Das Versagen der Intellektuellen: Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter [1. Aufl.] 9783839414958

Nichts wird von der intellektuellen Klasse schärfer kritisiert und tiefer verachtet als der alles und jeden durchdringen

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Das Versagen der Intellektuellen: Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter [1. Aufl.]
 9783839414958

Table of contents :
Inhalt
Einleitung: Dreifaches Versagen
Die frühe Abwertung des Konsums
Kritik der deutschen Illustrierten
Illustriertenkunst und Leben
Kritik der Massenkultur
Kritik der Massenmedien
Schlager und Jazz
Sex nach Zahlen
Kulturkonsum als Widerspruch in sich
Reproduzierte Masse
Gründe der Kulturkritik
Autos und Waschmaschinen
Soziale Nivellierung
Die Einsätze der Totalitarismus-Theorie
Der Wohlfahrtsstaat als Gegenstand der Kulturkritik
Askese und Kultur
Weltanschauung und Wirtschaftspolitik in der Wohlstandsgesellschaft der 1950er Jahre
Neoliberalismus
Ordoliberalismus
Kulturkritik und deutscher Neo/Ordoliberalismus
Soziale Marktwirtschaft
Ludwig Erhards »Wohlstand für alle«
Politik, Konsum und Sozialstaat
Die Lage und die Linke
Entfremdungskritik
Quick/Stern
Zwischenbilanz
Pop und/oder Kulturkritik 1960-1982
Kritik der Konsumkritik
Die liberale Wende
Repressive Entsublimierung
Konsumterror
Popkonsum, Neue Linke, Underground
Zwischenbilanz
Alternative Bewegungen und Mittelschichts-Werte
Gegenkultur als Pop-Affirmation
Weltanschauungen der Marktwirtschaft 1972-2010
Soziale Marktwirtschaft und Neoliberalismus
Neoliberalismus mit und wider Konservatismus
Geistig-moralische Wende im Leeren
Zeitgeist/Lifestyle
Politische Kultur und Pop-Linke
Die neue Mitte
Schluss: Zur Verteidigung des Konsums
Literatur

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Thomas Hecken Das Versagen der Intellektuellen

XTEXTE zu Kultur und Gesellschaft Das vermeintliche »Ende der Geschichte« hat sich längst vielmehr als ein Ende der Gewissheiten entpuppt. Mehr denn je stellt sich nicht nur die Frage nach der jeweiligen »Generation X«. Jenseits solcher populären Figuren ist auch die Wissenschaft gefordert, ihren Beitrag zu einer anspruchsvollen Zeitdiagnose zu leisten. Die Reihe XTEXTE widmet sich dieser Aufgabe und bietet ein Forum für ein Denken ›für und wider die Zeit‹. Die hier versammelten Essays dechiffrieren unsere Gegenwart jenseits vereinfachender Formeln und Orakel. Sie verbinden sensible Beobachtungen mit scharfer Analyse und präsentieren beides in einer angenehm lesbaren Form.

Denken für und wider die Zeit

Thomas Hecken (Dr. phil. habil.) ist Privatdozent für Deutsche Philologie an der Ruhr-Universität Bochum. Veröffentlichungen zuletzt u.a.: »Pop. Geschichte eines Konzepts 1955-2009« (Bielefeld 2009), »Theorien der Populärkultur« (Bielefeld 2007).

Thomas Hecken

Das Versagen der Intellektuellen Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: giftgruen/photocase.com Korrektorat: Carina Waldmann, Mainz Satz: Thomas Hecken Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1495-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einleitung: Dreifaches Versagen | 7

Die frühe Abwertung des Konsums Kritik der deutschen Illustrierten | 13 Illustriertenkunst und Leben | 15 Kritik der Massenkultur | 17 Kritik der Massenmedien | 20 Schlager und Jazz | 22 Sex nach Zahlen | 24 Kulturkonsum als Widerspruch in sich | 27 Reproduzierte Masse | 29 Gründe der Kulturkritik | 33 Autos und Waschmaschinen | 35 Soziale Nivellierung | 38 Die Einsätze der Totalitarismus-Theorie | 40 Der Wohlfahrtsstaat als Gegenstand der Kulturkritik | 43 Askese und Kultur | 46

Weltanschauung und Wirtschaftspolitik in der Wohlstandsgesellschaft der 1950er Jahre Neoliberalismus | 53 Ordoliberalismus | 56 Kulturkritik und deutscher Neo/Ordoliberalismus | 59 Soziale Marktwirtschaft | 67 Ludwig Erhards »Wohlstand für alle« | 70 Politik, Konsum und Sozialstaat | 73 Die Lage und die Linke | 87 Entfremdungskritik | 92 Quick/Stern | 98 Zwischenbilanz | 101

Pop und/oder Kulturkritik 1960-1982 Kritik der Konsumkritik | 105 Die liberale Wende | 112 Repressive Entsublimierung | 118 Konsumterror | 124 Popkonsum, Neue Linke, Underground | 129 Zwischenbilanz | 143 Alternative Bewegungen und Mittelschichts-Werte | 145 Gegenkultur als Pop-Affirmation | 148

Weltanschauungen der Marktwirtschaft 1972-2010 Soziale Marktwirtschaft und Neoliberalismus | 153 Neoliberalismus mit und wider Konservatismus | 157 Geistig-moralische Wende im Leeren | 164 Zeitgeist/Lifestyle | 166 Politische Kultur und Pop-Linke | 172 Die neue Mitte | 189

Schluss: Zur Verteidigung des Konsums | 195

Literatur | 231

Einleitung: Dreifaches Versagen

Fährt man durch deutsche Städte, rücken die meisten Blicke unwillkürlich eine Werbetafel, eine Leuchtanzeige oder einen Geschäftsnamen ins Bild; Supermärkte und Einkaufszentren bieten einem Dinge für den täglichen Bedarf und für den Haushalt insgesamt in großer Fülle und Differenziertheit an; durch Spezialgeschäfte und Internethändler werden einem sogar große Teile des weltweiten Warenangebots problemlos verfügbar gemacht; vorherrschende Designmoden finden sich nicht nur in ihrer Produktgestalt und als Bilder auf Büchern, DVDs und Internetseiten wieder, sondern sie bestimmen auch das Aussehen der Menschen selbst, ihre Frisuren, ihren Schmuck, mitunter sogar ihre durch kosmetische Chirurgie tiefgreifend veränderten Körperteile. Ganz offensichtlich gibt es für viele der zumeist industriell hergestellten und auf logistisch komplexe Manier vertriebenen Produkte kontinuierlich Abnehmer. Weil die Angebote aus kommerziellen Interessen auf den Markt gelangen, zieht mangelnde Nachfrage mehr oder minder rasch deren Ende nach sich. Ihre fortgesetzte Produktion geht darum umgekehrt zumeist darauf zurück, dass sie bei genügend Käufern auf rentable Weise Anklang finden. Angesichts des großen Angebots an Waren, die keineswegs lebensnotwendig sind, ist das besonders eindrucksvoll. Es zeigt deutlich, dass die weit überwiegende Mehrheit der westlichen Bevölkerung bereit ist, über die Deckung der täglichen Grundbedürfnisse hinaus Geld für Produkte aller Art – Haushaltsgegenstände, Kleidung, Unterhaltung, spektakuläre Ereignisse etc. – auszugeben. Zusammengefasst wird das unter dem Begriff des Konsums. Wirtschaftswissenschaftlich meint »Konsum« die Ausgaben privater Haushalte. Schon lange gehört es zu den gesicherten Erkenntnissen dieser Wissenschaft, dass die Käufe der einzelnen Privatpersonen einen wesentlichen Teil des Bruttoinlandsprodukts ausmachen; wirtschaftliches

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Wachstum ist bei einem deutlichen Rückgang des privaten Verbrauchs unter den jetzigen ökonomischen Bedingungen nicht mehr zu erreichen – und selbst wenn bloß der Konsum von Unterhaltungsangeboten zurückginge, wäre ohne Ausgleich bereits das Wachstum insgesamt in Gefahr. Der Konsum wird in der ökonomischen Betrachtungsweise demnach zum einen neutral bilanziert, zum anderen – in Hinblick auf ein unablässiges Wachstum – positiv veranschlagt. Mitunter sehen sich deshalb Politiker und führende Vertreter der Exekutive veranlasst, die Bevölkerung zum Konsum aufzurufen; mit verschiedenen Maßnahmen der Steuer- und Konjunkturpolitik versuchen sie ohnehin nicht selten, an bestimmten Stellen die Möglichkeiten des privaten Konsums zu erhöhen. Firmen und Konzerne sind innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft selbstverständlich permanent damit beschäftigt, ihre Waren zum Kauf anzupreisen; sie treten zwar nicht allgemein für den Konsum ein, verwenden aber große Anstrengungen und Mittel darauf, Kunden von den Vorzügen ihrer speziellen Produkte zu überzeugen, sie zum Kauf zu überreden und wiederholt zu Konsumenten zu machen. Dies gelingt sehr zuverlässig, wie alle Daten und Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zeigen. Wenn auch viele einzelne Firmen daran scheitern, schaffen es jeweils neue sowie eine beträchtliche Anzahl traditionsreicher Unternehmen, in der Summe fortgesetzt hinreichend oder sogar stark wachsend Käufer zu finden. Um das Wachstum zu garantieren, ist es zweifelsohne nicht hinderlich, wenn aus dem Käufer ein Konsument im ursprünglichen Sinne des Wortes wird – wenn der Käufer die erworbenen Produkte verbraucht, sie aufzehrt oder verschleißt. Das gilt nicht allein für die physische, materielle Abnutzung, Vertilgung und Vernichtung, sondern vor allem auch für die psychische. Ohne modische Abnutzung und damit einhergehende Weckung und Kultivierung neuer, geänderter Interessen und Vorlieben könnte der Prozess des Konsums vielleicht teilweise ins Stocken geraten. Das muss freilich nicht notwendigerweise so sein; eine stetige Erweiterung des Geschmacks- und Aufmerksamkeitshorizonts kann für eine kontinuierliche Ausweitung der Nachfrage nach Gütern sorgen, ohne dass die alten, noch im Besitz der Einzelnen befindlichen Produkte abgewertet oder ausgemustert werden müssten. Ob im engeren Sinne des Verbrauchs oder im weiteren Sinne unablässiger, neuer Kaufakte – kein Weg geht an der Feststellung vorbei,

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dass der Konsum ein Grundbestandteil der gesellschaftlichen Ordnung und des Lebens der meisten Menschen in der westlichen Welt ist. Die Höhe und Breite der Konsummöglichkeiten, die viele Menschen in den westlichen Staaten genießen, besitzt häufig für diejenigen, die über diese Möglichkeiten nicht verfügen, eine noch größere Attraktivität. Ein wichtiger Grund für die schnelle Abwendung der Bevölkerung der Staaten des Warschauer Pakts von dem realsozialistischen System, das von entscheidenden Teilen der sowjetischen Machtelite aufgegeben worden ist, liegt in der Anziehungskraft des kapitalistischen Konsumangebots; auch die oberen Schichten der Bevölkerung aufstrebender Staaten der Dritten Welt sind davon zumeist stark beeindruckt und versuchen, ihr Leben danach auszurichten. In den grundsätzlichen politischen Reden der westlichen Regierungsrepräsentanten hört man darüber aber so gut wie nichts; die Apologie ihrer Politik, die Anpreisung ihrer Systeme erfolgt stets im Namen der Menschenrechte, erfolgt im Namen der Meinungsfreiheit und der Demokratie. Von einem Recht auf ausgedehnten Konsum ist nie die Rede. Darauf wird allenfalls indirekt angespielt, wenn von nationalstaatlichen Restriktionen befreite Märkte als wichtige Garanten des Wohlstands hingestellt werden. Allein schon weil diese Liberalisierungen mindestens anfänglich mit einer Verarmung von Teilen der Bevölkerung einhergehen, stehen die Freuden des Konsums nicht im Mittelpunkt der Reden wirtschaftsliberaler Politiker und Ökonomen. Der Hauptgrund für diese Zurückhaltung liegt allerdings woanders – er besteht in der Überzeugung, dass individuelle politische und unternehmerische Freiheiten ein wesentlich höheres Gut sind als bestimmte materielle Ansprüche, die über das Lebensnotwendige hinausgehen. Noch entschiedener wird der Konsumismus von der großen Mehrheit der Intellektuellen, den (überwiegend geistes-, kultur-, sozialwissenschaftlichen) Akademikern und den anspruchsvollen Leitartiklern, den politischen oder modernistischen Künstlern und den Feuilletonisten, abgelehnt. Sie übergehen ihn zumeist nicht wie demokratische Politiker in der allgemeinen, abstrakten Rede von Wohlstand und Wachstum, sie greifen ihn vielmehr oft unmissverständlich an. Selbst wenn sie offensiv bestimmte Ausprägungen einer bunten, oberflächlichen, reizvollen Popkultur verteidigen, vergessen sie fast nie, sich im gleichen Atemzug von der großen Menge ähnlicher Phänomene bzw. ihren durchschnittlichen Anhängern und Käufern entschieden abzusetzen. Die bevorzugten Produkte des Konsums – die Produkte der Massenfer-

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tigung, der Modehersteller, der Kulturindustrie, der Marketingagenturen – gefallen ihnen im Regelfall ebenso wenig wie die Arten und Weisen ihrer Aneignung – die passive, zerstreute Rezeption – und die damit verbundenen Haltungen des Hedonismus und Materialismus. Zwar täuscht der Eindruck, dass nicht wenige Feuilletonisten, Künstler, Geisteswissenschaftler von einer konsequenten konsum- und kulturkritischen Haltung Abschied genommen haben, keineswegs. Besonders unter den nach 1965 geborenen Intellektuellen trifft man häufig auf eine rückhaltlose oder ironisch maskierte Sympathie für bestimmte Fernsehserien, Hollywoodfilme, Popstars, attraktive, einprägsame Images (von James Bond bis Quentin Tarantino, von Velvet Underground bis Lady Gaga, von Jean-Luc Godard bis George Clooney; der Einfluss der Pop-Art ist hier ungemein groß). Zu einer entschiedenen Verteidigung des Konsumismus führen diese ästhetischen Vorlieben zumeist aber nicht. Zum einen richten sie sich auf einen zu exklusiven, kleinen Bereich dessen, was in den Charts und auf Verkaufslisten zu finden ist, zum anderen bleiben diese Vorlieben isoliert – sie sind mit keinem politischen Projekt direkt verbunden. Weiterführende Gedanken und Einschätzungen zum Konsumismus stellen nach wie vor überwiegend die Kritiker des Konsums an. Die scharfe Kritik am Konsummaterialismus kann unter den Intellektuellen und Leitartiklern mal linke, mal rechte Züge tragen; politisch ist sie keinem Lager fest zuzuordnen. In der Ablehnung einer materialistischen, konsumistischen Einstellung kommen Rechte wie Linke, Anhänger der freien Marktwirtschaft wie Sozialisten, Avantgardisten wie Bildungsbürger, Verfechter einer Elite wie Vertreter der Mittelschicht überein. Nicht nur darum hat die Konsumkritik im Laufe der bundesdeutschen Geschichte verschiedene Formen angenommen; auch innerhalb der Lager selbst sind über die Jahrzehnte verschiedene Argumente verwandt worden, um die gleich bleibend negative Bewertung des Konsums zu stützen. Wichtige Grundlagen der Konsumdebatte, vor allem die in den Aufbaujahren der Bundesrepublik äußerst wichtige ordoliberale Anschauung, sind zudem kaum mehr bekannt (und werden darum in diesem Buch eingehend vorgestellt), wirken nur noch in neuen Verkleidungen nach. Einerlei aber, ob die Abwertung nun ausdrücklich oder unausgesprochen vorgenommen wird, für eine große Zahl der Intellektuellen bildet sie einen unverzichtbaren Ausgangspunkt ihrer politischen und ästhetischen Auffassungen.

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Man kann deshalb gleich in dreifacher Weise von einem Versagen der Intellektuellen sprechen: 1. weil die meisten von ihnen sich selbst die nähere Wahrnehmung und den möglichen Genuss des aus ihrer Sicht gewöhnlichen Konsums versagen; 2. weil sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten als Publizisten, Lehrer und Mitglieder von Kontrollorganen große Anstrengungen unternehmen, anderen die Möglichkeiten eines gesteigerten Konsums zu versagen – indem sie darauf hinwirken, dass bestimmte Konsummöglichkeiten untersagt werden, und vor allem indem sie dem Konsum prinzipiell eine Absage erteilen und für ein anderes Leben eintreten; 3. weil diejenigen unter ihnen – und es sind nicht wenige –, deren politisches Ziel erklärtermaßen darin liegt, die höchst ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zu beseitigen, wahrscheinlich unumgänglich versagen müssen, wenn es darum geht, die Notwendigkeit dieses Schritts plausibel zu begründen – fällt es doch überaus schwer, überzeugend für eine zukünftige Änderung der Besitzverhältnisse oder auch nur für eine steuerliche Umverteilung einzutreten, wenn man die aktuellen Vorlieben des großen Teils der Leute, die ein geringes oder mittelmäßiges Einkommen haben, gering schätzt. Die folgenden gut 200 Seiten sollen deshalb der ausführlichen Darstellung der intellektuellen Argumente und Vorbehalte gegen den Konsum von 1945 bis heute dienen – und ihrer Kritik. Das vorliegende Buch zeichnet die deutsche Geschichte dieser direkten oder indirekten Ablehnung des Konsumismus von Heinrich Böll bis Jürgen Habermas, von der KPD bis zur CDU, von der FAZ bis zu konkret, von Ludwig Röpke bis Peter Sloterdijk nach, es untersucht die zwiespältigen Versuche der Pop-Linken und der Neoliberalen, daran etwas zu ändern – und es unternimmt zuletzt eine Verteidigung von Konsum und Materialismus.

Ich danke Linda Jasinski und Franca Liedhegener für ihre Hilfe bei der Durchsicht des Manuskripts sehr herzlich.

Die frühe Abwertung des Konsums

KRITIK DER DEUTSCHEN ILLUSTRIERTEN In der Erzählung Der Zwerg und die Puppe bietet Heinrich Böll 1951 einen sehr modernen Helden auf. Amerika ist in Deutschland angekommen in Gestalt der Meinungsforschung. Bölls Held fährt durch Nordrhein-Westfalen, um die Ansichten und Einstellungen der Westdeutschen in ihrem Alltag zu erfragen. Wohl ist Bölls Helden dabei aber überhaupt nicht. Die amerikanische Methode passt nicht zu seiner deutschen Bildung, jedenfalls nicht zu der, die man gerne ›bürgerlich‹ nennt und von der des Nationalsozialismus absetzt. Von amerikanischer Rationalität und Datenempirie scheint diese deutsche Kultur aber mindestens genauso weit entfernt. Bölls Held hat darum schwere Bedenken, die Menschen und ihre Meinungen in »Konzentrationslisten« einzuordnen, sie auf Striche in bestimmten Rubriken zu reduzieren. Die trübe Stimmung des Meinungsforschers per Beruf und wider humanistischen Willen legt sich über die ganze Geschichte. Besser gesagt: Sie liegt über dem ganzen Land, das der Forscher im Auftrag der Statistik durchmisst. Schnell wird deutlich, dass die beklommene Atmosphäre nur zu einem kleinen Teil den Verheerungen des Krieges geschuldet ist. Zwar rückt der Erzähler kurz zerstörte Häuser in den Blick, viel ausführlicher beschreibt er aber jene Dinge, die neu und ohne Risse oder Sprenglöcher sind: »Die Reklameschilder glänzten trübe im Regen, und die Waren schienen hinter den feuchten Scheiben zu schwimmen wie in einem Aquarium.« Es liegt nicht am Wetter, dass die Reklamen ebenfalls bloß einen trüben Eindruck hinterlassen; die Waren werden auch dann nicht attraktiver, wenn sie ohne Regenschleier sichtbar sind. Als der Erzähler in den Laden, ein Friseurgeschäft, geht, dessen

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Schaufenster ihm zuvor die verschwommenen Impressionen geliefert hat, wird das Bild zwar deutlicher, keineswegs aber besser. Im Geschäft fällt dem Erzähler eine Werbeanzeige ins Auge, er sieht das »Gesicht eines sehr zufrieden lächelnden Herrn, der über eine Rasiercreme entzückt schien.« Die Ironie ist nicht zu überlesen; dass jemand sich über eine Creme freut, kommt dem Betrachter albern vor, die Werbung, die ihm dieses falsche Glück ausmalt, verlogen und schäbig. Bölls Protagonist ist auf einer spirituellen Suche, in Gott und seinem Geist möchte er seine eigene Bestimmung finden, nicht in den Waren und schon gar nicht in den Bildern ihrer Reklame. Die Abneigung ist auch politisch begründet. Im Friseurladen nimmt der Erzähler eine Illustrierte in die Hände, beim Blättern sieht er auf der zweiten Seite »das humane Gesicht eines Generals, der beteuerte, daß er unschuldig sei, woran, stand da nicht.« Die Bilder überdecken die Schuld, der schöne Schein lässt die Gräuel des gerade vergangenen Krieges und der nationalsozialistischen Volks- und Kampfgemeinschaft verschwinden. Relativiert wird diese Anklage jedoch durch weitere Vorwürfe gegen die Art und Weise der Illustrierten, die Vergangenheit zugunsten der kommerziellen Gegenwart vergessen zu machen. Das Titelbild der kaum drei Wochen alten Zeitschrift ziert eine Filmschauspielerin, die, wie der Erzähler wiederum mit bitterer Ironie anmerkt, »längst schon vergessen war, hier aber noch als die schönste Frau des Jahrhunderts galt« (Böll [1951] 2004: 175ff.). Selbst diese vergleichsweise harmlose schnelllebige Manier verfällt der gleichen Kritik des Böll’schen Erzählers wie der fortgeführte Dienst von Hitlers Generälen. Der bewusst betriebene Verschleiß von Bildern, die unterhaltende, erotische Abwechslung, die haltlose, nicht in Jahrhunderten, sondern Augenblicken denkende Rhetorik trägt darum überhaupt nicht zur Aufhellung der düsteren Stimmung in Bölls Nachkriegspanorama bei. Ebenso wenig wie die Waren in den Schaufenstern bringen die Anzeigen und die Star- oder Starlet-Bilder in den Illustrierten Licht in das Dunkel einer Zeit, die für den Erzähler in den von den Westmächten besetzten Gebieten gottlose und inhumane Züge trägt. Nun ist diese Auffassung an sich nichts Erstaunliches. Sie begegnet einem vor allem in den 1920er Jahren häufig, aber auch durch die Jahrzehnte in ungezählten konservativen Bedenken gegenüber der kapitalistisch entfesselten Moderne und Massendemokratie. Ungewöhnlich erscheint die Auffassung jedoch im historischen Moment. Schließ-

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lich liegen viele deutsche Städte in Trümmern, kennzeichnet Hunger und Entbehrung das Leben vieler Deutscher nach der Niederlage. Dass man sich über Gegenstände des täglichen Gebrauchs und auch über Dinge und Bilder freut, die einen über die täglichen Beschränkungen hinausträumen lassen, gibt kaum Anlass zur Verwunderung. Vollkommen verständlich wird die Auffassung darum nur, wenn sie der besonderen Lage Rechnung trägt. Die verheerenden Zustände werden dann gerade zum hoffnungsvollen und notwendigen Ausgangspunkt der Kritik an Materialismus und oberflächlicher Unterhaltung, weil man die Not vor allem in einer geistigen Leere erblickt. Die Hinwendung zu alltäglichen, materiellen Verbesserungen und ersten kleinen Genussmöglichkeiten ist nach dieser Betrachtungsweise völlig unzureichend, um das tödliche Loch, das die nationalsozialistischen und kriegerischen Verwüstungen hinterlassen haben, zu schließen. Allein der Bau einer anderen, besseren Gesellschaft, allein das Eintreten für humane Ideen, für eine dem Egoismus und dem Vorurteil enthobene Kultur kann folgerichtig den verlorenen Lebensmut und den Glauben an den Sinn menschlichen Zusammenlebens wieder zurückgewinnen oder neu stiften. Den entschlossenen Verfechtern solcher Überzeugungen kommt deshalb die Freude an Rasiercremes und an Illustriertenbildern wie ein Ding der Unmöglichkeit vor – oder als eine Form verfehlten Lebens.

ILLUSTRIERTENKUNST UND L EBEN Diese Anschauung und starke Abneigung gewinnt ihre Kontur allerdings auch ohne solchen Antrieb. Die Kritik an der modernen Manipulation und Oberflächlichkeit bedarf nicht des Grundes, im Angesicht des deutschen Schreckens für eine bewusste, religiös angeleitete Änderung des Lebens einzutreten. Sie wird dadurch im Einzelfall zwar bestärkt oder entfacht, grundsätzlich kann sie sich aber aus vielerlei anderen Quellen speisen (vgl. hierzu und zum Folgenden immer die ausgezeichnete Monografie von Jost Hermand, Kultur im Wiederaufbau [1986]). Ein gutes Beispiel ist dafür die Abhandlung des Österreichers Karl Bednarik über die Wiener Jugend aus dem Jahr 1953. Auch ihm geht es um moralische und kulturelle Verwerfungen, die sich im Alltag zeigen und vom zweifelhaften Zustand der zeitgenössischen Gesellschaft zeugen. Die deutsche Schuld lastet jedoch nicht auf diesem All-

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tag, die Sorge lautet nicht, dass Kino- und Magazinbilder von der Tatsache ablenken, dass die unselige Vergangenheit sich fortsetzt. Dennoch gelangt Bednarik zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie Böll. Was in der Erzählung Bölls die Rasiercreme und das Titelbild der Filmschauspielerin, ist bei Bednarik das Aussehen und die Haltung vieler junger Wiener Männer um 1950. Geht es bei Böll um Werbung und Zeitschriftenabbildungen, stellt Bednarik ihre auf der Straße sichtbaren Entsprechungen in den Mittelpunkt. Die Reklame und die Magazin-Attraktionen sind hier ins Leben eingegangen, sie prägen u.a. den auffälligen Habitus einer neuen Generation. Am Anfang von Bednariks Abhandlung steht die sorgfältige Beschreibung eines Jugendlichen, dessen Erscheinung ins Auge springt. Das betrifft nicht nur die »auffällige Krawatte«, sondern das Auftreten insgesamt: »Er geht schlaksig, wie mit Katzenpfoten, auf seinen kothurnähnlichen Crêpesohlen«, heißt es bei Bednarik, »die Hosen nach dem neuesten Schnitt, auch der Sakko (kein schlechter Stoff übrigens), bloß ein wenig übertrieben modern gehalten. Eine Hand hält er in der Tasche, sein Gang wiegt sich ein wenig, wie zu einem geheimen Swingrhythmus, sein Haar ist dauergewellt« (1953: 7). Bednarik ist nicht der Einzige, der den Blick kaum von dem hochgradig stilisierten Auftritt des jungen Mannes abwenden kann. Einen »älteren Herrn« führt der Anblick sogar sofort zur besorgten Tirade über den prekären Zustand der modernen Gesellschaft. Dass man nicht mehr wie früher einen Schlossergesellen von einem Studenten unterscheiden könne, gibt ihm Anlass zur Sorge. Bednarik stimmt in die Klage nicht unmittelbar ein, er identifiziert den jugendlichen Poseur ohne Schwierigkeiten als jungen Arbeiter, nicht als Studenten oder aufstrebenden Geschäftsmann. Bednarik räumt zwar ein, dass oft auch bürgerliche und kleinbürgerliche Jugendliche sich so kleiden und geben würden, im Kern handle es sich aber um ein Phänomen der Arbeiterklasse. Dies dürfte freilich auch sein konservativer Gesprächspartner wissen, schließlich steckt in der Diagnose der Ununterscheidbarkeit in erster Linie der Vorwurf, dass sich nun Arbeiterjugendliche auf eine elegante Weise präsentieren, die ihnen nach alter Ordnung und Denkart überhaupt nicht zusteht. Bei Bednarik kommt die reaktionäre Haltung keineswegs mit gleicher Entschiedenheit hervor. Seine Darstellung verrät bereits eine gewisse Faszination, die er angesichts des modischen Lehrlings oder Jungarbeiters verspürt. Im Gegensatz zum Helden Bölls weiß Bednarik

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um die Freude, die eine Rasiercreme oder ein Illustriertenfoto auslösen kann; auch wenn ihm selbst andere Dinge wichtig sind, hält er die Empfindungen, die in der Reklame als Wirkung des beworbenen Produkts versprochen werden, nicht für gegenstandslos. Natürlich bleibt bei Bednarik der Abstand zu den von der Werbung und den Illustrierten beeinflussten, modebewussten jungen Leuten gewahrt, wie Hinweise auf die zu auffällige oder »übertrieben« moderne Kleidung deutlich zeigen; die Beschreibung von Sakko, Schuhen und tanzähnlicher Gehweise ist jedoch nicht von irgendeiner Form der Abneigung oder des körperlich greifbaren Widerwillens geprägt – und über die Verletzung der Standes- und Klassenordnung, die einem Arbeiter funktionale, solide, in keinem Fall elegante Kleidung sowie ein eckiges, ›männliches‹ Auftreten vorschreibt, verliert er kein Wort. Für Bednarik liegt das Problem woanders. Nicht die Verwischung der Standesunterschiede schlechthin treibt ihn um, sondern der Grund und das Ergebnis der Aufhebung. Das Streben nach Individualität mit Hilfe der neuen Waren, Moden, Konsumprodukte und der Vorbilder aus Filmen und Illustrierten bringe nichts anderes als eine »innere Leere«, ein »steriles Vergnügungsleben« und eine »neue Gleichform« hervor. Der Individualismus, das Bedürfnis, sich abzugrenzen, führt nach Auffassung Bednariks darum letztlich nur zu einer weiteren Variante der Massenhaftigkeit und des »Konformismus«, zu einer Form der »Masse«, die »Geist« und »Kultur« schmerzlich vermissen lässt (ebd.: 33, 101, 145, 136, 120, 138).

KRITIK DER M ASSENKULTUR Damit wiederholt Bednarik bloß die altbekannte konservative, bildungsbürgerliche Kritik an der industriellen, liberal-kapitalistischen Gesellschaft, wie sie seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geläufig ist. Sie wird von denen geübt, die ihre Form der Kultur – die in Gymnasien, Universitäten, bei den offiziellen Anlässen obligatorische Kunst und Bildung, die herrschende Kultur – als die alleinige oder höchste Form ansehen. Demokratisch-plebejische oder vom Profitstreben beförderte kulturelle Anläufe nimmt man als Bedrohung der eigenen Vorrangstellung (und folgerichtig der als hoch erachteten Kultur) wahr. Die Reaktion darauf besteht in einer scharfen Abwertung und Anklage der als geistlos, unmoralisch, primitiv-sinnlich eingeschätzten

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Unterhaltungsprodukte (vgl. Bollenbeck 1996; Schildt 1995; 1999; Maase 2007). Ihren Platz findet diese Anklage häufig im Rahmen der Bestimmung und der Kritik des neuartigen Phänomens der Masse, jener aus der ständischen Ordnung und Sitte herausgelösten Menge. Vier Arten und Weisen, wie man sich im 19. Jahrhundert zu den neuen Massen ins Verhältnis setzt (zu den Massen, die nicht nur eine räumlich gegebene Menschenmenge darstellen, sondern durch ihre Abhängigkeit von moderner Technik und weit verbreiteten Medien einen gemeinsamen Zug bekommen), sind besonders wichtig: Erstens konzipiert man die Masse als Klasse (hoffnungsvoll bei Sozialisten, abgewertet durch Liberale); zweitens macht man die Masse in der Mitte zwischen zwei Extremen aus (positiv gesehen etwa durch Quételet, negativ durch Nietzsche); drittens stellt man die unselbstständige, ungebildete Masse den Leuten von Besitz und Bildung gegenüber, wobei fast immer letztere als Ideal fungieren; viertens lässt man die Masse durch egalitäre Bestimmungen im Wahlvolk untergehen. Bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts ändert sich unter Intellektuellen an der Vorherrschaft der ersten drei Betrachtungsweisen (in ihrer negativen Version) kaum etwas. Im Unterschied zu der Zeit vor und zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auch zur Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bleibt die Verachtung der Masse nach 1945 häufiger auf das engere Gebiet der Kultur beschränkt und geht nicht immer mit einer ausdrücklichen Polemik gegen das demokratische Wahlrecht einher, schwingt aber zumeist unausgesprochen mit. Ein eindrucksvolles Zeichen für die Wiederaufnahme der Massenkritik liefert die Neuauflage des bereits 1931 in deutscher Übersetzung veröffentlichten Buches Der Aufstand der Massen von Ortega y Gasset, das 1947 gleich 50.000 Mal gedruckt wird. Der massenhafte Durchschnittsmensch zerstöre mit seiner banalen Ausrichtung auf Technik und leicht verständliche, realistische Kunst in verhängnisvoller Weise die erhabene philosophisch-humanistische, strikt elitäre Bildung, so lautet die zentrale Diagnose und Anklage Ortegas ([1930] 1978: 91ff.). Die bedeutendsten westdeutschen Feuilletonisten und Geisteswissenschaftler schließen sich dem Befund Ende der 40er Jahre und über weite Strecken der 50er mit großer Mehrheit an. Sie können dabei auf eine große eigene Tradition von Nietzsche bis Heidegger, von Tönnies bis Jaspers, von den wilhelminischen Professoren bis zur deutschen Jugendbewegung zurückgreifen. Bei dem viel beachteten (und gekauf-

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ten) Werk von Hendrik de Man, das Anfang der 50er Jahre erscheint, spricht bereits der Titel Bände: Vermassung und Kulturzerfall. Eine Diagnose unserer Zeit. Im Merkur, der Deutschen Zeitschrift für europäisches Denken, wie es im Untertitel heißt, wähnt man ganz in diesem Sinne die abendländischen »Werte« durch das Wachstum der Technik, durch »Massenproduktion«, »Standardisierung«, durch die von Kino, Radio, Reklame und Journalismus verbreiteten »Massenklischees« vom Zerfall bedroht (Kahler 1951). Carl Schmitt sieht in demselben Organ moderner Essayistik, Literatur und keineswegs nationalistischer Bildung ein Jahr später bereits diese »Pseudo-Religion der großen Massen industrialisierter Länder« zur prägenden Anschauung der »herrschenden Schichten«, die über die »Weltpolitik« bestimmen, fortgeschritten (1952: 2). Der Kulturkritiker sieht sich allerorten kulturellem Verfall ausgesetzt, er glaubt unausgesetzt, von Konformismus und Gleichschaltung umgeben zu sein. Seine Auffassung beeinträchtigt erstaunlicherweise nicht, dass genau diese Anschauung zum Gemeingut der Gebildeten und des Feuilletons gehört. Die Anschauung ist nicht einmal bloß ein Gemeinplatz der politisch Konservativen und Reaktionären, sie ist ohne Abstriche ebenfalls bei feinsinnigen Gesellschaftskritikern zu finden, die gänzlich unverdächtig sind, für eine Restauration vormoderner Konstitution oder eine neue, intellektuellere Variante eines elitären Führerstaates einzutreten. Besonders die aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrten Mitglieder der Frankfurter Schule, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, hindert ihre teilweise marxistische Abkunft keinesfalls, die Kultur in ähnlicher Manier bedroht zu sehen wie ihre vielen (einst) deutsch-nationalen, konservativ-revolutionären Widersacher und akademischen Kollegen. Mit den Worten Adornos: die »spätindustrielle, von totalitären Regimes oder Riesenkonzernen gesteuerte Massenkultur« würdigt den Menschen zu »bloßen Empfangsapparaten, Bezugspunkten von conditioned reflexes« herab ([1953] 1981: 124). Arbeitsteilung und technische Entwicklung reduzierten durch einfache, sich unablässig wiederholende Operationen die geistige Verfassung des Individuums »aufs je Gegenwärtige«: Gedächtnis, Genussfähigkeit, Fantasie und Spontaneität würden überflüssig (Horkheimer [1957] 1985a: 71). Das betrifft nach Ansicht Horkheimers/Adornos auch und gerade die Zeit abseits der Arbeit. Äußerst klar ausgesprochen lautet die zweite Botschaft: »Der von der Kulturindustrie produzierte Dreck sei kein notwendiges

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Gebrauchsgut«, wie es ein Protokoll eines Seminars von Adorno aus dem Juli 1957 festhält (zit. n. Demiroviü 1999: 454). Dagegen setzt Adorno Kafka und Beckett, Schönberg und Webern, Proust und Valéry, also jene europäische Moderne, die von den Nationalsozialisten verfolgt worden ist. Sie wird nun in Westdeutschland politisch übergreifend von den Intellektuellen und Künstlern in Zeitschriften wie Merkur und Akzente aufgegriffen, die sich sowohl von der Kunst des Dritten Reichs als auch von der amerikanischen ›Vulgarität‹ und dem sozialistischen Realismus absetzen.

KRITIK DER M ASSENMEDIEN Auch in direkt politischer Hinsicht zählt nach 1945 die Kritik an der Massengesellschaft und Massenkultur zu den wichtigsten Themen der deutschen Feuilletonisten, Professoren und Schriftsteller. Sie ermöglicht es den Intellektuellen jener Jahre, mit der deutschen nationalsozialistischen Vergangenheit auf eine Weise zu brechen, die Selbstkritik ausspart, weil viele von ihnen so zu konservativen Ansichten zurückkehren können, die sie bereits in den 20er Jahren geäußert haben (die Kritik am Massenmenschen ist etwa ein wichtiger Topos bei Carl Schmitt und Martin Heidegger gewesen, um nur die bekanntesten Namen zu nennen). Zudem kann man im Namen der Massenkritik auch die sozialistische Alternative des Nationalsozialismus als ›totalitär‹ ablehnen. Und zum dritten kann im Namen einer Kritik an der Massenkultur Distanz gegenüber Amerika signalisiert werden (vgl. Schildt 2007a). Immer wieder wird in äußerst kritischer Manier darauf hingewiesen, dass der moderne Massenmensch seine moralische und kulturelle Identität, seinen festen Platz in einer geordneten Gemeinschaft verloren habe und deshalb nun als menschliches ›Atom‹ leicht von Führern und Sozialideologien manipuliert werden könne. Zu solchen ›Führern‹ zählt man nicht nur ›populistische Demagogen‹, sondern ebenfalls innerhalb der amerikanisierten, kapitalistischen Welt die Imperative der Massenmedien. Zeitschriften, Radio, Kino und bald darauf auch das Fernsehen uniformieren aus Sicht der intellektuellen Bildungsbürger den Rest der Bevölkerung zu einer bloßen Masse. Auf dem Felde der Kultur kann man so wenigstens unterschwellig seine Abneigung gegen die bestehende Demokratie zum Ausdruck

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bringen. Konservative Kräfte fordern eine stärkere Beschneidung der Wahl- und Mitspracherechte, sie bestehen auf dem Vorrecht einer (Bildungs-)Elite; linksliberale Intellektuelle bezweifeln, dass es sich bei Mehrheitsmeinungen um das Ergebnis freier einzelner Entscheidungen handelt, da sie ja ebenso wie ihre rechten Kollegen von der verderblichen Macht der modernen Medien- und Konsumkultur ausgehen, von der manipulativen Macht der »Kulturindustrie«, wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer sagen. Wenn die radikale Kulturkritik auf rechter Seite stark vom Affekt gegen die Masse, von der Abgrenzung gegen den niedrig gesinnten Pöbel beseelt ist, wird die linke Skepsis neben ihren Bildungsidealen von der Angst vor der durchdringenden manipulativen Kraft moderner Freizeit- und Medienindustrien bestimmt. In gewissem Sinne könnte sich die linke Kulturkritik sogar als legitimer Nachfolger der älteren rechten Kulturkritik eines Le Bon oder Ortega y Gasset präsentieren: sie erzeugt eine Abneigung und/oder eine Verzweiflung, die der Furcht vor der großen Menschenmasse gleichkommt, nachdem diese von der geschichtlichen Bühne nun scheinbar abzutreten beginnt. Der moderne Medienkonsument ist zwar groß an Zahl, hält Günther Anders fest, er ballt sich aber nicht länger zu einer physischen Masse zusammen; er ist »atomisiert«. Die Individualität jedes Einzelnen könne – z.B. via TV – in seinem eigenen Heim ausgelöscht werden (1957: 358f.), dazu braucht es nicht länger den Rausch und die Bewegung der Großveranstaltung. Nun sind solche Einschätzungen und Ansichten zur gleichen Zeit auch in Amerika verbreitet (vgl. Ross 1989; Gorman 1996), zu einem Teil sind sie ja von exilierten deutschen Intellektuellen wie eben Günter Anders oder von Adorno und Horkheimer, die in den 50er Jahren nach Frankfurt zurückkehren, in amerikanischen Zeitschriften veröffentlicht worden. Im Unterschied zur amerikanischen Debatte fehlen in Deutschland aber fast alle Zwischentöne und Umwertungen, wie sie etwa David Riesman, Robert Warshow oder Paul Lazarsfeld vorbringen. Jene Kultur, die von den Professoren, humanistischen Gymnasiallehrern, den Feuilletonisten, modernen Schriftstellern und anderen Angehörigen des Bildungsbürgertums (leitende Beamte, Rechtsanwälte, Ärzte) abgelehnt wird, ist in Deutschland stets die eindeutig negativ zu bewertende Massenkultur.

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SCHLAGER UND JAZZ Dies soll nicht heißen, dass es in Deutschland keine populäre Kultur im zeitgenössischen amerikanischen Sinne gegeben hätte. Natürlich wird in Deutschland nicht nur Thomas Mann oder Günter Grass gelesen. Nach dem desaströsen Ende des nationalsozialistischen Regimes ist es ebenfalls keine Überraschung, dass die deutsche populäre Kultur der Nachkriegszeit nicht mehr aus rassistischer Propaganda und der Verherrlichung von Blut und Boden besteht. Trotzdem bleibt aber auffällig, dass viele Filme und Schlager mit vorgeblich unpolitischen Inhalten und Erzählweisen ein spezifisch deutsches Gepräge behalten. Die sog. »Amerikanisierung« zeigt sich in der Nachkriegszeit stärker daran, dass einige Konsumgüter und Produkte der Unterhaltungselektronik, die bereits in vielen Haushalten der USA stehen, auf der Kaufliste der Bevölkerung weit oben rangieren (vgl. Willett 1989). Rock ’n’ Roll und Hollywoodfilme mit James Dean oder Marlon Brando erreichen in den 50er Jahren hingegen vorwiegend Teile eines jugendlichen Publikums; in den Charts sind bis in die Mitte der 60er Jahre hinein fast ausschließlich deutsche Interpreten zu finden; deutsche Aneignungen internationaler Vorbilder stellen zudem beträchtlich domestizierte Versionen dar, welche die Aggressivität oder den neuen Ton etwa eines Elvis Presley oder Gene Vincent überhaupt nicht treffen (vgl. Wicke 2006). Die intellektuelle Rezeption der sog. Massenkultur wird von solchen Unterschieden jedoch kaum berührt. Nach intellektueller Auffassung sind das allesamt Produkte und Konditionen der amerikanisierten »modernen Massenseele«, »Reduktionen auf ein primitives Schema, das ein Höchstmaß an affektmäßigem Reiz mit einem Mindestmaß an geistiger Anstrengung verbindet« (Man 1951: 114). Adorno kann deshalb seine Urteile gegen den Jazz aus den 30er Jahren zwanzig Jahre später wiederholen, als habe es die teilweise Ablösung und Verdrängung des populären Swing durch den modernistischen Bebop und Cool Jazz nicht gegeben. Im Jazz erkennt Adorno 1953 im Merkur lediglich weiterhin eine »zeitlose Mode«, deren Varianten und Improvisationen stets im Rahmen der Norm und einiger Grundformeln verbleiben. Auf dieser Basis – dem »Schema des Ganzen« – setze man die Elemente – die »schematischen Details« – zu vordergründig neuen Kombinationen zusammen. Diese »Standardisierung« bedeute im Ergebnis eine »immer festere Dauerherrschaft über die Hörermassen und ihre ›conditio-

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ned reflexes‹.« Der Bann des Konformismus ist für die angesprochenen »Massen« nach Einschätzung Adornos undurchdringlich, die Konditionierten würden unablässig nach dem verlangen, was sie gewohnt sind, und in Wut geraten, wenn man die ihnen aufgeherrschten Erwartungen enttäuschte. Trotz der weitgehenden Veränderung der Hörerkreise im Zuge des Übergangs vom Swing zum Bebop und West Coast-Sound sieht Adorno immer nur das Gleiche am Werk (1953a: 540f.). Wie für ihn der »Unterschied der Chrysler- von der GeneralMotors-Serie im Grunde illusionär ist« (Horkheimer/Adorno [1944] 1988: 131), gelten ihm wohl auch die Abweichungen von Dizzy Gillespie zu Tommy Dorsey oder von Jimmy Giuffre zu Benny Goodman als recht nebensächlich. Den Glauben all jener zeitgenössischen JazzAnhänger, die sich von älteren populären Swing-Formen abgrenzen, sie seien avantgardistisch, betrachtet Adorno darum als eine höchst abträgliche »Konfusion« der Maßstäbe. Dass der »wie sehr auch fragwürdige Unterschied von autonomer ›hoher‹ und kommerzieller ›leichter‹ Kunst« gar nicht mehr beachtet (anstatt kritisch durchschaut) werde, ist für ihn ein deutliches Anzeichen für den gegenwärtigen »Zerfall von Bildung«. Auch wenn Adorno das Unbehagen an der (bildungsbürgerlichen) Kultur für berechtigt ansieht, erkennt er darin jedoch nicht den kleinsten Grund, den Jazz als »eine hochrationalisierte Sparte der Massenproduktion, die jene Kultur erniedrigt und ausverkauft, ohne im mindesten sie zu transzendieren, als Aufbruch eines neuen Weltgefühls zu verherrlichen und mit dem Kubismus, der Lyrik von Eliot und der Prosa von Joyce durcheinanderzubringen.« Wer sich dazu verführen lasse, die Massenkultur anzuerkennen und »einen Schlager für moderne Kunst zu halten, weil eine Klarinette falsche Töne quäkt, und einen mit ›dirty notes‹ versetzten Dreiklang für atonal«, der habe »schon vor der Barbarei kapituliert«, lautet Adornos abschließendes Verdammungsurteil (1953a: 543f.). Die letzten Anmerkungen Adornos verraten, dass er die neueren Jazzaufnahmen eines Charlie Parker, Stan Kenton, Lennie Tristano oder Thelonious Monk kaum kennen dürfte. In einer Entgegnung auf Adornos Aufsatz versucht Joachim-Ernst Berendt darum, diesen Bereich und grundsätzlich den der Jazz-Improvisation vor Adornos Aburteilung zu retten, indem er ihn vom Schlager strikt trennt. Gegenüber der »allgemeinen Unterhaltungsmusik des Tanz- und Schlagergeschäfts« vertritt auch Berendt die Haltung Adornos, den Jazz nimmt er davon jedoch aus (1953: 887f.). Adorno lässt sich freilich nicht beir-

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ren. Was Berendt als Freiheit ausgibt, ist für Adorno nur eine kosmetische Variante vor dem Hintergrund durchgehaltenen Zwangs. Die Dissonanzen und Effekte des Jazz seien »bloß stimulierende Zusätze zur traditionellen Harmonik«, einzelne »komplizierte Rhythmen« blieben eingespannt in das »Schema eines Verlaufs von regelmäßiger Taktzahl«. Und selbst wenn es anders wäre, änderte das am Urteil Adornos nichts. Die »große Musik« von Hayden und Mozart bis Schönberg habe sich erst »gebildet«, seit es eine genaue Notation gibt und die Improvisation aus den Aufführungen verschwindet, dekretiert Adorno als historisches Wertgesetz. Im Namen der großen, durchgebildeten Kunstwerke geht es bei ihm wie bei allen anderen Bildungsbürgern auch gegen jede Form der »ordinären popular music« (1953b: 891f.); in dieser Hinsicht macht die Berufung auf Schönberg keinen Unterschied, wenn sie auch in anderer Hinsicht Adorno vom konservativen Anhänger großer Meisterwerke trennt.

SEX NACH Z AHLEN Was für den Jazz als populäre Musik gilt, trifft selbstverständlich als Urteil ebenfalls Hollywoodfilme, Illustrierte, Rock ’n’ Roll usf. Von wahrer Kunst und Kultur wird all das in den 50er Jahren von denen, die im Feuilleton, in den renommierten Verlagen, den Schulbuchredaktionen sowie in den Universitäten, Kirchen und Parlamenten den Ton angeben, streng geschieden. Unterschiede ergeben sich hier allein in der Begründung, nicht in der Ablehnung. Sehen engagierte Pädagogen, Politiker, Kirchenmänner, Leitartikler vorwiegend Sitte und Moral in Gefahr, durch Comics, laszive Tänze etc. verdorben zu werden, bringen die feinsinnigeren Intellektuellen für ihr selbes negatives Urteil raffiniertere Gründe vor. Wittern etwa die konservativen Moralprediger in sexuellen Darstellungen einfach »Schmutz und Schund« – in den 50er Jahren reichen dafür bereits fotografierte oder gefilmte Brüste aus –, bringen die Kulturkritiker wesentlich avanciertere, weniger pfäffisch klingende Argumente für ihre Bedenken vor, die freilich im Kern auf die gleiche Ablehnung hinauslaufen. Die Liberalisierung der Sexualität durch ihre Affirmation im Namen von Ablenkung und fun erscheint den freimütigsten Kulturkritikern gleich ähnlich verderblich zu sein wie die sexuelle Repression. Adorno beispielsweise fürchtet einen »stumpfsinnig-

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offiziellen Sexualbetrieb«, der »aus der Lust einen Spaß macht und sie durch Gewährung verweigert« ([1951] 2003a: 106). Arnold Gehlen sieht in dem geradezu zum »Rechtsanspruch« auf »Lust und Lebensgewinn« geronnenen zeitgenössischen Verlangen eine Verfallserscheinung, die der stets bedrohten, «unwahrscheinlichen« kulturellen Formbildung ein rasches Ende bereiten könnte; dem setzt er umso mehr die Institution Kultur, ihre unnatürlichen Kategorien und Maßstäbe entgegen ([1956] 1986: 105f.). Das wirkungsvollste Plädoyer für einen weitergehenderen sexuellen Realismus entstammt deshalb zuerst den empirischen Wissenschaften, wie sie zunehmend in den USA betrieben werden. In den 50er Jahren erzielt dort Kinseys Untersuchung zu den sexuellen Verhaltensweisen der Frauen den größten publizistischen Erfolg, den je eine Buchveröffentlichung hatte (nachdem bereits 1948 seiner Erhebung zum sexuellen Verhalten der Männer eine immense Aufmerksamkeit in Zeitungen und Illustrierten zugekommen war; vgl. Gathorne-Hardy 1998: 394f.). Erst einmal ungeachtet moralischer Wertung wird von Kinsey und seinen Mitarbeitern versucht zu dokumentieren, welche sexuellen Praktiken im zeitgenössischen Amerika in welcher Häufigkeit ausgeübt werden. Trotzdem hält die Berufung auf die physiologischen Tatsachen, vor allem in Verbindung mit Kinseys Querverweisen auf Standards tierischer Sexualität, eine klare Botschaft bereit, die Botschaft, dass zum Orgasmus führende Triebentäußerungen, auch vormals als unnormal abgestempelte, natürlich seien. Die »Idee des Normalen« wird allerdings, wie Lionel Trilling bereits Ende der 40er Jahre anmerkt, nur im Sinne des moralisch Richtigen zurückgewiesen; ihre Stelle nehme jedoch (unausgesprochen) das ein, was tatsächlich vorkomme: Kinsey schließe von der physischen auf die moralische Normalität – und er gehe sogar noch insofern darüber hinaus, als er eine unter guten Bedingungen mögliche hohe Orgasmusquote zu einer solchen Normalität erkläre (Trilling 1948). In Deutschland wird Helmut Schelsky den Befund Trillings Mitte der 50er Jahre aufnehmen und noch kritischer akzentuieren. Zwar gesteht Schelsky Kinsey durchaus zu, dass die von ihm in Amerika nachgewiesene »hohe Variabilität der sexuellen Verhaltensabläufe keineswegs krankhaft« sei, sondern »in der biologischen Spannweite der menschlichen Natur« liege. Starken Einspruch legt Schelsky jedoch gegen Kinseys Ansicht ein, dass man diese Variabilität sexueller Handlungen auf Grund ihrer biologischen Natürlichkeit nicht durch

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»soziale und kulturelle Normen und Tabus« eindämmen dürfe. In einem ersten Schritt fordert Schelsky deshalb dazu auf, sich bewusst zu machen, dass die Berufung auf Natürlichkeit eine neue Normierung darstellt (ein Vierteljahrhundert später wird in einem französischen Sammelband, an dem sich auch Michel Foucault beteiligt, ganz in diesem Sinne etwa die »Orgasmologie« Kinseys angeprangert [Béjin 1984]). In einem zweiten Schritt stellt Schelsky dann dem neuen »Dogmatismus und Absolutismus des ›Naturhaften‹ im Sinne der Biologie« recht frontal die »traditionellen gesellschaftlichen Maßstäbe geschlechtlichen Verhaltens« entgegen. Die (jeweilige) Kultur ruhe nicht zuletzt auf solchen (relativen) normativen Setzungen der Sexualmoral. Würden solche Normen erschüttert, würde man die bestehende Kultur grundlegend angreifen (1955: 49ff.). Im speziellen Fall der westlichen »modernen Kultur« sieht Schelsky einen Beweis dafür, dass »die Komplexität einer Kultur und der in ihr vorhandenen Erlebens- und Verhaltensmöglichkeiten« der »Komplexität und Hierarchie ihrer Konventionen, Hemmungen und emotionalen Verzichtleistungen« entspreche. Eine normativ unterstützte Distanz zur triebhaften Verfolgung des Sexualziels, eine »Ästhetisierung der Liebe« sieht Schelsky folgerichtig als Voraussetzung zur »Verwirklichung von Geschmack und höherer Lebensart, von Zartheit und Tiefe in den erotischen Beziehungen« an (ebd.: 101). Schelsky redet damit nicht einer unbedingten Askese oder einer durchgehenden repressiven Sexualmoral das Wort. Viele sexuelle Varianten möchte er einfach beschwiegen wissen; als Teil privater Intimität liegen sie so unterhalb der »Normierungsschwelle«. Auch dieses verschwiegene private Sexualverhalten sieht er durch Kinseys Veröffentlichung empfindlich gestört. Was bei Kinsey freilich noch im Gewand wissenschaftlicher Sprache daher kommt, legitimiert durch dessen Behauptung des Vorrangs natürlicher Sexualität in Schelskys Sicht das Vorgehen mancher Illustrierten, Kinos etc., den Verbraucher dauerhaft mit standardisierten erotischen Bildern zu reizen. Die »Sexualisierung des modernen Menschen von außen« geht nach der Auffassung Schelskys nicht nur mit einem Verlust wichtiger moralischer Normen einher, sondern führt zudem zu einer systematischen, stereotypisierenden Lenkung des Konsumenten durch Medienkonzerne und Konsumgüterindustrien. Mit Paul Tillich meint Schelsky, dass die modernen industriellen Apparate den Konsumenten nicht durch Zwang und offene Repression steuerten; er werde nicht durch »Befehl«, son-

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dern durch eine Vielzahl spezifischer Angebote entpersönlicht – durch ein »Bereitstellen dessen, was individuelle Kreativität überflüssig macht« (ebd.: 52, 125f.).

KULTURKONSUM ALS WIDERSPRUCH IN SICH Das ist genau der Punkt, an dem der Begriff des »Konsums« ins Spiel kommt. Kreativität und Konsum, Eigenständigkeit und Konsum, Eigentätigkeit und Konsum stehen sich danach unvereinbar gegenüber. Wo das eine ist, ist das andere verloren, wer konsumiert, wird in dem Moment verbraucht, so lautet die gängige Auffassung, die in dem erklärten Gegensatz von Konsum und Kultur gipfelt. Der Kulturmensch wolle bewegt werden, er setze sich der oftmals verwirrenden Begegnung mit echter Kunst aus, schreibt Jürgen Habermas mit höchster Anerkennung, der »Konsument« hingegen verharre beim »ungefährlichen Konsum« von warenförmigen »Reizstoffen«, er setze nichts mehr »aufs Spiel« (1956: 215ff.). Der herausgestellte Gegensatz läuft aber nur ideell, nicht wirklich auf eine mutige Behauptung der Kultur hinaus. Tatsächlich bedauern die Gegner der Konsumhaltung in den 50er Jahren (erneut und fortgesetzt, überwiegend aber in gesteigerter Tonlage), dass die Kultur vom Konsum angegriffen und aufgezehrt werde. In ihrer Breite sei die europäische Kultur heute zum »Konsum gelangt« und dadurch zur »bloßen Ideologie entartet«, hält Adorno 1951 in einer Festschrift für den Germanisten Benno von Wiese fest. Die Ausstellung ›entarteter Kultur‹, die von den »Managern und Psychotechnikern« erfolgreich der Bevölkerung verordnet werde, beweist für Adorno, dass die Kunst sich dem vorgeblichen »Dienst am Kunden« radikal verweigern müsse. Um sich wahrhaft gegen die »fortschreitende Integration allen Bewusstseins im materiellen Produktionsprozeß« aufzulehnen, dürfe die Kulturkritik aber nicht hinter die Aufklärung zurückfallen und als Gegenbild zur Vorherrschaft der Rationalisierung und des Profitstrebens eine idyllisch abgewandte Kunst ausmalen, die einfach unbegriffen von der selbstherrlichen »Verfügung über fremde Arbeit abhängt« ([1951] 2003b: 16f.). Solche vagen marxistischen Untertöne unterscheiden die Kulturkritik der Frankfurter Schule von der konservativen. Beim Befund, bei der Bilanz und Bewertung des gegenwärtigen kulturellen Zustands gibt

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es jedoch fast ausschließlich Übereinstimmungen. Auch der Leiter des Feuilletons der FAZ, Karl Korn, bestimmt Konsum und Kultur selbstverständlich als ganz und gar unverträgliche Größen. Darum scheint ihm der Begriff »Kulturkonsum« eine höchst sinnwidrige Wortverbindung zu sein. Konsumieren heiße »aufzehren, verbrauchen, zerstören«, die echte Rezeption von Kultur hingegen sei »ein Tun, ein Verwandeln, etwas Schöpferisches« (1953: 9, 13). Dennoch bzw. deshalb zeigt auch Korn das Wort vom »Kulturkonsum« zuverlässig an, wie schlecht es um die moderne Kultur bestellt ist. Das ›Sinnwidrige‹ ist zum Inbegriff der neuen Zeit geworden, der vorausgesetzte Unterschied von Konsum und wahrer Kultur wird von der großen Mehrheit der Anbieter und Rezipienten nicht mehr respektiert oder gar nicht mehr erkannt. In den 50er Jahren hat sich nach Korns Ansicht endgültig durchgesetzt, was hundert Jahre zuvor nachhaltig begonnen hat. Zur demokratischen Auflösung der Ständeordnung mit ihren traditionellen Sitten und Künsten kommt dort nicht nur die liberal-kapitalistische Orientierung am Profit als Höchstwert hinzu, sondern auch die technologische Entgrenzung, die es erlaubt, alle möglichen Gegenstände massenhaft herzustellen. Als Konservativer steht Korn allen drei Tendenzen reserviert gegenüber. Erstens findet er für den Verfall der religiös integrierten Ständeordnung die bitter pathetische Formel, dass das »Sein des Menschen heil- und heimatlos« geworden sei. Zweitens erscheint ihm die Freiheit der Märkte keineswegs als Bedingung oder Ausdruck menschlicher Freiheit; wenn er natürlich auch als FAZ-Autor keineswegs ein Anhänger der Planwirtschaft ist, redet er grundsätzlich nicht der wirtschaftsliberalen Doktrin das Wort, sondern versäumt keine Gelegenheit, die »Anarchie einer fessellosen Wirtschaft« anzuprangern, die immer wieder »Spekulanten zur Ausbeutung reizlüsterner Instinkte« treibe. Drittens sieht er den Aufschwung einer Produktion entsprechender Werke, die erfolgreich auf die Erzeugung und Befriedigung massenhafter »Konfektionsreize« zielen, durch die industrielle Revolution bedingt (ebd.: 16, 78, 81, 26). Insgesamt bereitet das 19. Jahrhundert in der Sicht Korns den Boden für die zeitgenössische tiefe Krise und Krankheit der Kultur. Habe man zuvor Andachtsbilder und Kalendergeschichten nach festen Maßstäben für vertraute Menschen geschaffen, richte sich nach 1800 eine nicht nur technologisch entfesselte Produktion sog. Kulturgüter auf einen anonymen Massenmarkt. Korn ist nun kein Reaktionär, der das Rad der Zeit heftig zurückdrehen möchte und für eine Restauration der

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absolutistisch-religiösen Ordnung eintritt; die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen der breiten Bevölkerung durch den kapitalistisch instrumentierten technologischen Fortschritt erkennt er an; an dem unerbittlichen Urteil, dass dadurch Kunst und Kultur auf ein kaum unterbietbares Niveau zurückgeworfen worden seien, ändert das aber nichts. »Spätestens um 1850 erscheint modischer Flitterkram auf dem Markt«, eröffnet Korn seinen deprimierenden Abgesang, »werden Proletarier- und Kätnerhäuser mit schlimmen Buntdrucken überschwemmt, beginnt eine Massenserienanfertigung von abscheulichem Mobiliar, setzt jene Tingeltangel-Pseudopoesie ein, die ihren glorreichen Weg bis zur modernen Schlagerproduktion genommen hat. […] Die industrielle Revolution bedeutet kulturell die Öffnung der Schleusen für Massenschund und Kitsch, für billiges Talmizeug, für jegliche Spekulation mit der Unkenntnis und Geschmacksunsicherheit der Massen. Die Groschenhefte, die Magazinliteratur, die Revolverpresse, der Massenschund der Uhren, Tapeten, der Büffets mit aufgeleimten Schnörkeln, alles, was gestanzt und gepreßt Form vortäuscht und Lüge ist, was den moralischen Untergrund der allgemeinen Geschmacksverderbnis kennzeichnet, die mechanischen Orgeln, das Riesenreservoir von technischem Plunder, das schlechte phantasieverderbende Spielzeug, dies alles und unendlich viel mehr wird erst möglich dank der industriellen Massenproduktion. Was allein mögen jene Fabrikanten billiger Buntdrucke für kleinbürgerliche Schlafzimmer, der himbeerrosenfarbenen Elfenreigen an kultureller Substanz im Volk verdorben und zerstört haben. Die Maschinen sind stumm, sie fabrizieren, was ihnen als Prägeform eingelegt wird. Die Produkte einer ungesteuerten Industrie mit einem scheinästhetischen Produktionsprogramm haben einen erheblichen Anteil an jenem Prozeß, den man mit verschiedenen Namen entweder als Vermassung oder als Ausbeutung oder als Entfremdung des Menschen von sich selbst benennt.« (Ebd.: 26ff.)

REPRODUZIERTE MASSE Wie so viele andere auch stellt Korn mit starkem Bedauern die Zerstörung der volkstümlichen Kunst, Sitte, Gemeinschaft durch die Massenkultur fest. Offen bleibt aber noch, weshalb die Massenkultur Kunst und Kultur insgesamt angreift; das ist ja die eigentliche Sorge und These Korns. Die Antwort darauf besteht in dem Hinweis auf die alles erfassende Kraft der modernen Technik. Die Maschinen sind

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doch nicht stumm, wie Korn an einer Stelle schreibt, sie sind beredt und verwandeln dadurch auch wertvolle Prägeformen auf negative Weise. Der Vorteil der neuen Reproduktionstechniken – ohne Offsetund Vierfarbdruckmethoden wäre etwa die bildende Kunst noch immer allein einem kleinen Kreis adliger und großbürgerlicher Sammler vorbehalten –, den Korn selbst hervorhebt, verkehrt sich aufs Ganze gesehen in sein Gegenteil. Die technologischen Reproduktionsmöglichkeiten bringen nicht nur massenhaft Schund hervor, sie verändern auch die hohe Kunst. Diese Änderung, die Korn herausstellt, erfolgt nach seiner Einschätzung eindeutig zum Nachteil der hohen Kunst. Man braucht das kaum zu betonen, schließlich gibt es in den 50er Jahren an keiner Stelle anders lautende Einschätzungen. Eine Rückkehr zur avantgardistischen Kunstkritik der späten 10er und der frühen 20er Jahre findet nicht statt, die Losungen der dadaistischen Manifeste werden von niemandem wieder aufgegriffen. Auch an Walter Benjamins Weiterführung der dadaistischen Kritik bürgerlicher Werkkunst aus der Mitte der 30er Jahre knüpft niemand an; selbst wenn sein Aufsatz weniger abgelegen publiziert worden wäre, hätten seine Überlegungen nur auf Widerstand stoßen können, drehen sie doch die üblichen Bewertungen zu Massenhaftigkeit, Reproduzierbarkeit und Zerstreuung radikal um: Benjamin ist überzeugt, dass der Schock, den die einzelnen Materialcollagen der Dadaisten beim konservativen Publikum auslösen, sein Pendant ganz grundsätzlich im Kino finde, weil jeder Film durch die Montage, durch den Wechsel der Einstellungen »stoßweise« auf den Betrachter eindringe und damit eine kontemplative Haltung verhindere. Die Zerstreuung, die der unendlich reproduzierbare Film im Gegensatz zum originalen Werk, das an den Ausstellungsort gebunden ist, massenhaft bewirke, nimmt bei Benjamin einen hohen Rang ein. Er feiert die Zerstreuung als Haltung, welche dem Wahrnehmungsmodus revolutionärer städtischer Mengen angemessen sei (1974: 502ff.). Wahrscheinlich ohne Benjamins Ausführungen zu kennen, lautet Karl Korns Diagnose und Wirkungshypothese recht ähnlich; nur die Bewertung fällt bei ihm ganz anders aus. Korn nennt drei Gründe für die Auflösung der Hochkultur im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit. Erstens erlauben es die neuen Techniken, auch das großartig geschlossene Werk um der vereinzelten Wirkung willen zu zersetzen. Die Fotografie und sonstige Reproduktion bildender Kunst arbeitet mit Beleuchtungseffekten und besonderen Ausschnitten, sie schafft

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eine »präparierte, zurechtgemachte Kunst«; gleiches gilt für die Musik beim Einsatz von Rundfunk und Plattenspieler. »Der Apparat verführt dazu, den Reiz statt des originalen Inhalts und Gehalts zu wollen«, lautet hier Korns Fazit, »der Apparat macht flüchtig, er nivelliert geistige und künstlerische Werte«. Zweitens trägt die Möglichkeit, das Werk aus seiner »Standortgebundenheit« herauszulösen, entscheidend dazu bei, die Konsumhaltung zu befördern. Weil man alle Werke per Knopfdruck oder durch das Umblättern einer Seite zu sich heranholen kann, werden sie ganz leicht ihres religiösen oder anderen Zusammenhangs beraubt – dadurch ist es umso einfacher, sie hastig zu verbrauchen. Die historische oder fremde Kultur verwandelt sich auf dem Wege in einen Kostümfundus, den man beliebig plündern kann, und von der zeitgenössischen Kunst wird nur noch die Oberfläche, das Reizvolle, ihr Flair wahrgenommen. Das »Verhältnis zur Kultur wird modisch«, hält Korn fest, man eigne sich Stile an, wie man von einer Haarfarbe zur anderen, »sei sie platinsilbern oder tizianrot«, wechsle. Das Urteil steht deshalb fest: Jede echte innere Beziehung zum Kunstwerk geht mit diesen modischen Stilaneignungen verloren. Drittens gründet Korns abträgliche Bewertung der modernen Reproduktionstechniken in dem von ihm festgestellten Umstand, dass die Leichtigkeit, mit der die Werke der hohen Kunst vertrieben werden können, die Ansicht begünstigt, auch das Kunstwerk sei bloß eine Ware. Weil Nachdrucke, Übersetzungen, Platten, Fotografien, Bildbände überall zum Kauf angeboten werden, weil man sich gegen eine Gebühr alle möglichen Symphoniekonzerte und Theateraufführungen per Radio ins eigene Wohnzimmer holen kann, »ist die Meinung aufgekommen, Kultur sei analog der Produktion von Automobilen, Kühlschränken, Radioapparaten, Fleischkonserven und elektrischen Glühbirnen ein Zweig der Wirtschaft, den Voraussetzungen und Gesetzen von Angebot und Nachfrage, Produktion, Verteilung, Werbung und Konsum unterworfen« (ebd.: 70f., 76, 10f.). Korn teilt diese Ansicht selbstverständlich nicht. Andererseits ist er natürlich kein Marxist, der eine Planwirtschaft anstrebt. Die Abneigung gegen den kapitalistischen Markt ist darum nicht grenzenlos, sie beschränkt sich nur auf dessen Auswirkungen in den Bezirken der Sitte und Kultur. Besonders die Kunst ist für ihn ein zu hohes Gut, um sie dem vulgären Antrieb des Gewinnstrebens auszuliefern. Der zweite Grund des konservativen Antikapitalismus liegt in der Gleichsetzung von Markt und Profit mit dem Imperativ der großen Zahl. Die kapita-

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listische Kultur, enorm befördert durch die technischen Möglichkeiten unendlicher Reproduzierbarkeit, führt für die Kulturkritiker der 50er Jahre unvermeidlich zur Herrschaft der Masse und ihres schlechten, an vordergründigen Reizen hängenden Geschmacks. Auf der Seite der Produktion und Distribution sieht man entsprechend das Diktat der nach gängigen Schablonen hergestellten Güter am Werk, die in großen Stückzahlen zur kulturellen Uniformität drängen. Teilweise geht die Kulturkritik dabei von einem Passverhältnis zwischen unkultivierter Masse und wertloser Ware aus, zum Teil stellt man aber auch die manipulative Kraft von Marketing und Werbung in Rechnung, wodurch die niedrige Masse der direkten Verantwortung für den miserablen Zustand der Kultur enthoben wird (etwa Sonnemann 1959). So oder so, das Ergebnis bzw. der Befund ist immer gleich: Der zeitgenössische Mensch sei ein außengelenkter Konformist, zu dessen Hauptbeschäftigung es gehöre, »im Massenbetrieb hergestellte Waren zu konsumieren« (Franzen 1958: 185); eine »gigantische Summe an Reizen, industriell gefertigt, als standardisierter Massenartikel auf den Markt gebracht«, werde unablässig »in das Riesenmaul des Konsums geworfen, verschluckt, assimiliert und als Schlacke ausgeschieden« (Korn 1953: 68); die Massenmenschen würden als Kaufkräfte funktionalisiert und unter das »einheitliche Schema des Lebensstandards« gebracht (Freyer 1955: 225); die »Barbarei des Konsums« führe dazu, dass alles, auch die Kultur und die menschlichen Beziehungen, konsumiert würden (Bednarik 1957: 31); usf. Einen dramatischen Ton bekommen die Diagnosen, weil sie nicht nur der Absetzung von der Masse dienen. Dramatisch erscheint die Lage, weil man die Masse oder das Massenhafte auf dem Siegeszug wähnt. Die Kritik der Standardisierung und der Geschmacklosigkeit erfolgt nicht mehr im sicheren Bewusstsein einer herrschenden Elite. Die Masse scheint schon überall zu sein, alles Hohe bereits erniedrigt. Auch die Kunst kann nicht mehr für sich bestehen, sondern ist im Zeitalter der Reproduzierbarkeit und Standardisierung den Anforderungen der Marktgängigkeit unterworfen. Zum einen glauben die Kulturkritiker, dass es für die hohe Kunst gar keine ihr angemessene Aufnahme mehr gebe, seitdem nicht mehr »Sammlung, sondern Zerstreuung«, nicht mehr »Bildung, sondern Konsum« die Rezeption bestimme (Habermas 1956: 212). Zum anderen sehen sie die Integrität der hohen Kunst gar nicht mehr gewahrt; auch sie wird nach ihrem Zeugnis in den Sog der kapitalistischen Industrie gezogen und kommt daraus

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nicht mehr heil hervor: »Die Trümmer all dessen, was einmal Kultur war, geraten in die Mischtrommeln der Serienproduktion und kommen schließlich als genormte Markenartikel auf den Markt«, heißt es endzeitlich. Solcherart zugerichtete Kultur kann keinerlei Widerstand mehr bieten: »Der Massenkonsum schluckt sie, wie er Kaugummi und Coca-Cola schluckt« (Korn 1953: 69).

GRÜNDE DER KULTURKRITIK Mit Blick auf Kunst und hohe Kultur fällt das Urteil der Intellektuellen, Literaten, Feuilletonisten der 50er Jahre eindeutig aus: Die Erzeugnisse der Kulturindustrie, die Massenanfertigungen besitzen überhaupt keinen eigenen Wert, im schlimmsten Falle greifen sie sogar die Existenz der Hochkultur an, zerschneiden sie, würdigen sie zur Dekoration herab oder verdrängen sie einfach. Merkwürdig ist an dieser Ansicht, dass sie so einmütig erfolgt, daran zeigt sich ja, wie unumstritten der Wert der klassischen und zunehmend auch der modernen Kunst (noch) ist. In den Veröffentlichungen der Verlage, in den Ausstellungen der Museen, den Aufführungen der Theater, den Inhaltsverzeichnissen der literarischen und essayistischen Zeitschriften, in den Schulbüchern sowie in vielen Sendungen des Radios und auch des neuen Mediums Fernsehen kommt dieser Vorrang zudem wirksam zum Ausdruck. Davon, dass die Masse und ihre nur in Anführungszeichen zu setzende »Kultur« die traditionelle oder zeitgenössische hohe Kunst an den Rand dränge oder gar absterben lasse, kann, nüchtern betrachtet, keine Rede sein. Wichtige Gründe für die Radikalität und Allgegenwart der Kulturkritik müssen deshalb (noch) an anderer Stelle gesucht werden. Der entscheidende dürfte in der Verschiebung der Größenverhältnisse liegen. Zwar nehmen der Umfang und die Resonanz der als hoch eingestuften Kunst nicht ab, zwar nimmt sie weiterhin den Rang der offiziellen Kultur ein und repräsentiert zumindest vor der Hand den Geschmack der Führungsschichten, dennoch verliert sie relativ an Gewicht, weil sich zur gleichen Zeit die sog. Massenkultur stärker bemerkbar macht. Die neuen Medien – nach Film, Illustrierten und Radio nun auch das Fernsehen – sorgen für weithin hör- und sichtbare Verbreitung und Präsenz, zudem droht vom durchgesetzten egalitären

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Wahlrecht her immer die Möglichkeit, dass die bislang noch stets abgewertete Kultur eine größere Legitimität zugesprochen bekommt. Hinzu kommt, dass innerhalb der akademischen und intellektuellen Kreise nach den avantgardistischen Vorspielen um 1920 ebenfalls eine Umwertung künstlerischer Prinzipien denkbar ist, die Teile der bisher verachteten Massenkultur ästhetisch emporheben würde. »Vielleicht werden wir eine Kulturtheorie bekommen«, spekuliert der Feuilletonleiter der FAZ Karl Korn angstvoll, »die sagt, die Menschen hätten sich dank den ungeheuren Mitteln der Moderne in einen Zustand entwickelt, der durch seine sinnhafte Verfeinerung, seine Abwesenheit von Innerlichkeit, sein Raffinement und seine geistige Bedürfnislosigkeit etwas Verwandtes mit altkretischen oder frühgriechischen Idealen habe« (1953: 101). Das ist aber Zukunftsmusik, in der Gegenwart der 50er Jahre gibt es solche Stimmen nicht. Was es allein gibt, sind Ansätze wie die von Joachim-Ernst Berendt, den modernen Jazz als eine progressive Kunst auszuloben. Verbunden mit der eingestandenen Vorliebe für Charlie Parker, Stan Kenton etc. sind in den deutschen 50er Jahren oftmals die funktionalistischen Bemühungen, Gebrauchsgegenständen eine schnörkellose Form zu geben. Sie stehen im Banne der modernen Kunst der Abstraktion, aber auch im Banne neuester technischer Errungenschaften, die profane Apparate vom Schallplattenspieler bis zum Rasierer betreffen (vgl. Lindinger 1991). Auch diese Abwendungen von den klassischen Künsten gehen aber allesamt mit einer entschiedenen Abgrenzung von der Massenkultur einher. Sie richten sich gerade gegen alle Formlosigkeiten, spielerischen Überladungen und unvermittelten Reize von der stark geblümten Tapete bis hin zum Rock ’n’ Roll. Ihre Zielgruppe ist exklusiv, Firmen wie Braun und Zeitschriften wie Magnum zielen auf eine kleine Käufergruppe aus dem Bereich der oberen Mittelschicht und des ambitionierten Kleinbürgertums, die sich mit ihrem modernistischen Geschmack bewusst von der Masse abheben möchte (vgl. Strobel 2002). Kultur wird auch hier weiter mit einem großen K geschrieben – die Ausgaben von Magnum etwa widmen sich neben der Brüsseler Weltausstellung gleichfalls der Documenta, Themenhefte zur »Freizeitgesellschaft« wechseln sich mit solchen zum »Dadaismus in unserer Zeit« ab. Die Hinwendung zur Fotografie, zum modernen Jazz, zu technischen Neuerungen, zu Fragen der Formgebung reicht aber bereits vollkommen aus, um die Anhänger einer modernistisch-elitären,

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technologisch avancierten Kultur in den Augen der linken und rechten Kulturkritiker zu einer Gefahr für Bildung und hohe Kunst zu machen. Umso leichter kann man sich vorstellen, welch großes Ausmaß die Abneigung solcher Kulturkritiker gegenüber den Produkten der von ihnen so genannten Massenkultur annehmen muss, wenn bereits Neue Sachlichkeit und Bebop bei ihnen tiefes Missfallen erregen. Der Abstand zwischen Beethoven und Chuck Berry, zwischen Hölderlin und Hollywood, zwischen Kafka und Doris Day, zwischen Kandinsky und den Titelbildern von Stern oder Quick ist für sie derart unerträglich groß, dass sie bereits aus der Existenz Letzterer auf die tödliche Bedrohung und den Untergang Ersterer und damit der gesamten menschlichen Kultur schließen.

AUTOS UND W ASCHMASCHINEN Nun mag man zu den Einschätzungen und Wertungen der rechten und linken Kulturkritiker stehen, wie man will, vollkommen abwegig erscheinen ihre Überlegungen wohl den meisten nicht – höchstwahrscheinlich besitzen ihre Ansichten auch für weniger alarmiert gestimmte Beobachter der kulturellen Szenerie zumindest einen gewissen Grad an Verständlichkeit. Selbst wenn man das abträgliche Urteil über Illustrierte, Filme, Werbung, Hit-Songs nicht teilt, bleibt es für viele sicher plausibel, dass etwa ein Schubert- oder Schönberg-Kenner einen tiefen Riss zwischen sich und den zahlreichen Anhängern von Swing- oder gar Rock ’n’ Roll-Stücken verspürt. Dessen negatives Urteil über die Pseudokunst der Massen erscheint zumindest nachvollziehbar, vielleicht sogar schwer widerlegbar. Die Kritik an der Massenkultur erschöpft sich aber in den seltensten Fällen darin, die oftmals allseits anerkannten (wenn auch keineswegs allseits rezipierten) Meisterwerke der Kunstgeschichte von aktuellen populären Artefakten abzusetzen. Die Kulturkritik richtet sich gleichfalls gegen Produkte, die nichts mit den vertrauten Kunstgattungen zu tun haben. Bereits kurz nach dem Krieg, also eine ganze Reihe von Jahren bevor das Warenangebot überhaupt zur Verfügung steht, hebt die Sorge über den Menschen, der dem Konsum unterworfen sei, an. Zwischen linker und rechter Kulturkritik gibt es dabei wiederum kaum einen Unterschied. Zwar vergessen Horkheimer/Adorno mit so-

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zialistischem Anklang nicht zu erwähnen, dass vor jeder Klage über die Vorherrschaft der »sogenannten materiellen Kultur« (Adorno [1951] 2003a: 111) auf die »Erfüllung der materiellen Bedürfnisse« bestanden werden müsse (Horkheimer [1942] 1985b: 254), stimmen aber derart wortreich in die Klage ein, dass die schlichte erste Botschaft angesichts der immer wieder feinsinnig ausgesponnenen Kunstund Kulturkritik verblasst. Dass die »spätindustrielle Massenkultur« zur Hebung des materiellen Lebensstandards den entscheidenden Beitrag leistet, ist keinen einzigen Gedanken wert. Massenkonsum führe zu vollkommener Nivellierung (Horkheimer [1960] 1985c: 91), deshalb stecke Ideologie »vielleicht gar nicht mehr in geistigen Gebilden«, sondern sei »sozusagen ›ins Leben‹ übergegangen« (so Adorno in einem seiner Seminare 1957, zit. n. Demiroviü 1999: 453). Das Leben sieht die rechte Kulturkritik gleichfalls von »Sachgütern« negativ bestimmt: Der vermeintlich »höhere Lebensstandard« gründe nicht auf einem »höheren kulturellen Niveau«, sondern auf einem quantitativen Zuwachs an Zentralheizungen, Waschmaschinen, Kühlschränken, Rasierapparaten und Automobilen, bedauert Ernst Kahler 1949 in einer Rundfunksendung von Alfred Andersch (zit. n. Schildt 1999a: 91f.). Damit ist aber lediglich ausgesagt, dass Goethe und Schiller für die Kultur wichtiger sind als Staubsauger und PKWs. Eine neue Qualität gewinnt das Argument erst, wenn Gefahren, die von Staubsaugern und Kühlschränken für hohe Literatur und bildende Kunst ausgehen, behauptet werden. Im Zusammenhang der allgemeinen Konsumkritik haben wir solch ein Argument bereits kennen gelernt: Konsumieren heiße Verbrauchen, Aufzehren, beinhalte eine zerstreute Wahrnehmung und die Abhängigkeit von oberflächlichen Reizeffekten, fördere die Haltung, alles als käufliche Ware anzusehen – der Zugriff auf ein reichhaltiges Angebot von Haushaltswaren und technischen Geräten führt nach kulturkritischer Auffassung folglich zur Verstärkung solcher Einstellungen. Ein zweites kritisches Argument betrifft direkt die Beschaffenheit der modernen Konsumgüter. Dieses Argument geht auch über die Kritik an dem überladenen, dysfunktionalen Design der Autos, Schallplattenspieler, Rasierapparate hinaus. Die Kritik richtet sich vielmehr gegen die Funktion selbst, gegen die Wirkungen der Apparaturen, Wirkungen, die auf negative Weise auch die hohe Kunst ergreifen würden. Den möglichen Einwand, Kosmetika und Nylonstrümpfe, PKWs und Dauerwellen, Fotokameras und Konservendosen, Vitaminpillen und

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Hygienemittel hätten nichts mit Kultur zu tun, hält beispielsweise Karl Korn für einen schweren Irrtum. »Glaubt denn jemand im Ernst, man könne sich der modernen Autolebensweise angleichen und dabei ein unverändertes kulturelles Subjekt bleiben«, fragt Korn rhetorisch. Seine Antwort liegt auf der Hand: »Wer Auto fährt, Radio hört, mit der Regelmäßigkeit, wie früher in europäischen Ländern in die Kirche gegangen wurde, sein Stammkino besucht, Sulfonamide oder Hormonpräparate schluckt und die Fortpflanzung kontrolliert, der ist in seinem Bewußtsein und in seinem gesellschaftlichen Sein verändert« (1953: 61f., 65). Korn hat dabei keineswegs allein im Sinn, dass die »Basis einer gesünderen Kultur« wegbreche, weil das Gehalt statt für »gesunde Wohnungen und ausreichende Ernährung« für Nylonstrümpfe, Illustrierte und Fernseher ausgegeben werde. Die Apparate und ihre Produkte schaffen die Welt noch wesentlich unmittelbarer neu und modeln den Menschen um. Auto, Flugzeug, Film verwandelten das »Raum- und Zeitgefühl, die Erlebnisweisen, die bildliche und geistige Vorstellungswelt des Menschen«. Die technischen Apparaturen bedingten die Passivität der Menschen, schränkten ihre Spontaneität ein. Das Tempo der Maschinen zwinge sich dem menschlichen Rhythmus auf, führe zu Hektik – ein konditionierter, passiver, gehetzter Mensch sei aber »unfähig zur Kultur«. Zudem sei zwar die Welt nun mit Kunst angefüllt, diese habe aber mit wahrer Kunst nichts mehr gemein; von einer Kunst in Anführungsstrichen müsse man nun sprechen, weil »alles künstlich ist, was man sieht, hört, riecht, schmeckt« (ebd.: 78, 89, 68f.). Der Kunst und Kultur äußerst abträglich sind die modernen Konsumgüter nach dem Urteil ihrer Kritiker vor allem – auch wenn sie nicht direkt mit Lessing, Novalis, Picasso oder Ravel konkurrieren –, weil sie zur Einförmigkeit entscheidend beitragen. Zwar stellt jemand wie Korn unablässig die Veränderung hin zu einer neuen künstlichen Welt heraus, zugleich erscheint ihm jedoch alles eingeschränkt und standardisiert. Das alles bestimmende Schlagwort ist hier wieder das der »Masse«. Je genormter etwas sei, desto größer der »Massenerfolg« lautet Korns Formel, der technische Fortschritt läuft für ihn konsequent auf die »Massenproduktion« von »Konfektionsreizen« und gängigen Produkten hinaus. Die Abwechslungen der Moden ändern an dem Bild überhaupt nichts, im Gegenteil, sie tragen sogar aus Sicht der Kulturkritiker zu seiner vollkommenen Abdichtung bei. Zwar konsta-

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tiert Korn selber an einer Stelle, dass »unsere industrielle Produktion trotz aller Normung alles andere als gleich bleibend einheitlich« sei. Damit erledigt er aber nicht unwillkürlich seine Auffassung der vorherrschenden Standardisierung, sondern immunisiert sie ganz bewusst. Das Argument dafür besteht in dem Diktum, dass heutzutage Normung und »industriell gefertigte Reizverfeinerung« Hand in Hand gingen; alle Varianten und Abwechslungen bekräftigen demnach nur das Standard-Gesetz (ebd.: 81, 99). Den »Massen von Reiz«, die industriell hergestellt werden, entsprechen die Massen von Leuten, die sich das jeweilige Produkt nicht nur kaufen, sondern sich ihm angleichen. Die »Massengüter der Zivilisation« ebnen dadurch die zuvor bestimmenden konfessionellen, regionalen, sozialen Unterschiede weitgehend ein. Als ein schlagendes Beispiel verweist Korn auf den »standardisierten Schönheitstyp«, der vom Kino und den Illustrierten erfolgreich durchgesetzt werde. Der Gleichklang kommt aber auch durch greifbare Objekte zustande, nicht nur durch beschriebene und fotografierte Vorbilder. Die »soziale Nivellierung« wird nach dem Urteil Korns ebenfalls durch die »Nivellierung unserer Fabrikationsmethoden« im Bereich der Konsumgüter, Haushaltswaren und Verkehrsmittel bewirkt – durch eine Standardisierung, die »vom Medikament über die Coca-Cola-Flasche, die Bekleidung zum Eintrittsbillett für einen Fußball-Länderkampf und zum Auto oder Motorrad« alles erfasst (ebd.: 83, 100, 99).

SOZIALE NIVELLIERUNG Für die Theoretiker der Massenkultur reicht die Information, dass viele Leute ähnliche Produkte erwerben, aus, um auf weitreichende Uniformität und Konformität zu schließen. Die Bedeutung kleinerer Unterschiede ignorieren sie, und auf die Idee, dass auch dieselben Produkte nicht auf gleiche Weise wahrgenommen werden müssen, kommen sie nicht. Deshalb fällt ihre Diagnose von der Massenkultur mit der schärfsten Kritik dieser Kultur zusammen. Geht es nicht direkt um Kunst und Kultur, kann das Urteil über Standardisierung und Vermassung aber mitunter moderater ausfallen. Mit Blick auf die soziale Schichtung erscheint die Massengesellschaft manchem Kulturkritiker halbwegs positive Momente in sich zu bergen. Karl Korn etwa, der vehemente Kritiker der ästhetischen Nivellie-

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rung, steht der »sozialen Nivellierung« weniger ablehnend gegenüber. Einebnung sozialer Differenzen bedeutet Aufhebung des »Klassenunterschieds zwischen Bürger und Proletarier«, das wirkt sich zwar verheerend auf die bürgerliche Kultur aus, weist aber nach Einschätzung Korns zumindest auf der (vormals) proletarischen Seite Vorteile auf: In der neuen »großen sozialen Einheitsschicht« finden sich die früheren bürgerlichen, jetzt besitzlosen und lohnabhängigen Schichten, aber auch die Gruppen aufgestiegener Arbeiter mit deutlich erhöhtem materiellen Lebensstandard (ebd.: 99f.). Wenigstens dieser tiefe Riss in der einstigen Einheitsfront der Arbeiterklasse kann vorübergehend über die neue Einheitlichkeit der Massenkultur und -gesellschaft hinwegtrösten. Als »Mittelschicht« benannt, bekommt die »soziale Einheitsschicht« sogar ein noch positiveres Ansehen (vgl. Nolte 2000). Die mittlere Schicht bietet auf den ersten Blick wenigstens aus liberaler Sicht gleich mehrere Vorteile: Sie ist u.a. das Ergebnis von Auf- und Abstiegsprozessen, also von Vorgängen, die möglicherweise auf demokratisch befreiende Weise eine überkommene rigide Ordnung auflösen; die Angestellten, als größte Gruppe dieser Schicht, sind zwar ebenfalls Lohnabhängige, entwickeln aber keineswegs sozialistisches Klassenbewusstsein, sondern halten sichtbaren Abstand zu den ›Proleten‹, indem sie unbeirrt auf die eigene (Bildungs-)Leistung vertrauen; die Individualisierung der Angehörigen der Mittelschicht ist an diese Aufstiegsmöglichkeit und -hoffnung gebunden und wird durch Bildungstitel und Zertifikate staatlich dokumentiert; dank der ganz unterschiedlichen Positionen, die die Angestellten in der Firmenhierarchie bekleiden, liegt der Gedanke nahe, dass man Gesellschaft nicht mehr in erster Linie »als ein System von sozialen Über- und Unterordnungsrelationen begreiflich« machen könne, sondern statt dessen als ein »Kooperationssystem verschiedener Funktionsgebiete« verstehen müsse (Croner 1962: 75f.); wenn sozialistische Politiker und Theoretiker von einer objektiv gegebenen »Proletarisierung« ausgehen und auf eine entsprechende politische Einstellung der Angestellten hoffen, können liberale und konservative Kräfte im Gegenteil auf die »Verbürgerlichung« der aufsteigenden Arbeiter setzen. Auch Marx würde wohl erkennen (müssen), dass der maschinell erzeugte Wohlstand die sozialen Probleme des 19. Jahrhunderts gelöst habe, heißt es im Tone politischer Überlegenheit, der »allgemeine bürgerliche Wohlstand« sei im Westen Wirklichkeit geworden (Bednarik 1957: 14f.).

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In den 50er Jahren wird von kulturkritischer Seite die Veränderung freilich auf andere Weise pointiert. Von einer Verbürgerlichung will man hier gerade nicht sprechen, sondern von einem vereinheitlichten neuen Lebensstil nach Maßgabe der »Totalgesellschaft« des allgemein materiell »gehobenen Lebensstandards«. Allein positiv wird bei dieser Entwicklung die Befreiung der früher klassenbewussten Arbeiter aus der »alten verkrampften proletarischen Wir-Situation« gesehen, wie es Karl Bednarik in seiner Studie zum »neuen Typ« des jungen Arbeiters ausdrückt. Negativ überwiegt aber, dass dies eine Befreiung in die »Leere« einer egoistischen Selbstbehauptung und eines neuen kulturlosen »Konformismus« sei (1953: 54, 92, 42f., 32, 136ff.). An die Stelle der Klassenspaltung in der industriellen Gesellschaft trete der »verhältnismäßig einheitliche Lebensstil« einer »nivellierten Mittelstandsgesellschaft«, lautet die bekannteste Version der These durch Helmut Schelsky. Ursache der neuen Einheit sei der »universale Konsum der industriellen und publizistischen Massenproduktionen« ([1953] 1965a: 332; vgl. Schäfer 2000). Die »demokratische Struktur unserer modernen Gesellschaft« bringe die »Tendenz zur Nivellierung des Klassengegensatzes in ein gesteigertes gleichförmiges Sozialbewußtsein« hervor; die relativ starke Angleichung der Realeinkommen und die anlaufende »industrielle Massenproduktion von Konsum-, Komfort- und Unterhaltungsgütern« vereinheitliche die vormaligen Unterschiede der Konsumchancen, schreibt Schelsky ebenfalls Anfang der 50er Jahre. Im Lichte solcher Diagnosen streift die Mittelschicht am Ende ihren Schichtencharakter ab, um nun den ganzen sozialen Raum einzunehmen (1953: 224f.).

DIE EINSÄTZE DER T OTALITARISMUS-THEORIE Schelskys Diagnose von der kaum mehr hierarchisch beschränkten Teilnahme an den Gütern der Konsum- und Komfortproduktion klingt nicht unbedingt schlecht und scheint auf eine Verteidigung der neuen demokratisch-kapitalistischen Verhältnisse hinauszulaufen. Allerdings lässt der Begriff »gleichförmig« aufhorchen. Schelsky fügt tatsächlich an, dass bereits das »nationalsozialistische Regime« diese Tendenz »auf seine Weise glänzend zu nutzen wußte« (ebd.: 224). Damit liegt Schelsky ganz auf der Linie der gewohnten Kritik der Massenkultur (auch wenn er sich mit dem Vergleich von Faschismus und Nach-

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kriegszeit weit vorwagt bzw. ins Abseits stellt). Wie viele andere auch, wiederholt etwa Hannah Arendt die bekannte konservative Gedankenfigur; sie bezieht sie Anfang der 50er Jahre jedoch ausschließlich auf Stalinismus und Nationalsozialismus: Gelöst aus den traditionellen organischen Bindungen des Standes und der Familie, werde das »isolierte«, ›atomisierte‹, »auf sich selbst und nichts sonst zurückgeworfene« Individuum Teil einer »unzusammenhängenden Gesellschaftsmasse«, welche widerstandslos die Steuerungsmasse totalitärer Herrschaft abgebe ([1951] 2000: 695). Interessanterweise konnten Antisemiten eine ähnliche Sprache sprechen: »der Jude« sei ein »Gleichheitsfanatiker«, nichts verabscheue er mehr als die »organische Gliederung des Volks«, heißt die reaktionäre und rassistische Version der Atomisierungsthese (s. die Nachweise bei Band 1999: 205). Das vielseitig einsetzbare Theorem des bindenden, gefährlichen Zusammenhangs von traditionslosen, isolierten Individuen und totalitär strukturierter Gesellschaft bewährt sich in den 50er Jahren nicht nur in der Kritik an der Sowjetunion. Im Westen selber nutzen es viele konservative Gegner des Sozialismus ebenfalls zur Kritik an der Massenkultur amerikanischer Provenienz, eine Kritik, die unter Intellektuellen, Politikern und Bildungsbürgern viel Anklang findet (vgl. Maase 1992; Poiger 2000). Möglich ist das nicht zuletzt, weil die amerikanische Besatzungsmacht bei ihren reeducation-Maßnahmen im Bereich der Bildung und Kultur nicht auf das Lob Hollywoods und des Rock ’n’ Roll baut. Eine Zeitschrift wie der Monat, die aus amerikanischen Quellen finanziert wird und sich an die Gebildeten richtet, setzt ganz auf die hohe Kunst sowie den philosophischen Essay und konzentriert sich in politischer Hinsicht vollkommen auf die Anklage des Totalitarismus. Dieser Ansatz öffnet einer antiamerikanischen Haltung weiten Raum. Unter dem Zeichen der hohen Kultur kann die antitotalitäre Kritik sich leicht auf die unterstellte »Uniformierung« des massenkulturellen Lebensstils richten. Das kann bis zu einer Übertragung noch der schärfsten (berechtigten) politischen Vorwürfe in den kulturellen Raum gehen. Die Anklage des politisch-gewaltsamen Terrors der Nationalsozialisten und Bolschewisten kehrt dann als Sorge über den »psychologischen Konsumterror« wieder (Schelsky [1956/1961] 1965b: 340, 347). Angesichts der Schärfe solcher Formulierungen mag es überraschen, von Konservativen wie Schelsky dennoch zuweilen positivere

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Einschätzungen der gegenwärtigen Lage zu hören. So weit trägt der politisch antitotalitäre, antikommunistische Ansatz dann doch, dass die »Steigerung des materiellen und pseudo-kulturellen Lebensstandards« zumindest als praktische Widerlegung der marxistischen Theorie und Politik der Klassenspaltung und des Klassenkampfs positiv verbucht wird (ebd.: 346, 339). In einer anderen Schrift stellt Schelsky unter Berufung auf David Riesman und Arnold Gehlen sogar heraus, dass trotz des waltenden Konformitätszwangs besonders in der Freizeit Möglichkeiten einer »Individualisierung« lägen, wie man an der Vielfalt bereits gegebener Geschmacks- und Wertungsunterschiede erkennen könne – es folgt allerdings unvermeidlich der Nachsatz, dass solche Abweichungen vom Konformismus der Mehrheit eine Sache von verschwindend kleinen Minderheiten bliebe (1957: 335, 382). Wiederum direkt im Anschluss an Riesman benennt Schelsky in einem anderen Aufsatz als Grund des ausgeweiteten Konsums die Entwicklung der modernen Herstellungstechniken. Ihre Erfolge machten es unumgänglich, »breiten Schichten eine vergrößerte Freizeit zur Erfüllung ihrer Konsumpflichten zur Verfügung« zu stellen. Die ständig erhöhte Produktion ziehe die Notwendigkeit nach sich, in den Menschen »immer neue Bedürfnisse« und ein »früher als unmoralisch angesehenes Konsumstreben« zu erwecken ([1956/1961] 1965b: 347). Trotz der einseitigen Annahme hoch abstrakter Wesenheiten als Grund für etwas, das zu einem bedeutenden Teil Ergebnis gewerkschaftlicher Auseinandersetzungen um eine Verringerung der Arbeitszeit ist, nutzt Schelsky seine Sicht der Dinge hier nicht zu einer Absage an den herrschenden Konformismus einer allgegenwärtigen Mittelschicht. Unter dem Diktat selbstverordneter Sachlichkeit kann sich Schelsky mit dieser angenommenen Tatsache vor allem abfinden, weil er konkurrierenden Intellektuellen das Recht bestreiten möchte, Ansprüche auf die »Freizeit der anderen« zu erheben (1958: 14). Außerhalb solcher Auseinandersetzungen überwiegt aber die Sorge über den kulturlosen Zustand der nivellierten Mittelstandsgesellschaft am Ende stets deutlich. »›Wovon wird man morgen leben?‹, diese bange Frage Georges Sorels gegenüber der Vergeudung der überkommenen Werte in einer Welt, die nach ›Brot und Spielen‹ süchtig ist, gilt für jede Generation erneut«, schreibt Schelsky am Schluss seines Aufsatzes zum »Gesellschaftlichen Wandel«; seine Einschätzung liegt auf der Hand: die ban-

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ge Frage gelte »erst recht für uns heute in unserer Gesellschaft des Zivilisationsgenusses« ([1956/1961] 1965b: 350).

DER WOHLFAHRTSSTAAT ALS G EGENSTAND DER KULTURKRITIK Die Angst vor dem Werteverlust, die Sorge vor kultureller Mittelmäßigkeit ergreift die politisch argumentierenden Publizisten unter den Konsum- und Massenkritikern ebenfalls, wenn sie die Entwicklung des modernen Sozialstaats beobachten. In ihrer Sicht trägt der allmähliche Ausbau staatlich organisierter sozialer Sicherung vor allem dazu bei, die Standardisierung und »kulturelle Heimatlosigkeit« weiter zu befördern (Korn 1953: 98f.). Worauf die kapitalistische Industrie gründet – die Steigerung des Konsums –, wird durch die staatlichen Zwangsmaßnahmen zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung weiträumig garantiert. Wer zuvor in Not geraten wäre, kann jetzt weiter unablässig die Güter der Massenproduktion konsumieren. Jede Einsicht in die Notwendigkeit einer Umkehr – und sei sie aus der Not geboren – ist dadurch nach dem Urteil der Kulturkritiker verhängnisvoll versperrt. Karl Bednarik zählt auf, was der Staat für die Arbeiter und Angestellten alles gesetzlich garantiert, politisch unterstützt, öffentlich bereitstellt: Achtstundentag, Mindestlohn, Mindesturlaubszeit, gesetzliche Krankenfürsorge, Arbeitslosenunterstützung, öffentliche Erholungs- und Sportstätten, Bäder, subventionierte Verkehrsmittel, sozialer Wohnungsbau, Altersheime, Invaliditätsrente usw. Besonders misslich erscheint ihm an all diesen Maßnahmen, die stark helfen, den Konsumanteil an den Ausgaben der Haushalte zu steigern, dass die jungen Arbeiter sie bereits für selbstverständlich halten – als hätten sie einen unfraglichen Anspruch darauf. Als besonders negatives Beispiel solch einer Haltung verweist Bednarik auf jene jungen Frauen, die lieber arbeitslos blieben, als eine Stelle als Dienstmädchen anzunehmen. Im Zusammenhang der vorherrschenden Gleichsetzung von Wohlstand mit einem »sterilen Vergnügungsleben« wertet er dies als bedenklichen Verlust von Arbeitsmoral, Tatkraft und Idealismus (1953: 106, 94f., 105, 101). Noch schlimmer ist für ihn nur, dass solche Einstellungen jetzt auch innerhalb des Bürgertums Platz greifen. Nicht nur der Anspruch

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der Arbeiter, sondern auch das Denken des bürgerlichen Menschen sei nun »bloß auf ein Optimum an Wohlleben und Risikolosigkeit« ausgerichtet. Nicht nur die Sozialisten, sondern auch die bürgerlichen Politiker würden den Wählern schlichtweg alles versprechen und dadurch deren Begehrlichkeit an der Konsumfront – wie ein weiteres Buch Bednariks (1957) mit gleichem Tenor heißt – weiter schüren. Wobei Bednarik nicht zu erwähnen vergisst, dass sich auch der sozialistische Impetus verwandelt bzw. erschöpft habe, nicht allein der bürgerliche: Der alte Enthusiasmus der sozialistischen Bewegung ist verbraucht, die utopische Hoffnung ebenso wie der Bildungsdrang verflogen. Weder glaube der Arbeiter heute noch »mit dem Sozialismus ein irdisches Paradies zu erkämpfen« noch erwarte der sozialistische oder sozialdemokratische Funktionär »von der zum Verwaltungsmaterial gewordenen Arbeiterschaft irgendwelche neue Impulse«. Wie sich das »Interesse des Arbeiters im Wohlfahrtsstaat automatisch vom Ethos der geschichtlichen Aufgabe« abwende und auf das »Optimum seiner Sozialansprüche« verlagere, beschränke sich das Interesse des Arbeitervertreters darauf, den bürokratischen Apparat weiter auszubauen und seine Stelle zu sichern bzw. sogar mit noch mehr Verfügungsgewalt auszustatten (ebd.: 108, 136f.). Mit Blick auf die Konsumtionssphäre wird nach dem Urteil der konservativen Kritiker allerdings nur Ersteres zum Problem. Was konsumiert wird, bestimmt nicht die Exekutive oder die Versicherungsanstalt; Klagen über Bürokratisierung, Entpersönlichung und eine staatlich auferlegte Passivität und Konformität betreffen den Konsum nicht. Gefährlich erscheint jedoch die Haltung gegenüber dem Wohlfahrtsstaat. Werden nicht »unsere politischen Ansprüche mehr und mehr Verbraucheransprüche?«, fragt Helmut Schelsky wie so viele andere sorgenvoll. »Erhalten der Staat und die Demokratie nicht mehr und mehr den Charakter und den Inhalt, die Organisation für eine optimale Verteilung der Konsum- und Luxus-Chancen und zugleich die Sicherung zu deren individuellem Genuß gegenüber den Ansprüchen des sozialen Ganzen zu sein?« Bei Schelsky steht die Antwort natürlich fest: Ja, bedauerlicherweise nehme »die politische Entscheidungsfähigkeit und -bereitschaft zugunsten der Hingabe an den Zivilisationsgenuß« ab ([1956/1961] 1965b: 347). Es ist nicht so, dass Schelsky die hedonistische Anspruchshaltung vollkommen verdammen würde. Teilweise fügt er sich ihr, weil er ihre Notwendigkeit für die moderne Gesellschaft erkennt und somit auch

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zwangsweise anerkennt. Das innerste Gesetz der gegenwärtigen industriellen Produktion bestehe darin, »immer neue Bedürfnisse zu erwecken, meist in Form der Sozialisierung ehemaliger Luxusgüter, und dann die Befriedigungen in Form der Massengüterproduktion unvermeidbar bereitzustellen«, lautet eine solcher fatalistischen Anerkennungsformeln. Von einer Pflicht zum Konsum geht Schelsky aus, weil er darin eine notwendige Folge des technologischen Fortschritts sieht. Die Entwicklung der modernen Technik dränge unausweichlich zu einer steten Erhöhung des Angebots an Konsumgütern und stelle »voll innerer Konsequenz zugleich breiteren Schichten eine vergrößerte Freizeit zur Erfüllung ihrer Konsumpflichten zur Verfügung.« Für unausweichlich hält Schelsky das aber nicht nur wegen der nun gegebenen technischen Möglichkeiten, eben solche Produkte in Fülle herstellen zu können. Dem Gebot, die produzierten Güter zu erwerben, beugt er sich auch, weil er die Wirtschaft sonst in Gefahr wähnt. Unter Berufung auf John Maynard Keynes verweist Schelsky darauf, dass die Konsumkraft für die zeitgenössische Gesellschaft wahrscheinlich wichtiger sei als etwa das »Rohstoff-, Bevölkerungs- oder Arbeitspotential«. Der fortgesetzte Konsum garantiert nicht nur die Abschaffung der Armut (»im Sinne der materiellen Verelendung«), sondern die Reproduktion und das Wachstum der gesamten Gesellschaft (ebd.: 347f.). Die »materialistische Lebensgier«, die ungehemmte »individualistisch-egoistische Ausbeutung des juste milieu im Genuß und Wohlleben« – die Schelsky, wie an solchen Formulierungen leicht zu sehen, offenkundig verachtet – hält er darum nicht für einen moralischen Fehler des Einzelnen, sondern für eine strukturell erzwungene Notwendigkeit. Dies hindert ihn aber keineswegs daran, zumindest außerhalb der Konsumsphäre die Verbraucherhaltung als äußerst bedenklich einzustufen. Schelsky ist überzeugt, dass die Ansprüche an den Sozialstaat zu schweren Verwerfungen und Konflikten führen. Um das Argument zu entfalten, muss Schelsky seine These von der nivellierten Mittelstandsgesellschaft wieder einschränken. Zwar existiere in keinem Bereich der Gesellschaft mehr jene nackte materielle Not, die einen Klassenunterschied deutlich mache, wohl aber gebe es weiterhin »relative Unterschiede in der Teilnahme am Konsum der Produktion des Wohlstands«. Einfacher gesagt: Die einen haben durch Einkommen, Vermögen und Grundbesitz weiterhin mehr Geld zur Verfügung, die anderen weniger. Staatliche Maßnahmen, durch verschiedene Mittel der Umverteilung diese Unterschiede abzumildern, bringen nun un-

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vermeidlich die Bemühungen unterschiedlicher Interessengruppen mit sich, steuerliche Erleichterungen oder direkte Unterstützungen für die eigene Klientel durchzusetzen. In solchen Bemühungen sieht Schelsky wenigstens den Keim zu neuen erbitterten Kämpfen zwischen »Sozialgruppen« angelegt, die sich durch die Umverteilung entscheidend benachteiligt fühlen (ebd.: 346, 348). Die zweite große Gefahr liegt nach Schelsky für die Wohlfahrtsgesellschaft darin, dass die Wahrung des Allgemeinwohls aus dem Blick gerät. Bezeichnenderweise nennt Schelsky die Ansprüche sozialer Gruppen »sozusagen privategoistische Interessen«. Über deren Ansprüchen, die der Staat über die Verteilung seiner Steuermittel oder Schuldtitel, über gesetzliche Einschränkungen oder Öffnungen so oder so erfüllt, verlieren die öffentlichen und allgemeingesellschaftlichen Aufgaben leicht an Verbindlichkeit, fürchtet Schelsky. Schnell stellt sich heraus, dass es sich für Schelsky um mehr als eine Sorge handelt. Offensichtlich ist der schlechte Fall bereits eingetreten, wie man seiner Einschätzung, alle »wesentlichen gesellschaftlichen Reformen« seien bedauerlicherweise in den letzten Jahren am »Widerstand der Interessen einzelner Sozialgruppen« gescheitert, entnehmen kann. Darum fällt Schelsky das skeptische Urteil, die gegenwärtige »Wohlstandsgesellschaft« sei dabei, ihre eigene Grundlage zu untergraben (ebd.: 349). Die Konsumansprüche kehren sich letztlich gegen sich selbst, wenn sie sich im Dienste ihrer eigenen Erfüllung allzu erfolgreich an den umverteilenden Staat richten. Die ökonomisch gebotene »Pflicht zum Konsum« untergräbt nach Schelskys Auffassung die staatliche und damit dann schnell auch die wirtschaftliche Ordnung.

ASKESE UND KULTUR Die Gefahren stehen nach den Schilderungen der Kulturkritiker und der Theoretiker der Massengesellschaft deutlich an die Wand geschrieben: Vom Konsum gehen in verschiedene Richtungen missliche Wirkungen aus. Die Kultur ist bedroht, der Staat angegriffen, die Natur vergessen, die Gemeinschaft zersprengt, die Selbsttätigkeit erloschen, allein die materielle Not ist behoben (aber auch das steht in Frage, wenn die Verbraucherhaltung die Gesellschaft in Interessengruppen spaltet, die erbittert um die Verteilung der Staatseinnahmen ringen).

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Die Diagnose fällt insgesamt deprimierend aus, dennoch geben die Kulturkritiker die Hoffnung nicht auf, die Lage könne sich zum Besseren wenden. Helmut Schelsky lehnt sogar eine Kulturkritik, die ein allgemeines Verhängnis ausmalt, entschieden ab. Wer ganz abstrakt die »moderne Kultur« für die benannten Fehlentwicklungen verantwortlich mache, sehe fälschlich von der Verantwortung des Einzelnen ab. Schelsky hingegen möchte mit allen Kräften verhindern, dass der Einzelne auch hier in die passive Haltung des Konsumenten verfällt und sich in sein angebliches Schicksal fügt. Darum richtet er einen »moralischen Appell« an seine Leser, sich auf »Werte« abseits des Konsums und der mittelmäßigen Vergnügungen zu besinnen bzw. einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten (ebd.: 350). Auch Karl Bednarik prangert den Verlust der »idealistischen Gläubigkeit«, die »erschütternde Geistlosigkeit der bürgerlichen Politik«, die Zersetzung der Moral durch eine egoistisch-individualistische Einstellung, das mangelnde kulturelle Interesse der Arbeiter und Angestellten, die »Empfindungsarmut des modernen Menschen«, seine »materielle Begehrlichkeit« und seinen Zynismus an (1953: 107f., 103, 118, 151, 120). Gegen die von ihm selbst vorgebrachten Einschätzungen setzt Bednarik jedoch am Ende seines Buchs Der junge Arbeiter von heute einige Hoffnung darauf, dass einige Teile der jungen Arbeiterschaft bereit stehen für »eine klassenlose ›Elitenbildung‹, für das Heranwachsen eines neuen kulturtragenden Mittelstandes«. Ihre Begründung findet diese Hoffnung in dem Umstand, dass die jungen Arbeiter materiell befriedigt seien und darum keinen klassenkämpferischen Ideen mehr nachhingen. Deshalb bliebe ihnen als einziges Projekt der Emanzipation die »›Befreiung‹ des Geistes«, die Öffnung zur Kultur. Dass die Lösung der Arbeiter von Not und sozialistischer Politik auf den hundert Seiten zuvor genau als Grund für ihre Hingabe an den Konsum und die Mode angegeben worden ist, spielt nun auf einmal keine Rolle mehr. Am Ende vertraut Bednarik doch wieder auf die Kraft der Kultur, wenn sie nur den einzelnen jungen Arbeitern durch die direkte Ansprache von Intellektuellen und Künstlern nahe gebracht wird. Auf dem direkten Wege, durch persönliche Bekanntschaft müsse man den Einzelnen Zugänge zur Kultur schaffen, »nicht aus ›pädagogischen‹ Gründen, um sie für die Gesellschaft zu domestizieren, sondern um ihrer selbst willen, um ihnen aus ihrer nihilistischen Geistsituation zu helfen« (ebd.: 152, 154f.).

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Bei Karl Korn findet sich die gleiche Abfolge. Zuerst wird die Bedrohung von Kunst und Kultur in den schwärzesten Farben gemalt. Was die Kulturindustrie produziere, sei eben keine Kultur, darauf läuft das Urteil immer wieder hinaus (1953: 90), vorbereitet von einer zugleich angstvollen Beschreibung und scharfen Anklage der offensichtlich überall um sich greifenden Vermassung und Aufreizung. Dennoch steht am Ende nach all den tief erschrockenen und pessimistischen Ausführungen wie bei Schelsky und Bednarik recht unvermittelt der Aufruf, die Kräfte der wahren Kultur und des richtigen Ethos wieder aufleben zu lassen. Korn ist der Widerspruch wohl bewusst. Sein Vermittlungsversuch besteht aber einfach nur darin, auf die Dramatik der Situation hinzuweisen. Gerade weil der Verfall schon weit vorangekommen ist, muss die Änderung eintreten, heißt das einschlägige Argument, mit dem die Notlage zur Chance umdefiniert wird. Obwohl es sehr starke Anzeichen gebe, schreibt Korn, dass »das Organ für Humanität des vermaßten Menschen dieser unserer späten Zivilisationsstufe gefährdet, abgestumpft, verkümmert ist, halten wir den Kampf um den Menschen und für den Menschen nicht für aussichtslos.« Darum setzt Korn unverwandt auf »Aufklärung«: »Es ist freilich hohe Zeit. Wir müssen aus unserer Lethargie erwachen. Wissen ist das Grundwort von Gewissen« (ebd.: 91). Korn setzt aber auch auf »Abwehr«. Er verlässt sich nicht nur auf sein eigenes Metier – das der feuilletonistischen »Aufklärung« –, sondern baut auf die Macht zur Zensur und Restriktion. Die Einschränkung gewisser Freiheiten ist für ihn die unabdingbare Voraussetzung echter Freiheit; das Verbot oder der Entzug von Produkten der Massenkultur zählt zur Grundbedingung wohlverstandener Kultur. »Zu den grotesken Blüten pseudoliberaler Selbstbetäubung gehört es, daß aus Produzenten- und Händlerkreisen der Kulturindustrie alsbald der heuchlerische Ruf ertönt, man bedrohe die Freiheit von Handel und Wandel, wenn man es wagt, zur Einhaltung von Reizmitteln aufzurufen«, hält Korn angriffslustig fest: »Als ob dieser Appell nicht ein Recht der Freiheit wäre, sich und die Ahnungslosen gegen die Überschwemmung mit den Surrogaten zu wehren!« Ein Anhänger reinen Wirtschaftsliberalismus ist Korn offensichtlich nicht! Korn ist jedoch liberal genug, um solche Gegenwehr (staatlichen) Organisationen und ihren Funktionären nicht anvertrauen zu wollen, deren Verlangen nach immer größerer bürokratischer Macht er misstraut. Deshalb hofft er

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darauf, »in kleinen Eliten spontane Reaktionen zu entfesseln, alle Erzieher mit dem Elan der Säuberung zu erfüllen« (ebd.: 91f.). Die liberale Abwehr großer Aufsichtsbehörden kann sich offenkundig sehr gut mit der autoritären Stärke und Machtbefugnis großer Einzelner und kulturbeflissener Pädagogen verbinden! Der zweite Grund, weshalb eine Umkehr noch möglich ist, besteht für Korn darin, dass es neben dem Geistes- und Erzieheradel noch weitere Menschentypen gibt, die noch nicht vollständig in den Prozess der Vermassung hineingezogen worden sind. Korn nennt fünf Gruppen: die Gelehrten, weil sie in ihrem jeweiligen Fachgebiet über Souveränität verfügen; die religiösen Menschen, weil sie aus einer transzendenten Bindung leben; die Menschen, die in einer erhaltenen dörflichen oder kleinstädtischen Gemeinschaft leben, weil sie durch traditionelle Sitten und nachbarschaftliche Kontrolle vor dem Neuen geschützt sind; die Facharbeiter, weil sie noch über zusammenhängendes Wissen verfügen; die Künstler, weil (bzw. wenn) sie ihr freies Schöpfertum unter das »Gesetz der Form« stellen; und die Mütter – das erklärt sich nach allem Gesagten wohl von selbst (ebd.: 65f.). Selbst diese Ausnahmen sind aber nur graduelle Ausnahmen, daran lässt Korn keinen Zweifel. Auch die Familien etwa sind längst nicht mehr der Wirkung und dem Druck der Technik und der Nivellierung enthoben; in ihnen herrsche »nicht mehr durchweg der Geist der Verantwortung«, bedauert Korn trotz seines Lobs der Mutter, »da ist der Kinokonsum genauso wahllos geworden wie der von mehr oder weniger teuren Kosmetika und Modeerzeugnissen, da liegen die Magazine auf dem Radiotisch und da herrscht allgemein der Konsum von Surrogaten und die Unzufriedenheit, daß der Lohn nicht für mehr Surrogate ausreicht.« Ähnliches gelte für den Bereich der Erziehung, auch er könne sich natürlich leider nicht von dem Einfluss der umgebenden Massenkultur freimachen. Ebenso wie die Erzieher in der Familie könne aber der Pädagoge in der Schule den Vorrang »geistiger Bildung« deutlich machen – nicht durch »Predigten« und Belehrungen, »wohl aber dadurch, daß er Werte gegen Scheinwerte setzt« (ebd.: 95f.). Bevor er auf die Werte zu sprechen kommt – dass klassische und moderne Kunst sowie Bildungskultur bei ihm einen hohen Rang einnehmen, braucht nicht mehr betont werden –, versucht Korn aber noch denjenigen, die nicht mehr seinen Idealen verpflichtet sind, begreiflich zu machen, dass ihre Abkehr von den bildungsbürgerlichen Grundsät-

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zen sich bereits auf mittlere Sicht auf ihre eigenen besitzbürgerlichen Ziele schädlich auswirken würde. Auch im Zeitalter der Massenkultur und des Wohlfahrtsstaates läuft die Reproduktion der Gesellschaft nicht automatisch ab, ist nicht sozialtechnisch steuerbar, möchte Korn den Managern und Verwaltern von freier Wirtschaft und staatlicher Exekutive als Bedenken einprägen. Seine Argumentation läuft auf die These hinaus, dass die durchrationalisierte und -technisierte Massenund Konsumentengesellschaft auf Grundlagen beruht, die sie selbst nicht hervorbringen und garantieren kann, sondern die sie tatsächlich ganz im Gegenteil beständig aufbraucht und zerstört. Ohne haltende Mächte, die aus der Zeit vor Kapitalismus, Massenkultur und Wohlstandsgesellschaft stammen, ohne traditionelle Moral und Beharrungskräfte, ohne fraglos gegebene Ordnungsprinzipien führe die sich über solch konservative Traditionen erhaben glaubende Zivilisation der Künstlichkeit lediglich in eine neue Epoche der Barbarei, ist Korn überzeugt. Auf den Einzelnen und seine Psyche bezogen, lautet die These, dass der vollständig mechanisierte Mensch unvermeidlich am Ende zum »Triebchaotiker« werde, der sich allen möglichen, vor allem natürlich sexuellen, Reizen bedingungslos ausliefere. Künstliche Zivilisation, Konsumsteigerung und Regression auf entfesselte biologische Triebe seien in der zeitgenössischen Massengesellschaft unheilvoll verschränkt, mit bedrohlichen Konsequenzen für den Fortbestand der Gemeinschaft wie auch für das Wohlbefinden der einzelnen Person. Die Konzentration auf einen erhöhten materiellen Standard habe Kulturverfall und »Massenneurosen aus Angst« zur Folge (ebd.: 104ff., 110), hoch entwickelte Technologie bringe stetig archaische Zustände hervor: »Der dank der technischen Zivilisation ›vernatürlichte‹ Mensch wird süchtig, hemmungslos und barbarisch – wie er zu Anfang gewesen sein mag. Sein Dasein beginnt an Spannung und Tiefe zu verlieren. Der Lebensstandard schafft allein keine Eliten und keine Aristokratien. In einer Welt, deren oberstes Gesetz die Befriedigung von Konsumbedürfnissen ist, die den Tod und den Schmerz aus dem menschlichen Bewußtsein verdrängt, nimmt, wie wir alle wissen und erfahren haben, die Unsicherheit doch zu, weil Angst und Leere zunehmen. So fallen Hyperzivilisation und Barbarei schließlich zusammen.« (Ebd.: 109)

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Dagegen hält Korn die Leitlinie hoch, dass »Kultur Arbeit und Veredlung« sei. Sein oberster »Wert« besteht nicht in einer Eigenschaft, die man erreichen soll, sondern in einem Ethos, in einem Habitus, den man beständig kultivieren muss. Korn vertraut keineswegs einfach darauf, dass ein Aufruf zur Rückbesinnung auf traditionellen Glauben, traditionelle Moral es schon richten werde. Er setzt stattdessen auf Askese, auf eine Übung nicht im mönchischen, sondern verweltlichten Sinne. Etwas Mönchisches besitzt diese »säkularisierte Askese« aber durchaus (ebd.: 109, 106f.). Nach all den Kritikpunkten, die Kulturkritiker wie Korn gegen Verbraucherhaltung, Reizüberflutung, Standardisierung vorgebracht haben, kann die moderne Askese in aller kulturellen Verfeinerung gar nichts anderes als eine harte Absage an den modernen Konsum und seine bevorzugten Objekte bedeuten. Die selbstgewählte Einstellung, ihren falschen Verlockungen zu entsagen, geht dabei mit der Absicht, sie den unwilligen Massenkonsumenten durch Überredung und Zwang zu versagen, unmittelbar zusammen. Wie aus der Entwicklung der nächsten Jahrzehnte hinreichend bekannt, werden sich die Absichten der intellektuellen Konsumkritiker nicht erfüllen. Den Massenkonsum, die Konsumhaltung in der Freizeit können sie mit ihren Einlassungen nicht begrenzen oder gar beenden. Dennoch bleiben ihre Argumente in wiederholter oder abgeschwächter Form bis heute erhalten, man trifft sie nach wie vor regelmäßig im Repertoire von Schriftstellern, Lehrern, Politikern, Pfarrern, Feuilletonisten, Leitartiklern an. Zur Bewertung der Güter, zur Einteilung der Gesellschaft, zur Ausprägung politischer Zielsetzungen trägt die Konsumkritik weiterhin zuverlässig bei. Trotz unzähliger Kaufakte, trotz der beachtlichen Diversifizierung des Konsumangebots u.a. im Unterhaltungsbereich, sogar trotz der Annäherung nicht weniger Intellektueller an den Bereich der Pop-Art und der künstlerisch erhobenen Rockmusik, trotz aller mittlerweile durchgesetzten Kritik an reaktionären, allzu bildungsbeflissenen oder alternativ-entfremdungskritischen Formen der Kulturkritik gibt es bis heute keine einzige Schrift, die systematisch für eine Verteidigung des Konsums eintreten würde. In der Hinsicht leben die 50er Jahre weiter fort.

Weltanschauung und Wirtschaftspolitik in der Wohlstandsgesellschaft der 1950er Jahre

NEOLIBERALISMUS In den 1950er Jahren wird man von Künstlern, Intellektuellen und Feuilletonisten kaum ein auch nur halbwegs lobendes Wort zu den Gegenständen des Konsums und zur Konsumhaltung finden. Unabhängig davon wie man diese Einschätzungen ihrerseits bewertet, muss man die ablehnende Einstellung in jedem Fall als Ausdruck einer konsequenten Interessenpolitik anerkennen. Die Schriftsteller, Essayisten, Philosophen etc. sorgen sich, dass ihre Tätigkeiten und Produkte von anderen verdrängt werden, und setzen sich folglich dagegen mit ihren ureigensten Mitteln zur Wehr. Dass sie dabei ihr eigenes Interesse mit dem Interesse der Allgemeinheit – mit einer richtigen Moral, wahren Kultur, langfristig angemessenen Politik – deckungsgleich sehen, ist zwar höchst ambitioniert, aber im Rahmen derartiger Debatten keine ungewöhnliche Argumentationsfigur. Nun gibt es aber offensichtlich auch Gruppen und gesellschaftliche Kräfte mit anderen Interessen, man erkennt das bereits indirekt an der Vehemenz und weiten Verbreitung der Konsumkritik. Die Fernseher, Taschenbücher, Motorroller, Illustrierten, Kühlschränke existieren ja, sie werden produziert und konsumiert; diese ebenso schlichte wie harte, materiell greifbare Tatsache provoziert die breit ausgemalten kulturkritischen Bedenken, gibt ihnen einen realen Grund. Die Vermutung liegt darum nahe, dass auch im akademischen oder intellektuellen Feld an irgendeiner Stelle argumentative Anstrengungen unternommen

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werden, um die Legalität und vielleicht auch Legitimität der Warenzirkulation im Konsumgüterbereich zu unterstreichen. Für das Deutschland nach 1945 liegt die Annahme vor allem deshalb nahe, weil die Entscheidung für ein kapitalistisches Wirtschaftssystem nicht einfach eine politische Entscheidung der westlichen Besatzungsmächte, sondern Gegenstand vielfältiger, auch innerdeutscher Diskussionen gewesen ist. Wie hinreichend bekannt, setzen sich hier nach den sozialistischen Plänen, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit selbst die ökonomischen Überlegungen der CDU bestimmen, die Prinzipien der kapitalistischen Marktwirtschaft und ihre Anhänger durch. Darum drängt sich die Vermutung auf, unter solchen Verfechtern einer freien Marktwirtschaft entschiedene Verteidiger des modernen Konsums anzutreffen. Tatsächlich wird man schnell fündig. Auch in Deutschland gibt es unmittelbar nach dem Kriege eine Gruppe von Ökonomen und Soziologen, die sich auf liberale Grundsätze verpflichtet, mitunter werden sie deshalb als »Neoliberale« bezeichnet, manchmal, in späteren ihrer Werke beziehen sie die Einordnung auf sich selbst – »sogenannter Neoliberalismus« (Rüstow 1953: 101; vgl. Behlke 1961; Nawroth 1961; Ptak 2004). Dazu zählen Akademiker wie Walter Eucken und Alfred Müller-Armack, die bereits in der Weimarer Zeit Forschungsposten bekleideten und sie auch während der nationalsozialistischen Herrschaft weiterhin eingenommen haben, oder Wissenschaftler wie Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke, die vor den Nationalsozialisten fliehen mussten. Einig sind sich diese Wissenschaftler und Publizisten in der Ablehnung der Planwirtschaft, einig in ihrem Eintreten für die Marktwirtschaft bzw. die »freie« Marktwirtschaft (etwa Röpke 1950: 21), manchmal ist auch von »liberaler Marktordnung« die Rede (MüllerArmack 1948a: 14). Wichtig ist für sie die von staatlicher Lenkung befreite Entscheidung des einzelnen privaten Unternehmers, der über sein Eigentum verfügt und sich im Sinne einer Leistungsgesellschaft der Konkurrenz anderer Unternehmer auf dem Markt stellt. Solch eine Marktwirtschaft muss die nationalen Grenzen übersteigen; als wünschenswerte Charakteristika einer »liberalen Weltwirtschaft« gelten deshalb u.a. freier Güterverkehr, niedrige Zölle, internationale Kapitalinvestitionen (Röpke 1944: 13). Für den Konsumenten soll das bedeuten, dass er weder durch staatliche Lenkungsapparate noch durch Monopole gezwungen wird, an

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bestimmten Stellen Konsumverzicht zu üben (Eucken 1951: 14). Unter den Bedingungen »vollständiger Konkurrenz« bzw. des »Leistungswettbewerbs« (Eucken 1952: 247) besitze der Konsument die Freiheit der Wahl und die Möglichkeit, die Produktion über seine Kaufakte indirekt in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken – dadurch würde eine »Marktdemokratie« geschaffen, bei der sogar im Gegensatz zur politischen Mehrheitsdemokratie keine Majorisierung der Minderheiten stattfinde, weil jeder Wahl- bzw. Kaufakt zur Geltung komme (Röpke 1942: 162). Zwar rede auch die »freie Marktwirtschaft durch Suggestionsreklame dem Konsumenten künstliche Bedürfnisse« ein, langfristig entscheide in ihr jedoch »immer das Kriterium des Konsumenten«. In der Hinsicht unterscheide sich die Markt- fundamental von der Planwirtschaft, in der durch die politisch-bürokratischen Instanzen der Wirtschaftslenkung dem Konsumenten ein Warensortiment aufgezwungen werde, ohne dass festgestellt werden könne, ob es seinen Wünschen entspreche (Müller-Armack 1948a: 21). In der »reinen Marktwirtschaft« führe hingegen der Weg zum wirtschaftlichen Erfolg nur über eine »äquivalente wirtschaftliche Leistung für die Konsumenten«, während gleichzeitig garantiert sei, dass »Fehlleistungen« zu Verlusten und auf längere Sicht zum Konkurs führten. Gerechtigkeit herrsche insofern, als »Einkommenserschleichungen (ohne entsprechende Leistung) und ungesühnte Fehlleistungen (durch Abwälzung des Verlustes auf andere Schultern)« in dieser reinen Marktwirtschaft verhindert würden (Röpke 1942: 165). Gerechtigkeit herrsche ebenfalls, weil die freie Marktwirtschaft für eine größere allgemeine Befriedigung bei der Verteilung von Konsumgütern sorge. Zwar gebe es in Planwirtschaften eine wesentlich größere Gleichheit, diese Angleichung der Lebensverhältnisse geschehe aber auf einem niedrigen materiellen Niveau. In der westlichen Marktwirtschaft existiere umgekehrt eine offenkundige Ungleichheit, dennoch bzw. gerade deswegen sei der Lebensstandard auch der niederen Schichten höher als in den östlichen Ländern des Sowjetkommunismus (Müller-Armack [1949] 1974a: 188). Nur die Marktwirtschaft miteinander konkurrierender, zentral nicht gesteuerter Privateigentümer stelle jene »offene Organisationsform« dar, die den ungeheuren technologischen Potenzen bzw. den unvorhersehbaren technischen Neuerungen und Fortschritten genügend Raum lässt, um sich rasch entfalten zu können: »Indem man auf eine feste

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Form verzichtet und alles von der Anpassung an die wechselnden Produktionsmöglichkeiten erwartet«, habe die Marktwirtschaft die Fähigkeit gewonnen, »den gewaltigen technischen Fortschritt in kürzester Frist zu verarbeiten und in den wirtschaftlichen Alltag einzugliedern«, pointiert Müller-Armack die Konsequenzen der wirtschaftlichen Freiheit auch für den Bereich der Forschung und Entwicklung auf äußerst positive Weise (1948a: 12). Nimmt man all diese Punkte zusammen, stellt der Begriff »Neoliberalismus« für die deutschen Anhänger der freien Marktwirtschaft eine angemessene Bezeichnung dar. Wie die englischen liberalen Vorläufer des 18. und 19. Jahrhunderts heben die deutschen Theoretiker und Wissenschaftler die Bedeutung des Privateigentums, des ungelenkten Spiels von Angebot und Nachfrage, des internationalen, durch keine nationalen Zölle behinderten Austauschs und Wettbewerbs hervor, weil sie darin eine Garantie für den Fortschritt der Produktivität und die Hebung des Wohlstands erblicken.

ORDOLIBERALISMUS Das ist aber noch nicht das ganze Bild. In einer wichtigen Hinsicht unterscheidet sich die neue Variante der genannten deutschen Ökonomen und Soziologen von dem älteren liberalen Modell. Darum erscheint es auch nicht abwegig, die deutsche Richtung unter dem Begriff »Ordoliberalismus« – ein wichtiges Organ dieser deutschen Richtung hat sich selbst den Titel ORDO gegeben – laufen zu lassen, wie dies seit den 50er Jahren zunehmend üblich wird (Eucken, Röpke etc. gebrauchen den Begriff selbst jedoch nicht). Zwar kann man mit gutem Grund fragen, ob die vielen Übereinstimmungen mit der liberalen Tradition nicht doch die Bezeichnung »Neoliberalismus« sinnvoller machen; auf der anderen Seite ist aber anzuerkennen, dass die deutschen Parteigänger der freien Marktwirtschaft um 1945 immer wieder großen Wert auf die Feststellung legen, dass sich ihre Konzeption von der Idee und Direktive des Laissez-faire-Kapitalismus stark unterscheidet. Die Gestaltung der Wirtschaftsordnung von staatlichen Regelwerken freizuhalten und ganz dem Wirken spontaner gesellschaftlicher Kräfte zu überlassen – diese liberale Auffassung habe sich spätestens nach den Erfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überlebt, schreibt Walter Eucken (1951: 4, 69). Eine Nachahmung der liberalen

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Wirtschaft des 19. Jahrhunderts stehe nicht an, betont auch MüllerArmack kurz nach dem Kriege ([1947] 1974b: 58). Am schärfsten formuliert das wiederholt Wilhelm Röpke; den Begriff »Kapitalismus« reserviert er für jene historische Form der Marktwirtschaft, die er für verfehlt hält (1944: 45) und als deren Bedingung er eine zu weitgehende Auslegung des Laissez-faire-Prinzips anprangert: Die Ansicht des »ökonomischen Liberalismus«, eine unbegrenzte, auf sich selbst gestellte Marktwirtschaft weise die größte Funktionstüchtigkeit und Stabilität auf, sei ein schwerer Irrtum gewesen, ein Aberglaube mit gefährlichen Konsequenzen für die Verfassung der Gesellschaft insgesamt, aber auch für den wirtschaftlichen Bereich (1942: 85f.). Die Hauptgefahr für die Wirtschaft selber liegt nach dem Urteil der deutschen Neo- bzw. Ordoliberalen in dem ungehemmten Zug zur Monopolbildung. Die traditionelle liberale Überzeugung, dass eine Wirtschaftspolitik unter dem Zeichen des Laissez-faire einen Wettbewerb entstehen lasse, der im freien Spiel von Angebot und Nachfrage die Ressourcen sinnvoll verteile und die Bedürfnisse der Abnehmer optimal decke, ist für die Ordoliberalen widerlegt. Gegen diese Anschauung führen sie die Tatsache ins Feld, dass unter den Bedingungen freier Marktkräfte rasch Oligopole und Monopole entstanden sind, die den Wettbewerb in ihrem jeweiligen Bereich aufheben (Eucken 1952: 30f.) und die von der klassischen Nationalökonomie als natürlich angesehene Ordnung vollständiger Konkurrenz ad absurdum führen (Eucken [1940] 1943: 31). Der schwere »altliberale« Fehler, die Wettbewerbsordnung ungeschützt sich selbst zu überlassen, räume den Anbietern leider alle Möglichkeiten zu solcher Aufhebung ein. Sei das jeweils konzentrierte Produzenteninteresse ohnehin gegenüber dem zersplitterten Konsumenteninteresse grundsätzlich im Vorteil, potenziere sich dieser Vorteil durch die uneigeschränkte Monopol- und Kartellbildung. Die Ausgangssituation des Laissez-faire führe zudem unvermeidlich dazu, dass sich mächtige Interessengruppen bildeten, die sich die »Staatsmacht zur Beute« machten und dem Staat zu ihrem eigenen Vorteil und zur Ausschaltung der Konkurrenz Subventionen und gesetzliche Vorrechte abverlangten (Röpke 1942: 201ff.). Von einem Gleichgewicht der Kräfte könne keine Rede mehr sein; schwere Verwerfungen seien die Folge; auch die Weltwirtschaftskrise sei ein Resultat solch »gleichgewichtsloser Märkte« gewesen, auf denen Monooder Oligopole dominierten. Dies sei aber nicht dem »Kapitalismus« schlechthin anzulasten (Eucken 1951: 42) oder gar der Marktwirt-

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schaft, stelle doch die monopolistische Durchdringung des Marktes genau umgekehrt eine Auflösung der marktwirtschaftlichen Zusammenhänge dar. Die Kritik gilt demnach nicht der liberalen Auffassung von Adam Smith u.a., dass der Markt die gegeneinander gerichteten Interessen neutralisiere und insgesamt aus dem Wettbewerb gegeneinander die beste Versorgung füreinander entstehe – zu kritisieren sei nur, dass die altliberale Konzeption keine Maßnahmen zum Schutz der Marktordnung vorgesehen habe (Müller-Armack 1948a: 10). Die Ordoliberalen plädieren folglich für genau das – für einen starken Staat, der die liberale Wettbewerbsordnung schützt und von vornherein die nötigen Rahmenbedingungen schafft, die eine kontinuierliche Konkurrenz verschiedener privater Eigentümer garantieren. Das ist kein Aufruf zu einer Staatswirtschaft, sondern im Gegenteil eine scharfe Absage an jede Planwirtschaft, die von zentralen exekutiven Stellen durchgeführt wird. Zwar sei es ein schwerer Fehler, im Zeitalter der technologischen Revolutionen und der Massengesellschaft das Wirtschaftsgeschehen sich selbst zu überlassen, dennoch solle der Staat auf keinen Fall die Aufgabe übernehmen, den konkreten Ablauf der Produktion zu bestimmen. In der gegenwärtigen »ungemein komplizierten arbeitsteiligen Wirtschaft« sei der Staat überhaupt nicht in der Lage, die einzelnen Bereiche sinnvoll zu koordinieren, sehr wohl sei es aber seine unumgängliche Aufgabe, »die Formen, in denen gewirtschaftet wird, zu beeinflussen« (Eucken 1951: 72). Nur so – nicht nur durch den Glauben an die Selbstregulierungskräfte des Marktes – könne die liberale Marktordnung gestützt und langfristig erhalten werden, durch eine Sicherung, die von der Seite politischer Ordnung erwächst. Ohne solch eine Sicherung laufe die liberale Marktwirtschaft beständig Gefahr, sich aus sich selbst heraus zu zerstören (Müller-Armack 1948a: 13). Die wichtigste Aufgabe des Staates ist es darum, die Bildung von Oligopolen und Monopolen, von Kartellen und egoistischen Interessengruppen zu verhindern, um die freie Markt- und Konkurrenzwirtschaft zum Wohle der Konsumenten und der einzelnen Eigentümer durchgehend zu gewährleisten (Eucken 1952: 291ff.; Röpke 1950: 21; Müller-Armack [1947] 1974c: 85). Die Pointe der deutschen Neo- bzw. Ordoliberalen liegt auf der Hand: Wie ihre liberalen Vorgänger treten sie für freie Märkte ein, stellen diese aber unter die Schirmherrschaft des Staates, eines durchweg autoritären Staates, der unabhängig auch von parlamentarischen Parteien, den Repräsentanten unterschiedlicher Interessengruppen, den

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wirtschaftlichen Ordnungsrahmen vorgibt. Darum konnte MüllerArmack eine Zeit lang seine Hoffnung darauf setzen, dass gerade der nationalsozialistische Staat die »individuelle unternehmerische Initiative« erhält (1933: 47). Darum kann der von den Nationalsozialisten verfolgte Röpke sogar im Schweizer Exil die Formel des nationalsozialistischen Juristen Carl Schmitt gebrauchen, der Staat dürfe nicht länger den Interessengruppen zur Beute fallen (1942: 206), ohne dadurch selber zum verkappten Anhänger des Führerstaats zu werden. Für den starken, unabhängigen Staat treten die Ordoliberalen ein, damit die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen und die Privateigentümer auf dem Markt in einen fairen Wettbewerb eintreten können – und müssen.

KULTURKRITIK UND DEUTSCHER NEO/ORDOLIBERALISMUS Der starke Staat als Stifter und Garant der Wettbewerbungsordnung, in deren Verlauf er dann nicht planend eingreift, sondern den Entscheidungen der freien einzelnen Wirtschaftssubjekte überlässt – soweit ist die wichtigste Direktive des Ordoliberalismus auch heute noch unter Wirtschaftsjournalisten und Politikern einigermaßen bekannt. Viel weniger bekannt jedoch ist, dass die deutschen Neo/Ordoliberalen dem Staat noch eine weitere Aufgabe zubilligen, die sie keineswegs ins Belieben einer liberalisierten Konkurrenzwirtschaft stellen wollen. Diese Aufgabe soll nicht zuletzt Auswirkungen auf die Konsummöglichkeiten haben. Die liberale Ansicht der Ordo-Denker, nach der nur die freie Wirtschaftsordnung es dem Konsumenten ermöglicht, das seinen individuellen Wünschen entsprechende Gut auf dem Markt zu erwerben, wird dadurch in Frage gestellt. Das weitere wichtige Ziel, dessen Verwirklichung die Ordoliberalen allein bei den Kräften des Marktes schlecht aufgehoben wissen, ist nämlich die (Wieder-)Herstellung einer bestimmten geistig-kulturellen Lage. Man braucht wohl kaum hinzuzufügen, welchem Impuls sich diese Haltung verdankt: Die deutschen Ordoliberalen stehen der Massenkultur äußerst kritisch gegenüber, der Abwehr und Eindämmung weiter Bereiche der modernen Künste und der zeitgenössischen Sitten soll die staatliche Ordnung dienen.

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Der Befund der ordoliberalen Theoretiker steht frühzeitig fest. Walter Eucken erkennt zwar Mitte der 20er Jahre an, dass der Kapitalismus mit seinen egoistischen, bloß an Kosten/Nutzen-Rechnungen ausgerichteten Akteuren die Versorgung der angewachsenen Bevölkerungen mit notwendigen Gütern sichert, demgegenüber steht für ihn jedoch die große »geistige Leere«, die von solch einem rational kalkulierenden Denken und Handeln bewirkt werde (1926: 14f.). In seinen späteren, strikter wirtschaftswissenschaftlichen Schriften findet sich genau diese Ansicht nicht mehr, die Angst vor der Leere wird freilich weiterhin bekämpft – durch das Eintreten für eine ökonomische Ordnung, die private Macht und willkürliche Freiheit begrenzt und ihnen einen festen Rahmen vorgibt. Um diese Ordnung zu rechtfertigen, weist Eucken auch um 1950 noch auf eine Gefahr hin, deren Beschwörung ebenfalls schon in den 20er Jahren gang und gäbe gewesen ist. Wie so viele andere auch klagt Eucken unter Verweis auf Le Bon und Ortega y Gasset die »Massen« an, den Bau vernünftiger »Ordnungen« unmöglich zu machen; im Unterschied zu Le Bon tragen für ihn allerdings nicht die Massen an sich, sondern vor allem ihre Führer die Schuld daran, dass es zu großen »Ordnungsproblemen« gekommen sei (1952: 53, 16ff.). Bei den ordoliberalen Mitstreitern Euckens, die im Gegensatz zu ihm neben wirtschaftswissenschaftlichen Abhandlungen auch soziologische und philosophische – besser gesagt wohl: kulturdiagnostische Abhandlungen – veröffentlichen, treten solche Überlegungen ungleich stärker in der Vordergrund. Angesichts der üblichen bildungsbürgerlichen Vorbehalte gegen die moderne Kultur und ihre neuen Medien überrascht das natürlich überhaupt nicht. Hierin sind die Ordoliberalen bloß Kinder ihrer Zeit bzw. Angehörige ihrer professoralen Zunft. Kommt mit dem Begriff »neoliberal« eventuell auch zum Ausdruck, dass es sich nicht allein um eine Neuauflage des Liberalismus, sondern um eine teilweise Neukonzeption handelt, lässt sich Gleiches für den Bereich der Kulturkritik nicht behaupten. In dem Punkt sind die deutschen Neoliberalen bloße Epigonen, was sie aber keineswegs daran hindert, ihre kulturkritischen Kapitel breit auszuwälzen und ihr Unbehagen an der modernen Welt in alarmiertem Ton zu verkünden. Müller-Armack versucht sich nach 1945 nicht etwa an einer eingehenden, selbstkritischen Analyse der Bedingungen der nationalsozialistischen Herrschaft, sondern spekuliert allgemein, dass die Erfahrung des letzten Jahrhunderts die »Illusionen über die Möglichkeit einer rein

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weltlichen Kultur« zunichte gemacht hätten (1949: 51). Das Jahrhundert ohne Gott – so der Titel eines Buchs von Müller-Armack aus dem Jahr 1948 – habe in Gestalt der »irrationalen Massenbewegungen« den allgemeinen »kulturellen Verfall« herbeigeführt. Völlige Zersetzung der alten sittlichen Gemeinschaft, Anonymität, Typisierung, Maschinisierung bestimme die moderne »Massenkultur«; die »Vermassung« bestehe keineswegs nur darin, dem »einfachen Mann« ein »friedlich komfortables und genormtes Durchschnittsglück« zu bieten, sondern gehe verhängnisvoll mit einer nihilistischen Verrohung einher. Die Hoffnung, durch eine Erhöhung des wirtschaftlichen Wohlstands das »heraufziehende Chaos« bannen zu können, sei darum verfehlt (1949: 50f., 258ff., 168). Bemerkenswert an diesen Ansichten ist nun, dass sie ohne Auswirkung auf das Credo der ordoliberalen Marktwirtschaft bleiben. Die nahe liegende Überlegung, dass gerade eine Wettbewerbswirtschaft, in der ausschließlich um Profite konkurriert wird und nicht um die Teilhabe an spirituellen Werten, den beschworenen Verfall befördert, bleibt ausgespart. Der ordoliberal angestrebte »öffentliche Rahmen« des freien Wettbewerbs soll das erfolgreiche Streben nach anderen, »geistigen« Zielen gewährleisten. Was man sich darunter vorzustellen hat, auf welche Weise die Wettbewerbsordnung diese Ziele abseits der wirtschaftlichen Freiheit und des Wohlstands zur Geltung bringen soll, bleibt freilich unerfindlich. Der obligate Hinweis auf die notwendige Verhinderung von Monopolen trägt dazu wenig bei. Er kann im Gegenteil sogar eher die Bedenken verstärken, dürfte doch gerade eine allseits garantierte Konkurrenz zu einer säkularen, vergleichsweise flüchtigen Kultur führen. Müller-Armack unterbindet solche Gedanken, indem er sich mit der Überlegung beruhigt, dass die freie Marktwirtschaft als unabgeschlossenes, spontanen Initiativen gegenüber offenes Projekt eine Fülle an Möglichkeiten und Alternativen zumindest latent bereit hält (ebd.: 299, 278). Bei Wilhelm Röpke trifft man auf das gleiche schlecht aufgelöste Dilemma. Wie alle Kritiker der vermeintlichen Massengesellschaft und -kultur stellt Röpke mit wehem Unterton die Auflösung der »echten« Gemeinschaften heraus, eine »Atomisierung der Individuen«, eine Lösung aus den Bindungen der Familie, der Nachbarschaft und der Natur mit der Folge, dass die Menschen nicht mehr wüssten, wo sie hingehörten. »Diese Entartung der Gesellschaft« werde begleitet von »Zersetzungs- und Auflösungsvorgängen im geistig-moralischen Be-

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reich, in der Seele jedes Einzelnen« und leider auch »in Wissenschaft und Kunst und in den unwägbaren Regionen des Wertens, Glaubens und Verehrens«, vollendet Röpke die gewohnte konservative Klage über den Niedergang von Sitte und Kultur (1944: 245f.). An die Stelle der fest strukturierten, hierarchischen Gesellschaft, die in ihrem Stufengebilde über jeweils gut integrierte Gemeinschaften verfügt, sei eine »Pseudointegration« getreten, welche die isolierten, auf sich selbst zurückgeworfenen Individuen in formlosen »Massengebilden« zusammenklumpe. Die Führer solcher Massen verfügten keinesfalls über die »Legitimation zu echter geistiger Führung«, weil sie selbst Teil der ungebildeten, auf niedrigem Niveau nivellierten Masse seien. Hundert Jahre »falsch verstandener Demokratisierung der Bildung« hätten dieses Desaster angerichtet und jenen Massenmenschen hervorgebracht, »wie ihn Ortega y Gasset in seiner platten Allerweltsbildung, seiner durch nichts gerechtfertigten Anmaßung und Aufdringlichkeit, seinem Besserwissen, seiner Urteilslosigkeit und seinem geistig-moralischen Herdendasein geschildert hat« (1942: 23f.). Zu den weiteren Merkmalen des kulturellen Verfalls zählt Röpke – auch das in vertrauter konservativer Weise – den Untergang der abendländischen Tradition, den Autoritätsverlust der Kirche, den »Relativismus und Agnostizismus der Wissenschaft«, die Abkehr von der Alters- und Lebensweisheit und die Überbewertung der Jugend (jener »Altersstufe der Unreife«), die innere Haltlosigkeit, das unverbindliche, standpunktlose Virtuosen- und Ästhetentum, die »zunehmende Emotionalisierung, um nicht zu sagen Sexualisierung der Musik seit dem Ende der sogenannten klassischen Periode«, den Stilverlust allgemein, die Verwilderung der Sprache usf. (ebd.: 20). In allen Bereichen – und zwischen ihnen – fehlt die gesicherte Mitte, fehlt der Grund, fehlt der bindende Zusammenhang; den Menschen sei die Sicherheit für das ihnen »Wesensgemäße« in so hohem Maße verloren gegangen, dass »ihr Verhältnis zu den elementarsten Dingen – zu Arbeit und Muße, zur Natur, zu Zeit und Tod, zum anderen Geschlecht, zum Kinde und zur Geschlechterfolge, zu Jugend und Alter, zum natürlichen Lebensgenuß, zum Numinosen und Überweltlichen, zum Eigentum, zu Krieg und Frieden, zu Verstand und Gefühl, und zur Gemeinschaft – in ernstester Weise in Unordnung geraten ist. Sie haben weitgehend das Maß vergessen, das im Menschen selbst liegt, und taumeln nun von einem Extrem zum anderen, bald dies bald jenes versuchend,

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bald dieser bald jener Modemeinung nachlaufend, bald auf diesen bald auf jenen Reiz hörend, aber am wenigsten auf sich selbst und die Stimme im eigenen Innern.« (Ebd.: 19ff.)

Die Missachtung und künstliche Überformung bzw. Auslöschung der »elementarsten immateriellen Lebensbedürfnisse« lässt sich nach Meinung Röpkes selbstverständlich nicht durch eine Steigerung oder Erfüllung des materiellen Bedarfs ausgleichen. Zum einen ist natürlich Röpke selbst dem »Materialismus« tief abgeneigt, zum anderen glaubt er aber nicht einmal, dass die anderen Menschen, die weniger als er und Seinesgleichen an den Titeln »Geist«, »Kultur«, »Abendland«, »sittliche Gemeinschaft« hängen, rein materiell Befriedigung erlangen würden. In ordoliberaler Abwandlung des Kalenderspruchs »Geld macht nicht glücklich« heißt es bei Röpke zur stetig anwachsenden Produktion und zum erhöhten Durchschnittseinkommen: »Die Gesamtmasse der zur Verfügung stehenden materiellen Güter mag dabei steigen und der vielberufene Lebensstandard jene Höhe erklimmen, an der eine naive Sozialphilosophie sich gern berauscht, aber dabei sinkt rapide die Summe jenes unmessbaren und unaussprechbaren schlichten Glücks, das die Menschen in der sinnvollen Arbeit und in einem sinnvollen Leben empfinden« (ebd.: 164, 186f.). Im Unterschied zu seinen ordoliberalen Mitstreitern belässt es Röpke jedoch nicht bei solchen wohlfeilen Phrasen, die einmal mehr das tiefe konservative Unbehagen gegenüber der modernen Kultur zum Ausdruck bringen. Röpke beschränkt sich auch keineswegs auf eine Kritik an der »Kommerzialisierung aller Verhältnisse in den Vereinigten Staaten«. Viel deutlicher als Eucken u.a. stellt Röpke den Anteil des »Kapitalismus« an der beklagten geistigen Misere heraus. »Ohne tiefsten Schaden für sich selbst und für den Bestand der Gesellschaft« könnten die Menschen die beständige nervliche und moralische Unsicherheit und Anspannung nicht ertragen, zu der sie »ein von Angebot und Nachfrage, Markt und Technik beherrschtes Wirtschaftssystem« zwinge (ebd.: 187). Trotz dieser harschen Kritik kommt Röpke zu dem gleichen Schluss wie seine Kollegen. Der Absage an den Kapitalismus folgt ohne jede Unterbrechung ein Plädoyer für die freie Marktwirtschaft. Dass genau die freie Konkurrenzwirtschaft die beklagte Instabilität und dauernde Anspannung hervorbringt, diese Annahme ist nach dem begrifflichen Wechsel vom Kapitalismus zum freien Wettbewerb

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kaum einen Gedanken mehr wert. Röpke räumt an einer Stelle freilich ein, dass Arbeitsteilung und Marktwirtschaft für Verhältnisse sorgten, die den Unternehmer unter starken Druck setzten und nur noch an seinen eigenen Vorteil denken ließen. Vor allem die stark gewachsene Anonymität des wirtschaftlichen Austausches, der längst nicht mehr auf einem lokalen Markt unter Bekannten stattfindet, trage dazu bei, dass man gewöhnlich ohne große Skrupel versuche, »sich auf Kosten eines abstrakten Konsumentenkreises Vorteile zu verschaffen und vom Staate eine Subvention zu beziehen, die der schattenhaften Gesamtheit der Steuerzahler zur Last fällt« (ebd.: 207f.). Als Abhilfe fällt Röpke an der Stelle aber nichts anderes ein, als an die Moral zu appellieren. Ein Gefühl für Fairness, für Standesstolz und Werkehre, die Selbstverpflichtung auf geschäftlichen Anstand – das sind die Mittel, an die Röpke denkt, um den Auswirkungen der Marktzwänge erfolgreich zu begegnen. Wer sich nicht »an einen strengen Kodex der Geschäftsmoral hält, gegen die Regeln der Konkurrenz verstößt, monopolistische Manipulationen vornimmt, sich ohne dringendste Not in die wirtschaftliche Armenpflege des Staates begibt, allzu smarte Reklame betreibt und überlaute wirtschaftspolitische Forderungen erhebt«, der sollte unbedingt damit rechnen müssen, moralisch geächtet zu werden (ebd.: 209f.). Bemerkenswert ist daran zum einen, dass Röpke hier nicht für gesetzliche Sanktionen eintritt. Zum anderen fällt besonders auf, dass er bei der Aufzählung jener unternehmerischen Verstöße, die für ihn auf die »alles durchdringende Arbeitsteilung und Marktwirtschaft« zurückgehen, Vergehen gegen die Geschäftsmoral in eine Reihe mit monopolistischen Manipulationen stellt. Tatsächlich gelangt Röpke hier übergangslos von der Erörterung der Probleme, die aus allseitig durchgesetzter Arbeitsteilung und Marktwirtschaft erwachsen, zur paradox anmutenden Behauptung, in der Mehrzahl aller Fälle könne »nur die Wiederherstellung der unverfälschten und lauteren Konkurrenz der heutigen Ausbeutung aller durch alle ein Ende machen« (ebd.: 208f.). Damit ist Röpke überraschend schnell wieder beim liberalen Credo angelangt, das deutsch-neoliberal durch die Überzeugung ergänzt wird, der freie Wettbewerb sei, wenn man ihn sich selbst überlässt, gefährdet und deshalb schutzbedürftig. Hier ruft Röpke auch nicht allein moralische Kräfte zur Hilfe, sondern setzt wie alle Ordoliberalen auf den Staat als Garanten der Konkurrenzwirtschaftsordnung. Der Staat muss die Rahmenbedingungen schaffen, in denen der dann unbeeinflusste

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Wirtschaftsprozess freier Preisbildung und fairer Konkurrenz von Privateigentümern stattfindet. Unter der Hand mündet die Kritik am Konkurrenz-Kapitalismus somit in die Verteidigung des staatlich eingerichteten freien, privilegienlosen Wettbewerbs. Diese Wendung kann nur glücken, wenn das zuvor breit ausgemalte Unbehagen an der modernen Kultur wieder weit in den Hintergrund rückt. Anders gesagt: Jede Kritik an den Zersetzungsprozessen und nachhaltigen moralischen Verwerfungen, die von der kapitalistischen Marktwirtschaft ausgelöst werden, muss plötzlich dem Vergessen anheim gegeben werden, wenn es gilt, die Konzeption der vom starken Staat eingesetzten »echten Marktwirtschaft« zu propagieren (ebd.: 304). Bei der Kritik am Materialismus und am Ziel des gehobenen Lebensstandards, das sich in Konsumgütern bemisst, verhält sich das genauso. Wenn es darum geht, die Vorzüge der Marktwirtschaft gegenüber staatlich gelenkten, subventionierten oder gar sozialistisch geplanten Ökonomien hervorzuheben, spielt diese Kritik keine Rolle mehr; stattdessen wird der allgemein gewährleistete Zugriff auf ein großes Angebot an Gütern sowie die Wahlfreiheit des Konsumenten als eminenter Vorteil herausgestellt. Im Gegensatz zu den anderen Ordoliberalen muss man Röpke allerdings zugute halten, dass er klare Vorschläge macht, wie der Staat als Ordnungshüter dem misslichen Zustand der Massengesellschaft und -kultur begegnen kann und soll. Gegen die beklagte Entwurzelung, Proletarisierung, Depersonalisierung als den entscheidenden Ursachen der Vermassung hilft nach Röpke vor allem die »Wiederherstellung des Eigentums« (1944: 279). Gemeint ist ein »Mittelmaß an Privateigentum«, nicht die Ballung von Eigentum in wenigen Händen (juristischer) Personen. Die Kritik an der Monopolisierung erfolgt demnach nicht bloß nach Maßgabe wirtschaftspolitischer Prinzipien, sondern besitzt auch ein zentrales gesellschaftspolitisches Ziel: Die Schaffung einer Gesellschaft, in der die Freiheit des Einzelnen dadurch garantiert ist, dass er über Eigentum und einen selbstbestimmten Arbeitsbereich verfügt (1942: 281f.). An den Staat ergeht deshalb die Aufforderung, für eine möglichst breite Verteilung des Eigentums und für dezentrale Wirtschaftsstrukturen zu sorgen, indem er kleinere Produktions- und Siedlungseinheiten fördert und Gesetze »zum Zwecke der Monopol- und Konzentrationsverhinderung (Gesellschaftsrecht, Patentrecht, Konkursrecht, Kartellrecht u.a.)« erarbeitet und ausführt (ebd.: 282). Nur in diesem Rahmen

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könne jene Wirtschaftsfreiheit und ungehinderte faire Konkurrenz ermöglicht werden, die dann ihre positiven Wirkungen entfaltet. Gegen die Massengesellschaft mit ihren vielfältigen Abhängigkeiten und ihrer geistlosen, standardisierten Kultur setzt Röpke eine Gesellschaft von Kleinproduzenten, von Bauern, Handwerkern und anderen Unternehmern, deren Wettbewerb untereinander ein Konkurrenzsystem schafft, »welches fortgesetzt für Disziplin, Anspannung, Sauberkeit, Harmonie, Gleichgewicht und ein gerechtes Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung sorgt« (ebd.: 281, 288; vgl. Greven 2007: 158ff.). An dieser Stelle wird ebenfalls deutlich, wie Röpke das Paradox auflösen möchte, mit einer allseits durchgesetzten Konkurrenz die zersetzenden Folgen des Wettbewerbs verhindern zu wollen. Er belässt es nun nicht bei der Forderung, die freie Konkurrenz müsse gewährleistet werden, indem die Marktwirtschaft an ihrer Selbstaufhebung gehindert wird – indem also der Staat gegen Kartelle vorgeht und keine Subventionen oder Verordnungen verabschiedet, die von einzelnen Interessengruppen verlangt worden sind und zu schweren Wettbewerbsverzerrungen führen würden. Es bleibt nicht bei der Forderung, den Wettbewerb zu verteidigen, um eine breite Schicht von Selbstständigen zu erhalten, die vor den Unbilden der Massenkultur und des Konsummaterialismus gefeit sind. Röpke erkennt hier sogar die Gefährlichkeit des Konkurrenzprinzips für den sozialen Zusammenhalt an. Konsequenterweise weist er deshalb darauf hin, dass die freie Marktwirtschaft eine »um so stärkere Integration außerhalb der Wirtschaft benötigt«, die nicht nur der starke Staat vorantreiben kann; benötigt werde auch »eine unzersetzte Gemeinschaft kooperationsbereiter, natürlich verwurzelter und sozial eingebetteter Menschen« (ebd.: 286). Dadurch ist das Paradox beseitigt. Der Wettbewerb im staatlichen Rahmen bringt für Röpke doch nicht aus sich heraus eine Kultur und Moral hervor, die dem Zug zur Masse und zur egoistischen Verantwortungslosigkeit widersteht, es müssen vielmehr Voraussetzungen gegeben sein, die nicht vom Marktgeschehen erbracht werden können, um die positiven, freiheitlichen Wirkungen der Marktkonkurrenz in einer sinnvoll geordneten Gesellschaft zutage zu fördern. Die Frage bleibt danach aber weiterhin bestehen, ob die zur unabdingbaren Voraussetzung erhobene soziale Verwurzelung und Einbettung nicht genau durch die ökonomisch freigesetzte Konkurrenz aufgelöst und untergraben wird. Am Ende steht darum nur eines fest: Auch von den wichtigsten deutschen Theoretikern der freien Marktwirtschaft wird man kein

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positives Wort zur Kommerzialisierung der Kultur und zum Konsummaterialismus hören.

SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT Es braucht keine großen Worte – und erst recht keine langen Ausführungen –, um festzustellen, dass die weitreichenden Hoffnungen der deutschen Neo/Ordoliberalen auf ein Zusammenspiel von freier Marktwirtschaft und »geistiger« Ordnung sich ganz und gar nicht erfüllt haben. Zwar konnte die staatlich eingehegte Konkurrenzwirtschaft gegen sozialistische Konzeptionen in Westdeutschland durchgesetzt werden, eine Abkehr von allseits kommerzialisierten Verhältnissen, Konsumismus und Materialismus ist damit aber tatsächlich keineswegs verbunden gewesen. Man könnte freilich auf die Idee verfallen, bei den Hoffnungen auf eine ordoliberale Beseitigung der Massenkultur habe es sich nur um professorales Beiwerk gehandelt, das für die politischen und exekutiven Kräfte, die sich für eine marktwirtschaftliche Ordnung nach dem Krieg erfolgreich eingesetzt haben, ohne Bedeutung gewesen ist. Anhalt gewinnt diese Annahme auf den ersten Blick etwa durch die deutlichen Ausführungen eines hohen Beamten im Bundeswirtschaftsministerium zum zentralen Stellenwert des Konsumenten im marktwirtschaftlichen System. Entscheidend für die Marktwirtschaft sei »die strenge Hinordnung aller Wirtschaftsvorgänge auf den Konsum, der über seine in Preisen ausgedrückten Wertschätzungen der Produktionsbewegung die bestimmenden Signale erteilt.« Nimmt man noch hinzu, dass diese Einschätzungen unter der großen Überschrift der »sozialen Marktwirtschaft« verkündet werden, verfestigt sich die Annahme noch, bei den ›Männern der Praxis‹ begegne einem die tiefe Abneigung gegen die tatsächliche Ausprägung des Massenkonsums nicht mehr. Der Eindruck täuscht jedoch. Die zitierten Sätze stammen nämlich von Professor Alfred Müller-Armack (1948a: 71); er ist es, der unter Wirtschaftsminister Ludwig Erhard lange als Leiter der Grundsatzabteilung und von 1958 bis 1963 als Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten amtiert. Entsprechend fällt die »soziale Marktwirtschaft« nach ordoliberalem Bilde aus. Wird auf der einen Seite der Konsument in den Mittelpunkt gestellt, um die Vorzüge eines freien,

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privatwirtschaftlichen Wirtschaftens im staatlichen Ordnungsrahmen liberaler Ökonomie herauszustellen, rücken auf der anderen Seite seine Vorlieben und Kaufentscheidungen sofort wieder ins Zwielicht, wenn es nicht darum geht, die freiheitliche Markt- von der autoritären, gelenkten Planwirtschaft glanzvoll abzusetzen. Die ausdrücklich begrüßte »Autonomie« des Konsumenten – Müller-Armack verteidigt sogar den modebewussten Käufer gegen planwirtschaftliche Uniformität – spielt nur eine Rolle, solange es um ein allgemeines politisch-ökonomisches Freiheitspostulat und um das Lob größerer Effizienz, die aus der Leistungskonkurrenz um Kundenzufriedenheit und um mehr Lohn (für Konsumausgaben) entspringt, geht (ebd.: 20, 22, 73). Auf der anderen Seite der Medaille steht dann aber die gewohnte Klage über den Niedergang geistiger Freiheit und Unabhängigkeit. Ja, das Bild der zwei Seiten einer Medaille kann gar nicht richtig angewandt werden, weil der Zusammenhang von Konsumentenautonomie, individueller Leistungskonkurrenz, privater, an Rendite ausgerichteter Produktionsentscheidung und dem beklagten Kulturzerfall auch unter dem Titel der »sozialen Marktwirtschaft« niemals direkt ausgesprochen oder durchdacht wird. Höchstens ist davon die Rede, dass »geistige Freiheit« nicht bereits »durch die Marktwirtschaft als solche gesichert« werde. Nähere Auskünfte, ob – und wenn ja: wie – die Marktwirtschaft die geistige Freiheit im Sinne der Ordoliberalen gefährdet, bekommt man jedoch nicht. Unter dem Zeichen der »sozialen Marktwirtschaft« Müller-Armacks bleibt es bei der Auskunft, dass man neben der staatlich geschützten Konkurrenzwirtschaft eine »harmonische Sozialordnung« brauche, um kulturelle und andere »Werte« und Ziele zu erreichen (ebd.: 105). Dass zu den unbedingt angestrebten Zielen die Abkehr von der Massenkultur zählt, versteht sich von selbst – dieses Ziel wird auch stets klar und deutlich ausgesprochen. Im Zuge dessen gerät auch der technische Fortschritt und der gehobene materielle Wohlstand unter scharfe Kritik – als hätte es dessen ausdrückliche Bejahung nie gegeben. Der Widerspruch ist leicht erklärt, der Argumentationszusammenhang ist eben ein anderer: Dient das Lob der freien Konsumwahl und großen Güterausstattung der Verteidigung der Markt- gegenüber jeder Form der Lenkungswirtschaft, ist es angesichts der kulturellen Lage bloß noch wenig wert. Dieser Widerspruch bleibt zumeist einfach bestehen, weil nur selten ein Bezug zwischen beiden Argumentationslinien hergestellt wird.

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So greift auch Müller-Armack an anderer Stelle, als es ihm nicht um wirtschaftpolitische Fragen geht, mit großer Entschiedenheit jene Konzentration auf materiellen Wohlstand und technologische Neuerung an, die er zum Lob der freien Marktwirtschaft selbst betreibt. Als Kritiker der verweltlichten modernen Kultur sieht Müller-Armack die Kritik am »Ganzen des wirtschaftlichen Fortschritts, am Ganzen der technischen Kultur« keineswegs als eine übertriebene Warnung »asketischer Eiferer« an. Er selbst hegt keinerlei Hoffnung mehr, »durch ein Mehr an staatlicher Macht, eine Steigerung technischen Könnens und die Erhöhung des wirtschaftlichen Wohlstands das Leben in ein Gleichgewicht zu bringen, ja auch nur das heraufkommende Chaos bannen zu können« (1949: 167f.). Darum plädiert er für die Gestaltung einer »sozialen Ordnung« im Sinne eines »Sozialhumanismus«, der allen Formen der Massenkultur feindlich gegenübersteht. Eine »Sozialpolitik«, die sich von allen »Lenkungsidolen« befreit habe, müsse »das Ziel des Sozialen wieder menschlicher, konkreter, gebundener, familiärer, überschaubarer, naturverbundener und vielfältiger definieren«, fordert Müller-Armack für eine wohlverstandene soziale Marktwirtschaft (ebd.: 277, 279). Für die freie Marktwirtschaft nach ordoliberalem Muster ändert der Aufruf zur sozialen Marktwirtschaft jedoch nichts. Zwar wird nicht nur die Planwirtschaft, sondern auch der »radikale Liberalismus« als Gegner solch eines »Sozialhumanismus« ausgemacht, dem staatsfeindlich eingestellten Altliberalismus sind die Ordoliberalen aber ja auch im Bereich der Ökonomie selbst abgeneigt. Deshalb läuft die Argumentation wieder bloß auf die Auskunft hinaus, dass der »Sozialhumanismus« durch eine staatlich garantierte freie markwirtschaftliche Ordnung gestiftet werde (ebd.: 277). Der mögliche, wenn nicht sogar wahrscheinliche Widerspruch zwischen genau dieser freien Marktwirtschaft und einer geistigen Kultur im ordoliberalen Sinne kommt dadurch wiederum nicht zum Ausdruck (oder Ausbruch). Es bleibt dabei – auch unter dem Zeichen der sozialen Marktwirtschaft –: Die scharfe Kritik an der Massenkultur und dem Vorrang technisch-materiellen Fortschritts wird begleitet von einem entschiedenen Plädoyer für die unverfälscht freie Marktwirtschaft und Konsumentendemokratie.

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LUDWIG ERHARDS »W OHLSTAND FÜR ALLE« Wenn selbst nach den Konzeptionen der Befürworter einer sozialen Marktwirtschaft freie Konkurrenzwirtschaft und Konsummaterialismus keinesfalls zusammengehen (dürfen), dann braucht man die Suche nach Verteidigern der Massenkultur unter Professoren und Bildungsbürgern der deutschen Nachkriegszeit nicht weiter fortführen. Offen bleibt danach aber noch, ob sich nicht doch bei den politischen Kräften und Akteuren andere Stimmen und Einschätzungen vernehmen lassen. Schließlich ist Müller-Armack – um bei dem prägnanten Beispiel eines direkt mit administrativer Macht ausgestatteten Neo/Ordoliberalen zu bleiben – nur der erste Beamte im Wirtschaftsministerium, dem Minister Ludwig Erhard unterstellt, der wiederum seinen Rang dem Wahlerfolg seiner Partei, der CDU, verdankt. Die Annahme, dass Erhard, als führender Propagandist und Architekt der sozialen Marktwirtschaft, sich im Sinne einer großen Partei des ›Volkes‹ oder gar der ›Massen‹ stärker der Kulturkritik enthält, liegt auf der Hand. Erhards Parole vom »Wohlstand für alle« lässt sogar auf die Versöhnung der Prinzipien konservativer Marktwirtschaftler mit einer bequem materialistischen Grundeinstellung schließen. Eine ganze Reihe von Rede- und Aufsatzpassagen Erhards enttäuscht diese Erwartung nicht. Die »Forderung nach Hebung des Lebensstandards der breiten Massen« habe er von Beginn an erhoben, hält Erhard z.B. 1953 rückblickend in einem Artikel fest, in dem er zusätzlich feststellt, er gehöre auch gegenwärtig bestimmt nicht zu jenen Feuilletonisten und Politikern, die »den deutschen Arbeitern einen ›übertriebenen Luxus‹ vorwerfen« – um schließlich anzufügen, dass er bereits seit 1948 eine Wirtschaftspolitik betrieben habe, die den Verbraucher in den Mittelpunkt stellt »und ihn durch die Sicherung der freien Konsumwahl erst wieder zum Bewußtsein seiner selbst, seiner Würde und seiner Macht brachte« ([1953] 1962a: 222). Die letzte Formulierung zeigt aber bereits wieder, dass Erhards Verteidigung des befreiten Konsums ganz im Rahmen der vertrauten deutschen neo/ordoliberalen Konzeption bleibt. Die freie Konsumentscheidung wird gerechtfertigt, weil sie ein wichtiger Bestandteil der ungelenkten Marktwirtschaft ist, die Erhard vollkommen nach dem Bilde Euckens, Müller-Armacks etc. entwirft. Absage an jede Form von Planwirtschaft, Forderung nach freier Preis- und Lohnbildung, nach Leistungskonkurrenz, staatlicher Garantie fairen Wettbewerbs,

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Verhinderung von Monopolen und Kartellen sind die bekannten Punkte, die zu den Ecksteinen der Bundestagsreden, Parteiauftritte, Artikel, ministerialen Bekanntmachungen Erhards zählen (1962; 1972) und seit 1948 ebenfalls zum Parteiprogramm der CDU ([1949] 1969: 191ff.). »Soziale Marktwirtschaft« – als Losung der Regierungspartei CDU – bedeutet darum im Kern die Gestaltung einer Wirtschaftsordnung, in der privates Unternehmertum dank des wirtschaftspolitisch gewährleisteten freien Wettbewerbs »einen besseren Erfolg als andere Wirtschaftssysteme erwarten« lässt (Erhard [1950] 1962b: 149). Mit dem deutlichen Anstieg der Industrieproduktion, des Bruttosozialprodukts und anderer ökonomischer Kennziffern wird aus der Erwartung Gewissheit – und zugleich die Maxime, dass der Zuwachs an gesellschaftlichem Reichtum zur allgemeinen Überwindung der Armut genutzt werden kann und soll. Hier findet Erhard klare Worte. Er glaubt oder hofft sogar, dass die »Wohlstandsvergrößerung« die Grundlage schaffe, »den Menschen einer primitiven, nur materialistischen Denkweise zu entreißen«; vor allem ist er aber überzeugt, dass es der »letzte Zweck jeder Wirtschaft« sei, »die Menschen aus materieller Not und Enge zu befreien«. Verlogen findet er es, wenn aus den »reicheren Schichten unseres Volkes«, die selbst längst über Rundfunkempfänger, Kühlschrank, Staubsauger etc. im eigenen Haushalt verfügen, immer wieder die Sorge laut wird, das gestiegene Einkommen der Lohnempfänger und ihr wachsender Konsum zeuge von einer »materialistischen Gesinnung«, die zur Verflachung der Kultur führe (1957: 233f., 237). Was sich vielleicht selbstverständlich anhört, ist innerhalb der CDU freilich erklärungsbedürftig gewesen, wie man Erhards Ausführungen eindrucksvoll entnehmen kann: »Es ist unser Verdienst«, hält er auf dem Hamburger Bundesparteitag im Frühjahr 1957 fest, »daß wir mit einer allzu konservativen, ja reaktionären Vorstellung gebrochen haben, als ob es ein gesellschaftswirtschaftliches Gesetz oder gar gottgewollt wäre, daß einer kleinen Schicht Wohlhabender eine große Masse von Minderbemittelten entgegenstehen müßte. Unter diesem Zeichen hätte sich keine moderne, leistungsstarke und wettbewerbsfähige Volkswirtschaft aufbauen lassen«, so beschließt Erhard diese gegen den hergebrachten Konservativismus gerichteten Ausführungen, deren letzter Satz allerdings deutlich macht, dass die mögliche Überwindung der Armut doch nicht nur ein Ziel an sich ist, sondern als notwendiger Anreiz und Treibkraft der Wettbewerbsordnung dient.

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Die Forderung und Leitlinie »Wohlstand für alle« versteht sich auch deshalb nicht von selbst, weil sie auch zur Seite des Konsums hin ein Mittel zur Befestigung und Entwicklung des zeitgenössischen marktwirtschaftlichen Systems ist, das ein hohes Maß an Konsumentennachfrage benötigt. Erhard bringt das unbefangen zum Ausdruck, indem er »Wohlstand für alle« und »Massenkaufkraft« synonym setzt ([1957] 1962c: 339). In seiner für das breite Publikum aufbereiteten Abhandlung, die gleich im Buchtitel Wohlstand für alle verheißt, appelliert Erhard geradezu an den »Willen zum Verbrauch«; auch hier fungiert der heraufbeschworene Wille als Mittel zum Zweck: Eine Wirtschaft auf Wachstumskurs setze eine »konsumfreudige Bevölkerung« voraus, lautet die entsprechende Formel Erhards (1957: 233). Weil Erhard – und mit ihm die CDU und die Bundesregierung unter Adenauer – diese Gleichsetzung anstellt und als Ziel auslobt, kann der tatsächlich gestiegene Konsum von Produkten, die Jahre zuvor noch als Luxusgüter galten, wirtschaftspolitisch auf ganzer Linie als Erfolg verbucht werden. »Wer die These ›Wohlstand für alle‹ bejaht, muß Marktwirtschaft wollen«, lautet dann die noch weiterführende Behauptung, die gegen alle anderen Wirtschaftsordnungen, besonders aber natürlich gegen die sozialistische Planwirtschaft gerichtet ist ([1957] 1962c: 340). Die Steigerung der »Massenkaufkraft«, die verbreitete Möglichkeit, Kühlschränke, Rasierapparate etc. zu erwerben, fungiert damit als vorzügliches Kriterium, den Vorrang der freien und dadurch automatisch schnell auch sozialen Marktwirtschaft zu beweisen. Dennoch kommt dem Wohlstands-Ziel darum keineswegs insgesamt ein hoher, unumstrittener Rang zu. Wie bei den deutschen neo/ordoliberalen Theoretikern ist die allgemein gehobene Konsumentensouveränität auch bei Erhard nur ein vorzügliches Vermögen, solange es um die Abgrenzung und Verteidigung der Markt- gegenüber der Lenkungswirtschaft geht. Außerhalb dieses Argumentationsgangs rückt sie sofort ins Zwielicht. Zuerst weist Erhard darauf hin, dass die CDU wahrlich nicht der »Schuld materialistischer Gesinnung« zu zeihen sei, wenn ihre Politik den Versuch unternehme, die Not der Nachkriegszeit zu beheben. Er plädiert sogar dafür, angesichts der vorherigen Not für ein momentanes »Überschäumen« an sich befremdlicher Konsumlüste Verständnis aufzubringen. Dabei bleibt es aber natürlich nicht, man erkennt es schon an den Formulierungen. Dass eine materialistische Gesinnung etwas Schuldhaftes ist, bestreitet Erhard prinzi-

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piell ja nicht, er setzt nur den Grad, mit dem Schuld beginnt, höher an (ebd.: 337, 339). Erhard stellt zwar in Abrede, dass die im Deutschland der Nachkriegszeit stattfindende Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards bereits das sichere Zeichen eines »seelenlosen Materialismus« sei; nicht in Frage stellt er aber offenkundig den absoluten Unwert solch einer materialistischen Einstellung (1957: 236). Deshalb darf es niemanden überraschen, wenn die Einschränkung auf dem Fuße folgt. Die im Buch Wohlstand für alle vorgebrachte Ansicht, ab einer gewissen Intensität »verstärkten Konsums« würde es sicher schon zu einer »stärkeren Besinnung« auf »geistige, seelische, kulturelle« Güter kommen und die materiellen Werte weniger wichtig erscheinen (1957: 238), stellt nicht das letzte Wort dar. An die Delegierten der CDU gewandt, heißt es in der Hamburger »Wohlstands«Rede Erhards dann: »›Wohlstand für alle‹, so ergänzen wir jetzt, kann und möchte nicht besagen, daß ein Volk in sattem Wohlbehagen Genüge finden dürfte«. Könnte man an der Stelle noch auf die Idee kommen, dass dem Zustand befriedigten Wohlstands bloß eine Absage erteilt wird, um der Gefahr nachlassender Leistung und damit raschen zukünftigen Wohlstandsverlustes vorzubeugen, lässt der nächste Satz keine Interpretationsmöglichkeit mehr offen. Dem Wohlstand als erfülltes Ziel wird nicht nur wegen möglicher misslicher Folgen, die eine Verlängerung des Wohlstands selbst betreffen, abgesagt. Jetzt ist das Argument prinzipiell: die große Gefahr besteht für Erhard darin, dass das Volk »in der Hinlenkung seiner Sehnsucht und seiner Süchte auf Dinge der nur äußerlichen Lebensführung der Wurzeln seines menschlichen und nationalen Seins verlustig geht« ([1957] 1962c: 339). Der konservativen Kulturkritik ist dadurch wieder eine breite Angriffsfläche geboten, wenn auch Erhard zuvor immerhin nach amerikanischem Vorbild die breite Ausstattung der Haushalte mit Radios, Kühlschränken usf. vom Vorwurf niedriger materialistischer Gesinnung ausdrücklich ausgenommen hat.

POLITIK, KONSUM UND SOZIALSTAAT Erhards Urteil, dass zwischen wachsendem Wohlstand und verderblichem Materialismus keine unmittelbare Verbindung bestehe, seine Aufforderung, den »Prozeß der Vermehrung und Verbreitung des Wohlstands mit Geduld und Zuversicht abrollen zu lassen«, ist schon

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das Weitgehendste, was man innerhalb der Wirtschaftspolitik an konsumfreundlichen Stimmen hören kann – bleibt es doch auch bei Erhard unbestritten, dass man eine materialistische Grundeinstellung überwinden müsse (1957: 236, 239, 241). Dennoch ist das in der politisch-publizistischen Arena bereits bemerkenswert. Nicht nur in der Wirtschaftspolitik, auch in der politischen Debatte allgemein sucht Erhards wenig kulturkritische Haltung ihresgleichen; immerhin bleibt Erhards Lob anzustrebender geistiger, seelischer, kultureller Werte recht blass, immerhin steht der »güterwirtschaftliche Genuß« bei ihm keinesfalls von vornherein in Frage (ebd.: 238, 241), wenn er auch in den 60er Jahren in erster Linie allgemeine Maßhalteappelle an das breite (Fernseh-)Publikum richten wird. Ein größeres Maß an materialistischer Einstellung wird man bei anderen politischen Akteuren trotzdem nicht antreffen. Selbst entschiedene Befürworter der Westbindung setzen in ihrer amerikafreundlichen Position nicht zu einer Verteidigung von Kommerzialismus und Konsummaterialismus an. Bejaht werden kann der Wohlstand immer nur, wenn er erstens abstrakt bleibt – wenn man allgemein von der Erhöhung des Lebensstandards spricht und nicht zugleich auf bestimmte erfolgreiche Möbeldesigns, Illustrierte, Taschenbücher, Kleidungsmoden verweist – und wenn der Verweis auf ihn zweitens der Abgrenzung von den ärmlichen sozialistischen Ökonomien dient. Kaum denkbar ist es hingegen, Konsumobjekte als Kulturgut oder gar als Kunstgegenstand auszugeben oder materialistische Einstellungen politisch zu propagieren. Auch jene gemäßigte materialistische Haltung vieler Bundesbürger der 50er Jahre, die keineswegs mit einem enthemmten Hedonismus oder einer Abkehr von kulturellen Werten übereinkommt, kann allenfalls im Vergleich mit noch wesentlich abträglicheren Einstellungen verteidigt werden. Im Kontrast zu den nationalsozialistischen Aufschwüngen völkisch-rassistischen Ethos und kriegerischer Begeisterung kann die Konzentration auf den relativen Wohlstand, auf Besitzstandswahrung und -mehrung einigermaßen beruhigend wirken, wie Fritz René Allemann Mitte der 50er Jahre in seinem Artikel im Monat unter dem berühmt gewordenen Titel »Bonn ist nicht Weimar« ausführt. Allemann spricht von der nachrevolutionären Mentalität eines (westdeutschen) Volkes, das »nicht mehr an Visionen und nicht mehr an ›Größe‹ glaubt, sondern nur noch ans Nächstliegende und Greifbare« (1955: 336).

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Typischerweise tritt Allemann aber nicht an, um diese Mentalität zu feiern. Das Misstrauen gegen »nationale Schlagworte wie gegen soziale Erneuerungsgedanken«, weist für Allemann auf »eine (menschlich keineswegs immer und überall sonderlich anziehende) Neigung zur nüchternen Kalkulation, die ihren tiefsten Grund im Bedürfnis hat, neuen Erschütterungen aus dem Weg zu gehen« (ebd.). Die Mittelmäßigkeit und Kulturlosigkeit, die mit der Nüchtern- und Bescheidenheit verbunden ist, hält Allemann offensichtlich davon ab, den neuen Abstand der Westdeutschen von außergewöhnlichen, umwälzenden Ideen und Plänen aus ganzem Herzen zu begrüßen. Dies liegt nicht allein an der seit dem 19. Jahrhundert vertrauten Abneigung des Intellektuellen und Künstlers gegenüber dem bürgerlichen Nützlichkeitsdenken. Es liegt auch daran, dass die deutsche Mäßigung nach dem (selbst-)zerstörerischen Kriege nicht nur den Abstand zu erneuten großdeutschen Feldzügen und zur nationalsozialistischen Ausrottungspolitik, sondern ebenfalls zu linkshumanistischen Reformen und Utopien anzeigt. Allemann nennt als einen Preis, den man für die Prosperität zu zahlen habe, den »Preis der sozialen ›Restauration‹«, anders gesagt, den »Verzicht auf jene grundlegende Neuordnung der gesellschaftlichen Beziehungen, von der man bis weit in die Kreise des Bürgertums hinein in den Hungerjahren träumte …« Wie die Pünktchen schon andeuten, scheint der Traum in den ›satten Jahren‹ bloß noch eine vergangene Illusion zu sein. »Der deutsche Wähler hat bisher die Erfolge höher gewertet als den Preis«, fasst Allemann die Erfolge der CDU zusammen; der Bürger habe die Restauration der Verhältnisse gerne in Kauf genommen, »weil er eben heute überwiegend ›konservativ‹ reagiert, weil ihm der Spatz in der Hand (besonders wenn er ein so fetter Sperling ist) in seiner gegenwärtigen Stimmung mehr sagt als die Taube auf dem Dache, weil er ›realistisch‹ empfindet und von Ideen weniger hält als von Vollbringungen« (ebd.). An Allemanns Ausdrucksweise – Traum der Neuordnung, Restauration in Anführungsstriche gesetzt – kann man bereits erkennen, dass er die ›satte‹ Verabschiedung solcher Hoffnungen auf eine veränderte Gesellschaft nicht zutiefst bedauert. Anders sieht das bei nicht wenigen Schriftstellern und Intellektuellen aus. Sie kritisieren nicht allein den behaglichen Materialismus der 50er Jahre und das bürgerliche, dem Geist ferne Nützlichkeitsdenken, sondern auch und gerade den Verlust weiterführender sozialer und politischer Überlegungen und Konsequenzen. Die »Bemühungen um Geldverdienen und materielle

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Genüsse« gingen mit einem »emotionalen und geistigen Vakuum« sowie mit einer geringen politischen Aufmerksamkeit einher, lautet der Vorwurf (Wallich 1955: 19). Die Zufriedenheit vieler Westdeutscher mit den vergleichsweise ruhigen Jahren zunehmenden Wohlstands ist für ihre Kritiker viel zu teuer erkauft mit der dadurch verdrängten Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und dem Abschied von allen Absichten weitreichender sozialer Reformen. Heinrich Böll, der bekannteste jener linkshumanistischen Kritiker, fällt am Ende des Jahrzehnts ein vernichtendes Urteil über die 50er Jahre. Auf die Frage eines ausländischen Gastes, was die Westdeutschen von den Menschen des Jahres 1933 unterscheide, kennt Böll nur eine Antwort: »Natürlich nichts«. Er fügt dann noch die »winzige Korrektur« hinzu: »›Es geht ihnen wirtschaftlich besser als denen damals.‹« Um eine Korrektur im positiven Sinne handelt es sich bei der Anmerkung jedoch auch nicht. Dass die Bundesdeutschen ein »Volk von Verbrauchern« sind, ist keine banale Feststellung, sondern bedeutet für Böll eine verächtliche Formel. Böll meint sogar zu wissen, dass der wachsende Konsum diesem Volk nicht einmal zu einem Gefühl der Freude verhelfe (welches er selbst ohnehin nicht verspürt). Die Deutschen seien nicht einmal fähig, »ihren relativen Wohlstand wirklich zu genießen«, weil sie in ständiger Angst vor der »Drohung […] sinkenden Umsatzes« lebten ([1960] 2008: 78, 80, 85). Böll ist längst nicht der Einzige, der die Sorge und das Sicherheitsbedürfnis der Westdeutschen herausstellt und zugleich negativ vermerkt. In dem Punkt trifft er sich einmal mehr mit dem politischen Gegner, mit den Verfechtern des Neo/Ordoliberalismus. Ungeachtet aller sonstigen tiefgehenden politischen Unterschiede stiftet eine kulturkritische Zeitdiagnose erneut erstaunliche Gemeinsamkeiten. Eine Verbraucherhaltung, die stete Sorge um fehlende Absicherung halten auch die deutschen Neoliberalen für misslich. Anders als Böll heben sie allerdings als besondere Gefahr auf dem Gebiet die Forderungen nach einer Art gesellschaftlicher Garantie des angehobenen Lebensstandards bzw. nach staatlichen Versicherungen hervor. Im Sinne der fortgeführten Klage über die »weitere Verschlimmerung der Kulturkrankheit, der Dehumanisierung, der Vermassung, der Entpersönlichung« (Röpke [1960] 1962a: 322) sehen sie den Kern der Menschenwürde – die »Selbstverantwortung« – in den 50er Jahren durch immer stärker gewährte Ansprüche auf Staatshilfe erheblich angegriffen (Röpke [1958] 1962b: 300).

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Mit dem Anspruch von Müller-Armack auf eine soziale Marktwirtschaft geht das ohne Schwierigkeiten zusammen, weil die soziale Prägung der Marktwirtschaft für die deutschen Neo/Ordoliberalen vor allem a) in jenem staatlich garantierten Wettbewerb besteht, der nach ihrer Auffassung zuverlässig den größten allgemeinen Wohlstand hervorbringt, und b) in einer Ordnung, die wesentlich auf selbstständigen Privateigentümern und mittelständischen Unternehmern beruht, um »Vermassung«, Passivität, Abhängigkeit zu vermeiden. Dadurch ist nicht jeder staatliche Eingriff, der über die rechtliche Verhinderung von Kartellen und Monopolen hinausgeht, ausgeschlossen. Müller-Armack benennt als erlaubte Mittel schon früh eine Besteuerung, die große Einkommen relativ stärker erfasst als kleine und deren Einnahmen etwa als Kinderbeihilfen den Beziehern niedrigerer Gehälter zugeführt werden sollen (1948: 109). Er spricht sich zudem für Maßnahmen einer »Konjunktur- und Beschäftigungspolitik« aus, sofern sie marktwirtschaftlich verträglich sind und nicht Züge der Lenkungswirtschaft tragen ([1947] 1974c: 84f.). In einem detaillierteren Artikel nennt er als weitere Aufgaben »künftiger sozialer Gestaltung« im Sinne der »Sozialen Marktwirtschaft« u.a. »die Schaffung einer sozialen Betriebsordnung, die den Arbeitnehmer als Mensch und Mitarbeiter wertet, ihm ein soziales Mitgestaltungsrecht einräumt, ohne dabei die betriebliche Initiative und Verantwortung des Unternehmers einzuengen«, die Förderung kleinerer und mittlerer Betriebe, den sozialen Wohnungsbau und nicht zuletzt den Ausbau der Sozialversicherung ([1948] 1974d: 99f.). Auch Wilhelm Röpke versperrt sich dem nicht: eine »vernünftige Konjunkturpolitik« (etwa durch Regulierung des Kreditvolumens), staatliche Anpassungs-, nicht Erhaltungsinterventionen zur Umwandlung unprofitabel gewordener Wirtschaftszweige, Mittelstandsförderung, Einkommens- und Erbschaftssteuern, die besonders hohe Einkommen und Vermögen treffen und dadurch eine Streuung des Eigentums bzw. einen damit verbundenen allseitigen Leistungswettbewerb fördern, hält er ebenfalls für angemessen (1942: 355, 296ff., 356f.). Schärfer als Müller-Armack warnt er auf der anderen Seite aber davor, das Sozialversicherungswesen über das Nötigste hinaus auszubauen. In grellen Farben malt er die Gefahren einer Sozialgesetzgebung aus, die erstens einen großen staatlichen Machtapparat der »Sozialbürokratie« schafft, zweitens den proletarischen Stand, zu dessen Hilfe sie aufgerufen ist, bloß zementiert, anstatt ihn aufzulösen, und

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drittens den freiheitlichen, produktiven Wettbewerb zerstört, wenn sie nicht nur für gleiche Startchancen, sondern für einen nachträglichen Ausgleich der ungleichen Belohnung ungleicher Leistungen sorgen will (ebd.: 353ff.). Mit einem Satz gesagt: Nur eine »wirklich freie« Marktwirtschaft darf für sich das »Prädikat ›sozial‹« beanspruchen (Röpke 1950: 68). Das sind zwar alles Dinge, die Müller-Armack und Erhard genauso sehen, wegen der unterschiedlichen Tonlage, mit der sie und Röpke ihre Ansichten zum Ausdruck bringen, kann man aber bereits erahnen, dass ihre jeweiligen Bilanzen, wie das Gesellschaftssystem der Bundesrepublik am Ende der 50er Jahre zu bewerten ist, voneinander abweichen werden. Verstärkt wird die Differenz natürlich noch durch den Umstand, dass Erhard und Müller-Armack die politisch-exekutive Verantwortung für den wirtschaftlichen und sozialen Wandel tragen, Röpke hingegen sein Urteil von der distanzierten Warte einer Schweizer Professur aus erteilt. Bei Müller-Armack (ebenso wie bei Erhard) fällt die Bilanz überwiegend positiv aus. Die Etablierung einer freiheitlichen Wettbewerbsordnung wird als geglückt angesehen, die Funktionstüchtigkeit des Wirtschaftsystems – gemessen am Wachstum der Produktion, der Steigerung der Beschäftigung und der Versorgung der Bevölkerung – hoch eingestuft (Müller-Armack [1959] 1974e; Erhard [1960] 1972a). Die Ähnlichkeit der Positionen Erhards und Müller-Armacks geht teilweise bis zur Wortgleichheit, was nicht nur an ihren übereinstimmenden Ansichten liegt, sondern einfach auch daran, dass MüllerArmack an den Reden und Grundsatzerklärungen Erhards mitschreibt. Öffentlich hebt Erhard dessen Anteil insofern hervor, als er MüllerArmack neben Röpke stellt und die Konzeptionen von beiden zu den Leitbildern erklärt, die zu der erfolgreichen »immer stärkeren und immer klareren Hinwendung zu marktwirtschaftlichen Methoden« erheblich beigetragen hätten (Erhard [1960] 1962d: 478). Zum Erfolg der sozialen Marktwirtschaft zählen Erhard und Müller-Armack ebenfalls die erheblich angestiegenen Konsumchancen. Mit Helmut Schelsky reden sie (ohne ihn zu nennen) von einer »›klassenlosen Gesellschaft‹« des Konsums, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich »bei den modernen Konsumgütern bis hin zum Auto, dem Fernsehapparat und allen Apparaturen zur Erleichterung der Hausarbeit, die familienpolitisch nur erwünscht sein kann, eine Verbreiterung der Verbrauchsmöglichkeiten vollzieht, durch die die Privilegierungen

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eines ständischen Konsums nivelliert wurden und noch weiter dahinschwinden werden« (ebd.: 479; ganz ähnlich Müller-Armack [1960] 1974f: 132). Erhard hält das für einen unbestreitbaren Verdienst seiner Wirtschaftspolitik und bejaht ungebrochen das Ziel, den Menschen eine erschwingliche »bunte Fülle von Waren bereitzustellen, die in freier Konsumwahl das individuelle Leben der Bürger bereichern und verschönern« ([1960] 1962d: 481f.). Für Müller-Armack rangiert Ende der 50er Jahre entsprechend das Argument, »die Soziale Marktwirtschaft liefere den Menschen, hier also das deutsche Volk, dem Materialismus aus«, nicht an erster Stelle. Ungeachtet moralischer, theologischer, kulturkritischer Einwände verpflichtet er die Wirtschaftspolitik auf die Aufgabe, »die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern« ([1959] 1974e: 125). Um dieses Ziel zu erreichen, hält Müller-Armack neben der prinzipiell entscheidenden ordoliberalen Sicherung des freien Wettbewerbs auch »konjunkturpolitische Programme« für zulässig – und sogar »sozialpolitische Interventionen«, selbst wenn sich die Höhe der Sozialausgaben, wie geschehen, auf 40 % des Bundeshaushalts beläuft (ebd.: 126, 123f.). Angesichts solcher Einlassungen überrascht es nicht, dass Müller-Armack sich unter dem Zeichen der »Sozialen Marktwirtschaft« von der »neoliberalen Nationalökonomie« distanziert: Während sich die »neoliberale Theorie« darauf konzentriere, »eine vom Altliberalismus abweichende Gestaltung der Wettbewerbsordnung im Sinne von Walter Eucken« zu propagieren, sei »das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft ein umfassender Stilgedanke, der nicht nur im Bereiche des Wettbewerbs, sondern im gesamten Raum des gesellschaftlichen Lebens, in der Wirtschaftspolitik wie im Staate Anwendung findet« (ebd.: 119f.). Wer nach dem Gesagten eine keynesianische Wende innerhalb der ordoliberalen Zunft erwartet, liegt jedoch falsch. Weder gibt MüllerArmack den Vorrang des Wettbewerbs preis – die »Soziale Marktwirtschaft« ruht auf dem Grundsatz, dass alle staatlichen Interventionen »marktkonform« sein müssen (ebd.: 123) – noch zielt sein ganzheitlicher Ansatz auf Güterausstattung und eine materielle Absicherung, die es dem Einzelnen erlaubt, auch in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs weiter zu konsumieren und als Käufer Produkte zu erwerben.

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Das Prinzip der umfassend ausgelegten »Sozialen Marktwirtschaft« besteht vielmehr darin, das Leben jenseits »materialistischer« Grenzen staatlich zu gestalten. Hier zeigt sich sofort doch wieder der Zwiespalt der deutschen neo/ordoliberalen Überzeugungen: In wirtschaftspolitischer Konkurrenz zu sozialistischen Lenkungssystemen feiert man Konsumentensouveränität und materiellen Wohlstand, obwohl man selbst andere, geistige, kulturelle Errungenschaften für wertvoller erachtet. Die »Soziale Markwirtschaft« Müller-Armacks und Erhards stellt nun den Versuch dar, die Probleme und Schieflagen, die von der ökonomischen Ordnung produziert werden, unter staatlicher Anleitung zu lösen und auszugleichen. Der Ausgangspunkt für ihre Konzeption ist der vertraute Befund der Massenkulturtheorien. In der Gesellschaft des nivellierten Konsums, in der die »Privilegierungen eines ständischen Konsums«, aber damit auch die Sicherheiten und Sinnbezüge fester, abgegrenzter Gemeinschaften getilgt sind, werde der Einzelne auf sich zurückgeworfen und deshalb von »Lebens- und Zukunftsangst« erfasst. Eine weitere Steigerung von Konsum und Wohlstand könne diese Ängste keineswegs besänftigen (Müller-Armack [1960] 1974f: 132), gilt doch bereits, dass die stete Hervorbringung neuer Produkte angesichts des vorherrschenden »materialistischen Hangs zu einer immer größeren Güterversorgung« zweifellos die »Begehrlichkeit und Unruhe bei den Menschen« erhöhe ([1959] 1974e: 125). Wegen dieser Annahmen lautet die Schlussfolgerung, dass die fortgesetzte Bemühung um eine wirtschaftliche Wettbewerbsordnung durch ein »gesellschaftspolitisches Programm« ergänzt werden müsse, damit eine »Soziale Marktwirtschaft« im »ganzheitlichen« Sinne entstehen könne (MüllerArmack [1960] 1974f: 132; ganz ähnlich Erhard [1960] 1962d: 479ff.). Als wichtige Punkte solch eines Programms umfassender sozialer Marktwirtschaft nennt Müller-Armack die »Schaffung von Selbständigkeit«, verstärkte Planung der »Raumordnung«, den Ausbau des Bildungssystems, des Gesundheitswesens und anderer öffentlicher Leistungen ([1960] 1974f: 135ff.). Ludwig Erhard übernimmt diese Vorschläge ins Parteiprogramm der CDU und verpflichtet die (Wirtschafts-)Politik der »Sozialen Marktwirtschaft«, den »Geboten einer christlichen Gesellschaftpolitik gerecht zu werden«, indem sie die »Gefahr der Atomisierung wie der Kollektivierung des Lebens« in der »Massengesellschaft« beachtet. Die »Sehnsucht des Menschen nach harmonischer Einordnung in überschaubare Bindungen« (im Einzelnen

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nennt Erhard Familie, Kirche, Vereine, gesellige Nachbarschaft) soll insofern berücksichtigt werden, als auch die Wirtschaftspolitik die Aufgabe erhält, zu einer »Vermenschlichung der Umwelt« beizutragen. Sie soll u.a. mithelfen, die »Versöhnung zwischen den zweckhaften Formen des Berufslebens in der Massengesellschaft und dem Verlangen nach Ruhe und Geborgenheit in geistig-seelischen Zuordnungen« zu stiften ([1960] 1962d: 480). Erhard hält das für möglich, weil er nicht der Ansicht ist, dass die von ihm unterstützten Zwecksetzungen der Wettbewerbswirtschaft – die an der Profitmaximierung ausgerichtete Konkurrenz untereinander und das geteilte Ziel, den Konsum zu erhöhen – seine Absicht von vornherein unmöglich machen. Deshalb kann er die Aufgabe auch unbefangen an die Menschen zurückgeben. »Wahrscheinlich bedarf es vielfach nur einer bewußten Rückbesinnung auf die im letzten doch nicht verlorengegangenen Bindungen des einzelnen an seine Umwelt«, um die (unterstellten) Sehnsüchte zu erfüllen, glaubt Erhard. Die mangelnde Zufriedenheit mit dem Erreichten, »Maßlosigkeit und Unbeherrschtheit« kann er darum tadeln, ohne sie als Wirkung und notwendige Konsequenz seiner eigenen Wirtschaftpolitik bzw. des marktwirtschaftlichen Systems anzuerkennen. Deshalb begnügt er sich damit, gegen solchen Materialismus dem Einzelnen eine Besinnung auf »die echten Werte des Lebens« aufzugeben (ebd.: 479). Der von Erhard zusammen mit Müller-Armack zum geistigen Ahnherrn der gegenwärtigen deutschen Wirtschaftsordnung ernannte Wilhelm Röpke sieht das grundsätzlich nicht anders. Eines seiner Bücher trägt sogar den Titel Jenseits von Angebot und Nachfrage, mit dem prägnant zum Ausdruck kommt, dass Röpke vor dem Irrtum warnen möchte, der Mensch lebe nur vom Brot allein bzw. – wie es mit Röpke nach der Neufassung des Evangeliums lauten müsste –: Der Mensch lebt nicht gut mit Radio, Reklame, »Vergnügungsreisen«, Motorrad und »neon-beleuchteter Tankstelle« (1958: 132, 115, 21, 112). Selbstverständlich stimmt Röpke mit Erhard und Müller-Armack ebenfalls darin überein, dass eine wohlverstandene Politik keine reine Politik im Sinne der staatlichen Garantie freier Marktwirtschaft sein kann und darf. Die Grenzen von Angebot und Nachfrage zeigen sich für ihn rasch, wenn die materielle Not überwunden ist. Eine Gesellschaft könne zugleich eine Marktwirtschaft und »gefährlich ungesunde gesellschaftliche Grundlagen und Verhältnisse haben«; Wirtschaftssubjekte, die miteinander auf dem Markt konkurrieren und dort ihren

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egoistischen Vorteil suchten, müssten »durch die sozialen und moralischen Bande der Gemeinschaft verbunden sein, anderenfalls auch der Wettbewerb aufs schwerste entartet« (ebd.: 131). Der Appell an wirtschaftliche Vernunft reiche nicht aus, um die Marktteilnehmer zu einem echten, fairen Wettbewerb zu bewegen, bilanziert Röpke, vielmehr brauche man »höhere, ethische Werte« wie »Gerechtigkeit, Verantwortung für das Ganze, Wohlwollen und Sympathie«, von denen sich auch die Wirtschaftssubjekte leiten ließen. Die »geistig-moralische und gesellschaftliche Integration« bilde stets die notwendige Voraussetzung der wirtschaftlichen. Man benötige sie, um die »sozial desintegrierende Wirkung des Wettbewerbs« auszugleichen. Das Geschäftsleben beruht folglich auf moralischen Einstellungen, die außerhalb seiner selbst liegen. Mit aller gebotenen Deutlichkeit hält Röpke fest: »Markt, Wettbewerb und das Spiel von Angebot und Nachfrage erzeugen jene sittlichen Reserven nicht. Sie setzen sie voraus und verbrauchen sie.« Als »liberalen Anarchismus« stempelt Röpke darum jene Anschauungen ab, die »Markt, Wettbewerb und wirtschaftliche Vernunft für ausreichende Antworten auf die Frage der sittlichen Grundlagen unseres Wirtschaftssystems« halten. Die Einordnung als Liberaler, aber auch als »›Neoliberaler‹« hat Röpke nach eigener Auskunft darum nie recht gefallen können, weil es ihm um mehr als marktwirtschaftliche Zusammenhänge geht (ebd.: 169, 173, 167, 132). Zu diesem größeren Zusammenhang eines »gesunden Gesellschaftssystems« gehört für ihn nicht zuletzt, dass der »Materialismus« eine nachrangige Stellung einnimmt. Umgekehrt erkennt er an dem – wie er meint – Mitte der 50er Jahre vorherrschenden »Kult der Produktivität, der materiellen Expansion und des Lebensstandards« folgerichtig die tiefe Malaise der gegenwärtigen Gesellschaft (ebd.: 151). Röpke ist tief betroffen angesichts der sich seiner Ansicht nach ausbreitenden »irreligiösen Säkularisierung der Kultur«, er scheut sich hier nicht von einer »Krankheit der Kultur« zu sprechen, die er im Verlust der »echten und stillen Volkskultur mit ihrem eingewurzelten Brauchtum« ebenso erkennt wie in der »sexuellen Besessenheit« und den »infantilen illustrierten Zeitschriften« (ebd.: 21, 112, 81). Grundsätzlich sind »Utilitarismus, Technizismus und Materialismus« für ihn auf äußerst schlechte Weise verknüpft mit der immer stärker um sich greifenden Abneigung gegen die überlegene Bildung und mit jener »geistigmoralischen Entpersonalisierung«, die er als Grundbestandteile des

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»Massenkonsums«, der »Massengesellschaft« und »Massenkultur« ansieht. Durch sie wähnt er nicht nur die klassische Kultur, sondern auch die Tier- und Pflanzenwelt tödlich bedroht. »Wir vergewaltigen auf Schritt und Tritt die Natur«, ruft Röpke mit Blick auf Flüsse, die zu Abwässerkanälen, und Gebirgslandschaften, die zu Talsperren werden, aus; den technischen Rationalismus der künstlichen, modernen »Beton-, Benzin- und Reklamewelt« betrachtet er nicht nur als Grund des seelischen, sondern auch des möglichen biologischen Untergangs (ebd.: 77, 81, 110). Den »Massenwohlstand«, den Röpke als Resultat der freien Marktwirtschaft immer feiert, wenn es um die Zurückweisung des Sozialismus geht, verdammt er aus all den genannten Gründen deshalb augenblicklich als »Kult des Lebensstandards«, wenn er die von ihm verachtete materialistische Einstellung ins Auge fasst und zum Lobpreis der gebildeten Kultur sowie der bürgerlichen Freiheiten ansetzt. Zwischentöne gibt es bei ihm kaum oder gar nicht. Das Streben nach »materiellem Glück« erscheint ihm rasch als eine »Flucht in den nackten, unmittelbaren und ungezügelten Genuß«, die bloß die »Leere« schafft, die sie zu überwinden sucht. Eine hinreichende Versorgung der Bevölkerung mit Gütern ist für ihn längst erreicht, zumal der materielle Wohlstand seinem Urteil nach bereits nicht nur die seelischmoralische Verarmung bedingt; das Wachstum der Bevölkerung mache zudem eine Aufrechterhaltung des Lebensstandards auf dem gegenwärtigen Niveau ökonomisch wie ökologisch ohnehin unmöglich. Gekontert wird die materialistische Einstellung von ihm darum durch die harsche Feier des Kampfes um freiheitliche Werte, der »Härte« und »Opferbereitschaft« voraussetze und nicht Bequemlichkeit oder »Abstumpfung« und »Blasiertheit« (ebd.: 36, 66ff., 142f., 151f.). An dem Punkt setzt Röpke mit seiner Kritik demnach wesentlich schärfer an als Erhard und Müller-Armack zur gleichen Zeit Ende der 50er Jahre. Mit ihnen trifft er sich jedoch sofort wieder darin, dass er erstens für eine ordoliberale Politik plädiert, die eine »Gesamtordnung« garantiert, in der mehr als das Spiel von Angebot und Nachfrage, freie Preisbildung und privatwirtschaftlicher Wettbewerb garantiert ist – und zweitens unbeirrt die Marktwirtschaft selbst davon freispricht, die entscheidende Ursache für die unterstellten gesellschaftlichen, moralischen und ökologischen Verwerfungen zu sein (ebd.: 131).

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Die Marktwirtschaft beruht nach Röpkes Urteil zwar auf moralischen Einstellungen – Gerechtigkeitssinn, Verantwortungsgefühl für das Ganze –, die sie selbst nicht hervorbringt, andere wesentliche, positive Haltungen seien mit ihr aber sehr wohl verbunden. Das bürgerliche Institut des Privateigentums fördere immerhin die »Unabhängigkeit und den Verantwortungssinn des einzelnen«, der undirigierte Wettbewerb sei die vorzügliche Bedingung und der starke Motor für »Mannigfaltigkeit«, »Selbstverantwortung« und elementare individuelle Freiheiten. Viele Abweichungen vom Prinzip der ungesteuerten privatwirtschaftlichen Konkurrenz stellen darum nach seiner Einschätzung eine ernste Bedrohung und rasch auch Verletzung oder gar Zerstörung dieser Freiheit dar (ebd.: 170, 114). Gerade weil Röpke die freie Marktwirtschaft wenn nicht mit allen, so doch mit einer ganzen Reihe bedeutender Werte und Wirkungen im Zusammenhang sieht, fällt sein Urteil über die Bundesrepublik Deutschland keineswegs einhellig positiv aus. Zwar feiert er natürlich im Sinne der Systemkonkurrenz mit den östlichen Planwirtschaften die »entschlossene Rückkehr der Marktwirtschaft« in Westdeutschland unter der Anleitung von Ludwig Erhard und seinen ordoliberalen Begleitern; er hält sich auch nicht zurück mit Lobeshymnen über den seiner Ansicht nach ungeheuer eindrucksvollen Erfolg dieser Wirtschaftspolitik, die vor dem Hintergrund der Verwüstungen des Krieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft besonders bemerkenswert sei (ebd.: 38f.). Ende der 50er Jahre sieht er den Erfolg aber bereits wieder in Gefahr – und vor allem reicht ihm der materielle Erfolg keineswegs aus, um eine Wirtschaftsordnung als gelungen zu beurteilen. Zwei Tendenzen stören ihn besonders an der westdeutschen ökonomischen Entwicklung und damit teilweise auch an der Wirtschaftspolitik Erhards: Erstens die zunehmenden und nicht gesetzlich stark genug eingedämmten Konzentrationsbestrebungen der Unternehmen; die Bildung von Kartellen und Monopolen werde viel zu leicht hingenommen. Zweitens kritisiert Röpke scharf die Entstellung der freien Marktwirtschaft durch den »Wohlfahrtsstaat«. Besonders wegen dieser Abkehr von den (neo-)liberalen Prinzipien müsse die Frage, ob die deutsche Wirtschaftspolitik richtig sei, anders als vor zehn Jahren eher verneint als bejaht werden ([1960] 1962a: 316ff.). Gegen staatliche Sozialmaßnahmen zur Verbesserung der Lage einer notleidenden proletarischen Schicht, die sich selbst nicht helfen

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kann, hat Röpke zwar nichts einzuwenden. Schon mit dem Begriff des »Wohlfahrtsstaats« möchte er aber anzeigen, dass die staatlichen Eingriffe der 50er Jahre darüber weit – und falsch – hinausgehen. Der Wohlfahrtsstaat führe an den »Abgrund«, er sei das »Tummelfeld eines billigen Moralismus«, bediene demagogisch »Massenmeinungen«, schaffe eine verantwortungslose Massengesellschaft usf. – keine Formulierung ist Röpke zu hart, um den Ausbau des Sozialstaats vor allem in Schweden, aber auch in England und eben in der Bundesrepublik zu verurteilen ([1958] 1962b: 295ff.). Besonders widersinnig erscheint ihm der ›aufgeblähte‹ Wohlfahrtsstaat, weil er in einem Jahrzehnt vorangetrieben werde, in dem durch die Chancen der freien Marktwirtschaft der »Grad der Selbstvorsorge« viel höher liegen könnte als zuvor. Statt den Hang zu einer (objektiv möglichen) Selbstständigkeit auch in der Daseinsfürsorge sich herausbilden zu lassen, wie es »freien und mündigen« Bürgern angemessen sei, werde durch die »staatlich organisierte Massenfürsorge« Unselbstständigkeit, »Proletarismus« sowie »Vermassung« gefördert und der Staat zu einem mächtigen Zwangsapparat etabliert, der tief in das Leben der Bürger eingreife (1958: 214f., 219; zur Kritik am rechtsstaatsfeindlichen, machtvollen Sozialstaat s. auch Forsthoff 1954a; 1954b). Dadurch handele es sich bei der westdeutschen Wirtschaftsordnung inzwischen um ein »›Mischmaschsystem‹«, in dem man den marktwirtschaftlichen Kern mitunter kaum noch erkennen könne. Das spreche einerseits für die Robustheit der Marktwirtschaft – selbst solche »dirigistische Verwirrung« halte sie vorübergehend aus –, überfordere sie aber mittel- bis langfristig, falls eine fortgesetzte Häufung von Staatseingriffen und Zwangsmaßnahmen die freie unternehmerische Initiative und den allgemeinen Leistungswettbewerb behindere und schließlich weitgehend zum Erliegen brächte ([1957] 1962c: 289). Hinter den wohlfahrtsstaatlichen Maßnahmen vermutet Röpke nicht den Antrieb am Werk, denjenigen, die es alleine bzw. im Familienverbund nicht schaffen, wirklich zu helfen, sondern die Absicht, auf staatlichem Wege der Umverteilung sozialistische Verhältnisse herzustellen. Die meisten sozial- und konjunkturpolitischen Eingriffe kennzeichneten einen Staat, dessen »Ziel die schrittweise Sozialisierung der Bedürfnisbefriedigung und die wirtschaftlich-soziale Gleichstellung ist, ohne Rücksicht auf das Einkommen und Vermögen der einzelnen, die vom Wohlfahrtsstaat herangezogen werden« ([1958] 1962b: 295).

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Zu den entsprechenden Maßnahmen, die nach seiner Einschätzung bereits gegenwärtig an den »Abgrund« führten, zählt Röpke Ende der 50er Jahre: Erstens die progressive Besteuerung der Einkommen; zweitens die Befreiung des Einzelnen von der teilweisen Übernahme medizinischer Kosten (ebd.: 294ff.); drittens die Einrichtung eines Rentensystems, das auf dem Umlageverfahren, nicht auf eigentätiger »Kapitalansammlung« beruht; viertens die Ausweitung des Haushaltsdefizits und der Geldmenge sowie eine damit verbundene Niedrigzinspolitik – keynesianische, konjunkturpolitische Mittel zur Belebung der Wirtschaft (zur Steigerung der Investitionstätigkeit und des »Massenverbrauchs«), die Röpke samt und sonders ablehnt, weil sie unvermeidlich zu einer bedrohlich hohen Inflationsrate führten (1958: 243f., 258ff.). All diese staatlichen Maßnahmen bewirken nach dem Urteil Röpkes letztlich nur eins: Sie blähen den Staatsapparat auf und verhindern die erfolgreiche, Wohlstand schaffende Tätigkeit selbstständiger Akteure auf dem freien Markt. Sie verhinderten dadurch auch, dass es genügend Wohlhabende gebe, die ihr (noch nicht sozialisiertes) Einkommen für »freie Hingabe, freudiges Opfern« verwenden könnten und damit die staatliche Sozialhilfe durch Spenden und wohltätige Gaben unkollektivistisch erübrigten. Im Namen falsch verstandener Gleichheit aber, die eine Ziel-, nicht eine Startgleichheit anvisiert, werde das »Überdurchschnittliche« zwangsweise im Mittelmaß und in der Massenhaftigkeit erstickt; der Wohlfahrtsstaat sorge »für eine Art von ›komfortabler Stallfütterung‹ für die domestizierten Massen«; die schwächeren Glieder der Gesellschaft beraube man durch vielfältige Sozialhilfen endgültig jeder Verantwortung und Eigeninitiative, und den stärkeren nehme man die »Lust zum Schaffen« (ebd.: 231f., 245). Deshalb untergrabe das System des Wohlfahrtsstaates, das unentwegt die besteuerten Einkommen der Bürger zum Zwecke des falschen, mediokren Ausgleichs hin- und herpumpe, beständig und tiefgreifend seine eigene Grundlage – jenen Wohlstand, der auf der überdurchschnittlichen, individuellen Leistung beruht und der die Grundvoraussetzung ist, überhaupt etwas umverteilen zu können. Tatsächlich macht sich Röpke aber natürlich überhaupt keine Sorgen um den gesicherten Fortbestand des Wohlfahrtsstaates. Selbst wenn seine Untergangsvision nicht einträte, die er im Dienste neo/ordoliberaler Wirtschaftsauffassung verkündet, könnte er dem vermeintlichen »Paradies des Wohlfahrtsstaates« nichts abgewinnen. Auch im vorübergehend

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gesicherten Wohlfahrtsstaat träfe man wegen der Mixtur aus materialistischen Werten, auferlegter Unselbstständigkeit und massenhafter Spannungsarmut auf ein ungewöhnlich hohes Maß an »Überdruss, Unbehagen und Langeweile«. Dieses »Paradies« gleicht für ihn eher einer Vorhölle, weil er in ihm nicht nur eine staatliche Zwangsanstalt erblickt, sondern weil er – hier schließt sich der Kreis wieder hin zum kulturkritischen Ausgangspunkt – die Produkte des Massenkonsums und die hedonistische Haltung ihrer Verbraucher missbilligt, verachtet und in ihren Wirkungen fürchtet (ebd.: 114).

DIE LAGE UND DIE LINKE Nach den überwiegend düsteren Urteilen und Prognosen der deutschen neo/ordoliberalen Wirtschaftstheoretiker und der konservativen bis linksliberalen Feuilletonisten und Intellektuellen zum Zustand und Schicksal der Kultur in der Massengesellschaft ist es an der Zeit, sich einmal vor Augen zu führen, in welcher Lage diese Einschätzungen ergehen und auf welche Grunddaten des Konsums sie sich beziehen. Dass sich in den 50er Jahren ein deutlicher Wirtschaftsaufschwung vollzieht, ist selbstverständlich allgemein bekannt, zu deutlich ist der Kontrast zwischen dem Elend und den Entbehrungen der letzten Kriegs- und der ersten Nachkriegsjahre auf der einen Seite und dem vergleichsweisen Wohlstand Mitte/Ende der 50er Jahre auf der anderen Seite, um nicht Eingang ins weitreichende kollektive Gedächtnis zu finden. Weniger bekannt ist schon, dass sich in den anderen europäisch-westlichen Staaten ähnliche Entwicklungen vollziehen, man demnach von einem »Wirtschaftswunder« schwerlich sprechen kann. Einer breiteren Öffentlichkeit heute weitgehend unbekannt allerdings sind folgende Punkte: 1. Der Aufschwung kommt nach anfänglichen massiven Schwierigkeiten in Folge der Währungsreform erst in Gang, als der amerikanische Kriegseinsatz in Korea für einen – staatlich finanzierten – starken Absatz deutscher Investitionsgüter und Rohstoffe sorgt. 2. Zu einer »Stunde Null« oder gleichen Startchancen trägt die Währungsreform wenig bei, weil sie die überkommenen tiefen Unterschiede in der Verteilung des Produktivvermögens und die damit verbundenen Möglichkeiten, aus dem Wiederaufbau Profit zu ziehen, unangetastet lässt. 3. Trotz einiger Bemühungen des Wirtschaftsressorts unter Ludwig Erhard kann von einer Beseitigung von

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Kartellen und einer unterbundenen Mitgestaltung der Wirtschaftspolitik durch verschiedene Interessenverbände keine Rede sein; im Gegenteil, der Aufschwung kommt gerade unter dem Einfluss und der Maßgabe eines pluralen Korporativismus zustande (Unternehmerbünde, Industriegewerkschaften etc.). 4. Zwar steigen in den 50er Jahren natürlich auch die Gehälter, der Anteil der Einkommen aller abhängig Beschäftigten am Volkseinkommen bleibt bis zum Ende des Jahrzehnts aber beinahe unverändert, obwohl im gleichen Zeitraum ihre Zahl um ca. 10 Prozent anwächst. 5. Die »Dynamisierung« der Rente (ihre Anpassung an die Lohnentwicklung), die zu erheblichen Zuwachsraten führt, und das neu eingeführte Umlageverfahren im Rentensystem, das zum Bilde einer sozialen Marktwirtschaft besonders beiträgt, muss gegen den neo/ordoliberalen Widerstand bzw. gegen den Widerstand der von Erhard angeführten Verfechter einer »Sozialen Marktwirtschaft« von Konrad Adenauer durchgesetzt werden (vgl. Abelshauser 1983; 1987). Bemerkenswert sind auch die Daten zum Verbrauch. Mitte der 50er Jahre, als die meisten kulturkritischen Urteile bereits formuliert waren oder gerade zu Papier gebracht wurden, besitzen nur rund zehn Prozent der Bevölkerung einen Kühlschrank oder eine elektrische Waschmaschine; 1957 wird erst das millionste Fernsehgerät angemeldet, usf. Zu einer beachtlichen Steigerung kommt es dann im Laufe der zweiten Hälfte der 50er Jahre. Gibt es 1950 nur 0,5 Millionen PKW in Westdeutschland, sind es 1960 vier Millionen; 1961 besitzen vier Millionen Haushalte (bei insgesamt ca. 16 Millionen) einen Fernseher, vier Jahre zuvor verfügten nur sieben Prozent über einen Anschluss (ebd.; Schildt 2007b; Schildt 1993); zwischen 1958 und 1961 erhöht sich der Bestand von Kühlschränken in den Haushalten von 19 auf 39 Prozent; die Anzahl der Selbstbedienungsgeschäfte steigt von 203 im Jahr 1955 auf gut 17.000 im Jahr 1960; in den Arbeitnehmerhaushalten verdoppeln sich von 1950 bis 1960 die ausgabefähigen Einnahmen (alle Einnahmen nach Steuern und gesetzlichen Versicherungsbeiträgen) auf 670 DM. Im Schnitt werden davon 1960 knapp 200 DM für Nahrungsmittel ausgegeben; 1950 waren es ungefähr 130 DM, der Betrag, der potenziell für andere Konsumgüter aufgewandt werden kann, steigt also beachtlich; die Ausgaben für Elektrogeräte wachsen etwa von 1957 (ca. 47 DM) bis 1958 auf 70 DM ebenfalls steil an (Wildt 1994).

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Alles eindrucksvolle Zahlen, gewiss. Eindrucksvoll ist an ihnen aber nicht nur, in welchem Maße in der zweiten Hälfte der 50er Jahre mit den steigenden Löhnen und Renten auch die Konsumausgaben wachsen, sondern auch, auf welch niedrigem Niveau sich das noch abspielt – in der Mehrheit der Haushalte wird das Einkommen Ende der 50er Jahre überwiegend für die tägliche Reproduktion aufgewandt, gibt es weder Fernseher noch Kühlschränke. Für eine sozialdemokratische oder sozialistische Kritik an der ungerechten, stark ungleichen Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums gibt es demnach mehr als genügend Raum. Schaut man in die Programme von KPD und SPD wird man in der Hinsicht natürlich auch nicht enttäuscht. Es ist aber eine Sache, die »Sicherung eines erhöhten Lebensstandards und die wirtschaftliche Befreiung der Persönlichkeit« zu fordern (SPD [1954] 1961a: 273) oder die soziale Verpflichtung des Privateigentums als Ziel zu benennen, eine ganz andere ist es, sich positiv zu den Dingen zu stellen, die von einem Gutteil dieser lohnabhängigen Schichten in der Gegenwart gekauft oder begehrt werden. Man konnte dieses Problem bereits bei den Konservativen sehr gut studieren. Die Feier des Wohlstands gelingt ihnen immer dann überzeugend, wenn es um einen Vergleich mit den ärmlichen sozialistischen Nachbarn geht. Sobald freilich nicht allgemein vom Wohlstand die Rede ist, sondern wichtige einzelne Bestandteile des Wohlstandskonsums ins Auge gefasst werden, setzt mehr oder minder rasch und tiefgreifend die Kritik am Materialismus und der Kulturlosigkeit des vorherrschenden Konsums an. Die Konsequenz aus diesem Dilemma besteht zumeist darin, in Passagen zur Wirtschaftspolitik grundsätzlich auf die Freiheits-, Wohlstands- und Wachstumseffekte einer undirigierten Marktwirtschaft hinzuweisen, ohne die konkrete Ausformung dieses Wohlstands in den Blick zu nehmen. Genauso hält es die deutsche Sozialdemokratie. In ihrem Godesberger Programm tritt sie für »freie Konsumwahl« und den »freien Markt, wo immer wirklich Wettbewerb herrscht« ein; als Ziel ihrer Wirtschaftspolitik nennt sie an erster Stelle »stetig wachsenden Wohlstand und eine gerechte Beteiligung aller am Ertrag der Volkswirtschaft«. Aus dem restlichen Programm geht aber einigermaßen deutlich hervor, dass sie die Ergebnisse des befreiten Konsums kaum schätzen dürfte. In den Konjunktiv muss man diese Annahme setzen, weil direkte Aussagen unterbleiben. An Aussagen wie denen zur Bil-

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dungspolitik – angestrebt wird etwa, die Jugendlichen in die »überlieferten kulturellen Werte« einzuweisen und ihnen die »Kunst« nahezubringen – kann man freilich indirekt gut genug ablesen, dass die Sozialdemokraten sicher keine Anhänger der modernen Massen- oder Populärkultur sind (SPD [1959] 1961b: 375f., 382). Diese Reserve oder Ignoranz gegenüber den Vorlieben und Wünschen, die in den Arbeiter- und Angestelltenschichten vorherrschen, hat wenig mit der in Godesberg vollzogenen endgültigen Wendung der SPD hin zu einer nicht mehr marxistisch geprägten »Volkspartei« zu tun. Eher gilt das Gegenteil, wie man an der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen KPD sehen kann, deren erklärter Auftrag unabänderlich der sozialistische Kampf und die Vertretung der Arbeiterklasse ist. Gerade bei der KPD wird man keine positive Einschätzung zu den Ausprägungen und Wirkungen der Konsumwirtschaft der 50er Jahre finden. Die KPD ist die einzige Partei, in deren Programm Näheres zur kulturellen Lage steht – und diese Ausführungen fallen strikt negativ aus: Das »vornehmste kulturelle Anliegen der Deutschen in Ost und West« sei die Bewahrung des »humanistischen Charakters der deutschen Kultur«, des »hohen Erbes der Klassik« und der »Volkskunst« (KPD [1954] 1989a: 56). Eine antibürgerliche Stoßrichtung, wie man sie innerhalb des breiten linken Spektrums der Weimarer Zeit zumindest manchmal auffinden kann, ist aus der linken Kulturpolitik demnach vollkommen verschwunden. Als ein eindrucksvolles Beispiel, dass es auch anders sein könnte bzw. zuvor vereinzelt anders gewesen ist, sei auf einen Artikel aus der Berliner Zeitung der USPD aus dem Jahr 1920 verwiesen. Dort richtet sich die Hoffnung auf das »Volk« noch harsch gegen den Bürger und seine »Spießerkultur« bzw. sein »pretiöses Kunst-Theater«. Die bürgerliche Verachtung des Jahrmarkts, Varietés und Zirkus als oberflächliche und eskapistische Betäubungs- und Zerstreuungsmittel wird mit der entschiedenen Kritik des »trübsinnigen (sogenannten ›tiefsinnigen‹) Ernstes« und dem Lob der Lebensfreude und Lustigkeit gekontert. Gegen die tiefsitzende »bürgerlich philiströse Ernsthaftigkeit«, die »alles Heitere und Unbeschwerte als leichtsinnig, oberflächlich und flatterhaft« abtue, wird mittelalterliche Farbenpracht und grotesker Humor ebenso ins Feld geführt wie der »›geistige Bolschewismus‹«, »Witz«, »Spieltrieb« und »Übermut« der Dadaisten. Die Hoffnung und Überzeugung lautet, dass das »Volk« im Unterschied zum Bürger seine »herzliche Freude« neben dem Varieté und dem Jahr-

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markt auch an den dadaistischen Einfällen haben wird (Behne [1920] 1989: 562f.). Die Frage bleibt dann natürlich noch offen, wie weit der Autor des USPD-Organs in seine Hoffnungen und sein Lob ebenfalls die technologisch neuen Medien des oberflächlichen Vergnügens, Film, Radio etc., und viele der von ihnen verbreiteten Unterhaltungsprogramme einbeziehen könnte. Muss hier eine genaue Angabe notwendig spekulativ bleiben, lässt sich hingegen für die Zeit der 1950er Jahre eine präzise Auskunft geben: Weder in der SPD noch bei Kräften links von ihr wird man auf ein Lob von Varieté und Dadaismus treffen, geschweige denn auf eine Affirmation der mit dem leicht vergrößerten Wohlstand und den technischen Neuerungen möglich gewordenen stärkeren Anteilnahme an verschiedenen Unterhaltungsgegenständen. Strebt die SPD eine durch die Bildungspolitik geförderte »Vertrautheit« des »ganzen Volks« mit »der Kunst und dem künstlerischen Schaffen« an ([1959] 1961b: 382), sieht die KPD die deutsche Kultur ohnehin grundsätzlich mit dem humanistischen, klassischen Erbe im Bunde. Gepflegt werde diese Tradition allerdings nur mehr in der DDR, deshalb wähnt die KPD das deutsche »Volk« letztlich in Gefahr. In Westdeutschland wird die Kultur nach dem nationalkommunistischen Urteil von »Überfremdung und Amerikanisierung« stark bedroht (KPD [1954] 1989a: 56), weil der »amerikanische Imperialismus einen systematischen Kampf gegen die deutsche Nationalkultur« führe und das deutsche Volk dazu erziehen wolle, »die ›amerikanische Lebensweise‹ mit ihrer äußerlichen und primitiven ›Kultur‹ anzunehmen« (KPD [1952] 1989b: 398f.). Das ist zwar noch kein Wort gegen die Zunahme an Fernsehgeräten, Autos, Kühlschränken, Schallplattenspielern etc. Es ist aber ein deutliches Wort dagegen, solche Veränderungen als bedeutende Verbesserungen aufzufassen – und es ist zugleich eine unmissverständliche Absage nicht nur an einen oberflächlichen, äußerlichen Materialismus, sondern auch an die kulturellen Inhalte, die im Fernsehen, auf den Langspielplatten, in den Illustrierten übermittelt werden. Die Berufung auf die Weimarer Klassik und auf die romantische Volkskunst – bei der SPD ist es unbestimmter das vielfältige »geistige und kulturelle Leben« (SPD [1959] 1961b: 381) – zeigt an, in welch hohem Maße die Kulturvorstellungen von deutschen Sozialisten und Kommunisten bürgerlich geprägt sind. Das auf dem Felde der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik angestrebte Ziel wachsenden Wohlstands, das

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wortgleich im Programm der SPD (ebd.: 375) und der KPD ([1952] 1989b: 409) steht, ist keineswegs mit einer Bejahung materialistischer Einstellungen und zeitgenössischen Unterhaltungskulturkonsums verbunden.

ENTFREMDUNGSKRITIK Es ist selbstverständlich zu einem großen Teil die Systemkonkurrenz, welche die KPD (und die kommunistischen Staatsparteien des Sowjetblocks) dazu bewegt, die amerikanische, kommerzialisierte Kultur und den oberflächlichen, äußerlichen Materialismus abzulehnen. Dem Wettbewerb auf dem Gebiet des Konsums können die Staaten des ›real existierenden Sozialismus‹ gleichwohl nicht entgehen, vor allem nicht die DDR, deren Bewohnern das Bild des westlichen Lebensstandards und der westlichen Waren nicht verborgen bleibt. 1959 wird schließlich in der DDR in einem »Siebenjahresplan des Friedens, des Wohlstands und des Glücks des Volkes« das Ziel ausgegeben, Westdeutschland im Pro-Kopf-Verbrauch bei den meisten industriellen Konsumgütern und Lebensmitteln einzuholen oder sogar zu überholen (vgl. Roesler 1993). Ein auch nur ansatzweise ähnlicher Aufruf im engeren Bereich der Kunst und Kultur ist hingegen undenkbar. Auf dem Gebiet der Kultur und der geforderten sozialistischen Einstellung bleiben Oberflächlichkeit, Kommerzialisierung und äußerlicher Materialismus strikt negative Begriffe, die den Niedergang des kapitalistischen Gegners anzeigen. Es gibt aber auch andere Gründe für die konservative Haltung zur westlichen modernen Konsumkultur als die unmittelbare Systemkonkurrenz. Da ist zum einen die Tradition der deutschen Sozialdemokraten und Sozialisten, denen es in ihren Parteien und Gewerkschaften häufig ein Anliegen gewesen ist, ihre Mitglieder an das bürgerliche Bildungserbe heranzuführen. Da ist zum anderen der marxistische Arbeitsbegriff, der im Mittelpunkt des sozialistischen Theoriegebäudes steht und der es verhindert, dass ein passiver Konsum von Unterhaltungsgütern eine höhere Wertschätzung erfährt. Zwar ist Marx/Engels jede verlogene idealistische Moralanforderung fremd, es bleibt aber bei wenigen kurzen Äußerungen, aus denen man eine Affirmation einer materialistischen Haltung herleiten könnte, die nichts mit dem philosophischen Prinzip des historisch-dialektischen Materialismus zu tun

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hätte – etwa bei Engels’ kurzer Notiz zu Charles Fouriers utopischem Sozialismus, dass er lieber an Fouriers Konstruktion der Verwandlung des Meeres in Limonade glauben möchte als an das absolute philosophische »Geisterreich, wo es gar keine Limonade gibt, an die Identität von Sein und Nichts und die Begattung der ewigen Kategorien« (Engels [1846] 1980: 605). Solche Äußerungen stehen zu vereinzelt im Gesamtwerk, um eine kanonische Kraft für die nachfolgenden Exegeten entfalten zu können. Wenig liest man bei Marx und Engels zum Verbrauch und zur Freizeit zudem darum, weil sich die Frage Mitte des 19. Jahrhunderts für die Theoretiker und Organisatoren des revolutionären Proletariats einfach nicht stellt. Angesichts der materiell bedrängten Lage der Arbeiter gibt es keinen Anlass, über die Haltung zu einer Massenkultur nachzudenken, die auf einem gemäßigten allgemeinen Wohlstand beruht. Marx und Engels versperren sich allerdings zusätzlich die Möglichkeit, darüber auch nur zu spekulieren, weil sie kategorisch ausschließen, dass es in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft zu einer Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse kommen könnte; selbst in einer Periode, in der sich die Armut der Arbeiter etwas verringert, wächst sie relativ, im Vergleich zu dem im gleichen Zeitraum stark vermehrten Reichtum der besitzenden Klasse, beträchtlich an, bilanziert Marx im ersten Band des Kapitals ([1867] 1983: 525f.). Es steht für Marx und Engels nicht nur fest, dass dieselben ökonomischen Verhältnisse, die den bürgerlichen Reichtum produzieren, notwendigerweise das proletarische Elend schaffen (Marx [1847] 1974: 141), sie zweifeln auch nicht daran, dass der Staat als Vertreter der kapitalistischen Interessen dem weder abhelfen will noch kann (Engels [1872] 1984: 51). Reformerische Versuche, den Arbeitern einen höheren Lohn zu verschaffen oder sie durch »Wohlthätigkeitsmaaßregeln« zu schützen, lehnen sie zudem ab, weil sie darin bloß die Absicht erkennen, »die Arbeiter durch mehr oder minder versteckte Almosen zu bestechen und ihre revolutionäre Kraft durch momentane Erträglichmachung ihrer Lage zu brechen« (Marx/Engels [1850] 1977: 257). Darum verspüren sie auch keinerlei Verlangen, zu früheren, geruhsameren Verhältnissen zurückzukehren, als Arbeiter noch über eigene Subsistenzmittel verfügten: »Der Handweber, der sein Häuschen, Gärtchen und Feldchen neben seinem Webstuhl hatte«, sei »bei aller Misère und allem politischen Druck ein stiller zufriedener Mann ›in

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aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit‹« gewesen, er habe »den Hut vor den Reichen, Pfaffen und Staatsbeamten« gezogen, »innerlich durch und durch ein Sklave«, lautet Engels’ vernichtendes Urteil. Deshalb kritisiert er jeden Anflug von Sehnsucht nach früheren beschaulicheren Zuständen scharf, obwohl er es für eine Tatsache hält, dass »die Lage der Arbeiter seit Durchführung der kapitalistischen Produktion auf großem Maßstab, im Ganzen materiell schlechter geworden ist« ([1872] 1984: 15). Der zweite Grund, gegen den Kleinbürger für die Notwendigkeit der bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse einzutreten, geht auf Marx’ und Engels’ Auffassung zurück, dass die Umwälzung aller bisherigen beschränkten, vorindustriellen, ständischen, gesitteten Ordnungen unbedingt notwendig zur Entfesselung der Produktivkräfte und zur Steigerung des gesellschaftlichen Reichtums sei – und damit auch auf längere Sicht zur Überwindung dieser revolutionierten bürgerlichen Gesellschaft durch eine weitere (proletarische, kommunistische) Revolution führe, die das Ziel verfolge, die nun durch die Anarchie der privatwirtschaftlichen Konkurrenz gefesselten Produktivkräfte planmäßig, mit viel größerem Ertrag und zur Befriedigung der Bedürfnisse aller (nicht nur zum Vorteil der Privateigentümer) zu nutzen (Marx/ Engels [1848] 1974: 464ff.). Die schlechte Lage eines Großteils der arbeitenden Klasse ist für Marx und Engels weder gottgewollt noch naturgegeben. Das Malthus’sche Gesetz, nach dem jede Produktionssteigerung eine Geburtensteigerung mit sich bringe und das Elend deshalb nur durch eine Dezimierung der (armen) Bevölkerung zurückgedrängt werden könne, weisen sie mit aller Vehemenz zurück. Die Ertragsfähigkeit der Böden könne noch beträchtlich gesteigert werden, die menschliche Produktionskraft sei unermesslich, die Arbeitskraft wachse mit der Bevölkerung und die Wissenschaften machten dem Menschen die Naturkräfte täglich besser nutzbar. Der Fortbestand des Elends gehe vielmehr – zwangsläufig – auf das herrschende kapitalistische System zurück; dessen Produktionsverhältnisse behinderten eine Ausschöpfung der Produktivkräfte gegenwärtig und zukünftig stark, weil die Produktion von Gütern einzig nach Maßgabe der Kapitalrendite ablaufe. Daraus folge, dass ein Teil der Arbeiter vierzehn Stunden am Tag arbeiten müsse, ein anderer aber keine Arbeit bekäme und um das täglich Brot bange, daraus folgten auch die zyklischen Überproduktionskrisen, in

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denen das ganze Land an »überflüssigem Reichtum« laboriere (Engels [1844] 1985: 486f.). Erst die Enteignung der Privateigentümer an Produktionsmitteln kann nach kommunistischer Auffassung diesen Zustand beenden; die darauf folgende »gesellschaftlich planmäßige Regelung der Produktion« werde dann die Produktivkräfte so nutzen, dass die Bedürfnisse der Gesamtheit wie jedes Einzelnen befriedigt würden (Engels [1880] 1962: 223). Die industrielle Produktion mache es möglich, dass bei einer sinnvollen Organisation der Arbeit »nicht nur genug für die reichliche Konsumtion aller Gesellschaftsmitglieder« bereit stünde, sondern dem Einzelnen auch hinreichend Muße bliebe, um sich der Bildung zu widmen und sie damit aus »einem Monopol der herrschenden Klasse in ein Gemeingut der ganzen Gesellschaft« zu verwandeln (Engels [1872] 1984: 16). In der kapitalistischen Klassengesellschaft kehre sich die Entwicklung der Produktivkräfte hingegen stets gegen diejenigen, die nicht über die Produktionsmittel verfügten. Der »moderne Arbeiter« sinke »immer tiefer unter die Bedingungen seiner eigenen Klasse herab«, statt »sich mit dem Fortschritt der Industrie zu heben«, lautet die Anklage und Diagnose des Kommunistischen Manifests (Marx/Engels [1848] 1974: 473). Dem Gesetz der Verelendung kommt eine enorme Bedeutung sogar über den ökonomischen Bereich hinaus zu. »Der Arbeiter wird um so ärmer, je mehr Reichtum er produziert«, heißt es im ersten Heft der Ökonomisch-philosophischen Manuskripte von Marx, die Arbeit produziere Wunderwerke und Paläste für den Reichen, aber Höhlen für den Arbeiter. Gesteigert wird die Formel dadurch, dass sie sich nicht allein auf die materielle Armut bezieht. In der Produktion, so geht die Formel weiter, werde die Arbeit durch Maschinen ersetzt, aber im Zuge dessen ein Teil der Arbeiter auf eine barbarische Arbeit zurückgeworfen und der andere Teil zur Maschine selbst gemacht. Die »Entfremdung« liegt für Marx jedoch nicht allein darin, dass die Arbeiter ihres Mensch-Seins entkleidet werden, indem sie bloß mechanische, äußerst kleinteilige, partielle Verrichtungen durchführen. Weil die Arbeit nicht mehr direktes Mittel für die tägliche Subsistenz des Arbeiters, sondern selbst zur Ware geworden ist, über die genauso wie über die hergestellten Produkte die Herrschaft des Kapitals waltet, trage die Arbeit nun grundsätzlich zur Entfremdung des Arbeiters von seiner Arbeit und den durch sie produzierten Gegenständen bei. Die Arbeit stelle darum nicht die »Befriedigung eines Bedürfnisses« dar,

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sondern sei »nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen«, sie sei dem Arbeiter »äusserlich«, weshalb der Arbeiter sich »erst ausser der Arbeit bei sich und in der Arbeit ausser sich« fühle. Das Ergebnis sei, zieht Marx die deprimierende Bilanz, dass der Arbeiter »nur mehr in seinen thierischen Funktionen, Essen, Trinken und Zeugen, höchstens noch Wohnung, Schmuck, etc. sich als freithätig fühlt, und in seinen menschlichen Funktionen nur mehr als Thier« (1982: 235ff.). Selbst eine Vermehrung der Produkte und eine Steigerung des Lohns, die es dem Arbeiter erlauben würden, die hergestellten Waren auf dem Markt käuflich zu erwerben, trüge demnach aus der Sicht Marx’ zur Entfremdung und Vertierung des Menschen bei: Der Mensch verwirklicht sich in der Arbeit, hier befriedigt er seine ihm eigentlichen Bedürfnisse; weil ihm die Arbeit wegen der Unterordnung aller Tätigkeiten, die nicht intim, privat sind, unter den Zweck der Kapitalakkumulation entfremdet wird, bleiben ihm nur noch die niederen Bereiche der Bedürfnisbefriedigung, eine dem Menschen nicht vollgültig angemessene Befriedigung, die zur Aufhebung der Entfremdung keinen Beitrag leisten kann. Diese Überlegungen des jungen Marx, die erst 1932 aus dem Nachlass veröffentlicht werden, eignen sich vorzüglich dazu, von all jenen aufgegriffen zu werden, denen es als Sozialisten um mehr als die Verbesserung der materiellen Lage der arbeitenden Bevölkerung – um mehr als Essen, Trinken, Wohnung, Schmuck – geht. Sie eignen sich hervorragend als theoretisch-kritische Grundlage für einen neu ausgerichteten Marxismus, der sich der veränderten Lage stellt, in der das Elend der Arbeiter nicht länger mit Händen zu greifen ist, weil sie vom produzierten Reichtum nun mehr als nur das gerade oder höchstens Lebensnotwendige abbekommen. Es versteht sich von selbst, dass in den kulturkritischen 50er Jahren die Rede von der Entfremdung in mancher Variante angestimmt wird. Von einem »feineren, verschwiegenen, aber nicht minder zehrenden Pauperismus«, dem »Rückstand einer universalen Entfremdung«, spricht Jürgen Habermas plakativ Mitte der 50er Jahre (1954: 721). Gleich zu Beginn seiner Laufbahn als wissenschaftlicher Publizist kritisiert Habermas die Unselbstständigkeit des modernen Arbeiters, dem jede Übersicht und Verantwortung von der Mechanisierung und den Rationalisierungsprozessen innerhalb der Fabrik beschnitten werde. Gegen Marx wendet Habermas sogar im Sinne der konservativen Kri-

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tik eines Heidegger oder Freyer ein, dieser habe nie begriffen, dass nicht eine bestimmte (also auch nicht die kapitalistische) Wirtschaftsordnung, sondern die Technik selbst solche Entfremdungszustände hervorrufe (1955: 1183). Weitgehend unmarxistisch gedacht ist ebenfalls, dass Habermas das erreichte materielle Niveau der Güterversorgung, das nun auch den Arbeitern allgemein zugestanden wird, trotzdem weiterhin unter der Bezeichnung »Pauperismus« fasst, als komme die neue Lage dem alten Elend auf einer anderen Ebene vollkommen gleich. Selbst die Berufung auf den jungen Marx würde nicht ausreichen, um diese Gleichsetzung als marxistisch zu kennzeichnen. Noch über den jungen Marx geht Habermas insofern hinaus, als er die Entfremdung direkt in bestimmten Gebrauchsgütern angelegt erkennt. Die Entfremdung sei am gefährlichsten, wenn an Lebensmitteln gerade kein Mangel herrsche, spitzt Habermas seine These dramatisch zu. Die neue Armut sieht er direkt mit dem Wohlstand, wie er sich in Kino, Radio, Auto, Fernsehen, Kühlschrank niederschlägt, verbunden. Der schwindenden Arbeitsfreude entspreche auf schlechte Weise der steigende Konsum; beide seien auf eine mangelnde Vertrautheit mit den Dingen zurückzuführen; wie die Maschine den Arbeiter verbraucht, konsumiert der moderne Verbraucher die ihm offerierten reibungslosen Angebote, deren technische Zurichtung ihm keinen eigenen Zugang mehr erlaubt (1954: 703, 718f.). Das Urteil ist darum innerhalb der kulturkritischen Epoche ebenso klar wie bekannt: Ihre Leere und Bedeutungslosigkeit überspielten die zeitgenössischen Konsumwaren auf missliche Weise erfolgreich durch sensationelle Aufmachungen und graduell variierte flüchtige Reize (1956: 225). Über dieser Kritik der herrschenden Entfremdung werden sogar strikt konservative Theoretiker zu Marxisten. Wenn sie auch sonst alles ablehnen, was von marxistischer Seite an Überlegungen und Beschreibungen stammt, das Konzept der Entfremdung können Kulturkritiker wie Hans Freyer (1955: 89ff.) leichterdings in ihre Gedankengebäude und Diagnosen aufnehmen; Freyer verbindet zudem die Herablassung gegenüber der entfremdeten Massenkultur ebenso wie Gehlen und Schelsky mit der stoisch-elitären Empfehlung, diese zumindest als Antidot gegen humanitäre oder rousseauistische Veränderungsideen auszuhalten (ebd.: 234ff:; Gehlen 1956; Schelsky 1954; vgl. Schildt 1995: 346f.). Habermas weiß dies und möchte sich wenigstens teilweise gegen die neukonservativen Beharrungskräfte wappnen, indem er die Kritik am Konsum stets mit einer Kritik an den Arbeitsver-

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hältnissen verbindet. Er nimmt den Gedanken Gehlens, die »wuchernde Begehrlichkeit der latenten Konsumbereitschaft« erfordere eine »neue Askese«, zwar auf, stilisiert die Askese aber nicht zum individuellen Willensakt, sondern skizziert vielmehr die Bedingungen, unter denen solch eine Askese überhaupt möglich wäre (»Nachlassen der Reklameschraube«, dadurch eintretende Befreiung vom »Überhang unechter Bedürfnisse«). Vor allem aber zeigt sich Habermas davon überzeugt, dass ein Gefühl für das Richtige, das Bewusstsein ›echter Bedürfnisse‹ sich erst dann einstellen könnte, wenn die Arbeit in den Betrieben »wieder eine sinnvolle, initiativ-gesättigte Aufgabe von begrenzter Verantwortung« darstellte (1954: 721). An der Unbedingtheit der kritischen Haltung gegenüber dem Konsum der aktuellen Gebrauchsgüter und Unterhaltungswaren ändert das aber natürlich nichts. Noch wesentlich stärker als in der Verurteilung amerikanischer »Kommerzialisierung« durch die kommunistischen Parteien fällt die Kritik des Konsums durch jene intellektuellen Sozialisten aus, die mit der Entfremdungs-Kategorie des frühen Marx argumentieren. So sehr sie auf Distanz zu den östlichen Parteien und Gesellschaftsformen gehen, so wenig können sie dennoch der herrschenden westlichen Lebensweise abgewinnen.

QUICK/STERN Am Ende der 50er Jahre kann man eine eindeutige Spaltung feststellen: Während auf der Seite der konservativen wie auch der sozialistischen Intellektuellen die Kultur- und Konsumkritik dominiert, hebt der Konsum erst so richtig an, ungeachtet seiner intellektuellen Abwertung. Der Großteil der bundesdeutschen Bevölkerung bleibt von der in den Feuilletons und Akademien betriebenen Kritik unberührt, eine Ausnahme bilden wohl allein jene Christen, die sich die entsprechenden Warnungen der katholischen und evangelischen Geistlichen und Theologen vor einer seelenlosen materialistischen Einstellung zu Herzen nehmen. Einen feuilletonistischen Aufruf zum Konsum, eine gelehrte Verteidigung des Materialismus, eine künstlerische Beschreibung oder Überhöhung der Attraktivität von Gebrauchsgütern oder Unterhaltungsangeboten findet man an keiner Stelle. Ihre Ausbreitung und Durchsetzung, die in den 50er Jahren nach den Zerstörungen des Krie-

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ges rasch beginnt, geht beinahe ohne jede intellektuelle Legitimation voran (mit der wichtigen Ausnahme René Königs). Umso bedeutender ist darum Ludwig Erhards in Buchform gebrachte Losung Wohlstand für alle. Hier trifft man immerhin neben der Verteidigung der »freien Konsumwahl« (im Sinne einer »freien Marktwirtschaft«) auf die Rechtfertigung eines Konsumgüterverbrauchs, der das Leben angenehmer und schöner gestaltet. Vor einer »materialistischen Gesinnung« warnt Erhard jedoch ebenfalls, er hält die Warnung freilich in einer Zeit, in der die Mehrheit der Verbraucher erst gerade dabei ist oder oftmals auch nur den Wunsch hegt, sich einen eigenen Fernseher, Kühlschrank etc. anzuschaffen, für verfehlt. Diesen moderaten Ton vernimmt man bei den Beratern und den weltanschaulichen Vordenkern Erhards aber bereits nicht mehr. In den Büchern und Abhandlungen Müller-Armacks, Röpkes usw. trifft man zumeist auf den vertrauten fundamental massen- und konsumkritischen Tenor. Selbst innerhalb der Richtung des Neo/Ordoliberalismus bzw. der »Sozialen Marktwirtschaft« bleiben die Akademiker, Intellektuellen, Essayisten der kulturkritischen Grundhaltung überwiegend treu. Auch unter den von den Ordoliberalen bekämpften Keynesianern, die das wirtschaftliche Wachstum durch fehlende staatliche Konjunkturprogramme und durch eine zu große Sparquote innerhalb der Bevölkerung gefährdet sehen, wird die Ausrichtung am »individuellen Konsumwillen« äußerst skeptisch beurteilt, weil dadurch wichtige öffentliche Aufgaben unerfüllt blieben – es gebe viel zu viele Kinos und viel zu wenige Schulgebäude, lautet die leicht fassliche nationalökonomische Kritik, die zudem mit der Einschätzung verbunden ist, dass die Erfüllung individueller Konsumwünsche »weder zum größten Glück der größten Zahl, noch zu dem Gefühl, in einer Gemeinschaft geborgen zu sein«, beitrage (Ortlieb 1959: 4, 17). Die Auswirkung und die Verbreitung der vergleichsweise konsumfreundlichen, von abendländischen Untergangsvisionen unbeschwerten Einstellung Erhards kann man darum unter Intellektuellen nur daran ablesen, dass sie vor einer Verharmlosung der Gefahren und einer Verdächtigung ihrer kritischen Positionen warnen. Erhards öffentlich geäußerte Abneigung gegenüber Zuspitzungen und Dramatisierungen kulturkritischer Einschätzungen macht auch unter anderen Politikern und Publizisten Schule (etwa Sternberg 1962: 75). Das seien »die Sorgen eines Intellektuellen, der den einfachen Leuten ihre Feierabendfreuden missgönne und der Marktwirtschaft, der teuren, am Zeuge fli-

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cken möchte«, das sei »das arrogante Gespöttel eines Snobs, der sich erhaben fühlt über seine Volksgenossen« – so fasst Hans Magnus Enzensberger diese Abwehr der feuilletonistischen und akademischen Kulturkritik zusammen, natürlich in einem Ton, der keinen Zweifel daran lässt, dass der intellektuelle Konsumkritiker Enzensberger solche Einwände für die zynischen Winkelzüge von »Biedermännern« hält, die »ihre finsteren Geschäfte mit der Behauptung tarnen, über Geschmack lasse sich nicht streiten« ([1960] 1964a: 171). Mit seiner Verdächtigung, bei der Kritik der Kulturkritik handele es sich um die Bedienung antiintellektueller Ressentiments, liegt Enzensberger zumindest insofern richtig, als sich unter seinesgleichen niemand dazu hergibt, die Konsumwünsche der »einfachen Leute« anzuerkennen. Allenfalls trifft man bei intellektuellen Publizisten vereinzelt auf Abschwächungen besonders umfassend formulierter Kulturkritik, etwa wenn Karl Bednarik gegen Habermas einwendet, dass der Konsument nicht nur verelende und in einen Zustand der Selbstentfremdung gerate, wenn er Radio höre und Zahnpasta benutze. Zu mehr als solchen graduellen Einwänden kommt es in den 50er Jahren aber nicht. Auch Bednarik hindert der Einwand keineswegs daran, im passiven, gedankenlosen »Konsum-Barbaren« eine tiefe Gefahr für echte Muße, Kultur und schöpferische Kräfte zu sehen (1957: 111, 132ff.). Die Idee liegt darum nahe, in den marktwirtschaftlich betriebenen Massenmedien nach den Trägern einer Konsumideologie zu suchen. Hier bieten sich vor allem die Illustrierten an, sind Radio und Fernsehen doch mit öffentlich-rechtlichem Bildungsauftrag versehen und unterliegen nicht dem Wettbewerb um Profitabilität. Selbst bei den Illustrierten aber, die oft genug Objekt der kulturkritischen Betrachtung sind, sucht man weitgehend vergebens. Sogar Berichte über neue Konsumprodukte sind rar gesät; eine Ausnahme bilden Informationen zur neuen Kleidermode für Frauen und dann auch für Teenager, sonst wird der redaktionelle Teil von Berichten über Filme, Filmstars und andere Prominente, von Artikeln über zumeist noch ferne Länder, noch unerreichbare Urlaubsziele und von Abdrucken sehnsüchtiger Romane bestimmt. Flankiert werden sie von verschiedenen Anzeigen, 1955 etwa von Reklame für Damenunterwäsche, Seife, Zigaretten, Rasierapparate, Alkoholika, Schuhe, Fernseher, Parfüm, Uhren, Fotoapparate, Kühlschränke. Drei Jahre später zeigt sich der gestiegene Wohlstand in vermehrter und differenzierter Werbung für Unterhaltungselektronik,

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unterschiedliche Anbieter schalten jetzt Anzeigen; hinzu kommt Werbung für Spiegelreflexkameras, Tonbandkoffer, Margarine, PKWs, Staubsauger, Waschmaschinen. Das Fazit fällt darum auch hier eindeutig aus: Die großen deutschen Illustrierten Quick und Stern stellen in den 50er Jahren das redaktionelle Umfeld bereit, um den Anzeigenkunden eine große Zahl an kaufwilligen Lesern zu liefern, sie bieten aber weder weltanschauliche Artikel auf, die den Konsumismus allgemein legitimieren, noch eigene Artikel, die bestimmte Produktgruppen anpreisen. Die Bilder des Glamours der Stars und die romanhafte Sehnsucht sollen auf die beworbenen Produkte übergehen, für eine Bejahung und Aufreizung des Konsums ist darum gesorgt – eine offene Begründung und Bejahung der Konsumkultur muss aber ausbleiben, zu stark wirkt noch die antimaterialistische Moral und der Nimbus der Hochkultur, um sich gegen sie auszusprechen und für einen Konsummaterialismus einzutreten.

ZWISCHENBILANZ Nach all dem Gesagten fällt die Bilanz der westdeutschen 50er Jahre in einer Hinsicht überaus leicht: Der zunehmenden Bedeutung des Konsums von Gebrauchsgütern und Unterhaltungsangeboten – eine wachsende Bedeutung, die sich nicht zuletzt darin zeigt, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung materielle Sicherheit der Verfolgung großer kultureller oder politischer Ziele vorzieht – antwortet man auf feuilletonistischer, künstlerischer und akademischer Seite fast durchgehend mit scharfer Kritik. Ist der Tenor der Kritik zwar stets eindeutig, gibt es dennoch unterschiedliche Ansätze, die Ablehnung und Abwertung des Konsums vorzunehmen. Die Kulturkritik kann sich auf vielerlei Weise artikulieren, wenn auch die Wertung der westdeutschen Verhältnisse immer negativ ausfällt. Ein erster von fünf übergeordneten Ansätzen der Kritik am herrschenden Konsum konzentriert sich darauf, eine ganze Reihe von Gegenständen, die beliebt sind oder häufig erworben werden, in ein schlechtes Licht zu rücken. Dabei kann man verschiedene wichtige Punkte ausmachen: a) die Kritik entzündet sich an der Massenhaftigkeit der Produkte; der Umstand, dass etwas in großer Zahl produziert und nachgefragt wird, erscheint in den Augen der Kritiker negativ zum Zustand der Vermassung, Standardisierung, Uniformierung beizutra-

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gen: den Einwand, dass unterschiedliche Dinge in großer Stückzahl hergestellt und erworben werden, versucht man mit dem Hinweis auf die starke Ähnlichkeit all dieser Massengüter zu entkräften. Im speziellen Bereich der Kunst kann b) bereits eine kleinere Zahl an Reproduktionen die Einschätzung herausfordern, die Originalität und Aura des Werks sei bedroht. Die Kritik erstreckt sich selbstverständlich nicht allein auf die quantitative, sondern c) auch auf die qualitative Dimension der überwiegend konsumierten Güter; diese seien wertlos, unästhetisch, vulgär, dumm, unmoralisch usw. Solch eine Kritik betrifft regelmäßig alle Gegenstände im Bereich alter und neuer Kunstgattungen, die außerhalb des Bildungsbürgertums Popularität erlangen: (bestimmte) Comics, Filme, Lieder, Erzählungen, Fotos, Gemälde, Shows, Serien. Sie kann zudem leicht auch jene technischen Medien und Geräte erfassen, die für die (massenhafte) Verbreitung solcher Kunstformen sorgen (Radio und Fernsehen). Bei anderen stark begehrten technischen Apparaten – Waschmaschinen, Kühlschränken, Rasierapparaten usf. – muss die Kritik sich wiederum auf den Aspekt der Massenhaftigkeit und der damit angeblich verbundenen Standardisierung beschränken. Auf alle Produkte schlechthin anwendbar wird die Kritik, wenn sie d) ganz grundsätzlich anklagt, dass es überhaupt Dinge sind, die man erwirbt oder auf die sich die Wünsche richten – dass man sich nicht um Immaterielles, Geistiges bemüht. Zweitens richtet sich die Kritik auf den Akt der Konsumtion. Der Kaufakt und der Verbrauch erscheinen als passive Vorgänge, negativ abgesetzt vom aktiven, eigenständigen Leben. Speziell die technischen Haushaltsgeräte bringen einen in Distanz zur Natur und zum eigenen Körper, motorische, handwerkliche Kräfte und Fähigkeiten erlahmen, fürchtet man. Am stärksten fällt die Kritik im Falle der medialen Unterhaltungsangebote aus: Sie degradieren die Konsumenten durch starke Reize zu konditionierten Reaktionen, die jede Willens- und Gedankentätigkeit überspringen, lautet hier die Diagnose und der Vorwurf. Welche Wirkungen diese Konsumvorgänge und -gegenstände nach dem Urteil ihrer Kritiker besitzen, kann man sich – drittens – leicht ausmalen. Die Attribute, die man den Gegenständen und Konsumakten zuschreibt, lassen sich einfach als Elemente von Wirkungsangaben und -prognosen nutzen – dann führt der Konsum regelmäßig zur weiteren Vermassung, Unbildung, Standardisierung, zu Unmoral, materialistischer Einstellung, Passivität, Entfremdung, Künstlichkeit, Verweichlichung, Gedankenlosigkeit, Unfreiheit.

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Angesichts der Tragweite der Einschätzungen und Bedenken versteht es sich von selbst, dass die Kritik viertens die Voraussetzungen der Konsumtion ins Visier nimmt. Von den niederen Instinkten der ungebildeten Masse über die Profitinteressen skrupelloser Unternehmer bis zu den strukturellen Bedingungen einer kapitalistisch rationalisierten Gesellschaft, in der es keine festen Bindungen mehr gibt, die Arbeiter aller Eigenständigkeit beraubt sind und in der die Gebrauchswerte vom Tauschwert überformt werden, reichen die unterschiedlichen Punkte, mit denen man die Fixierung auf den Konsum kritisch und anklagend erläutert. Auch die zunehmende Automatisierung der Arbeitsabläufe kann in kritischer Manier als Ursache der falschen Entwicklung genannt werden, sofern sie zur Verkürzung der Arbeitszeit beiträgt – führt doch die Ausweitung der Freizeit unter den herrschenden Bedingungen des Konsummaterialismus bloß dazu, dass die arbeitenden Massen der »Sensationsapparatur« der Medien verfallen (Weber 1956: 151). In den 50er Jahren kommen als mögliche Bedingungen des misslichen Konsumismus noch die Anstrengungen von Gewerkschaften und Sozialpolitikern hinzu, einen Wohlfahrtsstaat zu errichten, der jedem Bürger einen erhöhten materiellen Lebensstandard garantiert. Nicht alle diese Punkte werden von allen Kulturkritikern gleichermaßen vertreten, im abschließenden Urteil, dass die bestehende Gesellschaft dringend geändert werden müsse, kommen jedoch linke wie rechte Kulturkritiker überein. Mit ihren Stellungnahmen liegen bereits die entscheidenden Punkte der intellektuellen Konsumkritik vor. Darum war es notwendig, sie ausführlich vorzustellen, wenn sie auch in den folgenden Jahrzehnten zumeist bloß in abgeschwächter oder neu konturierter Form verwandt werden. Es ist vor allem notwendig, sich an sie zu erinnern, weil man an ihnen frühzeitig sehen kann, mit welcher Radikalität die Punkte vertreten werden. Von Beginn an scheut die Konsumkritik nicht davor zurück, den baldigen Untergang heraufzubeschwören; nicht nur die Kultur, auch das wirtschaftliche Wachstum scheint ihr bereits in den 50er Jahren mehr als nur bedroht. Das Ausbleiben der Krise, der beachtlich gesteigerte Lebensstandard bewegt die Konsumkritiker aber bis heute keineswegs dazu, ihre Prognosen zu ändern. Das sollte man sich merken, wenn man weiter ihre als Feststellungen getarnten, unentwegten Prophezeiungen über die ungeheuren Gefahren der demografischen Entwicklung, des Bildungsverfalls, der staatlichen Verschuldung und der passiven, bequemen Konsumhaltung hört.

Pop und/oder Kulturkritik 1960-1982

KRITIK DER KONSUMKRITIK Es gibt bereits in den 50er Jahren einen bedeutenden Ansatz, den ansteigenden Konsum zu rechtfertigen. Er besteht in der Leitlinie, dass es wichtig sei, den Wohlstand durch wirtschaftspolitische Maßnahmen allgemein zu fördern und zu heben. Hier kommen die verschiedenen deutschen Neo/Ordoliberalen (und mit ihnen die CDU), die Sozialdemokraten und auch die in Westdeutschland verbotene KPD überein. Steigender allgemeiner Wohlstand meint natürlich nicht zuletzt wachsender materieller Wohlstand, meint nicht nur die Möglichkeit, sich mehr Dinge leisten zu können, sondern in erster Linie einen tatsächlich erhöhten Verbrauch der einzelnen Haushalte. Die Rede vom Wohlstand hat den Vorteil, unbestimmt zu sein. Wohlstand, das klingt gut, auch weil nicht im Einzelnen aufgezählt wird, worauf der gestiegene Wohlstand verwandt wird, welche Formen er annimmt. Die aus Sicht der Kulturkritik durchweg negativen Ausprägungen des zeitgenössischen Konsums kommen mit der Formel des Wohlstands nicht zur Sprache, bleiben im Dunkeln oder, besser gesagt, verschwinden in einer diffusen Helligkeit. Dies bedeutet aber zugleich, dass eine ausdrückliche Verteidigung vieler populärer Konsumprodukte unterbleibt. Prinzipiell widersprechen möchte man der Kulturkritik ohnehin nicht – an ein Lob des Konsumismus schlechthin ist von der Seite der Wohlstands-Apologeten überhaupt nicht zu denken, aber auch nicht an ein Lob einzelner Gattungen und Formen (Comics, Illustrierte, Motorroller, Konfektionskleidung, Kosmetika, Jeanshosen etc.). Diese stark befestigte Grenze erkennt man leicht, wenn man liest und hört, wie bei Ludwig Erhard auf die Forderung »Wohlstand für

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alle« die Absage an eine »materialistische Gesinnung« folgt (1957: 237). Denkbar wäre eine differenzierte Beurteilung von Konsumgütern nur, wenn sie weder hinter dem Schirm der allgemeinen WohlstandsRhetorik verschwänden noch samt und sonders von der Kulturkritik erfasst würden. Hans Magnus Enzensbergers Musterung des Neckermann-Katalogs zeigt diesen Weg auf. Zuerst klingen Enzensbergers Ausführungen freilich wie gewohnt. Selbstverständlich hebt auch der gesellschaftskritische Literat zu einer grundsätzlichen Abwertung der Katalogwaren an, die von der »kompakten Majorität« der westdeutschen Bevölkerung geschätzt werden. Die Mehrheit der Deutschen »möchte, wie wir alle, ›etwas vom Leben haben‹, und dieses Etwas verdinglicht sich im Konsumgut«, hält Enzensberger im entfremdungskritischen Jargon fest, wobei er gleichzeitig vorgibt, dass er sich von dem in Anführungsstriche gesetzten Wunsch, vom Leben etwas »haben« zu wollen – und nicht, wie Erich Fromm später fordern wird, das eigene »Sein« zu pflegen – keineswegs ausnimmt ([1960] 1964a: 167f.). So unglaubwürdig dieses Bekenntnis auch sein mag, unbedingt glaubwürdig sind doch Enzensbergers im Folgenden vorgebrachte Urteile über die im Neckermann-Katalog versammelten Konsumgüter. Das »Plebiszit der Verbraucher« – die enorme Zustimmung für das Neckermann-Angebot – zeigt Enzensberger die vollkommene Trostlosigkeit der bundesdeutschen Geschmacks-Demokratie an. »Die Mehrheit unter uns hat sich für eine kleinbürgerliche Hölle entschieden«, lautet seine vernichtende Bilanz. Ekel verspürt er vor Kleidern, die »altdeutsch ›Kunigunde‹ und ›Gudula‹, folkloristisch ›Grindelwald‹ und ›Edelweiß‹« heißen, äußerster Widerwille regt sich bei ihm, wenn sich die als ultramodern angepriesene Unterhaltungselektronik zwangsläufig mit altem Kitsch verbindet: »Und was spielt sich auf der Super-Luxus-Konzerttruhe ab?«, fragt Enzensberger sarkastisch. Antwort: die Träumerei von Schumann, Trink, trink, Brüderlein trink, das Ave Maria von Gounod, Zillertal, du bist mei Freud, Adieu mein kleiner Gardeoffizier – »Stumpfsinn auf zwei Kanälen, mit acht Röhren und 17 Kreisen, Balanceregler und Vollstereo-Kristallsystem in Edelholzgebläse.« Der Schrecken geht für Enzensberger aber nicht verloren, wenn die Gegenstände einen nüchterneren, modernen Geschmack verraten. Die »kleinbürgerliche Hölle« erscheint ihm derart »abgeschlossen«, dass sie paradoxerweise alles ihr eigentlich Äußerliches

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auf ihr niederes Niveau herunterziehen kann. »Jeder neue Gegenstand, der in sie eindringt, wird von ihr sofort assimiliert und adaptiert«, erläutert Enzensberger dieses Phänomen am Beispiel des in den 50er Jahren als avanciert geltenden skandinavischen Designs, an »›Schweden-Einbauküchen‹ und ›Modernen Möbeln in nordischem Stil‹, vor deren dumpfer Mediokrität jedes altdeutsche Herrenzimmer erblassen würde.« Es ist eine ähnliche Mischung, die Enzensberger am stärksten zur Verzweiflung treibt, die Mischung synthetischer Ansprüche aus modernem Kunststoff und altem, vorgeblich natürlichem Tran. »Der reaktionäre Unrat, der sich unter der blankpolierten Polyester-Platte verbirgt«, kommt für Enzensberger überdeutlich da zum Vorschein, wo der Neckermann-Prospekt »Kunstersatz« anbiete: »49 Mark kostet der ›Eibsee mit Zugspitze‹, ebenso wie das ›Bauernhaus im Schwarzwald‹, ›gemalt mit besten Künstlerfarben auf guter Malleinwand – Ölgemälde deutscher Meister‹« (ebd.: 168ff.). Mit all diesen Urteilen wird zumindest indirekt deutlich, dass Enzensberger sich wohl einen Katalog anderer Dinge vorstellen könnte, die er mit einer positiveren Wertung versehen würde. Wäre es sein alleiniges Anliegen gewesen, die Verdinglichung der Wünsche eines besseren Lebens anzuklagen, hätte er nicht in einer Fülle an Beispielen die herrschende Mittelmäßigkeit und Dumpfheit anklagen müssen. Zur Verdinglichung würden gleichfalls die Gegenstände beitragen, die aus Sicht Enzensbergers eine exzellente Qualität besäßen. Deshalb darf man wohl die Schlussfolgerung anstellen, dass es Enzensberger ungeachtet seiner eigenen allgemeinen, diffusen Verurteilung der Verdinglichung tatsächlich um die Abwertung ganz bestimmter Objekte geht, die er durch wertvollere ersetzen möchte. Die Frage ist dann, welche das seien könnten – besser gelungene Möbel schwedischen Designs? Oder doch nur die Exponate der Ulmer Hochschule (immerhin ähnelt Enzensbergers asketisches Aussehen dem der dortigen Lehrer und Studenten)? Braun-Schallplattenspieler anstelle der protzigen »Edelholzgebläse«? Enzensberger selbst äußert sich an der Stelle nicht, er beschränkt sich lieber auf die Aburteilung des deutschen Volksgeschmacks, als eigene Warenwerbung zu betreiben. Gut belegt – und überhaupt nicht überraschend – ist nur, dass er den Prachtbänden Ben Hur, Der Graf von Monte Christo usf. Bücher von Fontane und Dostojewski vorzieht (ebd.: 170), Faulkner über Agatha Christie, Ezra Pound über Raymond Chandler stellt, auch wenn sie in großer Auflage

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in Taschenbuchreihen nebeneinander stehen ([1958/1962] 1964b: 150, 164). Gut belegt ist ebenfalls, dass die deutsche kritische Intelligenz (von ihren konservativen Gegen-, aber eben auch Mitspielern ganz zu schweigen) in den 50er Jahren eine Möglichkeit nicht nutzt, sich von der von Enzensberger beschriebenen deutschen »Mediokrität« abzusetzen, eine Chance, die von einem beachtlichen jugendlichen Teil der Bevölkerung ergriffen wird – die Hinwendung zu amerikanischen ›Extremen‹. Jene Möglichkeit, den deutschen Biedersinn anzugreifen, indem man sich mit den amerikanischen Helden der jungen Populärkultur Elvis Presley und James Dean (und nicht mit Peter Kraus und Horst Buchholz) identifiziert, findet auch bei jüngeren Autoren wie eben Enzensberger keinen Widerhall. In einer Zeitgeist-Zeitschrift wie Magnum, die das nahe liegende Forum für solch eine Aneignung wäre, konzentriert man sich stattdessen auf moderne abstrakte Kunst, Fotografie und Jazz, auf funktionales Design und das Atomium. Das ändert sich bekanntermaßen im Laufe der 60er Jahre in erstaunlichem Maße. Nicht in Magnum selber (für das u.a. Enzensberger schreibt) – hier bleibt es auch unter dem Herausgeber Alfred Neven DuMont in der ersten Hälfte der 60er Jahre bei der Leitlinie »modern künstlerisch praktisch geschmackvoll schön. Mit diesen Eigenschaften möchte der moderne Mensch seine Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände ausgestattet wissen« (Anonymus 1963: 70) –, aber in anderen Organen. Anfang der 60er Jahre zeichnet sich dieser Umschwung freilich noch kaum ab. In twen, der Zeitgeist-Zeitschrift für ein etwas jüngeres Publikum, bemüht man sich noch um einen Geschmack, der nicht nur von der Altersstufe her zumeist über dem der Teenager stehen soll. Das Oktoberheft 1961 beispielsweise bietet Artikel über Jazz, Weills/Brechts Mahagonny, einen Krimi und Fotoberichte über Motorräder und St. Tropez auf. In einem Editorial zeigt man sich aber immerhin erfreut darüber, dass man von katholischer wie sozialistischer Seite als »zwielichtig« (Petrusblatt, West-Berlin) bzw. als eindeutig kulturfeindlich charakterisiert wird. Stolz präsentiert man die Einschätzung des Ost-Berliner forum als ausführliches Zitat: »Statt der Jugend das große Kulturerbe nahezubringen«, heißt es in der kommunistischen Zeitschrift anklagend, »bietet twen mit saloppen, scheinklugen Werturteilen vermischtes Geschwätz, das dem Konsumenten das Gefühl der Überlegenheit suggeriert, ihn aber tatsächlich allmählich zu verblöden geeignet ist.« Die Kritik von traditioneller linker wie rechter

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Seite nimmt die twen-Redaktion als Bestätigung der eigenen Modernität auf (Anonymus 1961a: 18) – einem modernen, avancierten Geschmack einer bestimmten jüngeren Altersgruppe zwischen 18 und 35, deren Mitglieder in der Werbung, als Angestellte größerer Firmen, in kreativen Berufen, in bestimmten Lehrberufen etc. bereits gut genug verdienen, um sich die im Anzeigenteil beworbenen Anzüge, HiFiAnlagen etc. leisten zu können, oder als Studenten darauf hinarbeiten. Als Konsum-Blatt, wie von kommunistischer Seite vorwurfsvoll angezeigt, würde man sich freilich niemals bezeichnen, davor sollen die schönen Dinge und modernen Kulturgüter von St. Tropez bis Weill/Brecht schützen. Der Ausweg und zugleich Königsweg besteht hier darin, auch vormals häufig abgewertete Formen der Grafik, des Designs, der Werbung, der Fotografie zur schönen Kunst zu erheben. In Magnum wird die Frage, wie man sich zur herrschenden Konsumausrichtung stellen soll, in einem Heft aus dem Jahr 1964 selbst aufgeworfen. Die Antwort fällt für ein Blatt, das sich mit seinen Lesern über den gewöhnlichen Konsum erheben will, ohne den traditionellen bildungsbürgerlichen Kanon getreulich zu übernehmen, typischerweise zweideutig aus. Ein Autor – Hans Daiber – konstatiert ironisch, das »größte Glück der großen, einst auf den Barrikaden erkämpft«, werde »jetzt an den Registrierkassen eingelöst«; den Begriff »Konsumglück« hält er folgerichtig für einen Widerspruch in sich und plädiert stattdessen für eine Erfüllung in der »Muße« (1964: 20). Ein anderer Autor – Willi Bongard – enthält sich hingegen einer Bewertung des Zuschnitts und der Auswirkungen des Konsums und kommt aus liberaler Sicht zu einer grundsätzlich gewährenden Einstellung: Jeder Verbraucher möge sich selbst fragen, welchen Konsum er für sich als sinnlos erachte; was dem einen sinnvoll erscheine, könne dem anderen überflüssig vorkommen, das sei einfach hinzunehmen und dürfe nicht zum Ausgangspunkt vorgeblicher Verbesserungsmethoden werden; die Entscheidung der einzelnen Verbraucher sei zu akzeptieren und nicht als Ausgeburt einer Manipulation hinzustellen. »Bei Lichte betrachtet entpuppt sich das Gespenst der ›geheimen Verführer‹, der ›gemachten Märkte‹ als eine Kritik am Verbrauchsstil unserer Mitmenschen, als eine Kritik also, die uns im Grunde nicht zusteht«, erläutert Bongard seine liberale Haltung, die in der These gipfelt, dass die Annahme, die meisten Konsumentscheidungen entsprängen nicht bewusster eigener Wahl, sondern künstlich erzeugten falschen Bedürfnissen, bloß den Versuch darstelle, über die derart zu Unmündigen er-

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klärten Konsumenten Deutungshoheit und Vorherrschaft zu gewinnen (1964: 30). Wissentlich oder unwissentlich knüpft Bongard damit an Urteile an, die Anfang der 60er Jahre im wissenschaftlichen Feld etwas häufiger als zuvor vertreten werden. An erster Stelle bzw. fast alleine zu nennen sind hier der Kölner Soziologe René König und seine Mitarbeiter oder Mitstreiter. König hat seine große Abneigung gegen die Behauptungen der Kulturkritik bereits bemerkenswert früh, in der Mitte der 50er Jahre, vorgebracht ([1956] 1965a), erst Anfang der 60er Jahre jedoch baut er seine Kritik gleich in einer ganzen Reihe von Aufsätzen und Vorträgen aus; Kollegen und Schüler wie Alphons Silbermann und Ernest Zahn folgen ihm dabei (weitere Nachweise: Schildt 1995: 362, 387; spätere Ausarbeitungen und Bestätigungen: etwa König 1969; Katona/Strümpel/Zahn 1971). Sechs Gründe führen sie in besonders ausgeprägter Form gegen die unter Akademikern stark verbreitete Kulturkritik ins Feld: Erstens stellen sie fest, dass eine Ausweitung der Hochkultur durch die technologische Reproduzierbarkeit früher nur den Wohlhabenden zugänglicher Güter am Werke sei; den Befund über die Senkung des allgemeinen Standards oder über den durchgehend kulturlosen Zustand der niederen Schichten bzw. der nivellierten Masse teilt man folglich nicht (König [1959/61] 1965b: 298ff.; Zahn 1960: 46). Zweitens halten sie die Standardisierung und Vermassung dann für einen Vorteil, wenn sie darin besteht, bestimmte Konsumgüter in hoher Qualität und preiswert für eine Vielzahl an Menschen zu produzieren; dadurch komme es zu einer »wesentlichen Erhöhung des Lebensstandards der riesigen Majorität unserer Bevölkerung«, zu einer egalitären »Demokratisierung einer diesseitigen Glücksidee« (König [1959/61] 1965c: 468; ähnlich auch Silbermann 1965a: 173); ganz grundsätzlich gebe es zwischen der »Kommerzialisierung der Angebots- und Vertriebsformen von Gütern« und ihrer Qualität kein bindendes (negatives) Verhältnis (Zahn 1960: 41; Silbermann 1965a: 187). Drittens fürchten sie die Uniformierung weiter Teile der Bevölkerung durch die Möglichkeit, etwas schnell in beinahe unbegrenzter Stückzahl herzustellen, nicht, weil sie die Gesellschaft in viele verschiedene Gruppen und Vereine unterteilt sehen; die Ansicht, man lebe in einer Massengesellschaft, die sich aus leicht zu (ver-)führenden, weil bindungslosen, atomisierten Individuen zusammensetze, geht für sie an der sozialen Wirklichkeit vorbei (König [1961] 1965d: 507ff.; auch Silbermann 1965b: 112). Viertens se-

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hen sie noch genügend Spielraum für eine eigenständige, kritische Auswahl durch die Konsumenten gegeben; die Rede von der großen Verführungskraft der Werbung und dem Vermögen mächtiger Produzenten, sich ihre Märkte bzw. ihre Nachfrage selbst zu schaffen, halten sie für enorm übertrieben (König [1959/61] 1965c: 469f.; Zahn 1960: 65). Fünftens sehen sie in der Arbeit der Werbung und des Produktdesigns, die Waren mit einer wiedererkennbaren Form-, Farb- und Symbolgebung zu versehen, einen ästhetischen Fortschritt (König [1960/64] 1965e: 522; Zahn 1960: 42). Sechstens operieren sie gegen die Kulturkritiker mit einem Motivverdacht; deren Sorgen um den Bestand der abendländischen Tradition seien nur vorgespielt, tatsächlich gehe ihre Kultur- und Massenkritik auf den elitären, reaktionären Impuls zurück, der großen Bevölkerungsmehrheit »den allgemeinen Anstieg des Lebensstandards und überhaupt das erweiterte sowie beträchtlich differenzierte Konsumieren« zu neiden (König [1959/61] 1965c: 470). Aufs Ganze gesehen läuft die Argumentation von König u.a. auf eine weitgehende Bejahung der herrschenden bundesdeutschen Verhältnisse hinaus. Ernest Zahn zitiert in seiner Soziologie der Prosperität denn auch nicht zufällig an der einen oder anderen Stelle Ludwig Erhard. Rein affirmativ verhalten sich die konsumfreundlichen Wissenschaftler allerdings zur vorgefundenen Wirklichkeit ihrer Tage nicht. Ernest Zahn etwa wünscht sich vom Konsumenten mehr »geistige Autonomie«, um Kaufentscheidungen individuell und ›problembewusst‹ treffen zu können, er fordert statt eines allgemeinen kulturkritischen Lamentos von Akademikern und Verbänden eine besondere Aufklärung über die dunklen Seite der »Konsumentwicklung«, um die Idee einer »Wirtschaftsdemokratie« mit neuem Leben zu erfüllen; schließlich vergisst er auch nicht, darauf hinzuweisen, dass man sich, im Weltmaßstab gesehen, keineswegs im »Zeitalter der Prosperität«, sondern im »Zeitalter der Not« befinde; sein Buch endet darum mit der Anmerkung, dass »die Hemisphäre des Wohlstands, in der wir zu existieren das Glück haben, nichts als eine einzige, große Aufgabe bleibt« (Zahn 1960: 159f., 208).

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DIE LIBERALE W ENDE Bei René König und seiner Schule handelt es sich um die erste intellektuelle Gruppierung, die systematisch die Behauptungen und Wertsetzungen der Kulturkritik zurückweist und zu widerlegen versucht. Wenn man die wirtschaftliche und kulturelle Lage um 1964 betrachtet, dann kann man nur zu dem Schluss kommen, dass sich die Kritik der Konsumkritik vollkommen auf der Höhe ihrer Zeit befindet. Der wirtschaftliche Aufschwung setzt sich weiter fort und mit ihm auch der Verbrauch von Gütern, die über das Lebensnotwendige hinausgehen. Von einer Rückbesinnung auf immaterielle Werte, wie sie von Seiten der Kulturkritik eingefordert wird, kann mehrheitlich keine Rede sein, immer mehr Fernseher, Waschmaschinen, Autos, Schallplatten, HiFiAnlagen, Bücher, Zeitschriften, Kameras, Illustrierte, modische Kleidungsgegenstände bestimmen die Ausstattung der einzelnen Haushalte (vgl. Schildt 2007b). Wichtiger als die schiere Quantität ist aber, dass sich nun das Design mancher Produkte sowie Form und Inhalt nicht weniger Illustrierten, Fernsehsendungen, Filme etc. auf eine Weise ändern, die für jeden sichtbar mit überkommenen konservativen Moral- und Geschmacksvorstellungen bricht. Lobt Ralf Dahrendorf 1962 das, was von »Zeitund Kulturkritikern gerne als ›Materialismus‹ und ›übersteigerter Individualismus‹ verworfen« werde, als »Wunsch nach individuellem Glückszuwachs«, der gepaart sei »mit dem latenten Protest gegen alle äußeren, insbesondere staatlichen Eingriffe in den eigenen Lebensplan«, bindet er den liberalen Materialismus und Hedonismus noch deutlich an die Affirmation der »grenzenlosen individuellen Gewinnwünsche« des nicht reglementierten »unternehmerischen Mittelstandes«. In der ersten Hälfte der 60er Jahre könnte man dies aber bereits auch an der Nachfrage nach einer ganzen Reihe an Waren ablesen, die keineswegs nur von Unternehmen des Mittelstands produziert werden. Bei Dahrendorf scheint das an einer Stelle durch, an der er nicht nur den westdeutschen ›Neureichen‹ einen Zug zum »aufdringlichen Konsum, zur völligen Urteilslosigkeit in Dingen der Kunst und Literatur« bescheinigt. Wesentlich besser klingt der Befund aus liberaler Sicht, wenn Dahrendorf in dem Zusammenhang ausführt, dass ein »entsprechender Wandel der Werthaltungen« zu verzeichnen sei. Für ihn ist nun die gesamte westdeutsche Gesellschaft in ein »›wirtschaftliches Licht getaucht‹«, der »heroische, gemeinschaftsbetonte, arbeitsame«

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Nationalcharakter der Deutschen zum Glück Vergangenheit: »›Die Deutschen‹ sind heute weder fleißig noch besonders militärfreundlich, weder sehr subaltern noch romantisch«, meint Dahrendorf (1962: 214f.). Erkennen kann man das freilich besser, wenn man im Unterschied zu Dahrendorf die Betrachtung der Konsumsphäre nicht kunstbeflissen ausblendet. Vorbereitet wird ein weniger in feste Formen eingespannter Lebensstil bereits in den 50er Jahren durch die zum großen Teil jugendliche Hinwendung zu amerikanischen Film- und Musikstars, die in Deutschland manchmal im Stern, kontinuierlich aber in der Bravo begleitet, unterstützt, kanalisiert wird (vgl. Maase 1992). Zu nennen ist auch die u.a. durch deutsche Filmkomödien beförderte Apologie der unbeschwerten Freizeit und vor allem Urlaubszeit. Ebenfalls in die 50er Jahre fällt schon der Beginn einer Art Einübung in die Künstlichkeit, die Abkehr vom unbedingten Vorrang des Natürlichen durch die Gewöhnung an neue Materialien vom Kunstleder bis zum bügelfreien Nyltesthemd und Haushaltswaren aus Plastik (Schildt 1999b: 102). Das alles verbleibt freilich weit überwiegend im konservativen Rahmen. Die harmlosen Vergnügungen der Freizeit stellen keineswegs einen direkten Angriff auf die Arbeitsmoral dar, der Rock ’n’ Roll wird oftmals deutsch bezähmt, die Kunststoffe werden nicht vehement zur Verdrängung der Gemütlichkeit eingesetzt. Es stellt zwar eine Herausforderung für die Kulturkritik dar, nicht aber für die durchgesetzte konservative Politik, die mit solch einem Maß an Liberalität recht gut leben kann. Ludwig Erhards markt-liberales Diktum »Wenn die Damen einen Kuckuck auf ihren Hüten haben wollen, dann sollen sie diesen Kuckuck haben. Ich werde jedenfalls die Produktion von Kuckuck-Hüten nicht verbieten« – ein Ausspruch, den Willi Bongard noch in seinem Magnum-Artikel zur Verteidigung der Konsumfreiheit anführt (1964: 30) – zeigt in gebotener Harmlosigkeit an, zu welchen Zugeständnissen man bereit ist. Die 60er Jahre werden weitaus größere Belastungsproben für das konservative Freiheitsverständnis bereithalten. Das betrifft die Kleidermode, das Einrichtungdesign, die Körperhaltung, den Rededuktus, die Umgangsformen, die Jugendkultur, die Bewertung der Sekundärtugenden, die Stellung zur Arbeit, zur Freizeit und zum Konsum (vgl. Siegfried 2006). In all diesen Bereichen sehen sich die konservativen Kräfte in ihrem Verständnis des Schicklichen, Erlaubten und Gebotenen zunehmend herausgefordert. Besonders spektakulär, reizbar und

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oft auch rechtsförmig wird das Maß an möglicher Liberalität in den Debatten über die öffentliche Darstellung der Sexualität ausgehandelt oder angezeigt. Konstatiert Helmut Schelsky bereits Mitte der 50er Jahre in seiner Soziologie der Sexualität, dass in den Illustrierten, Filmen und Reklamen sexuelle Reize auf freizügigste Weise dargeboten würden, zeigt sich wenige Jahre später rasch, wie voreilig Schelsky den Superlativ verwandt hat. Jetzt bleibt es nicht mehr bei der Abbildung des eng oder teilweise spärlich bekleideten weiblichen Körpers, dessen Attraktivität auf die beworbenen Waren ausstrahlen soll. Über das Dekolleté und durch die Kleidung akzentuierte Körperformen geht in den 60er Jahren zunehmend die Ausstellung des weiblichen Körpers hinaus; der zweite bedeutende Unterschied liegt darin, dass der Geschlechtsverkehr, seine Voraussetzungen und Folgen zum Thema von Artikeln werden; Ausstellung und Benennung oder Anspielung gehen zudem oftmals mit der Überzeugung einher, etwas Zeitgemäßes zu tun; die Bewerbung und Bebilderung vorgeblich moderner Ideen und Produkte verbindet sich darum im Laufe der 60er Jahre vorzugsweise mit erotischen Signalen und Freiheitsversprechen; Konsum und Sexualität werden so auf vielfältige Weise miteinander kurzgeschlossen, erotische Lust und das Vergnügen an Produkten, die wenig zur Stärkung puritanischer Pflichtideale beitragen, gehen ineinander über. Anfang der 60er Jahre wird der noch ungemein umstrittene Zug zum ausgeweiteten Hedonismus etwa am Beispiel der Illustrierten twen sichtbar. Die Zeitschrift gerät deshalb schnell in die Diskussion. In einem Gutachten für das Bundesfamilienministerium, aus dem der Spiegel Ausschnitte zitiert, heißt es nicht ohne Anerkennung, die Zeitschrift sei »frappierend neuartig«, sie sei »perfektioniert lesbar gemacht«, ihr Sprachstil »spritzig, persönlich, gelegentlich auch ironisch«, originell seien vor allem »vielerlei graphische und typographische Einfälle« (für das twen-Design zeichnet Willy Fleckhaus, der spätere Gestalter der Suhrkamp-Reihen, verantwortlich). Eine Meldung ist das dem Spiegel aber natürlich nur wert, weil twen von konservativer Seite äußerst kritisch gesehen wird. Die deutschen Jugendverbände, führt der Spiegel im Sommer 1961 in einem Artikel unter der Überschrift Sechs über Sex aus, bezichtigten twen »des ›Sexkults‹ und nannten die ›twen‹-Redakteure ›Barhocker-Pädagogen‹, die der ›Konsum-Ideologie‹ huldigten.« Twen sei gefährlicher als ein »Dutzend Aktmagazine« und züchte einen »Superindividualismus ohne Bindung an Gesellschaft und Moral«, urteilt der Präsident des Bayrischen Ju-

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gendrings entsprechend. Die Jugendverbände gründen ihre negative Einschätzung besonders darauf, fasst der Spiegel zusammen, dass twen erstens regelmäßig Autotests veröffentliche, anstatt die jungen Leute zum Wandern oder wenigstens zum Radfahren anzuhalten, zweitens Cocktail-Tipps erteile, statt die Leser vor dem Alkoholgenuss zu warnen, drittens viele Anzeigen aufnehme sowie mehrere Seiten unauffälliger redaktioneller Werbung bringe und viertens unverblümt über sexuelle Fragen schreibe (»›twen‹ befragte etwa ›Sechs Mädchen über Sex‹, forderte die Leser auf, zu dem Thema ›Heiraten nur weil ein Kind kommt‹ brieflich Stellung zu nehmen, zeigte eine Frau kurz vor und bei der Geburt. Auf dem ersten Bild dieser Serie ist die Hochschwangere mit einem Pulli und einer klaffenden Nietenhose bekleidet«; Anonymus 1961b: 59). Sehr gut ist an den konservativen Vorwürfen gegenüber twen zu sehen, dass es keineswegs allein um eine Abwehr freizügigerer sexueller Darlegungen geht, vielmehr liegen erotische Reize, offenere Debatten über sexuelle Fragen, Automobilismus, Abkehr von der Gemeinschaft und ihren akzeptierten Sitten, Verführung durch Werbung und Genuss- oder Rauschmittel auf einer Ebene, die mit dem Begriff des individuellen, haltlosen Konsums abwertend bezeichnet wird. Dass es sich um eine scharfe Anklage und vor allem um unbedingt negative Einschätzungen handelt, sehen die Herausgeber von twen sogar anfänglich genauso. Sie ziehen sogar vor Gericht, um die Aussage, twen stelle eine Gefahr dar und schaffe einen bindungslosen, amoralischen, extremen Individualismus, untersagen zu lassen. Erst nachdem ihre Klage abgewiesen wird – und die konservative Anklage weiter verbreitet werden darf – nutzen sie die Kritik zur Eigenreklame. Twen, das ursprünglich nur einmal, 1959, als Sonderheft erscheinen sollte (der Name des Blattes sei der Konfektionsindustrie entliehen worden, die »zur Anheizung des Konsums Artikel für ›Twens‹ auf den Markt brachte«, merkt der Spiegel an), geht in die Offensive und kündigt das neue Heft nach dem verlorenen Prozess mit den Worten an, die man zuvor verbieten wollte. »Für 1,50 DM finden Sie hier mehr, als Ihnen ein Dutzend Aktmagazine (Kostenpunkt: über 20 DM) bieten kann«, lautet nun das Eigenlob, das der Spiegel selbstverständlich ebenfalls zitiert (ebd.). Auch die Erscheinungsweise stellt man kurz nach dem Prozess und der dadurch gewonnenen Publizität um; das Heft, das im Sommer 1960 noch im Zwei-Monats-Abstand mit einer Auflage von knapp über 100.000 Exemplaren auf den Markt kommt, wird von Ok-

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tober 1961 an monatlich veröffentlicht. Mit vergleichsweise niedrigen Preisen wirbt man in den folgenden Jahren nicht wieder, das Niveau soll in mehrfacher Hinsicht hochgehalten werden; 1966 zählen zu den Attraktionen des redaktionellen Teils in einem Heft neben dem Model Veruschka und einer »Pop-Party« etwa exklusive touristische Ziele und Cabrios, die Werbung bestreiten u.a. Triumph Spitfire, Interlübke, Bleyle, Coca-Cola. In den für ein größeres, weniger exklusives Publikum gemachten Illustrierten ist die Grenze zwischen Werbung und redaktionellem Teil noch durchlässiger geworden. Der Konsum wird hier nicht ideologisch erklärt oder intellektuell verteidigt, er bestimmt jetzt einfach auch in der Auswahl der Artikel das Handeln der Redaktion. Der Stern bietet z.B. Anfang 1966 44 Seiten »Feinschmecker-Journal«, 48 Extra-Seiten zum Thema »Gesundheit«, 32 zur »Mode«, 64 zu »Bauen Wohnen Garten«. Interessante Trends aus dem noch liberaleren Ausland will man dem Leser selbstverständlich ebenfalls nicht verschweigen. Ende September 1964 berichtet Stern unter dem Titel Sex mit 14, Liebe erst mit 22 über die »Emanzipation der Teenager« in Dänemark, wobei auf bemerkenswerte Weise die erotische Libertinage mit dem allgemein staatlich gesicherten Wohlstand begründet wird. Der Artikel beginnt mit dem Satz: »Der Wohlfahrtsstaat Dänemark verschafft den Armen Sicherheit und begrenzt den Wohlstand der Reichen« (Bokelberg/ Schünemann 1964). Ein Jahr später heißt es in einem wiederum ausgedehnten Artikel halb besorgt, halb fasziniert über die Jungen Leute in England: »In England meutern die Jungen. Sie lehnen sich auf gegen Konvention und Zwang.« Rasch wird dabei deutlich, dass die juvenile Auflehnung sich zu einem guten Teil auf eine modische, farbenfrohe Abwechslung erstreckt, die einen neuen, eigenen Wirtschaftszweig hervorbringt: »London ist modetoll geworden. In Hunderten von schnell eröffneten Boutiquen finden Jungen und Mädchen auffallende, lustige Sachen« (Friedel/Schmidt-Polex 1965: 26, 29). Wie auch immer der Kommentar ausfallen mag, die reich bebilderten Artikel verschaffen der verhandelten Sache bereits genügend Publizität und Aufmerksamkeit. Die in ihrem Segment jeweils größten Magazine – Stern als übergreifende Illustrierte mit einer verkauften Auflage von ca. anderthalb Millionen Exemplaren, twen als Zeitschrift für die aufstrebenden Zwanzig- und Dreißigjährigen – lassen aber in ihren Wortbeiträgen keinen Zweifel daran, dass sie den westlichen Trends nicht konservativ gegenüberstehen.

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Das Nachrichtenmagazin Spiegel ist wegen der geltenden Konventionen seriöser Berichterstattung zwar zum einen gehalten, seine Illustrationen auf kleinere Bilder zu beschränken, und zum anderen aus besagten Abgrenzungsgründen verpflichtet, auf Vorstellungen von Haushaltsgütern zu verzichten, dennoch kann es auf seine Weise die Themen und Ansichten der als unterhaltsamer eingestuften Illustrierten übernehmen, indem es etwa Titelgeschichten über neue Entwicklungen in der Automobilindustrie liefert, in denen auch Fotos und Beschreibungen neuer Modelle vorkommen. Der Zwang, stets Anlässe für seine Artikel finden zu müssen, die einen Nachrichten-, nicht bloß einen Schauwert besitzen, hindert das Magazin keineswegs daran, beständig Berichte zu liefern, die denen von Stern und twen ähneln. Unter Verweis auf Trends im Aus- und Inland, andere Presseorgane, laufende Prozesse gegen obszöne Tendenzen, auf Modehäuser, aktuelle Filme und Fernsehprogramme etc. verschafft man sich genügend Möglichkeiten, den erkannten oder unterstellten Zug hin zu größerer Liberalität in den Designformen und Lebensweisen zu verstärken oder zu erzeugen. So berichtet der Spiegel 1964 etwa über amerikanische Hotels, Playboy-Gründer Hugh Hefner, das IBM-Pavillion, Mods und Rocker, deutsche Models, Rudi Gernreichs transparente Blusen, den Twist, amerikanische Swinger-Partys, neue Frauenzeitschriften, die Beatles, die Pop-Art und schwedische junge Männer, die sich schminken. 1965 gibt es Artikel über Sex im amerikanischen »TwistZeitalter«, Comics, Op-Art, Diskotheken, Happenings, homosexuelle Literatur, Barbarella, Lennons Poesie und Prosa, Junk-Art, Schönheitsoperationen, Sex-Bücher, James Bond, 1966 über Phoebe ZeitGeist, »Herren-Kosmetik«, Mode ohne BHs, Marshall McLuhan, den »Kurzrock«, die amerikanische TV-Serie Batman, Sex-Symbole der 60er Jahre, Veruschka, Geschlechtsumwandlungen, Cop-Art (»neues Schlagwort aus Pop, Op und Copulation«) und amerikanische Underground-Blätter. Im gewohnten Spiegel-Stil macht man sich mit den beschriebenen Phänomenen keineswegs gemein, mitunter ersetzt sogar konservative Kritik die übliche distanziert überlegene Betrachtungsweise; viel wichtiger als solche routinierten Abstandsgesten ist aber, dass die vorgestellten Werke, Moden und Lebensweisen als höchst bedeutungsvolle, den Zeitgeist repräsentierende Tendenzen ausgegeben werden. Die nur zu gerne abgedruckten Bilder, auf denen die mitunter im Text skeptisch bewerteten auffälligen oder erotischen Moden, die Pop-Art-

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Bilder, unkonventionellen Rockstars und jungen Leute zu sehen sind, tun ein Übriges. Der Eindruck wird erweckt, dass es unmöglich sei, über die einzelnen Gegenstände als partikulare, flüchtige Dinge hinwegzugehen oder sie generell kritisch zu missachten oder abzulehnen. Was man selber mit herstellt – die Bedeutung hedonistischer Liberalität, eines erotisch aufgeladenen Konsums –, stellt man stets bereits als gegeben hin.

REPRESSIVE ENTSUBLIMIERUNG Von konservativer Seite wird der Mitte der 60er Jahre ausgestellte und beförderte Trend hin zu einem – gemessen an puritanischen Vorstellungen – amoralischen Konsum übertrieben bunter, egoistischer, ablenkender, bequemer oder aufreizender Unterhaltungsangebote, Lebensstilmodelle und Einrichtungsgegenstände natürlich mit Abscheu und Entsetzen beobachtet. Wenn der Spiegel Anfang 1967 feststellt, dass der in den USA und England längst etablierte Pop-Trend – »heute umgreift Pop den Mini-, Astronauten- und Oben-ohne-Look, Beat, Beatles und Batman, James-Bond-Filme, Gammler und Aluminiumperücken« – dabei sei, sich auch in Deutschland durchzusetzen, dann muss das die traditionelle Kulturkritik alarmieren. Der dem NewsweekMagazin durch den Spiegel entnommene Hinweis, dass »Pop« etwas Neues, Rebellisches, aber auch Unernstes, Witziges, Phantastisches sei (Anonymus 1967: 60), trägt überhaupt nicht zur Beruhigung bei, schließlich hält man auf konservativer Seite erotische Looks, leichtfertigen Spaß und Genuss sowie auffällige Künstlichkeit für äußerst bedenkliche Dinge. Gerade dass dies nicht mehr ernstgenommen wird und von Schuldgefühlen unbeschwert bleibt, potenziert die Bedrohung noch. Wenn die Übertretung nicht mehr mit heiligem Eifer vorgenommen wird, beweist das nur, in welch hohem Maße der Pop-Fun eine selbstverständliche, liberale Attitüde geworden ist. Selbst wenn sie nur einen kleineren Teil der Bevölkerung ergreift, ist diese Entwicklung für die vertraute konservative Kulturkritik Anlass genug, die Ablehnung auf schärfste Weise zu formulieren. Angesichts der illustrierten Unmoral, wie sie vor allem die Fotos vieler großer Zeitschriften und manche Anzeigen der Konsumgüterindustrie prägt, kann nicht einmal mehr der vertraute Weg beschritten werden, unter Absehung der einzelnen Waren allgemein den kapitalistisch-

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marktwirtschaftlichen Wohlstand zu loben. Kurz vor seinem Tod verliert Wilhelm Röpke in einer letzten Abhandlung kein Wort mehr über die Erfolgsgeschichte der freien Marktwirtschaft, nun ist nur noch kritisch die Rede von einer schrankenlosen, perversen, entarteten, bindungslosen, beliebigen Freiheit, die sich fatalerweise ebenso weitgehend durchgesetzt habe wie die Massenkultur und die indiskrete, exhibitionistische, distanzlose, aufdringliche »›Naked Society‹« mit ihrem falschen Kult der »›Freizeit‹«. Das aus früherer neo/ordoliberaler Sicht in den 50er Jahren noch überwiegend positiv bewertete Phänomen des allgemein gesteigerten Wohlstands kann angesichts der veränderten Lage, in der die gestiegenen Löhne nach Röpkes Urteil nun fast ausschließlich für geist- und würdelose Objekte und Dienstleistungen aufgewendet werden, keineswegs mehr zum Lob des Bestehenden taugen. Tatsächlich zeige das deutsche Beispiel eindrucksvoll, dass »der Kult des wirtschaftlichen ›Wachstums‹, der ›Produktivität‹ und Kollosalität mit allen Maßlosigkeiten und Widernatürlichkeiten, die damit einhergehen, ein wahrer Götzenkult werden kann, dem ein Land Glück und Behagen opfert«, zieht Röpke seine bittere Bilanz: Deutschland – Westdeutschland – drohe »seine Seele zu verlieren« (1966: 31, 24, 21). Solche Stimmen lassen sich auch Ende des Jahrzehnts noch vernehmen, sie werden aber innerhalb der intellektuellen und feuilletonistischen Sphäre kaum mehr beachtet. Selbst in den konservativen Parteien prägen sie allenfalls den Tenor von Besinnungsreden und allgemeinen Tiraden, das politische Handeln wird durch sie nicht bestimmt. Die liberale Einstellung setzt sich unter leitenden Angestellten, in den Kreativberufen, bei Selbstständigen und bei vielen jungen Leuten in der zweiten Hälfte der 60er Jahre in einem Maße durch, dass eine konservative Rückbesinnung auf Heimat, Gemeinschaft, Naturverbundenheit, gesittete Kultur, Disziplin, Bescheidenheit, Fügung des Einzelnen in die verbindende, überindividuelle Tradition, unbedingte Pflichterfüllung und Arbeitslob nicht einmal mehr zur Diskussion steht. Die liberale Stärkung des Individuums äußert sich in den 60er Jahren vor allem in vier Bereichen: in der gewährten Möglichkeit oder Aufforderung, sich erstens in der Öffentlichkeit expressiver, erotischer, auffälliger zu zeigen und zweitens im privaten Rahmen genussvolle, materialistische, libertäre Einstellungen zu kultivieren und auszuleben; gestützt wird das drittens durch den Versuch, im Rahmen von Strafrechtsreformen zu einer Legalisierung perverser Sexualitätsfor-

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men und obszöner Darstellungen zu gelangen – und viertens publizistisch enorm unterstützt durch eine in Feuilletons und Zeitgeistartikeln vorgetragene oder illustrierte, visuelle Affirmation des Bunten, Spielerischen, Künstlichen, Freizügigen, Modischen, jugendlich Abweichenden, Experimentellen, Modernen, Hedonistischen. Dennoch verliert die Kulturkritik über der liberalen, antikonservativen Wende nicht ihre Bedeutung. Der Verlust der konservativen Deutungshoheit im kulturellen Bereich kommt in beachtlichem Maße durch die Ausbreitung der neulinken Kritik an der Konsumkultur zustande. Gut vorbereitet durch die Entfremdungskritik und die Kritik an der Kulturindustrie, gewinnt die Kritik an Warenfetischismus und kapitalistischer Kommerzialisierung, an der unpolitischen Flucht in Freizeiterlebnisse und an der pseudofreiheitlichen Permissivität enorm an Zustimmung. Den bedeutenden Auftakt dazu liefert Herbert Marcuse. Den Eindimensionalen Menschen – so der Titel seines auch für die deutsche Studentenbewegung und die Neue Linke der 60er Jahre hoch einflussreichen Buches – entdeckt er durchgehend in der amerikanischen Konsum- und Kultursphäre. Die Eindimensionalität offenbart sich ihm immer wieder daran, dass die verschiedenen sozialen Klassen, gemessen an ihren Wünschen und Freizeitvorlieben, kaum mehr voneinander zu unterscheiden seien: Der Arbeiter und der Unternehmer finden nach der Beobachtung Marcuses am selben Fernsehprogramm Vergnügen, die Stenotypistin richte sich nach der gleichen attraktiven Mode her wie die Tochter ihres Chefs, selbst die Schwarzen würden einen Cadillac fahren, alle würden ein- und dieselbe Zeitung lesen! Den kommerziellen Kulturwaren könne (und wolle) sich mittlerweile ebenso wenig mehr jemand entziehen wie den Botschaften der Massenmedien; die öffentliche Meinung herrsche allgegenwärtig, der Rückzug in eine Privatsphäre, die es ermögliche, eine eigenständige Haltung hervorzubringen, sei unmöglich geworden. Einen Unterschied von Information und Unterhaltung gibt es folglich nicht. Echten Pluralismus kann Marcuse nicht entdecken, die vorfindbaren Ausprägungen dienten alle auf ihre Weise der Bejahung des Bestehenden, harmlose Abweichungen wie Zen, Existenzialismus oder die Beatniks stünden keineswegs im Widerspruch zum Status quo ([1964] 1989: 39, 28, 256, 34). Nicht nur innerhalb der Produktion gelingt für Marcuse offensichtlich die rückhaltlose Integration der »Menschenatome«. Spätestens an dem Gebrauch dieses Begriffs zeigt sich, dass auch Marcuse an dem

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konservativen Topos der Kritik der Massengesellschaft und -kultur hängt. Marxistisch genug kann ihm die Diagnose von der Massenkultur vor allem deshalb erscheinen, weil sie es ihm ermöglicht, die Einbindung der Arbeiterklasse in das moderne kapitalistische System zu erklären. Ganz allgemein könnten die Menschen ihre »wahren Bedürfnisse« nicht mehr erkennen, da ihre Fähigkeit, sich dem Bestehenden zu verweigern, durch den enormen Fortschritt der Warenproduktion überspielt werde; besonders die Arbeiter verlören angesichts des auch für sie relativ gehobenen Lebensstandards jegliches Klassenbewusstsein. Die Überwindung unmittelbarer materieller Not innerhalb der verwalteten Welt steigender Arbeitsproduktivität gehe darum nicht mit einer – dank der Automatisierung möglichen – beträchtlichen Verringerung der Arbeitszeit zu Lasten privatwirtschaftlicher Bereicherung einher. Das vergleichsweise gute Leben führe lediglich dazu, jeden Gedanken an Selbstbestimmung und an niveauvollere Produkte vergessen zu machen (ebd.: 46, 16, 36, 69f.). Die hochtechnologisch entfesselten Produktivkräfte und die von ihnen hervorgebrachten Konsumgüter bestimmen nach Ansicht Marcuses die individuellen Bedürfnisse in einem derartig hohen, negativen Maße, dass er von einer zwar angenehmen, aber dennoch totalitären »sozialen Kontrolle« spricht. Sog. »Freiheit« bestehe lediglich in der vom Konsumzwang betriebenen Auswahl zwischen gleichwertigen Marken und unterschiedlich designten Gütern – sowie zwischen verschiedenen Meinungen, die jedoch alle im Namen eines angeblichen Sachzwangs, also im Zeichen des Bestehenden, vorgebracht werden. Das System ist in den Augen Marcuses aber auch zur Seite der Rezeption hin lückenlos geschlossen: Die Menschen finden sich und ihr Innerstes in den Waren, nach denen sie verlangen, wieder, in Autos, Kleidungsstücken, Fernsehsendungen, welche die im Sinne des vorherrschenden Systems verträglichen Einstellungen und Reaktionen mit sich bringen und einprägen (ebd.: 18, 29, 31f.). Diese Argumentation ermöglicht es Marcuse, ein vernichtendes Urteil über die kapitalistischen Gesellschaften der westlichen Welt beizubehalten, obwohl elende Arbeitsbedingungen, tägliche Unsicherheit und nackte Repression durch Polizei- und Justizapparat das Leben der Lohnabhängigen nicht mehr bestimmen. Die vergrößerte Beteiligung am produzierten gesellschaftlichen Reichtum und die verstärkte Liberalisierung feiert Marcuse darum keineswegs als Fortschritt. Für ihn handelt es sich letztlich nur um eine neue, raffiniertere und sogar

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umfassendere Form der Unterdrückung; das berühmte Wort der »repressiven Entsublimierung« steht dafür ein (ebd.: 92). Marcuse erläutert dieses etwas rätselhaft benannte Phänomen u.a. anhand von Beispielen aus dem Bereich der Kunst. Innerhalb der Massenkultur der modernen Industriegesellschaft werde die Kunst ein Teil der »materiellen«, der gegebenen Kultur, schreibt Marcuse, um mit dieser Feststellung sogleich eine Wertung zu verbinden. Einerseits sei es zwar zu begrüßen, dass sich in der populären Kultur – Marcuse gebraucht den Begriff gleichbedeutend mit dem der Massenkultur – die Möglichkeit zeige, wie Ideale Wirklichkeit werden können. Andererseits jedoch – und diese zweite Einschätzung wiegt viel schwerer – habe in der Distanz der Hochkultur zum alltäglichen Geschäft eine Art und Weise der »Entfremdung« bestanden, die zumindest das Bild einer besseren Gesellschaft bewahrte, wenn auch exklusiv innerhalb einer Sonderzone künstlerischen Scheins, abgeschoben in außeralltägliche künstlerische Höhen, strikt getrennt von jenen Bereichen, deren Änderung handgreiflich notwendig wäre. Was jetzt hingegen im Alltagsleben künstlerisch unmittelbar Platz fände, trage bloß zur Verlängerung des schlechten Bestehenden bei. Aus den Figuren der großen Dichtung etwa wie dem Narren, der Ehebrecherin, dem Geächteten, dem rebellischen Dichter seien jetzt der Beatnik, der Vamp, die neurotische Hausfrau, der Star geworden, »keine Bilder einer anderen Lebensweise mehr, sondern eher Launen oder Typen desselben Lebens, die mehr als Affirmation denn als Negation der bestehenden Ordnung dienen« (ebd.: 91, 77ff.). Die falsche Aufhebung der Sublimation zeigt sich ihm auch im Bereich der Sexualität. Zwar möchte Marcuse gar nicht bestreiten, dass die »Mobilisierung der Triebenergie« einem tatsächlich »Genuß« verschafft, »ganz wie es Spaß macht, im Motorboot davonzurasen, einen elektrischen Rasenmäher zu schieben, ein Auto auf Touren zu bringen.« Trotzdem kann er in der Liberalisierung der Sexualität nur eine »repressive Weise von Entsublimierung« sehen: Die Sexualität werde lediglich in »gesellschaftlich aufbauenden Formen befreit«; auf dem »Wege der Befriedigung« wird das »Lustprinzip« auf die Ansprüche reduziert, die mit der »bestehenden Gesellschaft« vereinbar sind (ebd.: 91ff.). Ebenso wie in der Kunst werde hier vermittelter, umgelenkter durch direkten Genuss ersetzt. Die gegenwärtige Befreiung der Sexualität von den Verboten, sie offen auszuleben, unterliegt darum einer

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scharfen Kritik Marcuses, obwohl er doch selbst ein entschiedener Gegner sexueller Repression ist. Der Widerspruch löst sich zum einen auf, wenn man weiß, dass nach Ansicht Marcuses die traditionellen sexuellen Tabus zumindest indirekt dazu beigetragen haben, in den von ihr erzwungenen Formen der Sublimation sexueller Triebe ein Moment der Abweichung und Weigerung bewusst zu halten. Verständlich wird Marcuses vehemente Ablehnung der in den modernen kapitalistischen Gesellschaften nun erlaubten sexuellen Entsublimierung jedoch erst, wenn man ein zweites Argument berücksichtigt. Marcuses zentrale Einschätzung lautet nämlich, dass die freigegebene Sexualität in ganz bestimmte Bahnen gelenkt werde: Die Libido werde mobilisiert, um die individuelle Leistungskonkurrenz und die Konsumlust zu steigern. Die Erweiterung der Freiheit fungiere darum als Intensivierung der technologisch-kapitalistischen Herrschaft; äußerst wirksam sei diese Methode sozialer Kontrolle, weil sie den Individuen, die bloß ihren (wenigstens teilweisen) Genuss verspüren, im Unterschied zu den Versagungsmechanismen und Gewaltmitteln der alten Form der Repression als solche gar nicht erscheine (ebd.: 92ff.). In Triebstruktur und Gesellschaft hat Marcuse dagegen sein Ideal eines Lebens nach dem Lustprinzip gesetzt, eines Lebens der Lust, das sich nicht in aggressiven Schüben erschöpft. Eine »Sublimierung ohne Desexualisierung« führt für ihn eben nicht zwangsläufig in die Barbarei. Wenn die Entkoppelung von Liebe und Sexualität »auf der Höhe der Zivilisation vonstatten ginge«, könnte es zu einer konstanten »Ausweitung«, nicht zu einer momentan gewaltsamen »Explosion von Libido« kommen. »Ausweitung« und zugleich »Sublimierung« zeigen sich besonders an der Verschmelzung von »Arbeitslust« und »libidinöser Lust«. Die Arbeit soll dem »Spiel« ähnlich werden! Notwendige Voraussetzung der »›libidinösen‹ Arbeit« ist der Bruch mit der vom »Leistungsprinzip beherrschten Wirklichkeit«, der Bruch mit einer Arbeit, durch die der Einzelne »nicht seine eigenen Impulse, Bedürfnisse und Fähigkeiten befriedigt«, sondern lediglich »eine vorher festgesetzte Funktion ausübt.« Mit der »Herrschaft des Leistungsprinzips«, unter der »die libidinösen Beziehungen zu anderen normalerweise auf die Freizeit beschränkt und auf die Vorbereitung und Ausführung des genitalen Geschlechtsverkehrs gerichtet« sind, wäre es dann zu Ende. Der Körper, der nicht mehr »ganztätig als Arbeitsinstrument zur Verfügung stehen müsste, würde resexualisiert«; »alle erogenen Zonen« und mit ihnen die »prägenitale polymorphe Sexualität« lebten wieder

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auf. Aus Sicht Marcuses wäre damit zwangsläufig die »Auflösung der Institutionen« verbunden, »in denen die privaten zwischenmenschlichen Beziehungen organisiert waren«: vor allem die »monogame und patriarchale Familie« ([1955] 1979: 171ff.). Auf der »Höhe der Zivilisation«, welche für ihn die Voraussetzung von spielerischer Arbeit und gelockerten Sexualbeziehungen abgibt, wähnt sich Marcuse angesichts des Zustands der modernen Gesellschaft jedoch keineswegs. In der Liberalisierung der Sexualität kann Marcuse nur besagte »repressive Weise von Entsublimierung« sehen. Auf dem »Wege der Befriedigung« wird das »Lustprinzip« nach Beobachtungen Marcuses noch vor der sog. Sexwelle der zweiten Hälfte der 60er Jahre auf die Ansprüche reduziert, die mit der »bestehenden Gesellschaft« vereinbar sind. Als »Marktwert« eingesetzt und in »Arbeitsbeziehungen« sowie »Werbetätigkeit« eingegliedert, werde Sexualität einer kontrollierten Befriedigung zugänglich gemacht: »›Sexy‹ Büro- und Ladenmädchen, der ansprechende, virile Juniorchef und der Verkäufer« seien »höchst marktgängige Waren« ([1964] 1989: 91ff.).

KONSUMTERROR Marcuses Argumentation wird in den folgenden Jahren Schule machen. Sie ist für alle äußerst attraktiv, die sich gegen die demokratischkapitalistische Gesellschaft selbst nach ihrer liberalen Öffnung wenden wollen. Eminent brauchbar ist Marcuses Argumentation, weil sie nicht bloß zu dem Schluss kommt, dass die Liberalisierung der Kultur und der Sitten keineswegs automatisch zu einer sozialistischen Gesellschaft führt, sondern in der Behauptung gipfelt, dass sie sogar nichts anderes als eine neue Form der Unfreiheit und des konsumistischen Zwangs ist. Die Behauptung kann sich bis zu Formulierungen steigern, die selbst Marcuses hartes Wort von der »repressiven Entsublimierung« deutlich überbieten. In einem viel gelesenen Buch zur Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik stellt Klaus Horn etwa fest, »Konsumieren« sei zur Weltanschauung erklärt worden, auch die »Persönlichkeit« werde jetzt an die konditionierten, unselbstständigen Subjekte verkauft, erlaubt sein solle bloß noch eine »Konsumidentität«, Abweichungen davon würde man auf »klinischem Wege heilen, anpassen«. Dass in der manipulativen Wohlstands- und Konsumgesellschaft

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Abweichungen nicht mehr mit der »Vergasung« bedroht werden, ist dann auch nur eine Konsequenz des Imperativs, dass der »Gebrauchswert« ganz im »Tauschwert« aufgehen müsse: »Es lohnt sich und ist im Sinne der herrschenden Zweckrationalität sicher ein Fortschritt, wenn der ganze Mensch als Arbeits- und Konsumkraft zurückgewonnen wird und nicht bloß seine geschwächte Arbeitskraft, seine Haare oder sein Zahngold verwertet werden können«, lautet Horns heilloses Fazit ([1967/69] 1969: 345ff.). Auf ein einprägsames Wort gebracht, schießt die tiefe Abneigung gegen den herrschenden »Warenfetischismus« im Ausdruck »Konsumterror« zusammen, der zu den Lieblingsvokabeln der 68er-Generation gehören wird. Auch diese Radikalkritik stammt zu einem beträchtlichen Teil vom marcusianischen Vorbild ab. Zu ihrer Verbreitung haben Intellektuelle und Boheme-Künstler beigetragen, die 1964/65 nicht einmal ansatzweise von dem durchschlagenden Erfolg ihrer Kritikansätze unter einem beachtlichen Teil der jüngeren, gebildeten Bevölkerung in den Jahren 1967/68ff. wissen konnten. Besonders prägnant lässt sich das am Beispiel der kleinen Gruppe Subversive Aktion zeigen, zu deren Mitgliedern u.a. die Mitte der 60er Jahre noch völlig unbekannten Dieter Kunzelmann und Rudi Dutschke zählen, die bereits wenige Jahre später zu den prominentesten Sprechern und Akteuren der aufbegehrenden Studenten und Oberschüler zählen. Die liberale Gesellschaft stellt sich für die Subversiven – deutlich unter Marcuses Einfluss – als »eine neue Art der Barbarei« dar, als »Illusion der Freiheit«, die dem Einzelnen durch die Vorspiegelung falscher (Konsum-)Bedürfnisse den »Verzicht auf die eigene Gestaltung des Lebens« erträglich mache (Baldeney/Gasché/Kunzelmann [1962] 2002a: 75). »Wer kauft, hat mehr vom Leben« – angesichts solcher und ähnlicher Botschaften könne »in der Tat von Terror gesprochen werden«, heißt es bereits 1962 in einem Zirkular der Subversiven (Baldeney/Gasché/Kunzelmann [1962] 2002b: 102). Weil sie sich in einer »Gesellschaft des gesetzlichen Konsumzwangs« und des »repressiven« Liberalismus wähnen (Mikrozelle München [1964] 2002: 132), setzen sie nicht auf reformerische Verbesserungen, sondern auf einen jähen Umschlag, der von »Mikrorebellionen« und »Revolten« ausgehen soll (Baldeney/Gasché/Kunzelmann [1963] 2002c: 114). Nicht zufällig richtet sich ein Plan solch subversiver Aktionen gegen ein Warenhaus: »Wir stürmen z.B. ein Kaufhaus, nehmen alle Güter und verteilen sie auf der Strasse«, schlägt Dieter Kunzelmann

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vor; »der folgende Prozess müsste so frech-geschickt geführt werden, dass die Lüge der freien Wirtschaft selbst dem letzten Trottel bewusst wird« ([1964] 2002a: 129). Andere Mitglieder sehen die Kaufhausaktion stärker als Zweck an sich: Im Rückblick verweisen sie auf erhoffte »Warenhausplünderungen mit Verschenk- und Tauschexzessen«. Das Ziel solcher Aktionen sei nicht, zur Feier, sondern zur Beendigung des Konsums beizutragen – »damit die Leute alles kriegen, was sie haben wollen, und dann vielleicht Lust auf anderes bekommen« (Böckelmann/Nagel [1976] 2002: 491). Überdeutlich geben die Subversiven ihrer Abneigung gegen den Konsum Weihnachten 1964 Ausdruck, als sie die Passanten in der Münchner Innenstadt mit einer Bibel-Neufassung aufrütteln wollen: »Und die ›Liebe‹ gebar die Waren und wickelte sie in falsche Träume und legte sie in die Schaufenster, damit die Menschen ihre wahren Wünsche nicht mehr sehen in dieser Welt«, heißt es in ihrer kulturkritischen Lukas-Version (Subversive Aktion [1964] 2002: 286). In der Kommune I um Kunzelmann und Fritz Teufel behält man die Ausrichtung bei. Als in Brüssel am 22. Mai 1967 ein Warenhaus abbrennt und Hunderte von Käufern in den Flammen sterben, nutzt die Kommune das schreckliche Ereignis für eine parodistisch verwirrende Flugblattserie. Auf dem zweiten der drei längeren Flugblätter, die auf den 24. Mai datiert sind, wird die Katastrophe als »neuer gag in der vielseitigen Geschichte amerikanischer Werbemethoden« ausgegeben und im satirischen Rahmen einer Annonce und deren Sprache beworben: »Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum erstenmal in einer europäischen Großstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen müssen« (Kommune I [1967] o.J.). Teilweise ist diese Parodie der Zeitungs- und Werbesprache schwer von einer Selbstbezichtigung zu unterscheiden: In einem der Flugblätter steht unter der Überschrift »Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?« die Behauptung: »Keiner von uns braucht mehr Tränen über das arme vietnamesische Volk bei der Frühstückszeitung zu vergießen« – um vielsagend fortzufahren: »Ab heute geht er in die Konfektionsabteilung von KaDeWe, Hertie, Woolworth, Bilka oder Neckermann und zündet sich diskret eine Zigarette in der Ankleidekabine an« (Kommune I [1967] o.J.). Beim Wort genommen wird die möglicherweise verdeckte Aufforderung aber nicht von der Kommune I selbst, sondern ein Jahr später

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durch vier junge Leute, von denen drei – Thorwald Proll, Andreas Baader, Gudrun Ensslin – zum Umfeld der Kommune zählen. In der Nacht zum 3. April 1968 explodieren in zwei Frankfurter Warenhäusern – im Kaufhof und im Kaufhaus Schneider – um Mitternacht je zwei Brandsätze. Kurz nach dem Anschlag werden die vier von der Polizei festgenommen. In ihrer Frankfurter Unterkunft stellen die Untersuchungsbeamten einen Zettel mit folgender Botschaft sicher: »Wir zünden Kaufhäuser an, bis ihr aufhört zu kaufen. Ihr habt nichts zu verlieren als den Gewinn der Ware. Der Konsumzwang terrorisiert euch, wir terrorisieren die Waren« (zit. n. Koenen 2003: 142). Einen Anschlag mit solch einer Begründung hat es bis dahin allein in einer äußerst konservativen Begründungsvariante auf dem (belletristischen) Papier gegeben. Im Roman Warenhaus Berlin von Erich Köhler aus dem Jahr 1909 zündet ein Besitzer seinen eigenen Warenhausbau an, weil er erkennen muss, welch Unheil er mit seinem Unternehmen anrichtet, nachdem auch seine Frau den von ihm geschaffenen Verführungen der Warenwelt erliegt und ihn betrügt. Bevor er sein Werk in Brand setzt und in den Flammen umkommt, wird ihm also bewusst, dass er »für dieses leblose Gemisch von Stein und Spitzen und Glas und Samt und Eisen und Wäsche und Kleidern und Hüten« alles »warme Leben an seiner Seite erst vergessen und dann verloren« habe (zit. n. Briesen 2001: 13). Die ›subversiven‹, entfremdungskritischen Linken sehen das in den 60er Jahren genauso, nur müssen sie selber nicht erst qualvoll zu dieser Einsicht gelangen. Auch richtet sich ihr Appell nicht an die Unternehmer, sondern an die Konsumenten – vor allem an die konsumierenden Arbeiter und kleinen Angestellten, die wegen ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum aus der Sicht der Verfechter einer »nivellierten Mittelstandsgesellschaft« (Helmut Schelsky), aber auch aus der Sicht der ›subversiven‹ Linken alles Klassenbewusstsein verlieren. Man kann aus der Anschauung, die »sozialstaatliche Befriedigung« der Lebensnotwendigkeiten des Proletariats behindere die Herausbildung revolutionären Bewusstseins, aber sogar ein positives sozialistisches Argument machen, wie es Rudi Dutschke früh in einem Papier der Subversiven Aktion demonstriert. Die westlichen Industriestaaten können seiner Meinung nach nämlich nur deshalb einen relativen Wohlstand garantieren, weil sie die (ehemaligen) Kolonien zu »billige[n] Rohstofflieferanten und Abnehmer[n] von teuren Fertigwaren« degradieren – erst durch dieses Argument trennt sich die linke Kon-

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sumkritik scharf von der gerade in Deutschland gut eingeführten konservativen Kulturkritik. Dutschkes Hoffnung gilt folgerichtig revolutionären Bestrebungen in den Ländern der ›Dritten Welt‹. Änderungen dort, ist er überzeugt, würden auch die befriedete Lage im Westen nachhaltig verändern ([1964] 2002: 192f.). Das sehen Baader/Ensslin genauso, sie schätzen aber die Gefahr mindestens ebenso groß ein, dass wegen der »bornierten Stumpfheit einer saturierten Konsumgesellschaft« die gängigen Protestformen keine Erfolgschancen mehr besitzen; »sie wollten nunmehr ein ›Fanal‹ setzen, das die Massen aktivieren sollte«, heißt es im Urteil zu ihren Beweggründen. Es fehlt aber natürlich noch die Angabe, worüber die befriedeten Konsumenten nachdenken und wozu die Massen aufgerüttelt werden sollen, um die Tat endgültig zu einer politischen Handlung zu machen. Als einen Grund gibt Gudrun Ensslin vor Gericht an, ein Zeichen gegen »den Völkermord der USA in Vietnam« setzen zu wollen (Landgericht Frankfurt [1968] 1973: 172, 200): »Wir haben es aus Protest gegen die Gleichgültigkeit gegenüber dem Krieg in Vietnam gemacht. Die USA machen in Vietnam eine Probe aufs Exempel, damit der Reichtum Amerikas erhalten bleibt. Wir lebten in der Furcht, daß verbale Proteste gegen den Krieg unserer Gesellschaft nur als Alibi dienen« (zit. n. Anonymus 1972: 20). Trotz dieser vorbildlich linksradikalen Begründung stößt die Handlung der Frankfurter Brandstifter 1968 nicht auf die ungeteilte Zustimmung ihrer späteren Kampfverbündeten in der RAF, Ulrike Meinhof. Anlässlich des Prozesses kritisiert Ulrike Meinhof die Tat in der Zeitschrift konkret; bezeichnenderweise richtet sich die Kritik nicht gegen die Gewaltanwendung an sich, sondern gegen den aus ihrer Sicht missglückten Versuch, die kapitalistische Konsumsphäre anzugreifen. Da die »Vernichtung« der Waren – durch schnellen Verschleiß und die Erzeugung schnell wechselnder Moden – ohnehin zum kapitalistischen Programm gehöre, glaubt sie, dass Anschläge auf Kaufhäuser die kapitalistische Produktion eher beförderten und zudem kaum etwas zur Bewusstmachung wahrer »kollektiver Bedürfnisse« abseits manipulierter Konsumtriebe beitragen würden. Ungemein »progressiv« an dem Brandanschlag kommt ihr nicht die Zerstörung der Kaufhauswaren, sehr wohl aber der Gesetzesbruch an sich vor. Vollkommen ungeschützt feiert sie die »Kriminalität der Tat«, feiert sie das antikapitalistische Delikt. Weil das Gesetz, gegen das die Brandstifter bewusst verstoßen haben, nicht »die Menschen, sondern

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das Eigentum« schütze, hält Meinhof den Anschlag für vollkommen gerechtfertigt. So verzweifelt, »so desperat es auch immer sein mag«, ein Warenhaus anzuzünden, so müsse doch immerhin anerkannt werden, schreibt Meinhof, dass den Anschlag auf die kapitalistische Eigentumsordnung ein hoch beachtliches, fortschrittliches »Moment« auszeichne ([1968] 1990: 155).

POPKONSUM, NEUE LINKE, UNDERGROUND Eine deutlichere Absage an den liberalisierten Konsum als in der neulinken, antiautoritären, entfremdungs- und kapitalismuskritischen Szene der 60er Jahre kann man sich schwerlich vorstellen. Dennoch ist mit genau dieser Szene jene Lösung des Konsums von konservativen Bedenken verbunden, die zu einem nicht unbeträchtlichen Teil zur weiteren Durchsetzung der liberal-kapitalistischen Gesellschaft beiträgt. Seine Erklärung findet dieses scheinbar paradoxe Phänomen in der neulinken Grundhaltung, nach der auch der Bereich der Kultur ein wichtiges Kampffeld darstellt, auf dem über die gesellschaftliche Ordnung entschieden wird – dass die Kultur nicht bloß ein ÜberbauPhänomen ist, das von der ökonomischen Basis bestimmt wird. Bedeutsam für die tiefgreifende Änderung der Gesellschaft sind demnach nicht allein Angriffe auf die Institution des Privateigentums. Von weiterer Bedeutung für die Gestalt des menschlichen Zusammenlebens sind demnach auch nicht allein Entscheidungen aus den Sphären der Exekutive und der Legislative, als politisch zu bezeichnen sind keineswegs nur spezielle Organisationen und eine Öffentlichkeit, in denen Ziele, Gründe, Wege eines angestrebten Machterwerbs diskutiert und festgelegt werden. Das Augenmerk fällt vielmehr auf die Sphäre der Kultur. Ihr traut man zu, dass aus ihr heraus wichtige Impulse und Strömungen kommen, welche die Bedingungen menschlichen Zusammenlebens mindestens genauso stark beeinflussen und regeln wie Diskussionen und Gesetze, die den Staat und die bürgerlichen Rechte und Pflichten betreffen. Am stärksten ausgeprägt ist diese Auffassung und Zielrichtung historisch betrachtet zuerst bei den Konservativen. Sozialisten legen den größten Wert auf die Änderung der Eigentumsverhältnisse (und damit auch des bürgerlichen Staates, der in ihrer Sicht die kapitalistische

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Ordnung garantiert). Das politische Anliegen der Liberalen besteht darin, nicht nur die ökonomische Sphäre und die Verfügung über das Privateigentum, sondern den Bereich des Privaten (und weitgehend auch den der Kultur) von Eingriffen der Polis freizuhalten. Aus ganz unterschiedlichen Gründen bleibt der Bereich der Kultur oftmals bei diesen beiden verfeindeten politischen Lagern aus ihren zentralen Betrachtungen ausgespart. Die Konservativen hingegen sehen in der liberalen Haltung, private Entscheidungen dem Einzelnen bzw. dem Privateigentümer vorzubehalten, und in der demokratischen Direktive, dass jeder (Mann) bei der Diskussion und Abstimmung über die Zusammensetzung der Legislative (und evtl. auch über exekutive und judikative Stellen) das gleiche Recht hat, keineswegs eine löbliche individuelle Freiheit; solch eine Freiheit stellt für sie ganz im Gegenteil einen zersetzenden Angriff auf die aus ihrer Sicht organisch gewachsenen Gemeinschaften und Lebensformen dar (einen Angriff, den nach ihrem Urteil die Sozialisten auf andere Weise mindestens ebenso stark durchführen würden). Anhalt findet die konservative Kritik unter verändertem Vorzeichen in den 60er Jahren insofern, als die Neue Linke und die außerparlamentarische Opposition bei ihren Plänen zur Veränderung oder Revolutionierung der bestehenden kapitalistisch und demokratischrepräsentativ organisierten westlichen Gesellschaften der Aktion auf Feldern abseits der Ökonomie und des politischen Machterwerbs eine außergewöhnlich große Bedeutung einräumt. Die Bekämpfung der privategoistischen, anonymen, warenfetischistischen, liberalen kapitalistischen Gesellschaft soll bei ihnen aber gerade nicht auf eine Wiederherstellung traditioneller Gemeinschaftsformen hinauslaufen. Rudi Dutschke etwa zitiert an einer wichtigen Stelle ausführlich die u.a. von Adorno verfassten Studies in the Authoritarian Personality aus dem Jahr 1950. Mit Adorno gelten ihm etwa folgende Charakteristika der autoritären, konservativen bis faschistischen Persönlichkeit als bekämpfenswert: eine rigide moralische Einstellung, die Ablehnung des Weichen und Fantasievollen, Feindseligkeit gegenüber Fremden, Betonung männlicher Durchsetzungsfähigkeit. Nach Dutschkes Auffassung stehen sie auch in der Gegenwart noch der Entfaltung einer wahrhaft sozialistischen Gesellschaft machtvoll entgegen (Dutschke 1968: 58).

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Die Richtigkeit dieser Einschätzung einmal vorausgesetzt, ist die Notwendigkeit, antiautoritäre Handlungen zu fördern, für die Anhänger radikaldemokratisch-kommunistischer Bestrebungen natürlich schier überwältigend. Im Unterschied zu klassischen sozialistischen Konzeptionen, die erst langsam nach der kompletten Umwälzung der bestehenden Eigentumsordnung verwirklicht werden können, besteht hier, in Anlehnung an die Tradition libertär-anarchistischer Boheme, sogar die Chance, bereits in der Gegenwart damit zu beginnen, antiautoritäre Charaktere herauszubilden. Die Frage, in welcher Weise im Feld der Kultur dem autoritären Gebaren der Boden entzogen werden kann, besitzt deshalb einen ganz drängenden Charakter. Adorno etwa setzt 1959 Picasso und Cézanne dem Geschmack des »gesunden Volksempfindens« gegenüber; die Liebhaber der Heidelandschaften und der »Seen mit Mondreflexen«, der »Spitzwegeriche mit goldenversöhnlichem Humor«, der »innigen Symboliker«, der »kommerziellen Impressionisten«, der »röhrenden Hubertushirsche«, der »garantiert seinsverbundenen, echten Aussage auf Feld- und Holzwegen« usf. seien die »Autoritätsgebundenen, die Vorurteilsvollen, starr, konventionell, konformistisch reagierend« (1967: 54ff.). Eine ganz andere Antwort auf die Frage nach antiautoritärer Kunst als die der klassischen Moderne besteht hingegen in einem Konzept, das mit dem Begriff »Pop« zumindest teilweise verbunden ist. Der Begriff ist in Deutschland vollkommen neu, aber auch in den USA und England hat er seit der Herausbildung der Pop-Art Anfang der 60er Jahre eine neue Bedeutung erfahren, die über die Abkürzung für »populär« hinausgeht. Über Auslandskorrespondenten, Galeristen, junge Künstler und Kunstkritiker wird jene durch die vor allem amerikanische Debatte um Warhol, Wesselmann, Lichtenstein etc. entstandene neue Fassung des Pop-Konzepts mit kurzer Zeitverzögerung in Deutschland schnell bekannt. Pop-Art bzw. (als Kurzform dafür oft gebräuchlich) Pop ist nach Auffassung der Kommentatoren das entwendete, zitierte, affirmative oder parodistische, jedenfalls das »gewollte Banale«, wie es in der FAZ 1964 heißt (Grohmann 1964). Auf geringerem intellektuellen Niveau als in der amerikanischen Kunstkritik, aber in deren Spuren wird (zumeist kritisch) die Nähe der Pop-Art zu ihren Vorlagen aus der Populär- oder Alltagskultur herausgestellt oder (zumeist positiv) die Verwandtschaft der Pop-Art mit den planen Oberflächen der abstrakten Malerei betont (vgl. Link 2000).

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Wiederum im Gefolge amerikanischer Debatten der Mitt-60er Jahre wird ab 1966 unter dem Zeichen von Pop dann der Austausch, die Symbiose von Pop-Art und zeitgenössischer Popkultur hervorgehoben. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) sieht beispielsweise in der Mode und im Fernsehen eine »mächtig anschwellende Pop-Flut« am Werk (Berg 1966), von der Warte moderner Kunst kommentiert die FAZ, kaum dass sie sich einigermaßen mit der Pop-Art arrangiert hat, 1967 schnell kulturkritisch: »Pop als Mode, als Lebensstil, als Elixier der Unterhaltungsindustrie; das hat Pop Witz und Schärfe gekostet. [...] Nichts, das sich nicht ›verpoppen‹ ließ, und so geschah das Paradox, daß die Banalität seine Parodie eingeholt hat, sie hat sich ihrer bemächtigt, sie überwältigt und verschlungen. Superman ist dem Supermarkt erlegen« (Lietzmann 1967). Wichtig ist diese Wertung im Zusammenhang der 60er Jahre, weil sie nicht nur einem konservativen Bildungsdünkel, sondern gleichfalls sowohl der linken als auch der subkulturellen Haltung entspricht. Subkulturelle Anerkennung (Anerkennung in den Kreisen der künstlerischen und studentischen Boheme) hat Pop anfänglich finden können, weil es aus dem bildungsbürgerlichen Kanon deutlich herausfällt, und das in einer Zeit, in der in diesen Kanon bereits die Werke der abstrakten, experimentellen Moderne Eingang finden. Die rasche Durchsetzung von Pop in der liberalen Mittelschicht stellt die subkulturellavantgardistische Begeisterung für Pop jedoch auf eine Weise in Frage, die der links-alternativen Kritik an vordergründig reizvollen Konsumobjekten recht nahe kommt. Im Sinne eines Angriffs auf die bildungsbürgerliche Kultur nutzt etwa der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann jede Gelegenheit, gegen die »Angst-Szene ›Kultur‹« ([1969] 1983: 399) das »Triviale, Banale«, »gegenwärtige Reizmuster«, »Schlager, Schlagzeilen und Kinoplakate« (1969a: 63ff.), die »Stirnlocke Bill Haileys«, »Photos von VogueBeauties« etc. ins Feld zu führen ([1969] 1983: 386, 388) und sogar eine unbeschwerte Teilhabe am Konsum einzufordern (1969a: 67). Entscheidend ist aber folgende Einschränkung: Brinkmann hält Verweise auf gegenwärtige und historische Beispiele der Pop- und Konsumkultur nur dann vorbehaltlos hoch, wenn es ihm darum geht, der ernsten, hohen Kultur eine entschiedene Absage zu erteilen. Von einer durchgehenden Affirmation der Popkultur kann hingegen keine Rede sein. Bereits Brinkmanns anderer Veröffentlichung aus dem Jahr 1968, dem Roman Keiner weiß mehr, kann man dies deutlich entnehmen,

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was auch im Feuilleton hinreichend hervorgehoben wird, das die im Roman geschilderten Lebensweisen junger Leute als Zeugnis für die Degradation des Menschen zum »bewußtlosen Konsumenten« auffasst (Fuchs 1968), als Zeugnis für den ständigen »Druck der Außenreize«, der durch die »Reklameflächen« (Blöcker 1968), die »Konsumwelt« (Sager 1968: 162), die »Film- und Beat- und Mode-Realität« (Vormweg 1968: 680) ausgeübt werde. Das gilt auch und gerade für den Bereich der Sexualität und der sexuellen Darstellung. In einem 1969 erschienenen Aufsatz fordert Brinkmann noch, der »permanenten Hörighaltung mittels Sexualgeflitter à la Hollywoods Erfindung Jean Harlow und Carrol [sic] Baker« Widerstand zu leisten. Deshalb tritt er für eine Literatur ein, die den Geschlechtsverkehr weder idealisiert noch lyrisiert – die »›Lii-iiiebe‹« wörtlich nähme »als ›ficken‹, ›abkauen‹, ›auslecken‹« (1969b: 70). Die Frage ist aber zu dem Zeitpunkt für viele Protagonisten der neulinken und gegenkulturellen Szene längst, ob auch eine weniger vermittelte erotische Darstellung tatsächlich die ›Hörigkeit‹ beseitige. Abseits aller theoretischen Überlegungen, wieso die Freisetzung der Libido zu einer besseren Gesellschaft beitragen wird, gestalten sich die Bewertungen einzelner Sexualformen dabei denkbar einfach: Man schaut – mit Marcuse – darauf, ob intime Geständnisse in Illustrierten, freizügigere Kleidung, Aktfotos, vorehelicher Geschlechtsverkehr, die Abkoppelung der Sexualität von der Fortpflanzung durch die Pille, Seitensprung ohne Reue und perversere Techniken wie Fellatio oder Analverkehr mit der liberal-kapitalistischen Lebensweise vereinbar sind oder wirksame Akte des Widerstands darstellen. Die Antwort darauf fällt schnell überwiegend negativ aus: Die Sexwelle der sechziger Jahre bringt aus Sicht der antiautoritären Kritiker allenfalls lockerere Umgangsformen und neue Kaufanreize hervor. Zwar werden autoritäre staatliche und kirchliche Institutionen sowie konservative Verbände eindrucksvoll herausgefordert, die liberale Marktwirtschaft jedoch scheint nach dem Urteil ihrer Kritiker geradezu erneuert und gestärkt aus der ›sexuellen Befreiung‹ hervorzugehen: Sie kann jetzt noch tiefer ins Privatleben der Menschen eindringen, ohne dass die Machtbeziehungen innerhalb des Arbeitslebens angetastet würden. Nach dieser Anschauung »überrennt« die »sog. Sexualisierung des Alltags« nur »jene Tabus, die der Expansion einer globalen Leistungsideologie im Wege stehen« (Pehlke 1971: 184). Sexualität werde dabei in Form »verwalteter Befriedigungsangebote« »radikal auf die kapitalistische

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Warenform gebracht«, deren Ausdruck in »Reklamewert« und »unendlicher Konsumsteigerung« bestehe (Reiche [1968] 1971: 143, 106). Das ist die unter den antiautoritären Gegnern des kapitalistischen Systems durchgehend vertretene Position – nicht nur im Hinblick auf den sexuellen Verbrauch und die sexualisierte Werbung, sondern auf den vorherrschenden Konsum schlechthin. Diese jungen Sozialisten begegnen demnach dem gleichen Problem wie ihre konservativen ordo/neoliberalen Widersacher: Während Letztere grundsätzlich für die freie Marktwirtschaft und Konsumfreiheit eintreten, ohne die überwiegende Mehrzahl der durch diese liberalisierte Wirtschaft hervorgebrachten Konsumprodukte und -einstellungen schätzen zu können, setzen sich Erstere für eine zukünftige sozialistische Gesellschaft ein, ohne die jetzigen Konsumvorlieben und -neigungen der Arbeiter und Kleinbürger auch nur ansatzweise zu ertragen. Die Neue Linke klagt ein Ende der Ausbeutung und Lohnabhängigkeit ein, um eine gerechte Aufteilung des gesellschaftlich produzierten Reichtums herbeizuführen, ohne die besonderen Ausformungen dieses Reichtums zu begehren, sie tritt im Namen der Besitzlosen gegen die Privateigentümer der Produktionsmittel an, ohne die aktuellen materiellen Interessen der Besitzlosen und Lohnabhängigen hinnehmen oder gar stärker befriedigen zu wollen. Die ›Lösung‹ dieses Problems besteht zumeist einfach darin, es zu verschweigen oder zu verschieben. Der Angriff gegen die herrschenden Konsumgewohnheiten wird vornehmlich als Angriff gegen einen neumodischen, ambitioniert hedonistischen Konsum à la twen durchgeführt, die Kritik wird im Regelfall gegen die (vermeintlich) freizügigeren Attraktionen einer aufstrebenden liberalen Mittelschicht gerichtet. Von solchen Genüssen und ›Scheinfreiheiten‹, die ›bloß‹ privat, auf die Freizeit beschränkt sind, grenzen sich die Protagonisten der Neuen Linken immer wieder massiv ab. Ihnen wollen sie bereits in der Gegenwart und nicht erst in einer ferneren Zeit nach dem erhofften Umsturz andere Lebensweisen entgegensetzen. Für alle, die sich z.B. auf dem Gebiet der Sexualität den konservativen wie liberalen Genussund Konsumformen nachhaltig verweigern möchten, besitzt darum etwa die Möglichkeit eine große Attraktivität, in Kommunen festere sexuelle Organisationsformen zu prägen, die weit über den gesteigerten oder variableren individuellen sexuellen Genuss hinausgehen, Organisationsformen, deren erotische Grundlage ein Gegengewicht zur Kleinfamilie und zu hierarchischen Arbeitsverbünden möglich macht.

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In solchen Zusammenhängen kann die Verbindung zwischen den lockenden Verheißungen ungehemmteren Lustgewinns und dem Problem radikal anderer sozialer Strukturen gewahrt werden. Sie besteht in der Annahme, dass Monogamie Ausdruck kapitalistischen Besitzdenkens sei. Zwischen den je negativen Polen »zwanghaftes Festhalten an einem Partner« und »zwanghafter« ›unterschiedsloser‹ ›Verbrauch‹ schnell abwechselnder Partner (ebd.: 106), die mit den Polen ›beständiges Privateigentum‹ und ›unbeständige Konsumreize‹ kurzgeschlossen werden, scheint viel Raum für Ideen abweichenden Verhaltens zu bleiben. So kann noch derjenige, der ›fremdgeht‹ oder zumindest ohne Schuldbewusstsein seinen erotischen Tagträumen nachhängt, sich ein wenig als Revolutionär fühlen. Sexuelle Vorstellungen und sozialistische Überzeugungen bilden in diesem historischen Moment eine höchst attraktive Einheit; für einen kurzen Augenblick kann einem sogar beinahe jedes Pin-up-Bild auch politischen Auftrieb geben. Dieser Augenblick vergeht aber rasch, dann gewinnt die Konsumkritik wieder die Überhand. Eine versuchte Lösung des Problems besteht in der Verschränkung von Pop mit dem sog. »Underground«. An die Stelle z.B. der Illustriertenfotos treten dann, wie von Warhol vorgemacht, Formen perverser Sexualität als Aufzeichnungsobjekte. Auch diese Lösung funktioniert in den Augen ihrer Verfechter jedoch nur vorübergehend. Der Mitstreiter Brinkmanns, Ralf-Rainer Rygulla, wird in Ohffs und Vostells Pop-Buch 1968 mit den Worten zitiert: »Warhols letzter Film über lesbische Mädchen und süchtige Schwule wurde von der offiziellen Kritik wohlwollend aufgenommen. Die Massenmedia nehmen sich Learys LSD Parties an.« Seine Schlussfolgerung und terminale Forderung lautet deshalb: »Der kulturelle countdown muß beschleunigt werden« (zit. n. Ohff 1968: 38). Auch wenn nach Rygulla höchstwahrscheinlich bereits wieder in Frage steht, ob dies wirklich weit genug geht, hat zu dem beschleunigten kulturellen »countdown« noch ein weiteres Moment beigetragen, das in die Pop-Bestimmung zu einem nicht unbeträchtlichen Teil eingeht. Die Rede ist von Pop als einer intensiven Reiz-Umgebung. Theoretischer Gewährsmann ist hierfür der originelle, seine Thesen essayistisch zuspitzende Medienphilosoph Marshall McLuhan (oft auch als Pop-Philosoph bezeichnet). In seinem Buch Understanding Media lässt er deutliche Sympathien für eine Lebensweise erkennen, die dem Individualismus, der Rationalität, der Zivilisiertheit entgegensteht.

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Was wie eine weitere Version der altbekannten konservativen Gesellschaftskritik etwa im Sinne Thomas Manns klingt, entpuppt sich jedoch als eine sehr überraschende Variation. Genau in jener »technisch zur letzten Souveränität gelangten, elektrisch fernsehenden ›Menschheit‹«, in der Thomas Mann das Schreckbild kalter, kunstloser Vernunft erblickt ([1918] 1990: 397f.), erkennt nämlich McLuhan eine Abkehr von dieser Form der Rationalität. Für McLuhan sind Alphabetsprache und Buchdruck, die als Medien den Menschen auf einen Sinn und auf eine lineare Wahrnehmungs- und Denkweise festlegen, der eine Grund für so verschiedene Dinge wie Spezialisierung, Mechanik, Nationenbildung, Wiederholung, Atomisierung, Nivellierung, Leidenschaftslosigkeit und kausale Erklärungen. Die Rückkehr zu ganzheitlicheren Formen und Lebensweisen konzipiert McLuhan jedoch nicht als Rückfall hinter das Maschinenzeitalter; er sieht vielmehr in der neuen Technik der Elektrizität den Garanten für eine Aufhebung westlicher Zivilisiertheit. Medien wie das Fernsehen brechen nach McLuhans Auffassung die Vorherrschaft eines Sinns und erfordern in hohem Maße eine persönliche Beteiligung und Vervollständigung durch das Publikum. In einer derartigen gemeinhin als primitiv abqualifizierten »Beteiligung der Gesamtperson und ganzheitlichen Lebensentäußerung« sieht McLuhan gerade das »Avantgardistische« des neuen elektrischen Zeitalters ([1964] 1995: 52f.). Um das Signum des Avantgardistischen zu verdienen, muss man demnach nicht zum futuristischen Varieté zurückgehen oder sich in modernen Galerien in das Environment von Happening-Künstlern hineinstellen, sondern einfach der zeitgenössischen Medien gewahr werden. Die Jugend verstehe die gegenwärtige Umgebung – the electric drama – auf instinktive Weise, merkt McLuhan 1967 an, sie lebe bereits in der neuen Massenkultur, einer Welt des total involvement (McLuhan/Fiore [1967] 1996: 11, 61). Im Gegensatz zu McLuhan sehen die Pop-Avantgardisten jedoch diesen Zustand nicht einfach aufgrund des Massenmediums Fernsehen gegeben. Sie sehen es vielmehr als ihre Aufgabe an, spezielle Techniken und Orte zu schaffen, an denen die ganzheitlichere, intensive Erfahrung erprobt und heraufbeschworen wird. Nach dem Vorbild von Ken Keseys acid tests, Andy Warhols Dom-Show oder dem Londoner UFO ist z.B. das Düsseldorfer Creamcheese ein solcher Ort multimedialer Sensibilität (vgl. Caianiello 2005). Ein Zeitzeuge berichtet von der »betörenden Sofortwirkung«

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des Creamcheese, die ihm die »Sinne verwirrte«: »Ein stumpfer Glanz aus Metallen, Spiegeln, zwei, drei Dutzend kunstvoll zugenagelten Fernsehern, ein schlauchartiger Höhlenraum mit langer Bar, Podesten und Stahlgerüsten, ein elektrischer Zirkus mit Tanz, der blendete, eine Ad-hoc-Galerie mit Hunderten Leuten und Hunderten über den Kopf schwimmenden Gummi-Enten, das erheiterte. Im hinteren Teil des Lokals blähte sich eine Lichtblase voller Flirren und Flackern, die Wände dienten als Leinwände für projizierte Landschaften und Fotoserien« (Cailloux 2005: 36). Dieser überwältigende Eindruck der verschiedenen Filmprojektionen und Pop-Art-Objekte sowie vor allem des Zusammenhangs von Musik – etwa der Frank Zappas, dessen Groupie-Figur Suzy Creamcheese die Namenspatin der Lokalität ist – und Lightshow ist ganz im Sinne der Künstler, die an der Einrichtung des Creamcheese 1967 maßgeblich beteiligt gewesen sind. In dem Creamcheese-Manifest spitzt Ferdinand Kriwet das auf die Slogans zu: »Wir überleben nicht. Wir erleben« und »Kunst ist Unterhaltung. Alle Unterhaltung ist Kunst« (Uecker/Kriwet 1968). Selbstverständlich geht es in dem speziell hergerichteten Creamcheese aber nicht um irgendeine Unterhaltung; der behauptete Einklang von Kunst und Unterhaltung macht bereits die avantgardistische Entgrenzung deutlich. Im Vokabular der Zeit spricht Günther Uecker in seinem Teil des Manifests davon, dass im Creamcheese ein »neues Bewußtsein von permanenten Veränderungen« erreicht werden soll (ebd.). Die technische Bedingung der angestrebten Bewusstseinserweiterung beschreibt Uecker 1968 so: »[W]as einer in der Aufeinanderfolge von Geräuschen und Effekten der technisierten Umwelt tagsüber kaum bemerkt, kriegt er bei uns auf einem chaotischen Haufen als Reizmittel-Überdosis verabreicht« (zit. n. Caianiello 2005: 115). Mit der Abfolge »licht terror blitz aktion schall stille« (Uecker/Kriwet 1968), die als Substantivfolge hervorgehoben in Ueckers Creamcheese-Manifest steht, ist die angestrebte Gefährlichkeit und Leidenschaftlichkeit dieser künstlichen Welt und Stimulation knapp, aber präzise benannt. Genau diese Form der Bewusstseinserweiterung, die mit dem intensiven Erlebnis in technologisch hergerichteten, künstlichen Environments verbunden ist, wird oftmals unter dem Begriff »Pop« verbucht. Es gibt hier eine weite Fassung, die aus der Beobachterperspektive des Feuilletons entsteht; Pop nennt die SZ Ende 1967 die Kunst, die zum zeitgenössischen »Bombardement der Sinne« beiträgt: »Op-

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Art, Mini-Kunst, Hippie-Mode, Hard rock, Psychedelic rock, Shock rock; Sit-in, Sing-Out, Rove-in« (Berg 1967). Das teilweise Alberne, Beliebige einer solchen Aufzählung lässt bereits vermuten, dass in der Binnenperspektive subkulturell engagierter Intellektueller der so gebrauchte Pop-Begriff zumindest partiell diskreditiert ist. Tatsächlich dient der Terminus »Rock« dazu, das liberal leicht Integrierbare und/ oder Kommerzielle des Pop auch begrifflich abzuwehren. Chester Anderson definiert im San Franciscoer Hippie-Organ Oracle – im von Brinkmann und Rygulla herausgegebenen Sammelband Acid ins Deutsche übersetzt – in starker Anlehnung an McLuhan Rock als eine Musik, die (auch ohne Hilfe von Lightshows) das ganze Sinnensystem anspreche. Rock steht für ihn Anfang 1967 als wichtigster Bezugspunkt in einer Reihe mit der Pop-Art, mit Camp, der »psychedelischen Revolution«, der »Pot- und Acid-Explosion« und der Haight-AshburyCommunity ([1967] 1968: 61, 63). Die erweitert politische, umwälzende Kraft von »Rock« liegt nach dem Urteil der elektrifizierten Pop-Hippies keineswegs in den Botschaften der Song-Texte, aber auch nicht in der vitalen Expressivität der Musiker. In seinem bekannten Nachwort zu Acid übernimmt Rolf Dieter Brinkmann (wahrscheinlich direkt aus Andersons Aufsatz) diese originelle Bestimmung; Rock definiert er als ein »durch Handhabung hochtechnischer Geräte provoziertes sinnliches Erleben: die Erschließung neuer Gefühlsqualitäten im Menschen«; zusammen mit vielen anderen Dingen und Formen – etwa der Durchbrechung der grammatikalischen Ordnung und der Ordnung der Geschlechter – trägt Rock nach Brinkmanns Ansicht zu der (zentral proklamierten) Veränderung des Bewusstseins bei ([1969] 1983: 393, 381). In politischer Hinsicht entscheidend ist an diesen Konzeptionen, dass sie nach Meinung ihrer Verfechter nicht auf eine private Selbstfindung oder -vervollkommnung hinauslaufen, sondern ohne jede dezidiert politische Forderung zu einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzung beitragen. Die Abweichung von der bestehenden Kultur der Leistungshierarchien, der Arbeitsethik und der quantifizierenden Rationalität stellt für sie einen viel stärkeren Angriff auf die westliche Ordnung dar als eine Einnahme politischer Macht oder eine Änderung der Eigentumsverhältnisse. Eine Kultur des intensiven, künstlerischtransgressiven Hedonismus, nicht nur des harmlosen Freizeit-Spaßes, scheint ihnen darum eine ausgezeichnete Garantie zu sein, dass die jungen Dissidenten nicht wieder »in ihre Elternhäuser oder an ihre

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Lehrstellen, Schulen oder Universitäten zurückkehren« oder »sich ihrer Karriere und ihrer Familie widmen und zu Macht und Ansehen kommen« (Nettelbeck 1967). Diese Konzeption bleibt aber selbst unter den Neuen Linken äußerst umstritten. Auch wenn die politische Aktion bei ihnen keineswegs allein von sozioökonomischen Analysen her abgeleitet wird, sondern ebenfalls auf antiautoritären Antrieben beruht, sind sie in der überwiegenden Mehrzahl doch »Zivilisationsliteraten« (wie Thomas Mann sagen würde) genug, um jene Pop-Verfechter, die für künstliche Ekstasen eintreten, des irrationalen »subjektivistischen Eskapismus« zu bezichtigen (Buselmeier/Schehl 1970: 77). Um zu einer entsprechend negativen Einschätzung des Pop-Undergrounds zu gelangen, bedarf es keineswegs einer traditionell marxistischen Ausrichtung, wie viele Beispiele Ende der 60er Jahre zeigen. Von Adorno, dem Anhänger einer unversöhnten Moderne, können die Pop-Avantgardisten ohnehin nur Abscheu erwarten; für ihn ist die angestrebte gegenkulturelle »Entsublimierung« nicht nur selbstverständlich »innerästhetisch unter der Kunst«, seiner Ansicht nach stellt sich nicht einmal der »unmittelbare, momentane Lustgewinn« ein, den die Kunst nach Auffassung der Gegenkultur bereiten können solle. Die Reformulierung avantgardistischer Überschreitungsmaximen, die nun im Namen aktionistischer Politik und zeitgenössischer jugendlicher Populärkultur vorgenommen wird, erscheint Adorno folgerichtig als ein Akt der Barbarei, der gegen die erklärte gegenkulturelle Absicht tatsächlich ganz im Sinne der Kulturindustrie sei: »Schlechter Ästhetizismus kurzatmiger Politik ist komplementär zum Erschlaffen ästhetischer Kraft. Mit der Empfehlung von Jazz und Rock and Roll anstelle von Beethoven wird nicht die affirmative Lüge der Kultur demontiert, sondern der Barbarei und dem Profitinteresse der Kulturindustrie ein Vorwand geliefert. Die vorgeblichen vitalen, unverschandelten Qualitäten solcher Produkte sind synthetisch von eben jenen Mächten aufbereitet, denen angeblich die große Weigerung gilt: erst recht verschandelt« (1970: 473f.). Herbert Marcuse kommt den gegenkulturellen Bestrebungen im Gegensatz zu Adorno im Laufe der Zeit zwar entgegen, bleibt aber letztlich auf Distanz. Dazu muss man freilich Marcuses Texte im Zusammenhang lesen. Isoliert man nur folgende Stelle, bleibt von einer Distanz nichts übrig; dort schreibt Marcuse recht emphatisch über den erotischen »Furor in den Protestsongs«, über die »Sinnlichkeit langer

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Haare, des von fügsamer Sauberkeit unbefleckten Körpers.« Und weiter: »[D]ie Neger sind ›soul brothers‹; die Seele ist schwarz, gewaltsam und orgiastisch; nicht mehr in Beethoven und Schubert, sondern im Blues, Jazz, im Rock’n Roll, im ›soul food‹ tritt sie hervor. [...] Der Einbruch des Ästhetischen ins Politische erscheint auch am anderen Pol der Rebellion gegen die Gesellschaft des Überfluß-Kapitalismus, bei den nonkonformistischen Jugendlichen«. Das ist die Stelle, auf die sich offenkundig (ohne Angabe) Adornos scharfe Kritik an der propagierten Entsublimierung bezieht. Diese Kritik geht aber, bezogen auf Marcuse, viel zu weit. Marcuse gehört schließlich selbst zu den Kritikern solcher Entsublimierung, nur setzt sie bei ihm wesentlich weniger umstandslos als bei Adorno an. Von einer Affirmation von Pop und (politischem) Happening ist Marcuse dennoch weit entfernt, das sieht man schnell, wenn man nur einige Absätze weiter liest; dort kritisiert Marcuse genau die falsche Unmittelbarkeit der Pop- und Underground-Kultur: Deren Entsublimierung lasse »die traditionelle Kultur, die illusionistische Kunst unbesiegt hinter sich« und könne deshalb »mühelos vom Markt absorbiert« und »entschärft« werden; die »Abschaffung des Verfremdungseffekts (der in beträchtlichem Maße auch in der großen illusionistischen Kunst wirksam war) vereitelt den Radikalismus der heutigen Kunst«, hält Marcuse unmissverständlich fest ([1968] 1969: 60, 74f.). Von sehr vielen Theoretikern der Studentenbewegung, die unter Marcuses Einfluss stehen, wird die Widerstandskraft von Pop innerhalb einer liberal-kapitalistischen Gesellschaft entsprechend negativ beurteilt. Hinter Marcuses viel zitierter Formel von der »repressiven Entsublimierung« verbirgt sich ja genau die Einschätzung, dass eine Lockerung z.B. sexualmoralischer Verbote keineswegs automatisch zu einer Versöhnung von Lust, Spiel und befriedigender Arbeit führen muss, sondern gegenwärtig nur zu einer Sexualisierung der Öffentlichkeit, die ganz im Sinne moderner Konsum- und Leistungsimperative liege ([1964] 1989: 94). Aus Sicht der an Marcuse geschulten Neuen Linken bilden viele antiautoritäre und vor allem gegenkulturelle Bestrebungen darum gar keinen Gegensatz zur zeitgenössischen Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft. Die moderne, an der Konsumsteigerung ausgerichtete Ökonomie benötige nun hedonistischere und zugleich flexiblere, auf wechselnde Reize reagierende, immer wieder neu manipulierbare Charaktere, nicht mehr den puritanischen Menschen, der an den väter-

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lich-autoritär eingepflanzten Pflicht- und Tugendidealen um ihrer selbst willen festhält (Böckelmann [1966] 1987: 34ff.; Horn [1967/69] 1969: 334ff.). Die Pop-Linke teilt diese Argumentation durchaus, bezieht sie jedoch keineswegs ganz auf sich selbst. Ihre Lösung besteht darin, den vermeintlich guten, resistenten von einem vereinnahmbaren Teil abzuspalten; dies soll durch eine stetige Kritik an sog. »kommerziellen« Verfehlungen garantiert werden, wie etwa in Deutschland von RolfUlrich Kaiser und Henryk M. Broder vorgemacht (Kaiser/Broder 1969: 50; Broder 1969), die nicht nur an einer Kölner sog. »Underground«-Zeitschrift mit dem Titel popopo beteiligt sind – die drei pos stehen für Pop, Politik und Pornografie –, sondern auch maßgeblich die vom Jugendamt der Stadt Essen veranstalteten Song-Tage im September 1968 bestimmen. Ihr Anspruch ist es, bei den Internationalen Essener Song-Tagen 1968 Gruppen zu versammeln, deren »populäre Musik« kein »Narkotikum«, sondern ganz im Gegenteil ein »Politikum« darstelle, wie Kaiser programmatisch schreibt (1968a: 102). Kaiser selbst stellt im Magazin zu den Song-Tagen – um bei dem Beispiel zu bleiben – mit recht muffiger Rhetorik seinen Favoriten Frank Zappa als »bissigste Beat-Laus, die sich die Great-Society bisher in den Pelz gesetzt« habe, vor; unter Verwendung eines Zitats von Uwe Nettelbeck hält er die »Untergrund-Oratorien« der Mothers of Invention für den bislang »genialsten und bösartigsten Kommentar zum american way of life und american way of politics« (1968b: 194). Neben den Fugs und den Mothers of Invention treten bei den Essener SongTagen, dem bis dato größten Musik-Festival in Deutschland außerhalb des Jazz und der klassischen Musik, noch verschiedene andere Gruppen aus so unterschiedlichen Bereichen wie der Folklore und dem Kabarett auf. Seinen historischen Status erlangt das Festival aber als zentraler Treffpunkt der deutschen Gegenkultur, von der Kommune I bis Amon Düül und ihren vielen unbekannteren Nachfolgern aus anderen Städten und Provinzen. Auf sie zugeschnitten ist der Festivalabend unter dem Titel »Let’s take a trip to Hashnidi«, bei dem die Musik verschiedener Underground-Gruppen durch Filmprojektionen und Lichtinstallationen begleitet wird. Im Begleitbuch zum Festival ist dem Spektakel programmatisch vorgearbeitet worden: Die wirkungsvolle Änderung von ›Leben‹ und damit (nach kulturrevolutionärer Logik) auch ›Politik‹ sieht Kaiser nicht allein durch ›Kommentare‹, durch Liedtexte ins Werk ge-

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setzt. Der »neue Sound« ist für ihn »doppel-klingend«: »Als direkte Aktion wie bei den ›Fugs‹ und in den letzten Liedern Degenhardts. Aber auch als Musikhappening, das bewußtseinserweiternd und bewußtseinserweitert, psychedelisch, andere Erlebnisweisen erschließt« (1968a: 103). Für eine Lightshow mit entsprechendem psychedelischen Wirkungsziel ist in Essen die Düsseldorfer Mußegesellschaft zuständig, deren Mitglied Gerd Hübinger neben den Gruppe ZeroKünstlern Heinz Mack und Günther Uecker auch im Creamcheese für die Lichtprojektionen verantwortlich ist (Caianiello 2005: 119). Hübinger kündigt für Essen »neue Erlebnisdimensionen« an; der Einsatz von »Original-Strobe-Lights der Leisure Society« garantiere »ekstatische Höhepunkte« (1968: 139). Genau solche Höhepunkte scheinen aber vielen Vertretern der Neuen Linken tatsächlich Höhepunkte einer entfesselten liberalkapitalistischen Gesellschaft zu sein. Jürgen Habermas etwa ist überzeugt, dass der avantgardistische Versuch, die Kunst im Leben aufgehen zu lassen, nichts anderes bewirken werde als eine Erweiterung der kulturindustriellen Angebotspalette um die Erzeugnisse des Undergrounds. Das kulturrevolutionäre Bewusstsein diene letztlich nur zur Legitimation, einen »ungekränkten Konsumentenstatus einzunehmen«, es verschaffe den radikalen Hippies untergründig eine »zweite Unschuld, mit der sie an der affirmativen Subkultur teilhaben«, fasst Habermas seine nachhaltige Absage an all jene Kräfte zusammen, die aus seiner Sicht das Projekt der Aufklärung und der autonomen Kunst aus scheinrevolutionären Gründen aufgeben bzw. verraten (1969: 24ff.). In einer geläufigeren Fassung besteht die Kritik in der Auffassung, dass die abweichenden Gesten des Undergrounds hauptsächlich eine elitäre Distinktion und einen Motor des modischen Konsums darstellen würden. Für die linken Kritiker ist Pop ein wichtiger Antriebsfaktor des kapitalistischen Wachstums, auch in seiner vorgeblich progressiven oder Underground-Variante. Aus dem proklamierten Konsumverzicht sei »längst eine scheinbar separate Warenwelt geworden aus Beat- und Rockplatten, aus Posters und Protestknöpfen«; von einer »›Pop-Guerilla‹« zu reden, sei darum falsch und irreführend, lautet das nach 1967 jedem Linken bestens vertraute Argument (Buselmeier/ Schehl 1970: 79). Es gehört von nun an zum Kanon aller alternativen und linksradikalen Kräfte; sogar für die große Mehrheit der Anhänger nicht nur der Jazz- und Folk-, sondern auch der Rockmusik zählt »Kommerzialismus« zu den schlimmsten Vorwürfen. Hält man sich

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nur an die zahlreichen Wortbekundungen, ist der Schluss unausweichlich, dass es sich in den Jahren nach 1967/68 um einen Zeitabschnitt handeln muss, in dem der Konsum von Dingen, Moden, Unterhaltungsereignissen bei Teenagern und Twens stark zurückgeht oder wenigstens stagniert. Das ist aber bekanntlich nicht der Fall (vgl. Kleinschmidt 2008: 139ff.). Auch für den erneuten Aufschwung und die Ausweitung des Konsums unter den Zeichen von Jugendlichkeit, Pop und Rock gilt darum, dass sie überwiegend ohne eine intellektuelle und feuilletonistische Verteidigung von materialistischer Einstellung und passiver Konsumhaltung auskommen müssen.

ZWISCHENBILANZ Im Rückblick werden die Jahre um 1968 häufig als wichtiger Beitrag zur weiteren oder nun entscheidend einsetzenden Liberalisierung der westlichen Gesellschaften porträtiert (vgl. Herbert 2002; Siegfried 2008). Diese Einschätzung wird nicht selten von denselben Leuten vertreten, die in der Zeit Ende der 60er Jahre und zumeist noch viele Jahre danach für alles andere als liberale Positionen einstanden. Ihre Einschätzung, weitgehend unfreiwillig, als Objekte einer Art List der Geschichte, etwas befördert zu haben, das sie heute schätzen, aber damals bekämpft haben, findet insofern von feindlicher Seite Bestätigung, als Konservative 1968 gerne als Ausgangs- und Wendepunkt hin zur Herausbildung einer unsittlichen, niveau- und formlosen Kultur denunzieren. Es lohnt deshalb, dieses Urteil im Hinblick auf die Entwicklung einer liberalen Konsumkultur genau zu überprüfen. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die antiautoritäre, neulinks und/oder gegenkulturell ausgerichtete Bewegung der zweiten Hälfte der 60er Jahre gegen ihre zumeist erklärte eigene Absicht einen wichtigen Beitrag zu einer Entgrenzung der Konsum- und Popkultur geliefert hat? Zur Beantwortung der Frage ist es erstens wichtig festzuhalten, dass die bildungsbürgerliche Kunstauffassung von Seiten der antiautoritär Engagierten deutlich zurückgewiesen wird. Die harte Absage an Kategorien und Werte wie Aura, Werk, Schöpfertum, Genie, Kontemplation, Andacht, Klassik, Distanz, hohe Kunst, Einmaligkeit öffnet den Raum für eine mögliche Hochwertung von Objekten der Populärkultur und/oder der Massenfertigung. Auf eine Abneigung gegen-

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über massenhaft (re)produzierten Gegenständen – vor allem Taschenbüchern, Zeitschriften, Schallplatten, Fotografien, Filmen – trifft man unter den Antiautoritären nicht länger. Dass die Gegenstände – wie im Falle der Comics – teilweise keinen identifizierbaren Autor aufweisen oder – wie im Falle des Films oder der Rockmusik – kollektiv hergestellt werden, wird zudem im Rahmen der neuen Kunstideologie zum Vorteil. Eine Bewegung weg von der bildungsbürgerlich bevorzugten Kunst hin zur zeitgenössischen Unterhaltungskultur findet auch statt, weil die Ablehnung einer konzentriert andächtigen Haltung vor dem Werk manchmal auf eine Ästhetik des Schocks und der Zerstreuung hinausläuft, die auch für die flüchtigen Reize und isolierten Effekte der Popkultur empfänglich sein kann. Zweitens führt ein Weg von der Haltung und dem Lebensstil der jungen Rebellen zu Einstellungen und Verhaltensweisen, die für eine Ausweitung des Konsums förderlich sind. Die Ablehnung einer strengen Einhaltung von Pflichtanforderungen der Pünktlichkeit, Sauberkeit, Ordentlichkeit trägt dazu bei, ebenso das antiautoritäre Ideal und Gebot, sich dem Fremden und Femininen zu öffnen, aus der Enge einer männlich-aggressiven Selbstbehauptung auszubrechen und die Anforderungen an ein unauffälliges, normales Auftreten zu enttäuschen. Auf zwei Feldern werden die antiautoritären Einstellungen besonders gut sichtbar: zum einen in der Art, sich zu kleiden und den eigenen Körper zu präsentieren (formlose Kleidung, ungehemmterer Haarwuchs, lässige Haltung), zum anderen in Fragen der Sexualität (Vorrang der – gerne auch öffentlich angesprochenen oder sogar zelebrierten – Lustentfaltung gegenüber monogam eingehegter, schamvoll verschwiegener oder sogar beschnittener Intimität). Davon können auf zweierlei Art und Weise Impulse für eine Ausweitung des Konsums ausgehen: a) der geforderte Vorrang der Lustentfaltung, die Absage an eine stark bewehrte Selbstdisziplin kann dazu führen, dass Kaufhemmungen beseitigt werden (Sparsamkeit wird durch Bereitschaft, auf Kredit einzukaufen, abgelöst; durch Werbung oder sonstwie erotisch aufgeladene Produkte treffen auf geringere Abwehr; das Verlangen nach sinnlichen Genüssen – die in Warenform bereitgestellt werden – steigert sich); b) die propagierte Öffnung hin zum Fremden und Unnormalen schafft Raum für ein immens vergrößertes Warenangebot, das in immer neuen Moden und Abwechslungen die Ansprüche auf Differenz, Abweichung, Andersartigkeit, auf ungewohnte, nicht alltägliche Gegenstände und Ereignisse befriedigt.

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Es braucht keinen zeitlichen Abstand, um diesen möglichen Zusammenhang von antiautoritärer Haltung und konsumistischer Einstellung zu bemerken; die Wortführer der an der Frankfurter Schule geschulten Neuen Linken und gegenkulturellen Kräfte weisen in kritischer Manier bereits 1967/68 selbst oft genug darauf hin. Deshalb herrscht auch in der gesamten Szene eine entschiedene Zurückweisung von Konsum-Bejahungen bzw. liberalen (»Schein«-)Freiheiten vor. Auf der ideologischen Ebene, auf der Ebene der Selbsterklärung kann man sich eine größere Distanz zur modern-kapitalistischen Welt kaum vorstellen. Die Neue Linke tritt zwar für eine sozialistische Gesellschaft, für eine Verteilung des gesamtgesellschaftlich produzierten Reichtums zugunsten der jetzt noch Lohnabhängigen und Besitzlosen ein, die Konsumvorlieben der Arbeiter und Angestellten lehnt sie aber durchgängig ab. Solange die Kritik vieler jugendlicher Anhänger der Antiautoritären und Underground-Vertreter sich aber tatsächlich darauf beschränkt, ältere Konsumobjekte eines konservativen Geschmacks oder aktuelle Produkte einer Mainstream-Unterhaltung abzulehnen und an ihre Stelle neue, forciert andere Moden und Spektakel zu setzen, läuft ihre Konsumkritik beständig ins Leere. Zwar ist es mehr als fraglich, ob die antiautoritäre Revolte und die gegenkulturelle Szene besonders wichtig für eine weitere Entfaltung des antipuritanischen, hedonistisch entgrenzten Konsumismus gewesen sind – als treibende Kraft dieser Entwicklung zeichnet sich bereits um 1964 ein zunehmend liberaler Teil der Mittelschicht und eine junge, unter dem Zeichen von Beat und Pop aufwachsende Generation deutlich aus –, fest steht aber, dass ihre Variante der Konsumkritik sich in mancher Hinsicht auf interessante Weise mit einer Ausweitung des Konsums verbunden hat.

ALTERNATIVE BEWEGUNGEN UND MITTELSCHICHTS-WERTE Viele einzelne Protagonisten der 68er-Bewegung muss man von der Diagnose (bzw. von dem – aus ihrer Sicht beurteilt – Vorwurf) ausnehmen, sie hätten selbst zu einer Ausweitung des Konsums beigetragen. Das gilt zumindest, wenn man mit einem Beitrag zur Ausweitung des Konsums bloß eigene Kaufakte meint. Unter den Protestlern sind zum einen überwiegend Schüler, Lehrlinge und vor allem Studenten,

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die einfach noch nicht über genügend Geld verfügen, um sich dem Konsum hinzugeben; da fällt eine Absage an ihn natürlich leichter. Zum anderen gibt es nicht wenige, die ihr Leben bewusst nach Prinzipien der Konsumverweigerung einrichten. Sie greifen auf Kleidung aus zweiter Hand zurück, stören sich nicht an ramponierten oder abgenutzten Dingen und wohnen gemeinsam in Kommunen, um dort manches zu teilen, was sie sonst je einzeln hätten erwerben müssen. Seinen Höhepunkt findet das in den 70er Jahren. Auf der einen Seite stehen viele neugegründete maoistische, kommunistische Parteien und Zellen, deren Mitglieder sich privat bescheiden und beträchtliche Anteile ihrer Gehälter an ihre politische Organisation stiften (vgl. Anonymus 1977), auf der anderen Seite jene, die ihrer antiautoritären, antikapitalistischen Ausrichtung treu bleiben und darum versuchen, sich aus der bestehenden Gesellschaft so weit es irgend geht zurückzuziehen. Sie gehen aufs Land, um weitgehend autark zu leben, oder gründen Kneipen, Buchläden etc., die Teil der Szene sind und nur um den Preis der Selbstausbeutung ihrer Betreiber überleben können (vgl. Kraushaar 1978). All diese Versuche entspringen dem neulinken, kulturrevolutionären Aufbruch der Jahre 1967/68, auch wenn sich ihre jeweiligen Verfechter oft höchst feindlich gegenüberstehen. Gerade zwischen Anhängern der Alternativbewegung und den Mitgliedern der Kaderorganisationen gibt es tiefe Unterschiede. Einig sind sie sich jedoch zumindest in einem Punkt – in der Ablehnung des Konsums. Lehnen die einen ihn ab, weil sie darin nur ein Mittel sehen, ihre eigene politische Tatkraft und das Klassenbewusstsein der Arbeiter zu korrumpieren, sehen die anderen in ihm ganz grundsätzlich die Ursache und den Ausdruck eines verfehlten Lebens (Joschka Fischer spricht gleich von der »Krankheit« der »entfesselten Plastikkultur«; 1977: 61); sozialistische Versuche, hinter der abzulehnenden kapitalistischen Version des »Massenkonsums« auch die »legitimen Bedürfnisse« des »Proletariats« zu erkennen (etwa Enzensberger 1970: 171; Haug [1971] 1976: 133), kommen dagegen nicht an. Im geschichtlichen Rückblick wäre das kaum erwähnenswert – schließlich beschränken sich die Versuche, innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft sich auch materiell vollständig von ihr zu lösen, auf kleine Gruppen und wenige Jahre –, wenn die Haltung wider den Konsum in den 70er Jahren nicht eine große Ausstrahlungskraft besitzen würde. Dies ist das eigentlich Bemerkenswerte der Alternativbewegung: Sie zieht enorm viele junge Leute, Schüler und Studenten, an –

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und ihre Einstellungen können sich in mal mehr, mal weniger abgeschwächter Form zunehmend auch unter vielen Angehörigen der Oberund Mittelschicht in der Altersstufe zwischen fünfundzwanzig bis vierzig Jahren durchsetzen. Ablesen kann man diese Entwicklung an der weit um sich greifenden Veränderung der Kleidungs- und Umgangsformen hin zu Lockerheit und Formlosigkeit; ausbuchstabiert bekommt man sie in Sachbuchbestsellern wie Erich Fromms Haben oder Sein (1976), die für eine erfüllte, nicht-entfremdete Lebensweise eintreten, die sich vom »Besitzdenken« und »Konsumzwang« abwendet (s. etwa auch Böll 1979: 133f.). Bestärkt wird sie durch konservative Bedenken über die Grenzen des Wachstums – besonders, in Malthus’scher Tradition, über die angeblich bedrohlich überschrittenen Grenzen des Bevölkerungswachstums – und die Erschöpfung oder Zerstörung natürlicher Ressourcen (für den Club of Rome: Meadows u.a. 1972), parteipolitisch institutionalisiert wird sie durch die Gründung der Grünen, deren Programm selbstverständlich »verbrauchsgerechte Waren« fordert und die »Kommerzialisierung des Naturgenusses und der Freizeit«, jede Form der Fernseh- und Hörfunkwerbung sowie »Kulturindustrie« und »›Kulturkonsum‹« strikt ablehnt (Die Grünen 1980). Sogar die ordoliberalen Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft wehren sich gegen eine Fetischisierung des Wachstums; sie bezweifeln zum einen, dass der Kauf eines Zweit- oder Drittfernsehers, der sich positiv in den Ziffern des Bruttosozialprodukts niederschlägt, zwangsläufig zur Zufriedenheit der Konsumenten beiträgt, und sie weisen zum anderen sorgenvoll darauf hin, dass in solchermaßen berechneter Wachstumseuphorie die Schädigungen von Mensch und Umwelt nicht berücksichtigt würden (Erhard/Müller-Armack 1972: 147f.). Wenn solche Bedenken schon von Anhängern der freien Marktwirtschaft vorgetragen werden, kann man sich vorstellen, wie heftig sie die Gegner dieser Wirtschaftsordnung ergreifen. Für die linksalternativen Systemgegner ist der von ihnen vorhergesehene Schrecken einer zerstörten Natur zugleich eine maximale weltanschauliche Bestätigung: Nun können sie ihre Abneigung gegen den Konsum, die sie aus anderen Gründen ohnehin hegen, mit dem vollen Pathos der Menschrettung vortragen. Weit über die Wählerschaft der Grünen oder den Hunderttausenden Käufern von Büchern wie denen Fromms hinaus gilt Konsum vor allem in den Mittelschichten nicht zuletzt darum als ein Phänomen von höchst zweifelhaftem Wert, gegen das man immer wieder

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Selbst- und Naturbewusstsein sowie Kreativität und Partizipation ins Feld führt (vgl. Klages 1988; Klages/Hippler/Herbert 1992). All dies geschieht in einem Jahrzehnt, in dem der Konsum keineswegs zurückgeht, auch nicht der von modischen Waren und Unterhaltungsangeboten. Postmaterialistische Haltungen können nicht zuletzt deshalb artikuliert und kultiviert werden, weil der Grad materieller Absicherung relativ hoch ist. Wie schon Ende der 60er Jahre manchmal in den kleineren Szenen der Antiautoritären und linksrevolutionären Intellektuellen oder vor allem in der Schicht der sich stilbewusst gebenden Kulturkenner und Leute von Welt wird nun in weiten Teilen der Mittelschicht dem Konsum abgesagt, ohne ihn tatsächlich zu verringern. Die erfolgreiche ›Lösung‹ dieses offensichtlichen Widerspruchs besteht einfach darin, nur ganz bestimmte Teile der Käufe von Privatpersonen als Konsum zu bezeichnen – die Kauf- und Aneignungsakte der anderen. Die Gegenstände, die man selbst kauft, scheinen viel weniger kommerziell und anspruchslos zu sein als die der Kleinbürger und Arbeiter; die Wahrnehmung der Objekte, mit denen sich die Angehörigen der (oberen oder aufstrebenden) Mittelschicht umgeben, sowie ihr Umgang mit ihnen erscheint ihnen selbst viel weniger zerstreut und teilnahmslos zu sein. Kurz gesagt: Als Konsum wird bloß bezeichnet und abgelehnt, was wertlos und unkreativ erscheint.

GEGENKULTUR ALS POP-AFFIRMATION Gegen Ende der 70er Jahre regt sich unter Feuilletonisten und in jungen intellektuellen Kreisen erster Protest gegen die unter ihresgleichen hoch dominante Verurteilung und Abwertung des Konsums. Auch die Verurteilung der Mode kann, wie die Alternativbewegung der 70er Jahre eindrucksvoll bewiesen hat, selbst zur Mode werden und nach dem modischen Gesetz von nachlassender Attraktivität und Aufmerksamkeit im Laufe einiger Jahre stark an Reiz und Überzeugungskraft verlieren. Dieses Schicksal ereilt in den 80er Jahren unterschiedslos die wichtigsten Attitüden und Lebensformen des besonders entschiedenen jugendlich-subkulturellen, des asketisch und politisch engagierten Teils der Alternativbewegung. Vereinzelt bereits Mitte der 70er Jahre, etwas stärker schon am Ende des Jahrzehnts wird den Ansprüchen der Alternativbewegung von Leuten und Gruppen, die dem ange-

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stammten Milieu der Alternativen – der studentischen, künstlerischen Boheme – angehören, widersprochen. Die ästhetische Abneigung richtet sich besonders gegen die Ansprüche und Formen des Kreativen, Organischen, Natürlichen, weich Entgrenzten, Innerlichen. Dagegen wird der Vorrang des Äußerlichen, Oberflächlichen, scharf und kantig Begrenzten, Künstlichen, rational Konstruierten behauptet – und weil das alles Dimensionen sind, die in die alternative Zuspitzung der Konsumkritik eingehen, ist der Schritt von der Absage an Innerlichkeit, Natürlichkeit, Schöpfertum etc. hin zu einer Affirmation des Konsums nicht weit. Vorbereitet wird der Schritt durch Strömungen des Post-Punk und New Wave, vollzogen von den Protagonisten unter ihnen, die den starken Stilisierungswillen weg von schwarzen hin zu bunten Oberflächen und Atmosphären richten. Angesichts der nun über die alternative Szene hinaus vorherrschenden postmaterialistischen Einstellungen ist es nur konsequent, diesen Schritt als eminent politisch subversiven Akt auszugeben. Das federführende Organ dieser eigentümlichen Umwertung ist in der Bundesrepublik die Musik- und Kulturzeitschrift Sounds. Werden dort Ende der 70er Jahre avancierte Rockgruppen noch gerne »als gerechte Strafe für alle Konfektions-Travoltas« gepriesen (Schober 1979), wandelt sich der Ton Anfang der 80er Jahre durchgehend (vgl. Hinz 1998). Spätestens 1982 stehen die wichtigsten Beiträger der Zeitschrift vollends auf Seiten zeitgenössischer »Konfektions-Travoltas«, um diese in hochgradig kritisch gedachter Absicht gegen die im kulturellen Überbau und Staatsapparaten (in den Schulen, Universitäten, öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Feuilletons) durchgesetzten, demonstrativ konsumfeindlichen Werte ins Feld zu führen. Wenn es nun zur Musik der »Mode-Band« Leisure Process heißt: »charakterlos, aber gut diskothekenfähig« (Diederichsen 1982), dann ist das ein (moderates) Lob, kein Tadel. Gleich in einer seiner ersten Rezensionen spricht der Wortführer der neuen Richtung, Diedrich Diederichsen, einen nicht unbedeutenden Teil seiner (imaginären) Leserschaft mit »junge Narzißten« an (Diederichsen 1979a). Ins Licht rücken dadurch neben neuen Platten von James White & The Blacks, Talking Heads etc. die wesentlich populäreren Produkte der »bösen amerikanischen Unterhaltungsindustrie« wie etwa die »Action-Filme« von Brian de Palma, John Carpenter und Walter Hill, mit denen sich Diederichsen harsch von den gängigen

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feuilletonistischen Vorlieben »Deutschlands langweiliger Filmkritiker« absetzt (Diederichsen 1979b). Hat man dabei 1981 noch in erster Linie auf ein Nebeneinander (zu einem kleineren Teil auch auf eine Verschränkung) von ausgesuchten Beispielen avancierter New Wave- und experimentellerer Rock- sowie mitreißend künstlicher Popmusik gesetzt, überwiegt im Jahr 1982 merklich die Pop-Begeisterung (ohne dass die anderen Vorlieben deshalb verschwinden würden). Von den oberflächlichen Narzissten und den vorbildlichen Artefakten der amerikanischen Kulturindustrie führt die ästhetisch-ideologische Begeisterung beinahe zwangsläufig zum Lob des Konsums, ein Lob, das sich hier erstaunlicherweise einer linksradikalen, antikapitalistischen Stoßrichtung verdankt. Programmatisch schreibt die Sounds-Redaktion (höchstwahrscheinlich in Person Diederichsens) im September ’82 zur gegenwärtigen »Lage«: »Der Kapitalismus herrscht und hat sich all die alternativen Werte zu eigen gemacht. Hippies sitzen in der Regierung und geiler Konsum (du weißt schon: Genuß ohne Reue, z. B.: McDonalds, Haircut 100, Walkmen etc.) ist z. Z. längst von den Herrschenden verpönt worden. Der Bundespräsident trägt längst eine ›Jute statt Plastik‹-Tüte. Wir setzen dagegen mehr auf das Kämpfen im Kleinen, auf Erschütterungen der immer gleichen Leitideen, die dir von allen Vertretern der Herrschaft vorgeleiert werden. Dazu gehört auch, daß wir all die kleinen Teenie-Obsessionen fördern und ausleben, die wir damals wie heute haben und die wir uns nicht von rigider alternativer Moral zerstören lassen wollen, aber auch unsere ernsthafteren Erwachsenen-Obsessionen kommen nicht zu kurz. Trotzdem bleiben wir aufrechte Bolschewiken, bzw. Salonmenschewiken, je nachdem, nur in modernisierter Version.« (Redaktion Sounds 1982)

Allein an der falschen Identifikation von »Kapitalismus« mit gewissen ökologischen und konsumkritischen Einlassungen von Repräsentanten des Staates kann man aber natürlich rasch erkennen, dass die beschworene politische Ausrichtung der Konsum-Bejahung eher zu vernachlässigen ist. »Kämpfe im Kleinen« finden zwar tatsächlich statt, sie werden jedoch nicht gegen die »Herrschaft« ausgefochten, sondern gegen die »Hippies« im kulturellen, publizistischen Umfeld. Hier sind auch durchaus beachtliche Erfolge zu verzeichnen; die Auflösung der linksalternativen Hegemonie im kulturellen Bereich, die im Laufe der 80er Jahre stattfindet, öffnet den Raum für eine allmähliche feuilletonisti-

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sche Hochwertung des Pop-Konsums. »Teenie-Obsessionen« und McDonald’s werden dabei allerdings kaum berücksichtigt, wohl aber eine ganze Reihe postmoderner Künstler und Phänomene. Vor allem in den nun typischerweise wieder in größerer Zahl lancierten ZeitgeistMagazinen (und in abgeschwächter Form dann rasch auch in viel auflagenstärkeren Illustrierten, Nachrichtenmagazinen, Zeitungsbeilagen, Stadtzeitschriften) wird mit der alternativen Ästhetik und Moral nachhaltig gebrochen: Berichte über Designer, technologisch avancierte Produkte, libertäre Pop- und Filmstars, erfolgreiche junge Leute, aggressiven sexuellen Hedonismus bilden eine einzige Frontstellung gegen alternative Formlosigkeit und Natürlichkeitsansprüche. Eine herrschaftskritische Dimension im Sinne eines kapitalismuskritischen Ansatzes weist diese erfolgreiche Herausforderung alternativer Haltungen und Stile jedoch gerade nicht auf. Die Propagierung bestimmter postmoderner, auf den schön und glatt designten Schein der Oberfläche setzender Attitüden und Produkte verbindet sich außerhalb der kleinen Kreise ›salonbolschewistischer‹ Intellektueller und Bohemiens vielmehr mit der Wiederkehr und Durchsetzung der genau entgegengesetzten politischen Ziele. Nicht zufällig findet die Mitte der 80er Jahre gerne heranzitierte Figur des yuppies, des young urban professional, der mit seinen modernen, teuren Anzügen, seiner materialistischen, egoistischen Haltung und seiner statusbewussten Leistungsideologie das genaue Gegenteil des alternativen Typus darstellt, ihre bekannteste Ausprägung im Londoner oder New Yorker Börsenmakler. Es ist aber ebenfalls kein Zufall, dass es in der deutschen Szenerie keine eigenen, bekannten Verkörperungen des neuen ultrakapitalistischen Typus gibt. Dennoch geht der Neoliberalismus dieses Mal auch in Deutschland mit einer Bejahung des hedonistisch entgrenzten Konsums bedenkenloser einher als noch in den 50er Jahren. Die liberalen Veränderungen im kulturellen Bereich der Bundesrepublik – die Bejahung von Pop-Oberflächen und sexueller Selbstbestimmung, die teilweise Entwertung der klassischen Bildung und Kultur sowie des puritanischen Pflichtenethos unter Angehörigen der oberen Mittelschicht und der Oberschicht – begleiten und begünstigen nun in mehrfacher Weise weltanschauliche und politische Änderungen innerhalb der Sozialen Marktwirtschaft.

Weltanschauungen der Marktwirtschaft 1972-2010

SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT UND NEOLIBERALISMUS Die Renaissance des Neoliberalismus läuft in Deutschland nicht auf eine einfache Wiederaufnahme des Ordoliberalismus hinaus. Seit den 70er Jahren setzen sich die angelsächsischen Konzeptionen des Neoliberalismus allmählich stärker durch. Trotzdem kann man mit Blick auf die deutschen Verhältnisse ebenfalls von einer Renaissance des Neoliberalismus sprechen, wenn sie auch viel weniger ausgeprägt als im Amerika und England Ronald Reagans und Margaret Thatchers ausfällt. Der Grund dafür liegt in jenen neoliberalen Doktrinen des Ordoliberalismus, die – ungeachtet der ordoliberalen Betonung der bedeutenden Aufgabe des Staates für die Sicherung der marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen – den Sozialstaat tendenziell als eine eminente Gefahr für Wettbewerb und Wohlstand ansehen. In diesem Punkt stimmten die deutschen Ordoliberalen der 40er und 50er Jahre grundsätzlich immer mit ihren angelsächsischen Verbündeten wie dem (aus Österreich stammenden) Friedrich von Hayek überein, unter dessen Leitung sie sich in einem Debattierzirkel, der Mont Pèlerin-Gesellschaft, auch regelmäßig trafen. Wie die deutschen Neo/Ordoliberalen betont Hayek in seinem einflussreichen Traktat The Road to Serfdom, dass die liberale Freiheit, die in der Konsumfreiheit stecke, ein wichtiges Moment sei, unabhängig von staatlicher Kontrolle zu leben. Im Mittelpunkt von Hayeks Kritik stehen aber natürlich die staatlichen Eingriffe, denen sich Unternehmer und Privateigentümer ausgesetzt sehen; der Staat soll nur die rechtliche Ordnung für die Konkurrenzwirtschaft vorgeben, alle Ansätze zu einer Planwirtschaft

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führen nach Einschätzung Hayeks nicht nur zu einer Diktatur der Bürokraten, sondern auch zu einem ökonomischen Niedergang. Jede Bemühung des Staates, die sozialen Unterschiede einer kapitalistischen Gesellschaft abzumildern, lehnt Hayek aus besagten Gründen ebenfalls ab, nur die Unterstützung mit dem lebens- und arbeitsnotwendigen Minimum an Nahrung, Kleidung, Behausung hält er für gerechtfertigt. Insgesamt fällt sein Urteil eindeutig aus: Je stärker die Anstrengungen darauf ausgerichtet seien, soziale Sicherheit durch Eingriffe in das Marktgeschehen zu erreichen, desto größer werde schließlich die Unsicherheit. Politisch sieht er deshalb sogar bedenkliche Gemeinsamkeiten zwischen der nationalsozialistischen Herrschaft und den sozialstaatlichen Tendenzen der demokratischen Staaten, vor allem denen Schwedens ([1944] 2008: 127, 88, 86, 148, 154, 58). All das sehen die deutschen Neo/Ordoliberalen ganz ähnlich oder genauso. Zu jedem der genannten Punkte könnte man leicht Querverweise zu den Schriften Röpkes, Müller-Armacks der 40er Jahre liefern. Wichtige Unterschiede ergeben sich allerdings aus dem, was Hayek zusätzlich ausführt oder was für ihn im Unterschied zu den deutschen Akademikern keine Rolle spielt. Gemäß der englischen liberalen Tradition streicht Hayek das Recht und die vorzügliche Besonderheit des Individuums heraus, sehr weitgehend seinen eigenen Wünschen zu folgen und sich eigenwillig zu verhalten; vom Nachbarn und selbstverständlich auch vom Staat wird darum »tolerance of the different and queer« eingefordert (ebd.: 219). Solch eine Aufforderung, solch ein politisches Postulat wird man bei den deutschen gemeinsinnigen Ordoliberalen niemals finden. Umgekehrt sucht man bei Hayek vergeblich nach dem, was für seine deutschen Kollegen eine außerordentliche Bedeutung besitzt – nach kulturkritischen Einlassungen. Ein anderer Unterschied wirkt sich ebenfalls bedeutsam aus. Er ist zwar bloß gradueller Natur, führt aber ins Zentrum der liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftskonzeption. Im Einklang mit ihren Bedenken gegenüber einer atomisierten Gesellschaft (in der die individuelle Isolation rasch in eine Vermassung umschlagen könne) sind die deutschen Ordoliberalen immer wieder geneigt, dem Staat bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen für den freien Wettbewerb mehr Raum zuzugestehen, als lediglich die Konkurrenzwirtschaft rechtlich zu garantieren. Das kann im äußersten Fall – wie bei Müller-Armack – sogar soweit gehen, dass die »Soziale Marktwirtschaft« unter staatlicher Aufsicht und Anleitung den angestrebten Ausgleich zwischen den drei

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»Zielen persönliche Freiheit, wirtschaftliche und gesellschaftliche Sicherung und Wachstum« u.a. nicht nur durch soziale Absicherungen, Subventionspolitik und Erleichterungen bei der Vermögensbildung herbeiführen soll, sondern auch durch die Förderung »geistiger« Harmonie ([1962] 1974g: 150ff.). Konsequenterweise wehrt sich MüllerArmack um 1960 denn auch gegen die Einschätzung, die »Soziale Marktwirtschaft« sei bloß eine »Abart des Neoliberalismus« mit dessen Betonung individueller Konkurrenz (ebd.: 148). Anfang der 70er Jahre liest sich das bereits wieder anders. Eine neue Frontstellung sorgt jetzt für eine revidierte Stoßrichtung des Programms der »Sozialen Marktwirtschaft«. In die Defensive gedrängt, kehren Müller-Armack und Ludwig Erhard den neoliberalen Charakter ihrer Konzeption wieder stärker hervor. Die momentan erfolgreichen Gegner sind nun die sozialdemokratischen Keynesianer – und es sind die Neuen Linken mit ihrer Revitalisierung antikapitalistischer Überzeugungen. Eine Abgrenzung vom Neoliberalismus steht keineswegs mehr auf der Tagesordnung. Staatliche Eingriffe in den marktwirtschaftlichen Ablauf – vor allem die »inflationistische Erweiterung der Staatsaufgaben und der staatlichen Kreditfinanzierung« – rücken deshalb wieder in den Mittelpunkt der scharfen Kritik der deutschen Ordo/Neoliberalen (Müller-Armack 1972: 35). Eine aus ihrer Sicht überzogene Einkommensumverteilung, eine weitreichende keynesianische Konjunkturpolitik stellen für sie ein »›ZUVIEL‹ an Staat« dar – eine Entwicklung, die für sie zwangsläufig über kurz oder lang zum ökonomischen Niedergang und zu einer totalitär-sozialistischen Gesellschaftsform führen muss (Erhard/Müller-Armack 1972: 279, 277, 195f.). Zu Neoliberalen angelsächsischen Typs werden die deutschen Ordo/Neoliberalen damit aber nicht vollständig. Trotz ihrer Angriffe auf die zunehmende Verstärkung der »Steuerlast«, trotz ihrer scharfen Kritik an allen Versuchen, die Marktwirtschaft ›dirigistisch‹ einzuschränken, verpflichten sie den Staat nicht nur darauf, die Wettbewerbsordnung zu garantieren. Um einiges stärker als im angelsächsischen Neoliberalismus vorgesehen, betrauen sie den Staat auch mit der Aufgabe, »sozialen Schutz« zu gewähren und die »Einkommensströme« so umzuleiten, dass »soziale Leistungen, wie Kindergeld, Mietbeihilfen, Renten, Pensionen, Sozialsubventionen usw.«, erteilt werden können (Müller-Armack 1972: 26f.).

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Bei allen Bekenntnissen zur »Leistungsgesellschaft« und zur Eigenverantwortung, bei aller Verzweiflung über diejenigen, welche ihre »Freiheit« preisgeben würden, um sich aus »Bequemlichkeit« materielle Unterstützung vom Staat zu erhoffen (Erhard 1972b: 11), beschränkt sich bei diesen deutschen Ordo/Neoliberalen das Credo der »Sozialen Marktwirtschaft« demnach nicht auf die Überzeugung, dass der freie Wettbewerb mit seiner Wachstumskraft hinreichend »sozial« wirke. Folgerichtig setzt ihre Kritik am Sozialstaat auch in den 70er Jahren später ein, als es den Vorstellungen Hayeks u.a. entspricht. In anderer Hinsicht gleichen sie sich der Position Hayeks jedoch an. Zu Anhängern eines liberalen, gar exzentrischen Individualismus (s. auch Friedman 1962) werden Erhard und Müller-Armack zwar immer noch nicht, die geschichtliche Konstellation lässt sie aber zumindest ihre kulturkritischen und ›geistigen‹ Vorstellungen, die immer einen Zug zu einer autoritär gestifteten Gemeinschaftskultur aufwiesen, vergessen bzw. hintanstellen. Es ist der Reflex auf die Attacke des ideologisch momentan stärksten Gegners, der sie zu einer Abwehrhaltung führt, über der ihr eigenes Angriffsziel wenigstens vorübergehend aus den Augen gerät. Konfrontiert mit der Absage der Neuen Linken an den vermeintlich manipulativen und freudlosen Konsumismus, gehen die deutschen Ordo/Neoliberalen um Erhard und Müller-Armack zu einer Verteidigung über, die keinen Raum mehr lässt für die eigenen Bedenken gegen materialistische und hedonistische Einstellungen. Nun bleibt es ganz allein bei der Apologie der Konsumfreiheit und der am gestiegenen Verbrauch privater Haushalte abgelesenen allgemeinen Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage. Gegen die antiautoritäre und alternative Gesellschaftskritik wird das Heer der Konsumenten aufgerufen, »die kaum einverstanden sein werden, ihre gute und sich ständig verbessernde Versorgungslage als gesellschaftlichen Skandal einer auf ›Konsumterror‹ angelegten Gesellschaftsordnung anzusehen« (Müller-Armack 1972: 31). Von liberalen wie von konservativen Sozial- oder Christdemokraten wird zudem in Reaktion auf die befürchtete oder konstatierte neulinke kulturelle Hegemonie deren Konsumkritik indirekt mit dem Argument zurückgewiesen, es handle sich dabei um den Versuch von Intellektuellen und Publizisten, für ihre Kaste Vorherrschaft über die Ausgestaltung der Freizeit und privaten Freiheit der werktätigen Bevölkerung zurückzugewinnen (etwa Schelsky 1975; Scheuch 1973).

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In den 50er Jahren folgte auf das Lob der »freien Konsumwahl« (Erhard [1953] 1962a: 222) noch zuverlässig der einschränkende oder besorgte Nachsatz, dass allerdings über einer »äußerlichen Lebensführung« die »Wurzeln« des »menschlichen und nationalen Seins« angegriffen würden (Erhard [1957] 1962c: 339), eine weitere Steigerung von Konsum und Wohlstand nur »Begehrlichkeit und Unruhe bei den Menschen« erhöhe (Müller-Armack [1959] 1974e: 125) und ihre große »Lebens- und Zukunftsangst« keineswegs besänftigen könne (MüllerArmack [1960] 1974f: 132). Angesichts der unablässigen Angriffe der Neuen Linken und Alternativen auf Konsumismus und manipulative Werbung fallen diese Einschränkungen und Bedenken knapp zwei Jahrzehnte später erst einmal weg.

NEOLIBERALISMUS MIT UND WIDER KONSERVATISMUS Die bloße Verteidigung des Konsums gegen die Angriffe der diversen kapitalismusfeindlichen Strömungen der Zeit nach 1967/68 ist nicht das letzte Wort der orodoliberalen Konservativen. Das überrascht nicht, stünde doch sonst der Konservativismus Gefahr, einfach im weitgehend amoralischen Neoliberalismus auf- und damit unterzugehen. Die Lösung des Problems besteht darin, die Liberalisierungen vorwiegend auf anderen Gebieten als denen des Konsums anzugreifen – und die liberalen, individualistisch-egoistischen, hedonistischen, materialistischen Einstellungen und Haltungen vor allem nicht auf die Wirkungen einer entfesselten, freien Marktwirtschaft zurückzuführen, sondern auf die ideologische Vorherrschaft linker Intellektueller, Pädagogen, Künstler. So kann man auch von konservativer Seite das neoliberale Programm eines Abbaus staatlicher sozial- und konjunkturpolitischer Eingriffe in das Wirtschaftsleben vorantreiben und zugleich konservative Werte herausstellen. Davon wird auch wieder unmittelbar die Bewertung des Konsums berührt. Die konservative Argumentation, die auf eine Versöhnung von Konsumkritik, Bekämpfung linksliberaler Meinungen und Ausweitung neoliberaler ökonomischer Politik hinauslaufen soll, geht wie folgt: Angeklagt wird die permissive, antiautoritäre Haltung in Fragen der Moral und der Sekundärtugenden nicht nur, weil man eine ganz bestimmte, andere Position, was Gebote und Pflichten anbelangt, ein-

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nimmt, sondern auch weil man allgemein annimmt, dass die antiautoritäre Wendung gegen »jede Entsagung« missliche Folgen nach sich ziehe, wie sich besonders in der Erziehung zeige. Das Anliegen, »Entbehrungen« und »Triebstauungen« zu vermeiden, leiste »Verweichlichungstendenzen« Vorschub, fördere die »›Sucht nach dem Mehr‹« und bringe einen in ausweglose Abhängigkeit und Not, weil man schließlich nicht in der Lage sei, »mindestens vorübergehend gleichsam den Gürtel enger zu schnallen, ohne daß dies ein unerträgliches Opfer bedeutet«. Obwohl sie zu den schärfsten Kritikern des Konsumismus gehörten, hätten die antiautoritären, neulinken Kräfte durch ihre pädagogische Absage an gemeinschaftliche Normen und an die Selbstzucht ohne es zu bemerken tatsächlich den »Geist der Konsumgesellschaft« elementar gefördert – jene Konsumentenhaltung nämlich, die mit »Passivität«, »Bequemlichkeit«, »Oberflächlichkeit«, aber auch »Hast«, »Unruhe« und einem »fortgesetzten Höherschrauben des Anspruchsniveaus« einher gehe. Die Gefahr, dass sich »gerade wegen des hohen Wohlstands« weniger »subjektives Glücksempfinden« einstelle, liegt dieser Beschreibung nach natürlich auf der Hand; die Annahme, dass es wegen der Verbraucherhaltung zu einer Abwertung von »Liebe und Ehre, Bescheidenheit und Hilfsbereitschaft, Dienst am Menschen oder unabhängige Meinungsbildung, Versenkung und Andacht, Weisheit und Moral« komme, wird bereits als bedrohliche Tatsache verbucht. Der »fehlende Wille zur Eigenleistung«, die mangelnde Bereitschaft des Konsum-Bürgers, sich in Familie, Nachbarschaft und kleinen Gemeinschaften für andere zu engagieren, führe zudem dazu, dass immer mehr Forderungen an die staatlichen Stellen ergingen, obwohl doch eine Ausweitung der staatlichen Hilfen letztlich nur zu mehr »Bürokratie« und zu einer Verfestigung der »Konsumgesellschaft« führe – mit all ihren »bedenklichen Erscheinungen von sekundärer und relativer Armut, von Verwöhnung und Verweichlichung, von Sättigung und Übersättigung, von Drogenmißbrauch und Zivilisationskrankheiten, aber auch von Verwirtschaftlichung des Lebens und emotionaler Unterernährung« (Küng 1972: 100f., 153, 147f., 155, 150, 184). Auf diese Art und Weise können konservative Werte vorzüglich mit dem neoliberalen Projekt, den Sozialstaat abzubauen, zusammengebracht werden. Die Sicherung eines einigermaßen hohen allgemeinen Wohlstands ist nach der konservativen Beweisführung unnötig, ja abzulehnen, weil der dadurch ermöglichte Konsum individuelle und

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gemeinschaftliche Nöte und Verwerfungen verursacht. »Entsagung« und Triebunterdrückung, eigene Aktivität und bewusste, stolze Unabhängigkeit auch und gerade auf niedrigerem materiellen Niveau werden deshalb keineswegs (nur) als ökonomisch vernünftig, sondern als moralisch und im Sinne einer besseren Lebensführung geboten hingestellt. Ein Widerspruch zwischen (neo-)konservativen und neoliberalen Begründungen und Zielsetzungen zeigt sich allerdings immer dann, wenn der Konsum von konservativer Seite nicht bloß deshalb kritisch beurteilt wird, weil er zu erhöhten Ansprüchen, die sozialpolitisch, staatlich unterstützt werden, und zu einer möglichen Zersetzung der Gemeinschafts- und Arbeitsmoral beiträgt. Sobald die konservative Konsumkritik Teil einer Kritik der überall hin ausgedehnten »Leistungsgesellschaft« und der Ökonomisierung des Alltags und des Privaten ist (ebd.: 183f.), zeigt sich ein deutlicher Abstand zu neoliberalen Bestrebungen, die in den meisten Fällen auf die Lösungen des Marktes, nicht auf davon unabhängige Traditionen oder moralische Güter vertrauen und für die ein »Jenseits von Angebot und Nachfrage« folglich um einiges später beginnt als für ordoliberale oder andere Konservative. Man kann diesen Abstand auch sehr gut daran ermessen, dass sich die entschiedenen, wirkungsmächtigsten Gegner der von ihnen so benannten Neokonservativen, die Vertreter der Frankfurter Schule um Jürgen Habermas, bei allen sonstigen tiefen Differenzen hinsichtlich der Ausweitung demokratischer Prozesse im Punkt der Konsum- und Ökonomisierungskritik mit ihren ordoliberalen Widersachern treffen. Im Vokabular Habermas’ richtet sich die entsprechende Kritik an der »Verödung der kommunikativen Kapazitäten der Lebenswelt« neben der »Monetarisierung von Diensten, Beziehungen und Lebenszeiten« selbstverständlich auch gegen die »konsumistische Umdefinition des persönlichen Lebensbereiches« (1979: 27) und die »kommerzialisierte Massenkultur« (1973: 120). Röpkes Urteil, dass der Markt und der Wettbewerb jene »sittlichen Reserven«, welche seine Voraussetzung bilden, nicht erzeugt, sondern sie vielmehr ungezügelt verbraucht, teilt auch Habermas. »Der Kapitalismus zehrt seit Jahrhunderten vom Polster vorbürgerlicher Traditionen«, heißt das bei ihm, an deren Fortbestand mag er freilich keineswegs glauben: Unter den jetzigen Bedingungen der ökonomistisch durchdrungenen, rationalistisch erfassten und konsumistisch verformten Lebenswelt ließen sich die »aufgezehr-

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ten Bestände als Traditionsbestände nicht mehr regenerieren« (1979: 23). Ebenfalls geteilt wird von den Frankfurtern die konservative und neoliberale Skepsis gegenüber den Möglichkeiten einer keynesianischen Konjunkturpolitik (Dubiel 1985: 87ff.), sodass mit Blick auf die Zeit nach dem Ende des enormen Nachkriegswachstums eine tiefe Krise diagnostiziert wird. Im Unterschied zu vielen konservativen und allen neoliberalen Vertretern sind die Frankfurter aber davon überzeugt, dass weder eine Rückdrängung antiautoritärer Impulse noch eine (Wieder-)Herstellung einer wahrhaft freien Marktwirtschaft die Krise beheben könnte – und für wünschenswert halten sie solche Projekte ohnehin nicht. Vollends zum Scheitern verurteilt sehen sie das konservative Anliegen; innerhalb des Kapitalismus sei es ganz und gar unmöglich, gemeinsinnige Werte zu etablieren – entsprechende ordoliberale, (neo-)konservative Absichten seien nichts als die »Beschwörung fiktiv gewordener Traditionsbestände« (Offe 1979: 310). Selbst die »in der Produktion geforderte asketische Ethik« werde zwangsläufig ausgehöhlt, weil der »spätkapitalistische Produktionsapparat« aus Gründen des Renditewachstums »eine hedonistische Ethik im Freizeitbereich« stimulieren müsse (Dubiel 1985: 80). Mit Daniel Bell ([1976] 1991) sehen die Vertreter der Frankfurter Schule der 70er und 80er Jahre eine »Divergenz zwischen den vom soziokulturellen System angebotenen und den vom politischen und ökonomischen System beanspruchten Werten« (Habermas 1973: 120) bzw. einen mittlerweile nicht mehr aufhebbaren Widerspruch: der »konsumistische Hedonismus«, aber auch die »strategische, d.h. interessengeleitete Einstellung gegenüber der politischen Gemeinschaft, der Kult des Individuums, die permanente Statusunzufriedenheit« bezeichneten »nicht etwa das Ende des bürgerlichen Triumphs«, wie manche Kulturkritiker annähmen, sondern »nur seinen massenweisen Triumph.« Die bürgerliche Gesellschaft werde nämlich nicht durch einen »moralischen Wertekanon«, sondern durch die »moralisch neutrale Verfolgung egoistischer Interessen« zusammengehalten. Eine in konservativem Sinne beabsichtigte Rettung bürgerlicher Werte (mit der Absicht, den kapitalistischen Materialismus und Konsumismus zu bezähmen) ist darum nach Ansicht der Frankfurter zum Scheitern verurteilt – und eine Rückkehr zu vorbürgerlichen Traditionen, wie bereits gesehen, ohnehin illusorisch (Dubiel 1985: 41).

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Einig sind sich die Protagonisten der Frankfurter Schule mit ihren (neo-)konservativen Widersachern demnach bloß (bzw. immerhin) in einem wichtigen Punkt – in der Krisendiagnose. An eine Lösung dieser Krise durch eine Stärkung konservativer Moral, pflichtgemäßer Sekundärtugenden, entsagungsvoller Erziehung glauben sie freilich überhaupt nicht, dafür ist aus ihrer Sicht die Dynamik des kapitalistisch erzeugten Egoismus und Konsumismus viel zu stark. Was notwendigerweise ihr Ende erreicht habe, sei nicht die »bürgerliche Rationalität als solche«; feststellen müsse man vielmehr »das Ende der historischen Bedingungen ihres Funktionierens, d.h. das Ende der strukturell partiellen, der klassenmäßig beschränkten und traditionalistisch gebremsten Geschäftsbedingungen« (ebd.: 41f.). Nach der bürgerlichkapitalistischen Auflösung dieser Einschränkungen ist die Krise nach dem Urteil der Frankfurter auf Dauer gestellt. Das sehen zumindest die Neoliberalen vollkommen anders. Die Krise, die sie umtreibt – die Krise, die in reduzierten Wachstumsraten besteht und als deren Grund sie eine eminente staatliche Beschränkung der individuellen, unternehmerischen Freiheit ausmachen –, halten sie für sehr wohl überwindbar, ja die Überwindung dieser Krise sehen sie in genauer Umkehrung der Diagnose von Anhängern der Kritischen Theorie à la Habermas daran geknüpft, dass die staatlichen, konjunktur- und sozialpolitischen Maßnahmen zugunsten der Eigeninitiative von Arbeitern und Angestellten auf der einen Seite und Kapitaleignern und Privateigentümern auf der anderen Seite stark beschnitten oder gar beendet werden. Sollen Erstere nach neoliberalem Willen für Zeiten der Krankheit, der Arbeitslosigkeit und der Rente selbst in stärkerem Maße Vorsorge treffen bzw. in solchen Zeiten sich selber bemühen, ihre Lage zu verbessern, sollen Letztere weitgehend ungehindert von Verordnungen und Abgaben ihre Renditen steigern können. In der Bundesrepublik werden die neoliberalen Punkte wirkungsmächtig zum Ende der sozialliberalen Koalition im sog. »LambsdorffPapier« Anfang der 80er Jahre formuliert, das unter dem Minister Otto Graf Lambsdorff (FDP) im Wirtschaftsministerium entsteht (Hauptautor ist Hans Tietmeyer, der spätere Bundesbankchef und Vorsitzende der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft). Kritisiert werden darin die »zunehmenden Hemmnisse gegenüber gewerblichen Investitionen«, die »Vielzahl von gesetzlichen, bürokratischen und tarifrechtlichen Verpflichtungen«, der steigende Anteil der Steuer- und Sozialabgaben am Bruttosozialprodukt sowie der Anstieg der staatlichen Aus-

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gaben (u.a. für Sozialleistungen) und die damit einhergehende Zunahme der Staatsschulden. Dies habe die Anpassungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft geschwächt, ihre »frühere Eigendynamik«, ihr »Selbstvertrauen« und ihre Bereitschaft, zu investieren und Risikokapital bereitzustellen, erschüttert. Gefordert wird im Umkehrschluss u.a. die staatliche Unterstützung privater und öffentlicher Investitionstätigkeit bei gleichzeitiger Konsolidierung des Bundeshaushalts, eine deutliche Senkung der Gewerbe-, Vermögens- und Kapitalsteuer (als Kompensation die Erhöhung der Mehrwertsteuer), die »relative Verbilligung des Faktors Arbeit«, die Anhebung der Altersgrenze bei der Rente, eine erleichterte Flexibilisierung der Arbeitszeit (zugleich die Beendigung der staatlich geförderten Arbeitszeitverkürzung), eine stärkere Selbstbeteiligung der Versicherten im Falle von Krankheiten, die Begrenzung des Arbeitslosengeldbezuges auf höchstens ein Jahr, das »Einfrieren« der Sozialhilfe, die Annäherung der Arbeitslosen- an die Sozialhilfe, eine Lockerung des Kündigungsschutzes sowie eine Stärkung der Vermieterrechte. Durch die damit nach Absicht der Marktwirtschaftler herausgeforderte bzw. bestärkte Eigenverantwortung der Einzelnen und unternehmerische Investitionstätigkeit sollen das Wachstum der Wirtschaft und der Abbau der Arbeitslosigkeit befördert werden (Lambsdorff 1982). Die von Seiten der Frankfurter Schule, aber auch von den Konservativen diagnostizierten negativen Folgen einer solchen Wirtschaftspolitik beirren die Neoliberalen in ihren Zielen und Hoffnungen keineswegs. Erstens teilen sie die konservativen Werte nicht, deshalb muss sie die Feststellung, dass durch den kapitalistisch-egoistischen Konkurrenzkampf Sitte und Gemeinschaft zersetzt werden, nicht beunruhigen. Zweitens sehen sie mit dem Hauptprinzip der individuellen Leistung und Verantwortung nicht nur wirtschaftliches Wachstum garantiert, sondern auch eine gerechte Gesellschaft – wobei sie Gerechtigkeit als Startgerechtigkeit definieren (jeder hat die gleiche rechtlich abgesicherte Möglichkeit, einen Schul- und Universitätsabschluss zu machen, sich auf Stellen hin zu bewerben, eine Firma zu gründen usf.). Drittens stellen sie den von den Neuen Linken und den Konservativen kritisch gesehenen Konsumismus ins Belieben des Privaten; die Leitlinie individueller Freiheit hindert sie an kulturkritischen Überlegungen, wenn sie auch in ihren kultur- und bildungspolitischen Vorstellungen dem traditionellen Kanon verpflichtet sind (im Unterschied zu den Konservativen beziehen sie aber modernere Tendenzen schneller mit

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ein); in die Freiheit des Einzelnen wollen sie im Regelfall nicht einmal mit Strafgesetzen eingreifen, wenn es um Pornografie oder Gewaltdarstellungen geht. Als Konsumgegner treten sie allerdings vehement auf, wenn der Konsum auf staatlich organisierten Abgaben beruht. Die öffentlichen Ausgaben und Einnahmen sollen nicht »konsumtiver«, sondern »investiver Verwendung« zugeführt werden, so lautet in wenigen Worten zusammengefasst ihr ökonomischer und sozialpolitischer Auftrag an Parlament und Exekutive. Viertens tragen sie auf indirekte Weise sogar der Kritik an der Zersetzung von Gemeinschaft und moralischer (nicht von Geschäfts- und Austauschbeziehungen gestifteter oberflächlicher) Bindung Rechnung. Sie tun dies freilich, indem sie nicht die kapitalistische Konkurrenz, sondern die sozialstaatlichen Unterstützungstransfers für die Anonymität und Bindungslosigkeit verantwortlich machen. An die Stelle der staatlich organisierten Absicherung soll neben das Prinzip der Selbstvorsorge und Eigenbeteiligung wieder das der Subsidiarität treten; vorgesehen ist etwa die »Stärkung der Eigenhilfe durch die Familie z. B. bei der Pflege älterer Menschen« (ebd.); durch die Reduzierung oder Streichung staatlicher Hilfe hofft man offenkundig, so zynisch es auch klingen mag, herbeizuführen, dass aus der Not heraus stärkerer familiärer Zusammenhalt und gemeinschaftliche Beziehungen entstehen. Zumindest dieser letzte Programmpunkt zeigt eine gewisse Nähe von neoliberalen zu (neo-)konservativen, ordoliberalen Zielsetzungen auf. Die wichtigere Übereinstimmung besteht jedoch darin, dass die Ordoliberalen und viele (Neo-)Konservative sich ab den 70er Jahren weitgehend auf die Sozialstaatskritik der Neoliberalen und vor allem auf ihre äußerst entschlossene Verteidigung der freien Marktwirtschaft einlassen. Das ändert aber nichts daran, dass sie ihre Kultur- und Konsumkritik weiter aufrechterhalten und die konservativen Gemeinschafts- und Pflichtideale betonen. Auch treibt sie immer wieder die Sorge um, dass eine zu schrankenlose Ökonomisierung der sozialen Beziehungen die marktwirtschaftliche Ordnung rasch selbst einer Zerreißprobe aussetzen könnte. Der liberal entgrenzte Konsumismus und Materialismus zeigt ihnen in vielen seiner bevorzugten, auffälligen Gegenstände – schrille Popfarben, aufreizende Moden, Pornografie, enthemmte Rockmusik, Stimulantien aller Art – zudem auf der Straße, in den Supermärkten, Illustrierten, Fernsehserien etc. unübersehbar an, wie weit die Vorherrschaft des Marktes bereits die konservativen Wertvorstellungen unterminiert hat. Ihre eigenen neoliberalen wirt-

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schaftspolitischen Überzeugungen müssen von ihnen darum stets so vermittelt, abgeschwächt oder eingefasst werden, dass dieser Widerspruch nicht offen zutage tritt.

GEISTIG-MORALISCHE WENDE IM LEEREN In der Bundesrepublik stellt sich der konservativen Partei, der CDU, das Problem des latenten oder offenen Widerspruchs zwischen neoliberalem Ökonomismus und traditionellen Moral- und Gemeinschaftsidealen umso drängender, als sie ihn nicht mit der Anrufung nationaler Größe ausgleichen oder vergessen machen kann. In den USA steht die Beschwörung und der Einsatz kriegerischer Macht und Gewalt selbstverständlich ganz oben auf der (neo-)konservativen Agenda (vgl. Rieger 1989: 227ff.), mit Abstrichen bei den Möglichkeiten zur Verwirklichung auch in England, in der BRD jedoch ist das wegen der nationalsozialistischen Vergangenheit in mehrfacher Hinsicht, ideologisch, politisch, militärisch, ausgeschlossen. Der CDU bleibt darum kaum etwas anderes übrig, als die Diskrepanz zwischen ihrer zunehmend neoliberalen Ausrichtung und den altbekannten christlichen oder reaktionären Wertvorstellungen zu verdecken oder zu ignorieren. Hinzu kommt, dass sie als Partei der »Sozialen Marktwirtschaft« keinen rein ordoliberalen Kurs vertritt, nach dem ein starker Staat in erster Linie nötig ist, um die Rahmenbedingungen einer Konkurrenzwirtschaft zu erhalten (wenn auch Erhards und Müller-Armacks Konzeption der »Sozialen Marktwirtschaft« vielen ordoliberalen Prinzipien der Wirtschaftspolitik verpflichtet bleibt). Gesteigert wird das noch dadurch, dass die CDU weniger die Partei Erhards als Adenauers ist und zudem eine Reihe christlicher Sozialethiker in ihren Reihen aufweist, für die ebenfalls nicht nur »sozial« ist, was Wirtschaftswachstum schafft. Diese Kräftelage kann man an den Parteiprogrammen der CDU ablesen. In ordo/neoliberaler Manier wird darin in den 70er Jahren beklagt, dass die Regierung unter Führung der SPD die »private Wirtschaftsverfassung« angreife und dadurch die »unternehmerische Initiative« lähme; die erhöhten Staatsausgaben wirkten sich deshalb keineswegs positiv für das Wirtschaftswachstum aus, es steige bloß der Zwang, wegen der jetzt aufgenommenen Schulden »wichtige Zukunftsaufgaben« unerledigt zu lassen. Wegen der geforderten Sanie-

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rung der öffentlichen Haushalte plädiert man für eine »Steigerung der Wirksamkeit und Gerechtigkeit des sozialpolitischen Aufwandes«. Zum Wert der »Freiheit« gesellt sich aber jener der »Solidarität«, um einen bloßen Abbau sozialstaatlicher Hilfen kann es demnach nicht gehen. Die konservative Kompromissformel läuft darauf hinaus, die »wirklich Schwachen«, Frauen, Kinder, Alte, »Nicht-Organisierte«, gegen die nun tatsächlich »Mächtigen«, die in Verbänden organisierten »Kapitaleigner und Arbeitnehmer«, staatlich zu schützen. Die politische Aufgabe bestehe dabei aber keineswegs nur darin, Geldmittel zu transferieren, sondern »die Bereitschaft der Bürger zum Dienst am Mitmenschen zu wecken«, besonders liegt sie nach dem Programm der CDU darin, zur »Stärkung der Familie« beizutragen und sich dem Versuch zu widersetzen, »Aufgaben der Familie auf Staat und Gesellschaft zu verlegen« (CDU [1975] 1995a: 97, 112ff.). Zweifellos handelt es sich bei diesem Ansatz um eine ausgezeichnete Idee im Sinne parteipolitischer Einigkeit: Das ist der perfekte Ausgleich zwischen den ordo/neoliberalen Ansätzen, staatliche Eingriffe zu reduzieren, und dem durchgehend konservativen, ordoliberalen Anliegen, für ein nicht-ökonomisches, sittliches, gemeinschaftliches Fundament von Wirtschaft und Sozialordnung zu sorgen. Die CDU wird die Programmausrichtung darum auch beibehalten, als sie Ende 1982 mit Unterstützung der FDP die Regierung stellt. »Leistung und Wettbewerb bestimmen die Wirtschaftspolitik der CDU«, heißt es im Beschluss des 32. Bundesparteitags 1984, die Aufgabe der Sozialpolitik wird dadurch bestimmt, »einen wichtigen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung« zu leisten, gleichzeitig verlangt man nach einer Senkung der Lohnnebenkosten. Neben den (mittelständischen) Unternehmern sollen vor allem die Familien begünstigt werden; sorgen Erstere für »Arbeitsplätze«, bilden Letztere nach Auffassung der CDU den wichtigsten Ort »individueller Geborgenheit« und erfüllen eine »unverzichtbare Aufgabe« in »ihrem Dienst am Menschen« ([1984] 1995c: 207, 213, 224). Neben der »Partnerschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern« verwirklicht nach Willen der CDU besonders die Familie jene »Prinzipien von Solidarität und Subsidiarität«, welche die »geistig-ethischen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft« bildeten und eben nicht durch »eine wachsende Staatsquote und eine immer höhere Staatsverschuldung« gewährleistet werden könnten (CDU [1981] 1995b: 181). Bekannt wird die Formel von den »geistig-ethischen Grundlagen der

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Sozialen Marktwirtschaft«, die das Programm der CDU 1981 unter dem Motto »Unser Land braucht einen neuen Anfang« prägt, durch Helmut Kohls Aufruf zur »geistig-moralischen Wende«. Diese Formel, dieser Aufruf betrifft aber natürlich nicht den in anderen Absätzen und Redepartien eingeklagten Mut und Raum für »Leistung und Wettbewerb«, sie dient gerade nicht der Feier von Entschlossenheit, Risikobereitschaft, Härte, Konkurrenzgeist, individueller Durchsetzungsbereitschaft und unbedingtem Streben nach materiellem Erfolg, sondern dem Plädoyer für Rücksichtnahme, Nächstenliebe, gemeinschaftliche Nähe, familiären Ausgleich. Dass das eine mit dem anderen schlecht zusammengeht, steht allerdings nicht im Programm der CDU. Im Gegenteil, die »Geborgenheit« der Familie wird gerne beschworen, wenn es um eine Kritik des bürokratischen und verschuldeten Sozialstaats geht, der zugleich als Antipode der freiheitlichen Marktwirtschaft hingestellt wird. Dadurch zeigen die Programmatiker der CDU zwar indirekt an, dass die Familie zur Unterstützung derjenigen benötigt wird, die aus dem ökonomischen Wettbewerb als Verlierer hervorgegangen sind, Überlegungen zum Missverhältnis von freier Marktwirtschaft und Gemeinschaftswerten bzw. traditioneller Moral stellen sie aber keine an. Der tiefe Widerspruch ihres Konzepts bleibt deshalb verborgen, mitunter (oder gar durchgehend) wohl auch ihnen selbst. Anders wäre es kaum zu erklären, dass von demselben Bundeskanzler, der unter der Leitlinie der »geistig-moralischen Wende« sein Amt antritt, z.B. die Öffnung von Radio und Fernsehen für privatwirtschaftliche Sender betrieben wird (vgl. Hickethier 1998; Röser/Pfeil 2005), von denen man sich schwerlich die Erfüllung eines Auftrags erhoffen darf, der sich mit dem Lob von Geist, Moral, Familiensinn, Pflege- und Pflichtbereitschaft gegen eine egoistische, materialistische, hedonistische Einstellung richtet.

ZEITGEIST/LIFESTYLE Als die CDU 1981, ein Jahr bevor sie mit Hilfe ihres Koalitionspartners FDP die Regierung stellt, ihr Programm für die nächste Zeit mit besonderem Blick auf die jungen Leute formuliert – »Mit der Jugend – Unser Land braucht einen neuen Anfang« ist es überschrieben –, möchte die Partei junge Wähler für sich gewinnen, indem sie zur Beendigung des »Verzichts auf Wertorientierung« aufruft. Das richtet

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sich selbstverständlich vornehmlich gegen die antiautoritäre Pädagogik, der man einen »Verlust des Erzieherischen« vorwirft, es richtet sich aber auch gegen einen »ökonomisch verengten Leistungsbegriff aus der Berufswelt«, den man »weder auf die Schule noch auf die ganze Gesellschaft übertragen« dürfe. Dies zeigt bereits gut an, was das Anliegen der CDU Anfang der 80er Jahre ist: Im konservativen Rahmen soll die vom alternativen Wertewandel graduell erfasste Jugend (und mit ihr die Elternschaft) ein zeitgemäßes Angebot erhalten. Mitmenschlichkeit, Partnerschaft, Überschaubarkeit, Vertrautheit, Gemeinschaft, sogar (speziell auf die Jugendlichen gemünzt) »kritische Phantasie« sind zentrale Begriffe des Programms, der »rücksichtslosen Eroberung des Neuen« wird im Namen der Menschenwürde und des Umweltschutzes abgesagt (CDU [1981] 1995b: 188, 196f.). Neoliberal ist das alles nicht – und es ist auch nicht zeitgemäß. In dem Moment, da die CDU ihr Angebot an die Jugend macht, bereitet sich bereits in kleineren Szenen ein Wandel vor, der die 80er Jahre und die kommenden Jahrzehnte in ganz anderer Weise bestimmen wird. Die bereits beschriebene Gegnerschaft von subkulturellen und intellektuellen New Wave- und Popfraktionen zur Alternativbewegung und zu ihren postmaterialistischen, natürlich-innerlichen Doktrinen und ästhetischen Vorlieben ist lediglich der Auftakt für eine allmähliche, bereits Mitte der 80er Jahre weit vorangekommene Wende, um die sich nicht nur rasch eine ganze Reihe von sog. Lifestyle- und Zeitgeistmagazinen bemüht, sondern die in abgeschwächter Form das Erscheinungsbild und teilweise auch tiefergehend die Einstellungen eines größeren Teils der jüngeren Generationen auf längere Sicht ändern wird. Diese Wende ist aber gerade keine »geistig-moralische« im Sinne konservativer Werte und Traditionen. Es ist vielmehr eine Wende hin zu einer bewussteren und offen ausgesprochenen Bejahung von oberflächlichem Hedonismus, modischer Äußerlichkeit, Unterhaltung, Materialismus und Konsum. Hier liegt der Hauptunterschied zur beherrschenden Einstellung der 70er und beginnenden 80er Jahre, in denen ja de facto auch nicht weniger konsumiert wurde, dies aber wie hinter einem weltanschaulichen Schleier oder im Gestus der Kritik oder Kreativität geschah. Damit vollzieht sich auch eine Änderung der bevorzugt konsumierten Gegenstände, sie bekommen ein anderes Gepräge, einen anderen Zuschnitt. An die Stelle der offenen, fließenden Formen und natürlichen Stoffe der alternativen 70er treten jetzt die künstlichen, sexistischen, klarer begrenzten, mondän stilisierten oder billig

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glitzernden und glänzenden Schauwerte der 80er Jahre. Mit ihnen soll nicht selten offen Attraktivität, Verfügbarkeit, Status angezeigt werden; alles, was in den alternativen Mittelschichten aufs Strengste verpönt gewesen ist, weil es der Sphäre des Geschäfts und des demonstrativen, modernistischen Konsums entstammt, kehrt nun – vom Anzug und Kostüm über Cocktails bis zum schnellen Auto – zurück (wenigstens in der Werbung, den Musikvideos, Filmen, Illustrierten). Auf ganz andere Weise als vorgesehen, wird dadurch die von den Konservativen angestrebte Wende vollzogen, eine Wende, die zwar auch im Gegenzug zur alternativen Lockerheit und Formlosigkeit die von der CDU betriebene Kritik am »Verlust des Erzieherischen« betreibt, zu traditionellen Weisen der »Wertorientierung« im Sinne der Gemeinschaft und familiären Sittlichkeit aber nichts beiträgt. Besser zu verbinden ist mit der Wendung wider den alternativen Habitus jedoch der neoliberale Anteil der Konservativen – die in allen Programmen der CDU in den Grundsätzen zur Wirtschaftsordnung gefeierte Freiheit, Leistung, Wettbewerbsbereitschaft. Da viele der Gegenstände des aktuellen Lifestyles – also dessen, was als Ausdruck des Zeitgeistes gilt (der von bestimmten urbanen Kreisen vertreten und von der Mehrheit der Bevölkerung allenfalls später, in Spurenelementen übernommen wird) – der Sphäre des Mondänen, Modernen, Freizügigen entstammen, eignen sie sich gut zur Symbolisierung von Durchsetzungs- und Konkurrenzwillen. Wie sehr postmodern gebrochen auch immer die Objekte des 80er-Jahre-Lifestyles, die Rückbezüge auf Marilyn Monroe und Cary Grant, auf alte Sportwagen und das Aussehen von Geschäftsleuten der prosperierenden 50er Jahre ausfallen mögen, sie zeigen doch stets an, dass man den Markenzeichen des individuellen ökonomischen und sexuellen Erfolgsstrebens nicht wenig abgewinnen kann. Die frühe Absicht einiger Salonbolschewisten, mit der Kultivierung solch eines Habitus innerhalb ihrer eigenen Bohemekreise die alternative Genügsamkeit zu vertreiben, schlägt jedenfalls fehl bzw. ist (gemessen an ihren eigenen Zielen) allzu erfolgreich: Der Erfolg ihres antialternativen Projekts fällt so groß aus, dass mit der Austreibung alternativer Formlosigkeit und Spiritualität auch die kapitalismuskritischen Ansätze insgesamt stark unter Druck geraten. Wenn es eine »geistige« Wende in den 80er Jahren gibt, dann die hin zu neoliberalen Einstellungen. Stark übertrieben wäre es allerdings, diese Wende direkt mit den neuen oder postmodern neu aufgegriffenen alten Lifestyle-Attributen

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und -Gegenständen zu verknüpfen. Aus zwei Gründen muss man die Zusammenschau von 80er-Jahre-Lifestyle und Neoliberalismus differenzierter anstellen: Erstens wird die Hinwendung zu deutlich erkennbar antialternativen Moden und Retromoden, die Affirmation eines oberflächlichen oder sexuell aggressiven Hedonismus vornehmlich in Szenen von Teenagern und Twens betrieben, deren Bestrebungen dahin gehen, fürs erste nicht in die ökonomische Konkurrenz bzw. den Arbeitsmarkt überhaupt einzutreten. Man kann hier zwar zu Recht auf die Vorläuferfunktion solcher Szenen verweisen und darauf, dass die jungen, distinktionsbewussten Leute als Frühindikator und Antrieb für bald weiterreichendere weltanschauliche und habituelle Änderungen dienen; man muss aber andererseits ebenfalls berücksichtigen, dass die spielerische Aneignung etwa von Insignien des mondänen Erfolgs durch mittel- oder stellungslose Jugendliche sie ihres geschäftsmäßigen Ernstes ein gutes Stück entkleidet. Der zweite Grund weist in dieselbe Richtung: Auch wenn die Verdrängung der alternativen Lässigkeit, Sanftheit, farblichen Entkräftung und egalitären Natürlichkeit auf der Ebene der Moden und kulturellen Artefakte größere Schichten der Bevölkerung erfasst und vermehrt Fernsehserien, Comedy-Sendungen, große Illustrierten prägt, bleibt das Ganze doch ein Phänomen der Konsumsphäre. Die verstärkte Rezeption und Aneignung von Gegenständen, die individuellen ökonomischen Erfolg und soziale Durchsetzungskraft betonen sollen, vollzieht sich erst einmal als Konsumakt. Dadurch kommt in vielen Fällen sicherlich ein Einverständnis mit einer neoliberalen Haltung zum Ausdruck, aus neoliberaler Sicht selbst ist dadurch jedoch erst relativ wenig gewonnen, wenn es sich bloß um eine Aneignung handelt, die wegen der massenhaften Verfügbarkeit entsprechender käuflicher Objekte und Images ohne größere eigene Aktivität vollzogen werden kann. Die begeisterte oder routiniert ablaufende Rezeption von MadonnaVideos und Miami Vice-Folgen, der Kauf von Waren mit DesignerLogos bietet nicht hinreichend Gewähr, dass daraus eine selbstständige Anstrengung entsteht, unabhängig von staatlichen Unterstützungen sich aufgrund eigener Leistungen, individueller Konkurrenztüchtigkeit ein Leben erlauben zu können, das in der materiellen Verfügung über teure, exklusive Dinge und nicht nur über deren mediale Repräsentationen und über industriell hergestellte Derivate besteht. Das Lob des entgrenzten Konsums gehört nicht zu den wesentlichen Bestandteilen des Neoliberalismus; das Lob unbeschränkter individueller Möglich-

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keiten konzentriert sich darauf, ein von staatlichen Verordnungen und Abgaben befreites ökonomisches Handeln zu fordern und anzupreisen. Auch im Neoliberalismus angelsächsischer Prägung führt kein unmittelbarer Weg vom Postulat der Konsumfreiheit hin zu einer Apologie des hedonistischen Materialismus. Unabhängig von politökonomischen Überlegungen und Direktiven aller Art lässt sich aber eines weiterhin feststellen: Die Ausgaben der meisten privaten Haushalte für Gegenstände, die nicht nur den täglichen Bedarf decken, steigen weiter an oder bleiben auf einem relativ hohen Niveau. Dieses nun steht in deutlichem Kontrast zu den verschwindend wenigen politischen und intellektuellen Rechtfertigungen des Konsums. Eine Legitimation erfährt er bloß insofern, als viele Gegenstände des Konsums in Publikationen, hauptsächlich in Illustrierten, im redaktionellen Teil (in der Werbung ohnehin) dargeboten werden – oder in Fernsehserien, Filmen, Songs etc. als Kulisse, Accessoire, Sehnsuchtsobjekt vorkommen. In diesem Rahmen leisten dann auch wieder Intellektuelle ihren Beitrag zur Förderung des Konsums – indem sie ganz bestimmten kulturellen Gütern eine hervorragende Qualität und vorzügliche Wirkungen bescheinigen. Grundlegend ist für die meisten solcher Hinweise und Rezensionen, dass sie ihre Favoriten von dem, was sie als gängige, standardisierte Konsumprodukte hinstellen, deutlich abheben. Auch sei zu ihrem Genuss Kennerschaft und Muße unabdingbar, bloß konsumieren könne und dürfe man sie nicht, lautet das zweite Argument, mit dem Distanz geschaffen wird. Auf diese Art und Weise werden die Vorlieben eines angeblich gehobenen, jedenfalls von Intellektuellen gepflegten Geschmacks vom Konsum geschieden. Was nach der Zählweise von Wirtschaftswissenschaftlern einfach zum Konsum gehört, wird dadurch in weltanschaulicher Dimension erheblich von ihm getrennt. Das kann problemlos so weit gehen, dass gut verdienende Anhänger linksalternativer Richtungen sich nicht nur für biologisch angebaute Nahrungsmittel, sondern auch teure Weine, Möbel, Schuhe, Ferienorte (ganz zu schweigen von all den Büchern, CDs, Bildern) begeistern, ohne je das Gefühl zu haben, am Konsum teilzunehmen. Das funktioniert sogar in Bereichen, die als Domänen der Kulturindustrie historisch gesehen überaus stark mit dem ideologischen Komplex »Konsum« und »Massenkultur« zusammenfallen – es funktioniert auch in den Feldern, deren Produkte nicht bereits deshalb als besser eingeschätzt werden (können), weil sie kostspieliger sind: Man

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muss nicht notwendigerweise wohlhabend sein, um den alternativen Gestus zu vollziehen. In den Bereichen des Films und der Popmusik kann man sich damit beruhigen, die eigenen Favoriten als »unkommerziell« einzustufen; da reicht es schon aus – falls der Erfolg der Künstler doch beträchtlich ist – deren Absichten als »unkommerziell« zu charakterisieren. Im Ergebnis heißt dies, dass die eigenen Käufe, die eigenen Rezeptionen und Aneignungen von Artefakten stets von dem abgesetzt werden, was man mit verächtlichem Unterton »Konsum« nennt. Dadurch eröffnet sich vielen sozialen Gruppen auf leichte Weise etwas, das zuvor das Vorrecht der begüterten Schichten und kleiner Bohemekreise gewesen ist: sich selbst als außerhalb des gewöhnlichen Konsums zu sehen. Auch Teile der Mittel- und der jüngeren Unterschicht halten ihre eigenen Vorlieben nun für einen Ausdruck von Besonderheit. Die Exklusivität soll hier nicht durch einen nur für wenige zahlbaren Preis, sondern durch die Behauptung von Kreativität und Originalität garantiert werden. Der Anschein bzw. das Selbstbewusstsein individueller Haltung kommt zustande, indem man sich von anderen Schichten absetzt, deren Geschmack man im Vergleich als standardisiert, unoriginell, langweilig einschätzt. Um einen »individualästhetischen Konsumstil« (Schildt/Siegfried 2009: 407) handelt es sich allerdings dennoch nicht. Wenigstens fraglich ist zudem, ob der auf breiter Front erhobene Anspruch, sich nicht von traditionell festgesetzten Geschmacksnormen leiten zu lassen, sondern eigenen oder zeitgemäßen Vorlieben zu folgen (Beck 1986; Schulze 1992), nicht bereits wesentlich früher als in den 70er/80er Jahren anzusetzen ist. Richtig ist aber, dass der Anspruch, einen ganz und gar nicht konservativen, standardisierten oder vulgären Geschmack zu verkörpern, nun über potenziell größere Chancen verfügt, weil sich das Warenangebot verbreitert hat – und weil die meisten ihr Einkommen für weit mehr als nur das unmittelbar Lebensnotwendige aufwenden können. Von Bedeutung dürfte ebenfalls sein, dass der Anspruch, individuell, kreativ sein Leben zu gestalten, von Beobachtern nicht nur verstärkt in Zeitdiagnosen, sondern auch in wissenschaftlichen Studien als wichtiges Phänomen ausgegeben wird. Die auch in der Werbung und Publizistik vielbeachteten soziologischen Lebenswelt- und Milieu-Erhebungen liefern eine Beschreibung der Wirklichkeit, für die es entscheidend ist, die gesellschaftlichen Klassen nicht länger nach ihrer Stellung im Produktionsprozess oder

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ihrer unterschiedlichen Verfügung über den gesellschaftlichen Reichtum zu klassifizieren; ein angemessenes Bild der Realität bekomme man nur, wenn man die tiefgreifenden Unterschiede berücksichtige, die sich bei vergleichbarem Einkommen durch voneinander abweichende Lebens- und Konsumstile ergäben, lautet die Grundthese solcher soziologischen Untersuchungen (vgl. Georg 1998). Mit dieser These geht demnach fast unvermeidlich der Eindruck einher, als werde die zeitgenössische Gesellschaft nicht in erster Linie durch (im Wesentlichen vererbte) Vermögensunterschiede, die unterschiedliche Konsummöglichkeiten mit sich bringen, geprägt, sondern durch kulturelle Differenzen. Das allerdings passt gut ins Bild einer neoliberal organisierten Gesellschaft, in der alle, ausgestattet mit den gleichen Chancen, bemüht sind, sich individuell voneinander abzusetzen – wenn auch der neoliberale Wettbewerbsimpetus sich nach dem Willen seiner Verfechter in der ökonomischen Konkurrenz beweisen soll, nicht in der Abgrenzung von einem vermeintlich veralteten oder standardisierten Lebensstil. Belohnt werden muss nach neoliberaler Maßgabe der Erfolg innerhalb der ökonomischen Konkurrenz, deshalb stößt in dieser Hinsicht nicht eine Vielzahl unterschiedlicher Lebensstile auf Interesse und Zustimmung, sondern die Möglichkeit, den ökonomischen Erfolg, den Leistungs-Verdienst angemessen repräsentieren, nach außen sichtbar machen zu können und auch für diese Zurschaustellung des Erfolgs von den Unterlegenen anerkannt zu werden. Ein Zeitgeist, ein modischer Trend, der Attribute eines neureichen oder mondänen Luxuskonsums in ermäßigter Form aufgreift, ist darum nach neoliberalem Maßstab (nur) so lange zu begrüßen, wie er keine Anzeichen von spielerischer Selbstgenügsamkeit aufweist.

POLITISCHE KULTUR UND POP-LINKE In der vollständigen konservativen Abneigung und der teilweisen neoliberalen Reserve gegenüber dem Konsumismus liegt der Ausgangspunkt für eine Pop-Linke, auch auf dem Gebiet der Konsumkultur einen politischen Kontrapunkt zu setzen. Die Schwierigkeiten der PopLinken, wie sie sich in den 90er Jahren manchmal selbst bezeichnet, sich auf diesem Gebiet Gehör zu verschaffen, sind allerdings groß, weil es ihr keineswegs nur um die Aussage geht, dass die Politik wie

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auf alles andere auch Zugriff auf die Popkultur nimmt, sondern um die Ansicht, dass die Pop- und Konsumkultur ein wichtiges Feld politischer Auseinandersetzung bzw. hegemonialer Macht darstellt, oder, noch einmal anders pointiert, dass Pop einen wichtigen Beitrag zur politischen Veränderung beisteuere (bzw. zumindest beisteuern sollte). Geschichtlich gesehen, handelt es sich um eine neue, originelle Auffassung; schließlich ist ja selbst der Begriff »Pop« erst seit den 60er Jahren geläufig. Einigermaßen originell bleibt die Ansicht aber innerhalb des linken Lagers auch, wenn man sie in die bekannte ältere, allgemeinere These zurückholt, die in vergleichbarer Manier den Zusammenhang von Kultur und Politik behauptet. Bedeutsam für die Gestaltung menschlichen Zusammenlebens sind demnach nicht allein die Entscheidungen aus den Sphären der Exekutive und der Legislative, als politisch zu bezeichnen sind nicht nur spezielle Organisationen und eine Öffentlichkeit, in denen Ziele, Gründe, Wege eines angestrebten Machterwerbs diskutiert und festgelegt werden. Das Augenmerk fällt vielmehr auf die Sphäre der Kultur. Ihr traut man zu, dass aus ihr heraus wichtige Impulse und Strömungen kommen, welche die Bedingungen menschlichen Zusammenlebens mindestens genauso stark beeinflussen und regeln wie Diskussionen und Gesetze, die den Staat und die bürgerlichen Rechte und Pflichten betreffen. Am stärksten ausgeprägt ist diese Auffassung historisch betrachtet zuerst bei den Konservativen. Sozialisten legen den größten Wert auf die Änderung der Eigentumsverhältnisse (und damit auch des bürgerlichen Staates, der in ihrer Sicht die kapitalistische Ordnung garantiert); das politische Anliegen der Liberalen besteht darin, nicht nur die ökonomische Sphäre und die Verfügung über das Privateigentum, sondern den Bereich des Privaten (und weitgehend auch den der Kultur) von Eingriffen der Polis freizuhalten. Aus ganz unterschiedlichen Gründen bleiben einzelne Tendenzen innerhalb des Bereichs der Kultur oftmals bei diesen beiden verfeindeten politischen Lagern aus ihren Betrachtungen ausgespart. Die Konservativen hingegen sehen in der liberalen Haltung, private Entscheidungen dem Einzelnen bzw. dem Privateigentümer vorzubehalten, und in der demokratischen Direktive, dass jeder (Mann) bei der Diskussion und Abstimmung über die Zusammensetzung der Legislative das gleiche Recht hat, keineswegs eine löbliche individuelle Freiheit; solch eine Freiheit stellt für sie ganz im Gegenteil einen zersetzenden Angriff auf die aus ihrer Sicht organisch gewachsenen Ge-

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meinschaften und Lebensformen dar (einen Angriff, den nach ihrem Urteil die Sozialisten auf andere Weise mindestens ebenso stark durchführen würden). Der Begriff »Konsumkultur« klingt in ihren Ohren darum wie Hohn. Wie bereits am Beispiel der bundesrepublikanischen Geschichte ausgeführt, gilt dies, abgesehen von dem kurzen Zwischenspiel eines kulturrevolutionären Pop-Undergrounds um 1967, aber auch für die Linke insgesamt – also für Kräfte, die a) die Bedeutung materieller Sicherheit für die Entfaltung der Persönlichkeit und für ein friedvolles, zivilisiertes Zusammenleben betonen und die b) darum bereit sind, die Freiheit des Privateigentums stark einzuschränken, um die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse (Essen, Wohnen, Arbeiten) geplant organisieren und somit dem Spiel von Angebot und Nachfrage entziehen zu können. In der kapitalistischen Konsumkultur erkennen sie keine Verwirklichung solcher Bedürfnisbefriedigung, sondern (nach traditioneller Lesart) einen Motor des Egoismus und der Dekadenz oder (in neulinker Manier) einen Ort der Manipulation und Entfremdung. Die linken Versuche, innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft im kulturellen Rahmen gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, beschränken sich u.a. darum fast immer auf Bereiche außerhalb der Konsumsphäre, sie finden stattdessen im Feld der Kunst, der massenmedialen Kultur, der politischen Kultur und der Wertmuster statt. In der BRD liegt das auch deshalb besonders nahe, weil es nach der Verfolgung der Sozialisten und Kommunisten durch das nationalsozialistische Regime und nach dem Verbot der KPD durch das westdeutsche Verfassungsgericht Mitte der 50er Jahre keine mit einer sozialistischen Partei und entsprechenden Gewerkschaften verbundene Arbeiterkultur mehr gibt. Gemessen an dieser Ausgangslage, relativieren sich die Erfolge linker Künstler, Intellektueller, Wissenschaftler, Publizisten von vornherein – und ist ihre mitunter starke Präsenz in der öffentlichen Meinung zugleich ein erstaunliches Phänomen. Gerade Ende der 60er, in den gesamten 70er, aber auch noch in der ersten Hälfte der 80er Jahre lassen sich in allen vier genannten Bereichen zahlreiche, erfolgreiche linke Ansätze und Projekte verzeichnen. Besonders im Bereich der Kunst, wie sie in anerkannten Gattungen von spezialisierten Urhebern hervorgebracht wird, ist die Vorherrschaft linker Ideen und Ziele in dieser Zeit erstaunlich groß. Die von bildungsbürgerlicher Seite aus (im Sinne einer idealistischen Ästhetik) bis weit ins 20. Jahrhundert hinein (bis in die 50er/60er Jahre) wir-

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kungsmächtig vertretene Auffassung, dass es sich nur um Kunst handle, wenn sie sich nicht ins politische Tagesgeschäft einmische, verliert entsprechend an Bedeutung. Modern ist es ohnehin schon, den Begriff (und Lobestitel) »Kunst« nicht allein für die Schöpfungen anerkannter Autoren/Künstlerindividuen, für klar unterscheidbare einzelne Werke im Rahmen klassischer Gattungen zu reservieren. Nun wird aber auch in den Akademien und im Feuilleton linke Kunst (im Sinne einer sozialistisch engagierten oder kollektiven Kunstauffassung und -ausübung) davon nicht mehr von vornherein ausgeschlossen. Als potenziell kunstfähig oder sogar dringend geboten erscheinen dadurch fünf Varianten einer politisch verstandenen Literatur, Malerei etc.: 1. realistische Darstellungen von Menschen und Gruppen niederer sozialer Schichten; 2. Werke mit politischen Botschaften (satirische Anklage und Kritik, utopische Entwürfe, Agitations-Losungen, Thesen-Stücke, unmissverständliche ›Moral von der Geschicht‹ etc.); 3. Missachtung und Auflösung herkömmlicher Gattungen und konservativer Formkonventionen; 4. noch weitergehendere Abkehr von der Werkform schlechthin; 5. Egalisierung der Kunst: Abwendung vom ›bürgerlichen‹ Schöpfer, Hinwendung zur Alltagskunst. Für alle fünf Punkte gibt es in der Historie der letzten hundert Jahre natürlich mannigfache linke Varianten. Um 1970 herum aber dominieren sie die Kunstszene sogar. Nicht nur werden Werke mit 1. gesellschaftskritischen (Böll, Walser, Enzensberger) und 2. entschieden sozialistischen Inhalten vorgelegt (Weiss, Degenhardt, Floh de Cologne); in teilweise scharfer Konkurrenz zu ihnen gibt es 3. von linkslibertärer oder anarchistischer Seite zahlreiche Bemühungen um eine Politik der Form; an die Stelle autoritärer Botschaften (auch sozialistischer), soll die Auflösung rigider Formen im Experiment treten (Hubert Fichte, Amon Düül, Beuys); das kann 4. bis zum proklamierten Ende der Kunst gehen; der Werkkunst wird eine scharfe Absage erteilt, die Kunst soll aufgehen im (befreiten oder politisierten) Leben, dieses Leben selbst sei das eigentliche Kunstwerk; die sozialistische Variante dieser radikal avantgardistischen Haltung besteht darin, 5. Arbeiter selbst zu Wort kommen zulassen bzw. die Alltagsgeschichte(n) einzelner Arbeiter zu protokollieren (Runge, Wallraff). Bei allen tiefgreifenden Unterschieden eint die genannten künstlerischen Strömungen u.a. aber die Stoßrichtung gegen eine industriell hergestellte Unterhaltungskunst, die nach linkem Urteil unter dem Anschein des Unpolitischen systemkonforme Haltungen einübt und vor

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allem jedes gesellschaftskritische Engagement durch eine Flucht aus dem Alltag zerstreue. Man könnte deshalb leicht vermuten, dass die linken Bemühungen im Bereich der massenmedialen Kultur von vornherein zum Scheitern verurteilt sind bzw. sich auf eine Kritik dieses Sektors beschränken. Das ist aber nicht der Fall, weil zum einen die deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten den staatlichen, verfassungsgemäßen Auftrag haben, zur (politischen) Bildung beizutragen, und darum in der Hochzeit der linken Bewegung besonders vielen kritischen Intellektuellen, Filmemachern, Kabarettisten etc. Raum geben; zum anderen lohnt sich wegen des großen linksalternativen, überwiegend jungen Publikums nun auch für die Unterhaltungsindustrie die Produktion teilweise kapitalismuskritischer Filme, Platten, Nachrichtenmagazine. Im Sinne der politischen Kultur werden dabei vor allem Demokratie, Meinungsfreiheit und soziale Gerechtigkeit auf eine Weise reklamiert, die beweisen soll, dass sie in einem liberal-kapitalistischen Zusammenhang nie richtig zur Entfaltung kommen können. Damit einher geht auch ein Angriff auf kulturelle Werte, die man einer radikal demokratischen Gesellschaft für abträglich hält. Grundlegend ist hier weiterhin die antiautoritäre Überzeugung, dass gesellschaftliche Veränderungen zu kurz greifen, wenn sie bloß im Hinblick auf politische Einrichtungen und ökonomisch-rechtliche Verfügungsgewalt durchgeführt werden; unabdingbar sei vielmehr, tiefer in die Anschauungen und Abläufe des Alltagslebens einzugreifen, um den sozialmoralischen ›Kitt‹ und die Ordnungsvorstellungen, die alles zusammenhielten, aufzulösen. Die Linksalternativen schließen damit weniger stark an Marx als an die Schriften Max Webers und vor allem ihre Weiterführung durch Talcott Parsons an, in dessen Ausführungen zum »sozialen System« immer wieder auf den Leitwert der instrumentellen, rational und arbeitsteilig organisierten Leistung für den Bestand der modernen Gesellschaft hingewiesen wird. In Subkulturen, die sich stark hedonistischen Lebensformen verschreiben oder in politischer Absicht anarchistischere, radikal sozialistisch-egalitäre Ideen vertreten, sieht Parsons ([1951] 1979) darum eine Gefahr für die Mainstreamkultur. Was Parsons als Gefahr betrachtet, nimmt die Neue Linke umgekehrt als Chance wahr und setzt auf die subkulturelle Verletzung herrschender Werte, auf eine starke Betonung des Irrationalen, diffus Lustvollen, Unmittelbaren, Spontanen, die in genauem Widerspruch zu den Werten einer Gesellschaft stehen soll, die in Ausbildung und Arbeit auf

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Selbstkontrolle und instrumentelle Aktivität baut. Wie umfassend ihre Ablehnung des vorherrschenden Wertmusters ist, zeigt sich eindrucksvoll daran, dass besonders konsequente Vertreter von Subkulturen – wie die Hippies und Punks – der Schule und Universität absagen, obwohl sie häufig als Abkömmlinge der Mittelschicht deren Ansprüche recht unproblematisch hätten erfüllen können. Solange solch eine radikale Abkehr von der bestehenden Gesellschaft, die das eigene Leben weitgehend erfasst, mit den politischen Handlungen und Anschauungen von Teilen der Mittel- und Oberschichten – wie im Falle des linksalternativen Aufschwungs nach 1968 – zusammengeht, stellen sie weit mehr dar als einen folgenlosen Ausstieg einzelner Individuen und Gruppen. Ab Mitte 1985 zeigen die Aktionen der sich nun als »Autonome« verstehenden Gruppen freilich zumeist nichts anderes als deren Isolation an. Ihr kämpferisches Auftreten ist jetzt bloß ein weiteres Zeichen für die zunehmende Schwäche der linksalternativen Kräfte. Die erfolgreiche Verdrängung linker durch neoliberale Prinzipien zeigt sich keineswegs nur allein auf manchen Feldern staatlicher, wirtschaftpolitischer Maßnahmen, sie lässt sich ebenfalls in allen aufgeführten kulturellen Bereichen gut belegen. Von einer linken Dominanz kann auf dem Gebiet der Kultur keine Rede mehr sein – nicht einmal in einem der erwähnten kulturellen Bereiche. Innerhalb des Bereichs der Kunst kann man das am Beispiel der Literaten und Feuilletonisten Hans Magnus Enzensberger und Martin Walser besonders gut deutlich machen; ihre frühere radikal linke Position, die sich künstlerisch in der Verfolgung gleich mehrerer der genannten Punkte zeigte, haben sie vollkommen geräumt. Ersatz dafür ist kaum in Sicht; auch die sozialistischen (selbst die regimekritischen) Künstler aus der früheren DDR haben sich umgestellt, sind verstummt oder finden in der Öffentlichkeit keine Resonanz mehr. Das soll natürlich keineswegs heißen, dass es nicht mehr den einen oder anderen linken Schriftsteller, Kabarettisten oder Theaterregisseur gebe, sie bilden aber eine kleine Minderheit. Groß an Zahl und auch innerhalb der Kunstwelt regelmäßig erfolgreich sind hingegen weiterhin jene Künstler (vor allem die bildenden Künstler), die eine Politik der Form anstreben (Kritik traditioneller Darstellungsformen; Kritik der Werkkunst); sie zählen aber nur noch zum festen (inzwischen mit ihren Vorläufern musealisierten) Bestand avantgardistischer Kunst und bleiben ohne Außenwirkung; ihre antiessenzialistischen, gegen jede Form von

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Normalität gerichteten, teilweise an Theoretikern wie Michel Foucault und Judith Butler geschulten Projekte interessieren nur Kreise der Boheme oder avancierte Geisteswissenschaftler und führen bei ihnen kaum zu politischen Eingriffen, die außerhalb der Galerien und Akademien zu bemerken wären. Für jene Art der Kultur, die massenmedial verbreitet und auch tatsächlich von großen Publika rezipiert wird, trifft der Befund des Bruchs linker öffentlicher Gegenmacht in noch stärkerem Maße zu. Viel gelesene Illustrierte, Bestseller, Hollywoodproduktionen, TVFilme nehmen sich politischer Themen allenfalls unter dem Gesichtspunkt humanistischer Botschaften an oder, linker Politik noch wesentlich abträglicher, im Rahmen von spannend erzählten Verschwörungsszenarien. Das neue Medium Internet, das potenziell zur Pluralisierung massenmedialer Kommunikation beitragen könnte, bildet dazu bislang kein Gegengewicht. Auf den häufig angeklickten Seiten dominieren zumeist Sex-, Klatsch- und Modethemen; eine politische Welt existiert hier oftmals gar nicht. Gleiches gilt (abseits des Infotainments der Nachrichtsendungen) auch für die Programme der großen privaten Fernsehsender. Allerdings werden soziale Themen dort gerne behandelt; zerrüttete Familien, Schuldner, Arbeitslose, Drogenkonsumenten tauchen regelmäßig in Sendungen, Serien und Einspielfilmen auf; die dabei betriebene voyeuristische Ausstellung von Sozialschicksalen als Einzelschicksale, als Verhängnis und deprimierender und/oder krimineller Alltag bietet linker Gesellschaftskritik jedoch keine Anhaltspunkte. Pflichtgemäß unterscheidet sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen davon erheblich; gesellschaftspolitische Motivierungen und Begründungen gehören zum Programmauftrag. Dezidiert linke Fragestellungen oder gar Thesen findet man freilich in politischen Magazinen und TV-Filmen des Ersten und Zweiten Deutschen Fernsehens 2010 höchst selten; aus den Dritten Programmen der ARD, in denen sie seit den 70er Jahren bis weit in die 80er Jahre häufig anzutreffen waren, sind sie sogar beinahe vollständig verschwunden. Linke Maßstäbe prägen allenfalls (selten) Reportagen, Dokumentationen oder Spielfilme, die in den speziell eingerichteten Kultursendern Arte und 3Sat laufen: Linke Themen nehmen dadurch gewissermaßen Bildungsrang ein, besitzen intellektuelles Prestige; der damit verbundene spezielle Sendeort, den man kaum als massenmedial bezeichnen kann, bürgt jedoch für geringe Einschaltquoten.

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Dies müsste noch kein entscheidender Nachteil sein, wenn es sich bei den Zuschauern solcher Sendungen um Personen handelte, die über Meinungsmacht verfügten und es verstünden, intellektuell-kulturelle Vorstellungen zu popularisieren. Das ist aber offensichtlich nicht (mehr) der Fall, wie seit Ende der 90er Jahre jeder Blick in auflagenstarke und von politischen und ökonomischen Entscheidungsbefugten rezipierte Print- und TV-Magazine beweist. Zwar ist der wirtschaftsliberale Tenor von Zeit bis Spiegel, von Kleber bis Aust seit der Bundestagswahl 2005 nicht mehr so dominant wie in den Jahren zuvor, dezidiert linke Analysewege oder Meinungen gehören dort jedoch bereits seit den 90er Jahren nicht mehr zum üblichen publizistischen Handwerkszeug. Im Gegensatz zu den Periodika von Focus bis FAZ sind aber diese wichtigen Magazine und deren Meinungsmacher auf der politischen Skala auch 2010 zumindest noch etwas stärker links einzuordnen, weil sie die Verpflichtung auf individuelle Leistung und Vorsorge, auf formal gleiche Startchancen nicht durchgehend in den Mittelpunkt ihrer publizistischen Bemühungen rücken; die Hinweise auf die angeblich bedrohliche internationale (chinesische, indische) Konkurrenz, auf »Staatsversagen«, auf die Notwendigkeit eines freien, deregulierten Marktes, auf »bürokratische« Ineffektivität, auf »zu starke« arbeitsrechtliche Bestimmungen, auf die Notwendigkeit privat finanzierter Alters- und Gesundheitsvorsorge, auf »zu hohe« Steuern und Sozialleistungen stehen dort nicht völlig alternativlos da. Viele Leitmedien bleiben mit dem Hauptstrom der deutschen politischen Kultur immerhin dadurch verbunden, dass sie dem Wert der sozialen Gerechtigkeit eine gewisse Bedeutung einräumen. Unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob eine »demokratische politische Kultur« oder »civic culture« tatsächlich einen wichtigen Beitrag zum Fortbestand der existierenden westlichen Systeme leistet (vgl. Almond/Verba [1963] 1973; Berg-Schlosser 2003; Dalton 2004; Deth/Montero/Westholm 2006), zeigen die Forschungen zur gegenwärtigen politischen Kultur Deutschlands, dass »demokratische Prinzipien« wie Meinungsfreiheit, Parteienwettbewerb, Legitimität der Opposition, aber auch die ebenfalls als demokratisches Prinzip erachtete »soziale Gerechtigkeit« einen hohen Rang einnehmen. Auffällig dabei ist allerdings, dass die Ostdeutschen Letzteres in höherem Maß als bedeutendes demokratisches Prinzip ansehen als die Westdeutschen – und sie zudem die freie Meinungsäußerung, Rechtsstaatlich-

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keit, Parteienkonkurrenz als weniger wichtig einschätzen (vgl. Niedermayer 2005; Gabriel 2007). Es ist zwar nahe liegend, solche Einstellungen mit den vergleichsweise hohen Wahlergebnissen der Partei Die Linke in den ostdeutschen Bundesländern im Einklang zu sehen. Allgemein ist die Wertsetzung »soziale Gerechtigkeit« allerdings viel zu diffus, um in ihr einen Grund linker Politik zu erblicken. Auch in der alten Bundesrepublik (bzw. in den westdeutschen Bundesländern) genießt der Wert hohe Zustimmung und dient konsequenterweise bis ins Jahr 2010 als Ausgangspunkt erfolgreicher sozialdemokratischer, sozialliberaler und auch christdemokratischer Politik und Wählerwerbung. Zudem muss bezweifelt werden, ob das Zusammenspiel eines gesteigerten Anspruchs auf soziale Gerechtigkeit mit verringerter Zustimmung für liberale Bürgerfreiheiten zwingend den Boden für linke Parteipolitik bereitet. Betrachtet man die deutsche massenmediale Kultur, zeigt sich, dass Kritik an »Parteiengeschwätz«, unbedingter Unschuldsvermutung, Privilegierung von Rechten der Meinungsäußerung und Kunstfreiheit auch in »unnormalen« Fällen, angeblich rechtlich behinderter Polizei- und Geheimdienstarbeit ein ständiger Topos von reaktionären Boulevardzeitungen und erfolgreichen Serien oder Filmen zumeist privater Anbieter ist. Es wäre darum keine Überraschung, wenn in einer tiefgreifenden ökonomisch-sozialen Krise die offene Frage »sozialer Gerechtigkeit« eher einer rechtsautoritären als einer sozialistisch-dirigistischen Lösung zugeführt würde. Hinderlich für eine linke Nutzung der bundesweit beachtlich hohen Identifizierung von demokratischer Ordnung mit angestrebter »sozialer Gerechtigkeit« ist zudem nicht zuletzt, dass viele der Güter, die von gleichmäßiger verteilter Kaufkraft, von gleichmäßiger garantierten Nachfragemöglichkeiten profitieren würden, aus linker Perspektive kontinuierlich abgewertet worden sind. Besonders in Westdeutschland ist eine scharfe Konsum-, Medien- und Popkulturkritik weit verbreitet gewesen und wirkt bis heute nach; ihre traditionellere Entsprechung fand diese Kritik in der gängigen Kulturpolitik der DDR, das bürgerlich-humanistische Erbe für sich zu reklamieren, ein bildungspolitischer Anspruch, der auch noch das Kulturprogramm der PDS bzw. nun der ostdeutschen Landesorganisationen der Partei Die Linke prägt. Ohne große Übertreibung kann man darum sagen, dass die Konsumkritik bzw. die Abneigung gegen westliche Moden einer der wenigen Punkte ist, der bei alter und neuer Linken gleichermaßen auf Zu-

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stimmung zählen kann. Zwar gab es, wie gesehen, zur Beat- und Underground-Zeit nach 1966 im Westen unter Anhängern der außerparlamentarischen Opposition einige explizite Pop-Anhänger, im Zuge der Wende zu orthodoxeren linken Positionen nach 1968 musste diese Vorliebe ideologisch aber wieder schnell in den Hintergrund treten. Die Krise dieser Linken um 1980 änderte daran nichts, im Gegenteil, die Konsum-, Medien- und Popkulturkritik der Alternativbewegung, in die viele ehemalige Mitglieder der K-Gruppen eingehen, ist sogar noch stärker ausgeprägt, obwohl viele ihrer Anhänger zumindest wichtigen Strömungen der Rockmusik verpflichtet sind. Der Aufstieg einer sozialistischen Partei sogar im Westen des nun wiedervereinigten Deutschlands bringt ebenfalls keinen Richtungswechsel; wenn auch die PDS im Sinne der kommunistischen Feier der Produktivkraftentwicklung grundsätzlich die »demokratisierenden Tendenzen der industriellen Massenproduktion kultureller Güter und Dienste« anerkennt, so bleibt es doch beim Vorrang der »Kunstpflege«, die nun (im Unterschied zum Programm der SED) modern auf »autonome Räume, Experimentierfelder und Refugien« der Kunst ausgeweitet wird (Linkspartei.PDS 2003) und sogar allgemein im Lob der »Kreativität« und »besonderer Entwürfe von einem guten Leben« aufgehen kann (so Klaus Lederer, Vorsitzender des Berliner Landesverbands der Partei Die Linke; 2009: 102, 105). Allein im Moment der tiefsten Krise der Linken, in den 90er Jahren, kommt es immerhin zu einer teilweisen Revision des Zusammenhangs von Kapitalismus- und unbedingter Konsumkritik. Vollzogen wird sie aber nicht auf breiter Front, sondern bloß von Strömungen der jüngeren kulturwissenschaftlich und künstlerisch interessierten Linken, die in Publikationsorganen wie Spex, Jungle World, Texte zur Kunst, Die Beute, Testcard und mitunter auf Feuilletonseiten wie denen der taz, Junge Welt, konkret viele der sich subversiv und gesellschaftskritisch verstehenden Protagonisten der Boheme-, Studenten-, Kunstszene versammeln und erreichen (dem wichtigsten und bekanntesten Vertreter der Richtung, Diedrich Diederichsen, öffnen sich auch immer wieder einmal die Seiten der Zeit, FAZ, SZ, die zudem Themen und Anschauungen der Pop-Linken regelmäßig aufgreifen und debattieren). Die Ansichten, die von der deutschen Pop-Linken vertreten werden, verdanken sich in starkem Maße dem Programm der angloamerikanischen Cultural Studies, deren neulinker, antiautoritärer Ansatz,

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auch kleinere, alltägliche Formen des Widerstands für politisch bedeutsam zu erachten, ungewöhnlicherweise auch den kulturindustriell durchwirkten Alltag einbezieht. Ende der 80er Jahre unternimmt einer der bekanntesten britischen Theoretiker der Neuen Linken und der Cultural Studies, Stuart Hall, sogar den Versuch, die Linke an die moderne Welt des Konsums und der Warenästhetik heranzuführen, ohne deren Rechtfertigung sogleich an eine spezifische Qualität subkultureller, dissidenter Aneignung (wie etwa bei den Hippies und Punks) zu binden. Hall stellt dieses Projekt unter den Titel der »Neuen Zeiten«; allgemein meint Hall eine bedeutende Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu beobachten, die er mit dem Begriff »Postfordismus« bezeichnet: »Flexiblere und dezentralisiertere« Formen der Organisation der Arbeit, »stärkere soziale Fragmentierung«, »größerer Pluralismus«, »Schwächung alter kollektiver Solidaritäten und Blockidentitäten«, das »Aufkommen neuer Identitäten« sowie die »Maximierung individueller Wahlmöglichkeiten in der persönlichen Konsumtion« kennzeichnen nach Hall die neue Lage. Speziell zum letzten Punkt hebt Hall hervor, dass die Konsumtion nicht nur quantitativ ansteige, sondern auch in anderer Hinsicht eine »führende Rolle« übernehme; diese zeige sich in einer »stärkeren Betonung und Auswahl der Produktdifferenzierung« und des Designs, einer »Orientierung auf Zielgruppen von Konsumentinnen nach den Kriterien von Lebensstil, Geschmack und Kultur, im Gegensatz zu den Klassenkategorien des Abteilungsleiters für Bevölkerungsstatistik, die vorher im Zentrum standen.« Hall konstatiert das nicht nur; für einen Linken ist höchst ungewöhnlich, dass er die aufgezeigte Entwicklung nicht bedauert und als Niedergang kritisiert. »Kann ein Sozialismus des einundzwanzigsten Jahrhunderts wiederbelebt werden oder überhaupt leben, der völlig abgeschnitten ist von den popularen Genüssen [popular pleasures], wie widersprüchlich oder warenförmig sie sich auch darstellen?«, fragt Hall rhetorisch ([1989] 2000: 80f., 91). Die Frage ist allerdings – im Sinne einer modernisierten, populären Linken, wie sie Hall vorschwebt – offenkundig keiner überzeugenden politischen Antwort zugeführt worden. Linke Kräfte und vor allem Parteien nicht nur in England, sondern europaweit (von Nordamerika ganz zu schweigen) werden nach wie vor von der weit überwiegenden Mehrzahl der Bevölkerung als unmodern, konservativ, altmodisch, technikfeindlich, farblos, puritanisch etc. wahrgenommen. Deutschland bildet in dieser Hinsicht selbstverständlich keine Ausnahme, ver-

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einzelte Kooperationen von linken Jugendorganisationen mit PopGruppen ändern daran nichts. Zwar hat die deutsche Pop-Linke im Bereich der Avantgarde-Kunst und der akademischen Theorie jüngerer Geistes- und Kulturwissenschaftler (Cultural Studies, Gender Studies) beachtliche Erfolge erzielt –, dennoch (oder gerade deswegen) verbleibt sie aber ganz im Rahmen von Galerien, Hipster-Clubs, intellektuellen Theoriezirkeln. Die Ursache hierfür liegt keineswegs nur darin, dass politische Organisationen und Gewerkschaften sich nur noch wenig aufgeschlossen zeigen, sich auf Künstler und Intellektuelle einzulassen. Die Hauptursache ist vielmehr die bewusste Abdichtung dieser Pop-Linken gegenüber – der Popularität. Das mag widersinnig klingen, erklärt sich aber leicht aus dem Zuschnitt, den die Pop-Linke für ihre Form der PopAffirmation wählt. Ihre Pop-Bejahung erstreckt sich nicht unterschiedslos auf die gängigen Versionen zeitgenössischer Unterhaltung und hedonistischen Konsums, sondern bloß auf besondere, ausgewählte Varianten. Gerade im Bereich der Popmusik, des Films, des Fernsehens trennen die Vertreter der Pop-Linken häufig äußerst scharf zwischen guten und schlechten Werken. Höchst bedeutsam fällt die Trennung aus, weil mit ihr nicht nur ein ästhetisches, sondern auch ein politisches Urteil angezeigt wird. Das wiederum besitzt eine lange Tradition; für die Frühgeschichte der BRD bedeutsam ist etwa Adornos bereits erwähnte Abrechnung mit den Liebhabern der Heidelandschaften und der »Seen mit Mondreflexen«; in ihrem Geschmack erkennt er das sichere Zeichen der »Autoritätsgebundenen« und »Vorurteilsvollen«, scharf kontrastiert mit der Haltung derjenigen, die Picasso und Cezanne schätzen ([1959] 1967: 54ff.). Adorno hält sein Urteil freilich auch gegenüber den jugendlichen Feinden des kitschigen erwachsenen Geschmacks aufrecht. Nicht nur die Liebhaber schöner romantischer oder impressionistischer Szenerien hält er für eine politische Gefahr, weil ihr ästhetischer Geschmack mit der Begeisterung für autoritäre Verhaltensweisen und gesellschaftliche Ordnungen verschwistert sei, sondern auch die Anhänger der Beatles und sogar ihre kulturrevolutionären Nachfahren. Dem »Erschlaffen ästhetischer Kraft« in der zweiten Hälfte der 60er Jahre entspreche der »schlechte Ästhetizismus kurzatmiger Politik«, lautet die unnachgiebige Einschätzung Adornos: »Mit der Empfehlung von Jazz und Rock and Roll anstelle von Beethoven wird nicht die affirmative

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Lüge der Kultur demontiert, sondern der Barbarei und dem Profitinteresse der Kulturindustrie ein Vorwand geliefert. Die vorgeblich vitalen, unverschandelten Qualitäten solcher Produkte sind synthetisch von eben jenen Mächten aufbereitet, denen angeblich die große Weigerung gilt: erst recht verschandelt« (1970: 473f.). Wie die Bezeichnung »Pop-Linke«, die den Theoretikern, Künstlern und Publizisten einer angestrebten postmodernen Gegenkultur in den 2000er Jahren öfter zugedacht wird, schon deutlich macht, bleibt Adornos Verdikt seit den 80er Jahren nicht unwidersprochen. Vor allem die verstärkte Rezeption der angloamerikanischen Cultural Studies seit Mitte der 90er Jahre und die entsprechenden Bemühungen, Pop als potenziell widerständige Kraft zu betrachten, sind mit Adornos vollständiger politischer wie ästhetischer Ablehnung von Jazz und Rock unvereinbar. Die »Empfehlung« Pop aus gegenkulturellen, linken Gründen wäre Adorno in den 90er Jahren zweifelsfrei genauso widersinnig vorgekommen wie die von »Jazz und Rock« in den 60ern. Angesichts dieses tiefgreifenden Unterschieds ist es umso erstaunlicher, dass die Pop-Linke Adornos Kriterien sehr wohl beibehält. Jenen »gesunden«, »konformistischen« Geschmack, der als Ausdruck und Triebkraft der schlechten Lebenshaltung und politischen Einstellung angesehen wird, lehnen sie genauso ab wie Adorno, im Gegensatz zu ihm sind sie aber gewillt, gewissen Produkten der Kulturindustrie andere Qualitäten zuzubilligen. Die Unterscheidung zwischen verschandelten und unverschandelten Produkten findet darum bei ihnen innerhalb des Repertoires der Konsum- und Kulturindustrie statt. Das kann so weit gehen, dass die Unterscheidung hoch differenziert auch zwischen Exemplaren eines Genres oder ähnlicher Richtungen zur Anwendung kommt. In einem typischen Artikel der Zeitschrift Spex wird nach diesem Muster etwa zwischen den Gruppen Elastica und Oasis unterschieden; Erstere werden sehr gut, Letztere sehr schlecht eingestuft, dazwischen liegen z.B. Blur, die immerhin eine bessere Einschätzung bekommen als Oasis. Das Urteil ergeht nach dem Maßstab der Subversion und rebellischen Wirkung; die Musik und das Auftreten von Oasis erfahren konsequenterweise eine äußerst schlechte Beurteilung, weil sie nach Einschätzung des Spex-Artikels eine »depressiv machende Leere« erzeugten, »die durch keinen warholistischen Kunstbegriff, durch die Rede vom ›Leben an der Oberfläche‹ zu rechtfertigen« sei (Grether 1995). Dies alles ist als Einstufung und Begründung so klar, wie es äußerst spekulativ bleibt. Dass die Gruppe Elasti-

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ca bedeutend weniger apathisch, befriedend wirkt als Oasis und im Sinne der Zeitschrift zu einer richtigen Form der Politisierung beiträgt, wird ohne jede Überprüfung behauptet. Die Überzeugung von der schlechten Wirkung des einen und der guten des anderen Produkts ist aber derart stark, dass zumindest auf der Ebene des Artikels die Trennung zwischen den beiden und ihren jeweiligen Anhängern nicht unnachgiebiger ausfallen könnte. Über mehr Halt außerhalb der Rhetorik und der journalistisch betriebenen Grenzziehung verfügt ein anderer Artikel desselben Magazins, der sich der englischen Acid House-Szene und ihren Rave-Partys widmet. Die restriktiven Reaktionen englischer Behörden und des Gesetzgebers auf unangemeldete Rave-Veranstaltungen sowie die aufgeregte Debatte über solche exzessiven Feten dienen dabei als Ausgangspunkt einer politischen Einordnung dieses genusssüchtigen Partyvolks aus »Indie-Hörerinnen, Fußballfans, Travellern und anderen Subkulturen«. »Acid-House war der Sound, der sich für Drogen wie Ecstasy ›eignete‹, die trancehafte Zustände und ein schmusiges Einverständnis mit dem eigenen Körper im Verhältnis zur Umgebung erzeugen«, resümiert der Spex-Mitherausgeber Tom Holert. Das sehen die Polizei und die regierungsamtlichen Stellen natürlich genauso, im Unterschied zu ihnen möchte Holert darin aber keineswegs nur einen Ausdruck der Verwahrlosung, sondern einen »Hedonismus«, eine »Flucht aus dem Alltag« erkennen, die Züge eines politischen Programms tragen. Holert spricht von einer »›Politics Of Pleasure‹, einer Genußpolitik in Zeiten von moralischer Regulierung und wirtschaftlicher Rezession in Thatcher-England.« Die konservativen »Repressionen« gegen den nicht behördlich angemeldeten Rave-Hedonismus beweisen ihm die politische Bedeutung des »Jugend-Spaßes«, auch wenn die Raver selbst keine politischen Botschaften verkünden. Die jugendlichen Feiern und Verausgabungen sind für ihn bereits Programm genug, gerichtet gegen die konservativen Maßhalte-Appelle und neoliberalen Kürzungen staatlicher Sozialausgaben (1997: 28f.). Bedroht sieht er aber die ›Politik der Lust‹, die ›Politik des Vergnügens‹ nicht allein durch den Staat und seine Agenten, sondern auch durch Ausschlussmechanismen, die innerhalb der Pop-Szene selbst greifen, durchgeführt von »Genußpolitikern und House-Libertins«, die Hierarchien schaffen und Ausgrenzungen vornehmen. Eifersüchtig hüte man »das eigene kulturelle Wissen über die ›richtige‹ Musik und die ›richtigen‹ Vergemeinschaftungsformen. Der Spaß war auch in

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vielen Bereichen der Rave-Bewegung ein Spaß der Wissenden, ein Nischenspaß, der sich gegen Außenseiter oder Leute mit dem ›falschen‹ Geschmack richtete.« Das ergebe einen Wettbewerb, der zur Spaltung beitrage und es der Kulturindustrie, die längst nicht mehr eine große Masse mit wenigen standardisierten Produkten beliefere, ermögliche, einen »Mainstream der Minderheiten« differenziert auszustatten. Diese Entwicklung halte bis heute an, beschließt Holert seine Überlegungen, man könne das Distinktionsgebaren überall erleben (ebd.: 29). Vor allem im eigenen Heft, möchte man anfügen, schließlich zählt es zum Grundzug der deutschen Pop-Linken, in Zeitschriften wie Spex über den richtigen Geschmack zu befinden. Die hedonistische Freude, die Szenen, Gruppen, Massen angesichts von gängigen Konsum- und Unterhaltungsangeboten verspüren, dient der Pop-Linken keineswegs als Beweis für die Annehmbarkeit solcher Angebote. Zwar hat man nicht selten den Eindruck, das sei anders: Holert selbst vermag dem »Bild eines irgendwie üppigen, luxuriösen, eleganten, sexuell wie materiell attraktiven Lebensstils« durchaus – hier am Beispiel von Disco – etwas abzugewinnen (1996: 26), andere Autoren begeistern sich für Dinge, die »im besten Sinne Werbung für Unterhaltung« machen (Philippi 1998: 24) – die danach sich aufdrängende Vermutung, die PopLinke vertrete im Kern eine materialistische Politik im handgreiflichen Sinne, ist dennoch falsch. Die Pop-Linke vertritt kein Programm, wie man es in den Jahrzehnten zuvor vereinzelt bei Abweichlern der Neuen Linken vorfinden konnte, die sich von ihrer konsumkritischen Haltung aus demokratisch-populistischen Gründen verabschiedet haben – wie vor allem Jean Améry, der sich und seine intellektuell-literarischen Weggefährten am Ende seines Lebens der »Blindheit gegenüber den Sehnsüchten, Hoffnungen und Ängsten der Mitmenschen« zeiht und das Vokabular der linken Konsumkritik darum nur noch in Anführungsstrichen gebraucht: »Wir hatten ja das Zauberwort ›Entfremdung‹ zur Hand«, schreibt Améry im Rückblick ebenso distanziert wie sarkastisch. »Die Leute aßen sich satt, hatten ihre Häuser wiederaufgebaut, wohnten ordentlich, kleideten sich gut. Was tat’s? Sie waren ›entfremdet‹ – so sehr offenbar, daß sie nicht verspürten wie unglücklich sie waren, indem sie sich glücklich fühlten, glücklich oder zumindest so halbwegs befriedet. Die Verdammten dieser Erde zogen in freundliche Einfami-

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lienhäuser ein und kauften Kleinwagen. Wir zuckten höhnisch die Achseln« (1979: 265). Der Eindruck, der Pop-Linken der 90er Jahre ginge es um ein vergleichbares grundsätzliches Lob des Materialismus und der Unterhaltung – jetzt (über Amérys Verhältnisse) modern oder postmodern gesteigert zum Lob des Glamours und des Hedonismus –, kann aber allein schon deshalb nicht entstehen, weil Zeitschriften wie Spex ständig zwischen verwandten Angeboten per Geschmacksurteil tiefste Unterschiede behaupten. »Freundliche Einfamilienhäuser« sind ihre Sache ebenso wenig wie ›nette Fernsehserien‹ oder ›Musik zum Schunkeln‹, da müssen es schon weniger biedere, kleinbürgerliche Tanzmusiken, TV-Programme und städtische Apartments sein. Die Pop-Linke fühlt sich dazu berechtigt und geradezu aufgefordert, solche Trennungen einzuziehen, weil sie annimmt, dies nicht bloß aus Gründen kultureller Abgrenzung und Erhebung zu tun. Man trifft die Unterscheidungen im grundsätzlichen Bewusstsein, sie nicht zu vollziehen, um die eigene Hip- und Coolness zu demonstrieren und durchzusetzen, sondern um mit ihnen politische Ansprüche zu verfolgen und zu etablieren. Darum rückt z.B. der Disco-Eskapismus – dessen »Fashion-Eskapaden« und »Eleganz-Experimente« – rasch wieder ins Zwielicht, weil man annimmt, dass er innerhalb des zeitgenössischen Kapitalismus eine systemerhaltende Funktion besitze: »Die Disco-BesucherInnen streifen nicht mehr ihre ErwerbsarbeiterinnenExistenz ab und ersetzen sie durch eine souveräne, tanzende Persönlichkeit, die zu ungeahnten Selbstinszenierungen fähig ist; vielmehr bringen sie« – lautet dann das negative Urteil – »eine neuartige freiwillig-unfreiwillige Selbstständigkeit schon mit auf die Tanzfläche, vergessen den Alltag nicht, sondern setzen ihr ungesichertes Freelancer- und Mini-Unternehmertum mit anderen Mitteln fort« (Holert 1996: 26). Rudi Dutschkes Übernahme aus den u.a. von Adorno verfassten Studies in the Authoritarian Personality – die Leitlinie, der Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft im antiautoritären Sinn sei an eine Überwindung bestimmter Merkmale der autoritären Persönlichkeit (rigide moralische Einstellung, Ablehnung des Weichen und Fantasievollen, Feindseligkeit gegenüber Fremden, Betonung männlicher Durchsetzungsfähigkeit) gebunden – wird dadurch zum Teil aufgegriffen, zum Teil aber auch modifiziert. Die Kritik an der konservativen bis faschistischen Persönlichkeit wird hier abgewandelt zur Kritik am neo-

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liberalen Subjekt, das nicht mehr strengen moralischen Anforderungen und Abgrenzungen gegenüber dem Fremden unterliegt, sondern aufgeschlossen und flexibel genug ist, um sich in der Konkurrenzordnung auf interessante, mehr oder minder individuelle Weise präsentieren und durchsetzen zu können. Die mittlerweile auch von Angestellten und aufstrebenden Unternehmern betriebene Hinnahme von Amüsierwillen, auffälliger Selbstdarstellung, unterhaltendem Glamour wird deshalb auf Seiten der PopLinken mit einer scharfen Kritik jener Vergnügungen beantwortet, die dem ihrer Ansicht nach entgegenkommen. Fun und Fitness erscheinen dann geradezu als Imperative der »Kontrollgesellschaft« (Holert 1997: 27), denen man im Gefolge von Michel Foucault, Judith Butler etc. mit dekonstruktiven Anläufen begegnen möchte, Identitätsfestlegungen jeder Art zu bestreiten und zu unterminieren. Gefordert ist dadurch nicht weniger als eine Unterhaltung, die im Exzess oder in der überraschenden Vielfalt oder Fragmentarisierung die Verpflichtung darauf, in der bestehenden Gesellschaft in der Arbeitswelt oder der Familie erfolgreich seinen Beitrag zu leisten, durchkreuzt. Was Diedrich Diederichsen (1998: 6) als nicht einfach zu vermittelnde Haltung der avantgardistischen Boheme-Künstlerszene der 90er Jahre festhält (»bloß nicht einem anspruchslosen, am Ende gar konsumistischen Hedonismus ohne politischen Anspruch Vorschub leisten – und auf der anderen Seite um Gottes Willen nicht als linke, spaßverderberische Anti-Hedonisten dastehen«), lässt sich umstandslos auf die Pop-Linke übertragen. Zumeist fällt ihnen die Antwort auf das Dilemma aber nicht schwer; wie bereits gesehen, sind sie beständig damit beschäftigt, die auf den Markt kommenden Produkte und die Aktivitäten in Clubs und jugendlichen Szenen in Äußerungsformen eines guten (politisch widerständigen) und schlechten (systemkonformen) Hedonismus zu scheiden. Die Anhaltspunkte für solch eine strikte Trennung bleiben zumeist im Dunkeln – und die Überprüfung, ob ein Glamourprodukt, eine Lustentäußerung oder ein Konsumakt tatsächlich irgendeine politische Wirkung besitzt, bleibt vollkommen aus. Im Regelfall zeichnet man das, was man selber gerne hört und sieht, als potenziell subversiv aus – und alles Übrige verfällt konsequenterweise einer nicht nur ästhetisch, sondern auch politisch motivierten Kritik. Fundierter erscheint die Kritik, wenn sie sich wieder einer Totalkritik am herrschenden Konsum annähert. Zwar wird dabei dem Hedonismus und der Zerstreuung keineswegs abgesagt, beide werden

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freilich auf eine Weise zum Prinzip erhoben, dass der Vorgang fast schon wieder wie eine vollkommene Absage an den Konsum wirkt. Gelten gelassen wird nur der intensive, exzessive oder der auf versponnenere, subtilere Weise dekonstruktive, gegen das Identitätsprinzip und die funktionstaugliche Persönlichkeit gerichtete Hedonismus. Im Namen solch eines hedonistischen Anarchismus, solch eines radikalen Eskapismus können die gängigen Formen und Gegenstände des Konsums zweifellos mit triftigen Gründen verworfen werden; vom Samstagabend in der Disco oder dem Bummel durch eine Shopping Mall führt wahrlich kein direkter Weg zu einem Ausbruch aus der rationalisierten Welt. Eine politische Wirkung kann die Pop-Linke mit ihrer exzessiv/dekonstruktiven Bejahung des Konsums und des Hedonismus jedoch genauso zweifelsfrei nicht erzielen; damit gleicht sie sich vollkommen den wirklichkeitsfernen, unpolitischen Programmen der Avantgarde an.

DIE NEUE MITTE Verständlich wird die sich doch wieder rasch durchsetzende Abneigung der Pop-Linken gegen die meisten Konsum-Phänomene, wenn man die politische Lage in der zweiten Hälfte der 90er Jahre betrachtet. Stuart Halls Aufruf an die Linke, sich den neuen populären Vergnügungen, der pluralisierten Konsumtion, der postmodern designten Kultur und der Warenästhetik zuzuwenden ([1989] 2000: 91f.), wird erfolgreich befolgt – aber nicht von der sozialistischen Linken, die Hall vorschwebt, sondern von jenen Sozialdemokraten, die mit einem linken Programm nur noch den Parteientitel gemein haben. Nach dem Vorbild Tony Blairs orientieren sich die deutschen Sozialdemokraten um Gerhard Schröder (Wolfgang Clement und Bodo Hombach treten dabei neben ihm hervor) in beachtlichem Maße an der modernen Populärkultur. Als Teil der Umorientierung ist zum einen die Förderung der Medien- und Kommunikationsbranchen zu nennen, die Begeisterung für die Wagnisse unternehmerischer High-TechEntwicklungen. Bedeutsam ist zum anderen auch, dass direkt die Nähe zu Bereichen und Formaten der unterhaltenden Medien gesucht und offen ausgestellt wird, dass eine Imagepflege und Selbstinszenierung betrieben wird, die der Vorgehensweise von Showstars nicht nachsteht. Die Absicht dieser Aneignung von Foren und Mitteln des Unter-

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haltungssektors liegt keineswegs nur darin, die bloße Bekanntheit des eigenen Namens zu erhöhen. Das ganze Feld zwischen Fußball und teurer Markenkleidung, zwischen durchgängig virilem Auftreten und kurzen Gastauftritten in Daily Soaps nutzt Gerhard Schröder auf eine Weise, die sein politisches Projekt symbolisieren und mit einer bestimmten, als zukunftsweisend erachteten Wirklichkeit kurzschließen soll. Diese moderne Wirklichkeit, die als vorbildlich hingestellt wird, ist nun keineswegs etwas, das als gegeben hingenommen und genossen werden soll. Das Projekt der Neuen Mitte – bzw. des Third Way (Giddens 1994; 1998) oder der Cool Britannia in England (vgl. Gilbert 1998; Harris 2003) – besteht nicht im Aufruf, sich den Freuden des Konsumismus und den Angeboten der Unterhaltungsindustrie ohne kulturkritische Bedenken hinzugeben. Es besteht vielmehr darin, das Bekenntnis zur kapitalistisch hervorgebrachten, medial inszenierten Wirklichkeit so zu konturieren, dass der Akzent nicht auf dem Konsum liegt, sondern auf der selbstbewussten, vitalen Aneignung dieser rundweg akzeptierten modisch-zeitgenössischen, liberalen, marktwirtschaftlichen Wirklichkeit. Das Bild einer optimistischen Annahme und Propagierung eines von kreativen Unternehmern und modernen Facharbeitern hervorgebrachten technologischen Fortschritts ist aber bei den neuen sozialdemokratischen Entwürfen auf nahezu paradoxe Weise halbiert. In politischer Hinsicht zeichnet die Sozialdemokraten (bzw. New Labour) unter Schröder und Blair gerade nicht eine Zufriedenheit mit dem materiell Erreichten aus: Den Bestand sehen sie permanent gefährdet. Nur dem Aktiven, ja Erfolgreichen kommt darum in ihrer Vorstellung der Genuss zu. Genau weil sie mit dem Zuschnitt der Auto-, Konsumgüter- und Medienindustrie grundsätzlich zufrieden und mit ihren Produkten hoch einverstanden sind, möchten sie alle gesellschaftlichen Potenziale ausschöpfen, um ihre Reproduktion voranzutreiben. Zum Programm, das sich die Sozialdemokraten der Neuen Mitte bzw. des Third Way geben, um ihr selbstgestecktes Ziel zu erreichen, zählt im »Schröder-Blair-Papier« das Bekenntnis zu »Werten« wie »persönliche Leistung und Erfolg, Unternehmergeist, Eigenverantwortung«. Davon abgeleitet werden Forderungen nach mehr Flexibilität, verringerten Unternehmenssteuern, Rückdrängung der Bürokratie, staatlichem Schuldenabbau, »Modernisierung« (sprich: Beschneidung) der Gesundheits- und Rentenversicherung. Im Namen eines »Sozial-

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systems«, das »Initiative und Kreativität fördert und neue Spielräume öffnet«, soll vor der Gewährung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe der konsequente Versuch stehen, die Betroffenen mit Teilzeitarbeit oder »geringfügiger Arbeit« zu beschäftigen (Schröder/Blair 1999). Mit einem Wort: Der ganze neoliberale Katalog, der in Deutschland seit dem Lambsdorff-Papier politisch gut bekannt ist, taucht nun als sozialdemokratisches Regierungsprogramm auf. Dazu passt, dass die auf Buchlänge gestreckte Fassung des Programms in der Empfehlung gipfelt, die deutschen Sozialdemokraten sollten sich am neo/ ordoliberalen Kurs Ludwig Erhards orientieren (Hombach 1998). Es gibt aber zwei wichtige Unterschiede zwischen dem Schröder/Blairund dem Lambsdorff-Papier. Die Unterschiede betreffen nicht die Grundzüge der Papiere, sondern ihre politische wie kulturelle Aufbereitung. Der wichtigste Unterschied liegt darin, dass die (identischen) Forderungen der Papiere unter Schröder (in Koalition mit den Grünen) rascher und stärker verwirklicht werden als in der langen Zeit der CDU/FDP-Regierung zuvor. Von der Öffnung des Kapitalmarkts über die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts bis zur Reduzierung der Lohnkosten reicht die (teilweise) Erfüllung der neoliberalen Ansprüche im Namen der erneuerten Sozialdemokratie (vgl. Butterwege 2001; 2006). Der zweite Unterschied ist bereits indirekt benannt worden. Im Unterschied zu den 80er und beginnenden 90er Jahren, als die CDU unter Helmut Kohl ihre wirtschaftspolitischen neoliberalen Ansätze weltanschaulich nicht mit ihrem kulturellen Konservatismus vermitteln konnte, vermag die führende Regierungspartei, die SPD, jetzt zumindest in Person ihres Spitzenmannes Gerhard Schröder das neoliberale Programm ohne Bedenken im Sinne eines passenden liberalen, hedonistischen Lebensstils zu verkörpern. Die Überzeugungskraft dieses habituell liberalen und politisch neoliberalen Projekts rührt selbstverständlich keineswegs allein von der Schröder’schen Verkörperung her, sondern bezieht ihren Schwung daher, dass sich auch größere Teile der besitzenden und akademischen Schichten von konservativen Moralvorstellungen oder kulturkritischen Bedenken gegenüber dem oberflächlichen Konsum und dem Popdesign mittlerweile verabschiedet haben. Im kulturellen Bereich macht sich das besonders daran bemerkbar, dass die Altersklassen der nach 1968 Geborenen sich weitgehend von der linksalternativen Grundströmung, die nicht wenige Angehörige der

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vorherigen Generation erfasst hat, absetzen. Verschiedene Trends stehen dafür ein: der Erfolg von Techno und Comedy-Formaten, die Umwandlung von Stadtzeitschriften in Lifestylemagazine sowie die viele Sendungen, Filme, Artikel, Alltagskonversationen bestimmende Manier, auf dem Wege des (mitunter ironisch gebrochenen) »Kults« Fernsehserien, Automarken, Schlager, Frisuren aus der Zeit der eigenen Jugend und Kindheit wiederaufleben zu lassen. Von der konsumkritischen Haltung und Denkweise, die auf der (neu-)linken Kritik an Manipulation und Kommerzialisierung beruhte, bleibt folgerichtig wenig übrig. Sie wird bis heute weiter in sich selbst als künstlerisch oder subversiv verstehenden Szenen gepflegt, besitzt aber nur noch wenig Ausstrahlung auf die großen Gruppen der jüngeren Generationen. Die Veränderung lässt sich zwar nicht am Ausmaß des Konsums ablesen – trug doch die weit verbreitete Kritik an der Kommerzialisierung in den 70er und 80er Jahren tatsächlich nicht zu einer Verringerung der Konsumausgaben bei –, sie zeigt sich aber mitunter an der Auswahl der Konsumgegenstände. Das Signum des Rebellischen, Kreativen muss den Waren nicht mehr notwendigerweise anhaften, damit sie als unkonventionell oder zeitgemäß gelten. Was Mitte der 80er Jahre begann, setzt sich nun fort als Anerkennung eines Konsumstils, der sich auf Marken und Moden stützt, die nach den Maßgaben der linksalternativen und teilweise auch der konservativen Konsumkritik als allzu sexistisch, statusbewusst, künstlich, glatt, oberflächlich gelten. Stilistisch, geschmackssoziologisch passt das zweifellos sehr gut zu dem sozialdemokratischen – de facto neoliberalen – Programm der Neuen Mitte, in dessen Zentrum als Vorbilder die aufstiegswilligen, erfolgsorientierten, sich auffällig exponierenden Unternehmer in den modernen Dienstleistungs- und IT-Branchen sowie jene flexiblen Angestellten stehen, die bereits durch ihr modisches Äußeres anzeigen, dass sie auch ohne die Aussicht auf eine langfristige Stellung besonders leistungs- und anpassungsbereit, wiewohl nicht bieder oder hoffnungslos sind. Dennoch ist dieses Programm kein Programm der Fülle und des Optimismus; es handelt sich bei ihm nicht um das helle Panorama einer Gegenwart, in der die Vergnügungen und materiellen Befriedigungen der Konsumsphäre das Zeichen und der Beweis für eine gut funktionierende gesellschaftliche Ordnung sind. Vielmehr wird es als Programm der Angst und Bedrohung präsentiert: Die Hinweise auf die

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bedrohliche internationale (chinesische, indische) Konkurrenz, auf »Staatsversagen«, auf »bürokratische« Ineffektivität, auf »konkurrenzschädigende« arbeitsrechtliche Bestimmungen, auf die Notwendigkeit privat finanzierter Alters- und Gesundheitsvorsorge, auf »zu hohe« Steuern und Sozialleistungen, auf die Notwendigkeit eines viel stärker freien, deregulierten Marktes dominieren. Zu einer Verteidigung des Konsums kann das nicht führen, dafür ist die Sorge vor einer Zerstörung der leistungsfähigen Konkurrenzgesellschaft durch eine allgemeine staatliche Garantie grundlegender Konsumchancen zu groß. Auch 2010 gilt darum noch: Selbst wenn die konservativen Bedenken gegen die moralischen und kulturellen Auswirkungen des modernen Konsums wegfallen, bleibt auch nach der sozialdemokratischen Aneignung neoliberaler Anschauungen wenig Raum für eine umfassende Ausrichtung am Konsum.

Schluss: Zur Verteidigung des Konsums

In den 2000er Jahren eilt die neoliberale Anschauung anfänglich von einem publizistischen Erfolg zum nächsten. Gegen die »Anspruchsmentalität« und »soziale Verkrustung« wird von einer Allianz von FAZ bis Spiegel, von Focus bis Zeit unablässig das Lob der Flexibilität, Aktivierung und Deregulierung angestimmt. Die Parteien überbieten sich in der ersten Hälfte des Jahrzehnts gegenseitig in Forderungen und Beschlüssen zur Senkung von Staatsausgaben, Erbschafts- und Unternehmenssteuern, zur Einrichtung von niedrig bezahlten Jobs und zur Liberalisierung der Kapitalmärkte, sodass selbst Gerhard Schröders SPD nach 2004 wieder – zumindest den Absichtserklärungen nach – links von Angela Merkels CDU erscheint. Herausgefordert wird die neoliberale weltanschauliche Hegemonie mit einiger Wirkung bloß von der apokalyptischen Vision kommender Umweltkatastrophen, von denen die Erde erfasst werde, wenn in den ökonomischen Selbstlauf nicht ökologisch eingegriffen werde. Es gibt allerdings eine bedeutsame Übereinstimmung zwischen neoliberaler und ökologischer Position. Beide malen ein äußerst düsteres Bild der Zukunft. Wenn sich nicht schnell und tiefgreifend etwas ändere, stehe man kurz vor einem Kollaps, heißt es unisono. Ohne entschiedene Liberalisierungsmaßnahmen, ohne einen Verzicht auf die staatlich garantierte materielle Absicherung erlahme die deutsche Wirtschaft, erdrückten den Staat und die Gesellschaft die Schulden, würde das Gesundheitssystem unbezahlbar, erstickten die Rentenzahlungen an die alten die Lebenschancen der jungen Generationen, lautet die eine Variante der als sichere Prognose ausgegebenen Untergangsprophezeiung (vgl. Butterwege/Lösch/Ptak 2007) – ohne eine drastische Beschränkung der Industrialisierung und des Konsumismus würden die mensch-

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lichen Lebensbedingungen unumkehrbar zerstört, die andere Variante (häufig werden die Forderungen, den Sozialstaat nachhaltig zu verändern, und die Warnungen vor der Klimakatastrophe mittlerweile von denselben Publizisten, Politikern und Regierungsmitgliedern verkündet). Was früher der Ansatz der Linken war – dem bestehenden kapitalistischen System immer wieder aufs Neue die verheerende Krise vorherzusagen – ist damit fast vollständig ins Repertoire der Alternativen, Konservativen und Neoliberalen übergegangen. Vor allem bei den Neoliberalen, aber auch bei nicht wenigen Konservativen und Alternativen ist die Krisendiagnose freilich nicht mit einer Gegnerschaft zur kapitalistischen Marktwirtschaft verbunden, sondern ausschließlich (im Falle der Neoliberalen) mit der scharfen Kritik an staatlichen Eingriffen oder (im Falle der konservativen Ordoliberalen und heutzutage auch der alternativen Umweltschützer) überwiegend mit Änderungsvorschlägen zur staatlichen Rahmensetzung der marktwirtschaftlichen Unternehmungen. Für die Kritik an der bundesdeutschen Gegenwart bedeutet dies, dass ihre bedrohlichen Szenarien seltener in der Form der traditionellen Kulturkritik – als Kritik am Verlust gebildeter Gemeinschaften – formuliert werden. Für Neoliberale, die sich der Anonymität der kommerziellen Freiheiten verschreiben, ist das ohnehin eine Selbstverständlichkeit, aber auch Konservative und Linksalternative können nun mitunter ihre Bedenken gegenüber dem Zustand der westlichen Welt äußern, ohne zwangsläufig eine ganz besondere Abneigung gegen die Pop-Standardwaren und ihre falschen, flüchtigen Reize nach außen zu kehren. Ab und zu sind sie jetzt sogar bereit, aus einer Haltung des Anti-Antiamerikanismus heraus zuzugestehen, dass vulgäre, massenhaft hergestellte Produkte des unregulierten amerikanischen way of life annehmbarer ausfielen als vergleichbare deutsche oder europäische Güter (mit Blick auf die heimischen Pommesbuden entdeckt etwa ein FAZ-Autor die Vorzüge McDonald’s; Herzinger/Stein 1995: 1995: 24) – ganz zu schweigen von der ungebrochenen Begeisterung auch der längst in Mittelschichtsberufen arrivierten Alternativen für Jeans und bestimmte Formen der Rockmusik. Solche graduellen Aufwertungen stehen beispielhaft für eine in allen Lagern reduzierte Kritik am Pop-Konsum generell. Selbst unter Wissenschaftlern findet man nun manchmal deutliche Anzeichen für eine teilweise Hinwendung zu Pop-Phänomenen, sogar bei linken In-

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tellektuellen (nicht nur innerhalb der jüngeren Pop-Linken) und den seit den 70er Jahren weit überwiegend mit linksliberal oder links ausgerichteten Professoren besetzten Sozial- und Kulturwissenschaften. Als schlicht selbstverständlich muss man angesichts der eminenten ökonomischen und gesellschaftlichen Bedeutung des Konsums ansehen, dass seit zwanzig Jahren in Deutschland verstärkt wissenschaftliche Arbeiten zum Thema verfasst werden (Siegrist/Kaelble/Kocka 1997; Strasser/McGovern/Judt 1998; Spiekermann 1999; W. König 2000; Rosenkranz/Schneider 2000; Gries 2003; Schrage 2008; Siegfried 2006; Koslowski/Priddat 2006; W. König 2008; G.M. König 2009; Haupt/Torp 2009; die dabei aufgegriffenen wichtigen internationalen Beiträge: Baudrillard 1970; McKendrick/Brewer/Plump 1982; Fox/Lears 1983; Campbell 1987; Featherstone 1991; Davidson 1992; Falk 1994; Miller 1995; Slater 1997; Miles 1998; Illouz [1997] 2003; Grazia 2006; Baumann 2007). Bemerkenswerter ist, dass in einigen solchen Abhandlungen Sympathien für den Untersuchungsgegenstand aufscheinen oder eine ausführliche Begründung erfahren. Das geht mitunter sogar über eine kritische Musterung der älteren Angriffe gegen die Massenkultur, die Kulturindustrie und den Konsumismus, die von Peter Handke und Botho Strauß bis zu Robert Kurz (1999) und Roger Behrens (2003) nach wie vor unter Intellektuellen beachtlich viele Anhänger besitzen, hinaus (etwa Habermas 1990: 29ff.; Grasskamp 2000; Maase 2002; Stehr 2007; Schildt/Siegfried 2009). Nicht nur als potenziell abweichend und emanzipiert eingeschätzte Jugendkulturen (Lindner 1981; Baacke 1993) werden mit einem recht positiven Vorzeichen versehen – gegen die zuvor übliche kulturkritische Einordnung und Abwertung wird manchmal auch das Prinzip der Unterhaltung und Zerstreuung insgesamt in Schutz genommen (Hügel 2007; Maase 1997; Hickethier 2006) und jene Ausweitung des Konsums, deren Antrieb oftmals in einer zunehmenden Ästhetisierung der Waren liegt, prinzipiell begrüßt (Schulze 1992; Ullrich 2006; Maase 2008, Drügh 2010). Untersuchungen, die belegen, dass der Bereich des Konsums nicht zuletzt deshalb diskreditiert worden ist, weil er als weibliche Sphäre – und damit fälschlich als Sphäre der Oberflächlichkeit und Irrationalität – betrachtet wurde (vgl. Carter 2009), unterstützen den Aufwertungsprozess zusätzlich aus antichauvinistischer Richtung. Vereinzelt machen sich Wissenschaftler, die zugleich als Publizisten hervortreten, sogar zu regelrechten Fürsprechern des Konsums.

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Der Vergleichspunkt ist jedoch jeweils derart extrem gewählt, dass die Rechtfertigung des Konsums weitgehend relativiert wird: Iring Fetscher, der noch wenige Jahre zuvor in den Städten nur »unzufriedene und missmutige Konsumbürger« entdecken konnte (1982: 210), weist das Wort vom »Konsumterror« scharf zurück – aber das nur, um einen deutlichen Kontrapunkt zu Baader, Ensslin und der RAF zu setzen (2001: 12). Norbert Bolz bejaht die Erfindung künstlicher Bedürfnisse durch Marketing und Werbung – weil er im »Konsumismus« ein Abwehrmittel gegen den »islamischen Fundamentalismus« erblickt (2002: 97, 8f.). Im Feuilleton macht sich die Abschwächung der Ideologie- und Kulturkritik zur gleichen Zeit noch deutlicher bemerkbar. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre rücken in die Redaktionen der überregionalen Zeitungen jeweils ein oder zwei jüngere Mitarbeiter ein, die direkt der Pop-Linken zuzurechnen oder als Linksliberale oder konservative Ästheten mit den Thesen und Absichten solcher Pop-Autoren wie Rolf Dieter Brinkmann und Diedrich Diederichsen zumindest einigermaßen vertraut sind. Züge der Pop-Affirmation, der Bejahung von Oberflächlichkeit, Reiz, Künstlichkeit sind deshalb seitdem in Rezensionen und Artikeln zu Musikgruppen, Pop-Artisten, Hollywood-Filmen, Zeitgeistfragen und Lifestylephänomenen in Blättern wie der FAZ, der SZ, der Zeit, der Welt und dem Spiegel regelmäßig anzutreffen. Man könnte darum auf die Idee kommen, dass die Kritik an der Konsumentenmentalität dabei sei, aus dem Feuilleton weitgehend in die Leitartikel der Politik- und Wirtschaftsteile überzugehen – ja, als bilde das Feuilleton nun im Lob bunter Fülle und attraktiver Schauwerte einen hedonistischen Widerpart zu den angstvoll ausgemalten Szenarien drohenden Mangels. Sollten sich ausgerechnet das Feuilleton und mit ihm eine beträchtliche Zahl an kulturwissenschaftlichen Intellektuellen zu Fürsprechern des Konsumismus entwickeln? Nun, diese Annahme kann man rasch verwerfen. Den überwiegend jüngeren Intellektuellen geht es auch innerhalb der Pop-Fraktion fast ausschließlich um spezielle Geschmacksurteile; bestimmte, als avanciert eingestufte Künstler – Andy Warhol, Cindy Sherman, Bret Easton Ellis, Helmut Newton, David Lynch, Missy Elliott, Madonna, Devendra Banhart etc. – werden in langen Textstrecken in einem Ton mit Lob bedacht, der sich nicht von dem unterscheidet, mit dem man sich sonst auch Peter Handke oder Pierre Boulez widmet; schon der Gestus der Besprechung – und zuvor bereits die in der Pop-Welt getroffene

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Auswahl lobenswerter Exemplare (ganz selten Bestseller oder anonyme, kollektive Genreprodukte, sondern davon abweichende AutorenKünstler) – macht deutlich, dass keineswegs etwas zum Zwecke des Konsums angezeigt werden soll. Eine Apologie jener Waren und ihrer Aneignungsweisen, die regelmäßig dem oberflächlichen Konsumismus zugerechnet werden, sieht anders aus. Jenen Pop-Feuilletonismus, der seinen Ursprung in amerikanischen und englischen Magazinen und Wochenendbeilagen der 60er Jahre besitzt, kann man in vier Richtungen untergliedern. 1. Die Pop-Linke: Sie ist auch im Jahr 2010 noch in vielen Magazinen und Zeitungen – von Intro bis zur Berliner Zeitung, von Testcard bis konkret –, die sich an eine studentische oder urbane Leserschaft richten, gut vertreten, der Elan der frühen 90er Jahre ist aber längst verflogen. Die eigenen PopAvancen sieht man kritischer denn je, vor allem richtet sich die Abneigung aber gegen eine Popkultur, von der man glaubt, dass sie mittlerweile keine widerständigen Impulse mehr besitzt und rein in der kapitalistischen Konsumgesellschaft aufgegangen sei (vgl. Siemons 2000; Hinz 2009). Einer der Wortführer der Pop-Linken spricht vollends deprimiert von der »totalen Substanzlosigkeit, die den gegenwärtigen Pop von Maximo Park bis Arctic Monkeys« ausmache und vermisst auch auf Seiten der Kritik jegliches »Avantgarde-Bewusstsein«, ohne das ein »Zusammenspiel von gutem Geschmack und politischem Bewusstsein« nicht denkbar sei (Büsser 2008). Ähnlich um Abgrenzung bemüht, aber nicht aus linksradikalen, subversiven Gründen, ist 2. eine Spielart des Pop-Feuilletonismus, die sich gleichfalls dadurch auszeichnet, auch auf Gebieten weit abseits der herkömmlichen Kunstgattungen ›guten Geschmack‹ und ›Avantgarde-Bewusstsein‹ zu demonstrieren. Den Anhängern einer ›PopModerne‹, wie man sie etwa im Feuilleton der Zeit oder der FAZ findet, geht es darum, in gemäßigter Manier eine »konstruktive Idee von Pop« zu fordern (Gross 2010) oder immer wieder auf »Poptranszendenz« (Gross [1997] 2000) und eine »unerhörte Musik« zu hoffen (Gross 2010) – oder radikaler eine selbstreflexive, künstlerisch autonome »Pop-Ästhetik« auszuloben, die selbstverständlich nur in kritischer Absicht die »Phrasen des Lifestyle-Pop« nachbuchstabiert (Assheuer 2001). Die Vertreter einer 3. Variante, die dem Sinnlichen ebenso wenig abgeneigt sind wie bestimmten Produkten der Kulturindustrie – linksalternative, puritanische Ansprüche oder Normen der politischen Kor-

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rektheit belächelt man –, unternehmen ebenfalls große Anstrengungen, in ihren Zeitgeist-Artikeln nicht mit einem gewöhnlichen Konsumenten verwechselt zu werden. In der SZ setzt man im Feuilleton dafür beispielhaft auf einen »hedonistischen Anarchismus«, der selbstverständlich aller politischen Bezüge entleert ist, aber als Begriff gut seinen Dienst verrichten kann, sich vom »Hedonismus als FreizeitKarikatur« abzusetzen, von einer üblichen Einrichtung des Alltags also, die nichts Wagemutiges an sich hat und die künstlerischen Fantasien der freien Schreiber nach einer Übertretung, nach einer »Verschwendung als Moment von Freiheit« enttäuscht (Diez 2008: 13). Wie variabel solche in der Stoßrichtung freilich ganz und gar nicht beliebigen Abgrenzungen inhaltlich ausfallen können, sieht man sehr gut daran, dass die 4. Variante des gegenwärtigen Pop-Feuilletonismus – der ›Pop-Liberalismus‹ – in anderem Zusammenhang vom selben Autor vertreten wird. Jetzt ist nicht mehr von der Durchschnittlichkeit des längst zur Norm gewordenen Fun-Hedonismus die Rede, nun wird mit voller Emphase Pop als »Kult des Individuums« gefeiert, als lang währendes Synonym für »Freiheit«, »Offenheit«, »Teilhabe«, als sei es eine bemerkenswert libertäre Handlung (gewesen), eine Gitarre zu spielen, ein T-Shirt zu tragen oder bei McDonald’s einen Hamburger zu kaufen. Ein wenig merkwürdig scheint dem Autor diese These selbst vorzukommen, zumindest fühlt er sich verpflichtet, sie um den Nachsatz zu ergänzen, dass in Zeiten der Finanzkrise und der ökonomischen Depression das westliche »Pop-« als »Demokratieversprechen« an sein Ende gelange (Diez 2009; zuvor noch ohne Endzeitvisionen Poschardt 2005). In unterschiedlicher Weise dienen demnach all diese gegenwärtigen Pop-Variationen dazu, den älteren bildungsbürgerlichen Kanon zu verlassen, ohne seine Konstitutionsprinzipien zu verletzen. Verlassen wird er, weil man sich Werken und Künstlern zuwendet, die ein Anhänger Thomas Manns oder Schuberts schwerlich auch nur beachtet hätte. Nicht tiefgreifend verletzt werden seine Bedingungen, weil man das größte Lob für exponierte Künstler und Gesamtwerke reserviert – und dies auf eine Weise formuliert, die deutlich macht, dass man die Schöpfer und Werke nicht zuletzt deshalb schätzt, weil sie dankbare Objekte der Reflexion, theoretischen Assoziation und sensiblen Versenkung sind. Eine Apologie jenes Konsums, der sich auf anonyme Produkte richtet (von denen nur die Marke, nicht aber der Schöpfer

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bekannt ist) und die Produkte danach beurteilt, ob sie eine eindeutige, oft sinnliche Funktion erfüllen, rückt dadurch in die Ferne. Die Revision der Kulturkritik, die seit den 80er Jahren bis heute in beachtlicher Weise vollzogen worden ist, erstreckt sich bei weitem nicht in gleichem Maße auf den Bereich der Konsumkritik. Wichtige unterschiedliche Voraussetzungen der Kulturkritik werden zwar nur noch von jeweils wenigen Parteigängern vertreten – neben der ausschließlichen Anerkennung des älteren bildungsbürgerlichen Kanons verblasst auch die Orientierung am Ideal der Gemeinschaft und einer als natürlich angenommenen Ordnung, auch vom Ziel der konsequenten Aufhebung von Arbeitsteilung und Entfremdung hört man nur noch selten –, ein vergleichbarer Rückzug von den Positionen der Konsumkritik ist aber nicht zu verzeichnen. Auch in den letzten Jahren hat sich daran in Deutschland nichts geändert; die gegenwärtige Lage weist ein breites politisches und weltanschauliches Spektrum der Kritik am Konsumismus auf. Ein konzentrierter Angriffspunkt ist in den letzten Jahren von einer Allianz aus konservativen Kommentatoren sowie Politikern und linksliberalen Angehörigen des Sektors psychosozialer Dienste mit großem Erfolg auf die Tagesordnung gesetzt worden. Die Kritik gilt dabei nicht dem Konsum schlechthin, sondern einer spezifischen Ausprägung, die man als Merkmal der »Unterschicht« herausstellt. Aggressiver Rap, Shows von Privatsendern, bestimmte Urlaubsorte, Angebote von Lebensmittel-Discountern und Media-Märkten werden mit äußerst abwertendem Zungenschlag als Teil der »Unterschichtenkultur« gekennzeichnet. Die Annahme von der Mittelschichtsgesellschaft, von der sozialen Nivellierung wird dabei auch von Christdemokraten und rechten Sozialdemokraten gestrichen. Das sonst strikt der Linken vorbehaltene Wort von der »Klassengesellschaft« kommt im Zuge dessen zurück – allerdings nicht, um mit ihm zur Änderung der Verhältnisse aufzurufen, die eine arbeitslose und materiell minderbemittelte Bevölkerungsklasse hervorbringen, sondern um diese größeren staatlichen Pressionen und Umerziehungsmaßnahmen auszusetzen. Der Begriff »Unterschicht« soll die Minderwertigkeit dieser Klasse anzeigen, ihre bedrohliche kulturelle und sittliche Armut. In einen Aufruf zur Verstaatlichung der Privatsender oder zur Festsetzung höherer Regelsätze oder allgemeiner Mindestlöhne mündet die Anklage der »Unterschichtenkultur« darum keineswegs. Jede »Manipulationsthese« wird zurückgewiesen, um die unterstellte Schuld bei den Angehörigen der

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»Unterschicht« zu suchen, denen prinzipiell alle Bildungsmöglichkeiten offen stünden. Weil ihr Lebensstil nicht von der Armut erzwungen sei, könnten auch stärkere monetäre Zuwendungen an ihm nichts ändern. Die These, dass sich die Kultur der »Unterschichten« weitgehend von der »ökonomischen Basis, von materiellen Notlagen entkoppelt« habe, führt darum zu dem Aufruf, in diese Kultur, in diesen Lebensstil »zu intervenieren« (Nolte 2004: 41, 52, 65, 69). Abgesehen von dem konservativen Bemühen, zu traditionellen bildungsbürgerlichen Maßstäben – »Lesen ist tatsächlich ›besser‹ als Fernsehen und Gameboy« –, zum Kanon von »Goethe, Mozart« zurückzukehren, reiht sich der Aufruf, Sozialpolitik durch Bildungspolitik zu ersetzen (ebd.: 72, 69), problemlos in den neoliberalen Versuch ein, die Sozialausgaben zu minimieren und dadurch den Lebensstil der bislang von ihnen erfassten bzw. aus neoliberaler Sicht in schlechter, tückischer Weise ›abhängigen‹ Menschen nachhaltig zu ändern. Der Unterschied zwischen den neueren, strikt konservativen und den rein neoliberalen Weltanschauungen besteht lediglich darin, dass Erstere die Bildung von Eigenaktivität auch durch staatliche Pädagogik und Letztere stärker vom Markt gefördert sehen (wollen). Beide Varianten bleiben nicht die akademischen Ideen von weltabgewandten Professoren, sondern prägen das Denken und Handeln vieler einflussreicher Unternehmer, Publizisten und Politiker. Sie sind tief durchdrungen von der Überzeugung, mit ihren Forderungen nach beträchtlichen Kürzungen der staatlichen Sozialpolitik nicht nur den eigenen Reichtum vermehren bzw. ihre Steuerabgaben um einige Prozentpunkte verringern zu wollen, sondern im wohlverstandenen Interesse der durch staatlich organisierte Versicherungen und Zuschüsse Unterstützten zu handeln. Die Voraussetzung dieser Überzeugung ist die Annahme, dass diejenigen, die sich in der Konkurrenz um Posten und Vermögen nicht durchsetzen konnten, diese Niederlage wegen mangelndem Einsatz und mangelnder Kultur selbst verschuldet haben – und ihnen eine auch nur einigermaßen akzeptable Lebenssicherung darum gar nicht zustehe. Paradoxerweise sehen Neoliberale und manche Konservative aber zudem in der gesellschaftlich gewährten Möglichkeit, als Arbeitsloser oder Geringverdiener eine gesetzlich garantierte Unterstützung wahrzunehmen, eine Lähmung der Initiativkraft der davon Betroffenen – als trauten sie den in der Konkurrenz Unterlegenen und von ihnen deshalb Abgeschriebenen doch wieder zu, erfolgreich in den Wettbewerb einzutreten.

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Zu den Eigentümlichkeiten der Neoliberalen und mitunter auch der Konservativen zählt es, dass sie nicht selten sogar so weit gehen, ihre These nicht bloß auf die »Unterschicht«, sondern auf Deutschland insgesamt zu beziehen. Dann ist es die Nation, die sozialstaatlich gelähmt ist und deshalb vor dem sicher prognostizierten Untergang durch eine Befreiung von Sicherheitsdenken und Bequemlichkeit (und natürlich von der ungebührlichen Besteuerung deutscher »Leistungsträger«) gerettet werden muss. Nach all den publizistischen Versionen dieser Idee – mit enormer Wirkung vorgetragen im schlichteren journalistischen und politischen Akademiker- und Leitartikelton von Miegel bis Merkel, von Aust bis Kleber – hat sie zuletzt auch noch eine im Feuilleton viel beachtete Variante erfahren. Peter Sloterdijk beschwört Ende 2009 eine von ihm umständlich »deutsche Lethargokratie« benannte Misere herauf, hält dafür aber auch die durchgesetzten und eingängigeren Titel »Konsumgesellschaft« und »Konsumismus« parat, als deren Merkmale er wie gewohnt »Trägheit und Frivolität«, »Spaß und Stagnation« angibt (2009: 97f.). Originell ist daran nur, dass die altbekannte Diagnose noch einmal bzw. so spät vorgetragen wird. Seit 2005 hat man sie nicht mehr in der gleichen Vehemenz und vor allem Publizität vernommen wie in den zehn Jahren zuvor. Zwei ganz unterschiedliche Motive bzw. Ereignisse sind dafür verantwortlich: Zuerst das für die – unter Merkel zwischenzeitlich neoliberal ausgerichtete – CDU enttäuschende Ergebnis der Bundestagswahl 2005, drei Jahre danach der nur mit massiven staatlichen Eingriffen verhinderte Kollaps des internationalen Finanzsystems. Das Lob der individuellen Freiheit, des ungesicherten, risikofreudigen Engagements, der Befreiung von Staat, Steuern, Sozialabgaben verliert dadurch an Kraft, es wird aus Gründen der Erfolglosigkeit abgeschwächt oder im Lichte der gegenwärtigen Entwicklungen revidiert. Die Revision oder Abschwächung weitet sich freilich nie zu einer Apologie der Konsumgesellschaft aus. Verstärkt anerkannt werden allein wieder die Sicherungen des Sozial- und Steuerstaats, die in Deutschland trotz vielfacher Korrekturen im Bereich des Arbeitsrechts, der Steuerverordnungen und des Gesundheitssystems ohnehin noch weitgehend erhalten geblieben sind. Die begeisterten Reden und Leitartikel für eine radikale Liberalisierung der Märkte und des Staates vernimmt man 2010 wesentlich seltener, auf große Resonanz kann jedoch immer noch rechnen, wer vor moralischem Verfall und »Träg-

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heit« warnt. Mit der Finanzkrise und der damit verbundenen höheren Verschuldung der Staatshaushalte kann oder muss das Thema nur neu gefasst werden – offensichtlich ist es beinahe unendlich wandelbar. Jetzt stößt man sich im Spiegel daran, dass die Bürger mit Anreizen (am direktesten mit Prämien beim Kauf eines neues Autos) zum Konsum bewegt werden sollen und die »großen Umbauthemen« darüber vergessen würden (Matussek 2009); im Feuilleton der SZ wird Kapitalismuskritik in noch größerem Stil durch konsumkritische Gedankensplitter abgelöst – etwa dass die »frivole Selbstreferenz des Kapitalmarkts« deutlich anzeige, wie sehr die westliche Wirtschaft bereits zur hedonistischen »Popkultur« verkommen sei (Zielcke 2009); in der Zeit darf ein sog. »Philosoph« im Leitaufsatz phrasenhaft bedauern, dass »Habenwollen« heutzutage wichtiger sei als »Seinwollen« (Precht 2009). Im Moment der vorübergehenden finanzwirtschaftlichen Depression schlägt die Stunde des großen »Wir«; menschlich-allzumenschliche Bedenken werden vorgebracht, um für die Kosten der Krise ›uns alle‹ verantwortlich machen zu können und ›uns‹ darauf vorzubereiten, dass »wir« bei den zukünftig alternativlos fälligen Kürzungsrunden ›uns‹ von ›unserer‹ Maßlosigkeit befreien. »›Wir haben uns eingeredet, permanentes Wirtschaftswachstum sei die Antwort auf alle Fragen‹, bemerkte Horst Köhler im März, mitten in der Finanzkrise«, zitiert der Spiegel das Staatsoberhaupt in einem Artikel mit dem Titel Der Kult ums BIP (Jung 2009). Mit dieser eminent mythenkritischen Aufklärung ist die Brücke zwischen Politik und Kultur selbstredend aufs schönste geschlagen: »Bundespräsident Horst Köhler« – heißt es in einem weiteren Artikel – »rief zum Maßhalten auf, ebenso der Philosoph Richard David Precht«, der mit einem weiteren starken »Wir«Satz zitiert wird: »Es sei obszön, ›noch reicher werden zu wollen, als wir bereits sind‹« (Becker 2009). Der große mediale (am Ende unterlegene) Favorit der Bundespräsidentenwahl 2010, Joachim Gauck, hat denn auch nichts Besseres zu tun, als im Namen der Freiheit die Konsumhaltung der Bürger zu beklagen, eine Kritik, die ihm, obwohl er gegen den Kandidaten der Regierungsparteien CDU/FDP antritt, sogleich die Zustimmung der meisten derjenigen einbringt, die sich selbst als »bürgerlich« ansehen. Von sozialistischer Seite setzt man den Maßhalteappellen selbstverständlich eine eindeutig kapitalismuskritische Position entgegen, die in der Krise nicht das Symptom allgemeiner moralischer Enthem-

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mung, sondern einen Systemfehler entdeckt. Ebenso kontert man die Angriffe auf die – nach Einschätzung des deutschen Vizekanzlers – »dekadente« Unterschicht mit harten Gegenattacken. »Reichtum muß sich wieder lohnen«, unter dieser höhnischen Zusammenfassung der Überzeugungen seiner neoliberalen Widersacher holt etwa Hermann Gremliza, der Herausgeber des linken Magazins konkret, zu einem fulminanten Gegenangriff aus. »Der bürgerliche Zwangscharakter« verachte noch als Greis den »Pfleger, der es zu nichts Besserem gebracht hat als zu seinem Wohltäter« – nach dieser Einschätzung versteht es sich von selbst, dass Gremlizas Paraphrase neoliberaler Anschauungen – ihre ausgestellte Abneigung gegen diejenigen, »die zu faul sind, für fünf Euro die Stunde zu arbeiten, denen die ›altdeutsche Arbeitsauffassung‹ fehlt, die deutsches Steuerzahlergeld für fernöstliche Elektronik ausgeben« – ihrerseits tiefster Verachtung entspringt (2009: 8f.). Bezeichnend für die linke Haltung in weiten Teilen ist aber, dass solch ein Hinweis auf einen gewöhnlichen Konsumgegenstand mit positivem Akzent nur im Rahmen einer antinationalistischen Streitschrift oder einer Polemik gegen neoliberale Doktrinen ergehen kann. In derselben konkret-Ausgabe findet man darum schnell einen ausgedehnten Artikel, der die hedonistischen Wünsche auf eine Weise denunziert, die man selbst bei einem konservativen Leitartikler schwerlich antreffen wird. Die materiellen Interessen, die viele DDR-Bürger bewogen haben, für das Auf- oder Untergehen ihres Staates in das westliche System einzutreten, werden in dem konkret-Artikel als Bestandteil eines »fanatischen Bananismus« hingestellt, als Ausdruck einer Vertierung, die den Menschen vom Affen ununterscheidbar mache. Dass Helmut Kohls Sylvesteransprache zum Jahr 1990 nicht mit der Anrede »LIEBE KONSUMENTINNEN, LIEBE KONSUMENTEN« begonnen habe, kann in diesem Sinne nur als eine perfide Täuschung erscheinen (Elsner [1990] 2009: 16). Wie immer man auch zu der Bewertung der Motive vieler DDRBürger stehen mag – eines ist an dem konkret-Artikel zumindest richtig: In der offiziellen Lesart verliert man kein Wort zu den höchst greifbaren Antrieben des Anschlussbegehrens. Im Jubiläumsjahr 2009 ersteht die sog. »deutsche Revolution« politisch und publizistisch endgültig in vollkommen gereinigter Form wieder auf – in Reden und Erinnerungsberichten erscheint sie als ein einziger Drang nach Freiheit,

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nicht etwa nach materieller Sicherheit und nach einem Minimum an Luxus. Auch 2010 findet man demnach abseits grundsätzlicher Plädoyers für eine Stützung der Binnennachfrage und allgemeiner positiver Verweise auf das erreichte Wohlstandsniveau in den Leitartikeln, Feuilletons, den Texten politischer Redenschreiber, den Stellungnahmen von Wissenschaftlern und in anderen Erzeugnissen von Intellektuellen nur selten Argumente für eine Bejahung des Konsumismus. Das steht – es ist überdeutlich – in hartem Kontrast zur tatsächlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte, die eine deutliche Steigerung des Konsums gesehen haben. Diese Diskrepanz ist umso bemerkenswerter, als die Konsumkritik keineswegs bloß von den Gegnern der kapitalistischen Ordnung, sondern auch von ihren prinzipiellen Verfechtern geübt wird (vgl. Boris Groys, zit.n. Grasskamp 2000: 19). Darum kann man an dieser Stelle bereits von einem Versagen der Intellektuellen in gleich zweifacher Hinsicht sprechen: Zum einen versagen sie sich selbst, mit einer vorherrschenden gesellschaftlichen Entwicklung übereinzustimmen; zum anderen kann man zumindest bis heute von einem Versagen sprechen, weil diese Entwicklung von allen Ansätzen intellektueller Konsumkritik bislang nicht einmal ansatzweise unterbrochen werden konnte. Dennoch liegt ein Versagen der Intellektuellen im Sinne völliger Erfolglosigkeit keineswegs vor. Um Meinungen, die ohne Resonanz in esoterischen akademischen Zusammenhängen vorgebracht werden, handelt es sich nicht. Sie besitzen zwar kaum einen Einfluss auf die Konsumrate, vermögen aber doch die Auswahl der Gegenstände des Konsums und die Art und Weise des Konsumierens mit zu prägen. Zudem sind sie es, die zu einem beträchtlichen Teil die öffentliche, publizierte Meinung zum Thema des Konsums bilden. Deshalb stellt eine Kritik der Konsumkritik wiederum mehr als eine akademische Übung dar. Sie berührt nicht unwesentlich die politische Meinungsbildung und kulturelle Ausgestaltung des Landes in den Bereichen, deren Zustand von dem Votum einer ausgewählten akademischen Schicht bestimmt wird, die es gewohnt ist, ihre Ansichten und Entscheidungen im Horizont einer universitären und intellektuellen Publizistik zu formen. Mit einer Kritik der Konsumkritik muss folgerichtig in manchen Punkten eine Kritik des Zuschnitts geltender Verordnungen und existierender Institutionen verbunden sein. Insgesamt bezieht sich die Kritik auf vier Punkte: auf die Konsumkritik aus der

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Sicht der 1.) Verfechter der hohen, kanonischen Kunst, 2.) der Konservativen, 3.) der libertären Linken, 4.) der Neoliberalen: 1.) Sicher ist es heutzutage einfach, ein Urteil zu formulieren, welches sich gegen das richtet, was man den bildungsbürgerlichen Kanon nennt (gegenwärtig muss man fast sagen: genannt hat). Einfach ist das, weil die Kunst mittlerweile beinahe durchgehend als frei bestimmt wird – Urteile über Kunstwerke darum nicht mehr von einer Regel, was schön ist und was nicht, abhängen. Geschmacksurteile, die einem missfallen, können deshalb nicht länger prinzipiell als falsch klassifiziert werden. Seit die moderne, antiakademische, regellose Kunstauffassung auf breiter Front Eingang in die Schichten gefunden hat, die in Verlagen, Universitäten, Bildungsministerien, Feuilletons über die Auswahl von Kunstwerken bestimmen, ist es vielmehr grundsätzlich denkbar, alle möglichen Artefakte in den Rang bedeutender Werke zu erheben – auch Comics, Fernsehserien, Illustriertenfotos, Popmusikstücke. Tatsächlich ist genau das geschehen, zuerst in aggressiver Form durch kleine, aber nicht wirkungslose avantgardistische Gruppierungen innerhalb der Kunstwelt – seit gut vierzig Jahren aber vermehrt auch durch Angehörige jener Schicht, die man früher gerne als Bildungsbürgertum bezeichnete. In den Feuilletons, Museen, Universitäten trifft man besonders seit ungefähr 15 Jahren mit großer Regelmäßigkeit auf Artikel, Ausstellungen, Seminare über Künstler, die in den neuen, zu Beginn jeweils stark diskreditierten Genres arbeiten. Neben Rezensionen zu Renoir-Ausstellungen oder Büchern von Peter Handke stehen nun nicht selten lobende Artikel zu Walt Disney, Helmut Newton, Stanley Kubrick oder Neil Young. Das gilt aber überwiegend für besonders hervorgehobene Künstler aus den Bereichen der neuen Medien, der Rockmusik usf., die über ein großes Werk verfügen oder avantgardistische Anklänge aufweisen. Im Gegensatz zu Theater- und Opernaufführungen, den belletristischen Veröffentlichungen in Literaturreihen renommierter Verlage, metropolitanen Galerie-Vernissagen, aktuellen Klassiker-Einspielungen wird jedoch jenen Bereichen im Feuilleton weniger Platz eingeräumt, um die als solche eingestuften mittelmäßigen oder schwächeren Produkte vorzustellen, als seien etwa die ganzen ebenfalls zumeist morgen alle vergessenen Roman-Neuerscheinungen aus dem Suhrkamp oder Hanser Verlag bedeutender als die routiniert anfallende Produktion aus einem Hollywood-Studio.

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Überhaupt nicht besprochen oder gar gewürdigt werden zudem alle Artefakte, die nicht das Signum eines (bürgerlichen) Autornamens tragen, die anonym, kollektiv hergestellt und bloß aus Marketinggründen mit einem Label oder dem Pseudonym eines Artisten versehen worden sind. Das betrifft vor allem den Pop-Sektor, in dem zwischen Disco und Techno, zwischen Sex- und Kung-Fu-Filmen vieles so funktional ausgerichtet ist, dass auf die Weihe der individuellen Zuschreibung von vornherein verzichtet wird. Noch stärker betrifft es den Bereich des gängigen Konsums; nach Berichten zu den aktuellen Angeboten von H&M oder zum veränderten Design von Sony-Flachbildschirmen muss man im Feuilleton lange suchen; hier läuft fast alles über die vereinzelte Hommage an große Namen, sodass selbst im Feld des Designs allenfalls historische Einzelstücke retrospektiv vorgestellt werden oder das Gesamtwerk ausgemachter großer Schöpfer – von Lagerfeld bis zu Dieter Rams – zu bestimmten Anlässen (runde Geburtstage, Museumspräsentationen etc.) gepriesen wird. Solche teilweise recht erfolgreichen Versuche, die Liste der Großen mit Designern, Filmregisseuren, Singer/Songwritern, Fotografen, Comic-Zeichnern etc. neu zu bestücken, die über viele Jahrzehnte zuvor bestenfalls als Gebrauchs- oder kommerzielle Künstler gegolten hätten, reichen aber immerhin schon aus, das Repertoire des Kanons merkbar zu verändern – nicht hingegen seinen Zuschnitt: Das Prinzip, ausgewählte Schöpfer mit höchsten Kunstehren auszuzeichnen, bleibt gewahrt. Gewahrt bleibt ebenfalls das Prinzip, das einzelne Werk nicht an gängigen funktionalen Kriterien zu messen – unterhält es, regt es zum Tanzen an, bringt es einen zum Lachen etc. –, sondern dann zu prämieren, wenn es dem Rezensenten Möglichkeiten eröffnet, intellektuelle Bezüge herzustellen, bzw. wenn es dem Rezensenten erlaubt, komplexe oder differenzierte Formsprachen auf eine Weise herauszuarbeiten, die sein eigenes Differenzierungsvermögen und seinen eigenen Überblick unter Beweis stellt. Dagegen ist selbstverständlich im wissenschaftlichen Rahmen wenig zu sagen, schließlich ist das Geschmacksurteil frei, es kann nicht als wahr bestätigt oder als falsch verworfen werden. Weil das so ist, steht aber grundsätzlich stets die Möglichkeit offen, den künstlerischen Kanon umzuwerfen, ihn z.B. nach den Maßstäben der Unterhaltung und Erregung auszurichten. Der Verteidigung des Konsums kommt das eminent entgegen. Im Reich des Ästhetischen gibt es keinen Grund für ein feststehendes, allgemein gültiges Urteil – und damit gibt es

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auch keinen Grund, Filme, Bücher, Musikstücke etc., die rasch verständlich sind, die keine »Arbeit«, Anstrengung, Ausdeutung, wiederholte Betrachtung erfordern, notwendigerweise als schlechte Kunstwerke abzuwerten. Potenziell können darum auch Werke, die als »leicht konsumierbar« gelten, einen hohen Kunstrang zugesprochen bekommen. Deshalb ist es nach der modernen Wendung des bildungsbürgerlichen Kanons gar nicht nötig, prinzipielle Argumente für Artefakte, die einem schnellen Konsum entgegenkommen, ins Feld zu führen. Nachdem die modern-avantgardistischen Bestrebungen erfolgreich ins bildungsbürgerliche Denken, in die Praxis der beherrschenden Kunstinstitutionen – Museen, Verlage, Theater, Akademien – und in die Lehrpläne der Schulen Eingang gefunden haben, gibt es fast niemanden mehr, der öffentlich mit Nachdruck den Kunststatus nur nach Maßgabe ganz bestimmter Werte und Regeln verliehen sehen möchte. Theoretisch ist darum eine Vielfalt an Kunsturteilen möglich – oder sogar ein Kanon, der vornehmlich aus Werken besteht, die bislang überwiegend verächtlich der Konsumkultur zugeschlagen wurden. Denkbar und zulässig ist das seit ungefähr fünfzig Jahren – spätestens seit der postmodernen Zuspitzung moderner Regellosigkeit – allemal. Es müssten sich »bloß« genügend Stimmen zu Wort melden, die in der Kunstwelt und in den Schichten, die man früher »bildungsbürgerlich« genannt hat und die heute noch einen bedeutenden Teil z.B. des Theater- und Museumspublikums stellen, auf Gehör stießen. 2.) Als wolle man die potenzielle ästhetische Anarchie und die freigestellte Umkehr aller früheren klassizistischen und idealistischen Kunstwerte – eine radikale Wende, deren Vollendung freilich noch sehr weit entfernt ist – auf andere Weise schnell wieder unmöglich machen, hält man auf Seiten der Kultur- und Konsumkritik ein ganzes Arsenal an Angriffspunkten bereit, um die Gefährlichkeit einer konsumistischen Kunst auszumalen. Zwar akzeptiert man inzwischen auch auf konservativer Seite weitgehend, dass der Rang eines Kunstwerks nicht zwangsläufig von der Moral, die es durchwirkt, und der Wahrnehmung, die es auf sich zieht, abhängt, dennoch vergisst man selten oder nie, auf die angenommenen fatalen sozialen Folgen einer unmoralischen und frivolen Kunst hinzuweisen. Für die Massenkultur stellen Konservative diese Gefahr besonders stark heraus, weil sie sie zum einen ästhetisch geringschätzen und der

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Menge, die sie konsumiert, besonders misstrauen. Deshalb schwingt man sich nicht mehr unbedingt zur These auf, dass die hohe Kunst sittlich und bildend sein muss – man vertritt aber angesichts von albernen, sinnlosen, bloß unterhaltenden, trivialen, pornografischen, zynischen, grotesken, erschreckenden etc. Werken der Populärkultur die Auffassung, dass diese eine besonders missliche Wirkung besäßen, die ungeachtet der prinzipiellen Kunstfreiheit aus sozialen, sozialpsychologischen, pädagogischen und ökonomischen Gründen unterbunden werden sollten. Die entsprechenden Werke der Populärkultur fasst man dabei als wichtige Ursache, als einen Motor gesellschaftlicher Fehlentwicklungen auf, nicht nur als deren Ausdruck und Spiegel. Diese Auffassung hat Folgen für die konservative Einstellung zur Konsumkultur schlechthin. Um den versuchten Nachweis, dass eine Packung Süßigkeiten, ein Set T-Shirts oder eine neue technologische Haushaltshilfe auf der Ebene der Bedeutungen vergleichbar mit einem Splatter-Film oder einer Trash-Talkshow sei, geht es freilich nicht. Stark unmoralische Botschaften wird man in den gewöhnlichen Konsumobjekten abseits der kulturindustriellen Produkte schwerlich auffinden. Der konservative Ansatz sieht darum anders aus. Er zielt darauf ab, die abträglichen Wirkungen der Konsumkultur insgesamt an der (zum Schlechten hin) veränderten Haltung der überwiegenden Zahl der Konsumenten aufzuweisen. Die Diagnose – und der Vorwurf – lautet: Der Konsumismus befördere eine gefährliche passive, bequeme, zerstreute Haltung und eine gewisse moralische Indifferenz, die zwar nicht in groben Verstößen, aber in Egoismus und Selbstbezüglichkeit zum Ausdruck komme. Die erste Anklage mündet nicht selten in die Untergangsvision einer Gesellschaft, die durch den Konsumismus ihres rationalen Fortschritts und ihrer ökonomischen Grundlage beraubt werde; die zweite in die Vorhersage, dass die Gesellschaft ihre Integrationskräfte erschöpfe und auseinander zu brechen drohe. Im Unterschied zur ästhetischen Abwertung der Gegenstände der Konsumkultur kann eine Verteidigung des Konsums an den genannten Punkten nun auch argumentativ ansetzen. Muss es einer Verteidigung des Konsums im ersten Fall darum gehen, Geschmacksurteile auszuprägen, die auf attraktive, überzeugende Weise ästhetische Vorzüge von kulturindustriellen Artefakten hervorheben, steht im zweiten Fall der Weg begründeter, wissenschaftlicher Beweisführung offen.

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Zunächst muss man die Diagnose der Konservativen in einer Hinsicht anerkennen. Zweifellos ist es richtig, dass auf sehr lange Sicht der Zuwachs an Konsumakten in bestimmten Bereichen mit einem Rückgang an Eigentätigkeiten einhergeht, vor allem bei der Beschaffung und Zubereitung von Nahrungsmitteln. Das ist aber einem Fortschritt der Arbeitsteilung und der Technologien geschuldet, den man wohl kaum rückgängig machen möchte. Ebenso wie bei anderen Neuerungen, durch die menschliche Aktivität umgelenkt oder stillgestellt wird – etwa durch den Zug-, Auto- und Flugverkehr –, findet zudem oftmals eine Kultivierung der nicht mehr notwendigen Tätigkeiten in der Freizeit statt. Aus dem Akt täglicher Reproduktion wird die mitunter noch zeitaufwändigere kulinarische Abwechslung, aus dem Marsch in die nächste Ortschaft wird das Spazierengehen, aus dem Ackerbau die Blumenpflege, aus dem Handwerk das Basteln etc. – aus der Arbeit wird ein Hobby. Im engeren Bereich der Künste kann von einer erschreckenden Ausbreitung der Passivität sogar kaum die Rede sein. Zwar hat die Zeit, die im Durchschnitt beim Hören und Sehen von Fernsehsendungen, Internetfiles, Zeitschriften, CDs zugebracht wird, lange zugenommen, weniger Musikschüler, Schriftsteller, Regisseure, Hobbymaler als vor einigen Jahrzehnten sind darum aber nicht zu verzeichnen. Zutreffen wird wohl, dass an die Stelle des familiären Brettspiels oder der Unterhaltung beim Abendessen vermehrt die Zerstreuungen durch Radio, Fernsehen etc. getreten sind – oder dass weniger Tischtennis, dafür mehr am Computer gespielt wird –, die Ansicht, diese Entwicklungen seien hochgradig bedenklich, muss aber angesichts der Qualität und des Zuschnitts der früheren familiären Zusammenkünfte nicht zwangsläufig bejaht werden. Ob es tatsächlich mehr Eigenaktivität und Reflexion erfordert, zu einem geselligen Abend beizutragen als einen Hollywoodfilm zu schauen oder ein beliebtes Computerspiel zu erproben, ist ohnehin fraglich. Mit der wissenschaftlichen Diskreditierung des älteren Kritikmodells an der Massenkultur, nach der die vielen Rezipienten durch die Reize und schematisierten Effekte populärer Werke zu gleichförmigen, konditionierten Reaktionen und willigen Übernahmen falscher Ideologien veranlasst würden, treten zumindest die Aneignungsleistungen der Pop-Konsumenten deutlich hervor – wie immer man diese auch bewerten mag. Entsprechende Erkenntnisse der Rezeptionsforschung, des Konstruktivismus, der Ethnomethodologie und der Cultu-

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ral Studies sind nicht nur im Blick auf Comics, Filme und andere künstlerische Produkte international vorgebracht und in Deutschland mitformuliert oder aufgegriffen worden (vgl. etwa Hepp/Winter 1997), sie haben auch Eingang in die Konsumforschung insgesamt gefunden. Über die Funktion als funktional-technische Gebrauchsgegenstände hinaus wird dort die Rolle der Konsumgüter als Mittel der kreativen Kommunikation, Sinnstiftung (Douglas/Isherwood 1979) und zur Anregung der lustvollen Einbildungskraft betont (Campbell 1987; vgl. Knobloch 1994; dt. Übernahme z.B. Ullrich 2006). Abstrakte wissenschaftliche Einschätzungen, dass der Gebrauch eines Produkts nicht bereits vollständig durch die Produzenten festgelegt werden kann, oder gar links-avantgardistische Hoffnungen auf eine subversive Umcodierung vermögen freilich die konservative Abneigung gegen den herrschenden Konsum nicht zu verringern. Zum einen bleibt die konservative Kritik an vielen Feldern des modernen Konsums auch unabhängig von der Einschätzung bestehen, ob man in ihnen Eigenaktivitäten der Abnehmer antrifft oder nicht – an dem Punkt stehen unterschiedliche Auffassungen, wie man selber leben will und vor allem wie man andere leben sehen möchte, hart gegeneinander. Zum anderen beruhigen die von neueren Forschungsansätzen herausgearbeiteten oder unterstellten Adaptionsleistungen – Tagträume, subversive Umdeutungen, Stilmischungen und Basteleien – Konservative kaum, weil sie genau diese Aneignungen wenig schätzen. Wissenschaftlich widerlegen kann man diese Haltung folglich nicht. Begründet widersprechen kann man hingegen der konservativen Position, weil sie (bzw. wenn sie) nicht allein einer bloßen Entscheidung unterliegt, sondern mit einer ganz bestimmten, weitreichenden Diagnose verbunden ist – was tatsächlich sehr häufig vorkommt. Immer wieder haben Konservative während der letzten fünf Jahrzehnte in alarmiertem Tonfall darauf hingewiesen, dass verschiedene Auswüchse des Konsums (von der Pornografie bis zum Drogenmissbrauch), aber vor allem auch die konsumistische Haltung an sich (Bequemlichkeit, Spaß-Moral, Ausrichtung des Lebens auf Freizeitvergnügungen) nicht nur mehr oder minder sittlich bedenklich seien, sondern den Bestand der Gesellschaft insgesamt hochgradig gefährdeten. Sowohl die Schul- als auch die Arbeitsleistung sehen sie nachhaltig bedroht, das Ende der rational organisierten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft nahe.

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Es fällt nicht schwer, diese konservative Diagnose zu entkräften. Inzwischen ist genug Zeit unter der »Herrschaft« des Konsumismus vergangen: Mit Recht darf man die letzten Jahrzehnte als eine Art Experiment in allergrößtem Maßstab ansehen, mit einem Ergebnis, das in Deutschland klarer nicht hätte ausfallen können. Von einem Niedergang der Wirtschaftstätigkeit, von einer Lähmung der Arbeitsproduktivität kann keine Rede sein. Die Wirklichkeit hat sich über die konservativen Bedenken souverän hinweggesetzt, offensichtlich muss der Freizeit-Hedonismus und die laxe Verbraucher-Mentalität aufs Ganze gesehen der Arbeitsleistung und der konzentrierten Verwaltungsrationalität keinen Abbruch tun. 3.) Genau jene Trennung zwischen Freizeit- und Arbeitswelt, die Konservative beständig sorgenvoll und anklagend aufgelöst wähnen, stellt vom Standpunkt der libertären Linken eines der schwersten Defizite des Konsumismus dar. Gerade weil sie – sei es als Neue Linke oder als Pop-Linke – feststellen müssen, dass sich an den grundlegenden kapitalistischen und hierarchischen Verhältnissen in den letzten Jahrzehnten kaum etwas oder gar nichts geändert hat, bedeuten ihnen die Änderungen in der Freizeit- und Konsumsphäre wenig. Ihr Blick ist umfassend, alles wird am großen Ziel der radikalen Umwälzung der herrschenden Ordnung gemessen; tritt diese nicht ein, wird das, was andere eventuell als Fortschritt in einem Teilbereich erachten, von ihnen bestenfalls als Irrläufer, zumeist jedoch nur als Rückschritt eingestuft. Ihre argumentativen Bemühungen laufen darum regelmäßig darauf hinaus, sowohl die quantitativen Steigerungen als auch die qualitativen Veränderungen des Konsums abzuwerten. In der Phase, als die Steigerung des Konsums weithin sichtbar durch neue Techniken der Massenproduktion betrieben wurde, haben sich die Einschätzungen entfremdungskritischer marxistischer Intellektueller nicht von denen Konservativer unterschieden: Standardisierung und Einförmigkeit lautet die bis heute bekannte Diagnose und Aburteilung. Auch die heute jedem gewärtige Tatsache, dass die massenhafte Reproduktion keineswegs eine ungeheure Differenzierung des Güterangebots ausschließt, lässt das Urteil nicht verschwinden. Ebenso wie Adorno den Unterschied zwischen Autos von Chrysler und solchen von General Motors oder zwischen Filmen von Warner und solchen von Metro Goldwyn Mayer für »illusionär« hielt, kann man sich selbstverständlich auch in der Gegenwart über den Unterschied von beispielsweise

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Hera Lind und Candace Bushnell oder von H&M und Zara hinwegsetzen. Aus logischen Gründen lässt sich dagegen nichts sagen – gemessen an Romanen von Kafka oder an Kleidung von einem Maßschneider sind deren Gemeinsamkeiten tatsächlich größer als ihre Unterschiede. Aus demokratischer Sicht lässt sich der Wert eines Urteils, das alles an ganz bestimmten, singularen Punkten bemisst, allerdings sehr wohl bezweifeln. Das Gleiche gilt für das Argument der libertären Linken, Liberalisierungen, die auf dem Konsumgütermarkt zum Tragen kommen, als bloße Täuschungen herabzustufen. Die erleichterten Möglichkeiten etwa, pornografische Darstellungen oder Sexspielzeuge zu erwerben, erscheinen dann lediglich als Scheinfreiheiten, als mehr oder weniger raffinierte Versuche, durch kleine Zugeständnisse in der Freizeitsphäre – die zudem ökonomisch verwertbar sind – von den bestehenden autoritären, unfreiheitlichen Verhältnissen in der Familie und vor allem in Politik und Wirtschaft abzulenken. Auch wenn man die Ziele der libertären Linken – weitreichende basisdemokratische und gegen die Kleinfamilie gerichtete Ziele – ablehnt, weil man sie für wirklichkeitsfern oder gar potenziell totalitär hält, kann man demnach nicht bestreiten, dass sie durch die herrschenden Liberalisierungen, wie sie nicht zuletzt auf dem Konsumgütermarkt zum Ausdruck kommen, nicht erfüllt werden. Sehr wohl kann man aber die Überzeugung kritisieren, es handle sich bloß um Täuschungen und Scheinfreiheiten. Liberalisierungen bleiben Liberalisierungen, auch wenn es noch wesentlich größere Freiheitspotenziale geben mag. Die libertäre Linke, zu denen die meisten Intellektuellen und Künstler bis in die Gegenwart zumindest noch ansatzweise zu rechnen sind, hält aber noch weitere Argumente bereit. Auch ohne die Vielfalt des Angebots insgesamt zu bestreiten oder in allen Liberalisierungen lediglich trügerische Freiheiten auszumachen, kann man die Freiheit, die in der individuellen Konsumwahl steckt, bestreiten, indem man auf die Macht der Anbieter verweist, das Angebot so zu strukturieren, dass nur wenige bestimmte Güter vom breiten Publikum wahrgenommen werden. Die aktuelle Breite und historische Tiefe der Kaufmöglichkeiten ist keineswegs mit einer gleichmäßigen Streuung unterschiedlicher Geschmacksrichtungen gleichzusetzen. Ein Hauptantrieb der großen Konsumgüter- und Unterhaltungskonzerne besteht darin, von einigen Produkten möglichst große Stückzahlen abzusetzen, ein Unterfangen, das ihnen in der gegenseitigen Konkurrenz nicht immer zugleich glü-

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cken kann, was ihnen aber doch bei einzelnen – von den Firmen ausgewählten – Werken fast regelmäßig gelingt. Durch gut gezielte Promotion- und Marketingmaßnahmen tragen die Unternehmen entscheidend dazu bei, dass die insgesamt gegebenen Auswahlmöglichkeiten schwerlich ins Blickfeld der überwiegenden Mehrheit der Kunden gelangen können, weil ihnen schlicht die Zeit und das Geld fehlt, sich abseits der zentral präsentierten Angebote umfassend und differenziert ein eigenes Bild zu machen. Von dem Umstand, dass Waren wiederholt gekauft werden, darauf zu schließen, dass diese Waren Kundenbedürfnisse befriedigen, ist darum eine ebenso wahre wie banale Feststellung. Einige oder viele der gekauften Konsum- und Unterhaltungsgüter bewirken beim Rezipienten zweifellos das eine oder andere positive Gefühl. Es spricht jedoch wenig dagegen, dass bei einer anderen Struktur des Marktes auch andere Güter solche angenehmen Gefühle auslösen würden, die man dann wiederum in dem wenig aussagekräftigen Zirkelschluss als Beleg für ein offenbar vorhandenes Bedürfnis anführen könnte. Die von Seiten der Linken oft artikulierte Abneigung gegen die Rede von der Konsumfreiheit entspringt deshalb mehr als einem antikapitalistischen Ressentiment. Seinen Sinn verliert das Argument jedoch, wenn es sich darauf erstreckt, allerorten Manipulation am Werke zu sehen. Die Ansicht, dass die wahren Bedürfnisse des Käufers missachtet und nur die falschen Bedürfnisse vom kapitalistischen Markt erst künstlich, manipulativ erzeugt würden, ist selbst ein Akt hochgradig manipulativer Rhetorik. Die Suggestion, nur man selbst wisse (im Gegensatz zu allen anderen, die irregeführt werden), wie die wahren, authentischen Bedürfnisse beschaffen sind, bleibt wegen der dem Menschen als Mängelwesen gegebenen kulturellen Formbarkeit leer und anmaßend. Die eigenen politischen Absichten und ästhetischen Vorlieben verschwinden dadurch auf schlecht begründete Weise hinter dem falschen Anschein einer naturgegebenen menschlichen Bestimmung. Richtig wäre es stattdessen, offen auszusprechen, dass man – wenn auch mit anderen Ansprüchen auf Befriedigung – genau wie der politische Gegner erfolgreich versuchen möchte, in das Leben anderer Leute einzugreifen, indem man bestimmte Gegenstände und Haltungen als Versprechen auf ein lustvolles, sinnvolles oder glückliches Leben ausgibt. Solider begründet erscheint auf den ersten Blick der aktuelle Versuch der libertären Linken, den Konsumismus in Misskredit zu brin-

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gen. Zielte die ältere Kritik darauf, den konsumfreudigen Wirtschaftsbürger als abgelenkt, korrumpiert, ferngesteuert und politisch ruhiggestellt zu kennzeichnen, geht die neuere Kritik den umgekehrten Weg. Wie die ältere Kritik, die den Gleichklang und die Vorgaben der fordistischen Fließbandproduktion gerne mit den kalkulierten Effekten und der Standardisierung der Massenunterhaltung und -waren verglich, streicht auch die neuere Kritik den Zusammenhang von Konsum und Produktion heraus. Jetzt sind es aber nicht mehr Standardisierung und Passivität, die als gemeinsame Merkmale hervorgehoben werden, sondern genau umgekehrt Differenzierung und Aktivität. Was sich wie ein Lobgesang auf den Konsumismus anhört, soll jedoch im Gegenteil zur Kritik der gesamten erneuerten gesellschaftlichen Verhältnisse dienen. Die Anerkennung, dass der Konsum nicht lediglich im materiellen Verzehr und Verbrauch von Gegenständen besteht, sondern in der Entzifferung ihrer symbolischen Gehalte und der auch vom Konsumenten betriebenen Aufladung mit Bedeutungen und interessanten Handhabungen, führt gerade nicht zu einer Hochwertung des Konsums. Weil man sich auf den Gebieten der Ästhetisierung und Stilisierung sowie in der Praxis der symbolischen Abgrenzung jetzt unbedingt als kompetent erweisen müsse, herrsche nun nicht nur bei jeder Auswahl von Dingen, sondern auch bei der Selbstdarstellung in Freizeit und Beruf ein ungeheurer Zwang, den eigenen stilsicheren Habitus als originell und kreativ auszuweisen (Böckelmann [1983] 2000a). Das Auswahlgebot, das einen ereile, wenn Dinge nicht aus einfachsten Nützlichkeitserwägungen ergriffen würden, und das sich als freie Wahlmöglichkeit verkleide, erscheint aus der Perspektive der neueren libertären Linken folglich als ein Zwang, der individuellen Leistungsdruck, egoistische Konkurrenzkämpfe und unsoziale Hierarchien schafft (Reckwitz [2006] 2008): Die »eigene Person« werde »immer mehr zur bloßen Käufer- und Verkäufermaske«, zum »Instrument der Reklame und Selbstinszenierung auf dem universell gewordenen Markt« (Schneider 2010: 77). In politischer Hinsicht bleibt sich die Linke mit dieser Diagnose insofern treu, als sie die Freiheit, die in der grundsätzlich garantierten Möglichkeit liegt, selbstständig aus einer großen Palette an Konsumgütern auswählen und sich mit ihnen ein halbwegs eigenes Profil geben zu können, sogleich stark abwertet und geringschätzt. Fragwürdig ist das Argument aber auch aus sachlichen Gründen. Geschichtlich gesehen ist es recht übertrieben, von einer einschneidenden Änderung zu

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sprechen – als sei es ein junges Phänomen, dass sich verschiedene soziale Gruppen und Individuen in ihren Aufstiegsbemühungen durch die demonstrative Weise ihrer Konsumwahl voneinander abgrenzen wollen. Diese Annahme ist ebenso deutlich von Spuren der Übertreibung und unhistorischen Zuspitzung gezeichnet wie die These, dass sich die heutige sog. »Subjektivität« und »Persönlichkeit« bloß aus der jeweiligen Menge von Konsumentscheidungen zusammensetze. Nimmt man die politische Kritik und den historischen Befund der libertären Linken zusammen, zeigt sich darum eher bei ihnen das Syndrom, welches sie an allen anderen zu bemerken meinen: Ihre scharf abgesetzte Kritik an gängigen Konsumhaltungen und bestimmten Konsumentscheidungen macht vor allem sie selbst als eine hochgradig um Abgrenzung und Originalität bemühte Gruppe sichtbar. 4.) Merkwürdig mutet die durchgängige Konsumkritik der libertären Linken ebenfalls an, weil ihr direkter politischer Gegner, der Neoliberalismus, ausgeprägte Initiative, Aktivität, Flexibilität und Kreativität gerade nicht auf dem Gebiet des Konsums einfordert. Zum Kern der neoliberalen Anschauung zählt vielmehr, die bequeme Konsumhaltung zu beklagen und stattdessen auf eine stark ausgeweitete Leistungsbereitschaft zu drängen. Nicht berührt werden von der Forderung diejenigen, die als Unternehmer, Selbstständige oder Angestellte eine erfolgreiche Stellung einnehmen; wie und wofür sie ihr verdientes Geld ausgeben, wird ihnen von neoliberaler Seite völlig freigestellt. Äußerst kritisch betrachtet man hingegen die Konsumaufwendungen derjenigen, die über keine Arbeit verfügen oder mit Lohnforderungen die unternehmerischen Renditen zu schmälern versuchen. Konsequenterweise verfallen darüber auch jene staatlichen Maßnahmen der Kritik, die über Steuersätze und Zuschüsse eine Umverteilung des privatwirtschaftlich und individuell erzielten Einkommens zugunsten von Arbeitslosen und Arbeitskräften mit niedrigem Lohn vornehmen. Diese sozialpolitisch eingeräumten oder gewerkschaftlich durchgesetzten Möglichkeiten, über das strikt Lebensnotwendige hinaus am Konsum teilzunehmen, sieht man als kontraproduktiv an. Die Arbeitslosen und Minderbemittelten würden dadurch in Apathie gehalten und davon abgehalten, ihre eigenen Kräfte zur Verbesserung ihrer persönlichen Lage zu mobilisieren, lautet das erste kritische Argument; das zweite: Die Wirtschaft insgesamt verliere wegen der staatlichen Restriktionen

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und Abgaben, denen die Bessergestellten und Aktiven ausgesetzt sind, an Dynamik. Auch die neoliberale Position kann wiederum nicht nur politisch abgelehnt, sondern ebenfalls begründet bestritten werden. Zum einen hält sie einer historischen Überprüfung nicht stand; die ökonomischen Daten vieler Wohlfahrtsstaaten sehen keineswegs schlechter aus als die Bilanz von Staaten, in denen die Sozialpolitik wesentlich beschränkter und die Durchsetzungskraft von Gewerkschaften deutlich eingeschränkter ist (vgl. Ullrich 2005: 192ff.). Zum anderen unterschlägt der Befund der Neoliberalen, dass diejenigen, die von ihnen gerne als »Leistungsträger« bezeichnet werden, ihre gesellschaftlich gehobenen Stellungen keineswegs ausschließlich deshalb einnehmen und in ihnen Arbeitsleistungen erbringen, weil sie den denkbar größten Lohn oder Geldgewinn erwarten dürfen. Eine vergleichsweise hohe Besteuerung oder sonstige Einschränkung ihrer Einkommen und Vermögen hält die zu »Leistungsträgern« Geadelten schon deshalb nicht zwangsläufig von ihrem Tun ab, weil sie wegen ihrer Posten in vielen Fällen ein hohes Sozialprestige genießen und in jedem Fall über die Macht verfügen, andere Menschen zu beaufsichtigen und ihnen Anweisungen zu erteilen. Motive, die neoliberale Einstellung politisch abzulehnen, sind natürlich ohnehin so groß an Zahl, wie es konkurrierende politische Parteien und Bewegungen gibt – christliche, konservative, sozialistische usf. Hier soll nun ein Argument ins Feld geführt werden, das einigermaßen nahe am neoliberalen Modell liegt, aber zu gänzlich anderen Schlussfolgerungen kommt. Akzeptiert wird die Annahme, dass es notwendig ist, bestimmte Mittel der Konkurrenz und der Leistungskontrolle einzusetzen, um eine weiterhin auf hohem materiellen Niveau funktionierende, nach Berufsgruppen stark spezialisierte Gesellschaft fortzuführen. Abgelehnt wird aber die Annahme, dass der historische Stand der jeweiligen Einkommen und Vermögen geradewegs auf trennscharf bilanzierbare Leistungen und Verdienste zurückzuführen sei – und es sich deshalb verbiete, mit gesetzlichen Mindestlöhnen, staatlich eingerichteten Stellen und hohen Spitzensteuersätzen in das Lohngefüge einzugreifen. Bestritten werden soll zudem die Überzeugung, dass diejenigen, die in der gesellschaftsweit betriebenen, von Kindesbeinen an organisierten Leistungskonkurrenz auf abgeschlagene Plätze verwiesen worden sind, abgeschnitten von den meisten Konsummöglichkeiten leben müssten. Gerade weil sie sich dem allgemei-

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nen Wettbewerb zumindest anfänglich ausgesetzt haben (bzw. auf diesen mit allen Kräften des Staates und des Marktes verpflichtet wurden) und im Zuge dessen Niederlagen und Schädigungen davongetragen haben, sollten sie zumindest materiell einigermaßen an den Erfolgen jener teilhaben, die sie distanziert haben – auch das zählt wohlverstanden zur Verfassung einer hochgradig arbeitsteiligen Wettbewerbsgesellschaft. Es zeigt eindrucksvoll ihre Reichweite an, dass die Konsumkritik bislang noch alle Forderungen nach einer erhöhten Beteiligung der unteren Schichten am gesellschaftlichen Reichtum – die sich in unterschiedlicher Ausprägung über ein großes politisches Spektrum von Sozialisten bis Konservativen erstrecken – zu begrenzen vermochte. Für die Arbeitslosen wird Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben gefordert, allgemein tritt man auch in westlichen Staaten gegen die Armut an, keynesianische Gewerkschafter und Sozialdemokraten plädieren für höhere Lohnabschlüsse, um die Nachfrage und damit die Wirtschaft insgesamt zu stützen, in Sonntagsreden lobt man unbestimmt den erreichten Wohlstand – selbst in Wahlkampfzeiten findet sich niemand, der sich zu Lobreden auf den Konsumismus herablässt oder gar für die von Sozialabgaben abhängigen oder im Niedriglohnbereich tätigen Schichten ein Anrecht auf modernere Flachbildschirme, mehr Kosmetika, Markenkleidung, Computerspiele etc. postuliert. Selten zeigt sich die verbliebene Macht gebildeter Auffassungen und Sprachregelungen in den öffentlichen Debatten einmal so stark wie im Falle der Konsumkritik. Deshalb sollen am Schluss dieses Buches – nach der Diskussion und Bewertung der verschiedenen Spielarten der Konsumkritik – weitere zentrale Argumente angeführt werden, die zu einer intellektuellen Verteidigung des Konsums beitragen – zu einer direkten Verteidigung, die auf die diffuse Rhetorik des »Wohlstands« bewusst verzichtet. Zuvor ist es aber nötig, einen letzten Blick auf die Dimensionen dessen zu werfen, was gemeinhin unter »Konsum« verstanden wird – und was viele Intellektuelle dazu bewegt, dem »Konsumismus« zu entsagen. Beinahe kann man sogar die Angabe »viele« weglassen und einfach von Intellektuellen schlechthin sprechen, so weit reicht die Spannbreite der konsumkritischen Einlassungen von intellektuellen Publizisten, Wissenschaftlern und Künstlern; politische, konfessionelle, artistische u.a. Unterschiede verblassen davor. Zehn Jahre nach Be-

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endigung des Zweiten Weltkriegs hält der frühere expressionistische, dadaistische, salonbolschewistische und in den 50er Jahren nahezu vergessene Boheme-Schriftsteller Franz Jung fest: »So entsteht dann der Schwindel mit der Zukunft, welcher Zukunft? Daß jeder Herr Schulze mit Frau ein Fahrrad haben wird, um Sonntags ins Grüne zu fahren? (Ich habe nichts dagegen, ich habe nur mit den Schulzes nichts zu tun.)« (Jung 1981: 1005). Der Tenor ändert sich auch nicht bei einem katholischen, menschenfreundlichen Bestseller-Autor und Nobelpreisträger ein Vierteljahrhundert später (dass aus dem Fahrrad inzwischen ein PKW geworden ist, macht in dem Zusammenhang ohnehin keinen Unterschied). Es sei sehr schwer, meint Heinrich Böll in einem Gespräch, jemandem, »der ein Auto hat, der in Ferien fährt, der zu essen hat«, der »keine materiellen Sorgen, keine sichtbaren«, habe, »klarzumachen, wofür er kämpfen soll. Das können ja eigentlich nur spirituelle Dinge sein.« Äußerst schwierig werde das zudem, weil mittlerweile keine Partei und keine Kirche sich mehr erlauben könne, gegen den »immanenten Materialismus« in der Bundesrepublik ernsthaft Stellung zu beziehen. Für Böll selbst bildet beides aber ganz offenkundig überhaupt keine Schwierigkeit; er folgt seinem »spirituellen, fast religiösen« Impuls und erlaubt sich vollkommen bedenkenlos, dem arbeitenden Menschen mit auf den Weg zu geben, dass er nicht nur lebt, »um zu essen und zu trinken und ein Auto zu fahren« (1979: 133f.). Egal ob Atheist oder Christ, Menschenfeind oder Humanist, die Ausrichtung am Materiellen, an wenig ausgefallenen Vergnügungen und Konsumgegenständen trifft auf die Abneigung, Indifferenz oder Verzweiflung der Intellektuellen. Nun könnte man kritisch einwenden, dass besagte Abneigung in hohem Maße widersprüchliche oder gar heuchlerische Züge trage – schließlich bringen Intellektuelle in erster Linie keine greifbaren Dinge vor, sondern Zeichen und Ideen, ihre Wendung gegen den Materialismus wäre somit bloß ein Ausdruck einer höchst eigensinnigen, materialistischen Interessenpolitik. Auf solch einen Einwand muss in einer Schrift, die für eine materialistische Einstellung eintritt, aber natürlich prinzipiell verzichtet werden. Nicht ganz überzeugen kann der Einwand allerdings auch, weil man über ihm vielleicht vergisst, dass die intellektuelle Kritik am Konsum nur einen bestimmten Bereich des Konsums betrifft und keineswegs auf eine vollständig asketische Lebensführung der intellektuellen Kritiker schließen lässt. Die mönchische Tradition des Intellek-

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tuellentums bildet heutzutage fast ausschließlich rhetorische und argumentative Rückstände. Selbst Künstler, deren Werk der Welt demonstrativ den Rücken kehrt und die sich eines sensibel-depressiven Stils bedienen, besitzen (dem Vernehmen nach) Land- wie Stadthäuser, mindestens aber Autos, verschiedene Paar Pullover, Computer etc. Nach der in den 80er und frühen 90er Jahren innerhalb der intellektuellen Schicht auf breiter Front vollzogenen Wende von streng marxistischen oder links-alternativen Positionen hin zu linksliberalen Einstellungen wird die eigene Verfeinerung des Geschmacks mitunter wieder sehr gerne ausgestellt, besonders sinnfällig im frühzeitigen Wechsel eines Herausgebers von einem theoriepolitischen Organ (Enzensbergers Kursbuch) hin zu einer illustrierten Essay- und Reportagezeitschrift mit dem Untertitel »Journal des Luxus und der Moden«. Die Zeitschrift TransAtlantik ist zwar schon lange vom Markt verschwunden, ihr historischer Untertitel gilt aber heute noch, weil er angemessen anzeigt, dass auch jene Intellektuelle, die nicht dem konservativen Lager zuzurechnen sind, mit dem negativen Begriff des »Konsumismus« nur spezielle Formen des Konsums treffen wollen, nicht jedoch jeden Kauf, der über den Erwerb lebensnotwendiger Güter hinausgeht. Eine große Hausbibliothek, aber auch ein gut gefüllter Weinkeller, eine DVD-Sammlung von Klassikern der Schwarzen Serie, ein ausgesuchtes oder reichhaltiges Mobiliar von Designklassikern oder Naturhölzern, Urlaubsfahrten in die klassischen Regionen der europäischen Kultur, ein Kühlschrank voller Bio-Lebensmittel – all das erfüllt nicht den Tatbestand des Konsums, sondern zählt dem eigenen, gehobenen Selbstverständnis nach zu einer kultivierteren Sphäre. Die Absage auch der linksliberalen Intellektuellen trifft demnach bloß jenen Bereich, der von anderen Objekten und Geschmäckern bevölkert wird. Ihn zu betreten versagt man sich leichterdings, weil man ihn ohnehin nicht schätzt, seinen Anhängern wirft man kulturelles und manchmal auch moralisches Versagen vor, seine Ausbreitung möchte man am liebsten untersagen. An diesem Zustand ändert sich auch in unseren Tagen nicht viel, in denen Teile der Popkultur nahezu gleichberechtigt ins Feuilleton und in den Kanon jüngerer Intellektueller Eingang gefunden haben. Den Zweck nachhaltiger Abgrenzung zum Konsumismus und Kommerzialismus erfüllen nun feinere Differenzierungen; der entscheidende Unterschied besteht dann nicht zwischen Mahler und Quincy Jones oder zwischen Gustav Gründgens und Rock Hudson, sondern zwischen verschiedenen Ausprägungen des Pop-

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Bereichs; Gemeinsamkeiten zwischen Franz Ferdinand und Dieter Bohlen, zwischen Quentin Tarantino und einer Rosamunde-PilcherVerfilmung können und wollen die Anhänger des niveauvoll gedachten, künstlerisch wertvollen, angeblich antikommerziellen oder gar subversiven (Art-)Pop beim besten Willen nicht entdecken. Ihr Bedürfnis nach Distanz zu den Letztgenannten ist ähnlich groß wie das eines Schönberg-Hörers zu den Fans Elvis Presleys oder der Rolling Stones. Wenn darum in intellektuellen Kreisen vom »Konsum« gesprochen wird – vom »Konsumismus« ganz zu schweigen –, dann ist fast nie wie zumeist im wirtschaftswissenschaftlichen Begriffsgebrauch vom Verbrauch von Gütern durch Privathaushalte die Rede (vgl. Piorkowsky 2000), sondern von einem wesentlich spezielleren Phänomen. Mit »Konsum« wird dann ein Feld umrissen, das drei Eigenheiten aufweist: Erstens werden mit »Konsum« in besagtem Sprachgebrauch auf der Ebene der Gegenstände ganz bestimmte als kommerziell identifizierte, dem Wechsel oder modischen Verschleiß unterworfene und nicht selten mit einem populären, massenhaft wirksamen Image und Logo versehene Produkte bezeichnet; zudem zählt zum »Konsum« die passive, zerstreute, unkultivierte Haltung der Käufer, Nutzer und Rezipienten jener Produkte; nicht zuletzt schwingt beim Wort vom »Konsum« in intellektuellen Kreisen und auch in vielen politischen und publizistischen Zusammenhängen eine deutlich kritische Bedeutung mit, die sich gegen die genannten Produkte und ihre Abnehmer richtet. Eine Verteidigung des Konsums muss genau hier ansetzen. Im Gegensatz zur Abwägung einer Reihe von Punkten der Konsumkritik unterschiedlicher politischer Lager, bei der man interne Widersprüche und historische Irrtümer aufzeigen und sich auf zumindest in dem einen oder anderen Lager bereits geteilte politische Standpunkte stützen kann, steht solch eine Verteidigung offensichtlich vor einem Problem, weil es in der gegenwärtigen (gar nicht zu reden von der früheren) intellektuellen Szenerie kaum bereitliegende Argumente für sie gibt – außer der allenfalls halb überzeugenden Apologie, die in jedem von einer größeren Zahl vollzogenen Kauf- und Rezeptionsakt gleich den Beweis für ein zugrunde liegendes wichtiges Bedürfnis entdecken möchte. Akzeptable intellektuelle Verteidigungen des Konsums besitzen hingegen bisher weitgehend bloß die Form, in den üblichen Arten der

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Konsumobjekte und der Konsumtionsweise Ansätze zu ihrer Verbesserung zu entdecken und sie nicht von vornherein zu verdammen. Dann wird vor allem auf die Plastizität der Bedürfnisse (Ullrich 2006), auf die Erweiterung und Differenzierung des Konsumfelds (König 1971), auf die Aktivität der Verbraucher (Wiswede 2000: 64f.) oder mitunter gar auf die möglicherweise umwälzenden Potenziale der entfesselten Kauflust (Böckelmann [1970] 2000b) verwiesen – und neuerdings gerne auf die zunehmende Ausrichtung vieler Konsumentscheidungen an Kriterien der Fairness, Umweltverträglichkeit, Nachhaltigkeit, nicht an denen der kurzfristigen, egoistischen Nutzenmaximierung (Stehr 2007). Diese Verweise auf die kulturellen Grundlagen und Möglichkeiten des Konsums gehen zugleich regelmäßig mit einer positiveren Einschätzung des Konsumsektors einher. Dieter Wellershoff z.B. sieht die Chance gegeben, dass der Konsum den »Wunsch nach einer vom Mangel und Triebverzicht befreiten Welt« verstärken könne, eine Möglichkeit auf die er große Hoffnungen setzt, hält er doch »jeden puritanischen Kanon, überhaupt ein Verständnis des Menschen aus dem Mangel und der Arbeit« in der Gegenwart für fragwürdig. »Nehmen wir an«, schlägt Wellershoff vor, »eine neue, weniger unterdrückte Sinnlichkeit verlangte mehr als bloße buchstäbliche Information, sie verlangte Reizangebote, spielerisch luxurierende Veränderungen und Überbietungen des bloß Zweckmäßigen, sie verstünde deshalb auch aus der Mode einen durchaus humanen Lebensreiz zu machen«, dann müsste nach seiner Auffassung die grundsätzliche Abwertung des Konsums kritisch überprüft werden. Als zusätzliche Bedingung nennt er aber etwa auch, dass die Menschen einen »neuen Umgang mit dem Warencharakter ihrer Umwelt« erlernen und sich nicht mehr von der Reklame »blind manipulieren« lassen, sondern sich zu ihr wie »Mitspieler« verhalten, »die die Regeln und Symbole des Spiels begriffen haben. Dies wiederum setzte sie frei, an den Formen und Farben dieser neuen künstlichen Welt vom suggerierten Produkt ganz unabhängige Genußmöglichkeiten zu entdecken« (1969: 9). All die genannten Punkte, die zu einer Umwertung des Konsums beitragen, sind zweifelsohne ebenso interessant wie wichtig. Zu ihren Eigenheiten gehört freilich, dass ihre Höherwertung darauf aufbaut, den Konsum gegen seine Kritiker in Schutz zu nehmen, indem dessen aktive, ästhetische, unmanipulierte, nicht nur an der Erlangung kurzfristiger eigener Vorteile orientierte Merkmale hervorgehoben oder

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zumindest als Möglichkeit ausgemalt werden. Es stellt sich danach jedoch die Frage, ob es nicht möglich ist, selbst für den Konsumismus in seiner Passivität, Gewöhnlichkeit und Fixierung auf den unmittelbaren, individuellen Reiz Gründe zu finden, die ihn wenigstens teilweise rechtfertigen. Die soeben genannten, vielen Intellektuellen heute geläufigen Argumente tun dies gerade nicht; sie laufen vielmehr allesamt darauf hinaus, den Blick dafür zu öffnen, dass der Konsum zu seinem Vorteil nicht nur eine Übung in Abhängigkeit, Egoismus, Gedankenlosigkeit und Unkultur ist. Eine Rettung jenes Konsums, wie er von seinen grundsätzlichen Kritikern durchweg abträglich gezeichnet wird, steht folglich noch aus. Angesichts der überwältigend negativen Einschätzung von Eigenschaften wie Passivität, Standardisiertheit, Gewöhnlichkeit und Materialismus scheint solch eine Rettung fast ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Es ist aber gerade die gängige Festlegung des Konsums auf diese Eigenschaften, die einen ersten Grund zu seiner Rechtfertigung bietet. Da unter den »Konsum« nach herrschender Sprachregelung zumeist keineswegs jede Ware und jeder private Kauf- und Verbrauchsakt fällt, sondern allein jene Mischung aus vulgären Dingen und konditionierten, unkultivierten Reaktionen, liegen politische Rechtfertigungsversuche nahe. Dieser »Konsum« umfasst eben nicht die Güter, die für jeden mit einem durchschnittlichen Arbeitnehmergehalt unzugänglich sind, er umfasst nicht den Kauf von Gemälden auch nur annäherungsweise bekannter Künstler, den Erwerb von Wohnungen und Häusern in guter oder gar exklusiver Lage, den Besuch teurer Restaurants, die Benutzung von Möbeln renommierter Designer und der meisten anderen Dinge, die langwierig in kleiner Stückzahl hergestellt werden. Darum gibt es eine beachtliche Tradition, die standardisierbaren, in großer Menge produzierbaren Waren und deren Verbrauch als eine bedeutende demokratische oder sozialistische Errungenschaft herauszustellen, deren Planung zu den wichtigsten Aufgaben funktional und egalitär denkender Ingenieure, Architekten, Verwaltungsfachleute etc. gehöre. In plebejischen oder populistischen Varianten ließ sich das mit einer entschieden antielitären Stoßrichtung verbinden, wenn auch die Modernität und brutalistische Schmucklosigkeit der meisten technischfunktionalen Entwürfe zur Massenherstellung solche Richtungen häufig vor ästhetische und weltanschauliche Probleme stellte. In der avantgardistischen Variante wird die bildungsbürgerliche, idealistische Abneigung gegen die Massenproduktion und -kultur ge-

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nutzt, um die eigenen Versuche einer umwälzenden Kunst und Ästhetik, die weg von isolierten Werken zu einer neuen Lebenspraxis führen soll, zu konturieren. Deutliche Distanz zu konservativen Haltungen signalisieren avantgardistische Bewegungen seit dem Futurismus gerne einmal durch Sympathieerklärungen für Bestandteile und Voraussetzungen der Massenkünste. Die gegenbürgerliche Affirmation des Reizes und die Hinwendung zu modernsten Techniken oder Medien soll den eigenen avantgardistischen Bestrebungen einen politischen und lebenswirklichen Halt geben; tatsächlich überschneiden sich die avantgardistischen Prinzipien und Lebens/Kunst-Projekte aber höchst selten mit dem Massengeschmack. Zumindest auf dem Papier kann die versuchte Annäherung in weltanschaulicher Form jedoch sehr weit gedeihen. »Unser Interesse ist es, den Abbau der Kunstideologien zu befördern, die zur Stützung des Herrschaftsanspruchs elitärer Gruppen ausgebildet worden sind«, heißt es etwa Ende der 60er Jahre in einem entsprechenden Artikel eines avantgardistischen Künstlers und Theoretikers, Bazon Brock: »Wir sehen, daß innerhalb der Erscheinungsformen der Massenkultur diesem unserem Interesse bisher am besten gedient ist«, gibt Brock an, als Grund nennt er die willkürlichen, modischen Wechsel innerhalb der Massenkultur, die Verfestigungen, Hierarchien und autoritäre Werknormen verhinderten. In dieser antibürgerlichen Perspektive kann darum die Ähnlichkeit von Avantgarde und Massenkultur behauptet werden: »Ob Dada oder Neuer Realismus, ob Happening oder Informel, ob Tachismus oder Op-art«, alle diese Formen seien auf die »Praxis der Massenkultur« bezogen, weil sie »nicht mehr auf der auszubildenden Identität zwischen singulärem Schöpfer und dem einzelnen Werk« bestünden und weil sie »die Priorität der Originale, der einmaligen unwiederholbaren und deshalb werthaften Hervorbringungen« nicht mehr anerkennen würden ([1967] 1977: 427, 429). Nicht selbstverständlich für einen Avantgardisten ist aber, dass Brock es bei dieser Annäherung, die nur für kleine Kunstkreise von Belang ist, nicht bewenden lässt. Brock verteidigt die »Unkultur« der einem raschen modischen Wandel unterworfenen »Überflußgesellschaft« auch, weil er die »Möglichkeit zur schnellen und billigen Veränderung der Umgebung« und damit die Vergrößerung menschlicher Gestaltungsspielräume begrüßt, deren Voraussetzung u.a. ist, dass man sich von vorhandenen Dingen und gegebenen Räumen – von konser-

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vativen Besitzständen und konservierten Traditionen – problemlos trennen kann. Noch schwerer wiegt ein weiterer Grund, den Brock zur Verteidigung der »Massenkultur« anführt. Im Gegensatz zu den Eliten und ihrer Hochkultur, hält Brock mit einigem Pathos fest, kennt die Massenkultur »ganz sicher keine Rechtfertigung irgendwelcher Formen des Leidens der Menschen«. Brock verschenkt freilich sein Argument, weil es ihm in erster Linie in avantgardistischer Absicht um die Lösung von Traditionen und die Auflösung idealistischer, bildungsbürgerlicher Kunstprinzipien geht. Am Ende ruft er dazu auf, sich in den »befreienden Formen der Wegwerfbewegung« zu ergehen und sich damit einer Übung gegen das »Habenwollen« zu unterziehen (ebd.: 430). Es ist deshalb notwendig, sein Argument ausführlich zu entfalten und es dabei mit einer anderen Zielrichtung zu versehen. Auch anders adressieren muss man es. Im Namen der »Massen« und mit ihrer Akklamation ist schrecklich oft Leid über Menschen, Volksgruppen und Nationen gebracht und mit glühenden Rechtfertigungen ausgestattet worden. Viel nahe liegender ist es, die Absage an das Leid mit der Konsumkultur bzw. dem Konsumismus zu verbinden. Selbstzwang, Askese, Entsagung sind dem Konsumismus fremd, die Idee, dass man sich vieles prinzipiell versagen müsse, um sich einiges nach langem Aufschub aneignen zu können, weicht der Überzeugung, dass es angenehm ist, auf vielfältige Gegenstände und Genussmöglichkeiten einen raschen, problemlosen Zugriff zu haben. Die Annahme, aus dem ersten Leid des Zwangs und der Entbehrung entstehe die viel wertvollere Erfahrung entweder der reinen Selbstkontrolle und Autarkie oder der vergrößerten Ekstase, die aus der Erfüllung nach einer langen Dauer des Mangels und der Entsagung herrührt, findet unter den gewohnheitsmäßigen Konsumenten der Jetztzeit kaum mehr Anhänger. Fraglich bleibt hingegen, ob der Konsumismus dazu führt, dass die Bereitschaft, anderen Leid zuzufügen, abnimmt. Der Konsument agiert im Regelfall egoistisch, zumindest vereinzelt. Verbraucherschutz wird von kleinen Verbänden betrieben und von kommerziellen publizistischen Anbietern, die Warentests durchführen lassen. Wenn Konsumenten selbst sich verbünden, dann überwiegend in Geschmacksgemeinschaften, Fangruppen, deren Zweck nicht zuletzt darin liegt, sich stark von anderen Geschmäckern und Gruppierungen abzugrenzen. Eine Solidarisierung kommt so nicht zustande, der Konsument ist in

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seinem Bestreben, etwas Schönes, Unterhaltendes, Aufregendes, Erhebendes zu einem erschwinglichen Preis zu finden, sich selbst und seiner Interessen- oder Statusgruppe der Nächste. Von einem bewussten Einsatz vereinter Konsumenten für andere, die über weniger Konsummöglichkeiten verfügen, hört man in der Gegenwart nichts. Auch Arbeiter und Angestellte, die gewerkschaftlich organisiert sind, vergessen über ihrer Suche nach günstigen Angeboten nicht selten, dass ihr guter Kauf durch die schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhne anderer Beschäftigter zustande kommt. Diese Tatsache zu einer harten Abrechnung mit dem Konsumismus zu nutzen, ist aber unredlich, genauso wie es falsch ist, aus der Erkenntnis heraus, dass eine ganze Reihe von Waren bzw. ihre Herstellung die Natur stark belastet, sich zu einer allgemeinen Anklage des Konsums aufzuschwingen. Zum einen ist es schlicht unsinnig zu unterstellen, dass der Konsument sein Gefallen nicht auch rein an Gütern finden könnte, deren Produktion und Entsorgung keine tiefgreifenden Schäden verursachten. Zum anderen geht das Argument in die Irre, weil es dem einzelnen Verbraucher als Schuld zuschreibt, was zu verhindern die Aufgabe der öffentlichen politischen Instanzen und der Entscheidungsträger in Wirtschaft und Verwaltung ist: dass die Herstellung von Konsumgütern durch Ausbeutung und Raubbau an den menschlichen Lebensgrundlagen erfolgt. Es handelt sich um eine allgemeine politische Aufgabe, den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu gestalten, die Umstellung auf weniger schadstoffreiche Energien zu fördern, die Verwendung schwer abbaubarer Substanzen zu unterbinden, etc. – und nicht um die Aufgabe individueller Konsumenten, unter persönlichen Opfern bzw. unter Inkaufnahme höherer Kosten ihren ganz eigenen Beitrag zu solchen Änderungen beizutragen. Einen gewissen Anhalt zur politischen Verteidigung des Konsums bietet sogar die üblicherweise als Vorwurf gemeinte Diagnose der bequemen Konsumhaltung. Träfe die Kritik zu, könnte man umgekehrt davon die Hoffnung ableiten, aus solcher Bequemlichkeit und Dekadenz erwachse keine aggressive oder kriegerische Anstrengung mehr – somit handelte es sich beim Konsum um eine zivilisatorische und humane Errungenschaft allerersten Ranges. Die Hoffnung ist aber wenigstens zur Hälfte trügerisch; nationalistische und rassistische Gründe finden immer wieder sehr leicht auch bei den Konsumbürgern Anklang; neue Formen der Kriegsführung und Berufssoldatenheere gleichen die mangelnde Bereitschaft vieler in der Konsumgesellschaft

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aufgewachsener Männer, die eigene gesicherte, unheroische, passive, nach stereotyper alter Vorstellung ›feminisierte‹ Existenz für das Vaterland zu opfern, gut aus. Dennoch gilt es festzuhalten, dass die Distanz zu den Feiern überindividueller, intensiver Taten und Existenzen im Laufe des 20. Jahrhunderts zugenommen hat, vor allem wenn man die letzten mit den ersten Dekaden dieses Jahrhunderts vergleicht. Jenes angenehme Leben, das wesentlich vom Anwachsen der Konsummöglichkeiten geprägt ist, hat zweifellos dazu beigetragen. Nun kann man das keineswegs nur von chauvinistischer, reaktionärer oder kulturrevolutionärer Warte aus bedauern. Immer wieder hört man auch von linker Seite die Klage, dass der gestiegene Konsum weite Bevölkerungsschichten in politische Apathie versetze und eigentlich dringend anstehende gesellschaftliche Änderungen dadurch bereits im Keim ersticke. Der Umstand, dass diese Ruhe zum Teil auch eine Ablenkung von martialischen Gelüsten darstellt, wird dabei freilich stets außer Acht gelassen. Zudem ist die Abneigung der meisten kunstsinnigen intellektuellen Linken gegen die populären Gegenstände und Formen des Konsums so groß, dass sie diese auch ohne ihre entpolitisierende Wirkung ablehnen würden. Der Kern des Arguments bleibt davon allerdings unberührt: Richtig ist, dass die Annehmlichkeiten des gesicherten Konsums selten zum Versuch führen, gegen den Druck der Arbeitswelt anzugehen, sondern dass zumeist die Konsum- und Unterhaltungsangebote zum Ausgleich unbefriedigender Arbeitsverhältnisse genutzt werden – und damit zu ihrer Aufrechterhaltung dienen. Es ist jedoch eines, die fehlenden Impulse der gegenwärtigen Konsumtionspraxis für weiterreichende politische Projekte zu beklagen; etwas anderes ist es, diese Praxis an sich für verfehlt zu halten. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle steckt aber hinter dem ersten Argument die letzte prinzipielle Ablehnung. Tatsächlich sehen die meisten, die sich gegen den Konsumismus aussprechen, weil sie ihn als Hindernis für wichtige politische Initiativen betrachten, in ihm bereits an sich ein Ärgernis. Vieles erscheint ihnen unendlich wichtiger, Ideen, Kunst, stark ausgeweitete politische Partizipation, Kultur, Kreativität, Werte, Geist, Intensität, Transzendenz. Eine materialistische Haltung, die sich ans Angenehme, Unterhaltende, Sinnliche, recht unmittelbar Reizvolle, greifbar Gegebene hält, besitzt dagegen wenig intellektuelle Fürsprecher, vor allem wenn diese Annehmlichkeiten und Reize in der (Waren-)Form von Konsumgütern einfach und ohne große Anstrengung erworben werden können.

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Ob tatsächlich in den meisten derjenigen Werke, die gemeinhin der Kunst zugeschlagen werden, mehr Kreativität und Geist steckt als in denen, die oftmals abfällig als Konsumobjekte bezeichnet werden, muss fraglich bleiben; hier sei nur erneut angemerkt, dass die Antwort darauf sich zumindest nicht, wie lange suggeriert wurde, von selbst versteht. Gut begründet kann man jedoch den Vorrang von angeblich wesentlich höheren Werten, allseitiger Mitwirkung, großer Intensität, transzendentalen Aufschwüngen, erhabenen Ideen, reiner Kultur und interesseloser Geistigkeit bestreiten, weil sie alle ihre Geschichte als politische Zielsetzungen und Antriebskräfte in vielfacher Ausformung mit oftmals schrecklichen Wirkungen hinter sich haben. Das Desaster der Geschichte großer Teile des 20. Jahrhunderts ist stets mit diesen Abwendungen vom bloßen, angenehm unterhaltsamen, materiell bequemen Dasein verknüpft gewesen – das sollte mehr als ausreichen, um die Absagen an den konsumistischen Materialismus nachhaltig als Versagen zu diskreditieren. Es ist fast überflüssig hinzuzufügen, dass an all diesen Aufschwüngen des Willens und der groß angelegten, umwälzenden Pläne Intellektuelle in mannigfacher Weise beteiligt gewesen sind. Zugrunde liegt den anspruchsvollen Programmen, asketischen Selbstübersteigungen, heroischen Denkakten und weltanschaulichen Unbedingtheiten ausnahmslos die Verachtung des privaten, unspektakulären Alltags. Zugrunde liegt ihnen gleichfalls das vollkommene Unverständnis dafür, dass eine weitgehend passive Existenz, die wenig schafft oder gar im großen Maßstab verändert, sondern sich an vorgegebene Dinge hält, über hinreichende Möglichkeiten für ein angenehmes und auch sinnvolles Leben verfügt. Die Auswahl, der Erwerb sowie die Zurschaustellung und Aneignung von Kleidungsgegenständen, DVDs, Fahrrädern, Kosmetika, Fernsehapparaten, Besteck, Autozubehör, Kissenbezügen, Sexspielzeugen, Bildbänden, Süßigkeiten, Illustrierten, Limonaden usf. bedeuten für die Mehrheit der Konsumenten immer wieder zufrieden stellende Momente, die genügend annehmlichen – unterhaltsamen, dekorativen, sinnlichen – Reiz und symbolische Bedeutung besitzen, um sie von den Verlockungen großer Ekstase, Aktivität und Machtfülle Abstand nehmen zu lassen. Besonders überzeugend und tief verankert ist diese genussvolle Konsumhaltung, weil sie ihrerseits ohne eine ideologische Abgrenzung und Überhöhung auskommt. Der durchgängige Konsum lässt sich keineswegs aus

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einer bewussten Absage an intellektuelle Vorstellungen und politische Visionen erklären, er findet sein Genügen an sich selbst. Es gehört zu den Widersinnigkeiten der intellektuellen und publizistischen Betrachtungen zum Konsum, dass dieses Moment des angenehmen Reizes, der zwar keineswegs alternativlosen, aber auch keinesfalls bedeutungslosen Auswahl der Konsumgüter, nicht nur gerne abgewertet, sondern auch rasch bestritten wird. Paradoxerweise weisen jene Kritiker, die im Erfolg des Konsums eine kulturelle Gefahr sehen, häufig mit einiger Genugtuung darauf hin, dass der Konsum ab einem bestimmten Punkt schnell an Befriedigungspotenzial einbüße – was vielleicht bei denen zutreffen mag, die über Geld nicht mehr nachdenken müssen, mit der Lage derjenigen, die wie die meisten zwischen 1000 und 3000 Euro netto im Monat verdienen, allerdings rein gar nichts zu tun hat. Deshalb bleibt der missliche Widerspruch bestehen, dass die meisten Intellektuellen, die immer wieder mit demokratisch-egalitärer Grundhaltung auf der einen Seite für die sozialen Belange breiter Teile der Bevölkerung eintreten, auf der anderen Seite mit den seit langer Zeit anzutreffenden Vorlieben dieser Schichten nichts anzufangen wissen oder sie rundweg ablehnen. Wesentlich stimmiger und sinnvoller wäre es aber, die politische und ästhetische Argumentation und Wertschätzung stärker auf das Ziel auszurichten, das private, bequeme, konsumierende Leben zu garantieren und auszuweiten.

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Werner Schiffauer Parallelgesellschaften Wie viel Wertekonsens braucht unsere Gesellschaft? Für eine kluge Politik der Differenz 2008, 152 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN 978-3-89942-643-4

Franz Walter Gelb oder Grün? Kleine Parteiengeschichte der besserverdienenden Mitte in Deutschland April 2010, 148 Seiten, kart., 14,80 €, ISBN 978-3-8376-1505-0

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X-Texte zu Kultur und Gesellschaft Sebastian Dullien, Hansjörg Herr, Christian Kellermann Der gute Kapitalismus ... und was sich dafür nach der Krise ändern müsste (mit einem Vorwort von Gesine Schwan) 2009, 248 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1346-9

Thomas Etzemüller Ein ewigwährender Untergang Der apokalyptische Bevölkerungsdiskurs im 20. Jahrhundert 2007, 218 Seiten, kart., zahlr. Abb., 22,80 €, ISBN 978-3-89942-397-6

Kai Hafez Heiliger Krieg und Demokratie Radikalität und politischer Wandel im islamisch-westlichen Vergleich 2009, 282 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1256-1

Byung-Chul Han Duft der Zeit Ein philosophischer Essay zur Kunst des Verweilens 2009, 114 Seiten, kart., 15,80 €, ISBN 978-3-8376-1157-1

Felix Hasler Neuromythologie Eine Streitschrift gegen die Deutungsmacht der Hirnforschung September 2011, ca. 200 Seiten, kart., ca. 21,80 €, ISBN 978-3-8376-1580-7

Thomas Hecken 1968 Von Texten und Theorien aus einer Zeit euphorischer Kritik 2008, 182 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-89942-741-7

Michael Opielka Kultur versus Religion? Soziologische Analysen zu modernen Wertkonflikten 2007, 190 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN 978-3-89942-393-8

Ramón Reichert Das Wissen der Börse Medien und Praktiken des Finanzmarktes 2009, 242 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 22,80 €, ISBN 978-3-8376-1140-3

Werner Rügemer »Heuschrecken« im öffentlichen Raum Public Private Partnership – Anatomie eines globalen Finanzinstruments 2008, 172 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN 978-3-89942-851-3

Oliver Scheytt Kulturstaat Deutschland Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik 2008, 310 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-400-3

Natan Sznaider Gedächtnisraum Europa Die Visionen des europäischen Kosmopolitismus. Eine jüdische Perspektive 2008, 156 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN 978-3-89942-692-2

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