsanforderungen. Schon 1725 war den Fakultäten das Recht zur Approbation entzogen und einer staatlichen Behörde, dem »Ober45 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Collegium medicum« in Berlin übertragen worden. 1798 war dann eine eigene, ständige Examinationskommission geschaffen und ein besonderes Prüfungsreglement erlassen worden.115 D ieses trug dem in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts allmählich einsetzenden Wandel in der medizinischen Ausbildung insofern Rechnung, als es dem Prüfungskandida­ ten die selbständige Behandlung zweier Kranker im Charite-Hospital für die Dauer von einem Monat vorschrieb und damit erstmals einen praktischen Teil im Prüfungsablauf verankerte. Zugleich teilte es die gesamte Prüfung in einzelne Abschnitte ein und stellte einen ersten Schritt in Richtung auf eine Standardisierung der Qualifikationsbedingungen dar. Trotzdem blieb die Prüfung wegen der nach wie vor niedrigen Anforderungen eher eine Forma­ lität als eine Zugangsbarriere zum Arztberuf. D as änderte sich erst mit den Prüfungsbestimmungen von 1825. Sie teilten das nach dem Fakultäts­ examen abzulegende Staatsexamen in fünf Abschnitte: den anatomischen, den chirurgischen, den medizinisch-klinischen sowie den chirurgisch-klini­ schen Kursus und die mündliche Abschlußprüfung. Für Prüfungskandida­ ten, welche die Approbation als medicus purus anstrebten, entfiel der chi­ rurgische Prüfungsabschnitt, und der chirurgisch-klinische Kursus wurde »bloß in Beziehung auf den pathologischen Theil der chirurgischen Krank­ heiten mit aller Weglassung der operativen Technik«116 abgehalten. D ie in jedem Abschnitt zu erbringenden Leistungen waren detailliert vorge­ schrieben.117 Damit war die Entwicklung, die 1725 mit dem Entzug des Approbations­ rechts für die medizinischen Fakultäten begonnen hatte, abgeschlossen: Die staatliche Bürokratie besaß jetzt die Möglichkeit, die angehenden Ärzte mit Hilfe standardisierter, formalisierter Qualifikationserfordernisse unmittel­ bar zu kontrollieren. Gleichzeitig läßt sich an den Bestimmungen von 1825 eine deutliche Verlagerung der Prüfungsanforderungen hin zur Abfragung praktisch relevanten, professionellen Fachwissens ablesen. Ähnliche Veränderungen im Prüfungswesen - stärkerer Einfluß staatli­ cher Bürokratie und Schwerpunktverlagerung auf die Prüfung von Fach­ wissen - lassen sich in allen traditionellen akademischen Berufen, auch bei den Theologen, den Richtern und den höheren Verwaltungsbeamten, fest­ stellen. 118 Sie reflektieren einen tiefgreifenden Wandel in Stellung und Funk­ tion der Professionen. D ie stilistischen und kulturellen Kriterien, welche die Homogenität und Exklusivität des »Gelehrtenstandes« in der ständischen Gesellschaft gesichert hatten, wurden in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts nachhaltig durch ein neues Bildungsideal und das Entste­ hen einer neuen bildungsbürgerlichen Kultur erschüttert, die sich in der wachsenden Zahl von Zeitungen, Magazinen, literarischen und politischen Journalen sowie den rasant zunehmenden Gründungen von Lesegesellschaf­ ten manifestierte. D ie philosophische Fakultät gewann an Gewicht gegen­ über den traditionellen »höheren Fakultäten« Jura, Medizin und Theologie, die alten intellektuellen Standards wurden mehr und mehr archaisch.119 46 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Wollten die traditionellen Professionen in dieser Situation ihre privilegier­ te Stellung halten, mußten sie Äquivalente für die in Auflösung begriffenen ständischen Werte finden. D iese konnten nur in einer stärkeren Betonung formalisierter Qualifikationskriterien bestehen, die eine klare Abgrenzung nach unten ermöglichten und die alten sozialen Barrieren aufrechterhielten. Speziell den Ärzten bot sich dadurch auch eine Chance, sich von der ihren Status beeinträchtigenden Kontrolle ihrer Tätigkeit durch den Patienten und seine Angehörigen zu lösen: Waren im 18. Jahrhundert die Klagen über die lasche Ausbildung der Mediziner und die geringen Anforderungen der Fakultäten für den Erwerb des Doktortitels allgemein gewesen, so eröffnete die »Verwissenschaftlichung« des Studiums, wie sie im Wandel der Prü­ fungsordnungen Ausdruck fand, den akademischen Ärzten die Möglich­ keit, ihr berufliches Handeln stärker als wissenschaftlich angeleitetes, nach wissenschaftlichen Prinzipien erfolgendes zu präsentieren und es dadurch von der Tätigkeit von Laien am Krankenbett abzusetzen. Der spätabsolutistische preußische Staat setzte mit der Prüfungsreform seine schon während des ganzen 18. Jahrhunderts betriebene Politik fort, die Hochschulen auf beruflich-utilitaristische Funktionen hin auszurichten. D a­ mit verfolgte er zunächst die Absicht, für die sich ausweitenden administra­ tiven Aufgaben qualifizierte Staatsdiener heranzubilden. Gleichzeitig fügte sich die Universitätspolitik und besonders der Aufbau eines staatlichen Prüfungswesens in die allgemeine politische Linie einer Expansion der staat­ lichen Zentralgewalt gegenüber den regionalen und ständisch-korporativen Kräftenein.120 Die beiden genannten Neuerungen der Prüfungsordnung von 1825, die Aufhebung der Trennung von Chirurgie und Medizin sowie die Verschär­ fung der Prüfungsanforderungen, lagen durchaus im Interesse der akade­ misch gebildeten Ärzteschaft. Eine Beurteilung der einschneidendsten Ver­ änderung des Edikts, nämlich der Schaffung des Instituts der Wundärzte erster Klasse, ist dagegen wesentlich schwieriger. Was die Motive zu diesem Schritt angeht, kann hier lediglich auf veröffentlichtes Material zurückge­ griffen werden: vor allem auf die etwa ein Jahrzehnt nach Erlaß der Prü­ fungsordnung einsetzende öffentliche Kontroverse zwischen den Gegnern und den Befürwortern der 1825 geschaffenen Klassifikation.121 Die Entscheidung, eine Hierarchie des ärztlichen Personals weiter beizu­ behalten, muß zweifellos vor dem Hintergrund der desolaten medizinischen Versorgung in den ländlichen Regionen gesehen werden. Für den preußi­ schen Staat und seine Bevölkerungspolitik war Gesundheit seiner Staatsbür­ ger im 18. Jahrhundert zu einer wesentlichen Voraussetzung für die ange­ strebte Maximierung aller Produktionsressourcen geworden. Um die Ge­ sundheit der Einwohner zu fördern und die hohe Sterblichkeitsrate zu senken, war die staatliche Bürokratie daran interessiert, die Untertanen zu einem rationalen Gesundheitsverhalten zu erziehen. Gerade das »platte Land« aber galt, nicht zuletzt weil die medizinische Versorgung hauptsäch47 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

lich über ein Netz von Laienheilern lief, als Hort des Aberglaubens und der Unvernunft in gesundheitlichen Fragen.122 D aß die staatliche Administra­ tion also versuchte, die medizinische Infrastruktur auf dem Lande mit Hilfe staatlich approbierter und kontrollierter Medizinalpersonen stärker in den Griff zu bekommen, um auf diese Weise das Medikalverhalten der Landbevöl­ kerung besser beeinflussen und kontrollieren zu können, erscheint plausibel. Den konsequentesten Schritt in diese Richtung, nämlich alle niederen Ärzte­ kategorien auf den Aussterbeetat zu setzen und statt dessen akademische Ärzte, die die staatlichen Intentionen am besten realisieren konnten, aufs Land zu ziehen, wagte Rust noch nicht. Er glaubte auf »semiprofessionelle« Wundärzte nicht verzichten zu können, weil er fürchtete, daß die akademi­ schen Ärzte nicht aufs Land gehen würden, und weil er Rücksicht auf die gewachsene Struktur des preußischen Medizinalwesens nehmen zu müssen glaubte, vor allem darauf, daß der überwiegende Teil der akademischen Ärzte noch zum Typ des alten gelehrten »medicus purus« gehörte, also sowieso zur Ausübung einer Landpraxis, die den Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer in einer Person verlangte,123 nicht geeignet war. Für die Wundärzte, die »wegen ihrer niedrigeren bürgerlichen Stellung zu geringeren Ansprüchen als die promovierten Ärzte berechtigt«124 und deshalb für die Betreuung der »ärme­ ren Volksclassen« und der ländlichen Bevölkerung prädestiniert sein sollten, wurde eine halbakademische Ausbildung auf mediko-chirurgischen Lehran­ stalten - solche wurden in Münster (1822), Breslau (1823), Magdeburg (1827) und Greifswald (1831) gegründet-eingeführt. 125 Die für diese neue Kategorie festgelegte Bezeichnung »Wundarzt erster Klasse« ist im Grunde genommen irreführend, da es sich keineswegs um nur chirurgisch ausgebildete Ärzte handelte: der Lehrplan umfaßte durchaus gleichgewichtig Chirurgie und innere Medizin. D as Charakteristikum der Ausbildung lag vielmehr darin, daß die Wundärzte »gleichentfernt von dem höheren für die Sphäre (ihrer) Bestimmung zwecklosen Streben in dem spekulativen Reiche des ärztlichen Wissens und von der rohen Empirie, dem gewöhnlichen Erbteile handwerksmäßig empor gekommener Wundärzte, seyn sollen«.126 Die Anforderungen an ihre Vorbildung waren entsprechend: Sie sollten «soviel Latein verstehen, daß (sie) die Pharmakopoe und einen leichten Autor übersetzen, und ein Rezept sprachrichtig niederschreiben« könnten.127 In der Praxis wurden selbst diese Bedingungen nicht immer erfüllt: Die Chirurgen-Schule in Münster nahm in den ersten Jahren auch eine Reihe von Schülern auf, die nur die Volksschule absolviert hatten.128 Mit ihrer Ausrichtung auf »praktische Routine« entsprachen die preußi­ schen Wundärzte den wenige Jahre zuvor eingeführten bayrischen »Landärz­ ten«, die auf eigenen Landarztschulen eine halbakademische Ausbildung erhielten,129 und den französischen »officiers de santé«:130 D as ärztliche Personal zerfiel jeweils »in zwei Abtheilungen, die der gelehrten und der bloß praktischen Ärzte«. 131 Um zu verhindern, daß die neuen Wundärzte erster Klasse den akademi48 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

schen Ärzten in den Städten Konkurrenz machen könnten, wurde ihre Niederlassungsfreiheit beschränkt: Sie durften an Orten, wo schon ein promovierter Arzt etabliert war, nur die chirurgische Praxis ausüben, nicht jedoch die innere.132 Gleichzeitig mit der Schaffung der Wundärzte erster Klasse wurden die unteren Ränge des Heilpersonals in ihren Kompetenzen beschnitten und teilweise ausgegrenzt. Die Wundärzte zweiter Klasse, die an die Stelle der alten Landwundärzte traten, waren seit 1825 nur noch zur Ausübung der sog. »kleinen Chirurgie« berechtigt, etwa zum Aderlassen, Blutegelsetzen, Verbändeanlegen usw., und sollten vorzugsweise auf An­ ordnung von promovierten Ärzten oder Wundärzten erster Klasse tätig werden, also eher »Hülfsärzte« sein.133 Konzessionen zur Ausübung einzel­ ner Zweige der Heilkunst, der Geburtshilfe etwa, wurden nach der neuen Regelung von 1825 nicht mehr an Personen erteilt, die sonst keinerlei medizinische Vorbildung hatten, sondern konnten nur noch von schon approbierten Medizinalpersonen durch Zusatzprüfungen erworben wer­ den. Insgesamt tragen die Prüfungsbestimmungen von 1825 deutliche Merk­ male einer Übergangslösung. Einerseits markierten sie eine wichtige Etappe der Vereinheitlichung der vorindustriell segmentierten Ärzteschaft und der Standardisierung der Qualifikationsbedingungen und brachten den Prozeß der allmählichen Umwandlung der alten »gelehrten« Profession zum mo­ dernen Expertenberuf ein Stück voran. Andrerseits aber festigten sie die Klassifizierung der Ärzteschaft in unterschiedlich vorgebildete Subgruppen, indem sie für die Kategorie der Wundärzte erster Klasse mit großem Auf­ wand eigene Ausbildungsinstitutionen schufen. Es muß aber festgehalten werden, daß die akademische Ärzteschaft selbst in dieser Frage gespalten war. Obwohl die Meinung, nur ein voll ausgebildeter Arzt könne Kranke richtig behandeln, in der Theorie immer mehr an Boden gewann, waren doch längst nicht alle Ärzte bereit, in der Praxis die Konsequenzen daraus zu ziehen und auch die medizinische Versorgung des »großen Haufens« für den eigenen Stand zu beanspruchen. Hufeland, der 1804 Reils »ärztliche Routi­ niers« vehement abgelehnt hatte, hatte selber maßgeblichen Anteil am Zu­ standekommen der Bestimmungen von 1825134 und vertrat im selben Jahr auch die Ansicht, daß für die kleinen Städte und das platte Land einfache »Techniker« als Ärzte ausreichten, »weil auf dem Lande weit mehr chirurgi­ sche als medicinische Hülfe nöthig ist, und weil die gewöhnlichen auf dem Lande vorkommenden Krankheiten von leichter und einfacher Natur sind und weniger tiefe Einsichten erfordern«.135 Da ein Großteil der Ärzte dem Problem einer zweiten Klasse von Ärzten entweder gleichgültig gegenüberstand oder sie sogar befürwortete, können die Bestimmungen von 1825 als für ihre Zeit durchaus tragfähiger Kompro­ miß zwischen Staat und Ärzteschaft136 angesehen werden, indem der Staat eine effektivere Beeinflussung des Gesundheitsverhaltens besonders der Landbevölkerung mit Hilfe eines besser kontrollierten Medizinalpersonals 49 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

zu erreichen suchte, die Ärzte dagegen ihr Interesse an einer Bewahrung ihres privilegierten Status durch die Verschärfung der Prüfungsanforderun­ gen gesichert sahen.

3. D er Weg zum »Einheitsstand« Drei Entwicklungen waren es vor allem, die in der Folgezeit die Grundlagen dieses Kompromisses aushöhlten: Zum einen wuchs die Ärzteschaft nach 1825 sehr viel rascher als die Bevölkerung, zum anderen wurde der alte Typus des »medicus purus« zunehmend durch den neuen Typ des umfassend ausgebildeten akademischen Arztes, des promovierten Medikochirurgen, ersetzt, und schließlich ließen sich die Wundärzte erster Klasse keineswegs wie vorgesehen auf dem Lande nieder, sondern vornehmlich in den großen Städten. Zusammengenommen bewirkten diese drei Faktoren erhebliche Veränderungen in der ärztlichen Arbeitsmarktlage. D iese wurden von den Ärzten seit den späten 20er Jahren als »Überfüllung« wahrgenommen und zunehmend beklagt. Die kontinuierliche Zunahme der Ärztezahl in der preußischen Monar­ chie geht aus der folgenden Tabelle hervor: Die Tabelle zeigt gleichzeitig, daß unter den promovierten Ärzten der Tab. 1: Zahl der Ärzte und Wundärzte in Preußen 1828-1846 Jahr

1828 1831 1837 1840 1846

prom. Ärzte davon An­ zugleich zahl Wundarzt 1986 2068 2456 2726 3137

947 1056 1558 1893

Wundärzte erster Klasse

Wundärzte zweiter Klasse

379 394 614 676 827

2058 1891 1666 1543 1144

Es kamen auf... Einwohner 1 prom. 1 Arzt Arzt überhaupt 6408 6305 5740 5476 5136

2877 2995 2977 3019 2952

Quelle: D ie Zahlen für 1828-1840 bei Sponholz, Statistik, S. 64, 66f.; für 1846 bei S. Neumann, Zur medicinischen Statistik des preußischen Staates nach den Akten des staatlichen Bureaus für das Jahr 1846, in: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie u. für klinische Medicin, Bd. 3, 1851, S. 24f. In den Zahlen von Sponholz sind die Militärärzte mit enthalten, bei Neumann nicht. Von den 351 Militärärzten, die Neumann gesondert aufführt, dürften ca. die Hälfte zur Gruppe der promovierten Ärzte gehört haben, der Rest zu den Wundärzten erster und zweiter Klasse. Bei der Berechnung der letzten Spalte, der Relation von Einwohnern und Ärzten überhaupt, wurden diese 351 Militärärzte wieder mitgezählt. 50 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Anteil derer, die gleichzeitig als Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer appro­ biert waren, immer größer wurde. 1824, ein Jahr vor der Rustschen Prü­ fungsreform, waren 60% (1068) der 1776 promovierten Ärzte in Preußen nur zur Heilung sog. »innerer Krankheiten« berechtigte »medici puri« ge­ wesen; 1840 betrug ihre Zahl nur noch 833, das waren rund 30% der promovierten Ärzte. D iese 30% »medici puri« müssen vorwiegend der älteren Ärztegeneration angehört haben, denn von den jungen Medizinern strebte seit den 30er Jahren die ganz überwiegende Mehrzahl die Approba­ tion als Medikochirurg an. 137 Trotzdem ließen sich auch diese einen neuen professionellen Typus reprä­ sentierenden Ärzte nur selten auf dem Lande nieder. Ein Vergleich der Ärztedichte in den ländlichen Ostprovinzen Preußens und den stärker urba­ nisierten Westprovinzen macht dies deutlich: In Ost- und Westpreußen kamen 1833 auf einen promovierten Arzt 12955 Einwohner, im Rheinland dagegen nur 5015, und in der Stadt Berlin nur 1060.138 Daß sich auch in der Rheinprovinz die Ärzte in den Städten konzentrierten, geht daraus hervor, daß in 60 Kreisen mit insgesamt 13677 D örfern 1835/36 nur vier Ärzte praktizierten.139 Aber auch die Wundärzte erster Klasse, eigens dazu bestimmt, die Land­ bevölkerung medizinisch zu versorgen, ließen sich zu einem großen Teil in den Städten nieder. Das veranlaßte die Regierung 1837, die Niederlassungs­ beschränkungen für die Wundärzte erster Klasse zu verschärfen. Schon 1825 war ihnen an Orten, in denen bereits ein promovierter Arzt praktizierte, die Behandlung innerer Krankheiten untersagt und nur die chirurgische Praxis gestattet worden. 1837 wurde ihnen an solchen Orten die Niederlassung generell verboten.140 Aber auch diese Bestimmung, von ihren Kritikern als »sehr unvollständi­ ge Remedur«141 bezeichnet, hatte nicht den gewünschten Erfolg: In der Provinz Schlesien etwa praktizierten 1843 unter 140 Wundärzten erster Klasse 46 in Dörfern, 49 in Städten über 4000 Einwohnern und 45 in Städten unter 4000 Einwohnern.142 Im allgemeinen war es so, daß diejenigen Pro­ vinzen, die in der Versorgung mit promovierten Ärzten über dem Landes­ durchschnitt lagen, wie etwa Westfalen und Sachsen, auch überdurch­ schnittlich gut mit Wundärzten erster Klasse versehen waren, während die beiden Provinzen, die in bezug auf die Ärztedichte ganz unten standen, nämlich Preußen und Posen, auch die wenigsten Wundärzte im Verhältnis zur Bevölkerung hatten.143 D iese mangelnde Bereitschaft der Wundärzte erster Klasse, sich in den abgelegenen Regionen der Monarchie, wo promo­ vierte Ärzte nicht zu finden waren, niederzulassen, zeigt, daß der Optimis­ mus, mit dem der Leiter der medizinisch-chirurgischen Lehranstalt in Bres­ lau, Johann Wendt, noch 1838 die Wundärztefrage sah, nicht gerechtfertigt war. Wendt hatte gemeint: »Zugegeben, daß ein gelehrter in jeder Bezie­ hung geistig hochstehender Arzt in manchen dieser Gegenden nicht leben könnte und leben wollte, so kann ein anspruchsloser Wundarzt erster Classe 51 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

dort doch seine Rechnung finden. Unter wenigen günstigen Verhältnissen geboren und erzogen, hat dieser die geistigen und besonders die socialen Genüsse der Welt nicht kennen gelernt, er macht deshalb bescheidenere Anforderungen an sein Leben, und wird zur Beurtheilung seiner Glückse­ ligkeit und zur Wahl seines heimatlichen Aufenthalts, einen anderen Maß­ stab anlegen.«144 Über die in diesem Zitat implizit angesprochene soziale Herkunft der Wundärzte erster Klasse gibt es, soweit zu sehen ist, keine empirischen Unterlagen.145 Zweifellos war im allgemeinen das Herkunftsmilieu »be­ scheidener« als bei den promovierten Ärzten, doch die Tendenz zur Nie­ derlassung in den Städten sowie die Tatsache, daß der Bildungshintergrund der Zöglinge der medizinisch-chirurgischen Lehranstalten sich seit deren Bestehen im D urchschnitt immer mehr hob, sprechen dafür, daß die Wundärzte erster Klasse sich nicht mehr in so hohem Maße aus der lokalen ländlichen Bevölkerung rekrutierten, wie das für die alten, handwerklich ausgebildeten Wundärzte charakteristisch gewesen war. Als Eingangsvor­ aussetzung für den Besuch einer medizinisch-chirurgischen Lehranstalt wa­ ren Schulkenntnisse erforderlich, die der Sekundareife des Gymnasiums entsprachen: Während in den ersten Jahren noch öfter Ausnahmen gemacht und auch Schüler mit Volksschulbildung aufgenommen wurden, besaßen in Münster 1830 22% und 1837 gut ein Viertel der Schüler sogar das gymnasiale Reifezeugnis.146 D ie sozialen Konturen dieser semiprofessio­ ncllen Ärztekategorie, die unter die alte Zweiteilung der traditionellen Ärz­ teschaft - auf der einen Seite die akademisch gebildeten »gelehrten« Ärzte, auf der anderen Seite die handwerklich ausgebildeten Empiriker - nicht mehr zu subsumieren ist, bleiben bezeichnenderweise unscharf Wahr­ scheinlich war diese ohnehin zahlenmäßig nie sehr bedeutende Ärztekate­ gorie - in den 50er Jahren gab es in Preußen rund 1000 Wundärzte erster Klasse147 - recht heterogen zusammengesetzt, was ihre soziale Herkunft, ihren Bildungsgrad, ihre Ambitionen und Fähigkeiten sowie ihre prakti­ sche Berufstätigkeit angeht. In den ersten Jahren nach 1825 wurde die neue Ausbildung noch häufig von ehemaligen Barbieren oder Militärchirurgen als Aufstiegsweg benutzt, später überwogen junge Leute, die das Gymna­ sium ganz oder teilweise durchlaufen hatten, und denen vielleicht die finan­ ziellen Mittel zum medizinischen Universitätsstudium fehlten. Teils nur chirurgisch, teils als Allgemeinpraktiker tätig, teils den Ruf eines chirurgi­ schen Spezialisten genießend, teils aus dem Ruch des Halbgebildeten nicht herauskommend, teils um die gleichen Klienten mit den promovierten Ärzten konkurrierend, teils deutlich von diesen abgesetzt für die Versor­ gung der »weniger gebildeten Volksclassen« zuständig, bilden die Wund­ ärzte erster Klasse eine höchst uneinheitliche Gruppe. D as mag vor allem darauf zurückzuführen sein, daß man bei dieser neuartigen Schöpfung 1825 nicht auf schon bestehenden, historisch gewachsenen Strukturen auftauen konnte und daß diese Kategorie, bevor überhaupt ein klares Berufsbild 52 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

entstehen konnte, nach etwas mehr als zwanzig Jahren schon wieder abge­ schafft wurde. Da die Wundärzte erster Klasse ihrem eigentlichen Zweck, die medizi­ nisch unterversorgten ländlichen Gebiete der preußischen Monarchie abzu­ decken, nur höchst unvollkommen gerecht wurden, lag die Versorgung der ländlichen Bevölkerung faktisch weiterhin überwiegend in den Händen der am niedrigsten qualifizierten Klasse des ärztlichen Personals: den Wundärz­ ten zweiter Klasse. Alle Bestimmungen, die ihren Kompetenzbereich be­ schneiden und sie auf die Funktion assistierender »Hülfsärzte« zurückstufen sollten, mußten unter diesen Umständen wirkungslos bleiben. Es sei »wohl anerkannt«, meint einer der Kritiker der Bestimmungen von 1825, der Generalarzt D r. Wasserfuhr, »daß sie sich an die unbestimmbaren Schran­ ken, welche ihnen die Approbation auferlegt, nicht kehren und nicht kehren können«.148 In einem Reskript vom 10. März 1828, das aufgrund der vielen Anfragen von seiten einzelner Regierungen über die praktischen Befugnisse der Wundärzte erlassen wurde, sah das Ministerium sich denn auch gezwun­ gen, den Wundärzten zweiter Klasse Kompetenzen zuzugestehen, die weit über die Bestimmungen von 1825, wonach ihnen »die Behandlung innerer Krankheiten . . . unbedingt untersagt« war, hinausgingen. In dem Reskript hieß es u. a.: »Es folgt daraus nicht, daß die Wundärzte zweiter Klasse in rein chirurgischen Krankheitsfällen nicht die nöthigen Mittel verordnen, und daß sie selbst bei inneren Krankheiten, wenn sie entfernt von Ärzten sind, und wo schnelle Hülfe erforderlich ist, solche im ersten Augenblick nach ihrem besten Wissen nicht leisten dürfen. Sie sind vielmehr berechtigt und sogar gezwungen, in Fällen der Noth das Erforderliche bei jedem Kranken zu verordnen.«149 Diese Klasse von Ärzten, die nur geringe Bildungsvoraussetzungen mit­ brachte (vorgesehen war eine der Tertia-Reife eines Gymnasiums vergleich­ bare Vorbildung, die aber nur in den wenigsten Fällen gegeben war) 150 und nur sehr begrenzte Kenntnisse nachzuweisen hatte - entweder durch Lehr­ jahre oder durch D ienst als Kompagnie-Chirurg beim Militär oder durch Besuch einer chirurgisch-medizinischen Lehranstalt - und trotzdem genau­ so umfassend ärztlich tätig war wie die akademischen Ärzte, zog bald heftige Kritik auf sich. Es gebe keinen Stand, meinte Alberti, »dessen Wirklichkeit so wenig seiner ursprünglichen Bestimmung entspricht«,151 und Wasser­ fuhr zitierte einen pommerschen Arzt: »D ie Chirurgen zweiter Klasse sind schädlicher als alle anderen Quacksalber zusammen. «152 Da die Wundärzte erster Klasse nicht in ausreichender Zahl aufs Land gingen und die Zahl der Wundärzte zweiter Klasse in den 30er und 40er Jahren kontinuierlich abnahm (vgl. Tab. 1), muß davon ausgegangen wer­ den, daß die medizinische Versorgung der Landbevölkerung nicht nur quali­ tativ schlecht blieb, sondern sich auch quantitativ noch verschlechterte: Die Relation der Medizinalpersonen insgesamt zur Einwohnerzahl wurde noch ungünstiger (Tab. 1), die ungleiche Verteilung zwischen Stadt und Land 53 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

noch krasser. Auf dem Lande spielte das staatlich nicht kontrollierte Netz lokaler Laienheiler, dessen Zurückdrängung die Bestimmungen von 1825 intendiert hatten, eine noch größere Rolle als vorher. Anders war es in den Städten. Hier wirkte sich die rasch wachsende Ärztedichte als verschärfter Konkurrenzkampf innerhalb der Ärzteschaft aus. Zwar benutzten die Medizinalbehörden das Instrument der staatlichen Prüfungen durchaus im Interesse der akademischen Ärzte: D ie Approba­ tionsprüfung wurde zu einer echten Barriere vor dem Eintritt in den Arztbe­ ruf. In dem Jahrzehnt von 1832 bis 1841 fiel jeweils etwa ein D rittel der Kandidaten (Medikochirurgen, medici puri und Wundärzte erster Klasse) vor den medizinischen Oberexaminationskommissionen durch. Angesichts der rapide steigenden Zahl von Meldungen zur Prüfung - von 164 im Prüfungsjahr 1832/33 auf mehr als das D oppelte fünf Jahre später (vgl. Tab. 2) - konnte aber auch die hohe Durchfallquote stark ansteigende Ärzte­ zahlen in den größeren Städten nicht verhindern.

Tab. 2: D ie medizinischen Staatsprüfungen in Preußen 1832 — 1841 Prüfungs­ semester 1832/33 1833/34 1834/35 1835/36 1836/37 1837/38 1838/39 1839/40 1840/41

1 2 3 4 5 6 7 8 9

1

2

3

4

5

6

7

8

9

98 103 126 178 199 223 210 262 255

70 76 93 122 146 153 147 199 187

23 25 26 17 15 8 6 6 5

19 13 14 13 12 6 7 6 7

43 64 99 94 95 103 93 96 122

21 39 71 55 55 54 48 50 77

164 192 251 289 309 334 309 364 382

110 128 178 190 213 213 202 255 271

67,0 66,6 71,0 69,7 68,9 63,7 69,4 70,0 70,9

Zur Prüfung als Arzt und Wundarzt (Medikochirurg) meldeten sich D avon haben bestanden Zur Prüfung als »medicus purus« meldeten sich D avon haben bestanden Zur Prüfung als Wundarzt erster Klasse meldeten sich D avon haben bestanden Kandidaten insgesamt Bestanden insgesamt In %

Quelle: D eutsch, S. 10f.

Erläuterungen: D aß 1838/39 und 1840/41 bei den medici puri die Zahl der Bestande­ nen die der Meldungen übertraf (Sp. 3/4), liegt wahrscheinlich daran, daß Kandida­ ten, die bei der Prüfung als Medikochirurgen durchgefallen waren, die Prüfung als »medicus purus« bestanden. 54 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Der vermehrte Andrang, der in anderen intellektuellen Berufen in ähnli­ cher Weise auftrat,153 trug zum beschleunigten Abbau der letzten noch bestehenden Grundlagen des traditionalen Professions-Status bei. Neben Merkmale wie »Lebensstil« und »Gelehrsamkeit« traten mehr und mehr Berufswissen und der Anspruch professioneller Tüchtigkeit. Hatten die alten »reinen Mediker« es sich noch leisten können, angesichts ihrer gerin­ gen Zahl und ihrer günstigen Arbeitsmarktlage den ganzen Bereich manuel­ ler Tätigkeiten, insbesondere chirurgischer Verrichtungen, als zu ihrer »fei­ neren Erziehung« nicht passend zu ignorieren und ihre Leistungen aus­ schließlich einer exklusiven Oberschichtklientel anzubieten, so wurden die­ se Exklusivität und der darauf aufbauende Status immer mehr in Frage gestellt, je mehr Mediziner in den Städten um die Gunst des Publikums konkurrierten. Vor dem Hintergrund der verschärften Konkurrenz wird auch klar, warum die große Mehrheit der jungen Mediziner sich als Mediko­ chirurgen approbieren ließ: Sie hatten bessere Erwerbschancen, wenn sie die ganze Palette medizinischer Dienstleistungen anbieten konnten. Im Gegen­ satz zu den alten »reinen Medikern«, welche die Wundärzte als rohe Hand­ werker außerhalb konfliktreichen Wettbewerbs verachtet hatten, betrachte­ ten die jungen Medikochirurgen sie mehr und mehr als lästige Konkurren­ ten. Es verwundert daher nicht, daß seit den späten 30er Jahren die Forde­ rung nach Abschaffung der niederen Ärztekategorien, welche die Erwerbs­ möglichkeiten der promovierten Ärzte schmälerten, von letzteren immer häufiger erhoben wurde. Allerdings hoben lediglich die Gegner einer Auf­ hebung jeder Klassifizierung hervor, daß es den Befürwortern dabei vor allem um Konkurrenzvorteile gehe;154 diese selbst argumentierten dagegen in der Regel mit Defiziten in der Vor- und Ausbildung der Wundärzte. Als eine »Art Mischlinge«155 stellten sie einen »gefährlichen Mittelschlag«156 dar: Nur zu praktischer Routine ausgebildet und befähigt, daher zum »Indi­ vidualisieren« in jedem einzelnen Krankheitsfall, wie es den wahren Arzt kennzeichne, nicht in der Lage, stifteten diese halbgebildeten Ärzte »un­ berechenbaren Schaden«, denn: »Praktische Tüchtigkeit zur selbständi­ gen Ausübung der Heilkunst in ihrer Gesammtheit oder auch nur in ei­ ner Specialität kann ohne gelehrtes Studium niemals erworben werden.« 157 In diesem Argument spiegelte sich die neue Funktion des Studiums: Ein gelehrtes Studium an der Universität sollte den Absolventen nicht mehr lediglich als Angehörigen der »gebildeten Stände« ausweisen, son­ dern »praktische Tüchtigkeit« vermitteln, ja mehr noch: diese konnte nurmehr durch ein Studium erworben werden. Die Schwerpunktverlagerung innerhalb der eigenen Ausbildung - von der gelehrten Allgemeinbildung hin zur Vermittlung praktisch relevanten Fachwissens - lieferte den akademischen Ärzten also ein willkommenes Argument, die Abschaffung aller anderen, weniger anspruchsvollen Aus­ bildungswege und damit die Abschaffung der semiprofessionellen Kon55 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

kurrenz zu fordern. Auf die Expertise folgte der Monopolanspruch als Kennzeichen der entstehenden modernen Profession. Betonung des professionellen Fachwissens heißt allerdings nicht, daß die medizinische Fachausbildung an den Universitäten zu diesem Zeitpunkt, in den 30er und 40er Jahren, den Studierenden eine - am Stand der Wissen­ schaft gemessen - optimale Vorbereitung für das spätere Berufsleben ver­ mittelt hätte. Im Gegenteil, in einer Reihe von Punkten wies das universitäre Medizinstudium auch nach 1825 noch erhebliche Mängel auf; so wurden Chirurgie und Geburtshilfe zwar an der Leiche bzw. am hölzernen Phantom betrieben, praktische Übungen dagegen gab es nur »privatissime . . ., d. h. zu hohen, nur den Bemittelten erschwingbaren Preisen«.158 Neben der häufig wiederkehrenden Kritik an der mangelnden Praxisorientierung des Studiums159 wurde der Nepotismus bei der Besetzung medizinischer Lehr­ stühle beklagt, der zu einem verbreiteten »Lehrschlendrian« führe, sowie die »partielle Verknöcherung der Vorstellungswelt« vor allem bei älteren Do­ zenten. 160 Was die Anwendung neuer Techniken in Diagnose und Therapie angeht, standen gerade die deutschen Hochschulen des Vormärz durchaus nicht an der Spitze des medizinischen Fortschritts. Im Gegenteil, die neuen naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden hatten es nicht nur schwer, sich bei praktisch tätigen Ärzten durchzusetzen, sie stießen auch bei vielen Hochschullehrern auf Ablehnung. Viele Ärzte lehnten es beispiels­ weise als überflüssig ab, beim Pulsmessen eine Sekundenuhr zu benutzen;161 ein Stethoskop galt, berichtet Grauvogl, noch 1838 in deutschen Kliniken als »Cunosität«;162 und noch in den 50er Jahren sah sich der Nürnberger Arzt Gottlieb v. Merkel als junger Assistenzarzt am städtischen Krankenhaus gezwungen, ein Fieberthermometer auf seine Kosten anzuschaffen, da das Krankenhaus ein solches Instrument nicht besaß.163 Nun ist zwar nicht anzunehmen, daß in den chirurgisch-medizinischen Lehranstalten solche Instrumente wie Stethoskop oder Fieberthermometer etwa allgemeiner verbreitet waren, als sie es in den Universitätskliniken dieser Zeit waren, doch war zweifellos der ganze Unterricht an diesen Anstalten sehr viel stärker auf Einübung in die Praxis orientiert. Gleichzeitig waren aber zumindest im Lehrplan die medizinischen Grundlagenfächer wie Anatomie, Physiologie usw. durchaus auch verankert,164 und es ist daher eine offene Frage, ob die Ausbildung an den medizinisch-chirurgischen Lehranstalten tatsächlich, wie von den meisten Ärzten behauptet, der an den Universitäten unterlegen war. Diese Frage spielt jedoch in dem hier themati­ sierten Zusammenhang keine Rolle, bedeutsam ist vielmehr allein die Tatsa­ che, daß die akademisch gebildeten Ärzte begannen, ein akademisches Me­ dizinstudium als Grundlage professionellen Wissens zu betrachten, um dar­ aus einen Monopolanspruch auf die Anwendung medizinischen Wissens abzuleiten. Daß die Erfolge der professionellen Medizin in therapeutischer Hinsicht noch lange Zeit recht unbedeutend blieben - wenn auch im Bereich der 56 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

medizinischen Grundlagenfächer sowie in der Diagnostik seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts rasche Fortschritte erzielt wurden - steht auf einem anderen Blatt. Profcssionalisierung bzw. der Anspruch einer Berufsgruppe, als Profession zu gelten, stützt sich eben nicht so sehr auf die - vielleicht nur vermeintliche- Überlegenheit des professionellen Wissens über ein Alltags­ wissen im gleichen Bereich, als vielmehr auf die Fähigkeit der »Professio­ nals«, eine solche Überlegenheit und Einzigartigkeit des von ihnen be­ herrschten Wissens gesellschaftlich glaubhaft zu machen und für seine An­ wendung staatlichen Schutz vor nicht-professionellen Konkurrenten zu re­ klamieren. Die Abschaffung der »Duplizität« bzw. »Trinität« im ärztlichen Stand, an deren Stelle der »Einheitsstand« treten sollte, wurde auf diese Weise zu einer der Kernforderungen der sog. »Medizinalreformbewegung« der 40er Jahre. Verlauf und Ziele dieser in der Revolution von 1848 ihren Höhepunkt findenden ärztlichen Reformbewegung sind schon in mehreren Monogra­ phien dargestellt worden;165 eine detaillierte Erörterung kann deshalb hier unterbleiben. In einer ständig anschwellenden Flut von Denkschriften, Bro­ schüren und Vereinsresolutionen setzten sich die Ärzte mit Fragen der medizinischen Ausbildung, der Stellung der Ärzte im Staat und der vorteil­ haftesten Organisation des Medizinalwesens auseinander. Insgesamt zielten die Forderungen auf eine umfassende Reorganisation des Medizinalwesens, wozu die Mitsprache gewählter ärztlicher Vertreter in Medizinalangclcgen­ heiten, Standesvertretungen mit eigenen Disziplinarbefugnissen, Lehr- und Lernfreiheit an den Universitäten, die Umgestaltung des Armenarztwesens, sanitätspolizeiliche Maßnahmenkataloge und die Abschaffung der niederen Ärztekategorien gehörten. Nachdem der Schöpfer der Wundärzte erster Klasse, Rust, 1838 in seiner ausführlichen Stellungnahme die Klassifizierung der Ärzte in drei unter­ schiedliche Gruppen noch vehement verteidigt hatte, zeichnete sich in den folgenden Jahren aufgrund der wachsenden Kritik aus der akademisch gebil­ deten Ärzteschaft ein Kurswandel im Ministerium ab, der seinen Nieder­ schlag in zwei halboffiziellen Schriften von hohen Beamten des Ministe­ riums fand: Friedrich Trüstedt erklärte in seinen »historisch-kritischen Bei­ trägen« 1846 die Bestimmungen von 1825 für zum damaligen Zeitpunkt sinnvoll: Die Wundärzte erster Klasse seien »unter den zu jener Zeit obwal­ tenden Umständen eine Nothwendigkeit und eine Wohltat für das Land« gewesen; nunmehr aber, da die Zahl der promovierten Mcdiko-Chirurgen stark zugenommen habe, sei eine Reform, die in der Beseitigung des Insti­ tuts der Wundärzte erster Klasse bestehen müsse, notwendig geworden.166 Noch einen Schritt weiter ging die im gleichen Jahr erschienene Schrift des Ministerialrates Josef Hermann Schmidt, der vom Minister Eichhorn mit der Ausarbeitung des Entwurfs zu einem neuen Medizinaledikt beauftragt war. 167 Nach seiner Meinung war die Schaffung der Wundärzte erster und zweiter Klasse »ein sehr ungeeignetes Mittel zur Erreichung eines guten 57 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Zwecks«, nämlich »dem armen Landmanne Hülfe zu senden«.168 Schmidt machte sich deshalb die Forderung nach Aufhebung der Klassifikation zu eigen und sprach sich gleichzeitig für die Schaffung eines medizinischen Hilfspersonals - Krankenwärter und -Wärterinnen - aus, das den Ärzten strikt untergeordnet sein sollte.169 Mit dieser »Reformschrift« sowie mit der Anforderung gutachterlicher Äußerungen dazu aus den einzelnen Regierungsbezirken verfolgte die ober­ ste Medizinalbehörde vermutlich auch den Zweck, die ärztliche Reformdis­ kussion zu kanalisieren und weitergehenden Forderungen nach institutiona­ lisierter Mitbestimmung der Ärzte in allen Medizinalangelegenheiten die Spitze abzubrechen.170 Immerhin wurde aber ein Ziel der Reformer erreicht: Mit dem Einlenken des Ministeriums in der Frage der unterschiedlichen Ärztekategorien war das Ende der Wundärzteausbildung vorprogrammiert. Zwischen 1849 und 1852 wurden die medizinisch-chirurgischen Lehranstal­ ten in Breslau, Greifswald, Münster und Magdeburg geschlossen. Gesetz­ lich verankert wurde der »Einheitsstand« am 8. Oktober 1852. Die seither approbierten Ärzte führten den Titel »Praktischer Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer«.171 An die Stelle des alten Wundarztes zweiter Klasse trat durch ministerielle Verfügungen vom 13. Oktober 1851 bzw. 27. März 1852 der Beruf des Heildieners, der nach einer Prüfung durch den Kreisphysikus nur für seinen derzeitigen Wohnort und widerruflich konzessioniert wurde. Er sollte die kleinen chirurgischen Operationen jeweils auf Anordnung eines Arztes durchführen.172 Die traditionale Hierarchie der Heilpersonen, in der die verschiedenen Subgruppen sich durch Herkunft, Ausbildungswege und Status ihrer Mit­ glieder sowie durch den Zugang zu je bestimmten Klientengruppen vonein­ ander unterschieden hatten, war damit endgültig aufgehoben. An ihre Stelle war eine einheitlich vorgebildete akademische Ärzteschaft getreten, die sowohl die gesamte Heilkunde abdeckte als auch alle Bevölkerungsgruppen zu versorgen beanspruchte. Mit der D urchsetzung des akademisch gebildeten Allgemeinpraktikers war das Entstehen eines neuen Leitbildes verbunden: An die Stelle des »Gelehrten«, der manuelle Tätigkeiten verachtete und seinen Status eher durch würdevolles Auftreten und geistreiche Gespräche mit seinen gebilde­ ten Patienten gesichert sah, trat mehr und mehr der Praktiker, der in allen Feldern der Heilkunde bewandert war, sich nicht scheute, selbst Hand anzulegen, und auch sog. »niedere Verrichtungen« selbst auszuführen, wenn keine kompetente Hilfsperson zur Stelle war, der Verantwortung für seine Patienten, seien sie nun arm oder reich, übernahm, der »bei Wind und Wetter«, »bei Nacht und Nebel« zu seinen Kranken eilte.173 Mit einem Wort: Der neue Arzttypus definierte sich selber in erster Linie durch seine ärztliche Berufstätigkeit und nicht mehr vorrangig durch die Zugehörigkeit zur Welt der Gebildeten und den damit verbundenen Lebensstil. Besonders ausge58 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

prägt erschien diese neue Leitidee im Bild des Landarztes, das seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, als mit der zunehmenden Spezialisierung im Arztberuf sich wieder neue Tendenzen durchsetzten, stark romantisierend verklärt und zum Idealbild des Arztes schlechthin emporstilisiert wurde. Demgegenüber verdient schon hier festgehalten zu werden, daß dies Ideal des »All-round-Praktikers« überhaupt erst um die Jahrhundertmitte im Gefolge des Wandels der Ausbildung, der strukturellen Verschiebungen im Arzt-Patient-Verhältnis und der Veränderungen der Arbeitsmarktlage ent­ stand und langsam das alte Ideal des Arztes als »gentleman« und »Gelehrter« ablöste. Um die Jahrhundertmitte war in Preußen - die anderen deutschen Staaten folgten meist kurze Zeit später - mit der Vereinheitlichung der Qualifika­ tionsbedingungen und der Schaffung des »Einheitsstandes« eine Etappe des Professionalisierungsprozesses abgeschlossen und eine wichtige Vorausset­ zung für die Durchsetzung der modernen Profession geschaffen. Aber er­ stens war die Ausbildung zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs eindeutig auf die Vermittlung wissenschaftlicher, für die spätere Berufspraxis relevan­ ter Standards verpflichtet; zweitens war die professionstypische Selbstkon­ trolle in eigenen Berufsverbänden nicht einmal ansatzweise erreicht, son­ dern die Ärzte waren in hohem Maße von staatlichen Regelungsmechanis­ men einerseits und der Gunst ihrer Patienten andrerseits abhängig. Und drittens bedeutete die Aufhebung der Klassifikation keineswegs automa­ tisch eine Aufhebung der Klassengrenzen in der Inanspruchnahme des Arz­ tes und ein Monopol der Ärzte auf dem Markt für medizinische D ienstlei­ stungen. Hier blieben zunächst die alten sozialen Barrieren wirksam, die große Teile der Bevölkerung von dem studierten Arzt fernhielten. Diese Einzelbereiche - Ausbildung, Berufsleben, Arzt-Patient-Verhält­ nis, Erweiterung der Nachfrage nach ärztlichen Dienstleistungen, Entwick­ lung des Vereinswesens, Stellung zum Staat - sollen in den folgenden Kapiteln thematisiert werden, wobei es jeweils darum geht, herauszuarbei­ ten, welches Kräftespiel von ärztlichen Strategien, staatlichem Handeln, gesellschaftlichen Strukturwandlungen und wissenschaftlicher Entwick­ lung konkret den Professionalisierungprozeß der Ärzte ermöglichte und vorantrieb.

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KAPITEL III

Herkunft und Ausbildung der akademischen Ärzte Daß es im Rahmen der Analyse eines Professionalisierungsprozesses von zentraler Bedeutung ist, den Wandel der Ausbildung und damit der Zulas­ sungsvoraussetzungen zum Beruf zu untersuchen, bedarf kaum einer nähe­ ren Begründung. D ie wissenschaftliche Qualifikation der »professional« bildet schließlich nicht nur ein wesentliches Kriterium für die Abgrenzung einer Profession von einem Beruf, sie ist auch für den historischen Prozeß, in dem eine Berufsgruppe für ihre Angehörigen den Status des allein zuständi­ gen Experten durchsetzt, von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Sie stellt das wichtigste Instrument dar, mit Hilfe dessen die Professionals sich von anderen Anbietern medizinischer D ienstleistungen auf dem Gesund­ heitsmarkt abgrenzen, und begründet den Monopolanspruch der Berufs­ gruppe auf diesem Markt. Außer der Vermittlung von Expertenwissen hat die Ausbildung gleichzei­ tig die Funktion, den Zugang zum Beruf zu regulieren und Selektionsme­ chanismen für die Zulassung zu schaffen. D iese zweite Funktion professio­ neller Ausbildung wird im 4. Abschnitt dieses Kapitels anhand der Diskus­ sion um die sog. »Überfüllung« des Arztberufs seit den 80er Jahren themati­ siert. D araus geht auch hervor, daß der Wandel der Ausbildung nicht ohne Einfluß auf die soziale Rekrutierung der Berufsgruppe blieb. D ie soziale Herkunft der Berufsangehörigen, eventuelle Verschiebungen in derselben, etwa ein Anwachsen des Anteils sozialer Aufsteiger oder umgekehrt eine verstärkte Tendenz zur Exklusivität, wird ohnehin in jeder Untersuchung des Sozialprofiis einer Berufsgruppe einen wichtigen Platz einnehmen müs­ sen, bildet sie doch einen Erklärungsfaktor für die Analyse des Selbstver­ ständnisses der Berufsangehörigen, für die Beurteilung der Geschlossenheit bzw. der Heterogenität der Berufsgruppe, für die Untersuchung ihrer Inter­ essenpolitik usw. D aß außerdem der Vorbildung der künftigen Arzte ein eigener Abschnitt gewidmet ist, erklärt sich daraus, daß die Debatte über das Monopol des humanistischen Gymnasiums als Vorbildungsstätte Aufschluß darüber gibt, wo die Ärzte ihren Platz innerhalb des Bildungsbürgertums sahen.

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1. Herkunft: Begrenzte soziale Öffnung und neuer Exklusivitätsanspruch Im vorigen Kapitel wurde als eine der entscheidenden Ursachen für die in den 30er Jahren aufkommende Forderung nach der Schaffung des »Einheits­ standes« die zu dieser Zeit in den städtischen Zentren stark ansteigende Ärztezahl genannt. D iese ist unmittelbar zurückzuführen auf eine Steige­ rung der Studentenzahlen seit den 20er Jahren, die Mitte der 30er Jahre einen Höhepunkt erreichten, nach dem sie wieder abfielen. D ies war der erste »Studentenboom« innerhalb einer Reihe deutlich unterscheidbarer Auf-und Abwärtsbewegungen in der Frequenz der Universitäten, die sich insgesamt als wellenförmiger Verlauf der Studentenströme kennzeichnen lassen. Da zu vermuten ist, daß die soziale Herkunft der Studenten in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Frequenz steht - eine Ausweitung der Studentenzahlen könnte mit einer relativen Ausweitung des sozialen Rekrutierungsfeldes in mittlere und untere Bevölkerungsschichten hinein korrelieren - wird zunächst ein Blick auf die Entwicklung der Studentenzah­ len an den medizinischen Fakultäten geworfen (vgl. Tab. 3 und Schaubild). Die Zahlen reichen für das D eutsche Reich bis 1830/31 und für die altpreußischen Universitäten sogar bis 1821 zurück1 und geben etwa folgen­ des Bild: einem Anstieg der Studentenzahlen bis Mitte der 30er Jahre, als auf deutschen Universitäten rund 2500 Medizinstudenten immatrikuliert wa­ ren, folgte ein kontinuierlicher Rückgang, so daß im Jahre 1848 die Zahl der Studenten nur noch 1500 betrug. D anach stiegen die Zahlen wieder an, allerdings zunächst sehr langsam und zögernd: Während der 50er Jahre stagnierten sie im großen und ganzen bei etwas über 2000 und erreichten erst 1865 wieder den Stand von 1835, nämlich 2500 Studierende. Bis Ende der 70er Jahre hielt dieser Trend der langsamen Zunahme an - 1870 studierten 3140 Mediziner, 1880 etwas über 4000 -, dann beschleunigte sich das Wachs­ tum der medizinischen Fakultäten in einem beispiellosen Ausmaß: In nur sechs Jahren, von 1880 bis 1886, verdoppelte sich die Zahl der Studierenden auf 8227 und stieg dann bis 1890 noch auf 8724 an. In den 90er Jahren erfolgte ein geringfügiger Rückgang auf 7415 Studenten im Jahre 1900. Bis zum Wintersemester 1904/05 sackte die Zahl der Mediziner weiter ab auf 5726 und stieg dann bis 1911/12 wieder steil an. Man kann also in der Entwick­ lung seit 1830/31 dreimal einen »Studentenboom« an den medizinischen Fakultäten feststellen: D er erste liegt Anfang bis Mitte der 30er Jahre, der zweite in den 80er Jahren, und der dritte setzt gegen Ende des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts ein. Auch an den anderen Fakultäten lassen sich ähnliche Wellenbewegungen ausmachen, wenn auch jeweils mit unter­ schiedlicher Intensität und charakteristischen zeitlichen Phasenverschiebun­ gen (vgl. Schaubild). Zur Erklärung des strukturellen Wandels in diesem bislang noch zu wenig erforschten Komplex deutscher Bildungsgeschichte zeichnet sich in der jüngsten Forschung eine vielschichtige, hier verkürzt wiedergegebenc Ar61 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

gumentation ab. Das außerordentliche Anwachsen der Studentenzahlen seit den Befreiungskriegen wird u. a. zurückgeführt auf einen während der napoleonischen Kriege entstandenen Nachholbedarf, auf die allmähliche Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht, auf die nachnapoleonische Ag­ rar- und Gewerbedepression, die Karrieren in der Landwirtschaft, im Hand­ werk und im Handel als wenig attraktiv erscheinen ließ, sowie vor allem auf

Tab. 3: Medizinstudenten an deutschen Universitäten 1830 — 1911 Jahr (jeweils WS) 1830/31 1831/32 1833/34 1835/36 1837/38 1839/40 1841/42 1843/44 1845/46 1847/48 1849/50 1851/52 1853/54 1855/56 1857/58 1859/60 1861/62 1863/64 1865/66 1867/68 1869/70

Medizinstudenten abs. in % aller Studenten 14,8 2355 2318 16,1 2485 18,6 2312 19,4 2222 18,9 2119 18,0 1944 16,8 1789 15,3 1721 14,3 1570 12,8 1783 14,4 2095 16,5 2216 17,9 2114 17,5 2043 16,8 17,0 2025 17,0 2146 2412 18,0 2566 18,5 20,1 2771 3033 21,6

Jahr (jeweils WS) 1871/72 1873/74 1875/76 1877/78 1879/80 1881/82 1883/84 1885/86 1887/88 1889/90 1891/92 1893/94 1895/96 1897/98 1899/1900 1901/02 1903/04 1905/06 1907/08 1909/10 1911/12

Medizinstudenten abs. in % aller Studenten 3606 23,7 3581 22,1 3333 20,0 3330 18,6 3760 18,6 4779 20,9 6303 25,0 7680 28,5 8109 28,9 8558 29,9 8110 29,6 7620 28,2 7664 26,8 7738 25,3 7433 22,6 6710 19,3 5857 15,8 5903 14,3 7293 16,3 9274 18,8 11518 21,8

Quelle: Preuß. Statistik, H. 167: Statistik der preußischen Landesuniversitäten für das Studienjahr 1899/1900, Berlin 1901, S. 69; Preuß. Statistik, H. 236: dass, für das Studienjahr 1911/12, Berlin 1913, S. 79. Erläuterungen: D a die Studenten sich auf die preußischen und außerpreußischen Universitäten ungleich verteilten - so studierten in den 70er Jahren weniger als 50% der Medizinstudenten an preußischen Universitäten, obwohl die Preußen etwa zwei Drittel der Studenten stellten - wurden für diese Tabelle die Studentenzahlen auf Reichsebene zugrunde gelegt. D ie nachfolgenden Tabellen beziehen sich dagegen i. d. R. auf die preußischen Landesuniversitäten, weil nur hier genaue Erhebungen über Herkunft, Vorbildung, Verweildauer usw. durchgeführt wurden. 62 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Fakultäten medizinische ev.-theologische juristische philosophische

Studierende an deutschen Universitäten. 1830—1910. (Quelle wie Tab. 3). 63 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

die Tatsache, daß als Resultat der preußischen Reformen die akademische Erziehung einen insgesamt höheren Stellenwert erhielt.2 Nicht nur bei den Medizinern setzten daraufhin lebhafte Klagen über eine »Überfüllung« ihres Berufsstandes ein; die vormärzliche Überfüllungskrise traf offenbar die Juristen und vor allem die evangelischen Theologen noch wesentlich härter.3 Für die Stagnation bzw. den Rückgang der Studenten­ zahlen seit den 40er Jahren kann daher auch direkt der »Überschuß an Gebildeten« in den 30er Jahren verantwortlich gemacht werden, der viele junge Leute von einem akademischen Studium abhielt, ebenso wie der Wiederaufschwung des Geschäftslebens in der Vorbereitungs- und D urch­ bruchphase der Industrialisierung, was den Söhnen des gewerblichen Groß­ und Kleinbürgertums andere Aufstiegsmöglichkeiten eröffnete.4 Als wich­ tigster universitätsinterner Faktor kam in Preußen das Gesetz von 1834 hinzu, wodurch das Gymnasialabitur zur einzigen Zulassungsberechtigung zum Universitätsstudium wurde.5 Durch die damit eingeleitete und seit den 30er Jahren durchgehaltene restriktive staatliche Berechtigungspolitik - vor allem in Preußen, aber auch in anderen deutschen Staaten - hat sich die Zahl der studienberechtigten Abiturienten verringert und erst in den 50er Jahren das Niveau der 20er Jahre wieder erreicht. Zudem sind gerade die 60er und frühen 70er Jahre durch eine sinkende Studierwilligkeit charakterisiert, die vermutlich in der günstigen ökonomischen Lage dieser Jahre ihren Grund hatte. Unterstellt man außerdem einen wachsenden Bedarf an Akademikern im Zusammenhang mit den sich ausweitenden staatlichen Verwaltungs-und Steuerungsaufgaben, dann erscheint eine zum Teil gravierende Unterver­ sorgung mit qualifiziertem Nachwuchs in den akademischen Berufen nach der Jahrhundertmitte plausibel.6 Diese allgemeine Mangelsituation führte zu einem Modernisierungsdruck auf das höhere Schul- und Hochschulwesen. D as Ergebnis war eine bisher beispiellose Verbreiterung des Bildungsangebotes durch Ausbau und Neu­ gründung höherer Schulen in den 60er und 70er Jahren.7 D amit war eine wesentliche Voraussetzung für den Frequenzanstieg gegeben. Eine andere Voraussetzung lag im Wachstum der »gesamten Ressourcen«8 in der Bevöl­ kerung. D as stetig wachsende Pro-Kopf-Einkommen ermöglichte es neuen Bevölkerungsschichten, ihre Kinder auf weiterführende Schulen und an die Universitäten zu schicken. Durch die 1871 einsetzende sog. »Große Depres­ sion« wurden die Anreize, Bildungspatente zu erwerben und auf dieser Grundlage nach Möglichkeit eine Stellung im Staatsdienst zu erlangen, anstatt eine Karriere im Wirtschaftsleben anzustreben, noch verstärkt. Differenziert man die Bildungsexpansion im Kaiserreich nach der Fre­ quenzentwicklung an den einzelnen Fakultäten, zeigen sich charakteristische Phasenverschiebungen und Wechselwirkungen.9 Der Wachstumstrend war seit Anfang der 70er Jahre besonders an den juristischen und philosophischen Fakultäten ausgeprägt. Von diesen beiden erschien zunächst seit Ende der 70er, Anfang der 80erjahre die juristische überfüllt. D ie Zahl derjustizasses64 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

soren vervielfachte sich, und die Wartezeiten verlängerten sich infolgedessen rapide, eine Entwicklung, die durch die restriktive Anstellungspolitik im Justizdienst noch verstärkt wurde. In den 80er Jahren mußte ein Justizrefe­ rendar mit einem Zeitraum von bis zu zehn Jahren unbezahlten Dienstes als Assessor rechnen, bevor er in eine bezahlte Stellung kam. 10 Die Studienanfänger reagierten sehr sensibel auf die veränderte Situation: Der Anteil der preußischen Abiturienten, die ein Jurastudium aufnehmen wollten, halbierte sich im Jahrzehnt von 1876 bis 1885/86 von knapp 40% auf 20%. 11 Als zweite Fakultät nach der juristischen »kippte« die philosophische um (Titze). Seit 1881 begann die preußische Kultusbürokratie vor dem Lehr­ amtsstudium zu warnen, da sich eine Sättigung des in den 70er Jahren noch stark expandierenden Bedarfs an Oberlehrern abzeichnete. Seit Mitte der 80er Jahre nahm die Zahl der schlecht bezahlten, nicht abgesicherten Hilfs­ lehrerstellen rasch zu.12 D ie durch die schlechten Berufsaussichten und zusätzlich durch die amtlichen Warnungen vom Jura- bzw. Lehrer-Studium abgehaltenen Abiturienten orientierten sich zum großen Teil auf die beiden noch »offenen« Fakultäten um: der Anteil der studierwilligen preußischen Abiturienten, der sich den theologischen und medizinischen Fakultäten zuwandte, erhöhte sich von jeweils unter 20% Mitte der 70er Jahre auf jeweils über 30% Mitte der 80er Jahre. 13 Bei den Medizinern löste der Anstieg der Frequenz Ende der 70er Jahre eine Phase ab, in der die Zahl der Meldungen zum Staatsexamen und damit die der Approbationen ständig zurückgegangen war: Wurden im Deutschen Reich 1873/74 noch 662 Approbationen erteilt, waren es 1878/79 nur noch 563.14 In Preußen war zwischen 1867 und 1871 sogar absolut die Zahl der promovierten Ärzte zurückgegangen, erst recht natürlich relativ zur Ein­ wohnerzahl. Ohnehin war wegen des Rückgangs der Wundärzte die Ärzte­ dichte in Preußen in den 60er und 70er Jahren niedriger als im Vormärz.15 Mit der enormen, im Ausmaß mit der vormärzlichen kaum vergleichba­ ren Expansionswelle der Medizinstudenten seit den späten 70er Jahren ge­ winnt auch die Frage der sozialen Herkunft der Berufsgruppe besonderes Gewicht. Für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts kann bei der vergleichs­ weise geringen Schwankungsintensität der Studentenströme an den medizi­ nischen Fakultäten eher ein relativ stabiles Rekrutierungsmuster unterstellt werden,16 während in der zweiten Hälfte mit größeren Verschiebungen zu rechnen ist. Untersuchungen zur sozialen Herkunft der deutschen Ärzte während des Kaiserreichs liegen zwar nicht vor,17 wohl aber zur Herkunft von Studenten, darunter auch Medizinstudenten. Aufgrund der Quellenlage bietet es sich auch an, letztere zu untersuchen; bis auf geringfügige Verzer­ rungen - so werden in Universitätsstatistiken auch diejenigen Studenten mitgezählt, die ihr Studium nie beendeten und nie Arzt wurden - dürften die beiden Gruppen: Ärzte und Medizinstudenten, ein gleiches Bild der sozialen Rekrutierung bieten. Die Herkunft der Studenten aber ist - dank der Matri65 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

kelverzeichnisse, die in der Regel den Beruf des Vaters angeben -ungleich leichter zu erfassen. Von 1886/87 ab bietet die Preußische Statistik ein außerordentlich reichhaltiges Material - erfaßt werden alle reichsangehöri­ gen Studenten an preußischen Universitäten - zur Herkunft, zur Vorbil­ dung, zum Alter, Religionsbekenntnis und zur Studiendauer der Studen­ ten.18 Für die Zeit vorher liegen einige ältere und zwei neue statistische Untersuchungen vor, die die Matrikelverzeichnisse als Quellengrundlage benutzen, jedoch nicht alle Fragen hinsichtlich der Herkunft der Mediziner befriedigend klären können.19 Daher empfahl es sich, für die Zwecke dieser Studie eine eigene Untersu­ chung zur sozialen Herkunft von Medizinstudenten anhand gedruckter Matrikelverzeichnisse vorzunehmen. D ie Wahl der Göttinger Universität hierfür erklärt sich in erster Linie daraus, daß sie die einzige ist, die ihre Matrikelverzeichnisse auch für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts veröf­ fentlicht hat.20 Göttingen erschien aber auch insofern geeignet, als die medi­ zinische Fakultät hier schon um die Jahrhundertmitte, als allgemein die Frequenzen noch sehr niedrig lagen, ziemlich groß w a r - Göttingen nahm in den 50er Jahren den vierten Platz hinter Würzburg, Berlin und München ein. 21 Später blieb die medizinische Fakultät in Göttingen zwar hinter dem Wachstum anderer medizinischer Fakultäten erheblich zurück, doch stieg auch hier die absolute Zahl der Neuimmatrikulierten seit Beginn der 80er Jahre deutlich an. Das Matrikelverzeichnis enthält für die durchgesehenen 40 Jahrgänge von 1852 bis 1891 die Namen von 2143 Medizinstudenten mit Angabe des Vaterberufs.22 Das macht im Durchschnitt pro Jahr knapp 54. Da diese Zahl für eine Aufschlüsselung nach Väterberufen zu klein erschien, wurden die Matrikel zu Gruppen von jeweils fünf Jahren zusammengefaßt (s. Tab. 4). Natürlich kann man aus der Berufsangabe nur sehr begrenzt auf die Position im gesellschaftlichen Schichtungssystem schließen: unter der Bezeichnung »Kaufmann« ζ. Β. kann sich ebenso gut der Inhaber eines kleinen Ladens, der im Sozialstatus vielleicht weit unter manchen ortsansässigen Handwer­ kern steht, verbergen als auch der reiche Großhandelskaufmann, der zur gesellschaftlichen Oberschicht gehört. Zudem führte die Tatsache, daß der einzelne Student weitgehend selber entschied, was er als »Beruf« des Vaters angab, zu manchen Verzerrungen: da wird gewiß mancher Bauer zum »Gutsbesitzer«, mancher Handwerker zum »Fabrikant« und mancher, der so recht und schlecht von seiner Pension lebte, zum »Privatier« avanciert sein.23 Als weitere Schwierigkeit kommt hinzu, daß man, um eine differen­ zierte Schichtungsanalyse aufgrund von Berufsangaben vornehmen zu kön­ nen, wissen muß, welche soziale Hierarchie zwischen den Berufen bestand. Ideal wäre es, wenn man die Berufsangaben mit Angaben über Einkommen und anderen Statusindices kombinieren und dadurch die Studierenden in einen »multiplen sozialen Raum« (Jarausch) einordnen könnte. Mangels besserer D aten bleibt aber kein anderer Ausweg als aus Angaben über die 66 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Berufszugehörigkeit auf die Position im gesellschaftlichen Schichtungssy­ stem rückzuschließen und dann ein sehr grobes Schichtungsmodell zugrun­ dezulegen. Am besten geeignet dafür erscheint das von Jarausch vorgeschlagene Schichtungsmodell, das eng an die Kategorien zeitgenössischer Sozialstati­ stiker angelehnt ist. Jarausch unterscheidet zunächst zwei Primärgruppen, Adel und Bürgertum, und unterteilt letzteres in die Gruppen »Bildung«, »Besitz«, »Mittelstand« - wobei dieser noch in alten und neuen Mittelstand differenziert wird - und »Unterschicht«.24 Die - geringfügig modifizierte25 - Anwendung dieses Schichtungsmo­ dells auf das aus den Matrikeln der Universität Göttingen gewonnene Mate­ rial läßt bei aller gebotenen Vorsicht einige grundlegende Aussagen durch­ aus zu (Tab. 4). So ist z.B. offenkundig, daß die Selbstrekrutierungsquote zunächst relativ stabil bleibt, dann jedoch seit den 70er Jahren langsam, aber kontinuierlich zurückgeht. D er gleiche Trend läßt sich beobachten, wenn man die Gruppe der akademischen Berufe zusammenfaßt. D iese Gruppe hatte 1852-56 noch 56,4% aller Medizinstudenten gestellt, 1887-91 waren es nur noch 36,5%. Entsprechend vergrößerte sich der Anteil von Berufen ohne akademische Bildung: etwa der in der Gruppe »Besitz« zu­ sammengefaßten Väter von dem erstaunlich niedrigen Prozentsatz von 4,5% auf 14,2%; auch die Gruppe des »alten« Mittelstandes erhöhte ihren Anteil an den Studentenvätern von 21,4 auf 33,5%. Am Rande sei vermerkt, daß in den 50er und der ersten Hälfte der 60er Jahre relativ häufig Söhnen von Wundärzten der Aufstieg in den akademi­ schen Arztberuf gelang. D er schrumpfenden und in den 50er und 60er Jahren zahlenmäßig marginalen Gruppe der Wundärzte gehörten 1852-56 immerhin durchschnittlich 3,4% der Väter von Medizinstudenten an. Daß später kaum noch Wundärzte in den Matrikeln auftauchen, liegt sicher nicht daran, daß dieser Aufstiegskanal verstopft worden wäre, sondern am Aussterben der alten handwerklich ausgebildeten Wundärzte.26 Während das gewerbetreibende Bürgertum zunehmend mehr Studieren­ de stellte, ist eine Ausweitung des Rekrutierungsfeldes in die mittleren beamteten und angestellten Schichten dagegen nicht zu erkennen; vielmehr pendelte der Prozentsatz der Söhne von mittleren und unteren Beamten und Angestellten immer um den Durchschnittswert von 11%, der sich auf der Grundlage des gesamten Zeitraums von 40 Jahren ergibt. Lediglich bei den Volksschullehrern läßt sich ein leichter Anstieg von 3,4% auf 5,5% der Studierenden feststellen. Das könnte damit zusammenhängen, daß das Medizinstudium - wegen seiner Länge, wegen der hohen Zahl von Pflichtveranstaltungen und we­ gen des langwierigen teuren Examens - allgemein als das kostspieligste galt27 und daher neben der traditionellen Bildungsschicht nur Söhne aus finanziell gutsituierten Kreisen des nichtakademischen Bürgertums sich diese Studienrichtung leisten konnten, während die Söhne von Lehrern 67 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

68

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1 2

17,3 2,7 5,9 25,9 8,2 3,2 11,4 37,2 0,4

38 6 13 57 18 7 25 82 1

12,4 3,8 5,3 21,4 13,5 3,4 16,9 38,3 0,7

9

33 10 14 57 36 9 45 102

100 19,5 13,2 2,3 14,5 1,8 0,9 54,7 3,2 2,7 3,6 9,5

100 22,9 11,3 6,0 10,2 4,9 1,1 56,4 1,1 2,6 0,7 4,5 28 8 27 63 26 9 35 98

47 15 14 20 6 1 104 8 7 5 20 12,6 3,6 12,2 28,4 11,7 4,1 15,8 44,1

6,3 9,0 2,7 0,4 46,8 3,6 3,2 2,3 9,0

100 21,2

247 25

249 29 220 43 29 5 32 4 2 116 7 6 8 21

300 34 266 61 30 16 27 13 3 150 3 7 2 12 222

1862-66 abs. %

1857-61 abs. %

1852-56 abs. %

Unter Einschluß der Rechtsanwälte und Notare. Unter Einschluß der Privatangestellten.

Jahr Beruf des Vaters Gesamtzahl der Neuimmatrikulierten Herkunft nicht festgestellt Also bleiben: Ärzte Beamtem.akad. Bild. 1 Lehrer m. akad. Bild. Geistliche Apotheker Offiziere »Bildung« Industr. /Bankiers Rentiers Gutsbesitzer »Besitz« Kaufleute/Handwerker/ Gastwirte Wundärzte Bauern »Mittelstand alt« Beamte o. akad. Bild. 2 Lehrer o. akad. Bild. »Mittelstand neu« »Mittelstand insges.« Unterschicht 22 59 28 11 39 98

36

246 21 225 45 23 9 26 3 1 107 4 6 10 20 16,0 0,4 9,8 26,2 12,4 4,9 17,3 43,6

100 20,0 10,2 4,0 11,6 1,3 0,4 47,5 1,8 2,6 4,4 8,9

1867-71 abs. %

26 4 22 52 18 7 25 77

212 12 200 35 29 2 24 0 1 91 10 9 13 32 13,0 2,0 11,0 26,0 9,0 3,5 12,5 38,5

100 17,5 14,5 1,0 12,0 0 0,5 45,5 5,0 4,5 6,5 16,0 51 2 27 80 25 13 38 118 1

268 19 249 43 17 6 27 5 2 100 11 12 7 30 20,5 0,8 10,8 32,1 10,0 5,2 15,3 47,4 0,4

100 17,3 6,8 2,4 10,8 2,0 0,8 40,2 4,4 4,8 2,8 12,0

1872-76 1877-81 abs. % abs. %

Tab. 4: D ie soziale Herkunft der Göttinger Medizinstudenten 1852—1891

26 108 40 20 60 168 1

81

384 57 327 44 24 16 22 5 1 112 15 23 8 46

24,8 0,3 7,9 33,0 12,2 6,1 18,3 51,4 0,3

100 13,4 7,3 4,9 6,7 1,5 0,3 34,3 4,6 7,0 2,4 14,1

1882-86 abs. %

48 142 44 21 65 207 2

11,3 33,5 10,4 5,0 15,3 48,8 0,5

94 22,2

487 63 424 100 54 12,7 30 7,1 24 5,7 36 8,5 10 2,4 1 0,2 155 36,5 24 5,7 26 6,1 10 2,4 60 14,2

1887-91 abs. %

Zu Tab. 4: Quelle: D ie Matrikel der Georg-August-Univcrsität zu Göttingen. Bd. 2: 1837— 1900, hg. von W. Ebel, Hildesheim 1974. Erläuterungen: In den Fällen, wo die Zahl in der Zeile »Bildung« größer ist als die Summe der vorher aufgeführten einzelnen Berufe, sind jeweils weitere bildungsbür­ gerliche Berufe darin enthalten, die so selten als Väterberufe genannt wurden, daß für sie keine eigene Rubrik gebildet wurde, etwa Architekten oder Künstler. Am schwierigsten erwies sich die Abgrenzung zwischen »Besitz« und »altem Mittelstand«. Gerade die am häufigsten überhaupt genannte Berufsbezeichnung »Kaufmann« kann sowohl den kleinen Ladeninhaber als auch den reichen Großhan­ delskaufmann meinen. Aufgrund der Erwägung, daß sich unter der Bezeichnung »Rentier« oder »Gutsbesitzer« mitunter auch Väter verbergen, die eher in die Gruppe »alter Mittelstand« als »Besitz« gehören, habe ich mich entschlossen, sozusagen als Ausgleich alle »Kaufleute« dem alten Mittelstand zuzuordnen. Ganz ohne Willkür sind solche Entscheidungen nie, möglicherweise fällt dadurch in meiner Tabelle die Gruppe »Besitz« etwas zu klein aus. Andererseits ist die saubere Trennung zwischen Besitzbürgertum und Mittelstand vielleicht auch nicht so wichtig, wenn man be­ denkt, daß ohnehin in der Hauptsache die besser situierten Handwerker, Gastwirte und Bauern ihre Söhne auf die Universität schickten. Übrigens führt auch Jarausch in der Erläuterung zu seiner Matrikelauszählung nur an, daß die Zuordnung einzelner Berufe, besonders des »Kaufmanns«, zu einer bestimmten Schicht im Einzelfall sehr schwierig gewesen sei, ohne anzugeben, wie er das Problem konkret gelöst hat (Jarausch, Neuhumanistische Universität, S. 37). Anzumerken ist ferner, daß die Göttinger Matrikel nicht unbedingt repräsentativ für den Durchschnitt an allen preußischen Universitäten sind, da Göttingen neben Marburg als besonders exklusive Universität galt und der Anteil der traditionellen Bildungsschicht unter den Studentenvätern daher höher lag als im preußischen Landesdurchschnitt (dazu auch Anm. 30 in diesem Kapitel). Trotzdem ist die Aus­ zählung geeignet, die relative soziale Öffnung der medizinischen Fakultäten und den gleichzeitigen relativen Rückgang der Akademikersöhne seit den 70er Jahren zu verdeutlichen. und Beamten im Regelfall ein Theologie- oder Philologiestudium vor­ zogen. U m eventuelle zufällige Schwankungen in der Rekrutierung in etwa auszugleichen und die langfristigen Trends besser erfassen zu können, wur­ den zwei Zehn-Jahres-Gruppen gebildet, von denen die erste die Periode der relativen Stagnation der Medizinstudentenzahlen, die 50er Jahre, die zweite dagegen die Phase der stürmischen Expansion, die 80er Jahre, um­ faßt(Tab. 5). Die Gegenüberstellung dieser beiden Gruppen zeigt sehr deutlich den Rückgang in der Selbstrekrutierungsquote und im Anteil von Akademi­ kerkindern überhaupt. D ie absolute Zahl der Akademikersöhne blieb zwar in etwa gleich, doch der Zuwachs der Studentenzahlen geht auf das Konto der nicht-akademischen Elternhäuser, konkret von Bourgeoisie und altem 69 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Mittelstand, die zusammengenommen ihren Rekrutierungsanteil von 30,2% auf 47,4% verbessern konnten. Diese Ergebnisse belegen, daß die Hypothese von der relativen sozialen Öffnung der deutschen Universitäten im Zusammenhang mit deren Expan­ sion, schon von zeitgenössischen Statistikern als »aufsteigende Klassenbe­ wegung« beschrieben28 und neuerdings besonders von Jarausch vertreten,29 auch für die medizinischen Fakultäten der 80er Jahre zutrifft. D ieser Sach­ verhalt spiegelt sich in den Zahlen der preußischen Statistik, die ja erst 1887, also schon mitten im »Boom« an den medizinischen Fakultäten, einsetzen, Tab. 5: D ie soziale Herkunft der Göttinger Medizinstudenten 1852-1861 und 1882-1891 Jahr

Beruf des Vaters

abs.

Gesamtzahl der Neuimmatrikulierten Herkunft nicht festgestellt Also bleiben:

549 63 486

Arzte Beamte m. akad. Bildung Lehrer m. akad. Bildung Geistliche Apotheker Offiziere

104 59 21 59 17 5

»Bildung«

1852-1861 %

100

1882-1891 abs. % 871 120 751

100

98 54 40 58 15 2

13,0 7,1 5,3 7,7 2,0 0,2

266

21,4 12,1 4,3 12,1 3,5 1,1 54,7

267

35,6

Industrielle/Bankiers Rentiers Gutsbesitzer

10 13 10

2,1 2,7 2,1

39 49 18

5,2 6,5 2,4

»Besitz«

33

6,8

106

14,1

Kaufleute, Handwerker, Gastwirte Wundärzte Bauern

71 16 27

14,6 3,3 5,5

175 1 74

23,3 0,1 9,9

114

23,5

250

33,3

Beamte o. akad. Bildung Lehrer o. akad. Bildung

54 16

11,1 3,3

84 41

11,2 5,5

»Mittelstand neu«

70

14,4

125

16,6

Mittelstand insges.

184

37,9

375

49,9

3

0,6

3

0,4

»Mittelstand alt«

Unterschichten

Quelle und Erläuterungen: wie bei Tab. 4. 70 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

noch nicht. Für die Betrachtung der weiteren Entwicklung der sozialen Herkunft, insbesondere während des dritten Studentenbooms, der ca. 1906/ 07 einsetzt, reicht die Preußische Statistik mit ihrem reichhaltigen Material dagegen aus; die Auszählung der Matrikel der Universität Göttingen wurde deshalb nicht weiter fortgesetzt. 30 Die Zahlen der Preußischen Statistik erlauben darüber hinaus einen Ver­ gleich des Sozialprofils der Studenten an den medizinischen Fakultäten mit dem Sozialprofil der Studierenden der übrigen Fakultäten. D ie Tabellen, in denen die Väterberufe in der Reihenfolge der Abteilungen und Gruppen der Berufszählungen nachgewiesen werden, sind zwar für die soziale Herkunft kaum aussagekräftig, aber daneben wird jeweils eine weitere Übersicht veröffentlicht, in der einige ausgewählte Väterberufe, die zweifelsfrei im sozialen Schichtungssystem verortet werden können, in zwei Gruppen zu­ sammengestellt sind. D ie Gruppe Α umfaßt alle akademischen Berufe, dazu Offiziere und Rittergutsbesitzer, während in der Gruppe Β im wesentlichen die Beamten ohne akademische Bildung und die Volksschullehrer rangieren. Die übrigen Berufe in Gruppe B, nämlich Unteroffiziere, Organisten, Kü­ ster, niedere Kirchendiener, Bedienstete und Arbeiter, machen nur einen verschwindend geringen Teil aus. 3 1 Vergleicht man die dank dieser beiden Gruppen zumindest teilweise fest­ stellbare soziale Herkunft der Studenten an den einzelnen Fakultäten (Tab. 6), erweist sich die juristische Fakultät unzweifelhaft als die sozial

Tab. 6: Soziale Herkunft der Studenten nach ausgewählten Väterberufen an den einzelnen Fakultäten 1887/88-1891 Väter aus Berufsgruppe Α Väter aus Berufsgruppe Β abs. % abs. % ev.-theol. Fakultät Jurist. Fakultät mediz. Fakultät philosoph. Fakultät

707 925 796 742

27,7 38,3 23,1 20,8

794 324 617 747

31,1 13,4 17,9 20,9

Quelle: Preuß. Statistik, H. 223, S. 182. Erläuterungen: D a bei manchen Berufsangaben eine Verortung im Sozialen Schichtungssystem der Gesellschaft nur schwer möglich ist, hat die Preußische Statistik zwei Gruppen von Väterberufen zusammengestellt, die zweifellos entweder der gesellschaftlichen Oberschicht oder der Mittel- und Unterschicht angehören. Gruppe Α umfaßt folgende Berufe: alle akademischen Berufe, außerdem Offiziere und Rittergutsbesitzer. Gruppe Β umfaßt folgende Berufe: Lehrer ohne akademische Bildung, Beamte ohne akademische Bildung, Unteroffiziere, Küster, niedere Kirchendiener, Be­ dienstete und Arbeiter. 71 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

exklusivste. Im D urchschnitt der Semester Winter 1887/88 bis Sommer 1891 stammten 38,3% der Väter von Jurastudenten aus der Gruppe Α und nur 13,4% aus der Gruppe B. In allen anderen Fakultäten lag der Anteil der Akademiker, Offiziere und Rittergutsbesitzer unter den Studentenvätern erheblich niedriger. An zweiter Stelle stand die evangelisch-theologische Fakultät mit 27,7%, 32 an dritter die medizinische mit 23,1%, und an der philosophischen Fakultät schließlich lag der Anteil der Väterberufe aus Gruppe Α nur bei 20,8%. Es wäre jedoch voreilig, aus diesen Zahlen schließen zu wollen, daß die evangelisch-theologische Fakultät zu diesem Zeitpunkt, Ende der 80er Jahre, sozial exklusiver gewesen wäre als die medizinische. D enn andererseits war auch der Anteil von Vätern aus den beamteten mittleren und unteren Schichten bei den Theologiestudenten mit 31,1% sehr viel höher als bei den Medizinern, wo er nur 17,9% betrug. Das weist auf einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Rekrutierungs­ feld der Mediziner und dem an der theologischen und auch der philo­ sophischen Fakultät hin. An den medizinischen Fakultäten kam ein sehr viel höherer Prozentsatz von Studenten aus der Gruppe der selbständigen Ge­ werbetreibenden, als dies bei den übrigen Fakultäten der Fall war. Schon die Auswertung der Göttinger Matrikel hatte ja ergeben, daß der Prozentsatz von Studentenvätern aus dem »neuen Mittelstand« relativ konstant blieb, aber das gewerbliche Bürgertum seinen Anteil an den Studierenden verbes­ sern konnte, wobei im einzelnen eine Trennungslinie zwischen »Besitz« und »altem Mittelstand« nur schwer zu ziehen war. Die Vermutung, daß mittlere Beamte, Angestellte und Volksschullehrer wegen der hohen Kosten des Medizinstudiums für ihre Söhne ein Theolo­ gie- oder Philologiestudium vorzogen, wird durch die Herkunftszahlen an den theologischen und philosophischen Fakultäten bestätigt. D adurch daß die preußische Statistik die soziale Herkunft aus dem Besitzbürgertum und dem selbständigen Mittelstand nicht erfaßt, ergibt sich eine gewisse Verzer­ rung ihrer Aussagen, da der Anteil dieser Herkunftsgruppen in den einzel­ nen Fakultäten eben sehr verschieden groß war. Eine weitere Verzerrung kommt dadurch zustande, daß die Zahlen erst mit dem Wintersemester 1887/88 einsetzen, als die Expansion der medizini­ schen Fakultäten fast auf ihrem Höhepunkt angekommen war. Wie aber schon an den Matrikeln der Universität Göttingen nachgewiesen, war die Zunahme der Studentenzahlen mit einer bemerkenswerten Öffnung des Rekrutierungsfeldes nach unten hin, in traditionell bildungsfernc Schichten, verbunden. Zum gleichen Zeitpunkt, Ende der 80er Jahre, waren die Stu­ dentenzahlen an den juristischen Fakultäten im Rückgang begriffen, nach­ dem hier schon Anfang der 80er Jahre der Studentenboom seinen Höhe­ punkt erreicht hatte.33 D ie sich mit der Überfüllung verschlechternden Berufsaussichten übten vor allem auf Angehörige der sozial schwächeren Schichten einen »Abschreckungseffekt« aus, so daß mit dem Rückgang der Jurastudenten in den 80er Jahren eine Tendenz zu stärkerer sozialer Exklusi72 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

vität verbunden war. Betrachtet man daher die Situation Ende der 80er Jahre, könnte leicht der Eindruck entstehen, als sei die juristische Fakultät, was den hohen Anteil der traditionellen Bildungsschicht und den sehr niedrigen des »neuen Mittelstandes« angeht, die allein exklusive gewesen, und alle anderen drei Fakultäten demgegenüber sozial relativ offen. Dieses Bild bedarf einer Korrektur durch D aten, die den Zustand vor der großen, in den einzelnen Fakultäten zu unterschiedlichen Zeitpunkten einsetzenden Expansionswelle der Studenten, also vor den späten 70er und den 80er Jahren, wiedergeben. Für diese Zeit wurde das von Friedrich Lenz für Berlin und von Franz Eulenburg für die Universität Leipzig gesammelte Material herangezo­ gen. D ie Zusammenfassung der Väterberufe in Schichtungsgruppen folgt bei ihnen zwar weder dem Jarausch'schen Modell noch der preußischen Statistik: Sie bilden beide nur drei Schichten, wovon die ersten beiden im wesentlichen die Gruppen »Bildung« und »Besitz« darstellen, während in der letzten alle übrigen Berufe, also mittlere und Unterbeamte, Volks­ schullehrer, aber auch Handwerker, Kleingewerbetreibende und Landwir­ te zusammengefaßt werden. Die Bildungsbeteiligung dieser letzten Schicht, in der sich die finanziell schwächeren Berufe wie Volksschullehrer und kleine Beamte und die tra­ ditionell bildungsfernen Berufe wie Landwirte, Handwerker, Gastwirte und Kleinhändler befinden, scheint mir ein recht gutes Indiz für den Grad der sozialen Exklusivität bzw. der sozialen Offenheit einer Fakultät zu sein. Ein Vergleich des Anteils der Angehörigen dieser »Mittelschicht« in den einzelnen Fakultäten zeigt sehr deutlich, daß Medizin und Jura zusam­ men die beiden exklusiven Fakultäten bilden im Vergleich zu den sozial relativ offenen philosophischen und theologischen Fakultäten (Tab. 7). Daß dieses Bild einer D ifferenzierung der Gesamtstudentenschaft in die Studierenden der Jurisprudenz und der Medizin auf der einen Seite und die der Theologie und Philologie auf der anderen Seite auf lange Sicht der Realität näherkommt, macht auch die weitere Entwicklung der sozialen Herkunft der Studenten an den einzelnen Fakultäten vor dem Ersten Weltkrieg deutlich. Wie schon weiter oben dargestellt, ging die Zahl der Medizinstudierenden, nachdem sie schon in den 90er Jahren leicht abgesunken war, in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts recht kräftig zurück und mündete dann in einen erneuten steilen Anstieg. Noch deutlicher wird diese Entwicklung, wenn man statt der Gesamt­ studentenzahlen nur die jeweiligen Erstsemester betrachtet. Hatten sich 1888/89 im Sommer- und Wintersemester zusammen noch 646 Studen­ ten an den medizinischen Fakultäten der preußischen Universitäten ein­ geschrieben, waren es 1902/03 nur noch 327, d.h. nur noch rund die Hälfte. 34 Da gleichzeitig die Studentenzahl an allen Fakultäten zusammen weiter zunahm, bedeutete dies, daß der Anteil der Medizinstudenten an 73 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

der Gesamtstudentenschaft von knapp 30% um 1890 auf knapp 15% 1905/ 06 halbiert wurde. Dieser Rückgang muß unter anderem auf die Bemühungen der organi­ sierten Ärzteschaft, den Zustrom zum Arztberuf einzudämmen, etwa durch Warnungen vor dem Ergreifen des Medizinstudiums, und vor allem auf die neue Prüfungsordnung von 1901 zurückgeführt werden. D urch diese Prü­ fungsordnung wurde die Mindeststudiendauer von neun auf zehn Semester verlängert und zusätzlich ein sog. »Praktisches Jahr« unbezahlter Kranken­ hausdienst zwischen Staatsexamen und Approbation eingeschoben, Maß­ nahmen, die das Studium verteuerten und dadurch zusätzliche soziale Bar­ rieren aufrichteten. Daß mit dem Rückgang der Medizinstudierenden ein relativer Anstieg der Akademikersöhne verbunden war, verwundert nicht. D enn der von den zusätzlichen Kosten, den Abmahnungen und den zunehmend pessimistisch beurteilten Berufsaussichten ausgehende »Abschreckungseffekt« mußte sich stärker auf sozial schwächere Schichten auswirken als auf die traditio-

Tab. 7: Soziale Herkunft der Studenten in Berlin und Leipzig 1850—1878

»Bildung« Berlin Leipzig »Besitz« Berlin Leipzig »Mittelstand« Berlin Leipzig

Theologen abs. %

Juristen abs. %

Mediziner abs. %

Philologen abs. %

237 1599

50,0 49,8

520 3434

45,2 45,9

229 1101

43,0 46,1

364 37,0 2373 33,3

67 386

14,1 12,0

445 2453

38,7 32,8

194 694

36,4 29,1

300 30,5 2080 29,2

170 1228

35,9 38,2

184 1594

16,0 21,3

110 593

20,6 24,8

319 32,5 2679 37,6

Quelle: F. Lenz, Die soziale Herkunft der Studierenden, in: M. Lenz, Geschichte der Universität Berlin, Bd. 3, Halle 1910, S. 522; F. Eulenburg, Die Entwicklung der Universität Leipzig in den letzten 100 Jahren, Leipzig 1909, S. 202f. Erläuterungen: D ie Zahlen von Lenz für Berlin beziehen sich auf die Stichjahre 1850, 1860 und 1870, die von Eulenburg für Leipzig auf die Jahre 1859-1878. Augenfällige Differenzen zu den Ergebnissen der Göttinger Matrikelauszählung­ so geben Lenz und Eulenburg jeweils wesentlich höhere Zahlen für das Besitzbürger­ tum und entsprechend kleinere für den Mittelstand an - müssen in erster Linie auf unterschiedliche Kategorisierungskriterien zurückgeführt werden: vermutlich ha­ ben Lenz und Eulenburg die »Kaufmanns«-Söhne alle unter die Rubrik »Besitz« eingeordnet. 74 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

nelle Bildungsschicht.HnstudenattenimDurchschnittderSemester1887/88-1891 rund 23% der Mediziten an preußischen Universitäten Akademiker, Offiziere oder Rittergutsbesitzer als Väter, erhöhte sich der Anteil von Studierenden aus diesen gehobenen Sozialgruppen bis 1905/06 auf 28,5%. Der Anteil der Söhne aus der mittleren und unteren Beamten- und Ange­ stelltenschicht stagnierte demgegenüber bei ca. 18%, während er im Durch­ schnitt aller Fakultäten von 20,9% (1887/88-1891) auf 24,3% (1905/06) zunahm (Tab. 8). Tab. 8: Soziale Herkunft der reichsangehörigen Studierenden an preußischen Universitäten nach ausgewählten Väterberufen 1887/88-1911/12 (in %) im Durchschnitt der Semester

Väter aus Berufsgruppe Α Jur. Med. sämri. Fak. Fak. Fak.

1887/88-1891 1891/92-1895/96 1899-1899/1900 1902-1902/03 1905-1905/06 1908-1908/09 1911-1911/12

38,3 35,8 32,5 30,4 29,5 28,7 31,1

23,1 24,2 25,3 27,2 28,5 26,8 27,0

25,4 26,3 25,5 24,2 22,9 21,6 21,4

Väter aus Berufsgruppe Β Jur. Med. sämtl. Fak. Fak. Fak. 13,4 14,9 17,5 17,4 17,7 17,9 17,3

17,9 19,1 20,7 19,6 17,8 18,4 19,2

20,9 20,8 22,1 23,4 24,3 25,5 27,5

Quelle: Preuß. Statistik, H. 223, S. 182-84; H. 236, S. 145. Vgl. die Erläuterungen zu Tab. 6. Damit hatte sich die Herkunftsstruktur an den juristischen und medizini­ schen Fakultäten weitgehend aneinander angeglichen. Denn mit der Expan­ sionswelle an den juristischen Fakultäten in den 90er Jahren war hier der Anteil der Akademiker und Rittergutsbesitzer unter den Studentenvätern auf 29,5% gesunken, so daß der Vorsprung zu den medizinischen Fakultäten nur noch 1% betrug. Auch die Herkunftsanteile aus dem Besitzbürgertum, welche die preußische Statistik seit 1902/03 erfaßt, waren ziemlich ähnlich. An den juristischen Fakultäten waren zu diesem Zeitpunkt 12,8% der Stu­ dierenden Söhne von Industriellen, Bankiers, Großkaufleuten etc., während an den medizinischen Fakultäten 9,5% der Studenten aus der Bourgeoisie kamen.35 Daß vor allem Angehörige der sozial schwächeren und bildungsferneren Schichten Opfer der auf die Überfüllungskrise folgenden Schrumpfungs­ phase wurden, belegen auch Analysen des Studicnverhaltens einzelner So­ zialgruppen. So nahm der Anteil von Volksschullehrersöhnen, die Medizin studierten, im Zeitraum von 1887/91 bis 1905/06 am stärksten ab, von 75 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

20,2% auf 6,2%, während er bei den Söhnen von Geistlichen z. Β. nur von 17,8% auf 9,4% zurückging.36 Relativ am wenigsten beeinflußt von den Auswirkungen der Schrumpfungsphase zeigten sich die Söhne von Ärzten (Tab. 9). Der Anteil der Medizin studierenden Arztsöhne an allen studieren­ den Arztsöhnen ging nur von 55,5% auf 36,5% zurück, was eine Erhöhung der Selbstrekrutierungsquote von 7,4% auf 11,4% bedeutete, da die Ge­ samtzahl der Medizinstudenten stärker absank. D as kann wiederum als Beweis dafür gewertet werden, daß es vor allem die materiellen Aussichten nach Abschluß des Studiums waren, welche die Studienfachwahl der Abi­ turienten beeinflußten. Wenn diese Aussichten sich verschlechterten, rea­ gierten Angehörige des neuen Mittelstandes besonders sensibel, während die Arztsöhnc, die häufig auf Übernahme der väterlichen Praxis rechnen konnten, davon am wenigsten tangiert wurden. Während dieses Resultat wenig erstaunt, ist um so bemerkenswerter, daß mit dem erneuten Ansteigen der Studentenzahlen nach 1905/06 eine erneute Öffnung des Rekrutierungsfeldes nicht oder zumindest längst nicht in dem Ausmaße wie in den 80er Jahren verbunden war. Vielmehr gelang es den Ärzten, die Rekrutierung des Nachwuchses trotz stark ansteigender Studen­ tenzahlen in etwa auf dem kurz nach der Jahrhundertwende erreichten Niveau zu halten, sich also recht wirksam sozial nach unten abzuschließen (vgl. Tab. 8). D as hatte wohl mehrere Gründe: Zum einen ist die Expan­ sionsphase seit 1905/06 nicht so eindeutig auf eine voraufgehende Mangelsi­ tuation, die die Arztkarricre auch materiell lukrativ erscheinen ließ, zurück­ zuführen. Zwar schwächte sich die Zunahme der approbierten Ärzte seit dem Ende des Jahrhunderts ab; doch warnten die Ärzteverbände nach wie vor, mit einem Einkommen aus eigener Praxis sei erst Jahre nach der Approbation zu rechnen, und hielten damit weiterhin viele studierwillige junge Leute aus finanziell minderbemittelten Sozialgruppen vom Medizin­ studium fern. Außerdem scheint das Medizinstudium nach der Prüfungsre­ form von 1901 für viele Angehörige gerade der mittleren Beamtenschaft einfach zu teuer geworden zu sein. Schließlich dürfte der seit der Jahrhun­ dertwende akute Mangel an Gymnasiallehrern, der Philologiestudenten direkt nach dem Studium ein Einkommen sicherte, einen großen Teil der Studierwilligen aus diesen Schichten absorbiert haben.37 D as Zusammen­ wirken dieser Faktoren machte es möglich, daß die Annäherung des Rekru­ tierungsfeldes der Mediziner an das der Juristen, die seit jeher die sozial exklusivste Gruppe bildeten, auch in der erneuten Expansionsphase seit 1905/06 bestehen blieb. Außer der ähnlich gelagerten sozialen Herkunftsstruktur weist auf eine enge Zusammengehörigkeit der juristischen und medizinischen Fakultäten auch der Umstand hin, daß die Auf- und Abstiegswellen der Studentenströ­ me an diesen beiden Fakultäten negativ miteinander korrelierten, d. h., daß Medizin als ein annehmbarer Ausweichberuf für potentielle Juristen fungier­ te und umgekehrt. Diese Beobachtung wird bestätigt durch eine Analyse des 76 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

77

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

a b a b a b a b a b a b a b 3870

2704

1977

2452

3099

3101

3452

Medizin­ studenten 257 7,4 221 7,1 268 8,6 245 9,9 225 11,4 288 10,7 398 10,3

davon Arztsöhne

787

726

616

581

529

431

463

Arztsöhne überhaupt 257 55,5 221 51,3 268 50,6 245 42,2 225 36,5 288 39,7 398 50,6

Medizin

Evangelisch-theologische und katholisch-theologische Fakultät zusammen a absolute Zahlen

b in Prozent

1

78 16,8 106 24,6 138 26,1 173 29,8 206 33,4 204 28,1 170 21,6 25 5,4 21 4,9 16 3,0 21 3,6 16 2,6 19 2,6 19 2,4

davon stu dieren Jura Theol. 1

Quelle: Preuß. Statistik, H. 223, Berlin 1911, S. 182-84; H. 236, Berlin 1913, S. 145.

1911-1911/12

1908-1908/09

1905-1905/06

1891/92— 1895/96 18991899/1900 1900-1902/03

1887/88-1891

Jahr

Tab. 9: D as Studienverhalten der Arztsöhne 1887/88-1911/12 (reichsangehörige Studierende an preuß. Universitäten)

103 22,2 83 19,3 107 20,2 142 24,4 169 27,4 215 29,6 200 25,4

Phil. Fak.

3,2

3,4

3,3

3,5

3,6

3,7

3,7

Anteil der Arzt­ söhne an den Studie­ renden aller Fak.

Studienverhaltens der Arztsöhne. Während im Zusammenhang mit dem allgemeinen Rückgang der Medizinstudenten auch der Anteil der Medizin studierenden Arztsöhne an der Gesamtzahl der studierenden Arztsöhne von über 50% im Durchschnitt der Studienjahre 1887/88-1891 auf 36,5% 1905/ 06 sank, verdoppelte sich im gleichen Zeitraum der Prozentsatz von Jurastu­ denten unter den Arztsöhnen von 16,8% auf 33,4% (Tab. 9). 3 8 Insgesamt waren immer mehr als zwei D rittel der Arztsöhne an den juristischen und medizinischen Fakultäten zu finden und weniger als ein D rittel an den theologischen und philosophischen Fakultäten, obwohl an diesen bis zur Jahrhundertwende knapp die Hälfte und seit der Jahrhundertwende über die Hälfte der Studierenden eingeschrieben waren.39 Gegen Ende des Kaiserreiches hatte sich die schon im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts feststellbare soziale D ifferenzierung des Bildungsbürger­ tums wahrscheinlich noch verfestigt. Jarausch unterscheidet für die Endpha­ se des Kaiserreichs zwischen »großbürgerlichen Akademikern«, zu denen Juristen und Ärzte gehörten, einem mittleren Bildungsbürgertum, das am deutlichsten durch die Gruppe der Oberlehrer repräsentiert werde, und einer unteren Randgruppe, zu der er »arme Journalisten« und »unterbezahlte Chemiker« rechnet.40 Soziale Aufsteiger habe es demgemäß vor allem in der philosophischen Fakultät gegeben, die ihnen ein Vordringen in die unteren Gruppen des Bildungsbürgertums ermöglicht habe; der Aufstieg in die exklusiven Bereiche der Rechtswissenschaft und Medizin sei typischerweise erst in der folgenden Generation gelungen.41 Abgesehen davon, daß für diese »Zwei-Stufen-Hypothese« der empiri­ sche Beweis noch aussteht, scheint es wichtig zu sein, die nach wie vor bestehende soziale Abstufung zwischen Juristen und Ärzten nicht zu überse­ hen. D ieses Gefälle drückt sich nicht nur aus in der auch zum Ende des Kaiserreichs von den Medizinern nicht eingeholten Exklusivität der sozialen Herkunft der Jurastudenten, es wird noch deutlicher in dem Vorsprung an Macht, Einkommen, politischem Einfluß und sozialem Ansehen, den die Juristen in der späteren Berufstätigkeit vor den Ärzten hatten. D arauf wird später noch verschiedentlich zurückzukommen sein.

2. Vorbildung: Humanistisches Gymnasium gegen »realistische« Vorbildung Wenn man die Ursachen des erneuten Anstiegs der Medizinstudierenden, deren Konsequenzen für die soziale Herkunft vorn behandelt wurden, ver­ stehen will, darf die Zulassung der Abiturienten von Realgymnasien zum medizinischen Studium und zur medizinischen Staatsprüfung aufgrund der Prüfungsordnung von 1901 nicht außer Betracht bleiben. Dem entsprechenden Beschluß des Bundesrats war eine über 50 Jahre 78 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

dauernde Diskussion über die angemessene Vorbildung der Mediziner vor­ ausgegangen. Schon in der Medizinalreformbewegung der 40er Jahre hatten Ärzte öfter darüber geklagt, daß das humanistische Gymnasium die künfti­ gen Ärzte im Bereich der Naturwissenschaften unzureichend vorbilde,42 und daraus entweder die Forderung nach stärkerer Berücksichtigung natur­ wissenschaftlicher Fächer im Gymnasialunterricht43 oder nach Vorbildung der Medizinstudenten auf einer Realschule abgeleitet. Besonders engagiert in der Frage der Gymnasialreform war der spätere Gründer des Deutschen Ärztevereinsbundes, der D resdner Arzt und Medizinprofessor Hermann Eberhard Richter. In mehreren Schriften übte er 1847 scharfe Kritik am Gymnasium in seiner derzeitigen Form: Der Lehrstoff konzentriere sich auf »tote Sprachen« statt »Erscheinungen und Gesetze der Natur«; die Lehrme­ thode erzeuge Vorliebe für Bücherweisheit und Autoritätsglauben statt ge­ sunden Menschenverstand. Eine Mindestforderung war daher für Richter die Abänderung der geltenden Maturitätsanforderungen durch stärkere Be­ rücksichtigung der Naturwissenschaften; generell aber sei die Einführung des Realgymnasiums als »wahre Bildungsstätte für einen künftigen Arzt« anzustreben.44 Die Gegenposition zu Richter nahm die Mehrheit einer vom preußischen Kultusministerium 1849 einberufenen ärztlichen Konferenz zur Beratung der Medizinalreform ein. Sie verneinte die vom Kultusminister v. Laden­ berg gestellte Frage, ob künftig das Maturitätszeugnis einer Realschule zum Medizinstudium berechtigen solle.45 Ausschlaggebend für dieses Votum waren vermutlich zwei Gründe. Er­ stens war zu diesem Zeitpunkt, 1848/49, das Realschulwesen in Preußen als Alternative zum humanistischen Gymnasium noch gar nicht entwickelt. Zwar hatte sich auch in den Realschulen mehr und mehr der Lateinunterricht durchgesetzt, und eine preußische Landesschulkonferenz beschloß 1849 so­ gar, die Realschule zu einem dem humanistischen Gymnasium gleichbe­ rechtigten Realgymnasium auszubauen und seinen Absolventen auch die Universitäten zu öffnen;46 aber die Hauptrichtung in den widersprüchlichen Konzeptionen zur Entwicklung der Realschule war doch die, daß mit dieser Schulform den Angehörigen des gewerbetreibenden Bürgertums eine höhe­ re Allgemeinbildung angeboten werden sollte, ohne gleichzeitig die spezifi­ sche Vorbildung für das Universitätsstudium zu vermitteln. D ementspre­ chend berechtigten die Entlassungsprüfungen der Realschulen zum einjäh­ rig-freiwilligen Militärdienst und zum Eintritt in das Post-, Forst- und Baufach.47 D a diese Berechtigung aber auch über einen »abgebrochenen« Gymnasialbesuch zu erreichen war, richteten die meisten Städte, die sich keine zwei höheren Schulen leisten konnten, begreiflicherweise gleich ein Gymnasium ein, das auch von den meisten Eltern für ihre Söhne bevorzugt wurde, da es alle Berufschancen offenhielt.48 Außerdem galt das humanistische Gymnasium eindeutig als das vorneh­ mere. Hier ist der zweite Grund für die Ablehnung realistischer Vorbildung 79 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

durch die ärztliche Konferenz 1849 zu sehen. Seit der neuhumanistischen Bildungsreform vom Anfang des Jahrhunderts war die klassische, an den alten Sprachen orientierte Bildung immer mehr zum Ausweis der Zugehö­ rigkeit zum gehobenen Bildungsbürgertum geworden, der gegenüber jede stärker die Naturwissenschaften berücksichtigende, utilitaristisch orientier­ te Bildung als minderwertig galt.49 Die große Mehrheit der im Kultusmini­ sterium versammelten Ärzte wollte unter keinen Umständen eine Vorbil­ dung für die Ärzte konzedieren, durch die diese etwa gegenüber den anderen »gelehrten Berufen« auf einen untergeordneten Platz verwiesen werden konnten. Mit dem Eintreten Richters für eine stärker an den Erfordernissen der späteren Berufstätigkeit des Arztes ausgerichtete, naturwissenschaftlich orientierte Vorbildung auf der einen Seite und dem eher aus Prestigegründen erfolgten Plädoyer der Kommissionsmehrheit für das klassische humanisti­ sche Gymnasium auf der anderen Seite sind die Eckpunkte der innerärztli­ chen Debatte zu diesem Thema, wie sie noch die ganze zweite Jahrhundert­ hälfte kennzeichneten, umrissen. In den auf die 48er Revolution folgenden zweieinhalb Jahrzehnten trat die Frage der Gymnasialreform zunächst in den Hintergrund. Zwar blieb Rich­ ter weiterhin ein Verfechter des Realgymnasiums, und er trat auch in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer des Ärztevereinsbundes für diese Schulform als die für den künftigen Arzt angemessene Vorbildung ein, zuletzt 1875 in einem Artikel des Ärztlichen Vereinsblattes, des offiziellen Organs der orga­ nisierten Ärzte.50 Hier beschwor er die »Emancipation von dem Philologen­ thum« als »einen der wichtigsten Culturfortschritte«. Es sei an der Zeit, eine »Bresche in jene chinesische Mauer (zu schlagen), welche von den Philolo­ gen, durch Mithülfe der in den Cultusministerien bisher allein herrschenden Theologen und Juristen um die Gesamtheit der für die Universitätsstudien bestimmten Jünglinge gezogen worden ist«. D enn: »Wir brauchen keine spitzfindigen Klügler, keine rabulistischen Redner, keine idealisierenden Declamatoren: sondern nüchterne Forscher, welche die Kunst besitzen, die Natur selbst reden zu lassen und deren Ansprüche zu verstehen, nach Befin­ den solche nützlich anzuwenden.« D er Artikel schließt mit den Sätzen: »1. D er Mediciner gehört auf die Realschule. 2. Letztere muß aber für den Zweck der Vorbereitung zu gründlicheren selbstthätigen (Universität) Stu­ dien noch mannichfach vervollkommnet werden.« Wenn auch Richters Artikel im Ärztlichen Vereinsblatt zunächst unwider­ sprochen blieb, gewannen doch spätestens nach seinem Tode im Jahre 1876 die Kräfte innerhalb der Ärzteschaft die Oberhand, denen die formale Teil­ habe an der klassischen Eliteschule wichtiger war als inhaltliche Kriterien. Daß diese Position die Meinung der großen Mehrheit der Ärzte widerspie­ gelte, wurde deutlich, als die Vorbildungsfrage gegen Ende der 70er Jahre in den Brennpunkt des ärztlichen Interesses rückte, nicht auf Betreiben der Ärzte selber, sondern von außen an sie herangetragen. 80 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Durch die Unterrichts- und Prüfungsordnung für die Real- und höheren Bürgerschulen von 1859 waren die bisherigen Schulen dieses Typs differen­ ziert worden in Realschulen erster Ordnung, Realschulen zweiter Ordnung und höhere Bürgerschulen, wobei die ersteren viele Gemeinsamkeiten mit dem klassischen Gymnasium aufwiesen: gleiche Kursdauer von neun Jah­ ren, gleiche Anforderungen an die Lehrkräfte (akademisches Studium), prinzipiell gleiche Leistungsnachweise in den Abiturientenprüfungen, Un­ terstellung unter dieselbe Aufsichtsbehörde, die Provinzialschulkollegien.51 Die Ordnung von 1859 war damit praktisch die Geburtsstunde des Real­ gymnasiums, auch wenn die Realschulen erster Ordnung erst 1882 offiziell diese Bezeichnung erhielten.52 Folgerichtig setzten mit den 60er Jahren auch die Bemühungen um vermehrte Berechtigungen, letztlich um den Zugang zum Universitätsstudium, für diesen Schultypus ein, wobei als Vorkämpfer derartiger Bestrebungen vor allem Industrielle, Ingenieure und Techniker, vertreten durch den Verein deutscher Ingenieure,53 Realschullehrer und städtische Magistrate - diese zumeist aus finanziellen Motiven, da die Real­ gymnasien größtenteils unter städtischem Patronat standen54 - auftraten. Am rührigsten in dieser Richtung war der 1876 gegründete Allgemeine deutsche Realschulmännerverein, der schon im ersten Jahr seines Bestehens 1700 Mitglieder, darunter zahlreiche Fabrikanten, Bankiers und Kaufleute, zählte.55 Anläßlich der Verhandlungen über eine Revision der ärztlichen Prüfungs­ ordnung forderten die Realschulmänner 1878 und 1879 in mehreren an den Reichstag und den Bundesrat gerichteten Petitionen eine Zulassung der Abiturienten von Realgymnasien zum Studium der Medizin, ein Verlangen, dem sich verschiedene städtische Kuratorien von Realschulen sowie Ende 1879 in einer weiteren Petition 43 Oberbürgermeister und Bürgermeister preußischer Städte anschlossen.56 Mit dieser Forderung hatte sich erstmals die vom Reichskanzleramt einbe­ rufene ärztliche Sachverständigen-Kommission auseinanderzusetzen, die vom 26. August bis zum 7. September 1878 einen vom preußischen Kultus­ ministerium 1877 ausgearbeiteten Entwurf für die ärztliche Prüfungsord­ nung beriet. Die Kommission, bestehend aus 16 Medizinern, zumeist Universitätspro­ fessoren, und sechs Regierungskommissaren als Vertretern des Reichskanz­ leramts, des preußischen Kultus- und des Kriegsministeriums sowie des Reichsgesundheitsamts, gab zwar zu, daß »manche empfindlichen Lücken in der jetzigen Ausbildung der Ärzte vorhanden seien, welche aus einer unzureichenden Berücksichtigung der Naturwissenschaften und der Mathe­ matik herzuleiten seien«. Andererseits wurde, »besonders von akademi­ scher Seite«, betont, daß die medizinische Fakultät gegenüber den anderen Fakultäten »in ihrer Würde und wissenschaftlichen Stellung herabgesetzt und die Ärzte gleichsam aus dem Gelehrtenstande herausgerissen werden würden, wenn man für die Studierenden der Medicin allein sich mit der 81 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Realschulbildung begnügen wollte«. 57 Als dann auch noch der Vertreter des preußischen Kultusministeriums eine nahe Reform des Gymnasiallehrplans in Aussicht stellte, »vermöge deren eine Vermehrung der Stunden für Na­ turwissenschaft und Mathematik unter Verminderung der grammatikali­ schen Unterrichtsstunden eintreten werde«, 58 sah die Kommission keinen Grund mehr, eine Ausweitung der Studienzulassung auf Realschulabituri­ enten weiter in Betracht zu ziehen. Mit diesem Votum war die Marschrichtung der Ärzte in der weiteren Diskussion vorgegeben: Nicht mehr das Realgymnasium als Regelschulc und seine Anpassung an die Erfordernisse der Universitätsvorbildung, wie Richter dies angestrebt hatte und wie es noch 1869 die meisten medizini­ schen Fakultäten für wünschenswert gehalten hatten,59 wurde gefordert; sondern Festhalten am humanistischen Gymnasium und allenfalls seine Reform durch stärkere Berücksichtigung der Naturwissenschaften. Die gleiche Linie zeichnete sich auch bei der überwältigenden Mehrheit der ärztlichen Vereine ab, die der Kultusminister Falk um Meinungsäuße­ rung in der Zulassungsfrage gebeten hatte.60 157 Vereine - von 163, die überhaupt ein Votum abgaben - votierten, zumeist mit großer Mehrheit, nicht selten einstimmig, gegen die Zulassung der Realschulabiturienten.61 Worum es dabei vor allem ging, sprachen die Befürworter des humanisti­ schen Gymnasiums meist ganz unverblümt aus: »Es ist in eigenstem Interes­ se des ärztlichen Standes, hinsichtlich der Vorbildung vorerst nichts zuzuge­ ben, was nur im Geringsten dazu geeignet wäre, Zweifel an der Ebenbürtig­ keit seiner Bildungsstufe gegenüber anderen academischen Berufsarten auf­ kommen zu lassen«, meinte etwa D r. Hoffmann aus Karlsruhe im Ärztli­ chen Vereinsblatt.62 In dasselbe Hörn bliesen die meisten Autoren einer Artikelserie zur Zulas­ sungsfrage in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift. Falls die Real­ schulabiturienten zum medizinischen Studium zugelassen würden, argu­ mentierte einer, »würden wir Ärzte nach zehn, zwanzig Jahren vom Juri­ sten, vom Theologen, vom Philologen nicht mehr als gleichwertig betrach­ tet werden«.63 Ein anderer befürchtete: »D ie Aufnahme vieler Männer, die wir nun doch einmal nicht für ›voll‹ ansehen können, wird sicherlich nicht zur Hebung des Standesbewußtseins beitragen. «64 Vor diesem wesentlichen Motiv für die Ärzte, am humanistischen Gym­ nasium festzuhalten, verblassen die inhaltlichen Argumente, die für die klassische Bildung ins Feld geführt wurden. Die Behauptung etwa, der Arzt brauche zum Verständnis der lateinischsprachigen medizinischen Nomen­ klatur gründliche Lateinkenntnisse, klingt ebenso an den Haaren herbeige­ zogen - schließlich gehörte auf dem Realgymnasium Latein ebenfalls zum Stundenplan, nur nicht in so ausgedehntem Umfange wie am humanisti­ schen Gymnasium -, wie etwa das Argument, nur Latein und Griechisch vermöchten dem Arzt die wahrhaft »humane Gesinnungs- und Denkweise« zu vermitteln, die er für seinen Beruf brauche.65 Ernster zu nehmen ist schon 82 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

das Argument, der Grad der Heranbildung zu selbständiger geistiger Tätig­ keit sei für den späteren Studenten wichtiger als naturwissenschaftliches Spezialwisscn. Während aber die Befürworter des humanistischen Gymna­ siums die »Lernfähigkeit« der Schüler besser in diesem gewährleistet sahen, argumentierten die wenigen Anhänger des Realgymnasiums unter den Ärz­ ten, die »jetzige classische Gymnasialbildung bring(e) u.a. den Zögling dahin, daß er überall Autoritäten sucht, . . . während wir verlangen, daß der junge Arzt von früh auf angewiesen werde, nicht zu glauben, sondern mit notwendigen Naturgesetzen zu rechnen«.66 Trotz der Schwäche der inhaltlichen Argumentation gegen die Realschule hatten die Ärzte von Anfang an die Rückendeckung des bei der Gestaltung des Prüfungsordnungs-Entwurfs federführenden preußischen Kultusmini­ steriums. Schon während der Beratungen der Sachverständigen-Kommis­ sion 1878 hatte der juristische Vertreter des Kultusministeriums erklärt, der »bisher schwankende Karakter der Realschulen« lasse es jedenfalls »ver­ früht« erscheinen, ihnen zum jetzigen Zeitpunkt schon die geforderte Be­ rechtigung zu geben.67 Die nahezu geschlossen ablehnende Haltung der Ärzteschaft in dieser Frage verfehlte zudem ihre Wirkung nicht. In einem Schreiben an das Preußische Staatsministerium äußerte der Kultusminister Falk sich mit deut­ lichem Mißfallen über die vom Realschulmännervcrein betriebene »Agita­ tion« und meinte gleichzeitig, wenn auch manche Bedenken der Ärzte sich »bei unbefangener Prüfung . . . als nicht stichhaltig« erwiesen, habe doch die »allgemeine Überzeugung der Gesamtheit eines hochachtbaren Standes gerechten Anspruch auf ernste Berücksichtigung«.68 Der in dem Brief im einzelnen erläuterte Standpunkt des Kultusministers, daß der Zeitpunkt, um eine Zulassung der Realschulabiturienten zum Me­ dizinstudium zu erwägen, »entschieden noch nicht eingetreten« sei,69 fand in der Sitzung des preußischen Staatsministeriums vom 5. Mai 1879 »die allgemeine Zustimmung«.70 D amit war die Entscheidung für die Beibehal­ tung des humanistischen Gymnasiums als Zulassungsvoraussetzung in der 1883 erlassenen neuen ärztlichen Prüfungsordnung gefallen; die Zulassungs­ frage war dadurch für eine Reihe von Jahren zunächst vom Tisch. Die Forderung nach erweiterten Berechtigungen für das Realgymnasium mußte jedoch erneut aufkommen, als im Rahmen der auf Initiative von Kaiser Wilhelm II. zustandegekommenen Konferenz über Fragen des höhe­ ren Schulwesens im D ezember 1890 das Verhältnis der drei neunstufigen Vollanstalten, Gymnasium, Realgymnasium und Oberrealschule, zueinan­ der grundsätzlich zur D ebatte stand. Wenn die Ergebnisse der D ezember­ konferenz auch stark geprägt waren von einer konservativen Majorität der Konferenzteilnehmer- die inhaltlichen Reformen am Lehrplan des humani­ stischen Gymnasiums fielen recht bescheiden aus, an den unterschiedlichen Berechtigungen der drei Anstalten, insbesondere am Monopol des Gymna­ siums als Voraussetzung für die Zulassung zum Studium, wurde nicht 83 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

gerüttelt71 -, rissen doch in der Folgezeit die Forderungen nicht mehr ab, das Maturitätszeugnis des Realgymnasiums und das der Oberrealschule dem des Gymnasiums gleichzustellen, zumindest die Realschulabiturienten für be­ stimmte Studiengänse, etwa Medizin, zuzulassen. Solche vor allem im Zusammenhang mit den Beratungen einer Revision der ärztlichen Prüfungsordnung seit der Mitte der 90er Jahre immer wieder erhobenen Forderungen stießen aber bei den Ärzten auf genausowenig Gegenliebe wie Ende der 70er Jahre. D ie Argumente wiederholten sich im wesentlichen;72 erkennbar wird jedoch eine Gewichtsverlagerung insofern, als meist nicht mehr bedingungslos das Gymnasialmonopol für die Zulas­ sung zum Medizinstudium gefordert, sondern ersatzweise als Minimalfor­ derung genannt wurde, den Realgymnasialabiturienten, wenn überhaupt die Universitäten, dann auch alle Studiengänge zu öffnen. D as Medizinstu­ dium dürfte nicht zum »Experimentierfeld« für die Zulassung von Real­ schülern gemacht werden, hieß es immer wieder.73 Mit einer Zulassung der Realschulabiturienten zu allen Fakultäten wäre zwar dem Hauptziel der Ärzte, in ihren Studienanforderungen nicht hinter den anderen Fakultäten zurückzustehen, Rechnung getragen worden, trotz­ dem war dies für sehr viele Ärzte höchstens die zweitbeste Lösung nach der Beibehaltung des Gymnasialmonopols. Auf eine Umfrage unter den Ärzten des Regierungsbezirks Hannover antworteten auf die Frage: »Halten Sie die Zulassung von anderen als den Abiturienten des humanistischen Gymna­ siums zum Medizinstudium für wünschenswert?« 231 Ärzte mit nein und nur zehn mit ja. Aber selbst bei der Frage »Würden Sie mit der Zulassung der Realschulabiturienten zum Studium der Medizin einverstanden sein, wenn denselben auch alle übrigen Fakultäten freigegeben würden?« blieb noch die Hälfte der Ärzte bei ihrer ablehnenden Haltung: 112 verneinten die Frage, 111 bejahten sie.74 Auf einer Sitzung des preußischen Ärztekammerausschusses, eines von Vertretern aller zwölf preußischen Ärztekammern beschickten Koordinie­ rungsgremiums, wurde ein Antrag, für die unbedingte Beibehaltung des Gymnasialmonopols einzutreten, nur mit der knappen Mehrheit von sechs zu fünf Stimmen abgelehnt und durch einen Antrag ersetzt, eine eventuelle Erweiterung der Zulassungsberechtigungen dürfe sich nicht auf das Medi­ zinstudium beschränken.75 Hinter dieser Priorität für das humanistische Gymnasium verbarg sich ein weiteres Motiv, das in der Debatte zu Ende der 70er Jahre noch keine Rolle gespielt hatte. D ie Ärzte fürchteten von einer Öffnung der Universitäten auch für Absolventen von Realgymnasien einen vermehrten Andrang zum Studium, der ihre Bemühungen, den Zugang zum Medizinstudium und damit zum Arztberuf zu drosseln, zunichte machen werde. Ein Kritiker der ärztlichen Politik meinte: »Nicht die Frage, welche Schulung die besten, sondern welche die wenigsten Ärzte liefern könnte, wurde von vielen Seiten zum Gegenstand der Erörterung gemacht. «76 84 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Nachdem im Frühling 1900 auch der konservative, von Gymnasiallehrern geführte Gymnasialverein seinen früheren Widerstand gegen die Gleichbe­ rechtigung der Realanstalten hatte fallen lassen, votierte eine im Juni 1900 vom preußischen Kultusminister einberufene zweite Schulkonferenz im gleichen Sinne, und am 26. November 1900 erklärte ein kaiserlicher Erlaß die Gleichberechtigung von Gymnasium, Realgymnasium und Oberreal­ schule im Hinblick auf die Berechtigungen.77 Trotz dieser prinzipiellen Erklärung erreichte das Realgymnasium doch nicht in allen Punkten die gleiche Stellung wie das humanistische Gymna­ sium. So blieb etwa für das Theologiestudium wegen des besonderen Ge­ wichts der alten Sprachen weiterhin in allen Bundesstaaten das Reifezeugnis eines humanistischen Gymnasiums erforderlich. D ie Zulassung zum Jura­ studium wie auch zu den philologischen Staatsprüfungen wurde in den einzelnen Bundesstaaten unterschiedlich geregelt: Nur Preußen stellte das Reifezeugnis eines Gymnasiums, eines Realgymnasiums oder einer Oberre­ alschule einander gleich, Württemberg ließ Absolventen von Gymnasien und Realgymnasien zu, in allen anderen Staaten war das Reifezeugnis eines humanistischen Gymnasiums Voraussetzung für die Zulassung zur juristi­ schen Staatsprüfung. D ie Zulassung zur Lehramtsprüfung richtete sich in den meisten außerpreußischen Staaten nach den jeweiligen Fächern: für Mathematik, Naturwissenschaften und neuere Sprachen genügte in der Regel das Zeugnis eines Realgymnasiums, manchmal auch das einer Ober­ realschule; für alle anderen Fächer wurde weiterhin das Abschlußzeugnis eines humanistischen Gymnasiums verlangt.78 Unter diesen Umständen läßt sich denken, daß die Gleichstellung von Gymnasium und Realgymnasium, wie sie für das Medizinstudium reichs­ einheitlich durch die neue Prüfungsordnung vom 28. Mai 1901 erfolgte, nur gegen den Protest der organisierten Ärzteschaft zustande kam. D er preußi­ sche Ärztekammerausschuß forderte in einer Eingabe an den Bundesrat vom 18. März 1901, eine endgültige Entscheidung zu vertagen, vorerst aber für die Mediziner das humanistische Gymnasium als Studienvoraussetzung be­ stehen zu lassen, da eine völlige Gleichstellung der drei Vollanstalten für alle Fakultäten und alle Bundesstaaten derzeit »wohl aussichtslos« erscheine.79 Die Redaktion des Ärztlichen Vereinsblatts schließlich legte der Märznum­ mer einen Protest an den Bundesrat »gegen die Zulassung der Realschulabi­ turienten ausschließlich zum Studium der Medizin« bei mit der »dringen­ den« Bitte an alle Ärzte, diese Erklärung zu unterschreiben und umgehend an den Bundesrat abzusenden.80 Trotz aller Proteste wurden mit Inkrafttreten der Prüfungsordnung zum Wintersemester 1901 auch Absolventen von Realgymnasien zum Medizin­ studium zugelassen. Auf eine reichsgesetzliche Gleichberechtigung aller drei Anstalten verzichtete man zunächst mit Rücksicht darauf, daß die meisten außerpreußischen Bundesstaaten - auf Reichsebene war nur das medizini­ sche Prüfungswesen geregelt - dem humanistischen Gymnasium weiterhin 85 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

eine Vorzugsstellung einräumten. D ie Zulassung auch der Oberrealschul­ abiturienten zum Medizinstudium wurde erst durch einen Bundesratsbe­ schluß vom 12. Februar 1907 ausgesprochen. Die langandauernden Auseinandersetzungen um die angemessene Vorbil­ dung der Mediziner zeigen, daß die Ärzte - mit einigen Ausnahmen, wie etwa Richter - im allgemeinen ihren Platz nicht innerhalb der sich entfalten­ den naturwissenschaftlichen Intelligenz sahen, sondern strikt darauf bedacht waren, ihre Position als Teil des klassischen Bildungsbürgertums zu be­ haupten. Sie zeigen darüber hinaus, daß das Zusammengehörigkeitsgefühl des Bildungsbürgertums offenbar sehr viel stärker über die gemeinsame Erfah­ rung des humanistischen Gymnasiums definiert war als etwa über den Universitätsbesuch. D as mag seinen Grund darin finden, daß sich auf den Universitäten der Wissensstoff doch allzu sehr differenzierte, als daß daraus noch ein Gemeinsamkeitsgefühl aller Studierenden hätte hervorgehen kön­ nen, daß andererseits die Kenntnis der klassischen Sprachen sowohl ein Mittel war, sich von anderen Schichten abzugrenzen als auch - mit aller ideologischen Verbrämung des neuhumanistischen Bildungsbegriffs - ein Gemeinsamkeit stiftendes Bildungserlebnis. Je mehr Wissensdifferenzierung und -expansion in den einzelnen Univer­ sitätsdisziplinen das Humboldtsche Bildungsideal von der Einheit der Wis­ senschaften aushöhlten und zur ideologischen Fassade werden ließen, desto wichtiger wurde für die bildungsbürgerlichen Berufe offenbar das Humani­ stische Gymnasium als verbindende Klammer. So wiesen die Gymnasialleh­ rer in ihrer Argumentation gegen das Realgymnasium darauf hin, daß eine Gleichstellung dieser Schulform mit dem humanistischen Gymnasium die »führenden Stände in mehrere einander kaum noch verstehende Gruppen« spalten würde. Um das zu verhindern, müßten alle Akademiker eine »mög­ lichst gleichartige Bildungsgrundlage« haben.81 Daß neben den Gymnasiallehrern, die schon aus standesegoistischen Gründen an den Privilegien des Gymnasiums festhielten, die Ärzte in den bildungspolitischen Auseinandersetzungen des letzten Jahrhundertdrittels besonders engagierte Verfechter des Gymnasialmonopols waren, erklärt sich daraus, daß das Medizinstudium in besonderer Weise einen Angriffs­ punkt für die Realschulanhänger bildete. Weil für diesen Studiengang natur­ wissenschaftliche Kenntnisse eine besondere Rolle spielten, konzentrierte sich der Realschulmännerverein seit den späten 70er Jahren darauf, zunächst die Zulassung der Realgymnasiasten zum Medizinstudium durchzusetzen. Die Vorbildung der Juristen geriet demgegenüber erst viel später ins Blickfeld der Öffentlichkeit, als eine Frankfurter Petition 1898 auch für die Juristischen Fakultäten die Aufhebung des Gymnasialmonopols forderte, wogegen sich die Juristen in ähnlich scharfer Form wie die Mediziner schon 20 Jahre früher wandten.82 Abschließend soll noch der Frage nachgegangen werden, welchen Einfluß 86 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

die Zulassung von Realgymnasiasten und schließlich auch Oberrealschülern auf die Entwicklung der Studentenzahl im Fach Medizin hatte. War bis zum Studienjahr 1902/03 der Anteil der Realschulabiturienten unter den reichsangehörigen Medizinstudenten an preußischen Universitä­ ten noch verschwindend gering - von insgesamt über 2000 Studenten kamen nur 95 von einem Realgymnasium -, so waren 1905/06 immerhin schon 212, 1908/09 431 und 1911/12 829 Studenten ohne Reifezeugnis von einem humanistischen Gymnasium an den medizinischen Fakultäten eingeschrie­ ben. In Prozentzahlen ausgedrückt waren das 1905/06 10,7%, und 1911/12 schon das Doppelte, nämlich 21,4%, davon 6,8% (246) Oberrealschulabi­ turienten und 14,6% (565) Realgymnasialabiturienten.83 Die Öffnung der Universitäten für die Absolventen von Realgymnasien und Oberrealschulen hatte also an dem Anstieg der Medizinerzahlen nach 1905/06 einen nicht unbedeutenden Anteil: D ie absolute Zahl der Gymna­ sialabsolventen unter den Medizinstudenten in Preußen vergrößerte sich zwischen 1905/06 und 1911/12 von 1763 auf 3038 (um 72,3%). Unter Mitberücksichtigung der Absolventen von Realgymnasien hatte sich die Zahl der Medizinstudenten dagegen nahezu verdoppelt, von 1975 auf 3867.84 Mit ihrem Anteil an Abiturienten, die nicht vom humanistischen Gymna­ sium kamen, hielten die medizinischen Fakultäten sich allerdings durchaus im gesamtuniversitären Rahmen. D er Anteil der Realgymnasiasten unter den Studierenden an preußischen Universitäten betrug im Studienjahr 1911/ 12 14,3%, also nur ganz unwesentlich weniger als bei den Medizinern; dafür waren mehr, genau 10%, Absolventen von Oberrealschulen. Da die Aufweichung des Monopolcharakters, den das humanistische Gymnasium bisher gehabt hatte, sich auf die gesamte Universität bezog auch an der sozial exklusivsten Fakultät, der juristischen, waren 1911/12 nur noch knapp 80% der Studierenden Gymnasialabituricnten - blieben auch die von den Ärzten befürchteten negativen Auswirkungen auf ihren Status aus. Im Gegenteil, gerade in den anderthalb Jahrzehnten vor dem Ersten Welt­ krieg gelang es ihnen, sich sozial recht wirksam nach unten abzuschließen, wie im ersten Abschnitt dieses Kapitels gezeigt wurde.

3. Medizinische Wissenschaft, Ausbildung und Prüfungen: Verwissenschaftlichung und Spezialisierung a) D ie Entwicklung der medizinischen Wissenschaft im Überblick Während die Vorbildung der Medizinstudenten bis zum Ende des Jahrhun­ derts keinem nennenswerten Wandel unterlag, wenn man von den eher 87 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

marginalen Reformen des gymnasialen Lehrplans einmal absieht, und die einzige wirkliche Neuerung in der Zulassung der Abiturienten von Real­ gymnasien nach der Jahrhundertwende bestand, veränderten sich Inhalt und Methode des medizinischen Studiums im selben Zeitraum grundle­ gend. In erster Linie wurden diese Veränderungen hervorgerufen durch die gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasant voranschrei­ tendc Fortentwicklung der medizinischen Wissenschaft.85 Eingeleitet wurde dieser sich in der zweiten Jahrhunderthälfte voll ent­ faltende Fortschritt schon um die Wende zum 19. Jahrhundert, wobei die französische Medizin eine Pionierrolle einnahm. Hier wurde erstmalig eine empirisch-analytisch ausgerichtete »Hospital-Medizin«86 entwickelt, in der die bloße Beobachtung des Patienten und die Analyse der von ihm artikulierten subjektiven Gefühle und Empfindungen ergänzt wur­ den durch eingehende körperliche Untersuchungen. D ie kaum über­ schaubare Vielfalt der möglichen Symptome, Grundlage bisheriger Klas­ sifikationsversuche der Krankheiten, wurde strukturiert durch funktiona­ le Zuordnung der Symptome zu einzelnen Organen und Organsyste­ men. D iese als den tatsächlichen Sitz der Krankheiten und Ursache äu­ ßerlich sehr unterschiedlicher Symptome zu erkennen, lehrte die neue »Organpathologie«. Mehrere Medizinhistoriker haben die herausragende Rolle betont, die die Pariser Hospitäler für diese Entwicklung der modernen Medizin ge­ spielt haben.87 In diesen zentralisierten, allesamt staatlicher Kontrolle un­ terstehenden großen Krankenanstalten hatten die Ärzte erstmals die Möglichkeiten, die ihnen unter dem Patronage-System gefehlt hatten: sie konnten die Wünsche der durchweg aus den Unterschichten kommen­ den Patienten ignorieren, konnten sich statt auf die Therapie auf die D ia­ gnose und Klassifikation der Krankheiten konzentrieren. Sic hatten die Möglichkeit, an den Patienten, die sich kaum wehren konnten, neue Be­ handlungsmethoden auszuprobieren, und sie konnten die Hospitalinsas­ sen in ausgedehnter Weise zu Unterrichtszwecken heranziehen. Von zen­ traler Bedeutung waren ferner die Möglichkeit, die Kranken mit Hilfe einer Reihe neu entwickelter Instrumente zu untersuchen, sowie die Au­ topsie der Gestorbenen, und dies in einer großen Zahl von Fällen, was statistische Analysen und Vergleiche erlaubte. Die pathologische Anatomie entwickelte sich zur zentralen For­ schungstechnik der neuen Pariser Schule. D enn erst die Autopsie konnte die D iagnose, wie sie sich aus den Krankheitssymptomen ergab, bestäti­ gen. Erst vom Tode her fiel Licht auf das Wesen der Krankheit. Gleich­ zeitig gestattete die pathologisch-anatomische Methode es, die Lokalisie­ rung des Krankheitsherdes weiter voranzutreiben.88 Daß die Entwicklung in D eutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahr­ hunderts ganz anders verlaufen ist, wurde schon angedeutet. In der deut­ schen Medizin stellten Krankheiten, vor allem aufgrund des Einflusses 88 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

der romantischen Naturphilosophie, noch in den 40er Jahren »Wesenheiten« dar, die das Objekt teilweise mystifizierender Spekulation bildeten. Zur selben Zeit, als die französischen Kliniker - beginnend mit Xavier Bichat, der als Begründer der modernen Histologie (Gewebelehre) gilt-die Organe in einzelne Gewebe zerlegten, um die spezifische Art der jeweiligen Krankheit besser erkennen zu können, sahen in Deutschland Ärzte wie der bekannte Bonner Physiologieprofessor Windischmann den innersten Sitz der Krankheit »in der durch Lust und Begierde entzündeten und wild gewordenen Seele«. D emgemäß war für Windischmann die »wahre Ursa­ che der Krankheit« »überall und durchaus immateriell«89 und folglich auch keine Veranlassung zu ausgedehnter pathologisch-anatomischer Forschung gegeben. Seit den 30er Jahren meldeten sich aber auch Kritiker der naturphilosophi­ schen Schule der Medizin in Deutschland zu Wort. Teilweise aufgeschreckt durch die Choleraepidemie von 1831/32, die das »Bewußtsein riesengroß hervorgedrängt (hat), daß die alten Fundamente der Medicin, die pathologi­ schen Grundbegriffe, durch und durch morsch« waren;90 teilweise wachge­ rüttelt durch den Vormarsch der Homöopathie, die sich in der Öffentlichkeit zunehmender Beliebtheit erfreute,91 setzte sich bei einer Reihe von Ärzten vor allem der jüngeren Generation das Bewußtsein durch, daß die medizini­ sche Wissenschaft in D eutschland in eine Sackgasse geraten war. Zu den schärfsten Kritikern gehörten die Physiologen Wilhelm Roser und Carl August Wunderlich, die 1842 das »Archiv für physiologische Heilkunde« begründeten.92 Aus ihrem programmatischen Aufsatz im ersten Heft der neuen Zeitschrift93 geht deutlich hervor, daß in D eutschland von einem gewandelten ärztlichen Blick, der keine wesenhaften Krankheiten mehr, sondern statt dessen pathologische Reaktionen sah,94 noch keineswegs die Rede sein konnte. Roser und Wunderlich beurteilten den Zustand der deutschen Medizin denkbar kritisch: »Der herkömmlichen und verbreiteten Anschauungsweise gemäß wird die Erkrankung fast allenthalben nicht als ein Zustand des Organismus betrachtet, sondern als ein für sich bestehendes D ing, als ein Ens, als eine feindliche Macht, die mit dem Organismus streitet, gegen die man den Körper unterstützen muß und die entweder obsiegt und so das Individuum tödtet, oder aber bezwungen und in verschiedener Weise, auf verschiedenen Wegen aus dem Bereich des Körpers entfernt wird.« 95 D em­ entsprechend sei die »Mehrzahl der pathologischen Lehrbücher aus unkriti­ scher Compilation und theoretischer Begriffsverwirrung zusammenge­ setzt«.96 Eine der »schlimmsten Folgen der ontologischen Mystifikation« aber sei ein den wissenschaftlichen Fortschritt lähmender Eklektizismus.97 Physikalische Untersuchungsmethoden fanden in den deutschen Kliniken des Vormärz kaum Anwendung. »Man hat mit Indifferenz die Achseln gezuckt«, tadelten Roser und Wunderlich.98 Auch der spätere Kliniker Adolf Kußmaul berichtete aus der Praxis der 20er Jahre, daß »vom Behorchen der 89 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Kranken mittelst Perkussion und Auskultation . . . nirgends die Rede« gewesen sei, obwohl diese Techniken seit 1808 in Frankreich allgemein verbreitet waren.“ D aß ein Stethoskop noch Ende der 30er Jahre in deut­ schen Kliniken als »Curiosität« galt, wurde schon berichtet. Die pathologische Anatomie, die den revolutionären Charakter der anato­ misch-klinischen Methode ausmachte, führte in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich lange Zeit noch ein Schattendasein. 100 Waren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts meistens die Fächer Anatomie, Chirurgie und Geburtshilfe in einer Hand vereinigt gewesen, so löste sich zwar in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts diese Verbindung allmählich, und eine Vereini­ gung der beiden Fächer Anatomie und Physiologie wurde statt dessen die Regel; doch in den Tätigkeitsbereich des Anatomen fand die pathologische Anatomie nur zögernd Eingang. Vielfach sezierten die Kliniker selber, und so ist wohl neben naturphilosophischen Einflüssen ein Haupthindernis für die Ausbreitung der pathologischen Anatomie in D eutschland darin zu suchen, daß die Universitätskliniken in der Regel zu klein waren, um genug Patienten für systematische Obduktionen zu liefern.101 Im deutschen Sprachraum wurde die pathologische Anatomie erstmals durch Karl Rokitansky in Wien in den 30er und 40er Jahren auf eine breitere Grundlage gestellt. Er verfaßte ein dreibändiges »Handbuch der pathologi­ schen Anatomie« (1841-46), wobei er das reichhaltige Untersuchungsmate­ rial aus dem Wiener Allgemeinen Krankenhaus, an dem er Prosektor war, benutzen konnte, und begründete damit die neuere Wiener Schule. D ie Wiener Fakultät war auch die erste, an der die pathologische Anatomie 1844 zum obligatorischen Lehrgegenstand erhoben wurde und damit die volle akademische Gleichberechtigung erreichte.102 Langsam folgten auch die deutschen Universitäten. 1849 wurde der junge Rudolf Virchow Ordinarius für pathologische Anatomie in Würzburg; 1856 erfolgte seine Berufung nach Berlin, wo gleichzeitig das erste Pathologische Institut in Deutschland errichtet wurde. 103 Seit den 40er Jahren setzten sich zudem auch in Deutschland, wenn auch gegen Widerstände vor allem der älteren Professorengeneration,104 physikalische Untersuchungsmethoden und -Instrumente durch. Parallel dazu ging der Einfluß der romantischen Naturphilosophie rasch zurück. Nüchterne Beobachtung trat an die Stelle der Spekulation; eine lokalistische Krankheitsauffassung ersetzte die alten humoralpathologischen Annahmen vom Blut als dem Träger der Krankheit und von der schlechten Mischung der Säfte als Krankheitsursache. D as war die große Zeit der Kliniker, die viele Krankheiten erstmals exakt beschrieben und von anderen abgrenzten. Indes stützte sich auch der klinische Blick noch vorwiegend auf Beobach­ tung und Empirie. Er ordnete die Organveränderungen und Gewebeano­ malicn, die sich ihm bei der Öffnung der Leiche zeigten, den zuvor beobach­ teten Krankheitssymptomen und -zeichen zu. D ie klassifizierende Medizin des 18. Jahrhunderts hatte das Blutspucken in die Klasse der Blutflüsse 90 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

eingeordnet und die Schwindsucht in die Klasse der Fieber;105 dem klini­ schen Blick enthüllte sich ihre Zusammengehörigkeit aufgrund des gemein­ samen Auftretens in einer Vielzahl von beobachteten Fällen. D er Zusam­ menhang beruhte also auf den Regeln mathematischer Wahrscheinlichkeit; »beweisen« mit Hilfe exakter naturwissenschaftlicher Methoden konnte ihn die Hospitalmedizin nicht. Ein gutes Beispiel für den empirischen Charakter der Hospitalmcdizin bietet die Theorie des österreichischen Arztes Ignaz Philipp Semmelweis über das Kindbettfieber.106 Scmmelweis, seit 1846 Assistent der Gebärklinik des Wiener Allgemeinen Krankenhauses, war die enorm hohe Sterblichkeit der Wöchnerinnen in der ersten Abteilung der Gebärklinik, in der die Geburten von Ärzten und teilweise auch von Studenten geleitet wurden, aufgefallen: Sie betrug im Durchschnitt der Jahre 1841-1846 ziemlich genau 10%, stieg in einzelnen Monaten aber bis auf das Doppelte an. Demgegen­ über lag die Sterblichkeit auf der zweiten Abteilung, in der Hebammen die Geburten hoben, um ein Vielfaches niedriger.107 Alle zu jener Zeit gängigen Theorien über die Ätiologie des Kindbcttfic­ bers, die dieses durch Besonderheiten der Geburt und des Wochenbetts bedingt sahen, konnten die auffallende D ifferenz zwischen den beiden Ab­ teilungen der Wiener Gcbäranstalt nicht erklären. Hierauf konzentrierten sich Semmelweis' Überlegungen, Untersuchungen und Hypothesen. Bei der Obduktion des im Frühjahr 1847 an einer Leichenvergiftung gestorbe­ nen pathologischen Anatomen Kolletschka beobachtete er eine vollständige Übereinstimmung der pathologischen Veränderungen mit denen der an Kindbettfieber verstorbenen Wöchnerinnen. D ies brachte ihn auf den Ge­ danken, daß das Puerperalfieber auch eine Art von Leichenvergiftung sei, hervorgerufen dadurch, daß die Ärzte und Studenten, nachdem sie in der Anatomie seziert hatten, direkt vaginale Untersuchungen bei Gebärenden und Wöchnerinnen vornahmen und so die bei der Geburt entstehenden frischen Wunden infizierten. Um die fauligen Stoffe an den Händen der Ärzte zu zerstören, führte Semmelweis Waschungen mit Chlorwasser oder Chlorkalk ein, wodurch die Sterblichkeit der Wöchnerinnen ganz erheblich sank.108 Trotz der auf Beobachtung und Statistik gestützten Plausibilität seiner Theorie stieß Semmelweis überwiegend auf Kritik und Ablehnung.109 Den »Beweis« für die Richtigkeit seiner These erbrachte erst Pasteur, als er 1878/ 79 die pathogenen Mikroorganismen, die das Kindbettfieber hervorrufen, isolierte. Von diesem Zeitpunkt ab, den Semmelweis selber nicht mehr erlebte - er war 1865 gestorben - rechnete Semmelweis plötzlich zu den »größten Wohltätern der Menschheit«. Seine Entdeckung der Ursache des Kindbettfiebers wurde in eine Reihe gestellt mit Jenners Einführung der Kuhpockenimpfung, und sein Name fehlt in keiner medizinhistorischen Darstellung.110 D aß freilich Semmelweis' »Wohltat« nur darin bestand, die Prophylaxe für eine Krankheit anzugeben, die ihre mörderische Ausdeh91 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

nung überhaupt erst durch ärztliches Wirken erreicht hatte,111 die viel seltener vorkam, bevor in den Gebäranstalten Gebärende zum Untersu­ chungsobjekt für angehende Ärzte gemacht wurden, dieser Umstand, der in den medizinhistorischen D arstellungen in der Regel mit Schweigen über­ gangen wird, sei hier nur am Rande erwähnt. Pasteur und der »Beweis« der Semmelweis'schen Theorie gehören bereits einer neuen Phase der Medizingeschichte an, der Laboratoriums-Medizin, die mit Hilfe exakter naturwissenschaftlicher Experimente wesentlich über die Erkenntnisse der Ära der Hospitalmedizin hinausging. Die Einteilung der Medizingeschichte des späten 18. und des 19. Jahrhun­ derts in drei aufeinanderfolgende Etappen der Krankenbett-Medizin, der Hospital-Medizin und der Laboratoriums-Medizin mit je verschiedenen Erkenntniszielen und Forschungsmethoden, wie es im folgenden D ia­ gramm dargestellt ist, kann natürlich nur in idealtypischer Weise erfolgen. In der Realität sind die einzelnen Charakteristika mitunter nicht so deutlich ausgeprägt, und die einzelnen Phasen überlagern sich mehr oder weniger stark. So reichen etwa Anfänge der Laboratoriums-Medizin, deren wichtig­ stes Kennzeichen die Gewinnung medizinischen Wissens auf der Basis des Tab. 10 (Diagramm): Krankenbett-, Hospital-und Labormedizin Krankenbett­ medizin

Hospitalmedizin

Labormedizin

Berufsrolle des med. Forschers

Praktiker

Kliniker

Wissenschaftler

Aufgabe des med. Forschers Forschungs­ methode

Prognose u. Therapie Spekulation u. Schlußfolgerung

Objekt der Nosologie Wahrnehmung des Kranken Konzeptualisierung der Krankheit Diagnoseverfahren

ganzer Symptom­ komplex Person

Diagnose u. Klassifizierung statistisch orien­ tierte klinische Beobachtung innere organische Abläufe Fall

Analyse und Erklärung Labor-Experiment; entsprechende wiss. Methodik Zellfunktionen

organische Läsion

Therapie

»heroisch« und eingreifend

biochemischer Prozeß mikroskopische Untersuchung u. chemische Tests nihilistisch

psychosomatische Störung qualitative Beurteilung

physische Unter­ suchung vor und nach dem Tode skeptisch (mit Ausnahme der Chirurgie)

Zellkomplex

Quelle: Leicht gekürzt nach Jewson, Disappearance, S. 228. 92 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

naturwissenschaftlichen Experiments ist, deutlich bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. D en D urchbruch konnte sie aber erst nach der Jahrhundertmitte erzielen; vorher waren die Grundlagenfächer Physik und Chemie noch zu wenig entwickelt. D er Medizinhistoriker Lichtenthaeler spricht in diesem Zusammenhang von einem »allmählichen Einströmen der Laboratoriumsmedizin in die Spitalmcdizin«.112 Vor allem in Deutschland ist eine deutlich abgrenzbare Periode des Vor­ herrschens der Hospitalmedizin - im Gegensatz zu Frankreich - kaum auszumachen, denn fast gleichzeitig mit der endgültigen Überwindung der jahrhundertealten galenisch-hippokratischen Tradition durch die anato­ misch-klinische Methode wurden hier die Grundlagen für die Laborato­ riums-Medizin gelegt, welche die in der Welt führende Stellung der deut­ schen Medizin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begründeten. Mit dem Paradigmawechsel von der Hospital- zur Laboratoriums-Medi­ zin war eine Erweiterung des medizinischen Blickfeldes verbunden. Für den medizinischen Forscher wurde das Studium von Krankheiten Teil eines sehr viel weiteren Interesses, das sich auf die Organisation und Funktion organi­ scher Materie insgesamt richtete. Ein entsprechend größeres Gewicht ge­ wannen die systematischen Naturwissenschaften, allen voran die sich entfal­ tende Chemie. D ie Ränder der Fachdisziplin »Medizin« wurden unscharf; Teildisziplinen wie Physiologie oder Physiologische Chemie lagen auf der Grenze zwischen Medizin und Biologie bzw. Chemie.113 Nicht zuletzt durch diese Ausweitung des Forschungsinteresses förderte die Laboratoriums-Medizin auch das Entstehen neuer Spezialfächer. Zwar lassen sich Anfänge der Spezialisierung im modernen Sinne durchaus schon seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts feststellen. So hat etwa die Praxis des »Aufrückens« in den nächsthöheren Lehrstuhl - also etwa vom Anatomen über den Lehrstuhl für medizinische Praxis bis zum Lehrstuhl für medizini­ sche Theorie-allmählich aufgehört, ein Zeichen dafür, daß einem Einzelnen nicht mehr zugetraut wurde, alle Teilgebiete der Medizin gleichmäßig um­ fassend zu beherrschen.114 In dieselbe Richtung weist der Umstand, daß seit 1816 die Habilitanden an der medizinischen Fakultät der Universität Berlin sich nicht mehr für die gesamte Medizin habilitierten, sondern nur noch für eine begrenzte Teildisziplin.115 Nach der Jahrhundertmitte aber beschleunigte sich die Ausdifferenzie­ rung spezialisierter Teildisziplinen und die damit verbundene Expansion des medizinischen Wissens ganz erheblich, wie sich anhand der wachsenden Zahl von Fachvertretern pro medizinischer Fakultät gut dokumentieren läßt.116 1820 hatte es an den 18 medizinischen Fakultäten in Deutschland 79 unabhängige Fachvertreter gegeben, davon 70 Lehrstuhlinhaber, also an jeder Universität knapp vier medizinische Lehrstühle. 1850 gab es an 19 Universitäten immerhin schon 95 Ordinarien, was im D urchschnitt ge­ nau fünf Lehrstühle pro medizinische Fakultät ausmacht. D er eigentliche Sprung aber ereignete sich in den folgenden Jahrzehnten. Hatte sich in den 30 93 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Jahren von 1820 bis 1850 die Zahl der Fachvertreter um 45,6% erhöht, erfolgte in den drei Jahrzehnten von 1850 bis 1880 eine Expansion um 110%, von 115 im Jahre 1850 auf 241 1880. Von diesen 241 Fachvertretern waren 177 Ordinarien, es kamen jetzt auf eine medizinische Fakultät - deren Zahl hatte sich durch Straßburg auf 20 erhöht - fast neun Lehrstühle und insge­ samt zwölf unabhängige Fachvertreter. In den nächsten 30Jahren schwächte sich das Tempo in der Entwicklung neuer Spezialfächer wieder ab: 1910 gab es an den 20 medizinischen Fakultäten des Deutschen Reiches 341 Fachver­ treter, das waren 41,5% mehr als 30 Jahre zuvor, und 213 Ordinarien (Steigerungsrate 20,3%). Im Durchschnitt waren an jeder Fakultät 17 Ein­ zelfächer vertreten. Mit der rasanten Zunahme der medizinischen Einzeldisziplinen vor allem in den Jahrzehnten nach 1850 verlief der Prozeß der D ifferenzierung und Expansion des medizinischen Wissens in Deutschland rascher als in anderen Ländern. Als Erklärung für diesen deutschen Vorsprung bietet sich eine Reihe von Faktoren an, die zum Teil aber nicht speziell die Medizin betref­ fen, sondern die Wissenschaftsentwicklung in Deutschland allgemein. Zum einen spielten ideologische Momente eine gewichtige Rolle: D ie neuhumanistische Ideologie, die bei der Erneuerung der Universitäten zu Beginn des Jahrhunderts Pate gestanden und Werten wie Originalität und Kreativität im wissenschaftlichen Arbeiten höchsten Stellenwert zuerkannt hatte, trug zweifellos zur Expansion der Forschungstätigkeit bei. 117 Sodann stimulierten die dezentrale Organisation des Universitätssystems und der dadurch bedingte Wettbewerb der einzelnen Universitäten untereinander das Wachstum der Forschung.118 Schließlich war auch die staatliche Politik gegenüber den Universitäten von großer Bedeutung.119 D er preußische Staat verstärkte schon im Vormärz seinen Einfluß auf die Berufung auf Lehrstühle an den Universitäten. D as geschah im Rahmen einer Politik, die darauf abzielte, mit Hilfe der Wissenschaft das nationale Prestige zu heben, die Universitäten als Zentren preußischen Intellekts glänzen zu lassen und sie zu nationalen Symbolen zu machen. Folgerichtig wurden eher Männer berufen, die durch wissenschaftliche Publikationen auf ihrem Fachgebiet international anerkannt waren, als solche, die wegen ihrer pädagogischen oder therapeutischen Qualitäten eine eher lokale Reputation genossen. Bei­ spiele für diese häufig gegen den Widerstand der jeweiligen Fakultät durch­ gesetzte Berufungspolitik im medizinischen Bereich sind die Berufung des Physiologen Johannes Müller 1833 nach Berlin, des Klinikers Johann Lukas Schönlein 1839, ebenfalls nach Berlin, und des Physiologen Evangelista Purkinje 1821 nach Breslau.120 D ie bleibenden Leistungen dieser drei For­ scher werden dadurch dokumentiert, daß ihre Namen in fast jeder moder­ nen Medizingeschichte des 19. Jahrhunderts erwähnt werden. Auf diese Weise hatten die preußischen Universitäten schon um diejahrhundertmitte einen Stamm naturwissenschaftlich arbeitender spezialisierter Forscher her­ angezogen, der die Grundlage für die schnelle Expansion der medizinischen 94 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Spezialfächer in der zweiten Jahrhunderthälfte bildete. Als ein weiterer die Spezialisierung vorantreibender Faktor wirkte sich der Widerstand der mei­ sten Ordinarien gegen die Schaffung neuer Lehrstühle in ihren Disziplinen aus. D as Bestreben der Lehrstuhlinhaber, »ihre« Fächer möglichst selber in der Hand zu behalten, mußte junge Forscher geradezu in die sich neu entwickelnden Spezialgebiete treiben. Hier liegt auch ein Grund dafür, warum die Expansion der medizinischen Fakultäten kaum durch Stellenver­ mehrung in den bestehenden Abteilungen erfolgte als vielmehr durch die Schaffung neuer Abteilungen mit neuen Positionen.121 Gleichzeitig traten die Laufbahn des wissenschaftlichen medizinischen Forschers und Hochschullehrers und die des medizinischen Praktikers im­ mer mehr auseinander. In der Phase der Krankenbett-Medizin waren die Rollen des medizinischen Forschers und des ärztlichen Praktikers noch eins: Forschungsgegenstand - der kranke Patient in seiner leib-seelischen Gesamt­ heit - und Forschungsmethode - Beobachtung am Krankenbett - waren konstitutiv für das Arbeitsfeld des praktischen Arztes. Die Laboratoriums­ Medizin etablierte demgegenüber zwei deutlich voneinander getrennte Ar­ beitsfelder. D er neue Typ des medizinischen Forschers arbeitete im Labor, führte dort chemische und physikalische Tests durch und hatte den Patienten ganz aus seinem Gesichtskreis eliminiert.122 Einschränkend muß allerdings bemerkt werden, daß diese Charakterisierung nur auf einen Teil der For­ scher zutrifft, daß es neben den Laboratoriums-Spezialisten weiterhin den alten Typus des Klinikers gab, der außer seiner Tätigkeit an der Klinik häufig noch eine Privatpraxis führte. Es konnte nicht ausbleiben, daß die Kliniker, je mehr sie die Diagnostik fortentwickelten und je weiter sich die lokalistische Krankheitsauffassung durchsetzte, dem Arzneischatz und den herkömmlichen Methoden wie Aderlaß, Purgieren und Abführen immer skeptischer gegenüberstanden: wirkte doch die überwiegende Mehrzahl dieser Mittel ausschließlich auf den Allgemeinzustand des Patienten, und nicht spezifisch auf einzelne Organe, wie es der lokalistischen Lehre entsprochen hätte. Teilweise zeigten sich die alten Methoden nicht nur als unspezifisch, sondern sogar als außerordentlich schädlich. In einer Studie über den Aderlaß in der Lungenentzündung fand der Wiener Kliniker Joseph D ietl 1849 heraus, daß von 152 Patienten mit Lungenentzündung, die in seiner Klinik in herkömmlicher Weise zur Ader gelassen oder mit Brechweinstein behandelt wurden, jeweils rund 20% starben, während bei den 135 Patienten, für die lediglich eine D iät, aber keine Medikamente verordnet wurden, die Mortalität bei nur 7% lag. 123 Die Skepsis gegenüber den hergebrachten therapeutischen Mitteln stei­ gerte sich vielfach zu einem sogenannten »therapeutischen Nihilismus«, wie er am stärksten in der Wiener Schule um Rokitansky und Skoda ausgeprägt war. Von Skoda stammt der Ausspruch: »Wir können eine Krankheit dia­ gnostizieren, beschreiben und begreifen, aber wir sollen nicht wähnen, sie durch irgendwelche Mittel beeinflussen zu können.«124 D er spätere Straß95 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

burger Kliniker Kußmaul berichtet in seinen Erinnerungen an eine Studien­ reise nach Wien Ende der 40er Jahre, daß »manche jungen Ärzte beinahe mit größerer Neugierde der Bestätigung ihrer anatomischen D iagnose (durch die Autopsie) als dem Erfolge ihres Kurverfahrens entgegensahen.«125 D as Zentrum des Interesses hatte sich von der Prognose und Therapie, die für die Praktiker zur Zeit der Krankenbett-Medizin die eigentliche Aufgabe gewe­ sen war, hin zur D iagnose als wesentlichem Anliegen der die Hospital­ Medizin vertretenden Kliniker verlagert. D aran änderte lange Zeit auch die Laboratoriums-Medizin nichts; denn die Erkenntnis spezifischer Krank­ heitsursachen und -erreger wurde sehr viel schneller ausgebaut, als Mittel gefunden wurden, die man zur Bekämpfung solcher Krankheiten einsetzen konnte.126 D ementsprechend kann man die Rolle des praktischen Arztes noch für den größten Teil des 19. Jahrhunderts am ehesten mit der eines »rationellen Empirikers« (D iepgen) umschreiben. Er wandte aufgrund von Erfahrung und Beobachtung diejenigen Arzneimittel an, die ihm bei ähnlich gelagerten Krankheitsfällen und bei vergleichbaren Symptomen anderer Patienten schon einmal geholfen hatten; auf wissenschaftlich gesicherte »bewiesene« Erkenntnisse konnte er sich im allgemeinen nicht stützen. Im besten Falle unterstützte er mit seiner Behandlung die Heilkräfte der Natur. Bei solchem eklektischen, von der Empirie angeleiteten Vorgehen konnten dem akademischen Arzt seine auf der Universität erworbenen Kenntnisse von Nutzen sein, sie mußten es jedoch in der ersten Jahrhunderthälfte keineswegs. So konnte die Vielzahl von Symptomen und Krankheitsbil­ dern, die er im theoretischen und praktischen Unterricht kennenlernte, seine Beobachtungsgabe schärfen und dann auch in der Praxis am Krankenbett hilfreich sein; andererseits konnten aber die Theoriegebäude, die alle Krank­ heiten auf möglichst wenige verursachende Prinzipien zurückzuführen suchten und dementsprechend auch die Therapie in starre Systeme preßten, ihm auch den Blick verstellen und unvoreingenommenes Handeln am Kran­ kenbett unmöglich machen. D as änderte sich zunehmend seit der Jahrhun­ dertmitte, als die theoretischen Spekulationen mehr und mehr durch Beob­ achtung und Experimente ersetzt wurden. Gleichzeitig wurde durch die Kenntnisse, die das medizinische Studium vermittelte, die Diagnose erleich­ tert und auf diesem Gebiet eine Überlegenheit des studierten Arztes über einen Laienmediziner begründet. Genau so wenig wie sich der Nutzen des akademischen Studiums für die ärztliche Praxis der Jahrhundertmitte eindeutig festlegen läßt, läßt sich die Situation der Studierenden zu dieser Zeit auf einen Nenner bringen. In den 40er und 50er Jahren, als sich die Grundlagen der modernen Medizin allmäh­ lich in Deutschland durchzusetzen begannen, hing es weitgehend von der Person des jeweiligen D ozenten ab, ob ein Student nach den neuen Metho­ den studierte oder nicht. D ie jüngere Hochschullehrergeneration, die den von Paris und Wien ausgehenden Fortschritten aufgeschlossen gegen­ überstand, gestaltete den Universitätsunterricht weitgehend nach den Prin96 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

zipien der Pariser und Wiener Schule, während ältere Hochschullehrer häu­ fig an überkommenen Lehrmeinungen festhielten. Wer als Studierender beispielsweise zu Beginn der 50er Jahre klinische Vorlesungen bei dem berühmten, später nach Berlin berufenen Kliniker Frerichs hörte, bekam den neuen Geist der Medizin unmittelbar mit. Frerichs' Motto: »Reelle Fortschritte macht die Medicin nur in den Händen derjenigen Ärzte, welche bei ihren Arbeiten nirgends den Weg streng naturwissenschaftlicher For­ schung verlassen«, klänge heutzutage, so berichtet einer seiner Schüler in seinen Erinnerungen 1895, »selbstverständlich und trivial«: »damals aber war es eine Offenbarung.«127 Zur gleichen Zeit wie Frerichs in Breslau vertraten Wunderlich in Leipzig, Schönlein in Berlin und viele andere Klini­ ker die Prinzipien der modernen naturwissenschaftlichen Medizin. Gleich­ zeitig aber gab es noch eine Reihe von Hochschullehrern der älteren Genera­ tion, die wie der Berliner Chirurg Jüngken noch »tief in der alten Krisenleh­ re« steckten. Für Jüngken spielten »die Blutmischung, die Vererbung, die Konstitution des Kranken die wesentlichen Rollen als Stützpunkte bei seinen Erklärungen der Krankheitserscheinungen. D ie Eiterung war für ihn die Selbsthilfe der Natur, womit sie die materia peccans aus dem Körper hinaus­ trieb«.128 Auch im Operationssaal zeigte sich der Gegensatz zwischen älterer und neuer Schule. Während sich bei den fortgeschrittensten Chirurgen der Zeit ein auf die Erhaltung von Gliedmaßen bedachter, konservativer Stand­ punkt durchsetzte,129 war bei Jüngken von konservativer Chirurgie keine Rede. »D as althergebrachte Gliederabschneiden wurde ausgeübt . . .« 130 Jüngken war ähnlich operationslustig wie sein Breslauer Kollege Benedikt, der noch in den 50er Jahren Oberschenkelamputationen ohne Narkose ausführte - der Patient durfte sich betrinken -, die aber, »weil er schon alt und zittrig war, regelmäßig mißlangen«.131 Nach den Erinnerungen des Arztes Friedrich Scholz an seine Studienzeit bei Benedikt in Breslau kam es vor, daß die Sekundärärzte geradezu Kranke vor ihm versteckten, damit deren Geschwüre ohne Amputation heilen konnten.132 In der Entwicklung des medizinischen Studienganges und in der Diskus­ sion darüber spiegeln sich im wesentlichen die eben skizzierten Fortschritte der medizinischen Wissenschaft wider. Entsprechend dem raschen Wandel des Faches riß die Diskussion über notwendige Reformen des medizinischen Unterrichts im Grunde genommen während des ganzen Jahrhunderts nicht ab. Brennpunkte bildeten dabei die Frage nach dem richtigen Verhältnis von Theorie und Praxis - meist als Forderung nach stärkerer Berücksichtigung praktischer Elemente im Studium - und das Problem der Aufnahme neuer Fächer in den Unterricht und die Prüfungsordnung.

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b) Das Verhältnis von Theorie und Praxis in der Ausbildung Die traditionelle Ausbildung der gelehrten Ärzte an den deutschen Universi­ täten war bis weit ins 18. Jahrhundert hinein rein theoretisch gewesen. Durch Einführung des klinischen Unterrichts seit dem letzten D rittel des 18. Jahrhunderts sowie durch verschiedene Prüfungsreglements seit Ende des 18. Jahrhunderts, insbesondere die Prüfungsreform von 1825, die unter anderem auch den Nachweis chirurgisch-technischer Kenntnisse forderte, wurden zwar Elemente praxisorientierter Ausbildung in den Studiengang gebracht, doch war das medizinische Studium in Deutschland in den 40er Jahren immer noch durch ein Übergewicht an theoretischen Vorlesungen gekennzeichnet, nicht zuletzt aufgrund der Geringschätzung der klinischen Beobachtung durch die spekulativ-romantische, naturphilosophische Rich­ tung der deutschen Medizin. Seit der Jahrhundertmitte wurden dann, parallel zur naturwissenschaftli­ chen Fundierung der Medizin, die klinischen Einrichtungen in den meisten Universitätsstädten rasch ausgebaut. D as Heidelberger Klinikum, ζ. Β., das 1820 - wie die meisten anderen Universitätskliniken auch - die bescheidene Bettenzahl von 32 Betten für innere Medizin, Chirurgie und Ophtalmologie gehabt hatte, wuchs bis 1865 auf 182 Betten und bis 1878 nochmals um 132 Betten auf 314.133 In der ärztlichen Staatsprüfung änderte sich zwar an der Einteilung der Prüfungsabschnitte, wie sie in Preußen seit der Prüfungsordnung von 1825 bestanden,134 zunächst nichts - 1852 kam mit der Schaffung des »Einheits­ standes« lediglich ein geburtshilflicher Teil dazu -; jedoch ist das vermehrte Gewicht, das der praktischen Ausbildung beigemessen wurde, daran abzu­ lesen, daß seit dem Erlaß eines neuen Prüfungsreglements für Preußen vom 18. September 1867135 der Kandidat während seines Studiums mindestens zwei Semester als Praktikant an der chirurgischen und der medizinischen Klinik teilgenommen, vier Geburten selbständig gehoben und in einem öffentlichen Impfinstitut die Schutzblattern selber geimpft haben mußte. Ebenfalls ausgebaut wurden die anatomischen Sezier- und Präparierkurse sowie Kurse im Mikroskopieren. Zwar hatten auch Studienpläne in den 30er Jahren schon Sezier-Übungcn vorgesehen; und ebenfalls in den 30er Jahren waren an einzelnen Universitäten die ersten praktischen Übungen mit dem Mikroskop angeboten worden;136 doch erst seit dem Erlaß des Prüfungsre­ glements für Preußen 1867 mußten die Studierenden ihre Fertigkeiten im Präparieren und im Gebrauch des Mikroskops auch im Examen nach­ weisen.137 Mit diesen Schritten scheint die praktische Ausbildung der Studierenden so weit verbessert worden zu sein, daß die Forderung nach Einführung eines »Hospitaljahres« nach dem Staatsexamen-eines Jahres praktischer Tätigkeit im Krankenhaus, in dem der angehende Arzt Erfahrungen sammeln konnte, bevor ihm die Niederlassung in eigener Praxis gestattet wurde - zunächst 98 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

völlig in den Hintergrund trat. Diese Forderung, die »eine der populärsten« in der Medizinalreformbewegung der 40er Jahre gewesen war, 138 spielte jedenfalls in den Beratungen zur Revision der Staatsprüfung, die sich von 1875 bis zum Erlaß einer neuen Prüfungsordnung 1883 hinzogen, überhaupt keine Rolle mehr. Neu aufgeworfen wurde die Frage nach der Qualität der praktischen Ausbildung erst wieder gegen Ende der 80er Jahre, nachdem sich durch die Verdoppelung der Studentenzahlen in den 80er Jahren, mit der die Vermeh­ rung des Lehrpersonals keineswegs Schritt gehalten hatte, die Studienbedin­ gungen offenbar drastisch verschlechtert hatten. 1880 gab es an den medizinischen Fakultäten der deutschen Universitäten 187 ordentliche Professoren und 127 Extraordinarien, mit den Privatdozen­ ten, Honorarprofessoren und Lehrbeauftragten, aber unter Ausschluß der Assistenzärzte, betrug die Zahl der Lehrenden 512 Personen. Zehn Jahre später, 1890, war die Studentenzahl von 4179 auf 8381, auf gut das Doppelte angewachsen, die Zahl der Lehrenden hatte sich dagegen nur um 20,9% auf 619 vermehrt. D en größten Zuwachs hatten dabei noch die Extraordinarien zu verzeichnen, deren Zahl sich von 127 auf 162 erhöhte. Lehrstühle dagegen gab es 1890 nur elf mehr als 1880.139 Es liegt auf der Hand, daß sich diese Entwicklung vor allen D ingen negativ auf den praktischen Unterricht auswirken mußte. Bei den theoreti­ schen Vorlesungen war es relativ gleichgültig, ob 100 oder 200 Studenten im Hörsaal saßen; bei den klinischen Vorlesungen dagegen, die von der Vorstel­ lung der entsprechenden Patienten begleitet wurden, in denen häufig auch Operationen im Hörsaal durchgeführt wurden, mußte ein vergrößertes Auditorium dazu führen, daß Studenten, die weiter hinten saßen, von den praktischen D emonstrationen häufig gar nichts mitbekamen. Je größer zu­ dem die Zahl der Praktikanten an einer Klinik war, desto weniger kam der einzelne zum »Praktizieren«. In einer Studie aus dem Jahre 1892 wurde berechnet, daß bei einer angenommenen Zahl von sechs klinischen Demon­ strationen pro Woche mit jeweils zwei Kranken im Sommersemester 156, im Wintersemester 192 Praktikanten je einmal aufgerufen werden könnten. An einzelnen stark besuchten Kliniken - in Berlin, Bonn, Greifswald und Halle wurden die Kliniken zu Beginn der 90er Jahre jeweils von 101-180 Praktikanten frequentiert-konnte es daher vorkommen, daß ein Praktikant während eines ganzen Semesters überhaupt nicht »dran kam«. 140 Auf den für die Zulassung zum Staatsexamen erforderlichen Praktikantenscheinen wurde jeweils nur vermerkt, daß der Kandidat an der Klinik als Praktikant teilgenommen habe, ohne daß die dabei erbrachten Leistungen irgendwie spezifiziert wurden. »Wenn ein Student der Medizin vielleicht dreimal wäh­ rend eines Semesters in der klinischen Stunde im Hörsaal aufgerufen ist, neben den Lehrer und neben den Kranken zu treten, und bei dieser Gelegen­ heit während der D emonstration eines Kranken einige Fragen des Lehrers genügend oder nicht genügend beantwortet und einige Handreichungen 99 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

bzw. Untersuchungen richtig oder nicht richtig ausgeführt hat, erhält er einen Praktikantenschein. « 141 Außer dem demonstrativen Unterricht in der klinischen Vorlesung sollten die Praktikanten zwar die Kranken in ihren Zimmern besuchen und Berichte über das Befinden »ihrer« Kranken erstatten; die Regelmäßigkeit solcher Besuche wurde jedoch nicht kontrolliert, und nicht überall war es den Praktikanten gestattet, sich dabei praktisch einzuüben.142 Gerade bei einer großen Zahl von Besuchern mußte sich zudem »die Rücksicht auf das Wohl des Kranken . . . hindernd« bemerkbar machen.143 Es verwundert daher nicht, daß gegen Ende der 80er Jahre zunehmend Kritik an der Qualität der praktischen Ausbildung geübt wurde. Auf dem Ärztetag 1890 wurde von vielen Rednern über die sich zusehends ver­ schlechternde Relation von Lehrenden und Studierenden sowie über die Überfüllung der Kliniken geklagt.144 Auch das preußische Kultusministe­ rium sah es als durch den vermehrten Andrang zum Studium bedingten Mißstand an, daß »erfahrungsgemäß der Studierende in den Kliniken dem Kranken nicht mehr so nahe tritt als früher, nicht in dem gleichen Maße sich mit ihm unmittelbar zu beschäftigen Gelegenheit erhält«.145 Einer der Referenten auf dem Ärztetag, der Berliner Arzt Hartmann, meinte 1892 im Ärztevereinsblatt sogar, während die wissenschaftlich-theo­ retische Vorbildung der deutschen Ärzte die denkbar beste sei, stehe ihre »praktische Ausbildung . . . hinter der eines jeden anderen Culturstaates zurück«.146 Zur Beseitigung der Mißstände wurden die verschiedensten Vorschläge und Forderungen unterbreitet: D as Lehrpersonal in den Kliniken sollte vermehrt werden;147 die Anforderungen für die Praktikantenscheine sollten spezifiziert und erhöht, 148die Berechtigung zur Ausstellung solcher Scheine auch den Extraordinarien und Dozenten gegeben werden, um dadurch die Kliniken der ordentlichen Professoren, die bislang das Monopol hierzu hatten, zu entlasten.149 Vielfach wurde auch die Einführung einer Famulatur während der Semesterferien150 vorgeschlagen. D er besseren Einübung in die spätere Praxis sollte auch die Forderung dienen, jeder Medizinstudent müsse außer zwei Semestern Praktikum in der medizinischen (stationären) Klinik auch mindestens ein Semester in der medizinischen Poliklinik ablei­ sten,151 um dort mit der Behandlung leichterer, nicht bettlägeriger Fälle vertraut zu werden, die in seiner späteren Praxis ohnehin die Mehrzahl bilden würden. Ferner sollte, da der klinische Unterricht allein für eine gründliche praktische Ausbildung der Studenten nicht ausreiche, mehr Nachdruck auf den Besuch praktischer Kurse152 gelegt werden, in denen Untersuchungs- und Behandlungstechniken, wie etwa die Handhabung eines Katheters, 153eingeübt werden sollten. Das größte Gewicht innerhalb solcher Vorschläge kam aber zweifellos der Forderung nach Einführung eines »praktischen Jahres« unbezahlten Kran­ kenhausdienstes zwischen Staatsexamen und Approbation zu. Das »annum 100 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

practicum«, das Ende der 80er Jahre schon der praktische Arzt Borne­ mann und andere angeregt hatten,154 wurde vom Ärztetag 1891 mit großer Mehrheit gefordert,155 womit eine alte Forderung der Medizinal­ reformbewegung wieder aufgenommen wurde. Während die preußischen Ärztekammern für die Einrichtung eines praktischen Jahres eintraten, kamen Bedenken vor allem von selten der Fakultäten, die diese Institution zwar für wünschenswert, technisch je­ doch nur schwer durchführbar hielten. Nachdem sich aber das Preußische Kultusministerium 1894 die ärztliche Forderung nach dem praktischen Jahr zu eigen gemacht hatte,156 ging es in den weiteren Beratungen ei­ gentlich nur noch um technische D etails der D urchführung, etwa in wel­ chen Krankenhäusern außer den Universitätskliniken das praktische Jahr noch abgeleistet werden können sollte. In der am 28. Mai 1901 vom Bun­ desrat beschlossenen ärztlichen Prüfungsordnung fand sich dann folgen­ der Passus: »§ 59. Nach vollständig bestandener ärztlicher Prüfung und in der Regel im unmittelbaren Anschluß an diese hat der Kandidat sich ein Jahr lang an einer Universitätsklinik, Universitätspoliklinik oder an einem dazu besonders ermächtigten Krankenhaus innerhalb des D eutschen Rei­ ches unter Aufsicht und Anleitung des D irektors oder ärztlichen Leiters als Praktikant zu beschäftigen und von dieser Zeit mindestens ein drittel Jahr vorzugsweise der Behandlung von inneren Krankheiten zu wid­ men . . . § 60. Während des praktischen Jahres, welches in der Regel oh­ ne Unterbrechung zu erledigen ist, hat der Kandidat seine praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vertiefen und fortzubilden, sowie auch ausreichendes Verständnis für die Aufgaben und Pflichten des ärztlichen Berufes zu zeigen.«157 Die 1901 endlich verwirklichte Forderung nach Verbesserung der prak­ tischen Ausbildung durch ein einjähriges Krankenhauspraktikum nach dem Examen ist unzweifelhaft einerseits motiviert dadurch, daß die älte­ ren Formen der praktischen Ausbildung, nämlich der klinische Unterricht und die während der klinischen Semester abzuleistenden Praktika, dem Massenandrang der Studierenden in den 80er Jahren nicht mehr gewach­ sen waren. Andererseits wurde eine verbesserte praktische Ausbildung notwendig angesichts der Tatsache, daß sich die Untersuchungs- und Be­ handlungstechniken laufend erweiterten, die der Allgemeinpraktiker, der häufig gleichzeitig Funktionen eines Spezialarztes übernahm, beherrschen mußte. Diese beiden Argumente geben jedoch nicht das ganze Bild wieder. Daß gerade Ende der 80er Jahre, als die »Überfüllung« des ärztlichen Be­ rufs immer stärker virulent wurde, neben Vorschlägen zur Ausweitung der praktischen Ausbildung innerhalb des Studiums die Forderung nach dem praktischen Jahr aufkam, die das Studium faktisch um ein Jahr ver­ längerte und damit auch erheblich verteuerte, ist sicherlich kein Zufall. Vielmehr erwies sich das praktische Jahr - auch wenn die Ärzte das ab101 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

stritten - als willkommenes Instrument, durch Verteuerung des Studiums den Zugang zum Arztberuf zu drosseln und die sog. »Brotstudenten« von der Aufnahme des Medizinstudiums abzuhalten.158 c) Die Rolle der Spezialfächer bei den verschiedenen Prüfungsrevisionen Wesentlich schwieriger zu lösen und kontroverser in der Beurteilung als die Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis innerhalb der medizini­ schen Ausbildung mußte mit der Expansion des medizinischen Wissens seit der Jahrhundertmitte zwangsläufig das Problem der Gewichtung der medi­ zinischen Einzelfächer und der Aufnahme neuer Spezialfächer in den obliga­ torischen Kanon werden. D as betrifft sowohl die naturwissenschaftlichen Grundlagenfächer als auch klinische Einzelfächer. Der Erweiterung der für den Mediziner relevanten naturwissenschaftli­ chen Erkenntnisse vor allem auf dem Gebiet der Chemie, ebenso wie der raschen Entfaltung der (pathologischen) Anatomie und der Physiologie suchte man dadurch Rechnung zu tragen, daß man 1861 das »tentamen philosophicum« durch eine neue Zwischenprüfung, das »tentamen physi­ cum«, ersetzte. Während im tentamen philosophicum die Fächer Logik, Psychologie, Physik, Chemie, Botanik, Zoologie und Mineralogie von den Professoren der Philosophischen Fakultät geprüft worden waren, umfaßte die neue Prüfung seit 1861 folgende fünf Fächer: Anatomie, Physiologie, Physik, Chemie und »beschreibende Naturwissenschaften« (Botanik, Zoo­ logie, Mineralogie). Das Preußische Kultusministerium stellte dazu fest: »Das tentamen philo­ sophicum . . . beförderte eine Oberflächlichkeit im Studium, die für die gesamte Entwicklung der jungen Leute äußerst gefährlich ist, indem es dieselben zwang, ihre Kräfte auf eine unnatürliche Weise zu zersplittern, und es ihnen fast unmöglich machte, sich den für ihre Ausbildung so überaus wichtigen Fächern der Anatomie und Physiologie . . . mit Fleiß und Hinge­ bung zu widmen.« 159 Der durch die Ausweitung der Naturwissenschaften erzwungene Verzicht auf Fächer, die für das Medizinstudium nicht von unmittelbarer Relevanz waren, bedeutete zugleich auch den Abschied von dem Anspruch, dem angehenden Arzt auf der Universität nicht nur fachliche Kenntnisse, son­ dern zugleich eine philosophisch fundierte Allgemeinbildung zu vermitteln. Nach dem Konzept der alten universitas litterarum hatte der Besuch der Medizinischen Fakultät als einer der drei »höheren Fakultäten« das Studium der naturwissenschaftlichen Zweige der eher allgemeinbildenden »Artisten­ fakultät« ja vorausgesetzt. Ein radikaler Bruch mit dem Ideal der umfassen­ den naturwissenschaftlichen Bildung des Arztes wurde auch 1861 vermie­ den: Es wurde weiterhin in Botanik, Zoologie und Mineralogie geprüft, Fächern, die für das spätere medizinische Studium im engeren Sinne höch102 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

stens von sehr vermitteltem Interesse sein konnten. In der Prüfungsreform von 1883 fiel dann zwar die Mineralogie als das der Medizin am wenigsten verwandte Fach fort, nicht jedoch die Prüfung in Botanik und Zoologie, obwohl das von einer Reihe von Fakultäten gefordert worden war. 160 Während das Preußische Kultusministerium »ein gewisses Maß an Kennt­ nissen« auch in Botanik und Zoologie für notwendig hielt, wenn der spätere Arzt nicht »empfindliche Blößen seinem Publikum gegenüber bieten will«, 161 wollten andere, etwa das Kaiserliche Gesundheitsamt, die Berech­ tigung einer Prüfung in Zoologie nur dann zugestehen, wenn mit dem Fach die vergleichende Anatomie verbunden sei.162 Allgemein akzeptiert war, daß beide Fächer, Botanik und Zoologie, nur in ihren »Grundzügen« ge­ prüft werden sollten. D och ist die Vermutung nicht ganz von der Hand zu weisen, daß der Zusammenhang mit dem weiteren Medizinstudium sich in der Praxis eher so darstellte, wie ein Kritiker es mit spöttischer Ironie formulierte: »D er Löwe ist von medizinischem Interesse, denn er kann dem Menschen schwere Verletzungen beibringen.«163 Der Expansion von Spezialistenwissen im engeren medizinischen Bereich fiel nicht nur ein eher enzyklopädisches Konzept der naturwissenschaftli­ chen Ausbildung zum Opfer; auch ein Fach wie die »Geschichte der Medi­ zin« wurde davon betroffen. Schon in der 48er Revolution hatten die Berli­ ner Studenten verlangt, daß die Geschichte der Medizin kein Prüfungsge­ genstand mehr sein solle.164 Obwohl das Fach in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Übernahme der in der Geschichtswissenschaft aus­ gebildeten historisch-kritischen Methode wissenschaftlichen Charakter ge­ wann, 165 nahm in derselben Zeit das Interesse des durchschnittlichen Studie­ renden an der Geschichte der Medizin rasch weiter ab. Das sinkende Interesse fand seinen Niederschlag in der personellen Aus­ stattung des Faches. Während in fast allen Spezialfächern die Zahl der Ordinarien, Extraordinarien und Privatdozenten zunahm, war die Ge­ schichte der Medizin 1900 außer in Berlin nur noch in Würzburg und Erlangen durch Extraordinarien vertreten.166 Wenige Dezennien vorher war Geschichte der Medizin noch an den Universitäten Berlin, Breslau, Halle, Königsberg, Greifswald, Marburg, Göttingen, Heidelberg, Würzburg, Er­ langen, München und Straßburg gelehrt worden.167 Die Zahl der Hörer in den wenigen medizinhistorischen Vorlesungen muß wohl noch stärker ge­ schrumpft sein: Der Medizinhistoriker Richard Koch berichtet, daß er 1905 in Berlin bei dem immerhin international bekannten Julius Pagel der einzige Hörer gewesen sei.168 Das Desinteresse an der Geschichte der Medizin ist aber nicht nur daraus zu erklären, daß die Studenten mit wichtigeren D ingen ohnehin schon »überbürdet« gewesen wären; es hängt vielmehr eng mit den naturwissen­ schaftlich begründeten, auf exakten Beweisen beruhenden neuen Erkennt­ nissen der Medizin und daraus folgend einem neuen Selbstbewußtsein zu­ sammen, dem alle früheren Epochen der Medizin als in dunkelstem Aber103 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

glauben befangen und eingehender Beschäftigung nicht würdig erscheinen mußten. D er Arzt der zweiten Jahrhunderthälfte blickte ähnlich mitleidig auf die alte Medizin wie »der im Schnellzug reisende Bürger . . . auf die Postkutschenzeit«.169 Der Verzicht auf breite Allgemeinbildung in dem umfassenden Gebiet der Naturwissenschaften zugunsten spezialisierten Expertenwissens hatte ein Auseinandertreten von Bildungsbürgertum und »Professionals« zur Folge. Zumindest ansatzweise machte sich eine Akzentverschiebung bemerkbar: weg vom Leitbild des Arztes, der sich zuerst als Mitglied des Bildungsbür­ gertums fühlte, hin zu dem des Mediziners, der in erster Linie Experte auf seinem eng umgrenzten Spezialgebiet war. Da auch die anderen Professionen ähnliche Spezialisierungsprozesse durchliefen, muß die Professionalisierung bildungsbürgerlicher Berufe im 19. Jahrhundert als ein Prozeß angesehen werden, der den Zusammenhalt des Bildungsbürgertums merklich lockerte. Von hierher wird auch das zähe Festhalten der Ärzteschaft und anderer traditioneller bildungsbürgerlicher Berufsgruppen an der Vorbildung auf dem humanistischen Gymnasium nochmals plausibel: Das Gymnasium sollte den durch Spezialisierungspro­ zesse bedrohten Zusammenhang des Bildungsbürgertums sichern. Etwas anders stellt sich die Problematik beim Wandel des Studiengangs in den klinischen Fächern dar. Während bei den vorklinischen Fächern die Anpassung an die Entwicklung des medizinischen Wissens noch relativ leicht durch Herausnahme stärker der Allgemeinbildung dienender Fächer zu bewerkstelligen war, berührte die Einführung neuer Spezialfächer in den klinischen Semestern unmittelbar die Interessen der Inhaber der klassischen Lehrstühle und Leiter der drei großen traditionellen Kliniken: Innere, Chi­ rurgie und Geburtshilfe. Wenn Spezialfächern wie der Kinderheilkunde, der Psychiatrie, der Hygiene, die in den 70er Jahren meist noch von Extraordi­ narien und Privatdozenten vertreten wurden, Pflichtveranstaltungen einge­ räumt oder sie gar in den Rang von Prüfungsfächern erhoben wurden, implizierte das zwangsläufig einen Rückgang des Gewichts der traditionel­ len Kliniken und dementsprechend eine Schmälerung der Machtposition ihrer Leiter. D ie Fakultäten sind daher keineswegs als ein die Modernisie­ rung des Studiengangs vorantreibender Faktor anzusehen. Zwar war der erste Anstoß zur Revision der Prüfungsordnung Anfang der 70er Jahre von den medizinischen Fakultäten ausgegangen. Anlaß dazu war aber die ungleiche Entwicklung der Prüfungspraxis an den einzelnen Universitäten des Deutschen Reiches, besonders die Unterschiede zwischen den preußischen Universitäten auf der einen, den süddeutschen auf der anderen Seite. D as preußische Prüfungsreglement von 1867 war in seinen wesentlichen Bestimmungen durch Beschluß des Bundesrates vom 25. Sep­ tember 1869 zunächst auf das Gebiet des Norddeutschen Bundes übertragen worden und 1871 dann auf alle Bundesstaaten des D eutschen Reiches. In 104 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

manchen anderen Staaten war das Studium durch die Übernahme der preu­ ßischen Bestimmungen erheblich verändert worden. So wurde es in Bayern z. B. von sechs auf vier Jahre verkürzt.170 Da die Prüfungsordnung von 1869 bzw. 1871 nicht sehr spezifiziert war­ u. a. gab es keine genauen Bestimmungen über die Wiederholbarkeit einzel­ ner Prüfungsabschnitte, insbesondere fehlten einheitliche Bestimmungen bezüglich der naturwissenschaftlichen Vorprüfung -, konnte das Ziel, die Ärzte, die seit 1871 Niederlassungsfreiheit im ganzen D eutschen Reich hatten, auch reichseinheitlich mit der gleichen Qualifikation auszustatten, nur unvollkommen erreicht werden. D ie norddeutschen Universitäten klagten darüber, daß die Staatsexamina in Süddeutschland leichter seien, und führten die »Entvölkerung«171 der medizinischen Fakultäten der preu­ ßischen Universitäten auf die für die Studenten attraktiveren Prüfungsbe­ dingungen an den medizinischen Fakultäten Süddeutschlands zurück. »Wo streng examiniert wird, da leeren sich die Hörsäle. «172 Tatsächlich weist die preußische Universitätsstatistik absinkende Zahlen von Medizinstudenten an den preußischen Fakultäten aus bei gleichzeitigem Ansteigen der Gesamt­ zahl der Studierenden. Im Sommersemester 1871 studierten an den medizi­ nischen Fakultäten des Preußischen Staates 1701 Studenten, fünf Jahre spä­ ter, im Sommersemester 1876, waren es nur noch 1340. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Zahl der Medizinstudenten auf den nichtpreußischen deut­ schen Universitäten in diesen fünfJahren von 1290 auf 1957. Im Sommerse­ mester 1876 studierten deshalb nur noch rund 40% der Medizinstudenten an preußischen Universitäten, obwohl rd. zwei Drittel preußische Staatsange­ hörige waren. 173 Die eine ungleiche Praxis erlaubenden Lücken in der bestehenden Prü­ fungsordnung und das Fehlen einer zentralen Oberleitung auf Reichsebene für das gesamte Prüfungswesen waren ein wichtiges Motiv für das Drängen der medizinischen Fakultäten nach einer Revision der Prüfungsordnung.174 Ein weiteres Motiv war der von vielen Fakultäten an den Bundesrat herangetragene Wunsch, die medizinischen Staatsexamina wieder direkt in die Hände der Fakultäten zu legen oder ihnen wenigstens bei der Zusam­ mensetzung der Prüfungskommissionen und der Wahl des Vorsitzenden einen entscheidenden Einfluß einzuräumen. In Preußen war bekanntlich schon seit 1725 den Fakultäten das Recht zur Approbation entzogen und die Staatsprüfung in die Hände einer dem Kul­ tusministerium unterstellten Ober-Examinations-Kommission in Berlin gelegt worden, die 1798 zur ständigen Institution ausgebaut wurde. Nach einer Verordnung vom 1. Dezember 1825 sollten der Kommission, deren Mitglieder jährlich neu vom Ministerium ernannt wurden, nach Möglich­ keit keine Universitätslehrer, sondern praktische Ärzte von außerhalb der Universität angehören,175 eine Bestimmung, die sich schon mangels geeig­ neter Prüfer aus den Reihen der Ärzte in der Praxis nicht einhalten ließ. 176 Selbst wenn die Prüfer an der Universität Berlin lehrten, waren sie jedoch 105 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

für die Masse der Prüfungskandidaten, die von anderen Universitäten ka­ men, unbekannt. D ieser Umstand führte zum Emporblühen von »Paukan­ stalten«, »Privatissima«, »Abrichtungsinstituten«, in denen die Prüflinge auf die gängigen Fragen und Eigenheiten der Examinatoren »eingepaukt« wurden.177 Schon die Medizinalreformer verlangten daher vehement die Rückfüh­ rung des Examens an die Fakultäten,178 doch erst 1869 wurden die Examina­ tions-Kommissionen an den einzelnen Universitäten, vor denen Prüfungs­ kandidaten bis dahin nur in Ausnahmefällen die Prüfung ablegen und sich dadurch einem mehrmonatigen Aufenthalt in Berlin entziehen konnten, allgemein prüfungsberechtigt.179 D och behielt das Ministerium insofern einen bestimmenden Einfluß, als es jährlich die Mitglieder der Prüfungs­ kommissionen ernannte. D er Vorstoß der medizinischen Fakultäten im Hinblick auf die Organisation der Staatsexamina war zumindest teilweise erfolgreich, denn die 1883 verabschiedete Prüfungsordnung enthielt in § 3 einen neuen Passus, wonach die Kommissionen erst »nach Anhörung der medizinischen Fakultät der betreffenden Universität« ernannt wurden. 180 Ein drittes Motiv der medizinischen Fakultäten für die angestrebte Prü­ fungsrevision war die Expansion des medizinischen Wissens. Hierbei be­ schränkten sich die meisten Fakultäten jedoch allgemein auf die Forderung nach Verlängerung der Studiendauer - am häufigsten vorgeschlagen wurde die Zahl von zehn Semestern -, statt die Einführung bestimmter neuent­ standener Spezialfächer vorzuschlagen.181 Im Gegenteil, ähnlich wie sich die Ordinarien als die Vertreter der etablierten medizinischen Fächer häufig dagegen sträubten, den sog. »Randfächern« Ordinariate oder gar eigene Institute zuzugestehen und ihnen damit einen gleichberechtigten Status innerhalb der Fakultät einzuräumen,182 wandten sie sich auch gegen eine Aufwertung der Randfächer dadurch, daß man sie zu Prüfungsfächern machte. D as preußische Kultusministerium hatte in einem Entwurf der neuen Prüfungsordnung eine mündliche Schlußprüfung vorgesehen, in der solche Gebiete geprüft werden sollten, die in den anderen Prüfungsabschnit­ ten zu kurz kamen bzw. überhaupt nicht thematisiert wurden. Vorgeschla­ gen waren: gerichtliche Medizin, öffentliche Gesundheitspflege, Arzneimit­ tellehre, Seelenheilkunde. Auf Betreiben der Mehrzahl der medizinischen Fakultäten wurde diese Schlußprüfung wieder aus dem Entwurf gestrichen. Hauptargument der Fakultäten war, daß bei einer Zulassung etwa der öffentlichen Gesundheitspflege als Prüfungsfach auch die »Vertreter anderer Spezialgebiete, wie Syphilis, Hautkrankheiten, Ohrenheilkunde, Kinder­ heilkunde, medizinische Geographie usw., sehr bald und nicht ohne Berech­ tigung auf eine gleiche Berücksichtigung Anspruch machen würden«. D a­ durch werde »nicht nur eine beträchtliche, nicht zu rechtfertigende Er­ schwerung der Prüfung, sondern sehr bald auch eine Verflachung derselben zum Nachteil der eigentlichen Hauptfächer eintreten«.183 Es mag sein, daß durch Hereinnahme allzu vieler Spezialfächer in die medizinische Prüfung 106 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

die Gefahr einer Verflachung des Studiums und einer Zersplitterung der Kräfte der Studierenden bestanden hätte; ganz sicher ist aber, daß eine solche Ausweitung einen Machtverlust der bislang allein prüfungsberechtigten Ordinarien, besonders der Chefs der inneren, chirurgischen und geburts­ hilflichen Kliniken bedeutet hätte. D as dürfte auch der Hauptgrund für die ablehnende Haltung der meisten Fakultäten gegenüber einer Aufnahme neuer Fächer in die Prüfungsordnung gewesen sein. Dafür spricht auch, daß das Kaiserliche Gesundheitsamt, das ebenfalls aus medizinischen Fachleuten bestand, die nur nicht dieselbe eigentümliche Interessenlage hatten wie die akademischen Fachvertreter, das von diesen vorgeschobene Argument einer Verflachung der Prüfung keineswegs teilte. Einer solchen Befürchtung stellte das Gesundheitsamt das Argument gegen­ über, jeder praktische Arzt müsse umfassend, also auch in den Spezialfä­ chern, ausgebildet sein, da die große Mehrzahl der Ärzte in ihrer späteren Praxis alle vorkommenden Krankheiten selbst behandeln und auch in kom­ plizierten Fällen selbstverantwortlich entscheiden müßte. Die Möglichkeit, solche Fälle an einen Spezialarzt zu überweisen, gebe es fast nur in den Großstädten.184 Das Publikum habe daher Anspruch auf Ärzte, die »ihm in allen Fällen mit sachverständigem Rathe zur Seite« stünden, das könne aber beispielsweise ein Arzt nicht, der die »Geisteskrankheiten nur vom Hörensa­ gen kennt und vielleicht nie einen Geisteskranken gesehen hat«. 185 D as Gesundheitsamt forderte daher, wieder eine Schlußprüfung in die Prüfungs­ ordnung aufzunehmen, in der die Pharmakologie einschließlich der Toxiko­ logie, die gerichtliche Medizin, die Psychiatrie und die Hygiene geprüft werden sollten. D ie im September 1878 tagende Sachverständigen-Kom­ mission entschied sich dafür, die Berücksichtigung der Pharmakologie den Examinatoren im medizinischen Prüfungsabschnitt zu überlassen, über­ nahm aber die Forderung nach einer mündlichen Prüfung in Psychiatrie und Hygiene. Außerdem fügte sie noch die Bestimmung ein, daß bei der Mel­ dung zur Prüfung auch der Nachweis eines mindestens halbjährigen Prakti­ kums an einer psychiatrischen Klinik zu erbringen sei.186 D asselbe hatte auch der Verein deutscher Irrenärzte in einer Eingabe vom 18. Oktober 1878 an den Bundesrat gefordert.187 In der endgültigen rassung der Prüfungsordnung, die der Bundesrat am 2. Juni 1883 verabschiedete, hatten sich die konservativen Interessen der Fakultäten teilweise jedoch wieder durchgesetzt. D ie Psychiatrie als Prü­ fungsfach war wieder gestrichen worden; geblieben war dagegen eine mündliche Prüfung im Fach Hygiene. Für die Streichung der Psychiatrie war in gewissem Maße der Umstand verantwortlich, daß eine Reihe von Universitäten noch keine eigene psychiatrische Klinik hatten. D as war als Hemmnis auch von der Sachverständigen-Kommission anerkannt worden, doch hatte sie gemeint, gerade die Aufnahme der Psychiatrie in die Prüfung werde einen »heilsamen Impuls« zur beschleunigten Errichtung psychiatri­ scher Kliniken bilden.188 107 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Die Hygiene aber hatte inzwischen, dank des Interesses, das Öffentlich­ keit und Staat dieser jungen Wissenschaft entgegenbrachten, und dank der staatlichen Förderung eine so starke Stellung an den Universitäten gewon­ nen, daß die Beschäftigung mit ihr nicht mehr ausschließlich freiwillig und Privatsache des einzelnen Studenten bleiben konnte. 1865 war in München aufgrund der Initiative des führenden Hygienikers Max v. Pettenkofer der erste Lehrstuhl für Hygiene errichtet worden, 1878 folgte hier das erste hygienische Institut. D ie dort betriebene Wissenschaft »Hygiene« hatte mit der alten Lehre von der Gesundheitsvorsorge durch das einzelne Individuum durch gesundheitsgemäßes Leben, etwa im Sinne von Hufelands »Makro­ biotik«, kaum noch etwas gemein. D ie neue Hygiene, die durch die bakte­ riologischen Entdeckungen seit Ende der 70er Jahre nochmals einen unge­ heuren Aufschwung nahm, war eine Wissenschaft auf experimenteller Grundlage, die sich mit der Art und Weise der Übertragung von Infektions­ krankheiten ebenso befaßte wie mit praktischen Maßnahmen der städtischen Wasserversorgung.189 Aus ihren eminent praktischen Auswirkungen läßt sich das staatlicheI n t e r e n s s eleichterklären.EinsolchesInteressewurdeder Hygiene aber vielfach vo den etablierten medizinischen Fachvertretern nicht entgegengebracht. D er berühmte Wiener Kliniker Theodor Billroth etwa schrieb 1876: »Ein großes Interesse wird diese Disciplin dem Studenten nie bieten, der alle Hände voll zu thun hat, mit den Krankheiten des Indivi­ duums fertig zu werden und für die Praxis des Gemeindewohls ebenso wenig Sinn hat wie für praktische Politik und D iplomatie.«190 D agegen setzte sich der Vorsitzende des Ärztevereinsbundes, Eduard Graf, 1884 nachdrücklich für die Errichtung hygienischer Lehrstühle an den Fakultäten ein. 191 Festzuhalten bleibt, daß die neue Prüfungsordnung von 1883 lediglich die Hygiene als neues Prüfungsfach festlegte. Ferner wurde die Zahl der Prü­ fungsabschnitte dadurch vergrößert, daß die frühere »anatomisch-physiolo­ gische und pathologisch-anatomische« Prüfung entzerrt und die drei Fächer Anatomie, Physiologie und pathologische Anatomie nun entsprechend ih­ rem gesteigerten Gewicht einzeln geprüft wurden. In der knapp 20Jahre später erlassenen neuen Prüfungsordnung von 1901 war die Berücksichtigung weiterer Spezialfächer dagegen nicht mehr zu umgehen. Schon 1889, nur sechs Jahre nach dem Erlaß der Prüfungsord­ nung, wurde die Organisation des medizinischen Studiums erneut disku­ tiert; dieses Mal machten die ärztlichen Vereine den Anfang, indem sie das Thema auf die Tagesordnung des 17. deutschen Ärztetages in Braunschweig setzten192 und dann, nachdem entsprechende Kommissionen eingesetzt worden waren, nochmals in aller Ausführlichkeit auf den Ärztetagen 189C und 1891 erörterten. Außer dem allgemein empfundenen Bedürfnis nach Verbesserung der praktischen Ausbildung und dem erneuten Drängen nach Zulassung auch der Realschulabiturienten zum Medizinstudium war es vor allem das Problem einer angemessenen Vertretung der immer mehr expan108 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

dierenden Spezialfächer, das die Diskussion um die Prüfungsordnung erneut ins Rollen brachte. In dieser Diskussion, die in den 90er Jahren intensiv geführt wurde und an der sich staatliche Instanzen, Medizinische Fakultäten, Ärztekammern und Ärztevereine sowie viele einzelne Ärzte, darunter eine Reihe bekannter Kapazitäten, beteiligten, zeichnete sich eine Übereinstimmung in den grundlegenden Fragen der Neuorganisation ab. D aher brauchen die Ver­ handlungen, verschiedenen Entwürfe und Kommissionsberichte hier nicht im einzelnen nachgezeichnet zu werden. Über die Vorschläge zur Anhebung der praktisch-technischen Qualifikation des Arztes ist schon gesprochen worden. Allgemein akzeptiert waren auch die Forderung nach Verlängerung der obligaten Mindeststudiendauer, nach Herausnahme der Fächer Anato­ mie und Physiologie aus der Staatsprüfung - diese Fächer sollten bereits im Physikum abschließend geprüft werden, damit die Studenten für die klini­ schen Semester und die Staatsprüfung entlastet wären -, sowie die Forde­ rung, den Besuch bestimmter Spezialkliniken verbindlich zu machen. Die Beratungen drehten sich im allgemeinen mehr um Detailfragen, etwa in welchen Kliniken wie lange praktiziert werden sollte, ob der Geschichte der Medizin wieder mehr Platz in Studium und Prüfung einzuräumen sei,193 ob ein durchgefallener Kandidat einen Teilabschnitt der Prüfung, in dem er unzureichende Leistungen gezeigt hatte, einzeln wiederholen durfte oder ob er dann den ganzen Prüfungsabschnitt nochmals bestehen mußte. Das Resultat der langen Verhandlungen, die Prüfungsordnung von 1901, war vor allem hinsichtlich der Voraussetzungen zur Zulassung zum Examen wesentlich detaillierter als die vorangegangenen. Hatte die Prüfungsord­ nung von 1883 lediglich den Besuch der medizinischen, chirurgischen und geburtshilflichen Klinik über je zwei Semester sowie den der Augenklinik ein Semester lang gefordert, traten 1901 noch folgende Kliniken hinzu, die je ein Semester besucht werden mußten:194 die medizinische Poliklinik, die Kinderklinik oder Kinder-Poliklinik, die psychiatrische Klinik, die Klinik oder Poliklinik für Hals- und Nasenkrankheiten, die für Ohrenkrankhei­ ten195 sowie die für Haut- und syphilitische Krankheiten. D ie Anforderun­ gen in der geburtshilflichen Klinik waren verdoppelt worden: Statt zwei Kreissende mußte der Kandidat nunmehr vier selbständig entbunden ha­ ben.196 Außerdem mußte er nachweisen, daß er je eine Vorlesung über topographische Anatomie, Pharmakologie und gerichtliche Medizin gehört hatte. Damit hatte die Prüfungsordnung von 1901 viel stärker reglementierende Auswirkungen auf den Studiengang als die von 1883, die zwar auch die im Staatsexamen nachzuweisenden Kenntnisse schon sehr detailliert festgelegt, sich aber weniger darum gekümmert hatte, wann und wie der Studierende sich diese Kenntnisse während seines Studiums aneignete. Die gleiche Tendenz zur genaueren Festlegung des Studienganges zeigt sich auch an den Bestimmungen über die Vorprüfung: Erstmals wurde der 109 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Nachweis verlangt, daß »der Studierende zwei Halbjahre an den Präparier­ übungen und ein Halbjahr an den mikroskopisch-anatomischen Übungen sowie an einem physiologischen und einem chemischen Praktikum regel­ mäßig teilgenommen hat«. 197 Gleichzeitig wurde 1901 das praktische Jahr eingeführt sowie die Studien­ dauer auf zehn Semester verlängert, so daß insgesamt die Prüfungsordnung von 1901 einen wesentlich tieferen Einschnitt in der Geschichte der medizi­ nischen Ausbildung bedeutete als die Ordnungen von 1869/71 oder 1883. Mit der Prüfungsordnung von 1901 wurde in umfassender Weise der wis­ senschaftlichen Entwicklung der Medizin Rechnung getragen, sowohl durch Ausdehnung und Vertiefung des Unterrichts in den Grundlagenfä­ chern als auch durch stärkere Berücksichtigung der praktisch-technischen Fähigkeiten der angehenden Ärzte als schließlich auch durch eine breit gefächerte Ausbildung in den verschiedenen Spezialdisziplinen. Mit dem Bedürfnis, die Ausbildung an den veränderten Stand der Wissen­ schaft anzupassen, sind jedoch die Motive, die zu den besprochenen Ände­ rungen in Niveau und Organisation der Prüfungen führten, noch nicht zureichend beschrieben. Außer der Vermittlung einer spezifischen Qualifi­ kation diente das akademische Studium immer auch dazu, den Zugang zum Beruf zu kontrollieren und zu beeinflussen und die Berufsgruppe durch das Attribut der akademischen Ausbildung sozial abzugrenzen. Entsprechend hatten Verschärfungen des Studiengangs und der Prüfungsordnung nicht nur die Aufgabe, die Qualifikation der Studierenden zu verbessern, sondern sie hatten auch - ebenso wie die Verlängerung und Verteuerung des Stu­ diums durch das »praktische Jahr« - die Funktion, den Zugang zum Arztbe­ ruf zu drosseln und die sozialen Barrieren vor dem Eintritt in den Beruf zu erhöhen. Für diese These bietet die um die Verlängerung des Studiums geführte Diskussion ein gutes Beispiel.

4. D ie Rolle der Ausbildung in der Diskussion um die sog. » Überfüllung« des Arztberufs seit den 80er Jahren Wie schon im ersten Abschnitt an der Entwicklung der Studentenzahlen gezeigt wurde, hatte ein ganzes Faktorenbündel, u. a. eine restriktivere staatliche Berechtigungspolitik, zu einer Mangelsituation in allen akademi­ schen Karrieren zu Ende des zweiten Jahrhundertdrittels geführt. Auch bei den Ärzten machte sich eine gravierende Unterversorgung gerade zu Ende der 60er Jahre bemerkbar: Seit Jahren war die Gesamtärztedichte gesun­ ken, 198 und jetzt nahm auch noch die Zahl der jährlichen Meldungen zur Approbation ab. Diese Situation beeinflußte auch die Überlegungen zur Reform des medi110 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

zinischen Studiengangs in den 70er Jahren. D ie Fakultäten sowie auch das Kaiserliche Gesundheitsamt traten als Befürworter einer Studienzeitverlän­ gerung auf, eine Forderung, die vor allem mit wissenschaftsinternen Ent­ wicklungen motiviert wurde. Als 1825, rund ein halbes Jahrhundert zuvor, die derzeitige Studiendauer von acht Semestern festgelegt worden sei, habe es manche medizinischen Fächer, wie etwa die pathologische Anatomie, die Histologie, die Gynäkologie praktisch noch gar nicht gegeben; der gewalti­ gen Expansion des medizinischen Wissens in den letzten Jahrzehnten sei nur durch eine Verlängerung der obligatorischen Mindeststudienzeit angemes­ sen Rechnung zu tragen.199 Das preußische Kultusministerium hielt demge­ genüber an der bisherigen Studienzeit von acht Semestern fest, hauptsäch­ lich wegen der Befürchtung, »der Zugang von Studierenden zu der medizi­ nischen Fakultät [würde durch eine Studienzeitverlängerung] in bedenkli­ cher Weise erschwert«200 und der schon bestehende Ärztemangel dadurch noch verschärft werden. Hier tat sich eine Diskrepanz auf zwischen den professionellen Strategien der Ärzte auf der einen Seite, die an einer möglichst qualifizierten wissen­ schaftlichen Ausbildung interessiert waren, und den politischen Zielen der staatlichen Behörden, für die die ausreichende medizinische Versorgung der Bevölkerung oberste Priorität hatte. In diesem Zielkonflikt nahm das Reichsgesundheitsamt mit dem KompromißVorschlag von neun Semestern Studienzeit eine vermittelnde Position ein: die meisten Fakultäten hatten zehn Semester gefordert, das preußische Kultusministerium wie auch das Kriegsministerium hielten dagegen an den bisherigen acht Semestern fest. Das generelle Eintreten für eine Studienzeitverlängerung sowie auch das wiederholt gebrauchte Argument, es komme nicht in erster Linie darauf an, möglichst viele Ärzte auszubilden, sondern möglichst gute, 201 zeigen aller­ dings deutlich, daß das Gesundheitsamt, aufgrund seiner Funktion und seiner personellen Zusammensetzung, 202 den professionellen Interessen des ärztlichen Berufsstandes sehr viel näher stand als andere staatliche Behörden. Auffallend ist die Zurückhaltung der organisierten Ärzteschaft in der Diskussion um die Reorganisation des medizinischen Studiengangs. Zwar war das ärztliche Vereinswesen Ende der 70er Jahre noch nicht so ausgebaut wie anderthalb Jahrzehnte später, als die organisierten Ärzte sich engagiert in die Überlegungen um eine neuerliche Revision der Prüfungsordnung ein­ schalteten, doch immerhin bestand seit 1873 das Forum des jährlich stattfin­ denden D eutschen Ärztetages, der alle die Standesinteressen der Ärzte be­ rührenden Fragen behandeln sollte. D ie Ausbildung der künftigen Ärzte stand auf dieser Bühne allerdings bis 1889 nicht zur D ebatte. Auf dem 10. D eutschen Ärztetag in Nürnberg 1882 war ein Referat mit dem Thema »Die Verlängerung des medicinischen Studiums auf fünf Jahre« vorgesehen, welches aber aus Zeitmangel fallengelassen wurde. 203 Auf dem Ärztetag 1883 wurde dann nur noch beschlossen, angesichts der Tatsache, daß inzwi­ schen in der vom Bundesrat im Mai 1883 beschlossenen Prüfungsordnung 111 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

als neue Mindeststudienzeit neun Semester verlangt wurden, die Thematik bis auf weiteres von der Tagesordnung abzusetzen.204 Das geringe Interesse der Ärzte an der Reform der Prüfungsordnung jedenfalls im Vergleich zu dem Aufwand, mit dem sie zehn Jahre später an die gleiche Frage herangingen - läßt sich sicherlich nicht nur mit dem geringeren Organisationsgrad erklären. Vielmehr war es die für den einzel­ nen Arzt in den 70er Jahren außerordentlich günstige Arbeitsmarktlage, die den Wunsch nach einer Kontrolle des Zugangs zum Beruf, oder gar einer zahlenmäßigen Begrenzung des Berufsnachwuchses in den Hintergrund treten ließ. D en ärztlichen Standesorganisationen lag die Frage einer Stu­ dienzeitverlängerung zu diesem Zeitpunkt nicht so sehr auf der Seele wie die Statusbedrohung, die von der geplanten Zulassung der Realschulabiturien­ ten zum medizinischen Studium ausging. D aher nimmt die Polemik gegen die Möglichkeit, auch mit dem Abgangszeugnis eines Realgymnasiums Medizin studieren zu können, in der ärztlichen Presse auch einen viel breite­ ren Raum ein als Stellungnahmen für eine Verlängerung des Studiums. Nur wenige Jahre später hatte sich die Lage grundsätzlich geändert. Obwohl erst zu Anfang der 90er Jahre der schon in den 30er Jahren bestehen­ de quantitative Stand der medizinischen Versorgung wieder erreicht wurde, begannen die niedergelassenen Ärzte schon seit den späten 80er Jahren den Studentenberg und die jährlich wachsende Zahl von Approbationen als Bedrohung zu empfinden. D as Schlagwort von der »Überfüllung«, das seit den 80er Jahren die bildungspolitische D iskussion beherrschte, wurde auch in der ärztlichen Presse zur vielbenutzten Vokabel, um den ärztlichen Ar­ beitsmarkt zu charakterisieren. Während sich aber bei Juristen und Lehrern »Überfüllung« vor allem in längeren Wartezeiten für den Berufsnachwuchs niederschlug und diejenigen, die schon in Amt und Würden waren, in ihren materiellen Interessen nicht unmittelbar tangierte, war das bei den in der Masse freiberuflich tätigen Ärzten anders. D ie frisch approbierten Ärzte drängten unmittelbar auf den Markt für medizinische Dienstleistungen und konkurrierten dort mit den schon länger niedergelassenen um die Gunst der Patienten. Sie stellten daher auch für die etablierten Praktiker eine materielle Bedrohung dar. Wenn z.B. in einer Kleinstadt, die traditionell von zwei Ärzten versorgt worden war, sich noch zwei oder drei weitere Kollegen niederließen, führte das in der Regel zu einer Umverteilung der Klientel und konnte durchaus eine Schmälerung der Einkommenschancen der alteinge­ sessenen Praktiker nach sich ziehen. Wegen dieser, sie von den beamteten akademischen Berufen unterschei­ denden besonderen Verwundbarkeit hatten die niedergelassenen Ärzte na­ turgemäß ein besonders lebhaftes Interesse daran, den Berufsnachwuchs nicht unkontrolliert anwachsen zu lassen. Der Gedanke an eine Studienzeit­ verlängerung, die das Studium verteuern und damit solche, »die darin lediglich einen Weg zu baldigem Broterwerb erblicken«,205 abschrecken sollte, lag in diesem Zusammenhang nahe. 112 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Auf dem Ärztetag 1889, sechs Jahre nach Verabschiedung der revidierten Prüfungsordnung von 1883, hielt der praktische Arzt D r. D ressler ein Referat über die ärztliche Prüfungsordnung. An oberster Stelle stand für ihn die Forderung nach Verlängerung der Studiendauer auf mindestens fünf Jahre, wobei als Motiv ausdrücklich genannt wurde, daß »etwas gegen die Überfüllung des medicinischen Studiums geschehen« müsse.206 D er An­ trag, die obligate Studiendauer auf mindestens fünfJahre festzusetzen, wur­ de von dem Ärztetag unmittelbar mit großer Mehrheit angenommen, noch bevor auf den Ärztetagen 1890 und 1891 über die inhaltliche Ausfüllung der längeren Studienzeit debattiert wurde. Zwar wurde das von Dressier offen genannte Motiv, auf diesem Wege gegen die »Überfüllung« des Studiums anzugehen, von den meisten Rednern auf den Ärztetagen 1890 und 1891 zurückgewiesen. Statt dessen betonte man, daß die Verlängerung des Stu­ diums ausschließlich im Interesse einer am erreichten Stand der Wissenschaft orientierten Ausbildung und damit im Interesse der Allgemeinheit an um­ fassend qualifizierten Ärzten liege. 207 D ie gleichzeitige Funktion der Stu­ dienzeitverlängerung, durch Erhöhung der Ausbildungskosten soziale Bar­ rieren für die Wahl des Medizinstudiums zu errichten und so die Konkurrenz einzudämmen, ist jedoch unübersehbar. Die gleiche doppelte Funktion, einerseits die praktische Ausbildung zu verbessern, andererseits zu erreichen, daß »viele, die jetzt vier Jahre Studium ihr Leben fristen, gar nicht mehr anfangen würden«, 208 hatte auch die Forderung nach dem praktischen Jahr, die erstmals der Ärztetag 1891 offi­ ziell auf seine Fahnen schrieb. Im Vergleich zu den 70er Jahren war aber nicht nur das Interesse der Ärzteschaft an einer Erschwerung des Berufszugangs gestiegen; auch die allgemeine bildungspolitische Landschaft hatte sich grundlegend gewan­ delt. Die staatliche Bürokratie hatte eine regelrechte Kehrtwendung vollzo­ gen. Hatte sie in den 60er und 70er Jahren die Expansion des Bildungssy­ stems und damit auch die Mehrproduktion von Akademikern nach Kräften gefördert, war sie jetzt ängstlich darauf bedacht, der daraus resultierenden sozialen Öffnung der Bildungsbeteiligung nach unten mit allen Mitteln entgegenzusteuern. D ie D ramatisierung der »Überfüllungskrise« schürte im Bürgertum die Furcht vor dem Entstehen eines »akademischen Proleta­ riats«, und damit vor der Abwertung von Bildungspatenten, welche die privilegierte Stellung des Bildungsbürgertums begründeten.209 Für die Un­ terrichtsverwaltung wurde die Bekämpfung der Konsequenzen der »Übcr­ füllung« zum fast alleinigen Maßstab aller bildungspolitischen Entscheidun­ gen. 210 Unter dem Aspekt der Bedarfssteuerung mußte auch die Frage der angemessenen Mindeststudiendauer für Mediziner in neuem Licht erschei­ nen. Allerdings zeigten sich in dieser Frage auch wieder charakteristische Unterschiede in der Beurteilung der Situation zwischen den Ärzten auf der einen und den staatlichen Behörden auf der anderen Seite. Während der Ärztetag schon 1886 zum ersten Mal Alarm schlug und vor den Folgen der 113 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Überfüllung warnte, betrachtete die Kultusbürokratie die Lage auf dem ärztlichen Arbeitsmarkt sehr viel zurückhaltender. D er einflußreiche Wirt­ schaftswissenschaftler Wilhelm Lexis, der 1888 im Auftrag des Preußischen Kultusministeriums eine Denkschrift über »die dem Bedarf Preußens ent­ sprechende Normalzahl der Studierenden der verschiedenen Fakultäten« erstellte, glaubte noch keine wesentlich über den Bedarf hinausgehende Produktion an Ärzten feststellen zu können.211 Lexis sagte jedoch eine solche Entwicklung für die nächste Zukunft voraus, da die Zahl der jährli­ chen Approbationen aufgrund der gestiegenen Studentenzahlen sich stark erhöhen werde. Auch in einer zweiten Bearbeitung der Denkschrift aus dem Jahre 1890 kam er zu dem Schluß, daß »bis zumjahre 1890 noch immer nicht von einer allgemeinen Überfüllung des ärztlichen Standes die Rede sein« könne, da »zunächst das früher vorhandene Deficit zu decken war«. 212 1891 jedoch hielt das preußische Kultusministerium, das in den 70er Jahren strik­ ter Gegner einer Studienzeitverlängerung gewesen war, eine andere Auffas­ sung der Sache für »nicht nur berechtigt, sondern geboten«.213 Obwohl damit in der Frage der Studiendauer grundsätzliche Überein­ stimmung zwischen Kultusministerium, Fakultäten und den Vertretungen der Ärzteschaft herrschte, dauerte es wegen der gewachsenen Komplexität der mit der Prüfungsrevision verbundenen Einzelentscheidungen noch fast zehn Jahre, bis die Prüfungsordnung von 1901 dann sowohl die Verlänge­ rung der eigentlichen Studienzeit von neun auf zehn Semester als auch durch die Einführung des praktischen Jahres eine faktische weitere Studienzeitver­ längerung um ein Jahr brachte. Alles in allem dauerte das Medizinstudium einschließlich der Zeit, die für die Examina aufgewendet werden mußte, seit 1901 mindestens sechseinhalb Jahre, wobei allerdings ein halbes Jahr der einjährigen Militärzeit während des zehnsemestrigen Studiums absolviert werden konnte. Von dieser Möglichkeit, die auch schon vor 1901 bestand und die faktisch die Studienzeit um ein halbes Jahr verkürzte, da das Seme­ ster unter Waffen für das Studium so gut wie verloren war, machten die Studierenden jedoch in abnehmendem Maße Gebrauch. Waren 1899/1900 noch gut vier Prozent der Medizinstudenten aktiv D ienende und weitere 30% »Gediente«, so leisteten 1911/12 nur noch drei Prozent gerade ihren Dienst ab und weitere 25% hatten ihn schon abgeleistet. Trotzdem war der Prozentsatz der aktiv D ienenden bzw. Gedienten bei den Medizinern wegen der Möglichkeit, die zweite Hälfte im Anschluß an das Studium als Truppenarzt abzuleisten - wesentlich höher als bei den Mitgliedern anderer Fakultäten, von denen nur wenig mehr als zehn Prozent die Militärzeit schon abgeleistet hatten.214 Da in den Jahren von 1886/87 bis 1895/96 jeweils rund die Hälfte der Mediziner das Examen nach der zulässigen Mindeststudienzeit von neun Semestern absolviert hatte, mußte sich die Erhöhung der vorgeschriebenen Mindeststudiendauer auch auf die durchschnittliche Studiendauer auswir­ ken. Während letztere - nach Abzug von aus besonderen Gründen unge114 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

wöhnlich lange Studierenden - von 1886/87 bis 1891 rund zehn Semester betrug, von 1891/92 bis 1895/96 sogar nur 9,9 Semester, stieg sie im Durch­ schnitt der Studienjahre 1902/03 bis 1911/12 auf 10,7 Semester an. D amit hatte die medizinische Fakultät, die auch schon vor 1901 die längste durch­ schnittliche Studiendauer aufwies, ihren Abstand vor den anderen Fakultä­ ten noch erhöht: Bei den Juristen betrug die durchschnittliche Studiendauer in der Zeit von 1899/1900 bis 1911/12 6,9 Semester, bei den katholischen Theologen 7,1 und bei den evangelischen 7,4 Semester, bei den Naturwis­ senschaftlern und Mathematikern 8,7 und bei den Philologen 9,1 Seme­ ster.215 Bei den Medizinern lag aber nicht nur die durchschnittliche Studiendauer höher als in den anderen Fakultäten, sie hatten auch höhere Kosten je Semester aufzubringen. Wenn die den Dozenten zustehenden Honorare für Vorlesungen, Seminare und Übungen auch von Universität zu Universität schwankten, kann man doch im allgemeinen davon ausgehen, daß Theolo­ gen und Philologen 60 Mk., Juristen und Naturwissenschaftler 80 Mk., die Mediziner dagegen schon in den 80er Jahren 120 Mk. pro Semester bezahlen mußten.216 War das Medizinstudium, verglichen mit den anderen Studien­ gängen, also schon damals das teuerste Studium, so trifft dies nach der Prüfungsreform von 1901 sicherlich in verstärktem Maße zu. Das ärztliche Vereinsblatt bezifferte 1902 die Kosten eines medizinischen Studiums bis zur Approbation auf »mehr als 12000 Mk.« 217 Auf eine noch höhere Gesamt­ summe, rd. 14000 Mk., kommt eine Publikation des Leipziger Verbandes der Ärzte D eutschlands aus dem Jahre 1907, in der die Kosten einzeln aufgeführt werden: »In der ersten Hälfte des Studiums werden die Vorle­ sungsgelder jedes Halbjahr durchschnittlich 200 Mk. erreichen, in der zwei­ ten noch übersteigen, so daß man während des zehnsemestrigen Studiums etwa 2500 Mk. auf die Vorlesungen verwenden muß. D azu kommt die Anschaffung eines Skeletts, eines Mikroskops, verschiedener anderer In­ strumente und vieler, teurer Lehrbücher, für das alles zusammen während der ganzen Studienzeit 800 Mk. nicht zu viel gerechnet sein werden. Freilich sparen manche gerade an d i e s e m Posten; aber auf Kosten ihrer Ausbil­ dung und zum Schaden für ihre ganze künftige Laufbahn. Auch bei beschei­ denen Ansprüchen wird der Student heutzutage in der Universitätsstadt kaum mit weniger als 100 Mk. monatlich für Wohnung, Ernährung und kleine Ausgaben auskommen. Rechnet man dazu die Reisekosten und die Ausstattung mit Kleidung und Wäsche, so gelangt man zu einer Jahresausga­ be von etwa 1500 Mk. ausschließlich des eigentlichen Studiums. Im ganzen werden also während eines fünfjährigen Studiums die Ausgaben auch bei großer Sparsamkeit 10000 Mk. wesentlich überschreiten. D azu treten noch die Kosten für den Militärdienst, die Prüfungen, den Lebensunterhalt im Prüfungshalbjahr und im praktischen Jahr mit zusammen mindestens 3000 Mk.« 218 Die Erhöhung der Ausbildungskosten durch die Verlängerung der Stu115 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

dienzeit wurde in ihren sozialen Auswirkungen verschärft durch eine gleichzeitig erfolgende drastische Kürzung der Stipendien. Traditionell be­ stand an den deutschen Universitäten ein ausgedehntes Unterstützungswe­ sen - sei es durch direkte Stipendien, Freitische, Erlaß oder Stundung der Kollegiengelder. Im Durchschnitt der Jahre 1887/88 bis 1891 wurde rund ein D rittel der Studierenden an preußischen Universitäten in irgendeiner Form unterstützt.219 Obwohl für die Zeit davor keine Zahlen vorliegen, kann vermutet werden, daß der Anteil der Unterstützungsempfänger eher noch höher gewesen ist, denn die konservative Kehrtwende in der Bil­ dungspolitik, zu deren Programm die systematische Verteuerung der höhe­ ren Bildung gehörte, erfolgte schon in den frühen 80er Jahren. D ie Zer­ splitterung des Stipendienwesens in ungezählte lokale Stiftungen und pri­ vate Fonds, vor allem Familienstiftungen, bei denen die Vergabe der Sti­ pendien auf privatrechtlicher Regelung beruhte, machte den preußischen Bildungsplanern zwar zunächst Schwierigkeiten und zwang sie zu einem sehr vorsichtigen Vorgehen in ihrem Bemühen, die Stipendienvergabe zu erschweren. Als Resultat kann aber festgehalten werden, daß in den etwas mehr als zwei Jahrzehnten bis 1911/12 der Anteil der Stipendienempfänger - bei insgesamt etwa gleichbleibender absoluter Zahl der unterstützten Studenten - auf rund 20% sank. Bei den Medizinern war dieser Rückgang besonders ausgeprägt:während 1887/88 bis 1891 noch 1115 (= 35,9%) Medizinstudenten in irgendeiner Form unterstützt wurden, erhielten 1911/12 nur noch 539 (= 15,9%) eine finanzielle Unterstützung. D ieser Rückgang ist zum einen auf die restrikti­ ven Maximen der staatlichen Bildungspolitik zurückzuführen; zum ande­ ren spiegelt sich darin auch die Änderung in der sozialen Zusammenset­ zung der Studierenden wider. Besonders deutlich wird das bei der Stun­ dung des Honorars, der am häufigsten in Anspruch genommenen Unter­ stützungsform. Entscheidungen über Honorarstundung, die früher meist ins Ermessen der einzelnen D ozenten gestellt waren, wurden seit den 80er Jahren in der Regel von eigenen universitären Honorarien-Stundungs­ Kommissionen getroffen.220 Anders als bei vielen privaten Stiftungen mußte der Studierende seine Bedürftigkeit durch ein sog. »testimonium paupertatis« nachweisen. D aß gerade die Unterstützung durch Honorar­ stundung bei den Medizinern sehr stark zurückging - 1887/88 bis 1891 war 31,9% der Medizinstudenten das Honorar gestundet worden, 1911/12 nur noch 10,2% 221 -, kann daher auch als Beweis dafür gewertet werden, daß ein immer größerer Anteil der Studenten aus finanziell gut situierten El­ ternhäusern kam. Als weiteres Instrument zur Erschwerung des Studiums ist die Verschär­ fung der Prüfungsbedingungen zu nennen.222 Nach der Prüfungsordnung von 1883 konnte ein Kandidat jeden Abschnitt, in dem er etwa nicht be­ standen hatte, einzeln beliebig oft wiederholen. D as Resultat war klar: »Jedenfalls erreicht schließlich jeder in die Staatsprüfung eingetretene Can116 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

didat, wenn auch oft erst nach mehreren Jahren, die Zulassung zur Praxis­ ein Durchfall kommt nicht vor . . . «223 Die Prüfungskommissionen handhabten in den 80er Jahren die Prüfungs­ vorschriften offenbar zunehmend schärfer, denn die Zahl der vom Examen zurückgetretenen oder nicht bestandenen Kandidaten nahm kontinuierlich zu: in Preußen kletterte sie von 50 im Prüfungsjahr 1879/80, das waren 17,8% sämtlicher Prüflinge, auf 231 (= 29,1%) zehn Jahre später.224 Ob unter dieser großen Zahl nicht auch eine Reihe Kandidaten waren, die es sich aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht leisten konnten, nochmals anzutreten, ob also nicht trotz der formalen Möglichkeiten der Prüfungs­ ordnung Durchfälle faktisch vorkamen, sei dahingestellt. Auf dem Ärztetag 1889 jedenfalls beantragte der Referent unter Punkt 3 seiner Leitsätze: »D er Candidat darf in Zukunft einen nicht bestandenen Prüfungsabschnitt nicht zweimal durchmachen, sondern die Prüfungswer­ the der einzelnen Abschnitte werden ohne Wiederholungserlaubnis bei et­ waigem Nichtbestehen am Schlusse der Prüfung zusammengerechnet und stellen das Ergebnis fest, ob der Candidat bestanden ist oder nicht. Meldet er sich in letzterem Falle zum zweitenmal, so wird er in allen Fächern wieder geprüft.«225 Wenn auch auf dem Ärztetag 1890 diese Forderung modifiziert und abge­ schwächt wurde und überhaupt die Modalitäten des Prüfungsablaufs und der Zensurengebung im Verlaufe der Kommissionsberatungen vielfach ge­ ändert wurden, bleibt doch im Ergebnis beim Vergleich der Prüfungsord­ nung von 1901 mit der von 1883 eine deutliche Verschärfung bestehen. 1901 wurde bestimmt: »Wer auch bei der zweiten Wiederholung nicht besteht, wird zu weiterer Prüfung nicht zugelassen. «226 Als letztes Mittel in der Reihe der Steuerungsinstrumente zur quantitati­ ven Beschränkung des Nachwuchses seien hier die Warnungen vor dem Medizinstudium genannt, welche die Ärztevertretungen, nach dem Vorbild der amtlichen Warnungen etwa vor dem Lehrerstudium, seit 1904 jährlich unter den Abiturienten verteilen ließen. Schon 1892 war auf dem Ärztetag der Antrag gestellt worden, die Abiturienten offiziell vor dem Ergreifen des medizinischen Studiums zu warnen; damals aber hatte man wegen verschie­ dener Bedenken diesen Antrag wieder fallen gelassen.227 Nachdem dann 1900 einige Ärzte in einer Art privater Initiative eine entsprechende Bro­ schüre an den Gymnasien verteilen ließen, beauftragte der Ärztetag 1903 den Geschäftsausschuß des Ärztevereinsbundes mit der Ausarbeitung einer »of­ fiziellen« Warnschrift, die 1904 erstmals unter den Abiturienten verteilt wurde und die wirtschaftliche Lage der Ärzte in düstersten Farben schil­ derte.228 Insgesamt muß jedoch betont werden, daß alle hier aufgezählten Maßnah­ men - Verlängerung des Studiums, Kürzung der Stipendien, Erschwerung der Prüfungen, Warnungen vor einzelnen akademischen Berufen - es nicht vermochten, langfristig den säkularen Trend zu höherer Bildungsbeteili117 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

gung aufzuhalten. Wie Titze schon zutreffend herausgearbeitet hat, hat sich die Bürokratie hinsichtlich ihrer Steuerungsmöglichkeiten in den 80er und 90er Jahren »selbstherrlich überschätzt«.229 Nachdem die Studentenzahlen in der ersten Hälfte der 90er Jahre leicht rückläufig gewesen waren, stiegen sie seit 1895 langsam, seit der Jahrhundertwende dann immer schneller an. Insgesamt vervierfachte sich die Zahl der Studenten im Kaiserreich von 13000 auf 52000. Zu dem neuerlichen steilen Anstieg, der endgültig die Umwandlung der Universitäten zum »Großbetrieb der Wissenschaft« (Adolf v. Harnack 1905) und gleichzeitig zur modernen »Mittelklassen­ hochschule« (Jarausch) bewirkte, trug nicht zuletzt die längst überfällige, 1900 endlich erfolgende Gleichstellung der realistischen Vorbildung mit der humanistischen bei. Was für Universität und Studentenschaft insgesamt gilt, trifft auch auf die medizinischen Fakultäten zu. Auch hier stieg die Zahl der Studierenden seit 1905 wieder kontinuierlich an und verdoppelte sich bis 1911/12. Hieran hatten die Abiturienten von Realgymnasien und Oberrealschulen, wie schon dargestellt,230 einen nicht unerheblichen Anteil. Wesentlich beschei­ dener nimmt sich dagegen der Anteil an weiblichen Studierenden aus. Er hatte 1911 noch keine fünf Prozent erreicht. D ie anhaltende Polemik der Mehrzahl der Ärzte gegen weibliche Ärzte erklärt sich auch weniger aus der Furcht vor zusätzlicher Konkurrenz - diese mag zwar auch eine Rolle gespielt haben - als vielmehr aus der Befürchtung, der ganze Berufsstand werde an Ansehen und Status verlieren, wenn der Beruf auch von Frauen ausgeübt werden könne.231 Die mit der seit 1907/08 wieder steigenden Zahl jährlicher Approbationen ausgelöste neuerliche Überfüllungskrise wurde zunächst durch den Welt­ krieg und den dadurch bedingten hohen Bedarf an Sanitätsoffizieren ver­ deckt. In der Weimarer Republik traten die Auswirkungen des Studenten­ booms der letzten Jahre des Kaiserreichs in aller Schärfe hervor. Im Verein mit der anhaltenden Frontstellung gegenüber den Krankenkassen verstärkte das Überangebot an Ärzten die ohnehin latent bestehende Statusfurcht der Ärzte und ließ die Verbandspolitik immer aggressiver werden. D ie im Verlauf der 1920er Jahre immer deutlicher zu Tage tretende Statusfurcht ist ein wichtiges Element in dem Bündel von Ursachen, welche die außeror­ dentlich rasche Integration der Ärzteschaft in Politik und Ideologie des NSStaates nach 1933 bewirkten.232 Bevor jedoch, vor allem im Kapitel »Kassenarztfrage«, weitere Ursachen für die Statusbedrohung, der die Ärzte sich ausgesetzt wähnten, beleuchtet werden, sollen zunächst die Berufstätigkeit des Arztes und ihre hauptsächli­ chen Veränderungen beschrieben werden. D abei geht es zunächst um die Tätigkeit als niedergelassener Allgemeinmediziner in der Privatpraxis. Be­ sondere Fälle, etwa die Position eines Medizinalbeamten, Spezialarztes oder Kassenarztes, sind späteren Kapiteln vorbehalten. 118 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

KAPITEL IV

Auf dem Weg zum professionellen Experten: Der Arzt im Beruf 1. Auibau einer Praxis und die Normen der Kollegialität a) Die Probleme des Anfangers bei der Niederlassung In ärztlichen Autobiographien aus dem 19. Jahrhundert wird immer wieder berichtet, daß für den Anfänger direkt nach der Niederlassung die größte Schwierigkeit darin bestand, an Patienten zu kommen.1 Häufig mußte der frisch approbierte Mediziner wochen- und monatelang warten, bis er end­ lich das erste Mal konsultiert wurde. Ein Ratgeber für angehende Praktiker aus dem Jahre 1896 empfahl deshalb: »Ein unbedingtes Erfordernis für den Anfänger nun, der auf Patienten wartet, bildet die Parole:›Zu Hause blei­ ben‹, Tag und Nacht! Besonders an Sonn- und Feiertagen, an denen die Nachbarärzte vielleicht ihr Haus verlassen haben, darf der Anfänger sicher darauf rechnen, daß hin und wieder ein Patient sich auch zu ihm verirrt: Allerdings können unter Umständen Wochen darüber vergehen, und es gehört vielfach eine große Entsagung dazu, besonders an schönen Sommer­ tagen, das Haus hüten zu müssen. «2 Zu der Schwierigkeit, jung und unbekannt zu sein, kam für den Anfänger die mangelnde Routine in der Ausübung seiner Kunst hinzu. Wenn auch die Ausbildung an der Universität im Lauf der Jahrzehnte immer stärker praxis­ bezogen und schließlich 1901 für alle Studenten ein ganzes Jahr Kranken­ hausdienst obligatorisch geworden war, waren doch, zumal in der Landpra­ xis und der Praxis in kleineren Städten, die Anforderungen an den Arzt derart vielfältig, daß er unmöglich auf allen Feldern gleich bewandert sein konnte. Es war beispielsweise keine Seltenheit, daß ein junger Arzt außer den vier Geburten, die zu leiten ihm die Prüfungsordnung vorschrieb, vor seiner Niederlassung weitere Geburten höchstens beobachtet hatte, ohne jedoch selbständig einzugreifen. »Wie muß ihm da das Herz pochen, wenn er mit seiner mangelnden praktischen Übung vor einem kritischen Falle allein steht, die lauernde süßfreundliche Hebamme neben sich?«3 Dem tatsächlich vorhandenen Mangel an praktischer Routine entsprach 119

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das Mißtrauen und die Skepsis, die viele Patienten gegenüber einem jungen Arzt hegten, der noch nicht über einen breiten, nur durch langjährige Praxis zu erwerbenden Erfahrungsschatz verfügte. Allgemein galten Reife und Erfahrung als großer Vorzug; das umgekehrte Argument taucht dagegen so gut wie nie auf, daß nämlich ein jüngerer Arzt durch seine gerade erst absolvierte Ausbildung auf der Höhe der medizinischen Wissenschaft stehe, mit neu entwickelten Behandlungstechniken und Arzneimitteln vertraut sei und insofern dem älteren Arzt etwas voraus habe, der sich in Diagnostik und Therapie vielleicht noch am längst veralteten Stand der Medizin während seiner eigenen Ausbildungszeit orientiere. Daß dieses Argument keine Rolle spielte, scheint ein Hinweis darauf zu sein, wie wenig Gewicht dem profes­ sionellen Wissen, das die Universitätsausbildung vermittelte, trotz aller Fortschritte, die diese gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte, im Vergleich zum Erfahrungswissen zugemessen wurde, wie es allein aus der täglichen Praxis resultierte. D ie Chance des jungen Arztes lag dementsprechend auch nicht in einem Pochen auf seiner gründlicheren universitären Ausbildung, sondern eher darin, daß er schneller als der viel­ beschäftigte ältere Kollege zur Stelle war, daß er auch Nachtbesuche zu jeder Zeit machte usw. Um sein D efizit an Erfahrung abzugleichen, das ihm den Weg in die begüterten Bürgerhäuser versperrte, sah sich der Anfänger auf die sog. »Dachboden- und Kellerpraxis«4 verwiesen: Er mußte zunächst mit ärme­ ren, häufig zahlungsunfähigen Patienten vornehmlich aus der städtischen und ländlichen Arbeiterbevölkerung vorliebnehmen. Denn nur ärmere Leu­ te wendeten sich, falls sie überhaupt im Krankheitsfall nach dem D oktor schickten, an einen jungen, völlig unbekannten Arzt. Die Praxis in dieser Bevölkerungsklasse aber hatte für den jungen Arzt zweierlei Funktion: Erstens konnte er sich hier die nötige Routine und Geschicklichkeit aneignen und das sichere Auftreten üben, das ihn als fähi­ gen Mediziner ausweisen sollte; zweitens trugen glücklich verlaufene Be­ handlungsfälle dazu bei, den Neuling in der Stadt bekannt zu machen.5 Die »Arme-Leute-Praxis« wurde von vielen Ärzten weniger um der Patienten willen getrieben als vielmehr vor allem als Sprungbrett für die eigentlich erstrebte, gewinnbringende Praxis in den bürgerlichen Haushalten ange­ sehen. Weitere Möglichkeiten zur Einübung in die Praxis nach der Approbation boten die Tätigkeit in einem Krankenhaus, eine Position als Schiffsarzt, die Assistenz bei einem renommierten niedergelassenen Arzt und Vertretungen, etwa bei Urlaub oder Krankheit des die Praxis führenden Arztes. Vermutlich hat sich der Anteil der Ärzte, die unmittelbar nach der Appro­ bation zunächst eine Tätigkeit als Krankenhausarzt aufnahmen, ständig erhöht, denn auch die Zahl der Krankenanstalten nahm während des gesam­ ten 19. Jahrhunderts schneller zu als sich die Ärzteschaft vergrößerte. So gab es in Preußen 1822 155 öffentliche Krankenhäuser, 1843 waren es 376 und 120 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

1852 schon 567.6 Im Deutschen Reich verdreifachte sich zwischen 1877 und 1911 die Bettenzahl in den Allgemeinkrankenhäusern von 72219 auf 226831.7 Entsprechend hatte sich auch die Zahl der Krankenhausärzte vermehrt: 1876 waren von insgesamt 13728 Ärzten 344 (= 2,5%) ausschließlich in und für Krankenanstalten beschäftigt; elf Jahre später, 1887, waren es 581 (= 3,7%). In den folgenden elf Jahren schnellte die Zahl der Anstaltsärzte auf 1927 (= 7,8% der gesamten Ärzteschaft) empor und stieg dann bis 1909 weiter auf 3068, rund 10% der Ärzte, an.8 Für das Gros der Anstaltsärzte - die Assistenzärzte - war ihre Tätigkeit am Krankenhaus keine Lebensstellung, sondern nur ein Abschnitt in ihrer Kar­ riere vor der Niederlassung in der freien Praxis. Darauf war die Position des Assistenzarztes auch zugeschnitten: In der Regel wohnte er direkt in der Anstalt, war im allgemeinen nicht verheiratet und bezog neben freier Unter­ kunft und Verpflegung ein äußerst kärgliches Gehalt. D afür gestattete die spezifische Situation des Patienten im Krankenhaus ihm in hervorragender Weise, seine wissenschaftliche Ausbildung durch praktische Erfahrung zu ergänzen. D ie große Zahl von Krankenhauspatienten, die auf einen Arzt kamen, garantierte, daß er nicht unter Beschäftigungsmangel zu leiden hatte wie häufig der Anfänger in freier Praxis; er konnte, weil der Patient ständig unter ärztlicher Kontrolle stand, viel besser die Wirkungsweise von ihm verordneter Medikamente studieren, und er hatte die Möglichkeit, dem Patienten Heilungsverfahren (operative Eingriffe etwa) aufzuzwingen, in die dieser zu Hause gar nicht eingewilligt hätte. Trotz dieser Vorteile überstieg seit den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts das Angebot an Assistentenstellen ständig die Zahl der Bewerber um solche Stellen. Auch die vom Leipziger Verband der Ärzte D eutschlands 1909 durchgesetzte Aufbesserung der Assistentengehälter vermochte diesen Zu­ stand nicht zu ändern.9 Das hat vorrangig seinen Grund darin, daß mit dem verstärkten Ausbau der Krankenhäuser gerade seit der Jahrhundertwende die Zahl der Assisten­ tenstellen rasch vermehrt wurde, während gleichzeitig die Zahl der jährli­ chen Approbationen rückläufig war. Weitere Erklärungen für das Überan­ gebot an Stellen sind zum einen, daß seit der Einführung des »praktischen Jahres« 1901 jeder Studierende sowieso ein Jahr im Krankenhaus arbeiten mußte und daher viele eine weitere Krankenhaustätigkeit als unnötig emp­ fanden. Zudem sahen es immer mehr frisch approbierte Ärzte, die wegen der Verlängerung der Studienzeit ein höheres D urchschnittsalter bei der Approbation hatten, als mißlich an, während der Assistentenzeit nicht heira­ ten zu können, und strebten daher möglichst bald nach einer unabhängigen Stellung als niedergelassener Arzt. Die ebenfalls im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts virulent werdende »Assistentenfrage« und die entstehende »Assistentenbewegung« weisen darauf hin, daß sich nicht nur ein Angebotsüberhang an Assistentenstellen 121 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

entwickelt hatte, sondern gleichzeitig auch die Assistenzärzte mehr und mehr ihre Position als durch spezifische Probleme geprägt begriffen und ein eigenes, von dem der niedergelassenen Praktiker abgegrenztes Selbstbe­ wußtsein entwickelten. In Versammlungen und eigenen Gruppen artikulier­ ten sie ihre Unzufriedenheit mit niedrigem Gehalt und hoher Arbeitsbela­ stung und leiteten daraus konkrete Forderungen ab, unter anderem nach einem jährlichen Mindestgehalt von 1200 Mk., das jährlich um 150 bis 200 Mk. steigen sollte, nach vierwöchigem Urlaub im Jahr, nach einem Nor­ malarbeitstag und Bezahlung der Überstunden.10 Wenn es auch nicht zur Gründung eines eigenen zentralen Assistentenver­ bandes kam 11 und für die große Mehrzahl der Assistenzärzte ihre Stellung einen Übergangscharakter auf dem Weg zur eigenen Praxis behielt, hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts doch ein bedeutsamer Umschwung vollzogen. D ie Tätigkeit am Krankenhaus, die im 19. Jahrhundert nahezu ausschließlich unter dem Aspekt der Einübung in die spätere Privatpraxis gesehen worden war, hatte ein eigenes Gewicht erhalten, wurde mit spezifi­ schen Forderungen und Interessen verknüpft. Außer der Assistenzarzttätigkeit bildeten Urlaubsvertretungen für nie­ dergelassene Ärzte ein willkommenes Feld für die ersten eigenen beruflichen Gehversuche. Hier konnte der Anfänger »die Technik des Umgangs mit dem Publikum in der freien Praxis lernen, ohne daß etwaige kleine Anfän­ gerfehler ihm gleich persönlich Schaden brachten.«12 Für die allermeisten Ärzte - abgesehen von den wenigen, die eine akade­ mische Laufbahn einschlugen oder die Krankenhausärzte blieben - kam irgendwann einmal der Moment, wo sie sich mit eigener Praxis niederlie­ ßen. Am günstigsten standen sich dabei die Anfänger, die die väterliche Praxis übernehmen konnten. Grob geschätzt waren dies in den 50er bis 70er Jahren 10-15%, ein Anteil, der in den 80er und 90er Jahren allerdings deutlich unter 10% sank.13 Ein anderer Weg, von vornherein in den Genuß eines festen Patienten­ stamms zu kommen, war der Kauf einer Praxis, ein Verfahren, das nicht ganz selten vorgekommen zu sein scheint, vom ärztlichen Ehrengerichtshof aber mehrfach als Verletzung der ärztlichen Standesehre verurteilt wurde. 14 Während nach einer Entscheidung des Reichsgerichts die Kundschaft eines Arztes durchaus Objekt eines Kaufvertrags sein konnte,15 stellte sich die ärztliche Standesvertretung auf den Standpunkt, daß ein Arzt, der aus der Praxis ausscheide und einen geeigneten Nachfolger suche, dies nicht tun dürfe, um daraus einen pekuniären Vorteil zu ziehen. D ie Abtretung der Praxis dürfe nicht mit einem kaufmännischen Geschäft verbunden sein. Diese Haltung des preußischen Ehrengerichtshofes paßt sich ein in das generelle Bestreben, die kommerziellen Momente in der ärztlichen Berufs­ tätigkeit möglichst wenig nach außen treten zu lassen und sich von den kaufmännischen Berufen deutlich abzusetzen. Zudem war der Praxiskauf, sofern es sich nicht lediglich um Räume und 122 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Inventar- diese fielen auch nicht unter das Verdikt des Ehrengerichtshofes handelte, sondern die Patienten quasi »verkauft« wurden, für den Käufer ein recht heikles Unterfangen. Es konnte ihm nämlich passieren, daß der größte Teil der Klientel, obwohl er vom ausscheidenden Arzt als Nachfolger offi­ ziell eingeführt war, ihm doch nicht die Treue hielt, sondern einem anderen Arzt am Ort zuströmte.16 Das Gros der Ärzte konnte jedenfalls eine Praxis weder erben noch komplett kaufen, sondern mußte sie sich nach und nach aufbauen. Über die Kosten einer Praxisgründung liegen nur wenige, und dazu sehr unterschied­ liche Angaben vor. D as Instrumentarium, das der Allgemeinmediziner in seiner Praxis brauchte, hielt sich auch um die Jahrhundertwende noch in bescheidenen Grenzen: Außer verschiedenen Messern, Pinzetten, Nadeln, Spritzen und Lanzetten gehörten dazu die gebräuchlichsten Untersuchungs­ spiegel, also der Augenspiegel, Kehlkopfspiegel, Ohrenspiegel, sowie Ma­ gensonden und eine Uterussonde, ferner für die geburtshilfliche Praxis eine oder mehrere Geburtszangen, eine Kürette, Pessare und Katheter und schließlich Verbandszeug, Chloroform, Jod und andere ständig gebrauchte Medikamente. Für die Anschaffung der notwendigsten Instrumente veran­ schlagte der Autor eines Leitfadens aus dem Jahre 1904, Wilhelm Klette, 200 Mk.; 17 der Berliner Arzt D r. Wolff nannte außer den auch von Klette aufgezählten Instrumenten an größeren Ausrüstungsgegenständen zusätz­ lich noch ein Mikroskop, einen Inhalationsapparat sowie einen Untersu­ chungs- bzw. Operationsstuhl;18 nach Wilmans (1901) war ein Bett für Untersuchungen sowie ein einfacher Operationstisch erforderlich.19 Leider gaben weder Wolff noch Wilmans die Kosten dieser Anschaffungen an. Dafür schätzte Dr. Weinbaum in seiner für den Hartmannbund geschrie­ benen Broschüre von 1907 die gesamten Kosten einer Praxisniederlassung pauschal auf 3000 bis 4000 Mk. Außer dem Instrumentarium gehörten für ihn dazu die Einrichtung eines Sprech-, Warte-, Schlaf- und Wohnzimmers; für auf dem Lande tätige Ärzte auch die Anschaffung eines eigenen Fuhr­ werks. 20 Trotzdem scheint die Schätzung von Weinbaum - aus dem spezifischen Interesse der Broschüre verständlich21 - sehr hoch angesetzt zu sein, denn in der Regel waren Wohn- und Arbeitsplatz des niedergelassenen Arztes noch nicht getrennt; nur wenige Großstadtärzte wohnten am Rande der Stadt und hatten eine »Offize« in der Stadt.22 D a die Sprechstundenpraxis seit der Jahrhundertmitte deutlich zunahm, wenn sie auch im Umfang noch lange hinter der Besuchspraxis zurückblieb, mußte der Anfänger bei seiner Nie­ derlassung zwar über ein Wartezimmer und ein Sprech- und Behandlungs­ zimmer verfügen. Der unverheiratete junge Arzt konntejedoch seinen Salon als Warte- und seinen Schlafraum als Sprechzimmer benutzen.23 Erst wenn er verheiratet war, brauchte er auf Dauer zusätzliche Räumlichkeiten. Mög­ lichst bald nach der Niederlassung zu heiraten, sofern er sich das leisten könne, wurde dem jungen Mediziner immer wieder dringend geraten: er 123 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

erleichtere sich dadurch nicht nur die Haushaltsführung, sondern auch den Aufbau einer Praxis, da gerade die besseren bürgerlichen Haushalte den verheirateten Arzt dem Junggesellen vorzögen.24 Die Kosten für das nötige Inventar und die Ausstattung der Praxisräume scheinen jedenfalls nicht so gravierend gewesen zu sein wie das Problem, daß in den ersten Jahren die Einnahmen aus der Praxis häufig nicht die Lebenshaltungskosten deckten. Dies berichteten viele Ärzte in ihren Lebens­ erinnerungen,25 und auch die Abmahnung vom Medizinstudium, die der Ärztevereinsbund 1904 herausgab, warnte nachdrücklich vor der Illusion vieler Medizinstudenten, sie könnten unmittelbar nach der Niederlassung mit einem eigenen Einkommen rechnen. D aß der junge Arzt von den Praxiseinnahmen leben und womöglich noch eine Familie ernähren könne, sei in der Regel nicht vor Ablauf mehrerer Jahre der Fall.26 Für junge Ärzte, die kein Vermögen mitbrachten oder eins durch Heirat erwarben, war es daher häufig existentiell wichtig, wenigstens eine feste Einnahmequelle zu haben, etwa durch eine Tätigkeit als Armenarzt, eine nebenamtliche Stellung an einem Krankenhaus oder die Betreuung der Mitglieder einer Krankenkasse. Exemplarisch sei hierfür der Lebensweg von Robert Koch genannt. Koch hatte sich nach seinem Studium und einer kurzen Zeit als Assistent am Hamburger Krankenhaus 1866 in Langenhagen bei Hannover niedergelassen, wo er neben der Landpraxis noch einen Posten als Anstaltsarzt der Erziehungs- und Pflegeanstalt für geistesschwache Kin­ der innehatte. Als ihm im zweiten Jahr sein Gehalt als Anstaltsarzt gekürzt werden sollte und er dies ablehnte, wurde die Stelle an einen anderen Bewerber vergeben, so daß Koch keine fixierte Einnahme mehr, dafür aber einen Konkurrenten am Ort hatte. Wegen mangelnder Einkünfte blieb ihm nichts anderes übrig, als Langenhagen zu verlassen. Zwei weitere Anläufe, in zwei kleinen Landstädten in Posen zu einer einträglichen Praxis zu kom­ men, blieben ohne Erfolg. Im Grunde besserte sich die materielle Lage der Kochschen Familie erst grundlegend, als Koch im April 1872 die mit 900 Mk. jährlich dotierte Stelle eines Kreisphysikus im Kreis Bomst in Posen erhielt und mit seiner Familie in die Kreisstadt Wollstein zog, wo sich ihm aufgrund seiner amtlichen Stellung auch sofort bessere Möglichkeiten in der Privatpraxis eröffneten.27 Ob Kochs mehrfaches Scheitern beim Versuch, sich eine Praxis aufzubau­ en, repräsentativ für einen nennenswerten Teil der Ärzte ist, ist eine Frage, die sich nur schwer entscheiden läßt. Um sie wenigstens ansatzweise zu beantworten, wurde versucht, die Fluktuation der niedergelassenen Ärzte in einer bestimmten Region festzustellen und dafür der Regierungsbezirk Münster anhand der Angaben im Börnerschen Medizinalkalender unter­ sucht.28 Aus den anderthalb Jahrzehnten vor der Jahrhundertwende, der Zeit der schnellsten Expansion der Medizmerzahlen, wurden folgende Stichjahre ausgewählt: 1886, 1888, 1890, 1892, 1894, 1896, 1898 und 1900. Der starke Zuwachs an Ärzten in diesem Zeitraum machte sich auch im 124 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Regierungsbezirk Münster deutlich bemerkbar: 1886 praktizierten in 67 Ortschaften außerhalb der Provinzialhauptstadt Münster 129 Ärzte,29 1900 waren es 192,30 die sich auf 85 Ortschaften verteilten, das bedeutete eine Steigerung um fast 50%. Von den 129 Ärzten des Jahres 1886 praktizierten 71 auch 1900 noch am gleichen Ort, bei weiteren 31 ist aufgrund des Approbationsjahres anzuneh­ men, daß sie sich aus Altersgründen von der Praxis zurückgezogen hatten oder aber gestorben waren. Es bleiben also 27 Ärzte (= 21%), die in einem der auf 1886 folgenden Stichjahre aus den Listen verschwunden sind, ohne daß sich dafür Altersgründe plausibel machen ließen. Wenn auch in manchen Fällen persönliche oder familiäre Überlegungen den Ausschlag gegeben haben mögen für die Entscheidung, den Praxisort zu wechseln, kann man doch davon ausgehen, daß die Mehrzahl der Praxis-Schließungen durch wirtschaftliche Gründe motiviert war. Der gleiche Trend, daß eine relativ große Zahl von Arztpraxen nicht lange bestand, zeigt sich auch, wenn man die Niederlassungen während des Un­ tersuchungszeitraums näher untersucht. In den sechs Stichjahren 1888, 1890, 1892, 1894, 1896 und 1898 ließen sich insgesamt 146 Ärzte in den Ortschaften des Regierungsbezirks nieder. 35 von ihnen (24%) tauchten schon im nächstfolgenden Stichjahr nicht mehr im Ärzteverzeichnis auf, d.h., daß ihre Praxis höchstens zwei Jahre bestanden hatte. Weitere 13 Arztpraxen (9%) sind nur in zwei Stichjahren verzeichnet, sie existierten also zwischen drei und fünf Jahren. Zusammengenommen gab rund ein Drittel der Neuniedergelassenen innerhalb von fünfJahren ihren Wirkungs­ ort wieder auf Dieses Ergebnis kann als ein Indiz dafür gewertet werden, daß gerade in den 80er und 90er Jahren eine Niederlassung als praktischer Arzt kein risikoloses Unterfangen war. Insbesondere waren Ärzte vom Scheitern bedroht, die über keine Beziehungen - etwa Empfehlungen von Verwand­ ten oder Gönnern, die sie in die Praxis einführten - verfügten, kein Vermö­ gen mitbrachten, das sie während der »Durststrecke« der ersten Jahre zuset­ zen konnten, und die keine nebenamtliche Position besaßen, die ihnen wenigstens eine teilweise Beschäftigung garantierte und eine wenn auch nicht ausreichende, so doch sichere Einnahmequelle bildete. Hatte ein junger Arzt aber die mit der Niederlassung verbundenen an­ fänglichen Schwierigkeiten überwunden, war es ihm gelungen, am Praxis­ ort Vertrauen und Kredit zu erwerben und fing er an, sich einen festen Stamm von Klienten aufzubauen, so war zugleich derjenige Punkt in seiner Laufbahn erreicht, an dem die Gefahr von Spannungen und Konflikten mit den am Ort schon etablierten Kollegen am größten war. Jede Praxisneu­ gründung bildete schließlich eine Gefahr für deren Besitzstand, und es verwundert daher nicht, wenn sich die ärztlichen Standesorganisationen immer wieder um die Etablicrung fester Normen für »kollegiales Verhalten« bemühten. 125 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

b) Der Ausbau kollegialer Kontrolle seit den 80er Jahren Während bei einer Reihe anderer »Professionals« - etwa den Geistlichen, den Richtern, den Oberlehrern - ein Konkurrenzverhältnis der Berufsangehöri­ gen untereinander wie bei den freiberuflich tätigen Ärzten überhaupt nicht gegeben war, war es bei einer anderen Vergleichsgruppe, den Rechtsanwäl­ ten, die seit 1878 auf dem Markt für ihre professionellen Dienstleistungen als Anbieter ebenfalls untereinander konkurrierten, wesentlich schwächer aus­ geprägt. Zunächst einmal war der spezifische D ienstleistungsmarkt für Anwälte sehr viel kleiner - eine durchschnittliche Familie kam öfter in die Situation, einen Arzt zu brauchen als einen Anwalt. Außerdem waren die Anwälte in ihrer beruflichen Tätigkeit nicht in so hohem Maße dem Urteil eines Laienpublikums ausgesetzt und damit gleichzeitig vom Verhalten ihrer Kollegen abhängig wie Ärzte. Welche weitreichenden Folgen für die Praxis eines Arztes das Verhalten eines Kollegen mitunter haben konnte, kann folgender Erfahrungsbericht eines jungen Praktikers aus den 70er Jahren in Berlin verdeutlichen: »Ich hatte anfangs ganz tüchtig zu tun und war auf dem besten Wege, mich einzubürgern. D a werde ich eines Tages zu einer der angesehensten Familien gerufen. Man eröffnet mir, daß der alte, kränkliche Hausarzt auf längere Zeit verreist sei ohne einen Stellvertreter zu geben. Ich möge die Behandlung in der Familie übernehmen. D abei läßt man durch­ blicken, daß der Kollege sich bald zur Ruhe setzen werde, und daß ich dann seine Stelle erhalten solle. Wer war glücklicher als ich? Hatte ich diese Familie, so würden eine ganze Reihe anderer folgen, das stand außer Frage. Die jüngste Tochter von etwa 15 Jahren war am Typhus erkrankt. Ihr könnt glauben, daß ich es an nichts fehlen ließ, Tag und Nacht war ich am Platze. Leider zeigte sich der Fall sehr schwer und hartnäckig. D ie Sache zog sich in die Länge, eines Tages kehrte der Hausarzt zurück, und es fand eine Bera­ tung zwischen uns statt. Ich bin mit Ihrer Behandlung durchaus einverstan­ den, erklärte er. Aber da die Kranke sehr heruntergekommen ist, so glaube ich, tuen wir besser, die Eisumschläge auf den Leib durch Breiumschläge zu ersetzen. Ziemlich hoffnungslos liegt der Fall so wie so. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Ich will nicht langweilig werden, der Zustand besserte sich, und die Kranke genas, wie der Hausarzt sagte, weil das Mädchen eine Bärennatur hatte. Anders aber wurde die Sache von den Leuten in Lichterfelde aufge­ faßt. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, der junge D oktor hatte Eis verordnet, es ging schlechter und schlechter. D a kam der alte Hausarzt, ließ heiße Breiumschläge machen und von Stund' an besserte sich der Zustand. Unfehlbar wäre das Mädchen ohne den Alten verloren gewe­ sen. Ich bemerkte bald mit Schrecken, wie sehr meine Tätigkeit nach­ ließ . . .« 31 Im Ergebnis sah der junge Arzt sich gezwungen, den Wohnort zu wech­ seln, da in der Gegend, wo sich diese Geschichte herumgesprochen hatte, 126 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

sein Ruf ruiniert war. Dabei hatte in diesem Falle der alte Hausarzt sich nicht einmal unkorrekt verhalten. Über unkollegiales Verhalten von Ärzten un­ tereinander wird aber auch häufig berichtet, etwa daß der hinzugezogene Arzt den Krankheitsfall als besonders schwierig darstellte, um dann bei der sicher erfolgenden Genesung des Kranken um so glänzender dazustehen,32 oder daß ein Arzt alles tat, um den mit ihm konkurrierenden Kollegen in ein schlechtes Licht zu setzen. Unter solchen Umständen ist es nur allzu begreiflich, daß Ärzte meist nur wenig privaten Kontakt miteinander pflegten. D er praktische Arzt D r. Scholz urteilte etwa über seinen einzigen Kollegen am Ort in den 60erjahren lapidar: »Wir waren Concurrenten und darum keine näheren Freunde.«33 Noch 1909 beklagte der Hamburger Medizinalbeamte Moritz Fürst, daß in Kleinstädten vielfach die »sprichwörtliche Feindseligkeit der einzelnen Ärz­ te untereinander« herrsche.34 Nur selten findet man in ärztlichen Autobiographien einen Hinweis, daß sich im privaten Bekanntenkreis eines Arztes auch Kollegen befanden. Im allgemeinen scheinen eher Kontakte zu anderen Angehörigen des Bildungs­ bürgertums bestanden zu haben, zu Richtern, höheren Beamten, Pastoren, aber auch zur gehobenen Schicht des Besitzbürgertums. Nur in größeren Städten, wo das zwischenärztliche Konkurrenzverhältnis aufgrund der großen potentiellen Klientel stärker in den Hintergrund trat, kamen offenbar auch häufigere gesellige Kontakte von Ärzten zustande. So berichtet der spätere Hochschullehrer Otto Körner von seiner Tätigkeit in Frankfurt in den 80er und 90er Jahren, daß sich dort ein privater Kreis von Ärzten, verbunden durch gemeinsames Interesse an städtehygienischen und gesundheitspolitischen Fragen und durch dieselben politischen Überzeu­ gungen, in lockerer Folge getroffen habe, um über geplante gesundheitspo­ litische Einrichtungen zu debattieren.35 Auch unter medizinischen Hoch­ schullehrern, insbesondere solchen, die ein großes gastliches Haus führten, gab es wohl gesellige Kontakte zu Kollegen von der gleichen Fakultät.36 Insgesamt scheint es sich aber eher um Ausnahmen zu handeln. Die besondere Konfliktträchtigkeit der bei neuen Niederlassungen entste­ henden Konkurrenzsituation verstärkte sich noch, je mehr mit steigender Ärztedichte seit den 80er Jahren durch Praxisgründungen nicht nur ein Ersatzbedarf befriedigt, sondern das Angebot an ärztlichen Leistungen ver­ größert wurde. Zwei sich ergänzende Vorgehensweisen, um das prekäre Konkurrenzver­ hältnis zu entschärfen, sind hier denkbar. Zum einen mußten die Ärzte bemüht sein, die Abhängigkeit ihrer beruflichen Erfolge von den Meinun­ gen und Ansichten des Laienpublikums zu vermindern. D iese Strategie paßte sich ein in ein generelles Bemühen der Ärzteschaft, die Dominanz des Patienten im Arzt-Patient-Verhältnis, wie sie das Patronage-System kenn­ zeichnete, umzukehren und eine Überlegenheit des Arztes in diesem Ver­ hältnis zu etablieren. D arauf wird im folgenden Abschnitt dieses Kapitels, 127 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

der sich mit den Veränderungen im Arzt-Patient-Verhältnis befaßt, zurück­ zukommen sein. Eine zweite strategische Stoßrichtung manifestierte sich in den Versuchen, das kollegiale Verhältnis der Ärzte untereinander zu reglementieren. Gerade in den späten 80er und den 90er Jahren, als das ärztliche Vereinswesen auf breiter Front ausgebaut wurde, erließen immer mehr Vereine sog. »Standes­ ordnungen«, die »Standeswürdiges« Verhalten des einzelnen Arztes definier­ ten und es gleichzeitig durchsetzen sollten. 1877 hatten von 156 dem Ärzte­ vereinsbund angehörenden Vereinen lediglich 24 eine Standesordnung, wo­ bei die meisten die Münchner oder Karlsruher Standesordnung übernommen hatten.371890 dagegen besaßen 105 Vereine, das war knapp die Hälfte aller im Ärztevereinsbund zusammengeschlossenen Vereine, eine geschriebene Stan­ desordnung. 38 Die Einhaltung der darin niedergelegten Bestimmungen wur­ de häufig noch durch einen vom Verein aus seiner Mitte gewählten Ehrenrat überwacht. Einen solchen Ehrenrat gab es auch in weiteren 61 Ärztevereinen, die keine Standesordnung erlassen hatten, so daß nur noch 53 Vereine übrig blieben, die über keine der beiden Institutionen verfügten.39 In Professionalisierungstheorien wird meist davon ausgegangen, daß sol­ che professionellen Verhaltens-Kodices in erster Linie dem Schutz des Klien­ ten dienen sollten, indem sie den »professional«, dessen Leistungen sich in der Regel der Beurteilungsfähigkeit des Laien entzogen, an von den Kollegen kontrollierte Verhaltensnormen banden.40 Die Entwicklung professioneller Ehrenkodices erscheint als Antwort auf das Problem der sozialen Kontrolle professioneller Leistungen. Demgegenüber läßt die empirische Analyse des Inhalts der Standesordnun­ gen viel eher den Schluß zu, daß sie in erster Linie das Verhalten der »Professionals« untereinander reglementieren sollten. Auf das angemessene Verhalten des Arztes gegenüber den Patienten gehen die Standesordnungen meist nur in kurzen, sehr allgemein gehaltenen Passagen ein; um so ausführli­ cher und differenzierter wird das kollegiale Verhalten zum Gegenstand gemacht. Besonders repräsentativ in dieser Hinsicht war die vom Karlsruher ärztli­ chen Verein 1876 angenommene Standesordnung, die in der Folgezeit von vielen anderen Vereinen übernommen wurde. 41 Sie regelte in 26 Paragraphen die »Pflichten der Ärzte gegeneinander und gegen den ärztlichen Stand im allgemeinen«, das Verhalten bei Konsilien und bei D ifferenzen zwischen Ärzten sowie Grundsätze bei der Honorarerhebung. D ie Patienten kamen überhaupt nur in einem Abschnitt vor (§ 16-21), und der befaßte sich mit Verhaltensnormen im Berufsverkehr mit Patienten eines anderen Arztes: So sollte nach § 17 kein Arzt ohne weiteres einen Patienten, der im gleichen Krankheitsfall schon von einem Kollegen behandelt wurde, zur Behandlung annehmen, es sei denn in akuten Notfällen oder wenn der erstbehandelnde Arzt vorher »in gehöriger Weise verständigt worden war, daß seine Dienste nicht mehr gewünscht werden«.42 128 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Einen meist ganz ähnlichen Aufbau zeigen von Ärzten verfaßte, sich speziell an den Anfänger wendende »Ratgeber für die ärztliche Praxis«, wie sie vor allem in den 90er Jahren und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf den Markt kamen.43 Wie bei den Standesordnungen wurden hier Grundsätze des kollegialen Verkehrs in großer Ausführlichkeit behandelt. So wurde der neu sich niederlassende Arzt ermahnt, unverzüglich bei den Kollegen Antritts­ besuche zu machen und möglichst bald in einen ärztlichen Verein einzutre­ ten;44 es wurde ihm geraten, sich nach der Höhe der Honorare zu erkundi­ gen, wie sie von den ortsansässigen Ärzten genommen werden, und dieses ortsübliche Honorar keinesfalls zu unterschreiten;45 er durfte auf keinen Fall über einen Kollegen öffentlich etwas Nachteiliges sagen: Vor Laien geäußer­ te Kollegenkritik war so ziemlich der schwerste Fehler, den ein Arzt sich zuschulden kommen lassen konnte.46 Ganze Kapitel in den »Ratgebern« sind gewöhnlich dem richtigen Verhal­ ten bei Konsultationen - wohlgemcrkt dem Kollegen, nicht etwa dem Patienten gegenüber - gewidmet; und ebenfalls breiten Raum nimmt die Abgrenzung von erlaubten Mitteln der Bekanntmachung der Niederlassung und unerlaubter »Reklame« für die eigene Praxis ein.47 So war es etwa zulässig, daß der neu niedergelassene Arzt in der lokalen Zeitung eine Annonce aufgab mit etwa folgendem Inhalt: »D r. N., Praktischer Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer, hat sich in . . ., Straße . . . niedergelassen und wird seine Sprechstunde zu folgenden Zeiten abhalten . . .« D em Ver­ dikt unkollegialen Verhaltens fiel der betreffende Arzt allerdings schon anheim, wenn er eine solche Anzeige über einen längeren Zeitraum hinweg in regelmäßigen Abständen wieder veröffentlichte.48 Freilich hatte es Ermahnungen an die Mediziner, sich stets der »Würde ihres Standes« bewußt zu sein und kollegialen Takt zu wahren, auch schon in den staatlichen Medizinalordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts gege­ ben. 49 Trotzdem war damals das Bild der Ärzte in der Öffentlichkeit geprägt von Brotneid und Streitsucht, Verhaltensweisen, für welche die gelehrten Mediziner offenbar genügend Beispiele lieferten. Während also die Mah­ nungen und Vorschriften der Medizinalordnungen mehr oder weniger nur auf dem Papier standen, scheint es sich mit den Standesordnungen des späten 19. Jahrhunderts doch anders zu verhalten. Mehr als die Hälfte aller Ärzte war inzwischen Mitglied eines ärztlichen Vereins,50 und vom Vereinsleben dürfte ein erheblicher D ruck auf konfor­ mes kollegiales Verhalten ausgegangen sein, insbesondere wenn der Verein die Einhaltung der Standesnormen noch durch einen Ehrenrat oder ein Schiedsgericht überwachte. Wesentlich erweitert wurden die Möglichkeiten, »kollegiales« Verhalten der Ärzte untereinander zu erzwingen, durch die staatlich anerkannten Ehrengerichte im Bereich der jeweiligen Ärztekammer, wie sie in Preußen durch ein Gesetz von 1899 geschaffen wurden.51 Der Jurisdiktion der Ehren­ gerichte, die Geldstrafen bis zur Höhe von 3000 Mk. festsetzen, Verweise 129 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

und Verwarnungen erteilen und dem Angeklagten das aktive und passive Wahlrecht zur Ärztekammer entziehen konnten, unterlagen alle nichtbeam­ teten Ärzte, gleichgültig ob sie Vereinsmitglieder waren oder nicht. Fälle von »marktschreierischen« Annoncen einzelner Ärzte nahmen in der Rechtsprechung der ärztlichen Ehrengerichte einen breiten Raum ein, ebenso wie die Ahndung »unkollegialen« Verhaltens von Ärzten ihren Kol­ legen gegenüber. Wiederholt verurteilte der preußische Ehrengerichtshof das »häufige Annoncieren«, da es »eine zu starke Betonung des gewerbli­ chen Moments« darstelle.52 Selbstredend erblickte der Ehrengerichtshof aus den gleichen Gründen in der Bekanntmachung etwaiger Heilerfolge und der Veranlassung öffentlicher D anksagungen ebenfalls eine »Verletzung der Standesehre«.53 D ie Sorge der Ehrenrichter um das Bild des Arztes in der Öffentlichkeit ging so weit, daß sie 1903 einen Arzt verurteilten, der an zwei Straßenecken auffällig große Hinweisschilder mit der Aufschrift »Zur Au­ gen- und Ohrenklinik von D r. X« hatte anbringen lassen. D as Argument des Arztes, die über 1 m großen Schilder seien nötig gewesen, um sein Haus bei der Unwegsamkeit des betreffenden Stadtteils für Patienten auffindbar zu machen, ließ das Ehrengericht nicht gelten.54 Außer der explizit ausgesprochenen Absicht, die Ärzteschaft deutlich von gewerblichen Berufen und deren Handlungsmaximen abzugrenzen, ver­ folgten solche detaillierten Vorschriften, Verbote und Anweisungen an den Praktiker und speziell den Anfänger in erster Linie den Zweck, den inner­ ärztlichen Konkurrenzkampf unter Kontrolle zu halten55 und insbesondere die schon etablierten Ärzte vor dem Einbruch von Neulingen in ihr Praxisre­ vier zu schützen, indem sie ihnen in den Mitteln beim Aufbau einer Praxis klare Grenzen setzten. In zweiter Linie müssen die Versuche, den niedergelassenen Ärzten klare kollegiale Normen vorzugeben, aber auch in ihrem engen Zusammenhang mit dem Wandel des Arzt-Patient-Verhältnisses gesehen werden. Insbeson­ dere durch die scharfe Sanktionierung »abfälliger Äußerungen« über die Behandlungsweise eines Kollegen56 sollten die Ärzte allmählich dahin ge­ bracht werden, daß sie im Konfliktfall stets den Interessen des behandelnden Arztes gegenüber denen des Patienten den Vorzug gaben. So konnte es etwa vorkommen, daß das Interesse des Patienten, über die Ursachen einer Ver­ schlechterung seines Zustandes aufgeklärt zu werden, dem Interesse des erstbehandelnden Arztes, mögliche Fehler in der Behandlung zu vertuschen, geopfert wurde. War es zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch oberstes Gebot ärztlicher Diplomatie gewesen, sich der Gunst des Patienten zu versichern, zahlte es sich bei der gewandelten Struktur des Gesundheitsmarktes, insbe­ sondere der höheren Ärztedichte, im späten 19. Jahrhundert mehr und mehr aus, mit den Kollegen gut zu stehen. Ein Arzt, der die Normen kollegialen Verhaltens beachtete, konnte mit mehr Überweisungen und Zuziehungen zu Konsilien rechnen und konnte zudem darauf hoffen, bei allen Schwierig­ keiten mit Patienten die Rückendeckung seiner Standesgenossen zu haben. 130 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Gerade die Unterbindung jeglicher öffentlicher Kritik an Kollegen er­ scheint daher als flankierende Maßnahme in einem ganzen Bündel von Strategien, die der Ärzteschaft die Dominanz im Verhältnis zu ihren Patien­ ten sichern sollten.

2. D as Arzt-Patient-Verhältnis: Loslösung von Laienkontrolle Die Beziehung der gelehrten Ärzte zu ihren Patienten war, wie vorn gezeigt wurde, durch eine strukturelle Asymmetrie gekennzeichnet: Nicht der Arzt, sondern der Patient spielte den dominierenden Part in dieser Beziehung. Sowohl in ihren Behandlungsmethoden als auch in ihren Einkommensver­ hältnissen waren die Ärzte von den Launen und der »Gunst« ihrer Klienten abhängig. D iese subalterne Position des Arztes hatte ihre Ursache zum einen in dem niedrigen Stand der medizinischen Wissenschaft, dem Mangel an Kenntnissen und Fähigkeiten, die das Handeln des gelehrten Mediziners am Krankenbett dem eines Laien deutlich hätten überlegen machen können. Zum anderen war sie begründet in der geringen Nachfrage nach den Dien­ sten des akademischen Arztes, die diesen vorwiegend auf eine begüterte Oberschichtklientel verwies. Für die professionellen Mediziner des 20. Jahrhunderts dagegen ist cha­ rakteristisch, daß die Patienten aus den Entscheidungen, mit welchen Mit­ teln und auf welche Weise ihre Gesundheit wiederhergestellt werden soll, weitgehend ausgeschlossen bleiben. Aufgrund seines überlegenen Fachwis­ sens entscheidet der Arzt souverän über Art und Länge der Behandlung; er bestimmt, welche Medikamente wie lange einzunehmen sind, ob Bettruhe erforderlich ist oder der Patient sogar in ein Krankenhaus eingewiesen werden muß, ob ein operativer Eingriff vorzunehmen ist usw. D er Patient, eingeschüchtert durch die Fachkompetenz und den gesellschaftlichen Status des Arztes, wagt im allgemeinen keinen Widerspruch. In zentralen Aspekten des Arzt-Patient-Verhältnisses hat sich ein Wandel um 180 Grad vollzogen: Lag im frühen 19. Jahrhundert die Macht beim Patienten, ist es im 20. Jahrhundert genau umgekehrt. Will man den Weg nachverfolgen, auf dem es den Ärzten gelang, die patronageartige Abhän­ gigkeit von ihren Patienten allmählich durch eine »Dominanz der Experten« (Freidson) zu ersetzen, wird man vor allem auf zwei Faktoren das Augen­ merk richten müssen: auf die Rolle des medizinischen Fortschritts, der den Ärzten eine spezielle Fachkompetenz als Trumpfkarte an die Hand gab; und auf die Expansion des Marktes für gesundheitliche Dienstleistungen, die sie zunehmend von einzelnen reichen Klienten unabhängiger machte.

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a) D ie Rolle des medizinischen Fortschritts Ausbildung, Wissen und Fähigkeiten der gelehrten inneren Ärzte des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts setzten sie nicht in die Lage, dem Kranken Dienste anzubieten, die bessere Heilungsaussichten garantiert hätten als die Tätigkeit von Laicnheilern. D och auch den nach 1825 ausgebildeten Medi­ kochirurgen, die einen neuen Arzttypus darstellten, erging es zunächst nicht viel besser, denn auch die um die Chirurgie und neue praxisbezogene Elemente erweiterte Universitätsausbildung vermochte den Ärzten bis zur Jahrhundertmitte kaum Kenntnisse anzubieten, die Laien durch Übung und Erfahrung nicht auch erwerben konnten. Wenn aus den 30er Jahren berichtet wird, daß zu einem für das Richten von gebrochenen und verrenkten Gliedern bekannten Schäfer in Pommern »Vornehme und Geringe, Reiche und Arme, sogar Landräthe«57 mit ihren Brüchen und Verrenkungen kämen, verbirgt sich dahinter durchaus ein rationales Gesundheitsverhalten und nicht finsterer Aberglaube und blanke Unvernunft, wie es die Ärzte gern für jede Inanspruchnahme eines nicht­ approbierten Heilers unterstellten. Zu einer Zeit, als die Röntgenstrahlen noch nicht entdeckt waren, jeder Heiler, sei es nun ein universitär ausgebil­ deter, staatlich approbierter Arzt oder ein Laienmediziner ohne formale Ausbildung, sich ausschließlich auf Erfahrung, Geschick und Fingerspitzen­ gefühl verlassen mußte, wenn er gebrochene Knochen wieder richten woll­ te, mag es im Einzelfall durchaus berechtigt gewesen sein, den heilkundigen erfahrenen Schäfer dem approbierten Medikochirurgen vorzuziehen. Na­ türlich konnte auch ein akademischer Arzt, eventuell noch unterstützt durch seine anatomischen Kenntnisse, gute Erfolge bei der Behandlung von Kno­ chenbrüchen erzielen; allein, eine Garantie, daß die Patienten bei ihm besser aufgehoben waren, bot seine universitäre Ausbildung nicht. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein approbierter Arzt Brüche und Zerrungen besser versorgte als ein Schäfer, erhöhte sich für den Patienten, seit in den 50er Jahren die moderne Form des Gips Verbandes entwickelt worden war. 58 Ein Arzt, der in seiner Ausbildung die Technik des Gipsens kennengelernt hatte, besaß fortab bessere Chancen, Knochenbrüche zu heilen, weil er das verletzte Glied vollkommener ruhigstellen konnte als ein Laienheiler. Es gibt jedoch um die Jahrhundertmitte auch immer wieder Situationen, in denen die Künste der akademischen Mediziner die Überlebenschancen des Patienten nicht vergrößerten, sondern ihn im Gegenteil dem Grab einen Schritt näher brachten. Viele angesehene Ärzte empfahlen etwa in den 40er Jahren, Cholerakranke zur Ader zu lassen, denn in der »Eindickung des Blutes« infolge der riesigen Wasserverluste sah man die Ursache des tödli­ chen Verlaufs der Krankheit und versuchte daher, durch Aderlässe »das Blut dünner zu machen«.59 D ie richtige Therapie wäre gewesen, dem Patienten möglichst viel Flüssigkeit zuzuführen, statt sie ihm zu entziehen: ein Chole­ rakranker, der der Natur überlassen blieb, war deshalb zwar schlecht genug 132 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

dran, aber immer noch besser als einer, der in die Hände eines Arztes geriet und zur Ader gelassen wurde. Gerade mit Bezug auf die Cholera zeigte sich die Hilflosigkeit der akade­ mischen Medizin in ganzer Schärfe. So berichtete der Schweizer Arzt Son­ deregger von einer Studienreise, bei der er 1849 auch Prag besuchte, über die Cholera in den damals hochgerühmten Prager Universitätskliniken: »D ie Behandlung der Cholera war auf jeder Spitalabteilung anders, überall fleißig und gewissenhaft, auch bei Hamernjik; überall war sie nutzlos; es starben gut die Hälfte.«60 Es muß hinzugefügt werden, daß natürlich auch in der Volksmedizin solche Eingriffe, die dem Patienten eher schadeten als nutzten, gang und gäbe waren. Behauptet wird hier lediglich, daß auf weite Strecken Volksme­ dizin und wissenschaftliche Medizin in gleicher Weise heilende wie auch destruktive Wirkungen haben konnten. Dieser Zustand änderte sich seit der Jahrhundertmitte allmählich. Wenn auch die therapeutischen Möglichkeiten des Arztes der raschen Expansion der medizinischen Kenntnisse noch lange hinterherhinkten, so zeichnete sich doch auf drei Feldern, die zum Tätigkeitsbereich des praktischen Arztes gehörten, immer klarer eine fachlich begründete Überlegenheit des Arztes, der ein Studium absolviert hatte, gegenüber seinem fachlich nicht ausgebil­ deten Laien-Konkurrenten ab. D iese drei Felder sind die D iagnostik, die Chirurgie und die Methoden der Schmerzlinderung. Bei einer Reihe von Errungenschaften der chemischen und physikalischen Diagnostik,61 etwa der Bestimmung des Eiweiß- und Zuckergehalts im Urin (seit 1874) oder der Blutuntersuchung (Auszählung der roten und weißen Blutkörperchen unter dem Mikroskop, seit 1878), ist es allerdings eine offene Frage, ob sie in der Praxis des niedergelassenen Arztes in ausge­ dehnter Weise Anwendung fanden.62 Untersuchungsinstrumente wie das Stethoskop, der Augenspiegel, der Ohrenspiegcl, die Magensonde oder die Uterussonde gehörten dagegen sicherlich zum ständig benutzten Instru­ mentarium des praktischen Arztes der zweiten Jahrhunderthälfte. Teilweise hatten die diagnostischen Hilfsmittel indirekt auch Auswirkun­ gen auf die Therapie, dadurch daß sie vielfach halfen, Krankheiten in einem frühen Stadium zu erkennen. Eine rechtzeitig vorgenommene Ohrenaus­ spülung etwa konnte das Entstehen gefährlicher Ohrenkrankheiten verhin­ dern. Vor allem aber etablierten diese Instrumente, die ein Laie in der Regel nicht besaß und mit denen er nicht umgehen konnte, einen Vorsprung ärztlichen Handelns am Krankenbett und waren daher geeignet, die Autori­ tät des Arztes gegenüber dem Kranken und seinen Angehörigen zu steigern. Ein Gebiet, das wegen seiner besonderen Erfolge in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen herausgehobenen Platz innerhalb der medizinischen Fächer einnahm, ist die Chirurgie. Gerade in der operativen Chirurgie war die Erfolgsbilanz vor der Einführung der Antisepsis Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre überaus kläglich gewesen. In den 40er und 50er Jahren 133 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

erkrankte etwa die Hälfte aller chirurgisch Kranken in den Hospitälern am Wundbrand. Wenn, wie in Kriegszeiten, besonders viele Verletzte in Hospi­ tälern und Lazaretten auf engem Raum zusammengedrängt lagen, konnten es sogar 80-90% sein. Von den Beinamputierten starb 1858 im Durchschnitt ein D rittel an dieser durch Infektion und Vereiterung hervorgerufenen Krankheit.63 Operationen, die ein Öffnen der Bauchhöhle erforderten, wurden daher sehr selten und nur in Fällen höchster Not gewagt. 64 D as galt auch für den Kaiserschnitt, der nur in ganz verzweifelten Geburtsfällen vorgenommen wurde. Im Herzogtum Nassau wurde er in 22 Jahren von 1821 bis 1843 nur insgesamt 41 mal ausgeführt: davon 12mal an lebenden und 29mal an gerade gestorbenen Müttern. Bei den Eingriffen an der lebenden Frau überlebte in sieben Fällen das Kind, die Mutter nur in zwei Fällen. Die Versuche dagegen, wenigstens noch das Kind durch Kaiserschnitt zu retten, wenn die Mutter schon unter der Geburt gestorben war, scheiterten sämtlich: Kein Kind überlebte die Operation.65 Ähnlich düster sieht die Bilanz der Kaiserschnittgeburten in Baden einige Jahrzehnte später aus: Hier wurden zwischen 1865 und 1874 nur 14 Kaiser­ schnitte an Lebenden durchgeführt: davon starb in zehn Fällen die Frau und ebenfalls in zehn Fällen das Kind.66 Ein Großteil der Mißerfolge der Chirurgie erklärt sich schlicht daraus, daß man noch nicht wußte, auf welchem Wege Infektionen entstehen, und daher auch keine Grundsätze der Asepsis kannte. Einem Bericht aus dem Jahre 1904 zufolge gab es in den 50er Jahren nur in den wenigsten Kliniken überhaupt eine Wasserleitung, ganz zu schweigen von fließendem heißem Wasser. »D ementsprechend ist auch die Tendenz des Operateurs und der Assistenten, sich durch gründliches Waschen vorzubereiten, vor der Opera­ tion meist nur sehr gering. Manche waschen sich nur nachher. «67 Die von dem englischen Chirurgen Joseph Lister in der zweiten Hälfte der 60er Jahre eingeführte sog. »antiseptische« Methode, bei der man die die Wunde bedrohenden Keime durch in der Luft versprühtes Karbolspray und durch karbolgetränkte Verbände abzutöten suchte, traf zwar anfänglich auch auf Widerstände, konnte sich jedoch nach dem D eutsch-Französischen Krieg von 1870/71 sehr rasch in Deutschland durchsetzen.68 D ie Methode wurde in den folgenden Jahren verfeinert und nach und nach durch »asepti­ sche« Verfahren ersetzt, bei denen man die Keime von vornherein vom Operationsfeld fernhielt, um möglichst keimfrei zu operieren. Die systema­ tische Dampfsterilisation aller bei der Operation gebrauchten Instrumente sowie die Einführung von Operationshandschuhen aus Gummi in den 90er Jahren bildeten hierbei wichtige Etappen.69 Gemeinsam mit den seit der Jahrhundertmitte entwickelten und seitdem ständig verbesserten Narkoseverfahren und den Techniken zur Erzeugung künstlicher Blutleere lieferte die Asepsis die Voraussetzung dafür, daß viele früher lebensgefährliche Operationen zu relativ harmlosen Eingriffen wur134 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

den. So verlor die Blinddarmentzündung, die bis zu den 70er Jahren in schweren Fällen unausweichlich tödlich geendet hatte, allmählich ihre Schrecken. Zwar mußte in den 80er Jahren, als die Operation noch meist im akuten Stadium der Entzündung vorgenommen wurde, noch mancher Operierte sein Leben lassen, spätestens mit dem Beginn des 20. Jahrhun­ derts setzte sich jedoch die Intervalloperation durch, bei der der Patient erst nach dem Abklingen einer akuten Blinddarmreizung und vor dem nächsten Anfall operiert wurde. Das machte den Eingriff zunehmend gefahrloser.70 Seit den 80er Jahren wurden Totaloperationen des Uterus zunehmend mit Erfolg durchgeführt, 1881 gelang dem Wiener Kliniker Theodor Billroth die erste Magenresektion, und ein Jahr später wurde erstmalig erfolgreich eine Gallenblase operiert.71 In Baden wurden von 1905 bis 1914 631 Kaiserschnitte durchgeführt, das bedeutete eine Steigerung um 4400% gegenüber dem Jahrzehnt von 1865 bis 1874, in dem der Eingriff nur 14mal vorgenommen worden war, bei etwa gleichbleibender Gesamtzahl von Geburten. D ie Mortalität der Mütter lag in dem Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg bei 13,5%, die der Kinder bei 11,1%. 72 D as hieß zwar, daß der Kaiserschnitt noch immer eine recht gefährliche Operation darstellte, zeigte aber auch ein eklatantes Absinken der Sterblichkeit gegenüber dem Jahrzehnt von 1865 bis 1874, als diese noch bei 71,4% gelegen hatte. Auch bei einem anderen geburtshilflichen Eingriff, der Zangengeburt, wirkten die Fortschritte der Asepsis sich positiv aus. Wiederum am Beispiel Badens: hier stieg die Zahl der Geburten, die mit der Geburtszange beendet wurden, von 1,7% (1865) auf ca. 3,5% um 1910, während gleichzeitig die Müttersterblichkeit von 3,34% (1865-74) auf 0,34% (1905-14) sank.73 Trotzdem blieben insgesamt die spektakulären Erfolge der Chirurgie für den allgemeinen Anstieg der Lebenserwartung nahezu bedeutungslos. Denn den massenhaft auftretenden Krankheiten, die regelmäßig die Todesursa­ chenstatistiken anführten, wie der Tuberkulose, der Cholera, dem Typhus, dem Brechdurchfall der Säuglinge, war mit Operationen nicht beizukom­ men. D en großen »Killern«, zu denen die Blinddarmentzündung und das Magengeschwür nicht gehörten, standen die Ärzte auch gegen Ende des 19. Jahrhunderts ziemlich machtlos gegenüber. Für die Zurückdrängung solcher Krankheiten und damit den Anstieg der Lebenserwartung74 waren die Assanierung der Städte, bessere Ernährung der Massen und allgemein die Erhöhung des Lebensstandards,75 eventuell auch die Ausdehnung der Krankenversicherung, welche die ökonomischen Folgen von Krankheit (Lohnausfall) abmilderte, weitaus wichtiger als kühne Operationen einzelner Chirurgen, die zwar in Einzelfällen Menschenleben retten konnten, an der allgemeinen Morbiditäts- und Mortalitätsstruktur jedoch nichts änderten. Zudem barg gerade die Erfolgsbilanz der modernen Chirurgie bei gleich­ zeitig ausbleibenden Fortschritten in der medikamentösen Behandlung die 135 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Gefahr einer »Chirurgisicrung der inneren Medizin«. Nur zu oft wurde die Lösung intern-medizinischer Aufgaben in einer »ins Kritiklose gesteiger­ ten . . . mechanisch-chirurgischen Behandlung« gesucht, wie weitsichtige Mediziner schon bald monierten. 76 Abschreckendes Beispiel für das Über­ handnehmen unnötiger chirurgischer Eingriffe sind operative Korrekturen von Lageveränderungen der Gebärmutter, die für eventuelle Beschwerden der Patientin in der Regel überhaupt nicht verantwortlich waren. 7 7 Die Weiterentwicklung der Operationstechnik, wie man ihre Erfolge im einzelnen auch beurteilen mag, hatte zum mindesten den Effekt, daß sich Fähigkeiten und praktisches Handeln des Arztes am Krankenbett zuneh­ mend deutlich abhoben von dem, was Laien für einen Kranken tun konnten. Neben der verfeinerten D iagnostik und den erweiterten Möglichkeiten für operative Eingriffe konnten die Ärzte auch zunehmend ihre Möglich­ keiten verbessern, Schmerzen auszuschalten oder zumindest zu lindern, wenn sie auch die Heilung von inneren Krankheiten meist der Natur über­ lassen mußten. D urch die Asepsis waren der intravenösen Injektion ihre Gefahren genommen und die Applikation schmerzbetäubender Spritzen erleichtert worden. D ie Anwendung stark wirkender Schmerzmittel, wie etwa des Morphiums, lag ohnehin fast ausschließlich in ärztlicher Hand; Laien kamen an solche hochgiftigen Substanzen nur schwer heran. Zudem wurde von der sich entwickelnden pharmazeutischen Industrie gerade in den 80er Jahren eine ganze Reihe von fiebersenkenden, schmerzstillenden und schlafmachenden Mitteln auf den Markt gebracht. 78 D ie den Möglich­ keiten von Laien überlegenen Möglichkeiten der Ärzte, Schmerzen zu lin­ dern, dürfen nicht unterschätzt werden und trugen gewiß zum Aufbau eines Kompetenz- und damit auch Autoritätsgefälles zwischen Arzt und Patient bei. Selbstverständlich waren die Auswirkungen medizinischer Fortschritte in den Feldern D iagnostik, Chirurgie und Schmerzlinderung auf das Arzt­ Patient-Verhältnis schichtenspezifisch höchst unterschiedlich. D er stärker wissenschaftliche Anstrich, den die ärztliche Tätigkeit dadurch erhielt, hat wahrscheinlich das Verhältnis des Arztes zu Patienten aus den Unterschich­ ten zunächst relativ wenig beeinflußt: hier spielten Herrschaftsmomente nach wie vor die erste Rolle; d. h. der Unterschichtpatient ging nicht des­ wegen zum approbierten Arzt, weil er diesen aufgrund rationaler Ver­ gleichskriterien für den fachlich kompetentesten hielt, sondern deshalb, weil er durch institutionelle Zwänge dazu angehalten wurde: sei es, daß er als eingeschriebener Armer an den städtischen Armenarzt verwiesen war, oder als Hospitalinsasse keine andere Wahl hatte oder als Mitglied einer Krankenkasse nur dann in den Genuß der Kassenleistungen kam, wenn er im Krankheitsfall den zuständigen Kassenarzt aufsuchte. Die gestiegene fachliche Kompetenz des Arztes dürfte seine Autorität am stärksten in der Schicht des gebildeten Bürgertums gesteigert haben, wo 136 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

diese Entwicklung noch unterstützt wurde durch die mit dem allgemeinen Aufschwung der Naturwissenschaften verbundene Wissenschaftsgläubig­ keit. Bevor näher auf diese schichtspezifisch unterschiedlich ausgeprägten Ver­ änderungen im Arzt-Patient-Verhältnis eingegangen wird, muß zunächst das zweite Faktorenbündel, das den Ärzten die Durchsetzung professionel­ ler Autorität ermöglichte, unter die Lupe genommen werden: die Expansion der Nachfrage nach den Dienstleistungen der akademischen Ärzte. b) Die Expansion des »Gesundheitsmarktes« Für die alten »gelehrten« Ärzte waren die Auswirkungen der mangelnden Leistungen, die ihre Wissenschaft den Patienten anbieten konnte, noch potenziert worden durch die soziale Exklusivität ihrer Klientel, nach deren Wünschen und Launen sie sich richten mußten. Zur Auflösung des im zweiten Kapitel als Patronage-System gekennzeichneten Verhältnisses des Arztes zum Patienten trug die Erweiterung der Nachfrage nach ärztlichen Dienstleistungen in zweierlei Hinsicht bei. Erstens veränderte sich dadurch die soziale Zusammensetzung der Klientel des durchschnittlichen Arztes: Der Fall, daß der Arzt im sozialen Status unterhalb seiner reichen und einflußreichen Patienten stand, wurde mehr und mehr zum untypischen Ausnahmefall. Zweitens wurde durch die Ausdehnung des Marktes die ökonomische Abhängigkeit des Arztes vom einzelnen Patienten abgebaut: Je mehr Patienten ein Arzt in seiner Praxis hatte, desto eher konnte er es verschmerzen, wenn einzelne Patienten nicht mit ihm zufrieden waren und ihm das Vertrauen aufkündigten. D aß die Patienten immer mehr wurden, daß im gesamten 19. Jahrhundert die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen in den mittleren und unteren Bevölkerungsschichten expandierte und es den Ärzten allmählich gelang, ihre enge Bindung an eine sozial exklusive Obcr­ schichtklientel zu lockern, ist die generelle Hypothese dieses Abschnitts. Sie läßt sich indes nicht durchgängig exakt mit Zahlen belegen, sondern nur anhand einer Reihe von Indizien plausibel machen. D enn schon zu Zeiten der Patronage-Beziehung fehlte die ärmere Bevölkerung nicht völlig in der ärztlichen Praxis. Außerdem gehörten stets auch die Angehörigen des gebildeten städtischen Mittelstands zu den Patienten der Ärzte.79 D ies ist eine Schicht, die zwar im 19. Jahrhundert schneller wuchs als die Gesamtbe­ völkerung, aber trotzdem insgesamt eine quantitativ marginale Gruppe blieb - ihr Anteil an den Erwerbstätigen lag auch zu Ende des 19. Jahrhun­ derts bei unter 2%. 80 Über ihren Anteil unter den Patienten der durch­ schnittlichen ärztlichen Praxis lassen sich keinerlei gesicherte Aussagen tref­ fen. Wahrscheinlich variierte die soziale Zusammensetzung der Klientel von Arzt zu Arzt sehr stark. Bei jungen Ärzten, die gerade erst in die Praxis eintraten, machte die ärmere Bevölkerung in der Regel einen größeren 137 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Anteil aus als bei arrivierten älteren Praktikern. D as gilt sowohl für die gelehrten Ärzte der Jahrhundertwende als auch erst recht für die neuen Allgemeinpraktiker. Sodann dürfte es von der Sozialstruktur der lokalen Bevölkerung abgehangen haben, wie sich die ärztliche Klientel zusammen­ setzte: In größeren Städten, besonders in den Residenzstädten, oder in Badeorten sah die durchschnittliche Praxis gewiß anders aus als in Mittel­ städten, in kleinen Marktflecken oder auf dem Lande. Leider sind nur sehr wenige detailliert geführte ärztliche Patientenjournale aus dem 19. Jahrhundert erhalten geblieben, die auch den Beruf der Patien­ ten angeben. D as Praxisjournal des Landarztes Heinrich Grotjahn von 1833 bis 1841 und das des jungen Arztes Gustav Heinrich Goedel aus dem Jahre 1862 weisen beide einen außerordentlich hohen Anteil der Patienten - j e ­ weils mehr als die Hälfte- als Arbeiter, Kleinbauern und Handwerker aus. 81 Solche singulären Befunde lassen sich jedoch nicht ohne weiteres verallge­ meinern, denn Grotjahns Praxis gehört zu den seinerzeit noch sehr seltenen Landarztpraxen, und bei Goedels Aufzeichnungen handelt es sich um das erste Jahr praktischer Berufstätigkeit unmittelbar nach der Niederlassung; in dieser Anfangsphase setzt sich die Klientel in der Regel sozial ganz anders zusammen als später. Eine weitere Schwäche solcher Praxisjournale ist, daß sie nur punktuell die Sozialstruktur der Patientenschaft eines einzelnen Arz­ tes wiedergeben, aber keine langfristigen Trends, etwa zur Ausdehnung der ärztlichen Praxis in mittlere und untere Schichten hinein, erfassen können. Die Tendenz zur spürbar stärkeren Inanspruchnahme der Ärzte durch die gesamte Bevölkerung läßt sich indes herauslesen aus Zahlenangaben über den Prozentsatz der ärztlich Behandelten unter den Verstorbenen, die zwar nicht für Preußen, jedoch für einige andere deutsche Staaten vorliegen. Im Großherzogtum Baden wurde seit 1852 registriert, wieviele der Ver­ storbenen sich vor ihrem Tode in ärztlicher Behandlung befunden hatten. Während dies 1852 erst bei 47,4% der Verstorbenen der Fall war, hatten 1863 immerhin schon 58,2% vor ihrem Tode ärztliche Hilfe gesucht.82 Aus anderen deutschen Staaten liegen ähnliche Zahlen vor. So starben in Würt­ temberg von 1846 bis 1856 45,3% der Kranken in ärztlicher Behandlung; in Bayern 1851/52 43,4% und zehn Jahre später, 1861/62, immerhin 52,1%, und in Kurhessen 1862 sogar 62,4%. 83 Vergleicht man diese Zahlen mit denen der im Stadt- und Landkreis Bonn 1820 Verstorbenen - hier hatten 61,6% vor ihrem Tode keinen Arzt gesehen -, 8 4 ist ein leichter Aufwärts­ trend unverkennbar. Dieser Trend setzte sich offensichtlich fort: 1909 waren in Baden 75,6% der Gestorbenen und 1913 77,7% ärztlich behandelt worden, in Bayern waren es - aufgrund der stärker agrarisch geprägten Struktur des Landes etwas weniger: 69,7% bzw. 71 %. 85 Bei diesen Globalzahlen sind jedoch erhebliche Stadt-Land-Unterschiede sowie altersspezifische Unterschiede zu berücksichtigen. Aus dem badi­ schen Landesdurchschnitt der Jahre 1856 bis 1863 von 55,6% ragen die 138 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

größeren Städte deutlich heraus: in Freiburg waren 86,6% der Gestorbenen in ärztlicher Behandlung gewesen, in Mannheim 91,1% und in Karslruhe 93,6%, 86 so daß man hier schon um die Jahrhundertmitte davon ausgehen kann, daß bei nahezu jedem Erwachsenen in Fällen akuter Lebensgefahr ein Arzt herbeigerufen wurde. Entsprechend geringer fiel natürlich die Zahl der ärztlich Behandelten in den Landkreisen aus. Ebenso eklatant waren die altersspezifischen Unterschiede: Noch 1913 konsultierten im Deutschen Reich nur 45 von 100 Eltern gestorbener Säug­ linge einen Arzt vor dem Tode des Kindes. In allen anderen Altersklassen dagegen lag der Prozentsatz der ärztlich Behandelten an den Verstorbenen bei über 80%, in der Altersgruppe der 25—35jährigen und der 35—50jährigen sogar nahe 90%. Erst bei den über 70jährigen hatten wieder nur 67,6% vor ihrem Tode einen Arzt gesehen.87 Natürlich sind in all diesen Zahlen auch jene gewiß zahlreichen Fälle einbegriffen, in denen der Arzt den Patienten erst kurz vor dessen Ableben sah, in denen es für jede Hilfe zu spät war und man von ärztlicher »Behand­ lung« im Grunde genommen nicht sprechen kann.88 Es wäre daher voreilig, aufgrund der Häufigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe bei zum Tode führenden Krankheiten schon von weitgehender Medikalisierung der Be­ völkerung zu sprechen. D er Begriff der »Medikalisierung«89 umfaßt mehr als nur die Ausdehnung des Marktes für ärztliche D ienstleistungen durch einmalige oder sporadische Kontakte eines Großteils der Bevölkerung mit dem approbierten Mediziner. Vielmehr impliziert er einen weitreichenden mentalitätsmäßigen Wandel: Für den »Alltagsmenschen« wird es zuneh­ mend selbstverständlich, im Krankheitsfall den kranken Körper ärztlicher Kontrolle zu unterstellen und sich nach den Anweisungen des Experten »Arzt« zur Wiederherstellung seiner Gesundheit zu richten. D amit ist ein Kompetenzverlust des Patienten verbunden, eine zunehmende Unfähigkeit, mit Gesundheitseinbußen selbst fertig zu werden, und ein wachsendes men­ tales Angewiesensein auf den Beistand eines »Experten«. Während schon um die Jahrhundertmitte bei lebensgefährlichen Erkran­ kungen die Angehörigen des Kranken, wenn es sich nicht gerade um einen Säugling handelte, zumindest in den Städten in der Regel einen approbierten Mediziner kommen ließen, sah das Krankheitsverhalten bei nicht akut le­ bensbedrohenden Krankheiten wahrscheinlich ganz anders aus. Das gilt besonders für die ländliche Bevölkerung, wie aus einem Bericht des Kreisphysikus des Kreises Cloppenburg, einem zu dieser Zeit noch rein agrarisch strukturierten Gebiet, hervorgeht. D er Physikus schrieb 1856 an den Marburger Medizinprofessor Beneke, der die praktischen Ärzte zu tätiger Mitarbeit an einer allgemeinen Morbiditätsstatistik aufgerufen hatte, daß es kaum möglich sei, einen Überblick über die Krankheitsverhältnisse zu bekommen, denn: »Kaum ein Fünftel aller Kranken mag im Kreise Cloppenburg in ärztliche Behandlung kommen; Volksmedizin und Quack­ salber haben dagegen einen um so größeren Spielraum, und kranke Kinder 139 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

und alte Leute werden gewöhnlich ganz der Natur überlassen. Etwa 150 Kinder starben vor zwei Jahren im hiesigen Amte (11 100 Einwohner) an Scharlach, und wenige mögen ganz verschont geblieben sein, trotzdem kamen vielleicht bloß 15 in meine Behandlung, ebenso viele andere erhielten auf mündliches Referat der Eltern usw. ein Rezept mit den nötigen Verhal­ tungsmaßregeln, und selten erfuhr ich, welchen Verlauf die Krankheit ge­ nommen. Die hiesigen Landleute sind eines Teils ungebildet und sehr häufig zu unbemittelt, um die Kurkosten erschwingen zu können; andererseits aber sind sie eingefleischte Skeptiker und fühlen es in den meisten Fällen ganz richtig heraus, wenn der Arzt mit seiner Medizin wenig auszurichten ver­ mag. Sie sparen deshalb ihr Geld, und sehen dem Tode mit großer Kaltblü­ tigkeit entgegen. «90 Die gravierenden Stadt-Land-Unterschiede in der Medikahsierung der Bevölkerung sind zum einen auf Faktoren wie die in Stadt und Land höchst unterschiedliche Ärztedichte, die mangelnde Kaufkraft der Masse der Land­ bewohner und traditional verwurzeltes Gesundheitsverhaltcn zurückzufüh­ ren; zum anderen hängen sie auch damit zusammen, daß staatliche, die Medikalisierung gerade der Unterschichten vorantreibende Maßnahmen zunächst nahezu ausschließlich in den Städten ansetzten. D as gilt vom Ausbau der Armenkrankenpflcge ebenso wie von der Vermehrung der Krankenanstalten wie auch seit der Jahrhundertmitte der Förderung der Krankenversicherung von Handwerksgesellen und Fabrikarbeitern. Bei der Besprechung dieser staatlichen Aktivitäten sind zwei Aspekte wichtig: zum eiinen der Beitrag, den sie zur Expansion der Nachfrage nach den Diensten der approbierten Ärzte leisteten; zum anderen der spezifische Charakter des Arzt-Patient-Verhältnisses, das sie ermöglichten. Sowohl im Hospital als auch in der städtischen Armenkrankenpflege sowie in der Funktion eines Kassenarztes standen dem Arzt Zwangsmittel zur Verfü­ gung, die es ihm erlaubten, Autorität zu entfalten und seinen Anordnungen Gehorsam zu sichern. Hier hatte er Möglichkeiten, die ihm in der freien Praxis, in der er ständig mit der Widersetzlichkeit seiner Patienten zu kämp­ fen hatte, weitgehend fehlten. Wenn auch in den Krankenhäusern des späten 18. und frühen 19. Jahrhun­ derts wahrscheinlich noch nicht in dem Grade wie hundert Jahre später, waren die Hospitalinsassen doch tendenziell umfassender ärztlicher Kon­ trolle ausgeliefert: D adurch daß sie von ihrer gewohnten Umgebung und ihren Angehörigen getrennt waren - bzw. keine Angehörigen hatten, denn ins Hospital wurden gewöhnlich nur solche Patienten eingeliefert, für die häusliche Pflege nicht möglich war, weil sie alleinstanden -, konnten die Ärzte zumindest teilweise die Anwendung von Kurverfahren, zu denen Nachbarn, Verwandte oder andere Laienheiler rieten, unterbinden. Außer­ dem konnten sie den relativ wehrlosen Krankenhauspatienten Medikamente applizieren und an ihnen Eingriffe vornehmen, die nur durch den Zwangs­ charakter des Arzt-Patient-Verhältnisses ermöglicht wurden. D er schon 140 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

mehrfach zitierte Arzt Ploucquet sah 1797 genau darin »den großen Unter­ schied zwischen der Hospital- und Privat-Praxis; dort kann (der Arzt) befeh­ len, kann durch militärische und andere Gewalt sich Gehorsam verschaffen, hier nicht«.91 D ie Möglichkeiten direkter Zwangsausübung im Hospital vermehrten sich für die Ärzte sowohl durch den Funktionswandel dieser Anstalten als auch durch ihren quantitativen Ausbau. Während des 18. Jahr­ hunderts hatte das öffentliche Krankenhaus noch in erster Linie Hospital­ funktion, d. h. es war eine letzte Zufluchtsstätte für alte und sieche Arme, die darin nicht ihre Gesundheit wiedererlangen, sondern bis zu ihrem Tode verpflegt werden sollten. Von einem Arzt-Patient-Verhältnis kann im Grunde genommen in diesen Anstalten noch keine Rede sein, denn die Kranken wurden nur höchst selten und unregelmäßig von Ärzten besucht. In der Charite vergingen oft Wochen, bevor ein Arzt einen Krankensaal betrat.92 D ieser Zustand änderte sich allmählich, als seit dem Ende des 18. Jahrhunderts die Ärzte ihr Interesse immer stärker den Krankenanstalten zuwandten und sie zum Ort der klinischen Erfahrung und der Weiterent­ wicklung der medizinischen Wissenschaft machten. D iese neue Funktion des Krankenhauses war naturgemäß besonders in den seit den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts entstehenden Universitätskliniken ausgeprägt, die sich als reine Heil- und Behandlungsstätten zu Lehr- und Unterrichtszwecken verstanden. In den meisten allgemeinen Krankenhäusern blieb dagegen während des 19. Jahrhunderts eine Aufnahmepraxis typisch, für die soziale Merkmale des Aufzunehmenden - etwa die Frage, ob er alleinstehend war und sich nicht selber versorgen konnte - vor der Art und Schwere der Krankheit den Vorrang hatten. Gleichzeitig aber setzten sich viele neugegründete Kranken­ häuser von den Funktionen der Altersversorgung, wie sie das Hospital alten Typs gekennzeichnet hatten, deutlich ab und stellten die Aufgabe der Kran­ kenheilung in den Mittelpunkt ihres Wirkens.93 Folgerichtig hatten in den Krankenhäusern neuen Typs die Ärzte eine viel wichtigere Stellung inne als in den alten Hospitälern; ihre Zahl vermehrte sich, und das oben skizzierte Arzt-Patient-Verhältnis, in dem der Arzt unumschränkte Herrschafts- und Kontrollbefugnisse ausübte, konnte sich allmählich herausbilden. Gleichzeitig errichteten immer mehr städtische Kommunen öffentliche Krankenanstalten. D eren Zahl verdoppelte sich in Preußen von 155 im Jahre 1822 auf 336 gut zweiJahrzehnte später (1843) und steigerte sich dann weiter auf 567 im Jahre 1852.94 Zu diesem Zeitpunkt wurden immerhin gut 140000 Kranke innerhalb eines Jahres im Krankenhaus verpflegt. Ähnlich war es in der städtischen Armenkrankenpflege. Auch hier wur­ den sowohl durch die Neuorganisation des Armenwesens in den meisten deutschen Städten im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert die Stel­ lung des Armenarztes gestärkt als auch die armenärztliche Tätigkeit quanti­ tativ ausgebaut. D ie Reformversuche95 zielten in erster Linie darauf ab, durch Festlegung verbindlicher Grundsätze und Bedingungen der Unter141 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Stützungsbedürftigkeit den Kreis der »Etatsarmen«, die ganz oder überwie­ gend von öffentlichen Almosen lebten, so klein wie möglich zu halten. Solange ein Armer aus eigener Kraft zu seinem Lebensunterhalt beitragen konnte, durfte ihm höchstens ein Zusatzalmosen zu dem, was er selbst aufbringen konnte, gewährt werden. D as Maß an finanzieller Unterstüt­ zung richtete sich daher entscheidend nach dem Gesundheitszustand des Armen und seiner davon abhängenden Arbeitsfähigkeit. Um überhaupt eine Unterstützung erhalten zu können, mußte sich ein Armer, der sich bei der Armenverwaltung meldete, zunächst vom Armen­ arzt gründlich auf seinen Gesundheitszustand untersuchen lassen. D er Ar­ menarzt entschied darüber, welche Art von Arbeit dem Armen noch zuge­ mutet werden könnte; danach bemaß sich die Höhe der finanziellen Unter­ stützung. D aneben hatten die kommunalen Armenärzte die Aufgabe, sich um die kranken Armen zu kümmern, wobei ihnen weitgehende disziplinie­ rende Befugnisse eingeräumt waren, um von den Kranken unbedingten Gehorsam zu erzwingen. Wie weit die städtische Administration in ihrem Bemühen, den Ärzten bei ihrer Tätigkeit den Rücken zu stärken, die kran­ ken Armen zu rechtlosen Befehlsempfängern degradierte, geht deutlich aus einem Passus der 1788 erlassenen Hamburger Instruktion für die Armen­ pfleger hervor. D ort hieß es unter § 59: »Wenn sich der Kranke gegen seinen Arzt oder Wundarzt unfolgsam, widerspenstig oder unbescheiden beträgt, so zeigt der Arzt dieses dem Pfleger an, der alsdann . . . sein ganzes Ansehen anwendet, um den Kran­ ken und dessen Angehörige zur nöthigen Folgsamkeit zurückzubringen. Hierbei ist es in allen Fällen, auch selbst da, wo der Kranke einiges Recht zur Beschwerde zu haben scheint, durchaus nothwendig, den Kranken zu blin­ der Folgsamkeit anzuhalten, weil diese für ihn immer das beste ist, und jede Billigung seiner Beschwerde ihn nur noch trotziger macht, die so unent­ behrliche Autorität des Arztes und Wundarztes bei dem Kranken stört, und das Zutrauen zu denselben noch mehr vermindert. «96 Die Ausweitung der Aufgaben des Armenarztes im Zuge der städtischen Armenreformen an der Wende zum 19. Jahrhundert machte auch eine be­ trächtliche Vermehrung der Zahl der Armenärzte erforderlich. Hatten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in der Regel nur die größeren Kommunen sich einen besonderen Armenarzt geleistet, während in den kleinen Städten die Versorgung der Armenkranken mit zu den Amtsobliegenheiten des Stadtphysikus gehörte,97 wurden seit Beginn des 19. Jahrhunderts in immer mehr Städten des preußischen Staates, teilweise auf Drängen des Ministe­ riums für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten und der Bezirksregierungen,98 spezielle Armenärzte eingestellt. Weiter zeigt sich die erhöhte Bedeutung des Arztes in der Armenkranken­ pflege daran, daß die Position des Armenarztes, die zu Ende des 18. Jahr­ hunderts von Ärzten noch vielfach ehrenamtlich übernommen wurde, 99 generell in ein besoldetes Amt umgewandelt wurde. Wenn die Remunera142 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

tion als Armenarzt gemeinhin auch so niedrig bemessen war, daß der Arzt daneben auf ein Einkommen aus der privaten Praxis angewiesen blieb, so spielten doch neben dem Wunsch, ausreichend Patienten zur Erlangung praktischer Routine zu erhalten, nunmehr häufig auch finanzielle Anreize eine Rolle für den Arzt, der sich um eine Stelle als städtischer Armenarzt bewarb. Das vermehrte Gewicht der Ärzte in der städtischen Armenkrankenpflege und im Hospitalwesen und der quantitative Ausbau beider Bereiche hatten zur Folge, daß ein immer größerer Personenkreis mit dem offiziellen Medi­ zinalwesen und seinen Vertretern, den akademisch gebildeten staatlich ap­ probierten Ärzten in Berührung kam. Diese Medikalisierung eines Teils der Bevölkerung hatte nicht nur die Funktion, die Betroffenen einer geregelten medizinischen Betreuung entgegenzuführen, sondern diente gleichzeitig, wie sich am Beispiel der Armenkrankenpflege aufweisen läßt, auch der Sozialdisziplinierung. Neben seiner schon erwähnten Aufgabe, die sich meldenden Armen auf ihre Arbeitsfähigkeit zu untersuchen und »Simulan­ ten« zu entlarven, oblag es dem Armenarzt, etwaige Fälle von »Verwahrlo­ sung jeglicher Art«, die er bei den Kindern von Armen feststellte, zur Anzeige zu bringen, 100 sowie den hygienischen Zustand der Wohnungen zu kontrollieren und gegebenenfalls »das Weitere bei der Polizeibehörde zu veranlassen«.101 Diese enge Verbindung mit der Polizei und der städtischen Obrigkeit war es wahrscheinlich vor allem, die ein ersprießliches Verhältnis zwischen dem Armenarzt und seinen Patienten, den Armenkranken, verhinderte oder doch sehr erschwerte. Jedenfalls lassen sich die Quellen der ersten Jahrhun­ derthälfte dahingehend zusammenfassen, daß die Beziehungen zwischen Armenärzten und Armenkranken »beklagenswert schlecht« waren. 102 Das hat seinen Grund auch darin, daß sich den Ärzten in der städtischen Armen­ arztpraxis eine ganz neue Welt eröffnete, die von ihren eigenen Lebensum­ ständen, Werthaltungen und Gewohnheiten so total verschieden war, daß viele darauf nur mit Abscheu und Unverständnis reagieren konnten.103 Gleichzeitig jedoch führte die armenärztliche Tätigkeit manchen Armenarzt zu der Einsicht, daß das Schicksal der Armen größtenteils auf gesellschaftli­ che Mißstände zurückzuführen war. Nicht selten resultierten aus dem An­ blick des Elends, mit dem der Armenarzt tagtäglich konfrontiert war, sozialreformerische Forderungen und soziales Engagement von Ärzten. Unabhängig von ihrer politischen und sozialen Einstellung haben zudem Armenärzte zweifellos in vielen Fällen unter ihren Armenpatienten Schmer­ zen gelindert, durch hygienische Ratschläge Krankheitsrisiken gedämpft, durch Verschreiben von Stärkungsmitteln und Medikamenten die Rekonva­ leszenz von Armenkranken beschleunigt. Seit der Jahrhundertmitte traten außer der Armenkrankenpflege und den Krankenanstalten immer stärker kommunale Krankenkassen als Instrument zur Medikalisierung der Bevölkerung hervor. Die Allgemeine Gewerbeord143 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

nung von 1845 hatte das Existenzrecht der aus der älteren genossenschaftli­ chen Verfassung der Gewerbe überkommenen Unterstützungskassen der Handwerksgesellen und Gehilfen bestätigt und den Gemeinden das Recht eingeräumt, die am Ort beschäftigten Gesellen zum Beitritt in eine Unter­ stützungskasse zu verpflichten. Von diesem Recht aber scheinen die Ge­ meinden zunächst kaum Gebrauch gemacht zu haben.104 Erst nach dem Gesetz vom 3. April 1854, das die Bezirksregierungen ermächtigte, den Kassenzwang dort einzuführen, wo die Gemeinden das trotz eines vorhan­ denen Bedürfnisses nicht taten, nahmen die Kassengründungen rascher zu: Ende 1860 bestanden 2219 Kassen für Handwerker mit 157664 Mitgliedern und 779 Kassen für Fabrikarbeiter mit 170847 Mitgliedern.105 Bis 1874 wuchs die Mitgliederzahl gewerblicher Unterstützungskassen weiter auf 714877, wovon weit mehr als die Hälfte (420191) Fabrikarbeiter waren. 106 Rechnet man noch die Fabrikarbeiterkassen in den neuen Provinzen dazu,107 so waren von den 1 272886 Arbeitern in Betrieben mit mehr als fünf Arbei­ tern, die die Gewerbliche Betriebszählung für 1875 ausweist, immerhin gut ein D rittel, nämlich 35,8% in einer Fabrikarbeiter-Krankenkasse versi­ chert. 108 Das Gros der unter staatlicher Aufsicht stehenden Unterstützungskassen gewährte den Mitgliedern im Krankheitsfall neben dem Krankengeld freien Arzt und freie Arznei: Dies war bei knapp 80% der Versicherten der Fall.109 Für die Ärzteschaft bedeutete das, daß ihr Tätigkeitsbereich in Bevölke­ rungsschichten hinein ausgedehnt wurde, die ihre Hilfe früher, wenn über­ haupt, nur höchst sporadisch in Anspruch genommen hatten. Ähnlich wie in der Armenkrankenpflege war dem Arzt in den Kassenstatuten eine strate­ gisch zentrale Position zugewiesen. Die kranken Arbeiter mußten vom Arzt ihre Erwerbsunfähigkeit bescheinigt bekommen, bevor sie zum Bezug von Krankengeld berechtigt waren; sie mußten sich in regelmäßigen Abständen wieder beim Arzt vorstellen; und sie hatten allen ärztlichen Anordnungen unbedingt Folge zu leisten. In den seit der Jahrhundertmitte entstehenden Kassen begann daher allmählich die professionelle Krankenkontrolle durch die Ärzte, anstelle der lediglich durch die Mitglieder ausgeübten Kontrolle, wie sie die älteren Handwerkerkassen und auch die Freien Hilfskassen kenn­ zeichnete. Wie weit die Kontrollbefugnisse der Ärzte gingen, verdeutlicht ein Passus aus dem Statut des 1846 als Dachverband der einzelnen Kranken­ kassen gegründeten Berliner Gewerks-Kranken-Vereins: »Gestattet der Arzt dem Kranken das Ausgehen, so erhält dieser eine Marke, auf welcher womöglich die Tagesstunden, an welchen das Ausgehen erlaubt worden, verzeichnet sind.« 110 D urch die Androhung teilweise drakonischer Ord­ nungsstrafen für diejenigen Kassenmitglieder, die den ärztlichen Anordnun­ gen zuwiderhandelten oder die »simulierten«, also Krankengeld durch Vor­ täuschung einer Erkrankung erschlichen (was wiederum nur vom Arzt festgestellt werden konnte), wurde die Autorität des Kassenarztes abgesi­ chert.111 144 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Wie die städtischen Armen in der Armenpraxis waren die versicherten Arbeiter mithin durch übergeordneten Zwang an den Arzt gebunden. Für das Verhältnis von bürgerlichen Ärzten und Arbeitern waren nicht Freiwil­ ligkeit und Vertrauen des Patienten auf die ärztliche Leistung kennzeich­ nend, sondern bestenfalls gegenseitige Fremdheit, die in der sozialen Distanz und der totalen Verschiedenheit der Lebensweise, Anschauungen und Werte beider Gruppen wurzelte. Vielfach aber herrschten auf Seiten der Arbeiter auch tiefe Skepsis und offenes Mißtrauen dem Arzt gegenüber, der, gerade in den Fabrikkrankenkassen, seine Aufgabe nicht so sehr in der Hilfeleistung für den kranken Arbeiter sah, als vielmehr in der Vertretung der Interessen des Unternehmers, dem er in Herkunft, Lebensweise und bürgerlichen Wertvorstellungen sehr viel näher stand.112 Nichtsdestoweniger bedeutete die Ausdehnung des Versicherungsprinzips seit der Jahrhundertmitte, daß ein erheblicher und ständig wachsender Teil der Bevölkerung an einen rationalen Umgang mit dem Phänomen Krankheit gewöhnt wurde. Waren früher Krankheiten mit der Gewalt von Naturkatastrophen in das Alltagsle­ ben von Arbeitern eingebrochen, wurde ihnen jetzt durch die Existenz genauer Regeln, wie man sich im Krankheitsfall zu verhalten habe, einiges von ihrem bedrohlichen Charakter genommen. Langfristig wurde dadurch die vorher extrem hohe Krankheitsschwelle der Unterschichten gesenkt und bewirkt, daß die versicherten Arbeiter den Arzt mehr und mehr als Anlauf­ stelle in allen Krankheitsfällen sahen und damit als professionellen Experten akzeptierten. Berichte verschiedener Krankenkassen zeigen, daß versicherte Arbeiter den Arzt nicht mehr lediglich in schwereren Krankheitsfällen auf­ suchten, um sich von ihm ihre Erwerbsunfähigkeit bescheinigen zu lassen, sondern auch bei leichten Erkrankungen, die nicht mit Arbeitseinstellung verbunden waren, ärztlichen Rat nachfragten. Diese Tendenzen verstärkten sich offenbar seit dem Inkrafttreten der Gesetzlichen Krankenversicherung im Jahre 1883. Jedenfalls kamen um die Jahrhundertwende bei den meisten größeren Krankenkassen schon zwei Krankheitsfälle, die nicht mit Arbeitsunfähigkeit verbunden waren, auf einen Fall, in dem der Kranke gleichzeitig arbeitsunfähig war. Entsprechend glaubten sowohl Ärzte als auch Sozialpolitiker seit den 90er Jahren immer öfter feststellen zu können, daß die versicherte Bevölkerung im D urch­ schnitt einen Arzt viel häufiger in Anspruch nehme, als die nicht-versicherte traditionelle Privatklientel.113 Der Zwangscharakter des Arzt-Patient-Verhältnisses in den Krankenkas­ sen scheint also keineswegs verhindert zu haben, daß die Ärzte auch in den Augen ihrer Unterschichtpatienten allmählich in die Rolle von Experten in Fragen von Gesundheit und Krankheit hineinwuchsen. Gleichzeitig unter­ schied sich das Verhältnis eines Kassenkranken zu seinem Kassenarzt von dem eines Armenkranken zum Armenarzt fundamental dadurch, daß der Kassenpatient durch seine Mitgliedschaft in einer Kasse und durch die damit verbundene regelmäßige Zahlung von Beiträgen einen Rechtsanspruch auf 145 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

medizinische Betreuung erwarb. Er befand sich keineswegs in der gleichen diskriminierenden Lage wie ein städtischer Armer, der dem kommunalen Armenarzt ausgeliefert war, oder wie ein nicht-versicherter Arbeiter, der mehr oder weniger zahlungsunfähig und darauf angewiesen war, daß der Arzt seine Behandlung aus Gefälligkeit übernahm. D aß der Patient dem Arzt nicht mehr ausschließlich direkt gegenübertrat, sondern mit einer mächtigen Organisation im Rücken, verwandelte das Arzt-Patient-Verhält­ nis in den Krankenkassen in ein Dreiecksverhältnis Arzt-Kasse-Patient. Auf die Spezifika dieser Beziehung sowie auf die Ressentiments, die viele Ärzte dagegen hegten, wird im Kapitel »Kassenarztfrage« eingegangen. Gleichzeitig begann mit der Verallgemeinerung der obligatorischen Kran­ kenversicherung durch das Krankenversicherungsgesetz (KVG) von 1883 eine gewaltige Zunahme der Versicherten, die mit dem Wachstum der Versicherung in den Jahrzehnten davor größenmäßig überhaupt nicht ver­ gleichbar ist. Teils als Folge der voranschreitenden Industrialisierung, teils der Novellen zum KVG, die neue Bevölkerungsgruppen in die Versiche­ rung einbezogen, wurde ein ständig wachsender Teil der Gesamtbevölke­ rung der Versicherungspflicht unterworfen. Mit dem Inkrafttreten der Reichsversicherungsordnung (R.V O.) am 1. Januar 1914 gehörten den Gesetzlichen Krankenkassen rund 15,6 Mio. Mitglieder an. Rechnet man noch die Mitglieder der Knappschaftskassen, der Beamtenkassen und vor allem die wenigstens teilweise mitversicherten Familienangehörigen der Mitglieder dazu, kann man davon ausgehen, daß bis zum Ersten Weltkrieg rund die Hälfte der Bevölkerung gegen Krankheit versichert und damit in der Regel im Krankheitsfall an den approbierten Arzt verwiesen war. 114 Die Ausdehnung des Versichertenkreises sowie auch die vermehrte Inan­ spruchnahme des Arztes durch die versicherte Bevölkerung bewirkten eine bislang nicht gekannte Erweiterung der Nachfrage nach medizinischen Lei­ stungen, die ihr Pendant in der Steigerung des Angebots durch die seit den 80er Jahren rasch wachsenden Ärztezahlen fand. Bevor an dieser Stelle jedoch auf die Entwicklung der Ärztezahl, insbe­ sondere der regional und lokal stark unterschiedlichen Ärztedichte einge­ gangen wird, ist zunächst grundsätzlich auf die Funktion und vor allem die Grenzen einer solchen Analyse hinzuweisen. Sie kann zwar eine Reihe von Aufschlüssen über die Angebotsseite auf dem Markt für medizinische Dienstleistungen liefern, erlaubt aber für sich genommen keine Aussagen darüber, ob auf diesem Markt ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage herrschte oder nicht. Das Angebot an ärztlichen D ienstleistungen ist außerdem nicht aus­ schließlich von der Ärztedichte abhängig, sondern zusätzlich von weiteren, schwer wägbaren Momenten. So wurde die vom Vormärz bis zu den 80er Jahren leicht rückläufige Ärztedichte in ihren Auswirkungen auf das Niveau der medizinischen Versorgung zumindest teilweise durch eine Reihe anderer Faktoren kompensiert: D azu gehörten sowohl die Verbesserung der Trans146 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

portwege und Kommunikationsmöglichkeiten als auch die zunehmende Urbanisierung, sowie schließlich die langsame Einbürgerung der Sprech­ stundenpraxis. Alle diese Faktoren trugen dazu bei, die ärztliche Tätigkeit effizienter zu gestalten: Hatte der durchschnittliche Praktiker in der ersten Jahrhunderthälfte einen erheblichen Anteil seiner Zeit für Fahrten zum Patienten aufgewendet, konnte er sich jetzt mehr und mehr auf ärztliche Aufgaben im engeren Sinne, auf die konkrete Behandlung und Versorgung der sich ihm anvertrauenden Kranken konzentrieren. Selbst wenn die seit der Jahrhundertmitte sich verschlechternde Relation von Ärzten zu Einwohnern auf ein abnehmendes Gesamtangebot an ärztli­ chen D ienstleistungen hinweisen würde, könnte man daraus noch keines­ wegs direkt auf den Stand der Medikalisierung der Bevölkerung zurück­ schließen. D ie Beziehungen zwischen Ärztedichte und Medikalisierung sind von zu vermittelter Natur, als daß erstere mehr als einen ganz groben Indikator für letztere abgeben könnte. So ist zwar evident, daß das Ange­ bot an Ärzten der Nachfrage nach deren D iensten Grenzen setzte: Bei der geringen Ärztezahl des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts war eine durchgehende Medikalisierung der Bevölkerung überhaupt nicht möglich, vielmehr illusionärer Wunschtraum einzelner Medizinalpolitiker. Ebenso evident ist, daß bei den relativ stagnierenden Ärztezahlen im zweiten D rit­ tel des 19. Jahrhunderts die Medikalisierung der Bevölkerung höchstens langsame Fortschritte machen konnte, daß der eigentliche Durchbruch erst seit den 80er Jahren kommen konnte, als das Angebot an Ärzten rasch wuchs. Aber das Angebot an und die Nachfrage nach ärztlichen D ienstleistun­ gen müssen keineswegs immer parallel verlaufen, sondern können bis zu einem gewissen Grade auch auseinandertreten. D ie seit der Jahrhundert­ mitte rückläufige Ärztedichte hatte hauptsächlich den Effekt, daß die von den Ärzten im Vormärz häufig beklagte Überfüllung ihres Berufsstandes und die daraus resultierende Unterbeschäftigung vieler Ärzte einer günsti­ geren Arbeitsmarktlage Platz machten: Aufgrund des Bevölkerungswachs­ tums bei relativ stagnierenden Ärztezahlen und aufgrund der stetig voran­ schreitenden Medikalisierung war die große Mehrzahl der Ärzte in den 70er Jahren besser ausgelastet und in ihren Verdienstchancen weniger von einer kleinen exklusiven Klientel abhängig als etwa im Vormärz. D ement­ sprechend finden sich in dieser Zeit auch wesentlich weniger Klagen, daß es zuviele Ärzte gebe, die sich gegenseitig die Patienten wegnähmen. Wenn man also auch nicht aufgrund der Zahl der Ärzte ohne weiteres den Stand der Medikalisierung einer Bevölkerung beurteilen kann, so kann eine genauere Analyse der Ärztedichte doch ein anschauliches Bild von der das ganze 19. Jahrhundert hindurch bestehenden Ungleichheit der medizi­ nischen Versorgung nach dem Wohnort des Betroffenen - von den sozial ungleich verteilten Chancen einmal ganz abgesehen - liefern. Insbesondere kann eine solche Analyse die schon verschiedentlich hervorgehobenen 147 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

krassen Stadt-Land-Unterschiede im Niveau der medizinischen Versorgung nochmals bestätigen. Um die Jahrhundertmitte lebten von den 16 Mio. Einwohnern des preußischen Staates noch immer 73% auf dem Lande und nur 27% in den Städten. Von den 3746 akademischen Ärzten einschließlich der zur medizini­ schen Praxis berechtigten Wundärzte I. Klasse praktizierten dagegen nur 11,5% auf dem Lande und 88,5% in den Städten.115 D amit kam auf 1304 Stadtbewohner und erst auf 27234 Landbewohner jeweils ein akademischer Arzt. D ieses krasse Mißverhältnis aber wird etwas gemildert, wenn man berücksichtigt, daß in Kleinstädten praktizierende Ärzte wahrscheinlich zu einem gewissen Teil die umliegenden ländlichen Ortschaften mitversorgten. So lebten im Regierungsbezirk Minden 1850 92,3% der Einwohner auf dem Lande und in kleinen Städten bis zu 5000 Einwohnern. Hier residierten aber immerhin auch 68,8% der promovierten Ärzte, während in Städten mit über 5000 Einwohnern 7,7% der Bevölkerung und 31,3% der Ärzte lebten. In den größeren Städten kam ein Arzt auf 1128 Bewohner, in den kleinen Städten und auf dem Lande zusammen einer auf 6134 Einwohner.116 Aus dem Stadt-Land-Untcrschicd in der medizinischen Versorgung er­ klärt sich zum großen Teil auch das deutliche Ost-West-Gefälle innerhalb des preußischen Staates: die östlichen Provinzen waren, weil sie vergleichsweise stärker ländlich strukturiert waren, mit Ärzten wesentlich schlechter ver­ sorgt als die westlichen Provinzen. 1849 lebten in der Provinz Preußen 363 akademische Ärzte (einschließlich der zur medizinischen Praxis berechtigten Wundärzte I. Klasse und der zur Zivilpraxis berechtigten Militärärzte), de­ nen die Versorgung von 2460569 Einwohnern oblag; in der Rheinprovinz dagegen waren es bei nur unwesentlich mehr Einwohnern - 2 760 912 - mehr als doppelt so viele, nämlich 743 Ärzte. Damit war in Preußen das Verhältnis Ärzte zu Einwohner gleich 1:6778, in der Rheinprovinz gleich 1:3716.117 Noch dramatischer fällt die Benachteiligung der östlichen Agrarregionen aus, wenn man den mit akademischen Ärzten am schlechtesten versorgten Regierungsbezirk, Gumbinnen, mit dem am besten versorgten, Köln, ver­ gleicht: im ersteren kam 1849 1 Arzt auf 11121 Einwohner, im letzteren einer auf 2531 Einwohner.118 Auch wenn man von der unterschiedlichen Qualifikationsstruktur der Ärzte absieht und sämtliche approbierte Medizi­ nalpersonen, auch die Wundärzte I. und II. Klasse, mit in die Berechnung einbezieht, erscheint die D ifferenz kaum weniger kraß. D ann betrug die Einwohner-Arzt-Relation im Regierungsbezirk Gumbinnen immer noch 1:7842, im Regierungsbezirk Köln 1:1708.119 Betrachtet man die Entwicklung der Ärztezahlen im zeitlichen Längs­ schnitt, zeigt sich bei den promovierten Ärzten nach einem relativ raschen Wachstum im Vormärz eine wesentlich abgeschwächte Zunahme in den Jahrzehnten nach der Jahrhundertmitte, die aber das mittlere Bevölkerungs­ wachstum immer noch übertraf (Tab. 11). 148 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Tab. 11: Entwicklung der Ärztedichte in Preußen (alte Provinzen) 1828—1887 Jahr

prom. Arzte

Ärzte insges.

1828 1837 1842 1849 1861 1867 1876 1887

1986 2456 2941 3518 4494 4936 6134 7306

4423 4736 5140 5558 6024 6128 6253 7317

Es kamen a u f . . . Einwohner 1 prom. Arzt 1 Arzt überhaupt 6408 5740 5236 4628 4111 3983 3453 3203

2877 2977 2996 2930 3067 3209 3388 3198

Quellen: Für 1828, 1837 und 1842: Spanholz, S. 64; Bevölkerungszahlen, nach denen die Ärztedichte errechnet wurde, ebd., S. 66f. (Für 1842 Einwohnerzahl geschätzt auf 15,4 Mio., da Sponholz nur für 1840 und 1843 Angaben macht.) Für 1849 und 1861: Mittheilungen über die Zahl der Ärzte u. Apotheken in den einzelnen Regierungsbezirken des preußischen Staates, verglichen mit den entspre­ chenden Zahlen des Jahres 1849, in: Zs. des kgl. preuß. stat. Bureaus, Bd. 3, 1863, S. 235. Für 1867: Statistik des ärztlichen Personals u. der Apotheken in den einzelnen Regierungsbezirken des preußischen Staats am Schluß des Jahres 1867 u. erläuternde Bemerkungen hierzu, in: Zs. des kgl. preuß. stat. Bureaus, Bd. 10, 1870, S. 132f. Für 1876: D ie Ärzte u. das medizinische Hülfspersonal, die Apotheken u. die Heilanstalten sowie die wissenschaftlichen medizinischen u. pharmazeutischen Ver­ eine im Deutschen Reiche nach dem Bestände vom 1. April 1876, in: Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reichs für das Jahr 1877, hg. vom Kaiserl. Stat. Amt, Berlin 1877, S. 22. Für 1887: Die Verbreitung des Heilpersonals, der pharmazeutischen Anstalten u. des pharmazeutischen Personals im D eutschen Reiche. Nach den amtlichen Erhe­ bungen vom 1. April 1887 bearb. im kaiserl. Gesundheitsamte, Berlin 1889, S. 2, 5f. Erläuterungen: In den Zahlen von Sponholz (1828, 1837, 1842) sind die Militärärz­ te einbegriffen, ebenso in den vom Kaiserlichen Gesundheitsamt durchgeführten Zählungen von 1876 und 1887. In der Zs. des kgl. stat. Bureaus (1849, 1861, 1867) fehlen Angaben, ob die aktiven Militärärzte mitgezählt wurden oder nicht. Nicht in die Angaben aufgenommen wurde jeweils die Zahl der Zahnärzte. Die Zahlen, die die weiter oben benutzten »Tabellen und amtlichen Nachrichten« für 1849 ergeben, weichen von denen des kgl. preuß. stat. Bureaus etwas ab: unter Einschluß der zur Civilpraxis berechtigten Militärärzte werden 3746 akademische Ärzte genannt. Um eine bessere Vergleichbarkeit mit den Angaben für 1861 und 1867 zu gewährleisten, wurden auch für 1849 die Zahlen in der Zs. des kgl. preuß. stat. Bureaus zugrunde gelegt. Die Differenz ist ohnehin nicht so gravierend, daß die hauptsächlichen Entwicklungstrends nicht klar erkennbar blieben. Seit 1861 sind die Hohenzollernschen Lande sowie das Jadegebiet mitgezählt.

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Doch während die Zahl der promovierten Ärzte zunahm, setzte sich der schon Ende der 20er Jahre begonnene Schrumpfungsprozeß der Wundärzte II. Klasse beschleunigt fort, und seit der Schließung der medizinisch-chirur­ gischen Lehranstalten um die Jahrhundertmitte begann auch die Zahl der Wundärzte I. Klasse zu sinken. Da die Wundärzte eine insbesondere auf dem Lande nicht zu unterschätzende Rolle in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung spielten und die Wundärzte I. Klasse außerdem eine qualifi­ zierte Ausbildung genossen hatten, die vielfach der der promovierten Ärzte nicht nachstand;120 da zudem die akademischen Ärzte selber den Anspruch stellten, die nichtakademisch ausgebildeten Ärzte in ihrer Funktion zu erset­ zen, wird man für eine adäquate Beurteilung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung billigerweise die Gesamtzahl der approbierten Ärzte über­ haupt zugrunde legen müssen. D ann zeigt sich, daß das relativ schwache Wachstum der akademischen Ärzteschaft nach der Jahrhundertmitte die Abnahme der anderen Ärztegruppen keineswegs kompensieren konnte und sich insgesamt die ärztliche Versorgung der Einwohner Preußens von der Jahrhundertmitte an zunächst verschlechterte (Tab. 11). Das relative Angebot an Ärzten nahm für etwa drei Jahrzehnte kontinu­ ierlich ab; erst zwischen 1876 und 1887 kehrte sich der Trend um. In diesem Zeitraum wuchs erstmals die Zahl der Ärzte in Preußen bzw. im Reich wieder schneller als die Bevölkerung. 1876 gab es in Preußen 7963 Ärz­ te, 1887 dagegen 9284, das war eine Steigerung um 16,6%, während im annähernd gleichen Zeitraum von 1875 bis 1885 die Bevölkerung sich nur um 10% vermehrt hatte. 121 Wesentlich stürmischer verlief das Wachstum der Ärzteschaft in den fol­ genden elfJahren zwischen der Zählung von 1887 und der von 1898, als sich die Ärztezahl in Preußen um weitere 60% auf 14906 erhöhte. D ie Zahl der Einwohner, die sich einen Arzt teilen mußten, sank damit von 3050 im Jahre 1887 auf 2196 imjahre 1898.122 Wenn sich die Steigerungsrate der Ärztezahlen bis zur nächsten Zählung, der von 1909, auch wieder abschwächte - in Preußen erfolgte eine Zunahme um 22,8% auf 18299 Ärzte - blieb sie doch höher als das Bevölkerungs­ wachstum. 1909 kamen daher in Preußen nur noch 2143 Einwohner auf einen Arzt.123 Damit wurden seit Beginn der 90er Jahre auch die Verhältnis­ zahlen, die in der ersten Jahrhunderthälfte unter Berücksichtigung aller Kategorien von Ärzten bestanden hatten, deutlich unterschritten. Trotz des rasanten Anwachsens der Ärztezahlen seit den 80er Jahren blieben gravierende Unterschiede bestehen, und zwar sowohl im Vergleich verschiedener ländlicher Regionen des Reichsgebiets als auch im Vergleich zwischen Großstädten, Klein- und Mittelstädten und dem Land. So hatte ein Landarzt in Ostpreußen 1887 noch einen Praxisbezirk von 250 km2 zu versorgen gegenüber einem westfälischen Landarzt, dessen durchschnittli­ cher Praxisbereich 64 km2 betrug oder einem Landarzt im Königreich Sach­ sen, dessen Patienten nur aus einem Einzugsbereich von 53 km2 kamen.124 150 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

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151

24,4 31,3 38,2 45,7

75,6 68,7 61,8 54,3

1887

1898

1909

Bevölkerung in Gemeinden unter über 5000 E. 5000 E. % %

1876

Jahr

30558

24725

15824

13728

abs.

Ärzte insgesamt

(25,8)

7875

(31,6)

5912 (43,1) 5881 (37,2) 7818 22683 (74,2)

7816 (56,9) 9943 (62,8) 16907

in Gemeinden unter über 5000 E. 5000E. abs. (%)

4130

2114 4183

5471

2961

1984

5461

3112

1221

1182

1476

1336

1754

1161

1805

1415

1311

Es kam ein Arzt a u f . . . Einwohner u. in Gemeinden insgesamt in Gemeinden 5000 20000 unter über 5000 E. 5000 E. -19999 -39999

Tab. 12: Ärztedichte nach Gemeindegrößenklassen. D eutsches Reich 1876—1909

1230

1314 1088

968

924

40000 100000 -99999 u. mehr

zu Tab. 12: Quelle: Errechnet jeweils nach den Angaben der offiziellen Zählungen des Medizinal­ personals in den einzelnen Jahren: Die Ärzte u. das medizinische Hülfspersonal 1876; Die Verbreitung 1887; Die Verbreitung 1898; Die Verbreitung 1909. Erläuterungen: Die Bevölkerungszahlen beziehen sich auf das Jahr der jeweils voran­ gegangenen Volkszählung, also 1875, 1885, 1895, 1905. Die Angaben zur Ärztedich­ te werden also mit jedem Male etwas stärker verzerrt: in Wirklichkeit ist die Ärzte­ dichte jeweils etwas niedriger als angegeben, da in dem Zeitraum zwischen Bevölke­ rungszählung und Zählung des Medizinalpersonals die Bevölkerung ja weiter ge­ wachsen ist. Die Ärztezahlcn umfassen die Summe aller gezählten approbierten Ärzte, also niedergelassene Zivilärzte, Krankenhausärzte und Militärärzte, nicht jedoch Wund­ oder Landärzte alten Typs, die den Titel »Arzt« nicht führen durften. Von diesen gab es 1887 noch 669, 1898 noch 271. Sie kamen allerdings zum größten Teil aus außerpreußischen Staaten, in Preußen gab es 1887 nur noch 63 Wundärzte und 1898 noch 19. Zwischen 1898 und 1909 läßt sich gut der Einfluß der Urbanisierung aufzeigen: Zwar verschlechterte die Relation Einwohner: Arzt sich sowohl in den ländlichen wie in den städtischen Gemeinden, aber weil 1905 etwa 7,7 Mio. Menschen mehr in Städten wohnten als 1895 und an der relativ günstigeren städtischen medizinischen Versorgung teilhatten, verbesserte sich paradoxerweise die globale Ärztedichte auf Rcichsebene doch noch - trotz Verschlechterung in kleinen wie großen Gemeinden. Das gleiche Phänomen läßt sich auch für den Zeitraum 1876-1887 konstatieren. Für 1898 betrugen die entsprechenden Zahlen: 192 km“ für Ostpreußen, 54 km2 für Westfalen und 37 km 2 für Sachsen. 125 Sodann gilt generell, daß eine städtische Gemeinde um so besser mit Ärzten versorgt war, je größer sie war (Tab. 12). In den Großstädten über 100000 Einwohnern hatte ein Arzt seit der Jahrhundertwende weniger als 1000 Menschen zu versorgen, während es in Kleinstädten zwischen 5000 und 20000 Einwohnern deutlich über 1500 blieben und in den ländlichen Gemeinden sogar über 4000. Diese Analyse der Angebotsseite des Gesundheitsmarktes zeigt sehr deut­ lich die nach wie vor bestehenden erheblichen Unterschiede im Niveau der medizinischen Versorgung, die auch einer gleichmäßigen Medikalisierung aller Bevölkerungsschichten deutliche Grenzen setzten. So waren in der ländlichen Bevölkerung und bei Einwohnern kleiner Städte traditionales Gesundheitsvcrhalten und Ressentiments gegen die studierten Mediziner nach wie vor sehr viel stärker ausgeprägt als bei der großstädtischen Bevöl­ kerung, bei der zudem die Auswirkungen der Krankenversicherung zu einer zunehmenden Nivellierung sozialer Unterschiede im Gesundheitsverhalten führten. Darüber hinaus hatte die jeweilige Arbeitsmarktlage der Ärzte auch kon­ krete Auswirkungen auf das Arzt-Patient-Verhältnis: in einer Situation näm­ lich, in der »die Patienten die Ärzte suchen müßten, nicht umgekehrt«, 1 2 6 152 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

fiel es den Ärzten zweifellos leichter, sich aus ihrer traditionellen Abhängig­ keit von ihren Patienten zu lösen und statt dessen Unterwerfung unter ihre Anordnungen zu verlangen. Es ist daher anzunehmen, daß der teilweise gravierende Ärztemangcl der 60er und 70er Jahre zum beschleunigten Ab­ bau letzter Reste des traditionalen Patronage-Systems und zur Herausbil­ dung des »modernen« professionellen Arzt-Patient-Verhältnisses beigetra­ gen hat. c) Das »moderne« Arzt-Patient-Verhältnis: Entwicklungstrends und Grenzen Nachdem bisher als wesentliche Faktoren, die zur Auflösung der traditiona­ len Patronage-Bezichung des Arztes zum Patienten führten, der medizini­ sche Fortschritt und die Erweiterung des Gesundheitsmarktes herausgestellt worden sind, soll abschließend das Ergebnis dieses Prozesses, das »moder­ ne« Arzt-Patient-Verhältnis, charakterisiert werden. Neben vereinzelten Hinweisen in ärztlichen Memoiren bilden dafür die von Ärzten verfaßten Ratgeber und Leitfäden für die ärztliche Praxis die wichtigste Quelle. Anders als die Standesordnungen thematisierten sie nicht nur die Anforderungen an den Arzt im Verkehr mit seinen Berufskollegen in ausführlicher Weise, sondern gaben gleichzeitig detaillierte Anweisungen, wie der Arzt sich seinen Patienten gegenüber verhalten solle. An erster Stelle stand in allen Ratgebern der unbedingte Anspruch auf Gehorsam des Patien­ ten, der sich den auf professioneller Fachkompetenz beruhenden ärztlichen Anordnungen unbedingt zu unterwerfen habe. Zwar läßt sich auch bei den Ärzten des späten 18. und frühen 19. Jahrhun­ derts schon der Anspruch auf fachliche Kompetenz und überlegenes Wissen, das der Patient anerkennen solle, konstatieren. Neu an der Ratgeberliteratur des späten 19. Jahrhunderts war demgegenüber erstens die D etailliertheit der Anweisungen, Empfehlungen und Ratschläge an den Praktiker, der dem Patienten nicht den geringsten Spielraum für eigenes Handeln lassen sollte. Neu war ferner, daß die Autoren der Leitfäden offenbar mit Widerspruch von seiten der Patienten überhaupt nicht rechneten, sofern der ärztliche Leser ihre Empfehlungen genau befolgte. In der ärztlichen Literatur zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren dagegen alle Autoritätsansprüchc des Arztes immer sogleich durch Klagen über den Ungehorsam, die Besserwis­ serei und Widersetzlichkeit der Patienten konterkariert worden. Wenn daher die Leitfäden des späten 19. Jahrhunderts als erstes Erfordernis für den Anfänger herausstellten, seine Autoritätsstellung gegenüber dem Patienten nicht antasten zu lassen, verbarg sich dahinter doch mehr als nur ein illusio­ närer Wunschtraum. Vielleicht am deutlichsten ausgeprägt war diese Haltung in dem 1896 erschienenen »Vademecum« des Berliner praktischen Arztes Jacob Wolff. Ob es sich um die Besprechung der D iagnose, der Prognose oder der 153 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Therapie handelte, ob es um Konsultationen oder Hausbesuche ging: Nie versäumte Wolffes, seinem ärztlichen Leser einzuschärfen, auf die Aufrecht­ erhaltung seiner Autorität zu achten. D as geschah vor allem dadurch, daß dem Patienten keinerlei Spielraum zugebilligt wurde, selber sein Verhalten während seiner Krankheit und Gesundung zu bestimmen. »Um allen derar­ tigen Wünschen und Fragen vorzubeugen, treffe der Arzt seine Anordnun­ gen so bestimmt und deutlich, daß gar keine Mißverständnisse entstehen und keine weiteren Fragen an ihn gerichtet werden können. Ob eine Arznei vor dem Essen, ob sie kalt oder warm, ob sie auch in der Nacht genommen werden muß; wieviel Grad ein Bad, ein Umschlag haben muß, wie er beschaffen sein soll; was zu essen erlaubt, was verboten ist etc. - alle diese Details ordne der Arzt aus eigenem Antriebe an . . . «127 Bei solchen einmal angeordneten Verhaltensweisen mußte der Arzt dann auch unbedingt bleiben, denn: »D er Arzt, der von seiner ursprünglichen Anordnung auch nur ein Jota aufgibt, schadet sich selber und verliert all­ mählich die Autorität bei seinen Patienten. «128 In der Therapie wurde die von Wolff dem Patienten zugedachte Rolle des reinen Befehlsempfängers am deutlichsten; das militärische Leitmotiv von Befehl und Gehorsam findet sich hier direkt ausgesprochen: »D er Arzt sei bestimmt und sicher in seinen Anordnungen, er befehle, und je kürzer der Befehl, desto pünktlicher kann er befolgt werden, desto mehr Vertrauen wird der Arzt dem Patienten einflößen. «129 Aber auch alle anderen Bereiche des Umgangs zwischen Arzt und Patienten hatten sich der gleichen Logik zu unterwerfen. »D er Arzt sage stets bestimmt, wann der Patient wiederkom­ men soll oder wann er vom Arzt wieder besucht werden wird. Er überlasse dies nie dem Gutdünken des Patienten selber.«130 Ebensowenig durfte der Arzt sich die Bestimmung darüber, wie lange eine Konsultation dauern soll­ te, vom Patienten streitig machen lassen: »Hält sich ein Patient sehr lange bei der Konsultation auf oder fängt er mit dem Arzt über nicht zur Sache gehörige Themata an sich zu unterhalten, dann erhebe man sich von seinem Stuhle und gebe damit dem Patienten einen Wink, daß die Konsultation beendigt sei.« D enn: »Lange Konsultationen schwächen die Wirkung der Verordnung ab und berauben den Arzt seiner Autorität. « 131 Weiter oben wurde ausgeführt, daß der medizinische Fortschritt die Chancen des Arztes, professionelle Autorität auszuüben, erhöhte, da er sich zunehmend aufgrund überlegenen Fachwissens vom Laien absetzen konnte. Die Autorität, die die Ärzte im späten 19. Jahrhundert gegenüber dem Patienten beanspruchten, war jedoch keineswegs immer durch den Stand der medizinischen Wissenschaft abgedeckt. In der Praxis war vor allem wichtig, daß der Patient an eine fachliche Kompetenz des Arztes glaubte, nicht so sehr, daß diese auch in jedem Falle vorhanden war. Wenn der Arzt z.B. hinsichtlich der D iagnose unsicher war, durfte er das auf keinen Fall zugeben, sondern mußte »sich stets den Anschein geben, seiner Sache abso­ lut sicher zu sein. Ja, wenn er nach der ersten Untersuchung eines noch 154 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

unklaren Falles denselben momentan mit keinem bekannten technischen Ausdruck zu bezeichnen wüßte, so müßte er lieber extra einen solchen erfinden, als einzugestehen, daß er sich ein definitives Urteil über die Natur des Leidens einstweilen noch vorbehalten müsse. «132 Mit solchem Vorschlag stand der Landarzt Ernst Ringier keineswegs allein da; auch der bekannte Medizinhistoriker Julius Pagel forderte 1897 in einer Anweisung für die ärztliche Praxis, bei Unsicherheiten in der Beurtei­ lung der Krankheit »fingiere man das größte Selbstvertrauen in seine Kunst, verrate kein Schwanken in der Diagnose«.133 Ist der Anspruch auf Gehorsam und Unterwerfung des Patienten ein sofort ins Auge fallendes Charakteristikum des modernen Arzt-Patient­ Verhältnisses, so erscheint ein anderes Merkmal heute so selbstverständlich, daß es als historisch gewordenes kaum noch erkennbar ist. Gemeint ist die Außerkraftsetzung von Normen und Tabus des Alltagslebens in der ärztli­ chen Praxis. In dieser müssen immer wieder sonst gültige Rechtsnormen verletzt werden, indem Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit des Patienten vorgenommen und ihm Schmerzen zugefügt werden. Ebenso werden im Alltagsleben gültige Scham-Tabus bei nahezu jeder ärztlichen Untersuchung durchbrochen. In ganz besonderem Maße gilt dies von der gynäkologischen Praxis. Am Beispiel der körperlichen Untersuchung von Frauen, speziell der Untersuchung der weiblichen Geschlechtsteile läßt sich daher das allmähliche Entstehen einer spezifischen »medizinischen Kul­ tur« , 134 die auf einer Art »extra-kultureller Basis « ruht und in der die Gesetze der Alltagswelt keine Gültigkeit haben, nachvollziehen. In der Praxis des gelehrten Arztes, der um die Wende zum 19. Jahrhundert noch der vorherrschende Typus war, hatte eine solche »medizinische Kul­ tur« jedenfalls noch nicht existiert. Hauptaufgabe des Arztes war die Beob­ achtung und Befragung des Patienten; die körperliche Untersuchung be­ schränkte sich im wesentlichen auf das Pulsmessen. Das änderte sich mit den neuen physikalischen Untersuchungsmethoden, die zuerst in der französi­ schen Medizin entwickelt wurden und allmählich, seit den 40er Jahren etwa, auch in D eutschland Eingang fanden. Bezeichnenderweise begründeten Vertreter der alten Medizin, die gegen die Einführung der neuen Methoden opponierten, ihre Vorbehalte häufig damit, daß eine ärztliche Untersuchung mit den modernen Instrumenten die Schamgrenze gerade weiblicher Patien­ ten verletzen müsse. So argumentierte der praktische Arzt Krüger-Hansen 1845 gegen das Abhorchen der Brust mittels eines Stethoskops: »Einem züchtigen Fräulein dürfte es . . . eine nicht zuträgliche Überwindung berei­ ten, wenn sie ihren Busen den Blicken eines jungen Aeskulaps bloßlegen soll, der ihr fremd ist oder an dessen Namen sich nicht der beste Ruf knüpft.«135 Ebenfalls in den 40er Jahren gab der Mediziner Bernhard Liehrsch seinen Kollegen für die Behandlung »schamhafter Frauen« folgen­ de Empfehlung: »So gehört es sich, daß bei der Untersuchung des Unter­ leibs, der Brüste etc. dies unterhalb der Bettdecke oder über dem Hemd, 155 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

wenn es nicht dringende Ursachen anders gebieten, vorgenommen werde.« 1 3 6 Als »dringende Ursache«, eine direktere Art der Untersuchung vorzuzie­ hen, erwiesen sich in den folgenden Jahrzehnten die Entwicklung bzw. Wiederentdeckung spezifischer Untersuchungsinstrumente, vor allem der Uterussonde und des Spekulums. 1 3 7 D ie Anwendung solcher Instrumente zu vaginalen Untersuchungen setzte den freien Blick des Arztes auf die weiblichen Geschlechtsteile voraus. Als sich dann allmählich auch die D ia­ gnostik von Frauenkrankheiten verfeinerte, wurde die vaginale Untersu­ chung nach und nach zum notwendigen Bestandteil ärztlichen Handelns weiblichen Patienten gegenüber, die mit Klagen über »Frauenleiden« einen Arzt aufsuchten. Die Etablierung einer »medizinischen Kultur«, in deren Bereich eine solche Entblößung des weiblichen Körpers keine Verletzung von Scham­ Tabus darstellte, beanspruchte jedoch einen längeren Zeitraum als der vor­ auseilende medizinisch-technische Fortschritt. Bis zum Ende des Untersu­ chungszeitraums jedenfalls findet sich in den Leitfäden für die ärztliche Praxis stets der Rat, Untersuchungen von Frauen und Mädchen grundsätz­ lich nur in Gegenwart von deren Müttern oder Gatten vorzunehmen. 138 D ie Funktion des Arztes war offenbar noch nicht so weit von seiner Person abgekoppelt, das Verhältnis von (männlichem) Arzt und (weiblichem) Pa­ tienten noch nicht so weit »entindividualisicrt« und »entsexualisiert«, daß man ihm die Untersuchung einer »anständigen« Frau hätte überlassen kön­ nen, ohne ihm einen »Aufpasser« aus der Lebenswelt der Betroffenen an die Seite zu stellen. Ein weiterer Hinweis darauf, daß die Herausbildung einer »medizinischen Kultur«, die ein Eindringen in kulturell tiefliegende, emotional besetzte Bewußtseinsschichten bedeutete, ein Prozeß war, dessen Durchsetzung lan­ ge Zeit erforderte, ist die von Ärzten vielfach und beredt geführte Klage, daß Frauen aus falschem Schamgefühl heraus auch bei ernsthaften Leiden sich scheuten, einen männlichen Arzt aufzusuchen und daher viele Krankheiten unnötig verschleppten. 139 Wenn Frauen und Mädchen überhaupt ihre Schamgefühle überwanden und bei entsprechenden Beschwerden einen Arzt aufsuchten, dann zogen sie in der Regel den verheirateten Arzt, der die »Geheimnisse des Ehebettes« kannte, 140 dem Junggesellen v o r - auch dies ein deutliches Indiz dafür, daß das Arzt-Patient-Verhältnis noch keineswegs in jenem »extra-kulturellen« Raum angesiedelt war, in dem ein gegenseitiger Umgang »ohne Ansehen der Person« möglich war. Die Zurückhaltung der meisten Frauen gegenüber dem Zugriff des männ­ lichen Arztes auf ihren Körper galt auch in der Extremsituation der Geburt. Obwohl die Ärzte seit dem späten 18. Jahrhundert unablässig gegen die Hebammen polemisierten, ihre Kompetenz in Frage stellten und sie als »gewissenlos«, »indolent«, »beschränkt« und »unwissend« denunzier156 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

ten, 141 und obwohl seit 1852 alle Ärzte auch eine geburtshilfliche Qualifika­ tion erwerben mußten, betrug auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Anteil der von Ärzten geleiteten Geburten an der Gesamtzahl der Geburten in Preußen nur ca. 7%. 142 D abei wird es sich in den allermeisten Fällen um regelwidrige Geburten gehandelt haben, in denen die Hebammen zur Her­ beiziehung eines Arztes aufgrund behördlicher Bestimmung verpflichtet waren. 143 In der Theorie dürfte zwar die Mehrzahl der Ärzte die Meinung des Hebammenlehrers Strassmann geteilt haben, der 1896 den »Arzt mit voller Kenntnis der Physiologie und Pathologie der Geburt, mit besser ausgebildeter Diagnostik und Beherrschung der Asepsis« zum »einzig beru­ fenen Leiter der Entbindung« erklärte;144 allein in der Praxis war man von diesem Idealzustand145 noch weit entfernt, und das Gros der Ärzte war sich bewußt, daß auf die Tätigkeit von Hebammen, zumal in den dünnbesiedel­ ten, mit Ärzten unterversorgten östlichen Provinzen Preußens, unter keinen Umständen verzichtet werden konnte. Zudem erschien die unberechenbar lange dauernde, im Verhältnis schlecht bezahlte Assistenz bei einer Ge­ burt146 vielen Ärzten durchaus nicht in jedem Falle erstrebenswert, sondern im allgemeinen nur in wohlhabenden Familien, in denen sie gleichzeitig eine Hausarztposition besaßen. Die hauptsächliche Stoßrichtung ärztlicher Beiträge zur Hebammenfrage lief daher um diejahrhundertwende darauf hinaus, die Hebammen besser zu qualifizieren durch Verlängerung der Ausbildung, sie materiell besser zu stellen147 und dadurch den Beruf auch für Mädchen und Frauen aus den »höheren Ständen« attraktiv zu machen und schließlich die Tätigkeit der Hebammen noch genauer und strikter durch die Kreisphysiker kontrollieren zu lassen.148 Gewiß stellten aber die Tatsache, daß ein Arzt in Geburtsfällen oft schwer zu erreichen war bzw. daß er an der Assistenz bei der normal verlaufenden Geburt kein allzugroßes Interesse zeigte, nicht die einzigen Gründe dar für den außerordentlich geringen Prozentsatz ärztlich geleiteter Entbindungen; sondern es ist auch ein Widerstreben der Mehrzahl der Frauen gegen die Zuziehung eines männlichen Geburtshelfers verantwortlich dafür, daß bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Geburtshilfe eine weibliche D omäne blieb. So berichtet 1870 ein Landarzt, daß »der Vorschlag, einen Arzt herbei­ zuholen, bei der Kreißenden sowohl als auch bei den Angehörigen derselben auf vielfachen Widerstand stieße«.149 So sehr die Ärzte solchen Widerstand und die »übertriebene Prüderie«150 von Frauen kritisierten, so sehr sahen sie sich andererseits auch zur Rück­ sichtnahme auf die Gefühle ihrer weiblichen Patienten gezwungen, sofern diese zur zahlungsfähigen Klientel der Privatpraxis gehörten. Eine solche Rücksichtnahme erschien nicht erforderlich bei Frauen, die etwa als ledige Schwangere die Gebärhäuser in Anspruch nehmen mußten, und ganz be­ sonders nicht bei Prostituierten. In den gynäkologischen Abteilungen der großen Krankenhäuser und in den Gebäranstalten, deren Insassen sich vor157 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

nehmlich aus ledigen Müttern und Prostituierten rekrutierten,151 wurden die Patientinnen untersucht, getestet und behandelt, ohne daß auf Schamge­ fühle die geringste Rücksicht genommen wurde. Im Gegenteil, die Patien­ tinnen wurden, zumindest an den Universitätskliniken, als Übungsobjekte für Studenten und zu Forschungszwecken benutzt. Die Funktion, welche die Hospitalinsassen generell für die medizinische Praxis hatten, nämlich den angehenden Ärzten die Gelegenheit zur Erlangung praktischer Routine zu geben, trat bei diesen weiblichen Patienten in besonders diskriminierender Weise zutage, da sie hier gleichzeitig eine Verletzung kulturell tiefveranker­ ter Scham-Tabus darstellte. In der Hospital-Praxis konnten solche Scham-Tabus ignoriert, in der Privat-Praxis mußten sie behutsam abgebaut werden.152 D ie dabei einzu­ schlagende Richtung lag auf der Hand: die Sphäre des Arzt-Patient-Verhält­ nisses mußte zu einem Bereich mit eigenen Gesetzen werden, einem Be­ reich, in dem der agierende Arzt nur als Arzt und nicht als Person (als Mann) und der Patient in gleicher Weise entindividualisiert und geschlechtsneutral gesehen werden konnte. Bis zum frühen 20. Jahrhundert war die spezifische »medizinische Kul­ tur« nur in Ansätzen ausgebildet, gleichwohl spiegelt sich in diesen Ansätzen wie auch in der Tendenz, ein deutliches Autoritätsgefälle zwischen dem Experten Arzt und dem Laien Patient aufzubauen, eine Verschiebung des Arzt-Patient-Verhältnisses von einer funktional eher diffusen Beziehung zu einem klar definierten, funktional spezifischen und affektiv neutralen Rol­ lenmuster.153 Die Herausbildung dieses von Talcott Parsons entwickelten und für alle modernen professionellen Berufe charakteristischen Rollenmusters wurde gefördert und verstärkt durch die Zunahme der Sprechstundenpraxis im Hause des Arztes anstelle der Hausbesuchspraxis.154 D enn erstens konnte der Arzt, wenn er in seiner eigenen Umgebung agierte, mehr Autorität entfalten, als wenn er sich im Hause des Patienten von dessen Angehörigen und Freunden umringt und kritisch beobachtet sah. D iese Autorität, die ja im Prinzip auf fachlicher Kompetenz beruhte, konnte nur den Bereich umfassen, in dem der Arzt kompetent zu sein beanspruchte, d. h. die Maß­ nahmen zur Wiederherstellung der Gesundheit des Patienten: sie wies ihm also notwendig eine funktional spezifische Rolle zu. Zweitens interessierten den Arzt an dem Patienten, der in seine Sprech­ stunde kam, ausschließlich die Symptome und objektiven Merkmale des Krankheitsbildes, nicht jedoch, oder nur in sehr eingeschränktem Maße, seine häuslichen Verhältnisse, sein Familienleben, seine berufliche Tätigkeit. Die Reduzierung der konkreten Person des Patienten zum bloß behand­ lungswürdigen »Fall« wurde dadurch vorangetrieben. Der Übergang von der Hausbesuchspraxis zur Sprechstundenpraxis blieb jedoch bis zur Jahrhundertwende genauso unvollkommen wie die Heraus­ bildung der »medizinischen Kultur«. Zwar wurde es für den niedergelasse158 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

nen Arzt zunehmend selbstverständlich, über ein Sprech- und Behandlungs­ zimmer sowie über ein davon abgetrenntes Wartezimmer zu verfügen.155 Auch waren es im späten 19. Jahrhundert nicht mehr ausschließlich die armen Patienten, die den Arzt in seiner Behausung aufsuchten, sondern auch »bessere« Patienten kamen mit leichten Erkrankungen zum Arzt, anstatt diesen zu sich zu bitten. D arauf deutet jedenfalls die Empfehlung an den Anfänger, die Sprechstunden für Patienten aus verschiedenen sozialen Schichten zu unterschiedlichen Zeiten anzusetzen: »D ie Privatklientel aber liebt es nicht, mit den vielfach unreinlichen und unmanierlichen Patienten der Armenpraxis gemeinsam zu warten. D eshalb muß die Nachmittags­ sprechstunde von Armen möglichst frei bleiben. « 156 Die Tatsache, daß auch gut situierte Patienten gegen Ende des 19. Jahr­ hunderts anscheinend zunehmend häufig den Arzt in seiner Wohnung auf­ suchten, dürfte indes kaum darauf zurückzuführen sein, daß im Hause des Arztes D iagnose- und Therapiemöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten, die im Hause des Patienten nicht gegeben gewesen wären. D ie wichtigsten diagnostischen Hilfsinstrumente, Hörrohr und verschiedene Untersuchungsspiegel, sowie Messer, Pinzetten, Kanülen, Verbandszeug konnte der Arzt genauso gut in seinem Arztkoffer zum Patienten mitneh­ men;157 größere operative Eingriffe, für die in der Wohnung des Patienten möglicherweise die Voraussetzungen nicht gegeben waren, konnten auch nicht ambulant im Hause des Arztes, sondern nur stationär in einer Klinik durchgeführt werden.158 Vielmehr spiegelt sich in der Einbürgerung der Sprechstundenpraxis auch ein Stück Loslösung von der traditionellen patro­ nageartigen Arzt-Patient-Beziehung, in welcher der Patient mehr oder we­ niger im Arzt seinen Diener sah, der selbstverständlich zu ihm zu kommen hatte. Freilich war dieser Loslösungsprozeß um die Jahrhundertwende noch nicht so weit fortgeschritten, daß ausschließlich Art und Schwere der Er­ krankung darüber entschieden hätten, ob der Patient zum Arzt kam oder umgekehrt. Soziale Kriterien spielten nach wie vor eine wesentliche Rolle, besonders gegenüber dem jungen Arzt: »Alle besser Situierten lassen in der Regel den jungen Arzt zu sich rufen«, urteilte 1896 ein ärztlicher Beobach­ ter.159 Ebenso lasse eine Familie, die einen Hausarzt hatte, der für die medizinische Betreuung der Familienmitglieder ein jährliches Fixum erhielt, diesen bei Erkrankungen in der Familie stets zu sich kommen.160 Anders als bei den Hausärzten stand es bei den Spezialärzten, deren Zahl sich seit den 80er Jahren rasch vermehrte.161 Bei ihnen dürfte ein wesentlich größerer Teil der Berufstätigkeit in der Abhaltung von Sprechstunden be­ standen haben als bei den Allgemeinpraktikern. Überhaupt flossen in der Figur des Spezialarztes mehrere Komponenten des sich herausbildenden professionellen Arzt-Patient-Verhältnisses in besonderer Weise zusammen. Die typischerweise in Großstädten praktizierenden Spezialärzte hatten - im Unterschied zu dem älteren Typus des Hausarztes - meist eine rasch wech159 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

selnde Klientel, deren Privatverhältnisse sie ebensowenig kannten wie die Patienten ihrerseits über das Privatleben des Arztes, etwa ob er verheiratet war oder nicht, informiert waren. Arzt und Patient traten sich zudem in der Regel nur in ihren Rollen als Arzt und Patient gegenüber, nicht zusätzlich in weiteren Rollenkonstellationen in anderen Bereichen, in denen der Arzt etwa Kunde, Vereinskamerad, Nachbar, Freund gewesen wäre. Schließlich setzte sich in der spezialärztlichen Tätigkeit die Leitidee der Medizin als einer exakt vorgehenden, auf Experimente gestützten Natur­ wissenschaft mit all ihren Konsequenzen deutlicher durch als in der Allge­ meinpraxis. In die Praxis des Spezialarztes fand die medizinische Technik, die Anwendung von speziellen Instrumenten und Apparaturen für Diagnose und Therapie stärker Eingang als in die Praxis etwa des Landarztes, dessen Tätigkeit in viel höherem Grade im Anhören der Patienten und Verschreiben von Rezepten bestand. Gleichzeitig war die Tendenz der naturwissenschaft­ lichen Medizin des ausgehenden 19. Jahrhunderts, nur noch solche patholo­ gischen Veränderungen, die einen deutlich objektivierbaren Niederschlag im Körper hinterließen, als Krankheiten anzuerkennen,162 in der spezialärzt­ lichen Praxis besonders ausgeprägt. D iese »Objektivierung« von Krank­ heitsbildern verstärkte wiederum die Auswirkungen der zunehmend unper­ sönlichen Beziehung des Arztes zum Kranken in der Sprechstundenpra­ xis. 163 Schon 1870 schrieb der Arzt Robert Volz: »Die Medizin ist thatsäch­ lich, ist objektiv geworden. Es ist gleichgiltig, wer am Bett steht, aber er muß verstehen, zu untersuchen, zu erkennen. Er tritt vor ein Objekt, welches er ausforscht, ausklopft, aushorcht, ausspäht, und die rechts und links liegenden Familienverhältnisse ändern daran gar nichts: der Kranke wird zum Gegenstand. «164 Unter den Bedingungen des Großstadtlebens und des ärztlichen Speziali­ stentums konnte sich auf diese Weise ein Arzt-Patient-Verhältnis herausbil­ den, das dem Parsons'schen Idealtypus, gekennzeichnet durch universalisti­ sche Orientierung, funktionale Spezifität und affektive Neutralität sehr nahe kam, während in der ärztlichen Allgemeinpraxis dieses spezifisch moderne Arzt-Patient-Verhältnis sich sehr viel langsamer gegen Relikte eines älteren Typus von Arzt-Patient-Verhältnis durchsetzte. Wie aus dem Zitat von Volz schon hervorgeht, begrüßten längst nicht alle Ärzte den an das neue Arzt-Patient-Verhältnis gekoppelten Leitbild-Wandel »vom Arzt zum Mediziner«. Anders als bei dem im zweiten Kapitel themati­ sierten Wandel des Leitbildes vom gelehrten Arzt zum Allgemeinpraktiker bedauerten die meisten Ärzte, mehr und mehr als »Techniker« angesehen zu werden, die eine exakte Wissenschaft anwendeten.165 Je stärker aber das »professionelle« Arzt-Patient-Verhältnis sich faktisch durchsetzte-ablesbar an der rasanten Zunahme der Spezialärzte und am gleichzeitigen Rückgang der für die medizinische Betreuung einer ganzen Familie zuständigen Haus­ ärzte -, 1 6 6 desto mehr neigten die Ärzte dazu, gerade die Hausarztposition zu idealisieren und romantisch zu verklären. D a war die Rede von dem »alten 160 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

allverehrten Arzt«, 1 6 7 der für die Familie »nicht der einfach um ein bestimm­ tes Honorar behandelnde Arzt, sondern vielmehr ihr Freund und ärztlicher Berater, aber auch ihr teilnehmender Tröster in ihren sonstigen Nöten« war. 1 6 8 D er Hausarzt »sah Generationen kommen und gehen in langer ärztlicher Tätigkeit und teilte als ›Arzt‹ und ›Mensch‹ in so vielen Familien Freud und Leid in kranken und gesunden Tagen. Mit ihm besprach man alles, er wußte immer Rat und Hilfe und hatte für jeden ein tröstendes Wort.« 1 6 9 Solche nachträglich verklärenden D arstellungen des Hausarztes als »Spe­ zies, die jetzt ziemlich ausgestorben ist«, 1 7 0 hatten ein reales Substrat inso­ fern, als tatsächlich der Arzt im Hausarztsystem, das etwa um diejahrhun­ dertmitte seine größte Ausdehnung hatte, 171 seinen Tätigkeitsbereich häufig nicht auf rein kurative Praxis beschränkte. So berichtet der Berliner Arzt Max Ring aus seiner Praxis um die Jahrhundertmitte über eine Patientin: »Die gute Dame plauderte gern mit mir . . . und so verweilte ich oft bei ihr in angenehmer und lebendiger Unterhaltung . . . Sie schenkte mit ihr volles Vertrauen und verlangte meinen Rath bei anderen Gelegenheiten, auch wenn sie nicht gerade krank war.« 1 7 2 Solche diffusen Aufgaben, wie Rat erteilen oder Trost spenden, die sich am ehesten als pastorale Funktionen beschreiben lassen, verschwanden mit der Reduzierung des Patienten von einer Person auf einen Fall, wie sie die Hospitalpraxis schon lange und seit dem späten 19. Jahrhundert zunehmend auch die Privatpraxis kennzeich­ nete. Daß der Blick auf den Patienten als Fall eine fast zwangsläufige Folge des medizinischen Fortschritts, der Verwissenschaftlichung und Objektivierung der medizinischen Praxis und der Spezialisierung der ärztlichen Tätigkeit war, verkannten die meisten Ärzte bei ihren Klagen über die zunehmende Anonymisierung des Arzt-Patient-Verhältnisses. Sie schoben die Schuld eher den Patienten zu, denen sie das Wechseln von einem Arzt zum nächsten und die Auflösung der einst engen Bindungen zum Hausarzt zum Vorwurf machten. 173 In Wirklichkeit trugen viele Ärzte mit ihrem Streben nach uneinge­ schränkter Autorität dem Patienten gegenüber selber zum Untergang des »gemüthlichen Wesens der Hausärzte« 174 bei. D ie in Leitfäden für die ärztli­ che Praxis enthaltenen Forderungen, die der Stärkung der ärztlichen Autori­ tät dienen sollten, implizierten mitunter direkt eine Ablehnung des multi­ funktionalen Wirkens der alten Hausärzte und die Zerstörung diffuser Rol­ lenbeziehungen zwischen Arzt und Patient. D ies zeigt sich etwa in dem Rat Carl v. Mettenheimers an seinen Sohn, keine Hausarztposition bei guten Freunden anzunehmen, da »die nahe persönliche Beziehung der ärztlichen Autorität nicht günstig« sei. 175 Noch viel rigoroser ist eine Empfehlung Wolffs, der Arzt möge die Konsultation beenden, wenn der Patient auf »nicht zur Sache gehörige Themata« 1 7 6 komme. Die Sache - das war für Wolff offenbar der konkrete Krankheitsfall, der 161 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

den Patienten zum Arzt führte. Ganz ähnlich sah sein Kollege Scholz die Aufgabe des Arztes: »Der Arzt als Arzt soll eben nichts anderes sein als Arzt, d. h. ein zur Heilung des Kranken oder Verletzten berufener Sachverständi­ ger. Innerhalb dieses Gebietes ist er souverän, außerhalb desselben hat er nichts zu suchen. Er soll sich auf sein Heilgeschäft beschränken und nicht außerdem den Kommissionär, den Advokaten oder Pastoren spielen wollen.« 177 Viele Ärzte verstanden aber auch in einer Zeit zunehmender Technisie­ rung ärztlichen Handelns ihre Aufgabe weiter und umfassender als nur auf die Behandlung und Heilung von Krankheiten zugeschnitten. Hygienische Belehrung und Krankheitsprophylaxe gehörten in diesem Verständnis ebenso zur Aufgabe des Arztes wie die Berücksichtigung familiärer, sozialer und psychischer Begleitumstände von Krankheiten. Vor allem in der Erziehung der Kinder beanspruchten viele Ärzte ein entscheidendes Wort mitzureden. Wie das kleine Kind am besten zu beruhi­ gen sei (Wiege oder Schnuller), wie die Ernährung gestaltet werden müsse, welche Spiele sich in welchem Alter empfehlen, wann der richtige Zeitpunkt der Einschulung gekommen sei, ab wann die Kinder Musikunterricht erhal­ ten sollten, wohin man am besten in den Sommerferien fahre, aufweiche Weise die »Unsitte des Onanierens« unterdrückt werden könne: in all diesen und vielen anderen Fragen sollten die Eltern sich nach Meinung des Pädia­ trieprofessors Czerny nach den Ratschlägen und Empfehlungen ihres Haus­ arztes richten.178 Gerade da aber, wo Ärzte versuchten, ihre Position dem Patienten gegen­ über, über ihre engere Aufgabe der Krankenbehandlung hinaus, in einem weiteren Rahmen zu verorten, zeigten sich sehr bald die schichtspezifischen Grenzen eines solchen Unternehmens. Die Institution des Hausarztes, der in »seinen« Familien nach dem Rechten schaute, mit seinen Patienten plauderte und in allen Fragen Rat und Antwort gab, war eine genuin bürgerliche Angelegenheit, die sich auf Patienten aus anderen Schichten nicht übertra­ gen ließ. Worüber hätte denn der kranke Arbeiter, der als Kassenpatient zum Arzt kam, mit diesem, der eine ganz andere Sprache sprach, »plaudern« sollen? Auch an den Beispielen, an denen in der zeitgenössischen Literatur die hausärztliche Wirksamkeit erläutert wurde, läßt sich deutlich der bürger­ liche Adressat ablesen. D ie Frage, ob die Seeluft oder eher das Gebirge für den Sommeraufenthalt zu empfehlen wären, konnte einen Arbeiter genau­ sowenig interessieren wie das Problem, ab wann er seinen Kindern Musik­ unterricht erteilen lassen sollte, da beides, Urlaub und privater Musikunter­ richt, in der Regel außerhalb seiner ökonomischen Möglichkeiten lag. Außerdem vertrugen die pastoralen Funktionen des Arztes sich schlecht mit der zunehmenden Kommerzialisierung der ärztlichen Praxis, wie sie vornehmlich die Kassenpraxis, also die Behandlung von Unterschichtange­ hörigen kennzeichnete. D er Hausarzt alter Prägung erhielt zumeist eine jährliche Pauschalsumme, 179wofür er die Familie »in gesunden und kranken 162 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Tagen« mit seinem ärztlichen Rat betreute. Gerade in der Kassenpraxis aber drängte die große Mehrheit der Ärzte immer stärker auf Bezahlung der Einzelleistungen nach den ärztlichen Gebührensätzen. Damit verschwanden notwendig die Tätigkeiten, die übers Kurieren hinausgingen, aus dem Lei­ stungskatalog der Ärzte, denn für Dinge wie »Plaudern« oder »Beratung in Lebensfragen« war in der Medizinaltaxe kein Ansatz ausgeworfen. Das heißt aber noch nicht, daß sich die populärmedizinische Tätigkeit von Ärzten im späten 19. Jahrhundert nur an die »gebildeten Kreise« gerichtet habe, wie der D D R-Medizinhistoriker D ietrich Tutzke meint.180 Aber wenn Ärzte sich überhaupt für Lebensweise und Gesundheitsverhalten ihrer Unterschichtpatienten interessierten und belehrend und verändernd darauf einzuwirken suchten, geschah solche Belehrung gewöhnlich mit ganz ande­ ren Untertönen als bei der bürgerlichen Klientel. Hatte der Arzt sich bei dieser als »wissenschaftlicher Vertrauensmann« empfohlen, trat er dem Arbeiter gegenüber als strenger Erzieher auf und machte aus seinem Ab­ scheu vor einem Großteil von dessen Lebensgewohnheiten kein Hehl. Vor allem tadelten Ärzte den Schmutz und die Unreinlichkeit in den Arbeiter­ wohnungen, die durch zu weniges Lüften verursachte schlechte Luft, den Mangel an Körperpflege, das zu seltene Wechseln der Kleidung.181 D em­ nach war in der ärztlichen Erziehungsarbeit vor allem wichtig, daß »die Leute daran gewöhnt werden, auf eine gewisse Hygiene ihres Körpers zu achten«.182 Am besten geschah das im Krankenhaus, das »nicht nur eine Stätte der Heilung, sondern auch der Erziehung und Gewöhnung an eine rationelle Lebensweise« sein sollte.183 Auch die Lungenheilstätten, die nach der Jahrhundertwende immer mehr Krankenkassen und Landesversicherungsanstalten für ihre tuberkulosekran­ ken Kassenmitglieder einrichteten, dienten keineswegs ausschließlich der Heilung oder wenigstens Besserung des tuberkulösen Prozesses. Ferner, »und das ist ein besonders wichtiger Umstand, werden die Patienten in gesundheitsgemäßer Weise erzogen, sie erhalten einen ›hygienischen D rill·, welchen sie mit in ihre Behausung nehmen und dann nicht nur für ihre Person, sondern auch für ihre Umgebung verwerthen. «184 Nicht von ungefähr wird in diesen Stellungnahmen dem Krankenhaus eine entscheidende strategische Position in dem angestrebten hygienischen Umerziehungsprozeß zuerkannt. Hier befand sich der Patient schließlich unter permanenter ärztlicher Kontrolle; hier war daher die Erziehung und Gewöhnung an eine rationelle, gesundheitsgemäße Lebensweise ein fast zwangsläufiges Nebenprodukt der medizinischen Behandlung. In der am­ bulanten Praxis dagegen dürfte es eine Minderheit von idealistischen, sozial engagierten Ärzten gewesen sein, die ihre Kassenpatienten nicht lediglich »abfertigten«, sondern darüber hinaus prophylaktisch auf Erhaltung der Gesundheit zu wirken suchten, indem sie sie etwa regelmäßig in ihren Wohnungen aufsuchten und ihnen entsprechende Ratschläge gaben. Eine solche, die ganze Familie und das häusliche Leben umfassende erzieherische 163 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

ter, der von allein an seine Gesundheit keinen Gedanken verschwendete, den nötigen »hygienischen D rill« oktroyierte. Gleichzeitig war das ärztliche Interesse an einer breiten prophylaktischen und hygienischen Wirksamkeit, die sich nicht direkt in klingender Münze auszahlte, bei Arbeiterpatienten sehr viel geringer ausgeprägt als bei der bürgerlichen Klientel. Dafür spricht auch die Tatsache, daß die meisten Ärzte der Einbeziehung der Familienan­ gehörigen in den Leistungsbereich der Krankenkassen, der sog. »Familien­ behandlung«, die seit den 90er Jahren immer mehr Kassen einführten, außerordentlich reserviert gegenüberstanden und vielfach direkt dagegen opponierten, sofern sie ihrer Meinung nach nicht angemessen zusätzlich vergütet wurde. 185 Lassen sich in der Tätigkeit des Arztes im weiteren Sinne durchaus Unter­ schiede im Verhalten gegenüber Patienten verschiedener Schichten festma­ chen, muß auch bezweifelt werden, ob der Kernbereich ärztlichen Han­ delns, die Krankenbehandlung im engeren Sinne, von schichtspezifischen Differenzierungen ganz frei war. Zwar wird in allen Ratschlägen, Anwei­ sungen und Empfehlungen an den ärztlichen Praktiker gefordert, der Arzt dürfe »seine Bereitwilligkeit, seine Liebenswürdigkeit und seinen Fleiß nicht abmessen nach dem Ansehen der Person. Die Leistung soll dieselbe sein bei dem Reichen wie dem Armen, dem Guten wie dem Schlechten, dem Hohen wie dem Niedrigen, dem Angenehmen wie dem Unangenehmen«.186 Solche normativen Ansprüche und programmatischen Erklärungen sagen aber über das reale Binnenverhältnis zwischen Ärzten und Patienten noch nicht viel aus. Die Existenz doppelter Wartezimmer oder getrennter Sprech­ stunden für Kassen- und Privatpatienten in vielen Arztpraxen ebenso wie häufige Klagen von Kassenmitgliedern über flüchtige Untersuchung und Behandlung wecken eher Zweifel daran, ob die hehren Prinzipien von Gleichbehandlung ohne Ansehen des Standes in der Praxis des durchschnitt­ lichen Arztes wirklich zum Tragen kamen. Solche Details unterschiedlicher Behandlung dürften in vielen Kassenmitgliedern das bis heute weit verbrei­ tete Gefühl genährt haben, als Angehörige einer gesetzlichen Krankenkasse gegenüber der Privatklientcl nur »Patienten zweiter Klasse« zu sein. Schichtspezifische D ifferenzen bestanden offensichtlich auch im profes­ sionellen Arzt-Patient-Verhältnis fort, wenn auch in ganz anderer Weise als noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts. D amals hatten die Ärzte sich gegen­ über ihren begüterten Patienten zu devotem Verhalten und Willfährigkeit in jeder Beziehung gezwungen gesehen, nunmehr verlangten sie von allen Patienten, »gleichviel welchen Gesellschaftsschichten sie angehören, den nöthigen Gehorsam«.187 Unterhalb dieser für das moderne Arzt-Patient-Verhältnis konstitutiven Bedingung fanden sich jedoch nach wie vor Unterschiede und Abstufungen in der Beziehung des Arztes zum Patienten, die an dessen sozialen Status gebunden waren. Es scheint so, als würden diese Differenzen sich um so eher verwischen, je anonymisierter, streng auf die therapeutische Funktion des 164 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

gebunden waren. Es scheint so, als würden diese Differenzen sich um so eher verwischen, je anonymisierter, streng auf die therapeutische Funktion des Arztes beschränkt, die Arzt-Patient-Beziehung war, und um so stärker hervortreten, je funktional diffuser, also über die bloße Krankenbehandlung hinausgehend, der Arzt seine Tätigkeit verstand. D aß die schichtspezifi­ schen Differenzen im Arzt-Patient-Verhältnis nie ganz eingeebnet wurden, dafür sorgte schon die finanzielle Komponente dieses Verhältnisses. Für die Behandlung eines Kassenpatienten konnte der Arzt in der Regel höchstens den Mindestsatz der Taxe fordern, wenn nicht die Bezahlung durch einen Pauschalvertrag mit der Kasse noch weit niedriger lag. Bei einem Privatpa­ tienten dagegen konnte er, je nach dessen Vermögenslage, ein Vielfaches mehr liquidieren. Dieser Umstand dürfte die »Bereitwilligkeit und Liebens­ würdigkeit« des D urchschnittsarztes bei der Untersuchung und Behand­ lung seiner Patienten nicht unwesentlich beeinflußt haben.188 Nicht zuletzt das Gefühl vieler Unterschichtpatienten, vom akademi­ schen Arzt nicht akzeptiert und verstanden, von ihm - zumal in der Kassen­ praxis - schroff, lieblos und oberflächlich behandelt zu werden, begünstigte das Erstarken einer gegen die Wissenschaftliche Heilkunde und ihre Vertre­ ter, die studierten Ärzte, gerichteten Laienbewegung, der Naturheilkunde. Diese Bewegung läßt sich zum großen Teil als Reaktion auf Defizite, Ver­ säumnisse und Fehlentwicklungen der sich professionalisierenden offiziellen Medizin interpretieren. Der Überbewertung der medikamentösen Therapie durch die Schulmediziner setzte die Naturheilkunde die Wirksamkeit »na­ türlicher« Heilfaktoren wie Licht, Luft, Sonne, Wasser entgegen. Auf den unbedingten, mit überlegenem Fachwissen legitimierten Autoritätsan­ spruch der Ärzte, dem gegenüber Erfahrungen und Wissen des Patienten nichts galten, antworteten die Naturärzte mit der Forderung, jeder Laie müsse »in Gesundheitsfragen selbst . . . denken«.189 An Stelle der rein lokalistischen Krankheitsauffassung und -behandlung, die kaum mehr den kranken Menschen, vielmehr einzelne kranke Körperteile in den Blick be­ kam, propagierten die Vertreter der Naturheilbewegung eine ganzheitliche Sicht des kranken Körpers, dessen Kräfte durch natürliche Mittel zu stärken seien, damit er mit der jeweiligen Krankheit fertig werde. Vor allem aber war es der weitgehende Verzicht von Ärzten auf individuelle Beratung und Belehrung von LJnterschichtpatienten in Fragen der Hygiene und gesund­ heitsgemäßen Lebensführung, der den Naturheilvereinen neue Anhänger in Scharen zuführte. Mit der allgemeinverständlichen Propagierung einer ge­ sundheitsgemäßen Lebensweise nahm die Naturheilbewegung Bedürfnisse breiter Bevölkerungsschichten auf, welche die Ärzte und die moderne Me­ dizin nicht oder nur ungenügend erfüllten. Daß die Ärzte ihre Aufgabe immer stärker auf D iagnose und Therapie beschränkt sahen und alle weitergehenden Funktionen wie etwa die gesund­ heitliche Aufklärung und Beratung ihrer Patienten zunehmend ausblende­ ten, hängt mit den geschilderten Veränderungen im Arzt-Patient-Verhältnis 165 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

und besonders der Einbeziehung neuer Schichten in die ärztliche Praxis zusammen. Gleichzeitig ist diese Beschränkung der Aufgabenstellung das Resultat innerärztlicher Differenzierungs- und Spezialisierungsprozesse, die den Gegenstand des folgenden Kapitels bilden. Dabei ist zum einen an die Entwicklung der Hygiene zu denken, die im frühen 19. Jahrhundert noch beides, die private Gesundheitspflege des ein­ zelnen Individuums und die öffentlichen Maßnahmen des Staates, umfaßt hatte, sich aber im Laufe des 19. Jahrhunderts, vor allem mit den Fortschrit­ ten der Bakteriologie seit den 80er Jahren, mehr und mehr auf den öffentli­ chen Bereich verlagerte und damit zur Spezialaufgabe des zuständigen Me­ dizinalbeamten wurde, für die der einfache praktische Arzt sich weder kompetent noch verantwortlich fühlte. Noch bedeutsamer für die Verengung des ärztlichen Arbeitsfeldes war wahrscheinlich ein zweiter D ifferenzierungsprozeß, nämlich die Aufspal­ tung der ärztlichen Praxis in eine Vielzahl einzelner Spezialitäten. Einige Konsequenzen dieser Spezialisierung für das Arzt-Patient-Verhältnis, vor allem ein beschleunigter Trend zur Versachlichung und Anonymisierung, sind vorn schon angedeutet worden; Voraussetzungen, Ausdehnung und Folgen der in den 80er Jahren verstärkt einsetzenden Spezialisierungsprozes­ se müssen aber noch eingehend untersucht werden.

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KAPITEL V

Medizinalbeamte, Allgemeinpraktiker, Spezialisten: Zur Differenzierung der Berufsrollen ί. Vom Physikus zum Kreisarzt: Stellung und Aufgaben des Medizinalbeamten Die Pflichten der Kreis-Physiker lagen lange Zeit vornehmlich in der Über­ wachung und Kontrolle der Medizinalpersonen ihres Kreises, der Visitation der Apotheken und im gerichtsmedizinischen Bereich.1 Auf sanitätspolizei­ lichem Gebiet wurden dagegen lediglich die vierteljährliche Einsendung von Sanitätsberichten an die übergeordnete Behörde - eine Pflicht, die bis 1848 auch den praktischen Ärzten abverlangt wurde 2 - und die amtliche Feststel­ lung vom Ausbrechen gefährlicher, ansteckender Krankheiten gefordert, dies aber nur, wenn der Kreisphysiker vom Landrat oder der Ortspolizeibe­ hörde dazu aufgefordert wurde. 3 Als Anstellungsbedingung war schon seit 1764 die Ablegung einer beson­ deren Prüfung, der Physikatsprüfung, vorgeschrieben. Kennzeichnend für den Zuschnitt der amtlichen Aufgaben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun­ derts ist es, daß bei der Neuordnung der Physikatsprüfung, gleichzeitig mit der allgemeinen Prüfungsreform von 1825, von dem Bewerber außer der schriftlichen Bearbeitung einer Frage aus dem Gebiet der Staatsarzneikunde verlangt wurde, entweder an einer Leiche eine Obduktion auszuführen, seine Fähigkeiten, eine Apotheke zu visitieren, praktisch nachzuweisen oder seine Kenntnisse über Tierkrankheiten praktisch zu bekunden.4 Daß sanitätspolizeiliche Aufgaben in der amtlichen Tätigkeit der Kreis­ physiker kaum eine Rolle spielten, macht auch das preußische Regulativ von 1835 über sanitätspolizeiliche Vorschriften beim Ausbrechen ansteckender Krankheiten deutlich.5 D iese gesetzgeberische Maßnahme war wesentlich zurückzuführen auf den Schock, den die Choleraepidemie von 1831/32, die erste von mehreren Wellen europäischen Ausmaßes dieser im 19. Jahrhun­ dert verheerendsten Seuche, ausgelöst hatte. D er Hilflosigkeit und Ohn­ macht, mit der damals Polizeibehörden und Ärzte der durch nichts aufzuhal­ tenden Ausbreitung der Seuche hatten zusehen müssen - in Preußen starben 1831 über 100000 Menschen an Cholera - sollte durch detaillierte Vorschrif­ ten, wie jeder einzelnen seuchenartig auftretenden Krankheit zu begegnen sei, entgegengesteuert werden. Das Regulativ schrieb die Errichtung ständi­ ger Sanitätskommissionen in Städten über 5000 Einwohnern vor, regelte 167

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deren Aufgaben und Befugnisse, gab Anweisungen zur Isolierung Erkrank­ ter, zur Kontrolle von Reisenden während Epidemiezeiten, zur Errichtung spezieller Krankenstationen und zur Handhabung der D esinfektion von Kleidern, Wohnungen und Waren. Der beamtete Arzt als solcher kam in dem Regulativ jedoch überhaupt nicht vor. Weder wurden die Meldungen über ansteckende Krankheiten an ihn weitergeleitet noch war er an der Ermittlung und Feststellung einer auftretenden ansteckenden Krankheit amtlich beteiligt noch besaß er ein Recht zur Initiative, zum Ergreifen bestimmter sanitätspolizeilicher Maß­ nahmen. D ie Kompetenz, Reisebeschränkungen anzuordnen, Schulen und Wochenmärkte schließen zu lassen oder verdächtige Waren zu konfiszieren, lag ausschließlich bei der Ortspolizeibehörde. D iese konnte, um feststellen zu lassen, ob es sich bei eingegangenen Krankheitsanzeigen wirklich um eine Seuche handelte, den Kreis-Physikus mit der Untersuchung betrauen, sie mußte es aber keineswegs. Jeder andere Arzt war genau so kompetent, die Existenz einer gemeingefährlichen Seuche festzustellen. In der Seuchenbe­ kämpfung unterschieden sich der Kreisphysikus und der niedergelassene praktische Arzt also weder in ihren Kompetenzen noch in ihrer Qualifika­ tion voneinander. Abgesehen davon, daß die Hygiene als Wissenschaft in der ersten Jahr­ hunderthälfte noch kaum existierte,6 daß also die Physiker besondere, über die Kenntnisse jedes normalen Arztes hinausgehende Qualifikationen auf diesem Gebiet gar nicht erwerben konnten, war ihre amtliche Stellung auch nicht zu einer intensiven Betätigung auf sanitätspolizeilichem Gebiet geeig­ net. Die Kreis-Physiker waren, wie es in der vorläufigen Instruktion für die Landräte vom 31. Dezember 1816 hieß, »Gehülfen und technische Consu­ lenten des Landraths, und . . . seinen Anweisungen zu folgen verpflich­ tet« . 7 In einer Verfügung vom 24. Januar 1823 wurde dies zwar dahingehend präzisiert, daß die Kreis-Physiker »als Untergebene der Landräthe nicht anzusehen« seien, vielmehr direkt den Regierungen unterständen.8 D as änderte jedoch nichts daran, daß ihre amtliche Stellung »weniger eine aus­ führende und anordnende, als vielmehr eine technisch consultative« war9 und ihnen zu eigenverantwortlichem Vorgehen keinerlei Spielraum bot. Das Gehalt für die durchweg nebenamtlich tätigen Kreis-Physiker, die »den Hauptteil ihrer bürgerlichen Existenz durch ihre Civilpraxis begrün­ den« sollten,10 betrug seit 1816 einheitlich 200 Taler jährlich und blieb bis zum Anfang der 70er Jahre auf dieser Höhe stehen. Trotz dieses eher bescheidenen Gehalts und der relativ untergeordneten amtlichen Stellung der Kreis-Physiker erfreuten sich die Physikatsstellen im allgemeinen offenbar großer Beliebtheit. Um die Jahrhundertmitte kamen auf eine Stelle im D urchschnitt zehn Bewerber.11 Es ist klar, daß dabei besonders die Physikate in größeren Städten oder sonstwie attraktiven Wohngegenden gefragt waren, die gleichzeitig eine einträgliche Zivilpraxis versprachen. D ie vergleichsweise besseren Chancen, die ein beamteter Arzt 168 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

beim Aufbau einer Privatpraxis gegenüber seinem nicht-beamteten Kolle­ gen hatte, waren es vor allem, welche die Anstellung als Physikus begeh­ renswert machten, nicht so sehr das Gehalt, das allerhöchstens ein willkom­ mener Nebenverdienst sein konnte. In manchen abgelegenen Gegenden der Monarchie, besonders in Ost- und Westpreußen sowie in Posen, wo auf eine gut florierende Privatpraxis kaum zu hoffen war, hatten die Behörden daher mitunter Schwierigkeiten, erledigte Physikate neu zu besetzen.12 1826 be­ merkte das Medizinalministerium in einer Zirkularverfügung: »D ie Nieder­ lassung des in der Hauptsache auf den Erwerb durch seine Praxis hingewie­ senen Kreis-Medicinalbeamten ist theils in mehreren Gegenden der Monar­ chie, theils hin und wieder in einzelnen Kreisstädten so wenig anziehend, daß sich häufig selbst jüngere Medicinalpersonen nur in der Hoffnung auf eine demnächstige, ihren Wünschen und den gewöhnlichen Lebensverhält­ nissen entsprechende Versetzung an einen anderen Ort entschließen, einen solchen Posten anzunehmen.« Bei Besetzung von Physikatsstellen sei daher zuvorderst Rücksicht zu nehmen auf Bewerber, die von solchen unattrakti­ ven Stellen versetzt werden wollten.13 In dieses Bild der ausschlaggebenden Rolle der privaten Praxis, neben dei die amtlichen Pflichten marginal erschienen, paßt die Beschreibung de: ehemaligen Kreis-Physikus Friedrich Scholz, über seine Tätigkeit in der 60erJahren. Scholz schrieb 1900: »Vor 35 bis 40Jahren, als ich noch preußi­ scher Kreis-Physikus war, hatte ich kaum etwas anderes zu begutachten als selten genug, gelegentliche Fälle der gerichtsärztlichen Praxis, noch vie seltener einmal etwas Sanitätspolizeiliches. D azu kam hin und wieder woh auch einmal die von Amts wegen zu leistende Untersuchung eines könig­ lich-preußischen Gendarmen oder Bureaudieners, und in der privaten Thä­ tigkeit Atteste für Lebensversicherungen. Wissenschaft und Praxis der Hy­ giene lagen ganz darnieder.«14 So beschaulich, wie hier geschildert, konnte das D asein eines Kreis­ Physikus allerdings nicht bleiben, als die Hygiene sich mehr und mehr zur experimentellen Wissenschaft entwickelte und ihre Methoden und Ergeb­ nisse unmittelbare Relevanz für die sanitätspolizeiliche Praxis gewannen. Es genügte nun nicht mehr, im Falle von Seuchen polizeiliche Anordnungen zu treffen, etwa die Schließung von Schulen und Märkten oder die Isolierung der von der Krankheit befallenen Personen zu veranlassen, es mußten viel­ mehr spezielle Ermittlungen über die Ursachen des Ausbruchs der Krank­ heit und ihre Verbreitungswege angestellt werden. Seitdem in den 80er Jahren die Bakteriologie in einer steigenden Anzahl von Krankheiten die speziellen Krankheitserreger nachzuweisen vermochte, wurde es beim Auf­ treten solcher Krankheiten erforderlich, durch bakteriologische Untersu­ chung, etwa von Trinkwasserproben aus verdächtigen Brunnen oder von bestimmten Nahrungsmitteln, die Ansteckungsquelle ausfindig zu ma­ chen.15 Die Dienstreisen von Physikern zur Feststellung ansteckender Krankhei169 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

ten nahmen deshalb in den 80er Jahren ganz beträchtlich zu. Das führte dazu, daß die sanitätspolizeilichen D ienstobliegenheiten der Kreis-Physiker all­ mählich ihre traditionellen medizinalpolizeilichen und gerichtsärztlichen Aufgaben an Umfang übertrafen, wie sich an den seit dem Ende der 80er Jahre veröffentlichten Zusammenstellungen ihrer Tätigkeit deutlich ablesen läßt.16 Aber nicht allein ihre vermehrte Zuziehung zur Feststellung und Bekämp­ fung ansteckender Krankheiten erweiterte den Aufgabenkreis der Medizi­ nalbeamten; gleichzeitig wurden ihnen auch mit der Visitation von Schulen, Fabriken, Krankenhäusern und anderen öffentlichen Gebäuden sowie mit Gutachten bei der Konzessionierung bestimmter gewerblicher Anlagen17 und bei Schulneubauten18 neue Aufgaben auferlegt. Diese Entwicklung des Aufgabenkatalogs der Kreisphysiker führte zu einer zunehmenden D ifferenzierung innerhalb der Ärzteschaft. D as Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege, für das sich in der ersten Jahrhundert­ hälfte die Ärzteschaft als ganzes mehr oder weniger kompetent und verant­ wortlich gefühlt hatte, wurde zur Domäne der beamteten Ärzte, die dafür auch eine weitergehende spezielle Qualifikation erwerben mußten. D ie ihnen in der Prüfungsordnung von 1825 abverlangten Kenntnisse reichten für ihre neuen Aufgaben nicht mehr aus. Speziell die neuen bakteriologi­ schen Verfahren konnten nicht durch Lektüre und Selbststudium angeeignet werden; vielmehr war dazu der praktische Anschauungsunterricht erforder­ lich. Daher wurden 1884, 1886 und 1888 erstmals in Berlin bakteriologische Fortbildungskurse für Medizinalbeamte abgehalten. D ie Themen dieser Kurse wurden dann in den 90er Jahren auf die gesamte Tätigkeit der beamte­ ten Ärzte ausgedehnt.19 Seit 1902 schließlich stellten sie eine ständige Ein­ richtung dar, und jährlich wurden etwa 50 Kreisärzte dienstlich zur Teilnah­ me einberufen.20 Mit der neuen ärztlichen Prüfungsordnung von 1901 wurde zudem die Physikatsprüfung umgestaltet und erweitert. D ie Anforderungen auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege wurden wesentlich heraufgesetzt; als Vorbedingung für die Zulassung zur Kreisarztprüfung war seither die Teilnahme an einem mindestens dreimonatigen hygienischen, pathologisch­ anatomischen und gerichtlich-medizinischen Kursus erforderlich.21 Für den solcherart durch Ausbildung und Tätigkeitsfeld spezialisierten Arzt kam es mehr darauf an, »daß er Bazillen als daß er Menschen behandeln kann«. 22 D ie sich seit den späten 70er Jahren anbahnende D ifferenzierung zwischen der Qualifikation, den beruflichen Anforderungen und der prakti­ schen Tätigkeit der beamteten und der praktischen Ärzte hatte dazu geführt, daß der Kreisarzt in erster Linie ein den öffentlichen Belangen verpflichteter Gesundheitsbeamter, und erst in zweiter Linie Arzt war. Es ist daher auch kein Zufall, daß die Gründung des preußischen Medizi­ nalbeamtenvereins 1883 in eine Zeit fällt,23 in der die amtlichen Aufgaben der Physiker eigenes Gewicht neben ihrer sonstigen ärztlichen Tätigkeit 170 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

erhielten und sich dementsprechend auch eigene ideelle und materielle Inter­ essen dieser Ärztegruppe herausbildeten, die nicht mehr von der Ärzteschaft insgesamt vertreten werden konnten, ja deren Interessen teilweise sogar zuwiderliefen. Schon auf der ersten Hauptversammlung, noch im Gründungsjahr 1883, konnte der Geschäftsführer D r. Rapmund mitteilen, daß sich von 455 Kreis­ Physikern bereits 188 (= 32%) dem Verein angeschlossen hätten, während unter den Mitgliedern der Zentral- und Bezirksinstanz die Beteiligung etwas geringer war: 26 von 95 Ärzten (= 27,4%) hatten ihren Beitritt erklärt. D ie Mitgliederzahl im Verein stieg kontinuierlich an, und 1901, als das Kreisarzt­ gesetz in Kraft trat, gehörten dem Medizinalbeamtenverein 95,7% der Kreisärzte, 91,7% der Regierungs- und Medizinalräte und 33,3% der in der Zentralinstanz tätigen Ärzte an.24 Eine weitere Folge des skizzierten Aufgabenwandels der Kreis-Physiker war, daß die Forderungen nach einer umfassenden Medizinalreform, wie sie die Ärzteschaft seit der Medizinalreformbewegung der 40er Jahre immer wieder erhoben hatte, sich mehr und mehr auf eine Reform der Stellung des Kreis-Physikus konzentrierten. D ieses unterste Glied in der Hierarchie der preußischen Medizinalverwaltung war es, auf das die gestiegenen Anforde­ rungen an gesundheitspolitische staatliche Eingriffe abgewälzt wurden und dessen Stellung daher am reformbedürftigsten schien.25 In erster Linie sollten die Kreis-Physiker finanziell bessergestellt werden, damit sie ihren umfangreichen Aufgaben überhaupt nachkommen konnten und nicht den größten Teil ihrer Zeit für die Privatpraxis verwenden müß­ ten. Zwar war das Gehalt der Physiker 1872 auf 300 Taler (= 900 Mk.) heraufgesetzt worden;26 jedoch bestand damit immer noch die Notwendig­ keit, den größeren Teil der Einnahmen aus der Privatpraxis zu bestreiten, eine Forderung, die für manchen vielbeschäftigten Physiker eines größeren Kreises Konflikte heraufbeschwor, da die Privatpraxis ihn an der Erfüllung seiner Dienstpflichten hinderte. In zweiter Linie ging es darum, den beamteten Ärzten das Recht zu geben, in eigener Verantwortung und nach eigenem Ermessen initiativ zu werden, etwa im Falle von Seuchen ohne Anweisung Ermittlungen vornehmen und das Erforderliche anordnen zu können.27 Da aber eine Reform, welche die Kreisphysiker zu »pensionsberechtigten Staatsbeamten mit ausreichendem Gehalt und genügender Kompetenz«28 machen sollte, auf jeden Fall mit finanziellen Mehrbelastungen für die Staatskasse verbunden sein würde, stießen die ärztlichen Forderungen in den zuständigen preußischen Ministe­ rien zunächst auf wenig Gegenliebe.29 Wieder war es eine Choleraepidemie, die den Stein ins Rollen brachte. Im August 1892 brach in Hamburg die Cholera aus und forderte innerhalb weniger Monate fast 9000 Menschenleben. D as Wiederaufleben der gefähr­ lichen Krankheit, die seit 1866 in Deutschland nur noch vereinzelt aufgetre­ ten war, gab den Ärzten mit ihren Forderungen nach stärkerer Berücksichti171 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

gung der öffentlichen Gesundheitspflege Rückenwind. Bald nach der Ham­ burger Choleraepidemie wurden im Reichstag die Beratungen über ein Reichsseuchengesetz aufgenommen,30 und auch in Preußen wurde 1896 auf Antrag der Abgeordneten und Ärzte D r. Kruse und D r. Martens vom damaligen Kultusminister Bosse eine Kommission eingesetzt, der am 8. Ju­ ni 1896 die im Ministerium ausgearbeiteten »Grundzüge über die Organisa­ tion der Medizinalverwaltung« zur Beratung vorgelegt wurden. Auf die einzelnen Etappen in der Beratung, die vielfältigen Änderungen des Ent­ wurfs, die zunächst vorgesehene Reform in allen Instanzen, die schließliche Beschränkung auf die Kreisebenc kann hier nicht näher eingegangen wer­ den.31 Als Ergebnis der Beratungen wurde am 18. August 1899 das Kreis­ arztgesetz vom Abgeordnetenhaus verabschiedet und am 16. September vom König unterzeichnet. Die schon lange vorher eingesetzte Entwicklung, daß die beamteten Ärzte mehr und mehr zu zuständigen Spezialisten für öffentliche Gesundheitspfle­ ge, besonders für die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankhei­ ten geworden waren, wurde durch dieses Gesetz offiziell bestätigt und weiter verstärkt. Nach § 6 war es Aufgabe des Physikus, nunmehr Kreisarzt genannt, die gesundheitlichen Verhältnisse seines Kreises ständig zu beob­ achten, den zuständigen Behörden Vorschläge zur Abstellung von Mängeln zu machen und die Durchführung der Gesundheitsgesetzgebung zu überwa­ chen.32 Nach der vom Minister für Unterrichts- und Medizinalangelegen­ heiten am 23. März 1901 erlassenen D ienstanweisung bedeutete das im einzelnen, daß der Kreisarzt sich zu unterrichten hatte »über den Verbleib der festen und flüssigen Abgänge, die Beschaffenheit vorhandener Abzugskanä­ le, der Aborte, D üngerstätten und, sofern in dieser Beziehung Mißstände bestehen, auf die Einführung einer planmäßigen Beseitigung der Schmutz­ stoffe aller Art im Wege einer geregelten Abfuhr oder Kanalisation hinwir­ ken« sollte.33 In diesen Bereich fiel ferner die »Beaufsichtigung von Herber­ gen, Schlafstellen, Massenquarticren und Arbeiterwohnungen«, die Begut­ achtung von Baupolizeiverordnungen und Ortsbebauungsplänen, die vor ihrer endgültigen Festsetzung dem Kreisarzt vorgelegt werden mußten, sowie die Überwachung der bestehenden Trinkwasserversorgungsan­ lagen.34 Der erweiterte Aufgabenkreis bedeutete für viele Kreis-Physiker, daß sie ihre Privatpraxis einschränken mußten. Früher hatten die Physiker oft eine weit größere Praxis gehabt als ihre nichtbeamteten Kollegen, da das Publi­ kum sie als Ärzte »höherer Ordnung« ansah und das Physikat in der Haupt­ sache »eine Reklame, eine Empfehlung zur Gewinnung von Privatpraxis« bildete.35 In den 90er Jahren war das ebenso häufig schon nicht mehr der Fall. Nicht nur der wachsende Umfang seiner Dienstobliegenheiten hinder­ te den Physikus daran, eine ausgedehnte Privatpraxis zu betreiben, auch der Umstand, daß er weit häufiger als früher bei gesundheitlichen Mißständen einzugreifen sich genötigt sah, konnte ihn in Interessenkonflikte zwischen 172 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Amt und privater Klientel bringen. Ein Physikus in den ländlichen Bezirken Ostelbiens etwa, dem die Typhus-Erkrankung eines Sachsengängers gemel­ det wurde, mußte, falls er auf Abstellung gesundheitswidriger Zustände in der Unterbringung der Erntearbeiter drang, fürchten, den Gutsbesitzer und seine Familie als Patienten zu verlieren.36 Ebenso konnte sich ein städtischer Medizinalbeamter, der sanitätspolizeilichc Mängel in einer Fabrik feststellte, dadurch den Zorn des Fabrikbesitzers zuziehen, der ihn vielleicht als Fabrik­ arzt beschäftigte oder dessen langjähriger Hausarzt er war. 37 Zu einem der zentralen D iskussionspunkte bei der Neugestaltung der Kreisarztposition entwickelte sich daher die Frage, ob dem künftigen Kreis­ arzt die Ausübung einer Privatpraxis ganz untersagt und sein Gehalt entspre­ chend hoch angesetzt werden sollte.38 Schon die vierte Hauptversammlung des Preußischen Medizinalbeamtenvercins im Jahre 1886 hatte sich mit dieser Frage beschäftigt und damals empfohlen, dem Physikus die Privatpra­ xis insoweit zu gestatten, »als seine amtlichen Geschäfte darunter nicht leiden«.39 In den folgenden zehn Jahren vollzog sich aber unter den beamte­ ten Ärzten in dieser Frage ein Meinungswandel. Besonders um die Unpar­ teilichkeit und Unabhängigkeit des Medizinalbeamten gegenüber dem Pu­ blikum zu garantieren, ferner, um sein gespanntes Verhältnis zu den nichtbc­ amteten praktischen Ärzten40 dadurch zu entkrampfen, daß man ihn aus dem Konkurrenzverhältnis zu diesen herauszog, glaubte die große Mehrheit der Physiker jetzt, auf ein Verbot der Privatpraxis nicht verzichten zu können. Allerdings war es nötig, auf eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Physikern Rücksicht zu nehmen, die bereits eine gutgehende Privatpraxis hatten und sich aus diesem Grunde gegen das gänzliche Verbot der Praxis­ ausübung sträubten.41 Eine D elegiertenversammlung des preußischen Medizinalbeamtenver­ eins einigte sich daher im September 1897 auf den Beschluß: »D en neu anzustellenden Kreisärzten ist die Ausübung ärztlicher Privatpraxis, abgese­ hen von der gemeinschaftlichen Beratung mit anderen Ärzten (Konsulta­ tionspraxis) nicht gestattet; für die ζ. Ζ. im Amt befindlichen bestimmt der Medizinalminister, inwieweit sie ärztliche Privatpraxis ausüben dürfen. «42 Auch die im Medizinalministerium ausgearbeiteten »Grundzüge über die Organisation der Medizinalverwaltung« sahen die Vollbesoldung der Kreis­ ärzte und dementsprechend das Verbot der Privatpraxis vor. Zwar kamen in der vom 3. bis 4. Mai 1897 im Kultusministerium abgehaltenen sog. Mai­ konferenz Bedenken gegen diese Bestimmung vor allem von Seiten der Laienmitglieder der Kommission,43 wofür als Argument hauptsächlich die Befürchtung vorgebracht wurde, der Arzt, dem die Verbindung zum Kran­ kenbett fehle, könne zum verknöcherten Stubengelehrten und Theoretiker werden.44 Trotzdem hielt der im Anschluß an die Konferenz ausgearbeitete Gesetzentwurf noch an der Vollbesoldung fest; erst in den weiteren Beratun­ gen stieß die für alle Kreisärzte geforderte hauptamtliche Stellung vor allem auf den Widerstand des Finanzministers. In dem 1898 schließlich dem Abge173 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

ordnctenhaus vorgelegten Entwurf war daher die Vollbesoldung gestrichen und nur eine wie bisher nebenamtliche Stellung der Kreismedizinalbeamten vorgesehen. Für diese Änderung waren offensichtlich nicht nur fiskalische Gründe ausschlaggebend, sondern auch die Sorge, hauptamtliche Kreisärzte könn­ ten durch ständige gesundheitspolitische Forderungen und lästige Vorschlä­ ge den Gemeinden allzu viel Scherereien machen. Nach den ersten Beratun­ gen im Abgeordnetenhaus, in dem sich nur die konservative Partei vorbe­ haltlos hinter den Regierungsentwurf stellte, argwöhnte die Zeitschrift für Medizinalbeamte jedenfalls, daß »die Belassung der Privatpraxis gewisser­ maßen als Gegengewicht gegen den ›Übereifer‹ des künftigen Gesundheits­ beamten dienen« solle.45 Dem Engagement der liberalen Parteien, vor allem der im Abgeordneten­ haus sitzenden Ärzte Endemann, Langerhans, Martens und Ruegenberg war es zuzuschreiben, daß im § 3 des Entwurfs zumindest noch ein Zusatz eingefügt wurde, der vollbesoldete Kreisärzte da zuließ, »wo besondere Verhältnisse dies erfordern«.46 Auch nach Inkrafttreten des Kreisarztgesetzes blieb jedoch der nebenamt­ lich tätige, nebenher auf Einnahmen aus der Privatpraxis angewiesene Kreis­ arzt die Regel. 1906 waren von 504 preußischen Kreisärzten 39 vollbesol­ det,47 1908 waren es 53 von 530, und 1909 hatte die Zahl der vollbesoldeten sich auf 58 erhöht, was einem Prozentsatz von 11% entsprach.48 Zwar war auch bei den nicht-vollbesoldeten Kreisärzten das Gehalt beträchtlich erhöht worden - es betrug jetzt zwischen 1800 und 2700 Mk. und war zudem pensionsfähig.49 D afür hatte sich durch die zum Gesetz ergangene Dienstan­ weisung für die Kreisärzte deren Aufgabenbereich noch einmal beträchtlich erweitert. Eine Umfrage zu Anfang des Jahres 1906, an der sich 364 Kreisärzte beteiligten, ergab bei den nicht vollbesoldeten eine durchschnittliche tägli­ che Arbeitsdauer für amtliche Aufgaben von 6,6 Stunden. 67,3% ihrer gesamten Tätigkeit mußten die Kreisärzte nach ihren eigenen Angaben auf das Amt verwenden. D ie Ausübung von Privatpraxis war infolgedessen seit Inkrafttreten des Kreisarztgesetzes um durchschnittlich 75% zurückgegan­ gen. 35% der Kreisärzte erklärten, gar keine Privatpraxis mehr betreiben zu können. D ie bei der Festsetzung der Kreisarztgehälter gemachte Annahme, die Kreisärzte würden zusätzlich 2000 Mk. jährlich an Gebühren für beson­ dere Amtsgeschäfte einnehmen, hatte sich ebenfalls nicht realisiert. In den Jahren 1902 bis 1904 waren es durchschnittlich nur 800 Mk. 50 Obwohl die Kreisärzte zunehmend darüber klagten, daß sie zwar vollbe­ schäftigt, aber nicht vollbesoldet seien; obwohl der Vorstand des preußi­ schen Medizinalbeamtenvereins 1906 an den Minister für Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten eine Eingabe richtete, in der er um die Umwand­ lung der nicht vollbesoldeten Kreisarztstellen in vollbesoldete bat;51 obwohl auch das preußische Abgeordnetenhaus diese Forderung unterstützte, kam 174 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

eine Vermehrung der vollbesoldeten Kreisarztstellen zunächst sehr schlep­ pend voran und wurde erst nach dem Weltkrieg in größerem Umfang durchgeführt. 1921 gab es 191 vollbesoldete Kreisärzte, 1926 284, das waren 43,5% bzw. 69% aller Kreisarztstellen.52 Mit dieser Entwicklung wurde endlich ein wesentlicher Konfliktpunkt, der in der Vergangenheit auf dem Felde der Privatpraxis zu ständigen Reibereien zwischen beamteten Ärzten und ihren nichtbeamteten Kollegen geführt hatte, entschärft. Das Verhältnis von beamteten und praktischen Ärzten hatte nicht nur aufgrund der Konkurrenz um die Gewinnung von Patienten, bei der die Kreisärzte lange Zeit die besseren Chancen hatten, »mancherlei Trübun­ gen«53 erfahren. Auch die Ausweitung der ärztlichen Aufgaben in der öf­ fentlichen Gesundheitspflege hatte neue Reibungsflächen geschaffen, da mitunter beide Gruppen, die beamteten Ärzte einerseits, die praktischen Ärzte andrerseits, solche Aufgaben für sich reklamierten. So rief der Beschluß des preußischen Medizinalbeamtenvereins 1886, wonach die Ausführung der öffentlichen Impfung generell den Physikern übertragen werden sollte,54 unter den praktischen Ärzten Verstimmung und lebhaften Protest hervor. Die große Mehrheit der ärztlichen Vereine, die sich auf einen entsprechenden Aufruf des Ärztevereinsbundes hin geäußert hat­ ten, sprach sich nicht nur gegen die alleinige Übertragung des Impfgeschäfts auf die beamteten Ärzte, sondern auch gegen eine Bevorzugung der beamte­ ten Ärzte bei der Auswahl der Impfärzte aus, vor allem mit dem Argument, daß der praktische Arzt mit den örtlichen Verhältnissen, speziell dem Ge­ sundheitszustand der Impflinge und ihrer Eltern, besser vertraut sei als der aus der Kreisstadt herbeigeholte beamtete Arzt. Materielle Gründe spielten zudem eine entscheidende Rolle: Wenn das Impfgeschäft den beamteten Ärzten übertragen werde, argumentierten die Ärztevereine, würden »viele Ärzte in ihrer Einnahme empfindlich geschädigt« und außerdem ärmere Gegenden von den Ärzten noch mehr gemieden, da sie dann dort kaum existieren könnten.55 Neue Konfliktmöglichkeiten entstanden auch durch die den Kreisärzten im Reichsseuchengesetz von 1900 bzw. im preußischen Seuchengesetz von 1905 zugewiesenen Aufgaben. Anders als das preußische Regulativ von 1835 machten nämlich die beiden Seuchengesetze den beamteten Arzt zum D reh­ und Angelpunkt der Seuchenbekämpfung. § 7 des Reichsseuchengesetzes bestimmte, daß dem beamteten Arzt im Zusammenhang seiner Ermittlun­ gen der »Zutritt zu dem Kranken oder zu der Leiche . . . zu gestatten« sei.56 Das preußische Seuchengesetz, das wesentlich mehr Krankheiten umfaßte, sah ebenfalls dieses Recht des Medizinalbeamten vor, machtejedoch für den Fall, daß der Kranke sich in ärztlicher Behandlung befand, den Zutritt des beamteten Arztes zum Kranken von der Zustimmung des behandelnden Arztes abhängig. Es installierte damit einen Einigungszwang zwischen be­ amtetem und behandelndem Arzt, der unter Umständen problematisch werden konnte.57 Ähnlich war es mit der Überweisung in ein Krankenhaus. 175 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Hatte das Regulativ von 1835 noch vorgesehen, daß »in der Regel . . . kein Kranker wider den Willen des Familienhauptes aus seiner Wohnung entfernt werden« durfte,58 erweiterte auch hier das Reichsseuchengesetz die Rechte des Arztes ganz erheblich. Es ermöglichte die Überführung eines von einer gefährlichen ansteckenden Krankheit befallenen Kranken ins Krankenhaus, wenn der behandelnde Arzt erklärte, daß dies zum Zwecke der Absonde­ rung des Kranken unerläßlich sei.59 Bei der Beratung des Gesetzes im Reichstage wurde eine Vorschrift hinzugefügt, wonach zusätzlich noch die Erklärung des behandelnden Arztes eingeholt werden mußte, daß der Transport des Kranken ohne zusätzliches Risiko für diesen möglich sei. Auch hier war also Übereinstimmung gefordert, was immer die Gefahr von Konflikten barg, da der beamtete Arzt das Interesse der Allgemeinheit an effektivem Schutz vor weiterer Verbreitung der Seuche, der behandelnde Arzt dagegen in erster Linie die Interessen des individuellen Kranken zu vertreten hatte.60 Die gleichen Argumente wie in der Impffrage prägten auch die Auseinan­ dersetzung um die Schulgesundheitspflege. Solange diese nur darin bestand, die bauliche Einrichtung der Schule, also Heizung, Lüftung, Größe der Klassenräume usw., in hygienischer Hinsicht zu überwachen, war dies selbstverständlich Aufgabe der Kreisärzte, und es ergab sich kaum Anlaß zu Konflikten. Als man aber mehr und mehr zu periodischen ärztlichen Reihen­ untersuchungen sämtlicher Schüler überging, beanspruchten die Kreisärzte, insbesondere auf dem Lande, auch diesen schulärztlichen Dienst,61 während die praktischen Ärzte dagegen hielten, nur der »Arzt in loco, welcher zunächst bei der Schule ist und in seiner Praxis die Bevölkerung seiner Schulgemeinde am besten kennt«, sei zum Schularzt berufen.62 In den meisten größeren Städten war es den Kreisärzten wegen der grö­ ßeren Schülerzahlen gar nicht möglich, selber die Untersuchung sämtlicher Schulkinder durchzuführen. Nachdem man zunächst in Wiesbaden 1897 gute Erfahrungen mit eigens angestellten Schulärzten gemacht hatte, gingen mehr und mehr Städte dazu über, schulärztliche Untersuchungen durch von ihnen bestallte Schulärzte durchführen zu lassen.63 In dieser meist von Ärzten im Nebenamt betriebenen Schulgesundheitspflege, die die Anfänge eines kommunalärztlichen D ienstes neben dem staatsärztlichen markiert,64 taten sich allerdings neue Konfliktlinien innerhalb der ärztlichen Profession, diesmal zwischen kommunalen und praktischen Ärzten, auf D iese arg­ wöhnten sogleich, die Schulärzte könnten in ihr Erwerbsgebiet eingreifen, indem sie sich nicht auf Untersuchungen und prophylaktische Maßnahmen beschränkten, sondern auch behandelten.65 Solchen Befürchtungen der nie­ dergelassenen praktischen Ärzte entsprang die wohl in allen städtischen Dienstordnungen für Schulärzte enthaltene Bestimmung, daß die Behand­ lung der Schulkinder nicht Sache des Schularztes, sondern der Eltern und des von ihnen gewählten Arztes sei.66 Mit solchen D ienstanweisungen an die Schulärzte scheinen aber langfri176 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

stig nicht alle Konflikte aus dem Wege geräumt worden zu sein, denn mehr und mehr Ärzte gaben hauptamtlichen Schulärzten, die dann keine Privat­ praxis mehr treiben sollten, den Vorzug vor nebenamtlichen, da nur so »Störungen im Verhältnis zu den Hausärzten« sich vermeiden ließen.67 Das sind einige Beispiele für Interessenkonflikte zwischen zwei sich nach Qualifikation, Interessen und Tätigkeit auseinanderbewegenden Ärztegrup­ pen, nämlich den mit Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege betrau­ ten beamteten Ärzten auf der einen und der großen Masse der niedergelasse­ nen Ärzte auf der anderen Seite, die sich gegen wirkliche oder vermeintliche Übergriffe der Medizinalbeamten in ihren Tätigkeitsbereich zu verwahren suchten. Die große Gruppe der nichtbeamteten niedergelassenen Ärzte wie­ derum war in sich alles andere als homogen. Zu dem schon immer bestehen­ den Unterschied zwischen Stadt- und Landpraxis, zu den Abstufungen nach Klientel, Einkommen und Lebenshaltung traten seit den 80er Jahren zwei neue Differenzierungslinien, die die Ärzteschaft schärfer als die anderen in unterscheidbare Lager spalteten und die auch die Fähigkeit der ärztlichen Standesorganisationen, die widerstrebenden Gruppen und Interessen noch zusammenzuhalten, aufs Äußerste strapazierten. D ie beiden neuen durch interne D ifferenzierungsprozesse entstehenden Gruppen sind erstens die Spezialärzte, die einen immer größeren Prozentsatz der Ärzteschaft aus­ machten und deren Berufsbild und Tätigkeit sich immer mehr von dem der einfachen praktischen Ärzte abhob, und zweitens die Kassenärzte, die auf­ grund des eigentümlichen Arbeitsverhältnisses, wie es aus der Gesetzlichen Krankenversicherung resultierte, eigene Interessen entwickelten, die sich von denen der Nicht-Kassenärzte deutlich unterschieden.

2. D ie Spezialisierung der ärztlichen Praxis a) Die Herausbildung des modernen »Spezialistentums« seit den 80erJahren: Bedingungen und Formen Der Spezialisierung der ärztlichen Praxis ging zeitlich die Spezialisierung der medizinischen Wissenschaft voran, wie sie an den Universitäten betrieben wurde. Wie schon im dritten Kapitel dargestellt, läßt sich dieser Prozeß bis ins späte 18. Jahrhundert zurückverfolgen, doch setzte er in großem Maß­ stab erst nach der Jahrhundertmitte ein, als die Zahl medizinischer Spezialfä­ cher und -disziplinen explosionsartig anschwoll. Ermöglicht und wesentlich gefördert wurde diese Ausdifferenzierung neuer Fachrichtungen durch die endgültige Etablierung der lokalistischen Krankheitsauffassung spätestens seit Virchows Arbeit über die Zellularpathologie (1858); durch die Entwick­ lung spezieller Untersuchungsinstrumente, die bisweilen geradezu die Ent177 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

stehung eines neuen Spezialfaches markierten, wie etwa die Entdeckung des Augenspiegels durch Helmholtz im Jahre 1851 ; 68 und schließlich durch eine Reihe von Eigentümlichkeiten gerade des deutschen Universitätsbetriebes, die ein Engagement von jungen Wissenschaftlern in neuen Spezialdiszipli­ ncn begünstigten. Von den in den 50cr, 60er und 70er Jahren in rascher Folge entstehenden Spezialfächern an den medizinischen Fakultäten kam jedoch für die Übertra­ gung in das ärztliche Berufsleben nur ein Teil in Betracht; die theoretischen Fächer wie etwa die Physiologie, physiologische Chemie, pathologische Anatomie usw. blieben von vornherein auf den wissenschaftlichen Bereich, auf Lehre und Forschung beschränkt. Für die Spezialisierung der ärztlichen Praxis eigneten sich vorzugsweise die sog. »Organspezialitäten«, als erste und älteste die Augenheilkunde. Ferner fallen in diesen Bereich die speziali­ sierte Behandlung von Ohrenkrankheiten durch den Otologen, von Erkran­ kungen der Nase und des Rachenraumes durch den Rhinolaryngologen gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann sich zunehmend die heute übliche Kombination der Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten (HNO) durchzuset­ zen69 -, von Haut- und Geschlechtskrankheiten sowie von Nervenleiden. Auch die Frauenärzte gehören in die Rubrik »Organspezialitäten«, weil sie vorwiegend Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane behandeln, während die Kinderärzte sich nicht auf die Behandlung bestimmter Organe spezialisiert haben, sondern auf die Behandlung einer bestimmten Alters­ gruppe und der für sie typischen Krankheiten. Auf wiederum anderer Grundlage, nämlich der Spezialisierung des thera­ peutischen Vorgehens, beruht ein anderes Spezialfach, das seit den 70er Jahren immer erfolgreicher wurde, die Chirurgie. Die auf die Ausübung der Chirurgie spezialisierten Mediziner unterschieden sich allerdings fundamen­ tal von den Wundärzten alter Observanz, wie denn überhaupt ein deutlicher Trennungsstrich zwischen der Segmentierung der ärztlichen Berufsgruppe, wie sie bis ca. zur Mitte des 19. Jahrhunderts bestand, und dem neuen Phänomen der Spezialisierung der zweiten Jahrhunderthälfte zu ziehen ist. In der alten Hierarchie der Heilpersonen war überhaupt nur ein kleiner Teil der Ärzte wissenschaftlich ausgebildet, während die übrigen lediglich eine handwerkliche Ausbildung genossen hatten. Wenn die gelehrten Ärzte ihre Tätigkeit auf die Kur innerer Krankheiten beschränkten, war darin weniger ein Phänomen der Spezialisierung zu sehen als vielmehr die Ausblendung eines Teils der Medizin, der, weil er mit manuellen Tätigkeiten verbunden war, als nicht »standeswürdig« galt. D ie auf chirurgische Tätigkeiten »spe­ zialisierten« Wundärzte ihrerseits verfügten über keine allgemeine medizini­ sche Bildung, ebensowenig wie die aufs »Starstechen« spezialisierten »Au­ genärzte«. Zudem war die Trennung der Heilkunde in »Medizin« und »Chirurgie« eng verwoben mit sozialen Unterscheidungsmerkmalen, so­ wohl bezogen auf den sozialen Status der Heilkundigen als auch den sozialen Standort ihrer Klientel. 178 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Der moderne Spezialarzt dagegen war nach einer zeitgenössischen D efini­ tion ein Arzt, »der sich neben der allgemeinen ärztlichen Bildung durch besondere wissenschaftliche und praktische Vorbildung auf einem bestimm­ ten Gebiete der Heilkunde eingehende Kenntnisse erworben hat, welche weit über die des praktischen Arztes hinausgehen und den Träger derselben befähigen und berechtigen, als Autorität in diesem Fache von den Kollegen angesehen zu werden«.70 Die Spezialisierung baute erstens auf einer für alle Ärzte verbindlichen wissenschaftlichen Ausbildung auf und hatte zweitens zur Voraussetzung, daß das medizinische Wissen und die medizinische Tech­ nik so weit fortgeschritten waren, daß auf bestimmten Teilgebieten zusätzli­ che, über die allgemeine ärztliche Ausbildung hinausgehende Spezialkennt­ nisse erworben werden konnten. D ie Spezialisierungsprozesse der zweiten Jahrhunderthälfte sind daher ganz wesentlich ein Produkt der Expansion medizinischen Wissens. Mit dieser läßt sich zwar die Ausdifferenzierung neuer Spezialfächer an den Universitäten plausibel machen, nicht jedoch hinreichend erklären, warum die Spezialisierung insbesondere seit den 80er Jahren zunehmend in die ärztliche Praxis Eingang fand. D ie Gründe für diesen letzteren Prozeß sind zu einem wesentlichen Teil nicht wissenschaftli­ cher, sondern praktischer Natur. Der Spezialarzt, der seine Tätigkeit auf bestimmte Gebiete ärztlicher Praxis konzentrierte, nutzte im Vergleich mit seinem nichtspezialisicrten Kollegen mehrere Vorteile der Arbeitsteilung aus: Er besaß auf seinem Fachgebiet durch ständige Übung mehr Routine und Sicherheit; er konnte sich kostspielige Instrumente und Apparaturen anschaffen, die dank der Spezialisierung auch durchgehend genutzt wurden; Pluspunkte, die der Kieler Medizinprofessor Heinrich Quincke 1906 mit den Vorteilen arbeits­ teiliger Produktion in anderen Bereichen verglich: »Wie bei Herstellung aller unserer Lebensbedürfnisse die Maschine zur Teilung der Arbeitsaufgaben und zur Massenfabrikation geführt hat, so drängt die technische Kompli­ ziertheit und die Mannigfaltigkeit der Untersuchungen und Behandlungs­ methoden in der Medizin zur Teilung der Arbeit. D ie einzelne Werkstatt für Auge, Ohr und Zähne, für Anwendung von Bädern oder Elektrizität kann dann vollkommener und praktischer eingerichtet sein, die Apparate sind in ständigem Gebrauch und die Gleichartigkeit der Untersuchungs- und Be­ handlungsobjekte erlaubt bei gleicher Sorgfalt eine schnellere Abfertigung, - mutatis mutandis alle Vorteile wie beim Fabrikbetrieb. « 71 Um aber diese Vorteile der Massenabfertigung überhaupt realisieren zu können, brauchte der Spezialarzt einen großen potentiellen Kundenkreis, mit anderen Worten: für die Ausbreitung des Spezialistentums in der ärztli­ chen Praxis war ein ausgedehnter Markt für medizinische D ienstleistungen grundlegende Voraussetzung. D iese Voraussetzung war in der Regel nur in größeren Städten gegeben,72 weshalb denn auch die spezialärztliche Praxis bis ins 20. Jahrhundert hinein ein typisches Großstadtphänomen war. Einen repräsentativen Überblick darüber vermittelt erstmals eine im preußischen 179 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Ministerium für Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten 1906 erstellte Denkschrift über »Die Spezialärzte in Preußen im Jahre 1904«.73 Unter den 17746 preußischen Ärzten befanden sich zu diesem Zeitpunkt 2779 Spezialärzte (= 15,7%), dazu kamen noch 321 als Spezialärzte tätige Dozenten der neun preußischen Universitäten. Zusammen bedeutete das, daß ca. 17,5% der preußischen Ärzte eine Spezialpraxis betrieben. In den Großstädten lag der Anteil der Spezialisten an der Gesamtzahl der Ärzte in der Regel zwischen 25 und 35%; an der Spitze standen Bonn mit knapp 42% und Danzig mit knapp 40%. 74 Da dies die erste landesweite Erhebung über das Ausmaß spezialärztlicher Praxis war, sind genaue Angaben über die Entwicklung der Spezialisierung bis zu diesem Zeitpunkt (1904) nicht mög­ lich. Es existieren aber Zahlen aus einer Reihe einzelner deutscher Großstäd­ te, die die rasche Zunahme der Spezialärzte im Zeitraum 1885/86 bis 1905/06 belegen. Unter den zehn Großstädten Stuttgart, D resden, Frankfurt/M., München, Leipzig, Breslau, Hannover, D üsseldorf, Hamburg und Kiel hatte 1885/86 Hamburg mit 14,2% Spezialärzten unter hundert niedergelas­ senen Ärzten die höchste Spezialarztdichte aufzuweisen, Hannover mit 3,7% die niedrigste. 20 Jahre später, 1905/06 hatten sich in Stuttgart 45,4% der niedergelassenen Ärzte, beinahe jeder zweite, spezialisiert; und auch in der Stadt mit den relativ wenigsten Spezialärzten, Kiel, machte diese Gruppe immer noch 18,8% der Ärzte aus. 75 Deuten diese exemplarischen Zahlen schon auf eine rasche Ausdehnung spezialistischer Praxis seit den 80er Jahren, so bestätigt sich dieser Trend beim Vergleich der schon besprochenen Erhebung des preußischen Medizi­ nalministeriums aus dem Jahre 1904 mit der Zählung des Medizinalperso­ nals im Deutschen Reiche im Jahre 1909, bei der erstmals auch eine Rubrik »Spezialärzte« gebildet wurde. Dieser vom Reichsgesundheitsamt durchge­ führten Zählung zufolge gab es 1909 in Preußen unter insgesamt 18299 Ärzten 3528 Spezialärzte,76 das waren 428 oder 14% mehr als noch fünfjahre zuvor. D er im Landesdurchschnitt 22,8% betragende Spezialarztanteil an der Gesamtzahl der niedergelassenen Zivilärzte77 variierte ganz erheblich in den verschiedenen Gemeindegrößenklassen. In Großstädten über 100000 Einwohnern - hier lebten fast drei Viertel der dreieinhalbtausend preußi­ schen Spezialärzte - hatten 40,4% der Ärzte sich in ihrer Praxis spezialisiert, und auch in den übrigen größeren Städten (40000-100000 Einwohner) lag der Spezialarztanteil mit 31,7% noch weit über dem Durchschnitt. D agegen betrieben in den kleinen Städten und Gemeinden unter 20000 Einwohnern lediglich 2,4% der Ärzte eine auf bestimmte Fachrichtungen spezialisierte Praxis.78 D iese enge Koppelung zwischen Spezialisierung der ärztlichen Praxis und Größe der jeweiligen Gemeinde legt es in der Tat nahe, die Facharztdichte als »Maßstab für den Stand der Urbanisierung« zu be­ zeichnen.79 Außer der fortgeschrittenen Urbanisierung bestand eine weitere Voraus­ setzung für die Ausbreitung von Spezialpraxen in der Bereitschaft der Bevöl180 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

kerung, bei bestimmten Leiden eher den dafür zuständigen Spezialisten als den Allgemeinpraktiker aufzusuchen. Übereinstimmend wird von zeitge­ nössischen Beobachtern hervorgehoben, daß diese Bereitschaft bestand, ja, daß die Konsultation eines Spezialarztes sich sogar zu einer Art Mode entwickele und die rasche Verbreitung der Spezialärzte nicht zuletzt auf ein »Verlangen des Publikums«80 zurückzuführen sei. Auch hier wird man schichtenspezifische D ifferenzen annehmen dürfen, wenn dazu auch die Aussagen der Quellen sehr spärlich sind. D er Frankfurter Laryngologe Schmidt jedenfalls wurde in den 80er Jahren nach den Erinnerungen seines Kollegen Körner »vorzugsweise von den oberen Zehntausend und dem soliden Bürgerstande« in Anspruch genommen.81 Da die Spezialärzte zumindest der Theorie nach auf ihrem Fachgebiet eingehendere Kenntnisse und größere Sicherheit in der Behandlung besa­ ßen, sahen die Patienten, häufig berechtigt, in ihnen »eine höhere Stufe von Ärzten«.82 Die frühzeitige Diagnose von Diphterie bei einem Kleinkind, die Behandlung einer Mittelohrentzündung oder eines komplizierten Knochen­ bruchs, die Versorgung eines langwierigen Hautleidens oder eine Gebär­ mutterausschabung waren Fälle, die wahrscheinlich vom zuständigen Spe­ zialarzt besser und mit mehr Aussicht auf Erfolg behandelt werden konnten als vom Allgemeinpraktiker. D er Spezialarzt konnte sich auf seinem einge­ grenzten Fachgebiet leichter auf dem neuesten Stand halten und den Patien­ ten jeweils nach den neuesten Kenntnissen der Wissenschaft verarzten. Wenn daher auch vielfach die Existenz von Spezialärzten eine Verbesse­ rung des Angebots an medizinischen Leistungen darstellte, fehlte es doch auch nicht an kritischen Stimmen zu dieser Entwicklung. Zum einen bezogen sie sich auf das Fehlen einer geregelten Ausbildung für Spezialärzte. Auf welche Weise ein Arzt sich nach seiner Approbation als Allgemeinpraktiker zum Spezialarzt weiterbildete, war völlig in sein Belie­ ben gestellt. Normalerweise erwarb er sich durch eine Stellung in der entsprechenden Abteilung eines Krankenhauses oder durch Assistenz bei einem renommierten Spezialarzt die nötigen Kenntnisse. Es gab jedoch weder Vorschriften über die nötige Dauer und Qualität einer solchen Weiter­ bildung noch wurde der Nachweis der erworbenen Kenntnisse in einer Prüfung verlangt. Von den 2779 preußischen Spezialärzten der ministeriel­ len Denkschrift von 1904 hatte ein Drittel eine Ausbildungszeit von weniger als zwei Jahren in ihrem Spezialgebiet angegeben und ein weiteres Viertel eine solche von zwei bis drei Jahren. Die Mehrzahl hatte sich also höchstens drei Jahre intensiv mit ihrem Spezialgebiet beschäftigt, eine Zeit, die vom Ministerium als unzulänglich bezeichnet wurde. »D ie meisten der heute praktizierenden Spezialärzte sind in die Praxis gegangen, ohne die erforderli­ che Spezialausbildung von hinreichender D auer erlangt zu haben.«83 Teil­ weise muß die Ausbildung noch viel kürzer und unzureichender gewesen sein, als man nach der Denkschrift, die sich immerhin auf die Angaben der Spezialärzte selber stützte, vermuten könnte. D as belegt das kritische 181 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Schlagwort von den sog. »Sechswochenspezialisten«,84 das sich polemisch gegen diese Art von kürzester Schmalspur-Ausbildung wandte. Die Ärzte, die sich nach flüchtiger Beschäftigung mit den Grundlagen eines Fachgebietes den Titel »Spezialarzt« auf ihr Praxisschild malen ließen, hatten im allgemeinen weniger Interesse an dem speziellen Fachgebiet als vielmehr ein Interesse daran, durch das »Lockmittel« der spezialärztlichen Bezeichnung möglichst schnell zu einer einträglichen Praxis zu kommen. Der »Spezialarzt« konnte für seine Leistungen höhere Gebühren liquidieren, genoß in der Regel ein größeres wissenschaftliches und soziales Ansehen und hatte eine weniger aufreibende Berufstätigkeit, da er weniger Hausbesuche und fast gar keine Nachtbesuche machte.85 Auch der Ärztetag von 1892, der sich mit dem Thema »Spezialärzte« befaßte, mußte konstatieren, daß sich »in der Entwicklung des Spezialisten­ thums Auswüchse gebildet« hätten.86 Gleichwohl sprachen sich sowohl der Referent, D r. Stimmel, als auch sämtliche D iskussionsredner gegen die Einführung einer besonderen Prüfung für Spezialärzte aus, 87 weil dadurch »die Scheidung der Ärzte in zwei Classen gesetzlich vollzogen« und der »nur« für die Allgemeinpraxis approbierte Arzt gegenüber dem Spezialarzt abgewertet würde. Vielmehr hoffte man den zugegebenen »Auswüchsen« durch »stramme Vereinsorganisation« beizukommen.88 Sechzehn Jahre später, 1908, forderte die preußische Wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen in einem Gutachten, die Berechtigung, sich als Spezialarzt zu bezeichnen, an »bestimmte Bedingungen zu knüp­ fen«.89 D azu rechnete die Deputation eine besondere Ausbildung »in Uni­ versitätsanstalten, Anstalten der Akademien für praktische Medizin, Spe­ zialabteilungen größerer Krankenhäuser oder bei anerkannten Spezialärz­ ten«. D iese Ausbildung sollte in der Regel drei Jahre dauern und durch eine Bescheinigung des ausbildenden Arztes nachgewiesen werden.90 Ein Erlaß des preußischen Kultus- und Medizinalministers vom 15. Juli 1908 an die Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten empfahl jedoch unter Bezugnahme auf das Gutachten, die Spezialistenfrage als eine ärztliche Standesfrage zu behandeln und die weiteren Schritte den ärztlichen Standes­ organisationen zu überlassen.91 Einer allgemeinen Lösung zugeführt wurde das Problem der Ausbildung und Prüfung der Spezialärzte erst durch die Facharztordnung, die der Bremer Ärztetag 1924 verabschiedete.92 Ein zweiter Punkt, an dem sich die Kritik am »Spezialistentum« entzün­ dete, war die den Spezialärzten oft vorgeworfene »Einseitigkeit« bei der Behandlung ihrer Patienten. D er Spezialarzt sehe nur das Organ, auf dessen Behandlung er spezialisiert sei und verliere den Patienten als ganzen Men­ schen aus den Augen.93 Häufig trete durch die örtliche Behandlung, etwa bei kreislaufschwachen oder nervösen Patienten, eine Schädigung des Gesamt­ organismus ein, die größer sei als die möglicherweise an dem behandelten Organ erzielte Besserung.94 Besonders schädlich sei es für den Patienten, wenn sich mehrere Ärzte ohne gegenseitige Absprache in die Behandlung 182 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

teilten. »D ann kann es vorkommen, daß der eine Arzt die Nase, der andere die Genitalien, ein dritter den Magen, ein vierter die Nerven behandelt, ohne daß der eine von dem anderen etwas weiß. «95 Einen Teilaspekt der einseitig lokalistischen Behandlung stellte die häufig kritisierte Operationslust der Spezialisten dar: »Eine Operation ist für den Spezialisten heute nicht mehr als wie für den praktischen Arzt etwa eine physikalische Untersuchung. Eine Nasenmuschel, die Ovarien, oder der Uterus sind bald entfernt. D er Spezialist denkt nicht daran, daß an der Nase auch noch ein Mensch hängt . . . Auf den Seelenzustand, auf die wirtschaft­ lichen Verhältnisse des zu Operierenden wird keine Rücksicht ge­ nommen.«96 Daß solche Kritik an der Aufteilung der Medizin in einzelne Spezialitäten und der »Zerlegung des Patienten« in einzelne Organe und Körperfunktio­ nen schon verhältnismäßig früh derartig pointiert und massiv auftrat und in der zeitgenössischen ärztlichen Literatur größeren Raum einnahm als das Lob der positiven Seiten der Spezialisierung,97 ist auf den ersten Blick erstaunlich, scheint doch das Aufkommen der modernen Spezialärzte den wissenschaftlichen Triumph der Medizin, die Expansion ihrer Kenntnisse, Methoden und Verfahren derart, daß ein einzelner sie gar nicht mehr über­ blicken konnte, in ungebrochener Weise widerzuspiegeln. Dafür, daß das Gros der Ärzte gegenüber den Spezialisten eher skeptisch eingestellt war, liefert die dritte Gruppe von Kritikpunkten am »Speziali­ stentum« eine Erklärung. Außer den Zweifeln an der Gründlichkeit spezial­ ärztlicher Ausbildung und dem Verdikt der Einseitigkeit traf die Spezialärzte nämlich vor allem der Vorwurf, durch ihre Existenz und Tätigkeit werde der Beruf des einfachen Allgemeinpraktikers abgewertet und büße immer mehr an Vielseitigkeit ein. Immer mehr komplizierte Krankheiten, die früher jeder Arzt behandelt hatte, wurden an den Spezialarzt überwiesen; insbeson­ dere galt das von operativen Eingriffen, die der Großstadtarzt fast gar nicht mehr selber ausführte. 1900 klagte ein älterer Praktiker im Ärztlichen Ver­ einsblatt: »Wieviel gibt es heutzutage noch praktische Ärzte, die, wie wir Alten, Steinoperationen, Amputationen, Tracheotomien, Resektionen, Bruchoperationen etc. selbst machen, kurz in allen Sätteln gerecht sein müssen? Fast das ganze Gebiet der Chirurgie, der Frauenkrankheiten, selbst ein großer Teil der Geburtshilfe ist durch die Kliniken und Spezialisten den praktischen Ärzten entzogen worden . . .« 98 Wenn der praktische Arzt nur noch »als Wegweiser zu den Spezialisten«,99 als »lebendes Adreßbuch der Spezialisten«,100 als deren »Hauskommissionär«101 und was dergleichen bittere Bemerkungen mehr waren, fungierte,102 dann bedeutete dies in der Tat eine Verarmung seiner beruflichen Tätigkeit. Die Tendenz, den Allgemeinpraktikern Aufgaben zu entziehen, war bei verschiedenen Spezialitäten verschieden stark ausgeprägt und traf auch auf unterschiedlich starke Skepsis. Ein Beispiel für eine früh allgemein aner­ kannte Spezialität bildet die Augenheilkunde, die sich auch an den Universi183 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

täten früh und unkompliziert als wissenschaftliches Spezialfach etablieren konnte.103 D ie Behandlung von Augenkrankheiten ließ sich - ähnlich wie die Behandlung kranker Zähne104 - relativ problemlos isolieren und bot daher kaum Anlaß zu Eingriffen in das Gebiet des Allgemeinmcdiziners. Die Augenärzte stellten bei der Erhebung von 1904 mit 420 Vertretern auch die größte einzelne Gruppe dar, gefolgt von den Ärzten für HNO-Krankhei­ ten,105 den Frauenärzten (386), den Ärzten für Haut- und Geschlechtskrank­ heiten (363) und den Chirurgen (248).106 Ein Beispiel für eine Facharztrichtung, die auf vielfache Widerstände stieß und lange um ihre Existenzberechtigung kämpfen mußte, ist der Spezialarzt für Kinderkrankheiten. Er unterschied sich vom Allgemeinpraktiker nicht dadurch, daß er besondere Organe behandelte oder besondere Verfahrens­ weisen anwandte, sondern durch seine Spezialisierung auf eine bestimmte Altersgruppe. Es ist klar, daß die Verselbständigung der Kinderbehandlung die Position des Haus- und Familienarztes empfindlich treffen mußte. Denn diese gründete sich nicht zuletzt auf eine Kontinuität ärztlicher Beobachtung der Familienmitglieder über die Grenzen der Altersgruppen hinweg - nach Möglichkeit von der Geburt bis zum Erwachsenenalter. Wenn die Patienten zu glauben begannen, nur der Kinderarzt könne Kinder ärztlich behandeln, gefährdete das die Existenz des alten Hausarztes in ganz anderer Weise, als wenn die Familienmitglieder sich bei Augenkrankheiten von ihm an einen Augenarzt überweisen ließen. Viele Ärzte vertraten daher die Ansicht, daß zwar die Krankheiten des Säuglings- und frühen Kleinkindalters besondere Kenntnisse und Techniken der Behandlung erforderten. Ein Spezialfach »Pädiatrie« sei deshalb im Universitätsunterricht sinnvoll; dort aber müssejeder angehende praktische Arzt sich pädiatrische Spezialkenntnisse aneignen, um seiner Rolle als Haus­ arzt gerecht werden zu können. Jenseits des dritten Lebensjahres dagegen unterschieden sich die Krankheiten der Kinder nicht mehr von denen der Erwachsenen, so daß dann der spezielle Kinderarzt erst recht keine Existenz­ berechtigung mehr habe.107 Die Animositäten zwischen Allgemcinpraktikern und Kinderärzten gin­ gen mancherorts so weit, daß einzelne ärztliche Vereine, so der Offenbacher Kreisverein beschlossen, »die Bezeichnung als Kinderarzt, Spezialarzt für Kinderkrankheiten oder dergl. im Sinne eines bei Kindern allgemeine Praxis treibenden Arztes« entspreche »nicht der Würde des ärztlichen Standes«.108 Daß der Spezialarzt für Kinderkrankheiten sich erst spät durchsetzen konnte, beweist auch die im Vergleich zu anderen Spezialitäten niedrige Zahl von Kinderärzten in der preußischen Erhebung von 1904: Zu diesem Zeit­ punkt gab es in Preußen erst 143 Kinderärzte, davon mehr als ein Drittel in Berlin.109 Von allen Spezialärzten machten die Kinderärzte also nur 5% aus. Eine andere Richtung, die zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs allge­ mein anerkannt war, war die des Internisten, der heutzutage die größte Einzelgruppe unter den Fachärzten stellt, 1904 in Preußen aber nur 90 184 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Vertreter hatte. D ie Behandlung innerer Krankheiten galt zu sehr als das Gebiet des praktischen Arztes schlechthin,110 besonders nachdem ihm chi­ rurgische Eingriffe und die Behandlung bestimmter Organe wie Ohr, Au­ ge, Nase, Haut und Geschlechtsorgane zunehmend aus den Händen genom­ men waren. b) Von der Spezialisierung nicht tangiert: die Landärzte Eine Gruppe innerhalb der Ärzteschaft, die von diesen zentrifugalen Ten­ denzen, die dem Allgemeinpraktiker ein Betätigungsfeld nach dem anderen raubten, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein überhaupt nicht und auch dann nur sehr zögernd erfaßt wurde, waren die Landärzte. Je mehr die Tätigkeit des Arztes in der Großstadt auf der einen Seite fachlich eingeengt, auf der anderen Seite menschlich anonymisiert wurde, desto mehr wurde das Bild des vielseitigen Landarztes, der in allen Sätteln sicher saß, in der ärztlichen Literatur emporstilisiert. Geradezu schwärmerisch sprach der Autor eines Leitfadens für die ärztliche Praxis aus dem Jahre 1893 von »den tüchtigen Landärzten von heute«: »Unter (ihnen) stößt man nicht selten auf einen Collegen, der einem geradezu durch sein umfassendes medizinisches Wissen und durch seine allseitige Tüchtigkeit höchlichst imponiert und mit dem es eine Freude ist, über Medicin und Praxis zu sprechen. Sie haben nicht, wie die großstädtischen Spezialisten, so viel medicinisches Scheulcder um ihre Augen, sind eben nicht, wie diese, fortwährend nur mit ihrem kleinen Guckloch, . . . durch das sie die große Medicin ansehen, beschäftigt, und behalten daher auch für etwas anderes Sinn, als nur für diese eine Specia­ lität.« 111 Der Landarzt mußte in der Regel noch Internist, Chirurg, Geburtshelfer sowie Spezialist für verschiedene Organe in einer Person sein. Er mußte Verletzungen und komplizierte Knochenbrüche behandeln, Ohrenentzün­ dungen und Augenkrankheiten kurieren, schlechte Zähne ziehen und in schwierigen Geburtsfällcn seinen Mann stehen.112 Nicht nur Vielseitigkeit mußte der Landarzt für seinen Beruf mitbringen, sondern auch Mut zur Verantwortung, Phantasie und Improvisationstalent, um unter schwierigen Bedingungen trotzdem das Erforderliche zu tun, etwa bei ungenügender Beleuchtung, ohne geeigneten Operationstisch, ohne geschulte Assistenz bei einer Gebärenden einen Kaiserschnitt durchzufüh­ ren. Um diesen Einsatz des allein auf sich gestellten Landarztes adäquat zu würdigen, drängte sich dem späteren Straßburger Kliniker Adolf Kußmaul, der nach seiner Approbation in den 50er Jahren selber jahrelang auf dem Lande praktiziert hatte, ein militärischer Vergleich auf: In solchen »dringen­ den Fällen, auch der verwickeltsten Art, deckt ihn niemand mit schützen­ dem Schild, auf eigene Verantwortung muß er entschlossen handeln, wie der Soldat auf einsamem Posten im Feindesland.«113 185 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Zu derlei hymnischen Lobgesängen auf die Landarzttätigkeit gehörte immer auch der Hinweis auf die »robuste Gesundheit und Widerstandsfä­ higkeit«, 114 auf die »eiserne Körperkonstitution«115 als eine der wesentli­ chen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Landarztpraxis. D enn seine gegenüber dem Stadtarzt vielseitigere Tätigkeit zmußte der Landarzt mit einem ungleich aufreibenderen Leben bezahlen: die Sprechstundenpraxis bürgerte sich auf dem Lande viel später ein, 116 da die Leute einen Arzt meistens erst dann konsultierten, wenn sie schon zu krank waren, um ihn noch selbst aufsuchen zu können. Die Regel waren also Hausbesuche, so daß der Landarzt einen großen Teil seiner Zeit - zu Fuß, zu Pferde, auf dem Fahrrad, in eigenem oder gestelltem Fuhrwerk - auf dem Weg zu seinen Patienten verbrachte. D ie Schilderungen langer, mitunter nicht ungefährli­ cher Fahrten bei ungünstiger Witterung, Schnee, Sturm und Regen, nehmen denn auch in Memoiren von Landärzten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts meist breiten Raum ein. So legte der von 1869 bis 1906 in Ostpreußen praktizierende Arzt Arthur Kittel innerhalb von fünf Monaten über 7000 Kilometer zurück - kein Wunder, wenn einzelne Fahrten zehn bis fünfzehn Stunden dauern konnten, wenn der Einzugsbereich der Praxis Dörfer um­ faßte, die 30 Kilometer vom Wohnort des Arztes entfernt lagen.117 Zu den weiten Wegen kamen die schlechten Verkehrsverhältnisse auf dem Land: Befestigte Straßen waren die Ausnahme, die holperigen Wege wurden im Frühjahr, wenn der Schnee schmolz, häufig grundlos.118 Ein weiterer die Gesundheit des Landarztes belastender Faktor war die Unregelmäßigkeit der Berufsausübung, das Fehlen jeglicher geregelter Frei­ zeit. Während in den meisten großen Städten im Verlaufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein notärztlicher D ienst eingerichtet wurde und Ret­ tungsgesellschaften, die sich um Transport und Verarztung Verletzter küm­ merten, entstanden,119 gab es für den Landarzt alle diese Annehmlichkeiten nicht. Da er in seinem Praxisbezirk in der Regel der einzige Arzt war, blieb er rund um die Uhr in eigener Person zuständig für Verletzte, akut Erkrankte, Kreissende und chronisch Sieche. Die Folge davon waren eine völlig ungere­ gelte Arbeitszeit und häufige Unterbrechungen der Nachtruhe.120 Bedenkt man nun noch, daß der Landarzt häufig jahre- und jahrzehnte­ lang nicht aus seinem Ort herauskam, weil er seine Praxis nicht allein lassen konnte und es ihm nicht gelang, einen Vertreter zu finden;121 daß es für ihn ungleich schwieriger war, sich weiterzubilden und wissenschaftlich auf dem laufenden zu bleiben;122 daß er auf das städtische Kulturleben fast gänzlich verzichten mußte; daß die Möglichkeiten des geselligen Verkehrs sehr einge­ schränkt waren:123 so wird man begreifen, daß mancher Arzt die städtische Praxis geradezu als ein »Eldorado«124 ansah gegenüber dem beschwerlichen Leben eines Landarztes. Aber nicht nur in der praktischen Berufstätigkeit unterschieden sich der Land- und der Stadtarzt, und zwar zunehmend, je mehr sich in der Stadt Spezialisierung und arbeitsteilige Kooperation der Ärzte auswirkten; auch 186 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

die soziale Stellung war grundverschieden.125 Auf dem Lande gehörte der Arzt neben Pfarrer und Lehrer, eventuell noch dem Amtsrichter und dem Apotheker unbestritten zu den Honoratioren seiner Gemeinde; jeder kannte ihn, und er genoß allgemeines Ansehen.126 Trotz des Respekts, der ihm im allgemeinen entgegengebracht wurde, hatte er es meist nicht leicht mit seinen Patienten, sondern mußte in medizi­ nischen und hygienischen D ingen gegen hunderterlei Vorurteile ankämp­ fen. 127 Bei den Bauern kam es offenbar viel häufiger als bei Städtern vor, daß sie die ärztlichen Anordnungen in den Wind schlugen, Arzneien nicht in richtiger D osierung einnahmen oder gar wegschütteten, trotz ärztlichen Verbots aufs Feld gingen oder sich an eine vorgeschriebene D iät nicht hielten,128 kurzum: das Widerstandspotential gegen die ärztliche Autorität war in der Landbevölkerung viel größer, die Medikalisierung stieß hier auf größere Schwierigkeiten. Um sich gegen Skepsis und Mißtrauen durchset­ zen zu können, mußte der Landarzt über »echte, urwüchsige Popularität« verfügen,129 nach Möglichkeit den Dialekt der örtlichen Bevölkerung spre­ chen130 und einen gesunden Mittelweg finden zwischen autoritärer Ableh­ nung der volksmedizinischen Bräuche, die bei seinen Patienten gang und gäbe waren, und kritikloser Anbiederei an seine Klientel.131 Daß er, wenn er nur lange genug am Orte praktizierte, in das dichte Netz dörflicher Sozialstrukturen integriert wurde, daß er bei der Mehrzahl seiner Patienten nicht nur deren Krankheiten, sondern auch die Familie, die Ein­ kommens- und Lebensverhältnisse, die persönlichen Schwächen und Vor­ lieben kannte, daß er nicht nur seiner Berufstätigkeit nachging, sondern an den Leiden und Freuden der Dorfbewohner, an ihren Festen und Veranstal­ tungen teilhatte,132 das alles erleichterte es ihm, eine traditionell skeptische Haltung gegenüber der wissenschaftlichen Medizin als etwas von außen Aufgezwungenem abzubauen. Aus allen zeitgenössischen Schilderungen des Arzt-Patient-Verhältnisses auf dem Lande klingt durch, daß es den Ärzten zwar keineswegs gelang, gewisse traditionale Einstellungen der ländlichen Bevölkerung zu Gesund­ heit und Krankheit - etwa das typische Verhalten, eine Krankheit erst sehr spät als solche wahrzunehmen und auch dann erst einmal andere Anlaufstel­ len als den approbierten Arzt anzugehen - zu überwinden. Aber es entsteht auch der Eindruck, daß trotz allen Unverständnisses und aller D istanz zur modernen Medizin ein recht vertrautes Verhältnis zwischen dem »Doktor«, den eben jeder kannte, und seinen Klienten, deren Schwächen und Vorurtei­ le er einzukalkulieren wußte, bestand. So »arztfern« jedenfalls, daß ein Schulmediziner auf dem Lande kaum den nötigen Lebensunterhalt fristen konnte, war die ländliche Bevölkerung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nicht mehr. Im Gegenteil, ein Arzt, der die nötigen körperlichen und charakterlichen Eigenschaften besaß und sich an einem Ort, in dessen Nähe noch kein anderer Arzt praktizierte, nieder­ ließ, kam meist schneller zu einem ansehnlichen Einkommen als der städti187 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

sche Arzt, der einer viel stärkeren Konkurrenz durch Kollegen ausgesetzt war. 133 Doch dieser Vorteil der Landarztpraxis scheint um die Jahrhundert­ wende nicht mehr ganz so selbstverständlich gewesen zu sein wie bis­ lang.134 Früher war es eine verbreitete Praxis von Landärzten gewesen, daß sie in manchen der D örfer, die zum Einzugsbereich ihrer Praxis ge­ hörten, sog. »auswärtige Sprechstunden« abhielten, d.h. sie kamen zu einer festgesetzten Zeit zu einem bestimmten Treffpunkt, meist ins Gast­ haus, und versorgten die Kranken, die sich in Erwartung des D oktors dort eingefunden hatten. D iese einst selbstverständliche Gepflogenheit erfuhr mit Anbruch des 20. Jahrhunderts zunehmend Kritik, wie eine mit großer Heftigkeit geführte D ebatte im Ärztlichen Vereinsblatt von 1901 erkennen läßt. Mehrere Autoren attackierten dort die auswärtigen Sprechstunden als »ärztlichen Hausierhandel« und fragten: »Soll es für einen Arzt standeswürdig sein, Tag für Tag, wie ein Viehhändler, von Dorfkneipe zu D orfkneipe zu fahren, um die Früchte von ein paar küm­ merlichen Konsultationen oder Gelegenheitsbesuchen einzuheimsen?«135 Daß die Kritiker in dieser Art ärztlicher Praxis eine »Gemeinheit«, durch die der junge Arzt sich einen Wirkungskreis »erräubern« wolle, 136 und »eine schlimme Form von Unterbietung« sahen,137 macht deutlich, daß hinter der erbitterten Auseinandersetzung nicht so sehr Sorgen um die Standeswürde, noch viel weniger Gedanken um das Wohl des Patienten, sondern vielmehr handfeste Interessengesichtspunkte standen. Auch auf dem Lande hatte inzwischen die Konkurrenz unter den Ärzten so zuge­ nommen, daß es manchen alteingesessenen Ärzten wichtig schien, neu zugezogene Kollegen in ihrem Arbeitseifer zu bremsen. Mit Blick auf solche Interessen, die manche Ärzte zu Gegnern des »Hausierhandels auf dem Lande« werden ließen, meinte ein Befürworter eben dieses Hausier­ handels denn auch: »Als persönliche Beleidigung wird es aufgefaßt, wenn sich ein junger arbeitsfroher Kollege hinsetzt, wo schon ein ande­ rer in alter fetter Pfründe sitzt. «138 Das Bild vom autonomen, durch keinerlei häßliche Konkurrenzver­ hältnisse beeinträchtigten Landarzt wird so spätestens seit der Jahrhun­ dertwende brüchig. Auch an dem aus den zeitgenössischen Quellen kon­ struierten Bild von der Eingebundenheit des Landarztes in das soziale Leben seiner Gemeinde müssen möglicherweise Korrekturen vorgenom­ men werden. Zumindest muß auf mögliche idealistische Verzerrungen dieses Bildes hingewiesen werden. Ziemlich wahrscheinlich haben vor allem solche Landärzte, denen ihre Tätigkeit rundum befriedigender Le­ bensinhalt war, die dem Land und seinen Bewohnern positiv gegen­ überstanden, zur Feder gegriffen und die Leiden und Freuden der land­ ärztlichen Praxis dargestellt. Neben diesen Ärzten mag es ebensoviele oder noch mehr andere gegeben haben, die in ihrer Gemeinde kein be­ sonderes Ansehen genossen und nur schwer in Kontakt mit der ortsan188 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

sässigen Bevölkerung kamen. Schließlich sprach längst nicht jeder akademi­ sche Arzt den Dialekt der Leute, die seine Patienten waren. 139 Ebensowenig wie sich über die Praxis des durchschnittlichen Landarztes gesicherte, verallgemeinerbare Aussagen machen lassen, läßt sich ihre Zahl einigermaßen zuverlässig feststellen. Aus den offiziellen Statistiken der zweitenjahrhunderthälftejedenfalls läßt sich die Zahl der eigentlichen Land­ ärzte, derjenigen, die direkt auf dem Dorfe lebten, nicht herausfiltern, wohl aber die der Ärzte, die in Gemeinden bis zu 5000 Einwohnern lebten. Das waren in Preußen 1876 immerhin 3210 von insgesamt 7963 Ärzten ( = 40,3%). 140 Bis zum Ende des Jahrhunderts erhöhte sich diese Zahl noch auf 3965. 141 Da aber der Zuwachs an Ärzten entsprechend der Bevölkerungszu­ nahme, die auch vornehmlich die städtischen Zentren betraf, überwiegend in die größeren Städte strömte, machten die Ärzte in den kleinen Gemeinden jetzt nur noch 31,3% aller Ärzte aus, und 1909 war ihr Anteil weiter auf ein knappes Viertel (24,7%) gesackt.142 Natürlich kann man nicht alle Ärzte, die in Gemeinden unter 5000 Ein­ wohnern praktizierten, als »Landärzte« bezeichnen, obwohl ein großer Teil von ihnen wahrscheinlich die nahe seinem Praxisort liegenden D örfer der Umgegend mitbetreute. In Kleinstädten, auch solchen unter 5000 Einwoh­ nern, praktizierten häufig mehrere Ärzte gleichzeitig, so daß die Einbindung in die soziale Umwelt schon ganz andere Strukturen aufwies als beim typischen Landarzt, welcher der einzige Arzt am Orte war. Ein besseres Kriterium wäre es daher, alle die Ärzte als »Landärzte« zu zählen, die im Einzugsbereich ihrer Praxis die einzigen waren.143 Das ist aber nur möglich durch eine arbeitsaufwendige Auszählung der Angaben im Reichsmedizi­ nalkalender. Eine Stichprobe muß deshalb hier genügen, um die sich bei solchem Vorgehen ergebenden Verschiebungen zu verdeutlichen. Im Regie­ rungsbezirk Münster praktizierten 1900 102 Ärzte in Orten unter 5000 Einwohnern, aber nur 34 von ihnen waren jeweils die einzigen am Ort, und nur vier hatten ihr D omizil in Gemeinden unter 1000 Einwohnern. Wie unterschiedlich die lokalen Verhältnisse waren, beweist die Tatsache, daß in dem Kreisstädtchen Tecklenburg, das 1900 noch keine 1000 Einwohner zählte, zwei Ärzte ansässig waren, während in Drensteinfurt im Kreis Lü­ dinghausen und Epe im Kreis Ahaus mit 6000 bzw. 7000 Einwohnern nur jeweils ein Mediziner praktizierte.144 In einem Punkt stimmte jedoch die Situation der beiden Ärztegruppen in Gemeinden unter 5000 Einwohnern, der allein ortsansässigen und derer mit Kollegen am Ort, überein: Beide hatten kaum unter Konkurrenz von Spe­ zialärzten zu leiden. Deren Zahl lag 1909 bei unter 1%. 1 4 5

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c) Interessenkonflikte zwischen Alhemeinpraktikern und Spezialisten Die Ärzte in den größeren Städten büßten - im Unterschied zu ihren Kollegen in Kleinstädten und auf dem Land - durch die Zunahme der Spezialärzte verschiedenster Richtungen nicht nur immer mehr Betäti­ gungsfelder ein; ihnen gingen auch konkrete Verdienstchancen verloren. Der allgemeinpraktische Arzt sah sich gezwungen, einen großen Teil seiner Patienten an Spezialärzte zu überweisen. D abei handelte es sich meistens gerade um die komplizierten langwierigen Fälle, deren Behandlung durch besondere Leistungen, die über Beratung und Verordnung eines Medika­ ments hinaus gingen, auch finanziell interessant wurde. D ie in der Gebüh­ rentaxe vorgesehenen höheren Gebühren für solche speziellen Leistungen kassierten im allgemeinen die Spezialärzte, ganz abgesehen davon, daß sie es sich, aufgrund des Rufs besonderer Qualifikation, der ihnen voranging, leisten kennten, für alle ärztlichen Leistungen innerhalb des Spielraums, den die Medizinaltaxe mit ihren Minimal- und Maximalsätzen vorgab, höhere Gebühren zu beanspruchen als der einfache Allgemeinpraktiker.146 Wenn ein Spezialarzt eine einigermaßen gut gehende Praxis hatte, konnte er im allgemeinen damit rechnen, daß sie wesentlich mehr abwarf als eine glei­ chermaßen florierende Praxis eines nichtspezialisierten Kollegen. Angesichts dieser ungleichen Konkurrenzsituation, in welcher der Spe­ zialarzt eindeutig die besseren Chancen hatte, verwundert es nicht, daß immer mehr praktische Ärzte forderten, wenn jemand spezialärztliche Pra­ xis betreibe, solle er die allgemeine Praxis aufgeben. Einen entsprechenden Antrag auf dem Ärztetag stellte erstmals Dr. Busch 1889 anläßlich der Beratung einer allgemeinen Standesordnung, und dann wieder D r. Stimmel, der auf dem Ärztetag 1892 zur »Spezialarztfrage« referierte.147 In beiden Fällen wurde der Antrag mit großer Mehrheit abge­ lehnt, weniger deshalb, weil die versammelten Ärzte das Problem ungleich­ gewichtiger Konkurrenz zwischen Spezialärzten und Allgemeinpraktikern nicht gesehen hätten, als vielmehr deshalb, weil die Mehrheit ein Verbot der Allgemeinpraxis für Spezialärzte für nicht durchführbar hielt. D ie Vereine hatten keinerlei Machtmittel in der Hand, um die Befolgung eines solchen Verbots effektiv durchzusetzen.148 In der Folgezeit beschlossen aber immer mehr Ärztevereine und ärztliche Standesvertretungen, daß in ihrem jeweiligen Bereich die Spezialärzte sich auf spezialärztliche Praxis zu beschränken hätten. So verabschiedeten die fünf ärztlichen Bezirks vereine Hamburgs im Mai 1896 eine Standesord­ nung, in deren § 23 es hieß: »Die Bezeichnung ›Spezialarzt‹ kommt nur dem Arzte zu, welcher sich nur dem entsprechenden Spezialfache widmet und keine allgemeine Praxis treibt. «149 Ähnlich dekretierte die Ärztekammer der Rheinprovinz: »D iejenigen Ärzte, welche allgemeine Praxis treiben, dürfen sich nicht Spezialarzt nennen.«150 Sinngemäß gleiche Bestimmungen exi­ stierten in den Ärztekammerbezirken Hohenzollern, Braunschweig und 190 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Anhalt.151 Vor der Ärztekammer Westfalen, die 1904 ein Verbot der Allge­ meinpraxis für Spezialärzte aussprach, berief sich der Referent bei der Be­ gründung des entsprechenden Antrags ausdrücklich darauf, daß bei der rheinischen und der braunschweigischen Ärztekammer dieses Verbot mit Erfolg durchgeführt werde. 152 Wie weit solche Verdikte allerdings wirklich erfolgreich waren, darüber läßt sich streiten. Zwar gaben in der Erhebung, die das preußische Ministe­ rium für Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten 1904 durchführte, nur 92 Spezialärzte (3,31%) an, daß sie gleichzeitig Allgemeinpraxis betrieben, doch das Ministerium merkte schon damals an, daß die Berichte in dieser Beziehung »nicht über allen Zweifel erhaben« seien.153 Die medizinalstati­ stische Zählung des Reichsgesundheitsamtes vom 1. Mai 1909 erbrachte denn auch ganz andere Ergebnisse: 31,3% der 3528 preußischen Spezialärzte waren gleichzeitig als Allgemeinpraktiker tätig.154 In den Provinzen, in denen die Ärztekammern eben dies untersagt hatten, waren die Prozentsätze nur geringfügig niedriger: in Westfalen übten 30,4% der Spezialärzte eine allgemeine Praxis aus, in der Rheinprovinz 23,2%. 155 Das spricht nicht dafür, daß die Verbote der Ärztekammern das Verhalten der Spezialärzte nachhaltig zu beeinflussen vermochten. Zwar war der Ein­ fluß der Ärztekammern, denen jeder Arzt zwangsläufig angehörte, ungleich größer als der der ärztlichen Vereine, deren Bestimmungen ein Arzt sich einfach durch Nicht-Beitritt bzw. Austritt aus dem Verein entziehen konnte. Aber auch die von den Ärztekammern aufgestellten »Standesordnungen« stellten »lediglich eine Meinungsäußerung über ärztliche Standespflichten« dar,156 an die die ärztlichen Ehrengerichte bei ihrer Rechtsprechung keines­ wegs gebunden waren. D a die Frage einer Beschränkung der Spezialärzte auf ihr Spezialgebiet aber - trotz des forschen Vorgehens einzelner Kammern - insgesamt noch sehr umstritten war, hüteten sich die Ehrengerichte davor, einen Arzt ehrengerichtlich zu bestrafen, der seine Praxis als »Arzt und Spezialarzt für pp. Krankheiten« ankündigte.157 Die zahlreichen Gegner eines Verbots gleichzeitiger allgemeiner und spe­ zieller Praxis rekrutierten sich keineswegs nur aus den Reihen der Spezialärz­ te selbst. Sowohl der Kieler Kliniker Heinrich Quincke als auch die Ärzte Moritz Fürst, Verfasser einer vielgelesenen Einführung in die ärztliche Pra­ xis, und Albert Moll, der 1902 ein dickleibiges Werk zur ärztlichen Ethik vorlegte, sprachen sich entschieden für die gleichzeitige Ausübung von allgemeinpraktischer und spezialärztlicher Tätigkeit aus. Vor allem führten sie ins Feld, daß sich die beklagte Einseitigkeit des Spezialarztes zwangsläu­ fig noch vergrößern werde, wenn man ihn von der Allgemeinpraxis ab­ schneide. Die Vereine, die das täten, meinte Quincke, »zwingen den Spezia­ listen damit zu Einseitigkeit; sie binden ihm Scheuklappen vor die Augen, die er nicht wünscht«.158 Der entscheidende Grund, warum so viele Spezialärzte gleichzeitig Allge­ meinpraxis ausübten, war jedoch nicht, daß sie sich keine Scheuklappen 191 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

vorbinden lassen wollten, sondern er ist in der mangelnden Aufnahmefähig­ keit des Gesundheitsmarktes zu sehen, der einem derartig hohen Anteil an Spezialärzten nicht genügend Arbeitsmöglichkeiten bot. Bis in den Beginn des 20. Jahrhunderts hinein hatte es als selbstverständ­ lich gegolten, daß der Spezialarzt im Durchschnitt ein höheres Einkommen, ein größeres Ansehen und eine bequemere Berufstätigkeit im Vergleich mit dem Allgemeinpraktiker habe. Häufig orientierten sich daher schon die Medizinstudenten auf irgendein Spezialfach, dem sie bereits im Studium besondere Aufmerksamkeit widmeten, um sich dann gleich nach der Ap­ probation in dem betreffenden Fach zum Spezialarzt weiterzubilden.159 Boten von vornherein nur die größeren Städte den Spezialärzten eine Grundlage der Existenzsicherung, so scheint auch hier im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts angesichts der rasanten Zunahme der Spezialärzte die Aufnahmefähigkeit des Marktes an deutliche Grenzen gestoßen zu sein. 1906 meinte jedenfalls der Liegnitzer Augen- und Ohrenarzt Dr. Recke, es sei an der Zeit, daß die »Illusion von der glänzenden Lage der Spezialisten zerstört« werde. D ie Zeiten, wo es dem durchschnittlichen Spezialarzt finanziell wesentlich besser gegangen sei als dem Allgemeinpraktiker, seien längst vorbei. Besonders die Augenheilkunde, und in zweiter Linie das Fach der Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten seien hoffnungslos überbesetzt. D ie Folge sei, daß ein Spezialarzt nach dem anderen zur Allgemeinpraxis über­ gehe.160 Wenn die Zahlen der preußischen D enkschrift von 1904 auch nur halb­ wegs zutreffend sind, dann ergibt ein Vergleich dieser Zahlen mit denen der Zählung von 1909 tatsächlich ein ganz erstaunliches Anwachsen der Zahl von Spezialärzten, die gleichzeitig als Allgemeinpraktiker tätig waren: näm­ lich von 92 auf 1104, weit mehr als das Zehnfache. Die Zahl der nur in ihrem Spezialfach tätigen Spezialärzte veränderte sich mit 2424 im Vergleich zu 2687 im Jahre 1904 nicht wesentlich. Das läßt darauf schließen, daß mit rund zweieinhalbtausend Spezialärzten der Bedarf an spezialärztlichen Leistungen im großen und ganzen befriedigt war. D ie darüberhinausgehende Zahl von Spezialärzten konnte ihren Lebensunterhalt offensichtlich mit ihrem engen Spezialgebiet nicht mehr sichern, sondern nur mit einer breiteren Angebots­ palette reüssieren, indem sie neben ihrem Spezialfach auch allgemeinärztli­ che Aufgaben wahrnahmen. Die Kombination von allgemein- und spezialärztlicher Praxis wurde um so mehr zur Notwendigkeit, je kleiner der Praxisort des betreffenden Arztes und je kleiner daher auch die potentielle Klientel war. 161 In Kleinstädten von 5000-20000 Einwohnern übten denn auch 37,5% der Spezialärzte Allge­ meinpraxis aus im Vergleich zum Landesdurchschnitt von 31,3%. Von den 36 Spezialärzten, die ihr D omizil in Gemeinden unter 5000 Einwohnern hatten, befaßten sich nur elf ausschließlich mit ihrem Spezialgebiet, die anderen 25 waren auch allgemeinpraktisch tätig. Wesentlich unter dem Landesdurchschnitt lag der Anteil der Spezialärzte mit gleichzeitiger Allge192 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

meinpraxis in den Städten von 40000-100000 Einwohnern: hier betrug er nur 21,8% (100 Ärzte). Knapp über dem Landesdurchschnitt lag dieser Anteil wiederum in den Großstädten, wo 833 von 2625 Spezialärzten (31,7%) spezielle und allgemeine Praxis miteinander kombinierten: eventu­ ell ein Hinweis darauf, daß in den Großstädten infolge der hohen Spezial­ arztdichte die Konkurrenz besonders scharf162 und der Markt teilweise übersättigt war, was viele Spezialärzte zwang, in die Allgemeinpraxis auszu­ weichen. Für die städtischen Allgemeinpraktiker wurde die große Zahl von Spezial­ ärzten, die ihnen einen Tätigkeitsbereich nach dem anderen wegnahmen und obendrein zu einem großen Teil noch auf dem Felde der Allgemeinpraxis mit ihnen konkurrierten, zunehmend zum Ärgernis. Auf die gesamte Ärzte­ schaft bezogen bedeuteten die Spezialisierungsprozesse des späten 19. Jahr­ hunderts eine Zunahme an Heterogenität, Interessendivergenzen und Rei­ bungsflächen innerhalb des Standes. D ie Interessengegensätze zwischen Spezialisten und Allgemeinpraktikern erlangten jedoch bei weitem nicht die zentrale Bedeutung für den Ärztestand wie die im folgenden zu besprechen­ de Differenzierung der Ärzteschaft in Kassenärzte und Nicht-Kassenärzte.

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KAPITEL VI

Die Kassenarztfrage 1. Entstehung und Ausdehnung der Gesetzlichen Krankenversicherung bis zum Inkrafttreten der Reichsversicherungsordnung 1914 Nachdem in Preußen durch die Kassengesetzgebung von 1845 bis 1854 das System der sog. »Zwangskassen« institutionalisiert und ausgebaut worden war, war seit den späten 50er Jahren eine immer deutlichere liberale Kritik am Kassenzwang und den Zwangskassen zu beobachten.1 Die Gewerbeord­ nung von 1869 formulierte einen Kompromiß zwischen Anhängern und Gegnern des Kassenzwangs, indem sie die Zwangskassen zwar nicht grund­ sätzlich beseitigte, ihnen aber die freien Kassen der Gewerk- und Arbeiter­ vereine gleichberechtigt zur Seite stellte. Während so 1869 und auch noch im Hilfskassengesetz von 1876 die freien und eingeschriebenen Hilfskassen im Sinne liberaler politischer Forderungen gefördert wurden, knüpfte das Reichsgesetz von 1883 über die Krankenversicherung der Arbeiter wieder deutlich an die Prinzipien der Zwangsversicherung an.2 Es sah einen Bei­ trittszwang für Arbeiter in Gewerbe und Industrie vor, die unter 2000 Mk. jährlich verdienten, staffelte die Beiträge der Versicherten nach der Lohnhö­ he und nicht nach dem Krankheitsrisiko, verzichtete auf ein Gesundheitsat­ test beim Eintritt in die Versicherung und erhob von den Unternehmern einen Beitrag zu den Versicherungskosten, der sich auf die Hälfte des Bei­ trags der versicherten Arbeiter belief. Auch was die Stellung des Arztes in den neugeschaffenen Kassen angeht, orientierte sich die Gesetzliche Krankenversicherung an den »Zwangskas­ sen« der Zeit vor 1880 und nicht an dem zweiten Strang in der Tradition der Versicherung gegen Krankheit, den freien Hilfskassen. § 6 des Kranken Ver­ sicherungsgesetzes (KVG) von 1883 bestimmte, daß die Kassen ihren Mit­ gliedern im Krankheitsfall freie ärztliche Hilfe und freie Arznei in natura zu gewähren hatten. Sie konnten daher nicht, wie die Hilfskassen, diese Ver­ pflichtung durch Zahlung eines Geldbetrages an das erkrankte Mitglied ersetzen, von dem dieses dann selber einen Arzt bezahlen konnte. Die große Mehrzahl der neugebildeten Kassen schloß daraufhin zunächst privatrechtliche Verträge mit einem oder mehreren Ärzten ab, denen sie, in der Regel gegen Zahlung einer jährlichen Pauschalsumme, die Versorgung ihrer erkrankten Mitglieder übertrugen. Im großen und ganzen bildeten sich 194

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die gleichen Modi heraus, wie sie die ärztliche Versorgung auch schon in den Kassen vor 1883 gekennzeichnet hatten. D ie zahlreichen kleineren Kassen noch 1900 betrug die Durchschnittsmitgliederzahl je Kasse nur 423 Perso­ nen3 - hatten meist nur einen Vertragsarzt, an den sich die Mitglieder im Fall einer Erkrankung zu wenden hatten. Bei einem Teil der größeren Kassen bestand ein D istriktarztsystem, d. h. der Einzugsbereich der Kasse wurde nach Wohnbezirken in bestimmte Distrikte eingeteilt; für jeden war ein von der Kasse bestimmter Arzt zuständig, von dem sich die Patienten im jeweili­ gen Bezirk im Krankheitsfall behandeln lassen mußten. Auch dieses System war schon aus der Frühzeit der Kassen im zweiten Drittel des 19. Jahrhun­ derts bekannt; in dieser Weise war beispielsweise die ärztliche Versorgung im Berliner Gewerkskrankenverein, der 1856 bereits 42000 Mitglieder zählte, organisiert.4 Auch den von den Knappschaften angestellten Knappschafts­ ärzten wurden bestimmte Bezirke zugeteilt, in denen sie die kranken Knapp­ schaftsmitglieder zu versorgen hatten. Ein anderer Teil der größeren Kassen hatte die »beschränkte freie Arzt­ wahl«, wobei die Patienten unter den bei der Kasse tätigen Ärzten frei wählen konnten. Wieder andere Kassen hatten die später von den Ärztever­ bänden allgemein geforderte »freie Arztwahl« eingeführt, d.h. jeder Arzt, der die Zulassung bei der Kasse beantragte, wurde auch zugelassen, teilweise aber mit der Auflage, daß er schon eine Zeitlang am Ort praktiziert haben müsse (Karenzzeit). Auch die freie Arztwahl hatten vor 1883 schon einzelne Kassen praktiziert, ζ. Β. eine Reihe von Betriebs- und Fabrikkrankenkassen in Barmen.5 Dem Arzt war innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), wie in den meisten frühen Fabrik- und Ortskrankenkassen auch schon, eine zentrale Machtposition gegenüber dem erkrankten Versicherten zugewie­ sen: Dieser mußte, um Krankengeld beziehen zu können, erst eine Erwerbs­ unfähigkeitsbescheinigung vorlegen, die nur der Arzt ausstellen konnte; er mußte sich in regelmäßigen Abständen wieder beim Arzt vorstellen, und er war gehalten, alle ärztlichen Anordnungen strikt zu befolgen. Seine Machtbefugnisse gegenüber dem Patienten bezahlte der Kassenarzt mit weitgehender Abhängigkeit vom Kassenvorstand, der seinen therapeu­ tischen Handlungsspielraum empfindlich einengen konnte, etwa durch Di­ rektiven zur sparsamen Arzneimittelverordnung und durch die Kontrolle seiner Krankschreibungstätigkeit. Der Berliner Gewerksverein hatte schon 1856 eine Instruktion für die bei ihm angestellten Ärzte erlassen, in der die Pflichten der Gewerksärzte genau festgehalten waren, insbesondere wie oft sie Sprechstunden abhalten, wann sie Besuche machen, unter welchen Bedingungen sie den Kranken in ein Krankenhaus einweisen mußten und ähnliche Einzelheiten mehr. D er Ge­ werksverein erwartete von seinen Ärzten, »daß dieselben für das Wohl der Kranken jederzeit ordentlich sorgen werden, jedoch dabei auch das Interesse der Kranken-Kasse, namentlich bei Anweisung auf Unterstützungsgelder 195 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

berücksichtigen«.6 D ie Instruktion endete mit den Worten: »Jeder bei dem Gewerks-Kranken-Vereine angestellte Arzt muß die vorstehenden Instruk­ tionen genau befolgen. Verstöße dagegen werden, wenn dieselben zur Kenntnis des Verwaltungs-Comites kommen, von demselben streng gerügt oder . . . durch Ausscheiden als Vereins-Arzt geahndet werden.«7 Auch in finanzieller Hinsicht saß die Kasse in der Regel am längeren Hebel. Besonders in den größeren Gemeinden, wo mehrere Ärzte gleichzei­ tig praktizierten, die an einer Tätigkeit als Kassenarzt Interesse hatten, konnten die Kassenvorstände mühelos die Honorare drücken und sich billi­ ge ärztliche Hilfe für ihre Mitglieder verschaffen. Zwar gab es Klagen über diese beiden hauptsächlichen Nachteile kassen­ ärztlicher Tätigkeit - Unterbezahlung der ärztlichen Arbeit und Einmi­ schung des Kassenvorstandes in rein ärztliche Aufgabenbereiche - auch schon in den Jahrzehnten vor 1883, doch drang sie bis zum Erlaß des KVG kaum jemals bis in die Spalten der ärztlichen Vereinspresse vor, sondern ist nur verstreut in verschiedensten Quellen und Stellungnahmen zum Versi­ cherungswesen der Zeit vor 1883 nachzuweisen.8 Das änderte sich schlagar­ tig mit Inkrafttrcten des KVG zu Beginn des Jahres 1884. Die angemessene Honorierung der ärztlichen Arbeit für die Kassen sowie eine dem Arzt zukommende unabhängige Position von den D irektiven eines mit Laien besetzten Kassenvorstandes, seit Beginn der 90er Jahre auch die Forderung nach »freier Arztwahl« - das waren Themen, die fortab in Dutzenden von Vorträgen in den lokalen ärztlichen Vereinen, in ungezählten Artikeln im Ärztlichen Vereinsblatt als dem zentralen Organ der Ärzteorganisationen und auf nahezu jedem Ärztetag öffentlich erörtert wurden. Daß die Stellung der Ärzte zu den Krankenkassen plötzlich zu einem die gesamte Ärzteschaft tangierenden Problem wurde, lag sowohl am schieren Größenwachstum der Versicherung - Schwierigkeiten, die vordem einige wenige Kassenärzte in ihrem Verhältnis zum Kassenvorstand gehabt hatten, wurden nun von einer großen und stets wachsenden Zahl von Ärzten erfahren - als auch an Veränderungen in der Organisationsstruktur der Kassen und der Zusammensetzung der Kassenvorstände, die diese Probleme schärfer hervortreten ließen. Außerdem wurde durch die Zunahme der Versichertenzahlen der Markt für ärztliche D ienstleistungen grundlegend umgeformt. D amit wurden neue Reibungsflächen geschaffen, welche die alten bei weitem in den Schatten stellten9 und die »Kassenarztfrage« immer mehr zu einem Kardinalproblem für die gesamte Ärzteschaft werden ließen. Im folgenden soll versucht werden, die Verschärfung der im Prinzip schon vor 1883 existierenden Konfrontationslinien und das Entstehen neuer Kon­ fliktzonen nachzuzeichnen. Die quantitative Ausdehnung des Versicherungswesens spielte hierfür, wie schon gesagt, eine entscheidende Rolle. 1883 waren durch das Kranken­ kassengesetz alle Personen, die als Arbeiter in Bergbau, Industrie und Hand­ werk arbeiteten und unter 2000 Mk. im Jahr verdienten, der Versicherungs196 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

pflicht unterworfen worden. D as waren 1885 4,29 Mio. Menschen, 9,2%, und wenn man die Knappschaftskassen mit ihren 377000 Mitgliedern dazu rechnet, ziemlich genau 10% der Bevölkerung. Schon dadurch war gegen­ über dem Zustand vor 1883 die Zahl der Versicherten nach einer Schätzung von Theodor Lohmann, einem der geistigen Väter des KVG, annähernd verdoppelt worden.10 Exakte Zahlen existieren zwar nur für einzelne Städte, diese aber scheinen Lohmanns Schätzung zu bestätigen. In Dresden etwa waren bei Erlaß des KVG schon 10,9% der Bevölkerung (25030 Personen) bei Innungskranken­ kassen, eingeschriebenen Hilfskassen, Genossenschaftskassen oder auf säch­ sischer Gewerbegesetzgebung beruhenden Krankenkassen versichert.11 Im Hinblick auf das KVG war aber eine Zahl von 45000 versicherungspflichti­ gen Personen ermittelt worden, so daß 20000 Personen, die bislang noch keiner Krankenkasse angehört hatten (8,7% der städtischen Bevölkerung) neu versichert werden mußten. Auch in der Reichshauptstadt Berlin, wo am Schluß des Jahres 1883 schon fast 100000 Personen in Pflichtkassen versi­ chert waren, wuchs die Zahl der Versicherten rasch an: Mitte 1885 zählten die 68 Berliner Ortskrankenkassen bereits 180000 Mitglieder.12 Durch die erste Novelle zum Krankenversicherungsgesetz vom 28. Mai 1885 wurde der Versicherungszwang auf alle Arbeiter bei den Post-, Tele­ graphen- und Eisenbahnverwaltungen, auf den gewerbsmäßigen Fuhr­ werks- und Binnenschiffahrtsbetrieb und auf alle sonstigen (bei Speditionen etc. tätigen) Transportarbeiter ausgedehnt;13 die Novelle vom 5. Mai 1886 gab den Einzelstaaten bzw. den Gemeinden und weiteren Kommunalver­ bänden die Möglichkeit, in ihrem Bezirk die Versicherungspflicht für land­ und forstwirtschaftliche Arbeiter einzuführen;14 durch eine weitere Novelle wurden 1892 die Handlungsgehilfen und Lehrlinge sowie alle in den Ge­ schäftsbetrieben der Anwälte, Notare, Krankenkassen, Berufsgenossen­ schaften und Versicherungsanstalten beschäftigten Personen, sofern ihrjähr­ liches Einkommen 2000 Mk. nicht überstieg,15 in die Versicherung einbe­ zogen. Durch diese Novellen und mehr noch durch die weitere Ausdehnung von Gewerbe und Industrie weitete sich der Kreis der Versicherten rasch aus (Tab. 13). Schon 1895 gehörten den reichsgesetzlichen Kassen 7,3 Mio. Mitglieder an, 1900 waren es 9,1 Mio. und 1905 10,9 Mio. (14 bzw. 16,3 bzw. 18,1% der Bevölkerung). In dieser Zahl sind jedoch die Mitglieder der Knappschaftskassen nicht enthalten, da die Knappschaftsversicherung nicht unter die Bestimmungen der GKV fiel, auch wenn sie ihren Mitgliedern im wesentlichen die gleichen Leistungen unter den gleichen Bedingungen gewährte. Schließt man daher in einer D arstellung der Ausdehnung der Versicherungspflicht auch die Knappschaftskassen ein, die 1895 480000, 1900 638000 und 1905 719000 Mitglieder zählten,16 erhöht sich der Prozentsatz der versicherten Bevölke­ rung auf 14,9% im Jahre 1895, 17,4% 1900 und 19,3% im Jahre 1905. 197 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Tab. 13: D ie Ausdehnung der Gesetzlichen Krankenversicherung 1885 — 1914 Jahr

Mitgliederbestand jeweils am Ende des Jahres

in % der Reichsbevölkerung

(i. Tsd.)

1885 1886 1887 1888 1889 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914

4294 4570 4842 5516 6071 6343 6531 6514 6755 6939 7289 7696 8123 8503 8787 9116 9152 9473 9897 10421 10940 11438 11722 11775 12244 12847 13357 12971 13091 15610

9,2 9,7 10,2 11,5 12,5 12,9 13,1 13,0 13,3 13,5 14,0 14,6 15,2 15,6 15,9 16,3 16,1 16,4 16,9 17,5 18,1 18,7 18,9 18,7 19,2 19,9 20,4 19,6 19,5 23,0

Quellen: Für 1885 — 1901: Übersichten nach Kassenarten über die Ergebnisse der Kranken verischerung im Deutschen Reich in den Jahren 1885 — 1901, in: Statistik des Deutschen Reiches, N.F. Bd. 147: Die Krankenversicherung im Jahre 1901, Berlin 1903, S. 10*f. Für 1901-1914: Bde. 156, 163, 170, 177, 186, 194, 229, 238, 248, 258, 268, 277, 289 der Statistik des Deutschen Reiches. Bevölkerungszahlen bei W. G. Hoffmann u.a., D as Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19.Jahrhunderts, Berlin 1965, S. 172ff.

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Erläuterungen: D ie Zahlen umfassen nur die Mitglieder in den reichsgesetzlichen Krankenkassen, nicht jedoch die Mitglieder der Knappschaftskassen. Das Absinken der Mitgliederzahlen von 1911 nach 1912 erklärt sich daraus, daßab 1912 die eingeschriebenen und die landesrechtlichen Hilfskassen, die Ende 1911 noch knapp 1 Mio. Mitglieder zählten, in der Statistik nicht mehr berücksichtigt wurden. Die Bevölkerungszahl für 1914 wurde durch Extrapolation geschätzt. Für 1914 ist die Mitgliederzahl im Jahresdurchschnitt, nicht am Ende des Jahres erfaßt.

Die zum 1. Januar 1914 in Kraft tretende Reichsversicherungsordnung (R.V.O.) dehnte dann den Kreis der Versicherten noch einmal massiv aus, indem sie die Versicherungsgrenze auf 2500 Mk. heraufsetzte und die Land­ arbeiter, die Dienstboten und die Hausgewerbetreibenden, für die der Versi­ cherungszwang bislang nur ortsstatutarisch festgesetzt werden konnte, auf Reichsebene der Versicherungspflicht unterwarf. Der Anteil der Krankenversicherten an der Gesamtbevölkerung schnellte dadurch von 19,5% im Jahre 1913 auf 23% 1914 hoch. Hinzu kamen noch die Mitglieder der Knappschaftskassen, der Eisenbahnbetriebs-, Post- und anderen Staatskrankenkassen, und die bei immer mehr Kassen mitversicher­ ten Familienangehörigen, 17 so daß insgesamt schätzungsweise 50% der Reichsbevölkerung von den Kassen erfaßt wurden und kostenlose ärztliche Behandlung erhielten. 18 Diese rapide Ausdehnung der Versicherung bewirkte, daß die Kassenarzt­ tätigkeit, die früher von einzelnen Ärzten mehr oder weniger als Anhängsel zur eigentlichen Praxis, der Privatpraxis, ausgeübt worden war, für mehr und mehr Ärzte die entscheidende Grundlage ihrer Existenzsicherung wur­ de. Nach einer Schätzung des Berliner Arztes und Reichstagsabgeordneten Otto Mugdan widmeten 1908 90% aller praktizierenden Ärzte drei Viertel ihrer Tätigkeit der D urchführung der Arbeiterversicherung. 19 D as mußte Probleme wie etwa die Honorarfrage oder das Problem einer angemessenen Position des Arztes gegenüber dem Kassenvorstand zwangsläufig in ein neues Licht rücken.

2. D as kassenärztliche Honorar und die ärztliche Einkommenslage Die Ärzte haben die große Bedeutung, welche die Krankenversicherung durch das Gesetz von 1883 für ihren ganzen Stand gewann, sofort richtig beurteilt, wenn auch Mitte der 80erJahre wahrscheinlich noch kaumjemand das Ausmaß, welches das Versicherungsprinzip in der ärztlichen Versorgung bis zum Ersten Weltkrieg erreichen sollte, vorausahnen konnte. Schon auf dem Ärztetag 1884 konstatierte der Weißenburger Arzt D örfler in einem 199 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Referat über die Stellung der Ärzte zu den Krankenkassen, das Kranken­ versicherungsgesetz habe »eine so einschneidende Bedeutung für so viele Ärzte D eutschlands, daß kaum eine Frage in den letzten Jahren von sol­ cher Wichtigkeit für das materielle Wohl und Wehe der Ärzte und von solcher moralischer Bedeutung für den ärztlichen Stand dem deutschen Ärztetag vorgelegen hat. «20 In den ersten Jahren nach Erlaß des KVG konzentrierten sich die Sor­ gen der Ärzte um ihr »materielles Wohl und Wehe« eindeutig auf Diskus­ sionen und Forderungen zum Honorierungssystem der Kassen. So forder­ te der Ärztetag 1884, »wo immer dies durchführbar« sei, die »Bezahlung der Einzelleistung nach der ortsüblichen Minimaltaxe« und stellte gleich­ zeitig für den Abschluß von Verträgen mit festen Jahressätzen als Norm den Satz von 2 bis 4 Mk. für den Einzelnen und etwa dem Dreifachen bei Familienbehandlung auf 21 Trotz solcher der Einzelbezahlung den Vorzug gebenden Empfehlungen an die einzelnen Vereine überwog bei den Kassen die Bezahlung nach ei­ ner Pauschale, die meistens nach der Zahl der Mitglieder, die ein Arzt zu betreuen hatte, berechnet wurde. D er Kassenarzt erhielt dann einen festen Betrag, ζ. Β. zwei Mk. je Kassenmitglied, unabhängig davon, ob, wie oft und mit welchen Leistungen er innerhalb eines Jahres für es tätig werden mußte. Für die Kassen, insbesondere für die größeren, stellte das zweifel­ los die bequemere Bezahlungsart dar, gestattete sie es ihnen doch, von vornherein einen festen Betrag für die ärztliche Versorgung in ihre finan­ zielle Kalkulation einzusetzen, der sich nicht mehr durch besondere Um­ stände, etwa erhöhte Krankheitsanfälligkeit der Mitglieder während eines naßkalten Winters, verändern konnte. Einer Umfrage des Ärztevereinsbundes zufolge, die 1600 Kassen mit rund 850000 Mitgliedern und 1279 angestellten Ärzten erfaßte, zahlten 1886 40% der Kassen nach Einzelleistung und 60% nach Pauschale. In Preußen war das Verhältnis 30% zu 70%. 22 Diese Angaben beziehen sich nur auf die Zahl der Kassen, nicht auf ihre Größe. D a im allgemeinen die größeren Kassen mehr der Bezahlung nach Pauschalquantum zuneigten,23 dürfte das Vorherrschen der Pauschalbezahlung noch viel deutlicher aus­ fallen, wenn man die Zahl der Mitglieder zugrundelegt. Was die Höhe der Bezahlung anging, mußte der über die Erhebung referierende D r. Guttstadt auf Aussagen verzichten, da hierzu die Umfra­ ge zu wenig brauchbares Material geliefert habe. D ie 40% der Kassen, die nach der Einzelleistung honorierten, bezahlten keineswegs alle die ortsüb­ liche Minimaltaxe. Sehr häufig hatten sie mit ihren Ärzten einen Rabatt von 10, 20 oder noch mehr Prozent auf die Sätze der Minimaltaxe verein­ bart; das bedeutete dann etwa, daß ein Besuch im Hause des Kranken nicht mit einer Mark, sondern mit 80 Pf oder noch weniger abgegolten wurde. Auch die Pauschalzahlung war höchst uneinheitlich geregelt, die Sätze 200 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

schwankten lokal und regional ganz erheblich, wobei sich aufs Ganze gese­ hen ein deutliches Ost-West-Gefälle konstatieren läßt. So zahlten die Krankenkassen in Frankfurt/O. zwischen 1,50 Mk. und 1,70 Mk. pro Person, die größte unter ihnen zahlte 1,60 Mk. 24 , in Breslau erreichten die Durchschnittssätze 1885 gar nur 1,30 Mk. pro Mitglied und Jahr. 25 D emgegenüber ergab eine Umfrage im Regierungsbezirk Aachen 1885, daß von 111 Kassen 86 in der Honorierung den Beschlüssen des ärztlichen Vereins vom Juli 1884 entsprachen, d. h. sie zahlten pro Mitglied im Ort 2 Mk., für außerhalb wohnende Mitglieder 3 Mk. pro Jahr und bei Familienbehandlung 6 bzw. 9 Mk. 26 In Mainz zahlte die Ortskrankenkasse 1894 3 Mk. für Ledige, 6Mk. für Verheiratete und 9 Mk. für Verheiratete mit Kindern.27 Ebenso wurden in Krefeld 1890 3 Mk. pro Mitglied und bei Einschluß der Familienangehörigen 9 Mk. pro Mitglied gezahlt.28 Bei einem Pauschalquantum kam es ganz darauf an, wie stark der einzelne Arzt von den Kassenmitgliedern in Anspruch genommen wurde: Je nach­ dem konnte seine Arbeit angemessen honoriert sein oder er sich unterbezahlt fühlen. Je länger nun die Krankenversicherung bestand, desto öfter wurden ärztliche Klagen hörbar über ein »Anspruchsdenken« der Kassenmitglieder, das diese unvorteilhaft von den Patienten der Privatpraxis unterscheide. Schon 1894 hatte ein Kassenarzt im »Ärztlichen Vereinsblatt« als »Hauptü­ bel« der Kassenarztpraxis »die häufige und überflüssige Inanspruchnahme wegen Lappalien durch die Versicherten«29 ausgemacht; und allmählich wandelte sich die vormals stereotype Klage der Ärzte, die Kranken suchten mit ihren Krankheiten viel zu spät einen Arzt auf und verhinderten dadurch selber häufig eine effektive ärztliche Hilfe, die im Frühstadium der Krank­ heit viel eher möglich sei, in ihr genaues Gegenteil, zumindest was den versicherten Teil der Bevölkerung anging. »Wegen geringfügiger Be­ schwerden« nähmen die Kassenpatienten den Arzt »oft in überflüssiger und beharrlicher Weise in Anspruch«, 30 lautete nunmehr der Vorwurf. Wenn auch einzelne Ärzte zugaben, es sei gut, daß aufgrund des Krankenversiche­ rungsgesetzes zahllose Kranke frühzeitig den Arzt aufsuchten,31 neigte doch die Mehrheit dazu, den Kassenpatienten das Verhalten der Privatpatienten, die Arzt und Arznei aus eigener Tasche bezahlen mußten, als Vorbild hinzu­ stellen. Leichtkranke Kassenmitglieder sollten sich doch »genauso wie alle nicht einer Kasse angehörigen Leichtkranken mit Hausmitteln behelfen«32 und ihre Krankheiten »ohne ärztliche Hilfe zur Heilung bringen«.33 D as sei etwa durch eine Kostenbeteiligung der Patienten zu erreichen: Die »kolossa­ le Überlastung der Kassenärzte mit Lappalien« werde dann wenigstens wegfallen.34 Die offizielle, jährlich in der Reichsstatistik veröffentlichte Krankenkas­ senstatistik erlaubt es nicht, solche Behauptungen, die Kassenpatienten lie­ fen wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt, zu überprüfen, denn sie führt nur die Zahl und Dauer der Krankheitsfälle an, die mit Erwerbsunfähigkeit verbun­ den waren. Einzelne größere Kassen haben aber statistische Zusammenstcl201 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

lungen veröffentlicht, aus denen das Verhältnis von erwerbsfähigen zu er­ werbsunfähigen Kranken unter den Kassenpatienten hervorgeht. So waren von 1089 Krankheitsfällen, die 1894 auf je 1000 Mitglieder bei der Mainzer Ortskrankenkasse kamen, nur 37,4% mit Erwerbsunfähigkeit verbunden; alle übrigen Patienten waren nicht so schwer krank gewesen, daß der Arzt sie erwerbsunfähig schreiben mußte. Fünf Jahre vorher, 1889, hatte die Zahl der erwerbsunfähigen Kranken je 1000 Mitglieder mit 425 annähernd gleich hoch gelegen, doch waren damals insgesamt nur 737 Krankheitsfälle auf 1000 Mitglieder registriert worden, d.h. die Zahl der Krankheitsfälle mit Erwerbsunfähigkeit hatte damals mit 57,6% noch mehr als die Hälfte aller Fälle betragen. Seitdem war sie kontinuierlich bis zu dem Wert von 37,4% gesunken.35 Der Kassenarzt Dr. Krug, der die Statistik bearbeitet hatte, kommentierte diesen Befund: »Ist es gewiß auch nur zu billigen, daß die Kranken den Arzt recht frühzeitig in Anspruch nehmen, so zeigt doch die obige Zahlenreihe, daß dies seitens der Kassenmitglieder in einem Maße geschieht, wie dies bei dem übrigen Theile der Bevölkerung auch nicht annähernd der Fall ist. «36 Bei der Ortskrankenkasse Leipzig, der größten im D eutschen Reich, wurden 1902 insgesamt 348142 Krankheitsfälle registriert. D avon kamen 185 947 (53,4%) auf mitversicherte Familienangehörige und 162195 (46,6%) auf Mitglieder. Von den Erkrankungen der Mitglieder waren nur 52466 (32,4%) mit Erwerbsunfähigkeit verbunden.37 Es liegen noch von einer Reihe weiterer großer Orts- und Gemeindekran­ kenkassen Zahlen zum Verhältnis von erwerbsunfähigen und erwerbsfähi­ gen Kranken vor, alle mit ähnlichen Resultaten,38 so daß die Reichsstatistik 1903 zu dem Schluß kam, die »Zahl der Erkrankungen mit belassener Erwerbsfähigkeit (sei) im großen Durchschnitt rund doppelt so groß als die der Fälle mit Erwerbsunfähigkeit. «39 Dieser Befund harmoniert mit vereinzelten Angaben aus Fabrikkranken­ kassen vor 1883, die belegen, daß auch hier schon bis zur Hälfte aller Krankheitsfälle nicht mit Erwerbsunfähigkeit verbunden waren, 40 insge­ samt ein deutlicher Hinweis darauf, daß durch die Bereitstellung von Regeln für den Umgang mit Krankheit durch die Krankenkassen die Krankheits­ schwelle bei den versicherten Unterschichten deutlich gesenkt wurde: man ging eben auch in leichteren Fällen zum Arzt, um sich beraten und behandeln zu lassen, und nicht mehr nur dann, wenn man schon so krank war, daß man nicht mehr arbeiten konnte. Warum die Ärzte einem solchen Krankheitsverhalten Krankenversicher­ ter so skeptisch, teilweise ablehnend gegenüberstanden, ist auf den ersten Blick durchaus nicht einleuchtend. Schließlich drückte sich darin doch ein gewisses Vertrauen der Kassenmitglieder zum Arzt aus, eine Anerkennung des Arztes als des im Krankheitsfall zuständigen Experten, ganz im Gegen­ satz zu der Resistenz und Ablehnung, welche die Unterschichten im allge­ meinen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts dem Arzt und der wissenschaft202 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

lichen Heilkunde entgegengebracht hatten. Außerdem entsprach die früh­ zeitige Konsultation eines Arztes exakt den Forderungen, welche die Ärzte jahrzehntelang immer wieder an ihre Patienten gerichtet hatten: D a sie als Laien gar nicht wissen könnten, ob eine leichtere Befindensstörung viel­ leicht Vorbote einer schweren Krankheit sei, sollten sie die Entscheidung darüber in jedem Falle in die Hände eines Vertreters der wissenschaftlichen Medizin legen. Schließlich trug nicht zuletzt die Inanspruchnahme der Ärzte durch die versicherte Bevölkerung dazu bei, diesen die Wartezimmer zu füllen und ihre Beschäftigungslage zu stabilisieren. Warum also die Kritik am Krankheitsverhalten der Versicherten? Vielfach wurde von ärztlicher Seite angeführt, daß die ärztliche Tätigkeit durch das Überwiegen von Bagatellfällen in der Kassenpraxis uninteressan­ ter, eintöniger und weniger vielseitig würde. D urch den »Massenbetrieb« müsse die »Freude an gründlicher gewissenhafter Berufsarbeit« auf die Dauer notleiden. In einer Vielzahl von Fällen werde der Arzt lediglich in Anspruch genommen, damit er ein Rezept verordne.41 Diese Feststellung war zweifellos richtig, da die Versicherten, die in der Regel mit einem knappen Haushaltsbudget wirtschaften mußten, ein legiti­ mes Interesse daran hatten, von ihrem durch regelmäßig eingezahlte Versi­ cherungsbeiträge erworbenen Recht auf freie Arznei Gebrauch zu machen. Arzneien auf Kosten der Kasse erhielten sie aber nur, wenn sie ein vom Kassenarzt ausgestelltes Rezept vorweisen konnten. D er an Rheumatismus leidende Arbeiter ging also regelmäßig zum Arzt, nicht etwa weil er sich davon effektive Hilfe versprach, sondern weil er dann die Salbe, die er auf seine schmerzenden Gelenke rieb, nicht selber bezahlen mußte.42 Besonders bei der Behandlung der Familienangehörigen machte sich der Einfluß der kostenlos zu beziehenden Arzneimittel bemerkbar. So sanken bei der Dresdener Ortskrankenkasse 1897 die Leistungen für die Angehöri­ gen auf 27,4% aller ärztlichen Leistungen, während normalerweise, etwa in Leipzig, die Angehörigen die Ärzte mindestens in dem gleichen Maße beanspruchten wie die Mitglieder.43 D er Grund für die auffällig niedrigere Beanspruchung der Ärzte durch mitversicherte Angehörige in Dresden lag darin, daß die Kasse die Rezepte für die Angehörigen nicht mehr bezahlte und diese den Kassenarzt daher nur noch »in wirklich ernsten Fällen« kon­ sultierten.44 Wenn für die Entscheidung der Kassenmitglieder, ob sie in einem konkre­ ten Fall den Arzt aufsuchten oder nicht, der eventuelle materielle Vorteil, den ihnen das in Form eines kostenlosen Medikaments einbrachte, eine aus­ schlaggebende Rolle spielte, so fühlten die Ärzte sich durch ein solches Verhalten in ihrem Wissen und Können abgewertet und zum »Rezeptschrei­ ber«45 degradiert. Hinzu kam, daß bei der üblichen Pauschalbezahlung die einzelne Leistung um so geringer bewertet wurde, je öfter jedes Kassenmit­ glied den Arzt in Anspruch nahm. »Als man als Norm für die ärztliche Entlohnung pro Kopf des Kassenmitglieds und pro Jahr eine bestimmte 203 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Summe (3,50-4 Mk.) festsetzte, hatte man nicht bedacht, daß die Versicher­ ten, die früher ihren Arzt pro Fall und Leistung selbst bezahlen und daher mit ihren Ansprüchen an den Arzt notgedrungen bescheiden sein mußten, nun, ›wo es nichts kostet‹, viel höhere Ansprüche machen würden, die sich oft bis zum Luxus steigern. «46 Außer den unterstellten höheren Ansprüchen der Mitglieder wurden die durchschnittlichen Leistungen des Kassenarztes für die Kasse noch durch die Ausdehnung der Versicherungsleistungen erhöht: Nachdem sie den gesetz­ lich vorgeschriebenen Rücklagefonds erreicht hatten, gingen viele Kassen dazu über, ihren Mitgliedern ärztliche Behandlung, Arznei und Kranken­ geld für die Dauer von 26 Wochen zu gewähren anstatt der vom Gesetzgeber vorgesehenen Mindestzeit von 13 Wochen. Für die Ärzte bedeutete das ebenso eine arbeitsmäßige Mehrbelastung wie die vielerorts eingeführte freie Behandlung für die Angehörigen der Versicherten. Leider bringen die jährlich publizierten statistischen Nachweise der Kran­ kenversicherung über die Ausdehnung der »Familienversicherung« bei den Krankenkassen ebenso wenig Informationen wie über die Zahl der nicht mit Erwerbsunfähigkeit verbundenen Krankheitsfälle. Zur Bestimmung der Größe des Personenkreises, der als mitversicherte Angehörige noch zu den Mitgliedern der Kassen hinzukam, ist man daher auf Schätzungen oder auf spezielle Erhebungen einzelner Städte oder Kassen angewiesen. In der Pro­ vinz Schlesien stellte die Ärztekammer 1896 im Rahmen einer Krankenkas­ sen-Enquete den Umfang der Familienversicherung bei den schlesischen Krankenkassen fest. Demnach gewährten in dieser Provinz 25% der Kassen, in denen 40% sämtlicher Kassenmitglieder versichert waren, den Angehöri­ gen ihrer Mitglieder freie ärztliche Behandlung.47 Eine Sondererhebung wurde 1904 auch unter den Kassen des Regierungs­ bezirks Köln durchgeführt. Sie ergab, daß 10% der Kassen, die aber 25% der Mitglieder organisierten, vornehmlich also die größeren Kassen, statuta­ risch auch für die Angehörigen ihrer Mitglieder freie ärztliche Behandlung und Arznei vorsahen.48 Zu den 225873 Kassenmitgliedern im Regierungs­ bezirk Köln kamen dadurch, rechnet man pro Kassenmitglied zwei bis drei Angehörige,49 noch einmal 142000 mitversicherte Angehörige hinzu; das bedeutet eine Steigerung um 63%. In Schlesien kamen bei Mitzählung der mitversicherten Angehörigen sogar genau doppelt so viele Personen in den Genuß freier ärztlicher Behandlung, wie in der Reichsstatistik ausgewiesen waren. Bei den Kassen, welche die Familienbehandlung eingeführt hatten, kamen regelmäßig mehr Krankheitsfälle auf Angehörige als auf Mitglieder. So waren es in Leipzig 1902 in 53,4% der Krankheitsfälle mitversicherte Fami­ lienangehörige, die den Arzt aufsuchten. Nimmt man die nicht mit Er­ werbsunfähigkeit verbundenen Krankheitsfälle von Mitgliedern hinzu, die auch nicht in der Reichsstatistik auftauchten, waren von den 348142 Krank­ heitsfällen, die die Leipziger Kassenärzte 1902 behandelten, nur 52466, 204 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

nämlich die mit Erwerbsunfähigkeit verbundenen der Mitglieder, das waren ganze 15,1%, in der Reichsstatistik verzeichnet.50 D ie von der Ärzteschaft immer wieder vorgetragene Klage,51 die statistischen Nachweisungen über das Wirken der Krankenversicherung gäben das Ausmaß der ärztlichen Arbeit bei den Kassen völlig unzureichend wieder, besteht daher mit eini­ gem Recht. Bei der Leipziger Ortskrankenkasse, die seit dem Zusammenschluß von 18 kleineren Krankenkassen zu einer einzigen leistungsstarken Ortskranken­ kasse im Jahre 1886 den Angehörigen ihrer Mitglieder freie ärztliche Be­ handlung und Arznei gewährte, wurde von 1888-1896 eine Pauschalsumme von 3,60 Mk. pro Mitglied (+ Angehörige) und Jahr, seit dem 1. Juli 1896 3,90 Mk., für die Honorierung der Ärzte zugrundegelegt.52 D ie bei der Kasse angestellten Ärzte jedoch liquidierten weiterhin nach Grundsätzen, die 1884 zwischen Kasse und Ärzten vereinbart worden waren - 75 Pf für die Konsultation, 1 Mk. für den Besuch im Hause des Kranken, 50 Pf Wegegebühr je Kilometer bei Kranken, die außerhalb des Wohnbezirks des Arztes wohnten, für Nachtbesuche das D oppelte. Sie erhielten von ihren vierteljährlich der Kasse eingereichten Liquidationen jedoch nur soviel aus­ gezahlt, daß die ärztliche Gesamtpauschale, also die jeweilige Mitglieder­ zahl, multipliziert mit 3,60 Mk. bzw. 3,90 Mk., nicht überschritten wurde. Hatte der ausgezahlte Prozentsatz 1888 bei Einführung dieser Regelung immerhin noch bei 61,5% der ärztlichen Liquidationen gelegen, so sank er bis 1896 - trotz der Erhöhung der Pauschale auf 3,90 Mk. Mitte dieses Jahres - auf gut 50% ab. 53 Das bedeutete, daß die Ärzte statt der liquidierten 75 Pf. für eine Konsultation weniger als 40 Pf. erhielten und für einen Besuch im Hause des Kranken nur gut 50 Pf In Leipzig bestand die beschränkt freie Arztwahl, d. h. die Pauschale wurde nach Maßgabe der jeweiligen Einzelleistungen unter die beteiligten Ärzte, unter denen die Mitglieder die freie Wahl hatten, verteilt. Dieses auch als Pointsystem bezeichnete Verteilungsverfahren barg für den einzelnen Arzt natürlich die Versuchung, möglichst viele Einzelleistungen (= Points) zu erbringen, um vom gemeinsamen Kuchen ein möglichst großes Stück zu ergattern. D adurch hatte das Pointsystem häufig die Auswirkung, daß die Ärzte selbst den Wert der Einzelleistung auf ein Minimum herabdrückten.54 Hierin sah die Kassenverwaltung auch den Hauptgrund für das stetige Absinken des Wertes der Einzelleistung: viele Ärzte machten den Versuch, »in ihrem eigenen Erwerbsinteresse möglichst hohe Pauschalbeträge für sich zu erzielen, indem sie auch die unbedeutendsten Fragen, die seitens der Mitglieder oder deren Angehörigen . . . an sie ergangen waren, kurzweg als Krankheitsfall notierten und solchen in Rechnung; stellten«.55 Mit knapp 40 Pf für die Konsultation und 50 Pf. für den Besuch standen sich die Leipziger Kassenärzte aber noch recht gut im Vergleich zu manchen ihrer Kollegen, die bei einer Umrechnung der Pauschale auf die Einzellei­ stung auf noch wesentlich niedrigere Beträge kamen. D ie Aufstellung über 205 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

die Honorierung der Einzelleistungen, die einer ärztlichen D enkschrift an den Reichstag und Bundesrat beigegeben war, begann mit solchen Kassen, bei denen das ärztliche Honorar sich auf 10 Pf für jede Leistung belief56 Bewertungen der Einzelleistung mit 20, 30 oder 40 Pf waren der D enk­ schrift zufolge keine Ausnahme. Sehr niedrig waren auch die Honorare, die der Berliner Gewerks-Kran­ ken-Verein, der Anfang der 90er Jahre schon über eine Viertelmillion Berli­ ner Arbeiter mit ärztlicher Hilfe versorgte, seinen Ärzten zahlte. Sie wurden nach Anciennität bezahlt, die jüngeren bekamen 1500 Mk., ältere Ärzte 2100 Mk. für die Versorgung eines Distrikts. Nach einer Berechnung des Zentral­ ausschusses der Berliner ärztlichen Standesvereine bedeutete das einen Be­ trag von 79 Pf. pro Mitglied und Jahr und eine Honorierung der Einzellei­ stung mit nur 17 Pf 57 Angesichts solch niedriger Sätze machte unter den Ärzten das Wort von den »D ienstmannstaxen« die Runde.58 D ie Leistung jeden Handwerkers, ja sogar die eines Gepäckträgers werde höher bewertet als die Leistung eines Arztes, der ein langwieriges kostspieliges Studium habe absolvieren müssen, um seinen Beruf auszuüben. Nach der Jahrhundertwende wurden auch im Reichstag, im Rahmen von Debatten über Novellierungen des KVG, die niedrigen Honorare der Ärzte bei vielen Krankenkassen moniert. So konstatierte der liberale Abgeordnete Hoffmann am 23. Februar 1903, die Entlohnung der Ärzte durch die Kran­ kenkassen sei »mit wenigen Ausnahmen nicht mehr als Ehrensold, sondern als Hungerlohn zu bezeichnen«, ein Urteil, dem sich der Zentrumsabgeord­ nete Trimborn anschloß.59 Auch eine Reihe von Kassenvertretern gab in den 90er Jahren zu, daß die Honorare der Ärzte bei den Kassen vielfach zu niedrig seien und einer Verbesserung; bedürften.60 Über allen Klagen der Ärzte über zu geringe Honorierung der Ärzte durch die Krankenkassen darf aber nicht aus dem Blick geraten, daß es erstens auch eine große Zahl von Kassen gab, die ihre Ärzte zu deren Zufriedenheit entlohnten und daß zweitens viele Ärzte auch bei Kassen mit niedriger Bewertung der Einzelleistung aufgrund ihrer ausgedehnten Tätigkeit gut verdienten. Schon 1885 teilten die Ärzte des Regierungsbezirks Zittau in der Oberlau­ sitz dem Ärztevereinsblatt mit, daß sämtliche Kassen die vom Ärzteverein aufgestellte Minimaltaxe akzeptierten und danach honorierten.61 In Dresden erhielten die Kassenärzte, denen hier jeweils bestimmte Distrikte zugewie­ sen wurden, seit 1887 zunächst ein einheitliches Fixum von jeweils 4500 Mk., gleichviel ob der jeweilige Arzt einige hundert mehr oder weniger Einzelleistungen hatte. Bei starker Überlastung eines Arztes wurden die Bezirke entsprechend abgerundet. Später richtete die Kasse auch kleinere Bezirke mit 4000, 2000 und 1000 Mk. jährlichen Fixums ein. 1897 betrug dann das jährliche Durchschnittshonorar bei städtischen Kassenärzten 2760 Mk., bei denen, welche die Kassenmitglieder in den umliegenden ländlichen Bezirken zu versorgen hatten, 1817 Mk. 62 Das System der Distriktärzte und 206 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

ebenso das Honorierungssystem, was auf die Einzelleistung umgerechnet, ein Honorar von 64 Pf. bedeutete, brachten nach Ansicht der betroffenen Kassenärzte »sehr zufriedenstellende Resultate«.63 Aber auch bei der Leipziger Ortskrankenkasse, welche die Einzelleistung mit 40 Pf ja wesentlich niedriger entlohnte, konnten 1896 von den insge­ samt für die Kasse tätigen 202 Ärzten 23 ein Honorar von jeweils mehr als 5000 Mk. einheimsen, drei von ihnen sogar zwischen 8000 und 11000 Mk. 64 Hier müssen strukturelle Veränderungen berücksichtigt werden, etwa die, daß der einzelne Kassenarzt aufgrund der vielen »Bagatellfälle« - der Fälle, die keine Hausbesuche erforderten, die er in seiner Sprechstunde behandeln konnte - innerhalb einer gegebenen Zeit meist viel mehr Leistun­ gen erbringen konnte als der alte Privatarzt. D as war die Kehrseite der von Ärzten so häufig beklagten Routinisierung der Arbeit in der kassenärztlichen Praxis. An den »Massenbetrieb« konnte man die auf ganz andere Verhältnis­ se zugeschnittenen Sätze der staatlichen Medizinaltaxe nicht mehr anlegen, ohne verzerrte Ergebnisse zu erhalten. »Kassenkönige« oder »Kassenlöwen«, wie sie von ihren minder glückli­ chen Kollegen neidvoll bezeichnet wurden, gab es bei fast jeder größeren Kasse, die ihren Mitgliedern die Wahl unter den bei ihr zugelassenen Ärzten freistellte, und auch bei vielen kleineren Kassen, deren Kassenarzt gleichzei­ tig noch die Mitglieder mehrerer anderer Kassen betreute und bei dem sich daher die jährlichen Fixa einer Reihe von Kassen summierten. Auf diese Weise war trotz insgesamt niedriger Einzelhonorare doch eine beträchtliche Zahl von Ärzten Nutznießer der Kassengesetzgebung, und auch die Ärzte­ schaft insgesamt profitierte finanziell eindeutig von der Entwicklung des Krankenkassenwesens seit Inkrafttreten der GKV. D as von allen Kassen zusammen an die Ärzte ausbezahlte Gesamthonorar, welches 1885 9 Mio. Mk. betragen hatte, erreichte 1890 schon eine Summe von 16,8 Mio. Mk. und stieg bis 1900 auf 34,3 Mio. Mk. an. D amit stiegen die Ausgaben der Kassen für ärztliche Behandlung bedeutend schneller als deren Mitglieder­ zahl, so daß 1900 pro Kassenmitglied 3,60 Mk. für ärztliche Behandlung gezahlt wurden, nachdem zehn Jahre zuvor dieser Posten nur 2,55 Mk. pro Mitglied ausgemacht hatte.65 Diese Entwicklung der Kassenausgaben bedeutete für die Ärzte, daß die Kassen, umgerechnet auf die Gesamtheit der praktizierenden Zivilärzte, 1374 Mk. je Arzt an Behandlungskosten für ihre Mitglieder aufwendeten: eine Summe, die bei weitem das überstieg, was die Ärzte ohne die organi­ sierte Nachfrage der Kassen von Patienten aus der Arbeiterklasse hätten einnehmen können. Ein großer Teil der Menschen, die jetzt aufgrund der Versicherung regelmäßig im Krankheitsfall einen Arzt aufsuchten, wäre sonst wahrscheinlich kaum je in der Lage gewesen, diesen zu bezahlen. Die Krankenversicherung hatte den Ärzten ganze Bevölkerungsgruppen als Pa­ tienten zugeführt, die ihnen sonst verschlossen geblieben wären. Der frühe­ re Präsident des Reichsversicherungsamtes, Bödiker, schätzte, »daß früher 207 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

nicht die Hälfte der jetzt ärztlich behandelten Fälle in den Arbeiterfamilien zur ärztlichen Kognition kamen« und daher durch die Arbeiterversicherung auch das Einkommen der Ärzte erheblich gewachsen sei.66 Dieser positiven Beurteilung der finanziellen Auswirkungen des KVG auf den Ärztestand schlossen sich aber nur wenige Ärzte an.67 D ie Mehrheit tendierte dazu, die Gesetzliche Krankenversicherung pauschal zum Sünden­ bock zu stempeln und sie verantwortlich zu machen für alle von den Ärzten als mißlich empfundenen Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, insbesondere ihr auch eine angebliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Ärzte anzulasten. Das mindeste, was die Ärzte beim Vergleich der Zustände vor 1883 und nach 1883 behaupteten, war, daß kein Mensch sagen könne, »ob nicht die Hereinnahme weiter Kreise von Arbeitern in die Kassen den Ärzten mehr Einnahmen entzieht, als ihnen die zwar sichere, aber kärgliche Kassenent­ lohnung bringt«. 68 In gleicher Weise machte ein anderer Arzt im Ärztlichen Vereinsblatt folgende Rechnung auf: Es sei erwiesen, daß die kassenärztliche Leistung durchschnittlich mit 20-25% der Minimaltaxe bezahlt würde. Ohne Krankenkassen müßten die Leute vier- bis fünfmal so viel für ihre ärztliche Versorgung bezahlen. Zwar sei früher ein Teil der Versicherten umsonst behandelt worden, zwar sei der Arzt seltener konsultiert worden, aber insgesamt sei »im günstigsten Falle . . . keine erhebliche Schädigung der Ärzte eingetreten«.69 Viele Ärzte gingen in ihrer Polemik gegen das Krankenversicherungsge­ setz noch weit über solche Urteile heraus, etwa der Rüsselsheimer Arzt Dr. Wiebel 1901: »Daß durch die soziale Gesetzgebung der ärztliche Stand direkt und indirekt, in ethischer und materieller Hinsicht auf das Äußerste und zwar in zunehmendem Maße geschädigt ist, darüber herrscht unter den Ärzten, welche die Verhältnisse aus eigener Anschauung kennen, nicht der mindeste Zweifel.«70 D em Argument, viele Kassenangehörige seien über­ haupt nur aufgrund ihrer Kassenmitgliedschaft in der Lage, sich ärztliche Hilfe zu leisten, hielt Wiebel entgegen: »D as gebe ich zu, daß ein kleiner Theil des heutigen Kassenpublikums in früheren Zeiten dem Arzte nichts bezahlt hat - das kommt jedoch gar nicht in Betracht gegenüber der Thatsa­ che, daß durch die Gesetzgebung ungezählte, durchaus zahlungsfähige Leu­ te geradezu provoziert werden, an den sogenannten Segnungen des Kassen­ gesetzes theilzunehmen. « 71 In dieser Beurteilung spiegelt sich die von Ärzten und Ärzteverbänden immer wieder geäußerte Befürchtung wider, daß durch die Krankenversi­ cherung die Privatklientel der Ärzte immer mehr zusammenschrumpfe, daß Patienten, die den Arzt durchaus gut honorieren könnten, sich ärztliche Leistungen, die nur mit einem Bruchteil der Minimaltaxe berechnet wür­ den, erschlichen. Der Eindruck der meisten Ärzte, daß viele Kassenpatienten durchaus mehr für den Arzt bezahlen könnten als die geringen Kassenhonorare, war es 208 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

auch, der sie einen absolut ablehnenden Standpunkt gegen jede Erweiterung der Einkommensgrenze, unterhalb deren Versicherungszwang bestand, ein­ nehmen ließ. Unter anderem der Ärztetag 1902 in Königsberg beschloß -bei nur einer Gegenstimme - in seinen Thesen zur Revision des Krankenversi­ cherungsgesetzes die Forderung: »Personen mit Gesamteinkommen über 2000 Mk. dürfen weder Kassenmitglieder sein noch bleiben. «72 Diese Linie wurde durch Beschlüsse auf den Ärztetagen 1906 und 1908 nochmals bestä­ tigt. 73 Auf dem Ärztetag in Münster 1907 wandte sich der Vorsitzende Löbker ebenfalls scharf gegen den Antrag der drei liberalen Parteien, die Pflichtver­ sicherungsgrenze auf 3000 Mk. zu erhöhen,74 und der Leipziger Ärztefunk­ tionär Goetz empfahl für den Fall einer solchen Gesetzesänderung sogar den »Generalstreik«.75 Als dann durch die Reichsversicherungsordnung die Pflichtversicherungsgrenze doch auf 2500 Mk. heraufgesetzt worden war, verurteilte der 38. Ärztetag in Stuttgart 1911 diese Neuerung einstimmig als eine »für den Ärztestand verderbliche« Entscheidung.76 Einen radikal anderen Standpunkt nahm eine kleine Minderheit von zu­ meist sozialdemokratischen oder der Sozialdemokratie nahestehenden Ärz­ ten ein. So meinte der Vertrauensarzt der Centralkommission der Kranken­ kassen Berlins, Raphael Friedeberg, auf der Jahresversammlung des Zentral­ verbandes der Ortskrankenkassen in Nürnberg am 14. September 1900, daß nicht die schlechte Bezahlung der Kassen für die materielle Notlage der Ärzte verantwortlich sei, sondern die Tatsache, daß die Ärzte zu selten konsultiert würden. »Es besteht nicht eine Überproduktion an Ärzten, sondern eine Unterkonsumtion an ärztlichen Leistungen, weil weite Kreise des Volkes, die des Versicherungszwanges entbehren, bei ihren be­ schränkten Mitteln jede Ausgabe für ärztliche Hilfe scheuen, selbst auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit und der ihrer Familienangehörigen.« D er Schlüssel zur Hebung der Volksgesundheit wie auch des ärztlichen Standes liege demnach in einer »Ausdehnung des Kreises der Versicherten; nicht wie der Ärztestand es will, eine(r) Einschränkung desselben«.77 Wie sehr Friedeberg mit dieser Einschätzung von der Meinung der Masse der Ärzte abwich, zeigt der Kommentar der Redaktion des Ärztlichen Vereinsblattes zu seinen Ausführungen: »Mit der Behauptung, daß die Ver­ sicherungsgesetzgebung die Lage der Ärzte nicht verschlechtert habe, dürfte der Herr Vertrauensarzt in ärztlichen Kreisen ganz vereinzelt dastehen, und es muß durchaus wunder nehmen, daß gerade ein Berliner Arzt . . . zu einem solchen, mit den nackten Thatsachen im Widerspruch stehenden Urtheile kommen kann. «78 Die Debatte um die Frage, ob die Versicherungsgesetzgebung die Ärzte durch Unterbezahlung der ärztlichen Arbeit materiell geschädigt habe, muß vor dem Hintergrund der Entwicklung der Einkommenssituation der Ärzte gesehen werden. Ärztliche Klagen über zu geringe Einkommen lassen sich 209 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

im Grunde genommen während des gesamten 19. Jahrhunderts finden, jedoch nahmen solche Klagen in der Vereinspresse seit den späten 80er Jahren deutlich zu. Nunmehr wurde auch nicht mehr lediglich eine materiel­ le Notsituation eines großen Teils der Ärzte konstatiert, sondern immer wieder auch eine deutliche Verschlechterung der Einkommenslage behaup­ tet. Repräsentativ heißt es in der vom Ärztevereinsbund 1904 in Auftrag gegebenen offiziellen Broschüre zur Warnung der Abiturienten vor dem Medizinstudium, daß die »Einnahmen des größeren Teils der Ärzte sich seit Jahren verringert (hätten) und . . . unbedeutend« seien.79 Das Reden vom »wirtschaftlichen Tiefstand« der Ärzte80 war um die Jahrhundertwende so allgemein geworden, daß auch Nicht-Ärzte häufig ohne weitere Nachprüfung von einer materiellen Notlage der Ärzteschaft ausgingen.81 Zur Nachprüfung der ärztlichen Klagen benötigte man repräsentative Angaben zur Entwicklung ärztlicher D urchschnittseinkommen über einen längeren Zeitraum hinweg. Solche Daten lassen sich aber bis zur Jahrhun­ dertwende nirgends finden; es existieren lediglich einige Momentaufnah­ men, welche die Einkommenslage der Ärzte in einer Stadt oder einer Region zu einem bestimmten Zeitpunkt beleuchten. Von den Veröffentlichungen städtischer statistischer Büros, die im Rahmen von Einkommenssteuerstati­ stiken manchmal auch die Berufe der Einkommenssteuerzahler angaben, führten zwei die Ärzte gesondert auf: eine Hamburger Erhebung, die für 1886 302 Ärzte erfaßte, und eine Statistik des Statistischen Amtes der Stadt Frankfurt aus demjahre 1893, die die Einkommenssituation von 217 Ärzten auswertete.82 Aus demjahre 1901 stammt eine Untersuchung des sächsi­ schen Statistischen Büros, die sich auf die Angaben von 1568 sächsischen Ärzten stützen konnte.83 Ferner existieren noch verschiedene Angaben zur Einkommenslage der Ärzte in einzelnen Ärztekammerbezirken, so in Schleswig-Holstein 1901 und in Berlin-Brandenburg 1900.84 Der Hamburger Erhebung nach hatten 1886 123 Ärzte, das waren 40,7% der erfaßten Hamburger Ärzte, ein Einkommen von unter 5000 Mk. jähr­ lich, knapp 60%, also fast drei Fünftel, verdienten über 5000 Mk. Von diesen bezogen 103 ein Einkommen zwischen 5000 und 10000 Mk., und 76, genau ein Viertel der Hamburger Ärzte, versteuerten mehr als 10000 Mk. im jahr. Etwas schlechter schnitten ihre Frankfurter Kollegen sieben Jahre später ab. 85 (39,2%) verdienten unter 3000 Mk. im jahr (in Hamburg nur 21,9%); 98 (45,2%) deklarierten mehr als 6000 Mk. jährliches Einkommen (in Ham­ burg 49,3%). Trotzdem wird man aus diesen Zahlen nicht ohne weiteres auf ein gesunkenes ärztliches Einkommen seit Mitte der 80er Jahre schließen können: dazu waren die Voraussetzungen in Hamburg und Frankfurt zu unterschiedlich. Während in Hamburg die Selbsteinschätzung zur Steuer schon seit 1866 bestand, war sie in Preußen erst 1892 eingeführt worden, ein Schritt, der nach Ansicht von Fachleuten in den ersten Jahren eine Tendenz zur allgemei210 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

nen Unterschätzung der Einkommen mit sich brachte. Außerdem war der Begriff des steuerpflichtigen Einkommens nicht in beiden Staaten gleich gefaßt: in Preußen waren verschiedene Abzüge von der Steuer gestattet, welche das Hamburgische Gesetz nicht kannte.85 Beide Faktoren wirkten sich dahingehend aus, daß die deklarierten Einkommen in Preußen im Durchschnitt geringer waren, ohne daß die realen Verdienste deshalb schon kleiner sein mußten. In die gleiche Richtung wirkte der Umstand, daß in der angeführten Frankfurter Statistik der Rubrik »Ärzte« noch »Chirurgen etc.« hinzugefügt sind. Außer einer ganz geringen Zahl von Wundärzten alter Provenienz könnten daher in der Tabelle noch die Zahnärzte mitgezählt sein, die zweifellos weniger verdienten und daher die Ergebnisse der Statistik nach unten verzerren. Schließlich müßte man, um die Einkommensunterschiede zwischen Hamburger und Frankfurter Ärzten beurteilen zu können, nähere Informa­ tionen über die Altersstruktur der Ärzte haben, die zumindest für Hamburg nicht vorliegen. In Frankfurt zeigt sich dagegen deutlich der Einfluß des Alters auf die Einkommenshöhe: von 16 Ärzten unter 30 Jahren rangierten dreizehn in der Einkommensgruppe bis 3000 Mk., während von den 68 Ärzten, die über 50 Jahre alt waren, nahezu die Hälfte (30) ein Einkommen von mehr als 9500 Mk. deklarierten. In der sächsischen Statistik von 1901 sind die Einkommensgruppen je­ weils anders zusammengcfaßt, so daß ein unmittelbarer Vergleich mit den Hamburger und Frankfurter Zahlen nicht möglich ist. Von den 1568 sächsi­ schen Ärzten verdienten 320 (20,4%) unter 3100 Mk. im Jahr und 937 (44,8%) über 6300 Mk. D amit war die Einkommenslage der sächsischen Ärzte möglicherweise noch geringfügig besser als die der Hamburger und Frankfurter Ärzte; insgesamt halten sich die Daten aller drei Erhebungen ebenso wie die der Enquete aus Schleswig-Holstein 190186 - in etwa demsel­ ben Rahmen. Die ärztlichen Einkommen lagen damit weit über den Durchschnittsein­ kommen der Gesamtbevölkerung: Von der Gesamtheit der Hamburgischen (männlichen) Steuerzahler etwa erreichten 1886 nur knapp 12% ein Ein­ kommen von über 3000 Mk., welches fast 80% der Ärzte deklarierten. 81,3% der Hamburger Steuerzahler mußten mit einem Einkommen von unter 2000 Mk. jährlich auskommen, aber nur 21 Ärzte verdienten so wenig. Alles in allem vermitteln die verfügbaren statistischen D aten nicht den Eindruck, daß die Ärzte am Hungertuche nagten oder Grund hatten, sich vor einer Proletarisierung zu fürchten. Ob sie Grund hatten, mit ihren Einkommensverhältnissen unzufrieden zu sein, kann nur ein Vergleich mit anderen bürgerlichen Gruppen, speziell mit anderen akademischen Berufen zeigen. Ein Einkommensvergleich zwischen verschiedenen Beamtenkategorien und Ärzten ist wegen der unterschiedli­ chen Voraussetzungen nicht ganz unproblematisch: die ersteren bezogen ein festes, in regelmäßigen Abständen steigendes Gehalt, hatten ein Anrecht auf 211 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Pension und jährlichen Urlaub, in Krankheitsfällen lief das Gehalt zunächst weiter; dazu kamen noch Vergünstigungen wie die Möglichkeit, eine preis­ günstige D ienstwohnung zu bewohnen; die letzteren dagegen hatten von Jahr zu Jahr schwankende Einnahmen, mußten rechtzeitig Vorsorge treffen für den Fall sinkender Einkünfte mit zunehmendem Alter und für die Zeit nach der aktiven Berufstätigkeit; ihre Einnahmen fielen aus, wenn sie krank wurden oder Urlaub machten. Auch bei Berücksichtigung dieser strukturellen Unterschiede scheinen sich die Einkommen der Ärzte auf mindestens dem gleichen Niveau bewegt zu haben wie die Gehälter verschiedener Kategorien akademischer Beamter, die eine ähnlich langwierige und kostspielige Ausbildung durchlaufen hat­ ten. D ie Richter in Preußen erhielten seit der Gehaltsreform in den 90er Jahren ein jährliches Anfangsgehalt von 3000 Mk., das sich in 24 Dienstjah­ ren bis auf 6600 Mk. steigerte; bei angenommenen 30 Dienstjahren betrug das durchschnittliche Jahresgehalt etwas mehr als 5000 Mk. Die Gymnasial­ lehrer fingen mit 2700 Mk. Jahresgehalt an und erreichten nach 21 Dienstjah­ ren das Endgehalt von 6000 Mk., was einem durchschnittlichen jährlichen Diensteinkommen von 4760 Mk. entsprach. Etwas mehr erhielten die Re­ gierungsräte: sie fingen mit 4200 Mk. an und hörten mit 7200 Mk. auf 87 Bei den Ärzten lagen - nimmt man die Hamburger Zahlen zum Vergleich - zwar knapp 22% in ihren Einkünften unterhalb des Anfangsgehalts für Richter von 3000 Mk., dafür hatten diese aber meist eine jahrelange unbe­ zahlte Assessorentätigkeit hinter sich, wenn sie in ihr Amt eintraten; und bei den Ärzten erreichten zum Ausgleich 38% ein Einkommen von über 8000 Mk., und 25% verdienten sogar mehr als 10000 Mk.: selbst wenn man einen Betrag von 1000-1500 Mk. an Aufwendungen für Daseinsvorsorge abrech­ net, d. h. Einzahlungen für eine Lebensversicherung, eine Pensionskasse oder ähnliches,88 waren dies immer noch Einkünfte, die ein Richter oder ein Oberlehrer auch in der höchsten Dienstaltersstufe nicht erreichten. Wenn die Einkommen der Ärzte auch eine größere Bandbreite aufwiesen als die akademischer Beamten und es daher manche Ärzte geben mochte, die ihr Leben lang weniger verdienten als beispielsweise ein Richter, war doch die Situation der Gesamtheit der Ärzte keineswegs ungünstig im Vergleich mit der beamteter Akademiker. Eine andere akademische Berufsgruppe, mit der die Ärzte sich vorzugs­ weise verglichen, scheint indes, zumindest ist dies seit den 90er Jahren nachweisbar, deutlich höhere Einkommen als diese gehabt zu haben, das waren die Rechtsanwälte und Notare. In der Frankfurter Erhebung von 1893 hatten von insgesamt 78 Frankfurter Anwälten und Notaren 52, genau zwei Drittel, ein steuerpflichtiges Einkommen von mehr als 9500 Mk., während von 217 Ärzten nur ein Drittel (72) diese Einkommenshöhe erreichten. Auch die sächsische Einkommenssteuerstatistik erlaubt einen Vergleich zwischen 1568 Ärzten und 576 Anwälten in Sachsen, der ebenfalls zuungun­ sten der Ärzte ausfällt. Während von den Ärzten 59,7% ein Einkommen von 212 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

über 4800 Mk. erreichten, waren dies bei den Anwälten 78,6%. 320 Ärzte (20,4%) mußten mit einem Einkommen von bis zu 3100 Mk. auskommen, dagegen nur 41 Anwälte (7,1%). Ein Kennzeichen sowohl der freiberufli­ chen Anwälte als auch der Ärzte war es, daß ihre Einkommensverteilung viel breiter streute als das bei den beamteten akademischen Berufen der Fall war. So lagen von den 1439 Geistlichen der sächsischen Statistik genau 50% in der mittleren Einkommenskategorie von 4000-7800 Mk., während bei den Ärzten nur gut ein D rittel in dieser Kategorie rangierte und bei den Anwälten nur etwas mehr als ein Viertel. Wenn auch bei den Anwälten die unteren Einkommensgruppen im allge­ meinen schwächer besetzt waren als bei den Ärzten und die oberen stärker, fehlten doch auch bei den Ärzten Spitzeneinkommen keineswegs. In Sach­ sen bezogen 92 Ärzte (5,8%) ein Einkommen von mehr als 20000 Mk. jährlich; bei den über 50 Jahre alten Ärzten in den sächsischen Großstädten erhöhte sich der Anteil der Spitzenverdiener sogar auf 25%. 89 Auch von den Hamburger Ärzten verdienten 1886 7,6% mehr als 20000 Mk. Im Bereich der Berlin-Brandenburger Ärztekammer erzielten 1905 16,4% der Ärzte ein Einkommen von über 12500 Mk., 4,3% eins über 30500 Mk. 90 Diese Zahlen sind aber zu vereinzelt, und sie beruhen auf allzu unter­ schiedlichen Grundlagen, um eine Aussage darüber zu erlauben, ob die Streubreite der ärztlichen Einkommen und damit auch die Heterogenität der Ärzteschaft nach Einkommen, Lebenshaltung und Lebensstil im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zunahm oder nicht. Ebensowenig sind die An­ gaben über Ärzteeinkommen bis zur Jahrhundertwende geeignet, die ärztli­ che Behauptung ständig sinkender Einnahmen zu untermauern oder zu widerlegen. Die einzigen Zahlen, die über einen Zeitraum von mehreren Jahren Daten auf vergleichbarer Grundlage zusammenfassen und daher einen Entwick­ lungstrend signalsisieren können, belegen eine wenn auch langsame, so doch kontinuierliche Aufwärtsentwicklung der Ärzteeinkommen. Sie be­ ziehen sich erst auf die Zeit nach der Jahrhundertwende, auf die Jahre 1900 bis 1906: Es sind die von der Ärztekammer Berlin/Brandenburg in ihrem jährlichen Rechenschaftsbericht veröffentlichten Zahlen zur Einkommens­ verteilung unter den Ärzten ihres Bezirks. Die Ausgangslage scheint hier zwar deutlich schlechter als in Hamburg 14 Jahre früher - nur knapp 40% der Berliner Ärzte verdienten über 5000 Mk., während es in Hamburg fast 60% gewesen waren - jedoch ist außer der unterschiedlichen Steuergesetzgebung zu berücksichtigen, daß in Berlin die Ärztedichte seit jeher sehr hoch gewesen war, weil viele Ärzte auch ohne Aussicht auf hohes Einkommen sich in der Reichshauptstadt niederließen; daß ferner in Berlin als Univerisitätsstadt stets eine große Zahl von Ärzten lebte, die sich vor allem in den medizinischen Einrichtungen Berlins fortbil­ den wollten, Praxis also höchstens nebenbei betrieben;91 daß schließlich in diesen Zahlen die gerade in Berlin wegen der vielen Krankenhäuser und 213 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

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3376 3458 3639 3909 3959 4103 4179

1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906

135 127 149 174 150 141 123

4,00% 3,68% 3,95% 4,45% 3,78% 3,51% 2,94%

Steuerfrei waren: Einkommen von 0-900 M. 880 948 977 981 944 999 909

26,10% 27,43% 26,85% 25,01% 23,86% 24,36% 21,77% 581 611 640 654 664 685 712

17,20% 17,67% 17,56% 16,73% 16,78% 16,69% 17,03%

1333 1547 1708 1769 1957 2096 2217

39,40% 44,74% 46,94%! 45,25% 49,52% 51,08% 2 53,04%

Ein Einkommen von Ein Einkommen von Ein Einkommen von 900-3000 M. hatten 3000-5000 M. hatten mehr als 5000 Μ. hatten

447 225 170 331 239 179 218

13,37% 6,50% 4,67% 8,47% 6,09% 4,36% 5,21%

Die Besteuerung schwebte noch

Quelle: Plaut, S. 187. D ie Angaben beziehen sich auf sämtliche Einnahmen, also die aus der Praxis und die aus Vermögen. D ie Tabelle beruht auf den jährlichen Kassenberichten des Kassierers der Ärztekammer, die auch im Ärztlichen Vereinsblatt abgedruckt sind. Wo die Angaben im Vereinsblatt stärker differenziert sind als die Zahlen bei Plaut, wurde dies durch eine Anmerkung gekennzeichnet. 1 D avon 27,8% 5000-10500 Mk., 17,8% 10500-50000 Mk. und 1,4% bis 220000 Mk. Einkommen (Ae. V. Bl. 1903, Nr. 492, S. 106). 2 D avon 34,7% 5000-12500 Mk., 12% 12500-30500 Mk., 3,7% 30500-80000 Mk. und 0,6% über 80000 Mk. (Ae. V. Bl. 1906, Nr. 565, S. 77f.).

Zahl der Ärzte

Jahr

Tab. 14: Einkommensverteilung der Ärzte im Bezirk der Ärztekammer Brandenburg/Berlin 1900—1906

Kliniken große Zahl von Assistenzärzten enthalten ist. D er relativ hohe Prozentsatz von Ärzten, die sich mit einem Einkommen von bis zu 3000 Mk. begnügen mußten, braucht also durchaus nicht einen »wirtschaftlichen Tiefstand« der Ärzte um die Jahrhundertwende zu markieren; es ist ebenso gut möglich, daß die Einkommensverteilung auch schon 20 oder 30 Jahre früher für einen Teil der Ärzte ähnlich ungünstig aussah wie 1900.92 Wie aus Tabelle 14 hervorgeht, verringerte sich der Anteil der Ärzte mit einem bescheidenen Einkommen bis zu 3000 Mk. von gut 31% 1901 auf knapp 25% 1906, während der Anteil der Ärzte mit einem Jahreseinkom­ men von über 5000 Mk. von knapp 40% auf 53% zunahm. Selbst wenn man für die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts eine Preissteigerungsrate von jähr­ lich etwa 1,5% annimmt,93 bedeutete das wahrscheinlich noch steigende Realeinkommen. Seit 1906 veröffentlichte die Kammer die Einkommensan­ gaben nicht mehr »aus Furcht vor einem Mißbrauch durch die Sozialdemo­ kratie und die Kassen«,94 ein deutlicher Hinweis darauf, daß die schon aus den veröffentlichten Zahlen erkennbare Tendenz zur stetigen Verbesserung der Einkommenslage sich auch nach 1906 fortsetzte. Für die Zeit nach der Jahrhundertwende wird man Verbesserungen der materiellen Situation der Ärzte vor allem auf das Wirken des 1900 gegründe­ ten »Verbandes der Ärzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen«, des später nach seinem Gründer benannten »Hartmannbun­ des«, zurückführen können, dem es nach und nach gelang, bei den meisten Kassen kräftige Honorarerhöhungen für die Ärzte durchzusetzen. D ie Aus­ gaben sämtlicher Krankenkassen für ärztliche Behandlung ihrer Mitglieder, die 1900 bei 34,3 Mio. Mk. gelegen hatten, verdoppelten sich bis 1909 auf 71,3 Mio. Mk. D ie Arztkosten pro Mitglied stiegen damit von 3,60 Mk. im Jahre 1900 auf 5,70 Mk. im Jahre 1909.95 Wenn auch möglicherweise in diesem Zeitraum die Familienbehandlung weiter an Ausdehnung zugenom­ men hat und daher die Arbeitsbelastung der Kassenärzte weiter gewachsen ist, bedeutete eine Steigerung der Honorare um fast 60% pro Mitglied gewiß auch noch eine Steigerung je ärztlich versorgter Person, seien es nun Mit­ glieder oder Angehörige. Je praktizierenden Zivilarzt hatte sich das Kassen­ honorar von 1374 Mk. 1898 auf 2777 Mk. im Jahre 1909 mehr als verdop­ pelt, obwohl auch die Zahl der Zivilärzte noch gestiegen war. 96 Auch vor 1900 war, wie schon ausgeführt, das gesamte von den Kassen an die Ärzte gezahlte Honorar kontinuierlich angestiegen. Allerdings wäre es möglich, daß in dieser Zeit die Beanspruchung der Ärzte in gleichem oder noch höherem Maße gestiegen ist. D ann wäre mit der Steigerung des Durchschnittskostenbetrags je Mitglied doch eine Minderung des Entgelts für die gleiche Menge ärztlicher Arbeit einhergegangen. Bei einigen Kassen scheint das tatsächlich der Fall gewesen zu sein, wie es für Leipzig etwa die sinkenden Beträge für die ärztliche Einzelleistung nahelegen. Aber erstens können diese zumindest teilweise auch durch die Ärzte selber verursacht sein, indem jede kleine Auskunft, jedes Rezept, jedes Unterschreiben eines 215 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Krankenscheins als Leistung verbucht wurde. Zweitens kann man die Leip­ ziger Zahlen nicht ohne weiteres verallgemeinern, sondern muß die Unter­ schiedlichkeit der Verhältnisse regional und lokal, von Kasse zu Kasse in Rechnung stellen. Wie unterschiedlich im einzelnen die kassenärztlichen Honorare waren, zeigt eine Zusammenstellung der höchsten und niedrig­ sten Durchschnitte bei einzelnen Kassenarten im Jahre 1900: So zahlten die Betriebskrankenkassen in Mecklenburg-Strelitz 12 Mk. an Arztkosten je Mitglied, die Ortskrankenkassen in Lübeck 6,43 Mk.; dagegen die Gemein­ dekrankenkassen in der Provinz Ostpreußen nur 1,57 und die eingeschriebe­ nen Hilfskassen in Sachsen-Koburg-Gotha sogar nur 75 Pfennig.97 Wenn die Kassenhonorare auch für einen Teil der Kassenärzte durchaus finanzielle Härten mit sich brachten, wird man schon aufgrund des stetig steigenden Gesamthonorars von materieller Schädigung »der« Ärzteschaft durch die Krankenkassengesetzgebung kaum sprechen können. Die Krankenkassenproblematik erschöpfte sich für die Ärzte aber keines­ wegs in der Honorarfrage. Während diese in den 80er Jahren noch im Vordergrund gestanden hatte, nahmen seit Beginn der 90er Jahre Klagen über eine angeblich »unwürdige« Position des Kassenarztes, der einseitig vom Kassenvorstand abhängig sei, immer breiteren Raum ein. Mehr und mehr Ärzte fühlten sich und ihren ganzen Berufsstand dadurch im Hinblick auf ihr gesellschaftliches Ansehen geschädigt. Neben die »materielle« Seite der Kassenarztfrage trat immer stärker die »ideelle«.

3. D as Dreiecksverhältnis Arzt - Kassenvorstand - Patient Schon vor Erlaß des Krankenversicherungsgesetzes 1883 hatten die Kassen­ vorstände in der Regel einzelne Ärzte zur Versorgung ihrer kranken Mitglie­ der fest angestellt; sie traten also gegenüber ihren Ärzten in der Funktion eines »Arbeitgebers« auf D ie Berufstätigkeit als »Arbeitnehmer« konfron­ tierte die davon betroffenen Ärzte mit Problemen, die völlig anders als die mit einer freiberuflichen Tätigkeit verbundenen waren. Zwar war der Ärz­ teschaft die sich aus einer festen Anstellung ergebende spezifische Situation nicht völlig unbekannt. Schließlich waren ja die Kommunen schon lange vorher dazu übergegangen, Ärzte gegen Zahlung eines fixen Gehalts zur medizinischen Versorgung der Ortsarmen zu verpflichten. Einige von den Konflikten, die später in der Krankenkassenpraxis eine so explosive Dimen­ sion erreichen sollten, findet man daher auch schon in der ersten Jahrhun­ derthälfte in der armenärztlichen Tätigkeit. Exemplarisch seien hier die Klagen in der »Medicinischen Reform« von 1848 über Nepotismus bei der Anstellung von Armenärzten und über Gängelei bei der Ausübung ihrer Tätigkeit genannt.98 Die Abhängigkeit von der sie anstellenden Behörde, welche die Ärzte der 216 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Medizinalreformbewegung lebhaft beklagten, war auch ein Kennzeichen der kassenärztlichen Praxis. Je mehr die Krankenversicherung an Ausdeh­ nung gewann und je größer dadurch die Zahl der Ärzte wurde, die in ein Abhängigkeitsverhältnis zu einem »Arbeitgeber« Krankenkassenvorstand gerieten, desto lauter wurden auch die Klagen über diese Abhängigkeit, die sich nach Meinung vieler Ärzte mit der Würde ihres »freien« Berufs nicht vertrug. Eine »herabdrückende«, »entwürdigende« »demoralisierende« Abhängigkeit vom Kassenvorstand99 zeigte sich offensichtlich besonders deutlich in der Auswahl von Bewerbern um eine Kassenarztstelle, in der Kündigung des Kassenarztes, in der Möglichkeit des Kassenvorstandes, die Höhe des ärztlichen Honorars einseitig festzusetzen, sowie seinen Befugnis­ sen, in die ärztliche Tätigkeit regulierend und kontrollierend einzugreifen. Die Kassenvorstände waren hinsichtlich der Wahl der ärztlichen Stellen­ bewerber niemandem Rechenschaft schuldig und brauchten sich auch in der Festlegung der Wahlmodalitäten keinen Vorschriften zu unterwerfen. So passierte es in Dresden, daß fünf Ärzte, die sich um Kassenarztstellen bewor­ ben hatten, aufgefordert wurden, bei sieben Mitgliedern des Wahlausschus­ ses der Ortskrankenkasse einzeln Vorstellungsbesuche zu machen. Als sie dieses Ansinnen abgelehnt und statt dessen angeboten hatten, sich bei einer Sitzung des Ausschusses allen Mitgliedern dieses Gremiums gemeinsam vorzustellen, reagierte die Kasse auf ihr entsprechendes Schreiben überhaupt nicht, sondern nahm mit zwei anderen Ärzten Verhandlungen auf, und als diese sich dem Schreiben der ersten fünf anschlossen, stellte sie noch drei andere ein. 100 Dieser Vorfall illustriert nicht nur die relative Macht der Kassenvorstände gegenüber den Ärzten, die sich um Anstellung bewarben, sondern sie deckt gleichzeitig auch die strukturellen Ursachen für die überlegene Position der Kassen auf. D iese lagen in der seit den 80er Jahren deutlich gewandelten Marktlage der Ärzte. Die Kassen faßten die Nachfrage vieler Einzelner nach ärztlichen Dienstleistungen zusammen und konnten sich dadurch zu »Nach­ frage-Oligopolen«101 entwickeln, denen ein zersplittertes Angebot der nichtorganisierten Anbieter am Gesundheitsmarkt, der Ärzte, gegen­ überstand. Hinzu kam, daß sich gerade gegen Ende der 80er Jahre die Auswirkungen des Studentenbooms seit den späten 70er Jahren in einer rasch ansteigenden Ärztedichte bemerkbar machten. Weil dadurch die Zahl der potentiellen Privatpatienten je praktizierenden Arzt zusammenschmolz, es insbesondere für jüngere Ärzte zunehmend schwierig wurde, eine aus­ kömmliche Privatpraxis aufzubauen, wurde für mehr und mehr Ärzte die Anstellung bei einer Krankenkasse zur Existenzfrage. D as beweist auch die meist hohe Zahl von Bewerbungen um jede einzelne Kassenarztstelle. Um 19 Stellen z.B., die der Berliner Gewerkskrankenverein 1890 ausgeschrie­ ben hatte, bewarben sich 150 Ärzte, das waren rund 10% sämtlicher Berliner Ärzte.102 Auf eine einzelne Knappschaftsarztstelle beim Eschweiler Berg­ werksverein kamen sogar 80 Bewerber.103 217 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Diese Situation ermöglichte es den Kassen nicht nur, Anstellungsbedin­ gungen und Honorare einseitig zu diktieren, sondern sie führte auf Seiten der Ärzte auch zu gegenseitigen Unterbietungen und zu Bestechungen von Kassenvorstandsmitgliedern durch einzelne Ärzte. Im Bericht über eine Umfrage der Hamburger Ärztekammer unter den Ärzten ihres Bezirks über deren Stellung zu den Krankenkassen hieß es z.B.: »Es wird mehrmals direkt ausgesprochen, daß die Stellen von den Vorständen durch ›Kauf oder Bestechung‹ erlangt würden, und daß die einzelnen Ärzte die Vorstände bei ›guter Laune‹ erhalten müßten, um ihre Stellen nicht zu verlieren. «104 Schon 1890 gaben vor einem Schöffengericht in Altona vier Ärzte und ein Heilge­ hilfe zu, daß sie dem Vorsitzenden einer Kasse »größere Geldsummen theils zum D ank für ihre Anstellung, theils nach vorheriger Verabredung als Entgelt für seine bezügliche Verwendung gegeben hätten«.105 1901 wurde folgendes Schreiben eines Kassenvorstandsmitgliedes an ei­ nen ärztlichen Bewerber um eine Kassenarztstelle bekannt: »Sehr geehrter Herr D r. . . ., Auf Ihr Geehrtes vom 24. 5 erlaube ich mir, Ihnen hierdurch ergebenst mitzuteilen: der Vorstand der Ortskrankenkasse kommt heute abend zusammen, um einen Kassenarzt zu wählen. Es kommt hauptsächlich darauf an, wen ich in Vorschlag bringe und wem ich die Stimme gebe. Auch sind andere Herren schon in Vorschlag gebracht. Ich erlaube mir, Ihnen den Vorschlag zu machen, wenn Ihnen etwas daranliegt, diese Kasse zu bekommen mit einem Gehalt von 600 Mk. jährlich, mir eine einmalige Remuneration zu geben - die Höhe überlasse ich Ihnen -, dann mein Kunde zu sein . . . « 106 Derlei nach Meinung des Ärztlichen Vereinsblattes »haarsträubende« Vorkommnisse107 stellten seit den 90er Jahren offenbar keine Einzelfälle mehr dar.108 Vor den ärztlichen Ehrengerichten wurden verschiedentlich Ärzte angeklagt, weil sie sich hinter dem Rücken des schon fest angestellten Kassenarztes um dessen Stelle beworben hatten oder weil sie den Kassenvor­ stand in unzulässiger Weise für sich zu beeinflussen suchten.109 Auch die vom Ärztevereinsbund 1903 dem Reichstag eingereichte Denkschrift führte eine ganze Reihe von Fällen an, in denen entweder bei Auswahl der Bewer­ ber Unregelmäßigkeiten vorgekommen oder aber ungerechtfertigte Kündi­ gungen ausgesprochen worden waren. Teilweise mußten die Kassenärzte von der Generalversammlung jedes Jahr neu gewählt werden, wobei Entlas­ sungen »ohne Grund oder doch wegen Bagatellen« häufig seien.110 Nicht nur hinsichtlich Anstellung und Entlassung bei einer Krankenkasse saßen die Ärzte aufgrund ihrer ungünstigen Marktlage am kürzeren Hebel, sondern auch gegenüber einseitigen Honorarkürzungen waren sie nahezu wehrlos. Da die Kassenvorstände die Arztstellen bei ihren Kassen jederzeit leicht wieder besetzen konnten, brauchten sie bei Konflikten mit den bei ihnen angestellten Ärzten nicht unbedingt einen Kompromißkurs einzuschlagen. In vielen ärztlichen Klagen klingt ein weiterer Grund an, warum den Ärzten die Abhängigkeit vom Kassenvorstand zunehmend »herabwürdi218 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

gend« und »demoralisierend« erschien: Die Mitglieder des Kassenvorstan­ des waren großenteils Arbeiter, standen also im sozialen Status weit unter­ halb der akademisch gebildeten Ärzte, und gehörten zudem auch noch häufig der Sozialdemokratie an. Die sozialdemokratisch orientierten Arbeiter hatten anfangs der Bis­ marckschen Zwangsversicherung ablehnend gegenübergestanden und so­ weit das möglich war, die Mitgliedschaft in einer freien Hilfskasse vorgezo­ gen. Während der 80er Jahre verliefen die Wahlen zur Generalversammlung fast ohne jede Beteiligung der Arbeiterschaft, und die Kassen wurden mei­ stens von Unternehmern oder ihnen nahestehenden Personen verwaltet. Das änderte sich nach der Novelle zum Krankenversicherungsgesetz von 1892, die den Hilfskassen Auflagen machte, welche viele nicht erfüllen konnten, so daß ihre Mitglieder nun einer gesetzlichen Krankenkasse beitre­ ten mußten. Innerhalb der nächsten zehn Jahre gelang es der Sozialdemokratie, in der großen Mehrzahl der Ortskrankenkassen bei den Vorstandswahlen - die Arbeiter hatten in den Generalversammlungen entsprechend ihrem Bei­ tragsanteil von zwei Dritteln gegenüber einem Drittel der Unternehmer eine Zweidrittelmehrheit - ihre Kandidaten durchzubringen und auch die Stellen der Kassenbeamten zunehmend mit Genossen zu besetzen. Posten in der rasch expandierenden Verwaltung der Krankenkassen wurden zu einer oft genutzten Möglichkeit, gemaßregelten Parteimitgliedern, die ihren Arbeits­ platz verloren hatten, eine Existenz zu sichern.111 Bei der Bewerbung um eine Kassenarztstelle von dem Wohlwollen sozialdemokratischer Arbeiter­ vertreter abhängig zu sein, war für das Selbstverständnis vieler Ärzte, die auf ihre akademische Bildung und ihre Zugehörigkeit zu den »Gebildeten« stolz waren, erniedrigend und hat Ressentiments gegenüber den Krankenkassen sicherlich verstärkt.112 Manche Klagen über »Arbeitgeberverhalten« von Kassenvorständen »in schroffster und einseitigster Form«, über Bevorzugung politisch naheste­ hender und Schikanierung andersdenkender Ärzte durch sozialdemokrati­ sche Kassenverwaltungen, über politisch motivierte Entlassungen von Kas­ senärzten und »D emütigungen« bei der Bewerbung mögen durchaus be­ rechtigt gewesen sein,113 jedoch beschränkten sich solche Vorkommnisse keineswegs auf sozialdemokratisch regierte Ortskrankenkassen, sondern kamen bei den von Unternehmern geführten Betriebskrankenkassen oder bei den staatlich verwalteten Bahnkrankenkassen genausogut vor. So führte der freisinnige Abgeordnete Lenzmann im Reichstag am 27. April 1903 aus, daß ihm »mehr als ein Fall bekannt (sei), wo einem Eisenbahnarzt geradezu gesagt wurde: entweder Du giebst die Agitation für den und den fortschritt­ lichen Kandidaten auf, oder Du hörst auf, Eisenbahnarzt zu sein«.114 Auch Unternehmer entließen mitunter Ärzte, weil ihnen deren politische Richtung nicht paßte, oder aus anderen Gründen, die mit ihrer beruflichen Tätigkeit nichts zu tun hatten;115 und im Herunterdrücken der ärztlichen 219 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Honorare wetteiferten nach Meinung eines Reichstagsabgeordneten »die Gemeindeverwaltungen, die Sozialdemokraten und die Fabrikherren gleichzeitig um die Palme«.116 Deshalb kann man keineswegs die Vorherr­ schaft der Sozialdemokraten in den meisten Ortskrankenkassen als »Wurzel des kassenärztlichen Elends« bezeichnen, wie es der Verfasser einer polemi­ schen Untersuchung über die Rolle der SPD in der Gesetzlichen Kranken­ versicherung, der Arzt Wilhelm Möller, 1910 tat. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß auch in bezug auf die Anstellung und Kündigung, ganz ähnlich wie bei der Honorarfrage, ein großer Teil der Kassenärzte sich durchaus in fairer Weise behandelt fühlte. Wenn es auch so scheint, als sei »unwürdiges Buhlen«117 von Ärzten um die Gunst der Kassenvorstände nicht auf absolut untypische Einzelfälle beschränkt geblie­ ben, wenn sich auch Meldungen über Bestechungsversuche, mögen diese nun von Kassenvorstandsmitgliedern oder Ärzten ausgegangen sein, häuf­ ten, besagt das noch nichts über die Repräsentativität solcher Vorfälle. Zumindest erscheint es sehr zweifelhaft, ob wirklich die Ärzte insgesamt mit »ganz verschwindenden Ausnahmen« einer »Terrorisierung« durch Kassen­ vorstände ausgesetzt waren, wie das Ärztliche Vereinsblatt 1900 meinte.118 Ein weiterer Punkt, in dem sich privatärztliche und kassenärztliche Tätig­ keit unterschieden, war die Ausweitung des Arzt-Patient-Verhältnisses zu einem Dreiecksverhältnis Arzt - Krankenkasse - Patient. Auch hier hing es vom jeweiligen konkreten Verhältnis des Arztes zum Kassenvorstand ab, ob die Befugnisse des Kassenvorstandes von den Ärzten als ungerechtfertigte Kontrolle und Einmischung in ihre ärztlichen Entscheidungen empfunden wurden; eine doppelte Loyalität des Kassenarztes, der sowohl der Kasse als auch seinen Patienten gegenüber verpflichtet war, schuf die Existenz der Kasse aber allemal. Der gewissenhafte Arzt, meinte der sozialdemokratische Arzt Zadek, sehe sich gegenüber dem kranken Arbeiter »vielfach im Konflikt zwischen dem Interesse der Kasse und dem des Kranken, bei der Entscheidung der Arbeitsunfähigkeit ebenso wie beim Verordnen von Heil-, Nahrungs- und Stärkungsmitteln, Landaufenthalt etc. Als Kassenarzt abhängig vom Kas­ senvorstand, kommt er nur zu leicht in die Gefahr, seinen Beruf als Berather und Beschützer der Kranken vor dem ›Kasseninteresse‹ zurücktreten zu lassen.«119 Viele Kassenvorstände hatten zunächst ein Interesse daran, möglichst sparsam mit den Kassenfinanzen zu wirtschaften, um in möglichst kurzer Zeit die gesetzlich vorgeschriebenen Rücklagenfonds aufbauen und danach eventuell die Leistungen der Kasse erweitern zu können. D azu gehörten etwa die Ausdehnung der Versicherungsleistungen auf die Angehörigen, der Ausbau des Wöchnerinnen- und Mutterschutzes, die Errichtung von Lun­ genheilstätten für Tuberkulosekranke sowie Aufgaben der Wohnungshygie­ ne. Hier leisteten einzelne Kassen, vor allem größere Ortskrankenkassen, geradezu Vorbildliches.120 Die Realisierung solcher Vorhaben war natürlich 220 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

von der Finanzlage der Kasse abhängig, und auf diese hatten die Kassenärzte in erheblichem Maße Einfluß. Selbst wenn sie unabhängig von ihren Einzel­ leistungen ein fixes Gehalt bezogen, beeinflußten sie die Kassenfinanzen durch Arzneimittelverordnungen und die Anzahl und D auer der Krank­ schreibungen. D ie Kassen hatten also ein begreifliches Interesse daran, die ärztliche Tätigkeit im Hinblick auf eine »wirtschaftliche« Verordnungs weise und Berücksichtigung der finanziellen Lage der Kasse zu kontrollieren. D a aber die Kassenvorstandsmitglieder ebenso wie die Beamten der Kassenver­ waltungen in der Regel medizinische Laien waren, konnten derartige Kon­ trollversuche eine Quelle ständiger Mißhelligkeiten zwischen Kasse und Arzt sein. »Wo der Arzt glaubt, das unbedingt Notwendige (für den Patien­ ten, C. H.) zu geben, vermutet die Verwaltung schon Vergeudung. Da sie es aufgrund der fehlenden ärztlichen Vorbildung nicht genau wissen kann, betätigt sich ein stetes Mißtrauen, das wohl auch häufig am Platz ist.« 121 Fast immer hatten Konflikte zwischen Ärzten und Kassenvorständen, die sich auf die kassenärztliche Tätigkeit bezogen, ihre Ursache darin, daß die Ärzte nach Meinung der Vorstände zu nachgiebig krankschrieben, zu lasch gegen Simulanten vorgingen und zu wenig auf die finanziellen Interessen der Kasse Rücksicht nahmen.122 Für die Ärzte dagegen stellte sich die Einbindung ihrer Tätigkeit in die in der GKV wirkenden Steuerungsmechanismen als ein Verlust an Entschei­ dungsfreiheit und Selbständigkeit dar. Für das Selbstverständnis vieler Ärzte kann wohl der Ausspruch von Bismarcks Leibarzt, Ernst Schweninger, als typisch gelten: »Für den Arzt gibt es nur einzelne; nein, nur den einzelnen: seinen Kranken; niemals aber die vielen einzelnen, die, zusammengeballt, ein neues Wesen sind. Dieses Wesen ist für mich als Arzt der große Niemand! Geht mich nichts an!«123 D adurch, daß Kranksein für Kassenmitglieder nicht mehr Privatsache war, sondern ein Vorgang, der gesellschaftlich ge­ steuert war und für dessen Kosten die Gesellschaft aufzukommen hatte, wurde auch die Tätigkeit der Ärzte bis zu einem gewissen Grade vergesell­ schaftet. D ie tiefsitzenden, teilweise bis heute spürbaren Ressentiments vieler Ärzte gegen die Krankenversicherung haben außer in der ungünstigen Marktstellung der Ärzte in der Frühzeit der Krankenversicherung ihren Grund in den Vergesellschaftungstendenzen, die vom Krankenversiche­ rungsprinzip ausgingen. In der Umformung ihrer Arbeitssituation als Kas­ senärzte sahen viele Ärzte einen »Abstieg von der Höhe des freiwillig aufgesuchten Beraters auf die Stufe eines für die Kasse verpflichteten und von ihr abhängigen Untergebenen, Bevormundeten und Kontrollierten, (der) das niederdrückende Gefühl nicht los wird, immer mehr zum Schrei­ ber und Polizisten degradiert zu werden«.124 D azu kam die schon geschil­ derte Tendenz zum Massenbetrieb in der Kassenpraxis, zur Schnellabferti­ gung von Bagatellfällen, welche die Berufszufriedenheit vieler Kassenärzte deutlich schmälerte. Es nimmt daher nicht wunder, daß bei einem Vergleich der kassenärztli221 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

chen mit der privatärztlichen Tätigkeit die letztere in den Augen der Masse der Ärzte besser abschnitt. D ie immer wieder erhobene Forderung der Ärzte, die Versicherungsgrenze nicht über 2000 Mk. hinaus zu erhöhen,125 ist also nicht nur auf die Befürchtung zurückzuführen, daß dann gutsituierte Schichten, die mehr für den Arzt bezahlen könnten, in den Genuß verbillig­ ter ärztlicher Hilfe kämen, sondern ebenso auf den Wunsch, der Kassenpra­ xis nicht auf Kosten der Privatpraxis immer weitere Ausdehnung zu ver­ schaffen. Auch die ärztliche Kritik am angeblichen Anspruchsdenken der Versicherten erhält von hierher eine zusätzliche Erklärung. Wiederum spiel­ te nicht nur die Überlegung eine Rolle, ob die ärztliche Arbeit bei allzu reger Inanspruchnahme der Ärzte durch die Kassenmitglieder noch angemessen entlohnt werde, sondern ebensosehr das Unbehagen darüber, daß der versi­ cherte Patient dem Arzt nicht mehr als einzelner Hilfesuchender gegen­ übertrat, sondern mit der Kassenorganisation im Rücken, die ihm einen Rechtsanspruch auf ärztliche Versorgung garantierte.126 »Was früher einmal ›Wohltat‹ war, ist ›Recht‹ geworden«, klagte das Ärztliche Vereinsblatt 1907127 und befürchtete für den Fall einer weiteren Ausdehnung des Versi­ chertenkreises gar »durch die Umwandlung des freien ärztlichen Berufes in einen von den Krankenversicherungsträgern völlig abhängigen Betrieb die Vernichtung dieses alten Kulturstandes«.128 Hier zeigte sich, daß die Interessen der potentiellen ärztlichen Patienten und der Ärzte keineswegs gleichgerichtet waren:129 Während die Patienten, vor allem die aus einkommensschwachen Schichten, zunehmend aber auch aus dem Bürgertum, 130 an einer Absicherung gegen das persönliche Risiko im Krankheitsfall, mithin an einer Ausdehnung des Versicherungsprinzips, interessiert waren, wollten die Ärzte die Aufhebung der D irektbeziehung von Arzt und Patient in ein Dreiecksverhältnis möglichst begrenzt halten. Daraus erklärt sich zum einen der langjährige, im Endeffekt jedoch vergebli­ che Protest gegen die Erhöhung der Pflichtversicherungsgrenze, zum ande­ ren aber auch die Zurückhaltung der Mehrheit der Ärzteschaft, wenn es um die Ausdehnung der Versicherung auf Personenkreise ging, die klar unter­ halb der Versicherungsgrenze von 2000 Mk. lagen. Bis 1906 hatte sich ζ. Β. noch kein Ärztetag offiziell mit der Ausdehnung der Versicherungsleistungen auf Frauen und Kinder der versicherten Arbei­ ter befaßt, obwohl doch den Ärzten, die in der Arbeiterschaft tätig waren, bekannt sein mußte, wie wichtig für die Arbeiterfamilie die gesundheitliche Konstitution gerade der Arbeiterfrau war. 131 Als sich der Ärztetag 1906 mit Vorschlägen zur Reform der Arbeiterversicherung beschäftigte, bezeichnete der Referent zu diesem Tagesordnungspunkt, Geheimrat Pfeiffer, die Fami­ lienversicherung zwar als »durchaus wünschenswert« und stellte es auch als »prinzipiellen« Standpunkt der Krankenkassenkommission des Ärztever­ einsbundes hin, »zu passender Zeit« die Schwangerschaftsfürsorge, die ver­ längerte Wochenbettunterstützung etc. einzuführen.132 Aber in den Thesen, die die Krankenkassenkommission dem Ärztetag zur Beschlußfassung vor222 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

legte, tauchten diese Punkte nicht mehr auf. Auch als Dr. Scholl im Auftrag des ärztlichen Bezirks Vereins München »die obligatorische Einführung der Familienversicherung, der Schwangerschafts- und Wöchnerinnenunterstüt­ zung, der Kranken- und Wochenbettspflege, einer ausreichenden Rekonva­ leszentenfürsorge, zahnärztlicher Behandlung und verschiedener hygieni­ scher Maßnahmen« forderte,133 stieß dieser Antrag in der D ebatte der Delegierten auf kaum ein Echo. Nur der Leipziger Arzt D r. Goetz meinte mißbilligend, Scholl trete nur »für die Interessen der Herren Arbeiter« ein, während ihm, Goetz, »das Hemd des Arztes näher als der Rock des Arbei­ ters« sei.134 Auch auf die Forderung nach Einbeziehung der Dienstboten und Heimarbeiter in die obligatorische Krankenversicherung meinte derselbe Arzt: »Überlassen wir das doch den Leuten, die es angeht. D ie Dienstmäd­ chen mögen doch einen Tag abhalten und das verlangen. «135 Zwar spiegelt eine solche Aussage durchaus nicht den Standpunkt der gesamten Ärzteschaft wider. Es gab auch viele Ärzte, die, durch die tägliche Praxis mit den Leiden und Nöten der Unterschichten vertraut, für sozialhy­ gienische Maßnahmen im Bereich der Kassen eintraten; und wahrscheinlich war der Delegierte des Ärztetages 1906, für den das starre Festhalten an der 2000-Mk.-Grenze »einen kleinen unsozialen Beigeschmack«136 hatte, da in den Großstädten teilweise auch Arbeiter mit 3000 Mk. Jahresverdienst, wenn sie Familie hätten, durchaus noch versicherungsbedürftig seien, nicht der einzige Arzt, der so dachte. Wie die Vernachlässigung sozialhygienischer Gesichtspunkte in der Be­ handlung der Kassenfrage und die jeweils mit großer Mehrheit von ver­ schiedenen Ärztetagen angenommene Forderung nach Ausschließung von Personen mit einem Jahresverdienst über 2000 Mk. zeigen, bildeten die sozial denkenden und den Interessenstandpunkt der Versicherten vertreten­ den Ärzte aber die Minderheit gegenüber den Ärzten, die an der Kranken­ kassenproblematik vornehmlich oder ausschließlich die wirtschaftlichen Aspekte und die Machtverteilung zwischen Kassen und Ärzten interessier­ ten, denen also ihr »Hemd näher war als der Rock des Arbeiters«. Daß dabei die Sorge um die Erhaltung der Privatpraxis, die als Hort ärztlicher Autonomie und Freiheit erschien, die Ärzte manchmal blind machte für die Vorteile, welche die Krankenversicherung auch ihnen brach­ te, verdeutlicht vor allem die rückschauende Betrachtung. Von heute aus gesehen ist es ganz klar, daß die Ärzte der Einführung und immer weiteren Ausdehnung des Versicherungsprinzips in der Krankenversorgung langfri­ stig die Stabilisierung ihrer Beschäftigungssituation und auch ihrer Einkom­ men verdanken. Die historische Entwicklung hat ferner gezeigt, daß Krankenversicherung und professionelle ärztliche Autonomie sich sehr wohl miteinander verein­ baren lassen. Andrerseits: D aß die Kassen es sich heute nicht mehr leisten können, in rein ärztliche Fragen hineinzureden, ist zumindest teilweise das Resultat eines zäh und beharrlich geführten Kampfes der Ärzteverbände um 223 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

die Ausweitung der ärztlichen Rechte gegenüber den Krankenkassen. Durch Schiedskommissionen, paritätisch besetzte Vertrauenskommissionen, ge­ naue Regeln sowohl der Anstellung als auch der Kündigung von Kassenärz­ ten, und vor allem durch Übertragung des Abschlusses von Kassenarztver­ trägen vom einzelnen Arzt auf die ärztliche Organisation wurde den Kassen schon vor dem Ersten Weltkrieg Stück für Stück die Machtposition, die sie in der Frühzeit der Versicherung gegenüber den Ärzten gehabt hatten, zum großen Teil wieder entzogen. Die Bemühungen der Ärzte, ihre eigene Position gegenüber der kollekti­ ven Nachfrage der Kassen zu verbessern, kulminierten in der seit den 90er Jahren immer mehr ins Zentrum rückenden Forderung nach Zulassung sämtlicher Ärzte zur Kassenpraxis. D ieser Ruf nach »freier Arztwahl« der Versicherten hatte zahlreiche Gegner, nicht nur in den Kassen und Kassen­ verbänden, sondern auch in einem Teil der Ärzteschaft. D ie genaue Analyse der ärztlichen Bewegung für freie Arztwahl ermöglicht daher nicht nur Aussagen zur Machtbalance zwischen Kassen und Ärzten und zur Verschie­ bung dieser Balance, sondern gibt auch Aufschlüsse über innerärztliche Differenzierungsprozesse.

4. D ie Forderung nach »freier Arztwahl« und ihre Gegner Im Jahre 1890 tauchte im »Ärztlichen Vereinsblatt«, dem offiziellen Organ der organisierten Ärzteschaft Deutschlands, erstmals der Vorschlag auf, den bis dahin üblichen Modus der Anstellung einzelner Ärzte durch die Kassen­ verwaltung aufzugeben und statt dessen sämtliche Ärzte am Ort zur Be­ handlung der erkrankten Kassenmitglieder zuzulassen,137 mit anderen Wor­ ten: Die Kassenmitglieder sollten unter den ortsansässigen Ärzten frei wäh­ len können und nicht mehr an einen zudiktierten »Kassenarzt« gebunden sein. D er dadurch in die Debatte gebrachten Forderung nach »freier Arzt­ wahl« schloß sich auch der Ärztetag 1891 mit großer Mehrheit an, 138 und in der Folgezeit wurde das Schlag wort »Freie Arztwahl« in der Ärzteschaft rasch populär. Gegenüber den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Krankenversiche­ rungsgesetzes von 1883, in denen die Ärzte sich nahezu ausschließlich mit dem Problem einer angemessenen Honorierung durch die Kassen beschäf­ tigt hatten, war damit ein bedeutsamer Perspektivenwechsel vollzogen: Erstmals ging es nicht nur um die Ärzte, die bei den Kassen in Arbeit und Brot standen, sondern auch um die Gruppe derer, die keine Kassenpraxis hatten und denen durch die freie Arztwahl ermöglicht werden sollte, eben­ falls an den Segnungen des Kassengesetzes teilzuhaben. Den Verfechtern des Gedankens der freien Arztwahl ging es dabei vor allem um die jüngeren Ärzte, die nach Beendigung ihres Studiums auf Gelderwerb angewiesen 224 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

waren, aber »diejenigen Bevölkerungsschichten, welche nach bisheriger Erfahrung Gegenstand der Anfangsthätigkeit waren«, verschlossen fanden aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einer Kasse und der Zusammenfassung der Kassenpraxis in den Händen weniger fest angestellter Kassenärzte.139 Tatsächlich hatte der Kreis der durch das Krankenversicherungsgesetz erfaßten Personen sich so rasch ausgeweitet und zudem regional und lokal so unterschiedlich entwickelt, daß es seit den 90er Jahren, spätestens aber seit der Jahrhundertwende für den frischapprobierten Arzt zunehmend schwie­ riger wurde, sich eine Praxis aufzubauen, wenn er nicht auch unter Kassen­ mitgliedern praktizieren konnte. Wie schon weiter oben ausgeführt, betrug der Anteil der versicherten Bevölkerung unter Einschluß der Knappschafts­ kassenmitglieder 1890 14,2% und 1900 schon 17,4% der Bevölkerung. D as war aber nur der Reichsdurchschnitt. In industriereichen Regionen sowie generell in den Großstädten lag der Prozentsatz der versicherten Bevölke­ rung weit darüber, so in Berlin 1890 bei 23,5 und 1900 bei 29%, und im Königreich Sachsen bei 25,4% bzw. 27,9%. 140 Bei Berücksichtigung der Familienversicherung erhöhte sich der Anteil der versicherten Bevölkerung noch einmal rapide. In der Provinz Schlesien waren 1896 14,7% der Bevölkerung Kassenmitglieder; durch die Mitversi­ cherung der Familienangehörigen, die bei 40% der Kassenmitglieder einge­ führt war, erhöhte sich der Anteil der von den Kassenleistungen erfaßten Bevölkerung auf 29,5%, im Regierungsbezirk Oppeln, wo 72,2% der Kas­ senmitglieder auch für ihre Angehörigen freie ärztliche Behandlung und Arznei beanspruchen konnten, sogar von 14,3% auf 40%. 141 Nimmt man Städte, in denen schon die Mitglieder der Kassen einen über dem Reichs­ durchschnitt liegenden Prozentsatz ausmachten, und in denen die Familien­ versicherung auf breiterer Basis eingeführt war; berücksichtigt man zudem die Bevölkerungsgruppe, die zwar nicht dem Versicherungszwang unterlag, aber über Sanitätsvereine und andere freiwillige Versicherungen ärztliche Hilfe erhielt, sowie die Beamten von Post, Bahn und anderen Staatsbetrie­ ben, die über Staatskrankenkassen versichert waren, - lassen sich genügend Beispiele finden, daß weit über die Hälfte der Bevölkerung durch die Versi­ cherung dem freien Markt entzogen wurde. 142 So gehörten 1900 von 85000 Einwohnern Augsburgs 52300 (= 61%), als Mitglieder oder Angehörige, einer gesetzlichen Kasse an, weitere sechseinhalbtauscnd Einwohner (ca. 9%) erhielten durch Sanitätsvereine oder behördliche Regelungen ärztliche Hilfe, so daß nur noch 30% für die ärztliche Privatpraxis übrig blieben.143 In Leipzig - hier befand sich die größte, reichste und bestorganisierte Ortskran­ kenkasse des Reiches - waren um die Jahrhundertwende nach ärztlichen Recherchen sogar 90% der Bevölkerung von einer - gesetzlichen oder privaten - Krankenkasse erfaßt.144 Durch die vorherrschende Praxis der Kassen, einzelne Ärzte zur Behand­ lung ihrer erkrankten Mitglieder anzustellen, verteilten sich die Ärzte höchst ungleich auf die versicherte und auf die nichtVersicherte Bevölkerung: in 225 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Augsburg etwa wurden die 52300 pflichtversicherten Einwohner von 45 Kassenärzten behandelt, d. h. auf einen Kassenarzt kamen 1162 Versicherte, während 58 Ärzte sich in die Behandlung der nichtVersicherten Bevölkerung teilen mußten: hier kam ein Arzt auf 454 Einwohner. Wenn man berücksich­ tigt, daß die Kassenärzte ζ. Τ. nebenher eine Privatpraxis betrieben, wird die ungleiche Verteilung noch krasser. Die Konzentrierung eines wesentlichen Teils der Nachfrage nach ärztli­ chen Leistungen bei den Kassen und die damit einhergehende Konzentrie­ rung der kassenärztlichen Tätigkeit in den Händen relativ weniger Kassen­ ärzte entfaltete naturgemäß eine besondere Brisanz angesichts der gerade Anfang der 90er Jahre besonders hohen Zahl jährlicher Approbationen145 und der dadurch bedingten steigenden Ärztedichte. Dieser Situation, daß bei einer zunehmend schärferen Konkurrenzsituation die Kassen die Nachfrage nach ärztlichen Leistungen lenken und verteilen konnten, indem sie Ärzte zur Kassenpraxis zuließen oder sie davon ausschlossen, ist die rasche Popula­ risierung des Gedankens der freien Arztwahl zu danken. Wie das Schlagwort »Freie Arztwahl« für die Forderung nach Zulassung aller Ärzte zur Kassenpraxis schon andeutet, argumentierten die Verfechter der Idee häufig mit den Interessen der versicherten Arbeiter, die bei Einfüh­ rung dieses Systems nicht an einen bestimmten Kassenarzt gebunden seien, sondern sich einen Arzt ihres Vertrauens frei wählen könnten. Nur bei freier Wahl des Arztes durch den Versicherten könne sich ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Arbeiter entwickeln, wurde etwa behauptet. D ieses sei aber nötig, damit der Arzt »in vorbeugender Weise die gesundheitsschädli­ chen Einflüsse und Gewohnheiten in Kleidung, Nahrung, Wohnung, Le­ bensweise und dergleichen bekämpfen« könne.146 Unter dem System fixier­ ter Kassenärzte bestehe ferner die Gefahr, daß starkbeschäftigte Ärzte zu »verärgerten Routiniers« würden, die nur noch oberflächlich untersuchten und behandelten.147 Durch die Verteilung der Kassenpraxis auf mehr Ärzte würde dagegen eine Überfüllung der Sprechstunden einzelner Kassenärzte mit all ihren nachteiligen Folgen für die Versicherten abgebaut. Überhaupt war die Forderung, daß der versicherte Arbeiter in die Lage versetzt werden müsse, genau wie der Privatpatient sich den Arzt seines Vertrauens frei zu wählen, eine alte Forderung der Arbeiterbewegung. Schon die Berliner Arbeiterverbrüderung von 1848/49 hatte Kritik daran geübt, daß man den Mitgliedern von Krankenkassen »den Arzt aufzwinge«,148 und ebenfalls im Revolutionsjahr 1848/49 hatten die knappschaftlich versicherten Bergleute erstmals die freie Wahl des Arztes durch den Patienten bei den Knappschafts­ vereinen gefordert,149 eine Forderung, die in den folgenden Jahrzehnten immer wieder erhoben wurde. Die hier zutage tretende teilweise Interessenparallelität eines Großteils der Ärzte auf der einen und der Kassenmitglieder auf der anderen Seite führte dazu, daß in einzelnen Städten ärztliche Bemühungen, die freie Arztwahl einzuführen, von der versicherten Arbeiterschaft lebhaft unterstützt wur226 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

den.150 Nicht selten ging gerade in den 90er Jahren, als die Arbeiter allmäh­ lich mehr Anteil an der Kassenselbstverwaltung zu nehmen begannen, der Wunsch nach freier Arztwahl auch von den Versicherten aus. 151 Ebenso setzten sich sozialdemokratische Ärzte, die sowohl als Ärzte die Interessen ihrer Berufsgruppe vertraten als auch politisch der Arbeiterklasse nahestan­ den, in aller Regel engagiert für das Prinzip der freien Arztwahl ein.152 Während sozialdemokratische Arbeiter und bürgerliche wie sozialdemo­ kratische Ärzte in der Frage des Arztsystems bei den Krankenkassen öfter an einem Strick zogen, war die Haltung der SPD in dieser Frage gespalten,153 und die meisten sozialdemokratisch regierten Kassenverwaltungen entwik­ kelten sich mehr und mehr zu Gegnern des Systems der freien Arztwahl. Diese Haltung der Kassen wird verständlich, wenn man bedenkt, daß das System der freien Arztwahl nicht lediglich dazu diente, die Ärzte gleichmä­ ßiger auf die Kassenpraxis zu verteilen, sondern auch noch einen ganz anderen Effekt hatte. D ie Anstellungsautonomie der Kassen war beseitigt, sobald erst einmal alle Ärzte eines Ortes zur Kassenpraxis zugelassen werden mußten. D ie Kassen schlossen dann keine privatrechtlichen Verträge mehr mit einzelnen Ärzten, sondern sie verhandelten mit der ärztlichen Lokalor­ ganisation, deren Mitglieder, wenn sie sich zur Einhaltung bestimmter Bedingungen in der kassenärztlichen Tätigkeit bereit erklärten, zur Behand­ lung der Kassenkranken berechtigt waren. Wenn nicht direkt nach Einzellei­ stungen bezahlt wurde, wurde das zwischen Kasse und Verein vereinbarte Gesamthonorar für ärztliche Leistungen von einer entsprechenden Kom­ mission des Ärztevereins nach Maßgabe der jeweils erbrachten Leistungen unter die Mitglieder verteilt. D amit waren die Kassenärzte der Kontrolle durch die Kassenvorstände praktisch entzogen; die Einführung der freien Arztwahl bedeutete also eine erhebliche Verschiebung der Machtverteilung zwischen Kassen und Ärzten zugunsten der letzteren. Es waren aber keineswegs allein »die nicht mehr entbehrliche Wollust des Herrschens über gebildete Männer«154 und das Interesse daran, die einmal erworbenen Vorteile und Privilegien im Verkehr mit den Ärzten zu wahren, welche die Kassen zu Gegnern der freien Arztwahl werden ließen; vielmehr standen hinter der überwiegend ablehnenden Haltung dieser Forderung gegenüber durchaus handfeste finanzielle Überlegungen. Viele Kassenvor­ stände fürchteten, daß der Arzt, der vom Kassenvorstand unabhängig sei, statt dessen vom Patienten abhängig werde. Jeder Arzt werde schließlich bestrebt sein, möglichst viele Patienten an sich zu ziehen, um sich einen möglichst hohen Verdienst zu sichern. D ie Patienten aber würden solche Ärzte bevorzugen, die ihnen aus Gefälligkeit teure Rezepte ausstellten und sie nach Wunsch krankschrieben. Weigere ein Arzt sich, ein Kassenmitglied erwerbsunfähig zu schreiben, werde dieses einfach zum nächsten Arzt ge­ hen. Während bei Privatpatienten der übertriebenen Inanspruchnahme von Arzt und Medikamenten in der Regel schon dadurch vorgebeugt werde, daß ein solches Verhalten schließlich zu Lasten ihres eigenen Geldbeutels gehe, 227 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

fehle bei den Kassenmitgliedern dieses Regulativ. Um eine nicht verant­ wortbare Kosteninflation bei den Kassen zu vermeiden, müßten die Kassen­ vorstände daher stets enge Tuchfühlung mit ihren Kassenärzten haben, was aber bei Einführung der freien Arztwahl ganz unmöglich sei. Solche Argumente versuchten die Kassenvorstände zu untermauern mit Zahlen, die einen rapiden Anstieg der Kosten bei Einführung der freien Arztwahl belegen sollten. So lagen in Berlin 1894 die Ausgaben für Arztho­ norar, Arznei und Krankengeld bei den 18 Kassen mit zusammen 140000 Mitgliedern, welche die freie Arztwahl eingeführt hatten, um 800000 Mk. höher als die Ausgaben der 43 Kassen ohne freie Arztwahl, obwohl letztere sogar 150000 Mitglieder versicherten.155 Auch der Vorsitzende der Frank­ furter Ortskrankenkasse, obwohl prinzipiell Befürworter der freien Arzt­ wahl, vertrat die Ansicht, daß sie gegenüber den fixierten Kassenärzten auf jeden Fall das teurere Arztsystem sei;156 und der Vorsitzende des Verbandes der Ortskrankenkassen im Deutschen Reich, Julius Fräßdorf, hielt es sogar für ausgemacht, daß eine Kasse bei freier Arztwahl es sich wegen der hohen Kosten derselben nicht leisten könne, ihre Leistungen in irgendeinem Be­ reich, etwa Familienversicherung, Rekonvaleszentenfürsorge oder Unter­ stützungsdauer, über das gesetzlich vorgeschriebene Maß auszudehnen.157 Diese finanziellen Bedenken der Kassen gegen das System der freien Arztwahl wurden von realistisch denkenden Ärzten durchaus anerkannt. Schon auf dem Ärztetag 1891, als die Delegierten sich mehrheitlich für das Prinzip der freien Arztwahl aussprachen, befaßten sich in der Debatte über diesen Punkt mehrere Ärzte mit möglichen nachteiligen Folgen dieses Sy­ stems für die Kassen, meinten aber, solche Folgen ließen sich vermeiden, wenn man Vertrauensärzte anstelle und paritätisch besetzte Kommissionen errichte, welche die Liquidationen der Ärzte kontrollieren sollten.158 Daß die bei Einführung der freien Arztwahl fortfallende Kontrolle der Kassenärzte durch andere Kontrollmechanismen kompensiert werden müs­ se, war ein Gedanke, der in Ärztekreisen mehr und mehr akzeptiert wur­ de. 159 In dem Entwurf eines Vertrages zwischen der Ortskrankenkasse München III und dem ärztlichen Bezirksverein München, den Vertreter beider Organisationen gemeinsam ausgearbeitet hatten, waren bei gleichzei­ tiger Einführung der freien Arztwahl nicht weniger als fünf Kontrollorgane vorgesehen: a) eine aus sechs Ärzten und sechs Angehörigen der Kasse bestehende Vertrauenskommission mit dem Namen »Generalkommission«; b) eine Kommission zur Regelung des Arzneiverordnungsverfahrens (sie­ ben Ärzte, drei Kassen Vertreter); c) eine Kommission zur Abgabe von Gut­ achten in zweifelhaften Fällen von Simulation (sieben Ärzte); d) eine Be­ schwerdekommission, ihr sollten je sechs Ärzte und sechs Kassenvertreter angehören; und e) eine Kommission zur Prüfung der ärztlichen Krankenver­ zeichnisse.160 Durch solche und ähnliche Kontrolleinrichtungen, die eine Ausuferung der Kosten für Arzt, Arznei und Krankengeld verhindern sollten, hofften die 228 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

ärztlichen Verfechter des Systems der freien Arztwahl das Kostenargument der Kassenvertreter unterlaufen zu können. Tatsächlich wurde diese »orga­ nisierte freie Arztwahl« auch in mehreren Städten mit Erfolg eingeführt, etwa in Frankfurt/M., wo der Vorsitzende der Kasse, Graf, den Ärzten ausdrücklich Lob zollte für ihre tatkräftige Mitarbeit bei der Realisierung eines Systems, das den Interessen von Ärzten, Versicherten und Kasse gleichermaßen gerecht werde. 161 In Berlin veröffentlichte 1899 ein Kassenangestellter, J . B. Astor, eine vielzitierte Broschüre, die die offiziellen Statistiken über die negativen finan­ ziellen Auswirkungen der freien Arztwahl auf die Kassenverhältnisse wider­ legte. Astor, der in einer Kommission der Ortskrankenkasse der Bureauan­ gestellten, welche die Wirkungen der freien Arztwahl in Berlin prüfen sollte, mitgearbeitet hatte, kam nach eigenen sorgfältigen statistischen Aufstellun­ gen zu dem Schluß, daß die freie Arztwahl weder eine Steigerung der Krankheitsfälle über die allgemeine Steigerung hinaus noch eine Verlänge­ rung der durchschnittlichen Krankheitsdauer noch eine Vermehrung der Ausgaben für Arznei, Heilmittel und Krankenhauskosten gebracht habe.162 Die Statistik des Berliner Magistrats, die eine höhere finanzielle Belastung der Kassen mit freier Arztwahl zu beweisen scheine, beruhe auf falschen Voraussetzungen. D enn entscheidend für die Höhe der Ausgaben sei »die Erkrankungsgefahr in den einzelnen Berufen, die Schwere und die damit zusammenhängende Dauer der Krankheit, die statutarische Höhe des Kran­ kengeldes und die Zusammensetzung des Mitgliederbestandes nach Alter und Geschlecht«.163 D iejenigen Berliner Krankenkassen, die 1892-1894 die freie Arztwahl eingeführt hätten, hätten auch vorher schon höhere Ausga­ ben als der Durchschnitt gehabt. Dafür sei nicht das Arztsystem verantwort­ lich zu machen, sondern vielmehr zum einen die höhere Erkrankungsgefahr, zum anderen die verschiedenartige Zusammensetzung der Mitgliederschaft, etwa ein höherer Anteil von gutverdienenden Mitgliedern, die auch ein entsprechend höheres Krankengeld bezögen.164 Die nach seinen Recherchen günstigen Resultate der freien Arztwahl führte Astor auf von Ärzten und Kassen gemeinsam beschickte Kontrolleinrichtungen zurück, u. a. eine Be­ schwerdekommission und eine Rezeptrevisionskommission, sowie auf die Existenz von Vertrauensärzten, bei denen sich Simulationsverdächtige zur Nachuntersuchung vorstellen mußten.165 In ähnlicher Weise hatte vorher schon der Mainzer Arzt Dr. Krug anhand der Rechnungsergebnisse der Mainzer Ortskrankenkasse, die Anfang 1890 die freie Arztwahl eingeführt hatte, nachzuweisen versucht, daß dieses Arztsystem keine finanziellen Nachteile für die Versicherten gebracht ha­ be. 166 Aus dem Jahre 1911 stammt eine weitere detaillierte Untersuchung über die Auswirkungen des Arztsystems auf die Finanzen der jeweiligen Kasse: Der Rendant der kaufmännischen Ortskrankenkasse in Magdeburg führte unter Zugrundelegung der statististischen Materialien der vergange­ nen zehn Jahre aus, daß es nicht das System der freien Arztwahl, sondern die 229 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Ausweitung der statutarischen Leistungen, u. a. der Wegfall der sozialpoli­ tisch bedenklichen Karenztage am Beginn einer Krankheit, seien, die zu einer erheblichen Steigerung der Ausgaben der Kassen geführt habe.167 Alle Versuche, die Kostenneutralität der freien Arztwahl zu beweisen, konnten jedoch den Widerstand der Mehrzahl der Kassen gegen dieses Arztsystem keineswegs entkräften. Im Gegenteil, im Verlaufe der Auseinan­ dersetzungen zwischen Kassen und Ärzten verhärteten die Fronten sich immer mehr. Dabei waren keineswegs nur die Ortskrankenkassen, in deren Vorständen in der Regel sozialdemokratisch orientierte Arbeiter das Sagen hatten, Gegner der ärztlichen Forderungen, vielmehr zeigte sich hier eine erstaunliche Einmütigkeit zwischen unternehmerisch geführten Betriebs­ kassen, Knappschaftskassen, Ortskrankenkassen und staatlich verwalteten Bahnkassen. So wandte der Verband rheinisch-westfälischer Betriebskrankenkassen 1907 in einer Broschüre gegen die freie Arztwahl vor allem ein, daß sie »im Widerspruch mit der Selbstverwaltung und der Vertragsfreiheit der Kran­ kenkassen (stehe), indem sie ihnen die Regelung der ärztlichen Versorgung ihrer Mitglieder aus der Hand nimmt und sie den Ärztevereinigungen überträgt, deren Interessen sich mit denjenigen der Kassen nicht decken«, daß sie »die persönlichen Beziehungen zwischen der Kassenverwaltung und den Ärzten (lockere), die infolgedessen weniger Anteil an dem Wohle der Kassen nehmen« und daß sie zur »Förderung des Simulantentums« und zur »Erhöhung der Arzt- und Arzneikosten« beitrage:168 alles Argumente, die genausogut aus der Zentrale des Verbandes der Ortskrankenkassen hätten stammen können. Ebenso hielt der Allgemeine Deutsche Knappschaftsver­ band, dem ca. 180 Knappschafts vereine mit über 700 000 Mitgliedern ange­ hörten, in einer D enkschrift 1906 das System der freien Arztwahl in den meisten Fällen für undurchführbar.169 Auch die überregionalen Verbände der Krankenkassen, der 1894 gegrün­ dete sozialdemokratisch ausgerichtete »Centralverband von Ortskranken­ kassen im D eutschen Reiche« sowie der 1907 gegründete »Verband zur Wahrung der Interessen der deutschen Betriebskrankenkassen« in Essen, dessen Vorläufer der Verband rheinisch-westfälischer Betriebskrankenkas­ sen war, gingen in der Arztfrage konform, obwohl letzterer in enger Verbin­ dung zum Centralverband D eutscher Industrieller stand, als dessen infor­ meller Sprecher für die Änderungswünsche der Industrie bei der Neufas­ sung des KVG fungierte und »die besten Kontakte zur Konservativen Par­ tei« hatte.170 Wie der Geschäftsführer des Betriebskrankenkassenverbandes, Otto Heinemann, erklärte, konnten die Betriebskrankenkassen die Abwehr der Bestrebungen des Ärzteverbandes auf keinen Fall den Ortskrankenkas­ sen allein überlassen. D aher fanden sie sich auch zur Zusammenarbeit mit dem Ortskrankenkassenverband bereit, dessen Vorsitzenden, den sozialde­ mokratischen Abgeordneten Julius Fräßdorf, Heinemann als »sehr verstän­ digen und gemäßigten Mann« kennzeichnete.171 Beide Verbände vertraten 230 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

die Auffassung, daß es Sache jeder einzelnen Kasse sein müsse, das für sie am besten passende Arztsystem zu bestimmen, daß weder der Kassenverband noch die Ärzteschaft noch die Behörden den Kassen ein bestimmtes System aufzwingen dürften.172 D er zweite Vorsitzende des Verbandes rheinisch­ westfälischer Betriebskrankenkassen, Justizrat Wandel, konnte daher in ei­ nem Vortrag über die Arztfrage, den er im März 1909 im Verein der Indu­ striellen des Regierungsbezirks Köln hielt, mit einigem Recht behaupten, daß »in der Abwehr der Aufzwingung der freien Arztwahl durch die Ärzte­ organisationen . . . Arbeitgeber und Arbeiter völlig einig« seien.173 Die Forderung nach freier Arztwahl machte aber nicht nur Interessenge­ gensätze zwischen den Kassen, gleichgültig welcher Trägerschaft, auf der einen und der Ärzteschaft auf der anderen Seite deutlich, sie stieß auch bei einem nicht unerheblichen Teil der Ärzte auf Ablehnung. Zum allergrößten Teil bildeten die ärztliche Ablehnungsfront solche Ärzte, die bei Einführung der freien Arztwahl ihre materiellen Interessen gefährdet sahen, also die Ärzte, die von dem vorherrschenden System profitierten, weil sie lukrative Verträge mit einer oder mehreren Kassen hatten und daher an einer Ände­ rung des Status quo nicht interessiert waren. D ies belegen Umfragen unter den Ärzten Berlins und Hamburgs in aller Deutlichkeit. In Hamburg wurde bei einer Umfrage der Ärztekammer, an der sich 452 Ärzte beteiligten und 43 nicht, die Einführung der freien Arztwahl von 290 Ärzten gewünscht, darunter waren 173 bislang ohne Kassenpraxis. Unter den 101 Gegnern der Forderung befanden sich dagegen nur sieben Nicht-Kassenärzte und 94 fixierte Kassenärzte.174 Schon 1891 veranstaltete der Zentralausschuß der Berliner ärztlichen Standesvereine eine Enquete unter den Berliner Ärzten. Von 863 Ärzten, die den Fragebogen ausgefüllt hatten, bekannten sich 685 (80%) zu der Forde­ rung nach freier Arztwahl; unter diesen waren lediglich 34 festangestellte Kassenärzte, während sich unter den 151 Gegnern der freien Arztwahl »außerordentlich viele« fixierte Kassenärzte befanden.175 Der Berliner Arzt Windeis, der die generelle Einführung der freien Arzt­ wahl ablehnte und auf dem Ärztetag 1895 neben dem die freie Arztwahl befürwortenden D r. Busch als Korreferent auftrat, relativierte in seinem Referat zunächst die These, daß es auch für den Arbeiter wichtig sei, sich den Arzt seines Vertrauens frei wählen zu können: »Was in aller Welt sollten denn die unglücklichen Menschen sagen, die auf dem Lande oder in kleinen Städten überhaupt nur einen Arzt haben, an den sie sich jahraus jahrein in allen Krankheitsfällen wenden müssen?« Als wichtigstes Bedenken gegen das Prinzip der freien Arztwahl führte er dann aber an, daß dadurch »einer sehr großen Zahl von Kollegen die Existenzmöglichkeit geradezu entzogen« würde. 176 Für seinen daraus folgenden Antrag, es sei nicht anzustreben, die freie Arztwahl »überall und mit allen Mitteln« einzuführen, der mit Stimm­ zettel abgestimmt wurde, erhielt Windeis immerhin 3077 Stimmen, wäh231 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

rend die dagegen stimmenden D elegierten 7977 Stimmen repräsen­ tierten.177 Besonders pointiert war die Gegnerschaft gegen die freie Arztwahl unter den Knappschafts- und den Bahnkassenärzten, die in eigenen Organisatio­ nen ihren Standpunkt artikulieren konnten. So beschloß der Geschäftsaus­ schuß des Verbandes der deutschen Bahnkassenärzte am 28. Februar 1903 einstimmig, die allgemeine Einführung der freien Arztwahl bei den Eisen­ bahnbetriebskassen nicht zu empfehlen.178 Auch auf der Ausschußsitzung des Verbandes am 10. August 1904 in Metz blieb es bei der Ablehnung der freien Arztwahl, obwOhl die Bahnärzte sich gleichzeitig bemüht zeigten, mit dem Ärztevercinsbund in Fühlung zu kommen und ihr Verhältnis zu der übrigen organisierten Ärzteschaft zu verbessern.179 Die Bahnkassenärzte besaßen aufgrund ihrer Monopolstellung bei den Betriebskrankenkassen der Bahn, die ausschließlich bestimmte Ärzte zur ärztlichen Versorgung ihrer Arbeiter anstellte, meist ein langfristig gesicher­ tes Einkommen aus ihrer Tätigkeit und waren naturgemäß bestrebt, ihre Monopolstellung nicht zu gefährden. Ein weiterer Grund für die Ablehnung der freien Arztwahl in bahnärztlichen Kreisen lag zweifellos in der Tatsache, daß die staatliche Eisenbahnverwaltung als Arbeitgeber der Bahnkassenärz­ te, mit der diese es nicht gern verderben wollten, jede Aufweichung der persönlichen Bindung ihrer Ärzte an die Bahnverwaltung ebenfalls strikt zurückwies.180 Ebenso begehrt wie die Position eines Bahn- oder Bahnkassenarztes war im allgemeinen die Anstellung als Knappschaftsarzt bei einer bergmänni­ schen Knappschaft, die die Bergleute schon lange vor Einführung der ge­ setzlichen Sozialversicherung gegen Unfall, Krankheit und Invalidität versi­ cherte. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts181 hatten die Knappschaftsvereine einzelne Ärzte, die häufig erst nach jahrelangem Warten eine Stelle erhiel­ ten, 182 zur Versorgung der nach Wohnort in einzelne Sprengel oder Reviere eingeteilten Knappschaftsmitglieder fest angestellt. D a das Verhältnis zwi­ schen Knappschaftsvorständen und Knappschaftsärzten übereinstimmend als sehr gut bezeichnet wurde, 183 da ein beschäftigter Knappschaftsarzt im westfälischen Revier zudem 4000-6000 Mk. jährlich von der Knappschaft erhielt und nebenher auch noch Privatpraxis betreiben konnte,184 liegt es nahe, daß die Knappschaftsärzte in ihrer überwiegenden Mehrheit Gegner der freien Arztwahl waren. Höchstens bei Vakanzen oder bei Eröffnung neuer Bezirke könne man die freie Arztwahl ausprobieren, meinte etwa der Knappschaftsarzt Schickhold, geradezu »naiv« sei es aber, zu verlangen, »daß ein Arzt, der viele Jahre darin (in der Knappschaftspraxis, C. H.) gearbeitet hat, seine ganzen Verhältnisse, also Wohnsitz, Fuhrwerk, etc. danach eingerichtet hat, plötzlich der freien Arztwahl ausgesetzt werden soll«. 185 Glaubt man der Argumentaiton der Knappschaftsärzte, lag die Erhaltung des »Zwangsarztsystems« durchaus auch im Interesse der um die Jahrhun232 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

dertwende etwa 650000 Knappschaftsmitglieder.186 D enn den Bergarbei­ tern sei am besten mit Ärzten gedient, die sich aufgrund einer ausgedehnten Knappschaftspraxis mit den bergmännischen Berufskrankheiten auskenn­ ten und auch mit den spezifischen Unfallgefahren gerade des Bergbaus vertraut seien.187 D aß die Mitglieder im allgemeinen mit ihren fixierten Knappschaftsärzten zufrieden seien, gehe schon daraus hervor, daß nur sehr wenige Mitglieder von dem ihnen in einigen Knappschaftsbezirken zuste­ henden Recht, sich von dem Knappschaftsarzt ihres Sprengeis weg zu dem eines benachbarten Sprengeis umzumelden, Gebrauch machten: Nur 2% suchten einen anderen Arzt auf 188 Daraus schließen zu wollen, daß die anderen 98% an der Behandlung durch ihren jeweiligen Knappschaftsarzt nichts auszusetzen fanden, scheint voreilig: denn gerade unter den knappschaftlich versicherten Bergarbeitern bildete die Forderung nach freier Arztwahl seit der Revolution von 1848 jahrzehntelang einen der immer wiederkehrenden Punkte bei den bergmän­ nischen Bemühungen um eine Reform der Knappschaften.189 Außerdem waren Beschwerden von Knappschaftsmitgliedern, die sich von ihren Knappschaftsärzten ungerecht behandelt fühlten, gar nicht so selten.190 Im Bezirk Bochum schlossen sich 300 Knappschaftsärzte zu einem Knappschaftsärzteverein zusammen, der in einer am 27. Oktober 1907 ge­ faßten Resolution die immer stärker auf Durchsetzung der freien Arztwahl ausgerichtete Politik des Ärztevereinsbundes und des Leipziger Verbandes als »verhängnisvollen Fehler« anprangerte und warnend daraufhinwies, daß »bei der notorisch großen Zahl der ärztlichen Gegner der freien Arztwahl die Gefahr (bestehe), daß viele ehrenwerte deutsche Ärzte sich von jenen Orga­ nisationen abwenden . . . und die deutsche Ärzteschaft in zwei feindliche Lager gespalten wird«. 191 Was die »notorisch große Zahl der ärztlichen Gegner der freien Arztwahl« angeht, läßt sich diese kaum in konkreten Ziffern ausdrücken. Neben den Bahnkassenärzten, deren Verband 1909 ca. 350 Mitglieder hatte,192 und den Knappschaftsärzten, von denen 1905 allein die 72 preußischen Knapp­ schaftsvereine 1480 beschäftigten, traten vor allem die Dresdener Distrikts­ ärzte als Gegner der freien Arztwahl hervor. D er dienstälteste Arzt bei der Dresdener Ortskrankenkasse, die mit 1897 73000 Mitgliedern zu den größ­ ten Kassen im D eutschen Reich zählte, D r. Eales, lobte das D resdener System 1898 im Ärztevereinsblatt in den höchsten Tönen. In diesem Sy­ stem, bei dem die Stadt in einzelne D istrikte eingeteilt wurde und ein Distriktarzt unabhängig von der jeweiligen Zahl seiner Einzelleistungen je nach Größe des Distrikts ein jährliches Entgelt zwischen 1000 und 4500 Mk. erhielt, stelle das Honorar »ein festes und gleichbleibendes Einkommen dar, mit dem man im Voraus rechnen kann, ein Umstand, der für einen prakti­ schen Arzt nicht zu unterschätzen ist«. 193 Auch über das Verhältnis zum Kassenvorstand wußte Eales nur Gutes zu berichten: In 13½Jahren sei erst einmal ein Kassenarzt gegen seinen Willen gekündigt worden; noch nie sei es 233 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

vorgekommen, daß einem Kassenarzt Abstriche am Honorar gemacht wor­ den seien; und auch bei der Anstellung gebe es »keine Unterbietung, keine Protektion, keine Bestechung«: Bewerbungen würden chronologisch auf­ bewahrt, und in dieser Reihenfolge werde bei Bedarf angestellt.194 Kein Wunder, daß die ca. 175 Dresdener Distriktärzte mit ihrer Lage so zufrieden waren, daß sich 1904 sogar ein »Verein gegen die übereilte Einführung der freien Arztwahl« bildete.195 Außer in Dresden hatten sich noch in Berlin die Gegner der freien Arzt­ wahl in einer eigenen Organisation, dem »Verein Berliner Kassenärzte« formiert, und außer den organisierten Anhängern des »Kassenarztsystems«, den Bahnkassenärzten, den Knappschaftsärzten, den D resdener D istrikts­ ärzten und den Berliner Gewerksärzten gab es noch eine völlig unbestimm­ bare Zahl von Monopolstelleninhabern bei Kassen überall im D eutschen Reich verstreut und schließlich eine Anzahl von Ärzten ohne eigene mate­ rielle Interessen in dieser Frage, die das System der freien Arztwahl ablehn­ ten. D enn wenn auch die ganze D ebatte um freie Arztwahl oder fixierte Kassenärzte stark von den materiellen Interessen der fixierten Ärzte ebenso wie der Nicht-Kassenärzte, die ebenfalls von den Kassen profitieren woll­ ten, geprägt war, tauchten doch auch auf Seiten der Gegner der freien Arztwahl prinzipielle Argumente gegen dieses System auf, die hier nicht unterschlagen werden sollen. Zum einen wurde angeführt, daß die hygienische Überwachung und Beratung der Kassenmitglieder, die immer mehr zur Hauptaufgabe der Kassenärzte werden müsse, besser von festangestellten Ärzten durchgeführt werden könne und daß sie sich keineswegs mit dem Prinzip der Einzelhono­ rierung, das mit der freien Arztwahl untrennbar verbunden sei, vertrage.196 Dieses Argument wurde besonders für die ärztliche Versorgung bei Be­ triebskrankenkassen herangezogen; so meinte ein Freiburger Arzt, D r. Kaufmann, der selbst bei der Ortskrankenkasse mit freier Arztwahl prakti­ zierte: »Ich halte (die freie Arztwahl, C. H.) für die richtigste Form bei Orts­ Krankenkassen und überhaupt bei solchen Kassen, deren Mitglieder zer­ streut unter der übrigen Bevölkerung wohnen und mit ihr an den allgemei­ nen Krankheitsbedingungen teilnehmen. Dagegen halte ich für Betriebe mit nahe zusammenwohnender Arbeiterschaft die Anstellung von Kassenärzten für zweckmäßiger. Der Arzt lernt durch jahrelanges Wirken die Lebens- und Leidensgeschichte seiner Kassenangehörigen, die Einwirkungen des Betrie­ bes auf die Gesundheit der Arbeiter besser kennen und kann dadurch seinen Klienten mehr nützen, als wenn er neben anderen Ärzten dann und wann gerufen wird.« 197 Anderen Ärzten paßte an der mit dem System der freien Arztwahl ver­ bundenen Einzelhonorierung nicht, daß sie ein Kennzeichen des Gewerbe­ treibenden sei, während die Ärzte bestrebt seien, aus dieser Kategorie her­ auszukommen; die ärztliche Tätigkeit lasse sich nicht auf nach der Taxe einzeln qualifizierbare Leistungen reduzieren.198 Hiermit verband sich der 234 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Hinweis, daß auch Lehrer, Juristen etc. nicht nach ihrem Gehalt das auf die Einzelleistung entfallende Honorar berechneten: »Warum soll denn gerade der Arzt so kaufmännisch rechnen?«199 Zweifellos ist es richtig, daß alle Formen der freien Arztwahl, sei es die beschränkte unter mehreren von der Kasse angestellten Ärzten, sei es die organisierte, wie sie von den Ärzteverbänden gefordert wurde, durch die damit notwendig verbundene Berechnung jeder einzelnen Leistung die ärzt­ liche Praxis in Richtung auf Kommerzialisierung und Bürokratisierung veränderten. D emgegenüber stand der Distriktsarzt, der ein Fixum erhielt und dem es deshalb auf ein paar hundert mehr oder weniger Einzelleistungen nicht ankam, der zudem die Kassenmitglieder seines Bezirks auf D auer persönlich kennenlernte, zu seinen Patienten weniger in einem direkt ge­ schäftlichen, mehr in einem patriarchalischen Verhältnis: In dieser Bezie­ hung war er dem Hausarzt der bürgerlichen Familie, der ebenfalls ein jährliches Fixum ohne Berücksichtigung seiner jeweiligen Einzelleistungen erhielt, nicht unähnlich. Auch das Argument der Befürworter der freien Arztwahl, diese diene vor allem den Interessen der jüngeren Ärzte, denen sonst der Weg in die Praxis zunehmend versperrt werde, wurde von den Skeptikern angezweifelt. »D er junge Arzt steht sich als bescheiden fixierter Kassenarzt gewöhnlich weit besser, als wenn er sich aufs Ungewisse in einer größeren Stadt als frei gewählter Kassenarzt niederläßt«, meinte etwa der Ärztefunktionär Thiersch, der 1898 die Zuständigkeit für Krankenkassenangelegenheiten im Geschäftsausschuß des Ärztevereinsbundes übernahm.200 Tatsächlich war bei freier Arztwahl keineswegs eine Garantie gegeben, daß die Kassenmitglieder sich einigermaßen gleichmäßig auf die am Ort praktizierenden Kollegen verteilten. In Frankfurt waren, auch nachdem das System der freien Arztwahl sich in neun Jahren eingespielt hatte, immer noch einige wenige Ärzte von Kassenpatienten überlaufen, während ein großer Teil an der Behandlung der Kassenmitglieder kaum teilhatte.201 Ähnliche Erfahrungen wurden aus anderen Städten berichtet. So hieß es im Geschäftsbericht der Ortskrankenkasse von Lüdenscheid für 1904, daß von den zehn Ärzten Lüdenscheids drei Ärzte über 50% und fünf Ärzte zusam­ men ungefähr 75% der Kassenmitglieder behandelt hätten, während auf die anderen fünf Ärzte nur ca. 25% entfielen.202 Alle Argumente der Gegner des Prinzips der freien Arztwahl deuten nicht nur auf eine tiefgreifende Interessenhcterogenität innerhalb der Ärzteschaft hin, sie lassen sich auch als schlagender Beweis dafür lesen, daß die Ärzte keineswegs »mit verschwindenden Ausnahmen«203 einer Terrorisierung durch die Kassenvorstände ausgesetzt waren - in diesem Falle hätten ja nahezu alle Ärzte das Prinzip der freien Arztwahl als Retter aus der Not der Unterdrückung und Terrorisierung begrüßen müssen -, sondern daß viel­ mehr »vielerorts ein ganz vorzügliches Verhältnis zwischen den fixierten Ärzten und den Kassenvorständen« bestand.204 Die Knappschaftsärzte und 235 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

die Dresdener D istriktsärzte bildeten mit ihren schon angeführten Zufrie­ denheitsäußerungen, die in scharfem Kontrast zu den im vorhergehenden Abschnitt geschilderten ärztlichen Klagen über »demoralisierende Abhän­ gigkeit vom Kassenvorstand« standen, durchaus keine spektakulären Ein­ zelfälle; auch in vielen anderen Städten und Regionen waren die Verhältnisse zwischen Kassenärzten und Kassenvorständen zur beiderseitigen Zufrieden­ heit geregelt, auch wenn die vom Ärztevereinsbund geforderte freie Arzt­ wahl nicht eingeführt war. Vor allem in mehr ländlich strukturierten Gebieten und in vielen Klein­ städten scheint das Verhältnis zwischen Ärzten und Kassenvorstand unpro­ blematisch gewesen zu sein. Die Frage, ob freie Arztwahl oder nicht, tauchte hier als Problem erst gar nicht auf, da es ganz selbstverständlich war, daß der ortsansässige Arzt die Behandlung der Kassenkranken übernahm oder meh­ rere Ärzte am Ort jeweils eine oder mehrere Stellen bei den verschiedenen Kassen innehatten. Aber auch in vielen Großstädten sahen die Ärzte keinen Anlaß, gegen die Kassen zu opponieren. So wurde etwa aus Kassel berichtet, daß sich »alles in allem . . . die Casseler Ärzte bei dem herrschenden Arztsy­ stem nicht schlecht zu fühlen« scheinen.205 Zudem hatte eine Reihe von Kassen das System der freien Arztwahl von Anfang an eingeführt: so die Gemeindekrankenkasse in Nürnberg mit 1895 fast 44000 Mitgliedern,206 die Freiburger Ortskrankenkasse mit 8000 Mit­ gliedern207 und die Ortskrankenkasse von Cannstadt:208 In all diesen Fällen konnte von drückender Abhängigkeit der Ärzte ebenfalls keine Rede sein. Entsprechend der regionalen und lokalen Buntheit der Kassenverhältnisse gestalteten sich auch die Versuche der Ärzte in den 90er Jahren, mit einzelnen Kassen Verträge zur Einführung der freien Arztwahl abzuschließen, lokal sehr unterschiedlich. In einer Reihe von Städten, beginnend mit Berlin,209 entstanden seit Beginn der 90er Jahre lokale wirtschaftliche Ärzteorganisationen, die, ent­ weder als besondere Abteilungen oder Kommissionen des lokalen Ärztever­ eins oder als eigenständige Vereine zur Einführung der freien Arztwahl, die allgemeine Zulassung zur Kassenpraxis durchsetzen wollten. D iese lokalen Vereinigungen wurden in der Regel von jüngeren Ärzten, die selber keine nennenswerte Kassenpraxis hatten, gegründet. In Berlin etwa hatten 90% der Mitglieder des »Vereins freigewählter Kassenärzte« vor Einführung der freien Arztwahl keine Kassenpraxis ausgeübt.210 Auch in Hamburg ging der Kampf um die freie Arztwahl »von den Kollegen aus, denen durch die Errichtung der Kassen ein großer Teil ihrer Privatpraxis entzogen worden und durch die Ausdehnung der Kassen fortwährend noch mehr entzogen wird, unterstützt einerseits von den jüngeren beschäftigungslosen Kollegen, die gern ein Feld der Betätigung haben wollen, und denjenigen älteren Kollegen, die mit Sorgen um die Zukunft des Standes erfüllt sind und in der freien Arztwahl ein wirksames Mittel zur Hebung des ärztlichen Standes sehen«.211 236 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Ärzte dagegen, die eine auskömmliche Position bei einer Krankenkasse hatten, und bei Einführung der freien Arztwahl um ihre garantierten Ein­ künfte fürchten mußten, waren schwerlich zum Eintritt in einen Verein zur Durchsetzung eben dieses Arztsystems zu bringen. D ies wissend, setzte ein solcher Verein mit seinen Forderungen meist nicht bei dem Kassenmonopol der etablierten Ärzte an, sondern versuchte, das Prinzip der freien Arztwahl durchzusetzen, wenn bei einzelnen Kassen Arztstellen vakant oder neue Kassen gegründet wurden. Ob die Ärzteorganisationen dabei erfolgreich waren, hing, da sie in der Regel nicht die gesamte Ärzteschaft ihres Ortes geschlossen hinter sich bringen konnten, ganz von der Verhandlungsbereitschaft der jeweiligen Kassen ab. In manchen Fällen kam den Ärzten die versicherte Arbeiterschaft zu Hilfe, etwa in Berlin, wo, parallel zu den ärztlichen Bemühungen um Einführung der freien Arztwahl, 1892 und 1893 eine spontane Bewegung für freie Arztwahl unter den mit den Leistungen des Gewerkskrankenvereins unzufriedenen Arbeitern entstand. Teilweise unter dem Druck der Mitglied­ schaft führten in Berlin 1893 zehn Ortskrankenkassen mit ca. 27000 Mitglie­ dern und 1894 weitere sieben Ortskrankenkassen mit etwa 100000 Mitglie­ dern die freie Arztwahl ein.212 Hatte die Ärzteorganisation erst einmal bei einer oder mehreren größeren Kassen erfolgreich das Prinzip der freien Arztwahl durchgesetzt, steigerte das ihre Attraktivität schlagartig: Sie war nun kollektiver Vertragspartner der jeweiligen Kassen, und jeder Arzt, der an der Behandlung von Kranken dieser Kassen interessiert war, mußte in den Verein eintreten. Solche Erfolge konnte ein Verein zur Einführung freier Arztwahl auch als Hebel benutzen, um das bekämpfte »Kassenarztsystem« weiter auszutrocknen: So beschloß der Stuttgarter Verein zur Einführung der freien Arztwahl, nachdem er 1900 einen Vertrag mit der größten Ortskrankenkasse Stuttgarts abgeschlossen hatte, neue Statuten, wonach kein Vereinsmitglied mehr Sonderverträge mit einzelnen Kassen abschließen durfte. Auf diese Weise konnte der Verein hoffen, auch alle übrigen Kassen nach und nach zur freien Arztwahl zu bewegen, da sie kaum noch vertragsbereite Ärzte - diese müßten ja Nicht­ Mitglieder des Vereins für freie Arztwahl sein - finden würden.213 Andrerseits finden sich auch zahlreiche freie-Arztwahl-Vereine, die man­ gels konkreter in Verträgen mit Krankenkassen sichtbarer Erfolge mehr oder weniger dahinsiechten. D er Ende 1893 in Breslau gegründete Verein zur Einführung der freien Arztwahl hatte keine Erfolge zu verzeichnen und entfaltete daher nach einiger Zeit auch kaum noch Aktivität.214 In Köln wurde, nachdem eine vom Ärztlichen Verein eingesetzte Kommission mit der Einführung der freien Arztwahl kein Glück gehabt hatte, im November 1894 ein eigener Verein für freie Arztwahl gegründet. Auch dieser scheiterte jedoch mit seinem Versuch, 1896 bei Einrichtung einer städtischen Betriebs­ krankenkasse das Prinzip der freien Arztwahl zur Durchführung zu bringen. Die Kasse ging lediglich vom D istriktarztsystem ab und überließ ihren 237 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

11000 Mitgliedern die Wahl unter 20 von ihr angestellten Ärzten.215 Auch dem ebenfalls 1894 gegründeten Stuttgarter Verein war es vor seinem Erfolg bei der Ortskrankenkasse im Jahre 1900 nur gelungen, mit einer oder zwei kleineren Kassen einen Vertrag abzuschließen, und lange Zeit waren die Aussichten, die große Ortskrankenkasse für die freie Arztwahl zu gewin­ nen, auch sehr ungünstig gewesen. Daher »konnte auch kein Anwachsen des jungen Vereins erwartet werden, dessen Mitgliederzahl lange Zeit eine sehr beschränkte blieb«. 216 Die insgesamt sehr begrenzten Erfolge der Vereine zur Einführung der freien Arztwahl lagen, wie die angeführten Beispiele zeigen, in der fehlenden Geschlossenheit der Ärzteschaft begründet. Solange die Kassen das Arztsy­ stem wählen konnten, da sie bei allen Varianten - entweder festangestellte Ärzte oder beschränkte Arztwahl oder freie Arztwahl - vertragsbereite Ärzte fanden, konnten die ärztlichen Organisationen kaum D ruck auf die Kassen ausüben. Mangelnde Geschlossenheit der Ärzteschaft in ihrem Verhalten gegen­ über den Kassen konnte auch schon errungene Erfolge im Kampf um die freie Arztwahl wieder zunichte machen, wofür wiederum Berlin ein gutes Beispiel bietet. D ie große Allgemeine Ortskrankenkasse gewerblicher Ar­ beiter (Meyersche Kasse), deren Vorstand 1895 die freie Arztwahl wieder abschaffen wollte, hätte dies kaum so leicht bewerkstelligen können, wenn sich ihm nicht sofort eine Reihe ehemaliger Gewerkskrankenärzte für den Fall der Rückkehr zum System fixierter Ärzte als Vertragsärzte angeboten hätten.217 Es gab jedoch auch häufig Fälle, wo selbst »fixierte« Kassenärzte mit ihrer Position unzufrieden waren, über ungerechtfertigte Kündigungen oder nicht begründete willkürliche Honorarkürzungen seitens des Kassenvor­ standes zu klagen hatten und dann zu einem gemeinsamen Vorgehen mit allen ortsansässigen Ärzten bereit waren. Wenn es jedoch auch zur gemeinsa­ men Kündigung der bisherigen Kassenärzte kam und die ärztliche Lokalor­ ganisation oder ihre Krankenkassenkommission als Sprecherin der gesam­ ten Ärzte mit der Kasse in Verhandlungen eintreten wollte, blieb als Achil­ lesferse solchen Vorgehens immer noch der lokale Charakter der ärztlichen Organisationen. Vielfach war es für die Kassenvorstände ein Leichtes, wenn sie nicht auf die Forderungen und Bedingungen der ortsansässigen Ärzte eingehen wollten, vakante Stellen durch Ausschreibungen mit Ärzten von außerhalb zu besetzen. Besonders eklatant in dieser Hinsicht war der Rem­ scheider Ärztestreik 1898: D ie zehn Remscheider Kassenärzte kündigten geschlossen, nachdem der Kassenvorstand hinter ihrem Rücken zwei aus­ wärtige Ärzte, die eine beamtenähnliche Stellung mit Pensionsberechtigung unter Ausschluß jeglicher Privatpraxis erhalten sollten, eingestellt und dafür zwei Remscheider Kollegen nicht wiedergewählt hatte. Nach der Kündi­ gung der Remscheider Ärzte stellte der Kassenvorstand in kürzester Zeit sieben weitere neue Ärzte mit einem Fixum von je 6000 Mk. an, so daß keine 238 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

ärztliche Unterversorgung bei der Kasse bestand und die »Remscheider Ärzte ihren Streik innerhalb drei Tagen vollständig verloren« hatten, ob­ wohl sich sämtliche Ärzte des Bergischen Ärztevereins mit ihrem Vorgehen solidarisch erklärt hatten.218 In der weit überwiegenden Zahl der Fälle, in denen bis ca. zur Jahrhundertwende die freie Arztwahl im Sinne der Forde­ rungen der Ärztetage eingeführt wurde, geschah das nicht aufgrund von Kampfmaßnahmen der Ärzte wie Streiks, sondern durch das Eingehen von Kassenvorständen - z. T. unter dem D ruck der Mitgliedschaft - auf die entsprechenden Verhandlungsangebote der Ärztevereine bzw. der »Vereine für freie Arztwahl«, etwa in Mainz, D üsseldorf, Mannheim, Stuttgart, Danzig und Frankfurt.219 Leider existiert keine offizielle Statistik über die Verbreitung der einzelnen Arztsysteme bei den Krankenkassen; lediglich aus einer Umfrage der Cen­ tralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen geht hervor, daß 1895 von 319 Ortskrankenkassen aus allen Teilen D eutschlands, welche eine dahin lautende Anfrage beantwortet hatten, 40 freie Arztwahl hatten, 163 ihren Mitgliedern die Wahl unter mehreren bei ihnen angestellten Ärzten ließen, und 116 den Mitgliedern einen bestimmten Arzt zuwiesen. Von 160 grö­ ßeren Betriebskrankenkassen hatten 59 freie Arztwahl, 61 beschränkt freie Arztwahl, und 40 verwiesen die Mitglieder an einen bestimmten Arzt.220 Alle Bemühungen um Einführung der freien Arztwahl in den 90er Jahren lassen deutlich erkennen, daß die Ärzte und ihre zersplitterten wirtschaftli­ chen Organisationen gegenüber den als »Nachfrage-Oligopolisten« auftre­ tenden Kassen in der schwächeren Position waren. Besonders Vorfälle wie der von Remscheid ließen daher in der Ärzteschaft den Wunsch nach einer einheitlichen, starken wirtschaftlichen Interessenorganisation, die es mit den Kassen aufnehmen konnte, immer spürbarer werden. Während die beste­ hende Dachorganisation der Ärztevereine, der Deutsche Ärztevereinsbund, sich aus konkreten wirtschaftlichen Auseinandersetzungen stets herausge­ halten und sich auf Öffentlichkeitsarbeit und Petitionen beim Gesetzgeber beschränkt hatte, entstand in dem 1900 gegründeten »Leipziger Verband der Ärzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen«, später nach seinem Gründer Hartmannbund genannt, eine schlagkräftige Pressure Group, die in harten Kampfmaßnahmen gegen die Kassen erhebliche Erhö­ hungen der durchschnittlichen Kassenhonorare sowie bei vielen Kassen die allgemeine Zulassung der Ärzte zur Kassenpraxis durchzusetzen verstand. Obwohl auch die Reichsversicherungsordnung, entgegen den jahrelan­ gen Forderungen der Ärzteschaft, keine gesetzliche Regelung der Arztfrage brachte, fand doch zwei Jahre später im sog. »Berliner Abkommen« von 1913 zwischen dem Hartmannbund und den zentralen Verbänden der Kran­ kenkassen die durch die Aktivität des ersteren geschaffene neue Machtbalan­ ce ihren Ausdruck. Wenn auch weiterhin die kassenärztlichen Verträge zwischen den Kassen und dem einzelnen Arzt geschlossen wurden, wurden doch die Rahmenbedingungen der Verträge festgelegt, und zwar durch 239 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

einen aus Ärzten und Kassenvertretern gebildeten Vertragsausschuß. Damit war faktisch der ärztliche Kollektivvcrtrag eingeführt. Auch die Anstellungs­ autonomie der Kassen wurde in diesem Abkommen beseitigt: Bei der Zulas­ sung wirkte über ein genau geregeltes Verfahren die Gesamtheit der Kassen­ ärzte mit. 221 Um diese Wendung der »Kassenarztfrage« zugunsten der Ärzteschaft im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zu erklären, bedarf es einer sorgfälti­ gen Analyse des ärztlichen Organisationswesens. D azu gehören sowohl die zum Teil schon recht lange existierenden ärztlichen Lokalvereine und der 1873 gegründete Ärztevereinsbund mit dem jährlich stattfindenden Ärzte­ tag als seinem wichtigsten Organ, als auch der als wirtschaftliche Pressure Group konzipierte »Leipziger Verband«, als auch die öffentlich-rechtlich organisierten Ärztekammern, die mit der ihnen in Preußen 1899 zuerkann­ ten eigenen D isziplinarinstanz, den staatlichen Ehrengerichten, eine wir­ kungsvolle Stütze in den Bemühungen der Ärzteschaft bildeten, ihren pro­ fessionellen Status gegenüber Krankenkassen und Öffentlichkeit aufzu­ werten. Zuletzt wurden vor allem zentrifugale Tendenzen in der Ärzteschaft her­ ausgearbeitet: Zur Debatte standen der Funktionswandel des nebenamtlich tätigen Kreis-Physikus zum hauptamtlichen Spezialisten für Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege, die Spezialisierung der ärztlichen Praxis und die Zuspitzung der Kassenarztfrage, Entwicklungen, die eine immer stärkere Heterogenität der Ärzte nach gesellschaftlichem Status, konkreten Arbeitsbedingungen, beruflichen Funktionen und allgemeiner Lebenslage und immer deutlichere Interessengegensätze zur Folge hatten. D emgegen­ über geht es im folgenden, dem letzten Kpaitel dieser Untersuchung um die Frage, auf welche Weise es den ärztlichen Organisationen gelang, diese Interessengegensätze intraprofessionell zu halten, sie zum Teil erfolgreich zu neutralisieren und das gesamtgesellschaftliche Gewicht der Ärzteschaft zu steigern.

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KAPITEL VII

Die ärztlichen Berufsorganisationen 1. D ie Anfinge des ärztlichen Vereinswesens und der deutsche Ärztevereinsbund Der Zusammenschluß von Ärzten zu eigenen Vereinen, die gesellige, wis­ senschaftliche, politische oder wirtschaftliche Zwecke verfolgen konnten, ist - wie die massenhafte Gründung von Vereinen überhaupt - ein Kennzei­ chen der Geschichte des 19. Jahrhunderts. Wenn auch vereinzelt schon im späten 18. und den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts ärztliche Vereine gegründet wurden - so etwa 1780 in Mannheim auf Anregung des Arztes und Medizinalpolitikers F. A. Mai eine »Gesellschaft praktischer Ärzte, Wundärzte und Geburtshelfer«,1 1808 eine »physikalisch-medicinische So­ cietät zu Erlangen«,2 1809 der Ärztliche Verein zu Lübeck3 und 1810 die »Hufeland'sche Gesellschaft« in Berlin -, blieben solche Gründungen doch um diese Zeit rare Ausnahmen. D ie Ärzte lebten »damals im Allgemeinen wie die Spinnen«, konstatierte der Gründer des Ärztevereinsbundes von 1873, der D resdener Arzt Hermann Eberhard Richter: »jeder in seinem Netze; sie manifestierten auch sattsam die sprichwörtliche Feindschaft dieser Insekten«.4 Zum Teil lag dieser Mangel an innerem Zusammenhalt an der geringen Zahl der Ärzte: Vereine konnten sich daher, wenn überhaupt, nur in größeren Städten oder an Universitätsorten bilden;5 zum Teil hing das auch damit zusammen, daß die Ärzte fest in die staatlich fixierte Medizinal­ ordnung eingebunden waren, die ihre Rechte und Pflichten genau festlegte. Das Bedürfnis, in eigenen ärztlichen Vereinen einen berufsständischen Ver­ haltenskodex zu entwickeln und ärztliche Standesinteressen zu vertreten, war daher weniger stark ausgeprägt. Einen ersten Aufschwung erlebte das ärztliche Vereinswesen in den 1830er und besonders den 40er Jahren im Zusammenhang der Medizinalreformbe­ wegung. Auch in diesen Jahrzehnten konzentrierten sich die Gründungen von Ärztevereinen auf größere Städte und auf die westlichen Provinzen Preußens, wo die Ärztedichte wesentlich über der der östlichen Landesteile lag. D ie zunehmend schwierige wirtschaftliche Lage vieler Ärzte, die be­ klagte »Überfüllung« und Verschärfung der Konkurrenz, die immer noch bestehende hierarchisch abgestufte Teilung des ärztlichen Standes in gelehrte Ärzte und Wundärzte, der Pauperismus und die verstärkte Seuchengefahr 241

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des Vormärz als Probleme, bei deren Bekämpfung die Mediziner ihre ärztli­ che Sachkompetenz einzubringen suchten - das alles waren Momente, die eine Politisierung des zunächst vor allem geselligen und wissenschaftlichen Zwecken dienenden Vereinslebens förderten. Ganz besonders galt das aber von den staatlichen Regelungs- und Kontrollmechanismen, denen die ärztli­ che Praxis unterworfen war und gegen die sich die freien ärztlichen Assozia­ tionen in den 40er Jahren in zunehmendem Maße wandten. Die deutschen Ärzte, auch die nicht-beamteten, waren in disziplinarrecht­ licher Hinsicht den staatlichen Beamten gleichgestellt. Nach einer Ministe­ rialverfügung vom 26. D ezember 1808, die 1833 noch einmal bestätigt wurde, waren die Regierungen befugt, »ohne Einmischung der Gerichte Vergehen der Medicinalpersonen als reine Dienstvergehen disziplinarisch zu rügen, deshalb Ordnungsstrafen festzusetzen und zu vollstrecken«.6 D ie beamtenähnliche Stellung der Ärzte zeigte sich auch darin, daß sie ebenso wie die Staatsbeamten ihre »politische Integrität« nachweisen mußten, be­ vor sie approbiert wurden.7 D ie Oberaufsicht durch die Regierung schloß auch das Recht zum Entzug der Approbation ein, wenn sich bei dem Inhaber ein »Mangel an denjenigen, seine Berufstüchtigkeit und Zuverlässigkeit bedingenden Eigenschaften offenbart, auf deren gesetzmäßigen Grund ihm die Approbation erteilt worden ist«. 8 D ie zur Feststellung solcher Mängel erforderliche Überwachung erfolgte wohl hauptsächlich durch die beamte­ ten Ärzte. Jedenfalls schrieb eine Ministerialverfügung vom 3. Juli 1829 diesen ausdrücklich vor, in die vierteljährlich abzuliefernden Sanitätsberich­ te einen Punkt »Verhalten der Medizinalpersonen« aufzunehmen: »Bemer­ kung des verdienstlichen oder schlechten Benehmens einzelner, mit Angabe der vorgekommenen Veranlassungen«.9 Ferner mußten alle Medizinalper­ sonen bei der Regierung, in deren Bereich sie sich niederlassen wollten, um ihre Vereidigung nachsuchen. Der Berufseid, dem bei den akademisch gebil­ deten Ärzten noch der Promotionseid voraufging, enthielt die Verpflich­ tung, den Beruf nach »bestem Wissen und Gewissen« auszuüben und »Sr. Königlichen Majestät von Preußen, meinem allergnädigsten Herrn, unter­ thänig, treu und gehorsam« zu sein;10 diese Formel blieb bis 1869 in Kraft. In vielen Regierungsbezirken gehörte es zu den Pflichten auch der nichtbeam­ teten Ärzte, vierteljährlich Berichte über den Gesundheitszustand der Be­ völkerung bei der vorgesetzten Medizinalbehörde abzuliefern.11 In der gan­ zen Monarchie waren die Ärzte und anderen Medizinalpersonen verpflich­ tet, jedem Bedürftigen Hilfe zu gewähren ohne Rücksicht auf die eventuelle Zahlungsunfähigkeit des Patienten. D urch die Einführung besoldeter Ar­ menärzte in vielen Städten wurde die Verpflichtung zur unentgeltlichen Behandlung armer Kranker zwar modifiziert: Kranke, die als Arme regi­ striert waren, konnten an den Armenarzt verwiesen werden;12 bei allen anderen aber durften die Ärzte die Hilfeleistung, auch zur Nachtzeit, nicht verweigern. Ein weiterer Punkt staatlicher Reglementierung war die Medizinaltaxe, 242 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

an deren Sätze sich die Ärzte bei ihren Honorarforderungen halten mußten. In Preußen war die erste Tax-Ordnung zusammen mit dem Medizinaledikt von 1693 erlassen worden; seit 1815 galt eine neue Medizinaltaxe, die für jede ärztliche Leistung ein Minimal- und ein Maximalhonorar festlegte.13 Alle diese behördlichen Auflagen und Pflichten brachten die Ärzte in eine eigentümliche Zwitterstellung: in vielerlei Hinsicht hatte ihr Beruf einen »amtlichen Charakter«,14 ohne daß sie die Annehmlichkeiten des Beamten­ daseins, eine gesicherte Stellung mit ansteigendem Gehalt und Pensionsbe­ rechtigung, genossen. In Bezug auf ihre materielle Lage waren sie vielmehr Gewerbetreibende und auf den Markt und seine Gesetze von Angebot und Nachfrage verwiesen. Gerade diese ambivalente Stellung zwischen Beamten und Gewerbetrei­ benden forderte in den 40er Jahren immer stärker die Kritik der Ärzteschaft heraus, die sich in der 48er Revolution zu einer starken Bewegung weg von der staatlichen Bevormundung steigerte. Im Revolutionsjahr schlossen sich die Ärzte überall - unter meist reger Beteiligung15 - zu Assoziationen zusammen und beriefen regionale Ärzteversammlungen und -kongresse, die vor allem einen einheitlich vorgebildeten Ärztestand und ärztliche Selbstverwaltung durch freigewählte Gremien forderten. D ie näheren Fra­ gen der Organisation der staatlichen Medizinalverwaltung sollte ein vom Ministerium einzuberufender, aus gewählten Vertretern bestehender allge­ meiner Ärztekongreß beraten.16 Teilweise hatte die Medizinalreformbewcgung einen ausgesprochen de­ mokratischen Charakter, so etwa wenn reformerisch engagierte Ärzte for­ derten, auch unbemittelten Interessenten den Weg zum Medizinstudium zu öffnen17 oder wenn sie einen Rechtsanspruch des einzelnen auf Schutz seiner Gesundheit postulierten. So begann etwa die Denkschrift einer Kommission der Schlesischen Gesellschaft (medizinische Sektion) mit folgendem Be­ kenntnis: »Der Staat ist der Gesamtheit aller einzelnen Teilnehmer verpflich­ tet, für das körperliche Wohl derselben, mithin für Pflege, Erhaltung der Gesundheit und Wiederherstellung des zerstörten Gesundheitszustandes in durchaus gleicher Weise zu sorgen.«18 Besonders ausgeprägt war diese demokratische Tendenz in einer Gruppe von Berliner Ärzten um Salomon Neumann19 und den jungen Virchow,20 der, zusammen mit dem Arzt Rudolf Leubuscher, 1848/49 die führende ärztlich-reformerische Zeitschrift »Die Medicinische Reform« herausgab. Doch selbst in dem von dieser »demokratischen Medizin« am stärksten beeinflußten Verein der Ärzte und Wundärzte in Berlin nahm die »volks­ tümliche Reorganisation der öffentlichen Gesundheitspflege«21 einen ver­ gleichsweise schmalen Raum in den Beratungen ein. Zwar wurde in dem Entwurf einer Medizinalordnung, den eine Fünfzehnerkommission des Ver­ eins 1849 vorlegte, die Aufgabe des Staates in der öffentlichen Gesundheits­ pflege in der Einleitung dahingehend beschrieben, »daß kein erkrankter Bürger ohne die kunstgemäße Pflege verbleiben darf, und daß Alles, was das 243 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Entstehen von Krankheiten begünstigt, beseitigt werde«, 22 doch blieb dies eine programmatisch-abstrakte Forderung, die nicht in konkrete einzelne Schritte zur Erreichung dieses generellen Ziels zerlegt und umgesetzt wur­ de. Der 70 Paragraphen umfassende eigentliche Entwurf der Medizinalord­ nung drehte sich dagegen vorwiegend um standespolitische Fragen im engeren Sinne; lediglich in der Forderung nach vermehrter Anstellung von Armenärzten durch die Gemeinden war ein Bezug zur staatlichen Verpflich­ tung, für die medizinische Betreuung der Bürger zu sorgen, gegeben.23 Erst recht standen in den übrigen regionalen Ärzteversammlungen außer in Berlin fanden solche 1848 in verschiedenen Städten der Rheinpro­ vinz, in Beckum, Münster, Merseburg, Magdeburg, Groß-Oschersleben und Königsberg statt - konkrete standespolitische Forderungen im Vorder­ grund vor Fragen des öffentlichen Gesundheitswesens. D ie Aufhebung der Klassifizierung, die Reform des Unterrichts- und Prüfungswesens, die Be­ kämpfung der Kurpfuscherei, die Anstellung der Medizinalbeamten, die Problematik der Militärärzte nahmen in den jeweiligen ärztlichen Forde­ rungskatalogen den breitesten Raum ein.24 Daß es der großen Masse der Ärzte in der 48er Revolution vorrangig um genuin demokratische Ziele gegangen wäre, kann man nicht behaupten. Ja, sogar das Strebennach »Selbstregierung« und Selbstverwaltung anstelle von »Bürokratie und Ministerwillkür« fand nicht die ungeteilte Zustimmung aller Ärzte. Gerade die Realität der engen Bindung der Ärzte an die Obrig­ keit legte nämlich auch eine Alternative zur Forderung nach professioneller Autonomie nahe: Unter den preußischen Ärzten im Vormärz und auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat es immer eine ziemlich große Gruppe gegeben, für die nicht der Professions-Status mit beruflicher Auto­ nomie und Unabhängigkeit von staatlicher Fremdkontrolle die Leitidee war, sondern im Gegenteil die noch stärkere Einbindung der ärztlichen Tätigkeit in staatliche Regulierung. Zu den Forderungen solcher Ärzte zählte vor allem die Einschränkung der Niederlassungsfreiheit, damit eine gleichmäßigere Verteilung der Ärzte auf Stadt und Land erreicht und vor allem der »Überfüllung« gesteuert werden könnte, und häufig auch eine völlige Verbeamtung und Besoldung der Ärzte durch den Staat.25 Unter den Ärzten aber, die an der politischen Bewegung der 48er Zeit aktiv teilnahmen, war eine Mehrheit auf dem demokratischen linken Flügel des Bürgertums zu finden. Von 31 Ärzten in der Frankfurter Nationalver­ sammlung gehörten mindestens elf zur Linken, davon die meisten zur äußersten Linken (Donnersberg). Unter ihnen befanden sich Johann Jacoby, der sich später der Sozialdemokratie anschloß, Wilhelm Löwe und Franz Wigard, die später als freisinnige Abgeordnete dem D eutschen Reichstag angehörten, Wilhelm Hoffbauer, Georg Günther und Ernst Schülung, die nach der Revolution - Hoffbauer erst nach mehrjähriger Haft - nach Ameri­ ka emigrierten. Einen politischen Standpunkt eher auf der rechten Seite des Parlaments hatten dagegen nur drei Abgeordnete: der Elberfelder Arzt und 244 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Gründer des Düsseldorfer ärztlichen Vereins Heinrich Karl Alexander Pa­ genstecher, der sich in Frankfurt der Kasinopartei anschloß, und die Ärzte Gottfried Eisenmann aus Würzburg und Franz D rinkwelder aus Öster­ reich.26 Auch die Zahl der Ärzte, die nach dem Scheitern der Revolution wegen ihrer demokratischen Aktivität angeklagt wurden, war relativ hoch, vor allem in Baden: Von 300 badischen Ärzten wurden 40 steckbrieflich gesucht.27 In Dresden leiteten die Behörden wegen Beteiligung am Dresde­ ner Aufstand gegen 40 Ärzte gerichtliche Untersuchungen ein.28 Auch gegen den späteren Gründer des Ärztevereinsbundes, den Dresdener Arzt Hermann Eberhard Richter, wurde ein Hochverratsprozeß eröffnet, der aber am 24. November 1851 »in Mangel Verdachts« mit einem Freispruch endete.29 Trotz des enormen Aufschwungs, den die Vereinsbildung bei den Ärzten 1848/49 genommen hatte, fehlte es doch an einem D ach verband, der die Willensbildung in den ärztlichen Vereinen, die meist auf lokaler Ebene oder allerhöchstens Provinzebene gegründet wurden, hätte zusammenfassen und sie gegenüber dem Adressaten der ärztlichen Forderungen, dem Staat, wir­ kungsvoll vertreten können. Wie schwach und zersplittert die Ärztebewe­ gung der Revolutionszeit noch war, wird schon daran deutlich, daß sie kaum einen ihrer zentralen Wünsche durchsetzen konnte: Weder berief die preußische oder eine andere deutsche Regierung einen allgemeinen Ärztekongreß ein, noch wurde eine Mitbestimmung der Ärzte in allen medizinal­ politischen Angelegenheiten institutionalisiert, noch wurden die die Berufs­ praxis reglementierenden Kontroll- und Eingriffsrechte des Staates abge­ baut. Einzig mit der Aufhebung der Wundärzteausbildung und damit der Abschaffung der niederen Ärztekategorien konnten die Ärzte einen Erfolg für sich verbuchen, und das auch nur, weil die staatlichen Behörden eingese­ hen hatten, daß das Modell einer ständisch abgestuften medizinischen Ver­ sorgung der Untertanen sich überlebt hatte und in der Praxis gescheitert war. Nach der raschen Ausdehnung und der Politisierung des ärztlichen Ver­ einswesens in der Revolutionszeit lösten sich viele gerade gegründeten Vereine auf, andere beschränkten sich wieder auf die Pflege kollegialen Verkehrs und der Wissenschaft. Neugründungen von Vereinen waren in den 50er Jahren sehr selten; das Vereinsleben stagnierte fast vollständig. Von den 174 ärztlichen Vereinen in Preußen, die 1890 existierten, wurden nur sechs in den 50er Jahren gegründet, während immerhin 18 Vereine ihre Gründung auf das Jahrzehnt 1840-1849 datierten.30 Seit 1860 nahmen die Vereinsgründungen langsam wieder zu, und in der zweiten Hälfte der 60er Jahre setzte eine erneute Gründungswelle ein. Von 1865 bis zur Schaffung des Ärztevereinsbundes als Dachorganisation 1872/ 73 wurden 33 Vereine neugegründet. Gegenüber vielen Gründungen der Zeit vor 1848 wurden jetzt die Organisationsstrukturen fester: Während damals die Zusammenkünfte häufig die »regellose Form gewöhnlicher Ge245 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Seilschaften« hatten,31 wurden nun Statuten und Vereinsbeiträge beschlos­ sen, ein Vorstand gewählt, mindestens einmal jährlich hatte eine Mitglieder­ versammlung stattzufinden.32 Gleichzeitig veränderten sich tendenziell die Zielsetzungen der Vereine. D ie frühen Vereine hatten meist die Erörterung wissenschaftlicher und hygienischer Fragen sowie die Pflege der Kollegiali­ tät durch häufigere Zusammenkünfte in den Mittelpunkt gestellt. So kamen in Lübeck die Mitglieder des 1809 gegründeten ärztlichen Vereins in der Regel einmal monatlich reihum im Haus eines Kollegen zusammen, um ihre Meinung zu »Anfragen, Vorschlägen und Einrichtungen, aufweiche eine Entscheidung von uns erwartet wird«, abzugeben und »einzelne besonders wichtige Krankheiten, Consultationen über zweifelhafte Fälle, Mittheilun­ gen merkwürdiger Leichenöffnungen usw., wie die Praxis eines Jeden sie darbietet« zu diskutieren.33 Auch der im Jahre 1844 gegründete Verein der Düsseldorfer Ärzte sah als sein erstes und wichtigstes Ziel die »Belebung und Förderung der wissenschaftlichen Interessen«, was durch Vorträge und Demonstrationen in den Vereinsversammlungen zu geschehen habe.34 Nach der vorübergehenden Politisierung und Konzentrierung auf Stan­ des- und medizinalpolitische Fragen in der Revolutionszeit traten ärztliche Standesinteressen seit der Mitte der 60er Jahre wieder mehr in den Vorder­ grund, eine Tendenz, die offensichtlich um so stärker ausgeprägt war, auf je höherer Ebene der jeweilige Verein sich konstituierte. So begründete Profes­ sor Bartels als Vorsitzender des Gründungsausschusses des Vereins schles­ wig-holsteinischer Ärzte in einer Einleitungsrede auf der konstituierenden Versammlung am 18. Oktober 1865 die Vereinsbildung »mit dem Streben, die Lage des ärztlichen Standes zu bessern und ihn in der öffentlichen Achtung zu heben«.35 Ein Verein auf Provinzebene, der bei seiner Gründung 142 und vier Jahre später schon 227 Mitglieder hatte,36 konnte naturgemäß nicht mehr in erster Linie der Weiterbildung der einzelnen Ärzte und der Pflege der Kollegialität dienen: dazu hätten häufigere Zusammenkünfte sämtlicher Mitglieder gehört. Zu den jährlichen Mitgliederversammlungen kam aber im Durchschnitt kaum ein Viertel der Mitglieder, was der Vorsit­ zende, Wallichs, mit dem beruflichen Gebundensein der meisten Ärzte, ihren Schwierigkeiten, sich für einen Tag oder zwei Tage für eine Reise in die Provinzhauptstadt frei zu machen, erklärte.37 Mit einer gewissen Notwen­ digkeit folgte so aus der veränderten Organisationsstruktur, daß der Verein sich stärker auf die Vertretung ärztlicher Interessen nach außen hin konzen­ trierte. Dagegen dominierten in lokalen, vor allem in städtischen Vereinen noch länger wissenschaftliche und gesellige Vereinszwecke. So hielt der 1837 aus der Vereinigung mehrerer privater »Ärztlicher Kränzchen« hervorgegange­ ne ärztliche Verein in Frankfurt noch 1890 monatlich zwei Sitzungen ab, auf denen »überwiegend wissenschaftliche Gegenstände, selten Standesfragen« abgehandelt wurden.38 Auch in den vielerlei Berliner Ärztevereinen stand lange die Pflege der 246 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Wissenschaft und der kollegialen Beziehungen im Vordergrund. D ie älteste Berliner Ärztevereinigung, die 1810 zusammen mit dem Verein für Natur­ und Heilkunde gegründete Hufelandsche Gesellschaft, verfolgte ausschließ­ lich wissenschaftliche Interessen, während der 1832 gegründete kollegiale Verein von praktischen Ärzten Berlins überwiegend gesellige Funktionen hatte.39 D er stärker politisierte, 1848 gegründete Verein der Ärzte und Wundärzte in Berlin, der in der Medizinalreformbewegung an vorderster Stelle engagiert war, löste sich bald nach der Revolution wieder auf; dagegen vereinigte sich ein 1858 gegründeter Verein Berliner Ärzte 1860 mit der »Gesellschaft für wissenschaftliche Medizin« zur »Berliner medizinischen Gesellschaft« (BMG). 40 Diese Gesellschaft, mit über 400 Mitgliedern Ende der 70er Jahre der größte ärztliche Verein im Deutschen Reich,41 beschäftigte sich zwar durchaus auch mit standespolitischen Fragen - auf ihre Initiative ging ζ. Β. die Freigabe des Heilgewerbes in der Gewerbeordnung des Nord­ deutschen Bundes 1869 zurück-, 42 aber der Schwerpunkt ihrer Aktivität lag doch eindeutig auf wissenschaftlichem Gebiet. Anfang der 70er Jahre bilde­ ten sich dann in verschiedenen Stadtbezirken Berlins ärztliche Vereine, zu deren Gründung in erster Linie »der Wunsch nach lebhafterer Bethätigung der Collegialität und des geselligen Verkehrs« Anlaß gab. 43 Das Jahr 1878 brachte schließlich mit der Konstituierung des Zentralausschusses der Berli­ ner ärztlichen Standesvereine eine Instanz, welche die ärztlichen Interessen zusammenfassen und auch nach außen, gegenüber städtischen Behörden, Parteien und Öffentlichkeit vertreten konnte. Der Wunsch, ärztliche Interessen wirksam nach außen zu vertreten und medizinisch-fachliche Gesichtspunkte stärker in Entscheidungen auf ge­ sundheitspolitischem Gebiet einzubringen, bildete auch einen wesentlichen Impuls für die Bemühungen einer Reihe von Ärzten, seit den späten 60er Jahren, zu einem überregionalen Zusammenschluß der Ärzte zu kommen. Diese Bemühungen standen in einem engen Zusammenhang mit der in der zweiten Hälfte der 60er Jahre, insbesondere seit der Choleraepidemie von 1866, wiederaufgelebten D ebatte um eine Reorganisation der öffentlichen Gesundheitspflege, wie sie besonders in den Versammlungen der schon seit 1822 bestehenden »Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte« (GDNÄ) geführt wurde. Auf der Versammlung der GD NÄ in Innsbruck 1869 tagten die beiden Sektionen für Medizinalreform und für öffentliches Gesundheitswesen zum ersten Mal gemeinsam und verabschiedeten Leitsät­ ze zur Reform des öffentlichen Gesundheitswesens, welche die Grundlage für eine noch im gleichen Jahr dem Reichstag des Norddeutschen Bundes eingereichte Petition bildeten.44 Allgemein herrschte unter den Ärzten Übereinstimmung darüber, daß die anschwellenden Aufgaben der öffentli­ chen Gesundheitspflege nur dann zufriedenstellend gelöst werden könnten, wenn die Ärzteschaft insgesamt sich an diesen Aufgaben beteiligte und wenn eine Mitwirkung der Ärzte an gesundheitspolitischen Entscheidungen si­ chergestellt sei. 247 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Ein weiterer Anreiz zum stärkeren Engagement im ärztlichen Vereinsle­ ben ging von der 1869 in der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes erfolgten Freigabe des Heilgewerbes aus, und zwar in doppelter Weise. Zunächst waren mit der Einordnung der Ärzte in die liberale Gewerbeord­ nung eine ganze Reihe behördlicher Bestimmungen, die ihre berufliche Praxis einengten und reglementierten, aufgehoben worden. D adurch fiel die bei den Gegnern einer Organisation des Ärztestandes immer wieder hervorgehobene Befürchtung weg, »daß diese Gelegenheit benutzt werden könne, um den ärztlichen Stand noch mehr als bisher in die Bande der Bürokratie zu schlagen und ihn geradezu in einen Haufen von unbezahlten Medicinal-Polizei-Beamten und rechtslosen Staatsdienern zu verwan­ deln«.45 Zum anderen ließ die formalrechtliche Gleichstellung von appro­ bierten Ärzten und nichtapprobierten, häufig auch nicht medizinisch gebil­ deten Laienheilern aller Art das Bedürfnis stärker hervortreten, »daß sich die eigentlichen, wissenschaftlich gebildeten und staatlich geprüften Ärzte Deutschlands fester als bisher aneinander schließen«.46 Ein letzter mächtiger Impuls zum Zusammenschluß auf überregionaler Ebene ging schließlich von der Gründung des Deutschen Reiches 1870/71 aus. D as läßt sich u. a. daran ablesen, daß nicht nur die Ärzte, sondern auch andere Berufsgruppen in den frühen 70er Jahren Zentralverbände auf Reichsebene zur Vertretung ihrer beruflichen Interessen gründeten: So wurden 1871 der D eutsche Lehrerverein als einheitliche Vertretung der Volksschullehrer47 und ebenso der Verband deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine gegründet.48 Im Fall der Ärzte wurde der Anreiz zum Zusammenschluß auf Reichsebene verstärkt dadurch, daß das neue Reich sofort eine Reihe von Kompetenzen auf medizinalpolitischem Gebiet an sich zog: So wurden die Staatsprüfungen für die angehenden Ärzte - als einzigem akademischen Beruf- reichseinheitlich geregelt; die Impfpflicht wurde 1874 durch ein Reichsimpfgesetz festgelegt und in dem 1876 ge­ gründeten Reichsgesundheitsamt eine oberste Reichsbehörde zur Vorberei­ tung und Koordination medizinalpolitischer Gesetzesvorhaben geschaffen. Nachdem auf verschiedenen Tagungen der GD NÄ in der Sektion für Medizinalreform über mögliche Organisationsformen für die Ärzteschaft debattiert worden war, ging die konkrete Initiative zur Gründung von einem der engagiertesten Vorkämpfer in dieser Sache, dem schon in der Revolution 1848/49 aktiven D resdener Arzt Hermann Eberhard Richter aus, der im Juli 1872 einen Aufruf an alle ihm bekannten Ärztevereine und an viele namhafte Ärzte schickte, worin er sie aufforderte, an einer allge­ meinen Beratung der bestehenden Vereine anläßlich der Versammlung der GDNÄ in Leipzig im August teilzunehmen. Auf diesem Treffen am 14. August 1872 wurde ein aus sieben Mitgliedern bestehender Geschäfts­ ausschuß gewählt, der die Aktivitäten der Einzelvereine koordinieren und eine zweite Ärzte-Vereins-Versammlung im folgenden Jahr vorbereiten sollte. Ihm gehörten die Ärzte Cohen aus Hannover, Friedrich aus Mün248 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

chen, Graf aus Elberfeld, Reck aus Braunschweig und Richter aus Dresden an. 49 Ein Jahr später, am 17. September 1873, fand dann in Wiesbaden auf dem ersten deutschen Ärztetag die offizielle Konstituierung des Ärztevereins­ bundes statt. D ie dort angenommene Satzung erklärte es in § 1 zum Zweck des neugegründeten Verbandes, »die zerstreuten ärztlichen Vereine Deutschlands zu gegenseitiger Anregung und gemeinsamer Bethätigung der wissenschaftlichen und praktischen, auch sozialen Beziehungen des ärztlichen Standes zu vereinigen«.50 Während hier noch wissenschaftliche und soziale Aufgaben gleichberech­ tigt nebeneinander genannt wurden, trat faktisch sehr rasch die Wahrung der ärztlichen Standesinteressen in den Vordergrund der Aktivitäten des Bun­ des. 51 Das lag großenteils daran, daß gerade in dieser Zeit mehr und mehr wissenschaftliche Fachgesellschaften gegründet wurden, die sich ausschließ­ lich mit den Wissensfortschritten in ihren jeweiligen Fachgebieten beschäf­ tigten, so die D eutsche Gesellschaft für Chirurgie, die Gesellschaft für Gynäkologie, für Ophtalmologie, der Kongreß für Innere Medizin, der Verein der deutschen Irrenärzte, die Anatomische Gesellschaft.52 Zudem boten nach wie vor die Sektionen der Versammlungen deutscher Naturfor­ scher und Ärzte alljährlich Gelegenheit zum wissenschaftlichen Austausch. Die öffentliche Gesundheitspflege dagegen erforderte in vielen Bereichen, wie etwa Städtereinigung, Kanalisation etc. eine Zusammenarbeit von Ärz­ ten und anderen Experten, etwa Ingenieuren, Technikern, Architekten, Chemikern. Zur Behandlung solcher Probleme hatte sich daher im Jahre 1873 der deutsche Verein für Gesundheitspflege gebildet, dem nicht nur Ärzte, sondern auch Angehörige anderer Berufe und Kommunalpolitiker angehörten. Daher blieb für den deutschen Arztevereinsbund mehr oder weniger die Vertretung ärztlicher Interessen im engeren Sinne als eigentlich zentrale Aufgabe übrig, womit aber wissenschaftliche und hygienisch-praktische Gegenstände keineswegs von den deutschen Ärztetagen verbannt waren.53 Im Zentrum der Verhandlungen standen jedoch von Anfang an meist Fra­ gen, die unmittelbar die ärztlichen Berufsinteressen berührten, wie etwa die Kurpfuscherei und der Geheimmittelschwindel, die ärztliche Prüfungsord­ nung, ein Lebensversicherungsverein und Unterstützungskassen für Ärzte, die »Überfüllung« des ärztlichen Standes und seit Mitte der 80er Jahre mehr und mehr die »Kassenarztfrage« sowie, aber längst nicht so zentral, das Verhältnis zu den Berufsgenossenschaften. Daß sich der Ärztetag als Organ des Ärztevereinsbundes binnen weniger Jahre zum zentralen Forum für alle die Ärzteschaft beschäftigenden Fragen und Probleme entwickeln konnte, lag in erster Linie an der sich rasch verbreiternden Mitgliederbasis in den Lokalvereinen. D iese ließ den Ärzte­ tag auch nach außen, als Sprachrohr für die Wünsche und Forderungen der deutschen Ärzte, zunehmend Gewicht gewinnen. 249 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Auf dem Zweiten D eutschen Ärztetag 1874 in Eisenach waren schon 79 Vereine mit 5235 Mitgliedern durch 53 Delegierte vertreten, während 32 ebenfalls dem Ärztevereinsbund beigetretene Vereine mit 930 Mitgliedern keinen D elegierten entsandt hatten. Nur 47 Vereine mit 687 Mitgliedern waren dem Zentralverband ferngeblieben.54 Die Zahl der dem Bund angeschlossenen Vereine ebenso wie die Zahl der in ihnen organisierten Mitglieder stieg in den folgenden Jahren kontinu­ ierlich an. Auf dem Ärztetag 1881 konnte der Vorsitzende, Graf, den Dele­ gierten berichten, daß - nach Abzug der Doppelzählungen - 7765 Mitglieder in 184 Vereinen dem Ärzteverband angehörten, 1888 war die Zahl von 10000 und 1903 die von 20000 überschritten (Tabelle 15). Schwieriger ist der Organisationsgrad zu berechnen, da die vorliegenden amtlichen und privaten Statistiken über die Gesamtzahl der deutschen Ärzte erheblich voneinander abweichen. So liegen die Angaben des Börnerschen Reichsmedizinalkalenders jeweils erheblich über denen der amtlichen Zäh­ lungen, wahrscheinlich weil D oppelzählungen nicht in jedem Fall vermie­ den wurden und weil gestorbene Ärzte nicht immer sofort aus den Tabellen eliminiert wurden.55 D afür haben sie den Vorteil, für jedes einzelne Jahr verfügbar zu sein, während offizielle Zählungen des Medizinalpersonals nur alle 11 Jahre stattfanden. Wenn daher bei Benutzung der Börnerschen Zahlen die Angaben über den Organisationsgrad der Ärzteschaft eventuell auch etwas zu niedrig sind, weil Börner die Ärztezahlen zu hoch ansetzt, ergibt sich doch ein relativ gutes Bild von der Entwicklung der organisierten Ärzte­ schaft von der Gründung des Ärztevereinsbundes bis zum Ersten Weltkrieg. Hatten dem Ärztevereinsbund ein Jahr nach seiner Gründung rund 50% der Ärzte angehört, erhöhte sich diese Zahl in den nächsten 12Jahren auf gut 63%. Seit der Mitte der 80er Jahre stagnierte der Organisationsgrad; zwar erreichte er zu Beginn der 90er Jahre vorübergehend fast 70%, aber zu Ausgang des Jahrhunderts lag er mit 63,5% genau so hoch wie auch schon 1885. In den Jahren des gewaltigen Zustroms an neu approbierten Ärzten­ von 1887 bis 1898 nahm die Ärzteschaft um fast 60% zu - gelang es den Ärzten also im wesentlichen nicht, den Organisationsgrad noch zu steigern. Erst im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nahm der Anteil der organi­ sierten Ärzte rasch von 70% 1901 auf 80% 1911 zu. Das lag zum einen daran, daß der Zuwachs der Ärzte sich wesentlich verlangsamte, zum anderen und besonders aber auch daran, daß der Ärztevereinsbund von der Kampagne zur Organisierung der Ärzte, die der 1900 gegründete Hartmannbund an­ strengte, mit profitierte. Der Organisationsgrad der Arzte war in den einzelnen deutschen Staaten und Landesteilen sehr unterschiedlich hoch. Nach einer Zusammenstellung des Ärztlichen Vereinsblatts von 1882 gehörten dem Ärztevereinsbund in Baden 75%, in Sachsen 68%, in Lübeck 66% und in Thüringen 64% der Ärzte an, dagegen in Bayern nur 33% und in Württemberg nur 29%. Noch krasser waren die Unterschiede innerhalb Preußens: So waren in der Rhein250 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Tab. 15: Organisationsgrad der deutschen Ärzteschaft 1874—1911 (Mitglieder im Deutschen Ärztevereinsbund) Jahr

Mitglieder

1874 6165 1875-■76 Angaben fehlen 1877 77301 1878 79031 1879 1880 1881 7765 1882 7749 1883 7864 1884 8406 1885 9180 1886 9474 1887 9787 1888 10367 1889 10557 1890 11068 1891 12136 1892 12801 1893 13467 1894 14319 1895 14270 1896 13609 1897 14367 1898 15282 1899 15939 1900 16693 1901 18342 1902 18894 1903 20790 1904 22646 1905 22691 1906 22223 1907 23064 1908 23161 1909 23906 1910 24849 1911 24827

Zahl der Vereine

Zivilärzte in D.

111

Organi­ sationsgrad 49,7%8

(12393)2

156 164

(62,4%)9 (62,4%)9

184

ca.136003

187 195 202 206 200 214 219 225 236 233 239 245 249 254 271 279 291 290 302 311 341 362 379 371 386 386 399 410 410

13765 14033 14448 14957 15529 16355 17132 17511 18010 18880 20001 20667 21 479 22290 23253 24 137 25069 25754 26 1956 27077 27896 28288 28872 29 148 29633 29857 30 186 30666 31 052

]

(14489)4

(23105)5

(28775)7

57,1% 57,1% 59,9% 63,5% 63,3% 63,0% (67,5%)9 63,4% 61,6% 63,2% 67,4% 67,8% 67,3% 69,3% 66,4% 61,1% 61,8% 63,3% (66,1%)9 63,6% 64,8% 70,1% 69,8% 74,5% 80,1% 78,6% 76,2% 77,8% 77,6% 79,2% (83,1%)9 81,0% 80,0%

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Quellen und Erläuterungen: 1 D oppelzählungen nicht ausgeschlossen. 2 Nach der auf Bundesratsbeschluß am 1. 4. 1876 durchgeführten amtl. Zählung; Ergebnisse bei Prinzing, S. 634. 3 D ie Zahlen von 1881 bis 1899 nach dem Börnerschen Reichsmedizinalkalender, zit. in der Tabelle bei Plaut, S. 67. Von 1882 nach 1883 sinkt die Ärztezahl bei Börner plötzlich um 2500. Da dies auf unterschiedlichen Zählkriterien beruhen muß, wurden die Börnerschen Zahlen für 1880-82 der späteren Entwicklung angeglichen. Außerdem wurden bis 1890 jeweils 1335 Militärärzte und in den 90er Jahren jeweils 1620 Militärärzte abgezogen. (Nach der amtlichen Zählung gab es 1876 und 1887 1335, 1898 1620 aktive Militärärzte, die sich i. d. R. nicht im ärztlichen Vereinsleben engagierten. Sie waren später auch weder wahlberechtigt noch wähl­ bar zu den Ärztekammern.) Trotzdem liegen die Börnerschen Zahlen immer noch erheblich über denen der amtlichen Zählungen. 4 Nach der am 1. 4. 1887 vom KGA durchgeführten Zählung des Heilpersonals, Ergebnisse bei Prinzing, S. 634. 5 Nach der am 1. 4. 1898 vom KGA durchgeführten amtlichen Zählung des Heilpersonals, Ergebnisse bei Prinzing, S. 634. 6 Von 1901 an nach den jährlich von Prinzing in der DMW veröffentlichten Zahlen, abgedruckt in der Tabelle bei Plaut, S. 67. D iese Zahlen liegen bis 1908 regelmäßig unter den Börner­ schen, also näher an den amtlichen. Nach Rabe, S. 64 sind die Prinzing'schen Zahlen zuverläs­ siger als die Börnerschen, da Prinzing Doppelzählungen eliminiert habe. Von diesen Zahlen wurden jeweils 1783 aktive Militärärzte abgezogen. 7 Nach der amtl. Zählung des Heilpersonals am 1. 5. 1909, Prinzing, S. 634. 8 Zahl der Vereinsmitglieder 1874 und Zahl der Ärzte nach der amtlichen Zählung von 1876. Da die amtlichen Zählungen stets niedrigere Zahlen ergeben als die ansonsten benutzten des Börnerschen Reichsmedizinalkalenders, dürfte die Zugrundelegung der amtlichen Zahl von 1876 auf das lahr 1874 eine einigermaßen passende Vergleichsgröße geben. 9 Zahlen in Klammern jeweils Organisationsgrad bei Zugrundelegung der offiziellen Ermitt­ lungen über den Umfang des Heilpersonals.

provinz 53%, in Hessen-Nassau 63% und in Schleswig-Holstein sogar 71% der Ärzte Vereinsmitglieder, in Posen dagegen nur 13% und in Elsaß­ Lothringen ganze 9%. 56 Teilweise hängen diese Unterschiede mit der Ärztedichte einer Region zusammen. Je weiter verstreut die Ärzte praktizierten, desto weniger konnte sich im allgemeinen ein Vereinsleben entfalten - daher der geringe Organisa­ tionsgrad in Posen und erst recht in der Provinz Preußen, wo er nur 4% betrug. Teilweise ist die Ursache für einen höheren Organisationsgrad auch in der Tatsache zu sehen, daß in einigen Provinzen frühzeitig aufgrund der Initiative einzelner Ärzte eine Zentralisierung des Vereinswesens stattgefun­ den hatte, so in Schleswig-Holstein, wo der 1865 gegründete Provinzialver­ ein 1882 schon 71% aller Ärzte der Provinz zu seinen Mitgliedern zählen konnte. Zur steigenden Attraktivität eines Vereinsbeitritts trug nicht zuletzt der Ausbau von Unterstützungseinrichtungen für notleidende Ärzte, für Arzt­ witwen und -waisen durch die Vereine bei. Schon 1876 hatten im D eutschen Reich zwanzig verschiedene, von Lokalvereinen ins Leben gerufene oder auf Landesebene zusammengefaßte ärztliche Pensions- und Hilfsvereine, Wit­ wen- und Waisenkassen, Unterstützungsvereine usw. bestanden, denen 252 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

insgesamt 7425 Ärzte angehörten.57 D er Fünfte und der Sechste Ärztetag (1877 und 1878) empfahlen den Ausbau der bestehenden Unterstützungs­ kassen und die Schaffung neuer, wo sie noch nicht bestanden, lehnten aber die Errichtung einer zentralen ärztlichen Hilfskasse ab. 58 Die organisatorische Struktur der einzelnen Unterstützungseinrichtun­ gen war sehr unterschiedlich. Teilweise stellten sie eine direkte Einrichtung des jeweiligen Ärztevereins dar, wurden also lediglich aus Vereinsbeiträgen und eventuell Stiftungen und Vermächtnissen finanziert.59 Teilweise bilde­ ten sie eigene Organisationen, zogen eigene Beiträge ein und erhielten in manchen Fällen auch staatliche Zuschüsse.60 Bei einigen Kassen wurden die zu unterstützenden Mitglieder je nach Bedürftigkeit ausgewählt und auch die Höhe der Unterstützungssumme danach festgesetzt; bei anderen bestand ein Rechtsanspruch.61 Ein Teil der Unterstützungskassen machte die Mög­ lichkeit des Beitritts davon abhängig, daß der betreffende Arzt gleichzeitig Mitglied des ärztlichen Vereins war, 62 während bei anderen eine solche Voraussetzung nicht bestand. Teilweise wurde auch eine Verbindung zwi­ schen ärztlichem Verein und Unterstützungskasse hergestellt, indem für die Mitglieder des ärztlichen Vereins der Beitritt zur Unterstützungskasse obli­ gatorisch gemacht wurde. 63 Wenn sich dies auch nicht in konkreten Zahlen ausdrücken läßt, dürften die Unterstützungsleistungen vieler Ärztevereine sich auf den Organisa­ tionsgrad der Ärzteschaft förderlich ausgewirkt haben. Das Gleiche gilt von den ärztlichen Rechtsschutzvereinen, deren Gründungszweck es war, Ärz­ ten bei Honorarstreitigkeiten mit Patienten Rechtshilfe zu gewähren bzw. die Eintreibung des Honorars bei säumigen Zahlern zu übernehmen.64 Solche Einrichtungen kamen offenbar einem unter den Ärzten dringlich empfundenen Bedürfnis entgegen: Der 1868 gegründete Rechtsschutzverein Berliner Ärzte hatte 1878 360 Mitglieder und war damit nach der BMG der größte Einzelverein von Berliner Ärzten.65 In Breslau ging sogar der »Ver­ ein Breslauer Ärzte« 1884 aus dem schon 1877 gegründeten, einen großen Teil der Breslauer Ärzte umfassenden Rechtsschutzverein hervor.66 Trotz der äußerlich eindrucksvollen Erfolgsbilanz des Ärztevereinsbun­ des - von seiner Gründung bis 1909 vervierfachte sich die Mitgliederzahl von 6165 auf 23906 und stieg damit auf 83% aller deutschen Zivilärzte sahen die Ärzte im allgemeinen ihre standespolitischen Interessen keines­ wegs in zufriedenstellender Weise in der Öffentlichkeit vertreten und durch­ gesetzt. Im Gegenteil, es scheint, als habe sich unter den Ärzten des Kaiser­ reichs mehr und mehr ein pessimistisches Grundgefühl breitgemacht. Im­ mer wieder wurde in der ärztlichen Vereinspresse geklagt, die Stimme der Ärzteschaft habe in der Öffentlichkeit, in Regierung und Parteien nicht das Gewicht, das ihr aufgrund des raschen wissenschaftlichen Fortschritts der Medizin und der gestiegenen Bedeutung der öffentlichen Gesundheitspflege eigentlich zukomme. D as Gefühl, in der Öffentlichkeit beständig an Anse­ hen zu verlieren, hatte vielerlei Ursachen, zu denen u. a. der Wandel im Arzt253 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Patient-Verhältnis, dessen zunehmende Anonymisierung durch die um sich greifende Spezialisierung, die Überfüllungskrise der 80er und 90er Jahre, das angeblich überhandnehmende Kurpfuschertum und die Problematik der Anstellung bei Krankenkassen unter von außen gesetzten Bedingungen und zu niedrigen Honoraren gehörten. Zwei von diesen Problemkreisen mach­ ten die Grenzen der Wirksamkeit des Ärztevereinsbundes besonders sinnfäl­ lig deutlich: die veränderte Stellung der Ärzte zum Staat, in die sie sich durch die Einordnung in die Gewerbeordnung von 1869 und die Freigabe der Heilkunde versetzt sahen, und die Kassenarztfrage. Beide Probleme waren im Rahmen des Ärztevereinsbundes als einer privatrechtlichen Vereinigung nicht zu lösen: eine besondere staatlich ge­ schützte Stellung suchten die Ärzte vielmehr durch Herausnahme aus der Gewerbeordnung und Regelung ihrer Angelegenheiten in einer »Ärzteord­ nung« zu erreichen; eine erste Etappe auf diesem Weg stellte die Errichtung von Ärztekammern als öffentlich-rechtlichen Körperschaften - in Preußen 1887 - und die Schaffung von staatlich anerkannten ärztlichen Ehrengerich­ ten als disziplinarischen Instanzen dar. Die erfolgreiche D urchsetzung ärztlicher Interessen gegen die Kranken­ kassen auf dem Markt für freie ärztliche Dienstleistungen dagegen erforderte eine effiziente gewerkschaftsähnliche Organisation zur Vertretung ökono­ mischer Interessen auf dem Wege der Selbsthilfe, wie sie 1900 im Leipziger »Verband der Ärzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Inter­ essen« erfolgte. Beide Organisationen, die staatlichen Ärztekammern und der wirtschaftliche Intercssenverband, die neben den lokalen ärztlichen Ver­ einigungen und ihrem D achverband, dem Ärztevereinsbund, bestanden, sollen in den folgenden Abschnitten behandelt werden.

2. Ärzte und Staat: Von der Einführung der Kurierfreiheit 1869 auf dem Weg zur »Ärzteordnung«: Ärztekammern und Ehrengerichte a) D ie Stellung des Arztes in der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869 und der Wandel in der Haltung der Ärzte zur Gewerbe freiheit Die Freigabe der »Kurpfuscherei« durch die Gewerbeordnung des Nord­ deutschen Bundes von 1869 ausgerechnet auf Betreiben der ärztlichen Abge­ ordneten im Norddeutschen Bundestag, die sich auf eine Petition der ein­ flußreichen Berliner Medizinischen Gesellschaft (BMG) bezogen, muß in engem Zusammenhang mit der staatlichen Reglementierung des ärztlichen Berufs gesehen werden, gegen welche die Ärzte schon in der 48er Revolu­ tion angekämpft hatten. D er Diensteid, die disziplinarische Gleichstellung mit den Staatsbeamten, die unentgeltlich zu leistenden D ienste für die Be254 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

hörden, wie etwa das Abfassen von Sanitätsberichten, vor allem aber die Pflicht zur Hilfeleistung, 1851 als § 200 ins preußische Strafgesetzbuch aufgenommen, vertrugen sich schlecht mit einem bei den Ärzten seit den 60er Jahren mit der zunehmenden Organisierung wiederbelebten D rang nach Unabhängigkeit. Vor allem der § 200, von den Ärzten als Kurierzwang attackiert, der Medizinalpersonen, »welche in Fällen dringender Gefahr ohne zureichende Ursache ihre Hülfe verweigern«, Geldstrafen in Höhe von 20 bis 500 Talern androhte,67 wurde in einer Zeit, in der es einen organisier­ ten ärztlichen Notdienst noch nicht gab, von den Ärzten offenbar als unzu­ mutbare Einschränkung ihres Privatlebens empfunden. So wurde immer wieder folgender Fall eines Berliner Arztes beschworen: Von einem ihm unbekannten Manne in der Nacht herausgeklingelt und um einen Kranken­ besuch gebeten, habe er aus dessen Schilderung den Eindruck gewonnen, daß der Fall nicht so schlimm stehe; deshalb habe er, selbst kränklich, den Besuch abgelehnt. Kurze Zeit darauf sei der Mann in Begleitung eines Polizisten wiedergekommen, der den Arzt »barsch« aufgefordert habe, seiner dienstlichen Pflicht zur Hilfeleistung nachzukommen.68 Wenn auch nur wenige Ärzte nach § 200 wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt wurden, gaben doch die unklaren und richterlichem Ermessen weiten Spiel­ raum lassenden Begriffe »dringende Gefahr« und »zureichende Ursache« vielfach zu Denunziationen Anlaß und hielten die Ärzte in steter Sorge vor einer Bestrafung.69 1868 reichten der D üsseldorfer Ärzteverein, der Verein Schleswig-Hol­ steinischer Ärzte und mehrere andere ärztliche Vereinigungen Petitionen um Aufhebung des § 200 beim Reichstag ein.70 Ebenso erklärte sich die Wissen­ schaftliche D eputation für das Medizinalwesen in Preußen gegen den § 200. 71 1869 folgte dann die Petition der Berliner Medizinischen Gesell­ schaft72 mit derselben Forderung, die aber hier in ein Konzept der Stellung der Ärzte zum Staat eingepaßt war. Nach den Vorstellungen der BMG sollte die Berechtigung zur Ausübung der Heilkunde nicht mehr an einen Befähi­ gungsnachweis (Approbation) gebunden sein, wie es im Regierungsentwurf zur Gewerbeordnung (§ 29) noch vorgesehen war, sondern ebenso dem Prinzip der Gewerbefreiheit unterliegen wie die meisten anderen Gewerbe auch. Wenn die rechtliche Sonderstellung der approbierten Ärzte beseitigt sei, müßte folgerichtig auch das im § 51 des Gewerbeordnungsentwurfs verankerte Recht der Behörden gestrichen werden, die Approbation wieder zurückzunehmen, »wenn aus Handlungen oder Unterlassungen des Inha­ bers der Mangel der erforderlichen und bei Ertheilung der Konzession etc. vorausgesetzten Eigenschaften klar erhellt«. Die Fassung dieses Paragraphen war nach Meinung der Petenten »so lax, daß es auf Grund derselben möglich gewesen sei, selbst aus politischen Gründen Ärzten die Approbation zu entziehen«.73 Ebenso verlangten die Ärzte der BMG als Konsequenz einer Neufassung des § 29 der Gewerbeordnung die Aufhebung der staatlich festgesetzten Medizinaltaxe - an ihre Stelle sollte die freie Vereinbarung des 255 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Honorars zwischen Arzt und Patienten treten - und die ersatzlose Streichung des § 200 des preußischen Strafgesetzbuches, der »dem Arzte eine ganz unerhörte Ausnahmestellung von allen übrigen Ständen der Gesellschaft« anweise. Man müsse konstatieren, daß »der Staat in dem § 200 den Ärzten eine beispiellose schwere Last aufbürdet, ohne die entsprechende Gegenge­ währ eines besonderen Rechts. Seinen Beamten zahlt der Staat Sold, und er schützt sie durch besondere Gesetzes-Bestimmungen gegen Beleidigung und D rohung. D ie Ärzte dagegen überantwortet er der Laune und der Willkühr jedes Einzelnen, er zahlt ihnen nicht nur kein Gehalt, sondern sichert ihnen ebenso wenig Pensionen im Falle der Invalidität . . . noch gewährt er Jahrgehälter ihren Wittwen und Waisen, wenn sie ihrem Berufe­ ζ. Β. in Epidemien - zum Opfer gefallen sind. «74 Daß die Petenten für eine vom Staat unabhängige Stellung des Arztes bereit waren, das in § 199 des preußischen Strafgesetzbuches festgelegte Kurpfuschereiverbot zu opfern, wurde auch mit dessen faktischer Wirkungslosigkeit begründet sowie mit dem liberalen Grundsatz, jedermann müsse das Recht zustehen, sich von dem behandeln zu lassen, zu dem er das meiste Vertrauen habe. Außerdem sei die Bevölkerung aufgeklärt genug, um selber zwischen qualifizierten Ärzten und Scharlatanen zu unterscheiden.75 Gleich, ob man diese Argumente gegen das Pfuschereiverbot in den Vordergrund rückt oder ob man eine Beziehung herstellt zwischen der Aufhebung dieses Verbots und der Beseitigung anderer, die Ärzte reglemen­ tierender Paragraphen - in der späteren Diskussion wurde meist ein Zusam­ menhang gesehen, von einigen Autoren wurde aber die Absicht eines sol­ chen »Kuhhandels« bei den Petenten ausdrücklich ins Reich der Legende verwiesen-, 76 unbestritten bleibt, daß die Initiative der BMG aus einer Haltung geboren war, der alle Zwangsmaßregeln, jegliches Konzessions­ wesen als »Überbleibsel eines Bevormundungssystems«, das es endgültig zu überwinden galt, erschienen. Wesentlich aufgrund dieser Petition der damals zahlenmäßig größten und einflußreichsten medizinischen Vereinigung gelang es einigen Abgeordne­ ten im Norddeutschen Reichstag - unter ihnen die Ärzte Wigard und Löwe­ Calbc -, eine Mehrheit des Hauses für die entsprechenden Änderungen des Gewerbeordnungsentwurfs zu gewinnen. Gegen von der Regierung in der Sitzung vom 25. Mai 1869 nochmals geäußerte Bedenken77 wurde die ärzt­ liche Tätigkeit zum Gewerbe erklärt, das jeder ausüben konnte. Nur der Titel »Arzt« blieb geschützt: Nicht-approbierte Personen durften sich diese oder eine ähnliche Bezeichnung nicht zulegen. Gleichzeitig mit dieser Neu­ fassung des § 29 der Gewerbeordnung wurden die §§ 199 und 200 des preußischen Strafgesetzbuches außer Kraft gesetzt. Ebenso fielen der Diensteid und die Bestimmungen, die den Medizinalbehörden das Recht zum Entzug der Approbation zugestanden hatten. Ob diese grundlegende Wende in der rechtlichen Stellung der Ärzte damals den Wünschen der Mehrheit der Ärzteschaft entsprochen hat, ist eine 256 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

kaum zu entscheidende Frage. Schließlich gab es noch keine zentralisierte ärztliche Organisation, die einen Meinungsbildungsprozcß in dieser Fragein den zersplitterten Lokalvereinen hätte in Gang bringen können. Breite Zu­ stimmung zur Gewerbeordnung signalisieren die Artikel, die sich in den ersten Jahrgängen des seit 1873 als Organ des Ärztevereinsbundes erschei­ nenden Ärztevcreinsblattes zu diesem Thema finden. D as »Ärztliche Ver­ einsblatt« bejahte in der Regel uneingeschränkt die Errungenschaften der Gewerbeordnung und stellte die durch diese geschaffene Lage einem total negativ gezeichneten Zustand vor 1869 entgegen, weil man damals den Arzt »bei Gelegenheiten möglichst zu einem unbezahlten Staats- und Polizeidie­ ner gestempelt« habe.78 Argwöhnisch verfolgte das Blatt jegliche Tenden­ zen, die Ärzte erneut bürokratischer Administration unterzuordnen, eine Gefahr, die vor allem in den Vorschlägen einer vom Bundesrat eingesetzten Kommission zur Reichsmedizinalstatistik gesehen wurde. »D as Bedenkli­ che . . . für uns Ärzte«, meinte Richter in einer Besprechung der Kommis­ sionsvorschläge, »ist der in Abschnitt III a heraustretende und mit Strafan­ drohung verbundene Anzeigezwang für statistische Zwecke: eine Zwangs­ maßregel, welche in ihren Consequenzcn für uns zu den unleidlichsten Chikanen, D ifferenzen und Bedrückungen führen und schließlich das ganze Unternehmen der Medicinalstatistik verhaßt machen muß. «79 Als das beste Mittel gegen einen Rückfall in die Zeit der Abhängigkeit vom Staat schlug Richter vor, der Staat solle für jede Aufgabe, die er von den Ärzten verlange, ein Honorar zahlen, wenn es auch nur gering sei,80 und die Anzeigepflicht bei ansteckenden Krankheiten »principiell auf Jedermann ohne Unterschied, welcher vom Vorhandensein einer epidemischen, beziehendlich anstecken­ den Volkskrankheit genügend sichere Kenntnis hat, ausdehnen.«81 Alle diese Artikel, die eine sensible kritische Haltung gegenüber mögli­ chen staatlichen Übergriffen in Berufspraxis und Privatleben der Ärzte verraten, stammen ausnahmslos aus der Feder des Gründers des Ärztever­ einsbundes und Herausgebers des ärztlichen Vercinsblattcs, Hermann Flbcr­ hard Richter, dessen antibürokratische, auf Befreiung von jeglicher Bevor­ mundung drängende Einstellung hinlänglich bekannt war. Aus der offenbar stark durch Richter geprägten Ausrichtung des Vercinsblattcs in den ersten Jahrgängen auf dieselbe Einstellung der gesamten Ärzteschaft gegenüber ihrer »Befreiung« durch die Gewerbeordnung und der gleichzeitig erfolgten Freigabe des Heilgewerbes zu schließen, wäre also zumindest voreilig. Darauf, daß längst nicht alle Ärzte ihren veränderten Status in der Gewer­ beordnung vorbehaltlos bejahten, läßt u. a. der Verlauf des Ärztetages 1874 schließen. Nachdem dort Richter als Referent einige Punkte dargelegt hatte, welche die Beseitigung aller noch bestehenden Ausnahmeregclungen für Ärzte intendierten und die Grundlage für eine Petition an den Bundesrat sein sollten, zeigte es sich in der anschließenden D ebatte, daß eine ganze Reihe von Delegierten prinzipiell gegen die Gewerbeordnung und die Kurierfrei­ heit war, weshalb der Punkt von der Tagesordnung abgesetzt und einer 257 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Kommission zur Vorbereitung für den nächsten Ärztetag übergeben wur­ de. 82 Auf Antrag Richters kam die Frage auch nicht auf die Tagesordnung des Ärztetages 1875, weil man zunächst den Lokalvereinen Gelegenheit geben wollte, »diesen Gegenstand unter sich recht reiflich durchzusprechen und die unklaren Ansichten der einzelnen Mitglieder aufzuklären«.83 Nicht nur die allgemeine Zustimmung der Ärzte zur Gewerbeordnung auf den Ärztetagen war höchst unsicher, auch die Wissenschaftliche Deputa­ tion für das Medizinalwescn in Preußen hatte sich 1869 mit neun gegen zwei Stimmen gegen die Einreihung der Ärzte unter die Gewerbetreibenden ausgesprochen.84 Selbst das Votum der BMG wurde offensichtlich nicht von allen Vorstandsmitgliedern der Gesellschaft getragen: Drei der bekann­ testen Autoritäten, der Ophtalmologc v. Graefe, der Chirurg v. Langenbeck und der Medizinhistoriker August Hirsch - von denen mindestens die beiden letzteren gegen die Petition waren - waren in der entscheidenden Sitzung gar nicht anwesend.85 Spätestens nach dem Tode von Richter im Jahre 1876 gewann unter den im Ärztevereinsbund zusammengeschlossenen Ärzten die Stimmung gegen die Kurierfreiheit und die Stellung der Ärzte in der Gewerbeordnung offenbar an Boden; 1878 zog erstmals ein zur Führung des Ärztevereinsbundes gehö­ render Funktionär, der Regensburger Arzt Brauser, die Konsequenzen aus der verbreiteten Unzufriedenheit mit dem 1869 geschaffenen Zustand und forderte die gänzliche Herausnahme der Ärzte aus der Gewerbeordnung und die rechtliche Fixierung ihrer besonderen Stellung in einer »Ärzteordnung«, welche die Ausübung der Heilkunde wieder vom Nachweis der Approba­ tion abhängig machen und die Laienmedizin wieder unter Strafe stellen sollte. Brauser motivierte seinen Vorschlag mit der angeblichen, für die Volksgesundheit gefährlichen Zunahme der Kurpfuscherei seit deren Frei­ gabe im Jahre 1869 sowie mit negativen Auswirkungen der Gewerbeord­ nung auf den sozialen Status der Ärzte. Der Arztberuf dürfe nicht »mit dem erniedrigenden Begriff eines Gewerbebetriebes« gekennzeichnet werden.86 Die Reaktionen im Ärztevercinsblatt auf Brausers Vorpreschen in der Frage der Ärzteordnung waren zunächst überwiegend kritisch bis ableh­ nend. So sah D r. Köhler darin vor allem die Gefahr, »daß die früheren Sonderverpflichtungen . . . durch die Hinterthür wieder hereingebracht würden«, 87 und ganz ähnlich befürchtete sein Kollege Runge aus Nassau, daß man den Ärzten dann »unter schönen Formen und Redensarten neue Verpflichtungen auferlegt«.88 Solche Befürchtungen bezogen sich vor allem auf die Möglichkeit einer Wiedereinführung des Kurierzwanges, des § 200: »(D iese Zwangspflicht, C. H.) setzt uns wieder den empörendsten, rücksichtslosesten Chicanen und Auftritten von Seiten des Publikums und vor Gericht und Polizei aus, sichert uns keine Ruhe, keinen Schlaf, kein ungestörtes familiäres und gesellschaftliches Zusammensein mehr, wenn wir nicht immer das Gespenst der polizeilichen Intervention dabei haben wollen. «89 258 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Ebenso wurde Brausers Ansicht, die Kurpfuscherei habe seit dem Erlaß der Gewerbeordnung 1869 deutlich zugenommen, keineswegs von allen Ärzten geteilt.90 Auch eine Umfrage unter den ärztlichen Vereinen, über die auf dem Ärztetag 1880 berichtet wurde, brachte zu dieser Frage kein eindeu­ tiges Ergebnis. Zunächst antwortete überhaupt nur etwa die Hälfte der Vereine, nämlich 61 mit 4000 Mitgliedern, auf die Frage nach einer Zunahme der Kurpfuscherei, und von diesen bejahte sie wiederum nur gut die Hälfte, nämlich 34. 91 Andererseits sprach sich von den acht bayerischen Ärztekammern nur eine prinzipiell gegen die Brauserschen Vorschläge aus, die anderen schlos­ sen sich ihnen ganz oder teilweise an.92 Schon im Vorfeld des Ärztetages 1880, auf dem über die Haltung der Ärzte zur Gewerbeordnung beraten werden sollte, zeichnete sich so eine Spaltung der Ärzteschaft in zwei Lager ab: die einen, die das Heil in einem besonderen staatsrechtlichen Verhältnis, in einer Art von erneuertem In­ nungsverhältnis sahen, und die anderen, die unbedingt an der Einordnung der Ärzte in die Gewerbeordnung als der besten Garantie gegen neue beam­ tenähnliche Verpflichtungen festhalten wollten. Bezeichnenderweise gehör­ ten zur letzteren Gruppe vor allem Großstadtärzte. Bei der schon angeführ­ ten Umfrage unter den Ärztevereinen war nahezu die Hälfte der Vereine, die sich mehr oder weniger für die Beibehaltung des Status quo aussprachen, großstädtische Ärztevereine, unter ihnen die von München, Frankfurt, Bre­ men, Berlin. Unter den 13 Vereinen dagegen, die sich für eine Wiedereinfüh­ rung des Pfuschereiverbots aussprachen, befanden sich nur drei Großstadt­ vereine, nämlich D resden, Leipzig und Hamburg.93 D as spricht für einen spezifischen Erfahrungshintergrund der städtischen Ärzte: Offenbar hatten sie nicht in dem gleichen Maße unter nichtlizensierten Praktikern zu leiden wie Landärzte, denen solche »Kurpfuscher« scharfe Konkurrenz machten, und offenbar war für sie - vielleicht wegen der größeren Anonymität des Arzt-Patient-Verhältnisses - der Gedanke an eine Wiedereinführung des Kurierzwangs in Form des § 200 besonders erschreckend. D azu paßt die Beobachtung, daß von dem Recht, die Hilfeleistung zu verweigern, gerade in großen Städten »seitens der bei Tage stark beanspruchten Collegcn oft Gebrauch gemacht« werde.94 Auf dem Ärztetag 1880 konnten die Gegensätze zunächst noch überbrückt werden. Schon in seiner Eröffnungsrede zum Ärztetag 1879 hatte der Vorsit­ zende, Eduard Graf, warnend gemeint: »Es würde leichtfertig von uns heißen, wollten wir an dem Errungenen rütteln, ohne des Ersatzes sicher zu sein. «95 Entsprechend vorsichtig formuliert wurde der mit großer Majorität angenommene Beschluß des Ärztetages 1880: »Eine Abänderung der gegen­ wärtig bestehenden Einreihung der Ärzte unter die Gewerbeordnung darf nur mit gleichzeitiger Schaffung einer deutschen Ärzteordnung in Frage kommen und eventuell in's Werk gesetzt werden.« In jedem Falle müsse »unbedingt . . . an der Freizügigkeit der Ärzte, Freiwilligkeit der ärztlichen 259 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Hilfeleistung, freien Vereinbarung des ärztlichen Honorars« festgehalten werden.96 Auf dieser Basis wurde von dem Karlsruher Generalarzt Hoffmann ein Entwurf für eine deutsche Ärzteordnung ausgearbeitet,97 bei dessen Diskus­ sion und Verabschiedung auf dem Ärztetag 1882 die Gegensätze in den Haltungen der Ärzte wieder voll aufbrachen. Grundlegend in dem Entwurf war der Gedanke einer besonderen Stellung des Arztes in bezug auf das Allgemeinwohl, die ihm auf der einen Seite besondere Pflichten, auch dem Staat gegenüber, auferlege, auf der anderen Seite aber auch zu Verpflichtun­ gen des Staates gegenüber den Ärzten führen müsse. So erklärten sich die Ärzte zwar bereit, in der öffentlichen Gesundheitspflege aktiv mitzuarbei­ ten, etwa zum Zwecke einer Morbiditätsstatistik, gleichzeitig verlangten sie aber, daß der Staat eine geordnete Mitwirkung der Ärzte in allen gesund­ heitspolitischen Fragen garantiere, und zwar durch eine staatlich anerkannte Standes Vertretung (Ärztekammer), die in diesen Fragen beratende Stimme haben müsse. Außerdem sollte die Standesvertretung über die moralische Integrität der Ärzte wachen, wozu ihr vom Staat besondere Disziplinarbe­ fugnisse eingeräumt werden müßten. Einigen Ärzten ging dieser Entwurf noch nicht weit genug, etwa dem Mitglied des Geschäftsausschusses, Hofrat Brauser, der bemängelte, daß der Entwurf auf die Forderung nach Wiedereinführung des Kurpfuschereiver­ bots verzichtete, vielmehr nur die Anstellung im Staats- oder Gemeinde­ dienst, bei Krankenkassen und Krankenverbänden von der Approbation abhängig machen wollte. 98 D iese Selbstbeschränkung in den ärztlichen Forderungen ist indes auf die Befürchtung der Ärzte zurückzuführen, sonst ihr ausdrückliches Verlangen nach Freizügigkeit, Freiwilligkeit der Hilfelei­ stung und freier Vereinbarung des Honorars zu gefährden.99 Den meisten Kritikern des Hoffmannschen Entwurfes gingen dagegen seine Forderungen viel zu weit. D as bezog sich insbesondere auf die Frage der staatlich anerkannten Ehrengerichte, in denen viele Ärzte nichts weiter als einen Zwangsapparat zur Disziplinierung nonkonformistischer Kollegen sahen. Insbesondere sei es bedenklich, daß die Disziplin zwar durch freige­ wähltc Berufsgenossen ausgeübt, aber unter staatliche Aufsicht gestellt wer­ den solle. Hierin sahen die Kritiker der Ärzteordnung die Gefahr einer Wiederkehr der staatlichen D isziplinargewalt über die Ärzte, wie sie vor 1869 bestanden hatte.100 Besonders scharf war die Gegnerschaft gegen jede Art von staatlich autorisierter Ehrengerichtsbarkeit in der Berliner Medizi­ nischen Gesellschaft- die allerdings 1880 aus dem Ärztevereinsbund ausge­ schieden war - und im Frankfurter Ärztevercin, dessen Vorsitzender, D r. Cnyrim, sich zum Sprecher der Ablehnungsfront auf dem Ärztetag 1882 machte. Trotzdem wurde der Hoffmannsche Entwurf, nach einigen unwesentli­ chen Änderungen der Passagen über die Ehrengerichte, mit der erdrücken­ den Mehrheit von 69 gegen 8 Stimmen angenommen.101 260 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Dieses Ergebnis gab zwar möglicherweise die Kräfteverhältnisse zwi­ schen den beiden Flügeln nicht ganz korrekt wieder, da eventuell bedeuten­ de Minderheiten in einzelnen Lokalvereinen unter den Ärztetagsdelegierten nicht oder nur unzureichend repräsentiert waren, es zeigte aber doch einen grundlegenden Stimmungsumschwung innerhalb der Ärzteschaft seit dem Erlaß der Gewerbeordnung von 1869 an. Erklärt werden könnte dieser Wandel in der Haltung der deutschen Ärzte mit mehreren Faktoren. Zum einen verblaßte offenbar die Erinnerung an die staatsabhängige und vielfa­ chen Schikanen ausgesetzte Position der Ärzte vor 1869: War damals die Emanzipation des Standes »aus den drückenden Fesseln der Bürokratie« für viele Ärzte der dringlichste Wunsch gewesen, so war jetzt an diese Stelle das Verlangen getreten, der besonderen Natur des Arztberufes in einer Ärzte­ ordnung rechtlichen Ausdruck zu verleihen und gleichzeitig den Zusam­ menhalt des Standes durch eine korporative Organisation mit staatlicher Rückendeckung zu verstärken. Zum anderen wollten schließlich auch die Anhänger der Ärzteordnung keinen Rückfall in die Zeit vor 1869, sondern hofften auf staatlichen Schutz, ohne deshalb wieder staatlicher Bevormun­ dung ausgeliefert zu werden. Schließlich folgte die Ärzteschaft mit ihrem Einstellungswandel seit den späten 70er Jahren lediglich einem allgemeinen Zeittrend, der immer weiter wegführte von den liberalen Prinzipien der Gewerbeordnung, hin zum Protektionismus und Wiederanknüpfen an zünftlerische Bestrebungen, wie sie auch durch den Übergang Bismarcks von der Freihandclspolitik zur Schutzzollpolitik gefördert wurden.102 b) Staatlich anerkannte Standesvertretungen: die Ärztekammern Weniger umstritten als die Frage der Disziplinargewalt über die Ärzte war die Forderung nach staatlich anerkannten Standesvertretungen, die in ge­ sundheitspolitischen Entscheidungen der Regierungen die fachlich kompe­ tente Stellungnahme der Ärzteschaft einbringen sollten. So lehnte etwa die Berliner Medizinische Gesellschaft auf einer Sitzung am 30. Januar 1884 nochmals ausdrücklich die disziplinare Beaufsichtigung der Ärzte durch staatlich organisierte Ehrengerichte, wie sie kurz zuvor in Baden103 geschaf­ fen worden waren, in einem nahezu einstimmigen Votum ab, erklärte aber gleichzeitig mit 90 gegen 70 Stimmen eine staatlich anerkannte Vertretung des ärztlichen Standes für begrüßenswert.104 Ebenso trat der Breslauer Arzt Freund auf dem Ärztetag 1884 im Namen seines Vereins für Ärztekammern als staatlich anerkannte Standesvertretungen ein, während er die geforderten Ehrengerichte ablehnte.105 Eine ganze Reihe deutscher Einzelstaaten hatte zu diesem Zeitpunkt be­ reits Ärztekammern als aus der Mitte der Ärzte gewählte, öffentlich-rechtli­ che Körperschaften errichtet und dadurch die Möglichkeit der ärztlichen Einflußnahme auf die staatliche Gesetzgebung in gesundheits- und medizi261 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

nalpolitischen Angelegenheiten institutionalisiert: D ie ersten waren Baden 1864 und Sachsen 1865 gewesen, dann waren 1871 Bayern, 1875 Württem­ berg und 1877 Hessen gefolgt. Auf diese Beispiele in anderen deutschen Staaten verwiesen die preußischen Ärzte immer wieder bei ihrer Forderung nach Ärztekammern auch im größten deutschen Bundesstaat, Preußen. Die Forderung nach Ärztekammern war Teil der seit dem Ende der 60er Jahre wiederauflebenden Medizinalreform-D ebatte, in der die finanzielle und amtliche Besserstellung der Medizinalbeamten106 einen Eckpfeiler bil­ dete, die Mitwirkung aller Ärzte an den Entscheidungen der öffentlichen Gesundheitspflege den anderen. Waren für die Verschleppung der Medizi­ nalreform in der Frage der Stellung der Medizinalbeamten vor allem finanz­ technische Erwägungen verantwortlich, wurde die ständige Verschiebung der Errichtung von Ärztekammern vor allem mit rechtlichen Bedenken, die sich aus der Stellung der Ärzte in der Gewerbeordnung ergäben, begründet. 1879 wurde auf wiederholtes Drängen des preußischen Abgeordnetenhauses ein erster Gesetzentwurf zur Reorganisation des Medizinalwesens im Kul­ tusministerium ausgearbeitet, jedoch wieder ad acta gelegt, weil die Über­ tragung von Mitwirkungsbefugnissen an die zu schaffenden ärztlichen Ver­ tretungskörperschaften nach Meinung des Ministeriums »gewissermaßen den Reichsgesetzen widersprechen« würde: denn der Rechtslage im Reich zufolge gehörte die ärztliche Praxis zu den freien Gewerben, die in keiner Beziehung zu den Staatsorganen standen. Es empfehle sich daher, diesen »Zwiespalt« erst von Reichs wegen zu regeln.107 In den Jahren 1884, 1885 und 1886 wurde die Forderung nach Ärztekam­ mern als staatlich anerkannten Standesvertretungen der Ärzte im preußi­ schen Abgeordnetenhaus jeweils von dem Vorsitzenden des Ärztever­ einsbundes, dem nationalliberalen Abgeordneten Eduard Graf, anläßlich der Beratung des Medizinaletats zur Sprache gebracht. Graf verwies 1885 dar­ auf, daß beide dissentierende Parteien innerhalb der Ärzteschaft die Schaf­ fung von Ärztekammern mit beratendem Charakter wünschten. Diese soll­ ten aus allgemeinen Wahlen hervorgehen und als kompetente Vertreter des Standes über Standesinteressen mit der Regierung verhandeln können. Nur über eine eventuelle D isziplinargewalt dieser Kammern bestünden noch Meinungsverschiedenheiten.108 In der Sitzung vom 16. März 1886 bedauer­ te auch Virchow, einer der profiliertesten Gegner einer Ärzteordnung und disziplinarischer Befugnisse ärztlicher Vertretungskörperschaften, die Ver­ schleppung der Angelegenheit durch das Kultusministerium und erklärte die Schaffung einer Organisation für die Gesamtheit der preußischen Ärzte ebenfalls für notwendig, wenn auch nicht in demselben Sinne wie Graf.109 Aber erst eine Immediateingabe Grafs an Bismarck als preußischen Mini­ sterpräsidenten mit der Bitte, auf dem Wege einer königlichen Verordnung eine Vertretung der preußischen Ärzte zu schaffen, brachte endlich den gewünschten Erfolg. Bismarck reichte die Eingabe befürwortend an das Kultusministerium weiter,110 das daraufhin am 11. Februar 1887 eine Kon262 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

ferenz von Vertretern des ärztlichen Standes einberief, auf der der revidierte Entwurf einer Organisation der preußischen Ärzte in Ärztekammern zur Beratung stand.111 Die Konferenz hatte Erfolg: Am 25. Mai 1887 erschien eine königliche Verordnung über die Errichtung einer ärztlichen Standesver­ tretung in Preußen, welche Kultusminister v. Goßler in einem begleitenden Erlaß an die Oberpräsidenten mit den günstigen Erfahrungen anderer deut­ scher Staaten und der wachsenden Bedeutung der öffentlichen Gesundheits­ pflege begründete. D iese habe eine Organisation erforderlich gemacht, »mittels deren die reichen Erfahrungen der nichtbeamteten Ärzte für die staatlichen Aufgaben auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege unmittelbar nutzbar gemacht werden könnten«.112 Durch diese Abtrennung des auf die nichtbeamteten Ärzte bezogenen Teils der Medizinalreformfrage und durch das Eingehen auf ärztliche Forde­ rungen in diesem Bereich war es der staatlichen Bürokratie überdies gelun­ gen, den zweiten, nicht minder wichtigen, aber finanziell aufwendigen Bestandteil der Medizinalreform, die Reorganisation der dienstlichen Stel­ lung der Medizinalbeamten, für nochmals mehr als ein Jahrzehnt zu verzö­ gern. Die Verordnung von 1887 sah in jeder preußischen Provinz am Sitz des Oberpräsidenten die Errichtung einer Ärztekammer vor, deren Geschäfts­ kreis »die Erörterung aller Fragen und Angelegenheiten (umfaßte), welche den ärztlichen Beruf oder das Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege betreffen oder auf die Wahrnehmung und Vertretung der ärztlichen Standes­ interessen gerichtet sind« (§2). 113 Wahlberechtigt und wählbar waren alle Ärzte, die innerhalb des Wahlbezirks ihren Wohnsitz hatten- anders als ζ. Β. in Baden war das Wahlrecht zur Ärztekammer nicht von der Mitgliedschaft in einem ärztlichen Verein abhängig, die Ärzte vielmehr zwangskorporiert. Auf je 50 wahlberechtigte Ärzte waren ein Mitglied und ein Stellvertreter für die Dauer von jeweils drei Jahren zu wählen, die ihre Aufgabe als Ehrenamt versahen.114 Die Wahlbeteiligung der Ärzte in den einzelnen Provinzen schwankte bei der ersten Wahl 1887 zwischen 59,5% in Ostpreußen und 78,5% in Schle­ sien. Doch schon in der zweiten Wahlperiode 1890-1892 hatte das Interesse merklich nachgelassen; in Pommern beteiligten sich nur noch 42,5% der Ärzte an der Wahl, und lediglich im Bereich der Ärztekammer Westfalen wählten noch mehr als 70% der Ärzte.115 Die in der Regel zweimal jährlich stattfindenden Sitzungen der Ärztekam­ mern befaßten sich in erster Linie mit Angelegenheiten der öffentlichen Gesundheitspflege. D ie Ärzte gaben Voten ab zu Fragen der Wohnungshy­ giene, des Hebammenwesens, der Schutzmaßnahmen gegen ansteckende Krankheiten, der Einführung einer obligatorischen Leichenschau. Auch standespolitische Themen fehlten nicht. So berieten die Ärztekammern in den Jahren bis 1891 über die Änderung der ärztlichen Prüfungsordnung, über eine Neufassung der preußischen Medizinaltaxe, die noch aus dem 263 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Jahre 1815 stammte, über die Stellung der Ärzte in den Krankenkassen und über die Ausstellung privatärztlicher Atteste zur Einlieferung psychisch Kranker in eine Anstalt.116 Seit der Jahrhundertwende, als die Ärztekam­ mern allmählich auch stärker in die Auseinandersetzungen mit den Kran­ kenkassen hineingezogen wurden, nahmen die standespolitischen Fragen offenbar immer breiteren Raum neben denen des öffentlichen Gesundheits­ wesens ein. 117 Da die ärztlichen Vereine in aller Regel Kandidatenlisten für die Wahlen zur Ärztekammer aufstellten,118 war die personelle Verflechtung zwischen freiwilliger und staatlicher Organisation der Ärzte entsprechend groß. Na­ hezu alle im Ärztevereinsbund an führender Stelle tätigen Ärzte, vor allem die Mitglieder des jährlich vom Ärztetag gewählten Geschäftsausschusses, waren gleichzeitig Mitglieder der Ärztekammer ihrer Provinz.119 Das einzige D isziplinarmittel, das den Ärztekammern zur Verfügung stand, war der Entzug des aktiven und passiven Wahlrechts zur Ärztekam­ mer, wenn Ärzte »die Pflichten ihres Berufes in erheblicher Weise oder wiederholt verletzt« hatten.120 Im Einzelfall ließ sich diese Disziplinierung zudem nicht immer problemlos durchsetzen. D er praktische Arzt Dithmer aus dem westfälischen Schwerte etwa, einer von zwei Ärzten, denen die Ärztekammer in den 90er Jahren das Wahlrecht zu entziehen suchte, - in diesem Falle hauptsächlich wegen wiederholter Verunglimpfung der ande­ ren Schwerter Ärzte, die Dithmer angeblich als »Schafsköpfe«, die »nichts können«, bezeichnet hatte - legte Beschwerde gegen den Ärztekammerbe­ schluß beim Ministerium ein, das daraufhin den Beschluß wegen Verfah­ rensmängeln aufhob. Auf einen erneuten Versuch der Ärztekammer, ihn vom aktiven und passiven Wahlrecht auszuschließen, antwortete D ithmer mit der Einschaltung eines Anwalts, so daß sich die ganze Angelegenheit über mehrere Jahre hinzog.121 Während in Westfalen der Entzug des Wahl­ rechts als D isziplinarmaßnahme im Verlauf eines ganzen Jahrzehnts über­ haupt nur zweimal verhängt wurde, entzog die Ärztekammer Berlin/Bran­ denburg in den drei Jahren von 1898 bis 1900 gleich sieben Ärzten das Wahlrecht, teils dauernd, teils nur für eine oder mehrere Wahlperioden, wozu in den meisten Fällen »marktschreierische oder schwindelhafte Rekla­ me« die Veranlassung gab. 122 Dieses einzige disziplinarrechtliche Mittel, welches die Ärztekammern besaßen, mußte sich als relativ unwirksam erweisen in solchen Fällen, wo der betreffende Arzt ohnehin alle Brücken des kollegialen Verkehrs hinter sich abgebrochen und auch an der Ausübung seines Wahlrechts wenig oder gar kein Interesse hatte. Es nimmt daher nicht wunder, daß schon wenige Jahre nach der Errichtung der Ärztekammern in Preußen die Forderung nach einer Erweiterung der D isziplinarbefugnis dieser Vertretungskörperschaf­ ten erneut unter den Ärzten laut wurde.

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c) Das preußische Ehrengerichtsgesetz von 1899 Auch die Forderung nach Erlaß einer reichseinheitlichen Ärzteordnung, ebenfalls mit Ehrengerichten, wie sie die Ärzteschaft erhob, seitdem der Ärztetag 1882 die »Grundlagen einer deutschen Ärzteordnung«, verabschie­ det hatte, war bis zu diesem Zeitpunkt, Anfang der 90er Jahre, ihrer Ver­ wirklichung noch nicht näher gekommen. D er Geschäftsausschuß des Ärz­ tevereinsbundes hatte 1882 die Beschlüsse und einen ausführlichen Bericht über den Zehnten D eutschen Ärztetag in einer Petition dem Reichstag eingereicht, der seinerseits 1883 eine Resolution angenommen hatte, den Reichskanzler um baldige Vorlage eines Gesetzentwurfes über eine Ärzte­ ordnung zu ersuchen.123 Nachdem sich Bismarck daraufhin im Dezember 1883 an die Regierungen der einzelnen Bundesstaaten gewandt hatte, inwie­ weit sie ein Bedürfnis für den Erlaß einer Ärzteordnung und insbesondere das Bedürfnis einer »staatlichen Beaufsichtigung des ärztlichen Berufs« sähen, und nachdem das Thema nochmals den XII. Ärztetag 1884 beschäf­ tigt hatte,124 war es um die ganze Angelegenheit sehr still geworden. D ie Ärzte warteten auf eine ihre Wünsche aufnehmende Gesetzesvorlage der Reichsregierung, während sich gleichzeitig die Auswirkungen des Kranken­ kassengesetzes von 1883 immer mehr zum Hauptproblem entwickelten, die lokalen und regionalen Ärzteversammlungen und die Ärztetage beschäftig­ ten und alle anderen standespolitischen Interessen mehr oder weniger in den Hintergrund drängten. Erst am 3. Februar 1889, fast fünf Jahre, nachdem der Ärztetag 1884 nochmals die grundlegenden Forderungen der Ärzte an eine Ärzteordnung bekräftigt hatte, beschäftigte sich der Geschäftsausschuß wieder mit der Ärzteordnung und beschloß, nochmals eine Eingabe an den Reichskanzler zu schicken.125 Auf diese antwortete Bismarck in einem Schreiben an den Vorsitzenden des Ärztevereinsbundes, Graf, vom 3. Mai 1889, mit der Bemerkung, die geltenden Bestimmungen der Gewerbeordnung hätten sich im allgemeinen bewährt; für eventuelle Änderungen und Ergänzungen in der Organisation der Ärzte in den Standesvertretungen verwies er die Ärzte­ schaft auf den Weg der Landesgesetzgebung. Der abschlägige Bescheid des Reichskanzleramts, der die D urchsetzung einer reichseinheitlichen Ärzteordnung zunächst in unerreichbare Ferne rückte, löste unter den Ärzten Enttäuschung und Verstimmung aus, wie sie in der Eröffnungsrede Grafs zum XVII. Ärztetag im Juni 1889 sehr deutlich zum Ausdruck kamen.126 Eine weitere Folge der ablehnenden Haltung der Reichsregierung war, daß die Ärzte in fast allen Einzelstaaten den Druck auf die Regierungen verstärkten, den ärztlichen Standesvertretungen auch die disziplinare Beaufsichtigung der Kollegen zu übertragen, wie sie bislang nur in Baden - hier seit 1883 - bestand. Zu Ärzteordnungen, die die ärztlichen Vertretungskörperschaften mit Disziplinarrechten ausstatteten, kam es 1894 in Hamburg und 1896 im Königreich Sachsen.127 265 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Auch in Preußen sind die Bestrebungen zur Erweiterung der Disziplinar­ befugnisse der Ärztekammern seit dem Beginn der 90er Jahre unverkenn­ bar. Einen entsprechenden Beschluß faßte 1890 der D üsseldorfer ärztliche Bezirksvercin und kurz darauf auch die Rheinische Ärztekammer.128 Ebenso drängte der preußische Ärztekammer-Ausschuß, ein zunächst inof­ fiziell, ohne staatliche Anerkennung bestehendes Koordinationsgremium, dem Vertreter aller preußischen Ärztekammern angehörten, auf ein erwei­ tertes Disziplinarrecht der Ärztekammern über alle Ärzte als einziges Mittel, um berufliches Fehlverhalten einzelner Ärzte wirksam bekämpfen zu können.129 Freilich war es nicht nur die Tatsache, daß eine staatliche Organisation der Ärzte auf Reichsebene zunächst nicht zu realisieren war, welche die Aktivi­ täten der Ärzte in dieser Frage sowohl in Preußen wie auch in anderen Bundesstaaten beförderte; gleichzeitig ließen der durch die steigenden Ärz­ tezahlen verschärfte Konkurrenzkampf und die mißliche Lage, in welche die Ärzte gegenüber der organisierten Nachfrage der Kassen geraten waren, eine straffere Organisation des ärztlichen Standes als immer dringlicher erscheinen. D er Organisationsgrad der Ärzte in den privatrechtlich verfaß­ ten Ärztevereinen stagnierte seit der Mitte der 80er Jahre; insbesondere gelang es vielfach nicht, die in großer Zahl in die ärztliche Praxis strömenden jungen Ärzte in die Vereinsdisziplin einzubinden.130 Zwar besaß ein Großteil der Vereine einen geschriebenen Verhaltenskodex und auch ein Ehrengericht, das die Einhaltung der Regeln überwachte, aber diese Ehren­ gerichte konnten nur gegen Vereinsmitglieder einschreiten; gegenüber Ärz­ ten, die dem jeweiligen Verein nicht angehörten, waren sie machtlos. Viel­ fach traten Ärzte sogar aus den Vereinen aus und entzogen sich auf diese Weise der Ehrengerichtsbarkeit, »um ungestört ihre Machenschaften treiben zu können«, wie es ein Arzt formulierte.131 Die Beschlüsse der Rheinischen Ärztekammer und des Ärztekammer­ Ausschusses sowie Petitionen verschiedener anderer Vereine bewogen 1892 den preußischen Minister für Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten zu einem Erlaß an die Oberpräsidenten, in dem er um gutachtliche Äußerungen der einzelnen Ärztekammern zur Frage einer Erweiterung der Disziplinar­ befugnis nach dem Muster der Rechtsanwaltskammern bat.132 Zwar spra­ chen sich daraufhin alle zwölf Ärztekammern - mit meist großen Mehrhei­ ten - im Prinzip, unter bestimmten Bedingungen, für eine staatliche Ehren­ gerichtsbarkeit aus; trotzdem war diese Forderung unter den preußischen Ärzten keineswegs unumstrtitten. Für Skepsis und Mißtrauen vieler Ärzte spielte die Furcht, der Staat könne die geplanten Ehrengerichte zur Diszipli­ nierung mißliebiger Ärzte gebrauchen, eine entscheidende Rolle.133 D ie Gegner der Forderung nach erweiterten D isziplinarbefugnissen der Ärzte­ kammern waren im wesentlichen dieselben Ärzte, die schon gegen den Plan einer Ärzteordnung, in der ebenfalls Ehrengerichte vorgesehen waren, op­ poniert hatten,134 doch war jetzt der Widerstand offenbar viel heftiger. D as 266 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

erklärte der Vorsitzende des Ärztevereinsbundes, Graf, in seiner Eröff­ nungsrede zum Leipziger Ärztetag 1892 damit, daß »Hindernisse und Be­ denken sich überall da zeigen, wo es gilt, theoretische Beschlüsse und Resolutionen in die Praxis überzuführen«.135 Zusätzlich sei die Atmosphäre noch durch mißverständliche Begriffe wie »D isziplinarbefugnisse« und »Berufspflichten« kompliziert worden.136 Die sich mit solchen Reizwörtern verbindenden Befürchtungen vor Kon­ trolle und Beaufsichtigung erhielten neue Nahrung durch die Eingabe einer vom Ärztekammer-Ausschuß gewählten D eputation von drei Ärzten unter ihnen Graf- an den Kultusminister. In dem vom 14. November 1894 datierten Schreiben wurde die ärztliche Forderung nach dem D isziplinar­ recht für die Kammern damit motiviert, daß »das Gift der Sozialdemokratie mehr und mehr auch in die Reihen der Ärzte ein(dringt). D as in seinen Zielen und in manchen seiner Erfolge so wohltätige Krankenversicherungs­ gesetz hat durch einzelne seiner Bestimmungen der Sozialdemokratie die mächtigsten Waffen in die Hände geliefert; durch diese Bestimmungen wird die letztere von Reichs wegen in ihrer Organisation und ihrer Macht ge­ stärkt; die eigentlich berufensten Helfer des Staates, die Ärzte, sind einfluß­ los und wehrlos gemacht; kein Wunder, daß ein Teil derselben anfängt, sich dahin zu neigen, wo die Macht ist. Wie notwendig bei dieser Sachlage eine straffere Organisation des ärztlichen Standes wäre, bedarf keiner weiteren Begründung. D iese . . . gegenwärtig stockende Frage wieder in Fluß ge­ bracht zu sehen . . . war die erste Bitte, welche wir Ew. Exzellenz vorlegen sollten.«137 In weiten Kreisen der Ärzteschaft und in Teilen der Öffentlichkeit138 löste dieses Schreiben »lebhafte Stürme« aus; u. a. richtete der Centralausschuß der Berliner Ärztlichen Standesvereine einen »geharnischten Protest« an den Ärztekammer-Ausschuß,139 und auch der schon als Gegner der Ärzteord­ nung bekannte Frankfurter Ärztevereinsvorsitzende Cnyrim protestierte im »Ärztlichen Vereinsblatt« gegen die Absicht, sozialdemokratisch gesinnte Ärzte disziplinarisch zu belangen und aus der Standesorganisation auszu­ schließen.140 Graf verwahrte sich gegen die Unterstellung, er wolle Sozial­ demokraten unter den Ärzten verfolgen; es sei vielmehr in der Eingabe an den Minister nur darum gegangen, die Ärzte durch eine starke Organisation zu schützen gegen eine Partei, »welche es wagt, im Bewußtsein ihrer Macht, die Überzeugung des Einzelnen zu einem Handelsartikel zu machen«.141 Immerhin hatte diese Kontroverse doch den Erfolg, daß im weiteren Verlauf der Beratungen dem Kern des geplanten Gesetzes, der Frage, wie weit die Erfüllung der Berufspflichten und auch das außerberufliche Verhal­ ten des Arztes Gegenstand der disziplinarrechtlichen Kontrolle der Ehrenge­ richte sein sollte, mehr Aufmerksamkeit als bisher geschenkt wurde. Denn das in der zitierten Eingabe erwähnte »Stocken« der Angelegenheit hing nicht mit dieser Frage, die den Angelpunkt der innerärztlichen Kontroverse bildete, zusammen, sondern vielmehr mit der problematischen Stellung der 267 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

beamteten und Militärärzte. Schon die Verordnung vom 25. Mai 1887 über die Bildung der Ärztekammern hatte in § 5 einen Absatz enthalten, daß die Bestimmungen über die Entziehung des Wahlrechts keine Anwendung fän­ den auf »Ärzte, welche als solche ein mittelbares oder unmittelbares Staats­ amt bekleiden oder dem Spruche der Militär-Ehrengerichte unterliegen«.142 Der preußische Ärztekammer-Ausschuß hatte in seiner Sitzung vom 25. Oktober 1892 gefordert, die beamteten Ärzte in irgendeiner Form in die zu schaffende Ehrengerichtsbarkeit einzubeziehen, etwa indem die vorge­ setzte Behörde auf Ersuchen der Ärztekammer verpflichtet sein sollte, eine Untersuchung einzuleiten und der Ärztekammer deren Ergebnisse mitzutei­ len. 143 Der Kultusminister hatte das in einem Runderlaß vom 10. April 1893 rundweg abgelehnt, und da bei nochmaliger Befragung genau die Hälfte der Ärztekammern von ihrer Forderung abzurücken nicht bereit war, war die Angelegenheit vorerst gescheitert. Die erneute Initiative ging diesmal vom Kultusminister aus, der, offenbar aufgeschreckt durch die Warnung vor dem »Gift der Sozialdemokratie« in den ärztlichen Reihen,144 Anfang 1895 beschloß, einen Gesetzentwurf über die ärztlichen Ehrengerichte ausarbeiten zu lassen. D ie darauf folgenden Verhandlungen zwischen Ministerium und Ärztekammern, denen der erste Entwurf im März 1896 zuging, gestalteten sich außerordentlich kompliziert und zogen sich über mehrere Jahre hin, vor allem weil die Ärztekammern eine große Zahl von Änderungen in dem ministeriellen Entwurf durchzuset­ zen suchten, um die prinzipiellen Bedenken eines Teils der preußischen Ärzte gegen die Institution staatlicher Ehrengerichte zu zerstreuen.145 Strittige Punkte waren die Stellung der beamteten Ärzte sowie die perso­ nelle Zusammensetzung der Ehrengerichte und des als zweite Instanz vorge­ sehenen Ehrengerichtshofs. D ie Ärztekammern wollten hier das Gewicht der von ihnen gewählten ärztlichen Vertreter gegenüber den vom König ernannten ärztlichen und richterlichen Mitgliedern stärken. Hinzu kam die Frage, wie weit auch das außerberufliche Verhalten eines Arztes Gegenstand eines Ehrengerichtsverfahrens sein könne.146 Erst nach mehreren Anläufen kam ein Entwurf zustande, dem im Prinzip elf von zwölf Ärztekammern zustimmten - nur die Ärztekammer Berlin/Brandenburg lehnte ihn ab -, und der im Januar 1899 dem Abgeordnetenhaus vorgelegt wurde. Bezüglich der beamteten Ärzte waren die Ärztekammern mit ihren Wün­ schen nach Einbeziehung dieser Kategorie von Ärzten nicht durchgedrun­ gen; dafür war aber festgelegt worden, daß die beamteten Ärzte bei den Wahlen zum Ehrengericht weder wahlberechtigt noch wählbar sein sollten. Dadurch war gewährleistet, daß nicht solche Ärzte über ihre Kollegen zu Gericht saßen, die selber dessen Judikatur nicht unterlagen. D em Ehrenge­ richtshof gehörten nach dem dritten Entwurf der Leiter der Medizinalabtei­ lung des Ministeriums (ein Jurist) als Vorsitzender, vier vom Ärztekammer­ Ausschuß gewählte und zwei vom König ernannte Ärzte an. D as war als Entgegenkommen gegen die Ärztekammern zu werten, verglichen mit dem 268 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

ersten Entwurf, der noch je drei gewählte und drei ernannte ärztliche Mitglieder des Ehrengerichtshofs vorgesehen hatte.147 Das meiste Hin und Her gab es im Hinblick auf die Frage, bis zu wel­ cher Grenze das Verhalten eines Arztes der Judikatur des Ehrengerichtes unterliegen sollte. D er erste Entwurf hatte hierzu formuliert, jeder Arzt sei »verpflichtet, seine Berufstätigkeit gewissenhaft auszuüben, und durch sein Verhalten in Ausübung des Berufs, sowie außerhalb desselben (Hervorhebung von mir, C. H.) sich der Achtung und des Vertrauens würdig zu zeigen, welches der ärztliche Beruf erfordert«. D er Arzt, der diese Pflichten verletze, könne ehrengerichtlich bestraft werden.148 Die Kammern wollten diesen § 14 dahingehend geändert wissen, daß Handlungen außerhalb des Berufs nicht dem ehrengerichtlichen Urteil unterliegen sollten. Noch stärker war der Widerspruch gegen den § 14 in der Vereinspresse,149 und auch die politischen Zeitungen befaßten sich bei der Besprechung des Entwurfs hauptsächlich mit diesem Paragra­ phen.150 D ie Argumente lassen sich im wesentlichen dahingehend zu­ sammenfassen, daß die Formulierung zu dehnbar sei und aus ihr alles herausgelesen werden könne; insbesondere wurden Befürchtungen laut, daß damit z. Β. Ärzte, die in ihren wissenschaftlichen Anschauungen nicht mit der Mehrheit konform gingen, etwa Anhänger der Naturheil­ kunde, diszipliniert werden könnten151 oder daß sich der Paragraph ge­ gen politisch andersdenkende Ärzte, z.B. Sozialdemokraten, richten könne. Der zweite ministerielle Entwurf enthielt zwar den Hinweis auf das außerberufliche Verhalten des Arztes nicht mehr, aber der in der Ärzte­ kammerausschuß-Sitzung vom 31. Januar 1898 als Regierungsvertreter anwesende Geheimrat Altmann wandte sich energisch gegen einen An­ trag des Vorsitzenden der Ärztekammer Berlin/Brandenburg, Becher, in den Paragraphen ausdrücklich einen Passus aufzunehmen, daß die politi­ schen, religiösen oder wissenschaftlichen Ansichten und Handlungen ei­ nes Arztes nicht zum Gegenstand einer ehrengerichtlichen Untersuchung gemacht werden könnten. Auf die Zusicherung Altmanns, eventuellen in dieser Richtung laut gewordenen Befürchtungen werde in den Moti­ ven zum Gesetzentwurf nachdrücklich entgegengetreten werden, erklärte sich eine Mehrheit von sieben zu fünf Ärzten gegen den Antrag Be­ cher.152 Nochmals verändert wurde der § 14 in den Beratungen der Kommis­ sion des preußischen Abgeordnetenhauses, die ihn mit §3 zusammenfaß­ te, welcher nunmehr folgende Fassung erhielt: »D er Arzt ist verpflichtet, seine Berufsthätigkeit gewissenhaft auszuüben und durch sein Verhalten in Ausübung des Berufes sowie außerhalb desselben sich der Achtung würdig zu zeigen, die sein Beruf erfordert. Ein Arzt, welcher die ihm obliegenden Pflichten verletzt, hat die ehrengerichtliche Bestrafung ver­ wirkt. Politische, wissenschaftliche und religiöse Ansichten oder Hand269 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

lungen eines Arztes als solche können niemals den Gegenstand eines ehren­ gerichtlichen Verfahrens bilden. Auf Antrag eines Arztes muß eine ehrenge­ richtliche Entscheidung über sein Verhalten herbeigeführt werden.« Damit hatte man in der Formulierung des ersten Absatzes, in dem wieder ausdrücklich auch auf das außerberufliche Verhalten Bezug genommen wur­ de, wörtlich den § 28 der D eutschen Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 übernommen,153 gleichzeitig aber ärztlichen Bedenken gegen den Paragraphen dadurch Rechnung getragen, daß man den Satz über die politi­ schen, wissenschaftlichen und religiösen Handlungen aus den Motiven in den Gesetzestext übernahm. Diese Fassung des zentralen Paragraphen 3 wurde in vollem Umfang in den endgültigen Gesetzestext154 übernommen, nachdem im Abgeordneten­ haus Anträge des freisinnigen Arztes Langerhans auf Streichung des ersten Absatzes, sowie seines Fraktionskollegen Reichardt auf Streichung der Wor­ te in Absatz 1 »sowie außerhalb desselben« und der Worte »als solche« in Absatz 3 abgelehnt worden waren.155 Das am 25. November 1899 vom König unterzeichnete und am 1. April 1900 in Kraft tretende Gesetz gab durch die schwammigen Formulierungen des § 3 sowie durch die Tatsache, daß eine verbindliche, geschriebene Stan­ desordnung als Norm zur Beurteilung ärztlichen Verhaltens fehlte,156 den neugeschaffenen Ehrengerichten tatsächlich einen sehr weiten Spielraum für ihre Urteilsfindung. Insbesondere war die D isziplinierung nonkonformer Ärzte keineswegs ausgeschlossen, wie das auch die spätere Praxis der ehren­ gerichtlichen Rechtsprechung bewies. In einem Grundsatzurteil vom 30. Mai 1902 wie auch in einem Beschluß vom 8. Januar 1907 interpretierte der Ehrengerichtshof die Worte »als solche« im 3. Absatz des § 3 in folgen­ der Weise: »Wenn auch politische, wissenschaftliche und religiöse Ansichten und Handlungen an sich ehrengerichtlich straffrei sind, (ist) doch nicht ausgeschlossen, daß die Form (Hervorhebung von mir, C. H.), in welcher diese Ansichten zum Ausdruck kommen, ein ehrengerichtlich zu ahndendes Vergehen darstellen kann. « 157 Diese Interpretation gab dem Ehrengerichts­ hof die Möglichkeit, sowohl einen homöopathischen Arzt zu verurteilen­ angeblich nicht wegen seiner wissenschaftlichen Überzeugung, sondern nur wegen der »beleidigenden und gehässigen Form« seiner Angriffe gegen die herrschende allopathische Heilmethode -, 1 5 8 als auch mehrere Urteile gegen sozialdemokratische Ärzte zu fällen. Auch hier standen selbstredend nicht die politischen Handlungen des jeweiligen Arztes »als solche«, sondern es stand nur die »Form« ihrer Äußerung zur Debatte. Offenbar war bei solchen Urteilen der Ehrengerichtshof, in dem der staatliche Einfluß größer war als in den Ehrengerichten erster Instanz, meistens die treibende Kraft. So wurden ein sozialdemokratischer Arzt, der das brutale Vorgehen der Polizei gegen Arbeiter angeprangert hatte, sowie der Sozialdemokrat und bekannte Hygieniker D r. Julius Moses, der den Geburtenrückgang in Arbeiterfamilien als bewußtes Instrument im politi270 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

schen Kampf einsetzen wollte und 1913 die Frauen zum »Gebärstreik« aufrief,159 zwar von den Ehrengerichten erster Instanz freigesprochen, letztlich aber doch vom Ehrengerichtshof verurteilt.160 Obwohl möglicherweise für die staatliche Bürokratie bei ihrem Enga­ gement für das Zustandekommen eines ärztlichen Ehrengerichtsgesetzes das Motiv entscheidend gewesen war, auf eine staatsloyale Haltung des Ärztestandes Einfluß zu nehmen und den Einfluß der Sozialdemokratie zurückzudrängen,161 spielten doch in der Praxis der Ehrengerichte der Druck auf sog. »kollegiales« Verhalten, die Unterbindung »standesun­ würdiger« Reklame usw. eine weitaus größere Rolle. Erstens war der Einfluß der Sozialdemokratie unter den Ärzten viel zu schwach, als daß der Kampf gegen diese den Kern des Gesetzes hätte ausmachen können: Einem 1914 gegründeten sozialdemokratischen Ärz­ teverein traten zunächst nur rund hundert Ärzte im Reichsgebiet bei. 162 Die Existenz der Ehrengerichte dürfte allerdings die ohnehin in Ärzte­ kreisen weit verbreitete Auffassung gefördert haben, der Arzt solle poli­ tisch neutral bleiben, er habe sich nur um die Heilung seiner Patienten zu kümmern und sich aus dem politischen Geschäft herauszuhalten.163 Zweitens bestand unter der Masse der Ärzte offenbar starke Skepsis gegen die Ausnutzung der Ehrengerichte zu politischen Zwecken und ei­ ne dementsprechend geringe Neigung, einen Kollegen wegen politischer Aktivitäten anzuzeigen. Wie stark die Vorbehalte gegen die Ehrengerich­ te in Preußen noch zur Zeit ihrer Beratung im Landtag waren, beweist eine Umfrage unter den Ärzten, an der sich 1899 6215 Ärzte beteiligten. Von diesen sprachen sich lediglich 590 uneingeschränkt für den Regie­ rungsentwurf aus, während knapp 2000 Ärzte unbedingt dagegen vo­ tierten.164 Daß die Ehrengerichte, einmal geschaffen, eine rege Aktivität entwik­ kelten, die auf die D auer auf das Verhalten der Ärzte und den Zusam­ menhalt des Berufsstandes nicht ohne Einfluß bleiben konnte, geht schon aus der großen Zahl von Verfahren hervor. Im Geschäftsjahr 1903 standen bei zwölf ärztlichen Ehrengerichten Preußens insgesamt 719 Ver­ fahren zur Behandlung an, davon entfielen allein 243 auf die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin. Im nicht-förmlichen Verfahren - Warnung, Verweis und Geldstrafen bis zu 300 Mk. konnten nach An­ hörung des Beauftragten des Oberpräsidenten ohne förmliches ehrenge­ richtliches Verfahren durch Beschluß des Ehrengerichts verhängt wer­ den165 - wurden 370 Sachen erledigt, und zwar durch Einstellung 255, durch Strafbeschluß 83 und durch Überleitung in das förmliche Verfah­ ren 32. Im förmlichen Verfahren wurden 114 Sachen erledigt, davon 15 durch Einstellung und 99 durch ein Urteil. 24mal wurde auf Freispruch erkannt, die anderen Fälle verteilten sich auf die verschiedenen Strafen Warnung, Verweis, Geldstrafe bis zu 3000 Mk. und einmalige oder dau­ ernde Entziehung des Wahlrechts - oder auf eine Kombination mehrerer 271 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

dieser Strafmittel.166 In den folgenden Jahren blieben die Zahlen ähnlich hoch, wie aus nachfolgender Zusammenstellung hervorgeht. Tab. 16: D ie Tätigkeit der ärztlichen Ehrengerichte in Preußen 1904—1909 Jahr

insge­ samt anhän­

gig

1904 1905 1906 1907 1908 1909

825 782 798 811 851 814

davon erledigt im 1) nicht 2) förm­ förm­ lichen lichen Verfahren 388 352 345 365 433 407

140 145 117 132 133 124

von 1) endeten durch Ein­ Strafbestel­ lung schluß 304 268 285 298 340 336

84 84 60 67 93 71

von 2) endeten durch Ein­ Urteil davon: stel­ Frei­ lung spruch 33 16 27 16 23 26

107 129 90 116 110 98

40 37 30 37 36 48

Quelle: D as Gesundheitswesen 1904, S. 796f.; dass. 1905, S. 491; dass. 1906, S. 436f.; dass. 1907, S. 443f.; dass. 1908, S. 466f.; dass. 1909, S. 456f. In nur sechs Jahren waren damit über 3000 preußische Ärzte in ehrenge­ richtliche Verfahren verwickelt 167 - das waren rund 20% aller 1909 praktizie­ renden preußischen Zivilärzte!168 und damit weit mehr als nur ein paar schwarze Schafe. Zwar endeten etwa zwei Drittel aller erledigten Fälle durch Einstellung (1831) oder Freispruch (228), aber die hohe Zahl von Anklagen insgesamt ist doch ein deutlicher Hinweis darauf, daß innerhalb der Ärzte­ schaft anscheinend ein allgemeines D enunziantentum eingesetzt hatte und daß der Versuch gemacht wurde, mit Hilfe der Ehrengerichte »kollegiales« Verhalten jedes einzelnen Arztes und Rücksichtnahme auf die Belange des »Standes« zu erzwingen. Leider fehlen bei den Angaben zur Zahl der vor den Ehrengerichten verhandelten Fälle Hinweise auf die Art des Vergehens, dessentwegen Anklage erhoben wurde; wenn jedoch die Auswahl der vom preußischen Ehrengerichtshof 1908 und 1911 publizierten Entscheidungen auch nur einigermaßen repräsentativ ist, ergingen die weitaus meisten Ur­ teile wegen Fehlverhaltens eines Arztes im innerärztlichen Konkurrenz­ kampf. Unerlaubte Reklame, Unterbieten von Kollegen, Herabsetzen der Fähigkeiten eines Kollegen vor den Ohren von Laien, mißbräuchliche Be­ zeichnung als »Spezialarzt«: D as waren demnach die häufigsten Gegenstän­ de von ehrengerichtlichen Verhandlungen.169

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d) Unerfüllte Wünsche: Das Kurpfuschereiverbot Mit der Schaffung staatlicher Ehrengerichte im größten deutschen Einzel­ staat, Preußen, sowie etwa zur gleichen Zeit auch in Sachsen (1896), Ham­ burg (1894), Lübeck (1903) und Bayern (1910) war es der organisierten Ärzteschaft gelungen, einen wesentlichen Bestandteil der rechtlichen Plazie­ rung der Ärzte durch die Gewerbeordnung von 1869 wieder rückgängig zu machen. Als freie Gewerbetreibende waren die Ärzte frei von jeder spezifi­ schen Berufskontrolle gewesen, lediglich den Strafgesetzen unterworfen wie jeder andere Bürger auch. D ie Kontrolle über die Erfüllung der spezi­ fisch ärztlichen Berufspflichten, wie sie 1899 im Ehrengerichtsgesetz institu­ tionalisiert wurde, war zwar keine Wiederherstellung des Rechtszustandes vor 1869. Während damals die staatlichen Behörden disziplinarische Befug­ nisse über den einzelnen Arzt hatten, die bis zum Entzug der Approbation reichten, waren es jetzt in der Hauptsache gewählte Standesvertreter, die über ihre Berufsgenossen zu Gericht saßen. Insofern war die Einführung einer Ehrengerichtsbarkeit auch ein wichtiger Schritt im Professionalisie­ rungsprozeß der Ärzte: Die Einhaltung des beruflichen Ehrenkodex wurde von Kollegen überwacht. Aber der Staat hatte sich in der Institution der Ehrengerichte doch einen bestimmenden Einfluß sowie eine Kontrolle ihrer Tätigkeit vorbehalten.170 Insofern waren die Ehrengcrichte auch eine »Wie­ deranknüpfung an den historisch begründeten Begriff vom Berufe des Arz­ tes«, wie es einer ihrer wärmsten Befürworter, der langjährige Vorsitzende des Ärztevereinsbundes, Graf, formulierte,171 bzw. ein Hineindrängen der Ärzte in »eine Art Innungs- und Beamtenverhältnis«, wie einer ihrer schärf­ sten Kritiker, Virchow, meinte.172 Die Durchsetzung der ehrengerichtlichen Kontrolle, wie sie dem Mehr­ heitswillen der preußischen Ärzte - zumindest soweit er sich in deren gewählten Repräsentanten widerspiegelte-entsprach, verdankten die Ärzte freilich einem staatlichen Entgegenkommen in dieser Frage, das aus ganz anderen Motiven gespeist war. D er Staat wollte mit den Ehrengerichten in erster Linie dafür sorgen, daß sich die Ärzte als akademisch gebildete Berufs­ gruppe nicht in nennenswerten Teilen von der herrschenden Ideologie ent­ fernten. Im Gegensatz zu anderen Akademikern, bei denen schon ihre Stellung als Staatsdiener eine staatsloyale Haltung erzwang, fehlten ihm im Falle der Ärzte dazu die Machtmittel, solange diese die Position von freien Gewerbetreibenden hatten. In anderen Punkten, in denen kein staatliches Interesse an der Realisierung ärztlicher Wünsche bestand, waren die Ärzte denn auch weit weniger erfolg­ reich. Weder gelang es ihnen, die seit den Ärztetagen 1880 und 1882 immer wieder geforderte Ärzteordnung durchzusetzen - sie wurde erst 1935 mit der Reichsärzteordnung Wirklichkeit-, noch konnten sie die Wiedereinfüh­ rung des 1869 aufgehobenen Kurpfuschereiverbotes bewirken. Bei ihrer Forderung nach Regelung der ärztlichen Verhältnisse in einer 273 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Ärzteordnung auf dem Ärztetag 1882 hatten die Delegierten die Frage einer expliziten Wiedereinführung des Kurpfuschereiverbotes noch ausgeklam­ mert, aus Sorge, durch eine solche Forderung die durch die Gewerbeord­ nung errungenen Vorteile, vor allem die Abschaffung des § 200, wieder zu gefährden. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch die ärztliche Kritik an dem 1869 geschaffenen Rechtszustand schon unüberhörbar und breitete sich immer weiter aus. Selbst in der Berliner Medizinischen Gesellschaft, von der elf Jahre zuvor die Initiative zur Aufhebung des Kurpfuschereiverbotes ausgegangen war, fanden sich 1880 immerhin 60 Befürworter eines An­ trags, die gewerbliche Ausübung der Heilkunde durch Nichtärzte erneut unter Strafe zu stellen, gegenüber 84 Ärzten, die diesen Antrag ablehn­ ten.173 1887, als das Thema auf einer gemeinsamen Sitzung der BMG mit dem Zentralausschuß der Berliner ärztlichen Standesvereine nochmals auf der Tagesordnung stand, hatten die Befürworter des Kurpfuschereiverbo­ tes sogar eine hauchdünne Mehrheit gegenüber den Gegnern: Ein entspre­ chender Antrag Becher wurde mit 168 gegen 164 Stimmen ange­ nommen.174 Im selben Jahr beschäftigte die Forderung nach Wiedereinführung des Kurpfuschereiverbotes auch den Ärztetag. D er konkrete Anlaß war die Zulassung nichtapprobierter Heilkundiger bei einigen Krankenkassen im Königreich Sachsen, zuerst in der Industriestadt Chemnitz 1885. Der ärztli­ che Bezirksverein Chemnitz hatte dagegen sofort beim Rat der Stadt als der zuständigen Aufsichtsbehörde protestiert und geltend gemacht, daß laut § 6 des KVG die Kassen ihren Mitgliedern »freie ärztliche Hilfe« gewähren müßten, worunter nur die Hilfe durch staatlich approbierte Ärzte zu ver­ stehen sei. Eine Zuziehung nichtapprobierter Personen zur Behandlung Kassenkranker sei ungesetzlich. D iese Auffassung war - unter Hinweis auf das in der Gewerbeordnung festgelegte Recht zur Ausübung der Heilkunde auch ohne Approbation - zunächst vom Rat der Stadt Chemnitz zurückge­ wiesen worden, dann auf die Beschwerde des ärztlichen Vereins auch von der Kreishauptmannschaft Zwickau und schließlich vom sächsischen In­ nenministerium.175 Maßgebend für diese ablehnende Haltung war die Sor­ ge der sächsischen Behörden, die gesetzlichen Krankenkassen könnten bei den Arbeitern noch unbeliebter werden, wenn man ihnen die Behandlung durch Schulmediziner aufzwinge, anstatt ihnen auch die Wahl eines Natur­ heilkundigen zu ermöglichen. D adurch werde man nur viele Arbeiter den Kassen abspenstig machen und sie den freien Hilfskassen zuführen, die zum größten Teil einen solchen Arztzwang nicht kannten.176 Für die Ärzte besaß die Angelegenheit insofern prinzipielle Bedeutung, als sie hierin eine bedeutsame Erweiterung der den Laienmedizinern in der Gewerbeordnung von 1869 zugewiesenen Rechtsstellung erblickten. Nach den Worten Grafs war es damals lediglich darum gegangen, die gewerbs­ mäßige Kurpfuscherei außer Strafe zu stellen, während durch die Anstel­ lung von Nichtärzten bei den Krankenkassen und die D uldung solcher 274 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Vorgänge durch die Aufsichtsbehörden den nichtapprobierten Heilkünst­ lern bestimmte positive Rechte eingeräumt würden.177 Schon der Ärztetag 1886 erklärte seine volle Solidarität mit dem Vorgehen des Chemnitzer ärztlichen Vereins,178 und der darauf folgende Ärztetag 1887 schloß sich mit großer Majorität - bei 18 Gegenstimmen - einer Resolution an, in der gefordert wurde, die Ausübung der Heilkunde durch nicht hierzu approbierte Personen wieder gesetzlich zu verbieten.179 Gleichzeitig ver­ suchte der Ärztetag gegen die Zulassung von Nichtärzten zur Behandlung Kassenkranker vorzugehen, indem er 1888 in seinen Abänderungsvorschlä­ gen zum Krankenkassengesetz forderte, in den § 6 hinter die Worte »ärztli­ che Behandlung« einzufügen »durch einen approbierten Arzt«. 180 Genauso wie sich schon die staatliche Bürokratie gegen diese »dringende und selbstverständliche Forderung« gestellt hatte, die auf dem Ärztetag 1890 nochmals wiederholt wurde, 181 lehnte sie jedoch auch der Reichstag bei der Beratung der KVG-Novelle 1892 mit der denkbar knappen Mehrheit von 105 gegen 104 Stimmen ab. D amit befanden sich die staatliche Bürokratie und die Reichstagsmehrheit in offenem Meinungsgegensatz zur Ärzteschaft. Denn von der großen Masse der Ärzte wurde mittlerweile die 1869 einge­ führte Kurierfreiheit eindeutig abgelehnt, die damalige Initiative der BMG offen kritisiert. Für das »Linsengericht der Aufhebung des § 200« hätten die Ärzte den »werthvollen Schutz des § 199 des preußischen Strafgesetzbuches (Kurpfuschereiverbot, C. H.) und adäquater Bestimmungen« dahingege­ ben, klagte der einflußreiche Herausgeber der »D eutschen Medizinischen Wochenschrift«, Prof. Eulenburg, 1896.182 Der Rest der Ärzteschaft sei von dem Vorgehen der BMG »überrumpelt« worden, meinte derselbe Autor ein Jahr später183 und schloß sich damit einer Beurteilung Grafs an, die dieser schon auf dem Ärztetag 1889 gegeben hatte. Die Freigabe der Kurpfuscherei sei ein »großer Fehler« gewesen und 1869 »gegen die Warnung der erfahren­ sten Ärzte und die sachkundigen Behörden mit einer kleinen zufälligen Mehrheit durchgesetzt« worden.184 Eine Ausnahme in der allgemeinen Kritik an Kurierfreiheit und Gewerbe­ ordnung bildete weiterhin der Frankfurter Ärztliche Verein, der in einer Sitzung am 10. Februar 1896 einstimmig beschloß, »im Interesse des ärztli­ chen Standes, des Publikums, des Staates und der Wissenschaft an den durch . . . die Gewerbeordnung gewährleisteten Errungenschaften festzu­ halten)«.185 D iese Erklärung veranlaßte das Ärztliche Vereinsblatt zu dem wahrscheinlich zutreffenden Kommentar, daß die Haltung des Frankfurter Vereins »den Anschauungen von neun Zehntel der deutschen Ärzte« wider­ spreche.186 Die Haltung der »neun Zehntel« wurde wesentlich durch zwei Faktoren bestimmt. Erstens glaubte man eine deutliche Zunahme der Kurpfuscherei seit deren Freigabe 1869 feststellen zu können.187 Ziffernmäßige Belege für diese Annahme zu bringen, stellte sich aber als sehr schwierig heraus, da die sog. »Kurpfuscherei« bis 1902 im allgemeinen keiner Meldepflicht unterlag. 275 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Zwar glaubte der Medizinalassessor beim Königlichen Polizei-Präsidium in Berlin, wo die Kurpfuscher anhand polizeilicher Zählkarten erfaßt wurden, eine Vermehrung der gewerblichen Pfuscher von 28 im Jahre 1879 auf 476 im Jahre 1897 (um 1600%) in der Stadt Berlin festmachen zu können;188 doch kann diese enorme Steigerung auch auf eine ungenügende Erfassung der Pfuscher in den 80er Jahren zurückgeführt werden. Mit anderen Versuchen zur statistischen Erfassung des Ausmaßes der Kurpfuscherei vor der Jahrhundertwende steht es ähnlich.189 Insgesamt erscheint es ebensogut möglich, daß die Ärzte sich bei ihren Klagen über die Zunahme der Kurpfuscherei einer Selbsttäuschung hingaben,190 die auf dem Wandel im äußeren Erscheinungsbild der gewerbsmäßigen Ausübung der Heilkunde durch Nichtärzte beruhte; ein solcher Wandel aber hat in den 30 Jahren von der Freigabe der Heilkunde bis zur Jahrhundertwende unzweifel­ haft stattgefunden. Früher hatten sich Personen aus der D orfgemeinschaft als Laienheiler betätigt, die hierfür aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit gewisse Voraussetzungen mitbrachten, also Schäfer, Schmiede, Ammen, »weise Frauen«, die gewerbsmäßige Kurpfuscherei hatte ein ausgesproche­ nes »Lokalkolorit«191 aufgewiesen. D emgegenüber nahm seit den 70er Jah­ ren die Publizität des Gewerbes offensichtlich zu.192 Die Möglichkeiten der Reklame, etwa über Zeitungsinserate, wurden immer intensiver und ge­ schickter ausgenutzt. Auch durch die steigende Popularität der Naturheilbe­ wegung, durch deren Zeitschriften, Vereine und Versammlungen vergrö­ ßerte sich der Aktionsradius der nichtlizensierten Heiler ungemein; ihr Wirken fiel jetzt einfach mehr ins Auge als früher. Für die Wahrnehmung des Phänomens durch die approbierten Ärzte wird zudem eine Rolle gespielt haben, daß in den letzten Jahrzehnten desJahrhun­ derts die nichtapprobierten Heiler immer stärker in Konkurrenz zu ihnen traten, ihnen Patienten abspenstig machten und die Leistungen der Schulme­ dizin öffentlich herabsetzten,193 während die Laienheiler älteren Typs eher approbierte Ärzte in ärztlich unterversorgten Landstrichen ersetzt hatten, statt mit ihnen zu konkurrieren. Dieses Netz von Heilpersonen, die auf einen engen lokalen Wirkungsbereich beschränkt waren, dürfte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - bedingt durch die dichtere Versorgung auch der ländlichen Regionen mit approbierten Ärzten - geschrumpft sein, wäh­ rend möglicherweise gleichzeitig die Zahl der - häufig betrügerischen Geschäftemacher zunahm, die unter Ausnutzung der Leichtgläubigkeit des Publikums, oft in Verbindung mit dem Verkauf von empfängnisverhüten­ den oder abtreibenden Mitteln, ihr Gewerbe betrieben.194 Der zweite Faktor, der zur steigenden Unzufriedenheit der Ärzte mit der Kurierfreiheit führte, war die Annahme, daß die formalrechtliche Gleich­ stellung der nichtapprobierten Heiler mit den approbierten Ärzten zur Ab­ wertung der letzteren in den Augen der Öffentlichkeit geführt habe. Immer wieder machten Mediziner für ihr angeblich sinkendes soziales Ansehen außer den Auswirkungen der Krankenversicherung die Tatsache verant276 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

wortlich, daß sich infolge der fehlenden rechtlichen Abgrenzung für die Patienten der Unterschied zwischen approbierten Ärzten und unqualifizier­ ten Laienmedizinern mehr und mehr verwische.195 Da sich die Voraussetzungen, unter denen die BMG 1869 für die Freigabe der Heilkunde eingetreten sei, insbesondere die unterstellte Urteilsfähigkeit der Patienten, als irrig erwiesen hätten, forderte der Referent des Ärztetages 1897, der Vorsitzende der Rheinischen Ärztekammer, Lent, folgerichtig, die Kurpfuscherei erneut unter Strafe zu stellen, die Ausübung der Heilkunde den Bestimmungen der Gewerbeordnung zu entziehen und in einer deutschen Ärzteordnung zu regeln.196 Die Delegierten, die dieser Forderung zustimm­ ten, vertraten 12036 Stimmen, während die 14 Delegierten, die sie ablehnten, lediglich 866 Stimmen repräsentierten.197 Obwohl dieselbe Forderung vom Ärztetag 1902 mit ähnlich erdrückender Majorität gestellt wurde; 198 obwohl die seit Einführung der Meldepflicht für nichtapprobierte gewerbliche Heiler 1902 in Preußen veröffentlichten Zahlen ein kontinuierliches Anwachsen dieser Gruppe von 4104 im Jahre 1902 bis auf 7549 1908 anzeigten;199 obwohl die Ärzte zu Beginn des neuen Jahrhunderts umfangreiche Aktivitäten entfalteten, um die Gefährlichkeit der ohne staat­ lich überprüfte Qualifikation kurierenden Krankenbehandler für die Volks­ gesundheit nachzuweisen,200 gelang es ihnen bis zum Ersten Weltkrieg nicht, Öffentlichkeit und herrschende Eliten von der Notwendigkeit eines Kurier­ privilegs für die eigene Berufsgruppe zu überzeugen. Ein gesetzliches Verbot der gewerbsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne staatliche Approbation wurde erst 1939 im Heilpraktikergesetz wieder eingeführt.201 Zwar lag dem Reichstag 1908 ein Gesetzentwurf über die Ausübung der Heilkunde durch nichtapprobierte Personen und den Geheimmittelverkehr vor, der die gröb­ sten Auswüchse in der Verbreitung des nicht lizensierten Heilgewerbes beschneiden sollte, und auf den hier nicht näher eingegangen werden kann,202 jedoch schleppten die Beratungen sich endlos lange hin, und der Entwurf wurde, wegen Neuwahlen zum Reichstag, Uneinigkeit der Parteien und Protesten der Laienmediziner,203 nie verabschiedet. Die Behandlung des Problems der Laienmedizin im Kaiserreich zeigt, daß Regierung, Parlamente und öffentliche Meinung von der eindeutigen fachli­ chen Überlegenheit der Schulmedizin und ihrer Vertreter, der approbierten Ärzte, und von der entsprechenden Schädlichkeit der »Aftermedizin« für die Volksgesundheit offenbar keineswegs so überzeugt waren, wie das dem Selbstverständnis der Mediziner entsprochen hätte. Gerade ihre ständig erfolglos bleibenden Bemühungen um eine Ärzteord­ nung und um die Wiedererlangung eines rechtlich fixierten Monopols auf dem Gesundheitsmarkt ließen bei vielen Ärzten das Gefühl entstehen, ihre Qualifikation und Leistung werde in der Öffentlichkeit nicht richtig aner­ kannt, und sie bilden zweifellos einen wesentlichen Erklärungsfaktor für die verbreitete ärztliche Klage, der soziale Status des Arztes sei immer mehr im Sinken begriffen. 277 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Ein weiterer Faktor, der diese Anschauung förderte, waren das Kranken­ versicherungsgesetz von 1883 und seine Auswirkungen. D ie Ärzte wurden nicht nur in Konflikte mit den Kassen verwickelt, ihnen drängte sich auch zunehmend die Überzeugung auf, daß Regierung und Öffentlichkeit stärker für die Seite der Kassen Partei ergriffen. D as begann schon damit, daß das KVG konzipiert und verabschiedet wurde, ohne daß die Ärzteschaft, die darin doch eine entscheidende Rolle spielen sollte, in irgendeiner Form in die Beratungen einbezogen worden wäre. Nur kurze Zeit nach dem Erlaß des Gesetzes, in einer Reichstagssitzung am 12. D ezember 1885, sorgte zudem der Staatsminister des Inneren, v. Boetticher, für ungeheure Aufregung unter den Ärzten, als er die Politik des Ärztevereinsbundes scharf angriff und die Empfehlung des Ärztetages 1884, auf bestimmten Honorarsätzen bei den Krankenkassen zu bestehen, gerade­ zu für die finanziell schwierige Lage vieler Kassen verantwortlich machte. Boetticher sprach von ärztlichen »Assoziationen, welche ihre Mitglieder verpflichten, nicht unter einem gewissen Satze die ärztlichen D ienste zu leisten«, und fuhr fort: »Ich halte . . . solche Assoziationen, wie sie die Ärzte hier und da eingegangen haben, doch für das Zeichen eines sehr geringen Verständnisses der Zwecke unserer sozialpolitischen Gesetzgebung und ei­ ner geringen Opferwilligkeit, die ja freilich den Herren Ärzten auch bezahlt wird, die man aber doch in gewissem Grade von ihnen verlangen darf « Das Krankenversicherungsgesetz sei schließlich »nicht im Interesse der Ärzte gemacht, sondern im Interesse der nothleidenden Arbeiter«.204 Zwar modifizierte und erläuterte der Minister seine Ausführungen auf die Proteste des Geschäftsausschusses des Ärztevereinsbundes hin, 205 doch blieb es typisch für die Haltung der Reichsregierung wie der preußischen Regierung wie auch der untergeordneten Behörden, daß sie die Kassenpro­ blematik zuvorderst unter der Perspektive der - möglichst billigen - Versor­ gung der versicherten Arbeiter sahen und demgegenüber die mitunter kon­ trär liegenden Interessen der Ärzte auf den zweiten Platz verwiesen. Dieser Blickwinkel bestimmte auch einen Erlaß des preußischen Han­ delsministers Möller vom 26. November 1895, der ausdrücklich den vom Berliner Magistrat gefaßten Beschluß bestätigte, wonach der Kassenvor­ stand mit jedem für die Kasse in Frage kommenden Arzt direkt einen Einzelvertrag abschließen müsse. Mit diesem Beschluß hatte der Magistrat die freie Arztwahl, bei der ein Vertrag zwischen der Kasse und dem Verein freigewählter Kassenärzte geschlossen wurde, in Berlin gestoppt und die Wiederherstellung der alten Zustände erzwungen.206 Der Ärztetag 1896, der sich in einem eigenen Tagesordnungspunkt mit diesem Erlaß des Han­ delsministers befaßte, zeigte kein Verständnis für das »repressive Einschrei­ ten der Aufsichtsbehörde« und bedauerte die »Erschwerung und zeitweise Lahmlegung« der ärztlichen Bemühungen um freie Arztwahl durch das ministerielle Votum.207 Ein weiteres Mal wurden die ärztlichen Erwartungen durch die KVG278 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Novelle von 1903 enttäuscht. Trotz der vom Dresdener Ärztetag 1899 mit großer Mehrheit (107Ja-, 29 Nein-Stimmen)208 angenommenen Forderung nach gesetzlicher Einführung der freien Arztwahl erklärte die Regierung eine gesetzliche Regelung der Arztfrage kurzerhand für noch »nicht spruch­ reif«, worin ihr die Mehrheit des Reichstages folgte: D ementsprechend wurde die mittlerweile in ihrem zentralen Stellenwert unübersehbare Kas­ senarztfrage bei der Novellierung des Gesetzes ausgeklammert.209 Ebenso­ wenig wurde eine andere langjährige Forderung der organisierten Ärzte­ schaft berücksichtigt und bei den Beratungen zur Novelle des KVG Ärzte als Sachverständige hinzugezogen. Nahmen die Regierungen eine überwiegend ablehnende Haltung zu den ärztlichen Forderungen ein und war die Stellung der einzelnen Parteien dazu zumindest sehr ambivalent,210 so arbeiteten die beiden direkt an der Kassen­ verwaltung beteiligten Parteien, Unternehmer und Arbeiter, sogar Hand in Hand, um die Wünsche und Forderungen der Ärzte zu hintertreiben. D iese standen mit ihren Ansprüchen ziemlich allein, jedenfalls ohne starke Bun­ desgenossen da und saßen praktisch zwischen allen Stühlen. Das ist als Hintergrund wichtig, wenn man den raschen Erfolg des Leipzi­ ger Verbandes verstehen will, dessen radikale Parolen von »Streik« und »Boykott« und dessen Aufforderung zur Bildung einer »Streikkasse« dem traditionellen Verständnis des Arztes als Angehörigen einer bildungsbürger­ lichen akademischen Berufsgruppe211 zunächst widersprachen.

3. Organisierung des ärztlichen Angebots gegenüber der kollektiven Nachfrage der Kassen: der Leipziger Verband und die Ärztestreiks a) D ie Gründung des Leipziger Verbandes 1900 - programmatische Auseinandersetzungen Am 25. Juli 1900 veröffentlichte der Leipziger Kassenarzt D r. Hermann Hartmann im Ärztlichen Vereinsblatt einen Offenen Brief, in dem er dazu aufrief, mit dem »Wehklagen . . . über die erbärmliche Bezahlung und über die miserable Behandlung von Seiten der Kassenvorstände« Schluß zu ma­ chen und statt dessen den Weg der Selbsthilfe einzuschlagen.212 Hartmann gab seinem Kollegen Warmiensis recht, der kurze Zeit vorher, ebenfalls im Ärztlichen Vereinsblatt, die Ärzte aufgefordert hatte, sich zu vereinigen und zu einem bestimmten Termin gemeinsam die Arbeit bei den Kassen nieder­ zulegen.213 Ergänzend betonte Hartmann aber den Gedanken der Organisation, die einer Arbeitsniederlegung vorangehen müsse: »Wir wollen für sämtliche Ärzte des ganzen Reiches eine große Kasse, nennen wir dieselbe eine Streik279 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

hasse gründen (im Original gesperrt, C. H.). Denn glauben Sie mir, Kollege, es tut niemand mit, wenn er nicht einen pekuniären Stützpunkt hat . . . Wenn wir aber einen Fonds haben, aus dem wir Unterstützungen zahlen können, dann wird auch den jetzt noch Verzagten der Kampfesmut kom­ men.« D er Offene Brief schloß, nachdem schon vorher auf die Arbeiter­ schaft und ihre Organisationen als »Muster« verwiesen worden war, in bewußter Anlehnung an das Kommunistische Manifest, mit den Worten: »Ärzte ganz Deutschlands, organisiert Euch!«214 Obwohl Hartmann in dem Brief nicht offen von einer neu zu gründenden Organisation sprach, angeblich auch noch daran gedacht hatte, der Ärzte­ vereinsbund könne die von ihm skizzierten Aufgaben übernehmen,215 wur­ de nur kurze Zeit später, am 13. September 1900 von einer eilig berufenen Versammlung von ca. zwanzig Ärzten, meist aus Leipzig, der »Verband der Ärzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen« aus der Taufe gehoben. D ie am gleichen Tag verabschiedeten provisorischen Sat­ zungen hielten an den Intentionen Hartmanns fest, insbesondere an der Sammlung von Geldmitteln zur Erreichung des Verbandszwecks, »die wirt­ schaftliche Lage der Ärzte im ganzen Reich zu bessern und denselben einen wirksamen Schutz zu gewähren gegen die rücksichtslose Ausbeutung ihrer Arbeitskraft seitens der Krankenkassen und gegen die Übergriffe der Kas­ senvorstände«.216 Sie vermieden aber die radikalen Töne des Hartmann­ schen Offenen Briefes, insbesondere die Erwähnung von Reizwörtern wie »Streikkasse«. Nach dem offenkundigen Versagen der bisherigen Politik des Ärztever­ einsbundes, mittels Resolutionen und Petitionen auf Gesetzgeber und Öf­ fentlichkeit einzuwirken, und nachdem die bisherigen wirtschaftlichen Or­ ganisationen, die lokalen Vereine zur Einführung der freien Arztwahl ebenso offenkundige Schwächen gezeigt hatten, besonders in den für die Ärzte ungünstigen Konflikten in Remscheid und Elberfeld, lag eine solche Neu­ gründung anscheinend in der Luft; denn fast zeitgleich mit dem Leipziger Verband, dem späteren Hartmannbund, wurden zwei weitere zentrale Or­ ganisationen ins Leben gerufen, nämlich die »Centralstelle für freie Arzt­ wahl«, gegründet am 23. Juni 1900 in Freiburg im Anschluß an den Ärzte­ tag, die hauptsächlich dem Austausch von Materialien und Erfahrungen zwischen den Vereinen oder Vereinsabteilungen zur Einführung freier Artz­ wahl dienen sollte,217 und der am 4. September 1900 gegründete »Verein zum Schutz ärztlicher Interessen zu Ludwigshafen«, der sich explizit auf die Ideen von Hartmann und Warmiensis berief und das Prinzip der Selbsthilfe vertrat.218 Der junge »Leipziger Verband« stieß anfänglich mehr auf Skepsis und Mißtrauen als auf begeisterte Zustimmung innerhalb der Ärzteschaft. Zum einen wurde das gesamte Vorhaben, durch streikähnliche Aktionen die Kassen in die Knie zwingen und ärztlichen Forderungen gefügig machen zu wollen, als utopisch und undurchführbar angesehen. D as dazu notwendige 280 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

geschlossene Vorgehen der Ärzteschaft werde sich nie erreichen lassen, dazu mangele es den Ärzten zu sehr an »Korpsgeist« und solidarischem Zusam­ menhalt.219 Auch aufgrund der schlechten Arbcitsmarktlage seien die Er­ folgsaussichten des Verbandes rundum negativ zu beurteilen, da die Kassen bei allen Konflikten mit Ärzten jederzeit genügend »Ersatzcollegen« zur Verfügung hätten.220 Zum anderen stießen sich viele Ärzte an dem radikalen Gebaren des neuen Verbandes. D er Gebrauch des Wortes »Streik« berühre ihn und viele seiner Kollegen »peinlich«, meinte etwa der Sanitätsrat Beer­ wald, und sei mit dem »vornehmen« ärztlichen Stande nicht zu vereinba­ ren.221 Ebenso hielt der Leipziger Arzt Goetz das sozialdemokratische Vor­ bild, an dem der Verband sich orientiere, für einen »recht abschüssigc(n)« Weg.222 Eine differenzierte Kritik von Zielsetzung und Vorgehen des Leipziger Verbandes gab der Geschäftsführer des Verbandes der Berliner ärztlichen Standesvereine, D r. S. Alexander, in einem Referat am 23. November 1900 in Berlin.223 Er lehnte die vom Verband vorgeschlagenen Kampfmittel nicht pauschal wegen ihrer Nähe zur SPD ab, sondern versuchte, sie im einzelnen als unzweckmäßig nachzuweisen. Nach den provisorischen Satzungen des Verbandes sollten von den zu sammelnden Geldmitteln »1. Unterstützun­ gen an solche Kollegen gezahlt werden, welche bei einem Kampfe gegen Krankenkassen von letzteren gemaßregelt werden . . . 2. die Kosten ge­ deckt werden, welche . . . für die Agitation und die nötigen Publikatio­ nen . . . auflaufen; 3. die Kosten gedeckt werden, welche das Fernhalten etwaigen Zuzuges in solchen Fällen etwa verursacht; 4. die Kosten bestritten werden für regelmäßig zu erlassende Warnungen vor dem Studium der Medizin, um der weiteren Überfüllung des Standes vorzubeugen«.224 Alex­ ander hielt die Unterstützung von der Kasse gemaßregelter Kassenärzte für problematisch. Alle Kassenärzte könne man nicht unterstützen, da vielfach die Maßregelung in Form einer Kündigung auch gerechtfertigt sei. Nach welchen Kriterien also solle wie lange Unterstützung gewährt werden? Insbesondere die Idee, Ärzte in Konfliktfällen mit Kassen durch Geld vom Zuzug abhalten zu können, war nach Alexanders Auffassung »geradezu absurd«: Erstens könne man solche »ehrlosen Herren«, die eine boykottierte Kassenarztstelle annehmen wollten, nicht »durch ein paar Silberlinge kau­ fen«, weil für sie der Wechsel auf die Zukunft, und nicht die augenblickliche Notlage Motiv sei. Zweitens sei es »im höchsten Grade unmoralisch«, sie auf Kosten der Gesamtheit zu unterstützen.225 Die ausschließlich propagier­ te Selbsthilfe hielt Alexander zudem für »nicht ausreichend«: die Ärzte brauchten auch die Hilfe des Staates.226 Schließlich wies er auf die bekannte Weisheit hin, daß »D ruck . . . Gegendruck« erzeuge, und meinte, es sei »recht unklug, die Fäden friedlicher Vereinbarung zwischen Ärzten und Kassen, die glücklicherweise in den letzten Jahren dichter gesponnen wor­ den sind, mit rauher Hand zu zerreißen«.227 Der Argumentation seines Geschäftsführers folgend faßte der Geschäfts281 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

ausschuß der Berliner ärztlichen Standesvereine denn auch den Beschluß, seinen Mitgliedern »den Beitritt zum Verbände nicht zu empfehlen«.228 Auch der ärztliche Bezirksverein für Südfranken sprach sich nach einem ähnlich kritischen Referat des Arztes Dörfler einstimmig gegen jede Beteili­ gung an dem neuen Verbände aus. 229 Ebenso frostig gestaltete sich zunächst das Verhältnis zwischen dem alten Berufsverband, der mit indirekten Mitteln an der »Hebung des Standes« arbeitete, und dem neuen gewerkschaftlichen Verband. D er Geschäftsaus­ schuß des Ärztevercinsbundes, von dem im übrigen kein Vertreter bei der Leipziger Gründung anwesend war, bedauerte ausdrücklich, daß durch die Neugründung eine »Zersplitterung der ärztlichen Bestrebungen« herbeige­ führt werde, 230 und befürchtete, die neue Organisation werde ihm auf seinem Gebiet, der Vertretung der ärztlichen Standesinteressen im allgemei­ nen, Konkurrenz machen.231 Der Ärztetag 1901 beauftragte den Geschäftsausschuß, ein Mitglied für die Teilnahme an der Verwaltung der Unterstützungskasse des wirtschaftli­ chen Verbandes zu delegieren, sprach ihm aber jede über die Organisation einer solchen Kasse hinausgehende Existenzberechtigung ab. 232 Ebenso wurde ein Antrag, der Ärztetag solle allen deutschen Ärzten den Beitritt zum Leipziger wirtschaftlichen Verbande empfehlen, abgelehnt.233 Auch bei den in den 90er Jahren in vielen Städten gegründeten Vereinen zur Einführung der freien Arztwahl hatte der Leipziger Verband zunächst vielfach kein Glück. Daß in den provisorischen Statuten vom 13. September 1900 die freie Arztwahl mit keinem Worte erwähnt war, nahm etwa der Stuttgarter Verein für freie Arztwahl, die größte wirtschaftliche Organisa­ tion in Württemberg zum Anlaß, am 25. Oktober 1900 den Eintritt in den Leipziger Verband abzulehnen und statt dessen der Zentrale für freie Arzt­ wahl in Köln beizutreten.234 Bald stellte sich jedoch heraus, daß der Leipziger Verband durchaus auf dem Boden der freien Arztwahl stand; schon in einem bald auf die Gründung folgenden Aufruf an alle Kollegen, Mitglieder zu werden - im Gegensatz zum Ärztevereinsbund, dem Lokalvereine korporativ als Mitglieder ange­ hörten, kannte der Leipziger Verband nur die Einzelmitgliedschaft des indi­ viduellen Arztes - wurden als Ziele des Verbandes die freie Arztwahl und die »standesgemäße (d.h. der Taxe entsprechende) Bezahlung« genannt.235 Auch in der endgültigen, auf der ersten Hauptversammlung am 28./29. Juni 1901 beschlossenen Verbandssatzung wurde das Prinzip der freien Arztwahl verankert.236 Ob die Nichterwähnung in den provisorischen Satzungen vom Septem­ ber 1900 darauf zurückzuführen ist, daß man das »einfach übersehen« habe, wie D r. Neuberger aus Würzburg in einer Zuschrift meinte,237 muß hier dahingestellt bleiben. Wahrscheinlich, aber wegen der Zerstörung des Ar­ chivs des Hartmannbundes nicht mehr zu beweisen, ist die Annahme, daß die Gründungsväter vor allem bestrebt waren, sich aus den Konflikten um 282 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

die freie Arztwahl zunächst herauszuhalten, um nicht sogleich die fixierten Kassenärzte, die häufig Gegner der freien Arztwahl waren, zu verprellen und vom Verbandscintritt abzuhalten. Trotz solcher Bemühungen und obwohl sich auch viele Ärzte positiv zu der Gründung von Leipzig äußerten, 238 konnte der neue Verband seine Mitgliederzahl zunächst nur sehr langsam steigern. In den ersten 2 ½ Jahren kam sie kaum über 2000 hinaus, vom März bis September 1903 wuchs sie jedoch sprunghaft auf 9662 an und nahm dann kontinuierlich weiter zu, wie die Tabelle 17 ausweist. Der Verband selbst nahm für sich in Anspruch, daß er 95-99% aller »in Betracht kommenden« Ärzte organisiert habe. 239 Außer den Militär- und Marineärzten zog er bei dieser Berechnung noch die Ärzte ab, die keine Praxis ausübten, sowie die Universitätsprofessoren. D ie Zahl der ersteren war jedoch verschwindend gering, während die letzteren häufig dem VerTab. 17: D ie Mitgliederentwicklung im Leipziger Verband bis 1911 Zeitpunkt 1. 1. 1901 Mitte 1902 2. 3. 1903 Sept. 1903 1. 1. 1904 1.6. 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911

Mitgliederzahl 668 2500 über 2000/3500 9662 12657 16204 17213 18723 19828 21210 22440 23129 23789

Zivilärzte insges.

27896 28288 28872 29148 29633 29857 30186 30666 31052

davon organisiert in%

ca. 8 34,6 44,7 57,3 59,6 64,2 66,9 71,0 74,3 75,4 76,6

Quelle: Mitgliederangaben für 1901 und 1902 bei G. Kuhns, 25 Jahre Verband der Ärzte Deutschlands, Leipzig 1925, S. 68f.; für September 1903 und für 1904 nach dem Geschäftsbericht von Hartmann auf der Generalversammlung des Verbandes am 23. 6. 1904 (Ae. V. Bl. 1904, Nr. 526, S. 391). Alle anderen Jahre nach der Tabelle bei Plaut, S. 97. Für März 1903, den Zeitpunkt des a.o. Ärztetages, liegen konkurrierende Anga­ ben vor: laut Plaut hatte der Verband damals »über 2000« Mitglieder, laut Kuhns 3500. Zahl der Ärzte nach den jährlich von Prinzing in der D MW veröffentlichten Angaben, abgedruckt in der Tabelle bei Plaut, S. 67. Von diesen Zahlen wurden jeweils 1783 aktive Militärärzte (Zahl der Militärärzte nach der amtlichen Zählung von 1909) abgezogen. 283 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

bände angehörten, obwohl sie für seine direkte Zielsetzung nicht »in Be­ tracht« kamen. Ein Organisationsgrad von 95 bis 99% erscheint daher stark übertrieben, die Annahme, daß immerhin fast ein Viertel der Ärzte dem Verbande fernstand, dürfte eher der Realität entsprechen.240 Der in der Tabelle deutlich sichtbare steile Anstieg des Organisationsgra­ des im Jahre 1903 läßt sich auf mehrere Faktoren zurückführen, wovon die wichtigsten wohl die endgültige Verständigung zwischen Ärztevereinsbund und Leipziger Verband und die erneute Nichtberücksichtigung ärztlicher Forderungen in der Novelle zum KVG von 1903 sind. Nach der ersten Lesung des Entwurfs im Reichstag hatte der Geschäftsausschuß des Ärzte­ vereinsbundes die deutschen Ärzte zu einem außerordentlichen Ärztetag am 7. März 1903 nach Berlin einberufen. D ort wiederholten die versammelten Delegierten noch einmal die bekannten ärztlichen Forderungen, gesetzliche Einführung der freien Arztwahl, Zugrundelegung der staatlichen Minimal­ taxe für die kassenärztliche Honorierung, Behandlung erkrankter Kassen­ mitglieder nur durch approbierte Ärzte,241 riefen aber »im Hinblick auf die bisher fruchtlosen Versuche, die Reichsregierung zur Berücksichtigung der ärztlichen Forderungen zu veranlassen«, die Ärzte gleichzeitig auf, »bis zur zufriedenstellenden Lösung der Kassenarztfrage in festem Zusammenschluß die Mittel der Selbsthilfe nachdrücklich zur Anwendung zu bringen«.242 Das »unter stürmischem Beifall einstimmig« angenommene Bekenntnis zur Selbsthilfe243 deutet schon auf die inzwischen erfolgte Annäherung der Positionen des Bundes an die des Leipziger Verbandes. In Verhandlungen zwischen Vertretern beider Organisationen war, wie der Vorsitzende des Ärztetages, Prof. Löbker, bemerkte, eine Basis für künftiges »Zusammen­ marschieren« gefunden worden,244 die vom nächsten ordentlichen Ärztetag im September 1903 nur noch offiziell bestätigt werden mußte. D emzufolge ging der Leipziger Verband als eine »besondere Abteilung in die Organisa­ tion des Deutschen Ärztevereinsbundes über« und unterstellte »seine Tätig­ keit dem D eutschen Ärztevereinsbunde bzw. dessen Geschäftsausschusse, nach Maßgabe der Beschlüsse der D eutschen Ärztetage«. D ie Kasse des Verbandes blieb als selbständige Kasse bestehen; die Stellenvermittlung des Bundes ging an den Verband über.245 Durch diese Vereinigung von Bund und Verband waren wesentliche Hindernisse für den Aufstieg des Verbandes zu einer effizienten Pressure Group aus dem Wege geräumt. D aß der Verband den gewonnenen Spiel­ raum so effektiv nutzen konnte, verdankte er allerdings erst den erfolgreich nach den Hartmannschen Prinzipien durchgefochtenen Auseinandersetzun­ gen mit Krankenkassen. D iese Konflikte, von denen die wichtigsten, vor allem der Leipziger Ärztestreik von 1904, ausführlicher dargestellt werden sollen, sicherten dem Verband jeweils neuen Zulauf, wodurch wiederum seine Schlagkraft erhöht wurde.

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b) Streiks und andere Kampfmaßnahmen Streikähnliche Aktionen von bei Krankenkassen angestellten Ärzten in Form gemeinsamer Arbeitsniederlegung hat es auch vor 1900 schon verein­ zelt gegeben, doch mit Gründung des Leipziger Verbandes änderten sich der Umfang solcher Aktionen sowie die konkreten Vorgehensweisen der darin verwickelten Ärzte. Vor 1900 konnten »Ärztestreiks« sehr leicht verloren gehen, weil der lokal begrenzte Charakter der ärztlichen Organisationen und die ungünstige Arbeitsmarktlage der Ärzte es den Kassen erlaubte, ihren Bedarf durch Heranziehung auswärtiger Ärzte zu decken. Das war etwa der Fall in der schon geschilderten spektakulären Niederlage der Remscheider Kassenärzte 1898.246 Ihre Kollegen in der Nachbarstadt Barmen hatten dagegen, ebenfalls 1898, mit einer ähnlichen Aktion Erfolg: 32 von 35 Kassenärzten hatten wegen Streitigkeiten über die Arzneimittelrechnungen und über die Anstel­ lung einer in der Schweiz approbierten Ärztin, deren Approbation in Deutschland nicht anerkannt war, dem Kassenvorstand erklärt, daß sie ab 1. Juli die Patienten nur noch privat behandeln würden. D a der - unvorbe­ reitete - Kassenvorstand bis 6. Juli nur fünf zusätzliche Ärzte von auswärts engagieren konnte, mußte die Aufsichtsbehörde wegen ärztlicher Unterver­ sorgung bei der Kasse einschreiten und schloß mit den alten Kassenärzten einen neuen Vertrag zu deren Bedingungen ab. 247 Die Erfahrungen in Remscheid, Barmen und anderen Städten lehrten, daß es für den Ausgang eines Konflikts zwischen Kasse und Ärzten ganz ent­ scheidend darauf ankam, ob es der Kasse gelang, genügend vertragsbereite Ärzte zu finden, so daß sie auf die Forderungen der ortsansässigen Ärzte nicht eingehen mußte. D en Zuzug von außerhalb zu unterbinden, darauf richteten sich daher auch alle Anstrengungen des Leipziger Verbandes, der dabei nach kurzer Zeit von den etablierten ärztlichen Organisationen, den Ärztevereinen und den Ärztekammern, tatkräftig unterstützt wurde. Seit 1903 veröffentlichte das Ärztliche Vereinsblatt als zentrales Organ des Ärzte­ vereinsbundes in jeder Nummer eine sog. »Cavete-Liste«, die die Namen der Orte enthielt, an denen z. Zt. Differenzen zwischen Kassen und Ärzten schwebten.248 Alle Kollegen wurden gewarnt, sich um eine Stelle auf der Cavete-Liste zu bewerben, ohne sich vorher mit dem jeweiligen Vertrauens­ mann des Leipziger Verbandes, dessen Name und Adresse gleich mit ange­ geben waren, in Verbindung zu setzen.249 Daß alle Ärzte über gesperrte Kassenarztstellen überhaupt informiert waren, sich also nicht aus Unwissenheit um eine solche Stelle bewarben, war zwar eine wichtige Voraussetzung, konnte jedoch keineswegs ausreichen, um den Zuzug von Ärzten in Orte, wo Konflikte zwischen Ärzten und Kassen bestanden, auch effektiv zu unterbinden. D iesem Ziel dienten viel­ mehr in erster Linie die sog. »Schutz- und Trutzbündnisse« der ärztlichen Vertragskommissionen, die sich nach einem entsprechenden Beschluß des 285 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Königsberger Ärztetages von 1902 in den einzelnen Ärztekammerbezirken gebildet hatten. Im »Schutz- und Trutzbündnis« verpflichteten sich die beteiligten Ärzte durch Unterzeichnen eines entsprechenden »Revers« eh­ renwörtlich, Verträge, die sie mit Krankenkassen abschlossen, der zuständi­ gen Kommission vorher zur Genehmigung vorzulegen und sich außerdem nicht um Kassenarztstellen zu bewerben, die zwischen Ärzteschaft und Kassen in irgendeiner Weise umstritten waren. D ie Agitation für die Ver­ pflichtungsscheine (Reverse) war zunächst Sache der Krankenkassenver­ tragskommissionen der jeweiligen Ärztekammern; dabei wurden sie von den ärztlichen Lokalvereinen, die einen massiven moralischen Druck auf die einzelnen Mitglieder ausübten, unterstützt. Wenn in München 100% der Münchener Kassenärzte ihren Verpflichtungsschein unterzeichneten, ist dies vor allem auf die intensiven Bemühungen des Münchener Ärztevereins um jeden einzelnen Arzt, der mit seiner Unterschrift zögerte, zurückzuführen: »Telephonische Aufforderungen und Besuche wurden so oft und so lange wiederholt, bis der Letzte seine unterschriebenen Formulare eingesandt hatte.«250 Häufig machten die Lokalvereine auch die Unterschrift unter den Ver­ pflichtungsschein zur Aufnahmevoraussetzung. Verzichtete ein Arzt aber auf den Vereinsbeitritt oder trat er aus dem Verein aus, konnte äußerste Diskriminierung die Folge sein. In einer Resolution der organisierten Ärzte des bergischen Bezirks aus dem Jahre 1909 heißt es ζ. Β.: »Tritt ein Arzt aus einem ärztlichen Verein aus, so sind zur Zeit die schärfsten Maßregeln gegen denselben zu ergreifen: a) Sofern sich eine Handhabe finden läßt, soll eine Beschwerde wegen Verletzung der ärztlichen Standesinteressen an das Ehrengericht erfolgen, b) Der Austritt aus dem Verein ist satzungsgemäß möglichst zu erschweren . . . (Kündigungs­ frist) . . . c) Der ausgetretene Arzt muß erfahren, daß wir kollegial nicht mehr mit ihm befreundet sind; wir vermeiden deshalb Konsilien, Überwei­ sungen und Vertretungen usw.; nur Konsilien im Falle dringer Not sind gestattet, d) Eine weitere Folge ist die Vermeidung freundschaftlichen Ver­ kehrs, besonders in denselben Gesellschaften und Familien, e) In der Fach­ presse sind die Namen der austretenden Ärzte . . . zu veröffentlichen, f) D ie Gesellschaften, welche dem ärztlichen Verein Rabatt gewährt haben, sind sofort zu benachrichtigen, damit mit dem Austritt sofort auch die Preiser­ mäßigung bei Versicherungen fortfällt, g) Bei Abschlüssen von Verträgen mit Kassen und Freiwerden von kommunalen Ämtern ist tunlichst darauf hinzuwirken, daß nur Vereinsmitglieder berücksichtigt werden. « 251 War ein Verpflichtungsschein erst einmal unterschrieben, drohten dem Arzt, der sich trotzdem um eine vom Leipziger Verband gesperrte Kassen­ arztstelle bewarb, hohe Konventionalstrafen und ehrengerichtliche Verfol­ gung. D ie Ehrengerichte erster Instanz verurteilten öfter sogar Ärzte, die Verträge mit Kassen ohne Absprache mit der Vertragskommission abge­ schlossen hatten, auch wenn sie keinen entsprechenden Verpflichtungs286 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

schein unterschrieben hatten; diese Urteile mußten aber vom Ehrengerichts­ hof revidiert werden, weil sie zu offensichtlich dem Grundsatz der Freizü­ gigkeit widersprachen.252 Trotz des Zusammenwirkens von ärztlichen Lokalvereinen, Ärztever­ einsbund, Ärztekammern, Ehrengerichten und Leipziger Verband waren die Erfolge in dem Bemühen, möglichst alle Ärzte in die Schutz- und Trutz­ Bündnisse einzugliedern, im einzelnen höchst unterschiedlich. Zwar unter­ schrieben, wie Theodor Plaut in seiner 1913 erschienenen klassischen Unter­ suchung über den »Gewerkschaftskampf der deutschen Ärzte« anführt, in den Provinzen Schleswig-Holstein und Sachsen jeweils 95 bis 98% aller Ärzte den Verpflichtungsschein;253 aber in anderen Provinzen war der Pro­ zentsatz der Unterzeichner sehr viel niedriger. So hatten im Bezirk der Ärztekammer der Provinz Hannover bis zum Mai 1905 von 431 Ärzten nur 136 (31,5%) ihre Unterschrift geleistet,254 in der Provinz Westpreußen waren es ebenfalls nur 138 von weit über 400 Ärzten, gleichermaßen im Regierungsbezirk Posen unter 50%. 255 In der Provinz Westfalen hatten sich zwar fast 80% der Ärzte für das Wirken der Vertragskommissionen erklärt, damit auch akzeptiert, daß sie beabsichtigte Bewerbungen bei Krankenkas­ sen der zuständigen Kommission vorher schriftlich mitteilen und ihr Verträ­ ge zur »Genehmigung« vorlegen mußten,256 aber den zentralen Revers des Leipziger Verbandes, der sie verpflichtete, keine gesperrte Kassenarztstelle anzunehmen, hatten nur 59,6% unterschrieben.257 Auch im Ärztekammer­ bezirk Berlin/Brandenburg stieß die Unterzeichnung des Reverses auf »viel­ fachen Widerspruch«; über den Prozentsatz der geleisteten Unterschriften wurde nichts bekannt.258 Zum einen ist die unterschiedliche Bereitschaft der Ärzte, den Schutz- und Trutz-Bündnissen beizutreten, auf den unterschiedlichen Industrialisie­ rungsgrad der jeweiligen Region zurückzuführen. In den überwiegend länd­ lichen Provinzen Hannover, Westpreußen und Posen war der Prozentsatz der versicherten Bevölkerung sehr viel niedriger als in industriellen Bal­ lungsräumen, die Auswirkungen der GKV auf die ärztliche Tätigkeit für viele Ärzte nicht oder zumindest sehr viel abgeschwächter spürbar,259 und entsprechend geringer das Verständnis für die Aktivitäten des Leipziger Verbandes und der Vertragskommissionen. Zum anderen hängt der mancherorts für die Ärztefunktionäre enttäu­ schend niedrige Prozentsatz der Unterzeichner von Verpflichtungsscheinen auch mit der regional und lokal unterschiedlichen Position der Ärzte bei den Kassen und der ebenso unterschiedlichen Einigkeit der Ärzte untereinander zusammen. So war die Lage in Berlin gekennzeichnet durch eine scharfe innerärztliche Fraktionsbildung zwischen dem »Verein Berliner Kassenärz­ te«, einer Vereinigung von Gewerksärzten, die an ihrer fixierten Position festzuhalten wünschten, und dem »Verein der freigewählten Kassenärzte Berlins«, der die Ausdehnung der freien Arztwahl verfolgte.260 Auch in der Provinz Westfalen bildeten die Knappschaftsärzte, die ihre Stellung gegen287 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

über den Knappschaftsverbänden mehrheitlich beibehalten wollten und die freie Arztwahl ablehnten, eine wichtige Fraktion innerhalb der Ärzteschaft und waren kaum zur Unterzeichnung eines Verpflichtungsscheins zu bewe­ gen, durch den sie im gegebenen Falle gezwungen werden konnten, die Bewegung für freie Arztwahl zu unterstützen. Zudem spielte es eine Rolle, ob die meisten Ärzte eines Ortes mit ihren Kassenverträgen zufrieden waren, wie es sowohl in ländlichen Regionen als auch im westfälischen Industrierevier vorkam. War das der Fall, bestand naturgemäß wenig Neigung, auf das Recht des freien Vertragsabschlusses zu verzichten und jede Vertragserneuerung oder -änderung der Vertragskom­ mission zur Genehmigung vorzulegen. Umgekehrt waren die Ärzte, die sich in drückender Abhängigkeit von der Willkür eines Kassenvorstandes fühlten, eher zu kollektivem Vorgehen und dem entsprechenden Verzicht auf individuelle Vertragsabschlüsse bereit. Wenn auch die Erfolgsquote nicht durchgängig bei 95 bis 98% sämtlicher Ärzte lag, war es Vertragskommissionen und Leipziger Verband doch inner­ halb relativ kurzer Zeit gelungen, einen großen Prozentsatz der Ärzte hinter sich zu bringen, den Krankenkassen geschlossene ärztliche Organisationen als Vertragspartner entgegenzustellen und die Publizität der Auseinanderset­ zungen ungeheuer zu erhöhen. D amit verbunden war eine wesentliche Verschärfung in Ton und Stil der Konflikte mit Krankenkassen. In einem den Kölner Kassenkonflikt 1903/04 behandelnden Artikel im Ärztlichen Vereinsblatt, der in dieser Hinsicht als symptomatisch gelten kann, war unter der Überschrift »Vom Kölner Kriegsschauplatz« von den »ärztlichen Kämpfern« und vom »Häuflein der Streiter« die Rede, das nicht durch die »Heimtücke rücklings etwa einbrechender Ärzte« »niedergemacht« werden dürfe.261 Die gleiche Wortwahl und Metaphorik kennzeichnete auch man­ che Reden und Debattenbeiträge auf den Ärztetagen, z. Β. die Eröffnungsre­ de des Vorsitzenden zum Kölner Ärztetag 1903, die mit den Worten schloß: »›Keine Sonderbündelei, sondern treue Kriegskameradschaft! D as sei Lo­ sung und Feldgeschrei!«262 Die härtere Gangart der Ärzte bei Konflikten mit Krankenkassen war aber keineswegs nur eine Frage der Tonart und Wortwahl, sie wirkte sich auch im konkreten Vorgehen der Ärzteorganisation aus. Hatten früher die beteilig­ ten Ärzte bei Arbeitsniederlegungen stets nur ihre kassenärztliche Tätigkeit eingestellt, die Kassenkranken dagegen als Privatpatienten nach den Hono­ rarsätzen der Minimaltaxe weiterbehandelt,263 so fand 1903 bei der Geraer Textil-Betriebskrankenkasse der erste »Streik« statt, bei dem die Ärzte jegliche Hilfeleistung verweigerten, und nur noch in Fällen akuter Lebens­ gefahr zur Verfügung standen. Bei dem Geraer Streik, dem ersten übrigens, der ganz offiziell vom Leipziger Verband unterstützt wurde, kritisierte die Redaktion des Ärztlichen Vereinsblattes dieses Vorgehen noch als »schweren taktischen Fehler«, da man sich damit alle Sympathien in der Öffentlichkeit verscherze,264 doch als nicht einmal ein Jahr später die Leipziger Ärzte in 288 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

dem wohl spektakulärsten Ärztestreik genau dasselbe Prinzip anwandten, fand das Vereinsblatt daran schon nichts mehr auszusetzen. Die Leipziger Kassenärzte hatten am 1. April 1904 an ihren Türen folgen­ den Anschlag angebracht: »Mitglieder der Ortskrankenkasse und deren Familienangehörigen werden nicht behandelt, weder umsonst noch gegen Bezahlung - solange der Streit zwischen Kasse und Ärzten nicht beigelegt ist.« Nur noch erste Hilfe in Notfällen wurde geleistet.265 Wie war es zu diesem Ausstand, an dem sich 231 von 233 Leipziger Kassenärzten beteiligten und dessen Verlauf und Ausgang für die Weiterent­ wicklung des Leipziger Verbandes höchst bedeutsam waren, gekommen? Schon seit längerem herrschte zwischen der Leipziger Ärzteschaft und dem Vorstand der mit 1900 rund 132000 Mitgliedern266 größten Ortskranken­ kasse im D eutschen Reich ein äußerst gespanntes Verhältnis,267 so daß es schon wiederholt zum Ausbruch von Streitigkeiten gekommen war, zuletzt 1901. An der damals durchgeführten Arbeitsniederlegung - Mitglieder der Kasse wurden seit dem 5. April 1901 nur noch als Privatpatienten behandelt - beteiligten sich aber 52 Kassenärzte, rund ein Viertel, gar nicht, weil sie den Anlaß des Konflikts für zu geringfügig hielten. D adurch wurden die Er­ folgsaussichten der Ärzte von vornherein erheblich gemindert. Hinzu kam noch eine ganze Anzahl auswärtiger Ärzte, die zu kassenärztlicher Tätigkeit in Leipzig bereit waren, so daß der Leipziger Ärzteschaft gar keine andere Wahl blieb als auf einen KompromißVorschlag der Kreishauptmannschaft am 24. April einzugehen, bei dem sie von ihren Forderungen die meisten nicht durchsetzen konnte.268 Ganz anders war die Ausgangslage vor dem großen Leipziger Ärztestreik von 1904. Hier hatte sich der Konflikt entwickelt, weil die Leipziger Kassen­ ärzte eine ihnen vom Kassenvorstand anläßlich einer Beitragserhöhung angebotene Erhöhung der Pro-Kopf-Pauschale von 4,50 auf 5,50 Mk. pro Jahr für zu gering erklärten und im Gegenzug eigene Forderungen aufstell­ ten: Einführung der freien Arztwahl; Festsetzung der Pauschale auf 4 Mk. pro Jahr für das unverheiratete und 12 Mk. für das verheiratete Mitglied. Als der Kassenvorstand im November 1903 diese ärztlichen Forderungen rund­ weg ablehnte, kündigten 231 von 233 Kassenärzten ihre Verträge zum 1. April 1904; gleichzeitig war es gelungen, 98% sämtlicher Leipziger Ärzte (über 350) zum Abschluß eines »Schutz- und Trutz-Bündnisses« zu bewe­ gen, dem auch die meisten Mitglieder der medizinischen Fakultät beigetre­ ten waren, so daß der Kassenvorstand für den Konfliktfall auch nicht mehr auf eine gesteigerte Tätigkeit der universitären Polikliniken rekurrieren konnte.269 Die Monate bis zum vorgesehenen Rücktrittstermin der Kassenärzte, dem 1. April, waren ausgefüllt mit verschiedenen vergeblichen Einigungs­ versuchen von behördlicher Seite, sowie mit den Bemühungen des Kassen­ vorstandes, durch Anwerbung neuer Ärzte von auswärts eine Vertragser­ neuerung mit den alten Kassenärzten überflüssig zu machen und das D i289 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

striktarztsystem mit einer geringeren Anzahl von Ärzten, die dafür eine beamtenähnliche Position erhalten sollten, einzuführen. Nachdem die Kasse Zeitungsmeldungen zufolge Mitte März schon 75 Ärzte angeworben hatte, erklärte die Kreishauptmannschaft in einem Erlaß vom 14. März ihr Einver­ ständnis damit, mit dieser Anzahl von Ärzten ab 1. April versuchsweise für einen Monat die kassenärztliche Versorgung durchzuführen. In einem wei­ teren Erlaß vom 23. März bezeichnete der Kreishauptmann das jetzt einge­ führte System der Distriktärzte als »endgültige Maßregel« und den Kampf der alten Kassenärzte dagegen als »aussichtslos« und polemisierte überdies scharf gegen das Schutzbündnis der Ärzte.270 Obwohl solche behördliche Stellungnahmen, die nach Meinung vieler Ärzte ihr Koalitionsrecht in Frage stellten, den Versuchen der Kasse, weitere Ärzte zu gewinnen, förderlich sein mußten, konnte der Kassenvorstand am 1. April 1904, als der Ausstand begann, statt der geforderten 75 Distriktärzte nur 54 nachweisen, von denen vier noch nicht einmal eingetroffen waren. Dazu wurden drei Beratungsstellen mit drei Oberärzten und neun Assi­ stenzärzten eröffnet. Es war klar, daß diese 62 Ärzte für die medizinische Betreuung von -unter Einschluß der Familienangehörigen - ca. 400000 Menschen271 unmöglich ausreichen konnten. Eine offensichtliche Kalkulation des Kassenvorstandes, daß im April, wenn es erst ernst würde, von den gekündigten alten Kassen­ ärzten doch noch eine Anzahl »umfallen« und der Kasse ihre Dienste weiter zur Verfügung stellen würde, trat ebenfalls nicht ein.272 Obwohl am 13. April durch einen Beschluß der Generalversammlung die freie ärztliche Behandlung der Familienmitglieder - eine Errungenschaft, auf die die Kasse bisher sehr stolz gewesen war- aufgehoben wurde, häuften sich die Beschwerden von Kassenmitgliedern über unzureichende ärztliche Versorgung273 und zwangen die Aufsichtsbehörde bald zum Eingreifen. Am 16. April erging eine »sehr dringliche« Aufforderung an den Kassen­ vorstand, die Zahl der Kassenärzte zu erhöhen. Als erforderlich wurden 112 Ärzte, darunter zwölf Spezialisten bezeichnet, und dem Kassen vorstand zur Auflage gemacht, bis zum 25. April mindestens 98 Ärzte, darunter zwölf Spezialärzte, nachzuweisen. Erneut begann eine fieberhafte Suche des Kassenvorstandes nach weiteren vertragsbereiten Ärzten, denen glänzende Bedingungen versprochen wur­ den: ein Mindestgehalt von 6000 Mk. jährlich, längere Vertragsdauer, Bei­ trag zu den Umzugskosten, Gestattung der Privatpraxis.274 Unterstützt wurde der Kassenvorstand in seinen Bemühungen von den schon angewor­ benen Distriktärzten, die sich zu einer »Vereinigung der neuen Kassenärzte« zusammengeschlossen hatten und mehrere Aufrufe erließen, in denen sie das neue D istriktarztsystem als vorbildlich lobten und die Ansicht vertraten, daß, wenn im Reich nur einigermaßen wahre Nachrichten über die Leipzi­ ger Verhältnisse bekannt wären, das Angebot an Ärzten den Bedarf der Ortskrankenkasse bei weitem übertreffen würde. 290 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Die Bemühungen der Gegenseite, des Leipziger Verbandes, jeden Zuzug von Leipzig fernzuhalten, waren aber genauso intensiv und dazu erfolgrei­ cher. D enn die Kasse konnte am 25. April, dem Tag des behördlichen Ultimatums, ihren Mitgliedern, nachdem zwei Tage vorher noch vier D i­ striktärzte abgesprungen waren, lediglich 73 Ärzte, und nicht die geforderte Mindestzahl von 98, zur Verfügung stellen. Da die Kassen gesetzlich verpflichtet waren, ihren Mitgliedern freie ärztli­ che Hilfe in natura zu gewähren, mußte diese Situation einer offenbaren ärztlichen Unterversorgung ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde nach § 56 a KVG nach sich ziehen. D ie Kreishauptmannschaft nahm auch schon einen Tag nach Ablauf des Ultimatums Verhandlungen mit den alten Leipzi­ ger Kassenärzten auf und schloß am 7. Mai 1904, da der Kassenvorstand zunächst auf weiteren Verhandlungen bestand, selber in Vertretung des Kassenvorstandes mit der Leipziger Ärzteschaft einen neuen Vertrag ab, in dem prinzipiell die freie Arztwahl eingeführt wurde - allerdings wurde eine Höchstgrenze von 375 Ärzten festgelegt - und zudem die Honorarsätze kräftig angehoben wurden, jedenfalls weit über den ursprünglichen Vor­ schlag des Vorstandes vom Herbst 1903 hinaus.275 Nach gut fünfwöchiger D auer hatte der Ausstand mit einem Sieg der Ärzteschaft auf der ganzen Linie geendet, was eindeutig der Geschlossenheit der Ärzte, sowohl in Leipzig als auch im ganzen Reich, zuzuschreiben war. Daß die Kasse bei einer Gesamtzahl von 28000 deutschen Zivilärzten keine hundert fand, die bereit waren, in Leipzig eine lukrative Kassenarzttätigkeit aufzunehmen, und das trotz der nach wie vor ungünstigen wirtschaftlichen Lage vieler Ärzte und obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal die Hälfte im Leipziger Verband organisiert war, lag sicherlich in erster Linie an der starken sozialen D iskriminierung sog. »Streikbrecher«, die »den käm­ pfenden Ärzten in den Rücken fallen«. D en »Streikbrechern«, wie vertrags­ bereite Ärzte schon in früheren Auseinandersetzungen verächtlich tituliert wurden, war der Abbruch jeglicher kollegialer Beziehungen gewiß; die »Erwerbung sonstiger kassenärztlicher oder privater Praxis (wurde) ihnen aufs äußerste erschwert«,276 so daß sie in hohem Grade von ihrem Arbeitge­ ber, dem Kassenvorstand, abhängig wurden. Wegen der Tragweite des Leipziger Konflikts wurden in diesem Falle alle Ärzte besonders eindringlich vor der Annahme einer Stelle bei der Leipziger Ortskrankenkasse gewarnt. Im April erschien in den wichtigsten deutschen Tageszeitungen eine Anzeige des Ärztevereinsbund-Vorsitzenden, Prof. Löbker, die mit den Worten en­ dete: »Die alte Leipziger Ärzteschaft hat in ihrem gegenwärtigen Kampfe die volle Zustimmung und das unbedingte Vertrauen des Deutschen Ärztever­ einsbundes. Dieser erwartet, daß kein Arzt mehr nach Leipzig geht, welcher es ehrlich mit seinem Stande meint, und auf Standesehre hält.« 277 Zu dieser öffentlichen Verurteilung jedes Arztes, der es wagte, dem »Lockruf«278 der Kasse zu folgen, kamen die gezielten Maßnahmen des Leipziger Verbandes in jedem Einzelfalle. Ein großer Teil der sog. »Nothel291 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

fer« waren nach dem Urteil des langjährigen Generalsekretärs des Leipziger Verbandes, Georg Kuhns, solche Ärzte, die entweder zu wenig über die Ziele der organisierten Ärzteschaft wußten und sich der Tragweite ihres Schrittes nicht bewußt waren, oder solche, die durch Abschluß eines Nothelfervertra­ ges aus einer mißlichen wirtschaftlichen Lage herauszukommen suchten.279 In beiden Fällen gab es für den Leipziger Verband, in Zusammenarbeit mit der lokalen Ärzteorganisation, Möglichkeiten zur Einflußnahme, durch Aufklä­ rung und Information, durch Vermittlung einer aussichtsreichen Arztpraxis, durch Gewährung eines großzügigen D arlehens oder Zahlung einer Abfin­ dungssumme. D abei wurden offenbar keine Kosten noch Mühen gescheut. So berichtet Kuhns von einem jungen Arzt in einer westfälischen Stadt, chirurgisch gut vorgebildet und sehr fleißig, aber aus verschiedenen Gründen stark verbittert, den der lokale Vertrauensmann und andere Kollegen nicht von seiner Absicht, einen Nothelfervertrag für das vom Streik bedrohte Halle a. S. zu unterzeichnen, abbringen konnten. Auftelegraphische Aufforderung hin kam dann der Generalsekretär des Leipziger Verbandes selber aus Leipzig angercist, und nach ausgiebiger Aussprache konnte noch in der Nacht eine verbindliche Vereinbarung über den Verzicht des Arztes auf den Kassenver­ trag gegen »angemessene Gegenleistung« schriftlich niedergelegt werden. Als am nächsten Morgen der Vorsitzende der Hallenser Kasse erschien, um den fertig ausgearbeiteten Kassenvertrag zu unterzeichnen, kam er um einige Stunden zu spät.280 Hatte ein Arzt aber doch einen »Nothelfervertrag« abgeschlossen, konnten an seinem neuen Arbeitsplatz herbe Enttäuschungen auf ihn warten. Da es den Kassen in Konfliktfällen vielfach nicht gelang, eine genügende Anzahl von Ärzten für die Versorgung ihrer Mitglieder zu finden, waren die »Nothelfer« häufig total überlastet. Das brachte auch in Leipzig mehrere Distriktärzte sehr bald zur Aufgabe ihrer schon angetretenen neuen Stellung. So schrieb Dr. Braemer zur Begründung dieses Schritts: »D ie Zahl der mir zufallenden Kranken war vom ersten Tage meiner Tätigkeit an eine so große, daß ich nur die beiden Möglichkeiten hatte, entweder die Kranken flüchtig und unsach­ gemäß zu behandeln und damit mein ärztliches Gewissen zu belasten, oder aber Tag und Nacht zu arbeiten und mich körperlich und geistig aufzu­ reiben. « 281 Zu dieser Arbeitsüberlastung kamen die weiterhin fortgesetzten Versuche des Leipziger Verbandes, durch Zahlung von Abfindungssummen Ärzte zum Rücktritt von ihrem Vertrage zu bewegen. In solchen Fällen trat der Leipziger Verband auch bei etwaigen nachträglichen gerichtlichen Auseinandersetzun­ gen wegen Vertragsbruches für die betroffenen Ärzte ein.282 Um die Zahlung einer »mit der Zeit sich leider stark erhöhenden Abfindungssumme« kam die Verbandsleitung meist nicht herum.283 Allein die Kämpfe des Jahres 1904 kosteten den Leipziger Verband rund eine Mio Mk., wovon der größte Teil »zum Unschädlichmachen der Streikbrecher, weniger zur Entschädigung der arbeitslos Gewordenen« diente.284 292 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Angesichts solchen Aufwands ist es eigentlich eher erstaunlich, daß in Leipzig in den knapp vier Wochen vom Beginn des Streiks bis zum behördli­ chen Ultimatum nur vier Distriktärzte wieder absprangen. In einem anderen Konflikt des Jahres 1904, in Solingen, hatten die Ärzte zunächst eine empfindliche Schlappe hinnehmen müssen, weil es dem Kas­ senvorstand gelungen war, an die Stelle der freien Arztwahl sechs beamtete Ärzte, die unter Ausschluß der Privatpraxis für die Kasse tätig sein sollten, zu setzen. Nachträglich gewannen die Ärzte den Konflikt aber doch noch, weil schon nach kurzer Zeit bei dreien der sechs Ärzte »die drückende Abhängigkeit, die ärztliche Überbürdung und die gesellschaftliche Isolie­ rung« ihre Wirkung getan hatten. Sie wandten sich an den Leipziger Ver­ band mit der Bitte, ihnen die Mittel zu gewähren, um aus ihren Verlegenhei­ ten herauszukommen, sich eine Praxis zu gründen und »wieder als Kollegen und Mitglieder des Leipziger Verbandes ihr Haupt erheben zu können«.285 Als der Verband daraufhin sofort ein großzügiges Darlehen gewährte, kün­ digten die drei Ärzte ihren Vertrag mit der Kasse auf. D a es dieser nicht gelang, Nachfolger für die ausgeschiedenen beamteten Ärzte zu finden, schritt in Solingen wie auch in Leipzig die Aufsichtsbehörde ein und schloß einen Kontrakt mit den alten Solinger Ärzten ab. 286 Das konkrete Verhalten der Aufsichtsbehörden in Konfliktfällen, das ja letztlich über den Ausgang eines Kampfes entschied, wurde, wie nicht anders zu erwarten, von den kämpfenden Parteien durchaus kontrovers beurteilt. Während die Ärzte beispielsweise den Erlaß des Leipziger Kreis­ hauptmanns vom März 1904, in dem er das Distriktarztsystem als »endgülti­ ge Maßregel« bezeichnete, als einseitige Parteinahme scharf angriffen,287 war der Vorsitzende des Verbandes der Ortskrankenkassen, Julius Fräßdorf, der Ansicht, die Regierung habe sich bis zum April objektiv und unpar­ teiisch verhalten, um dann plötzlich einen Schwenk zu vollziehen und für die Ärzte Partei zu ergreifen, indem sie den Nachweis von 98 Ärzten verlang­ te. 288 Nach Meinung eines Autors in der sozialdemokratischen »Neuen Zeit« stellte der Vertragsabschluß, den der Kreishauptmann am 7. Mai anstelle des Kassenvorstandes mit den Leipziger Ärzten vorgenommen hat­ te, ein »selbstherrliches« Vorgehen dar und kam einem Versuch, das »Selbst­ verwaltungsrecht des Ortskrankenkassenwesens zu erdrosseln«, gleich.289 Den Ärzten dagegen gingen die Anordnungen der Oberbehörde noch längst nicht weit genug. D enn der Kreishauptmann hatte von vornherein betont, daß wegen der nötigen »Rücksichtnahme auf das öffentliche Rechts­ bewußtsein« eine Entfernung der einmal eingestellten neuen D istriktärzte aus dem Kassendienst nicht in Frage kommen könne.290 Dementsprechend war in dem Kontrakt zwischen dem Kreishauptmann und der Leipziger Ärzteschaft ausdrücklich vorgesehen, daß die D istriktärzte ihre fixierten Einkünfte von 6000-8000 Mk. aus der für die ärztliche Honorierung insge­ samt zur Verfügung stehenden Pauschalsumme erhalten mußten, auch wenn ihnen vielleicht aufgrund ihrer Einzelleistungen längst nicht so viel zustehe. 293 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Durch diese Regelung fiel der Sieg der Ärzte längst nicht so glänzend aus, wie er sich auf den ersten Blick darstellte; in materieller Hinsicht war es eher ein Pyrrhussieg. D enn da die Familienbehandlung zunächst nicht wieder eingeführt wurde, belief sich die ärztliche Gesamtpauschale auf rund 700000 Mk., wovon der Löwenanteil von rund 450000 Mk. für die Gehälter der Distriktärzte und den Unterhalt der von der Kasse geschaffe­ nen Beratungsanstalten abging, so daß nur noch 250000 Mk. für die alten Leipziger Ärzte, nun nach Einführung der freien Arztwahl rund 300, übrig blieben, jedenfalls weniger, als sie vor dem Streik von der Kasse bezogen hatten.291 D ie Lage für die Ärzte besserte sich erst, als im Mai 1905 der »Sanitätsverein«, den die Kasse für die Behandlung der Familienangehöri­ gen gegründet hatte und in dem nur die neuen D istriktärzte behandeln durften, aufgehoben und gleichzeitig die Beratungsstellen geschlossen wurden und stattdessen wieder die Familienbehandlung in der alten Form eingeführt wurde. 292 Wenn die Leipziger Distriktärzte auch nicht dauernd von der Kassenpra­ xis ausgeschlossen wurden wie ihre Solinger Kollegen,293 blieb ihre Lage doch nach wie vor prekär. D ie fortdauernde gesellschaftliche Isolierung, die Abhängigkeit vom Kassenvorstand und vor allem der Zusammenbruch des D istriktarztsystems durch die Einführung der freien Arztwahl ließen viele von ihnen, insbesondere diejenigen, die überzeugte Anhänger des Systems festangestellter Ärzte gewesen waren, resignieren. Jedenfalls wa­ ren nach nur einem Jahr von den 88 festangestellten Ärzten 38 wieder verschwunden.294 Mit Genugtuung konnte Hartmann daher in seinem Ge­ schäftsbericht für 1904 registrieren, daß das Gros der noch übrigen Streik­ brecher in Leipzig und auch anderswo sich »aus ehrengerichtlich Bestraf­ ten, Überschuldeten, Morphinisten und Alkoholisten« zusammensetzte.295 Nach dem für die Ärzte erfolgreichen Ausgang des Leipziger Kampfes sowie einer Auseinandersetzung in Köln im selben Jahr 296 schnellte daher nicht nur die Mitgliederzahl des Hartmannbundes um einige Tausend in die Höhe; gleichzeitig nahm auch die Bereitschaft von Ärzten ab, die sich eine Existenz aufbauen oder sich verändern wollten, den lockenden Angeboten von Kassen, die im Konflikt mit der ortsansässigen Ärzteschaft standen, zu folgen. Daher genügte es in der Folgezeit für den Leipziger Verband meistens, über Orte, in denen die Ärzte bei Vertragserneuerung die freie Arztwahl oder Honorarerhöhungen durchsetzen wollten, eine Sperre zu verhängen, d.h. durch Aufnahme in die »Cavete-Liste« den Zuzug auswärtiger Ärzte nach solchen Orten zu verhindern. Zu »Streiks« kam es nur noch selten, weil meist schon die Androhung eines Streiks genügte, um die betreffende Kasse zum Einlenken zu zwingen. D ie stolze Erfolgsbilanz des Leipziger Verbandes - von 1022 Konfliktfällen in den Jahren 1900 bis 1911 wurden nach verbandsinternen Aufstellungen 921 gewonnen297 - beruhte nur zum geringsten Teil auf offenen Arbeitskonflikten, zum größten Teil dagegen 294 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

auf Streitigkeiten zwischen Kassen und Ärzten, die die Ärzte aufgrund ihrer Organisationsmacht für sich entscheiden konnten. Die Tatsache, daß den Kassen durch Gesetz auferlegt war, ihren Mitglie­ dern ärztliche Hilfe zu gewähren, während die Ärzte in keiner Weise ver­ pflichtet waren, den Krankenkassen ihre Hilfe zur Verfügung zu stellen, brachte die Kassen von vornherein in eine gewisse »Zwangslage«, welche die Ärzte »nach Kräften ausnutzten«, wie der Verband rheinisch-westfäli­ scher Betriebskrankenkassen 1907 monierte.298 Der Kassenverband glaubte daher ein »Übergewicht« der Ärzte im Verhältnis von Kassen und Ärzten ausmachen zu können, da der Leipziger Verband teilweise den Kassen schon die Bedingungen des ärztlichen Dienstes diktieren könne.299 Ein wichtiges Instrument, das mit zu dieser dramatischen Verschiebung der Machtbalance zwischen Kassen und Ärzten innerhalb weniger Jahre beigetragen hatte, war die kostenlose Stellenvermittlung des Leipziger Ver­ bandes. Immerhin wurden in den Jahren 1904 bis 1909 insgesamt 11791 Stellen (Assistenzarzt-, Vertreter- und Praxisstellen) vermittelt.300 D adurch wirkte der Verband direkt und indirekt dem Streikbruch entgegen. Indirekt, indem er zur Verteilung der jungen Ärzte nach dem realen Bedarf und so zur Vermeidung unnötiger Konkurrenz beitrug; direkt, indem er von allen, die die kostenlose Stellenvermittlung in Anspruch nahmen, die Verpflichtung verlangte, auf die Annahme von gesperrten Kassenarztstellen zu verzichten. Damit wurde eine wichtige Gruppe von Ärzten, die noch nicht etablierten, die wegen ihrer Mobilität eine besondere Gefahr für ein geschlossenes Vorgehen der Ärzteschaft darstellten, in die Politik des Verbandes integriert. Die Stellenvermittlung war nur eine Aktivität von vielen, die der Verband außerhalb von Konflikten mit Kassen entfaltete. Zusätzlich richtete er eine Darlehens- und Sterbekasse, sowie eine Witwen- und Waisenkasse ein, organisierte eine Rechtsauskunftei und rief 1906 eine Vereinsbuchhandlung mit eigenem Verlag ins Leben, die zur möglichst billigen Verbreitung von Propagandaschriften und Informationsbroschüren dienen sollte.301 Außer­ dem gelang es dem Verband, noch im erstenjahrzehnt seines Bestehens, eine Reihe von Tarifverträgen auf Reichsebene abzuschließen: den ersten Ende 1906 mit den deutschen Reedereien, und zwar mit dem Norddeutschen Lloyd, der Hamburg-Amerika-Linie und weiteren Gesellschaften. D ie Ver­ träge regelten das Gehalt und den Status von Schiffsärzten, die künftig den Rang eines ersten Offiziers hatten.302 Ein weiterer Tarifvertrag wurde 1907 auf zentraler Ebene mit dem Verband kaufmännischer Hilfskassen abge­ schlossen;303 ein dritter schließlich am 28. D ezember 1908 erst nach Kampf­ maßnahmen mit dem Verbande deutscher Lebensversicherungsgesellschaf­ ten, in dem es um einheitliche Grundsätze für die Erstellung und Honorie­ rung ärztlicher Gutachten bei abzuschließenden Lebensversicherungen ging. 304

Durch die in harten gewerkschaftlichen Aktionen erfochtenen konkreten materiellen Verbesserungen gelang es dem Leipziger Verband teilweise, die 295 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

internen Interessenkonflikte, die sich im Gefolge der Sozialversicherung zwischen einzelnen Ärztegruppen ergeben hatten, zu neutralisieren. Trotz­ dem blieb eine nicht unbeträchtliche Zahl von Ärzten skeptisch gegenüber der Verbandspolitik eingestellt. D ie Auswirkungen dieser Politik auf den inneren Zusammenhalt der Ärzteschaft gilt es abschließend zu analysieren. c) Die Auswirkungen der Verbandspolitik auf die Kohärenz der Ärzteschafi Nachdem sich der Leipziger Verband ziemlich bald auf den Boden der freien Arztwahl gestellt hatte, mußte er mit der Gegnerschaft oder zumindest der Nichtteilnahme all der fixierten Kassenärzte rechnen, die aufgrund relativ günstiger Verträge mit den Kassen ihre derzeitige Position nicht gegen das System der freien Arztwahl eintauschen wollten. Tatsächlich hielt sich ein großer Teil der Knappschaftsärzte, der Bahnärzte und anderer fest angestell­ ter Kassenärzte zunächst vom Verband fern.305 Das Instrument, mit dem es dem Leipziger Verband gelang, die Mehrzahl dieser Ärzte schließlich doch in den Verband zu integrieren, waren die von ihm erkämpften Honorarerhö­ hungen, die schließlich auch den fest angestellten Ärzten zugute kamen. Wurde zudem die Einführung der freien Arztwahl zusammen mit einer Anhebung der Gebührensätze gefordert, mußten die bisherigen Monopol­ stelleninhaber mitunter selbst beim Wechsel zur freien Arztwahl keine mate­ riellen Einbußen hinnehmen: D as, was sie durch Verallgemeinerung der Kassenpraxis auf alle ortsansässigen Ärzte eventuell abgaben, wurde wett­ gemacht durch die höhere Bezahlung für jede Einzelleistung. Vielfach ver­ suchte der Verband auch, die fixierten Ärzte durch sog. »Besitzstandsklau­ seln« für die freie Arztwahl zu gewinnen. So beschloß der Ärztevereinsver­ band im Regierungsbezirk D üsseldorf am 12. April 1904 in fünf Leitsätzen zur Kassenfrage, daß »Kollegen, die durch jene Organisation (die freie Arztwahl, C. H.) gefährdet oder beeinträchtigt werden, sicherzustellen . . . sind«. D iesen Kollegen müsse ihr »bisheriges kassenärztliches Einkommen bis zu einer gewissen Höhe (50-90%) und auf eine gewisse Reihe von Jahren« garantiert werden.306 Ebenso empfahl der Ärztetag in Münster 1907 die Vereinbarung von »Entschädigungsgarantien«, um wirtschaftliche Nachteile für die beteiligten Ärzte bei Einführung der freien Arztwahl zu verhindern.307 Auch die vom Leipziger Verband vielerorts durchgesetzte und organisier­ te ärztliche »Sonntagsruhe«, d.h. die Einrichtung eines ärztlichen Bereit­ schaftsdienstes an den Sonntagnachmittagen, wodurch die Ärzte, die nicht gerade Bereitschaft hatten, über einen freien Tag verfügen konnten, lag nicht speziell im Interesse einer Ärztegruppe, sondern aller Ärzte, auch der festan­ gestellten.308 Durch solche Maßnahmen und konkreten Erfolge wurde schließlich auch ein großer Teil der Ärzte für den Verband gewonnen, der ihm zunächst 296 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

skeptisch gegenübergestanden hatte. Für die Knappschaftsärzte gab etwa der Wattenscheider Arzt Beckhaus, selber Knappschaftsarzt, auf der Haupt­ versammlung des Leipziger Verbandes in Halle 1906 zu, daß die Knapp­ schaftsärzte mittelbar die Aufbesserung ihrer Honorare dem Wirken des Leipziger Verbandes verdankten, und er betonte, schon deshalb seien die Knappschaftsärzte keine Gegner des Verbandes, im Gegenteil, die allermei­ sten seien sogar Mitglieder.309 »Beruhigend« hatte nach den Worten von Beckhaus in den Kreisen der Knappschaftsärzte vor allem die mehrfache Zusicherung des Leipziger Verbandes gewirkt, nirgendwo gegen den Willen der beteiligten Ärzte die freie Arztwahl mit Kampfmaßnahmen durchsetzen zu wollen. Denn obwohl zum großen Teil Mitglieder des Verbandes, waren die Knappschaftsärzte deshalb noch keineswegs zu Verfechtern der freien Arzt­ wahl geworden. Obwohl wahrscheinlich der innerärztliche Widerstand ge­ gen die freie Arztwahl zusammenschmolz, je mehr diese sich ausbreitete, standen doch auch im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts die Ärzte den Krankenkassen keineswegs als monolithischer Block gegenüber. Zwar könnten manche Ärztetagsbeschlüsse diese Annahme suggerieren, beson­ ders ein 1903 einstimmig(!) angenommener Antrag, wonach der Ärztetag von seinen Vereinen erwartete, »daß sie ihre Mitglieder verpflichten, sich jeglicher Stellungnahme gegen die D urchführung der freien Arztwahl zu enthalten«.310 Auf dem Ärztetag 1907 in Münster meldeten sich dagegen wieder auch Gegner der freien Arztwahl, zumindest aber Skeptiker zu Wort und brachten die bekannten Argumente gegen dieses Arztsystem vor. 311 D er Knapp­ schaftsarzt Beckhaus bezweifelte vor dem Forum des Ärztetages, daß wirk­ lich nur eine kleine Minorität der Ärzte gegen die freie Arztwahl sei, und vermutete »unter den älteren Landärzten und unter den Ärzten in kleineren Städten noch Hunderte und viele Tausende . . ., die in der freien Artzwahl nicht das allein beglückende und erlösende Moment finden«.312 Ebenso meinte sein Berliner Kollege Haker, daß die einstimmigen Beschlüsse der voraufgegangenen Ärztetage »eigentlich eine Täuschung« gewesen seien, weil die Gegner ihre abweichende Haltung nicht genügend zum Ausdruck brächten oder weil vielleicht mit geringer Majorität gewählte Delegierte die Meinung der großen Minderheit nicht mit verträten.313 Obwohl an dem Bild vom einmütigen Zusammenstehen der Ärzteschaft durchaus Korrekturen angebracht werden müssen, war doch zweifellos die innerärztliche Opposition gegen die freie Arztwahl in den 90er Jahren noch viel stärker gewesen als zehn Jahre später. D as hing damit zusammen, daß die Zahl der fixierten Ärzte, die meist aus materiellen Eigeninteressen Geg­ ner des Systems der freien Arztwahl waren, kleiner wurde, je mehr dieses System bei den Krankenkassen eingeführt wurde. Leider lassen sich über die Ausdehnung der verschiedenen Arztsysteme auch nach der Jahrhundert­ wende keine exakten Angaben machen. Bekannt ist lediglich, daß es dem 297 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Leipziger Verband von 1904 bis 1909 in mindestens 167 Fällen gelang, durch Kampfmaßnahmen die freie Arztwahl durchzusetzen.314 Auch der Ärzte­ funktionär Magen führte 1908 in einem Artikel aus, daß die freie Arztwahl an Umfang gewaltig zugenommen habe und daß gerade große und größte Städte, unter ihnen München, Frankfurt/M., Köln, Leipzig, D üsseldorf, Mannheim und eine ganze Reihe weiterer Städte, sie mehr oder weniger vollständig durchgeführt hätten. Außerdem hätten in Württemberg nahezu sämtliche Kassen, mit ganz verschwindenden Ausnahmen, keine fixierten Ärzte, sondern freie Arztwahl.315 Regionale Unterschiede müssen aller­ dings nach wie vor bestanden haben: Jedenfalls wurde 1905 aus Westfalen berichtet, daß dort die Kassen mit freier Arztwahl »in der großen Minder­ zahl« seien.316 Nahm auf der einen Seite seit spätestens der Jahrhundertwende die Zahl der Monopolstelleninhaber bei den Kassen ab, blieben auf der anderen Seite die durchweg positiven Erfahrungen der beteiligten Ärzte mit der freien Arztwahl nicht ohne Wirkung auf die Ärzte in solchen Städten, die das Distriktarztsystem eingeführt hatten. Sogar die D resdener D istriktärzte, die, wie mehrfach berichtet, mit ihrer Kasse sehr zufrieden waren und 1904 noch einen »Verein gegen die übereilte Einführung der freien Arztwahl« gebildet hatten,317 rückten allmählich von ihrer bisherigen Position ab: Der ärztliche Bezirksverein in Dresden beschloß 1905 mit allen gegen eine Stim­ me, dem Rat der Stadt die freie Arztwahl für die Neuregelung der ärztlichen Tätigkeit zu empfehlen.318 Wenn nun aber die Zahl der entschiedenen Gegner des Prinzips der freien Arztwahl immer mehr schrumpfte, und wenn großenteils diese Gegner, wie die Knappschaftsärzte, selber Mitglieder im Leipziger Verband waren, so mußten sich die Ärzte, die dem Verband fernblieben, zumindest teilweise aus anderen Gruppen rekrutieren. Zum einen waren dies vermutlich Ärzte, die in gesicherter wirtschaftlicher Position lebten und deshalb kein Interesse und Verständnis aufbrachten für die rein wirtschaftlichen Aktivitäten des Verbandes. 1905 klagte jedenfalls der Geschäftsführer Kuhns in seinem Jahresbericht, in dem er auch auf die Mitgliederentwicklung einging, lebhaft darüber, »daß gerade die beati possidentes schwer zugänglich und zum Teil gar nicht für den Leipziger Verband zu gewinnen sind«. 319 Zum anderen erwuchsen dem Leipziger Verband viele Gegner in solchen Ärzten, die prinzipiell seine Kampfmethoden als mit der »Würde des ärztlichen Stan­ des«, überhaupt eines akademischen Berufes, nicht vereinbar ablehnten. Der Kreisarzt Wengler etwa stritt den Ärzten die Berechtigung zum Streik ab: »Streik ist Kampf. D er Kampf hat aber nur dann innere Berechtigung, wenn sich kampfkräftige Gegner gegenüberstehen . . . Der streikende Arzt hat überhaupt keinen Gegner, sondern nur ein Opfer, die leidende Mensch­ heit.« 320 Der ebenfalls der älteren Ärztegeneration angehörende Sanitätsrat Jonas kritisierte den »krassen Materialismus« des Leipziger Verbandes, der die Wertmaßstäbe der Ärzte völlig verändert habe: Früher sei es um Samari298 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

terdienst und »edles Wohltun« gegangen, heute dagegen drehe sich alles nur um Geld.321 Ferner stellte der Verband nach dem Urteil seiner Kritiker eine Gefahr für die Freiheit des ärztlichen Berufs dar, weil durch sein Vorgehen das Recht der freien Meinungsäußerung eingeschränkt werde. Alle Ärzte, die abwei­ chende Meinungen verträten, würden als »moralisch minderwertig« diskri­ miniert und »mit gemeinen Schimpfworten« belegt.322 D er vom Verband ausgehende Konformitätsdruck äußere sich auch darin, daß Ehrengerichte, Ärztekammern, Vorstände der lokalen Ärztevereine immer stärker nur noch von »linientreuen« Ärzten besetzt würden: »Wer Kammermitglied werden will, muß vorher sich verpflichten, für die freie Arztwahl zu stimmen, sonst wird er von der Liste gestrichen«, behauptete der Verbandskritiker Dr. Jonas 1907.323 Ein besonderes Greuel waren den Gegnern des Leipziger Verbandes die von diesem geförderten ärztlichen Kontrollkommissionen bei den Kranken­ kassen. Schon bei dem Wort »Kontrollkommission« überlief den Kreisarzt Wengler ein »Schauder«,324 da eine derartige Kontrolle sich mit dem Wesen des freien individualistischen Arztberufs überhaupt nicht vertrage; und sein Heidelberger Kollege D resel konnte sich keine »ärgere Bevormundung« denken als die Kontrolle seiner ärztlichen Tätigkeit durch Kollegen.325 Die Kritik am Leipziger Verband gipfelte regelmäßig in dem Vorwurf, er tyran­ nisiere die Ärzte, verlange blinden Gehorsam von allen seinen Mitgliedern und suche die Krankenkassen völlig zu unterjochen. Außerdem machten sich die ärztlichen Kritiker des Leipziger Verbandes auch Sorgen um das Bild, das die Ärzte durch dessen Wirken in der Öffent­ lichkeit darboten, und das wahrscheinlich zu Recht. D enn es kann keines­ wegs als ausgemacht gelten, daß mit den Erfolgen des Leipziger Verbandes auch das Ansehen der Ärzte in der breiten Öffentlichkeit stieg. Vielmehr verscherzten sich die Ärzte viele Sympathien durch die Art und Weise ihres Vorgehens. Das gilt insbesondere für die vom Verband propagierte Verwei­ gerung jeglicher ärztlicher Hilfeleistung gegenüber Kassenmitgliedern in Konfliktfällen mit der jeweiligen Kasse. Schon der Leipziger Kreishaupt­ mann hatte die Ärzteschaft 1904 gewarnt, daß sie durch ein solches Verhalten »das peinlichste Aufsehen erregen und (sich) in Gegensatz zu den Anschau­ ungen der ganzen zivilisierten Welt stellen« würden.326 Als Folge der Technik der organisierten Ärzte, Kassenkranke und ihre Angehörigen überhaupt nicht mehr, auch nicht als Privatpatienten, , ereigneten sich in Leipzig während des Streiks im April 1904 offensichtlich reihenweise Szenen, die von den Gegnern solcher Vorgehens­ weise waidlich ausgeschlachtet wurden, um Stimmung gegen die Ärzteor­ ganisationen zu machen. Schwerkranke habe man vor die Tür gewiesen, Frauen in Blutungen ohne Hilfe liegenlassen, so schilderte der Reichstagsab­ geordnete und Vorsitzende des Ortskrankenkassenverbandes, Julius Fräß­ dorf, in der Reichstagssitzung vom 7. März 1905 die »Rohheiten« während 299 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

des Leipziger Kampfes.327 Auch die »Frankfurter Zeitung« bezeichnete die Taktik der Ärzte im Leipziger Kampf als geradezu »inhuman«.328 Ein weiterer Punkt, der in der Öffentlichkeit weithin auf Unverständnis stieß, war die Handhabung des Koalitionsrechts durch den Leipziger Ver­ band. D as wurde besonders deutlich anläßlich des zweiten großen Ärzte­ kampfes in Köln 1908.329 In Köln war 1904 infolge behördlichen Eingreifens beim ersten Kölner Ärztestreik die freie Arztwahl eingeführt worden, die hier aber keine günstigen Resultate erbrachte. Da die staatliche Behörde den Vertrag mit den Ärzten auf fünf Jahre abgeschlossen und dem Kassenver­ band für diese Zeit das Selbstverwaltungsrecht in Ärztefragen entzogen hatte, kam zwischen Kassen und Ärzten keine Zusammenarbeit in bezug auf die bei freier Arztwahl notwendigen Kontrollinstanzen zustande. Die Folge waren von Jahr zu Jahr ungünstigere finanzielle Abschlüsse der Kassen,330 wofür Ärzteschaft und Kassenverband sich gegenseitig verantwortlich machten. D er Kassenverband strebte, da die derzeitigen Zustände »unhalt­ bar« geworden seien, für die Zeit nach dem Vertragsablauf am 31. Januar 1909 die Wiedereinführung der beschränkt freien Arztwahl an, und es gelang ihm tatsächlich, obwohl der Leipziger Verband schon 1907 eine Sperre über die Kölner Kassen verhängt hatte, eine genügende Zahl »einwandfreier und tüchtiger Ärzte« zu finden. Von den Mitte Februar 1909 zur Verfügung stehenden 68 Ärzten waren 23 aus Leipzig gekommen, aus den Reihen der Leipziger Distriktärzte, die sich damit nach Meinung des Leipziger Verban­ des als gefährliche mobile Streiktruppe erwiesen hatten;33115 waren frühere Kölner Kassenärzte, und der Rest kam aus dem übrigen D eutschland. Ob­ wohl der Konflikt zugunsten des Kassenverbandes entschieden war, be­ mühten sich die früheren Kölner Kassenärzte, die durch das neue System ab 1. Februar 1909 von der Kassenpraxis »ausgesperrt« und teilweise dadurch in ihrer Existenz bedroht waren, verzweifelt, den Kampf doch noch zu ihren Gunsten zu wenden, indem sie beschlossen, »1. kein Mitglied einer der fraglichen Kassen, 2. keines von deren Angehörigen, 3. auch keines von den nicht versicherten Angehörigen irgendwie zu behandeln, auch nicht gegen Barzahlung, auch nicht in Notfällen . . .« D urch diese Weigerung, die be­ sonders die in Außenbezirken wohnenden Kassenkranken treffen mußte, sollte gewaltsam eine Überlastung der neuen Kassenärzte herbeigeführt werden.332 Zudem mußten in der Kölner Akademie für praktische Medizin Ende 1909 die Fortbildungskurse geschlossen werden, weil die Mitglieder des »Allgemeinen ärztlichen Vereins« in Köln sich weigerten, mit den Ärz­ ten, die mit dem Kölner Krankenkassenverband Verträge abgeschlossen hatten, gemeinschaftlich an diesen Kursen teilzunehmen.333 Die D iskriminierung von Außenseitern durch die organisierte Ärzte­ schaft, wie sie in solchen und anderen Beschlüssen zum Ausdruck kommt, bezeichnete die Zeitschrift »Soziale Praxis« 1909 als »Gewerkschaftsterroris­ mus«, wie er bei Arbeiterverbänden nur noch selten vorkomme.334 D ie Verhärtung der ärztlichen Taktik löste auch das Mißfallen höchster Regie300 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

rungsstellen aus. So erklärte der Staatssekretär des Inneren, v. Bcthmann Hollweg am 5. Februar 1909 vor dem Reichstag: »Wir stehen hier vor einer besonders ernsten Erscheinung, wohin die Übertreibung des Koalitions­ prinzips, wohin die Übermacht des Koalitionswesens hinauslaufen kann. Die Boykottierung eines Kranken oder Sterbenden - darauf kann die Sache hinauskommen - ist ein Rückfall in unsoziale Zustände, wie er schlimmer nicht gedacht werden kann. (Sehr richtig!) Ein großer Teil der deutschen Ärzte ist damit in keiner Weise einverstanden, aber sie werden von den eisernen Klammern des Koalitionszwanges unter dem Druck eines ehrenge­ richtlichen Verfahrens zusammengehalten. D as sind Auswüchse, die ebenso wie andere Auswüchse des Koalitionswesens . . . beseitigt werden müssen «335

Die von einigen Ärzten und großen Teilen der Öffentlichkeit kritisierte Verschärfung der Kontrolle abweichenden Verhaltens, die an handfeste Sanktionierungsmaßnahmen und soziale D iskriminierung gekoppelt war, hätte wahrscheinlich bei den starken innerärztlichen Gegensätzen und der Fraktionierung der Ärzteschaft in unterschiedliche Interessengruppen gar nicht erfolgreich durchgesetzt werden können, wenn nicht auch andere Faktoren die Überbrückung der Gegensätze gefördert hätten. Hier ist zum einen an die in harten Kämpfen erzielten realen ökonomischen Vorteile zu denken, von denen nahezu alle Ärzte auf die eine oder andere Weise profitier­ ten. Selbst den Ärzten, die gar keine Kassenpraxis betrieben, kam die Erhöhung der kassenärztlichen Honorare zugute, da von ihnen auch eine Tendenz zu höheren Honoraren in der Privatpraxis ausging. Zum anderen aber spielte offenbar eine entscheidende Rolle, daß es den Ärzteorganisatio­ nen gelang, durch geschickte Stilisierung eine Außenbedrohung des gesam­ ten ärztlichen Standes zu suggerieren und durch das Nähren der latenten Statusangst der Ärzte einen Solidarisierungseffekt auf emotionaler Basis auszulösen. Immer wieder wurde in der Verbandspublizistik herausgestri­ chen, daß angesichts der vielen ihnen feindlich gegenübertretenden Grup­ pen: der Regierung, der Unternehmer, der Öffentlichkeit, der Krankenkas­ sen, die Ärzte darauf angewiesen seien, in »treuer Kampfgemeinschaft«336 zusammenzustehen. Versuche, aus der geschlossenen Phalanx auszuscheren und in einer gegen den Ärztevereinsbund und seine wirtschaftliche Abteilung gerichteten Or­ ganisation abweichende Ziele zu verfolgen, scheiterten denn auch kläglich. Der im Mai 1909 gegründete »Reichsverband der deutschen Ärzte«, der eine friedliche Verständigung mit den Kassen anstrebte durch freie Vereinbarun­ gen »unter Ausschaltung jeder ärztlichen Organisation«, kam nicht über 200 Mitglieder hinaus und ging 1914 wieder ein.337 Die im ersten Jahrzehnt des Leipziger Verbandes zustande gekommene Geschlossenheit der deutschen Ärzte zeigte sich besonders eindrucksvoll, als 1909 der erste Entwurf zur Reichsversicherungsordnung (RVO) erschien. Dieser sah auf der einen Seite eine erhebliche Ausweitung des Versicherten301 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

kreiscs vor, durch Erhöhung der Pflichtversicherungsgrenze und Einbezie­ hung neuer Gruppen, ohne auf der anderen Seite die freie Arztwahl gesetz­ lich einzuführen. D ie materiellen Härten des Systems fixierter Ärzte für diejenigen Ärzte, die nicht an den Kassentrögen saßen, mußten dann noch wesentlich schärfer zum Vorschein kommen, weswegen der Entwurf auch auf die einmütige Ablehnung der Ärzteschaft stieß. D as Ärztliche Vereins­ blatt konstatierte, noch niemals sei unter den Ärzten »eine solche Einmütig­ keit und Bereitwilligkeit zu energischer Abwehr, ein solcher Wille zur Gemeinsamkeit . . . zum Ausdruck gekommen. Je schärfer, je härter, je rücksichtsloser gegenüber dem Reichsamt des Innern ein Protest vorgetra­ gen wird, desto einmütiger und stürmischer ist der Beifall; so gut besuchte Vereins Versammlungen sind nicht häufig gesehen worden. « 338 Nachdem die RVO vom Reichstag 1911 ohne Berücksichtigung der ärztlichen Wünsche verabschiedet worden war, erreichte die Kampfesstim­ mung und Kampfbegeisterung der Ärzteschaft im Herbst 1913 einen Höhe­ punkt. Auf einem außerordentlichen Ärztetag am 26. Oktober 1913 wurde »unter tosendem Beifall« mit 454 gegen vier Stimmen beschlossen, mit dem Inkrafttreten der RVO am 1. Januar 1914 in den Generalstreik zu treten. Die beschlossene Resolution machte es »jedem einzelnen Arzte und jeder örtli­ chen Ärztevertretung zur heiligen Pflicht, von jetzt ab mit keiner Kranken­ kasse einen Vertrag abzuschließen und die kassenärztliche Versorgung aller früheren wie auch der neu hinzutretenden Versicherten unbedingt abzu­ lehnen«.339 Angesichts der definitiven Entschlossenheit der Ärzteschaft, einen ver­ tragslosen Zustand im Verhältnis zu den Kassen zu schaffen, kam es dann in letzter Minute unter Federführung des Reichsamtes des Inneren am 23. D e­ zember 1913 doch noch zu einem Friedensschluß, dem vom Ärztevereins­ bund und Leipziger Verband auf der einen sowie drei zentralen Krankenkas­ senverbänden auf der anderen Seite unterzeichneten Berliner Abkom­ men.340 D iese für zehn Jahre bis Ende 1923 gültige Vereinbarung, deren Grundzüge - Aufhebung der Anstellungsautonomie der Kassen, faktische Einführung des ärztlichen Kollektivvertrags - schon weiter oben skizziert wurden, 341 zog einen vorläufigen Schlußstrich unter die Aktivität des Leip­ ziger Verbandes in den voraufgegangen 13 Jahren. Die eindrucksvolle Geschlossenheit der Ärzteschaft am Vorabend des Ersten Weltkrieges, die Tatsache, daß es den Ärzteorganisationen bis dahin weitgehend gelungen war, die im späten 19. Jahrhundert noch ausgeprägten zentrifugalen Tendenzen und Interessendivergenzen, die in den Kapiteln V und VI geschildert wurden, zu neutralisieren, läßt es auch gerechtfertigt erscheinen, die Untersuchung des Professionalisierungsprozesses der deut­ schen Ärzteschaft an diesem Punkt zu beenden.

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KAPITEL

VIII

Zusammenfassung Der Professionalisierungsprozeß der deutschen Ärzte, der dieser Gruppe ein tendenzielles Monopol auf dem Markt für medizinische D ienstleistungen, eine durch wissenschaftliche Spezialausbildung abgesicherte Expertenstel­ lung, hohen Sozialstatus und weitgehende berufliche Autonomie, d. h. Frei­ heit von Kontrolle durch berufsfremde Instanzen, einbrachte, setzte mit dem Beginn des vorigen Jahrhunderts ein. Zu dieser Zeit beruhte die Position der Berufsangehörigen noch auf einer ganz anderen Grundlage. Weder gab es einen ausgedehnten Markt für medi­ zinische Dienstleistungen noch waren die Ärzte in der Lage, ihre berufliche Tätigkeit allein an professionellen Maßstäben auszurichten und autonom zu entscheiden. Vielmehr waren sie in hohem Grade von ihren Patienten, die in der Regel der Oberschicht angehörten, abhängig, und zwar sowohl in ökonomischer als auch therapeutischer Hinsicht. D ieser Umstand hing unmittelbar mit der Struktur des »Gesundheitsmarktes« zusammen. D ie Nachfrage nach ärztlichen Leistungen war außerordentlich begrenzt, zum einen wegen der mangelnden »Vermarktung« der medizinischen Versor­ gung - viele Aufgaben, die heute in den Kompetenzbereich des Arztes fallen, wurden im Rahmen der Familie, vor allen von den Frauen, wahrgenom­ men-, zum anderen wegen der sozialen und räumlichen Segmentierung des Marktes. Für Angehörige der Unterschichten und die meisten Kleinbürger sowie für den allergrößten Teil der Landbevölkerung kam die Hinzuziehung eines studierten Arztes bei Krankheiten ohnehin höchstens in Fällen aller­ größter Not in Frage; normalerweise verhinderten ökonomische Restriktio­ nen, weite Entfernungen - die gelehrten Ärzte residierten fast ausschließlich in den Städten - und kulturelle Faktoren wie unterschiedliche Krankheits­ vorstellungen, traditional bestimmtes Gesundheitsverhalten und Mißtrauen gegenüber dem studierten Arzt engere Kontakte zwischen den Ärzten und der Masse der Bevölkerung. D iese wandte sich im Krankheitsfall an Laienheiler oder bestenfalls an einen approbierten Wundarzt, der lediglich eine handwerkliche Ausbildung genossen hatte. D aher hatten die gelehrten Ärzte in der Regel eine kleine exklusive Klientel, von deren Gunst sie in ihren Einkommensverhältnissen abhängig waren. Potenziert wurde diese Abhängigkeit durch den niedrigen Stand der medizinischen Wissenschaft. Gerade in therapeutischer Hinsicht hatten die Ärzte kaum etwas anzubieten, 303

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was ihr Handeln am Krankenbett dem eines Laien deutlich hätte überlegen machen können. Die Patienten meinten daher durchaus mitreden zu können und mischten sich in Verordnungen und Empfehlungen der Ärzte ein, was diese immer wieder beklagten. Eine grundlegende Voraussetzung, um den Markt für medizinische Dienstleistungen zu erweitern, war die Zusammenfassung der in zahlreiche Untergruppen zerfallenden Ärzteschaft zu einer einheitlich vorgebildeten, homogenen Berufsgruppe, welche die alleinige Versorgung der Bevölke­ rung beanspruchen konnte, mit anderen Worten: die Abschaffung der unter­ schiedlich ausgebildeten und unterschiedlich berechtigten niederen Ärzteka­ tegorien. In Preußen wurde dieser erste Schritt im Professionalisierungsprozeß durch ein Gesetz von 1852 abgeschlossen, demzufolge es nur noch den einheitlich universitär ausgebildeten »praktischen Arzt, Wundarzt und Ge­ burtshelfer« geben sollte. Zwar änderte sich dadurch unmittelbar an der Struktur des Marktes für medizinische D ienstleistungen nur wenig - die Armutsschranke und die kulturelle D istanz hielten nach wie vor den größten Teil der Bevölkerung vom studierten Arzt fern-, doch auf Dauer konnten die akademischen Ärzte ihren Anteil am Gesundheitsmarkt auf Kosten der allmählich aussterbenden, handwerklich ausgebildeten Wundärzte vergrößern. Wenn auch aufgrund dieses Ausfalls die Gesamtärztedichte von der Jahrhundertmitte bis in die 80er Jahre abnahm, wuchs die Zahl der akademischen Ärzte doch fast das ganze 19. Jahrhundert schneller als die Bevölkerung, ein Wachstum, wel­ ches sich seit den 80er Jahren deutlich beschleunigte. Außer der Zusammen­ setzung der Ärzteschaft und der Entwicklung der Ärztedichte war eine Reihe anderer Faktoren für die allmähliche Erweiterung des medizinischen Marktes verantwortlich: D ie fortschreitende Urbanisierung zerstörte über­ kommene Strukturen medizinischer Versorgung auf dem Lande und be­ wirkte, daß ein wachsender Teil der Bevölkerung einen Arzt in erreichbarer Nähe hatte. Staatliche Maßnahmen wie die Pockenschutzimpfung, der Aus­ bau der armenärztlichen Versorgung in den Städten, das Aufkommen schul­ ärztlicher Untersuchungen erweiterten den Kompetenz- und Funktionsbe­ reich der Ärzte und brachten Bevölkerungsgruppen in erstmaligen Kontakt mit den Medizinern, die vorher in traditioneller Arztferne gelebt hatten. Besonders aber wurde die Nachfrage nach den Diensten der akademischen Ärzte ausgedehnt durch die Ausbreitung des Versicherungsprinzips für Handwerksgesellen und Fabrikarbeiter. D ie Krankenkassen, denen schon vor Erlaß des Krankenversicherungsgesetzes von 1883 ca. 5% der Bevölke­ rung angehörten, verwiesen ihre Mitglieder im Krankheitsfall an den akade­ mischen Arzt. Eine rasante Zunahme erfuhren die Kassen aufgrund des KVG von 1883. Bei Inkrafttreten des Gesetzes waren rund 10% der Reichs­ bevölkerung versichert, bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges war es unter Einschluß mitversicherter Familienangehöriger schon gut die Hälfte. Diese Entwicklung veränderte die soziale Zusammensetzung der Klientel 304 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

des durchschnittlichen Arztes grundlegend. D amit kehrte sich auch die strukturelle Asymmetrie im Arzt-Patient-Verhältnis um: Der Patient spielte nicht mehr den dominierenden Part, sondern er hatte sich den Anordnungen des Arztes zu fügen. Zumindest galt dies für die neuen Patientenschichten. Schon wegen seiner gesellschaftlich überlegenen Stellung konnte der Arzt gegenüber einem Unterschichtpatienten mehr Autorität entfalten als gegen­ über einem Angehörigen der sozialen Oberschicht. Hinzu kam, daß die ärztliche Autorität in den Krankenkassen durch rigide Reglements für die Kassenmitglieder und scharfe Sanktionen, falls ein Mitglied den Anordnun­ gen des behandelnden Arztes zuwider handelte, abgesichert war. Eine wenn auch schwer zu gewichtende, so doch bedeutende Rolle bei der Verschiebung der Machtbalance im Arzt-Patient-Verhältnis spielte der me­ dizinische Fortschritt. Die zu Beginn des Jahrhunderts noch durch spekulati­ ve Theorien und geisteswissenschaftlich-philosophische Einbindung ge­ kennzeichnete medizinische Wissenschaft wandelte sich seit der Mitte des Jahrhunderts zur experimentell gestützten Naturwissenschaft. Im Gefolge dieses Wandels veränderte sich auch die medizinische Ausbildung: D ie be­ nachbarten Naturwissenschaften Physik und Chemie sowie die Physiologie erhielten ein immer größeres Gewicht und verdrängten die früher gepfleg­ ten Disziplinen wie Logik, Philosophie, Psychologie und Mineralogie aus dem Studium. D aneben gewannen die praxisorientierten Elemente des Stu­ diums wie die Kurse im Präparieren, Sezieren oder Mikroskopieren sowie die Tätigkeit als Praktikant einen erhöhten Stellenwert. Seit etwa den 60er oder 70er Jahren war das Universitätsstudium nicht mehr in erster Linie ein Mechanismus, welcher der Hebung des Sozialprestiges und der sozialen Abschottung der Ärzte diente - das blieb es zwar auch-, sondern es war mehr und mehr eine Institution geworden, in der professionelles Experten­ wissen als Voraussetzung professioneller Berufstätigkeit vermittelt wurde. Zumindest in der Diagnostik der Krankheiten wurde damit eine eindeutige Überlegenheit des akademischen Arztes über einen Laienheiler am Kranken­ bett etabliert, wenn auch die therapeutischen Erfolge - mit Ausnahme der Chirurgie- der Expansion des medizinischen Wissens noch lange hinterher­ hinkten. D ie Spezialisierung der medizinischen Wissenschaft und der ärztli­ chen Praxis tat ein Übriges, um den Arzt für immer größere Teile der Bevölkerung als berufenen Experten in Krankheitsfragen erscheinen zu lassen. In diesen Grundzügen-Ausdehnung des medizinischen Marktes, Verwis­ senschaftlichung der Ausbildung, Wandel des Arzt-Patient-Verhältnisses sind die Professionalisierungsprozesse des 19. Jahrhunderts in allen indu­ strialisierenden Ländern ähnlich verlaufen. Insofern ließen sich diese Fakto­ ren mit Hilfe des gewählten, am angloamerikanischen Beispiel entwickelten Professionalisierungsmodelles problemlos identifizieren. Es gab aber auch preußisch-deutsche Besonderheiten, die den Aufstieg der deutschen Ärzte von dem ihrer englischen oder amerikanischen Kollegen unterschieden. Zu 305 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

diesen Besonderheiten, unter denen sich der ärztliche Professionalisierungs­ prozeß in Preußen bzw. D eutschland vollzog, zählt die herausragende Rolle des Staates. D ie ärztliche Ausbildung fand in vom Staat finanzierten und kontrollierten Institutionen, den Universitäten, statt; der Staat überwachte die Zulassung der Ärzte und ihr berufliches Verhalten; er erließ die Medizi­ nalordnungen, die die Qualifikationserfordernisse für jede Ärztekategorie festlegten und ihre Kompetenzen gegeneinander abgrenzten. Der Staat legte überdies die Taxe fest, nach der die Ärzte sich bei ihren Honorarforderungen zu richten hatten. Auf der anderen Seite suchte er die approbierten Ärzte vor unlauterer Konkurrenz zu schützen, indem er die Ausübung der Heilkunde ohne Approbation unter Strafe stellte, ein Verbot, das jedoch die faktische Existenz der Laienmedizin nicht zu verhindern vermochte. In wirtschaftli­ cher Hinsicht genossen die Ärzte keineswegs staatliche Fürsorge wie die Beamten, sondern waren den Kräften des Marktes überlassen. Seit den 40er Jahren und besonders in der Revolution von 1848 stieß dieses Verhältnis zum Staat zunehmend auf die Kritik der Ärzte, die sich in freien Vereinigungen zur Durchsetzung ihrer Interessen zu organisieren begannen. Die Forderun­ gen nach dem Abbau staatlicher Kontrolle kulminierten in dem 1869 durch­ gesetzten Verlangen, die Ärzte als Gewerbetreibende von allen staatlichen Sonderverpflichtungen, insbesondere der unbedingten Pflicht zur Hilfelei­ stung, zu befreien. D er ärztliche Beruf wurde in der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869 zum Gewerbe erklärt, das jeder ausüben konnte; lediglich der Titel »Arzt« blieb geschützt. Der Status des freien Gewerbetreibenden hatte für die Ärzte jedoch auch Nachteile: insbesondere konnten sie ihr Ziel, Konkurrenz durch Laienheiler auf dem Markt für medizinische D ienstleistungen auszuschalten, nur mit staatlicher Rückendeckung erreichen; außerdem war ihnen als Gewerbetrei­ bende jeglicher institutionalisierter Einfluß auf die staatliche Medizinalpoli­ tik versagt; und schließlich fehlte ihnen eine eigene, von Berufsgenossen ausgeübte Kontrolle des Verhaltens der einzelnen Ärzte, welche die frühere staatliche Kontrolle ersetzen konnte. Seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre waren daher die Bemühungen der organisierten Ärzteschaft darauf gerich­ tet, ihren durch die Gewerbeordnung definierten rechtlichen Status zu revi­ dieren. Sie wollten die Rechte und Pflichten der Ärzte in einer eigenen Ärzteordnung geregelt wissen. D iese Forderung konnten sie jedoch genau­ sowenig durchsetzen wie die nach Wiedereinführung des gesetzlichen Kur­ pfuschcreiverbots. Immerhin konnten sie als Erfolg verbuchen, daß in den meisten deutschen Staaten - in Preußen 1887 - Ärztekammern als Instanzen ärztlicher Mitwirkung an der staatlichen Gesundheitspolitik errichtet wur­ den. Wegen der Mängel der Ehrengerichtsbarkeit in den privatrechtlichen Ärztevereinen - diese konnte nur Mitglieder erfassen, und es fehlten ihr weitergehende Sanktionsmittcl - wurde der Wunsch nach einer am Vorbild der Anwälte orientierten, staatlich beaufsichtigten Ehrengerichtsbarkeit, der alle Ärzte unterliegen sollten, immer dringlicher formuliert. Nach lan306 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

gen Kämpfen wurde in Preußen 1899 ein ärztliches Ehrengerichtsgesetz verabschiedet, das jedoch in seinen Konsequenzen für den ärztlichen Profes­ sionalisierungsprozeß zweischneidig war: Auf der einen Seite wurde da­ durch die professionstypische Kontrolle der Berufsangehörigen durch Kol­ legen institutionalisiert; auf der anderen Seite wurde die Autonomie des einzelnen Arztes eingeengt, und zudem gerieten die Ehrengerichte wegen der staatlichen Aufsicht in gefährliche Nähe zu der alten Gängelung und Bevormundung der Ärzte durch die staatlichen Behörden. Die herausragende Bedeutung des Staates in Deutschland zeigt sich auch in der Art und Weise, wie sich der Markt für medizinische Leistungen ausdehnte. Wenn auch die Ärzte in keinem Land die Medikalisierung der Bevölkerung nur aus eigener Kraft, ohne staatliche Unterstützung, durch­ setzen konnten, haben doch in Deutschland staatliche Maßnahmen, beson­ ders die Gesetzliche Krankenversicherung, eine größere Rolle gespielt als anderswo. Die sozialen Klassenschranken im Hinblick auf Gesundheitsver­ halten und medizinische Versorgung wurden dadurch abgemildert und teil­ weise nivelliert. D ieser säkulare Trend, der aber deutliche schichtspezifische Grenzen aufwies und bis heute aufweist, erweiterte die Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft der Bevölkerung für Leistungen der professionalisierten Medizin, zum größten Teil unabhängig von den Bemühungen der Ärzte­ schaft und über ihre Köpfe hinweg, zum Teil gegen ihren heftigen Wider­ stand. Während die in zeitlichem Abstand angestellte Analyse als langfristig wirkendes Hauptmerkmal der GK V ihren Beitrag zur beschleunigten Medi­ kalisierung der Bevölkerung isolieren kann, witterten die Ärzte der Vor­ kriegszeit in ihr vor allem die Gefahr, professionelle Autorität im Verhältnis zu ihren Patienten einzubüßen, weil sich die Zweierbeziehung von Arzt und Patient zum D reiecksverhältnis Arzt - Kasse - Patient ausweitete. Zudem befürchteten sie, daß durch die Abhängigkeit des Kassenarztes vom Kassen­ vorstand, der ihn anstellte, bezahlte, ihm Weisungen gab und ihn entlassen konnte, der soziale Status des Arztes gedrückt werde. Solche Ängste waren insofern nicht ganz unberechtigt, als eine Zeitlang tatsächlich die Gefahr bestand, daß die Ärzte die ökonomische Abhängigkeit von ihren reichen Klienten, die früher die Herausbildung professioneller Autonomie unmöglich gemacht hatte, gegen eine ökonomische Abhängig­ keit von den Kassen eintauschten, welche die Nachfrage auf dem Markt für medizinische D ienstleistungen oligopolistisch zusammenfaßten. Auf lange Sicht zeigte sich aber, daß Krankenversicherung und professionelle Autono­ mie des einzelnen Arztes sich durchaus miteinander vereinbaren ließen, daß gerade die Organisierung der Nachfrage nach ärztlichen D ienstleistungen durch die Versicherungen, ohne die heute ein funktionierender Gesundheits­ sektor gar nicht mehr vorstellbar ist, eine Voraussetzung war, um die Beschäftigungssituation der Ärzte zu stabilisieren und damit auch ihre pro­ fessionelle Autonomie abzusichern. Daß die Ärzte ihre Ansprüche auf den Status eines autonomen professio307 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

nellen Experten gegenüber den Krankenkassen durchsetzen konnten, ist hauptsächlich den Auseinandersetzungen und erfolgreichen Kämpfen der ärztlichen Berufsorganisationen mit den Kassen, vor allem im Kaiserreich und der Weimarer Republik, zuzuschreiben. Gerade die - reale oder viel­ leicht auch nur vermeintliche - Statusbedrohung, der sich die Ärzte durch die GKV ausgesetzt fühlten, und die Umformung ihrer Arbeitsmarktlage durch die Kassen erhöhten die Anreize zur strafferen Organisierung der Ärzteschaft und damit zur schlagkräftigen Vertretung professioneller Inter­ essen. Die Gründung des Leipziger Verbandes im Jahre 1900 ist direkt darauf zurückzuführen. D urch in harten gewerkschaftsähnlichen Aktionen er­ kämpfte reale ökonomische Verbesserungen auf der einen Seite, durch Stili­ sierung einer Außenbedrohung des gesamten ärztlichen Standes und Pflege eines ständisch geprägten Selbstverständnisses auf der anderen Seite gelang es dem Verband, die verschiedenen auseinanderdriftenden Ärztegruppen zusammenzuführen. Gleichzeitig wurde durch die Organisierung und Konzentration des Ar­ beitskräfteangebots auf dem ärztlichen Arbeitsmarkt die Marktmacht der Ärzte gegenüber den als Nachfrage-Oligopolisten auftretenden Kranken­ kassen verbessert. Der Gesetzlichen Krankenversicherung kommt somit eine Schlüsselfunk­ tion für den ärztlichen Professionalisierungsprozeß in zweierlei Hinsicht zu: Erstens bewirkte sie einen gewaltigen Schub in dem das ganze 19. Jahrhun­ dert kennzeichnenden Medikalisierungsprozeß und beschleunigte die Ak­ zeptanz des professionellen Experten Arzt in der breiten Bevölkerung; zwei­ tens provozierte sie geradezu einen bis dahin für akademische Berufsgrup­ pen nicht gekannten Rigorismus in der Durchsetzung materieller und stan­ despolitischer Interessen. Die am Vorbild der Arbcitergewerkschaften orientierte Politik des Hart­ mannbundes vertrug sich auf den ersten Blick schlecht mit dem Bemühen der Ärzte, zur anerkannten »profession« zu werden, und sie paßte auch nicht zu ihrem Selbstverständnis als Teil des Bildungsbürgertums. D ie Vorge­ hensweise des Hartmannbundes war jedoch insofern realistisch, als die Stellung des Arztes in den Krankenkassen eher Charakterzüge einer Arbeit­ nehmerposition aufwies als der eines Professionsangehörigen. D ies gilt für Anstellung, Kontrolle der beruflichen Tätigkeit, Kündigung, alles Punkte, auf deren Abbau der Hartmannbund durch die Einführung der sog. »freien Arztwahl« abzielte. D ie quasi-gewerkschaftlichen Elemente in der Politik des Bundes waren bedingt durch die arbeitnehmerähnlichen Elemente in der Position der Ärzte; sie traten zurück, sowie das Verhältnis von Ärzten und Krankenkassen sich wandelte. Daß die Ärzteschaft sich durch ihre rigorose Form der Interessenvertre­ tung zeitweilig von allen anderen gesellschaftlichen Gruppen zu isolieren drohte, wurde verschiedentlich hervorgehoben. Trotzdem haben sich die deutschen Ärzte zweifellos stets als Teil des Bildungsbürgertums betrachtet, 308 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

dem sie sich durch Herkunft, Sozialisation, Ausbildung und bürgerliche Wertvorstellungen zugehörig fühlten. Der Zusammenhalt des Bildungsbürgertums wurde aber durch die Pro­ fessionalisierung der Ärzte wie auch anderer bildungsbürgerlicher Berufs­ gruppen zunehmend gelockert und in Frage gestellt. D azu trugen sowohl der vermehrte Bedarf an Akademikern bei, der eine soziale Öffnung der Universitäten im Gefolge hatte, als auch die Vermehrung und Spezialisie­ rung des Wissens, die die Humboldt'sche »Einheit der Wissenschaften« zunehmend zur ideologischen Fassade werden ließen. Unter diesen Umständen wurde dem deutschen Bildungsbürgertum die Ausbildung auf dem humanistischen Gymnasium als verbindende Klammer immer wichtiger. D och auch diese Bastion ging verloren, als 1900 das Zulassungsmonopol des humanistischen Gymnasiums aufgehoben wurde und auch Abiturienten von Realgymnasien und Oberrealschulen zum Uni­ versitätsstudium zugelassen wurden. D ie allmähliche Erosion bildungsbür­ gerlichen Zusammenhalts tat indes der gesellschaftlichen Stellung der Ärzte keinen Abbruch, denn sie wurde aufgefangen durch einen gewaltigen Zu­ wachs an »Professionalität«. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges waren sie vom größten Teil der Bevölkerung als Experten in Fragen von Gesundheit und Krankheit aner­ kannt; ihre Expertenstellung war durch wissenschaftliche Ausbildung und durch zumindest auf einer Reihe von Gebieten bestehende Überlegenheit der universitären Medizin abgesichert. Im Verhältnis zum Patienten hatte sich eine deutliche Dominanz des Arztes herausgebildet: die Patienten unter­ warfen sich - mehr oder weniger freiwillig - den ärztlichen Anordnungen, und auch staatliche Behörden und Kassenvorstände konnten immer weniger in berufliche Entscheidungen des Arztes hineinreden. D er Aufstieg zum professionellen Experten war gelungen, wenn auch die bis 1914 gegenüber Patienten, Öffentlichkeit, Staat und Krankenkassen errungene Position in den folgenden Jahrzehnten noch zu verbessern und auszubauen blieb.

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Anmerkungen Kapitel I 1 Vgl. die »Spiegel-Serie«: Begrabene Illusionen - D ie Ohnmacht der modernen Medizin, in: Der Spiegel, Jg. 1980, Nr. 34-37. 2 Schon verlangen Kritiker unseres Gesundheitswesens eine bewußte »D eprofessionalisie­ rung«, am radikalsten wohl I. Illich, D ie Nemesis der Medizin. Von den Grenzen des Gesund­ heitswesens, Reinbek 1977. 3 Vgl. die in Kap. II, Anm. 85 genannte Literatur. 4 So die ältere, aber noch immer unentbehrliche Untersuchung von A. Fischer, Geschichte des deutschen Gesundheitswesens, 2 Bde, Berlin 1933, ND Hildesheim 1965. 5 Vgl. die von der Thyssen-Stiftung geförderten »Studien zur Medizingeschichte des 19. Jahrhunderts«, die inzwischen auf acht Bände (1967-1979) angewachsen sind. Hier werden auch Themen wie »Ernährung und Ernährungslehre« (hg. von E. Heischkel-Artelt, Bd. 6, Göttingen 1976) oder »Wohnungs- und Kleidungshygiene« (hg. von W. Artelt u.a., Bd. 2, Stuttgart 1969) einbezogen. Vgl. auch Bd. 8: G. Mann u. R. Winau (Hg.), Medizin, Naturwis­ senschaft, Technik und das Zweite Kaiserreich, Göttingen 1977. 6 E. Seidler, Abendländische Neuzeit, in: H. Schipperges, E. Seidler u. P. Unschuld (Hg.), Krankheit, Heilkunst, Heilung, Freiburg 1978, S. 329. 7 D ie Differenzierung dieser vier Felder wurde von V. Grob, The Social History of Medicine and Disease in America: Problems and Possibilities, in: Journal of Social History, Bd. 10, 1976/ 77, S. 391-409, übernommen. Inhaltlich ganz ähnlich umreißt Α. Ε. Imhof das Forschungsfeld, das er in widerfahrene, erlebte, beeinflußte, besehene und verwaltete Biologie einteilt. Vgl. Α. Ε. Imhof, Einleitung, in: ders. (Hg.), Biologie des Menschen in der Geschichte. Beiträge zur Sozialgeschichte der Neuzeit aus Frankreich und Skandinavien, Stuttgart 1978, S. 13-70. 8 Vgl. für die USA: Journal of Social History, Bd. 10, 1976/77, H. 4; S. Reverby u. D. Rosner (Hg.), Health Care in America. Essays in Social History, Philadelphia 1979; für England den informativen Band von J . Woodward u. D. Richards (Hg.), Health Care and Popular Medicine in Nineteenth Century England. Essays in the Social History of Medicine, London 1977, insbe­ sondere den Einführungsaufsatz der Hg.: Towards a Social History of Medicine, S. 15-55. 9 Vgl. vor allem das Heft 5 von: Annales. Economies, Societés, Civilisations, Bd. 32, 1977: Médecins, médecine et societé en France aux XVIIe et XIXe siècles, sowie die beiden von Α. Ε. Imhof hg. Sammelbände: Biologie des Menschen, und: Mensch und Gesundheit in der Ge­ schichte. Vorträge eines internationalen Colloquiums in Berlin vom 20. bis zum 23. September 1978, Husum 1980. 10 Wichtigster Repräsentant der neuen Forschungsrichtung in der Bundesrepublik ist der Berliner Historiker Arthur Imhof. Vgl.: Α. Ε. Imhof, Die gewonnen Jahre. Von der Zunahme unserer Lebensspanne seit 300 Jahren oder von der Notwendigkeit einer neuen Einstellung zu Leben und Sterben, München 1981; ders. u. O. Larsen, Sozialgeschichte und Medizin, Stuttgart 1975; diess., Social und Medical History: Methodological Problems in Interdisciplinary Quan­ titative Research, in: Journal of Interdisciplinary History, Bd. 7, 1977, S. 493-98; ders., D ie Übersterblichkeit verheirateter Frauen im fruchtbaren Alter, in: Zs. f. Bevölkerungswissen-

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Anmerkungen zu S. 12— 18 schaft, Bd. 4, 1979, S. 487-510. Zur Forschungslage und zu den Möglichkeiten einer Sozialge­ schichte der Medizin vgl. auch D . Blasius, Geschichte u. Krankheit. Sozialgeschichtliche Perspektiven der Medizingeschichte, in: GG, Bd. 2, 1976, S. 386-415; A. Labisch, Zur Sozial­ geschichte der Medizin. Methodologische Überlegungen u. Forschungsbericht, in: Afs, Bd. 20, 1980, S. 431-69. 11 Erste Ergebnisse: R. Spree, Strukturierte soziale Ungleichheit im Reproduktionsbereich. Zur historischen Analyse ihrer Erscheinungsformen in Deutschland, 1870-1913, in:J. Bergmann u.a. (Hg.), Geschichte als politische Wissenschaft, Stuttgart 1979, S. 55-115; ders., Zur Bedeu­ tung des Gesundheitswesens für die Entwicklung der Lebenschancen der deutschen Bevölke­ rung zwischen 1870 und 1913, in: F. Blaich (Hg.), Staatliche Umverteilungspolitik in histori­ scher Perspektive, Berlin 1980, S. 171-229; ders., Soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod. Zur Sozialgeschichte des Gesundheitsbereiches im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1981; U. Frevert, Arbeiterkrankheit und Arbeiterkrankenkassen im Industrialisierungsprozeß Preußens (1840-1870), in: W. Conze und U. Engelhardt (Hg.), Arbeiterexistenz im 19. Jahrhundert Lebensstandard und Lebensgestaltung deutscher Arbeiter und Handwerker, Stuttgart 1981, S. 293-319; dies., Krankheit als politisches Problem 1770-1880. Soziale Unterschichten in Preußen zwischen medizinischer Polizei und staatlicher Sozialversicherung, Göttingen 1984; C. Huerkamp, Ärzte und Professionalisierung in D eutschland. Überlegungen zum Wandel des Arztberufs im 19. Jahrhundert, in: GG, Jg. 6, 1980, S. 349-82; U. Ottmüller, »Mutterpflichten« - die Wandlungen ihrer inhaltlichen Ausformung durch die akademische Medizin, in: Gesell­ schaft. Beiträge zur Marxschen Theorie 14, Frankfurt 1981, S. 97-138; ferner die in Anm. 10 genannte Literatur von Imhof. 12 M. Foucault, La politique de la santé au XVIIe siècle, in: ders. u. a., Les machines à guenr. Aux origines de l'hopital moderne, Paris 1976, S. 11-21; vgl. neuerdings auch: J.-P. Goubert (Hg.), La medicalisation de la societé Francaise 1770-1830, Paris 1982. 13 Ε. Ρ. Thompson, The Making of the English Working Class, London 1963; besonders: H. Zwahr, Zur Konstituierung des Proletariats als Klasse. Strukturuntersuchung über das Leipzi­ ger Proletariat während der Industriellen Revolution, Berlin (DDR) 1978. 14 D . Rüschemeyer, Professionalisierung. Theoretische Probleme für die vergleichende Ge­ schichtsforschung, in: GG, Bd. 6, 1980, S. 312-14. 15 Vgl. die Übersichtstabelle bei H. A. Hesse, Berufe im Wandel. Ein Beitrag zum Problem der Professionalisierung, Stuttgart 1968, S. 46-48. 16 Wichtigster Repräsentant dieses Ansatzes ist W. J. Goode. Vgl. ders., Community within a Community: The Professions, in: American Sociological Review, Bd. 20, 1957, S. 194-200, übersetzt in: Τ Luckmann u. W. M. Sprondel (H g.), Berufssoziologie, Köln 1972, S. 157-67; W. J . Goode, R. K. Merton u. M. J . Huntington, The Professions in Modern Society, New York 1957. 17 Rüschemeyer, Professionalisierung, S. 316. 18 T. Johnson, Professions and Power, London 1972, S. 34-38; E. Freidson, Profession of Medicine. Α Study of the Sociology of Applied Knowledge, New York 1970; Rüschemeyer, Professonalisierung, S. 316-19; ders., Juristen in Deutschland und in den USA. Eine verglei­ chende Untersuchung von Anwaltschaft und Gesellschaft, Stuttgart 1976, S. 12ff. 19 Rüschemeyer, Professionalisierung, S. 316. 20 Anders in England und den USA, wo eine Reihe entsprechender Untersuchungen existieren. Für die englische Ärzteschaft v. a. die ausgezeichnete Untersuchung von J. Peterson, The Medical Profession in Mid-Victorian London, London 1978; ferner: A. u. J . Parry, The Rise of the Medical Profession. Α Study of Collective Social Mobility, London 1976; R. Stevens, Medical Practice in Modern England. The Impact of Specialisation and State Medicine, New Haven/London 1966; für Amerika: J . F. Kett, The Formation of the American Medical Profes­ sion. The Role of Institutions, 1780-1860, New Haven 1960; W. P. Rothstein, American Physi­ cians in the 19th Century. From Sects to Science, Baltimore 1972. Vergleichend: J . L. Berlant,

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Anmerkungen zu S. 19—25 Profession and Monopoly: Α Study of Medicine in the United States and Great Britain, Berkeley 1975. 21 KZSS, Bd. 21, 1969, S. 776-81. 22 W. Schluchter, Legitimationsprobleme der Medizin, in: Zß, Bd. 3, 1974, S. 379-96, bes. 387 f. 23 Außer für die schon genannten Aufsätze trifft dies auch für die Untersuchung von F. Naschold, Kassenärzte und Sozialversicherungsreform. Zu einer Theorie der Statuspolitik, Freiburg 1967, zu. Naschold analysiert zwar sehr sorgfältig in einem breiten historischen Rückblick das Verhältnis der Ärzte zur Krankenversicherung seit deren Einführung im Jahre 1883, postuliert aber für die Zeit vorher undifferenziert eine autonome Stellung des Arztes und sein Übergewicht in der Arzt-Patient-Beziehung, womit er mehr oder weniger die Klagen der Berufsangehörigen über den langfristigen Trend zu immer weniger Unabhängigkeit reprodu­ ziert. Ganz ähnlich: J.J. Rohde, Der Arzt im Spannungsfeld der Gegenwart, in: Soziale Welt, 1962/64, S. 367 ff. 24 D azu v. a.: P. Elliott, The Sociology of Professions, London 1972, S. 14ff. Kapitel II 1 D ie These von der therapeutischen Ineffizienz ärztlichen Handelns bis weit ins 19. Jahr­ hundert hinein wird in der neueren Forschung nahezu einhellig vertreten. Etwa: T. McKeown, Α Sociological Approach to the History of Medicine, in: ders., u. G. McLachlan (H g.), Medical History and Medical Care. Α Symposium of Perspectives, London 1971, S. 6f.; ders., Die Bedeutung der Medizin. Traum, Trugbild oder Nemesis?, Frankfurt 1982, S. 83 ff. ;M. Ramsey, Medical Power and Popular Medicine: Illegal H ealers in 19th Century France, in: Journal of Social H istory, Bd. 10, 1976/77, S. 560-87; F. B. Smith, The People's H ealth 1830-1910, London 1979. 2 Vgl. das Kapitel »Das Krankenexamen« bei L. Choulant, Anleitung zur ärztlichen Praxis, Dresden 1836, S. 9-94. 3 Helmholtz bemerkt dazu in seinen Lebenserinnerungen: »D as Pulsfühlen erschien als das direkteste Mittel, um die Reaktionen der Lebenskraft kennenzulernen und wurde deshalb als bei weitem das wichtigste Beobachtungsmittel fein eingeübt.« H. Helmholtz, Das Denken in der Medizin, Berlin 1877, S. 18. 4 Zur Entwicklung der deutschen Medizin im Vergleich zur französischen s. auch Kap. III. 3.a. 5 Ε. Η. Ackerknecht, Therapie von den Primitiven bis zum 20. Jahrhundert, Stuttgart 1970, S. 119f. 6 In: E. Ebstein (H g.), Deutsche Ärztereden aus dem 19. Jahrhundert, Berlin 1926, S. 89. Zweifellos fiel Wunderlichs Kritik besonders fundamental aus, weil er als Vertreter der neuen naturwissenschaftlichen Medizin ein heftiger Kritiker der alten Schulen war; im Kern dürfte sie jedoch zutreffen. 7 J . Barasch, Über den Grund der UnZuverlässigkeit der Medicin, in: Medicinischer Alma­ nach für das Jahr 1843, hg. von J.J. Sachs, Jg. 8, 1843, S. 28. 8 J . Stieglitz, Über das Zusammenseyn der Ärzte am Krankenbett, und über ihre Verhältnis­ se unter sich überhaupt, Hannover 1798, S. 49. 9 Ebd.,S. 44ff.; 60. 10 Ebd., S. 8. 11 Ebd.,S. 51. 12 S. Breinersdorf, Über die falsche Beurteilung des Arztes vom Nichtarzte, Breslau 1806, S. 70. 13 W. Artelt, Medizinische Wissenschaft und ärztliche Praxis im alten Berlin in Selbstzeug-

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Anmerkungen zu S. 25—30 nissen, Teil 1, Berlin 1948, S. 136-39; Th. Puschmann, Geschichte des mechanischen Unter­ richts von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Leipzig 1889, S. 364f. 14 W. G. Ploucquet, D er Arzt, oder über die Ausbildung, die Studien, Pflichten, Sitten und die Klugheit des Arztes, Tübingen 1797, S. 7, ähnlich S. 173f. 15 E. Heischkel, D er Arzt der Goethezeit, in: Ciba-Zcitschrift »Wehr«, Bd. 7, 1956, Nr. 80, S. 2668. 16 Ploucquet, S.178. 17 Breinersdorf, passim. 18 Stieglitz, Zusammenseyn, S. 3 f. 19 Breinersdorf, S. 139; vgl. auch F. W. v. Hoven, Biographie des D octor Friedrich Wilhelm v. Hoven, von ihm selbst geschrieben und wenige Tage vor seinem Tode noch beendigt, hg. von einem seiner Freunde und Verehrer, Nürnberg 1840, S. 105. 20 Breinersdorf, S. 21. 21 U. Frevert, Frauen und Ärzte im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert - zur Sozialge­ schichte eines Gewaltverhältnisscs, in: A. Kuhn und J . Rüsen (Hg.), Frauen in der Geschichte II, D üsseldorf 1982, S. 177-210. 22 M. Stürzbecher, Über die medizinische Versorgung der Berliner Bevölkerung im 18.Jahrhundert, in: ders., Beiträge zur Berliner Medizingeschichte, Berlin 1966, Tab. IV, S. 148. 23 H.Joachim, D ie preußische Medizinaltaxe in ihrer historischen Entwicklung, Berlin o.J. (1895), S. 44f. 24 Stürzbecher, Versorgung, S. 99 f. 25 Ploucquet, S. 8, ähnlich auch S. 120. 26 Ebd., S. 4. 27 G. W. Keßler, D er alte Heim. Leben und Wirken Ernst Ludwig Heims nach hinterlasse­ nen Briefen und Tagebüchern, Leipzig 18793, 2. Teil, S. 5. 28 Ploucquet, S. 24, 28. 29 Ebd., S.68, 94ff. 30 H. Kirste, D er Tagesablauf eines Nürnberger praktischen Arztes um die Wende des 18. u. 19. Jahrhunderts, in: Münchner Medizinische Wochenschrift, Bd. 48, 1937, S. 1911. 31 Keßler, Heim, 2. Teil, S. 14. 32 J . H. Baas, D ie geschichtliche Entwicklung des ärztlichen Standes und der medicinischen Wissenschaften, Berlin 1896, S. 437. 33 J . Goldschmidt, D ie gesellschaftliche Stellung der Ärzte sonst und jetzt, Oldenburg 1855; C. Lichtenthaeler, Geschichte der Medizin. D ie Reihenfolge ihrer Epochenbilder und die trei­ benden Kräfte ihrer Entwicklung, Bd. 2, Köln 1975, S. 570. D as gleiche Urteil auch bei W. H. Bruford, D ie gesellschaftlichen Grundlagen der Goethezeit, Weimar 1936, S. 258-63. 34 G. Fischer, Chirurgie vor 100 Jahren. Historische Studie, Leipzig 1876, ND , ergänzt um ein Vorwort von R. Winau, Berlin 1978, S. 28f.; Heischkel, Medizin, S. 2672; Fischer, Ge­ schichte, Bd. 2, S. 69. 35 Stürzbecher, Versorgung, Tab. III, S. 145. 36 L. Formey, Versuch einer medicinischen Topographie von Berlin, Berlin 1796, S. 285. 37 F. A. Bratring, Statistisch-topographische Beschreibung der gesamten Mark Branden­ burg, Bd. 1, Berlin 1804, ND 1968, S. 68, 79. 38 Ploucquet, S. 4. 39 M. Foucault, D ie Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks, Frankfurt 1976, S. 19ff. 40 D . Jetter, D ie ersten Universitätskliniken westdeutscher Staaten, in: D MW, Bd. 87, 1962, S. 2037-42; T. Puschmann, Geschichte des klinischen Unterrichts, in: Klinisches Jahr­ buch, Bd. 1, 1889, S. 92ff. 41 Formey, S. 270ff.

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Anmerkungen zu S. 30—33 42 Ebd., S. 249-57; vgl. auch R. A. D orwart, Medical Education in Prussia under the Early Hohenzollern, 1685-1725, in: Bulletin of the History of Mediane, Bd. 32, 1958, S. 335-47. 43 Zur Rolle, die die Weiterentwicklung des Militärmedizinalwesens in den stehenden Heeren des 18. Jahrhunderts für diese Einrichtungen spielte, vgl. F. Ring, Zur Geschichte der Militärmedizin in Deutschland, Berlin (D D R) 1962, S. 31 ff, bes. 44. 44 D orwart, Education; vgl. auch M. Lenz (Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 1, Halle 1910, S. 39-46), der die hervorragende Ausstattung des collegium medico-chirurgicum im Vergleich zur »armseligen« Einrichtung der medizinischen Fakultäten an den preußischen Universitäten hervorhebt. 45 Fischer, Chirurgie, S. 31 f. 46 H. Haeser, Lehrbuch der Geschichte der Medizin und der epidemischen Krankheiten, Bd. 2, Jena 1881 3 , ND Hildesheim 1971, S. 648-701. 47 B. Hamilton, The Medical Professions in the 18th Century, in: EHR, 2nd series, Bd. 4, 1951, S. 141-69, hier 149-59. 48 Haeser. Bd. 2. S.651 f. 49 I. Waddington, The Role of the Hospital in the D evelopment of Modern Medicine: a Sociological Analysis, in: Sociology, Bd. 7, 1973, S. 218ff.; vgl. auch J . - P . Goubert, u. F. Lebrun, Medecins et chirurgiens dans la société Francaise du XVIIIC siècle, in: Annales cisalpines d'histoire sociale, Bd. 4, 1973, S. 119-36, bes. 134f. 50 W. Ebstein, Über die Entwicklung des klinischen Unterrichts an der Göttinger Hochschu­ le u. über die heutigen Aufgaben der medizinischen Klinik, in: Klinisches Jahrbuch, Bd. 1, 1889, S. 69. 51 Ebd., S. 72,90. 52 M. Mederer v. Niederer u. Wuthwehr, Zwo Reden von der Notwendigkeit, beide M e d i a ­ nen, die Chirurgische u. die Clinische, wieder zu vereinigen (Freiburg 1782), eingeh u. mit Erklärungen versehen vom E. Th. Nauck, Leipzig 1961, S. 12. 53 D ies zeigte sich etwa 1781, als Mederers Bewerbung um das Dekanat der medizinischen Fakultät auf den Widerstand seiner Kollegen stieß (Ebd., Einleitung, S. 13). 54 L. v. Rönne und H. Simon, D as Medicinal-Wesen des preußischen Staates, Breslau 1844, Bd. 1, S. 293. 55 Überblick über die Ausbildung der Medizinstudenten um 1800: H.-G. Wenig, Medizini­ sche Ausbildung im 19. Jahrhundert, D iss. Bonn 1969, S. 5-43; Puschmann, Geschichte, S. 359-64. 56 D azu weiter unten S. 45 f. 57 W. Nitsch u.a., Hochschule in der D emokratie. Kritische Beiträge zur Erbschaft u. Reform der deutschen Universität, Berlin 1965, S. 10; Ch. McClelland, State, Society, and Umversity in Germany 1700-1914, Cambridge 1980, S. 27-98; H. W. Prahl, Sozialgeschichte des Hochschulwesens, München 1978, S. 147-80. 58 R. S. Turner, The Bildungsbürgertum and the Learned Professions in Prussia, 1770-1830: The Origins of a Class, in: Histoirc sociale- Social History, Bd. 13, 1980, S. 105-35. 59 H. Voelcker (Hg.), D ie Stadt Goethes. Frankfurt am Main im 18. Jahrhundert, Frankfurt 1932, S. 89f., 103f. 60 R. Koselleck, Preußen zwischen Reform u. Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwal­ tung u. soziale Bewegung von 1791 bis 1848, Stuttgart 19752, S. 89ff; leicht gekürzte Fassung der entsprechenden Kapitel des Buches: ders., Adel u. Bürgertum - die höheren Stände in Preußen um 1800, in: B. Vogel (Hg.), Preußische Reformen 1807-1820, Königstein 1980, S. 168-87. 61 Nach einer Untersuchung von Rainer A. Müller (Sozialstatus und Studienchance in Bayern im Zeitalter des Absolutismus, in: Historisches Jahrbuch, Bd. 95, 1975, S. 120-141) waren unter den 275 Medizinstudenten der Ingolstädter Universität 1878-1900 keine Adligen (bei den Jurastudenten dagegen im gleichen Zeitraum 36,1%), und knapp zwei D rittel ent-

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Anmerkungen zu S. 33—36 stammten einem nicht-akademischen Milieu. (Ebd., S. 138) Vgl. auch U. Kühl, D ie Entwick­ lung der Göttinger Studentenschaft vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1840: politische Bedin­ gungen und soziales Profil, Staatsexamensarbeit Göttingen 1980 (MS). D er unterschiedliche Status der einzelnen Professionen findet seinen Niederschlag schon in einer entsprechenden Rangfolge der Fakultäten. So meint Ch. Meiners 1802: »In unserem Vaterland Hannover behauptet unter den verschiedenen Fächern der Gelehrsamkeit die Rechtswissenschaft unleug­ bar den ersten, die Arzneikunde den zweiten, die Gottesgelehrtheit den dritten, und die Philosophie den vierten Platz.« (Ch. Meiners, Über die Verfassung u. Verwaltung deutscher Universitäten, Bd. 2, Göttingen 1802, S. 58). Vgl. zur Stellung der traditionellen Professionen auch: H. Gerth, Bürgerliche Intelligenz um 1800. Zur Soziologie des deutschen Frühliberalis­ mus (1935), ND Göttingen 1976; Bruford, S. 236-72. 62 Stürzbecher, Versorgung, S. 80; vgl. auch Keßler, Heim, Teil 2, S. 32, 115-23. 63 J . Paget, Mcdicinische D eontologie. Ein kleiner Katechismus für angehende Praktiker, Berlin 1897, S. 34. 64 Fischer, Geschichte, Bd. 2, S. 64. 65 K. Bouenter, Zur Medizinalgeschichte im Bereich des Regierungsbezirks Aachen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Zs. des Aachener Geschichtsvereins, Bd. 83, 1976, S. 83. 66 Text beider Edikte bei M. Stürzbecher, Beiträge zur Berliner Medizingeschichte. Quellen und Studien zur Geschichte des Gesundheitswesens vom 17.-19. Jahrhundert, Berlin 1966, S. 27-34, 43-66. 67 F. Trüstedt, Historisch-kritische Beiträge zur Beleuchtung der Frage über die Reform der Medicinalverfassung in Preußen, Berlin 1846, S. 37. 68 Stürzbecher, Über die Stellung und Bedeutung der Wundärzte in Greifswald im 17. und 18. Jahrhundert, Köln 1969; G. Wulz, Bader und Barbiere in Nördlingen. Ein anrüchiges und ein angesehenes Gewerbe, in: Historischer Verein für Nördlingen und das Ries, 24. Jahrbuch, 1969, S. 74—87, E. Th. Nauck, Aus der Geschichte der Freiburger Wundärzte, Freiburg 1965. 69 Fischer, Chirurgie, S. 34; Stürzbecher, Stellung, S. 65 ff; Ε. Η. W. Münchnteyer, Über die beste Einrichtung des Medicinalwesens für Flecken u. D örfer oder für das platte Land, Halber­ stadt 1811, S. 94; J . Stoll, Ist es notwendig u. möglich, Medicin u. Chirurgie wieder zu vereinigen?, Gießen 1800, S. 79. 70 Vgl. etwa Puschmann, Geschichte, S. 358, mit Beispielen für voreilige geburtshilfliche Eingriffe. 71 Vgl. z. Β. G. Lammert, Volksmedicin u. medicinischer Aberglaube in Bayern, Würzburg 1869, ND München 1969, S. 25; Heischkel, Medizin der Goethezeit, S. 2668. 72 Artelt, Medizinische Wissenschaft, S. 129ff. 73 Selbst Fischer, der im allgemeinen ein sehr negatives Bild von allen Medizinalpersonen des 18. Jahrhunderts zeichnet, muß widerwillig zugeben, daß namentlich unter den Steinschnei­ dern ganz geschickte Leute gewesen seien (Chirurgie, S. 58-61, 101). Zu einem berühmten fahrenden Arzt des 18. Jahrhunderts, dem D r. Eisenbarth, vgl. K. Arlt, D ie Entwicklung vom Handwerk zur Chirurgie, Berlin 1957, S. 35-42. 74 Zahlen nach C M . F . Sponholz, Allgemeine u. spezielle Statistik der Medizinalpersonen in Preußen, Stralsund 1845, S. 44f., 66f.. 75 W. Brenner-Schaeffer, Zur oberpfälzischen Volksmedicin, Amberg 1861; M. R. Buck, Medicinischer Volksglauben u. Volksaberglauben aus Schwaben, Ravensburg 1865, ND Ried­ lingen 1970; W. Fossel, Volksmedicin u. medicinischer Aberglaube in Steiermark, Graz 18862; Dr. Flügel, Volksmedizin u. Aberglaube im Frankenwalde, München 1863; M. Höfler, Volks­ medizin u. Aberglaube in Oberbayerns Gegenwart u. Vergangenheit, München 1888, 18932; Lammert, Volksmedicin. 76 Vgl. O. Hovorkau. A. Kronfeld, Vergleichende Volksmedizin. Eine Darstellung volksme­ dizinischer Sitten u. Gebräuche, Anschauungen u. Heilfaktoren, des Aberglaubens und der Zaubermedizin, 2 Bde., Stuttgart 1908/09 (die mit weit über 1000 Seiten ausführlichsteD arstel-

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Anmerkungen zu S. 36—41 lung dieser Art, die die Ergebnisse vieler Einzelstudien zusammenfaßt), dort das Vorwort von M. Neubuwer, Bd. 1, S. XXIff.; sowie Fossel, S. 12. 77 R. Schenda, Volksmedizin - was ist das heute?, in: Zs. für Volkskunde, Bd. 69, 1973, S. 195-97. 78 Vgl. dazu das D iagramm bei R. Winau, Krankheitskonzept u. Körperkonzept, in: D . Kampeiu. Ch. Wulf (Hg.), D ie Wiederkehr des Körpers, Frankfurt 1982, S. 286. 79 Z . B . Fossel, S. 32f. 80 M. Stürzbecher, Zur geburtshilflichen Versorgung der preußischen Bevölkerung im Jahre 1824, in: Der öffentliche Gesundheitsdienst, Bd. 20,1958/59, S. 511-14. Dort auch die folgenden Zahlen. 81 D as Gesundheitswesen des preußischen Staates imjahre 1901, bearb. von der Medizinalab­ teilung des Ministeriums für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, Berlin 1903, Anhang S. 113. Dort die Angaben der einzelnen Regierungsbezirke; die Durchschnittszahl für die preußische Monarchie wurde unter Weglassung einiger Regierungsbezirke, aus denen keine Angaben vorlagen, errechnet. 82 D as Sanitätswesen des preußischen Staates während der Jahre 1892-94, Berlin 1899, S. 493 f.; dasselbe berichtet Höfler, Volksmedizin, S. 201, von den oberbayerischen Bäuerinnen. 83 Zahl der Geburten pro Hebamme in den einzelnen Regierungsbezirken Preußens (1824) in einer Tabelle bei: J . C. Casper, Über die medicinisch-statistischen Verhältnisse der Medicinalper­ sonen zu der Bevölkerung im preußischen Staate im Jahre 1824, in: Magazin für die gesamte Heilkunde, Bd. 23, 1827, S. 495. Im Durchschnitt der Monarchie kamen aufeine Hebamme 43,5 Geburten im Jahr. 84 H. Eulenberg, Das Medicinalwesen in Preußen. Nach amtlichen Quellen bearbeitet, Berlin 1874, S. 431: Zur Verbesserung der materiellen Lage der Hebammen auf dem Lande wurde durch Allerhöchste Kabinettsordre vom 16. 1. 1877 ein Unterstützungsfonds aus den Abgaben bei Trauungen und Taufen begründet. 85 Fossel, S. 38. 86 U. Frevert, Frauen, Reproduktion u. Medizin im Übergang von der agrarisch-traditionalen zur bürgerlich-industriellen Gesellschaft, in: Muttersein und Mutterideologie in der bürgerli­ chen Gesellschaft, Bremen 1980, S. 93f.; J . Apfelbacher, D ie Hebammenordnungen des 19. u. 20. Jahrhunderts, D iss. Würzburg 1936, S. 3 ff. 87 D . Tutzke, Die Entwicklung des Hebammenwesens in der Oberlausitz bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, in: R. Reuther (Hg.), Oberlausitzer Forschungen, Leipzig 1961, S. 287ff.; v. Rönne u. Simon, Bd. 1, S. 533-53. 88 D er Arzt Johann Philipp Hagen berichtet aus den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts, daß er bei seinem Lehrer, dem Anatomen Meckel, der am Theatrum anatomicum in Berlin die Leitung der Hebammenausbildung hatte, nie eine Geburt gesehen habe: Artelt, Medizinische Wissen­ schaft, S. 127; erst seit 1791 wurde von den Hebammenlehrern verlangt, daß sie »ex arte obstetrica« geprüft sein mußten: v. Rönne, u. Simon, Bd. 1, S. 553f. 89 v. Rönne u. Simon, Bd. 1, S. 537; Formey, S. 262. 90 Fevert, Frauen, Reproduktion, S. 96. 91 Ebd.,S. 97. 92 Stürzbecher, Zur Geschichte des Hebammenwesens im Kreise Greifswald, in: Zentralblatt für Gynäkologie, Bd. 79, 1957, S. 1723. 93 Münchmeyer, Einrichtung, S. 71, 75. 94 Hierbei sind aber sicherlich auch alle Personen mitgezählt, die erst ganz kurze Zeit vor ihrem Tod einen Arzt gesehen hatten, u. die, welche von einem Wundarzt behandelt worden waren; Zahlen bei O. Esser, D er praktische Arzt im Rheinland 1750-1850, D iss. Bonn 1963, S. 49. 95 B. Eiehrsch, Bilder des ärztlichen Lebens, oder: die wahre Lebenspolitik des Arztes für alle Verhältnisse vom Beginn seiner Vorbildung bis zu Ende seines Wirkens, Berlin 1842, S. 187.

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Anmerkungen zu S. 41 — 47 96 Stievlitz, Zusammenseyn, S.141. 97 Am Beispiel der französischen Hospitäler arbeitet dies Waddington, Role, heraus. 98 D azu Kap. IV. 2. b. 99 D . Tutzke, Inhaltliche u. methodische Entwicklungstrends der Gesundheitserziehung von der Renaissance bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert, in: NTM, Bd. 13, 1976, S. 16-36. 100 F.-W. Schwanz, Idee u. Konzeption der frühen territorialstaatlichen Gesundheitspflege in Deutschland (»Medizinische Polizei«) in der ärztlichen u. staatswissenschaftlichen Fachlitera­ tur des 16.-18. Jahrhunderts, Frankfurt 1973. 101 J . C. Reil, Pepinieren zum Unterricht ärztlicher Routiniers als Bedürfnisse des Staates nach seiner Lage wie sie ist, Halle 1804, S. 9. 102 Ebd., S. 19. 103 J . H. Jugler, Gekrönte Preisschrift über die von der Churfürstlichen Akademie nützlicher Wissenschaften zu Erfurt aufgegebene Frage: Ist es notwendig, u. ist es möglich, beide Theile der Heilkunst, die Medicin u. die Chirurgie, sowohl in ihrer Erlernung als Ausübung wieder zu vereinigen?, Erfurt 1799, S. 163. 104 Reil, bes. S. 9ff., 62ff.; Zitat S. 19. 105 R. Heller, Johann Christian Reil's Training Scheme for Medical Auxiliaries, in: Medical Historv, Bd. 19, 1975, S. 329. 106 C. W. Hufeland, Medicinische Praxis der Landgeistlichen, in: Journal der practischen Arzneykunde und Wundarzneykunst, Bd. 29, 1809, H. 11, S. 1-10. In ganz ähnlicher Art noch 1823 die Schrift eines anonymen Autors: Über Pastoralmedicin. D en Geistlichen, besonders den jüngeren gewidmet von einem Arzte, Tübingen 1823. 107 H. Pompey, Pastoralmedizin - der Beitrag der Seelsorge zur psycho-physischen Gesund­ heit. Eine bibliographisch-historische Analyse, in: Α. Ε. Imhof(Hg.), Mensch u. Gesundheit in der Geschichte, Husum 1980, S. 121, 118f. 108 Die in Anmerkung 103 zitierte preisgekrönte Schrift des einzigen Befürworters der Trennung, Jugler, enthält auch Zusammenfassungen der übrigen 14 Schriften. 109 W. Lepenies, Von der Nosographie zur Krankengeschichte, in: ders., D as Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, München 1976, S. 78-87, Zitat S. 79. Die Krankheiten wurden nach dem Vorbild der Botanik geordnet. Vgl. auch Foucault, Geburt, S. 19-37. 110 Lepenies, Nosographie, S. 81. 111 Jugler, S. 23 (6. Schrift). 112 Münchmeyer, Einrichtung; A. Röschlaub, Über die Medicin und ihr Verhältnis zur Chir­ urgie, Frankfurt 1802; L. Mende, Die Medicin in ihrem Verhältnis zur Schule, zu den Kranken u. zum Staat, Greifswald 1820. 113 So z.B. Haeser, Lehrbuch, Bd. 2, S. 961. 114 Text der Bestimmungen von 1825 sowie die detaillierten Ausführungsbestimmungen zur Prüfungsordnung bei v. Rönne u. Simon, Bd. 1, S. 229-301, 349-87. 115 Ebd.,S. 344f. 116 Ebd.,S. 299. 117 D azu Wenig, S. 48-50. 118 D azu Turner, Bildungsbürgertum, S. 113 ff. 119 Ebd., S. 110f.; vgl. auchj. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchun­ gen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied 1962; Th. Nipperdey, Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. u. frühen 19. Jahrhundert, in: ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie, Göttingen 1976, S. 174—205; W. Ruppert, Bürgerlicher Wandel. Studien zur Herausbildung einer nationalen deutschen Kultur im 18. lahrhundert, München 1977. 120 Zum Vordringen staatlicher Zentralgewalt und seinen Grenzen G. Oestreich, Struktur­ probleme des europäischen Absolutismus, in: VSWG, Bd. 55, 1968, S. 329-47, wiederabge317 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Anmerkungen zu S. 47—51 druckt in: D ers., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 179-97, bes. 179 ff; zur Universitätspolitik des absolutistischenStaates: Prahl, Sozial­ geschichte, S. 151 ff; N. Hammerstein, Zur Geschichte der deutschen Universität im Zeitalter der Aufklärung, in: G. Franz u. H. Roessler (Hg.), Universität u. Gelehrtenstand 1400-1800, Limburg 1970, S. 145-82. Eine gegen ständisch-korporative Kräfte gerichtete Politik verfolgte der preußische Staat auch durch die Schaffung eines »eximierten« Gerichtsstandes, durch den er eine Oberschicht des Bürgertums, v. a. die akademisch Gebildeten, den Patrimonialgerichten und lokalen Untergerichten entzog und so in eine mit allerlei Privilegien verbundene staatsun­ mittelbare Position brachte. D azu Koselleck, Adel, S. 174f. 121 Vor allem die Schrift, mit der Rust 1838 die Bestimmungen von 1825 verteidigte und deren Motive erläuterte: J . N. Rust, D ie Medicinalverfassung Preußens wie sie war und wie sie ist, Berlin 1838; zu den schärfsten Kritikern zählten: A. F. Wasserfuhr, Gutachtliche Äußerung über einige Gegenstände der preußischen Medicinal-Verfassung, Stettin 1837; J . G. Alberti, D er Stand der Ärzte in Preußen. Ein historisch-kritischer Versuch, mit Beziehung auf die bevorste­ hende Reform des Medizinalwesens, Leipzig 1846; vgl. außerdem die in den folgenden Anmer­ kungen genannten weiteren Schriften. Verteidiger fanden die Bestimmungen von 1825 dagegen in J. L. Casper, Gegen eines Ungenannten Schrift über die preußische Medicinal-Verfassung, Berlin 1829; C. W. Wutzer, Über die Zwecke der medicinisch-chirurgischen Lehranstalten des Preußischen Staates im Allgemeinen u. die Leistungen der Anstalt zu Münster insbesondere, Münster 1830; J . Wendt, Über die wissenschaftliche Bildung u. bürgerliche Stellung der Ärzte und Wundärzte, Breslau 1838. 122 Münchmeyer, Einrichtung, S. 33-49. 123 Rust, Medicinalverfassung, S. 132f. 124 Trüstedt, S. 67. 125 v. Rönne u. Simon, Bd. 1, S. 322-30; außerdem gab es in Berlin seit 1829 für künftige Wundärzte die Möglichkeit, an der medizinischen Fakultät der Universität zu studieren, ob­ wohl sie nicht voll immatrikulationsfähig waren; vgl. dazu M. Stürzbecher, Zur Geschichte der Ausbildung von Wundärzten in Berlin in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Forschungen und Fortschritte, Bd. 33, 1959, S. 141-47. 126 Organisationsplan, zitiert bei H.-P. Wolff D ie Medizinisch-chirurgische Lehranstalt in Magdeburg (1827-1849), in: NTM, Bd. 12, 1975, S. 82. 127 v. Rönnen. Simon, Bd. 1, S. 300. 128 F. Schopohl, Die Chirurgenschule (Medizinisch-Chirurgische Lehranstalt) zu Münster in Westfalen, D iss. Berlin 1936, S. 18f.; vgl. auch Wutzer, S. 16f. 129 Ch. Marx, D ie Entwicklung des ärztlichen Standes seit den ersten D ezennien des 19. Jahrhunderts, Berlin 1907, S. 4 f.. 130 R. Heller, Officiers de Santé: The second-class doctors of Nineteenth Century France, in: Medical History, Bd. 22, 1978, S. 25-43. 131 v. Rönne u. Simon, Bd. 1, S. 297. 132 Ebd., S. 300. 133 Eine Bestimmung, die kaum eingehalten wurde, dazu weiter unten S. 53. 134 Rust, Medicinalverfassung, S. 89. 135 C.W. Hufeland, Über die Stellung der Ärzte zum Staat, Publikum u. unter sich selbst, in: Hufelands Journal, Bd. 60, 1825, S. 117. 136 Auf den Kompromißcharakter der Bestimmungen von 1825 weist auch Turner, Bil­ dungsbürgertum, S. 119, hin. 137 D azu Tabelle 2, weiter unten S. 54. 138 K. D eutsch, Publikum u. Ärzte in Preußen in ihrem Verhältnis zueinander u. zum Staat, Gleiwitzl846, S. 6. 139 Wasserfuhr, Gutachtliche Äußerung, S. 98f. 140 Rust, Medicinalverfassung, S. 156. 318 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Anmerkungen zu S. 51 — 58 141 D eutsch, S. 7. 142 Ebd., S. 6. 143 Zahlen für 1833 ebd. 144 Wendt, S. 24. 145 Schopohl, der die Schülerlisten der medizinisch-chirurgischen Lehranstalt in Münster durchgesehen hat, bemerkt ausdrücklich, daß keine Informationen zur sozialen Herkunft der Zöglinge darin enthalten sind (S. 23). 146 Schopohl, S. 18f; Wutzer, S. 16f. 147 E. v. Massenbach, D ie Verbreitung der Ärzte u. Apotheker im preußischen Staate, Leipzig 1860, S. 163. 148 Wasserfuhr, Gutachtliche Äußerung, S. 71. 149 Ebd., S. 74. 150 Alberti, S. 87. 151 Ebd. 152 Wasserfuhr, Gutachtliche Äußerung, S. 86f. 153 L. O' Boyle, The Problems of an Excess ofEducated Men in Western Europe 1800-1850, in: Journal of Modern History, Bd. 42, 1970, S. 471-95; Koselleck, Preußen, S. 438-47. 154 C. Η. Ε. Bischoff, Über das Verhältnis der Medizin zur Chirurgie u. die D reiheit im heilenden Stande, Bonn 1842, S. 37; S. Härlin, Mein Glaubensbekenntnis von der Medizinalre­ form auf dem Grund vierzigjähriger Erfahrung. Stuttgart 1848, S. 75 f. 155 Alberti, S. 21. 156 Ph. F. v. Walther, Über das Verhältnis der Medicin zur Chirurgie u. die Duplicität im ärztlichen Stande, Carlsruhe 1841, S. 31. 157 Ebd., S. 33. 158 Grauuogl, Die Zukunft der ärztlichen Arbeit, Erlangen 1848, S. 14. 159 Etwa Deutsch, S. 15; F. Graevell, Über die Reform der Medicinal-Verfassung Preußens, Leipzig 1847. 160 Ph. F. H. Klencke, Vertrauliche Briefe an einen deutschen Staatsmann über personelle u. wissenschaftliche Zustände in Verwaltung, Lchrweise, Vertretung u. Ausübung der Medicin, Cassel 1844, S. 18-37, 44, 46. 161 Helmholtz, S. 38. 162 Grauvogl, S. 24. 163 G. v. Merkel, Lebenserinnerungen. Erster Teil (geschrieben um 1860, mit späteren Zusätzen) u. Zweiter Teil (Weihnachten 1910), unveröffentl. MS, freundlicherweise von sei­ nem Enkel, Dr. med. Merkel in Cuxhaven, zur Verfügung gestellt, S. 68. 164 Vgl. Woljf, Lehranstalt, S. 81-83. 165 K. Finkenrath, Die Medizinalreform. D ie Geschichte der ersten ärztlichen Standesbewe­ gung, Leipzig 1929; Ε. Η. Ackerknecht, Beiträge zur Geschichte der Medizinalrcform von 1848, in: Sudhoffs Archiv, Bd. 26, 1932, S. 61-109, 113-83; für Sachsen: W. Genschorek, Die medizi­ nische Reformbewegung während der bürgerlich-demokratischen Revolution 1848/49 im Königreich Sachsen, Diss. Leipzig 1973. 166 Trüstedt, S. 67,78-81. 167 J . H. Schmidt, Die Reform der Medicinial-Verfassung Preußens, Berlin 1846, Vorwort, S. IV f. 168 Ebd., S. 9. 169 Ebd., S. 21,23f. 170 Finkenrath, Medizinalreform, S. 47; Ackerknecht, Beiträge, S. 114; Genschorek, Reform­ bewegung, S. 102 f. 171 In die Prüfungsordnung von 1825 wurde dementsprechend ein geburtshilflicher Teil aufgenommen, Wenig, S. 101 f. 172 Eulenberg, Medicinalwesen, S. 434f. 319 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Anmerkungen zu S. 58—65 173 D iese beiden Topoi, das vom Landarzt geforderte Improvisationstalent und das ra­ sche Handeln, sowie die Notwendigkeit, den »Unbilden der Witterung« zu trotzen, fehlen in nahezu keiner Beschreibung der Landarztpraxis, s. dazu auch Kap. V. 2.b. Kapitel III 1 Preußische Statistik, H. 167: Statistik der preußischen Landesuniversitäten, Berlin 1901, S. 69ff; J.G. Hoffmann, Übersicht der auf den sämmtlichen Universitäten des preu­ ßischen Staats vom Sommersemester 1820 bis zum Wintersemester 1839/40 Studierenden, in: ders., Sammlung kleiner Schriften staatswirtschaftlichen Inhalts, Berlin 1843, S. 187— 226. 2 Κ. Η. Jarausch, Die neuhumanistische Universität u. die bürgerliche Gesellschaft, 1800-1870, in: Ch. Probst (Hg.), D arstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 11, Heidelberg 1981, S. 19f. 3 H. Titze, Überfüllungskrisen in akademischen Karrieren: eine Zyklustheorie, in: Zs. f. Pädagogik, Bd. 27, 1981, S. 189; allgemein auch O'Boyle, Excess. 4 Jarausch, Neuhumanistische Universität, S. 22. 5 D ieser Abiturzwang verringerte in Berlin den Zugang von Immaturi und Gasthörern von ca. 1/3 auf 1/10 aller Studenten:Jarausch, ebd., S. 22. 6 Titze, Überfüllungskrisen, S. 202-05. D er Aufsatz faßt Zwischenergebnisse eines um­ fangreichen, von der D eutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts QUAKRI (d.h. Qualifikationskrisen und Strukturwandel im Bildungswesen) zusammen. Vgl. zu die­ sem Projekt ferner: U. Herrmann u. G. Friederich, Qualifikationskrise und Schulreform Berechtigungswesen, Überfüllungsdiskussion u. Lehrerschwemme. Aktuelle bildungspoli­ tische Probleme in historischer Perspektive, in: H. Blankertz (Hg.), Bericht über den 5. Kongreß der deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften 1976 (= Zs. für Pädago­ gik, 13. Beiheft), Weinheim 1977, S. 309-25. Knappe Zusammenfassung der Argumenta­ tion auch bei: H. G. Herrlitz, W. Hopf u. H. Titze, D eutsche Schulgeschichte von 1800 bis zur Gegenwart. Eine Einführung, Königstein 1981, S. 68f. 7 Titze, Überfüllungskrisen, S. 205. 8 Κ. Η. Jarausch, Frequenz und Struktur. Zur Sozialgeschichte des Studenten im Kaiser­ reich, in: P. Baumgart (H g.), Bildungspolitik in Preußen zur Zeit des Kaiserreichs, Stutt­ gart 1980, S. 129. 9 D azu v. a. Titze, Überfüllungskrisen, S. 193ff. 10 D . K. Müller u.a., Modclientwicklung zur Analyse von Krisenphasen im Verhältnis von Schulsystem und Beschäftigungssystem, in: U. Herrmann (Hg.), Historische Pädago­ gik (= Zs. f. Pädagogik, 14. Beiheft), Weinheim 1977, S. 47-51. 11 H. G. Herrlitz u. H. Titze, Überfüllung als bildungspolitische Strategie. Zur admini­ strativen Steuerung der Lehrerarbeitslosigkeit in Preußen 1870-1914, in: D ie deutsche Schule, Bd. 68, 1976, Anhang S. 365 (Tab. la). 12 D azu ebd., S. 348-70. 13 Vgl. Tabelle la ebd., S. 365. 14 A. Guttstadt, D ie ärztliche Gewerbefreiheit u. ihr Einfluß auf das öffentliche Wohl, in: Zs. des kgl. Preußischen Statistischen Bureaus, Jg. 21, 1880, S. 248. Sich allein auf die Zahl der Approbationen in Preußen, die sich von 430 1871/72 auf 222 1878/79 nahezu halbiert hatte, zu stützen, wie Guttstadt es an anderer Stelle tut (ebd., S. 231), erscheint aber nicht zulässig, da man berücksichtigen muß, daß ein großer Teil der preußischen Stu­ dierenden, die in Preußen sich niederzulassen beabsichtigten, dennoch ihr Examen in Süd­ deutschland ablegten. Auf diesen Umstand weist auch B. Fränkel in seiner Kritik an dem Guttstadtschen Artikel hin (in: Ae. V. Bl. 1880, Nr. 103, S. 226-29; Nr. 104, S. 243-46).

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Anmerkungen zu S. 65—67 15 Zur Entwicklung der Ärztedichte ausführlich Kapitel IV.2.b: Die Expansion des Gesund­ heitsmarktes. 16 D ennoch wäre es gewiß reizvoll und auch wünschenswert gewesen, die Entwicklung der Rekrutierung der Ärzte auch im Vormärz zu untersuchen: Wegen der geringen Studentenzahlen an den einzelnen Universitäten hätte man dafür aber die Matrikelverzeichnisse mehrerer Universitäten zugrundelegen müssen, um ausreichend große Zahlen zu haben, eine sehr zeitaufwendige Arbeit. Ich habe daher den Plan, die quantitative Analyse der Matrikel von Medizinstudenten auch auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts auszudehnen, vorerst fallenge­ lassen. Einige Anhaltspunkte zur Rekrutierung bietet die Untersuchung der Göttinger Studen­ tenschaft von Uwe Kühl. D emzufolge kam in den drei Stichjahren 1800, 1823 und 1840 jeweils knapp die Hälfte der Medizinstudenten aus dem Bildungsbürgertum, gut 15% aus dem Besitzbürgertum und etwa ein D rittel aus dem Kleinbürgertum (alter und neuer Mittelstand): U. Kühl, D ie Entwicklung der Göttinger Studentenschaft vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1840: politische Bedingungen u. soziales Profil, Staatsexamensarbeit, Göttingen 1980 (MS), Tab. VIII. 17 D ie einzige mir bekannte einschlägige Untersuchung wertet die soziale Herkunft von 2242 Ärzten von der Antike bis 1858 aus: W. Beckmann, D ie soziale Herkunft von 2242 Ärzten aus dem »Biographischen Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker bis 1880«, Diss. D üsseldorf 1975. 18 Siehe dazu die Hefte 102, 106, 112, 125, 136, 150, 167, 193, 204, 223 und 236 der Preußischen Statistik. 19 J . Conrad, Das Universitätsstudium in Deutschland während der letzten 50Jahre. Statisti­ sche Untersuchungen unter besonderer Berücksichtigung Preußens, Jena 1884, S. 48-59; A. Rienhardt, D as Universitätsstudium der Württemberger seit der Reichsgründung, in: Württem­ bergischejahrbücher für Statistik und Landeskunde, Jg. 1916, S. 160-282; F. Lenz, D ie soziale Herkunft der Studierenden, in: M. Lenz, Geschichte, Bd. 3, 1910, S. 521 f.; F. Eulenburg, D ie Entwicklung der Universität Leipzig in den letzten 100 Jahren, Leipzig 1909. D iese Untersu­ chungen kranken vor allem daran, daß die Repräscntativität ihrer Ergebnisse sehr unsicher ist. Außerdem sind sie häufig nicht ganz konsequent in der Zusammenfassung der Väterberufe zu bestimmten Gruppen, so daß eine eindeutige Schichtzuordnung vielfach nicht möglich ist. Die beiden neuen Studien stammen von Jarausch (Universität; ders., Frequenz): D ie eine wertet eine Stichprobe aus den veröffentlichen Matrikelverzeichnissen der fünf Universitäten Tübingen, Göttingen, Erlangen, Kiel und Heidelberg von 1777 bis 1867 aus, die andere legt eine 10%-Stichprobe der Bonner Studentenschaft von 1865 bis 1915 zugrunde. D ie D aten sind so geordnet, daß sie entweder zeitlich differenzieren und die Studenten aller Fakultäten zusam­ menfassen oder nach Fakultäten differenzieren, dann aber den gesamten Zeitraum umfassen. Sie erlauben daher keine gesonderte Betrachtung der zeitlichen Entwicklung der Herkunfts­ struktur an den medizinischen Fakultäten. 20 D ie Matrikel der Georg-August-Universität zu Göttingen, Bd. 1: 1734-1837, hg. von G. v. Seile, Hildesheim 1937; Bd. 2: 1837-1900, hg. v. W. Ebel Hildesheim 1974. 21 Conrad, Universitätsstudium, S. 124. 22 Insgesamt umfassen die 40 Jahrgänge genau 21 832 Nummern; daraus wurden 2403 Medizinstudenten ausgezählt, wobei doppelte Nennungen (Studenten, die nach einem oder mehreren Semestern an einer anderen Universität sich ein zweites oder drittes Mal in Göttingen immatrikulierten) nur einmal gezählt wurden. Bei insgesamt 260 Matrikeln war der Beruf des Vaters nicht angegeben, so daß für die Auswertung 2143 Studenten blieben. 23 Zu solchen Fehlerquellen vgl. auch H. Mitgau, D ie soziale Herkunft der deutschen Studenten bis 1900, in: H. Roessler u. G. Franz (Hg.), Universität und Gelehrtenstand 14001800, Limburg 1970, S. 240 f. 24 Jarausch, Universität, S. 36; ders., Frequenz, S. 135. 25 Ich habe nicht nach Adel und Bürgertum unterschieden, weil erstens der Adel in der

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Anmerkungen zu S. 67—19 zweiten Jahrhunderthälfte ohnehin nur noch eine untergeordnete Rolle spielte und weil zwei­ tens Adlige höchst selten das Medizinstudium wählten. Ferner habe ich die Unterteilung des Bildungsbürgertunis in Beamte und Feiberufliche weggelassen: der Anwaltsberuf z. Β. existiert als freier Beruf in Preußen erst seit 1878; Architekten und Ingenieure gibt es vorher als Studentenväter ebenfalls kaum; und die Einteilung der Ärzte in freiberufliche auf der einen Seite und Medizinalbeamte auf der anderen Seite erschien mir künstlich angesichts der Tatsache, daß ca. 90% der Medizinalbcamtcn nebenher Privatpraxis ausübten. 26 In der ersten Jahrhunderthälfte kam der intergenerationelle Aufstieg vom Wundarzt zum akademischen Arzt offenbar noch häufiger vor: vgl. Kühl, S. 30. 27 K. Vormeng, Wie Fritz Mediziner ward, Berlin 1895, berichtet, wie ihn Eltern und Freunde von seinem Wunsch, Arzt zu werden, abzubringen suchten und ihm stattdessen zum Pfarramt rieten, weil das Medizinstudium zu teuer sei. Zu den Kosten eines Medizinstudiums vgl. auch weiter unten Abschnitt 4 dieses Kapitels. 28 Ζ. Β. J . Conrad, Einige Ergebnisse der deutschen Universitätsstatistik, in: Jbb. f. Natio­ nalökonomie u. Statistik, 3. Folge, Bd. 32, 1906, S. 448ff.; Rienhardt, S. 178ff.; A. Petersilie, Berufsständisches Herkommen der Studenten der preußischn Universitäten u. Wandlungen darin während des letzten Viertcljahrhundcrts. in: Verwaltung u. Statistik, Jg. 3, 1913, S. 354. 29 Jarausch, Frequenz. 30 D ie Ergebnisse der Göttinger Auszählung und der preußischen Statistik gehen allerdings nicht nahtlos ineinander über: So waren in Göttingen 1887-91 noch 12,7% der Medizinstuden­ ten Arztsöhne, während es an allen preußischen Universitäten zusammen nur 7,5% waren. Ebenso betrug der Anteil der Akademikerkinder im preußischen Landesdurchschnitt nur 23,1%, in Göttingen zum gleichen Zeitpunkt aber 36,5%. D iese unterschiedlichen Zahlen müssen auf das unterschiedliche Renommee der einzelnen preußischen Hochschulen zurückge­ führt werden: Göttingen stand hier in der Prestigeskala zusammen mit Marburg an der Spitze (Titze, Überfüllungskrisen, S. 192f.) und war dementsprechend in der sozialen Zusammenset­ zung der Studenten exklusiver als der Landesdurchschnitt. 31 Preußische Statistik, H. 223, Berlin 1911, S. 182-84. 32 Wegen ihrer speziellen, von allen anderen Fakultäten unterschiedenen Rekrutierungsbe­ dingungen wurden die katholisch-theologischen Fakultäten in diesem Vergleich ausgeklam­ mert. 33 Titze, Überfüllungskrisen, S. 193; vgl. auch W. Lexis, Denkschrift über die dem Bedarf Preußens entsprechende Normalzahl der Studierenden der verschiedenen Fakultäten, als MS gedruckt, 1. Bearbeitung 1888, S. 9-15. 34 Vgl. die Tabelle bei C. Huerkamp u. R. Spree, Arbeitsmarktstrategien der deutschen Ärzteschaft im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Zur Entwicklung des Marktes für professionelle ärztliche D ienstleistungen, in: T. Pierenkemper, u. R. Tilly (Hg.), Historische Arbeitsmarktforschung, Göttingen 1982, S. 109. 35 Preußische Statistik, H. 223, S. 189. 36 Errechnet nach den Herkunftsangaben in: Preußische Statistik, H. 223, S. 182 und 184. 37 Herrlitz/Titze, S. 361 f. 38 D aß sich die Zahl der Arztsöhne an der philosophischen Fakultät von 103 1887/88-1891 auf 215 1908/09 ebenfalls verdoppelte, ist angesichts der Tatsache, daß sich im gleichen Zeitraum die Zahl der Philologiestudenten insgesamt mehr als verdreifachte, eine unterdurch­ schnittliche Zunahme. 39 Zahl der Studierenden an den einzelnen Fakultäten von 1871 bis 1911/12 in: Preußische Statistik, H. 236, Berlin 1913, S. 79. 40 Jarausch, Frequenz, S. 148f.; vgl. auch ders., The Social Transformation of the Universi­ ty: The Case of Prussia 1865-1914, in: Journal of Social History, Bd. 12, 1979, S. 630. 41 Jarausch, Frequenz, S. 145. 42 D azu Wenig, S. 83f.

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Anmerkungen zu S. 79—83 43 Etwa: Zur Reform der Medicinalverfassung Preußens, bearb. von einem Ausschusse des ärztlichen Vereins des Reg.-Bez. Düsseldorf, D üsseldorf 1847, S. 37-59. 44 Η. Ε. Richter, Zur Gymnasialreform, Zwei gutachtliche Aufsätze (1847), wiederabge­ druckt in: ders., Kleinere Schriften: Zur Medicinalreform, D resden 1865, bes. S. 68 ff; s. auch ders., Der naturwissenschaftliche Unterricht auf Gymnasien, D resden 1847. 45 Protokolle der zur Beratung der Medicinalreform auf Veranlassung Sr. Exe. des Herrn Ministers v. Ladenberg vom 1.-22. Juni 1849 in Berlin versammelten Conferenz, Berlin 1849, S. 66. 46 F. Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen u. Universitä­ ten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, Bd. 2: D er gelehrte Unterricht im Zeichen des Neuhumanismus, 1740-1892, Leipzig 1897, S. 472f. 47 Vorläufige Instruktion vom 8. 3. 1832, Herrlitz u.a., Schulgeschichte, S. 64. 48 Paulsen, S. 549. 49 Vgl. L. O' Boyle, Klassische Bildung u. soziale Struktur in Deutschland zwischen 1800 u. 1848, in: HZ, Bd. 207, 1968, S. 584-608, bes. 596f. 50 Ae. V. Bl. 1875, Nr. 34, S. 13-16. 51 H. Balschun, Zum schulpolitischen Kampf um die Monopolstellung des humanistischen Gymnasiums in Preußen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Eine Studie zur Problematik des Streites um die Vorbildung zum Universitätsstudium, D iss. Halle 1964, S. 6-8; Paulsen, S. 553-58. 52 L. v. Wiese, Das höhere Schulwesen in Preußen. Historisch-statistische Darstellung, Teil 4, Berlin 1902, S. 125. 53 Balschun, S. 26-29. 54 E b d . 24. 55 Herrlitz u.a., Schulgeschichte, S. 70; Balschun, S. 11-18. 56 Ebd., S. 20,25. 57 Bericht über die Verhandlungen der Sachverständigen-Kommission zur Revision der ärztlichen Prüfungsvorschriften vom 26. August bis zum 7. September 1878, in: Verhandlun- · gen des Bundesrates, 1879, Bd. 1 der Drucksachen, Nr. 15, S. 18-32, hier S. 21. 58 Ebd.,S. 21 f. 59 J . Loth, Die Petitionen der Städte, die Berichte der Unterrichts-Kommission des Abge­ ordnetenhauses u. die Akademischen Gutachten über die Zulassung der Realschul-Abiturien­ ten zu den Fakultätsstudien, Köln 1870, S. 32-34. 60 Brief Falks an den Vorsitzenden des Ärztevereinsbundes, Graf, vom 22. 1. 1879, Β Α Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 1; auch abgedruckt in: Ae. V. Bl. 1879, Nr. 82, Sp. 24f; DMW, Jg. 5, 1879, S. 57. 61 Vgl. Ae. V. Bl. 1900, Nr. 423, S. 232; DMW, Jg. 5, 1879, S. 115. 62 Ae. V. Bl. 1878, Nr. 74, Sp. 94. 63 G. F. Rohde, Zur Frage der Zulassung von Realschulabiturienten zum Studium der Median. Zugleich ein Wort der Abwehr, in: DMW, Jg. 5, 1879, S. 178. 64 C. A. Ewald, Die Zulassung der Realschulabiturienten zum Studium der Medicin, in: ebd., S. 63. 65 Rohde, Frage, S. 177 f.; Ewald, Zulassung, S. 62. 66 F. Runge, in: Ae. V. Bl. 1880, Nr. 96, S. 72; ein weiterer Befürworter der Realschulbil­ dung im Ae.V. Bl. ist Dr. C. Martin aus Jena (Ae. V. Bl. 1878, Nr. 74, S. 99f). 67 Bericht über die Verhandlungen der Sachverständigen-Kommission, S. 21. 68 Brief Falks an das Preußische Staatsministerium vom 19. 4. 1879, Β Α Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 1. 69 Ebd. 70 Brief des Ministeriums für GUMA an das Reichskanzleramt vom 23. 5. 1879, Β Α Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 1.

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Anmerkungen zu S. 8 4 - 8 9 71 W. Lexis (Hg.), D as Unterrichtswesen im D eutschen Reich, Bd. 2: D ie höheren Lehr­ anstalten u. das Mädchenschulwesen, Berlin 1904, S. 81-87; vgl. auch C. Führ, D ie preußi­ schen Schulkonferenzen von 1890 u. 1900. Ihre bildungspolitische Rolle u. bildungsge­ schichtliche Bewertung, in: P. Baumgart (Hg.), Bildungspolitik in Preußen zur Zeit des Kai­ serreichs, Stuttgart 1980, S. 189-223'. 72 Vgl. etwa den Artikel von D r. Zaddach in: Ae. V. Bl. 1900, Nr. 428, S. 366f.; die Denkschrift des Braunschweigischen Ärztevereins in: ebd., Nr. 423, S. 241-44; oder: S. Alexander, D ie Zulassung der Realschulabiturienten zum Studium der Medicin, in: Berliner Klinische Wochenschrift, Bd. 38, 1901, S. 270-71, 354-55. 73 So etwa in der Sitzung des Geschäftsausschusses des Ärztevereinsbundes vom 17. 3. 1900, in: Ae. V. Bl. 1900, Nr. 420, S. 155; vgl. auch die Eingabe des Geschäftsausschusses an Reichskanzler und Bundesrat, in: Ae. V. Bl. 1900, Nr. 423, S. 232. 74 Ae. V. Bl. 1900, Nr. 428, S. 345; allerdings gaben 142 Ärzte keine Meinungsäußerung ab. 75 Ae. V. Bl. 1900, Nr. 423, S. 232-34. 76 Prof. M. Flesch, in: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 457, S. 453. 77 Lexis, Höhere Lehranstalten, S. 48-50, 87ff. 78 Ebd., S. 157-72. 79 Ae. V. Bl. 1901, Nr. 445, S. 162-65. 80 Ae. V. Bl. 1901, Nr. 444. 81 Balschun, S. 38. 82 Ebd., S. 50f. 83 Preußische Statistik, H. 236, S. 110. 84 Preußische Statistik, H. 204, S. 28; H. 236, S. 110. 85 Es kann bei dem folgenden Überblick über die Entwicklung der medizinischen Wis­ senschaft nicht darum gehen, den zahlreichen bereits existierenden D arstellungen über die­ sen Gegenstand (vgl. außer den am Schluß dieser Anmerkung genannten Werken noch die Titel von Baas, Berghoff, Boltenstem, Creutz u. Steudel, Haeser, Leibbrand u. Leibbrand-Wettley, Lichtenthaeler, Meyer-Steinegg u. Sudhoff, Schipperges [1970], Seidler [1978] im Literaturver­ zeichnis) noch eine weitere hinzuzufügen. Es soll auch nicht versucht werden, eine den Ansprüchen des medizinisch vorgebildeten Medizinhistorikers genügende Untersuchung der Wissenschaftsentwicklung im Fach Medizin zu geben. Vielmehr sind die folgenden Seiten lediglich als skizzenhafte Rekonstruktion der Hauptentwicklungslinien für den medizinisch nicht vorgebildeten Leser gedacht. D ementsprechend stützt sich diese Skizze in erster Linie, sofern nicht anders angemerkt, auf die neuere Standardliteratur zum Thema, vor allem auf folgende Werke: E. H. Ackerknecht, Kurze Geschichte der Medizin, Stuttgart 1967; P. D iep­ gen, Geschichte der Medizin. D ie historische Entwicklung der Heilkunde u. des ärztlichen Lebens, Bd. II/1: Von der Medizin der Aufklärung bis zur Begründung der Zellularpatholo­ gie (etwa 1740-etwa 1858), Berlin 1951; Bd. II/2: D ie Medizin vom Beginn der Zellularpa­ thalogie bis zu den Anfängen der modernen Konstitutionslehre (etwa 1858-1900), Berlin 1955; E. Fischer-Homberger, Geschichte der Medizin, Berlin 1975; K. Sudhoff, Kurzes Hand­ buch der Geschichte der Medizin, Berlin 1922; R. H. Shryock, D ie Entwicklung der moder­ nen Medizin in ihrem Zusammenhang mit dem sozialen Aufbau und den Naturwissenschaf­ ten, Stuttgart 19472. 86 Vgl. dazu Ackerknecht, Geschichte der Medizin, S. 127 ff; N. Jewson, The D isappea­ rance of the Sick-Man from Medical Cosmology, 1770-1870, in: Sociology, Bd. 10, 1976, bes. S. 229f.; 234f.; sowie vor allem: Foucault, Geburt. 87 Shyrock, Entwicklung, S. 139ff.; E.H. Ackerknecht, Mediane at the Paris Hospital 1794-1848, Baltimore 1967; vor allem aber Waddington, Role. 88 D azu Foucault, Geburt, Kap. VIII: Öffnen Sie einige Leichen!, S. 137-61. 89 C. J. H. Witidischmann, D er Ursprung der Krankheit - die Ohnmacht des Menschen u.

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Anmerkungen zu S. 89—92 die göttliche Hülfe (1824), in: K. E. Rothschuh (Hg.), Was ist Krankheit?, D armstadt 1975, S. 44; vgl. auch Diepgen, Geschichte, Bd. II/1, S. 27. 90 H. Damerow, Bemerkungen über den gegenwärtigen Zustand der Medicin u. ihr Verhält­ nis zum Publicum, in: Medicinische Zeitung, Bd. 3, 1834, S. 173. 91 Ebd., S. 168. 92 E. Heischkel, Die deutsche medizinische Publizistik der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts im Kampf für eine neue Heilkunde, Phil. D iss. Berlin 1945, S. 66-110; Roser und Wunderlich waren aber keineswegs die einzigen Kritiker der alten Medizin. Zur neuen Generation natur­ wissenschaftlich orientierter Ärzte gehören ebenso Carl Pfeufer und Jacob Henle, die 1844 die »Zs. für rationelle Medicin« begründeten (J. Kerschensteiner, Das Leben u. Wirken des Dr. Carl v. Pfeufer, Augsburg 1871, S. 17f), und der junge Rudolf Virchov, mit seinem seit 1847 erscheinenden »Archiv für pathologische Anatomie u. Physiologie u. für klinische Medicin« (Heischkel, Publizistik, S. 142-79). 93 Über die Mängel der heutigen deutschen Medicin u. über die Notwendigkeit einer entschieden wissenschaftlichen Richtung in derselben, in: Archiv für physiologische Heilkun­ de, Jg. 1, 1842, S. I-XXX, wieder abgedruckt in: Rothschuh, Was ist Krankheit?, S. 45-71. 94 Foucault, Geburt, S. 204. 95 Roser u. Wunderlich, S. 49. 96 Ebd., S. 56. 97 Ebd., S. 53f. 98 Ebd.,S. 57. 99 A. Kußmaul, Jugenderinnerungen eines alten Arztes, Stuttgart 1899, S. 19. 100 D azu v. a. H.H. Eulner, D ie Entwicklung der medizinischen Spezialfächer an den Universitäten des deutschen Sprachgebiets, Stuttgart 1970, S. 95-111. 101 D ie Bettenzahl betrug selten über 30 Betten - Heidelberg hatte 1820 32 Betten (R. Riese, Die Hochschule auf dem Wege zum wissenschaftlichen Großbetrieb, Stuttgart 1977, S. 240), das 1805 eröffnete Klinikum in Tübingen nur 15 (Diepgen, Geschichte Bd. H/1, S. 208; vgl. auch G. Rath, Die Entwicklung des klinischen Unterrichts, Göttingen 1965, S. 13f.) -, wäh­ rend in den Pariser Hospitälern 1817 schon 41000 und 1827 schätzungsweise 53000 Patienten verpflegt wurden (Waddington, Role, S. 212). 102 Eulner, Entwicklung, S. 95 ff. 103 Ebd., S. 105. 104 D azu A. Wölfing, Entstehung u. Bedeutung des Begriffs »Schulmedizin«. Die Auseinan­ dersetzung zwischen der naturwissenschaftlichen Medizin u. Vertretern anderer Heilmethoden im 19. und 20. Jahrhundert, D iss. Freiburg 1974, S. 39-44. 105 Foucault, Geburt, S. 116. 106 D azu v. a. die Biographie von E. F. Podach, Ignaz Philipp Semmelweis, Berlin o.J. (1948); knapp auch: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 23, 1891, S. 704-06. 107 Podach, Semmelweis, S. 9, 28. 108 In fünf Monaten des Jahres 1848 blieb sie unter 1%, Podach, Semmelweis, S. 59. 109 Ebd., S. 75ff.; ders., Zur Geschichte der Semmelweis'schen Lehre, in: Zs. für Geburts­ hilfe u. Gynäkologie, Bd. 129, 1948, S. 59-69; diese Widerstände gegen Semmelweis sind für H. Fasbender, Geschichte der Geburtshilfe, Jena 1906, »unbegreiflich« (S. 824), und auch Th. Meyer-Steinegg u. K. Sudhoff (Geschichte der Medizin im Überblick mit Abbildungen, Jena 19504, S. 417) meinen, man »stehe hier immer wieder vor einem Rätsel«. Das »Rätsel« erklärt sich wohl daraus, daß die führenden Geburtshelfer Europas mit einer Anerkennung der Semmelweisschen Lehre zugleich hätten eingestehen müssen, in ihrer eigenen Praxis in den Gebäranstalten den Tod Tausender von Wöchnerinnen verschuldet zu haben. 110 D iepgen, Geschichte, Bd. II/l, S. 197 preist die Semmelweissche Entdeckung als »eine der segensreichsten Errungenschaften in der geschichtlichen Entwicklung der Medizin«. 111 So starben 1822, bevor die pathologische Anatomie unter Rokitansky ausgebaut war, in

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Anmerkungen zu S. 93—96 der Wiener Gebäranstalt unter 1 % der Wöchnerinnen an Kindbettfieber, in den 40er Jahren waren es rund 10% (Podach, Semmelweis, S. 46f.). 112 Ch. Lichtenthaeler, Geschichte der Medizin. D ie Reihenfolge ihrer Epochenbilder u. die treibenden Kräfte ihrer Entwicklung. Ein Lehrbuch für Studenten, Ärzte, Historiker und geschichtlich Interessierte, Bd. 2, Köln 1975, S. 534. 113 N. Jewson, The Dissapearance of the Sick-Man from Medical Cosmology, 1770-1870, in: Sociology, Bd. 10, 1976, S. 237f. 114 H. H. Eulner, D as Spezialistentum in der ärztlichen Praxis im 19. Jahrhundert, in: W. Artelt u. W. Rüegg (Hg.), D er Arzt und der Kranke in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1967, S. 18. 115 Ebd., S. 20. 116 D ie folgenden Zahlen entnehme ich einer Tabelle von F. R. Pfetsch, Die Institutionalisie­ rung medizinischer Fachgebiete im deutschen Wissenschaftssystem, in: ders. u. A. Zloczower, Innovation u. Widerstände in der Wissenschaft. Beiträge zur Geschichte der deutschen Medi­ zin, D üsseldorf 1973, S. 37. Pfetsch stützt sich in seiner Tabelle auf die Übersichtstafeln bei Eulner, Entwicklung, S. 512-38, läßt aber ohne jede Erklärung fünf Universitäten (Erlangen, Gießen, Jena, Rostock und Straßburg) aus. Die Personalverhältnisse an diesen fünf Universitä­ ten habe ich aufgrund der Eulnerschen Übersichtstafeln nachgetragen. Insgesamt geben die Zahlen nicht den gesamten Personalbestand wieder, wie Pfetsch unrichtigerweise schreibt, sondern nur die Zahl der unabhängigen Fachvertreter; sie schließen bei- und untergeordnete Extraordinarien, Privatdozenten und Assistenten nicht ein {Eulner, Entwicklung, S. 492). Im allgemeinen entspricht die Zahl der Fachvertreter der Zahl der medizinischen Einzeldisziplinen an einer Fakultät; nur in Berlin und München waren einige Fächer (Innere Medizin, Chirurgie) doppelt, also mit jeweils zwei Lehrstühlen besetzt. D ie geringe Differenz zu den Zahlen C. v. Ferbers (Die Entwicklung des Lehrkörpers der deutschen Universitäten u. Hochschulen 1854— 1954, Göttingen 1956, S. 195), der für 1880 187 und für 1910 245 Ordinarien ermittelt, läßt sich daraus erklären, daß Eulner nur die »bereits spezialistisch an ihr Fach gebundenen modernen Fachvertreter« aufgenommen hat (S. 493), nicht jedoch etwa die alten Professoren der theoreti­ schen Medizin, die »als Überbleibsel der vorspezialisierten Ära keinem der neuen Einzelfächer zuzuordnen sind« (ebd.). 117 R. S. Turner, The Growth of Professorial Research in Prussia 1818-1948. Causes and Context, in: Historical Studies in the Physical Sciences, Bd. 3, 1971, S. 151-56; die Romantik dagegen, die durch die Betonung von Individualität und Evolution in vielen D isziplinen wissenschaftliche Forschungen anregte, etwa in Geschichte, Sprachen, Ethnologie, dürfte auf die Entwicklung der Medizin einen eher hemmenden Einfluß gehabt haben, vgl. McClelland, State, S. 172. 118 J . Ben-David, Scientific productivity and academic Organisation in nineteenth Century medicine, in: American Sociological Review, Bd. 25, 1960, S. 828-43. 119 D azu bes. Turner, Growth, S. 158ff. 120 Ebd., S. 175, 178f. 121 A. Zloczower, Konjunktur in der Forschung, in: Pfetsch u. Zloczower, S. 100-04. 122 So die Hauptthese von Jewson, Disappearance. 123 J . Dietl, Der Aderlaß in der Lungenentzündung, Wien 1849, S. 105. 124 Zit. nach Meyer-Steinegg/Sudhoff, S. 413. 125 Kußmaul, S. 381. 126 Für den englischen Medizinsoziologen McKeown beginnt die Ära exakt begründbarer, wirksamer medizinischer Therapie, gerade bei Infektionskrankheiten, erst mit der Entdeckung der Sulfonamide Ende der 20er Jahre: T. McKeown, Α historical appraisal of the medical task, in: G. McLachlan u. T. McKeown (Hg.), Medical History and Medical Care, London 1971, S. 45; ähnlich S. 51 in der anschließenden D iskussion; neuerdings auch ders., D ie Bedeutung der Medizin. Traum, Trugbild oder Nemesis?, Frankfurt 1982, S. 135 ff.

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Anmerkungen zu S. 97— 101 127 (D r. Scholz), Werden u. Wachsen. Erinnerungen eines Arztes, Leipzig 1895, S. 85. 128 O. Braus, Akademische Erinnerungen eines alten Arztes an Berlins klinische Größen, Leipzig 1901, S. 102. 129 D iepgen, Geschichte, Bd. H/1, S. 169. 130 Braus, S. 103f.; wenn Operierte noch im OP starben, ließ Jüngken sie ungerührt ins Leichenschauhaus fahren. 131 (Scholz), Werden u. Wachsen, S. 91. 132 Ebd., S. 91-93. 133 Riese, S. 240f. 134 D anach bestand die Prüfung für Kandidaten, die als Ärzte und Wundärzte zugleich approbiert werden wollten, aus folgenden Einzelprüfungen: die anatomische, die chirurgisch­ technische, die klinisch-chirurgische, die klinisch-medizinische Prüfung und die mündliche Schlußprüfung; zu den Anforderungen in den einzelnen Abschnitten vgl. Werne, S. 48-50. 135 D as Prüfungsreglement ist nahezu identisch mit den vom Bundesrat am 25. 9. 1869 für das Gebiet des Norddeutschen Bundes erlassenen Prüfungsvorschriften, diese sind abgedruckt u.a. bei Eulenberg, Medicinalwesen, S. 310-15. 136 E. Th. Nauck, Zur Geschichte des medizinischen Lehrplans und Unterrichts der Univer­ sität Freiburg i. B., Freiburg 1952, S. 76-80; K. Schmiz, D ie Medizinische Fakultät der Univer­ sität Bonn 1818-1918, Bonn 1920, S. 72f, 83. 137 Eulenberg, Medicinalwesen, S. 311. 138 Ackerknecht. Beiträge, S. 136: Wenig. S. 98f. 139 v. Ferber, Entwicklung, S. 195, 205. 140 A. Guttstadt, Über die praktische Ausbildung der Ärzte in den Kliniken, Berlin 1892, S. 17f 141 Ebd., S. 17. 142 Ebd.,S. 18. 143 Ebd. 144 Offizielles Protokoll des Ärztetages 1890, in: Ae. V. Bl. 1890, Nr. 220, ebenso die Berichte der vorher zu diesem Tagesordnungspunkt eingesetzten Kommissionen, in: ebd., Nr. 216, S. 126f, 131 f. 145 Schreiben an den Reichskanzler vom 7. 3. 1891, Bl. 8, in: BA Koblenz, R 86 Reichsge­ sundheitsamt, Nr. 1495, vol. 1. 146 Ae. V. Bl. 1892, Nr. 248, S. 456. 147 Guttstadt, Ausbildung, S. 30. 148 Ebd., S. 131 f.; ebenso H. Quincke, Zur Reform des medicinischen Unterrichts u. der Prüfungsordnung, in: DMW, Bd. 17, 1891, S. 758. 149 A. Hartmann, D ie Reform des medicinischen Unterrichts, Berlin 1894, S. 3. 150 Wenig, S. 129. 151 Materialien zur Revision der medizinischen Prüfungen. Nach amtlichen Berichten u. Gutachten im Auftrage des Kgl. Preußischen Herrn Ministers der GUMA zusammengestellt, 1896, S. 4 (BA Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 4). 152 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1891, Nr. 231, S. 252. 153 D aß die meisten Ärzte in die Praxis gingen, ohne die Handhabung dieses so wichtigen Instruments praktisch gelernt zu haben, beklagt Bornemann, Über die Vorbildung des Arztes für seinen Beruf, nebst einer Studienordnung für den praktischen Arzt, Berlin 1889, S. 20f. 154 Ebd., S. 46-48. 155 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1891, Nr. 231, S. 252f. 156 Grundzüge für die Neugestaltung der medizinischen Prüfungen, S. 1 (BA Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 4). 157 Prüfungsordnung für Ärzte, abgedruckt in: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 455 und 456, hier Nr. 456, S. 442.

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Anmerkungen zu S. 102—106 158 D azu Abschnitt 4 in diesem Kapitel. 159 Circularverfügung von Bethmann-Hollweg vom 20. 7. 1861, abgedruckt bei Eulenberg, Medicinalwesen, S. 304. 160 Zusammenstellung und Beleuchtung der seitens der deutschen Bundesbehörden u. der von denselben ressortierenden 19 medizinischen Fakultäten gemachten Abänderungsvorschlä­ ge zu den preußischen Entwürfen, die Prüfung der Ärzte und das Tentamen physicum betref­ fend, zugestellt dem Reichskanzleramt unter dem D atum des 19. 5. 1877, S. 90-93, in: ΒΑ Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 1. 161 Ebd.,S. 95. 162 Bericht über die Verhandlungen der Sachverständigen-Kommission, S. 31. 163 W. v. Waldeyer-Hartz, Lebenserinnerungen, Bonn 19223 S. 112f., zitiert nach Wenig, S. 117f. 164 D iepgen, Geschichte, Bd. II/1, S. 218, 224. 165 R. Koch, D ie Geschichte der Medizin im Universitätsunterricht, in: Archiv für Ge­ schichte der Medizin, Bd. 20, 1928, S. 2. 166 Eulner, Entwicklung, S. 495 ff. (Übersichtstabellen über die Fachvertreter an den einzel­ nen Universitäten.) 167 E. Braatz, D er Unterricht in der Geschichte der Medizin u. der neue Entwurf der ärztlichen Prüfungsordnung, in: DMW, Bd. 27, 1901, S. 50: diese Angabe findet merkwürdi­ gerweise keine Bestätigung in Eulners Übersichtstabellen, obwohl auch v. Ferber, Entwick­ lung, S. 69, berechnet, daß zwischen 1864 und 1900 die Zahl der Lehrstühle für Geschichte der Medizin (und für gerichtliche Medizin) um sechs zurückgegangen sei. 168 Koch, Geschichte, S. 4. 169 Eulner, Entwicklung, S. 428. 170 Von diesen sechs Jahren entfielen nach der bayrischen Prüfungsordnung von 1858 fünf Jahre auf das eigentliche Studium, an das sich ein praktisches Jahr anschloß, dazu Wenig, S. 104f. 171 So Virchow vor dem Preußischen Abgeordnetenhaus, vgl. die Gutachtliche Äußerung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes vom 20. 8. 1879, Bl. 115 Rückseite, in: BA Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 1. 172 Einige Bemerkungen über die Reform der Prüfungsordnung für die deutschen Ärzte. Den Reichsbehörden u. dem Reichstag gewidmet u. zu freundlicher Beachtung empfohlen von einem alten Arzt im jungen Reich, Heidelberg 1877, S. 6. 173 Preußische Statistik, H. 167, Berlin 1901, S. 86f.; im Wintersemester 1870 waren noch 54,8% der deutschen Medizinstudenten an preußischen Universitäten immatrikuliert gewesen. 174 In einem Schreiben vom 11. 9. 73 an Bismarck hatte der preußische Kultusminister diese Klagen als berechtigt anerkannt und die Vereinheitlichung des Prüfungswesens als dringendes Bedürfnis bezeichnet (BA Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 1). 175 Wenig, S. 50f. 176 Th. Billroth, Über das Lehren und Lernen der Medicinischen Wissenschaften an den Universitäten der deutschen Nation nebst allgemeinen Bemerkungen über Universitäten, Wien 1876, S. 162f. 177 Wenig, S. 94-96. 178 Ebd., S. 93f. 179 Prüfungsreglement vom 25. 9. 1869 für das Gebiet des Norddeutschen Bundes, § 2, Eulenburg, Medicinalwesen, S. 310. 180 G. Eiebau, D as Medizinal-Prüfungswesen im D eutschen Reiche, Leipzig 1890, S. 23. Ob sich durch diese Zusatzbestimmung allerdings in der Praxis etwas änderte, entzieht sich meiner Kenntnis. 181 Zusammenstellung u. Beleuchtung . . . (wie Anm. 160), in: BA Koblenz, R 86 Reichs­ gesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 1.

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Anmerkungen zu S. 106— 111 182 Riese, S. 225-32. 183 Zusammenstellung u. Beleuchtung . . . (wie Anm. 160), S. 73, in: Β Α Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 1. 184 Kaiserliches Gesundheitsamt, Gutachtliche Äußerung zu dem Entwurf einer Prüfungs­ ordnung für Ärzte, 20. 8. 1879, Bl. 102 Vorderseite (BA Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 1). 185 Ebd., Bl. 113 Vorderseite. 186 Bericht über die Verhandlungen der Sachverständigen-Kommission, S. 28, 24. 187 Abgesehen von dieser Eingabe hielten sich übrigens die ärztlichen Standesorganisatio­ nen bei der Beratung der Prüfungsordnung - ganz im Gegensatz zu ihrem lebhaften Engage­ ment in den 90er Jahren (dazu Abschnitt 4 dieses Kapitels) - auffallend zurück. 188 Bericht über die Verhandlungen der Sachverständigen-Kommission, S. 24. 189 Zur Entwicklung der Hygiene vgl. Eulner, Entwicklung, S. 139-58; ders., Hygiene als akademisches Fach, in: W. Artelt u. W. Rüegg (Hg.), Städte-, Wohungs- u. Kleidungshygiene des 19. Jahrhunderts in Deutschland, Stuttgart 1969, S. 17-33. 190 Billroth, S. 126. 191 Eulner, Entwicklung, S. 145. 192 Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des Ärztetages, in: Ae. V. Bl. 1889, Nr. 211, S. 402-19. 193 Eine Prüfung in Geschichte der Medizin sah auch eine vom preußischen Kultusministe­ rium 1891 berufenen Kommission vor: Materialien zur Revision der medizinischen Prüfungen, nach amtlichen Gutachten im Auftrage des Kgl. Preußischen Herrn Ministers der GUMA zusammengestellt, 1896, S. 5 (BA Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 4). Die schließlich verabschiedete Prüfungsordnung von 1901 forderte dagegen lediglich in § 47, »bei den einzelnen Prüfungsabschnitten ihre Geschichte . . . nicht unberücksichtigt zu lassen«. Vgl. auch Braatz, der sich vor allem für eine stärkere Berücksichtigung der Medizingeschichte im Lehrangebot einsetzt. 194 Prüfungsordnung für Ärzte, abgedr. in: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 455 und 456. 195 D ie erste Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten wurde 1899 in Rostock eröffnet, doch wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts die beiden Spezialitäten Otologie und Rhino­ Laryngologie an den meisten Universitäten noch getrennt vertreten. D as kam daher, daß erstere sich als Spezialgebiet aus der Chirurgie heraus entwickelt hatte, letztere aus der medizi­ nischen Klinik (dazu Eulner, Entwicklung, S. 347-86). 196 In der Prüfungsordnung von 1883 waren die Anforderungen in dieser Hinsicht niedriger als in der von 1869, die auch schon die Leitung von vier Geburten verlangt hatte (Liebau, S. 24; Eulenberg, Medicinalwesen, S. 310). 197 Prüfungsordnung für Ärzte, in: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 455, S. 414. 198 D azu Kapitel IV. 2.b. 199 Kaiserliches Gesundheitsamt an Reichskanzleramt, 17. 6. 1877, Abänderungsvorschlä­ ge zu dem vom Ministerium für GUMA aufgestellten Entwurfe zu einer Bekanntmachung betr. die Prüfung der Ärzte, Bl. 14f. (BA Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 1). 200 Schreiben des Min. f. GUMA an das Reichskanzleramt vom 6. 5. 1874, in: Β Α Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 1. 201 Vgl. v.a. KGA, Gutachtliche Äußerung . . . (wie Anm. 196), Bl. 109 (BA Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 1). 202 D as KGA war 1876 als Behörde mit beratendem Charakter zur Unterstützung des Reichskanzlers in allen medizinalpolizeilichen Fragen gegründet worden, hatte also ausdrück­ lich die Funktion, die fachliche ärztliche Expertise, etwa bei Gesetzgebungsvorhaben, zur Geltung zu bringen; seine Mitglieder waren in der Hauptsache Mediziner. 203 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1882, Nr. 123, S. 133f.

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Anmerkungen zu S. 112—117 204 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1883, Nr. 135, S. 183. Gleichzeitig begrüßte der Ärztetag die Verlängerung des medizinischen Studiums als von ihm »stets ange­ strebt« (ebd.). 205 So eine Formulierung in einem Antrag zur Abmahnung vom Medizinstudium auf dem Ärztetag 1892, Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1892, Nr. 243, S. 247. 206 Offizielles Protokoll des Ärztetages 1889, Ae. V. Bl. 1889, Nr. 211, S. 406. 207 Off. Protokoll des Ärztetages, in: A e . V . B l . 1890, Nr. 220, S. 300-311. Nur ein einziger Redner, D r. Asch aus Breslau, äußerte eine abweichende Meinung: »D ie Petition um Verschär­ fung der Prüfungsordnung ist eine Petition um Staatshilfe gegen die Concurrenz der jungen Collegen. Alle die schönen Redensarten, daß uns nur innere Interessen bewegen, sind für mich hinfällig . . .« (Ebd., S. 308). 208 So ein Redner auf dem Ärztetag 1892, Protokoll, in: Ae. V. Bl. 1892, S. 469. 209 D . K. Müller, Qualifikationskrise u. Schulreform, in: U. Herrmann (Hg.), Historische Pädagogik (= Zs. f. Pädagogik, 14. Beiheft), Weinheim 1977, S. 18f.; vgl. auch Herrmann u. Friederich. 210 Titze bemerkt dazu, »länger als ein Jahrzehnt (habe) die Unterrichtsverwaltung gleich­ sam im Banne des ›Überfüllungsproblems‹« gestanden (Überfüllungskrisen, S. 208). 211 W. Lexis, D enkschrift über die dem Bedarf Preußens entsprechende Normalzahl der Studierenden der verschiedenen Fakultäten, als MS gedruckt, 1. Bearbeitung 1888, S. 16. 212 Ebd., 2. Bearbeitung 1890, S. 39. 213 Schreiben des Min. f. GUMA an Reichskanzler v. Caprivi, vom 7. 3. 1891, Bl. 2, in: BA Koblenz, R 86 Reichsgesundheitsamt, Nr. 1495, vol. 4. D ieser Aspekt, daß mit der Studienzeit ein Instrument zur Bedarfssteuerung an Ärzten gegeben sei, war dabei für das Min. f. GUMA offenbar allein entscheidend, während in der Argumentation von ärztlicher Seite noch die ambivalente Funktion der Studienzeitverlängerung aufscheint, nämlich einerseits eine dem gewachsenen Wissensstand entsprechende Qualifikation der Studierenden zu ermögli­ chen, andererseits Studierwillige vom dadurch teurer werdenden Medizinstudium abzu­ schrecken. 214 Preußische Statistik, H. 204, S. 1 3 5 f ; H . 236, S. 124 f. 215 Ebd.,S. 120. 216 Zusammenfassender Bericht von Althoff und Sachse zum Problem des akademischen Proleatriats vom 31. 3. 1890 (im D ZA Merseburg), freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Dr. Hartmut Titze, Göttingen. 217 Ae. V. Bl. 1902, Nr. 468, S. 122f. 218 Weinbaum, Wer soll und wer darf Arzt werden? Ratschläge für angehende Mediziner (Verband der Ärzte D eutschlands, Veröffentlichung Nr. 18), Leipzig 1907, S. 4. D ie Summe von 10000 Mk. ist nach Meinung des Hamburger Arztes und Medizinalbeamten Moritz Fürst eher noch zu niedrig angesetzt: M. Fürst, Der Arzt. Stellung und Aufgaben, Leipzig 1909, S. 13. 219 Preußische Statistik, H. 236, S. 150-61. 220 D enkschrift, betr. Befreiung, Stundung und Erlaß von Vorlesungs-Honoraren auf den Deutschen Universitäten, 1890 (Universitäts-Archiv Göttingen, freundlicherweise zur Verfü­ gung gestellt von Dr. Hartmut Titze, Göttingen). 221 Preußische Statistik, H. 236, S. 156. 222 Auch dieses Instrument hatte wieder den Doppelcharakter, den auch die Studienzeitver­ längerung hatte: Einerseits konnte es dazu dienen, nur wirklich gut ausgebildete und qualifizier­ te Ärzte in die Praxis zu entlassen; andrerseits hatte es auch die Funktion, den Zugang zum Beruf zu drosseln. 223 H. Quincke, Kritische Bemerkungen zur ärztlichen Prüfungsordnung, in: DMW, Jg. 16, 1890, S. 530. 224 Lexis, D enkschrift, 2. Bearbeitung, S. 38. 225 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1889, Nr. 207, S. 239; dieselbe

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Anmerkungen zu S. 111— 122 Forderung, daß die Prüfung als ganze wiederholt werden müsse, auch bei Quincke, Bemerkun­ gen, S. 530. 226 Prüfungsordnung für Ärzte, in: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 456, S. 441. 227 V. a. mit dem Argument, ein solches Verhalten erinnere zu sehr »an ein gewisses Gebahren von Gewerbetreibenden« und sei zu »peinlich«; ausführlicher zu der Debatte auf dem Ärztetag Huerkamp u. Spree, S. 88. 228 Abmahnung vom Studium der Medicin, hg. vom Geschäftsausschuß des D eutschen Ärztevereinsbundes, abgedruckt in: Ae. V. Bl. 1904, Nr. 527, S. 410-14. Kritisch dazu der Gymnasialdirektor E. Huckert, Sollen wir vom Studium der Medizin abmahnen?, in: Preußi­ sche Jahrbücher, 1904, S. 328-33. 229 Titze, Überfüllungsknsen, S. 208. 230 Vgl. oben S. 86f. 231 Einen ersten Überblick bietet R. Hollmann, Die Stellungnahme der Ärzte im Streit um das Medizinstudium der Frau bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Diss. München 1976. 232 S. Leibfried u. F. Tennstedt, Berufsverbote und Sozialpolitik 1933, Bremen 1979. Kapitel IV 1 Vgl. etwa M. Ring, Aus dem Tagebuch eines Berliner Arztes, Berlin 1856, S. 14f; Κ. Ε. Hasse, Erinnerungen aus meinem Leben, Leipzig 1903, S. 160. 2 J . Wolff, Der praktische Arzt und sein Beruf. Vademecum für angehende Praktiker, Stuttgart 1896, S. 61 f.; ebenso G. Knauer, Winke für den ärztlichen Weg aus 20jähriger Erfahrung, Wiesbaden 1912, S. 30. 3 A. Reibmayr, Der Praktiker, Leipzig 1893, S. 6. 4 J . Pagel, Medicinische D eontologie. Ein kleiner Katechismus für angehende Praktiker, Berlin 1897, S. 82. 5 Ebd., S. 83; Ritw, Tagebuch, S. 23. 6 S. Neumann, D ie Krankenanstalten im Preußischen Staate, nach den bisherigen vom statistischen Bureau über dieselben veröffentlichten Nachrichten, in: Archiv für Landeskunde der preußischen Monarchie, Bd. 5, 1859, S. 348, 357. 7 M. Stürzbecher, Die medizinische Versorgung und die Entstehung der Gesundheitsfürsor­ ge zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland, in: G. Mann u. R. Winau (Hg.), Medizin, Naturwissenschaft, Technik und das Zweite Kaiserreich, Göttingen 1977, S. 258. 8 Überblick über die Ergebnisse der 1876, 1887, 1898 und 1909 vom Reichsgesundheitsamt durchgeführten offiziellen Zählungen des Medizinalpersonals bei: F. Prinzing, Handbuch der medizinischen Statistik, Jena 19312, S. 634. 9 So blieben von 1793 bei der Stellenvermittlung des Leipziger Verbandes 1901-1911 einge­ gangene Stellenangeboten 739 (= 41%) unbesetzt: E. G. Dresel, Organisationsbestrebungen im ärztlichen Stande, Berlin 1913, S. 119. 10 Vgl. Ae. V. Bl. 1906, Nr. 568, S. 177-80, und 571, S. 255f., 256f.; Ärztl. Mitt., Jg. 7, 1906, Nr. 23, S. 291-94; Nr. 26, S. 337. 11 Vielmehr beschloß eine am 21. 6. 1906 im Anschluß an die Hauptversammlung des Leipziger Verbandes stattfindende Versammlung von Assistenzärzten, ihren Kollegen zu emp­ fehlen, sich in größeren Orten oder Bezirken in engem Anschluß an den Leipziger Verband zu Assistentengruppen zusammenzuschließen, Ärztl. Mitt., Jg. 7, 1906, Nr. 26, S. 337. 12 Weinbaum, S. 12. 13 Vgl. die Zahl studierender Arztsöhne in Kap. III., Tab. 4 u. Tab. 9; diese Zahlen dürfen aber nicht ohne weiteres mit der Zahl der Praxisvererbungen gleichgesetzt werden, da zum einen mehrere Söhne eines Arztes Medizin studieren konnten, zum anderen vielfach der Sohn approbiert war, lange Jahre bevor der Vater sich zur Ruhe setzte, und sich daher eine eigene

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Anmerkungen zu S. 122—128 Praxis aufbaute. Zudem ist zu berücksichtigen, daß in Göttingen als sozial exklusiver Universi­ tät die Eigenrekrutierungsrate höher als im Landesdurchschnitt lag. 14 Urteil vom 13. 10. 1903, in: Ac. V. Bl. 1904, S. 92; Beschluß vom 5. Mai 1903, in: Ae. V. Bl. 1903, S. 505. Vgl. auch: Entscheidungen des preußischen Ehrengerichtshofs für Ärzte, Bd. 2, Berlin 1911, S. 39ff. 15 A. Moll, Ärztliche Ethik, Stuttgart 1902, S. 340. 16 E. Peiper, D er Arzt. Einführung in ärztliche Berufs- u. Standesfragen, Wiesbaden 1906, S. 13. So erging es auch Dr. Vormeng, der zwar keine Praxis kaufte, aber von einem kurz zuvor verstorbenen, ihm befreundeten Arzt die Patientenkartei übernehmen konnte: K. Vormeng, D r. Fritz. Leiden u. Freuden eines Arztes, Berlin 1905, S. 37 f. 17 W. Klette, Das Studium der Medizin. Ratgeber für Studenten u. angehende Ärzte, Leipzig 19043, S. 58. 18 Wolff, D er praktische Arzt, S. 29-32. 19 Krankenkassen u. Krankenhäuser größerer Betriebe, Berlin 1901, S. 11 f. 20 Weinbaum, S. 12. 21 D iese Veröffentlichung des Leipziger Verbandes sollte in erster Linie dazu dienen, unbe­ mittelte Studierwillige vom Medizinstudium abzuhalten. 22 Knauer, Winke, S. 20. 23 Ebd. 24 Von den Schwierigkeiten, als lediger Arzt Hausarztstellen zu finden, berichtet auch K. Vormeng, Lehr-u. Wanderjahre eines jungen Arztes, Berlin 1898, S. 43. 25 F. W. v. Hoven, Biographie des D octor Friedrich Wilhelm v. Hoven, von ihm selbst geschrieben und wenige Tage vor seinem Tode noch beendigt, Nürnberg 1840, S. 72 f.; C. I. Lorinser, Eine Selbstbiographie. Hg. F. Lorinser, Regensburg 1864, S. 124 ff; Merkel, Lebens­ erinnerungen, S. 79 ff; G. F. L. Stromeyer, Erinnerungen eines deutschen Arztes, Bd. 2, Han­ nover 18752, S. 15f.; Ring, Tagebuch, S. 14ff.; Vormeng, Lehr- u. Wanderjahre, S. 20-27; A. Grotjahn, Erlebtes und Erstrebtes. Erinnerungen eines sozialistischen Arztes, Berlin 1932, S. 81. 26 In: Ae. V Bl. 1904, Nr. 527, S. 413. 27 B. Möllers, Robert Koch, 1843-1910, Hannover 1950, S. 53-92. 28 P. Börner, Reichs-Medicinal-Kalendcr für D eutschland auf das Jahr 1880ff. (Cassel 1879ff); seit Jg. 1888 (Leipzig 1887) Hg. S. Guttmann, seit Jg. 1896 (Leipzig 1895) Hg. F. Eulenburg u. J . Schwalbe. 29 In Münster ist wegen der Militärgarnison und des dadurch bedingten raschen Wechsels von Garnisonsärzten, die nebenher auch noch Privatpraxis trieben, die Fluktuation ganz beson­ ders ausgeprägt, so daß die Stadt mit ihren (1886) 46 Ärzten aus der Untersuchung ausgeklam­ mert wurde; nicht mitgezählt wurde außerdem ein Assistenzarzt an der Provinzial-Irrenanstalt in Lengerich, da dieser für einen langjährigen Aufenthalt am Ort nicht in Frage kam. 30 Nicht mitgerechnet zwei Assistenzärzte in Lengerich und in Telgte. 31 Vormeng, Lehr-u. Wanderjahre, S. 22f. 32 Ritiq, Tagebuch, S. 34-46. 33 (Scholz), Werden, S. 163. 34 Fürst, D er Arzt, S. 46. 35 O. Körner, Erinnerungen eines deutschen Arztes u. Hochschullehrers 1858-1914, Mün­ chen 1920, S. 79. Auch zum engsten Freundeskreis von Körner gehörten mehrere Ärzte, ebd., S. 81. 36 Etwa: J . Thiersch, Carl Thiersch. Sein Leben, Leipzig 1922; A. v. Strümpell, Aus dem Leben eines deutschen Klinikers, Leipzig 1925, S. 148-52. 37 Ae. V Bl. 1877, Protokoll des Ärztetags 1877, S. 224. 38 E. Graf, D as ärztliche Vereinswesen in D eutschland u. der deutsche Ärztevereinsbund, Leipzig 1890, S. 54.

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Anmerkungen zu S. 128— 134 39 Ebd. 40 Typisch etwa: W.J. Goode, Community within a Community: the Professions, in: American Sociological Review, Bd. 22, 1957, S. 194—200; zur Kritik an dieser Position v. a.: I. Waddington, The Development of Medical Ethics - Α Sociological Analysis, in: Medical History, Bd. 19, 1975, S. 36-51, v. a. 38f. 41 Abgedruckt bei Marx, Entwicklung, Anlage V, S. 147-53. 42 Ebd., S. 150. 43 Wolff, Der praktische Arzt; Pagel, Deontologie; C. H asse, Aus dem ärztlichen Leben. Ratgeber für angehende und junge Ärzte, Leipzig 18992; C. v. Mettenheimer, Viaticum. Erfah­ rungen u. Ratschläge eines alten Arztes, Berlin 1899; R. Hundeshagen, Einführung in die ärztliche Praxis, Stuttgart 1905; Knauer, Winke. 44 Hundeshagen, S. 150, 169, 173; Knauer, Winke, S. 15f.; Mettenheimer, S. 45. 45 Hundeshagen, S. 178, 191; ebenso Karlsruher Standesordnung (Marx, Entwicklung, S. 152); Knauer, Winke, S. 65-71. 46 Hundeshagen, S. 156f; Hasse, Leben, S. 26; vgl. auch Karlsruher Standesordnung, §17 (Marx, Entwicklung, S. 150). 47 Wolff, Der praktische Arzt, S. 40 ff; Mettenheimer, S. 57 ff; Hundeshagen, S. 146-49; vgl. auch Moll, Ethik, S. 332-50. 48 Karlsruher Standesordnung, §2 (Marx, Entwicklung, S. 147); wortgleich damit Artikel II, § 3 der am New Yorker Code of Medical Ethics orientierten Standesordnung des Münchner ärztlichen Bezirksvereins von 1875: Der ärztliche Stand und das Publikum, München 18856, S. 8. 49 Vgl. etwa den Text der preußischen Medizinalordnung von 1693, abgedruckt bei M. Stürzbecher, Zur Geschichte der brandenburgischen Medizinalgesetzgebung im 17. Jahrhun­ dert, in: ders., Beiträge, S. 42-64, hier S. 44f. 50 Zum Organisationsgrad Kap. VII,l.b. (Tab. 17). 51 D azu Kap. VII,2.c. 52 Zitiert nach Peiper, Arzt, S. 16; vgl. Entscheidungen des preußischen Ehrengerichtshofs für Ärzte, Bd. 1, Berlin 1908, S. 15-17; Bd. 2, S. 1 ff. 53 Ebd., Bd. 1, S. 8-15. 54 Ebd., S. 5f. 55 So auch Dr. Dietrich, Ärztliche Collegialität, in: Ärztlicher Central-Anzeiger Hamburg, Bd. 10, 1895, Nr. 2, S. 9-11. 56 Entscheidungen des Ehrengerichtshofes, Bd. 1, S. 47 ff; Bd. 2, S. 30 ff. 57 Wasserfuhr, Gutachtliche Äußerung, S. 86. 58 D iepgen, Geschichte, Bd. H/1, S. 170. 59 Kußmaul, Jugenderinnerungen, S. 413. 60 E. Haffter (Hg.), D r. L. Sonderegger in seiner Selbstbiographie u. seinen Briefen, Bd. 2, Frauenfeld 1898, S. 27. 61 D iepgen, Geschichte, Bd. II/2, S. 156ff. 62 Wolff, Der praktische Arzt, S. 29, fordert allerdings für die Niederlassung die Anschaf­ fung des nötigen Instrumentariums für Urin-, Blut- und Sputum-Untersuchungen. 63 D iepgen, Geschichte, Bd. II/2, S. 219. 64 1848 bezeichnete der große Chirurg D ieffenbach die Ovariotomie, also die operative Entfernung der Eierstöcke, als »tollkühnes Unternehmen«: V. Czerny, Über die Entwicklung der Chirurgie während des 19. Jahrhunderts und ihre Beziehungen zum Unterricht, Heidel­ berg 1903, S. 16. 65 F. Graevell, Notizen für Ärzte, Bd. 1, Berlin 1848, S. 669. 66 D ie Geburtshilfe in Baden 1865-1934, in: Statistisches Jb. für das Land Baden, Jg. 44, 1938, S. 311 f. Zur hohen Sterblichkeit beim Kaiserschnitt in den ersten zwei D ritteln des 19. Jahrhunderts siehe auch Fasbender, S. 983 f.

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Anmerkungen zu S. 134—139 67 König, D ie Chirurgie vor 50 Jahren und die heutige Chirurgie. Rede, gehalten bei der Einweihung der neuen chirurgischen Klinik in der Charite (16. 5. 1904), in: Berliner Klinische Wochenschrift, Bd. 41, 1904, Nr. 23, S. 601; ähnlich beurteilte ein Arzt 1901 beim Rückblick auf seine Studienzeit in den 50er Jahren die hygienischen Verhältnisse in der Charité: »D iese chirurgischen Säle waren geradezu Pestherde der Ansteckung, der Pyämie, Septicamie etc.« (Braus, Erinnerungen, S. 101). 68 J . H. Upmalis, The Introduction of Lister's Treatment to Germany, in: Bulletin of the History of Mediane, Bd. 42, 1968, S. 221-40. 69 D iepgen, Geschichte, Bd. II/2, S. 220f. 70 Ebd., S. 224f.; daß die Blinddarmoperation daher »leider beinahe Mode geworden« sei, beklagt Czerny, Entwicklung, S. 17. 71 D iepgen, Geschichte, Bd. II/2, S. 225f. 72 Geburtshilfe in Baden, S. 312. D iepgens Angabe, die Mortalität beim Kaiserschnitt sei um 1900 auf 6% gesunken, (Bd. II/2, S. 238) bedarf also offensichtlich der Korrektur. 73 Geburtshilfe in Baden, S. 310f, 312. 74 S. dazu R. Spree, Soziale Ungleichheit vor Krankheit u. Tod. Zur Sozialgeschichte des Gesundheitsbereichs im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1981, S. 19-48. 75 Ebd., S. 115-37. 76 Etwa Honigmann, Hauptperioden, X., S. 140; vgl. auch Czerny, Entwicklung, S. 94f. 77 D iepgen, Bd. II/2, S. 240. 78 In dieser Zeit nahm auch die chemische Großindustrie die Herstellung und den Vertrieb pharmazeutischer Produkte in großem Rahmen auf. E. Ernst, Das »industrielle« Geheimmittel und seine Werbung. Arzneifertigwaren in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland, Diss. Marburg 1969. 79 Mit dieser Gruppe, höheren Beamten, Lehrern, Richtern, Pfarrern, gebildeten Kaufleu­ ten, waren die Ärzte durch gleiche oder ähnliche Sozialisation verbunden; von ihnen konnten sie am ehesten erwarten, daß ihr Autoritätsanspruch akzeptiert wurde. Hier bildete sich daher wahrscheinlich schon um die Wende zum 19. Jahrhundert in nuce das moderne Arzt-Patient­ Verhältnis heraus, gekennzeichnet durch freiwillige Unterwerfung unter das Expertenwissen des Arztes und durch Vertrauen auf die ärztliche Leistuno;. 80 H. Kaelble, Sozialer Aufstieg in Deutschland 1850-1914, in: VSWG, Bd. 60, 1973, S. 49. 81 D . Tutzke u. H. Engel, Tätigkeit und Einkommen eines Allgemeinpraktikers vor der Mitte des 19. Jahrhunderts - Ergebnisse einer historisch-statistischen Analyse, in: Zs. für die gesamte Hygiene, Bd. 24, 1978, S. 462; J . u. H.-P. Wolff, Das Profil einer ärztlichen Allgemein­ praxis im Jahre 1862, in: Deutsches Gesundheitswesen, Bd. 34, 1979, S. 568-71. 82 Bewegung der Bevölkerung im Großherzogtum Baden in den Jahren 1856 bis mit 1863 und Medicinische Statistik, Hg. Handels-Ministerium, Carlsruhe 1865, Tab. II, S. 78f. 83 Ebd., S. XXX. 84 Esser, S. 49. 85 Ergebnisse der Todesursachen-Statistik im Deutschen Reiche für das Jahr 1913 (=Medizi­ nal-statistische Mitteilungen aus dem KGA, Bd. 19), Berlin 1917, S. 148f. 86 Bewegung der Bevölkerung, Tab. II, S. 48, 68, 58. 87 Ergebnisse, S. 151; Die Gruppen 0-1 Jahre und über 60 Jahre waren allerdings diejenigen, welche die relativ meisten Gestorbenen aufzuweisen hatten. 88 Zudem ist unter »ärztlicher Behandlung« vermutlich die Behandlung durch eine appro­ bierte Medizinalperson zu verstehen, also nicht nur durch einen akademisch gebildeten Arzt, sondern ebenfalls durch die handwerklich ausgebildeten Wundärzte alten Typs. D a aber in Baden und auch in anderen deutschen Staaten etwa zeitgleich ähnliche Verschiebungen in der Qualifikationsstruktur der Ärzteschaft stattgefunden hatten wie in Preußen, dürfte das Gros der Behandlungsfälle Ende der 50er und zu Beginn der 60er Jahre auf das Konto der akademischen Ärzte gehen.

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Anmerkungen zu S. 139— 144 89 Zur Konzeptualisierung des Begriffs v. a. M. Foucault, La politique de la santé au XVIIIe siècle, in: ders. u.a., Les machines à guérir. Aux origines de l'hopital moderne, Paris 1976, S. 11-21. Vgl. außerdem den Sammelband: J.-P. Goubert (Hg.), La medicalisation de la société francaise 1770-1830, Paris 1982. 90 Zit. bei Diepgen, Geschichte, Bd. II/l, S. 214. 91 Plouquet, S. 175. 92 M. Stürzbecher, Über die medizinische Versorgung der Berliner Bevölkerung im 18. Jahrhundert, in: ders., Beiträge zur Berliner Medizingeschichte, S. 124. 93 So beispielsweise das 1818 gegründete Allgemeine Krankenhaus in Hamburg, dazu: H. Rodegra, D as Gesundheitswesen der Stadt Hamburg im 19. Jahrhundert unter Berücksichti­ gung der Medizinalgesetzgebung (1586-1818-1900), Wiesbaden 1979, S. 111 f. 94 Neumann, Krankenanstalten, S. 348, 357. 95 D azu jetzt Frevert, Krankheit, S. 108 ff. 96 Zitiert ebd., S. 113; der hier mit kaum zu überbietender D eutlichkeit formulierte Zwangscharakter des Arzt-Patienten-Verhältnisses findet sich auch in anderen Armenarzt­ Instruktionen des 19. Jahrhunderts. So heißt es in der D ienst-Instruktion für die Breslauer Armenärzte von 1849, die Armen-D irektion werde »dafür sorgen, daß ein ungebührliches Betragen Seitens der Kranken gegen den Arzt streng geahndet werde« (J. Graetzer, Über die Organisation der Armenkrankenpflege in größeren Städten, Breslau 1851, S. 46). 97 F. L. Augustin, D ie Königlich-Preußische Medicinalverfassung, Bd. 1, Potsdam 1818, Artikel »Armenarzt«, S. 89. 98 Vgl. eine entsprechende Zirkularverfügung des Ministeriums von 1821, abgedruckt bei W. v. Horn, Das preußische Medicinalwesen, Teil 2, Berlin 18632, S. 157f. 99 Stromeyer, Bd. 2, S. 15. 100 So die Breslauer D ienstanweisung von 1849, abgedruckt bei Graetzer, Organisation, S. 46. 101 M. Fürst, Stellung u. Aufgaben des Arztes in der öffentlichen Armenpflege, Jena 1903, S. 132. 102 Ackerknecht, Beiträge, S. 142 f. 103 Selbst bei Rudolf Virchow, der die Ärzte als natürliche »Anwälte der Armen« bezeichne­ te, läßt sich der Blickwinkel von oben, von der Warte des sozial und kulturell unvergleichlich viel höher stehenden Bildungsbürgers nicht verkennen; vgl. ders., Die Not im Spessart (1852); Mitteilungen über die in Oberschlesien herrschende Typhusepidemie (1849), ND Darmstadt 1968, in der letzteren Abhandlung besonders den Abschnitt »D as Land und seine Bewohner«, S. 59-81, wo er die Bewohner Oberschlesiens kennzeichnet durch »Indolenz«, Abneigung gegen geistige und körperliche Angstrengungen«, »hündische Unterwürfigkeit« (S. 65). 104 D ie unter staatlicher Aufsicht stehenden gewerblichen Hülfskassen für Arbeitnehmer und die Versicherung gewerblicher Arbeitnehmer gegen Unfälle im preußischen Staate, bearb. im Auftrag des Handelsministeriums, Berlin 1876, Einleitung S. 1 f. Auch nachdem eine Verordnung vom 9.2.1849 die Kassen-Bestimmungen auf die Fabrikarbeiter ausgedehnt hatte, ging die Gründung neuer Hilfskassen zunächst nur schleppend voran: Bis Ende 1853 wurden in ganz Preußen nur 226 neue Kassen genehmigt: ebd., S. 2. Dazu auch P. Peschke, Geschichte der deutschen Sozialversicherung, Berlin 1962, S. 89 ff; F. Tennstedt, Geschichte der Selbstverwal­ tung in der Krankenversicherung von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1977, S. 13-22. Zu den Hintergründen der frühen Kassen­ gesetzgebung, der Politik des preußischen Staates, den Strategien der Unternehmer, und dem Verhalten der Betroffenen, der Arbeiter, vgl. jetzt Frevert, Krankheit, Kap. 3 u. 4. 105 D ie unter staatlicher Aufsicht stehenden gewerblichen Hülfskassen, S. 3. 106 Ebd., S. 5. 107 D as waren 1874 277 Kassen mit 35392 Mitgliedern, ebd., S. 7. 108 W. Fischer, D ie Pionierrolle der betrieblichen Sozialpolitik im 19. u. beginnenden

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Anmerkungen zu S. 144—156 20. Jahrhundert, in: Betriebliche Sozialpolitik deutscher Unternehmen seit dem 19. Jahrhun­ dert, Wiesbaden 1979, S. 40. 109 1874 bei 3348 Kassen mit 634241 Mitgliedern, D ie unter staatlicher Aufsicht stehenden gewerblichen Hülfskassen, S. 142 f. 110 Koblank, Notizen über den Gewerks-Kranken-Verein in Berlin und den finanziellen Zustand der zu demselben gehörenden Krankenkassen, in: Congrès International de Bienfaisance de Francfort-sur-le-Mein, Session de 1857, Bd. 2, Frankfurt 1858, S. 173. 111 Bei der Kruppschen Betriebskrankenkasse waren in den 50er Jahren für »Simulation« Ordnungsstrafen bis zu 10 Taler festgesetzt, weit mehr als der durchschnittliche Wochenlohn eines Arbeiters: W. Vossiek, Hundert Jahre Kruppsche Betriebskrankenkasse 1836-1936, Berlin 1937, S. 26. 112 U. Frevert, Arbeiterkrankheit und Arbeiterkrankenkassen im Industrialisierungsprozeß Preußens (1840-1870), in: W. Conze, u. U. Engelhardt (Hg.), Arbeiterexistenz im 19. Jahrhun­ dert, Stuttgart 1981, S. 310. 113 D azu weiter unten S. 201 f. 114 D azu ausführlich Kap. VI. 1, bes. Tab. 13. 115 Tabellen und amtliche Nachrichten über den preußischen Staat für das Jahr 1849, Bd. 2, Berlin 1851, S. 610f. 116 G. Dierking, Anzahl u. Verteilung der Medizinalpersonen im Regierungsbezirk Minden um die Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin (D iss. med.) 1965, errechnet nach der Zusammen­ stellung S. 41-50. 117 Errechnet nach: Tabellen u. amtliche Nachrichten 1849, Bd. 2, S. 612, 614. 118 Ebd. 119 Ebd.,S. 614. 120 Vgl. oben Kap. II. 2. und 3. 121 D ie Ärzte u. das medizinische Hülfspersonal, S. 22; Die Verbreitung 1887, S. 2*. 122 Für 1887 Einwohnerzahl nach der Volkszählung von 1885; für 1898 geschätzte Einwoh­ nerzahl von 32,74 Mio., Die Verbreitung 1898, S. 61. 123 D ie Verbreitung 1909, S. 2*; Einwohnerzahl 1909 geschätzt auf 39,22 Mio. (ebd., S. 41). 124 D ie Verbreitung 1887, S. 11; die Zahlen beziehen sich nur auf niedergelassene Zivilärzte. 125 D ie Verbreitung 1898, S. 65. 126 So die Ärzte Knobloch und Müller 1900 in einem Vorschlag, die Abiturienten vor dem Studium der Medizin zu warnen, damit die »Überfüllung« der 90er Jahre wieder von einer günstigeren ärztlichen Arbeitsmarktlage abgelöst würde, in: Ae. V. Bl. 1900, Nr. 430, S. 402. 127 Wolff, Der praktische Arzt, S. 118f. 128 Ebd.,S. 118. 129 Wolff, Der praktische Arzt, S. 112. 130 Ebd., S. 87. 131 Ebd., S. 129. 132 E. Ringier, Leiden und Freuden eines Landarztes, Frauenfeld 1909, S. 62 133 Pagel, Deontologie, S. 42. Ähnliches empfahl Reibmayr, S. 4, dem Arzt, wenn er in der Diagnose nicht ganz sicher sei, denn: »D er Patient soll immer das Gefühl haben, daß der Arzt sich vollkommen auskennt und nicht im Zweifel ist, was er thun soll.« 134 Mit diesem Begriff beschreibt der Medizinhistoriker W. Schoene den Sachverhalt einer »Sonderkultur, die von der Umwelt reinen Alltagslebens durch eine deutliche Scheidewand abgetrennt ist«. (W. Schoene, Einige kulturanthropologische Betrachtungen über die Medizin, in: R. König u. M. Tönnesmann (Hg.), Probleme der Medizin-Soziologie (= Sonderheft 3 der KZSS), Köln 1958, S. 80-113). 135 Krüger-Hansen, Praktische Fragmente, Coblenz 1845, S. 99. 136 Liehrsch, S. 141 f.

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Anmerkungen zu S. 156— 151 137 D iepgen, Geschichte, Bd. H/1, S. 177. 138 Ärzte und Patienten mit Röntgenstrahlen durchleuchtet von einem praktischen Arzte, Leipzig 1908, S. 175; Wolff, Der praktische Arzt, S. 68; Pagel, Deontologie, S. 36. 139 P. Zweifel. D er Einfluß der ärztlichen Tätigkeit auf die Bevölkerungsbewegung, Stutt­ gart 1887, S. 32; positiv bewertet die »natürliche Scham« von Frauen und Mädchen: Düsing, Die Verjudung der Ärzte und das dadurch veranlaßte Eindringen des Cynismus in die Medzin, Münster 1895, S. 11. 140 A. Moll, Ärztliche Ethik, Stuttgart 1902, S. 402. In diesen Zusammenhang gehört auch, daß es bis in die 70er Jahre für eine »anständige Frau« als nicht schicklich galt, den Arzt, ganz besonders natürlich den unverheirateten, in seiner Sprechstunde zu Hause aufzusuchen (Th. Eschenburg, D er ärztliche Verein zu Lübeck während der ersten 100 Jahre seines Bestehens, 1809-1909, Wiesbaden 1909, S. 57). 141 D azu: Frevert, Frauen und Ärzte; als Beispiel aus späterer Zeit: M. Dyhrenfurth, Glossen zur Hebammenfrage. Mit Rücksicht auf den Circular-Erlaß vom 22.11. 1888, in: Zs. f. Medicinalbeamte,Jg. 2, 1889, S. 32-35. 142 D as Gesundheitswesen des preußischen Staates im Jahre 1902, bearb. von der Mcdizinal­ abteilung des Ministeriums, Berlin 1904, S. 489; diese Zahl erhöhte sich auch in den folgenden Jahren nur geringfügig. Von 1 256322 Entbindungen im Jahre 1906 wurden 91 408 (7,3%) von Ärzten geleitet (D as Gesundheitswesen 1906, S. 494f.). 1909 waren es 7,5% (errechnet nach: Das Gesundheitswesen 1909, S. 464f.). D er Prozentsatz schwankte dabei zwischen 4,8% im Regierungsbezirk Königsberg und 13,4% in Berlin (ebd.). Dieser sehr niedrige Prozentsatz läßt auch Zweifel an der These von D üsing, S. 54, entstehen, »seit etwa 20 Jahren (sei) es Sitte geworden, daß eine gebildete Familie ihre Bildung dadurch zu zeigen sucht, daß sie nicht eine Hebamme, sondern einen Arzt zur Geburt eines Kindes nimmt«. 143 Vgl. die Allgemeine Verfügung des Ministeriums für GUMA betr. das Hebammenwe­ sen vom 6. Aug. 1883, abgedruckt in: Dienstanweisung für die Kreisärzte, Berlin 1901, S. 193— 98; außerdem: Instruktion über das Verhalten der Hebammen in ihrem Berufe, in: Lehrbuch der Geburtshilfe für die preußischen Hebammen, 1878, S. 301 ff., abgedruckt bei: D . Wiener, Handbuch der Medizinalgesetzgebung des D eutschen Reiches u. seiner Einzelstaaten. Mit Kommentar. Für Medizinalbeamte, Ärzte und Apotheker, Bd. 2, Teil I, Stuttgart 1887, S. 449-53, hier S. 452 (§15). Bestimmungen, wonach Hebammen in schwierigen Geburtsfäl­ len einen Arzt heranziehen sollten, finden sich auch in älteren Hebammenordnungen: Apfelba­ cher, S. 38-42; Tutzke, Entwicklung des Hebammenwesens, S. 290f. 144 P. Strassmann, Zur Hebammenfrage, in: Zs. für praktische Ärzte, Jg. 5, 1896, S. 47-56, Zitat S. 49. 145 Ebd. 146 Für die Leitung einer normal verlaufenden Geburt konnte ein Arzt nach der Gebührenta­ xe von 1896 zwischen 10 und 40 Mk. liquidieren, eine nicht allzu hohe Summe, wenn man bedenkt, daß er für den ersten Besuch im Hause eines Kranken zwischen 2 und 20 Mk. nehmen konnte. A. u. H. Joachim, Die Preußische Gebührenordnung für approbierte Ärzte u. Zahnärzte vom 15. Mai 1896. Für die Bedürfnisse der ärztlichen u. zahnärztlichen Praxis erläutert, Berlin 1897, S. 42, 114f 147 Zur schlechten materiellen Lage der Hebammen vgl. die Nachweisungen in: D as Sanitätswesen des preußischen Staates während der Jahre 1892-94, im Auftrag seiner Exzellenz des Herrn Ministers der GUMA bearb. von der Medizinalabteilung des Ministeriums, Berlin 1899, S. 489f.; Das Sanitätswesen 1895, 1896 und 1897, S. 617; Das Sanitätswesen 1898, 1899 und 1900, S. 628-30; Das Gesundheitswesen des preußischen Staates im Jahre 1901, bearb. von der Medizinalabteilung des Ministeriums der GUMA, Berlin 1903, S. 488; Das Gesundheits­ wesen 1902, S. 490-92; Das Gesundheitswesen 1906, S. 496-98; Das Gesundheitswesen 1907, S. 459-671; Gottschalk, D ie Hebammenverhältnisse an der Ostgrenze der Monarchie, insbes. im Kreis Rosenberg O.-S., in: Zs. für Medicinalbeamte, Jg. 5, 1892, S. 53-63. Gottschalk

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Anmerkungen zu S. 157—161 zufolge betrug das Durchschnittseinkommen pro Geburt hier nur 1,50 Mk. (S. 57), so daß von 35 Hebammen nur drei eine Einnahme von 195 Mk. und mehr erreichten! (S. 58). 148 F. Ahlfeld, D ie Reorganisation des Hebammenwesens. Entwurf einer neuen Heb­ ammenordnung, in: Zs. für Medicinalbeamte, Jg. 2, 1889, S. 240-47; Brennecke, Reform des Hebammenwesens oder Reform der geburtshilflichen Ordnung? Ein Beitrag zur Kritik der im Königreich Preußen geplanten gesetzlichen Neuregelung des Hebammenwesens, Magdeburg 1904; E. D ietrich, D as Hebammenwesen in Preußen mit besonderer Berücksichtigung seiner geschichtlichen Entwicklung u. Vorschläge zu seiner Reform, Merseburg 1896, S. 124ff.; zusammenfassend: Köstlin, Hebammenwesen, in: O. Rapmund (Hg.), D as preußische Medizi­ nal- und Gesundheitswesen in den Jahren 1883-1908, Berlin 1908, S. 390-93. 149 D eissenburger, D ie Geburtshilfe auf dem Lande, in: Ärztliches Intelligenzblatt, Jg. 17, 1870, S. 118. 150 Th. Puschmann, Geschichte des klinischen Unterrichts, in: Klinisches Jahrbuch, Bd. 1, 1889, S. 62. 151 Fürst, Stellung, S. 178, spricht vom »Odium, das einer öffentlichen Entbindungsanstalt infolge der in ihr zur Niederkunft gelagerten Dirnen stets anhaftet«. 152 Albert Reibmayr hält für eine erfolgreiche Privatpraxis die »Ablegung gewisser rück­ sichts- und herzloser Spitalsgcwohnheien« in der Gynäkologie und Geburtshilfe für noch wichtiger als in der Medizin und Chirurgie (Reibmayr, S. 15). 153 D azu T. Parsons, Struktur u. Funktion der modernen Medizin, in: König u. Tönnesmann, S. 10-57, bes. 32ff. 154 I. Vieler, Die deutsche Arztpraxis im 19. Jahrhundert, D iss. Mainz 1958. 155 Hasse, Leben, S. 61. 156 Fürst, Stellung, S. 119. 157 K. Roser, Das chirurgische Instrumentarium u. das Verbandszeug des praktischen Arz­ tes, in: Zs. für praktische Ärzte, Jg. 5, 1896, S. 121-27, 160-65. 158 Aus heutiger Sicht ist ohnehin erstaunlich, wie viele Operationen noch gegen Ende des Jahrhunderts in der Wohnung des Patienten durchgeführt wurden, etwa Herniotomien, Hüftre­ sektionen, Tracheotomien etc. (vgl. Zs. für ärztliche Landpraxis, Jg. 3, 1894, S. 161 ff.; Jg. 4, 1895, S. 220ff.; H. Cramer, Die Durchführbarkeit aseptischen Operierens außerhalb der Kran­ kenhäuser, in: Zs. für praktische Ärzte, Jg. 5, 1896, S. 382-91). Für Operationen, die in ihrer eigenen Wohnung nicht durchgeführt werden konnten, suchten bürgerliche Patienten i. d. R. nicht die öffentlichen Krankenhäuser, sondern Privatkliniken auf, deren Zahl sich rasch ver­ mehrte: M. Stürzbecher, Zur Geschichte der privaten Krankenanstalten in Berlin, in: Berliner Ärzteblatt, Bd. 82, 1969, S. 1114-26. 159 J . Wolff, Über den Umgang mit Patienten, in: Die Heilkunde, Jg. 1, 1896, S. 105. 160 Ebd., S. 106. 161 D azus. Kap. V. 2.a. 162 M. Crueger, Ärztliches Selbstverständnis im Wandel, D iss. Bonn 1973, S. 74ff.; M. Mendelsohn, Ärztliche Kunst und medizinische Wissenschaft. Eine Untersuchung über die Ursachen der »ärztlichen Misere«, Wiesbaden 18942, S. 32. 163 Crueger. S. 105 f. 164 R. Volz, Der ärztliche Beruf, Berlin 1870, S. 33 f. 165 Vgl. L. v. Krehl, Wandlungen der ärztlichen Tätigkeit in 50 Jahren, in: Münchner Medizinische Wochenschrift, Jg. 1929, Nr. 76, S. 987; Mendelsohn; R. Koch, Was wissen und können unsere Ärzte?, Berlin 18852, S. 68. 166 G. Honigmann, Ärztliche Lebensfragen u. ihre moderne Lösung, Wiesbaden 1913, S. 61; A. Czerny, D er Arzt als Erzieher des Kindes, Wien 1908, S. 105; H. v. Ziemssen, Der Arzt und die Aufgaben des ärztlichen Berufs, Leipzig 1887, S. 13. 167 Volz, S. 33. 168 Ärzte u. Patienten mit Röntgenstrahlen durchleuchtet, S. 81.

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Anmerkungen zu S. 161—168 169 K. Klare, Leben. Gesammelte Skizzen u. Erinnerungen, Stuttgart 19362, S. 7. 170 R.Jebens, Schule u. Arzt. Vortrag, gehalten am 27. 3. 1906 in der »Literaria«. MS, zur Verfügung gestellt von seinem Sohn Dr. med. Hellmut Jebens, Hamburg, S. 2 f. 171 Moll, S. 134. 172 Ring, Tagebuch, S. 110. 173 Ärzte u. Patienten mit Röntgenstrahlen durchleuchtet, S. 82f.; Honigmann, Lebensfra­ gen, S. 62; Ziemssen, Der Arzt, S. 13. 174 Volz, S. 34. 175 Mettcnheimer, Viaticum, S. 4; ähnlich Ziemssen, Der Arzt, S. 18. 176 Wolff D er praktische Arzt, S. 129. 177 F. Scholz, Von Ärzten und Patienten. Plaudereien, München 19002, S. 117. 178 Czerny, Arzt als Erzieher, S. 59-75; vgl. auch K. F. H. Marx, Ärztlicher Katechismus. Über die Anforderungen an die Ärzte, Stuttgart 1876, S. 52; Hasse, Leben, S. 49. 179 D r. Paul Schröder, der von 1870 bis 1915 praktizierte, hatte eine Reihe von Hausarztstel­ len, in denen er von der Familie jeweils 30 Mk pro Jahr erhielt (F. Schröder, D r. med. Paul Schröder. Geh. Sanitätsrat, Oberstabsarzt a. D. Sein Lebensbild u. ein Stück Familiengeschich­ te für seine Enkel u. Urenkel, Rendsburg o.J. (1942), S. 175. 180 Tutzke, Entwicklungstrends, S. 35. 181 Ζ. Β. Schröder, Dr. med. Paul Schröder, S. 173f. 182 Wilmans, S. 31. 183 Ebd., S. 50. 184 G. Meyer, D ie soziale Bedeutung der Medizin, Berlin 1900, S. 28; vgl. auch F. Köhler, Die Lungentuberkulose des Proletariats, in: Preußische Jahrbücher, Bd. 139, 1910, S. 49, der die »moralische Hebung des Proletariats« für »einen der wichtigsten Faktoren« hält. 185 D azu unten S. 222f. 186 Mettenheimer, Viaticum, S. 15; ähnlich Knauer, Winke, S. 40, 42. 187 Wolfl D er praktische Arzt, S. 78 f. 188 W. Schulz, Die socialistische Organisation des Ärztestandes, Berlin 1895, S. 18 f. spricht von der »sozialen Ungerechtigkeit«, die »sich als Folge unseres Bezahlungssystems in den Anschauungen des Arztes so leicht herausbildet. Wo das ärztliche Interesse für die Patienten der Einträglichkeit parallel geht, da wird der Wohlhabende sich der aufmerksamsten Behandlung erfreuen . . . . die Armen werden vernachlässigt werden.« 189 C. Huerkamp, D ie Naturheilbewegung des späten 19. Jahrhunderts als Ausdruck des Protestes gegen die naturwissenschaftliche Medizin, unveröffentlichtes MS, Bielefeld 1984. Kapitel V 1 Als allgemeine Instruktion für die Land-, Stadt- u. Kreis-Physiker in den Königlich Preußischen Landen existierte nur die vom Ober-Collegium medicum am 17. 10. 1776 erlasse­ ne, abgedruckt bei v. Horn, Medicinalwesen, Teil 2, S. 524-27; vgl. außerdem die Instruktion der Regierung Minden über die Aufgaben der Kreis-Physiker 1819 bei v. Rönne u. Simon, Bd. 1, S. 206-08. 2 v. Horn, Medicinalwesen, Teil 2, S. 540f. 3 Ebd.,S. 529f. 4 Abgedruckt ebd., S. 66f. 5 Gesetz-Sammlung für die Kgl. preußischen Staaten, 1835, S. 240-68; wiederabgedruckt in: v. Horn, Medicinalwesen, Teil 1, S. 220-53. 6 H.-H. Eulner, Hygiene als akademisches Fach, in: W. Artelt u. W. Rüegg (Hg.), Städte-, Wohnungs- und Kleidungshygiene des 19. Jahrhunderts in D eutschland, Stuttgart 1969, S. 17ff.

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Anmerkungen zu S. 168—171 7 v. Rönne u. Simon, Bd. 1, S. 121. 8 Ebd. 9 Min.-Verfügung vom 24. 3. 1832, v. Horn, Medicinalwesen, Teil 2, S. 529. 10 v. Rönnen. Simon, Bd. 1, S. 115. 11 J . H. Schmidt, Über Anstellung u. Beförderung im Medicinaldepartement, Berlin 1851, S. 4. 12 J . L. Casper, Gegen eines Ungenannten Schrift über die preußische Medicinal-Verfas­ sung, Berlin 1829, S. 12. 13 Circular-Verfüeung vom 24. 1. 1826, v. Horn, Medicinalwesen, Teil 2, S. 513f. 14 Scholz. Von Ärzten und Patienten, S. 135. 15 Vgl. etwa den Bericht über eine lokale Typhusepidemie, wo der zuständige Physikus die Magermilch der örtlichen Molkerei als für die Ausbreitung der Krankheit verantwortlich nachweisen konnte, Zs. für Medicinalbeamte, Bd. 4, 1891, S. 227-36, 262-68. 16 D as Sanitätswesen des preußischen Staates während der Jahre 1889, 1890 und 1891, bearb. von der Medizinalabteilung des Ministeriums der GUMA, Berlin 1897, Anhang Tabel­ le Nr.23; D as Sanitätswesen 1892-1894, Berlin 1899, Anhang S. 134-88; D as Sanitätswesen 1895-1897, Berlin 1902, Anhang S. 108-62. 17 D ie Mitwirkung der Medizinalbeamten bei der Konzessionierung solcher gewerblicher Anlagen, die gesundheitliche Gefahren mit sich brachten, regelte ein Ministerial-Erlaß vom 4. September 1869; durch Erlaß vom 19. Juli 1884 wurden sie jedoch von der Begutachtung gewerblicher Anlagen zugunsten der Gewerbeaufsichtsbeamten nahezu völlig ausgeschlossen. Erst die D ienstanweisung für die Kreisärzte von 1901 brachte hier wieder eine Änderung (E. Roth, Gewerbehygiene, in: Rapmund, Medizinalwesen, S. 161 f., 167f.; vgl. auch Τ Sommer­ feld, Der Gewerbearzt, Jena 1905, S. 116-28). 18 Blokusewski, Die Betheiligung der preußischen Medicinalbeamten auf dem Gebiete der Schulhygiene, in: Zs. für Medicinalbeamte, Bd. 1, 1888, S. 241-46; Oebhecke, Schulhygiene, in: Rapmund, Medizinalwesen, S. 241 ff. 19 Fielitz, Geschichte und Tätigkeit des preußischen Medizinalbeamten-Vereins in den Jahren 1883-1908, in: Rapmund, Medizinalwesen, S. 18. 20 O. Rapmund, D ie Entwickelung des Preußischen Medizinal- und Gesundheitswesens während der Jahre 1883-1908 unter besonderer Berücksichtigung der D ienstobliegenheiten und amtlichen Stellung des Kreis-Medizinalbeamten, in: ders., Medizinalwesen, S. 68. 21 Ebd. 22 D ietrich, Soll der Kreisarzt Pnvatpraxis treiben oder nicht?, in: Zs. für Medicinalbeamte, Bd. 10, 1897, S. 320. 23 Zur Gründungsgeschichte Fielitz, S. 1-4. 24 Ebd., S. 5; Rapmund, Medizinalwesen, Anhang IV, S. 588f. 25 Seitdem Virchow in der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses am 27. 1. 1868 auf die Notwendigkeit einer Besserstellung der Kreis-Physiker hingewiesen hatte, verging kaum eine Beratung des Medizinaletats, ohne daß auf die Reformbedürftigkeit der Medizinal­ organisation hingewiesen wurde (Rapmund, Entwicklung, S. 46). Vgl. etwa die Reden von Graf und Langerhans in der Sitzung des Abgeordnetenhauses am 26. 3. 1890 (abgedruckt im Ae. V. Bl. 1890, Nr. 216) und von Graf und von Pilgrim am 9. 5. 1891 (abgedruckt ebd., Nr. 231). 26 Eulenberg, Medicinalwesen, S. 600. 27 So forderte die IV. Hauptversammlung des preuß. Medicinalbeamtenvereins 1886 in sechs Thesen zur Stellung des preußischen Physikus »das Recht und die Pflicht zur Initiative« für denselben sowie »ein seiner Tätigkeit entsprechendes pensionsfähiges Gehalt« (Fielitz, S. 12f.); inhaltlich gleich die Beschlüsse der X. Hauptversammlung 1893 (Zs. für Medicinal­ beamte, Bd. 6, 1893, S. 187-90); die gleichen Forderungen trug der Vorsitzende des Ärztever­ einsbundes, Graf, mehrfach im preußischen Abgeordnetenhaus vor.

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Anmerkungen zu S. 171—175 28 So die Forderung der Hauptversammlung des preußischen Medizinalbeamtenvereins 1893, in: Zs. für Medicinalbeamte, Bd. 6, 1893, S. 187-90. 29 Vgl. etwa die ausweichende Antwort des Ministers v. Zedlitz-Trützschler in der Sitzung despreuß. Abgeordnetenhauses vom 9. 5. 1891 (Protokoll abgedruckt in: Zs. für Medicinalbe­ amte, Bd. 4, 1891, S. 390). 30 Vgl. die Berichterstattung im Ae. V. Bl. 1893, Nr. 252, 253, 255, 256, 257, 258. 31 Im Überblick dazu Rapmund, Entwicklung, S. 51-56. 32 D as Gesetz ist abgedruckt bei Rapmund, Entwicklung, S. 56-59. 33 D ienstanweisung für die Kreisärzte, Berlin 1901, Abteilung II.2., S. 32-55. 34 Ebd., S. 34-36. 35 D ietrich, Soll der Kreisarzt?, S. 316. 36 D ieses Beispiel in: Zs. für Medicinzalbeamte, Bd. 7, 1894, S. 133. 37 D ietrich, Soll der Kreisarzt?, S. 322. 38 Bei den Medizinalbeamten der nächsthöheren Instanz, den bei den Regierungspräsiden­ ten angestellten Regierungs- und Medizinalräten, war dies längst der Fall. 39 These 6, Beschlüsse abgedruckt bei Fielitz, S. 23. 40 D azu weiter unten S. 175 ff. 41 Vgl. etwa den Artikel des Kreis-Physikus Roth, D er zukünftige Kreisarzt, in: Zs. für Medicinalbeamte, Bd. 10, 1897, S. 384—87, oder: Dr. Hirschberg, Soll der Kreisphysikus Privat­ praxis treiben oder nicht?, in: ebd., S. 380-84; auf die der eigenen Interessenlage entspringen­ den Motive dieser Kreisphysiker weist Dietrich, Noch einmal die Privatpraxis der Kreisärzte, in: ebd.,S. 389, hin. 42 Fielitz, S. 29. Erst recht waren natürlich die praktischen Ärzte für ein Verbot der Privat­ praxis der Medizinalbeamten, vgl. den bei einer Gegenstimme gefaßten entsprechenden Be­ schluß des preußischen Ärztekammerausschusses vom 22. 11. 1898, in: Ae. V Bl. 1898, Nr. 389, S. 502. 43 Rapmund, Entwicklung, S. 57. 44 Ebd. 45 D ie erste Berathung des preußischen Abgeordnetenhauses über den Gesetzentwurf betr. die Dienststellung des Kreisarztes und die Bildung von Gesundheitskommissionen, in: Zs. für Medicinalbeamte, Bd. 12, 1899, S. 271. Die Konservativen waren auch schon in der Maikonfe­ renz 1897 aus diesem Grund gegen vollbesoldete Kreisärzte gewesen. Vgl. Ae. V Bl. 1897, Nr. 351, S. 307. 46 Fielitz, S. 33; Rapmund, Entwicklung, S. 56. 47 D as Gesundheitswesen des preußischen Staates 1906, S. 467. 48 D as Gesundheitswesen 1908, S. 458; Das Gesundheitswesen 1909, S. 450. Leicht abwei­ chende Zahlen in: 25 Jahre preußische Medizinalverwaltung seit Erlaß des Kreisarztgesetzes, 1901-1926, im Auftrage des Preuß. Ministers für Volkswohlfahrt hg. von der Medizinalabtei­ lung des Ministeriums, Berlin 1927, S. 48. 49 Rapmund, Entwicklung, S. 61. 50 D ie Ergebnisse der Umfrage sind ausführlich referiert im Ae. V Bl. 1906, Nr. 580, S. 473; knapp ebenfalls bei Fielitz, S. 36f. 51 Ebd. 52 25 Jahre preußische Medizinalverwaltung, S. 48. 53 Fielitz, S. 41. 54 These IV der von der Hauptversammlung 1886 angenommnenen sechs Thesen zur Stellung des Kreis-Medizinalbeamten, Fielitz, S. 12f. 55 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag 1886, in: Ae. V Bl. 1886, Nr. 271, S. 276. Vgl. auch das Referat des Elberfelder Arztes Künne »Beitrag zu den neueren Fragen über das Impfwesen«, in: Ae. V Bl. 1886, Nr. 175, Sp. 391-99, der sich (S. 397f.) gegen die Bevorzu­ gung der beamteten Ärzte bei der Übertragung des Impfgeschäfts wandte, wie sie die Sachver-

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Anmerkungen zu S. 175—179 ständigen-Kommission des Bundesrats 1885 vorgeschlagen hatte. Zur Impfproblematik dem­ nächst: C. Huerkamp, The History of Smallpox Vaccination in Germany: Α First Step in the Medicalization of the General Public, in: Journal of Contemporary History, Bd. 20, 1985. 56 M. Kirchner, Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen Reiche unter besonderer Berücksichtigung Preußens, Jena 1907, S. 74. 57 Ebd., S. 74—76. Diese Bestimmung galt allerdings nicht für die im Reichsseuchengesetz erfaßten Krankheiten, nämlich Aussatz, Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber, Pest und Pocken: hier konnte dem beamteten Arzt der Zutritt zum Kranken unter keinen Umständen verwehrt werden (ebd., S. 76). 58 § 16 des Regulativs, Horn. Medicinalwesen, Teil 1, S. 243. 59 Eine Bestimmung, die vor allem die weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten traf, bei denen die räumliche Enge der Behausung eine Isolierung des Kranken nicht zuließ. 60 Kirchner, Seuchenbekämpfung, S. 111-14; auch ders., D ie öffentlichen Berufspflichten des Arztes, in: Ärztliche Rechtskunde, Jena 1907, S. 249. Vgl. auch das Referat des Ärzte­ Funktionärs Pfeiffer zum Entwurf des Seuchengesetzes, in: Ae. V. Bl. 1893, Nr. 254, S. 142— 50, bes. 148f. 61 So der Kreisarzt Dr. Kirstein auf der Hauptversammlung des preußischen Medizinalbe­ amtenvereins 1907 (Oebbecke, Schulhygiene, S. 247); vgl. auch die gleiche Forderung in dem Artikel des Bezirksarztes Niedermaier, in: Jaks, D ie Sozialversicherung und die Arztfrage auf dem Lande, Leipzig 1910, S. 94-99. 62 Jaks, Sozialversicherung, S. 100-02. 63 Oebbecke, S. 249-52; vgl. auch: Das Sanitätswesen des preußischen Staates während der Jahre 1898, 1899 und 1900, S. 454-57. Einer Notiz in den »Ärztlichen Mitteilungen« zufolge waren 1905 schon etwa 700 Schulärzte in D eutschland angestellt (Ärztl. Mitt., Jg. 6, 1905, Nr. 10, S. 99). 64 M. Stürzbecher, Vom Physikus zum Amtsarzt, in: Öffentliches Gesundheitswesen, Bd. 35, 1973, S. 120; ders., Die medizinische Versorgung u. die Entstehung der Gesundheitsfürsor­ ge zu Beginn des 20. Jh. in Deutschland, in: Mann/Winau, S. 246ff. 65 D erselbe Konflikt entspann sich um die Säuglingsfürsorgestellen, die im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in fast allen größeren deutschen Städten errichtet wurden. Auch hier setzten die Ärzte durch, daß streng zwischen der Beratung und Unterweisung der Mütter, die Aufgabe der Säuglingsfürsorgestellen sein, und der Behandlung von Säuglingen, die Sache der niedergelassenen Ärzte bleiben sollte, geschieden wurde. Zur Säuglingsfürsorge in Deutsch­ land jetzt: U. Frevert, The civilizing tendency of hygiene: Working-class women under medical control in Imperial Germany, in: J. C. Fout (Hg.), German Women in the nineteenth Century: Α social history, New York 1984, S. 320-44. 66 Oebbecke, S. 249. Eine Ausnahme scheint lediglich bei der Feststellung schlechter Augen üblich gewesen zu sein, denn, wie der Hamburger Schularzt Jebens meinte, sei es »ja ein Widersinn, bei einem Kinde eine zeitraubende Augenuntersuchung, - etwa auf Astigmatismus - vorzunehmen und nicht gleich auch die passende Brille zu verordnen . . .« Die schwierigeren Fälle müßten natürlich nach wie vor vom Augenarzt untersucht werden (Jebens, Schule und Arzt). 67 H. Stemfeld, Berufsschularzt oder Schularzt im Nebenamte?, in: Ae. V. Bl. 1905, Nr. 540, S. 64—67; Auch auf dem Ärztetag 1908 wurde ein Antrag gestellt, die größeren Städte sollten Schulärzte vorzugsweise hauptamtlich anstellen, die Frage vom Plenum des Ärztetages aller­ dings für noch nicht entscheidungsreif angesehen (Ae. V. Bl. 1908, Nr. 665, S. 501). 68 Zum Einfluß der lokalistischen Pathologie und der technischen Innovationen vgl. G. Rosen, The Specialization of Medicine. With Particular Reference to Ophthalmology, New York 1944, S. 16-30. 69 Eulner, Entwicklung der medizinischen Spezialfächer, S. 347-86. 70 Fürst, Arzt, S. 52; Fürst bezieht sich auf ein Referat Hüllmanns vor dem Forum des

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Anmerkungen zu S. 1 7 9 - 184 Ärztetages, ebenso E. Peiper, D er Arzt. Einführung in ärztliche Berufs- und Standesfragen, Wiesbaden 1906, S. 7. 71 H. Quincke, Über ärztliche Spezialitäten u. Spezialärzte, in: Münchner Medizinische Wochenschrift, Bd. 53, 1906, S. 1214. 72 Zur Rolle der Urbanisierung auch Rosen, Specialization, S. 31-38. 73 Trotz aller Bemühungen war es mir nicht möglich, die bei Η. Η. Eulner, Das Spezialisten­ tum in der ärztlichen Praxis, in: Artelt u. Rüegg (Hg.), D er Arzt, S. 17-34, mehrfach zitierte Denkschrift zu beschaffen; die folgenden Zahlen sind daher der ausführlichen Wiedergabe der Denkschrift bei Eulner, S. 29ff, entnommen. 74 Eulner, Spezialistentum, S. 29-31. 75 H. Bartsch, Hausärzte und Spezialisten in der modernen Medizin, Heidelberg 1906, S. 6 f. 76 D ie Verbreitung 1909, Tabelle 1, S. 2*. 77 D a die 3528 Spezialärzte der Zählung von 1909 ausschließlich Privatpraxis treibende Zivilärzte sind, wurde hier der Spezialarztanteil als Prozentsatz der niedergelassenen Zivilärzte berechnet. D ie Erhebung von 1904 legt dagegen offensichtlich als Bezugsgröße die Gesamtzahl der approbieren Ärzte zugrunde. Tut man dies bei der Erhebung von 1909 ebenfalls, ergibt sich als Spezialarztanteil ein Prozentsatz von 19,3%, immer noch knapp 2% mehr als die 17,5% der Erhebung von 1904. 78 In den Mittelstädten von 20-40000 Einwohnern lag der Spezialarztanteil bei 22,3%: alle Prozentzahlen berechnet nach: Die Verbreitung 1909, S. 2*. 79 Eulner, Spezialistentum, S. 30. 80 Quincke, Spezialitäten, S. 1213; an anderer Stelle spricht Quincke sogar von der »Speziali­ stensucht« des Publikums, ebd., S. 1264. 81 O. Körner, Erinnerungen eines deutschen Arztes und Hochschullehrers, 1858-1914, München 1920, S. 75. 82 Quincke, Spezialitäten, S. 1213. 83 D enkschrift, S. 11, zit. nach Eulner, Spezialistentum, S. 24. 84 Eürst, Arzt, S. 53. 85 Auf letzteres Motiv, Spezialarzt zu werden, weist Hundeshagen, S. 35 f., hin. 86 Beschlüsse des Ärztetages, in: Ae. V. Bl. 1892, Nr. 243, S. 247. 87 Protokoll des Ärztetages, in: Ae. V. Bl. 1892, Nr. 247, S. 420-41. 88 So der Referent Stimmel, ebd., S. 423. 89 Zit. nach Eürst, Arzt, S. 57. 90 Ebd., S. 58. 91 Ebd. 92 Eulner, Spezialistentum, S. 28. 93 Bollinger, S. 33; Reibmayr, S. 20; Quincke, Spezialitäten, S. 1260. 94 Moll, S. 151. 95 Ebd., S. 153. 96 Wolfj] Der praktische Arzt, S. 101; ähnlich auch Moll, S. 149-51. 97 Zahlreiche Belege in der kaum sachlich gegliederten D issertation von H. Riedl, D ie Auseinandersetzungen um die Spezialisierung in der Medizin von 1862 bis 1925, München 1982, passim. 98 Ae. V. Bl. 1900, Nr. 432, S. 454. 99 Fürst, Arzt, S. 55. 100 O. Herff, Zeit- und Streitfragen über die ärztliche Ausbildung, insbes. über den geburts­ hilflich-gynäkologischen Unterricht, Wiesbaden 1898, S. 14. 101 F. Scholz, Von Ärzten und Patienten, S. 16. 102 Bollhwer, S. 32f.; Ärzte und Patienten. Mit Röntgenstrahlen durchleuchtet, S. 64. 103 D ie Abtrennung der Augenheilkunde von der Chirurgie erfolgte auf breiter Front erst nach der Erfindung des Augenspiegels durch Helmholtz 1851; seit 1873 gab es an allen

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Anmerkungen zu S. 184—186 preußischen Universitäten eigene Ordinariate für Ophthalmologie, Eulner, Entwicklung, S. 322-46. 104 D ie Zahnärzte stellen insofern einen Sonderfall dar, als es eine eigene zahnärztliche Approbation gab, die keine allgemeinärztliche Ausbildung voraussetzte. D azu: K. Maretzky u. R. Venter, Geschichte des deutschen Zahnärztestandes, Köln 1974. 105 D iese hatten laut D enkschrift zwar 435 Vertreter, also 15 mehr als die Augenärzte; in dieser Zahl waren aber die Otologen, die Laryngologen und die bereits kombinierte Praxis ausübenden HNO-Ärzte zusammengefaßt. 106 D enkschrift 1904, zitiert nach Eulner, Spezialistentum, S. 30. 107 Quincke, Spezialitäten, S. 1215, 1264; vgl. auch die Debatte um die Berechtigung des »Spezialarztes für Kinderkrankheiten« in: Ae. V. Bl. 1906, Nr. 580, S. 497-99; Nr. 582, S. 543-50; Nr. 583, S. 589f.; Nr. 584, S. 606-10. 108 Ärztl. Mitt. J g . 8, 1907, Nr. 8, S. 89f.; vgl. auch die Kommentare zu diesem Beschluß ebd., Nr. 5, S. 51-53; ebd., Nr. 10, S. 117-19. 109 D enkschrift 1904, zitiert nach Eulner, Spezialistentum, S. 30. 110 Jeder ordentliche Hausarzt müsse vor allem »ein tüchtiger Internist« sein, fordert etwa Reibmayr, S. 21. 111 Ebd. 112 Vgl. etwa die Einzelfälle, die der Landarzt Ringier, S. 78 ff, aus seiner Praxis schildert. 113 Kußmaul,S. 464. 114 H. Scholz, u. P. Schröder, Ärzte in Ost- u. Westpreußen. Leben und Leistung seit dem 18. iahrhundert, Würzbure 1970, S. 179-90, Zitat S. 184. 115 Fürst, D er Arzt, S. 42; vgl. auch Kußmaul, S. 464; Pagel, D eontologie, S. 78-81; B. Koppenhagen, Aus dem Tagebuch eines Thüringer Landarztes. Heitere Skizzen von der Höhe »des Waldes«, Hildburgheim 1910, S. 106f. 116 Aus A. Zais, Tagebücher 1876 und 1877, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von seinem Urenkel, D r. med. H. Huber, geht hervor, daß der Verfasser, zu dieser Zeit Landarzt im Raum Waiblingen bei Stuttgart, kein Warte- und Sprechzimmer hatte, in der Regel auch keine Sprechstunden abhielt, sondern ausschließlich Hausbesuche machte (meist zwischen 15 und 25 täglich). 117 A.Kittel, 37Jahre Landarzt in Preußisch-Litauen, 1869-1906, Memelo.J., S. 13-22; vgl. auch J . Steudel, Briefe mecklenburgischer Ärzte aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Diss. Leipzig 1941, passim; M. Nassauer, Doktorsfahrten. Ärztliches u. Menschliches, Stuttgart 1902, passim; auch Scholz u. Schroeder bezeichnen die Besuchsfahrten als »das Problem Nr. 1 im Leben eines Landarztes« (S. 184). Noch Mitte der 20er Jahre gilt bei den Landkrankenkassen, daß die Kosten der Überlandfahrten der Ärzte ca. 30% der Gesamtkosten der ärztlichen Versorgung betragen (K. Unger, Die Krankenbehandlung auf dem Lande, in: H. Korkisch [Hg.], Die Arztfrage in der Sozialversicherung der einzelnen Staaten, Prag 1926, S. 64). 118 Kittel, S. 22ff. berichtet, im Winter habe er meistens mit dem Schlitten über die vereisten Flüsse fahren können, die problematischste Jahreszeit sei das Frühjahr gewesen; vgl. auch Schröder, D r. med. Paul Schröder, S. 171 f. 119 Ae. V. Bl. 1899, Nr. 402, S. 600-03 (Zur Organisation der Berliner Rettungsgesell­ schaft); zur Entwicklung des Rettungswesens in Berlin seit den 80er Jahren auch: S. Alexander, Geschichte des Verbandes der Berliner ärztlichen Standesvereine, Berlin 1903, S. 114-18. 120 Kußmaul, S. 480 ff. berichtet, daß in dem harten Winter 1852/53, als der Krankenstand sehr hoch war, »kaum eine Nacht verfloß, wo ich nicht durch die Hausglocke aus dem Bett getrieben wurde . . .«; ähnlich Koppenhagen, S. 36, 63-86. 121 Vormeng, Lehr-u. Wanderjahre, S. 227f. 122 Steudel, Briefe, passim. 123 Alle diese Nachteile der Landarztpraxis werden besprochen bei Fürst, Arzt, S. 41-46; Pagel, D eontologie, S. 78-81.

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Anmerkungen zu S. 186— 190 124 Pagel, D eontologie, S. 78. 125 D aß die Unterschiede in Tätigkeit und sozialer Position bis heute noch nicht völlig verwischt sind, belegt H. Heinemann, Landarzt-Report, in: Vorwärts, Nr. 1/2,3. Jan. 1980, S. 16f. 126 Fürst, Arzt, S. 43; Ringier, S. 58; Koppenhagen, passim; Nassauer, D oktorsfahrten, passim. 127 Anschaulich dazu: Schröder, S. 173 f. 128 Vormeng, Lehr- u. Wanderjahre, S. 394f.; W. Schulz, D ie socialistische Organisation des Ärztestandes, Berlin 1895, S. 29; Ae. V. Bl. 1896, Nr. 321, S. 117-20: Wie die Bauern über Krankheiten und ärztliche Behandlung denken. 129 Ringier, S. 8. 130 Fürst, Arzt, S. 46; Schröder, S. 174 f. berichtet, daß er sich das Verhältnis zu den Bauern »wesentlich erleichterte« dadurch, daß er mit ihnen Plattdeutsch sprach. 131 Über das Leben und Wirken eines Arztes auf dem Lande, S. 68 f. 132 Bei Kittel, Koppenhagen, Nassauer, D oktorsfahrten, Ringier, Schröder finden sich dafür zahlreiche Belege. 133 Fürst, Der Arzt, S. 43; Adolf Kußmaul verdiente in 31/2Jahren als Landarzt so viel, daß seine Überschüsse für 2-3 Jahre ohne Praxiseinkommen hinreichten; er konnte daher seinen alten Plan, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, wieder aufnehmen (Jugenderinnerun­ gen, S. 489). 134 Aus einer Statistik des sächsischen statistischen Bureaus geht jedenfalls hervor, daß 1901 die Großstadtärzte im D urchschnitt mehr verdienten als die übrigen. Von ersteren erreichten 52% ein Jahreseinkommen über 6300 Mk., von letzteren nur 40%. (E. Würzburger, D ie sächsische Einkommenssteuerstatistik als Maßstab für die Beurteilung der Einkommensver­ hältnisse, in: Zs. des kgl. sächsischen statistischen Bureaus, Jg. 50, 1904, S. 28). Leider diffe­ renziert die Statistik lediglich die Großstadtärzte heraus und faßt alle übrigen, Ärzte in Mittel­ städten, Kleinstädten und auf dem Lande, zusammen. 135 D r. Golliner, in: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 448, S. 266; ähnlich D r. Zühl, in: ebd., Nr. 440, S. 54-56; Nr. 443, S. 127-30; Dr. Goppclt, in: ebd., Nr. 449, S. 286f. 136 Ae. V. Bl. 1901, Nr. 440, S. 56. 137 Ebd., Nr. 449, S. 286f. 138 D r. Küster, in: ebd., S. 284f. 139 D resel, Organisationsbestrebungen, S. 15. 140 D ie Ärzte u. das medizinische Hülfspersonal 1876, S. 22, Tab. 1. 141 D ie Verbreitung des Heilpersonals 1898, Tab. 1, S. 2*; diese Zahl bezieht sich nur auf »allopathische, Privatpraxis treibende Zivilärzte«: ausgeklammert sind also die Militärärzte, die Krankenhausärzte und die Homöopathen. 142 Zwischen 1898 und 1909 ging auch die absolute Zahl der Ärzte in den kleineren Gemeinden auf 3794 zurück: D ie Verbreitung 1909, S. 2*. 143 Auch das ist immer noch kein genaues Kriterium, da durchaus auch manchmal Ärzte, die in größeren Städten praktizierten, eine typische Landarztpraxis betreiben konnten. So fuhr der in Rendsburg lebende Arzt D r. Schröder so gut wie täglich über Land zu seinen Patienten (Schröder, S. 170f). 144 Reichs-Medicinalkalender für Deutschland auf das Jahr 1900, hg. von F. Eulenburg, u. J . Schwalbe, Leipzig 1899, Teil II, S. 231-35. 145 D ie Verbreitung 1909, S. 2*; in Preußen praktizierten zu diesem Zeitpunkt 36 Spezial­ ärzte in Gemeinden unter 5000 Einwohnern. 146 Quincke, Spezialitäten, S. 1261, 1262. 147 Ae. V. Bl. 1889, Nr. 209, S. 322; Ae. V. Bl. 1892, Nr. 240, S. 214-17; die gleiche Forderung vertraten: Dr. Künne vom Düsseldorfer Bezirksverein, in: Ae. V. Bl. 1889, Nr. 212, S. 444-53; D r. Wittzach, Frankfurt, in: Ae. V Bl. 1892, Nr. 242, S. 211-13; D r. Bloch, in: ebd.,S. 213-18.

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Anmerkungen zu S. 190— 195 148 Vgl. die D iskussion im Offiziellen Protokoll des Ärztetages 1892, in: Ac. V. Bl. 1892, Nr. 247, S. 436-40. 149 Fürst, Arzt, S. 55 f. 150 Eulner, Spezialistentum, S. 29. 151 Ebd.; Eulner bezieht sich auf eine Zusammenstellung der preußischen D enkschrift von 1904. 152 Staatsarchiv Münster, Oberpräsidium. Β 120.8, Nr. 6111: Sitzung vom 12. 2. 1904, Protokoll S. 27-34; vgl. auch: Ae. V. Bl. 1904, Nr. 523, S. 308-12. 153 Zitiert nach Eulner, Spezialistentum, S. 26. 154 Die Verbreitung 1909, S. 2*. 155 Ebd., S. 8*, 10*. In Anhalt und Braunschweig sind die Gesamtzahlen zu niedrig, als daß sie aussagekräftig wären: in Anhalt hatte nur einer von 16 Spezialärzten allgemeine Praxis, in Braunschweig acht von 46 (Ebd., S. 4*). 156 So das preußische Ministerium für GUMA in einer Stellungnahme zur Beschwerde zehn westfälischer Spezialärzte über die Beschlüsse ihrer Kammer, zit. bei Fürst, Arzt, S. 57. 157 Vgl. das Grundsatzurteil des preußischen Ehrengerichtshofes vom 9. D ezember 1907, in: Entscheidungen des preußischen Ehrengerichtshofes für Ärzte, Bd. 2, Berlin 1911, S. 1820, v.a. S. 20. 158 Quincke, Spezialitäten, S. 1261; ähnlich Fürst, D er Arzt, S. 56; Moll, S. 149. 159 Herff, Zeit- und Streitfragen, S. 17. 160 Recke, Zur Lage der Spezialärzte, in: Ae. V. Bl. 1906, Nr. 568, S. 173-77. 161 D ie folgenden Zahlen berechnet nach: D ie Verbreitung 1909, S. 2*. 162 D arauf deutet auch die vermehrte Gründung privater Polikliniken durch Spezialärzte hin. Bedürftige Patienten wurden in diesen Instituten kostenlos behandelt, womit der Ärzte­ schaft insgesamt, glaubt man der innerärztlichen Kritik, ungeheurer wirtschaftlicher Schaden zugefügt wurde. D ie Inhaber der Polikliniken behandelten - so der gängige Vorwurf- nicht umsonst, um für die Weiterentwicklung ihres Faches Patienten mit den speziellen sie interessie­ renden Krankheiten in möglichst großer Zahl zu bekommen, sondern nutzten ihre Poliklinik hauptsächliche als Reklamemittel, um sich vor der wohlhabenden Klientel als Kapazität aus­ weisen zu können. So lauteten jedenfalls die Vorwürfe des »Vereins zur Bekämpfung der Mißbräuche in Polikliniken«, der 1908 in Berlin nicht weniger als 300 Polikliniken der verschie­ densten Spezialitäten zählte. D azu: S. Alexander, D ie Entwicklung der Polikliniken. Unter Berücksichtigung der Berliner Verhältnisse, in: Berliner Klinische Wochenschrift, Bd. 45, 1908, S. 82-84.

Kapitel VI 1 Frevert, Krankheit, S. 174ff. 2 Auf die Motive und Interessen, die bei der Entstehung des KVG von 1883 eine Rolle spielten, kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden, vgl. dazu an neuerer Literatur: F. Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialpolitik in D eutschland. Vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, Göttingen 1981, S. 135ff.; ders., Vorgeschichten. Entstehung der Kaiserli­ chen Botschaft vom 17. November 1881, in: Zs. f. Sozialreform, Bd. 27, 1981, S. 663-710. G. A. Ritter, Sozialversicherung in D eutschland und England. Entstehung u. Grundzüge im Vergleich, München 1983, S. 18-49; D. Zöllner, Landesbericht Deutschland, in: Ρ. Α. Köhler, u. H. F. Zacher (Hg.), Ein Jahrhundert Sozialversicherung in der Bundesrepublik D eutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich u. der Schweiz, Berlin 1981, S. 57-96. Als ältere Darstellung v.a.: F. Kleeis, D ie Geschichte der sozialen Versicherung in D eutschland, Berlin 1928, ΝD Berlin 1981.

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Anmerkungen zu S. 195—200 3 Übersichten nach Kassenarten über die Ergebnisse der Krankenversicherung im D eut­ schen Reiche in den Jahren 1885-1901, in: Statistik des Deutschen Reichs, N. F., Bd. 147, Die GKV im Jahre 1901, Berlin 1903, S. 11*. 4 Koblank,S. 166f., 177. 5 Artikel im Ae. V. Bl. 1902, Nr. 477, S. 324-48 über die Entwicklung der Barmener Kassenverhältnisse, hier S. 343. 6 Koblank, S. 174. 7 Ebd., S. 175. 8 D iesen Quellen ist Ute Frevert in ihrer Arbeit nachgegangen. Frevert, Krankheit, S. 236 ff. 9 So konnte sich der spätere Kreis-Physikus Oskar Schwartz, der in den 50er Jahren Fabrik­ arzt bei zwei Krankenkassen wurde, nicht erinnern, daß damals »Streitigkeiten bei der Beset­ zung von Kassenarztstellen« - wie sie seit den 90er Jahren gehäuft auftraten (dazu Abschnitt 3. in diesem Kapitel) - vorgekommen seien: O. Schwartz, 60 Jahre ärztlicher, amtlicher u. schriftstellerischer Tätigkeit, 1846-1907, Köln 1907, S. 9. 10 Vgl. Lohmanns Ausführungen in der Reichstagssitzung vom 20. 4. 1883, Stenographi­ sche Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, Bd. 71, S. 1993. Vgl. auch F. Tennstedt, D ie Errichtung von Krankenkassen in deutschen Städten nach dem Gesetz betr. die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883, in: Zs. f. Sozialreform, Jg. 29, 1983, S. 316. 11 G. Hesse, Ein Vierteljahrhundert deutscher Krankenversicherung. Bericht über die Ent­ wicklung der Krankenversicherung in D resden in den Jahren 1884 bis 1909, D resden 1909, S. 16. 12 A. D ierks, Entstehung und Entwicklung der deutschen Krankenversicherung bis zum Jahre 1909, D iss. Gießen 1922, veröffentlicht im Zentralblatt der Reichsversicherung 1922, Nr. 15/16, Sp. 484. 13 Ebd., Sp. 485f. 14 Aufgrund dessen führte zwischen 1887 und 1894 eine Reihe von Bundesstaaten, darun­ ter alle größeren bis auf Preußen, Bayern und Hamburg den Versicherungszwang für land­ und forstwirtschaftliche Arbeiter ein, ebd., Nr. 17, Sp. 509. 15 Ebd., Nr. 17, Sp. 511-13. 16 Einen Überblick über die Entwicklung der Knappschaftskassen gibt Bd. 177 der Stati­ stik des Deutschen Reichs, Die GKV im Jahre 1905, Berlinl907, S. 38* f. 17 D azu weiter unten S. 204. 18 Rumpe, Das Deutsche Krankenversicherungsgesetz nach 20jährigem Bestehen, in: Preußischejahrbücher, 1905, S. 104, schätzt schon 1905 die Zahl der gegen Krankheit versicherten Personen auf annähernd 30 Mio. Einwohner, d. h. 50% der Reichsbevölkerung; die Schätzung von 50% für 1913 auch bei F. Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialversicherung, in: M. Blohmke u. a. (Hg.), Handbuch der Sozialmedizin, Bd. 3, Stuttgart 1976, S. 388. 19 Ae. V. Bl. 1908, Nr. 678, S. 755. 20 Ae. V Bl. 1884, Nr. 151, S. 302f. 21 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V Bl. 1884, Nr. 149, S. 234; gleiche Forderung nach Zahlung der Minimaltaxe: Ae. V. Bl. 1883, Nr. 139; Ae. V. Bl. 1884, Nr. 141 (Referat von Dr. Bruglocher vor dem ärztlichen Bezirks verein Südfranken); Ae. V. Bl. 1883, Nr. 138, S. 269-76 (Referat von Dr. Künne vor dem Düsseldorfer Ärzteverein). Wie sehr sich die Stellung der Ärzte zu den Krankenkassen seit deren Verallgemeinerung durch das Gesetz von 1883 geändert hatte, beleuchtet schlaglichtartig eine Episode aus dem Jahre 1869: In der Trauerrede auf den verstorbenen Präsidenten des ärztlichen Vereins Düsseldorf, D r. Schnei­ der, hielt D r. Graf anerkennend fest, daß die Handwerkskasse, für die der Verstorbene 13 Jahre lang unentgeltlich (!) tätig gewesen sei, ihm ihr Entstehen verdanke (Correspondenz­ blatt der ärztlichen Vereine der Rheinprovinz, Nr. 5, April 1869, S. 2). Spätestens seit den

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Anmerkungen zu S. 200—204 90er Jahren wäre ein solches Verhalten, statt lobende Erwähnung zu finden, ehrengerichtlich als standesunwürdige Unterbietung verfolgt worden! 22 Vgl. Bericht von A. Guttstadt über die Umfrage, Off. Protokoll des Ärztetages, Ae. V. Bl. 1886, Nr. 173, S. 343f. 23 So zahlten nach der Umfrage bei den Gemeindekrankenkassen, die die durchschnittlich kleinste Mitgliederzahl hatten, 64% nach Einzelleistungen, während es bei den Ortskranken­ kassen 40% und bei den Betriebskrankenkassen nur 32% waren, ebd. 24 Ae. V. Bl. 1884, Nr. 144, S. 88 f. 25 R. Kayser, Die Entwicklung der Krankenkassen in Breslau von 1885-1897, in: Ae. V. Bl. 1898, Nr. 383, S. 374—76; vgl. auch die Hauptergebnisse der Enquete über die kassenärztlichen Verhältnissein Breslau, in: Ae. V. Bl. 1884, Nr. 145, S. 119f. 26 Correspondenzblatt der ärztlichen Vereine der Rheinprovinz, H. 34, 1884, S. 17; H. 37, 1886, S. 13. 27 Ae. V. Bl. 1894, Nr. 285, S. 482-84. 28 Ae. V. Bl. 1890, Nr. 220, S. 290. 29 Ae. V. Bl. 1894, Nr. 282, S. 411. 30 H. Quincke, D er Einfluß der sozialen Gesetze auf den Charakter, in: Ae. V. Bl. 1906, Nr. 572, S. 280-85, hier 283; ähnlich R. Lennhoff, Die zukünftige staatsrechtliche Stellung der Ärzte in Deutschland unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Ärzte zum Krankenversi­ cherungsgesetz, Berlin 1903, S. 13; Scholz, Von Ärzten u. Patienten, S. 69; auch der SPD Reichstagsabgeordnete und Vorsitzende der D resdener Ortskrankenkasse, Julius Fräßdorf, machte die Beobachtung, daß Kassenpatienten häufiger den Arzt konsultierten als Privatpatien­ ten:]. Fräßdorf, Ärzte u. Krankenkassen, in: Die Neue Zeit, Jg. 22, Bd. 1, 1904, S. 439. 31 So etwa Lennhoff, S. 20f. 32 Scholz, Ein Beitrag zur Klärung der Kassenarztfrage, in: Ae. V. Bl. 1902, Nr. 466, S. 73. 33 Ae. V. Bl. 1894, Nr. 282, S. 411. 34 Scholz, Beitrag, in: Ae. V. Bl. 1902, Nr. 466, S. 72. 35 Ae. V. Bl. 1895, Nr. 316, S. 673. 36 Ebd. 37 Statistik des Deutschen Reichs, N. F.; Bd. 177: Die GKV im Jahre 1905, Berlin 1907, S. 26*. 38 D ie Ausgaben für ärztliche Behandlung, in: Statistik des D eutschen Reichs, N.F., Bd. 140: Die GKV im Jahre 1900, Berlin 1903, S. 32*. Überblick über sieben Kassen, die zu diesem Problem Zahlen vorgelegt hatten. 39 Ebd.,S. 33*. 40 Frevert, Krankheit, S. 285. 41 Wiebel, in: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 460, S. 522; ähnlich Korman, Aus Leipzig, in: Ärztl. Mitt., Jg. 5, 1904, Nr. 46 vom 25. 11. 1904. 42 H. Seelmann, Die Arztfrage, in: Volkstümliche Zs. für praktische Arbeiterversicherung, Bd. 7, 1901, S. 268. 43 In Leipzig entfielen 1902 53,4% der Krankheitsfälle auf mitversicherte Angehörige und 46,6% auf Mitglieder: Statistik des Deutschen Reichs, N. F., Bd. 177: Die GKV im Jahre 1905, Berlin 1907, S. 26*. 44 Haies, Die Ortskrankenkasse zu Dresden, in: Ae. V. Bl. 1898, Nr. 381, S. 327. 45 Korman, Aus Leipzig. 46 D r. Müllerin: Ärztl. Mitt., Jg. 9, 1908, Nr. 45, S. 810. 47 Ergebnisse der Enquête, nach denen die Prozentsätze ausgerechnet wurden, in: Ae. V. Bl. 1899, Nr. 411, S. 469-76; kurzgefaßt auch in: Statistik des D eutschen Reichs, Bd. 140, S. 23* f. 48 Statistik des Deutschen Reichs, N.F., Bd. 170: Die GKV im Jahre 1904, Berlin 1906, S. 26* f.

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Anmerkungen zu S. 204—209 49 Tennstedt, Sozialgeschichte der Sozialversicherung, S. 388. 50 Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 177, S. 26*. 51 Etwa: W. Heymann, Praktische Vorschläge zur Richtigstellung der deutschen Kranken­ kassenstatistik, Leipzig 1902; Marx, Entwicklung, S. 53. 52 Geschäftsbericht der Ortskrankenkasse für Leipzig u. Umgebung, über die Jahre 1884— 1896, Leipzig 1897, S. 59. 53 Ebd., S. 59-61. 54 D iesen Punkt sprach auch der sozialdemokratische Abgeordnete Molkenbuhr in der Reichstagssitzung vom 27. 4. 1903 an: Sten. Berichte über die Verhandlungen des Reichsta­ ges, Bd. 188, S. 9082. 55 Geschäftsbericht 1884-1896, S. 61 f. 56 D ie Stellung der Ärzte bei den Krankenkassen. Wünsche u. Vorschläge der deutschen Ärzte zur Revision des Krankenversicherungsgesetzes, beschlossen vom XXX. D eutschen Ärztetag zu Königsberg i. Pr. am 4. u. 5. Juli 1902. D enkschrift bearb. von D r. Mayer­ Fürth und D r. Hoeber-Augsburg (= Beilage zum Ae. V. Bl. 1903, Nr. 490), Tab. 3, S. XIII. 57 Petition des Centralausschusses der Berliner ärztlichen Standesvereine an den Reichs­ tag, November 1891, in: Ae. V. Bl. 1891, Nr. 236, S. 558, auch abgedruckt bei Alexander, Geschichte, S. 62-66, hier 64. Vgl. auch D r. Becker auf dem Ärztetag 1891, in: Ae. V. Bl. 1891, Nr. 235, S. 433; Windeis, in: ebd., 1895, Nr. 297, S. 133; Mugdan, in: ebd., Nr. 302, S. 273. 58 Th. Plaut, Der Gewerkschaftskampf der deutschen Ärzte, Karlsruhe 1913, S. 60. 59 Reichstagssitzung vom 23. 2. 1903, Sten. Berichte, Bd. 187, S. 8134; Sitzung vom 27. 4. 1903, ebd., Bd. 188, S. 9066, 9068. 60 Etwa Fräßdorf, S. 443. 61 Ae. V Bl. 1885, Nr. 157, S. 165. 62 Eales, S. 330. 63 Ebd., S. 325. 64 Geschäftsbericht 1884-1896, S. 64. D emgegenüber mußten sich 85 Ärzte mit einer Summe von weniger als 1000 Mk. jährlich begnügen. 65 Übersicht nach Kassenarten, S. 23*, 25*. 66 Zitiert nach K. Jaffe, Stellung und Aufgaben des Arztes auf dem Gebiete der Kranken­ versicherung, Jena 1903, S. 63 f. 67 So etwa Prof. Flesch, Überfüllung und Nothlage im Ärztlichen Beruf, in: Ae. V Bl. 1902, Nr. 406, S. 61-65. 68 So Dr. Mayer-Fürth, Mitglied des Geschäftsausschusses des Ärztevereinsbundes, in ei­ ner Kritik der Berechnungen der Reichsstatistik zur Entwicklung der Arztkosten, in: Ae. V. Bl. 1903, Nr. 505, S. 411-18, Zitat S. 414. 69 Winschmann, Haben thatsächlich die Ärzte durch die Krankenkassengesetzgebung eine erhebliche Steigerung ihres Gesamteinkommens erfahren?, in: Ae. V. Bl. 1903, Nr. 503, S. 374f. D ie Kassen selbst berechneten, daß sie, falls die Minimaltaxe zugrundegelegt wer­ de, 1899 90 Mio. Mark an Arztkosten zu zahlen gehabt hätten, während sie tatsächlich nur 31 Mio. Mk. gezahlt hatten (Knobloch, in: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 458, S. 480). 70 Ae. V. Bl. 1901, Nr. 460, S. 522. 71 Ebd.,S. 522f. 72 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V Bl. 1902, Nr. 477, S. 332. 73 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1906, Nr. 574, S. 327; vorläufi­ ger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1908, Nr. 665, S. 502f.; vgl. auch das Proto­ koll des Ärztetaees 1908 (ebd., Nr. 669b, S. 46-53). 74 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V Bl. 1907, Nr. 612, S. 516f. 75 Offizielles Protokoll, ebd., Extranummer, S. 19.

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Anmerkungen zu S. 209—215 76 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1911, Nr. 820, S. 431. 77 Friedebergs Referat ist in Auszügen abgedruckt in: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 400, S. 68-70, ZitatS. 69. 78 Ebd., S. 70. 79 Abmahnung vom Studium der Medizin, S. 412. 80 Ebd., S. 411. 81 So etwa im Reichstag die Abgeordneten Molkenbuhr (SPD) und Roesicke: Sitzung vom 27. 4. 1903, Sten. Berichte, Bd. 188, S. 9080, 9077. 82 G. Koch, Die Hamburgischen Einkommenssteuerzahler nach Geschlecht, Alter, Beruf, Staatszugehörigkeit und Bürgerqualität, in: Statistik des Hamburgischen Staates, bearb. u. hg. vom Statistischen Bureau der Steuerdeputation, H. XVII, Hamburg 1895, S. 64f.; statistische Beschreibung der Stadt Frankfut/M. und ihrer Bevölkerung, II. Teil: Die innere Gliederung der Bevölkerung, bearb. von dem Vorsteher des Statistischen Amtes, H. Bleicher, Frankfurt 1895, Tab. 30, S. LIV-LV. 83 E. Würzburger, D ie sächsische Einkommenssteuerstatistik als Maßstab für die Beurtei­ lung der Einkommensverhältnisse, in: Zs. des kgl. sächsischen Statistischen Bureaus, Jg. 50, 1904, S. 1-29, v.a. Tab. S. 14f. 84 Abgedruckt bei Plaut, S. 50, 52. 85 G. Koch, Die Einkommenssteuer im Hamburgischen Staate 1883-1892, in: Statistik des Hamburgischen Staates, H. XVII, 1895, S. 21 f. 86 Im Schleswig-Holsteinischen Kammerbezirk verdienten 45% der zu den Kammerbeiträ­ gen herangezogenen Ärzte bis 5000 Mark, und rund ein Drittel verdiente mehr als 7500 Mark im Jahr. Hierbei waren aber nur die Einnahmen aus der Praxis berücksichtigt, nicht die sonstigen, etwa die aus Privatvermögen (Plaut, S. 50f.). 87 F. Eulenburg, D ie soziale Lage der Oberlehrer, Leipzig 1903, Anhang Tab. 1; H. Titze, Die soziale und geistige Umbildung des preußischen Oberlehrerstandes von 1870-1914, in: U. Herrmann (Hg.), Historische Pädagogik (= Zs. für Pädagogik, Beiheft 14), Weinheim 1977, S. 113. 88 D ieses war nach einem Urteil des Ärztlichen Vereinsblattes die Mindestsumme: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 446, S. 216. 89 Würzburger, S. 28. 90 Ae. V. Bl. 1906, Nr. 565, S. 77f. 91 D afür spricht auch, daß in Berlin Charlottenburg und Rixdorf jeweils mehr als 5% der Ärzte wegen Geringfügigkeit der Einnahmen von der Steuer befreit waren, während es im übrigen Regierungsbezirk Potsdam nur 1% und im Regierungsbezirk Frankfurt/O. von 330 Ärzten kein einziger war (Plaut, S. 52). 92 Nach einer bei J. Beer, Die Mängel der preußischen Medicinalgesetzgebung, Berlin 1855, S. 50-56 zitierten Abhandlung konnten viele Berliner Ärzte auch schon in den 50er Jahren kein standesgemäßes Einkommen erzielen, sondern litten Not, wenn sie nicht über Vermögen verfügten; vgl. auch Dresel, Organisationsbestrebungen, S. 47 f. 93 A. D esai, Real Wages in Germany 1871-1913, Oxford 1968, S. 117 geht in seiner Berechnung der Lebenshaltungskosten von einem Index 1895 = 100 aus. D ann betrug der Index 1900 106,4 und 1906 115,1, was für 1900-1906 einer jährlichen Preissteigerungsrate von knapp 1,5% entspricht. Für die vorher angeführten Beispiele ärztlicher Einkommensverhält­ nisse aus den 80er und 90er Jahren kann man den Unterschied zwischen Nominal- und Realeinkommen außer acht lassen, da während der Zeit der sog. »Großen D epression« die Preise im wesentlichen stabil blieben und sich erst seit 1896 ein kontinuierlicher Aufwärtstrend bemerkbar machte. 94 Plaut, S. 186. 95 Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 140, Berlin 1903, und Bd. 238, ebd. 1911, jeweils Tab. 3.

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Anmerkungen zu S. 215—220 96 1898 hatte es 21 178 praktizierende Zivilärzte (= Gesamtzahl der Ärzte, abzüglich der Militärärzte und der nur in Krankenhäusern tätigen Anstaltsärzte) gegeben (D ie Verbreitung 1898, S. 2*), 1909 waren es 25689 (D ie Verbreitung 1909, S. 2*). 97 Ausgaben für ärztliche Behandlung, S. 40*. 98 R. Virchow, D er Armenarzt, in: Medicinische Reform, Nr. 18, 1848, wiederabgedr. in: ders., Gesammelte Abhandlungen auf dem Gebiet der öffentlichen Medicin und der Seu­ chenlehre, Bd. 1, Berlin 1879, S. 34—37; J . Bergson, D as Protektionswesen bei der Armen­ Direktion, in: Medicinische Reform, Nr. 32, 1849, S. 194f. 99 D iese Attribute in einer Umfrage der Hamburger Ärztekammer zur Stellung der Ärzte bei den Krankenkassen, in: Ae. V. Bl. 1899, Nr. 394, S. 116; vgl. auch D resel, Organisa­ tionsbestrebungen, S. 90, der die Ansicht vertritt, den Ärzten sei es gegenüber den Kran­ kenkassen »weit schlimmer als den Industriearbeitern den Industriellen gegenüber ge­ gangen«. 100 Ae. V. Bl. 1894, Nr. 274, S. 141-45. 101 F. Naschold, Kassenärzte u. Sozialversicherungsreform. Zu einer Theorie der Status­ politik, Freiburg 1967, S. 53. 102 A. Gabriel, D ie kassenärztliche Frage, Leipzig 1912, S. 87. 103 Jannes, 25 Jahre knappschaftsärztliche Praxis beim Eschweiler Bergwerksverein, München 1909, S. 17. 104 Ae. V. Bl. 1899, Nr. 394, S. 116. 105 Ae. V Bl. 1890, Nr. 222, S. 427. 106 Ae. V. Bl. 1901, Nr. 455, S. 411; diesen Vorfall griff auch der Abgeordnete Hoff­ mann in der Reichstagssitzung vom 27. 4. 1903 auf, wobei er den fraglichen Brief ebenfalls wörtlich zitierte: Sten. Berichte, Bd. 188, S. 9075. 107 So der Kommentar zu der Schöffengerichtsverhandlung in Altona, Ae. V. Bl. 1890, Nr. 222, S. 427. 108 Vgl. D ietrich, Uber ärztliche Kollegialität, in: Ae. V Bl. 1898, S. 192-97, bes. 1941.; vorher schon die Ausführungen des Referenten auf dem Ärztetag 1890, D r. Busch, Ae. V. Bl. 1890, S. 359ff. 109 Entscheidungen des preußischen Ehrengerichtshof für Ärzte, Bd. 1, Berlin 1908, S. 118-22. 110 D ie Stellung der Ärzte bei den Krankenkassen, S. IIf.; vgl. auch die Ergebnisse der Umfrage der Ärztekammer Hamburg, in: Ae. V. Bl. 1899, Nr. 394, S. 116; außerdem: Ae. V. Bl. 1900, Nr. 434, S. 484f. 111 Tennstedt, Geschichte der Selbstverwaltung, S. 48-59; Gräf, Krankenversicherung, S. 716f; Peschke, S. 314-24; die Stellung der SPD in den Ortskrankenkasen scharf kritisie­ rend: W. Möller, D ie Herrschaft der Sozialdemokratie in der deutschen Krankenversiche­ rung, Berlin 1910. 112 So meinte der Arzt Knobloch 1901: »Manche Kassenvorstände spielen sich in ihrem Verkehr mit den Ärzten als eine hohe Behörde auf, und dabei sind Schaffner, Brennereiver­ walter, Tischlergesellen darin, machen den Ärzten Vorschriften über unpassenden Ton im Schreiben gegenüber einem Kassenvorstand.« (Knobloch, Ärzte u. Krankenkassen, in: Volks­ tümliche Zs. für praktische Arbeiterversicherung, Bd. 7, 1901, S. 19). 113 Umfangreiche Materialsammlung dazu: Möller, Herrschaft, S. 111-93. 114 Sten. Berichte, Bd. 188, S. 9084. 115 Ae. V. Bl. 1900, Nr. 434, S. 484f.; in der Reichstagssitzung vom 27. 4. 1903 wurde ferner ein Fall geschildert, in dem ein Fabrikant seinen Betriebskassenarzt, nachdem Ver­ handlungen mit diesem wegen eines Hausbaus sich zerschlagen hatten, kurzerhand entließ (Sten. Berichte, Bd. 188, S. 9074). 116 So der liberale Abgeordnete Hoffmann ebd., S. 9073; vgl. auch Rumpe, S. 105, der, selber Mediziner, die Ansicht vertrat, oft ließen die von Unternehmern geleiteten Betriebs-

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Anmerkungen zu S. 220—223 krankenkassen die Ärzte ihre Machtfülle noch energischer fühlen als die Orts-, Gemeinde- und Innungskrankenkassen. 117 So der Abgeordnete Spethmann in der Reichstagssitzung am 27. 4. 1903, in: Sten. Berichte. Rd. 188. S. 9076. 118 Ae. V. Bl. 1900, Nr. 434, S. 484; diese Behauptung wird auch widerlegt durch zahlrei­ che Bekundungen von Ärzten, die- wie etwa die Knappschaftsärzte- mit ihren Kassenvorstän­ den in bestem Einvernehmen standen (dazu weiter unten Abschnitt 4.). 119 Zadek, Arbeiterversicherung, S. 32f.; vgl. auch das Referat von D r. Streffer über »Rechte und Pflichten des Kassenarztes« auf dem Ärztetag 1905 in Straßburg (Ae. V. Bl. 1905, Nr. 551, S. 371). 120 Vgl. F. Tennstedt u. a., Albert Kohn - Ein Freund der Kranken. Rückblick auf das Wirken eines frühen Kämpfers für die Krankenversicherung, in: D ie Ortskrankenkasse, Bd. 23/24, 1976, S. 812-15. Auch von dem Referenten des Ärztetages 1906 wurde betont, daß »die Erfolge der Selbstverwaltung auf dem Gebiete der Fürsorge für die Kranken . . . rückhaltlose Anerken­ nung« verdienten (Off. Protokoll, Ae. V. Bl. 1906, Beilage zu Nr. 575, S. 18). 121 Η. Α. Müller, Die freie Arztwahl in Magdeburg im Lichte der Praxis, Magdeburg 1911, S. 7. 122 Vgl. die Sammlung von Einzelfällen, in: Die Stellung der Ärzte bei den Krankenkassen, S. III. Um die Krankenkosten möglichst herabzusenken, praktizierten die meisten Kassen ein ausgetüfteltes System der Krankenkontrolle und beschäftigten eine große Zahl von haupt- oder nebenamtlichen Krankenkontrolleuren (Scholl, D ie Krankenkontrolle, in: Ärztl. Mitt., Jg. 6, 1905, S. 227-84; C. Fiebig u. W. Hanauer, Die Krankenkontrolle. Ein Leitfaden für Kassenvor­ stände und Krankenkontrolleure im Kampf gegen Simulation und hygienische Mißstände, Frankfurt/M. 19032). 123 E. Schweninger, D er Arzt, Frankfurt/M. 1906, S. 109. Kritik am übersteigerten Indivi­ dualismus der Ärzte, am Ignorieren gesellschaftlicher Zusammenhänge auch bei L. Richter, Die Verstaatlichung des Arztes, in: Der Arzt u. der Staat, Leipzig 1929, S. 104f. 124 I. Zadek, Ein sozialdemokratischer Ärzteverein, in: Sozialistische Monatshefte, 1914, H. 3, S. 162f. 125 D azu oben Abschnitt 2 dieses Kapitels. 126 D resel, Organisationsbestrebungen, S. 5 drückt diesen Wandel mit folgenden Worten aus: »Wo früher jeder Patient dem Arzt als Einzelwesen in patriarchalischem Verhältnis gegen­ übertrat, schiebt sich jetzt zwischen Arzt und Patient eine Organisation, die in den früher rein persönlichen Verkehr etwas Unpersönliches hineinträgt und aus dem reinen Vertrauensverhält­ nis ein mehr oder weniger absolutes Geschäftsverhältnis macht.« 127 Ae. V. Bl. 1907, Nr. 609, S. 459; vgl. auch K. Finkenrath, D ie Verstaatlichung des Patienten, in: Der Arzt und der Staat, Leipzig 1929, S. 70-87, bes. 76. 128 Ebd., Nr. 604, S. 359. 129 Gegen eine hypostasierte Interessenidentität von Ärzten und Versicherten schon Na­ schold.S. 45-51. 130 D as zeigt sich an der raschen Zunahme der sog. »Mittelstandskassen«, einem Vorläufer der heutigen privaten Krankenversicherung, seit der Jahrhundertwende. 131 D eneke, Zur Krankencassenfrage, in: Ae. V. Bl. 1890, Nr. 214, S. 64-68, hier 68. Deneke trat bereits zu diesem frühen Zeitpunkt für eine allgemeine Einführung der Familien­ versicherung ein. 132 Off. Protokoll des Ärztetages 1906, in: Ae. V. Bl. 1906, Beilage zu Nr. 575, S. 20. 133 Antrag Scholl, Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1906, Nr. 574, S. 329. 134 Off. Protokoll des Ärztetages, in: Ae. V. Bl. 1906, Beilage zu Nr. 575, S. 30. 135 Ebd. 136 Ebd.,S. 32.

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Anmerkungen zu S. 224—228 137 D eneke, Krankencassenfrage; ebenso Busch, Zur Krankencassenfrage, in: Ae. V. Bl. 1890, Nr. 217, S. 162-68; die Ärztekammer Schleswig-Holstein forderte in ihrer Sitzung am 20. 5. 1890 ebenfalls die freie Arztwahl, ebd., Nr. 218, S. 201 f. 138 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1891, Nr. 231, S. 254. 139 D eneke, Krankencassenfrage, S. 65; Debatte auf dem Ärztetag 1891, Off. Protokoll, in: Ae. V. Bl. 1891, Nr. 235, S. 416-36, bes. S. 426f.; vgl. auch die Petition des Centralausschus­ sesder Berliner ärztlichen Standesvereine an den Reichstag (Ae. V. Bl. 1891, Nr. 236, S. 457 f.). 140 Vgl. die Tabelle bei Huerkamp u. Spree, Anhang, S. 111. 141 Ergebnisse der Enquête, in: A. V. Bl. 1899, Nr. 411, S. 469-76; kurzgefaßt auch in: Statistik des Deutschen Reichs. Bd. 140. S. 23 f. 142 Rumpe, S. 99, schätzt, daß 1905 in den großen Industriestädten 65-75% aller Einwohner versichert waren. 143 D er ärztliche Stand u. die deutsche Arbeiterversicherung. Aus Anlaß der bevorstehen­ den Abänderung des Krankenversicherungsgesetzes zusammengestellt vom ärztlichen Lokal­ verein Augsburg, Augsburg 1901, S. 363. 144 D ie Stellung der Ärzte bei den Krankenkassen, S. X. 145 Vgl. Tab. 3 bei Huerkamp u. Spree, Anhang S. 109 und Kap. III. 1. und 4. dieser Arbeit. 146 Busch, Krankencassenfrage, S. 167; Eschbacher, Die Verhältnisse der Ärzte zu den Kran­ kenkassen, in: Ae. V. Bl. 1890, Nr. 215. 147 D eneke, Krankencassenfrage, S. 66. 148 F. Baiser, Sozial-Demokratie 1848/1863, Bd. 2, Stuttgart 1963, S. 514. 149 K. Tenfelde, Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft an der Ruhr im 19. Jahrhundert, Bonn 1977u. ö.. S. 148f. 150 Etwa in Berlin: H. Albrecht, Krankenkassen und freie Arztwahl, in: Schmollers Jb., Jg. 19, 1895, S. 149; I. Zadek, Krankenkassen und Ärzte, in: Sozialistische Monatshefte, 1909, S. 1125; Jaffe, S. 149; J . B. Astor, Zur Geschichte u. Statistik der freien Arztwahl in Berlin, Berlin 1899, S. 7, 16. 151 E. Gräf, Die Krankenversicherung 1894-1919, in: 25Jahre Hauptverband der deutschen Ortskrankenkassen, D resden 1919, zit. nach Tennstedt, Geschichte der Selbstverwaltung, S. 49; Müller, Freie Arztwahl in Magdeburg, S. 5. In Frankfurt gewann die Liste des Gewerkschafts­ kartells 1894 die Wahlen zur Generalversammlung der Ortskrankenkasse mit der Parole: »für freie Arztwahl« und führte diese dann auch mit Beginn des Jahres 1896 ein (E. Gräf, Ärzte u. Krankenkassen, Frankfurt/M. 1905, S. 27). Auch bei den Beratungen für ein neues Knapp­ schaftsstatut wurde 1898 in mehreren allgemeinen Bergarbeiterversammlungen von den Knappschaftsmitgliedern die Einführung der freien Arztwahl gefordert (Ae. V. Bl. 1898, Nr. 371), und in der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 6. 2. 1900 forderte Hirsch ebenfalls die freie Arztwahl für die Knappschaftskassen, u. a. mit der Begründung, daß »recht dringende Anträge nach dieser Richtung von einer großen Anzahl Versicherter gestellt« seien (wörtlicher Abdruck von Hirschs Rede im Ae. V Bl. 1900, Nr. 429, S. 136-38). 152 Etwa: K. Kollwitz, Arzte und Krankenkassen, in: Sozialistische Monatshefte, 1913, S. 226; Zadek, Ärzteverein, S. 159f.; ders., Krankenkassen, S. 1125f.; C. A. Lehmann, D ie Forderung der freien Arztwahl, in: Die Neue Zeit, Jg. 22, Bd. 1, 1903/04, S. 516-18. 153 H. Verhein, D ie Stellung der Sozialdemokratie zur deutschen KrankenversicherungsGesetzgebung und ihr Einfluß auf dieselbe, Halle 1916, S. 114f.; die Mehrheit der Reichstags­ fraktion, auch Bebel, war zwar für die freie Arztwahl, doch hatte diese Forderung auch innerhalb der Fraktion Gegner, u. a. den einflußreichen Vorsitzenden der Dresdener Ortskran­ kenkassen und Vorsitzenden des Ortskrankenkassenverbandes, Julius Fräßdorf. 154 Fürst, Arzt, S. 97. 155 D ie Statistik wurde von der Berliner Gewerbedeputation als der zuständigen Aufsichts­ behörde erstellt, Astor, S. 25 f. 156 Gräf, Arzte, S. 56 ff.

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Anmerkungen zu S. 228—232 157 Fräßdorf. S. 442. 158 So z.B. der Münchner Arzt Weiß, Off. Protokoll des Ärztetages, in: Ae. V. Bl. 1891, Nr. 235, S. 429f. 159 D er Ärztetag 1895 beschloß, daß Kassenarztverträge »Abwehrmaßregeln gegen Simu­ lation, Arzneiverschwendung etc. enthalten müßten« (Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1895, Nr. 307, S. 412). Vgl. auch J. Thiersch, Meine Stellung zu den Fragen der Krankenkassen, insbes. zur freien Arztwahl, in: Ae. V. Bl. 1898, Nr. 379, S. 306-13, hier 310. 160 Ae. V. Bl. 1895, Nr. 315, S. 608-14, hier 609f.; die Realisierung des Vertrages scheiterte allerdings diesmal am Widerstand der Generalversammlung;. 161 Gräf, Ärzte, S. 33-36,50. 162 Astor, S. 84f., Tabellen S. 89-157. 163 Ebd., S. 32. 164 Ebd., S. 42 f. 165 Ebd., S. 81 f.; zum Teil als Richtigstellung verbreiteter Fehlannahmen begrüßt, z.T. auch wieder in ihrem Wert bezweifelt werden die Astor'schen Berechnungen vonJ. Kayser, Zur Geschichte u. Statistik der freien Arztwahl in Berlin, in: Die Arbeiterversorgung, Bd. 16, 1899, S 166-71

166 Ae. V. Bl. 1893, Nr. 252, S. 92-94. 167 Müller, Die freie Arztwahl in Magdeburg. 168 Krankenkassen und Ärzteorganisation. Hg. von der Geschäftsstelle des Verbandes rheinisch-westfälischer Betriebskrankenkassen, Essen 1907, S. 6. 169 D ie Knappschaftskassen u. die Forderungen der organisierten Ärzte. D enkschrift des Allgemeinen Deutschen Knappschaftsverbandes, beschlossen auf dessen Generalversammlung am 2. 4. 1906 in Berlin, S. 69. 170 Tennstedt, Geschichte der Selbstverwaltung, S. 99; ders., Sozialgeschichte der Sozialver­ sicherung, S. 396. 171 O. Heinemann, Aus meinem Leben, meiner Zeit, MS, zitiert nach Tennstedt, Geschichte der Selbstverwaltung, S. 94. 172 25 Jahre Hauptverband deutscher Ortskrankenkassen, D resden 1919, S. 3ff.; Heine­ mann, zitiert nach Tennstedt, S. 94; vgl. auch die Stellungnahmen der Kongresse der Kranken­ kassen Deutschlands, zitiert bei Gabriel, Frage, S. 177-79, 261-67. 173 Wandel, Die Arztfrage. Vortrag, gehalten am 22. 3. 1909 im Verein der Industriellen des Regierungsbezirks Köln, Köln 1909, S. 7. 174 Ae. V. Bl. 1890, Nr. 394, S. 114f 175 Referat Busch auf dem Ärztetag 1891, Οff. Protokoll, in: Ae. V. Bl. 1891, Nr. 234, S. 391. 176 Referat Windeis für den Ärztetag 1895, in: Ae. V. Bl. 1895, Nr. 302, S. 266-71. 177 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1895, Nr. 307, S. 412. 178 Ae. V. Bl. 1903, Nr. 503, S. 367-70; Gabriel, Frage, S. 189-91. 179 Ae. V. Bl. 1904, Nr. 534, S. 597-601. 180 Ein im Februar 1905 erschienener Erlaß des preußischen Eisenbahnministers intendierte sogar eine Verschmelzung der Gruppe der Bahnärzte, die als Vertrauensärzte der Verwaltungen und zuständig für die Behandlung der Bahnbeamten, ohnehin eine besondere Position hatten, mit den Bahnkassenärzten, und suchte auf diese Weise den beamtenähnlichen Status auch der letzteren noch zu verstärken, Gabriel, Frage, S. 292; zur Haltung der Eisenbahnverwaltung ferner: Ae. V. Bl. 1905, Nr. 541, S. 93-95; Hainebach, Geschichte der Versuche zur Einführung der freien Arztwahl bei der Eisenbahnkrankenkasse in Frankfurt, in: Ae. V. Bl. 1906, Nr. 577, S. 409-16. 181 In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts waren vorwiegend Wundärzte angestellt worden, K. Boventer, Zur Geschichte der Knappschaftsärzte im Steinkohlenbergbau, in: Sud­ hoffs Archiv für Geschichte der Medizin, Bd. 48, 1964, S. 55 f.

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Anmerkungen zu S. 232—237 182 D r. Sauberg, in: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 439, S. 39. 183 D r. Weil, in: Ae. V. Bl. 1900, Nr. 437, S. 600f.; D r. Sauberg, in: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 439, S. 39. 184 Knappschaftskassen, S. 2. Der Durchschnittsverdienst eines Knappschaftsarztes betrug zwar nur knapp 2000 Mk., dabei waren allerdings nach Meinung des Knappschaftsverbandes viele Ärzte mitgezählt, die knappschaftliche Praxis »nur in sehr beschränktem Umfange« betrieben (ebd.). D ie Zufriedenheit der Knappschaftsärzte mit ihrer Lage, die sie »nach einem so zweifelhaften Experiment« wie der gesetzlichen Einführung der freien Arztwahl kaum Verlangen tragen lasse, betont auch D r. Loose aus Hamborn, in: Ae. V. Bl. 1900, Nr. 432, S. 456 f. 185 Ae. V. Bl. 1901, Nr. 441, S. 90f. 186 Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 177, S. 38. 187 Jannes, 25 Jahre, S. 7f.; Gabriel, Frage, S. 191 f. 188 D r. Sauberg, in: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 439, S. 39; Ae. V. Bl. 1906, Nr. 568, S. 181-84 (Resolution der Halberstädter Knappschaftsärzte gegen die freie Arztwahl). 189 Tenfelde,S. 148f., 417, 552, 582f., 624-27. 190 D ies geht aus verstreuten Hinweisen bei Tenfelde (S. 436f., 552) hervor. 191 Ae. V. Bl. 1908, Nr. 658, S. 375f.; die Halberstädter Knappfschaftsärzte verfaßten am 6. 3. 1906 eine Resolution, in der sie den Vorstand des Halberstädter Knappschaftsvereins baten, »mit allen Kräften dahin wirken zu wollen, daß die freie Arztwahl in seinem Bezirk nicht eingeführt werde« (D ie Aufwiegelung der Halberstädter Knappschaftsärzte gegen die freie Arztwahl, in: Ae. V. Bl. 1906, Nr. 568, S. 181-84, Zitat S. 182). 192 D resel, Organisationsbestrebungen, S. 128. 193 Eales, S. 330 f. 194 Ebd.,S. 352f. 195 Ae. V. Bl. 1904, Nr. 533, S. 582-86. 196 D r. Braehmer, in: Ae. V Bl. 1891, Nr. 231, S. 265 f. 197 Ae. V. Bl. 1899, Nr. 390, S. 13; ähnliche Argumente gegen die freie Arztwahl in Betriebskrankenkassen bei dem Fabrikarzt einer Hamburger Wollkämmerei, Wilmans 198 D r. Braehmer, in: Ae. V. Bl. 1891, Nr. 231, S. 265 f. 199 Wolff, Der praktische Arzt, S. 57. 200 Thiersch, Stellung, S. 309. 201 Gräf, Ärzte, S. 36f. 202 Ebd.,S. 37f. 203 So das Ae. V. Bl. 1900, Nr. 434, S. 484. 204 Thiersch, Stellung, S. 309. 205 Ae. V Bl. 1898, Nr. 386, S. 440-44. 206 Ae. V. Bl. 1896, Nr. 337, S. 581-88; die Nürnberger Kasse bezahlte die Einzelleistung nach der Minimaltaxe und wurde von ärztlicher Seite gern als Beispiel dafür angeführt, daß die freie Arztwahl auch bei großen Krankenkassen »recht wohl durchführbar« sei, auch bei Bezahlung der Einzelleistung (A. Frankenberger, Die freie Arztwahl bei der Gemeindekranken­ kasse in Nürnberg 1885-1900. Zusammengestellt nach offiziellen Quellen, in: Ae. V. Bl. 1902, Nr.473. S. 238-44). 207 Ae. V Bl. 1899, Nr. 390, S. 5-13. 208 Ae. V. Bl. 1896, Nr. 338, S. 617-19. 209 Hier bildete eine stark besuchte allgemeine Ärzteversammlung am 16. 2. 1891 den Auftakt der Agitation für freie Arztwahl (Ae. V Bl. 1891. Nr. 227. S. 88f). 910 Astor, S 79 211 D r. Markiel, in: Ae. V. Bl. 1899, Nr. 390, S. 13-15, hier S. 15. 212 Astor, S. 7, lOff.

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Anmerkungen zu S. 237—243 213 Ae. V. Bl. 1900, Nr. 433, S. 483 f. 214 Kayser, D ie Entwicklung der Krankenkassen in Breslau von 1885-1897, in: Ae. V. Bl. 1898. Nr. 383. S. 374-76. 215 Ae. V. Bl. 1897, Nr. 349, S. 240f. 216 K. Rosner, Zur Geschichte der freien Arztwahl in Württemberg, in: Ärztl. Mitt., Jg. 6, 1905, S. 287-89. 217 O. Mugdan, Die freie Arztwahl in Berlin. Ihre Entstehung, Entwicklung u. Einrichtung. Im Auftrage des Vorstandes der freigewählten Kassenärzte, Berlin 1895, S. 13f.; Mugdan betont aber, daß es das Verhalten der Gewerbedeputation gewesen sei, - diese hatte den Berliner Kassen untersagt, weiterhin mit dem »Verein der freigewählten Kassenärzte« Verträge abzu­ schließen-, das der freien Arztwahl den Todesstoß versetzt habe (ebd., S. 14ff.). Vgl. ferner die ausführliche Berichterstattung im Ae. V. Bl. über die Berliner Situation: Ae. V. Bl. 1895, Nr. 296, 297, 298, 301, 305; H. Schönheimer, Die freie Arztwahl in Berlin u. ihre Gegner, in: Ae. V. Bl. 1903, Nr. 510, S. 545-53, lastete das Scheitern der Bewegung für freie Arztwahl 1895 »der Unzufriedenheit einiger Gewerksärzte mit der neuen Institution, welche sie um ihre Fixa zu bringen drohte«, an (S. 548). 218 Ae. V. Bl 1898, Nr. 383, 384, 385, 389. Der Begriff »Streik« taucht hier zum ersten Mal auf

219 Ae. V. Bl. 1894, Nr. 285; 1895, Nr. 313; 1896, Nr. 330; 1900, Nr. 433; 1902, Nr. 479; Gräf. Ärzte. 220 Albrecht, Krankenkassen, S. 290. 221 Tennstedt, Geschichte der Selbstverwaltung, S. 81 f.; G. Heinemann, Die Bedeutung des Arztsystems in der Krankenversicherung, in: Monatsschrift für Arbeiter- u. Angestelltenversi­ cherung, Bd. 16, 1928, S. 373 f. Kapitel VII 1 Fischer, Geschichte, Bd. 2, S. 67. 2 Η. Ε. Richter, Geschichte und Literatur der Ärztevereine, in: Ae. V. Bl. 1873, Nr. 9/10, S 66 3 Eschenburg. 4 Richter, Geschichte, S. 66. 5 In Lübeck etwa praktizierten zur Zeit der Vereinsgründung 1809 13 akademische Ärzte, Eschenburg, S. 1. 6 v. Rönne u. Simon, Bd. 1, S. 291. 7 Ebd., S. 355. 8 Ebd., S. 96f., 99. 9 Eulenberg, Medicinalwesen, S. 596. 10 v. Rönnen. Simon, Bd. 1, S. 400. 11 Ebd., S. 477-79; Finkenrath, Medizinaireform, S. 22. 19 ν Rönnpu. Simon. Bd. 1.S 474 f.

13 H.Joachim, D ie preußische Medizinaltaxe in ihrer historischen Entwicklung, Berlin o. J . 1895. 14 v. Rönne u. Simon, Bd. 1, S. 287. 15 So traten dem 1848 gegründeten unterfränkischen Kreisverein binnen kurzem 80% aller akademischen Ärzte Unterfrankens bei: J . Riedinger, Geschichte des ärztlichen Standes u. des ärztlichen Vereinswesens in Franken, Würzburg 1899, S. 35. 16 R. Virchow, Der medicinische Congress, in: Medicinische Reform, 1848, Nr. 17, S. 11719. Das Vorbild für diese Forderung war die allgemeine Ärzteversammlung der französischen Ärzte 1845, dazu: G. Weisz, The Politics of Medical Professionalization in France 1845-1848, in: Journal of Social History, Bd. 12, 1978/79, S. 3-30.

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Anmerkungen zu S. 243—246 17 R. Virchow, D er medicinische Unterricht, in: Mechanische Reform, 1848, Nr. 11, S. 69-72; Zur Reform der Medicinalverfassung Preußens. Mit Rücksichtnahme auf die Vor­ schläge des Dr. Josef Hermann Schmidt, bearb. von einem Ausschusse des ärztlichen Vereins des Regierungsbezirks Düsseldorf, D üsseldorf 1847, S. 58; Richter, Kleinere Schriften, S. 13f. 18 Finkenrath, Medizinalreform, S. 30. 19 Vgl. dessen programmatische Schrift: D ie öffentliche Gesundheitspflege und das Eigen­ tum. Kritisches und Positives mit Bezug auf die preußische Medicinalverfassungsfrage, Berlin 1847. 20 Vgl. vor allem seine Grundsatzartikel in der »Medicinischen Reform«: Was die ›Medici­ nische Reform‹ will (1848); Die öffentliche Gesundheitspflege (1848), beide wiederabgedruckt in: ders., Abhandlungen, Bd. 1, S. 3-6, 14-29. 21 An die preußischen Ärzte, in: Medicinische Reform, Nr. 6, 1848, S. 30f. 22 Entwurf der Medicinal-Ordnung. Bearbeitet von der dazu niedergesetzten Commission des Vereins der Ärzte und Wundärzte in Berlin, Berlin 1849, S. 6. 23 Ebd., S. 12; F. Graevell u. P. Gumbinner (Hg.), Verhandlungen des Vereins der Ärzte u. Wundärzte in Berlin in den Jahren 1848 u. 1849, Berlin 1850. 24 Finkenrath, Medizinalreform, S. 41-52; Ackerknecht, Beiträge; ähnlich war es in Sachsen; dazu Genschorek, Reformbewegung, S. 132-40. 25 Letztere Forderung etwa bei Klencke, Briefe, 9. Brief, S. 97 ff; H. Jäger, Beleuchtungen, Ansichten und Vorschläge zur bevorstehenden Reform des Medicinal-Wesens im Kgl. Preußi­ schen Staate, Neuß 1842, S. 66; Deutsch, S. 30f.; in etwas modifizierter Form schon 1823: F. Nasse, Von der Stellung der Ärzte im Staat, Leipzig 1823. Vgl. auch Finkenrath, Medizinalre­ form, S. 38-41. 26 Niebour, D ie Mediziner der Frankfurter Nationalversammlung, in: Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften. Bd. 17. 1918. S. 179-86. 27 Finkenrath, Medizinalreform, S. 57. 28 Genschorek, Reformbewegung, S. 45 f. 29 G.-M. Richter, Hermann Eberhard Richter. Leben und Werk eines großen D resdner Arztes, Diss. Dresden 1964, S. 16f. 30 Errechnet nach der tabellarischen Ubersicht bei E. Graf, D as ärztliche Vereinswesen in Deutschland u. der deutsche Ärztevereinsbund, Leipzig 1890, Anhang. D iese Zahlen beziehen sich nur auf die bis 1890 fortbestehenden Vereine; dazu kommt noch eine unbestimmte Zahl, die nach kurzem Bestehen nach dem Scheitern der Revolution wieder eingingen, so etwa der »westfälische ärztliche Verein«, der sich am 26. 7. 1848 in Münster konstituiert hatte {Graf, Vereinswesen, S. 82). 31 So war es in der Frühzeit des Lübecker Vereins, Eschenburg, S. 21; ähnlich berichtet Wallichs von Vorläufern des 1865 gegründeten Vereins schleswig-holsteinischer Ärzte, einem ärztlichen Leseverein und einem »D octorclub« in Altona, einem allgemeinen ärztlichen Verein in Kiel seit Ende der 50er Jahre und einem Verein in Schleswig seit 1832, die Organisation dieser Vereine sei zumeist eine lose gewesen (S. 15). 32 Vgl. die Statuten des Vereins schleswig-holsteinischer Ärzte von 1865, Wallichs, S. 3f. 33 So die Statuten des Vereins aus dem Jahre 1877, Eschenburg, S. 23f. 34 E. Graf, Zum 25jährigen Jubiläum des Düsseldorfer Vereins, in: Correspondenzblatt der ärztlichen Vereine der Rheinprovinz, H. 6, 1869, S. 5-13. 35 Wallichs, S. 4f. 36 Ebd., S. 6. 37 Ebd.,S. 7. 38 So der Bericht seines Vorsitzenden Cnyrim, in: Graf Vereinswesen, S. 78f. Aber auch auf den nur zweimal jährlich stattfindenden Versammlungen der Ärztevereine in den einzel­ nen Regierungsbezirken des Rheinlandes und Westfalens überwogen in den 80er Jahren die Vorträge wissenschaftlichen Inhalts. Vgl. die Berichte im Correspondenzblatt der ärztlichen

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Anmerkungen zu S. 247—253 Vereine in Rheinland, Westfalen und Lothringen, Nr. 30, September 1882 bis Nr. 43, April 1889. 39 Graf, Vereinswesen, S. 61 f. 40 Alexander, Geschichte, S. 11 f.; H. Bläsner, D ie standespolitischen D iskussionen in der Berliner medizinischen Gesellschaft, München (Diss. med.) 1973, S. 1 f. 41 Nach dem Verzeichnis der dem Ärztevereinsbund zugehörigen Vereine 1878, Ae. V. Bl. 1878, Nr. 75, S. 115-18. 42 D azu Abschnitt 2. a. dieses Kapitels. 43 Alexander, Geschichte, S. 14. 44 Text der Petition sowie der beigefügten Motive: Wasserfuhr, Die Petition an den Reichstag betr. die Verwaltungsorganisation der öffentlichen Gesundheitspflege im Norddeutschen Bun­ de, in: Dt. Vierteilahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, Bd. 2, 1870, S. 132-36. 45 Richter, Geschichte, S. 91. 46 So in dem Aufruf Hermann Eberhard Richters vom Juli 1872 an alle ärztlichen Vereine, in dem er zur Schaffung eines gemeinsamen Verbandes auffordert, ders., Geschichtliches als Einleitung, in: Ae. V. Bl. 1872, Nr. 1, S. 2. 47 R. Bölling, Zur Entwicklung und Typologie der Lehrerorganisationen in Deutschland, in: M. Heinemann (Hz.). Der Lehrer und seine Organisation. Stuttgart 1977. S. 25. 48 V. A. Clark, Entstehung und Professionalisierung der Architektenberufe in England und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, in: W. Conze u. J . Kocka (Hg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Bildungssystem und Professionalisierung in internationalen Vergleichen, Stuttgart 1985, S. 529-42. 49 Richter, Geschichtliches, S. 4. 50 Graf, Vereinswesen, S. 21. 51 So auch das Urteil des langjährigen Voristzenden Dr. Graf, ebd., S. 24. 52 Zur D ifferenzierung der Wissenschaftsdisziplinen und zur Abspaltung eigener Fachge­ sellschaften von der GD NÄ vgl. Pfetsch, Instsitutionalisierung; auch ders., Entwicklung, Kap. 6. 53 Zu solchen Themen gehörten etwa ein Vortrag über Beaufsichtigung und Schutz der Haltekinder auf dem Ärztetag 1878, eine wissenschaftliche D arlegung der Grundsätze der Antiseptik in Chirurgie und Geburtshilfe (1881), Vorträge über neue wissenschaftliche Er­ kenntnisse auf dem Gebiet der Säuglingsernährung (1883 und 1884), ein Bericht über neue Untersuchungsmethoden zum Nachweis von Mikroben in Boden, Luft und Wasser (ebenfalls 1883) sowie verschiedene wissenschaftliche Vorträge über den Nutzen und mögliche Gefahren der Schutzpockenimpfung (auf dem 7. deutschen Ärztetag in Eisenach 1879). Ebenso nahmen verschiedentlich Ärztetage Stellung zu sanitätspolitischen Forderungen und Gesetzesvorhaben, so etwa zum Impfgesetz, Reichsseuchengesetz und zur Hebammenfrage. Ferner forderten der Ärztetag 1875 die Einführung einer obligatorischen Fleischbeschau, insbesondere auf Trichi­ nen, und der Ärztetag 1878 die Verabschiedung eines Leichenschaugesetzes. 54 D er Eisenacher Ärztevereinstag, in: Ae. V. Bl. 1874, Nr. 27, S. 257. 55 Plaut, S. 66. 56 Ae. V. Bl. 1882, Nr. 124, S. 175. Weil diese Aufstellung von einer Gesamtzahl von 17749 Ärzten im Deutschen Reich ausgeht (unbereinigte Zahl des Börnerschen Reichsmedizinalka­ lenders), während ich in meiner Aufstellung immer nur die Zivilärzte genommen und zudem für 1880/81/82 die Börner'schen Zahlen nach unten korrigiert habe, kommt das Ärztevereins­ blatt nur auf einen durchschnittlichen Organisationsgrad von 44% im Deutschen Reich (gegen­ über 57% in meiner Berechnung). 57 Zusammenstellung über die deutschen ärztlichen Unterstützungskassen, in: Ae. V. Bl. 1877. Nr. 65. S. 183 f. 58 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1877, Nr. 66, S. 201 f.; Ae. V. Bl. 1878, Nr. 76, S. 127.

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Anmerkungen zu S. 253—259 59 Wallichs. S. 7. 60 So der bayrische Pensionsverein für Witwen und Waisen, Graf, Vereinswesen, S. 90 f. 61 Vgl. die Zusammenstellung im Ae. V. Bl. 1877, Nr. 65, S. 183f.; nach der Bedürftigkeit ausgewählt wurde ζ. Β. bei der Lübecker Witwen- und Waisenkasse (vlg. auch Eschenburg, S. 74). 62 So ζ. Β. der Ärztliche Pensions- und Hülfsverein in Frankfurt, oder die Unterstützungs­ kasse für die Ärzte des Regierungsbezirks Wiesbaden, Graf, Vereinswesen, S. 80, 81. 63 So etwa in Bremen, Graf, Vereinswesen, S. 129; und bei der Untersützungskasse für hilfsbedürftige badische Ärzte, ebd.. S. 116. 64 Marx. Entwicklung. S. 134. 65 Verzeichnis der dem Ärztevereinsbund angehörenden ärztlichen Vereine, in: Ae. V. Bl. 1878, Nr. 75, S. 117f. 66 Graf, Vereinswesen, S. 69. 67 Marx, Entwicklung, S. 63. 68 Zuerst: Riedel, Polizeiliche Knechtung des ärztlichen Standes, in: Medicinische Reform, Nr. 33 vom 16. 2. 1849, S. 197. 69 So auch die Wissenschaftliche D eputation für das Medizinalwesen in Preußen in einem Gutachten 1869, in dem sie die Aufhebung des umstrittenen Paragraphen fordert: Guttstadt, Gewerbefreiheit, S. 216f. 70 Wallichs, S. 15; S. Makower, Der § 200 des preußischen Strafgesetzbuches, Berlin 1869. 71 Guttstadt, Gewerbefreiheit, S. 216 f. 72 Petition der Berliner Medicinischen Gesellschaft, die Gewerbeordnung betreffend, in: Beilage zu Nr. 15 der Berliner Klinischen Wochenschrift. Jg. 1869. 73 Ebd. 74 Ebd. 75 D iese Argumente v. a. auch in den Ausführungen des Abgeordneten und Arztes LöweCalbe in: Sten. Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes, Bd. 7 (16. Sitzung vom 10. 4. 1869), S. 303-05. 76 O. Neustätter, Kurierzwang u. Kurpfuscherfreiheit. D ie nochmalige Zerstörung einer Legende. Berlin 1917

77 D iese wurden vom Präsidenten des Bundeskanzleramtes, Rudolph v. D elbrück, vorge­ tragen: Sten. Berichte über die Verhandlungen des Reichstags des Norddeutschen Bundes, Bd. 8, S. 1075. 78 Ae. V. Bl. 1873, Nr. 14, S. 105-08; weitere Artikel von Richter im Ae. V. Bl: Η. Ε. Richter, Die Ärzte u. die Gewerbeordnung, in: Ae. V Bl. 1874, Nr. 25, S. 225-28, 1875, Nr. 36, S. 37-40; ders., Die Ärzte und der Staat, in: Ae. V Bl. 1875, Nr. 33, S. 2-9. 79 Richter. Arzte u. Staat, S. 3. 80 Ebd., S. 9; vgl. auch ders., D ie Ärzte und die Statistik, in: Ae. V. Bl 1873, Nr. 14, S. 105 f. 81 Richter, Arzte u. Staat, S. 9. 82 D er Eisenacher Ärztevereinstag, in: Ae. V. Bl. 1874, Nr. 27, S. 257f. 83 Richter, Arzte u. Gewerbeordnung, S. 38. 84 Guttstadt, Gewerbefreiheit, S. 219. 85 Ebd. 86 Brauser, in: Ae. V. Bl. 1878, Nr. 80, S. 229-35. 87 Köhler, in: Ae. V. Bl. 1880, Nr. 97, S. 81-95, hier 95. 88 Ebd., Nr. 96, S. 70-72. 89 D r. Cron, in: Ae. V. Bl. 1879, Nr. 87, S. 105-09, hier 108. 90 Gegenteiliger Ansicht waren etwa der Rostocker Verein (Ae. V. Bl. 1880, Nr. 98, S. 105-08) und Dr. Runge (ebd.. Nr. 96. S. 70). 91 Off. Protokoll des Ärztetages (Referat Dr. Aub), in: Ae. V. Bl. 1880, Nr. 101, S. 163f.

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Anmerkungen zu S. 259—265 92 Ae. V. Bl. 1879, Nr. 84. S. 53-57. 93 Off. Protokoll des Ärztetages 1880, Ae. V. Bl. 1880, Nr. 101, S. 164f. 94 Papel, Deontologie, S. 37. 95 Ae. V. Bl. 1879, Nr. 89, S. 154. 96 Vorläufiger Bericht über den VIII. D eutschen Arztetag, in: Ae. V. Bl. 1880, Nr. 100, S. 155. 97 Zuerst abgedruckt in: Ae. V Bl. 1880, Nr. 104. 98 Brauser, Ärzteordnung u. Gewerbeordnung, in: Ae. V. Bl. 1882, Nr. 122. 99 Vgl. Graf, Aphorismen zur Medicinal-Reform, in: Ae. V. Bl. 1880, Nr. 95, wiederabge­ druckt bei A. Gabriel, Die staatlichen Organisationen des deutschen Ärztestandes, Berlin 1920, S. 33. Graf warnt hier ausdrücklich: »Verlangen wir zu unserem Schutze das Monopol, so droht als notwendiges Korrelat die Zwangspflicht.« 100 F. Runge, in: Ae. V. Bl. 1881, Nr. 105, S. 7f; D r. K., in: Ae. V Bl. 1881, Nr. 108, S. 60-64; Dr. Cnyrim, Frankfurt, auf dem X. D eutschen Ärztetag, Off. Protokoll des Ärzte­ tages, in: Ae. V Bl. 1882. Nr. 126. 101 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V Bl. 1882, Nr. 123, S. 132. 102 H.-U. Wehler, Das deutsche Kaiserreich 1871-1918, Göttingen 19835, S. 46f. 103 D urch Verfügung vom 13. 12. 1883, dazu ausführlich Gabriel, Organisationen, S. 8789. 104 Bläsner, S. 30-32. 105 Gabriel, Organisationen, S. 91. 106 D azu oben Kap. V. 1. 107 Zit. nach Gabriel, Organisationen, S. 70. Vgl. auch die Stellungnahme des preußischen Kultusministers v. Goßler in einer Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses im März 1882, zit. ebd., S. 72f. 108 Zitiert nach ebd., S. 74. 109 Zitiert nach ebd., S. 77. 110 Mitteilung Grafs auf dem 14. Ärztetag, Vorläufiger Bericht, in: Ae. V. Bl. 1886, Nr. 171, S. 271 f. 111 Gabriel, Organisationen, S. 77f. 112 Zitiert nach ebd., S. 79. 113 D ie Verordnung ist u. a. abgedruckt bei C. Kade, Die Ehrengerichtsbarkeit der Ärzte in Preußen. Berlin 1906. S. 86-90.

114 § 6 und 7, Kade,S. 88 f. 115 D as Sanitätswesen 1889-1891, S. 471. 116 Übersichten über die von den Ärztekammern erörterten Themen in: Das Sanitätswesen 1889-1891, S. 473-83; D as Sanitätswesen 1892-94, S. 477-80; D as Sanitätswesen 1895-97, S. 599-601. Vgl. auch die Sitzungsprotokolle der Ärztekammer Westfalen, in: Staatsarchiv Münster, Β 120.8 Oberpräsidium Münster, Medizinalwesen, Nr. 6831. 117 Siehe dazu Abschnitt 3. b. in diesem Kapitel; ferner die Zusammenstellungen über die Tätigkeit der preußischen Ärztekammern in: Das Gesundheitswesen 1903, S. 414f.; D as Ge­ sundheitswesen 1904, S. 395f.; vgl. auch P. Kaestner, Das erste Vierteljahrhundert preußischer Ärztekammern, in: Münchner Medizinische Wochenschrift. Bd. 60. 1913. S. 1097. 118 Alexander. Geschichte. S. 99f. 119 H. Goerke, Zur Geschichte der deutschen ärztlichen Standesvertretungen, in: Medizini­ scher Monatsspiegel Merck, 1969, S. 95. 120 § 5, Kade, S. 87. 121 Staatsarchiv Münster, Β 120.8 Oberpräsidium Münster, Medizinalwesen, Nr. 6626. 122 D as Sanitätswesen 1898-1900, S. 596. 123 Vgl. Eröffnungsrede von Graf auf dem XI. Ärztetag, Vorläufiger Bericht, in: Ae. V. Bl. 1883, Nr. 135, S. 180.

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Anmerkungen zu S. 265—269 124 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1884, Nr. 149, S. 230-33. 125 Gabriel, Organisationen, S. 94. 126 Vorläufiger Bericht über den Ärztetas, in: Ae. V. Bl. 1889, Nr. 207, S. 233-36. 127 Gabriel, Organisationen, S. 328-36, 198-252, v.a. 207-20 128 Ebd., S. 103f. 129 Sitzung vom 30. Oktober 1880, Gabriel, Organisationen, S. 104. 130 Vgl. die Bemerkung von Graf in seiner Eröffnungsrede zum Ärztetag 1887, es sei in manchen Bezirken statistisch erwiesen, daß der »größere Theil der jüngeren Ärzte« den Vereinen fernbleibe, Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1887, Nr. 183, S. 195. 131 Gabriel, Frage, S. 35. 132 Ae. V. Bl. 1892, Nr. 238, S. 43. Die Verfügung ist auch abgedruckt bei Gabriel, Organi­ sationen, S. 104 f. 133 Pagel, D eontologie, S. 61; vgl. auch den offenen Brief des Frankfurter Arztlichen Vereins, in dem warnend auf die Möglichkeit der D iskriminierung andersdenkender Ärzte durch die Ehrengerichte hingewiesen wurde (Ae. B. Bl. 1892, Nr. 239, S. 86-90). 134 Vgl. etwa das Votum der BMG auf einer Sitzung vom 23. 3. 1892 (Bläsner, S. 32-35), die ablehnende Haltung einer allgemeinen Versammlung der Berliner Ärzte (Alexander, Ge­ schichte, S. 77) oder auch die Proteste aus Frankfurt (Ae. V Bl. 1892, Nr. 239, S. 86-90). 135 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1892, Nr. 243, S. 243. 136 Ebd. 137 D as durch eine Indiskretion bekanntgewordene Schreiben ist abgedruckt u. a. im Ae. V. Bl. 1895, Nr. 298, S. 123f.; auch bei Gabriel, Organisationen, S. 121. 138 Vgl. Artikel im Berliner Tageblatt vom 13. 5. 1895, abgedruckt in: Ae. V. Bl. 1895, Nr. 300. S. 190f. 139 Alexander, Geschichte, S. 74. 140 Ae. V. Bl. 1895, Nr. 300, S. 18-88. 141 Ebd., S. 188-90. 142 § 5, Abs. 3, Kade, S. 88. 143 Ae. V. Bl. 1892, Nr. 247, S. 414-18. 144 D iese Interpretation auch bei E. Luther, Die Herausbildung u. gesellschaftliche Sanktio­ nierung der ärztlichen Standesauffassung in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Wissen­ schaftliche Zs. der Universität Halle, Bd. 24, 1975, Math.-Nat. Reihe, H. 2, S. 21. 145 Interessanterweise war die Haltung der Kammern dem zweiten ministeriellen Entwurf gegenüber viel weniger kompromißbereit, obwohl dieser im Vergleich zum ersten in einer Reihe von Punkten Entgegenkommen zeigte: eine Haltung, die Gabriel (Organisationen, S. 136) »mehr wie eigenartig« nennt, und die nur plausibel wird, wenn man einen gewissen Druck von seiten der Basis unterstellt. 146 D azu ausführlich F. Altmann, Ärztliche Ehrengerichte u. ärztliche Standesorganisation in Preußen. Berlin 1900. S. 12-25: Gabriel. Organisationen. S. 124-43. 147 Gabriel, Organisationen, S. 125, 141. 148 Siehe die Zusammenstellung der verschiedenen Entwürfe zu § 3 (im ersten Entwurf noch § 14, im zweiten § 13) bei Altmann, S. 36-43, hier S. 36. 149 Feilchenfeld, D er Entwurf eines Gesetzes betr. ärztliche Ehrengerichte, in: Ae. V. Bl. 1896, Nr. 326; Henius, Zum Kampf gegen ärztliche Ehrengerichte, in: Ae. V. Bl. 1896, Nr. 338. 150 Gabriel, Organisationen, S. 128. 151 So bezeichnete 1896 ein approbierter Arzt in der Zeitschrift »Naturarzt« (Jg. 24, S. 179— 82) den Gesetzentwurf als »Kautschukgesetz«, das sich gegen die approbierten Vertreter der Naturheilkunde richte. 152 Protokoll der Ärztekammerausschuß-Sitzung, in: Ae. V. Bl. 1898, Nr. 371, S. 126-28, 361 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Anmerkungen zu S. 270—274 auch abgedruckt bei Altmann, S. 18-22. Vgl. als Ergänzung dazu den Bericht Altmanns an den Minister, teilweise zitiert bei Luther. Herausbildung. S. 21. 153 Altmann, S. 39; vgl. auch F. Ostler, D ie deutschen Rechtsanwälte, 1871-1971, Essen 1971, S. 15-26, hier S. 22. 154 Wortlaut des gesamten Gesetzes: Kade, S. 92-104. 155 Altmann. S. 39. 156 D en gleichzeitigen Erlaß solcher rechtsverbindlichen Normen hatten zwar die Ärzte­ kammern in ihrer Stellungnahme zum zweiten Entwruf (1. Nov. 1897) gefordert (Gabriel, Organisationen. S. 133), waren damit aber nicht durchgedrungen. 157 Entscheidungen des preußischen Ehrengerichtshofes für Ärzte. Im Auftrag des Ehren­ gerichtshofes hg., Bd. 1, Berlin 1908, S. 165f., 167f. 158 Urteil vom 8. 11. 1904, ebd., S. 166. 159 D azu U. Linse, Arbeiterschaft u. Geburtenentwicklung im deutschen Kaiserreich von 1871, in: Aß, Bd. 12, 1972, S. 243ff. 160 Luther. Herausbildung. S. 24. 161 Jedenfalls vertritt Luther, der sich auf Archivmaterial aus dem Preußischen Kultusmi­ nisterium in DZA Merseburg stützen kann, diese Auffassung, ebd., S. 21 ff. 162 Zadek, Ärzteverein, S. 158. Freilich ist die Frage, wieweit von den Ehrengerichten ein Konformitätsdruck ausging, der viele Ärzte erst gar nicht zu offenen Anhängern der Sozialde­ mokratie werden ließ, kaum zu beantworten. 163 U. Seemann, Einige Bemerkungen zur historischen Entwicklung der Auffassung vom unpolitischen Arzt in D eutschland, in: E. Luther u. B. Thaler (Hg.), D er Arzt in der politi­ schen Entscheidung, Halle 1967, S. 11-18; H. Schadewaldt, Medicus politicus. Medizin zwi­ schen Utopie und Realität, in: D eutsches Ärzteblatt, Bd. 70, 1973, S. 3307f. Beide Autoren erwähnen aber den möglichen Einfluß der Ehrengerichte auf die Herausbildung dieser unpoli­ tischen Haltung nicht. 164 Luther, Herausbildung, S. 22 u. S. 27 Anm. 81. 165 § 17, Abs. \,Kade,S. 96. 166 D as Gesundheitswesen 1903, S. 415f 167 D ies allerdings unter der Annahme, daß jeder betroffene Arzt nur einmal vor dem Ehrengericht stand. D a es aber durchaus möglich ist, daß gegen einzelne Ärzte zweimal und öfter Anklage erhoben wurde, könnte die Zahl von 3081 Ärzten nach oben hin verzerrt sein: hoch bleibt sie dennoch. 168 Von den 15469 Privatpraxis treibenden Zivilärzten wurden die beamteten Ärzte (schät­ zungsweise 500) abgezogen, da sie der Judikatur des Ehrengerichts nicht unterlagen (D ie Verbreitung 1909, S. 2*). 169 D ie Urteile zum Verhalten des Arztes gegenüber Kollegen, Behörden, Krankenkassen und Kurpfuschern machten im ersten Band der Entscheidungen 115 Seiten aus gegenüber acht Seiten mit Urteilen, die das Verhalten außerhalb des Berufs betrafen, und 30 Seiten, die das Verhalten gegenüber dem Patienten zum Gegenstand hatten. Im zweiten Band der Entschei­ dungen ist die Gewichtung ähnlich. 170 § 12 des Ehrengerichtsgesetzes lautete: »D ie allgemeine Staatsaufsicht über den Ge­ schäftsbetrieb des Ehrengerichts führt der Oberpräsident. Im ehrengerichtlichen Strafverfah­ ren wird derselbe durch einen von ihm dauernd oder für den einzelnen Fall bestellten Beauf­ tragten vertreten.« (Kade, S. 95). 171 Eröffnungsrede zum XI. D eutschen Ärztetag 1883, in: Ae. V. Bl. 1883, Nr. 135, S. 180. 172 In einer Rede vor dem preußischen Abgeordnetenhaus, 1882, zitiert bei Gabriel, Orga­ nisationen. S. 64. 173 Bläsner, S. 12-18. 174 Ebd., S. 18-20.

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Anmerkungen zu S. 274—276 175 D er ganze Schriftwechsel zwischen dem Ärzteverein und den verschiedenen Behörden ist dokumentiert in: Ae. V. Bl. 1886. Nr. 170. S. 223-33. 176 Vgl. v. a. das Schreiben des Rates der Stadt Chemnitz vom 12. 2. 1886, in der Doku­ mentation des Ae. V. Bl. 1886, Nr. 170, S. 223-33, hier S. 228. 177 Graf, Eröffnungsrede zum XIV. D eutschen Ärztetag 1886, in: Ae. V. Bl. 1886, Nr. 171, S. 266. 178 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: ebd., S. 275. 179 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1887, Nr. 183, S. 197 f. 180 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V Bl. 1888, Nr. 198, S. 326. 181 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1890, S. 242. 182 A. Eulenburg, Zur Stellung der Ärzte vor u. nach der Gewerbeordnung, in: D MW, Bd. 22. 1896. S. 715. 183 D ers., Zur Kurpfuschereifrage, in: Ae. V. Bl. 1897, Nr. 357, S. 539-43, Nr. 358, S. 578-82, hier S. 540f. 184 Eröffnungsrede zum Ärztetag 1889, in: Ae. V Bl. 1889, Nr. 207, S. 233f.; vgl. auch einen Artikel ebd., 1892, Nr. 240, in dem es hieß, die Ärzte seien in die Gewerbeordnung gebracht worden, »ohne daß unser Stand, der damals noch gar keine Zentralisation der Vereine und von diesen überhaupt nur wenige besaß, ernstlich darum gewahr wurde« (S. 119). Ebenso die Ausführungen von Dr. D ietrich auf der Hauptversammlung des preußi­ schen Medizinalbeamtenvereins 1896. in: Zs. f. Medicinalbeamte, Je. 9. 1896. S. 559. 185 Ae. V. Bl. 1896, Nr. 323, S. 174. 186 Ebd., S. 165f. 187 D avon gehen fast alle ärztlichen Autoren und auch amtliche Statistiken aus: W. Ebstein, Charlatanerie und Kurpfuscher im D eutschen Reiche, Stuttgart 1905, S. 21; Eulenburg, Kur­ pfuschereifrage; Springfeld, D ie Überwachung der Kurpfuscher in Berlin, in: Ärztliche Sach­ verständigen-Zeitung, Jg. 4, 1898, S. 257-63; vgl. auch die Bände des amtlichen Werks: Das Sanitätswesen 1892-94, S. 497-505; dass. 1895-97, S. 624-32; dass. 1898-1900, S. 624-58, wo anhand der Berichte der Medizinalbeamten jedesmal eine »erhebliche Zunahme der Kur­ nfuscherei« konstatiert wird. 188 Springfeld, S. 259f. 189 Etwa: Enquê te über die Curpfuscherei im Regierungsbezirk Cöslin, in: Ae. V. Bl. 1899, Nr. 246, S. 395-99; oder die von den preußischen Ärztekammern 1899 durchge­ führte Enquete (Ae. V. Bl. 1899, Nr. 413); ebenso eine vom Preußischen Medizinalbeamtcn­ verein 1896 durch Umfrage unter den Kreis-Physikern durchgeführte statistische Untersu­ chung: R. Wehmer u. W. Pflanz, Kurpfuscherei u. Geheimmittelwesen, in: Rapmund, Medizi­ nalwesen, S. 445. 190 D afür spricht auch die Tatsache, daß die Zunahme der Kurpfuscherei, wenn auch von den meisten ärztlichen Autoren unterstellt, keineswegs unumstritten war: der Frankfurter Arzt Cnyrim, strikter Befürworter der Gewerbeordnung, meinte etwa, die einzige brauchba­ re Kurpfuscherei-Statistik, die des Staates Bayern, beweise genau das Gegenteil: nämlich einen Rückgang der Pfuscher im Zeitraum 1878 bis 1890 (Ae. V. Bl. 1897, Nr. 361, S. 65356). 191 G. Wagner, Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Kurpfuscherei u. des Geheimmit­ telschwindels, in: Die Neue Zeit, Bd. 27.1, 1908/09, S. 504. 192 Ebd.; vgl. auch die D iskussion auf dem Ärztetag 1897, Beilage zu Nr. 362, S. 2ff., Beilage zu Nr. 363, S. 1-4; Eulenburg, Kurpfuschereifrage, S. 579. 193 Huerkamp, Naturheilbewegung. 194 Vgl. v. a. den Bericht der Kurpfuscherei-Kommission auf dem Arztetag 1909 (in: Ae. V. Bl. 1909, Nr. 718b), der die »Bedeutung des Geschlechtslebens« in den Annoncen der Kurpfuscher, angefangen von Präparaten zur »Behebung vorzeitiger Geschlechtsschwäche« bis zu Mitteln zur »Beseitigung von Blutstockungen« (Schwangerschaftsabbruch!), nach-

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Anmerkungen zu S. 277—279 weist. Siehe auch C. Alexander, Geschlechtskrankheiten u. Heilschwindel, Leipzig 19083; H. Kantor, Freie Bahn für die Kurpfuscher, Berlin 1917, dort den Anhang S. 40-55: Geburtenrück­ gang und Kurpfuscherei. 195 Repräsentativ für viele: Bollinger, S. 27; Aschenborn, Ärzte, in: Rapmund, Medizinalwe­ sen, S. 353. 196 D as Referat von Lent »Über das Ausscheiden der deutschen Ärzte aus der Gewerbeord­ nung« ist abgedruckt in: Ae. V. Bl. 1897, Beilage zu Nr. 360, S. 4-8. 197 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1897, Nr. 359, S. 604f. 198 Vorläufiger Bericht über den Arztetag, in: Ae. V. Bl. 1902, Nr. 477, S. 336. 199 D as Gesundheitswesen 1908, S. 487; die Zahlen beziehen sich natürlich nur auf gemel­ dete »Kupfuscher«. Ein Teil der Steigerung ist möglicherweise auch auf bessere Erfassung im Laufe der Jahre zurückzuführen. Zur Fragwürdigkeit der veröffentlichten Zahlen vgl. auch Spree, Ungleichheit, S. 100 f. 200 1901 wurde auf dem Ärztetag eine Kommission zur Bekämpfung der Kurpfuscherei eingesetzt, die 1903 einen umfangreichen Bericht vorlegte: Zusammenstellung der gesetzlichen Handhaben zur Bekämpfung der Kurpfuscherei. Im Auftrag der Kommission des Deutschen Ärztevereinsbundes zur Bekämpfung der Kurpfuscherei bearb. von Dr. C. Becker in München (Beilage zum Ae. V. Bl. 1903, Nr. 510). 201 C. v. Littrow, Die Stellung des deutschen Ärztetages zur Kurpfuscherfrage in Deutsch­ land 1869-1908, in: Wissenschaftliche Zs. der Humboldt-Universität Berlin, Bd. 19, 1970, Math.-Nat. Reihe. H. 4. S. 444. 202 Text des Entwurfs in: Ae. V. Bl. 1908, Beilage zu Nr. 644; dazu J . Schwalbe, D er Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Kurpfuscherei- und Geheimmittelwesens, in: DMW, Jg. 34, 1908, S. 379-82; F. Stier-Somlo, D ie Kurpfuscherei u. ihr Verbot, in: Annalen des Deutschen Reiches. 1908. S. 429-33. 203 So wurde 1910 der »Bund für freie Heilkunst e. V. Zentralverband für die Parität der Heilmethoden« gegründet, der u. a. eine Schriftenreihe zur Verteidigung der Kurierfreiheit herausgab. Angeblich gelang es dem Verband, 59 Reichstagsabgeordnete darauf zu verpflich­ ten, im Falle ihrer Wiederwahl dem geplanten Kurpfuschereigesetz auf keinen Fall zuzustim­ men. D as behauptete jedenfalls der freisinnige Abgeordnete Dr. Struwe in der Reichstagssit­ zung vom 10. 2. 1914 (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, Bd. 292, S. 7190). 204 Stenographische Berichte, Bd. 87, S. 293, 331; vgl. Ae. V. Bl. 1885, Nr. 164, S. 38998. Noch fast 20 Jahre später, auf dem a.o. Ärztetag in Berlin am 7. 3. 1903, erinnerte der Referent, D r. Mayer-Fürth, an diese unvergessene Rede v. Boettichers (Verhandlungen des a. o. Deutschen Ärztetages in Berlin am 7. 3.1903, Off. Protokoll, in: Ae. V. Bl. 1903, Nr. 494 (Extranummer), S. 3). 205 Vgl. v. Boettichers Schreiben an den Geschäftsausschuß vom 8. 7. 1886, abgedruckt in: Ae. V Bl. 1886, Nr. 171, S. 261-65. 206 Nach einem Referat von Prof. Eulenburg, in: Ae. V. Bl. 1896, Nr. 328, S. 340-44. 207 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1896, Nr. 330, S. 401. 208 Off. Protokoll des Ärztetages, Beilage zum Ae. V. Bl. 1899, S. 34. 209 Sten. Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, Bd. 188, Sitzung vom 27. 4. 1903, S. 9066-9100. 210 D ie SPD bejahte zwar im Reichstag verschiedentlich das Prinzip der freien Arztwahl, die von ihr gelenkten Ortskrankenkassen bekämpften es aber; der Freisinn trat zwar verbal für ärztliche Forderungen ein, doch hatte gerade die freisinnige Gewerbedeputation des Berliner Magistrats die freie Arztwahl dort zu Fall gebracht; in der nationalliberalen Partei spielten Unternehmerinteressen, die den Ärzteforderungen nicht gerade freundlich gegenüberstanden, die ausschlaggebende Rolle; den Konservativen aber waren die Ärzte suspekt schon wegen der ständigen, vor allem von den Kreisärzten vorgebrachten Forderungen nach höheren Aufwen-

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Anmerkungen zu S. 279—284 dungen in der öffentlichen Gesundheitspflege; das Zentrum hatte angeblich für die Ärzte nichts übrig, weil diese in seinen Augen »Materialisten und Atheisten« seien (so jedenfalls ein Artikel im Ae. V. Bl. 1901, Nr. 454, S. 396-98). 211 Zur Verortung der Ärzte innerhalb des deutschen Bildungsbürgertums: C. Huerkamp, Die preußisch-deutsche Ärzteschaft als Teil des Bildungsbürgertums: Wandel in Lage und Selbstverständnis vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Kaiserreich, in: W. Conze u. J . Kocka (Hg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Bildungssystem und Professionalisie­ rung in internationalen Vergleichen, Stuttgart 1985, S. 380ff. 212 H. Hartmann, Offener Brief an Dr. Warmiensis, in: Ae. V. Bl. 1900, Nr. 429, S. 381-84; wiederabgedruckt u. a. bei Plaut, S. 90-94 und bei H. Schadewaldt, 75Jahre Hartmannbund. Ein Kapitel deutscher Sozialpolitik, Bonn 1975, S. 30-32. 213 Ae. V. Bl. 1900. Nr. 425. S. 298-303, Nr. 426, S. 314-19. 214 Noch deutlicher war diese Anspielung in dem Artikel von Dr. Warmiensis, der betitelt war: »Ärzte aller deutschen Staaten, vereinigt Euch!« 215 Persönliche Mitteilung Hartmanns an Plaut, Plaut, S. 95. 216 Provisorische Satzungen, abgedruckt bei Schadewaldt, 75 Jahre, S. 34f.; Gabriel, Frage, S. 155 f. 217 Ae. V. Bl. 1900, Nr. 432, S. 450f.; der Sitz der Centralstelle war zunächst Köln, Ende 1900 wurde sie nach Frankfurt verlegt (ebd.. 1901, S. 87). 218 Ae. V. Bl. 1900, Nr. 432, S. 449f. 219 Ae. V. Bl. 1900, Nr. 430, S. 410f; ähnlich D r. Levy-Neuhofer in: Ae. V. Bl. 1900, Nr. 436, S. 565f., 1901, Nr. 448, S. 268f.; Wentscher, Die neuesten Versuche zur Besserung der Lage des ärztlichen Standes, in: Ae. V Bl. 1901, Nr. 447, S. 230-38, Nr. 448, S. 255-63, hier S. 257. 220 H. D örfler, Zur neuen Standesbewegung, in: Münchner Medicinische Wochenschrift, Bd. 48, 1901, S. 33. 221 Ae. V. Bl. 1901, Nr. 452, S. 349-53, hier S. 350. 222 Ae. V Bl. 1900, Nr. 432, S. 453-56, hier S. 453. Auch Wentscher, S. 256 rügt den »sozialdemokratischen Beigeschmack« der Gründung. Vgl. auch D örfler, S. 33, der es als »Kapitalfehler« des Verbandes bezeichnet, die zu schaffende Kasse »Streikkasse« zu nennen. 223 Abgedruckt in: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 438, S. 3-12. 224 Gabriel, Frage, S. 155 f. 225 Alexander, in: Ae. V Bl. 1901, Nr. 438, S. 6f; ähnliche Argumente bei Dörfler, S. 33. Auch Wentscher. S. 259 sieht darin eine »Prämiierung der Unkollegialität«. 226 Ebd.,S. 9f. 227 Ebd.,S. 11. 228 Ae. V Bl. 1900, Nr. 437, S. 588. 229 D örfler, S. 33. 230 Ae. V. Bl. 1900, Nr. 434, S. 502f. 231 Ebd.. S. 504-08. 232 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1901, Nr. 452, S. 344. 233 Ebd.. S. 345. 234 Rosner. 235 Ae. V. Bl. 1900, Nr. 434, S. 508f. 236 Abgedruckt bei Schadewaldt, 75 Jahre, S. 38 f. 237 Ae. V. Bl. 1900, Nr. 435, S. 535 f. 238 So ζ. Β. die Zuschrift von Dr. Neuberger aus Nürnberg, ebd. 239 Plaut, S. 96; G. Kuhns, 25 Jahre Verband der Ärzte Deutschlands, Leipzig 1925, S. 70, nimmt für 1910 einen Organisationsgrad von 94% an. 240 So auch Plaut, ebd., S. 96-98. 241 D iese Forderungen finden sich ausführlich begründet in der Denkschrift des Ärztever­ einsbundes an Bundesrat und Reichstag 1903: Die Stellung der Ärzte, S. I.

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Anmerkungen zu S. 284—289 242 Verhandlungen des a. o. D eutschen Ärztetages in Berlin am 7. 3. 1903, in: Ae. V. Bl. 1903. Nr. 494 (Extranummer). S. 5. 243 Ebd., S. 18. 244 Ebd., S. 2. 245 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. B. 1903, Nr. 506, S. 446. 246 Siehe oben Kap. IV. 4. 247 Ae. V. Bl. 1898, Nr. 380, S. 312-16. 248 Schon 1901 war in mehreren Nummern noch oberhalb des Titels »Ärztliches Vereins­ blatt« in dicken Lettern die Warnung gedruckt worden: »Cavete Ortskrankenkasse IV in München! Cavete Ortskrankenkasse Leipzig!« (Nr. 446ff.). 249 D iese »Cavete-Liste« erschien, außer im Ae. V. Bl., auch in nahezu allen anderen großen medizinischen Zeitschriften. 250 Ae. V. Bl. 1903, Nr. 508, S. 509-14, hier S. 514. 251 Zitiert nach Puppe, S. 103. 252 Entscheidungen des Ehrengerichtshofes, Bd. 1, S. 117-22;Kade, S. 72. 253 Plaut, S. 41; auch in Bayern hatten sich nahezu 99% der Ärzte dem Schutz- und TrutzBündnis angeschlossen (Ae. V. Bl. 1904, Beilage II zum Protokoll des Ärztetages 1904 in Rostock, S. 4). 254 H. Niemann, D er Kampf der deutschen Ärzte gegen die gesetzlichen Krankenkassen (1883-1914). Ein Beitrag zur Sozialgeschichte u. wirtschaftlichen Interessenvertretung des Ärztestandes unter besonderer Berücksichtigung der Provinz Hannover, in: Niedersächsisches Jb. für Landesgeschichte, Bd. 52, 1980, S. 275. 255 Ae. V. Bl. 1904, Beilage II zum Protokoll des Ärztetages 1904 in Rostock, S. 1 f. 256 Staatsarchiv Münster, Β 120.8 Oberpräsidium. Medizinalwesen, Nr. 6111, Sitzung der Ärztekammer der Provinz Westfalen am 24. 7. 1903, Protokoll S. 18f.; Sitzung vom 12. 2. 1904, Protokolls. 5. 257 Ebd., Sitzung vom 12. 1. 1906, Protokoll S. 20f.; in Breslau betrug der Anteil der Unterschriften ebenfalls nur 60% (Ae. V. Bl. 1905, Nr. 553, S. 426f). 258 Ae. V. Bl. 1904, Beilage II zum Protokoll des Ärztetages 1904 in Rostock, S. 2. 259 So auch Niemann, S. 275 f. 260 Schönheimer; P. Koeppel, Die freie Arztwahl in Berlin u. ihre Gegner. Eine Erwiderung, in: Ae. V. Bl. 1903, Nr. 511, S. 587-91; Nr. 512, S. 609-12. 261 Ae. V. Bl. 1903, Nr. 512, S. 620-22. 262 Off. Protokoll des Ärztetages, in: Ae. V. Bl. 1903, Nr. 509 (Extranummer), S. 3. 263 So in Remscheid und Barmen 1898 und auch noch bei einem Ausstand in Leipzig 1901. 264 Ae. V. Bl. 1903. Nr. 489. S. 35-39. 265 Ae. V. Bl. 1904, Nr. 521, S. 221. 266 Geschäftsbericht der AOK Leipzig 1900-1931, Leipzig 1932, Tab. II im Geschäftsbe­ richt für 1910. 267 D ie Leipziger Kasse hatte weder freie Arztwahl noch ein Distriktarztsystem, sondern die sog. »beschränkt freie Arztwahl«, d. h. die Mitglieder konnten unter den bei der Kasse zugelas­ senen Ärzten wählen. Von vielen Beobachtern wurde dieses System als die für die Ärzte ungünstigste Variante angesehen, weil die Kasse, anders als bei der organisierten freien Arzt­ wahl, die Anstellungsautonomie behielt und die Kassenärzte daher von ihr abhängig waren, ohne daß sie andererseits die Vorteile des Distriktarztsystems, nämlich vor allem ein festes, pünktlich einlaufendes Gehalt genossen. Denn der auf den einzelnen Arzt entfallende Anteil an der Gesamtpauschale schwankte, je nachdem wieviele Patienten ein Arzt im Quartal versorgt hatte. 268 J . Heiland, D er Ärztestreik in Leipzig, in: D ie Arbeiter-Versorgung, Bd. 18, 1901, S. 476-88; vgl. auch die Berichterstattung im Ae. V Bl. 1901, Nr. 445, S. 166-80, Nr. 446, S. 206-12, Nr. 447, S. 253f., Nr. 448, S. 248f., Nr. 449, S. 278-81.

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Anmerkungen zu S. 289—294 269 Gabriel, Frage, S. 230f.; Gabriel bringt auf 20 Seiten (230-249) eine im wesentlichen auf die Berichterstattung im Ärztlichen Vereinsblatt gestützte Darstellung des Leipziger Kampfes, auf die auch im folgenden, soweit nicht anders vermerkt, zurückgegriffen wird. 270 Abgedruckt in: Ae. V. Bl. 1904, Nr. 520, S. 211 f. 271 Ärztl. Mitt., ig. 5, 1904, Nr. 13 vom 8. 4. 1904. 272 Nach einem Bericht der Ärztl. Mitt., Jg. 5, 1904, Nr. 15 war damit gerechnet worden, daß zum 1. April 60-70 einheimische Ärzte »umfallen« würden. 273 Von gegnerischer Seite wurde zwar behautpet, die alten Kassenärzte hätten Beschwer­ den systematisch gesammelt und »mit Ach und Krach« 1600 Unterschriften zusammenbekom­ men (G. Jaeckh, D ie Verstaatlichung der Leipziger Ortskrankenkasse, in: D ie Neue Zeit, Bd. 22.2, 1903/04, S. 206); doch sprechen Klagen einzelner neuer D istriktärzte ebenfalls für eine ärztliche Unterversorgung, wenn sich auch die konkrete Situation kaum rekonstruieren läßt. 274 So in einem Inserat des Kassenvorstands, abgedruckt in: Ärztl. Mitt., Jg. 5, 1904, Nr. 16 vom 29. 4. 1904. 275 Festgelegt wurde eine Summe von 5 Mk. pro Mitglied und bei Familienbehandlung 3 Mk. pro anspruchsberechtigte Person; der ganze Vertrag ist abgedruckt in: Ärztl. Mitt., Jg. 5, 1904, Nr. 18 vom 15. 5. 1904. 276 So schon 1901 eine Warnung des Münchner Ärztevereins, die im Ae. V. Bl. an auffälliger Stelle publiziert wurde: ebd., 1901, Nr. 450, S. 299f. 277 Gabriel, Frage, S. 241. 278 Ebd. 279 Kuhns, S. 259 ff. 280 Ebd..S. 259. 281 D er Brief ist abgedruckt in: Ärztl. Mitt., Jg. 5, 1904, Nr. 16 vom 29. 4. 1904, sowie im Ae. V. Bl. 1904. Nr. 522, S. 284. 282 Kuhns, S. 263f. 283 Ebd., S. 260. 284 Ärztl. Mitt., Jg. 6, 1905, Nr. 7, S. 67-69. Nach einer Mitteilung Hartmanns auf dem Ärztetag 1904 (Ae. V. Bl. 1904, Extranummer (Juli III), S. 49) gab der Leipziger Verband 1903/04 350000 Mk. für Darlehen aus. 285 Arztl. Mitt., Jg. 5, 1904, Nr. 12 vom 31. 3. 1904. 286 Ebd., vgl. auch Ae. V. Bl. 1904, Nr. 517, S. 104-07; Nr. 521, S. 226-29. D urch behördlichen Eingriff wurde auch ein weiterer spektakulärer Kampf der Frühphase des Leipzi­ ger Verbandes beigelegt: der Kölner Ärztekampf 1903/04. Dazu: F. Stier-Somlo, Die Ärztefrage und der Staat. Frankfurt/M. 1910. S. 23-28: Ae. V. Bl. 1904, Nr. 517, S. 93-97. 287 Gabriel Frage, S. 237. 288 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, Bd. 203, Sitzung vom 7. 3. 1905. S. 4925 f. 289 Jaeckh, Verstaatlichung, S. 204. 290 Ebd., S. 206. 291 G. Jaeckh, D as Fazit im Leipziger Ärztekonflikt, in: D ie Neue Zeit, Jg. 22, Bd. 2, 1903/04, S. 649. 292 Ärztl. Mitt., Jg. 6, 1905, Nr. 19, Nr. 20, Nr. 21: Korman, D er Friedensschluß in Leipzig. 293 Ärztl. Mitt., le. 5, 1904. Nr. 12 vom 31. 3. 1904. 294 So Hartmann in seinem Bericht über den Leipziger Verband auf dem Ärztetag 1905, in: Ae. V. Bl. 1905, Extranummer: Off. Protokoll des Ärztetages, S. 54. Dafür, daß viele Leipzi­ ger Distriktärzte in ihrer Stellung nicht glücklich wurden, spricht auch die Tatsache, daß 23 von ihnen 1909 im zweiten Kölner Ärztekampf als »Streikbrecher« nach Köln überwechselten (Ae. V. Bl. 1909, Nr. 711, S. 390). 367 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Anmerkungen zu S. 294—300 295 Ae. V. Bl. 1904, Extranummer: Off. Protokoll des Ärztetages 1904, S. 49. 296 Stier-Somlo, Ärztefrage, S. 23 ff; Ae. V. Bl. 1904, Nr. 517, S. 93-97. 297 Plaut. S. 138. 298 Krankenkassen u. Ärzteorganisation. S. 4. 299 Ebd., S. 34. 300 Puppe, S. 32-42. 301 Plaut, S. 114ff.;S. 134-36. 302 Puppe, S. 42f. 303 Ebd.,S. 43. 304 Ebd., S. 106-15; Kuhns, S. 215-22. 305 Kuhns, S. 56. 306 Ae. V. Bl. 1904, Nr. 524, S. 336f. 307 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1907, Nr. 612, S. 519. 308 Plaut, S. 191 f. gibt einen Überblick über 54 Städte, in denen bis 1911 die Sonntagsruhe eingeführt war; vgl. auch den Bericht über die Einrichtung eines Sonntagsdienstes in Marburg, in: Ärztl. Mitt., Ig. 6, 1905. Nr. 44. S. 523-25. 309 Ärztl. Mitt.. Jg. 7. 1906. Nr. 26. S. 335. 310 Vorläufiger Bericht über den Ärztetag, in: Ae. V. Bl. 1903, Nr. 506, S. 448. 311 Off. Protokoll des Ärztetages, in: Ae. V Bl. 1907, Extranummer (Nr. 616b), S. 18ff. 312 Ebd.,S. 27. 313 Ebd., S. 24; das letzte Argument auch bei Beckhaus, ebd., S. 27. 314 Plaut, S. 178; diese Zahl ist allerdings wenig aussagekräftig, da in ihr ganz große Kassen, wie etwa die Leipziger, neben vielen kleinen Kassen enthalten sind. 315 O. Magen, Uber den jetzigen Stand der freien Arztewahl in Deutschland, in: D MW, Bd. 34. 1908. S. 105. 316 Staatsarchiv Münster, Β 120.8 Oberpräsidium. Medizinalwesen, Akte 6111, Sitzung der Ärztekammer der Provinz Westfalen am 14. 3. 1905, Protokoll S. 14. 317 Ae. V. Bl. 1904, Nr. 533, S. 582-86. 318 Ärztl. Mitt., Jg. 6, 1905, Nr. 43, S. 515f. Vgl. auch Ae. V. Bl. 1908, Nr. 679, S. 77478. Nr. 680. S. 793-97. 319 V. ordentliche Hauptversammlung in Straßburg, Zusammenfassender Bericht, in: Ärztl. Mitt., Jg. 6, 1905, Nr. 26 vom 30. 6. 1905. 320 J . Wengler, D as Unsoziale der gegenwärtigen Ärztebewegung, in: Preußische Jahrbü­ cher, Bd. 135, 1909, S. 440; vgl. auch Jonas, Ärztestreik. Ein Zeichen der Zeit, Liegnitz 1907, S. 17 u.ö. 321 Ebd., S. 55, ähnlich S. 11 f. 322 F. Kirschstein, Ärzte, Krankenkassen und Leipziger Verband, Berlin 1905, S. 49; ähnlich J . Wengler, D er Arzt in Vergangenheit und Gegenwart (1905), Groß-Gerau 19202, S. 4f.; Döring, Schach dem Leipziger Verband. Schattenbilder vom Bocholter Ärztestreit in der deutschen Ärztebewegune:. Darmstadt 1910. 323 Jonas, S. 26; ähnlich Kirschstein, S. 51, 54f. 324 Wengler, Der Arzt, S. 13. 325 D resel, Organisationsbestrebungen, S. 88f. 326 Erlaß des Kreishauptmanns vom 23. 3. 1904, zitiert nach Gabriel, Frage, S. 237. 327 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, Bd. 203, S. 492428, hier S. 4924. 328 Nr. 110 vom 20. 4. 1904, zitiert nach Ärztl. Mitt., Jg. 5, 1904, Nr. 15 vom 22. 4. Die Ärztl. Mitt. wiesen diesen Vorwurf natürlich zurück, mit der Begründung, daß die Ärzte nur durch die »Skrupellosigkeit« und den »Machtdünkel« des Kassenvorstandes zu ihrem Vorge­ hen gezwungen worden seien. 329 D iebeste Darstellung dazu bei Puppe, S. 124-33.

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Anmerkungen zu S. 300—302 330 D aß die freie Arztwahl die Kölner Kassen in den finanziellen Ruin treibe, betont auch Stier-Somlo. Ärztefraee. S. 28f. 331 Vgl. den Artikel »Auf zum Kampf gegen die Gelben und ihre Beschützer«, in: Ärztl. Mitt., Je. 9, 1908, Nr. 23, S. 421-23; ferner Ae. V. Bl. 1909, Nr. 711, S. 390. 332 Puppe, S. 131 f. 333 Ebd., S. 102. 334 Soziale Praxis, Nr. 32 vom 6. 5. 1909, zit. nach Puppe, S. 103. 335 Sten. Berichte, Bd. 234, S. 6716; auch sonst war das Echo auf die Vorgehensweise der Ärzte in Köln, namentlich in der Presse, überwiegend negativ (Schadewaldt. 75 Jahre. S. 46V 336 Kuhns, S. 55. 337 Schadewaldt. 75 Jahre. S. 51 f.: VGI. auch Kuhns. S. 56-61. 338 Ae. V Bl. 1909, Nr. 713, S. 424. 339 D er außerordentliche Ärztetag in Berlin. Vorläufiger Bericht, in: Ae. V. Bl. 1913, Nr. 942, S. 634. 340 Wortlaut des Abkommens bei Kuhns, S. 307-11. 341 S. oben Kap. VI. 4.

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Verzeichnis der Abkürzungen AfS Archiv für Sozialeeschichte Ae. V. Bl. Ärztliches Vereinsblatt für D eutschland Ärztl. Mitt. Ärztliche Mitteilungen BA Koblenz Bundesarchiv Koblenz BMG Berliner Medizinische Gesellschaft DMW D eutsche Medizinische Wochenschrift EHR Economic Historv Review GDNÄ Gesellschaft D eutscher Naturforscher und Ärzte GG Geschichte und Gesellschaft GKV Gesetzliche Krankenversicherung GUMA Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht HZ Historische Zeitschrift Jb. Jahrbuch KGA Kaiserliches Gesundheitsamt KVG Krankenversicherungsgesetz KZSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie N.F. Neue Folge NTM Schriftenreihe für Geschichte der Naturwissenschaften. Technik. Medizin RVO Reichsversicherungsordnung SoWi Sozialwissenschaftliche Informationen für Unterricht und Studium VSWG Vierteliahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ZfS Zeitschrift für Soziologie Zs. Zeitschrift

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2. Periodika Ärztliches Vereinsblatt für Deutschland. Organ des deutschen Ärztevereinsbundes, Jge. 1872— 1914. Ärztliche Mitteilungen. Offizielles Organ des »Verbands der Ärzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen«, Je. 5, 1904-lg. 14, 1913. Correspondenzblatt der ärztlichen Vereine der Rheinprovinz, H. 1, 1867 - H. 50, 1892 (ab H. 14, 1874: Correspondenzblatt der ärztlichen Vereine in Rheinland, Westfalen und Lo­ thringen). Die Medicinische Reform, Jg. 1/2, 1848-49. Zeitschrift für Medicinalbeamte, Jg. 1, 1888 - Tg. 26, 1913 Zeitschrift für ärztliche Landpraxis. Organ für die wissenschaftlichen und praktischen Interes­ sen der in kleineren Städten und auf dem Lande wirkenden Ärzte (abJg. 5 u. d. T.: Zeitschrift für praktische Ärzte), Jg. 3, 1894-Jg. 10, 1901.

3. Sonstige Quellen und zeitgenössische Literatur Vorbemerkung: Aufsätze aus dem »Ärztlichen Vereinsblatt« u. den »Ärztlichen Mitteilungen« wurden im allgemeinen nicht in das Literaturverzeichnis aufgenommen, es sei denn, sie werden im Text mehrfach zitiert. ABC der landärztlichen Praxis. Versuch eines Leitfadens der Taktik und Praktik für Land- und Kleinstadtärztc. Aus eigener und langjähriger Erfahrung heraus geschrieben, Leipzig 1898. Abmahnung vom Studium der Medicin, von D r. Neuberger-Nürnberg im Auftrag des Ge­ schäftsausschusses des deutschen Ärztevereinsbundes, in: Ae. V. Bl. 1904, Nr. 527, S. 41014 Die Ärzte und das medizinische Hülfspersonal, die Apotheken und die Heilanstalten, sowie die wissenschaftlichen medizinischen und pharmazeutischen Vereine im Deutschen Reiche nach dem Bestand vom 1. 4. 1876, in: Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, Septem­ berheft, Berlin 1977, S. 1-43.

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Register 1. Personenregister Bebel, A. 353 Benedikt, T. W. G. 97 v. Bethmann-Hollweg, Th. 301 v. Bismarck, 0.261,262, 265 Bödiker 207 v. Boetticher, Κ. Η. 278, 364 Bosse, R. 172 Brauser, Dr. 258, 260 Cnyrim, Dr. 260, 267 DesaultJ. P. 31 DietlJ. 95 Drinkwelder, F. 245

Langerhans 174, 270, 340 Leubuscher, R. 243 Lexis, W. 114 Löwe, W. 244, 256 Lohmann, Th. 197 Martens 172, 174 v. Mederer, M. 31 Müller, J . 94 Neumann, S. 243 Osterhausen, J . K. 29

Fräßdorf, J . 228, 230, 293, 299, 353 Frerichs 97 Frank, J . P. 42 Friedeberg, R. 209 v. Goßler, G. 263 v. Graefe, A. 258 Graf, E. 108, 249, 259, 265, 267, 273, 274, 275 Günther, G. 244 Haller, A. v. 31 Hartmann, H. 279, 280, 283 Heim, E. L. 28, 29 Heinemann, O. 230 Henle,J.325 Hirsch, A. 258 Hoffbauer, W. 244 Hufeland, C. W. 43, 49

Pagel,J. 103, 155 Pagenstecher, Κ. Α. 245 Pasteur, L. 91 f. Pfeufer, C. 325 Purkinje, E. 94 Recamier 31 Reil,J. C. 43 Richter, Η. Ε. 79f., 82, 245, 248f., 257f. Rokitansky, K. 90 Roser, W. 89, 325 Roux, Ph.J. 31 Rust,J. N. 45, 48, 57 Schmidt, J . H . 57f. Schönlein, L. 94, 97 Schulung, E. 244 Semmelweis, I. P. 91 f., 325 Skoda, J . 95f.

Jacoby, J . 244 Jüngken,J. C. 97

Virchow, R. 90, 243, 262, 273, 325, 335, 340 Vogel, R. A. 31

Koch, R. 124 Kuhns, G. 292, 298 Kußmaul, A. 89, 96, 185

Warmiensis, Dr. 279, 280 Wigard, F. 244, 256 Wunderlich, K. 23, 89, 97, 312, 325

v. Langenbeck 258

v. Zedlitz-Trützschler, R. 341

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2. Sachregister Abitur 64 Adel 33, 67, 314 Aderlaß 23, 24, 95, 132 Ärztedichte 29, 36, 51, 65, 127, 130, 140, 146ff., 217, 226, 304 Ärztekammer 101, 190f., 254, 260, 261 ff, 268, 286, 287, 299, 306 -ausschuß 266, 268, 269 Ärztemangel (s. Ärztedichte) 110, 111 Ärzteordnung 254, 258 ff, 265, 273 f., 306 Ärztestreik (s. Leipziger Verband, Streik­ brecher) 238 f., 285, 288 ff, 294, 298, 299, 300, 356 Ärztetag 111, 113, 196, 199, 200, 209, 222, 224, 231, 249, 253, 257f., 259, 265, 267, 274, 275, 279, 286, 296, 297, 358 Ärzteverein 18, 128, 129, 190, 191, 241 ff, 257, 258, 275, 281 f., 286f., 299 Ärztevereinsbund 80, 128, 239, 249 ff, 264, 265, 278, 280, 284, 287, 291 Akademiker (s. Bürgertum, Bildungs-) 64, 69, 71, 75, 113, 211, 273, 308f., 318 Allgemeinmediziner 48, 58f., 107, 138, 159, 183f, 190 ff. Amputation (s. Operation, Chirurgie) 34, 97, 134 Anatomie (pathologische) 22, 88, 90, 91, 102, 108, 109, 178 Antisepsis, Asepsis 133, 134, 135, 157 Apotheke, Apotheker 41, 167, 187 Approbation45f., 54, 65, 112, 118, 121, 226, 242, 255, 256, 273 Arbeiter 41, 144f, 146, 194, 196 f., 208, 219, 223, 226f., 237, 274, 278 Arbeiterfamilie 222 Arbeiterverbrüderung 226 Arbeitsmarktlage, ärztliche (s. »Über­ füllung«, Ärztedichte, Gesundheitsmarkt) 50, 112, 147, 217f, 281, 285, 308 Arbeits(un)fähigkeit 142, 144, 145, 195, 201 f. Architekt 69, 248, 249, 322 Arme 41, 142, 145, 195, 201 f. Armenkrankenpflege (s. Arzt, Armen-) 141 ff, 304 Arzneimittel 23, 41, 95, 96, 123, 136, 203 Arzt - Armen-41, 124, 141 ff, 216f., 242, 244 - Assistenz-121 f., 215, 290 - Bahnkassen-219, 232, 296, 354 - D istrikt- 206 f., 233 f., 290, 292 f., 294, 298, 300, 367

- Haus-27f., 126, 157, 159, 160f, 162, 184, 195f., 199ff, 235 - gelehrter 22ff, 129, 131, 178 - Internist 184 f. - Kassen- s. Kassenarzt - Kinder-178, 184 - Knappschafts-217, 232f., 287f., 296, 297, 298 - Krankenhaus-120f., 124 - Kreis-(s. Medizinalbeamte) 124, 157, 167 ff. - Land-59, 119, 138, 160, 185 ff, 259, 297 - Militär-118, 149,244,268 - Schiffs-120, 295 - Spezial-101, 159f, 177 ff, 190 ff, 272, 290 - Vertrauens- 228, 229 - Wund-30, 31, 34ff, 48 f., 57 f., 67, 148, 178,303,322 Arzt-Patient-Verhältnis 9, 12, 19, 24 ff, 41, 88, 127, 130, 131 ff, 140ff, 145f., 153 ff, 187, 253f., 259, 303f., 305, 309, 334 - in der Kassenpraxis 146, 164f., 201 f., 208, 220, 222, 226 - im Krankenhaus 41, 88, 121, 140f, 157 f., 163 - in der Privatpraxis 41, 141, 158, 159, 165, 201 - Anonymisierung des 159f., 161, 165, 254, 259 - Patronage-System 28, 131, 137, 159 Arztwahl, freie 195, 224, 226 ff, 278 f., 282 f., 284, 289, 291, 293, 296 ff, 302, 308 - Vereine zur Einfuhrung der 236 ff., 280, 282 Augenheilkunde 178, 183 f., 192 Ausbildung, klinische 30, 99 ff - der gelehrten Ärzte 30 ff - der Spezialärzte 181 f. - der Wundärzte 35, 48 Ausbildung, wissenschaftliche (s. Medizin­ studium) 16, 17, 98 ff, 303, 305 Autopsie s. Obduktion Bakteriologie 108, 166, 169 Beamte 11, 68, 70, 72, 211 f., 242, 256, 306 Bergarbeiter 226, 233 Berliner Abkommen 239, 302 Berliner Medizinische Gesellschaft 247, 254, 255f., 258, 260, 261, 274, 275, 277 berufliche Autonomie (s. Professionalisierung) 15, 16, 17f. 24, 25, 223f., 303, 307 Berufseid 242, 254, 256

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Berufsgenossenschaften 249 Berufsorganisationen, ärztliche (s. Ärzte­ kammer, Ärztevereinsbund, Ärzteverein, Ehrengericht, Leipziger Verband, Organi­ sationsgrad) 18, 111, 113 f. 223 f., 236 ff., 308 Betriebskrankenkassen 219, 230, 234, 239, 351 f. Bevölkerungspolitik 42, 47 Bevölkerungs Wachstum 137, 148 Bildungsexpansion 62, 64f., 113 Blinddarmentzündung 135 Botanik 32, 102 f. Bürgertum (s. Kleinbürger, Mittelstand) 33, 42,67, 136 f., 162,222,244 - Besitz- 12, 67 f., 69 f., 73f, 75, 127 - Bildungs- 12f., 67, 68, 70, 73f., 78, 86, 104, 113, 127, 279, 308f., 321, 374 Bürokratie, staatliche 46, 47 f., 113f, 118, 245,263,271,275,278,307 Chante, Berlin 30, 46, 141 Chemie 32, 93, 178,305 Chemiker 78, 249 Chirurgie (s. Amputation, Antisepsis, Nar­ kose, Operation) 31 f., 34, 43 f., 45, 56, 90, 97, 104, 133 ff, 305 Cholera 89, 132f, 135, 167, 171 f. Desinfektion 91, 134, 168 Diagnose, Diagnostik 22, 56, 88, 96, 133, 155, 156,305 Dienstboten 41, 223 Differenzierung, innerärztliche 22, 177, 178f., 193, 231 ff., 240, 241,259 Disziplinarrecht 242, 254, 260, 261, 262, 264, 265 ff. Disziplinierung 260, 264, 266, 269, 270, 273 Dorf (s. Landbevölkerung) 187, 188, 189, 276 Ehrengericht 129f, 191, 218, 260, 261, 265ff,286f.,299, 306 f. Ehrengerichtshof 122, 130, 268f., 270f., 286 f. Ehrenrat 128, 129 Einkommen, ärztliches9, 29, 76, 121, 187f., 190, 192, 209 ff, 223, 232, 345 Empfängnisverhütung 39, 276 Experte 9, 12, 42, 60, 104, 139, 162, 202, 249, 303, 305, 308 Fabrikarbeiter 144, 304 Fachkompetenz 9, 15, 55f, 131, 136, 153, 154, 165

Familien Versicherung 164, 199, 200, 201, 203, 204, 215, 222f., 225, 290, 294 Famulatur 100 Fieberthermometer 56 Frauen9,26f.,37f, 118, 155f., 157f., 222, 303 Freizügigkeit 259, 260, 287 GDNÄ247f.,249 Geburt 9, 38, 91, 119, 156f., 185,316,337 Geburtshilfe (s. Kaiserschnitt, Zangen­ geburt) 56, 90, 98, 104, 109, 123, 157, 325 Geburtszange 123 Gelehrtenstand 30, 32f., 46 Gerichtsmedizin 106, 167 Geschichte der Medizin 103f., 109 Gesundheitsmarkt 12, 27, 40 ff., 137 ff, 179, 192f., 217, 254, 277, 303f., 307 - Monopol(anspruch) auf dem 16 f., 42, 56, 58, 59, 60, 277, 303 Gesundheitspflege, öffentliche 42, 106, 166, 170, 172, 243f., 247, 249, 253, 260, 262, 263 Gesundheitsverhalten 47, 132, 139f. 163, 181, 187, 202f., 303, 307 Gewerbefreiheit (s. Kurierfreiheit) 248, 255, 273, 306 Gewerbeordnung 143f., 194, 247, 248, 254 ff, 265, 273, 274 f., 306 Gewerkschaft 300, 308 Gewerkskrankenverein, Berlin 144, 195, 206, 217, 237 Großstadt 107, 159, 160, 179f., 225, 259 Gymnasiallehrer (s. Bürgertum, Bildungs-) 65,76,78,86, 112, 126,212 Gymnasium (s. Bildungsexpansion) - Abitur 64 - humanistisches 78 ff, 104,309 - Real-78 ff, 112, 118,309 Gynäkologie 111, 136, 156 Handwerksgesellen 144, 304 Hartmannbund s. Leipziger Verband Hausbesuchspraxis s. Praxis Hebamme38ff., 119, 156f., 337 Heilpraktiker 277 Herkunft, soziale (s. Selbstrekrutierung) 65ff, 116, 314f.,321,322 Hilfskassen, freie 144, 194, 219, 274 Hochschullehrer, medizinische 31, 95, 97, 99, 127 Homöopathie 89, 270 Honorar (s. Einkommen, Kassenarzt

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[Honorierung], Medizinaltaxe) 27, 129, 165, 196, 253, 256, 257, 260, 278, 301 - Pauschal- (s. Krankenkassen [Honorierungssystem]) 27f., 162, 235 Honoratioren 187 Hospital-Medizin 88, 90f., 92f. Humoralpathologie 37, 90, 97 Hygiene 104, 107 f., 166, 168, 169 hygienische Belehrung u. Beratung 162ff., 234 Industrialisierung 146, 197, 287 Ingenieur 81, 248, 249, 322 Innere Medizin 23, 43f., 45, 104 Juristen (s. Rechtsanwalt) 33, 46, 65, 78, 80, 112 juristische Fakultät 46, 64f., 71 ff., 85, 115, 315 Kaiserschnitt 134, 135, 185 Kanalisation 172, 249 Kassenarzt (s. Arzt, Bahnkassen-, Arzt, Knappschafts-) 124, 144 f., 195 f., 199 ff. 287ff., 307 - Anstellung 217f., 234, 347 - Arbeitssituation 203, 207, 221, 292 - Honorierung 196, 200f., 205f. 215f., 219f., 284, 289, 293f., 296 - Kontrolle durch den Kassenvorstand 195f.,221f.,227 - Kündigung 218, 219, 233f., 281 Kassenarztfrage 194ff., 249, 254, 264, 279 Kassenarztvertrag 194, 224, 227, 239f., 286, 288, 292, 293, 302 Katheter 100 Kindbettfieber 91 f., 326 Kleinbürger (s. Mittelstand) 41, 303, 321 Kleinstadt 112, 138, 142, 148, 189, 192,231, 236, 297 Knappschaftskassen 146, 197, 199, 230, 353 Koalitionsrecht 290, 300 f. Kollege, Kollegialität 126ff., 245, 246f., 270f., 272, 286, 291 Konkurrenzkampf, innerärztlicher (s. Gesundheitsmarkt, Arbeitsmarktlage) 55, 127, 130, 173, 175f., 188, 193, 226, 266, 272 Konsultation 24, 127, 129 Krankenbett-Medizin 92, 95, 96 Krankenhaus41, 88, 101, 120f., 134, 140f., 157 f., 159, 163, 176, 181,338 Krankenkassen (s. Betriebs-, Fabrik-, Hilfs-, Knappschafts-, Ortskrankenkassen) 143ff., 194ff., 281, 284, 291, 295, 301, 304

- Arztsystem (s. Arztwahl, freie) 194f., 205, 206 f., 226, 229 f., 233 f., 237, 239, 289 f., 294, 297f., 366 - Ausgaben f. ärztl. Behandlung207f., 215f.,228f.,349 - Aufsichtsbehörde 285, 290, 293 - Honorierungssystem 163, 200 f., 203 f., 205, 206 f. - Krankengeld 195, 229 - Krankenkontrolle 144, 352 -leistungen 144, 194, 204, 220, 228, 290 -Schiedskommission 224, 228 -Statistik 201 f., 204f. -vorstand 195f., 216ff., 227, 233, 235f., 279, 285, 288, 289ff., 307,351 -Vertragskommission 238, 285f., 287, 288 Krankenversicherung 145f., 194ff., 217, 221, 223, 225, 287, 304, 307 Krankenversicherungsgesetz 1883 20, 145, 146, 194, 267, 278, 304 - Novellen 197, 219, 278f., 284 Krankenwärter 58 Krankheit 30, 44, 88f., 160, 165 - ansteckende (s. Cholera, Reichsseuchen­ gesetz, Tuberkulose, Typhus) 167, 168, 169f.,263 -serreger 96, 169, 170 -sschwellel45, 202 Kreisphysikus s. Arzt, KreisKunerfreiheit 257, 275, 276 Kurierzwang 255, 258 Kurpfuscher s. Laienheiler Kurpfuscherei 244, 249, 254, 258 f. -verbot 256, 273ff., 306 Laboratoriums-Medizin 92 f. Laie25f., 126, 127, 129, 203, 221, 272, 304 Laienheiler25, 38f., 54, 96, 132, 248, 259, 274f,276f.,303, 306 Landbevölkerung37, 40, 53f., 139f., 187, 303 Landesversicherungsanstalt 163 Landrat 132, 167, 168 Lebenserwartung 135 Leichenschau 263, 358 Leipziger Verband 121, 215, 239, 254, 279 ff, 287, 288ff., 308 Lungenentzündung 95 Lungenheilstätte (s. Tuberkulose) 163, 220 Matrikelverzeichnis 65 f. Medikahsierung 12, 40, 139f., 143, 147, 187, 307 f.

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Medikochirurg (s. Arzt, gelehrter) 32, 45, 51, 55, 57, 132 Medizinalbeamte (s. Arzt, Kreis-) 166, 170ff., 242, 244, 262, 263, 268 Medizinalbeamtenverein 170 f., 173, 175 Medizinalbehörden 39, 254f., 256 Medizinalordnung34, 57, 129, 241, 243f., 306 Medizinalpolitik (s. Gesundheitspflege, öff.) 39, 47, 306 Medizinalreform 57f., 171 f., 262, 263 -bewegung 57f., 79, 217, 241, 243 Medizinalstatistik 139, 257, 260 Medizinaltaxe 27, 163, 165, 190, 200, 208, 242f., 255, 263f., 288, 306 medizinisch-chirurgische Lehranstalt 48, 56, 58 medizinische Fakultäten 46, 65, 72 ff, 99, 104ff., 111, 114, 118, 289, 314, 315 »medizinische Kultur« 155ff. medizinischer Fortschritt 10f., 20f., 101, 132 ff., 156, 183,249,253,305 medizinische Versorgung 36, 47 f., 53 f., 112, 148, 245, 278, 290, 304, 307 - Ost-West-Gefälle 148 - Stadt-Land-Gegensatz40, 49, 138f., 140, 148 medizinische Wissenschaft 9, 22f., 32, 39, 88 ff., 131, 132ff., 154, 160, 165, 246f, 303, 305, 324 Medizinstudium30f., 44, 55, 56, 60, 84, 88, 96f.,98ff., 120,243 - Abmahnung vom 76, 117, 124 - D auer 106, 110 ff. - Kosten 67, 71, 101 f., 115f. Mikroskop 98, 115, 133 Mineralologie32, 102f., 305 Ministerium f. GUMΑ 57f., 82, 101,111, 114, 142, 266, 268 f. Mittelstand (s. Bürgertum, Kleinbürger) 67, 68, 69f., 137 Morbidität 11, 135, 139 Mortalität 11, 47, 95, 135 Narkose 97, 134 Naturheilkunde (s. Laienheiler) 165, 269, 274, 276, 361 Naturphilosophie, romantische 89, 90, 98 Naturwissenschaften32, 33, 80, 93, 102f., 305 Neuhumanismus 80, 94 Niederlassungsfreiheit 48f., 51, 105, 244 Notdienst, ärztlicher 186, 255

Obduktion 88, 96, 167 Oberlehrers. Gymnasiallehrer Oberschichten, soziale 28, 40, 66, 131, 137, 181,303 Obrigkeit 143, 244 Öffentlichkeit 108, 247, 253, 267, 277, 280, 288, 299f., 301 Operation 34, 134f., 136, 159, 183, 185 Organisationsgrad (der Ärzte) 112, 250f., 266, 283f., 291 Ortskrankenkasse205, 219f., 228, 230, 234, 239, 289, 352 Pädiatrie 104, 106, 184 Parteien, politische (s. Sozialdemokratie) 174, 244, 247, 277, 364 f. pastorale Funktionen des Arztes (s. Arzt, Haus-) 161, 162 Patient s. Arzt-Patient-Verhältnis, Privat­ patient Patientenjournal 138 Petition 239, 255f., 280 Pfarrer 43, 64, 76, 126, 127, 187, 213 philosophische Fakultät 46, 65, 72, 85, 112, 115,315 physikalische Untersuchungsmethoden 22, 56, 88, 89f., 155 Physikatsprüfung 167, 170 Physiologie 22, 93, 102, 108, 109, 178, 305 Pockenschutzimpfung 98, 175, 248, 304 Poliklinik 100, 109, 289, 346 Polizeibehörde 143, 167, 168 Praktikant (im Krankenhaus) 98, 99f., 305 »praktisches Jahr« 98f., 100f, 110, 121 Praxis - Aufbau 119ff., 225 - Hausbesuchspraxis 25, 158f., 182, 186 - Kommerzialisierung 122, 162f., 234f. - Privatpraxis 41, 141, 158, 161, 169, 171, 172f., 173, 174f., 199, 217, 290, 293, 301, 322 - Spezialisierung (s. Arzt, Spezial-) 161, 179 ff, 254, 305 - Sprechstundenpraxis 123, 147, 158f., 160, 186 - Verwissenschaftlichung 161 Privatpatient 145, 159, 164, 165, 201, 208, 217, 226, 227, 288, 289, 299 Privatversicherung 225, 352 Professionalisierung 10, 13, 16, 17ff., 45, 57, 59, 104, 273, 302, 303, 305f., 307, 309 Professionalisierungstheorien 14 ff., 128 Promotion 47

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Prüfungsordnung, medizinische (s. Staats­ examen) 46f., 81, 83, 85, 99, 101, 108, 116f. Prüfungsreform 45 ff., 98,104f, 109, 244, 263 Psychiatrie 104, 106, 107 Realschulmännerverein 81, 83, 86 Rechtsanwalt (s. Juristen) 126, 212f., 307, 322 -sordnung 266, 270 Rechtsschutzverein 253 Reichsgesundheitsamt 107, 111, 248, 329 Reichsseuchengesetz 172, 175f., 358 Reichstag 206, 256, 275, 279, 302 Reichs Versicherungsordnung 146, 199, 209, 239, 301 f. Röntgenstrahlen 132 Sanitätsbericht 242, 245 Schulgesundheitspflege 176f., 304 Schutz- und Trutzbündnis (s. Leipziger Verband, Ärztestreik) 285 ff, 289, 290 Selbstrekrutierung, ärztliche 67, 69, 76, 331 f. Selbstverständnis, ärztliches33f., 58f., 103f., 160, 221, 253, 271, 277, 308 Seuche s. Krankheit, ansteckende, Reichs­ seuchengesetz Sezierübungen 98, 305 Simulant 144, 221,228 Sozialdemokratie 109, 215, 220, 244, 267f., 269,270,271,281 Sozialdisziplinierung 143 Sozialstatus, ärztlicher (s. Honoratioren, Statusfurcht) 27, 29, 33f., 78, 82, 131, 182, 187, 188f, 258, 276, 277, 299, 303, 305, 307, 309 Spezialfach, medizinisches (s. Anatomie, Augenheilkunde, Bakteriologie, Gerichts­ medizin, Gynäkologie, Hygiene, Pädiatrie, Physiologie, Psychiatrie) 95, 104, 106, 108 f. Spezialisierung der ärztlichen Praxis 161, 179 ff, 254, 305 - des medizinischen Wissens 93 ff, 177 f., 305, 326 Staat 16f, 18, 108, 243, 245, 255, 256, 257, 260, 279, 281, 306 f. Staatsexamen (s. Prüfungsordnung) 46, 54, 98, 105f, 109,248,320 Standesehre 130, 184, 291, 298 Standesinteressen, ärztliche 244, 246, 249, 253, 262, 263f., 308

Standesordnung 128f., 190f., 270 Statusfurcht (s. Sozialstatus) 118, 301 Stethoskop 22, 56, 90, 133, 159 Stipendien, universitäre 116 Streik s. Ärztestreik Streikbrecher 291 f., 294, 295, 300 -kasse279f. Studentenzahlen 61 ff, 87, 99, 105, 118 Studienfachwahl 65, 67, 78 Tarifvertrag 295 theologische Fakultät 46, 65, 72, 85, 115, 315, 322 Therapie23f., 56, 95f., 132f., 303f., 305, 312 Tuberkulose 135 Typhus 23, 126, 135 »Überfüllung« 50, 64f., 101, 112, 113, 118, 147,241,249,254 Universität 86, 94, 102, 118, 178, 306, 309 -sklinik (s. Poliklinik, Charite) 30, 56, 90, 98, 101, 141, 158 -spolitik 32, 47, 94, 116 Unternehmer 145, 194, 219, 220, 278, 301 Unterschichten, soziale (s. Arbeiter) 41, 67, 88, 136, 137f, 163 f., 202 f., 303 Unterstützungseinrichtungen, ärztliche 252f., 294 Untersuchungsspiegel (s. physikalische Untersuchungsmethoden) 123, 133, 156, 159 Urbanisierung 147, 180, 304 Uterus 135, 136, 183 Urlaubsvertretung 120, 122, 186 Verbeamtung 244 Versicherungsgrenze 199, 209, 222, 223, 302 Volksmedizin (s. Laienheiler) 36f., 39, 133, 139, 187 Volksschullehrer 67, 71, 72, 75f., 248 Volksgesundheit 209, 258, 277 Wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen 182, 255, 258 Wissenschaftsgläubigkeit 137 Wöchnerinnenschutz 220, 222 f. Wohnunghygiene 143, 172, 220, 263 Zangengeburt 135 Zoologie 32, 102 f. Zwangskassen 194 Zwischenprüfung, ärztliche 102, 109 f.

409 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35727-0

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 55. Hartmut Kaelble Soziale Mobilität und Chancengleichheit im 19. und 20. Jahrhundert Deutschland im internationalen Vergleich. 1983. 322 Seiten mit 46 Tabellen und 3 Schau­ bildern 56. Carsten Rüther · Menschen auf der Straße Vagierende Unterschichten in Bayern, Franken und Schwaben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 1983. 173 Seiten mit 3 Karten und 6 Tabellen 57. Barbara Vogel · Allgemeine Gewerbefreiheit Die Reformpolitik des preußischen Staatskanzlers Hardenberg (1810-1820). 1983. 340 Seiten 58. D ieter Krüger . Nationalökonomen im wilhelminischen D eutschland 1983. 366 Seiten 59. Ulrich Heinemann · Die verdrängte Niederlage Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik. 1983. 362 Seiten 60. Gerald D . Feldman · Vom Weltkrieg zur Weltwirtschaftskrise Studien zur deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1914-1932. 1984. 272 Seiten 6 1 . Wolfgang Jäger · Historische Forschung und politische Kultur in D eutschland Die D ebatte 1914-1980 über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. 1984. 322 Seiten 62. Ute Frevert Krankheit als politisches Problem 1770-1880 Soziale Unterschichten in Preußen zwischen medizinischer Polizei und staatlicher Sozial­ versicherung. 1984. 469 Seiten mit 4 Tabellen 63. Michael Grüttner · Arbeitswelt an der Wasserkante Sozialgeschichte der Hamburger Hafenarbeiter 1886-1914. 1984. 331 Seiten 64. Josef Mooser · Ländliche Klassengesellschaft 1770-1848 Bauern und Unterschichten, Landwirtschaft und Gewerbe im östlichen Westfalen. 1984. 52 1 Seiten mit zahlr. Tabellen 65. Wolfgang Jacobmeyer · Vom Zwangsarbeiter zum Heimatlosen Ausländer Die Displaced Persons in Westdeutschland 1945-1951. 1985. 323 Seiten mit zahlr. Dia­ grammen, Statistiken und Tabellen 66. Josef Meran · Theorien in der Geschichtswissenschaft Die Diskussion über die Wissenschaftlichkeit der Geschichte. 1985. 227 Seiten 67. Rudolf Boch · Handwerker-Sozialisten gegen Fabrikgesellschaft Lokale Fachvereine, Massengewerkschaft und industrielle Rationalisierung in Solingen 1870 bis 1914. 1985. 382 Seiten mit 33 Tabellen Bitte fordern Sie das vollständige Verzeichnis Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft an!

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