Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft: Von der Gefahrenabwehr zum Risikomanagement [1 ed.] 9783428482511, 9783428082513

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Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft: Von der Gefahrenabwehr zum Risikomanagement [1 ed.]
 9783428482511, 9783428082513

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KARL-HEINZ LADEUR

Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft

Schriften zur Rechtstheorie Heft 167

Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft Von der Gefahrenabwehr zum Risikomanagement

Von Karl-Heinz Ladeur

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Ladeur, Karl-Heinz: Das Umweltrecht in der Wissensgesellschaft : von der Gefahrenabwehr zum Risikomanagement / von Karl-Heinz Ladeur. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zur Rechtstheorie ; H. 167) ISBN 3-428-08251-6 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-08251-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken

Inhaltsverzeichnis

I.

Gefahrenbegriff und Kausalität

9

1. Vorbemerkung zu den normativen und kognitiven Komponenten des Gefahrenbegriffs

Π.

. . . .

.

9

2.

GefahrenbegrifT, Regelwissen und erlaubtes Risiko im klassischen Polizeirecht

11

3.

"Kausalität" als naturwissenschaftlicher und als philosophischer Begriff

15

4.

"Kausalität" und Vertrauen

16

"Gemeinsames Wissen" zwischen praktischer Konventionsbildung und vernünftigem Konsens

22

1. Wahrscheinlichkeit und praktisches Handeln

22

2.

27

3.

4.

Erwartungsbildung und Konventionen Das "gemeinsame Wissen" und seine Generierung durch "überlappende Netzwerke" von Relationen

31

"Kommunikative Rationalität" und Konsens

37

a) Das Verfahren der Argumentation als Garant der Vernunft?

37

b) Die Diskursethik als politische Theologie der Ungewißheit

39

5. Zu einer Neuinterpretation des Eigentums als Institution zur Erzeugung von Wissen unter Ungewißheitsbedingungen ΠΙ. Wissen in der Wissensgesellschaft: Von der Kontinuität der Erfahrung zur systematischen Wissensproduktion

45

51

1. Vorbemerkung

51

2. Zum Problem der Generierung komplexerer "Ordnung aus Lärm"

52

3.

Flexibilisierung des Unternehmens durch interne und externe Grenzüberschreitungen .

58

4.

Zur Bewältigung von Ungewißheit durch Herausbildung "hybrider" (Selbst-)Organisationsformen

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht 1. Zur dogmatischen Fortentwicklung des Gefahrenbegriffs a) Das Risiko als Gefahrenverdacht?

61 69 69 69

6

Inhaltsverzeichnis b) Risikobegriff und Ungewißheit

72

c) "Risiko" als ein "Gefahr" umfassender Oberbegriff?

76

2. Zur Ausdifferenzierung des Begriffs der Ungewißheit 3.

Präzisierung des Risikobegriffs durch Rezeption wissenschaftlicher Erkenntnisse? - Zur Ablösung des Kausalitätsmodells in der Wissenschaft

4.

79

84

Zur Notwendigkeit von Stopp-Regeln fiir die Begrenzung der Rezeption wissenschaftlicher Erkenntnisse

89

5. Bewältigung von Ungewißheit durch wissenschaftliche Methodologie oder "wissenschaftspolitische" Konventionsbildung? V.

93

Zur Weiterentwicklung des Vorsorgebegriffs

99

1.

Vorsorge und das Problem ihrer Begrenzung

99

2.

Vorsorge und die Indikatorfunktion der Rechtsgüter

103

3.

Die Selektivität der Vorsorge

107

4.

Vorsorge und Zurechnung

111

5. Zur Notwendigkeit einer Umstellung des Risikobegriffs auf die Wissensgenerierung in der Gesellschaft der Organisationen VI. Orientierungsprobleme der Verwaltung unter Ungewißheitsbedingungen 1. Das Risiko der Risikoregulierung 2.

118

120

Rationalität der Verwaltungsentscheidung und die Möglichkeitskonstruktionen der Verwaltungsorganisation

4.

118

Der Zerfall des Kausalitätsparadigmas und die Veränderung des Status des öffentlichen Wissens

3.

115

123

Zur Notwendigkeit (und Schwierigkeit) der Institutionalisierung von Lernfähigkeit in der Verwaltungsorganisation

127

5.

Prozedurale Rationalität als Rationalität des Provisorischen

131

6.

Risikobewertung und die Organisation von Wissen

135

VE. Zu einer Methode der Abstimmung von Risikowissen und Risikoentscheidung unter Ungewißheitsbedingungen

141

1. Vertrauen und Risikoentscheidung

141

2.

142

3.

4.

Vertrauensbildung durch Verfahren? Das Exempel der Grenzwerte Von der Rezeption des Risiko Wissens zur Modellbildung unter Ungewißheitsbedingungen

146

Von der gesetzesabhängigen zur methodenabhängigen Wissenserzeugung

151

Inhaltsverzeichnis 5. Zu einem iterativen Verfahren der Kooperation um Wissenschaft und Verwaltung . . .

156

6.

161

Sonderfälle der Risikobewertung, insbesondere die Stoffkontrolle

7. Zur Entwicklung einer zeitgemäßen "netzwerkgerechten" kognitiven und normativen Risikokonzeption

168

Vili. Rechtsstaat und Risikoregulierung

173

1. Umweltabgaben und "Verschmutzungsrechte" als Alternativen zum Ordnungsrecht? 2. 3.

. .

Umweltschutz durch Haftungsverschärfung?

178

Flexibilisierung des Ordnungsrechts durch planerische "Experimentierspielräume" der Verwaltung

4.

187

Zum Verhältnis privater und öffentlicher Experimentierfireiheit - insbesondere zur Rolle von Anzeigeverfahren im Umweltrecht

194

5. Insbesondere: Der Schutz des "Naturhaushalts"

196

6.

203

Exkurs: "Umweltberatung" als staatliche Erzeugung von Risiko wissen?

IX. Zur Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs durch Risiko vergleich und Prioritätensetzung

.

206

1. Zur Notwendigkeit der Prioritätensetzung

206

2.

Risikowissen und Vorsorgebegriff

210

3.

Der "Stand der Technik" als Stopp-Regel der Risikobewertung

215

4.

Zur Notwendigkeit des Risikovergleichs

216

a) Zur Entwicklung der Methoden

216

b) Zum Problem der Trennung von Risikobewertung und Risikomanagement

219

c) Methodologische Probleme des Risikovergleichs

224

5. Zur amerikanischen Diskussion um den Risikobegriff

226

6.

Probleme der Prioritätensetzung

231

a) Ansätze zur Prioritätensetzung in den USA

231

b) Prioritätensetzung der deutschen Umweltverwaltung bei der "Altstoffbewertung" 7.

. . 234

Verbesserung der Vorsorge durch Prioritätensetzung? a) Zur Kopplung von dezisionalen und kognitiven Komponenten der Vorsorge

235 . . . .

b) Zur Verknüpfung von Entscheidungen unter Ungewißheit und Wissensproduktion X.

173

235 .

237

Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

243

1. Vorbemerkung

243

2.

247

Unternehmen und technologische Innovation

3. Zur Funktion des Eigentums in der Wissensgesellschaft

249

8

Inhaltsverzeichnis 4.

Zur Verschränkung von innerer und äußerer Umwelt des Unternehmens

252

5. Zur Strategie der Internalisierung des Umweltschutzes durch die Unternehmensorganisation - Verbesserung des Umweltschutzes durch informelle Absprachen, Einführung

6. 7.

des Betriebsbeauftragten, des Umweltschutzdirektors u.ä. institutionellen Reformen . .

257

Umweltmanagementsysteme und Generierung von Wissen als öffentliches Gut . . . .

260

Staatliche Regulierung und Flexibilisierung - Die Generierung von Wissen für das Handeln unter Ungewißheitsbedingungen

263

a) Reform der umweltrechtlichen Regulierung durch Prozeduralisierung zweiter Ordnung b) Strategische Schwerpunktsetzung in der Umweltpolitik

263 266

XI. Ausblick

269

Literaturverzeichnis

272

I. Gefahrenbegriff und Kausalität

1. Vorbemerkung zu den normativen und kognitiven Komponenten des Gefahrenbegriffs Der klassische polizeirechtliche Begriff der Gefahr, der bekanntlich als Produkt von Gefahrengröße und Eintrittswahrscheinlichkeit charakterisiert wird 1, war an eine Reihe von Prämissen gebunden, deren genaue Rekonstruktion zum Verständnis der Grenzen beitragen kann, an die er mit dem Auftreten neuer komplexer technologischer Risiken gestoßen ist.2 Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen ist die Annahme, daß der Gefahrenbegriff nicht auf der Beschreibung von Tatsachen und der Errechnung objektiver zwischen ihnen bestehender Gesetzmäßigkeiten basierte, sondern auf einer Verknüpfung zwischen einem in der Tiefenstruktur der Gesellschaft institutionalisierten "gemeinsamen Wissen"3 und praktischen Handlungsregeln, die durch ein relativ festes System von Glaubensvorstellungen und Erwartungen organisiert und auf kontinuierliche praktische Integration des Neuen angelegt sind.4 Damit wird zunächst unterstellt, daß Orientierungswissen den Charakter eines historischen gesellschaftlichen praktischen Konstrukts und nicht einer richtigen oder falschen Vor-Stellung von der Wirklichkeit hat. Daraus ergibt sich, daß auch der Gefahrenbegriff, wenn sich seine Haltbarkeit erschöpft haben sollte, nur durch ein neues Konstrukt (ganz oder teilweise) abgelöst werden kann. Eine Rekonstruktion des Gefahrenbegriffs und seines kognitiven Bezugsrahmens kann aber auch prospektiv genauere Erkenntnisse darüber vermitteln, daß und warum eine Gesellschaft ihre Wissensbestände und Regeln in unterschiedlichen Formen institutionalisiert. Auch und gerade in einer nicht mehr von den Gegebenheiten der Tradition und der Unterwerfung unter einen 1 Drews/Wacke/Vogel/Martens 1986, 220 ff.; Knemeyer 1991 Rnr. 61 ff.; Gusy 1993, 103 f., Götz 1991, 115 ff.

2 Vgl. allgemein aus der kaum überschaubaren Literatur nur Luhmann 1991; Bechmann (Hg.) 1993; Krohn/Krücken (Hg.) 1993; Krimsky/Golding (Hg.), 1992 3 Vgl. dazu Lewis 1975; Miller 1986, 117 ff.; Delfavard 1992, 127 ff.; Bürge 1975, 254 ff.; Dupuy 1991, 98 ff.; Parret 1984, 569 ff. 4

Chanier 1992, 69

10

I. Gefahrenbegriff und Kausalität

"fremden Willen" bestimmten Welt 5 ist die Koordination der praktischen Erwartungen und des Prozesses ihrer Bildung durch ein "gemeinsames Wissen" erforderlich, dessen praktisch-konstruktiver und damit selektiver Charakter nur dann ein Legitimationsdefizit aufweisen muß, wenn man den durch den rationalen Diskurs als Meta-Institution6 je schon voraussetzt Darauf soll weiter unten noch im Hinblick auf aktuelle Forderungen nach einer ethischen Reflexion des Risikohandelns eingegangen werden. Vorab läßt sich aber festhalten, daß die Möglichkeit der Formulierung von Meta-Regeln des Argumentierens selbst an den Zerfall der Einheit eines durch die Religion gestifteten Weltbildes gebunden bleibt und deshalb - anders als die Religion - die Frage nach dem Anfang des Anfangs, also die Frage warum gesellschaftliches Handeln einer Legitimation durch explizite Regeln oder Begründungsverfahren bedarf 7, nicht abweisen kann. Die Untersuchung des Gefahrenbegriffs zielt demgegenüber darauf, den Eigenwert des "gemeinsamen Wissens", das in bestimmte Praxisformen, Institutionen, Gruppen, Disziplinen, Beziehungsnetzwerke etc. impliziert und davon nicht ablösbar ist, herauszuarbeiten. Es handelt sich um eine distribuierte Form des Wissens, dessen Erhaltung eine der Aufgaben des Rechts sein muß, und von deren Erhaltung die Leistungen des Rechts ihrerseits abhängig sind. Dieses Wissen ist in eine gesellschaftliche Praxis eingeschrieben8; es ist ein kollektives emergentes, nicht auf das Handeln einzelner zurückzuführendes Produkt der Kooperation von Individuen (und Organisationen) und ihrer praktischen Auseinandersetzung mit der Umwelt, das auf die Generierung neuen Wissens eingestellt ist und seine Kehrseite zwangsläufig in der Selektivität der Anschlußmöglichkeiten und zwänge hat, nämlich der Ausschließung bzw. Marginalisierung nicht "passender" Wissensbestandteile. Es handelt sich um ein "ökologisches Wissen", das über Beziehungsnetzwerke verteilt ist 9 und dessen Transformationsmuster sich einem Verständnis der Sprache, als eines auf Selbstaufklärung intersubjektiver Geltungsansprüche angelegten Mediums10 entzieht. In der hier zu entwickelnden rechtstheoretischen Perspektive kommt es vor allem darauf an, den produktiven Charakter dieser praktischen "Wissensnetzwerke" als einer Voraussetzung des Rechtssystems zu beschreiben, seinem

5

Gauchet 1979, 451 ff.

6

Bouveresse 1981, 139; Krämer 1991,33 ff., 64

7

Baumann 1987, 34, 167

8

Reed 1992, 12

9 Reed 1992, 11; Gilbert 1990, 1 ff.; Polanyi 1969, 54 f.; ders./Prosch 1975, 134; vgl. auch Rescher 1979,40; Tindale 1992, 177 10 Habermas 1981 (Bd. 1), 35 f., ders. 1992, 17 ff.: "Es ist vielmehr das sprachliche Medium, durch das sich Interaktionen vernetzen und Lebensformen strukturieren, welches kommunikative Vernunft ermöglicht". Vgl. kritisch zu diesem Sprachverständnis Bolz 1993, 59 ff., insbesondere 76 ff.; vgl. aus der Sicht des kritischen Rationalismus Keuth 1993, 324 ff.

2. Gefahrenbegriff, Regelwissen und erlaubtes Risiko im Polizeirecht

11

Wandel nachzugehen und nach Formen seiner Institutionalisierung unter Komplexitätsbedingungen zu suchen, die das Einrasten des Rechts in ein dauerhaftes Kooperationsmuster ausschließen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die wachsende Zukunftsoffenheit des Rechts und die damit einhergehende Notwendigkeit des Entscheidens unter Ungewißheitsbedingungen. Diese Konstellation ist durch ein Zusammentreffen von Unvollständigkeit der Wissensbasis und Zeitdruck gekennzeichnet.11 Es wird sich zeigen, daß auch der Gefahrenbegriff das Operieren mit unvollständigem Wissen ermöglichen und begrenzen sollte; seine kognitive Selektivität konnte aber angesichts der vorauszusetzenden Kontinuität und Gleichförmigkeit der Wissensentwicklung zurücktreten, während die zunehmende Beschleunigung der Selbstveränderung der Gesellschaft die Erzeugung neuen Wissens und nicht nur seine Kontrolle nach Maßstäben der Verläßlichkeit zu einem Problem werden läßt, das auch zum Gegenstand rechtlicher Verfahren werden muß. Das Recht kann gesellschaftliches Wissen und seine Zugänglichkeit nicht nur einfach beobachten und in Entscheidungsverfahren für die Zwecke der Stabilisierung von Verhaltenserwartungen benutzen, es muß vielmehr unter Ungewißheitsbedingungen die Generierungsmüster gesellschaftlichen Wissens selbst als Gegenstand potentieller rechtlicher Regelung beobachten und in einer "Logik des Provisorischen" 12 die Produktivität der "Ideenpopulation" der Gesellschaft 13 zu erhalten und zu erweitern suchen, damit auch unter Komplexitätsbedingungen "handlungskoordinierende Erwartungserwartungen" gebildet werden können.14 Die Institutionalisierung von Lernfähigkeit muß auch zum Rechtsproblem werden, wenn Wissen die zentrale Ressource der Gesellschaft und als solche in zunehmendem Maße zum Gegenstand organisierter Produktion wird. 2. Gefahrenbegriff, Regelwissen und Polizei recht erlaubtes Risiko im klassischen Gefahr ist nachdem schon in der früheren polizeirechtlichen Literatur und in der Rechtsprechung des preußischen OVG entwickelten Verständnis eine "Lage der Dinge", welche die Besorgnis begründet, "daß sie einen Schaden herbeiführen werde" 15. Diese Besorgnis beruht "auf dem ursächlichen Zusammenhang der Dinge, auf dem Erfahrungsurteil, das aus gewissen gegen-

11

Vgl. allg. Japp 1990, 34; ders. 1992, 31, 36; Baecker 1989, 31

12

Dubucs 1987,15

13

Csanyi/Kampis 1987, 239; vgl. aus ökonomischer Sicht Munier 1986, 561

14

Lewis 1975, 55 ff.; Baecker 1989,45

15

Scholz 1919,15; vgl. auch die Nachweise in Fn. 1

I. Gefahrenbegriff und Kausalität

12

wältigen Zuständen nach dem Gesetz der Kausalität gewisse andere, Schaden begründende Ereignisse erwachsen."16 Der Begriff "Besorgnis", der auch in der neueren Literatur wieder auftaucht 17, verbindet auf eine charakteristische Weise eine Wahrscheinlichkeitsannahme mit einem normativen Moment der Bewertung, das die Ernsthaftigkeit der Schadensmöglichkeit indiziert. Das Element der Wahrscheinlichkeit eines Schadens verweist auf das "Gesetz der Kausalität", das in einer normativen Lesart verstanden wird. Die vom früheren Präsidenten des preußischen OVG Scholz in einem Aufsatz von 1919 verwendete Begrifflichkeit läßt erkennen, daß auch das nur scheinbar rein naturwissenschaftliche Konzept der Kausalität18 handlungsbezogen verstanden wird. Denn erst durch die Unterstellung von Kausalzusammenhängen zwischen Ereignissen ist ein "zweckentsprechendes Handeln der Menschen überhaupt möglich". Nur auf dieser Grundlage ist es denkbar, aus der "Erfahrung die Bedingungen der Ereignisse" zu erkennen.19 In der früheren Literatur wird deutlich zwischen der Ungewißheit als einem "subjektiven Zustand" und der "objektiven Möglichkeit" des Eintritts eines Schadensereignisses unterschieden. Die objektive Möglichkeit liegt zwischen der objektiven Gewißheit und der subjektiven Ungewißheit; sie ist objektiv insofern, als "entweder Bedingungen vorliegen oder nicht vorliegen." 20 Der objektive Charakter der Möglichkeit zeigt sich daran, daß ein "den Tatsachen entsprechendes Urteil" gebildet werden kann, "zu dem jeder ... erfahrene Mensch gleichmäßig gelangt".21 Es handelt sich um eine "Regel", die "einer größeren Zahl von Fällen entnommen" ist. Die Funktion der Institutionalisierung von Wissensbeständen als Grundlage öffentlichen oder privaten Entscheidens wird an der Bezugnahme auf die "Gleichmäßigkeit" des Werturteils deutlich, das den objektiven Charakter der Ereignismöglichkeit begründet. Zwar ist diese vom "Standpunkt der höchsten Einsicht und Sachkunde" zu beurteilen 22, aber letztlich geht es um den "durchschnittlichen Erfahrungsschatz"23, der der Polizei, wenn auch z.T. nur mit Hilfe von Sachverständigen, zugänglich ist. Eine Gefahr, die für niemand erkennbar ist, ist demnach keine Gefahr im rechtlichen Sinne.24 Auch an dieser Stelle wird der praktische Be16

PrOVG 16,125 f.

17

Vgl. zur Ausdifferenzierung des Schutzwürdigkeitsprofils Salzwedel 1991, 46 ff.; vgl. demgegenüber zur Spezifizierung der Vorsorge durch "Besorgnispotentiale" BVerwGE 72, 300, 315 ff. 18 Vgl. zur juristischen Verwendung des Kausalitätsbegriffs Lübbe 1993, 87 ff.; vgl. zum Zusammenhang von Handlung und Kausalität Menzies/Price 1993,187; v. Wright 1975 19

Scholz 1919, 15

2 0

Scholz 1919,15 ff.

21

Scholz 1919, 18

2 2

Scholz 1919, 33

23

Scholz 1919, 19

2 4

v. Müller 1930,92 ff.

2. Gefahrenbegriff, Regelwissen und erlaubtes Risiko im Polizeirecht

13

zug dieser Aussage deutlich: Ein solches Schadensereignis könnte auch von niemand abgewendet werden. Die "Objektivität" der Möglichkeit wird dadurch konstituiert, daß sie sich nicht nur aus "Tatsachen" ergibt, sondern - anders als eine bloße abstrakte Wahrscheinlichkeit - die Besorgnis eines Schadens begründet, die sich aus dem Verhältnis von Wahrscheinlichkeit und möglichem Schadensausmaß ergibt. In der älteren Literatur tritt hier gerade in Grenzfällen, insbesondere bei technischen Gefahren, die nie ganz ausgeschlossen werden können, die Bedeutung einer "Abwägung" des Wertes der Güter und der Interessen zutage, die durch eine Verhinderung der potentiell schädlichen Handlung beeinträchtigt werden können: Dabei spielen wiederum die "allgemeinen Anschauungen" eine Rolle 25 , da die Polizei ein Verhalten verhindern soll, das als "Ausnahme" eine Abweichung von der Regel bildet. Wenn aber der Nutzen der Technik positiv bewertet wird, so stellen ihre Risiken eben eine solche "Ausnahme" nicht dar. Dabei wird - genauer gesagt - nicht einfach zwischen dem Nutzen der Technik auf der einen und ihren Kosten (etwa der potentiellen Zahl der Unfallopfer) auf der anderen Seite abgewogen, sondern auch hier kommt ein normatives Moment in der Unterstellung der Notwendigkeit der Orientierung an den "Regeln" zutage, "für deren Aufrechterhaltung die Polizei zu sorgen hat". 26 Dies sind nicht primär Rechtsregeln, sondern "gemeinsame gesellschaftliche Anschauungen" über die Voraussetzungen des Zusammenlebens, die der Veränderung unterliegen. Dieser konventionelle Charakter des "Regelmäßigen" läßt auch z.B. örtliche Differenzierungen zu: In der Nähe eines Gaswerks ist die durch technische Schutzmaßnahmen nicht zu reduzierende Explosionsgefahr eben nicht "regelwidrig". Die Regelhaftigkeit bezieht sich ex ante auf die Handlungsseite des potentiellen Schadensereignisses. Der gleiche Gesichtspunkt der Institutionalisierung von Erfahrungsregeln, die auf der Grundlage des durchschnittlich verfügbaren Wissens generiert werden, zeigt sich auf der Gegenstandsseite, wenn es um die Bestimmung des Schadens und die Bemessung seiner Höhe geht. Ein Schaden liegt nur dann vor, wenn der normale Bestand eines Rechtsguts beeinträchtigt wird. Dieses Normalitätsurteil ist wiederum nicht nur von rechtlichen Grenzen, sondern im Konfliktfall von den allgemeinen Anschauungen, insbesondere den "ortsüblichen" Erwartungen, abhängig.27 In einem englischen (zivilrechtlichen) Urteil aus dem Jahre 1900 heißt es lapidar, es komme nicht darauf an, ob Rauchbildung eine Störung sei, sondern ob es eine Störung für eine Person sei, die in der Industriestadt Shields lebe.28

Scholz 1919, 32; vgl. aus der anglo-amerikanischen Literatur Silver 1986, 61 2 6

Scholz 1919, 33

2 7

Vgl. nur Säcker, MünchKomm, 2. Aufl. 1986, § 906 BGB Rnr. 84 ff.

2 8

Zitiert nach Silver 1986, 74

14

I. Gefahrenbegriff und Kausalität

Der Rückgriff auf den "normalen" Bestand unterstellt erneut den Mechanismus der Institutionalisierung eines durchschnittlichen Wissensbestandes, der als Handlungsgrundlage dienen kann: Wenn der verfügbare Wissensbestand keine nahe Wahrscheinlichkeit eines Schadens erkennen läßt, gilt die Handlung als nicht gefährlich. Der kurze Überblick läßt erkennen, daß die ältere polizeirechtliche Literatur und Rechtsprechung (aber ähnliches gilt auch für das Zivilrecht 29) die Risiken der Technik und die Grenzen der technischen Erfahrung keineswegs ignoriert. Die Bindung des Gefahrenbegriffs an die Erfahrung und deren Bestimmung als das allgemein zugängliche praktische Wissen schließen die Möglichkeit des Irrtums keineswegs aus. Deutlicher als in neuerer Zeit lassen sich Literatur und Rechtsprechung davon leiten, daß neues Sicherheitswissen nicht durch Blockierung der Technik, sondern durch Lernen generiert werden kann.30 Insofern ist es etwas kurzschlüssig, wenn in der rechtshistorischen amerikanischen Literatur auf die Benachteiligung des passiven Eigentumsgebrauchs und die öffentliche Subventionierung der Industrie durch Verteilung der Kosten ihrer Entwicklung auf die Öffentlichkeit hingewiesen wird 31 , die u.a. durch die immissionsschutzrechtliche Rechtsprechung der Vergangenheit ermöglicht worden sei. Dieser Gedanke ließe sich aber genauer dahin umformulieren, daß soziales Lernen immer einer StoppRegel bedarf, die Handeln auch auf unvollständiger Wissensgrundlage ermöglicht.32 Dies kommt in einer Entscheidung zum common law in seltener Klarheit zum Ausdruck: "Experience has demonstrated that a meddlesome interfering policy represses the spontaneous energy and many-sided activity, whichrises naturally from self-interest and difference of taste and inclinations among men and constitutes the true spring of progress". 33 Im Gegensatz zur vor-rechtsstaatlichen Konzeption, insbesondere dem deutschen Policey-Begriff 34, hat sich das liberal-rechtsstaatliche Denken auf Zukunftsoffenheit eingestellt. Es geht davon aus, daß die handlungsorientierenden, Erwartungsbildung ermöglichenden Wissensbestände, die von den Scharnierbegriffen des Zivilrechts ("Im Verkehr erforderliche Sorgfalt" 35) und des öffentlichen Rechts ("Gefahr") in Bezug genommen werden, "kanonisierte Beispiele" enthalten36, die die Anschlußmöglichkeiten für neues Handeln eröffnen oder verschließen. Im übrigen können "abstrakte" Scha-

2 9

Vgl. dazu Meder 1993, 539 ff.; ders. 1993a, 232

3 0

Vgl. nur Ladeur 1993,209 ff.

31

Vgl. allgemein Hurst 1964

3 2

Vgl. dazu pointiert Wildavsky 1988,17 f.; krit. Krohn/Krücken 1993, 39

33

Holke vs. Herman zit. nach Silver 1986, 81

3 4

Vgl. dazu Maier 1980

3 5

Brüggemeier 1986, Rnr. 106 ff.

3 6

Shafer 1981, 3

3. "Kausalität" als naturwissenschaftlicher und als philosophischer Begriff

15

densmöglichkeiten in Kauf genommen werden, wenn und soweit für gesellschaftlich relevante Zwecke (Technik) daraus gelernt werden kann. 3. "Kausalität" als naturwissenschaftlicher und als philosophischer Begriff Entgegen einer gerade in der Rechtswissenschaft verbreiteten Annahme ist "Kausalität" kein naturwissenschaftlicher Begriff im Sinne einer Beschreibung eines naturgesetzlichen Geschehens.37 "Kausalität" ist im Gegenteil ein Begriff, der stark mit normativen und konventionalisierten gesellschaftlichen Vorstellungen verbunden ist. 38 Dies läßt sich leicht an trivialen Beispielen demonstrieren: Wenn der Täter Τ das Opfer Ο ersticht, so ist eine kaum übersehbare Vielzahl von Bedingungen nicht wegzudenken, ohne daß der Erfolg entfiele, angefangen mit der Zeugung des Täters. Wenn man alle Bedingungsfaktoren hinzunimmt, wird die Zahl der Glieder einer Ursache-WirkungsKette beliebig lang. Kausalität hat primär eine selektive Funktion, sie setzt bestimmte Zurechnungsmuster voraus. Dies läßt sich deutlich in der Gegenprobe an der Beliebigkeit der bloß evokativen Verwendung des scheinbar neutralen und objektiven Kausalitätsbegriffs in der politischen Öffentlichkeit zeigen. Wenn nämlich die Zurechnungsmuster selbst kontrovers werden, werden aus Tätern Opfer, aus Worten werden Taten; alle können sich schließlich darauf verständigen, daß die "Ursachen" irgendwo in der Gesellschaft liegen. Dies hängt damit zusammen, daß Kausalität immer unter dem Aspekt eines möglichen alternativen Ereignisverlaufs über Zuschreibungen konstruiert werden kann.39 Die scheinbar naturwissenschaftliche Konnotation täuscht darüber hinweg, daß es sich um einen vagen Begriff handelt.40 Eine kausale Verknüpfung ist nur dann anzunehmen, wenn sie mit Verzweigungen operiert, die einen "verständlichen Sinn als Quelle weiteren Geschehens ausweisen". Kausalität unterstellt eine "natürliche Stufung von Ebenen der Komplexität und auf jeder von ihnen ein natürliches Netz von Verzweigungen, die für die auf dieser Stufe verlaufenden Vorgänge als Kandidatinnen für den Status der Ursache zu prüfen wären". 41 So weist L. Krüger z.B. mit Recht darauf hin, daß man bei dem oben angegebenen Beispiel zwischen der Ebene für die Handlung (erste Ebene) und etwa der Erziehung einer Person (Meta-Ebene)

Vgl. zur Konstruktion der "adäquaten Kausalität" Lübbe 1993, 87 ff. 3 8

Vgl. zur Entstehung der charakterischen Metaphern, die der Beschreibung der Kausalität dienen, Lübbe 1993a, 370 ff. 3 9

Krüger 1992, 12; Menzies/Price 1993, 187; vgl. auch Rasmussen 1991, 247 ff.

4 0

Davis 1988, 131,148

41

Krüger 1992, 13

16

I. Gefahrenbegriff und Kausalität

unterscheiden muß. Das hängt damit zusammen, daß auch die mit dem Kausalitätsbegriff verbundenen Maßstäbe für das Handeln des Täters wie die staatlichen Sanktionen einen "verständlichen Sinn" und vor allem ein handhabbares Komplexitätsniveau haben müssen. Aber es spielen die in den Institutionen verankerten Erwartungen notwendigerweise eine Rolle, und wenn dies vernachlässigt wird, wird die Konstruktion von Zurechnungen unverständlich. So mag man der Auffassung sein, daß eine Tat nach einer Änderung "der Gesellschaft" schreit, dennoch wird dadurch nicht die Notwendigkeit und der Sinn einer Reaktion auf der "ersten Ebene" ausgeschlossen.42 Außerdem muß die Reaktion auf der zweiten oder der folgenden Ebene mit kaum kalkulierbaren Nebenwirkungen rechnen.43 Hinter dem Kausalitätsmodell und seinen Abstufungen stehen gesellschaftliche pragmatische Bedürfnisse für vereinfachende Zuschreibungen, die Handlungen durch Verteilung von Verantwortung und Handlungsressourcen überhaupt ermöglichen sollen. "Alternative" Kausalitätsmodelle, die Nebenbedingungen und -Wirkungen eines etablierten Modells in Hauptursachen umdefinieren, lassen, wie M. Bunge gezeigt hat, häufig nur eine Überschätzung der Möglichkeit der Steuerung alternativer Handlungsverläufe erkennen, die ganz auf die "Kausalität" der guten Absicht vertraut und unbeabsichtigte Nebenwirkungen nicht in den Blick nehmen oder - ebenso vereinfacht - nur auf böse Absichten zurückführen kann. Dies läßt in umgekehrter Richtung erkennen, daß auch das Konzept der Kausalität zu den praktischen Begriffen gehört, die nur in einem vorfindlichen Erfahrungsrahmen sinnvoll sind, der Optionen und Probleme vorstrukturiert. Ohne diesen Rahmen ist eine Verwendung des Kausalitätsbegriffs sinnlos (dazu näher weiter unten). Der Rahmen selbst ist das emergente Produkt eines kollektiven Prozesses des Operierens mit selbstgenerierten Anschlußmöglichkeiten, die zwar Gegenstand expliziter Deliberation werden können, aber nicht auf deduktive Regeln reduzierbar sind.

4. "Kausalität" und Vertrauen Kausalität ist gebunden an die Vorstellung von Ereignissen, deren Eintritt in Zukunft kontrolliert, d.h. als Typus entweder vermieden oder aber akzeptiert werden kann.44 Eben dieses normative Moment der Kausalität stimuliert gerade in einer Zeit, in der die Kultur ihre Rolle als praktische Orientierungsmacht verloren hat 45 , viele Lesarten, denen die Frage gemeinsam ist, ob 4 2

Krüger 1987, 59

43

Bunge 1979, 156

4 4

Rasmussen 1991, 247; ders. 1991a, 7; Davis 1988, 133, 148

4 5

Bell 1991,21,48, 54

4. "Kausalität" und Vertrauen

17

die Welt auch einem anderen Kausalitäts- oder Handlungsmodell folgen könnte - eine Frage, die natürlich immer zu bejahen ist, wenn nur genug Randbedingungen geändert werden: Wenn alles anders ist, ist alles anders! Dies führt allerdings schnell zu der Frage, ob eine "Theorie das, was sie in ihrem Gegenstandsbereich entdeckt, auch für sich selbst gelten" lassen muß. Die Bejahung dieser Frage provoziert die Überlegung, daß die "endgültige Freigabe des Mediums der Intelligenz" auch die Triftigkeit der "Repräsentation der Welt in der Welt und der Gesellschaft in der Gesellschaft" untergräbt 46 - auch sie könnte anders sein! Das führt zu der Annahme zurück, daß die Bedeutung des Kausalitätsmodells weder in einer "richtigen" Vorstellung über den Natur- oder Gesellschaftszusammenhang noch allein in der normativen Unterscheidung unterschiedlicher Komplexitätsniveaus besteht, sondern ihrer praktischen Fähigkeit zur Organisation von Wissensbeständen und Handlungsverknüpfungen. Diese beruht letztlich in der klassischen Form der Kausalität auf der Unterstellung, daß es nichts Neues in der Welt gibt. 47 Allerdings ist dies - wie noch zu zeigen sein wird - für die Polizeirechtskonzeption durchaus mit Einschränkungen zu versehen. Das Kausalitätsmodell ist eher ein Mechanismus der Ereigniskonstruktion 48 in der Form der Verknüpfung von Ursache und Wirkung, der Relationierung von Unterscheidungen, die in neuen Unterscheidungen verwendet werden können. Die Kausalitätsbeziehung ist emergentes Produkt eines Selbstorganisationsprozesses der Erfahrung, innerhalb dessen Ereignisrelationen durch Ausprobieren auf ihre Fähigkeit zur Bildung abstrakterer Verknüpfungsmuster getestet werden. Durch Stopp-Regeln49 werden Unterscheidungen festgelegt, die das Abtasten von Beziehungsnetzwerken nach weiteren Verknüpfungsmöglichkeiten begrenzen, also Selektion und Variation miteinander verbinden. Dieser Mechanismus der Ereigniskonstruktion ist eine wichtige Form der Bildung praktischen Wissens, das über das Festhalten an und das Prozessieren von stabilisierten und erprobten Mustern erfolgt und den Suchprozeß, wenn auch nur provisorisch, abbricht, sobald ein Muster sich zu bewähren scheint.50 Dieses wird dann durch Stopp-Regeln, die den infiniten Regreß verhindern, aber auch die Knappheit der Zeit berücksichtigen, gegen das unstrukturierte Weitersuchen nach Alternativen und damit die Selbstblokkierung des Entscheidungsflusses praktisch geschützt. In einem liberalen Rechtsstaat bedeutet dies nicht, daß kein Raum mehr für grundsätzliche Zweifel besteht, sondern nur, daß der Zweifel an anderer Stelle institutionalisiert wird (Medienöffentlichkeit, Wissenschaft, Kunst etc.) und die unmittelbare 4 6

Luhmann, 1992, 64, 68

47

Bunge 1979, 209; vgl. auch Luhmann 1991, 98

4 8

Bunge 1979, 196; Silbergeld 1991, 213; vgl. allg. v. Wright 1975

4 9

Rasmussen 1991, 251; vgl. auch ders., 1991a

5 0

Heylighen 1989, 381

2 Ladeur

I. Gefahrenbegriff und Kausalität

18

Verknüpfung mit der die bewährten Unterscheidungen prozessierenden Erfahrung unterbrochen wird. Erst diese Bewahrung von praktischen Unterscheidungen und die Institutionalisierung der Trennung von Praxis und Theorie, die allerdings selbst wiederum durch sekundäre grenzüberschreitende Kooperationsregeln durchlässig gehalten werden muß, ermöglicht die Bildung von Vertrauen, ohne das praktisches Wissen nicht generiert werden kann.51 Das Kausalitätsmodell und seine Abstufungen unterschiedlicher Komplexitätsebenen sowie seine strukturbildenden Stopp-Regeln g e w ä h r l e i s t e n eine Art "default reasoning"52, das innerhalb einer als homogen unterstellten Zeit eine Konnektivität von Ereignissen konstruiert, die auf Wiederholbarkeit angelegt ist. Es operiert mit Normalitäts- und Standardisierungsmustern, denn je mehr Eigenschaften einem Ereignis zugeschrieben werden, desto weniger ist es reproduzierbar. 53 Vollständigkeit und Regelhaftigkeit einer Konstruktion stehen so im Konflikt. Deshalb müssen auch mit unvollständigem Wissen aus dem kontinuierlichen dynamischen Fluß der Realität durch Unterscheidungen/Unterbrechungen neue Unterscheidungen generiert werden, die sich im praktischen Operieren erproben, beobachten und als Anknüpfungspunkte für neue Operationen benutzen lassen. Das Kausalitätsmodell nimmt pragmatische Zuschreibungen vor, es unterstellt die Berechenbarkeit und Wiederholbarkeit von Ereignisketten und die Verantwortung von Ursachen für Wirkungen, damit Erfahrung ermöglicht wird. Es schließt unerwünschte Ereignisketten aus, und damit nach Ansatzpunkten für die Verbesserung künftigen Wissens gesucht werden kann.54 All dies sind gesellschaftliche Unterscheidungen, die mit Hilfe von Stopp-Regeln Einschnitte in den Fluß des Realitätskontinuums vornehmen, indem sie "Ereignisse" definieren und nach Möglichkeiten der Definition von haltbaren Verfahren ihrer Erzeugung suchen.55 Dem liegt eine zwangsläufig selektive Beobachtung zugrunde, die auf die Ermöglichung einer "instrumentellen Rationalität" des Operierens mit und in der Welt zielt und die Konstruktion von gesellschaftlich internen "MikroWelten" gewährleisten soll, die idealtypisch insbesondere durch Einschließung von Naturkräften in ein technisches System der mechanisch kontrollierten Abläufe (Maschine etc.) ihre eigene, auf Wiederholbarkeit angelegte Realisation finden. 56 Beispiel dafür wäre etwa der Bau von Dampfmaschinen: Das technische System hat eine feste Grenze, die es praktisch von der UmWelt isoliert; die Immissionen des Normalbetriebs sind demgegenüber diffus und werden Bestandteil des ununterscheidbaren Flusses der Realität, der nicht 51

Vgl. Rasmussen 1991, 248; vgl. auch Varela 1987, 209 ff.

5 2

Bach 1984, 37 ff.; Sorensen 1991,473 ff.; Walton 1990, 330 ff.; Heylighen 1989, 381 ff.

53

Rasmussen 1991, 248

5 4

Rasmussen 1991, 252

5 5

Vgl. Levi 1984, 112, 118; vgl. auch Bunge 1979,196

5 6

Rasmussen 1991, 250

4. "Kausalität" und Vertrauen

19

einem Urheber zuzurechnen ist. 57 Der Eintritt des "Störfalles", die Durchbrechung der Grenze, das unbeabsichtigte Auslösen schädlicher Ereignisketten (z.B. die Explosion eines Druckkessels), ist damit nicht ausgeschlossen, aber, soweit er "normalerweise" durch die entsprechend dem verfügbaren Wissen erfolgende Konstruktion und Kontrolle des technischen Systems vermieden werden kann, er ist weder auf alternatives, ereignisvermeidendes Handeln des Betreibers noch auf ein konkret gefährdetes Rechtsgut zurechenbar. Die Gefahr bleibt nach der einen wie nach der anderen Seite abstrakt. Dies ist die prospektive Sichtweise des öffentlichen Rechts, das entweder im Genehmigungsverfahren oder bei der Entscheidung über das Einschreiten gegen ein gefährliches Handeln mit hypothetischen Kausalverläufen operiert. Diese Sichtweise wird durch das Zivilrecht, das die Zurechenbarkeit des regelwidrigen schädigenden Ereignis Verlaufs prüfen muß, retrospektiv ergänzt.58 Die dabei beobachteten Regelwidrigkeiten können ihrerseits wieder zurückübersetzt werden in die Normalitätserwartungen des prospektiv urteilenden Polizeirechts. Dieses Kausalitätsmodell läßt sich sicher heute als Ausdruck eines Willens zur Unterwerfung und "Nutzbarmachung der Natur" kritisieren 59, und zwar angesichts der sich aufdrängenden Umweltveränderungen nicht ohne Plausibilität. Aber gerade der hier skizzierte konstruktive Charakter der Kausalität läßt deren Bindung an ein Modell der Gesellschaft und des Individuums erkennen, das von der Erschütterung der Haltbarkeit der Ordnung durch Kausalität auf eine viel grundsätzlichere Weise erfaßt wird, als dies in der aktuellen Wendung zu einer Naturphilosophie oder dem moralisch reflektierten Respekt vor der Natur zum Ausdruck kommen kann.60 Die instrumenteile Rationalität dieses Ordnungsmodells ist kulturell begründet in der Selbstaufklärung des Menschen, dem Versuch, äußere "fremde" Zwänge zurückzudrängen und die Vernunft der (Selbst-)Beherrschung auf die Herrschaft der objektiven Gesetze und Gesetzmäßigkeiten zu gründen.61 Die instrumentelle Rationalität war auch für das Selbstverständnis der bürgerlichen Gesellschaft und das Verhältnis von Privatem und Öffentlichem 62, von Partikularem und Allgemeinem von fundamentaler Bedeutung. Die instrumentelle Vernunft hat immer ihre eine Seite in der (Fremd-)Beherrschung der Natur und ihre andere Seite in der (Selbst-)Beherrschung der Gesellschaft und der Individuen durch 5 7

Rasmussen 1991, 250; Luhmann 1991,17

Vgl. zum Verhältnis von technischem Sicherheitsrecht und zivilrechtlicher Haftung nur Ladeur 1993b, 1303 m.w.N.; Kloepfer 1991,339, Medicus 1991, 345 5 9

Beck 1986, 26

6 0

Vgl. Böhler 1991, 999 ff.; vgl. allg. Böhme 1992; vgl. die differenzierte Kritik "ökologischer" Lesarten der Moral Groh/Groh 1993, 965 ff. 61

Spitz 1991, 723 ff.

6 2

Vgl. dazu Seligman 1992

20

I. Gefahrenbegriff und Kausalität

objektive (von den Individuen zu verinnerlichende) Regelmäßigkeiten gehabt. Die gesetzmäßige Beherrschung der äußeren Natur hatte ihr Spiegelbild in der Selbstauferlegung von Regeln für die innere Natur des Menschen.63 Die bürgerliche Gesellschaft basierte ihrerseits auf grundlegenden Unterscheidungen, die das Individuum aus der Bindung an die ununterschiedene Kontinuität des Gegebenen und der Religion (Bindung an den "fremden" Willen) herauslösen und es zum Zentrum einer neuen Universalität machen sollte, die in der Unterscheidung von Öffentlichem und Privatem ihren Sinn fand. Die - wie sich noch zeigen wird - durchaus berechtigte Kritik an der Haltbarkeit des Kausalitätsmodells kann jedenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, daß ein unmittelbares Verhältnis zur Natur nicht mehr möglich ist - und dementsprechend auch ein unmittelbares Verhältnis der Menschen zu sich selbst keine denkbare Alternative ist. Man mag auch annehmen, daß der Modernisierungsprozeß, der weitgehend auf dem Operieren mit dem Kausalitätsmodell basiert hat, "reflexiv" wird und werden muß 64 , wenn die Dynamik der Technik sich selbst autonomisiert. Aber dann muß man auch fragen, ob und wieweit dieser Prozeß nicht die kulturellen, theoretischen und politischen Möglichkeiten der Gesellschaft affiziert, sich selbst zum Thema und Problem zu werden. Konsequenterweise drängt sich dann die Frage auf, ob die Gesellschaft durch die Ablösung von der instrumentellen Rationalität und der hierarchisch gestuften Gesetz- und Regelmäßigkeit der Ordnungsbildung ihr Reflexionszentrum selbst einbüßt: Das Individuum hatte seine Handlungs- und Denkfähigkeit aus der Selbstüberwindung des Gegebenen und der Selbstbindung an universelle Gesetze und Gesetzmäßigkeit gewonnen. Was aber tritt an die Stelle der "universellen Natur" des Individuums, wenn sie sich in einem weiteren Evolutionsschritt von dieser Selbstbindung befreit? Eine Antwort, die auf die prozedurale Diskursrationalität 65 der im Vorgriff auf Herrschaftsfreiheit erfolgenden intersubjektiven Kommunikation oder vordergründig auf "Demokratisierung" 66 der Selbstaufklärung über komplexe Gefährdungslagen verweist, kann kaum als ausreichend angesehen werden. Natürlich läßt sich die Selektivität des Kausalitätsmodells und der instrumentellen Rationalität entlarven, ihre Grenzen treten ja auch offen zutage! Aber was ist von einer Alternative zu halten, die alle "Folgen und Gestaltungsspielräume der Mikroelektronik, der Gentechnologie usw." zum Gegenstand einer "Grundsatzentscheidung" machen will, die eine "Entgrenzung des Politischen" und, allgemeiner, eine "Entdifferenzierung" durch gesellschaftliche "Strukturdemokratisierung", durch "universalisierte Bürgerwiderständigkeit

63

Vgl. Krüger 1987, 64

6 4

Beck 1986, 26

6 5

Habermas 1992, 17 ff., 151, vgl. allgemein auch Peters 1993; Maus 1992

6 6

Beck 1986, 65 f.

4. "Kausalität" und Vertrauen

21

im Sinne von aktiver Mit- und Gegenwirkung" fordert? 67 Was bleibt vom "Selbst" der "Selbstgestaltung", wenn es um die Universalität des selbst auferlegten Gesetzes verkürzt wird und sich nur noch durch negative Abgrenzung von den Zwängen der universellen Rationalität definieren kann? (Darauf wird weiter unten noch zurückzukommen sein). Festzuhalten ist, daß das Kausalitätsmodell eine äußerst voraussetzungsvolle Form des Operierens mit und des Generierens von unvollständigem Wissen ist, das unter den paradoxen Bedingungen der Unentscheidbarkeit durch Stopp-Regeln des Suchens Entscheidbarkeit ermöglicht hat. Es handelt sich um ein ordnungsbildendes Paradigma, das in verschiedenen Varianten der Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Politik, Recht und Kultur einer modernen Gesellschaft institutionalisiert ist und deren Einschränkung oder gar Beseitigung weitaus folgenreicher ist, als dies in der sich darauf antithetisch fixierenden Kritik erkannt wird. Im folgenden soll zunächst das Konzept der Wahrscheinlichkeit, das in der rechtlichen Praxis eng mit dem Kausalmodell verknüpft ist, näher untersucht werden.

6 7

Beck 1986, 368 ff.

II. "Gemeinsames Wissen" zwischen praktischer Konventionsbildung und vernünftigem Konsens

1. Wahrscheinlichkeit und praktisches Handeln Der Begriff der Wahrscheinlichkeit hat sich, obwohl alle seine einzelnen Elemente schon früh entwickelt waren, erst sehr langsam während des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt.1 Dies hängt wohl damit zusammen, daß die Kontingenz, mit der die Wahrscheinlichkeit rechnet, im klassischen Kausalitätsmodell auf der Ebene der Individualität immer schon akzeptiert, von der höheren Stufe der Gesetzmäßigkeit aber getrennt gehalten worden ist und daneben Systeme mit inhärenter Instabilität unterschieden wurden. Bei aller Betonung der Bedeutung der Kenntnis von Naturgesetzen als Mittel der Naturbeherrschung und des engen Verhältnisses zwischen Technik und Naturerfahrung darf doch nicht verkannt werden, daß das Denken insbesondere des 19. Jahrhunderts keineswegs von der Vorstelldung einer umfassenden Herrschaft des Menschen über die Natur bestimmt war: Diese Vorstellung verband sich zwar mit der Entwicklung von Modellen und technischen MikroWelten, deren Kehrseite aber immer die ausgeschlossene chaotische Natur blieb, deren Gewalt ihrerseits oft genug die Barrieren der Ordnung durchbrach. Diese nicht hintergehbare Abhängigkeit des Menschen von der Natur, die sich gerade in "Naturkatastrophen" (Epidemien, Dürren, Brände, Überschwemmungen, Stürme, Kälte, Hitze etc.) immer wieder schmerzlich zeigte, ist von der bürgerlichen Naturphilosophie nie verdrängt worden. Die chaotische Natur wurde nur von den durch den Menschen (insbesondere durch die Technik) domestizierbaren Kräften durch eine Grenze des Denkens scharf getrennt, was aber Grenzüberschreitungen nicht ausschloß. Aber jenseits dieser Grenze des beherrschbaren Teils der Natur wurde das Chaos lokalisiert, das sich zwar nicht der Beschreibbarkeit durch Naturgesetze, aber doch der Unterwerfung unter das Kausalitätsmodell entzog, weil aufgrund des Zusammentreffens so vieler Faktoren (und sogar einer Pluralität von Gesetzmäßigkeiten) die Bildung eines kausalen Normalitätsmodells und die Zuordnung zu

1

Hacking 1990, 169; Krüger 1987,59; vgl. allg. auch Ewald 1986

1. Wahrscheinlichkeit und praktisches Handeln

23

den hierarchischen Abstufungen der Komplexitätsebenen sowie den darauf zu lokalisierenden Verzweigungen ausgeschlossen erschien.2 Die entscheidende Besonderheit des Denkens des 18. Jahrhunderts besteht in dieser Hinsicht gerade darin, daß es sich durchaus der Durchbrechung der technisch gestifteten Ordnung durch das Chaos der Natur vorstellen konnte, aber nicht in umgekehrter Richtung eine Störung der Natur etwa durch Emissionen des Normalbetriebs oder durch Unfälle. Gerade weil das Chaos von einer unübersehbar großen Zahl von Faktoren und Gesetzmäßigkeiten geprägt zu sein schien, war die Vorstellung einer Störung dieses Chaos durch gesellschaftlich erzeugte Unordnung nicht denkbar. Auch innergesellschaftlich Schloß die Konstruktion universeller Gesetzmäßigkeiten und die instrumentelle Rationalität als ihre Kehrseite nicht das Chaos und die Irrationalität insbesondere in der Massengesellschaft aus, die durch Aufhebung der Grenzen der Individualität gekennzeichnet war. Auch dies ist eine der traumatischen Vorstellungen gerade des 19. Jahrhunderts.3 Aber auch hier gilt, daß es eine scharfe Grenze zwischen der Ordnung der Vernunft und dem Chaos der von Leidenschaften und Unvernunft getriebenen nicht-individuellen Massenbewegungen gibt. Die Herausbildung der Wahrscheinlichkeit bereitet dem natur- und sozialwissenchaftlichen Denken des 19. Jahrhunderts deshalb so große Schwierigkeiten, weil sie letztlich zu einer Relativierung dieser in den gesellschaftlichen Wissenssystemen institutionalisierten Grenze zwischen Ordnung und Unordnung zwingt. Die Anerkennung von Wahrscheinlichkeit als eines eigenständigen Begriffs zwischen der Kausalität (im engeren Sinne) und der Unordnung akzeptiert die Möglichkeit, daß es Systeme gibt, die einerseits so komplex sind, daß sie eine Vielfalt von Verzweigungspunkten für unterschiedliche Ereignisabläufe zulassen (also nicht auf eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehungen festgelegt sind) und andererseits dennoch innerhalb einer gewissen Schwankungsbreite stabil bleiben.4 Das Wahrscheinlichkeitsmodell setzt in seiner engeren mathematischen Variante voraus, daß alle Möglichkeiten bekannt sind:5 Man erntet einen Apfelbaum ab, stellt Zahl und Größe aller Äpfel fest und errechnet dann das wahrscheinliche Gewicht eines Apfels, den man blind einem Korb entnimmt. Diese Variante ist aber für gesellschaftliche, insbesondere rechtliche Entscheidungsprobleme nicht hilfreich, weil die Grundgesamtheiten, denen typisierte Ereignisse zugerechnet werden können, prinzipiell nicht abgeschlossen sind.6 Schon bei der Beschreibung 2

Bunge 1979, 276

3

Gauchet 1979,451 ff.

4

Krüger 1987, 81, vgl. allg. auch Hacking 1990

5

Kyberg 1990,41 ff.

6

Kyberg 1980,162

24

II. "Gemeinsames Wissen": praktische Konventionsbildung und vernünftiger Konsens

des Kausalitätsmodells zeigt sich, daß die Beschreibung verknüpfbarer Ereignisse nicht nach einer vollständigen Liste von Eigenschaften erfolgen kann.7 Es muß eine Normalisierung oder Typisierung erfolgen, weil anders eine Regelmäßigkeit nicht festgestellt werden kann. Bei der Bildung der Referenzgruppen von Ereignissen, deren Wahrscheinlichkeit abzuschätzen ist, stößt man auf das entsprechende Problem der Wahl und Abgrenzung der richtigen Grundgesamtheit, die sowohl im Hinblick auf die Zurechnung von Eigenschaften als auch die Zahl der zuzuordnenden Ereignisse nicht festgelegt ist. Auch hier muß auf Normalisierung und Typenbildung unter Vernachlässigung bestimmter Faktoren zurückgegriffen werden. Dieses Problem ergibt sich bei jeder Zusammenstellung einer Statistik. Eine Relativierung der Begriffsbildung im Verhältnis zum Kausalitätsmodell zeigt sich auch bei der Interpretation der Zuordnung eines Ereignisses zur Referenzgruppe: Der Wahrscheinlichkeitsannahme liegt kein Mechanismus der "Ereigniserzeugung" zugrunde, sondern die Feststellung eines Beitrags zur Häufigkeit des Auftretens eines typisierten Ereignisses8, also gerade keine eindeutige Ursache-WirkungsKette. Diese inhärente Vagheit des Wahrscheinlichkeitsbegriffs hat in der theoretischen Diskussion zu Auseinandersetzungen darüber geführt, ob Wahrscheinlichkeit - wie früher auch in der juristischen Literatur angenommen ein objektiver, auf eine relative Häufung von Ereignissen basierender Begriff ist oder ob er die Verteilung subjektiver Glaubensvorstellungen der Beobachter, insbesondere von Experten, zum Ausdruck bringt ("Wette")9. Auf diese wahrscheinlichkeitstheoretische Frage braucht nicht näher eingegangen zu werden, weil es hier - ebenso wie bei der Darstellung des Kausalitätsmodells - nur um die juristische Lesart des Wahrscheinlichkeitsmodells geht, die auf Entscheidungs- und Zurechnungsprobleme eingestellt ist - im öffentlichen Recht in prospektiver Hinsicht, im Zivilrecht retrospektiv. 10 In dieser praktischen Variante des Wahrscheinlichkeitsmodells geht es um die Generierung von Stopp-Regeln, die unvollständiges Wissen als mögliche Entscheidungsgrundlage institutionalisieren können. Die Offenheit der Grundgesamtheit, zu der die Zuordnung z.B. eines zu prüfenden Druckkessels erfolgen muß, wird systematisch zur Dynamisierung entscheidungsbezogener Wissensbestände benutzt (dies ist anders als im Kausalitätsmodell, innerhalb dessen die Abweichung von einem unterstellten Mechanismus der "Ereigniserzeugung" als systemwidriger, zur Korrektur zwingender Irrtum erscheint): Ein vergrößerter Druckkessel wird der Referenzgruppe der bisher üblichen zugeordnet, obwohl über Materialermüdung bei vergrößerter Oberfläche, längeren Schweißnähten etc. noch kein vollständiges Wissen vorliegt. Es ist 7

Rasmussen 1991, 249 f.

8

Guidoni 1992, 103

9

Hammitt 1990, 31

10

Vgl. nur Ladeur 1993b, 1303 ff.

1. Wahrscheinlichkeit und praktisches Handeln

25

nicht ausgeschlossen, daß diese Zuordnung sich als falsch erweist und die Oberflächenkonsistenz nur bei einer mehr als proportionalen Verstärkung der Kessel wände wie in der Grundgesamtheit erhalten bleibt. Dennoch wird hier eine Genehmigung erteilt, weil die Stopp-Regel des "default reasoning" 11 die These, daß keine grundsätzlich andere Referenzgruppe gewählt werden muß, aufgrund der bisherigen Erfahrung als plausibel erscheinen läßt und die Beibehaltung von Unterscheidungen oder - Nicht-Unterscheidungen zuläßt wenn auch ggf. nur mit einem Risikozuschlag (vorsichtshalber werden die Wände, wenn man mit anderen Materialien schon ähnliche Erfahrungen gemacht hat, doch leicht überproportional verstärkt). Dem liegt die (theoretisch nur sehr allgemein durch eine abstrakte Wahrscheinlichkeitsannahme zweiter Ordnung abgestützte) Erwartung zugrunde, daß die wiederum provisorische Fortschreibung der Zuordnungskriterien einer Referenzgruppe auch im Irrtumsfall zu einer Verbesserung des Wissens, d.h. hier zu einem Sicherheitsgewinn führt. In Zukunft wird man wissen, daß die Verstärkung der Wände überproportional erfolgen muß. Festzuhalten ist also für rechtliche Verwendung von Kausalitätsannahmen, daß es hier um eine offene Klasse typischer Ereignisverläufe geht, die nur unvollständiges Wissen für Entscheidungsverfahren liefern kann, und daß dieses Wissen zur Bildung "kanonisierter Beispiele"12 benutzt wird - nicht mehr, aber auch nicht weniger. An diese Beispiele lassen sich neue Varianten anschließen, deren Erprobung entweder die Haltbarkeit des Entscheidungswissens bestätigen oder aber dessen Differenzierung oder Revision durch die Abwandlung der Grundgesamtheit nahelegen. Die Wahrscheinlichkeitsregel zweiter Ordnung 13, die es zuläßt, auf die weitere Suche nach neuem Wissen zu verzichten und statt dessen ein bewährtes Muster zu Anschlußzwecken zu benutzen, basiert auf der Annahme, daß die "kanonisierten Beispiele" nicht grundsätzlich widerlegt werden. Es wird sich nicht plötzlich herausstellen, daß eine mögliche Explosion ganz überproportional hohe Schäden hervorruft oder mit überproportional hoher Wahrscheinlichkeit eintritt. Näher liegt die Annahme, daß im Irrtumsfall eine leichte Variation der Wissensbasis erforderlich wird, die für künftige Entscheidungen benutzt werden kann. Diese Wahrscheinlichkeitsannahme zweiter Ordnung variiert die das Kausalitätsmodell tragende Vorstellung, daß es nichts grundsätzlich Neues gibt, auf eine flexible Weise. Die Funktionsweise des Wahrscheinlichkeitsmodells wird durch die dezentrale Technikentwicklung erleichtert: Der neue größere Druckbehälter wird nicht in einer überdimensionierten Variante gebaut, die Schadensmöglichkeiten extrem konzentriert, sondern in einer allmählichen Steigerung der Größenverhältnisse weiterentwickelt. Dadurch ist Lernen für 11

Heylighen 1989, 381; Bach 1984, 37 ff.

12

Shafer 1981, 3

13

Vgl. Applegate 1991, 283 ff.; 322 ff.; Page 1978, 207

26

II. "Gemeinsames Wissen": praktische Konventionsbildung und vernünftiger Konsens

künftige Entscheidungsvarianten möglich und Irrtumskosten werden durch Dezentralisierung der Entscheidungen und der Risiken zerstreut und begrenzt. Für das Verständnis des Wahrscheinlichkeitsurteils in rechtlichen Entscheidungsverfahren ist die Feststellung wichtig, daß es um die Ermöglichung von Entscheidungen auf unvollständiger Wissensbasis einerseits und die Generierung neuen Risikowissens durch praktisches Handeln andererseits geht. P. Livet 14 hat darauf aufmerksam gemacht, daß es zur Praxis von Regeln und Regelmäßigkeiten gehört, getestet, d.h. überschritten zu werden und neue Variationen zuzulassen, die die Schwankungsbreite des Normalen und die Haltbarkeit eines unterstellten Gleichgewichts erproben. Die "Spielregel" hat danach keinen Sinn außerhalb ihrer eigenen Praxis und diese basiert unter Bedingungen unvollständigen Wissens auf der permanenten Zufuhr von Perturbationen. Dies führt letztlich darauf zurück, daß eine Gesellschaft, die sich auf die Offenheit ihrer Ziele eingelassen hat, auf die Fähigkeit der Individuen vertraut, nicht-zweckorientierte allgemeine Regeln zu verinnerlichen und aufgrund des über eine Vielheit von Beteiligten zerstreuten Wissens Entscheidungen zu treffen, deren Wissensbasis nicht zentral verfügbar oder aggregierbar ist. 15 Darüber wird die Erzeugung von Ordnung aus Selbstorganisationsprozessen erwartet. 16 Gerade in einer nicht-hierarchischen offenen Gesellschaft sind aber auch Verfahren der Koordination gemeinsamer Wissensbestände und Stopp-Regeln für die Suche nach dem Neuen erforderlich 17, die unterhalb der rechtlichen Fixierung konventionalisiert werden müssen. Hier wird ein kollektiver Effekt erzeugt, der Entscheidungen unter unvollständigem Wissen, insbesondere auch durch Imitation, durch Anschluß an ein "gemeinsames Wissen" erlaubt und damit entlastende Wirkung hat. Die Referenzklasse von Ereignissen, auf die sich ein Wahrscheinlichkeitsurteil bezieht, ist in rechtlichen Entscheidungsverfahren in der einen oder anderen Weise offen und soll gerade dadurch Anschlußmöglichkeiten für Variationen bieten, deren Neuheitsgrad selbst nicht genau beschreibbar ist. Letztlich geht es um die Zufuhr neuen Wissens durch Generieren von Zufällen, deren Streubreite aber zugleich durch das Vertrauen in die orientierungsbildende Kraft der "kanonisierten Beispiele" und die dadurch bestätigte Erfahrung begrenzt wird. Vor allem die erhöhte Bedeutung der technik-bezogenen Entscheidungen von Verwaltungsbehörden erfordert eine der Dynamisierung des Wissens angepaßte komplexe Organisation der Entscheidung, die zunächst mit der systematischen Einführung prophylaktischer Genehmigungsverfahren, insbesondere für technische Anlagen, geschaffen wurde. Er14

Livet 1981, 436, 445

15

Ege 1992, 1007 f. v. Hayek 1986, 27 ff.; vgl. dazu auch Bouillon 1991, 93

16

Ege 1992, 1016

17

Orléan 1989, 63, 75; vgl. auch ders. 1985, 133 ff.; Dupuy 1992, 91 ff.; Thévenot 1989, 147 ff.; Favereau 1989a, 273 ff.

2. Erwartungsbildung und Konventionen

27

fahrungswissen breitet sich nicht mehr kontinuierlich und allmählich in der Öffentlichkeit aus, sondern bedarf der Systematisierung, des Vergleichs, der Revision. Diese Funktion wird nicht zuletzt von administrativen Genehmigungsverfahren übernommen. Wie oben gezeigt, erfolgt die Herausbildung von Erfahrungen zwar über einen sich selbst verstärkenden Prozeß der Selbstorganisation und der Selbststabilisierung, aber dessen Entwicklung kann aufgrund der steigenden Zahl von Variationen der "kanonisierten Beispiele" und der darüber erzeugten Dynamik nicht mehr ohne systematische Beobachtung, Kontrolle und Verteilung durch behördliche Verfahren erfolgen. Dies gilt vor allem auch, weil die Behörden ohne ein Antragsverfahren nicht über ausreichende Informationen verfügen können. Auch die zulässige Schwankungsbreite der Zufuhr neuen Handlungswissens durch Zufallsvariationen läßt sich nicht mehr ohne weiteres über spontane gesellschaftliche Konventionsbildung allein bestimmen und begrenzen.18 Erfahrung und Probehandeln der an der Entwicklung und Stabilisierung der Technik beteiligten Gruppen sind als Träger der praktischen Wissensbestände im Angesicht einer sich schnell entwikkelnden Technik überfordert. 2. Erwartungsbildung und Konventionen Die anthropozentrische Kategorie der "Herrschaft" über die Natur, die sich mit dem Kausalitätsmodell verbindet, hat ihre Berechtigung darin, daß sie in einem frappierenden Entsprechungsverhältnis zu Begriff und Verständnis der politischen und gesellschaftlichen Macht steht. Auch Macht wird erst möglich, wenn durch "Hierarchien und Stufungen" 19 eine Struktur geschaffen wird, an der sich Zustimmung und Ablehnung durch Akzentuierung unterschiedlicher Verzweigungsmöglichkeiten orientieren können. Mit der Ablösung vom "fremden" Willen (Gottes) durch den "Nomos", der das Chaos von der Ordnung trennt 20, tritt auch innergesellschaftlich eine im Maße der Universalisierung und Artifizialisierung steigende Selbstreferenz und Selbstreflexivität der gesellschaftlichen Ordnung zutage: Der Verlust des "Jenseitsvertrauens"21, die Abschaffung der "Gegebenheit" der Ordnung hat einen Zuwachs an Komplexität herbeigeführt, deren Frucht einerseits die großen naturwissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Gesetzeskonzeptionen gewesen sind, die andererseits aber immer von der Gefahr der Übersteigerung der Selbstverfügung über Ordnung bis hin zur Selbstzerstörung begleitet war. Die

18

Rasmussen 1991, 255

19

Meyer 1993, 208

2 0

Chasseguet-Smirgel 1989, 177

21

Meyer 1993, 207

28

II. "Gemeinsames Wissen": praktische Konventionsbildung und vernünftiger Konsens

Souveränität der Setzung einer auf Entscheidungen gründenden Ordnung 22 wird begleitet von einem Negativ-Bild der Souveränität in der Form der "Verschwendung"23, der Verabschiedung von jeder 'diachronen' Verantwortlichkeit 24 , einer Souveränität, die sich auf den "Ausnahmezustand" fixiert. Die beiden konfliktorischen Momente, die gesellschaftliche Ordnung und ihr ausgeschlossener Teil, das Chaos, bleiben in einer Gesellschaft, die sich auf nicht-teleologische Selbstbewegung der Unbestimmtheit eingelassen hat 25 , unauflöslich miteinander verbunden. Das Spannungsverhältnis kann nur pragmatisch in rechtsstaatlichen Institutionalisierungen abgearbeitet werden, die dem Oszillieren von Ordnung und Unordnung in einer "Kombinatorik sicherer und unsicherer Erwartungen" Raum geben26, oder aber apokalyptisch zugespitzt werden. Aber die Grenzen zwischen Ordnung und Chaos bleiben in der Natur wie in der Gesellschaft immer labil, da beide aneinander gebunden sind und die Ordnung sich stets mit dem Neuen, dem Ungewissen und Unbestimmten, auseinandersetzen muß. Das Chaos muß "gespalten", die so vorgenommene Unterscheidung in das schon Unterschiedene wieder eingeführt werden. 27 Wenn die Evidenz des Gegebenen grundlos wird, müssen Institutionen und Konventionen an ihre Stelle treten. 28 Die Paradoxie der Wiedereinführung von Unordnung in eine dem Anspruch nach explizit verfügbare Ordnung wird im Rechtsstaat dadurch abgespannt, daß sich gerade durch die "Anwendung" der jeweils normierten Regeln ein variables implizites, an ein Netzwerk von Beziehungen gebundenes zerstreutes Wissen bilden kann, das auf die punktuelle Ergänzung und Fortschreibung durch Praxis, durch Variation von Fall zu Fall angelegt ist und dadurch beweglich bleibt, daß es nirgendwo hierarchisch verfügbar ist. 29 Anders als das hierarchisch organisierte gesetzesförmige Ordnungswissen ist das an "überlappende Netzwerke" 30 gebundene situative Wissen von vornherein nicht nur ausnahmsweise, sondern kontinuierlich auf Erweiterung und Änderung angelegt. Diese Fähgkeit zur Selbstmodifikation ergibt sich daraus, daß das situativ-vernetzte Wissen von vornherein als unvollständig vorausgesetzt und auf Lernen am Erfolg angewiesen ist. Es orientiert sich über die 2 2

Vgl. zu dieser Komponente im Denken von Carl Schmitt "Der Begriff des Politischen", 1963; dazu Meyer 1993, 135 ff.; 166 ff. 2 3

Vgl. nur Bataille 1985

2 4

Meyer 1993, 207

2 5

Ege 1992, 1013

2 6

Bolz 1992, 172

2 7

Bolz 1992,11

2 8

Bolz 1991, 55

2 9

Polanyi 1969, 133

3 0

Polanyi 1966, 72

2. Erwartungsbildung und Konventionen

29

Nachahmung31, es gewinnt seine Kraft aus der Selbstbestätigung der Gemeinsamkeit eines Wissens, das Vertrauen ermöglicht, aber nicht in explizite Gesetzmäßigkeiten überführt werden kann. Dieses Wissen ermöglicht die Suche nach dem Neuen und begrenzt sie zugleich durch Stopp-Regeln, die es für die Bewältigung des Zwangs zur Entscheidung unter Zeitdruck benötigt. Es operiert mit pragmatischen Optimierungsregeln 32, die brauchbare, nicht notwendigerweise richtige Entscheidungen unter unvollständigem Wissen zulassen. Das praktische Wissen muß zunächst die ihrerseits unvollständigen Rahmenvorgaben unterstellen, mit denen wir Probleme "erzeugen"33 und Optionen entwickeln, die als mögliche Teillösungen von Problemen gelten können. Dem liegen kontextunabhängige Glaubensvorstellungen ebenso wie kontextabhängige Absichten zugrunde34, die die Stopp-Regeln bilden, mit denen die eigentliche Entscheidung über Optionen strukturiert wird. Erst auf dieser Stufe werden Gründe, Konsistenzanforderungen, Abwägungserfordernisse und andere Argumentationsregeln der "praktischen Vernunft" relevant. 35 Die Grundstruktur der Absichten (Pläne) und der als Stopp-Regeln fungierenden Glaubensannahmen fungiert als ein "Filter" 36 für die potentiellen Problemlösungen und ermöglicht wegen ihrer Langzeitorientierung erst die Deliberation über Entscheidungen, die in der traditionellen Entscheidungstheorie (auch in der juristischen) ganz im Vordergrund steht.37 Die vielfältige Öffnung in die Zukunft, die das praktische Wissen (im Gegensatz zum Gesetzeswissen) enthält, ist nur möglich, wenn sie zugleich durch praktische Stopp-Regeln beschränkt wird, die den kontinuierlichen Fluß der Entscheidungen ermöglichen. Dabei spielt die Nachahmung, wie erwähnt, eine große Rolle, und zwar sowohl im Hinblick auf Personen als auch im Hinblick auf Handlungsmuster: Die Zukunftsorientierung des praktischen Wissens versucht etwa bei ökonomischen Entscheidungen herauszufinden, "was der Markt denkt" 38 , und dabei spielt der Mechanismus der sich selbst erfüllenden Prophezeiung eine große Rolle. Sie fungiert als ein Verfahren der Bindung von Ungewißheit. Der Versuch, andere zu imitieren, kann dazu führen, daß sich ein neues Muster herausbildet, an dem sich Erwartungen stabilisieren lassen.39

31

Orléan 1989, 90

3 2

Sorensen 1992,474; Bach 1984, 37 ff.

33

Bratman 1992, 1 ff.; vgl. auch Munier 1991, 233 ff.; ders. 1989, 100; Tversky/Kahneman 1992, 297; vgl. auch J. Simon 1993, 23 ff. 3 4

Bratman 1992, 10

35

Walton 1990, 330

3 6

Bratman 1987, 35 f.

3 7

Vgl. Klosko 1993,348 ff.

3 8

Chanier 1992, 71

39

Chanier 1992, 77; Orléan 1989, 90

30

II. "Gemeinsames Wissen": praktische Konventionsbildung und vernünftiger Konsens

Dies zeigt sich auch an der Funktion des Geldes, dessen Hauptbedeutung in der Ermöglichung des Zugriffs auf die Zukunft besteht. Dies ist dadurch möglich, daß eine "Fiktion" an die Stelle von Ansprüchen auf Waren treten kann, die erst erzeugt werden sollen.40 Es entsteht so ein gemeinsamer Referenzpunkt, ein gemeinsames (unvollständiges) Wissen, daß erst die Koordination von Handlungen durch den Vorgriff auf künftiges Wissen erlaubt. Die Möglichkeit der Nachahmung ermöglicht Orientierung unter Ungewißheitsbedingungen41; gemeinsames Wissen erzeugt Vertrauen als kollektives emergentes Phänomen.42 Anders als die Tradition, die auf unveränderte Reproduktion angelegt ist (und sich doch unmerklich verändert), ist das gemeinsame Wissen in dynamischen Gesellschaften von vornherein beweglich, aber diese Beweglichkeit darf nicht ins Chaos abgleiten. Dies wird durch die Zerstreuung über ein vielfältiges Netzwerk von Beziehungen und die Rückbindung des Wissens an die Anschlußmöglichkeiten dieses Netzwerkes gewährleistet. Festzuhalten ist aber, daß dieses Netzwerk auf die Generierung neuen Wissens für das Entscheiden unter Ungewißheitsbedingungen angelegt ist. Dessen Natur wird etwa dann verfehlt, wenn eine Regierung versucht, den Geldwert zu manipulieren und damit die Eigenbewegungen kollektiver Selbstorganisationseffekte unterschätzt. Bis zu einem gewissen Grad kann natürlich die "Geldillusion" beeinflußt werden, weil der fiktive Charakter des Geldes für die Bildung und Koordination von Zukunftserwartungen äußerst wichtig ist, aber um so unberechenbarer ist das Risiko des Zusammenbruchs des Vertrauens in die Zukunftserwartungen, wenn die Eigenbewegung des Geldes mehr und mehr zu Enttäuschungen führen. Das Geld kann in einer nicht-teleologischen Gesellschaft geradezu paradigmatisch für die Notwendigkeit stehen, Zukunftserwartungen zu binden, denen kein eindeutig verfügbares Wissen entspricht. Individuen müssen in einer Gesellschaft, die nur einen indirekten Zugriff auf die ökonomische Produktion hat, sich nicht nur daran orientieren, was bisher gelernt worden ist, sondern müssen sich auch fragen, was andere tun werden. 43 Das Geld nimmt die Form einer Konvention an, die Entscheidungen unter Ungewißheit dadurch ermöglicht, daß es dem Individuum erlaubt, sich als Akteur seinen Handlungen gegenüber mindestens partiell als Beobachter zu verhalten 44, der aus den Erfahrungen und Verhaltensweisen der anderen ein Modell zu gewinnen versucht, an dem er seine Handlungen orientieren kann und dadurch zugleich auch für die anderen beobachtbar wird. Der Handelnde 4 0

Orléan 1989, 63, 75; Schumpeter 1934, 74, 107; ders. 1970, 224; vgl. auch Baecker 1991; Ladeur 1992, 386 ff. 41

Orléan 1989, 90

4 2

Vgl. zum Phänomen der Emergenz die Beiträge in Krohn/Küppers (Hg.) 1992

43

Vgl. Dupuy/Varela 1991, 259; Thévenot 1989, 147 ff.

4 4

Dupuy 1992, 91; vgl. auch Orléan 1985,134,137

3. "Gemeinsames Wissen": Generierung durch "überlappende Netzwerke"

31

kann keinem Gesetz, keiner Tradition folgen, deshalb beobachtet er sich, wie es ein anderer "objektiver" Beobachter tun würde, und versucht auf diese Weise zugleich, einen Beitrag zur Erhaltung von Ordnung zu leisten. Die sich darüber bildende Erfahrung ist gegenüber älteren Traditionen dadurch ausgezeichnet, daß sie beweglich ist und die Positionen, von denen aus gelernt und beobachtet wird, systematisch leer bleiben und nicht etwa durch persönliche "Vorbilder" u.a. besetzt werden kann.45 3. Das "gemeinsame Wissen" und seine Generierung durch "überlappende Netzwerke" von Relationen Das Individuum wird in der zukunftsoffenen Gesellschaft zum Produzenten und zum Produkt des "gemeinsamen Wissens" und kann sich nur durch Beteiligung an diesem Prozeß auf Zukunft einlassen. Durch die Heraus- und Fortbildung des "gemeinsamen Wissens", einer gemeinsamen Sprache, die auf Kontinuität und Wandel angelegt ist, wird eine erwartbare Zukunft geschaffen. Die Individuen können aus den über das Netzwerk der bisherigen "Spielzüge" produzierten Informationen die Entscheidungsbasis für ihre eigenen weiteren Spielzüge gewinnen46; über die horizontalen Anschlußeffekte und die Generierung und Speicherung positiver wie negativer Erfahrungen bildet sich ein gesellschaftliches "Gedächtnis" als kollektives emergentes Phänomen, das nirgendwo zentral verfügbar ist. Der Typus des horizontal zerstreuten, an "überlappende Netzwerke" von Beziehungen gebundenen Wissens ist für die Handlungskoordination unter Ungewißheitsbedingungen äußerst bedeutsam. Anders als die stabile Tradition, die durch starre Handlungsmuster abgestützt wird, hat dieser Wissensmodus einen höchst komplexen dynamischen Charakter. Er kann nicht auf explizite allgemeine Gesetze oder Gesetzmäßigkeiten zurückgeführt werden. Dieses Wissen bedarf einer Konventionsbildung, die einen Orientierungsrahmen ermöglicht und die Selbsterhaltung einer "Gemeinsamkeit", die auf eine paradoxe Weise ihre eigenen (nicht mehr tradierten) Voraussetzungen schaffen und erhalten muß, indem sie - wie das Gesetz - die zerstörerische Wirkung des Verdachts gegenüber dem anderen und die Grenzen intersubjektiven Konsenses überwindet.47 Das konventionalisierte Wissen schränkt durch die Bildung eines Optionsrahmens die Möglichkeit von Optionen ein und erlaubt dadurch zugleich mehr Möglichkeiten innerhalb dieses Spektrums, indem es das wechselseitige Mißtrauen begrenzt, das nicht mehr durch Tradition gebunden

4 5

Godard 1990,228

4 6

v. Hayek 1978,236

4 7

Orléan 1986, 261, 265

32

II. "Gemeinsames Wissen": praktische Konventionsbildung und vernünftiger Konsens

wird. Damit ist zugleich eine Tendenz zur Routinisierung des Entscheidens verbunden, da mit der Hypothese operiert werden muß, daß der gegenwärtige Zustand sich nicht grundsätzlich vom künftigen unterscheiden wird, sondern die Fluktuation der möglichen Optionen einer Entscheidung innerhalb einer durchschnittlichen Schwankungsbreite bleibt, die die Stabilisierung in einem Ruhepunkt nicht ausschließt. Das gemeinsame Wissen institutionalisiert eine praktische "Heuristik" 48, die die Versatzstücke des Entscheidungsprozesses liefert, mit denen Analogien, Modelle, Vermutungen für neue Problemlösungen gebildet werden. Voraussetzung für die Kontinuität des Entscheidungsflusses in allen gesellschaftlichen Bereichen ist aber die Einigung über Stopp-Regeln: Der Operationsrahmen kann nicht ständig in Frage gestellt werden, weil sonst in begrenzter Zeit und unter unvollständigem Wissen nicht mehr entschieden werden kann. Das kollektive Wissen kann trotz seines Mangels an Explikation und Formalisierung regelbildend wirken, weil es sich an praktischen Fragen orientiert und durch Ausschluß von Möglichkeiten - durch Verschiebung von Fragen an andere Institutionen (Religion, Wissenschaft, Politik) zugleich die Suche nach Vollständigkeit des Wissens überflüssig macht.49 Seine eigene Unvollständigkeit ist kein Problem, sondern vielmehr die Lösung, weil sie immer wieder die Zufuhr neuer Möglichkeiten gestattet und dadurch Anpassung an selbstgeschaffene Zwänge gewährleistet.50 Das kollektive Wissen hat einen produktiven Charakter, das nicht nur auf Selbsterhaltung, sondern auf Generierung neuen Wissens angelegt ist und die Institutionalisierung von Lernfähigkeit erlaubt. 51 Auch außerhalb der Wirtschaft läßt sich das Phänomen der Bildung kollektiven, Kooperation und Koordination unter Ungewißheit ermöglichenden Wissens beobachten. Rationalität im klassischen Sinne setzt vollständiges Wissen voraus; zukunftsoffene Gesellschaften erzeugen aber einen permanenten Zwang zur Entscheidung unter unvollständigem Wissen, Rationalität ist daher nicht nur praktisch immer begrenzt ("bounded rationality" 52), sie steht auch unter strukturellen Zwängen, deren Paradoxie adäquat erst in der Begrifflichkeit der Theorie selbstreferentieller Systeme beschrieben werden kann53, einer Theorie, die die Angewiesenheit kollektiver Effekte auf das Netzwerk der zu ihrer Erzeugung notwendigen Relationen zum Ausdruck bringt. Im Gegensatz dazu stehen unterschiedliche Varianten einer Theorie 4 8

Orléan 1986, 267

4 9

Favereau 1989a, 292

5 0

Favereau 1989a, 295

51

Favereau 1988, 208

5 2

H.A. Simon 1991, 37, vgl. allg. ders. 1982

5 3

Baecker 1989, 31, 34 ff.

3. "Gemeinsames Wissen": Generierung durch "überlappende Netzwerke"

33

der "Öffentlichkeit", die die gesellschaftliche Ordnung in der expliziten kollektiven "Deliberation" über Entscheidungsregeln begründet sieht.54 M. Polanyi hat schon 1966 darauf aufmerksam gemacht, daß z.B. auch die Wissenschaft gekennzeichnet ist durch ein Netzwerk "überlappender Nachbarschaften" 55, über das sich die wechselseitige Kontrolle wissenschaftlicher Hypothesen durch Teile der Wissenschaftlergemeinschaft vollzieht, während "die" Wissenschaft nicht (mehr) durch einen festen Bestand von Regeln und Werten zusammengehalten werden kann. Auch die grundlegenden Veränderungen der Wissenschaft setzen zunächst Vertrauen in die Wissensbestände voraus, ohne daß sie der umfassenden Prüfung durch einzelne oder mehrere einzelne zugänglich wären. Jeder Teilnehmer kennt nur ein Fragment des Ganzen und auch mit diesem Teil kann er nur operieren, wenn er eine Fülle theoretischer Voraussetzungen, benachbarte, von anderen erarbeitete Theoriestücke, historische Bestände, Regeln etc. mehr oder weniger ungeprüft übernimmt, auch wenn es keine institutionellen Zwänge gibt, bestimmte Ausgangspunkte zu akzeptieren. Das zu unterstellende Wissen bleibt "stillschweigend", es ist an ein horizontales Netzwerk von Relationen und Vermittlungen gebunden. Dies kann man natürlich kritisieren, weil dieser Zustand auch Grundlage für Zitierkartelle, Schulenbildungen, Ausschließungen u.a. bedenkliche Praktiken ist. Aber andererseits ist das der Wissenschaft inhärente Wissen nirgendwo zentral verfügbar und damit grundsätzlich Änderungen zugänglich, und jeder Versuch, dieses horizontale Netzwerk grundlegend zu verändern und nicht nur im Hinblick auf Selbstblockierungseffekte zu beobachten, setzt sich der Frage aus, wie es denn um das Wissen des intervenierenden Systems, der Politik, der "Betroffenen" etc. bestellt ist. In den an solche "überlappende Netzwerke" gebundenen Wissensbeständen bilden sich erhebliche Flexibilitäts- und Innovationschancen, die nicht leichtfertig verspielt werden dürfen: Ein nicht-hierarchisches, lose gekoppeltes System entwickelt anders als ein hierarchisch-zentrales - eine Fülle interner Spannungen und Anschlußmöglichkeiten, die auch die Ausdifferenzierung von Kritik ermöglichen. Andererseits ist aber auch hier zu beobachten, daß nur durch die Paradoxic des Ausschlusses von Möglichkeiten, durch die Voraussetzung eines gemeinsamen Bezugsrahmens die Spezialisierung von Disziplinen und die Bildung von Wissensbeständen möglich ist. 56 Und auch hier zeigt sich, daß in einer nicht-teleologischen Gesellschaft Ungewißheit - wie in der Wirtschaft nicht unmittelbar durch Zielvorgaben bewältigt werden kann, sondern nur durch die Zulassung und Ermöglichung der Bildung "überlappender Netzwerke", über die ein "gemeinsames Wissen" als kollektiver emergenter Effekt

5 4

Bunt 1993,360 ff.

55

Polanyi 1966, 72 ff.

5 6

Polanyi 1969, 54

3 Ladeur

34

II. "Gemeinsames Wissen": praktische Konventionsbildung und vernünftiger Konsens

erzeugt wird, der stets insofern "mittelbar" bleibt, als er nirgendwo "unmittelbar" dem Individuum oder einem Kollektiv zugänglich ist. 57 Ohne ein solches, über ein Netzwerk von Beziehungen zerstreutes "Gedächtnis", ist eine freie Entwicklung von Wissenschaft, ja des Wissens ingesamt, nicht möglich.58 Eine Dominanz expliziter normierter Ziele, die von öffentlichen Institutionen verfolgt würden, könnte den kollektiven emergenten Charakter des Wissens zwar nicht verändern, aber den ohnehin prekären, voraussetzungsvollen Prozeß der konstruktiven Fortbildung in einen höchst effektiven Mechanismus der Selbstzerstörung überführen. Das Fortbestehen säkularisierter Formen der politischen Theologie sorgt allerdings immer wieder durch "Aufklärung" über den fiktiven Charakter gesellschaftlicher Wissensbildung für neue Meta-Wahrheiten. (Darauf ist weiter unten noch einmal zurückzukommen). Gerade das Beispiel der Wissenschaft zeigt auch die Grenzen der Möglichkeit von Konsensbildung: Der Prozeß der Wissenschaft kann nur dann und soweit produktiv sein, wie er ein gemeinsames Produkt von Wissenschaftlern ist, deren jeder nur einen Teil versteht, aber durch interaktive Anpassungen, Reaktionen, Provokationen, Abstimmung von Standards und Vertrauen in mindestens partiell geteilte Werte und Annahmen zu einem synergistischen Effekt zwischen "überlappenden Nachbarschaften" beiträgt 59, der den "Eigenwert" der Wissenschaft als eines mittelbaren, von den einzelnen Wissenschaftlern getrennten Prozesses erhält. Dieser Eigenwert ist selbst nur partiell in Wissenschaftstheorien beobachtbar und beschreibbar und bleibt an das distributive Netzwerk der Operationen mit erprobten Unterscheidungen gebunden.60 Zwar schließt die Entwicklung solcher selbstorganisierter Netzwerke wie erwähnt - keineswegs krisenhafte Entwicklungen oder Selbstblockierungen aus, Phasen, in denen Vertrauen in die Anschlußfähigkeit und Verläßlichkeit der "überlappenden Netzwerke" grundsätzlich in Frage gestellt wird. Aber solche Krisen können nicht durch qualitativ andere Systemzustände abgelöst werden, die nicht auf Vertrauen und Konventionsbildung angewiesen wären. In der Wissenschaft hat Th. Kuhn 61 die Abfolge von Paradigmen plausibel gemacht, die die Selbstorganisation der Theoriebildung mindestens partiell reorganisieren und "Attraktoren" für die Hypothesenbildung darstellen. Dies ist eine Lesart der auch in der Wissenschaft notwenigen Vertrauensbildung durch Stopp-Regeln, die aber die Bildung und Ausdifferenzierung von Alternativen nicht ausschließt. Das distribuierte Prozessieren von Wissen über a-zentrische Netzwerke läßt Vermachtungen zu, aber diese bleiben gebunden 5 7

Polanyi/Prosch 1975, 185, 190

5 8

Polanyi/Prosch 1975, 202 f.

5 9

Polanyi 1962, 215

6 0

Hardwig 1991, 693, 699

61

Vgl. allg. Kuhn 1967

3. "Gemeinsames Wissen": Generierung durch "überlappende Netzwerke"

35

an die Selbstorganisation der "überlappenden Nachbarschaften". Vertrauen als Mechanismus der Verarbeitung unvollständigen Wissens durch Unterstellung und Nutzung von Anschlußmöglichkeiten ist in allen Wissenssystemen unumgänglich.62 Tiefes Mißtrauen in die Haltbarkeit des Netzwerkes würde der Generierung neuen Wissens durch das Ausprobieren von Anschlußzwängen für das Neue enge Grenzen setzen und in Ignoranz umschlagen63 - dies schließt nicht aus, daß insbesondere die Wissenschaft, die unter geringerem Zeitdruck steht als andere Systeme, mehr Diversität durch Offenhaltung auch für grundlegende Änderungen erhalten muß. Die Beschreibung von Wissenssystemen als kollektive Effekte des Prozessierens von Operationen in a-zentrischen "überlappenden Netzwerken" ist vor allem deshalb sinnvoll, weil so das Moment der Generierung neuen Wissens besser beobachtet werden kann. Für ältere, an Religionen gebundene Theoriebildung, die etwa ihre Aufgabe in der Erhaltung von Traditionen und der Reformulierung von Bindungen an den "fremden Willen" (Gottes) sahen, war dieses produktive Moment des Wissens ein eher zu vernachlässigender Nebeneffekt. Für ein Ungewißheit und Unbestimmtheit akzeptierendes, zukunftsoffenes Wissenssystem muß aber dieser Gesichtspunkt von ausschlaggebender Bedeutung sein. Die Anerkennung des darin potentiell enthaltenen Moments rhetorischer Verfaßtheit der Sprache muß folgerichtig das Erkennen an die Projektion von Modellen und Werten binden64 und kann nicht auf die Möglichkeit der Weitergabe einer Wahrheit vertrauen, die letztlich ihren dauerhaften Charakter aus dem göttlichen fremden Willen, dem zentralen Subjekt ableitet. Rhetorische Situationen sind charakterisiert durch die Bindung an Vorentscheidungen65, die Referenz auf einen Bestand an vorhandenem "gemeinsamen Wissen" und auf Anschlußzwänge, die den Optionenraum bestimmen. Sie erzeugen eine "praxisbezogene Nötigung des einzelnen durch die Sozialität".66 Der hier untersuchte Bereich der horizontalen Verkettung von Möglichkeiten und Zwängen generiert über einen distribuierten a-zentrischen Prozeß ein nicht-hierarchisches Wissen67, das über eine historische Dynamik der Selektivität68 einen "Prozeß des Zusammenpassens"69 von Ent6 2

Hardwig 1991, 693, 699; vgl. auch Kirman 1992, 117 ff.; H.A. Simon 1991, 25, 35

63

Vgl. Golden 1991, 57 ff.; Bolz 1991, 71; Vattimo 1992,42

6 4 Bolz 1991, 71; Lesourne 1993, 29 f.; Die Modellbildung unterscheidet sich von der Prognose durch ihren prospektiv-multifaktoriellen Charakter, der insbesondere aus der handelnden Beteiligung mehrerer Organisationen mit unterschiedlichen Zielen und unterschiedlichem Wissen resultiert; vgl. auch Valiela 1984,143 ff.; Munier 1991, 235 6 5

Vgl. Bitzer 1968, 4, 11

6 6

Krämer 1992,34

6 7

Rescher 1979,40 ff.

6 8

Krämer 1992,89; de Rosnay 1986, 140

6 9

Goodman/Elgin 1989, 215

36

II. "Gemeinsames Wissen": praktische Konventionsbildung und vernünftiger Konsens

Scheidungen erhält, der seine eigenen Richtigkeitsstandards erzeugt. 70 Das kontextuelle Wissen besteht nicht aus einem hierarchisch gestuften System von Vorstellungen eines Subjekts71, sondern aus praktischen Operationen, die keiner universellen, sondern einer stochastisch-probabilistischen Regelmäßigkeit unterliegen.72 Daraus ergibt sich auch eine Sprengkraft, die die Einheit des Subjekts selbst in eine variable Kombinatorik von Relationen aufzulösen droht. 73 Diese Dynamik wird überlagert durch die Entscheidung, in der Subjekt und geordnete Welt durch die argumentative Vernunft miteinander verschmolzen werden. 74 Die Netzwerke und Disziplinen, die aus der Geschichte der gelungenen Operationen Unterscheidungen gewinnen, aus denen neue situativ-konventionalisierte Anschlußzwänge generiert werden, sind unvereinbar mit einer Idee der Freiheit des Subjekts, das seinen Anteil an der Einheit der universellen Vernunft und Regelmäßigkeit hat. Dieser "unpersönliche" praktische Typus des Wissens und das darüber reproduzierte Netzwerk der Selektivitäten ist die Grundlage der kulturellen gesellschaftlichen Reproduktion durch Erhaltung eines "gemeinsamen Wissens", eines kollektiven Gedächtnisses. Die Bereitschaft, zu dessen Fortsetzung beizutragen ("Imitation"), ist gleichbedeutend mit der Anerkennung des Einflusses anderer Gesellschaftsmitglieder und der Einsicht, daß die Welt nicht neu geschaffen werden kann; aber sie ermöglicht zugleich auch das Lernen, daß man selbst Optionen hat. Gerade dieses Lernen hat sich bisher über die Familie reproduziert. 75 Auch in gut funktionierenden politischen Systemen ist es beinahe unmöglich, einen Bestand an explizit formulierbaren Grundregeln zu bestimmen, die die politische Ordnung "legitimieren". Entscheidend ist die Akzeptanz des emergenten kollektiven Effekts, der durch die "überlappenden Nachbarschaften" der Netzwerke politischer Entscheidungen erzeugt wird. 76 Aus den bisherigen Überlegungen zu drei verschiedenen Modi des gesellschaftlichen Wissens sollte der dynamische Charakter der Ordnungsbildung deutlich geworden sein, die auf die Unbestimmtheit und Offenheit der Zukunft nur dadurch eingestellt werden kann, daß sie Muster der Generierung neuen Wissens bereithält. Die Kontinuität des durch gesellschaftliche Institutionen zu bewältigenden Entscheidungsflusses ist aber nur dann gewährleistet, wenn Unterscheidungen gespeichert und als Anschlußzwänge für zukünftige 7 0

Goodman/Elgin 1989,41

71

Goodman/Elgin 1989, 123

7 2

Kondylis 1991 163, vgl. zu einer "Strebensethik" Krämer 1992, 95

7 3

Kondylis 1991, 83

7 4

Kondylis 1984, 17 f., 94, 184; Brockriede 1985, 151 ff.

7 5

H.A. Simon 1989, 548 ff.

7 6

Vgl. Klosko 1993,448 ff.; vgl. aber auch Ackerman 1993

4. "Kommunikative Rationalität" und Konsens

37

Entscheidungen benutzt werden können. Es sollte festgehalten werden, daß die Erzeugung von Wissen nur über Stopp-Regeln möglich ist, die durch Vorentscheidungen einen Rahmen setzen, der nicht selbst wieder Gegenstand von Entscheidungen werden kann. Dies ist sowohl für das Kausalitätsmodell als auch für das komplexere Modell der Wahrscheinlichkeit und das an praktische Netzwerke gebundene "implizite" Wissen demonstriert worden. Das dabei zutage getretene konstruktive "willkürliche" Moment der Wissensbildung durch Selektion ist hier auf die Paradoxie der Entscheidung unter Unentscheidbarkeitsbedingungen zurückgeführt worden, auf die Zwänge der Produktion von Wissen unter Ungewißheitsbedingungen. Dieses Spannungsverhältnis wird durch ein kollektives Moment der Selbstorganisation abgespannt und praktisch handhabbar, das emergente Effekte erzeugt, die weder in explizit formulierbaren Gesetzmäßigkeiten noch in explizite Konsense zwischen Individuen aufgelöst werden können. Wenn man die Eigenständigkeit solcher kollektiver emergenter Phänomene und die Notwendigkeit von Stopp-Regeln im Prozeß der gesellschaftlichen Wissensbildung nicht akzeptiert, so besteht die Gefahr, daß der handelnde Mensch entweder erst "im Negativ der Unfähigkeit" 77 in Erscheinung tritt, als Opfer fremdgesetzter Zwänge oder im hybriden "Widerstand", mit der Forderung, daß "alles möglich werden muß" 78 und das heißt, daß alles konsensbedürftig ist. Die Bedeutung des impliziten, an situative, kooperative Netzwerke gebundenen, man könnte auch sagen "ökologischen" Wissens79 wird dann negiert und seine Überführung in explizite intersubjektive Kommunikation verlangt. 4. "Kommunikative Rationalität" und Konsens a) Das Verfahren

der Argumentation als Garant der Vernunft?

Das Denken in Netzwerken unterscheidet sich etwa von dem habermasschen Konzept der "Lebenswelt" dadurch, daß die letztere von impliziten, aber in Kommunikation auflösbaren Geltungsansprüchen strukturiert wird. 80 Damit wird eine "prinzipialisierte Version von Hintergründigkeit" entwikkelt 81 , die die gesellschaftliche Wissensentwicklung auf den Modus des Einverstandenseins bezieht, dessen Wiederherstellung auf höherer Ebene durch intersubjektive Verständigung angestrebt werden soll. Die Masse des lebensweltlich-hintergründigen Wissens nimmt im Prozeß der Rationalisierung ab, 7 7

Meyer 1993, 215

7 8

Meyer 1993, 208

7 9

Reed 1992, 14

8 0

Habermas 1981 (Bd. 2) 192; ders. 1992, 304; vgl. krit. Geiman 1990, 72; Matthiesen 1985, 97

81

Matthiesen 1985, 94

38

II. "Gemeinsames Wissen": praktische Konventionsbildung und vernünftiger Konsens

und zwar in der doppelten Bewegung der faktischen Auflösung traditioneller Lebensverhältnisse und ihrer Neu-Begründung nach den Prüfungsregeln der prozeduralen argumentativen Rationalität. Auch in neueren Arbeiten erscheint die vernetzte "Wissensreproduktion und Wissensdiffusion" nur unter dem Aspekt der "ungleiche(n) Verteilung von Kompetenzen und Kenntnissen" einerseits sowie der Trägheit und Widerständigkeit komplexer Funktionssysteme andererseits. 82 Es ist bezeichnend, daß die habermassche "Unterstellung eines diskursiven Vergesellschaftungsmodus der Rechtsgemeinschaft" 83 letztlich ihren eigenen Status nur negativ durch Zuschreibung der Aufgabe der "gegensteuernden Komplexitätserhaltung" bestimmen kann. Gegenüber der "sozialen Faktizität dieser unvermeidlichen Trägheitsmomente" errichtet sie "Schleusen des demokratischen Verfahrens" der Deliberation und Verständigung.84 Habermas versucht das kollektiv-prozeßhafte Moment der Konvention und der Wissenserzeugung, das weder auf den vernünftigen Willen des einzelnen noch den eines "Großsubjekts" (Volk, Nation) zurückgeführt werden kann - wie er mit Recht anmerkt - durch die kontrollierende Wirkung der "illokutionären Bindungskraft des verständigungsorientierten Sprachgebrauchs" zu filtern. 85 Diskurse sollen den Ort bilden, an dem dieses kollektive Moment des Prozessierens gesellschaftlichen Wissens durch ein "kommunikatives Arrangement" der Prüfung auf Zustimmungsfähigkeit durch alle "möglicherweise Betroffenen" unterzogen werden soll. Die Begrenztheit dieser Konzeption zeigt sich gerade darin, daß die Kopplung der kommunikativen Rationalität, die der Sprache die Kraft zur Selbstaufklärung zuschreiben muß, dem Problem des "Verschwindens jedweder vertikalen Autorität" im variablen horizontalen Differenzierungsgeschehen innerweltlicher Immanenz gerecht werden soll. 86 Daran ist sicher richtig, daß Sprache die Konsolidierung und Reproduktion von Wissen auf einer höheren Abstraktionsebene ermöglicht, aber die normative, kontrafaktische Unterstellung der Möglichkeit der Überführung der "ökologischen" Netzwerke der Wissens- und Konventionsbildung in explizite Verständigung muß doch wieder eine "metaphysische Vertikalität" einführen. 87 Das a-zentrisch an zerstreute Beziehungsnetzwerke gebundene Wissen und die daran anschließende Konventionsbildung werden nur als eine Art Materialitätsström gesehen, der der Kontrolle im Medium vernünftiger Verständigung zugänglich sein muß. Mit diesem Einwand soll nicht jede Möglichkeit vernünftigen Argumentierens durch Behauptung eines allgemeinen Relativismus88 oder die Unterwerfung unter eine systemische 82

Habermas 1992, 390 ff., 398

83

Habermas 1992, 398

84

Habermas 1992, 398

85

Habermas 1992, 134

8 6

Grondin 1991,437

87

Grondin 1991,437

88

Tönnies 1992, insbesondere 215 ff.

4. "Kommunikative Rationalität" und Konsens

39

Rationalität ausgeschlossen werden. Hier geht es vielmehr darum, die Eigenständigkeit einer Rationalität des Provisorischen zur Geltung zu bringen, die unter Zeitdruck mit selektiven Stopp-Regeln operieren muß und der gegenüber die deliberative Rationalität des Diskurses nicht von vornherein einen Vorrang beanspruchen kann. Deren wechselseitige Beurteilung muß vielmehr begrenzt werden, die "Suspension des Urteilens" ist keine prinzipielle, sondern beruft sich auf die selbst nur partielle Inkompatibilität expliziten Regelwissens und impliziter, an situative Erfahrung gebundene Wissensbestände.89 Eben diese "situative Unmöglichkeit", die von der Notwendigkeit kontinuierlichen Entscheidens unter Zeitdruck geprägt ist, versucht die deliberative Vernunft zu unterlaufen. b) Die Diskursethik als politische Theologie der Ungewißheit Habermas' philosophische Begrifflichkeit hat starke religiöse Bezüge, die bei Habermas deutlich zutage treten in seinem Buch "Der philosophische Diskurs der Moderne": Danach hat der "Diskurs der Moderne" nur "ein einziges Thema", nämlich das aus der "zweckrationalen Deformation des Alltags"90 gespeiste "Bedürfnis nach einem Äquivalent für die versiegende Macht der Religion".91 Es wird befriedigt durch die Freilegung der in die Alltagspraxis (Lebenswelt) eingeschriebenen, aber verzerrt bleibenden Rationalitätsunterstellungen, die durch Argumentationsverfahren expliziert werden. Auf diese Weise vollzieht sich ein "profanisiertes Einholen theologischer Gehalte im Universum begründender Rede und solidarischen Zusammenlebens"92 in der "Versprachlichung des Sakralen". Die Frage, ob politisches Denken ohne politische Theologie möglich ist, muß durchaus gestellt werden, aber die Habermassche Variante der Beschwörung einer "intersubjektiven Schuld", die aus der "unausweichlichen Gemeinsamkeit" entsteht93, wird allzu schnell an eine Theorie der Begründung weitergeleitet, die selbst den von ihr aufgestellten Argumentationspflichten kaum genügt. Auch bei Preuß werden theologische Motive deutlich in der Überhöhung des Gründungsmythos der Verfassung, die sich einer "conjuratio", einer wechselseitigen "Verschwörung" der Bürger, verdankt. 94 Auch hier verschwindet die überschießende Verweisung des Realen an ein Ideales im Ungefähren. Das liberale 89

Menke-Eggers 1989, 25, 30

9 0

Bolz 1992, 60

91

Habermas 1982, 166

9 2

Habermas 1992,15, 198

93

Habermas 1982, 357, 368,403; vgl. auch Bolz 1993, 77

94

Preuß 1990, 88; das Problem der Ungewißheit wird dort zwar aufgenommen (vgl. 82 f.), aber auf eine charakteristische Weise durch "moralische Reflexion" bewältigt.

40

II. "Gemeinsames Wissen": praktische Konventionsbildung und vernünftiger Konsens

Spannungsverhältnis von Öffentlichem und Privatem 95 ermäßigt sich im Konzept der "Zivilgesellschaft", die ihre Anerkennung als sozialstaatliches Projekt beantragt. Die neuere diskursethische Lesart der kommunikativen Rationalität legt die "Codes und Relais der neuen Kommunikationsverhältnisse in Behelfe zwischenmenschlicher Mitteilung" auseinander.96 Die quasi-theologischen Metaphern beherrschen auch die Diskussion über Risiken mit der vordergründigen Unterscheidung von Gut und Böse. Von der "Demokratisierung" der Diskursteilnahme97 wird eine Art Katharsis erwartet 98, während eine auf Ungewißheit sich einlassende Theoriebildung mit der Grundlosigkeit der Evolution auch den zunächst arbiträren Charakter von Symbolsystemen akzeptiert und erst in einem zweiten Schritt mit den dadurch zugänglich gewordenen Unterscheidungen Beobachtungen vornimmt, die aber weder in einem Subjekt noch in der Intersubjektivität eines Prozesses ihre Einheit gewinnen können.99 Sie ermöglichen gerade dadurch die Generierung eines distribuierten, an Beziehungsnetzwerke gebundenen Wissens, das ein produktives Operieren mit und unter Ungewißheitsbedingungen zuläßt. Die Ungewißheit gerät in Habermas' Denken, das der Form des Arguments eine Garantie der Einheit der Vernunft abgewinnt, in eine Randlage. Die Diskursethik richtet "den Stachel eines idealisierten Weltentwurfs" 100 gegen die Ungewißheit und die dadurch erzwungene Konstruktion von Möglichkeitswelten unter unvollständigem Wissen. Das zentrale Motiv der Diskursethik ist eine nachmethaphysische Angst. Wie der autoritäre Staat Carl Schmittscher Provenienz durch die Bestimmung des Feindes die namenlose Angst bannen sollte 101 , so wird diese Leistung in der Diskursethik demokratisiert: Jeder kann im Namen der diskursiven Vernunft die Unvernunft der Wirklichkeit anklagen und zugleich das ganz Andere einer Ethik in Anschlag bringen, um jede Frage nach der Konkretisierung dessen, was man sich unter "Selbstbestimmungspraktiken" u.ä. vorstellen soll, mit der Forderung nach mehr Diskussion zu beantworten. 102 Eine postmoderne (Rechts-)Theorie103 des Handelns unter Ungewißheit, die sich auf quasi-theologische Be- und Verschwörungen nicht einläßt, muß dagegen das mit der Auflösung hierarchischer Ordnungen einhergehende Os9 5

Vgl. allg. Seligman 1992

9 6

Bolz 1993, 7, vgl. auch Fischer 1990, 11 ff.

9 7

Habermas 1992, insb. 192 ff.

9 8

Vgl. dazu in theoretischer Perspektive Rosolato 1993, 278

9 9

Vgl. Luhmann 1984, 359 f., 406 f.; ders. 1988

100

Bolz 1993, 68

101

Vgl. Schmitt 1991, 36

102

Vgl. krit. zur Ethik auch Luhmann 1993, 327 ff.; Kaufmann 1992, 60 f.

103

Vgl. allgemein Ladeur 1992a

4. "Kommunikative Rationalität" und Konsens

41

zillieren von Ordnung und Unordnung 104 und die Produktivität des über heterarchische Selbstorganisationseffekte generierten, nicht in "Kommunikation" auflösbaren Wissens akzeptieren. Wenn es überhaupt einer neuen Ethik bedarf, dann nur einer Ethik der Ungewißheit105, die so komplex dimensioniert ist, daß sie mit den dabei zwangsläufig auftretenden Widersprüchen operieren kann. Gerade darauf läßt sich die Diskursethik aber nicht ein, es handelt sich eher um eine neue Kosmologie. Eine Kosmologie betrachtet das Neue und Ungewisse als Herausforderung des auf Wiederholung und Fortsetzung angelegten Wissenssystems:106 Im Falle der Diskursethik zeigt sich dies daran, daß der Einbruch der systemischen Kolonialisierung der Gemeinsamkeit der Lebenswelt auf einer höheren Ebene durch das Verfahren des Diskurses wieder aufgehoben werden muß. So wie partikularistische Kosmologien das Ungewisse abspalten und auf einen Teil der Gesellschaft projizieren (im Nationalsozialismus die Juden als Repräsentanten des universalen planetarischen Kapitalismus), betrachten universalistische Kosmologien das Ungewisse nur als Erscheinungsform des entbundenen Partikularen, das sich der Ordnungsbildung durch die Universalität entzieht. Jedes einzelne Problem wird nur lösbar, wenn man es als Teil des einen großen Problems betrachtet. Das so gesteigerte Spannungsverhältnis zwischen Partikularem und Universellem erzeugt den für moderne Kosmologien so charakteristischen Spielraum für die "Bewegung", die die in einem Rechtsstaat durch widersprüchliche Institutionalisierung abgespannten Konflikte in der Erwartung einer Katharsis höherer Art aus ihren Institutionalisierungen herauslöst und an eine ganz neue Kodierung des Wissens verweist. Dies wird deutlich, wenn Freiheits- und Gleichheitsrechte gegeneinander ausgespielt und aus ihrem Zentrum und Peripherie unterscheidenden Zusammenhang gelöst werden. 107 Einem Rechtsstaat bleibt keine andere Wahl, als unterschiedliche Rechte widersprüchlich, aber nicht gleichrangig zu institutionalisieren und das unaufhebbare Spannungsverhältnis in einer Logik des Provisorischen durch experimentelles Unterscheiden unter Ungewißheitsbedingungen abzuspannen. Ein liberaler Rechtsstaat ist nicht als Einheit organisiert, vielmehr operiert er von vornherein mit einem ausdifferenzierten System von Trennungen, das genügend Varietät (auch) für die Bewältigung von Ungewißheit bereithält. Ethik wird gerade in jüngerer Zeit vor allem dazu benutzt, das Nachdenken über Bedingungen und Variabilität von Zurechnungen, die "hohe Komplexität, kausale Unübersichtlichkeit, die unvermeidlichen Entscheidungsrisiken und die Probleme des Umgangs mit Menschen, die mit sich selbst nicht um104

Vgl. Rosolato 1993,261

105

Morin 1993, 22

106

Augé 1993,34 ff.

107

Habermas 1992, 153; vgl. zum Verhältnis von Zentrum und Peripherie innerhalb des Systems der Grundrechte Coleman 1993, 213

42

II. "Gemeinsames Wissen": praktische Konventionsbildung und vernünftiger Konsens

gehen können" 108 , durch normative Stopp-Regeln abzubrechen. Diese Möglichkeit ist selbst an bestimmte historische Abschwächungen insbesondere des oben beschriebenen Kausalitätsmodells gebunden. Auch und gerade unter Ungewißheit ist paradoxerweise Vertrauen als Grundlage der Abstimmung und Konventionalisierung von Erwartungen angesichts der Gefahr einer Selbstblockierung der gesellschaftlichen Wissensgenerierung besonders notwendig. Diese Bereitschaft zur Konventionsbildung nimmt in einer durchaus bedenklichen Weise ab, eine Entwicklung, die in der Gesellschaftstheorie etwa von J. Habermas mit der Forderung nach einer postkonventionellen Konsensbildung ins Positive gewendet wird. Daß Rationalität und Risiko aber in einem Spannungsverhältnis stehen109, wird dabei kaum berücksichtigt. Die mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit zur Bildung von Konventionen unter Zeitdruck und unter unvollständigem Wissen basiert auf der Überschätzung der Erreichbarkeit von gesellschafdicher Komplexität durch "Verständigung". Wenn aber weder der Mensch noch die Vernunft eine feste Referenz bilden, muß die Autonomie des Diskurses als selbstreferentielle Einheit behauptet und entwickelt werden. Ohne einen solchen Versuch läuft das Konzept letztlich auf die Verweigerung der Einsicht hinaus, daß - wie die neuere Kognitionsforschung als Querschnittswissenschaft herausgearbeitet hat - das Sprachdenken des Menschen selbst nur noch als distribuiertes Netzwerk von Prozessen und Relationen konstituiert werden kann, die eine plurale "society mind" bilden. 110 Damit finden wir im "Selbst" des Menschen jene Grundstruktur wieder, die dem Operieren mit Relationierungen in einer Welt "überlappender Netzwerke" koextensiv ist, und dies zeigt, daß die Erzeugung der "inneren Umwelt" des Menschen von dem Prozeß, in dem sie erzeugt wird, strukturell nicht unterschieden ist. 111 Wenn das Individuum aber gerade aufgrund der Abschwächung der zur "Selbstüberwindung" auffordernden substantiellen universellen Vernunft eine innere Einheit einbüßt, so wird es noch schwerer nachvollziehbar, daß diese Einheit durch das Verfahren des Argumentierens herstellbar sein soll. Die Diskursethik verkennt auch, daß die von ihr forcierte Verwischung der Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem gerade eine Erscheinungsform der Auflösung des vorausgesetzten gemeinsamen Wissens in der Massendemokratie ist. Sie verwandelt die Einheit der Person in eine Kette von Erlebnissen. 112 Die Störung der Koordination gesellschaftlicher Institutionen ist gerade darauf zurückzuführen, daß diese gemeinsamen Wis-

108

Luhmann 1993a, 10

109

Baecker 1989, 35; Japp 1992, 36

1 1 0

Minsky 1988; vgl. auch Varela 1991,106; Goldman 1992,131; Fischer 1990, 11, 26

111

Varela u.a. 1991,139

112

Kondylis 1991,214

4. "Kommunikative Rationalität" und Konsens

43

sensbestände nicht mehr ohne weiteres vorauszusetzen sind. Daraus folgt aber nicht, daß sie nur durch Konsens aller ersetzt werden könnten. Vielmehr muß nach neuen vorauszusetzenden Mustern der Ordnungsbildung innerhalb des über interorganisationale Beziehungsnetzwerke generierten Wissens gesucht werden. Wenn Staat und Öffentlichkeit sich auf die wohlfeile Empfehlung einließen, das Operieren mit Unterscheidungen und die Konfrontation mit selbstgeschaffenen Zwängen aufzulösen im fundamentalen Prozeß der Verständigung der Bürger darüber, "welches ihre Probleme sind und wie sie gelöst werden sollen" 113 , wäre die Folge nur eine weitere Blockierung der Selbstbeschreibungsfähigkeit der Gesellschaft, deren Ordnungsbildung sich einer von den interorganisationalen Relationierungsprozessen abgekoppelten intersubjektiven Vernunft entzieht. Nur über Institutionalisierungen, die den neuen Formen der Wissensgenierung angepaßt sind, kann eine prozedurale Rationalität entwickelt werden, die zugleich an das Modell der (Subjekt und Objekt nicht trennenden) substantiellen Rationalität des Gesetzes und der Gesetzmäßigkeit anknüpfen könnte. Eine Gesellschaft kann nur soweit rechtlich verfaßt werden, wie sie vorab über differenzierte Potentiale der Selbststabilisierung verfügt. 114 Auf deren Beobachtung und Verfassung kommt es an. Die substantielle universelle Vernunft des Gesetzes, die das Denken des Subjekts bestimmt hat, kann nicht allein vom Verfahren der Argumentation und der Partizipation aller abgelöst werden. Diese Stelle kann nur von den distribuierten Wissensbeständen übernommen werden, die die Selbstmodifikationsfähigkeit der Gesellschaft ermöglichen, aber von einem Subjekt nicht mehr gedacht werden können.115 Nur in dieser Lesart ist es sinnvoll, von einer Erfahrung der Gesellschaft mit sich selbst zu sprechen. Die Abschwächung der objektiven Bindungen der Gesellschaft als ein Indiz der Notwendigkeit zu einem ordnungsbildenden Konsens aller anzusehen, läuft nur auf eine Verkennung der Selbstblockierungseffekte einer Diskursöffentlichkeit hinaus, deren Interpretationsfähigkeit durch immer mehr inkompatible "Geltungsansprüche" überfordert wird. Die "Intelligenz" der Wissensgesellschaft ist weder an Personen noch an stabile Regeln gebunden, sie muß als "stochastischer Prozeß" betrachtet werden, dessen Flexibilität und Varietät für das Funktionieren des Rechts von Bedeutung ist, aber auch durch Recht erhalten werden muß, während die Ethisierung von Recht und Politik immer mehr dazu tendiert, "selbstbestimmte" Rigiditäten zu erzeugen, für deren Bewältigung keinerlei Kapazität mehr zur Verfügung steht. Ohne die Formulierung von Stopp-Regeln, die unterschiedliche Wissensbestände immanent operationsfähig halten und durch Koordinationsregeln aufeinander abstimmen, und zwar Regeln, die

113

Habermas 1992, 536

114

Spitz 1988, 114 ff.; vgl. zu einer differenzierten Rekonstruktion des Verhältnisses von öffentlichem und Privatem, dem diese Selbststabilisierung vor allem zu verdanken ist, Seligman 1992 115

Grays 1993,156

44

II. "Gemeinsames Wissen": praktische Konventionsbildung und vernünftiger Konsens

selbst der Konventionalisierung bedürfen, wird es immer mehr schwer definierbare komplexe Probleme geben, deren mangelnde Beobachtbarkeit und Beschreibbarkeit durch moralische Schuldzuweisungen kompensiert wird. Die Überschätzung des moralischen Diskurses und des ethischen Meta-Diskurses 116 hängt mit der Unterstellung zusammen, daß die universelle Regel(mäßigkeit) nicht mehr durch Selbstüberwindung der persönlichen Wünsche und Idiosynkrasien zur Bildung abstrakter, auf variable Vermittlungskodes eingestellter Persönlichkeiten führen kann, sondern eine neue Unmittelbarkeit der Menschen untereinander wie der Menschen zur Natur geboten (und möglich) ist. 1 1 7 Der "post-konventionelle" Diskurs muß die Beziehungen, die sich nicht mehr aus der überschaubaren Unmittelbarkeit der "Lebenswelt" von selbst verstehen, erst durch den Prozeß der intersubjektiven Verständigung konstituieren. Wie aber sollte dies unter Bedingungen zunehmender Vernetzungsbeziehungen in der Gesellschaft möglich sein, aber unter Bedingungen einer Entwicklung, die die Relation von Variablen (und nicht mehr das analytisch am Maßstab eines allgemeinen Gesetzes beschreibbare Ereignis) zum eigentlichen Systembaumittel gesellschaftlicher Wissensbestände gemacht hat. Habermas bringt hier die "grammatischen Regeln einer gesellschaftsweit zirkulierenden Umgangssprache" in Anschlag118, statt sich auf die Mittelbarkeit des Weltverhältnisses einzulassen und sich mit der Suche nach Möglichkeiten des Experimentierens mit den "unpersönlichen" Operationsmustern zu begnügen, die die gesellschaftlichen Wissensbestände generieren. Es zeigt sich, daß die Diskursethik gerade das Abtasten dieser Wissensbestände auf Regelungsmuster verhindert, indem sie Probleme vorschnell auf Fragen der moralischen Zurechnung reduziert und die Suche nach den Bedingungen des Könnens vernachlässigt. Die Verwischung der Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem, die mit der Umstellung des Universalismus auf argumentativ-reflexive Selbstbegründung durch Sprache einhergeht, wird bei B. Peters 119 konsequenterweise in einer "methodischen Fiktion" überhöht, nach der "das akkumulierte Wissen dieser Gesellschaft ... von jedem einzelnen Mitglied geteilt (wird)". Dies ist die Konsequenz der Auflösung des universalistischen regelorientierten Vernunftsbegriffs im Diskursverfahren: Das Regelwissen basierte auf einer vereinfachenden Grenzziehung, die das Private (Besondere) ausschloß. Ein prozedurales Konzept intersubjektiver Rationalität, das in der sprachlichen Selbst-Begründung reflexiv wird, muß aber die Verfügbarkeit des Wissens für alle Mitglieder unterstellen und damit dessen Komplexität verfehlen, wenn es nicht auf die Selbstmodifikationsfähigkeit einer durch kollektive Effekte be116

Luhmann 1993, 327 ff.; Kaufmann 1992, 60 f.

117

Kondylis 1991,221

118

Habermas 1992, 133 ff.

119

Peters 1993,230

5. Neuinterpretation des Eigentums als Institution zur Erzeugung von Wissen

45

stimmten Denkform, die auf die Generierung von und das Experimentieren mit neuem Wissen eingestellt ist. Ein solches Wissen ist an kollektive Institutionalisierungen und (über)organisationale Beziehungsnetzwerke gebunden. Seine gesamthafte "Zugänglichkeit" durch Verfahren der intersubjektiven Verständigung ist auch als methodische Fiktion nicht mehr plausibel. 5. Zu einer Neuinterpretation des Eigentums als Institution zur Erzeugung von Wissen unter Ungewißheitsbedingungen Ein besonderes Problem bedeutet für die demokratietheoretische Lesart der Grundrechte der Status des Eigentumsrechts, weil es zwar allgemeine Zugänglichkeit voraussieht - wie andere Grundrechte auch -, aber schon nach seinem rechtlichen Gehalt (nicht nur aufgrund faktischer Bedingungen) auf die Erzeugung von Unterschieden angelegt ist: Jedes Eigentum schließt den Zugriff Dritter auf dasselbe Objekt aus. Diese Ausschließungswirkung wird durch das Erbrecht und die dadurch ermöglichte Verstetigung des Eigentums über Generationen noch verstärkt. Die Freiheit fängt rechtlich mit jedem Menschen wieder von vorne an; das Eigentum setzt jedoch immer schon Verteilungen voraus, die zwar der Änderung unterliegen, diese aber doch an rechtliche Bedingungen knüpfen. Der Erwerb des Eigentums setzt (fast) immer schon Eigentum voraus. Gerade auf dem Hintergrund des idealisierenden Modells der Ko-Präsenz der Individuen im intersubjektiven Dialog läßt sich das Eigentum genauer lokalisieren als Ausdruck der Abwesenheit jeder unmittelbaren Verfügbarkeit gesellschaftlichen Reichtums nach einer universellen Vernunft. Das Eigentum beruht auf dem Respekt der Unterschiedlichkeit von Plänen und Absichten120, die nur über eine nicht-persönliche Welt, eben ein a-zentrisches Netzwerk von kooperativen Relationen, auf ihre Haltbarkeit geprüft werden, nicht aber am Maßstab von Prinzipien. 121 Diese vorausgesetzte Bindung an ein relativ stabiles Netzwerk von Beziehungen ist das eigentliche Unterscheidungsmerkmal, das das Eigentum von der Freiheit trennt. Dieses Problem der Ungleichheit der Verteilung des Eigentums hat schon Locke zu der Aufstellung einer Bedingung ("Lockean proviso") veranlaßt, wonach immer noch "genug" Eigentum für andere übrigbleiben müsse. 122 Dies ist vor allem unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit immer wieder neu diskutiert worden und hat zu sozialstaatlich motivier120

Mack 1990, 537; vgl. zu einer Theorie des Eigentums auch Waldron 1988

121

Covai u.a. 1986, 196; Mack 1990, 538

122 Vgl z u m historischen Verständnis der Lockeschen Theorie Dunn 1969; Tully 1980; vgl. auch Valcke 1989, 1005; vgl. zu einer "institutionellen" Reinterpretation des "Lockean proviso" Schmidtz 1991, 16 ff.; danach sind die Bedingungen der Gerechtigkeit der Eigentumsverteilung - die Möglichkeit des Erwerbs nachfolgender Generationen - im Falle eines dilemmatischen Konflikts erfüllt, nämlich dann, wenn eine gleiche Verteilung objektiv zu einer Verschlechterung für alle führen würde.

46

. "Gemeinsames Wissen": praktische Konventionsbildung und vernünftiger Konsens

ten Reformvorstellungen geführt. Darauf soll hier nicht im einzelnen eingegangen werden. Unter der hier im Vordergrund stehenden Fragestellung nach den Mechanismen der Generierung und Kontrolle gesellschaftlichen Wissens stellt sich aber ein ganz anderes Konstruktionsproblem: Hinter dem "Lockean proviso" verbirgt sich nach der hier vertretenen Lesart nicht das Problem der Verteilungsgerechtigkeit, sondern vielmehr die Suche nach Mechanismen der Produktion des für die Bewältigung von Ungewißheit erforderlichen Wissens.123 Und nur das Eigentum ermöglicht es, das über Beziehungsnetzwerke zerstreute und daran gebundene Wissen zu nutzen, ein lokales Wissen, das nirgendwo zentral verfügbar ist und sich in unpersönlichen Beziehungen niederschlägt, über die ein kollektiver emergenter Effekt erzeugt wird. Darin ist schon die Bedingung einer Objektivierung angelegt, die eine eigene Fähigkeit zur Selbstorganisation entwickelt und auch die Personen zwingt, die Fähigkeit zum Anschluß an Beziehungsnetzwerke in sich selbst zu entwickeln. Personen zeichnen sich in komplexen Gesellschaften zwangsläufig dadurch aus, daß sie verschiedenen Netzwerken angehören, deren Anforderungen sie auch intern durch persönliche "Identität" kompatibilisieren müssen.124 Gerade die relative Inhaltsarmut des Eigentums und seine Vielgestaltigkeit erzeugt eine Dynamik, die durch die Fixierung auf die Zuordnung von Gegenständen verfehlt werden kann. 125 Wenn man in einer funktionalen Lesart des Eigentums 126 eher die darüber ermöglichten Handlungen, Pläne und Intentionen in den Blick nimmt 127 , relativiert sich der Unterschied zwischen Eigentum und Freiheit: Das Eigentum ermöglicht die Verknüpfung von Handlungen, deren Ergebnisse Anschlußzwänge für die Zukunft institutionalisieren. Das Eigentum institutionalisiert damit eine Grenze der rationalen Entscheidung durch Bindung an Vor-entscheidungen128, eine Bindung, die auch dort besteht, wo sie nicht in der Form des Eigentums institutionalisiert ist, dort aber leichter verdrängt werden kann. Es ermöglicht die dezentrale Nutzung von zerstreutem Wissen und schafft dadurch neues dezentrales Wissen. Der Zugang zu dieser Überlegung wird nur dadurch verstellt, daß bisher das Sacheigentum die Konstruktion beherrscht hat. In neuerer Zeit wird jedoch in zunehmendem Maße die Überlegung entwickelt, daß das Eigentum rechtstheoretisch vom Sacheigentum abzulösen und eher von einem Sonderfall her, nämlich dem Patent, zu konstruieren sei: 129 Das Eigentum ermöglicht die Nutzung des in einem historischen (exklusiven) Bestand von Verfügungsrechten enthaltenen 123

Gray 1989, 29, 35

124

H.A. Simon 1989, 548

125

K. Gray 1981, 305; Underkuffler 1990, 146; Arnold 1990, 634

126

Mackaay 1988,374; Covai u.a. 1986,462

127

Baechler 1980, 288; vgl. auch v. Hayek 1986, 64 ff.; vgl. dazu allgemein Bouillon 1991

128

Bratman 1987, 34 ff., ders. 1992, 1 ff.

129

Child 1990, 590

5. Neuinterpretation des Eigentums als Institution zur Erzeugung von Wissen

47

Wissens im Zusammenwirken mit dem über die dadurch erzeugten Beziehungsnetzwerke verbreiteten Wissen: Es ermöglicht die Kombination privaten und öffentlichen Wissens.130 Diese Überlegungen werden noch dadurch bestätigt, daß in neuerer Zeit in der Management- und Organisationstheorie die Bedeutung des Unternehmens, seine interne Struktur und seine externen Vernetzungen in den Blickpunkt des Interesses rücken. 131 In der hier eingenommenen Perspektive stellt sich die Konstruktion des Unternehmens als "Bündel von Verträgen" 132 nicht als ausreichend sensibilisiert für die Erfassung der komplexen Informations- und Wissensprozesse dar, über die das Aktieneigentum die Kontrolle ermöglicht. 133 Die Komplexität dieser Prozesse der Wissensgenerierung und ihrer Vernetzungseffekte erklärt auch, daß und warum das Sacheigentum gegenüber abstrakteren und vermitteiteren Formen des "organisierten" Eigentums bis hin zu vertikalen und horizontalen Subsystemen in Konzern- und Firmennetzwerken 134 an Bedeutung einbüßt: Die Einheit der im Eigentum enthaltenen Verfügungs- und Entschädigungsrechte ist infolge der zunehmenden Ausdifferenzierung und Spezialisierung grenzüberschreitender und interner Netzwerke der Unternehmen und des daran gebundenen Wissens längst abgelöst worden durch rechtliche Zugriffsformen, die dem darin aggregierten "HumanKapital-Wissen" und seinen flexiblen Nutzungsformen besser angepaßt sind. 135 Die Funktionsweise der über Eigentum erzeugten Wissensbestände läßt sich durch den Vergleich mit einer Form des Gemeineigentums, die entgegen der pauschalen Beschwörung der "Tragedy of the Commons" (Hardin) durchaus funktionieren kann, besser konturieren: Auch Gemeineigentum kann die Bildung gemeinsamen Wissens und die Formulierung von Konventionen ermöglichen, aber nur auf dem Grundsatz der Zusammenarbeit mit "seinesgleichen"; dieses läßt sich durchaus in dörflichen Gemeinschaften beobachten. Dieser Mechanismus der Wissens- und Konventionsbildung funktioniert nur, wenn die Konvention einfach und der kollektive Effekt leicht erkennbar ist. 1 3 6 Dies gilt z.B. für die Erhaltung von Ökosystemen in Alpenregionen, die über ein abgestimmtes kollektives System der Selbstbegrenzungen des ge-

130 Vgl. auch Baecker 1988, 160 ff.; Luhmann 1988, 188 ff., 206 ff.; aus ökonomischer Sicht v. Weizsäcker 1992, 215 ff.; in der Perspektive der "Informationsökonomie" Mackaay 1991, 217, 222; ders. 1986, 134, 147; vgl. aus rechtlicher Sicht auch Sieber 1989, 2569 ff. 131 Williamson 1981, 1537; ders. 1991, 159 ff.; vgl. auchTeubner 1987, 61 ff.; Vardaro 1990, 217; Ladeur 1989, 179 ff. 132

Williamson 1981, 1537

133

Hansmann 1988,267

134

Teubner 1990, 67 ff.; vgl. auch FitzRoy/Kay 1990, 147 ff.; Sapelli 1990, 217 ff.

135 Klein 1991, 223; Rosenberg 1983, 296; Zeleny 1987, 59 ff.; ders. 1989, 45 ff.; Hansmann 1988, 267; Schmidtz 1990, 89, 101 136

Mackaay 1988,374; vgl. auch ders. 1990, 867 ff.

48

II. "Gemeinsames Wissen": praktische Konventionsbildung und vernünftiger Konsens

meinsamen Eigentumsgebrauchs erfolgen kann und erfolgt. Sobald aber die Interessenunterschiede zu groß werden oder die unterschiedlichen Beiträge schwer zu beobachten und zu vergleichen sind, ist die einfache Konventionsbildung gefährdet. Dann wird die Anerkennung von Privateigentum mit der Zuteilung individueller Entscheidungsrechte erforderlich und eine Abstützung durch Rechtsnormen, die - anders als in der dörflichen Gemeinschaft - im allgemeinen ohne Rücksicht auf die Folgen im Einzelfall verpflichtend sind 137 , weil unterstellt wird, daß der Gesamteffekt der Regelbefolgung, dessen Nutzen im Einzelfall nicht mehr zu beobachten ist, insgesamt durch Einpendeln in einem Gleichgewicht positiv zu bewerten ist. 1 3 8 Hier setzt die vielfach mißverstandene Folgenentlastung des Freiheitsgebrauchs ein, die keineswegs bedingungslos erfolgt. Es wird vielmehr unterstellt, daß Kosten und Nutzen des Rechtsgebrauchs im Einzelfall nicht zu bewerten sind, insgesamt aber ein positiver Gesamteffekt zu erwarten ist, der auch für die einzelnen negativen Folgen entschädigt. Darüber wird ein Mechanismus der Generierung des Neuen um des Neuen willens erzeugt, weil ein kollektives Ziel nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Das bedeutet aber nicht, daß die so durch Distribution privater Verfügungsrechte entstehenden "generativen Beziehungsnetzwerke" völlig unkontrollierbar bleiben müßten. Aber Reformen bleiben auf Veränderung der Vermittlungsregeln beschränkt, während die unmittelbare kollektive Verfügung über Eigentum ausgeschlossen bleibt. (Es ließe sich heute durchaus fragen, ob das gegenwärtige Finanzkapital nicht selbstdestruktive Züge entwickelt, wenn es längerfristige Produktionsentwicklungen vernachlässigt und sich mehr an kurzfristigen spekulativen Gewinnerwartungen orientiert und damit die Rolle der Selbst- und Fremdbeobachtung von Firmen nicht mehr adäquat erfüllt wird). 139 Diesen Gedanken soll hier nicht weiter nachgegangen werden, da es vor allem auf die Bedeutung des Eigentums für die Generierung von Wissen unter Ungewißheitsbedingungen und die Notwendigkeit des Operierens mit selbst auferlegten Zwängen geht. Die zunehmende Mobilisierung der Gesellschaft und das Immanentwerden ihrer Entwicklung sind gleichbedeutend mit Zukunftsoffenheit und damit Unbestimmtheit; sie schließt die Entstehung inkommensurabeler einzelner Ziele und Absichten ein, nachdem einmal die unvermittelte Einheit der Gesellschaft zerfallen ist. 1 4 0 Damit ist auch der Zwang zur Selbstauferlegung von Stopp-Regeln verbunden, die die Suche nach Zielen und Wissen durch Selektivität strukturieren und begrenzen. Hier stoßen wir auf eine rechtliche Variante der Strukturierung eines Optionenraums, wie

137

Mackaay 1988,382

138

v. Weizsäcker 1984,123 ff.

139

Vgl. dazu allgemein Albert 1991; Coffee 1991,1277 ff.; vgl. auch Buxbaum 1990,7 ff.

1 4 0

Schmidtz 1992, 460

5. Neuinterpretation des Eigentums als Institution zur Erzeugung von Wissen

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er dem Kausalitätsmodell141, dem Konzept der Wahrscheinlichkeit und der Erfahrungsbildung insgesamt in einer eher faktischen Variante zugrunde liegt. Die Institution des Eigentums basiert auf einem System rechtlicher Stopp-Regeln, die Generierungsmuster für die Produktion neuen Wissens unter Ungewißheitsbedingungen ermöglichen sollen. Die Bedeutung des Eigentums wird durch seine Reduktion auf ein Problem der Verteilungsgerechtigkeit verfehlt. Dies läßt sich an Vertragskonstruktionen über die Formulierung von formalen Regeln der Gerechtigkeit demonstrieren. Solche Konstruktionen haben den Charakter von Vorentscheidungen über ein System von Rechten und können deshalb nicht unabhängig von den Erwartungen über das tatsächliche Verhalten der Individuen sein. 142 Die Aufstellung von Kooperationsregeln ist das zentrale Problem. Wenn man effektive Regeln über das Kooperationsverhalten setzen könnte, entfiele ein gravierendes Problem. Aber genau dies kann man nicht, man muß damit rechnen, daß positive externe Effekte gemeinsamen Handelns dann einseitig angeeignet werden, wenn die gemeinsame Kontrolle nicht möglich ist. 143 Dann müssen private und öffentliche Sphäre getrennt werden, und die Pflicht zur Reziprozität wird auf den Staat bezogen. Aber dies darf nicht davon ablenken, daß das eigentliche Problem, mangelnde Kooperationsbereitschaft der Bürger untereinander, dadurch nur vermittelt wird. Die Notwendigkeit dieses Schrittes wird von neueren Vertragskonzeptionen der Gerechtigkeit verkannt. Auch vor der (hypothetischen) vertragsrechtlichen Verfassung bestand keine unmittelbare Reziprozität zwischen den Individuen, sondern es bestand nur die wechselseitige Pflicht, zur Erhaltung eines gemeinsamen kollektiven Effekts beizutragen. Wenn man Individuen auch davon abstrahiert denkt, fehlt jedes "gemeinsame Wissen", das in eine Vertragskonstruktion eingehen könnte. Deshalb muß man mit D. Schmidtz davon ausgehen, daß Konzeptionen der Gerechtigkeit selbst durch einen prozeduralen Mechanismus von "epistemologisch gerechtfertigten Erwartungen" erzeugt werden. 144 Darin ist der Zwang zum Abbrechen der Suche nach und der vorläufigen Institutionalisierung von Stopp-Regeln schon angelegt, ein Mechanismus, dessen Wirkungsweise sich einer auf die Sprachlichkeit der Verständigung fixierenden Sichtweise entzie141

Vgl. auch Rosenberg 1992, 305,316

142

Vgl. Rawls 1975, krit. Schmidtz 1991, 162; Dupuy 1992, 107 ff.; vgl. aber auch die Revision in Rawes 1993 143 Schmidtz 1991, 147, vgl. auch Davidson 1989, 40 ff., der mit Recht auf die Notwendigkeit der Erhaltung einer zivilisierten Gesellschaft durch Balancierung von Eigeninteressen verweist. Der ständig wachsende Anteil "sozialpädagogischer" Verwaltung tendiert dazu, nicht nur die Aktivität der jeweiligen Klientel zu blockieren, sondern auch bei denjenigen Widerstand zu erzeugen, die diese Art von Verwaltung finanzieren und auch noch für ihr Versagen verantwortlich gemacht werden. Diese Moralisierung ist eine PR-Strategie von beamteten Problemenräten, die von Problemen (und nicht etwa ihrer Lösung) leben. 144

Schmidtz 1991, 163

4 Ladeur

50

II. "Gemeinsames Wissen": praktische Konventionsbildung und vernünftiger Konsens

hen muß. Jene Erwartungen werden von den Institutionen selbst generiert, die mit Regeln experimentieren, eine Strategie, deren Kehrseite zwangsläufig Stopp-Regeln bilden, die die abstrakte Suche nach "Gerechtigkeit" ausschließen. Was gerecht ist, wird erst "after the fact" bestimmbar, nachdem die Institutionen in Funktion getreten sind, und bleibt an deren Funktionsweise gebunden. Dies mag man selbst als ungerecht bezeichnen, es ergibt sich aber vor allem aus der Bedeutung der Kooperation und der Notwendigkeit des Entscheidens unter Ungewißheitsbedingungen. Es mag sein, daß "in einer Rechtsgemeinschaft niemand wirklich frei (ist), solange die Freiheit des einen mit der Unterdrückung eines anderen erkauft werden muß". 145 Aber in einer auf normative Unbestimmtheit und faktische Ungewißheit sich einlassenden Gesellschaft ist auch in "Diskursen" nicht leicht zu erklären, wie "Unterdrükkung" entsteht und wie ihre Aufhebung auf das Regelsystem zurückwirkt. Der zitierte Satz verkennt schon, daß Rechte nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern im Verhältnis von Zentrum und Peripherie geordnet sind 146 und daß Veränderungen dieses Verhältnisses schwer kalkulierbare Nebeneffekte erzeugen können.

145

Habermas 1993, 505

146

Coleman 1993,213 ff.

I I I . Wissen in der Wissensgesellschaft: Von der Kontinuität der Erfahrung zur systematischen Wissensproduktion

I. Vorbemerkung Die bisherigen Überlegungen zur Bedeutung handlungsorientierenden Wissens, z.B. eines relativ abstrakten strukturbildenden Paradigmas wie des Kausalitätsmodells, der Herausbildung von Wahrscheinlichkeit und die Konventionalisierung "gemeinsamen Wissens" für die Erhaltung der Kontinuität des Entscheidungsflusses in verschienenen Praxisbereichen der Gesellschaft haben die strukturbildenden Paradigmen herauszuarbeiten versucht, über die mit Hilfe von Stopp-Regeln Unterscheidungen festgehalten und ihre Anschlußfähigkeit für die Bildung von Erwartungen unter unvollständigem Wissen abgesichert werden. Diese Sichtweise ist retrospektiv, sie akzentuiert die auch schon im Gleichgewichtsmodell zugelassenen Schwankungen, die dauerhafte Zufuhr von Zufallsvariationen, die das gesellschaftliche Wissen beweglich halten.1 In dieser die Produktion des Neuen akzentuierenden Perspektive ließe sich auch das Eigentum neu beschreiben: Seine unter Gesichtspunkten der Verteilungsgerechtigkeit irritierende Ungleichheit läßt sich dann als Form der Institutionalisierung der Produktion von Wissen unter Bedingungen beschreiben, die die unmittelbare wechselseitige Beobachtung der Verteilung von Kosten und Nutzen der Erhaltung einer Gemeinschaft nicht mehr zulassen, weil die gleichmäßige Kooperation einer Vielzahl von Beteiligten nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Es kam hier entscheidend darauf an, das produktive Moment des gesellschaftlichen Wissens und der Selbstbeschreibung der Gesellschaft als Produkt und Produktion eines kollektiven emergenten Effekts herauszuarbeiten, der weder auf eine objektive Regel noch auf die subjektive Wahrnehmung von Subjekten reduzierbar ist. Im folgenden wird es darauf ankommen zu zeigen, daß die Mobilisierung der gesellschaftlichen Wissensproduktion sich verstärkt und die Orientierungskraft der älteren Paradigmen, insbesondere des Kausalitätsmodells, in gleichem Maße abgeschwächt worden ist. Dies wird im einzelnen noch zu untersuchen sein, vor allem im Hinblick auf die Konsequenzen, die sich daraus für das Recht im allgemeinen und das Umweltrecht im besonderen erge1

Vgl. Day 1984, 70; in theoretischer Perspektive Atlan 1989, 237, 242

52

ΠΙ. Wissensgesellschaft: Kontinuität der Erfahrung und systematische Wissensproduktion

ben. Festzuhalten bleibt aber, daß auch unter Bedingungen gesteigerter Ungewißheit kein Weg zurück in die "Unmittelbarkeit" eines Verhältnisses zur Natur oder einer mit sich selbst identischen Gemeinschaft führt. Es käme vielmehr darauf an, die neuen Wissensbestände darauf abzutasten, ob und wieweit sie den Einbau funktionaler Äquivalente für die Stopp-Regeln zulassen, die auch in der Vergangenheit das Entscheiden unter Ungewißheitsbedingungen ermöglicht haben. Deshalb sollen im folgenden die Veränderungen in der Organisation und Selbstorganisation des gesellschaftlichen Wissens untersucht werden, die sich nur noch in Ungleichgewichtsmodellen beschreiben lassen, die also die in den älteren Wissensmodellen enthaltenen Variationsmöglichkeiten überschreiten und die Haltbarkeit der Selbstbeschreibung gesellschaftlichen Wissens in Gleichgewichtsmodellen in Frage stellen. Dies soll im folgenden zunächst am Beispiel der Wirtschaft und Technik untersucht werden. 2. Zum Problem der Generierung komplexerer "Ordnung aus Lärm" Die Akzentuierung des konstruktiven produktiven Charakters gesellschaftlichen Wissens auch unter Gleichgewichtsbedingungen öffnet die Möglichkeit, in einem weiteren Schritt einen evolutionären Prozeß zu beobachten, der aufgrund zunehmender Selbstveränderung gesellschaftlichen Wissens die Selbstbeschreibung von Ordnungsbildung in Gleichgewichtsmodellen in Frage stellt2 und die Umstellung der Begrifflichkeit auf Evolution ermöglicht, und das heißt hier die Selbstbeschreibung dieses Prozesses der Selbstmodifikation der Gesellschaft als Übergang zu einem Ungleichgewichtsmodell erlaubt. Die Entwicklung der Marktbeziehungen wie der Produktion ist in jüngerer Zeit charakterisiert durch die beschleunigte Zufuhr neuen Wissens, das zwangsläufig zu einer ständigen Veränderung der Gleichgewichtsbedingungen führt. Daraus ergibt sich ein Ökonomie-interner Grund für die Notwendigkeit von Unternehmen, die aus unvollständiger Information mehr Möglichkeiten generieren3, da eine spontane Anpassung nicht mehr von selbst eintritt. Die Diversität auf der Mikroebene erzeugt nicht nur ständig neue Instabilitäten, sie ist auch Voraussetzung für die Stabilisierung auf der MakroEbene.4 In einer dynamisch werdenden Welt entsteht eine "Ideenpopulation"5, deren Beweglichkeit zur Selbstblockierung von Erwartungsbildung führen 2

Day 1984,70

3

Vgl. Schumpeter 1934; vgl. dazu auch Touraine 1987, 213 ff.; Crozier 1991a; ders. 1991c, 349; Day 1984, 72; vgl. jetzt auch Baecker 1992; Bouckaert 1990, 811; Ayres 1988,192 4

Eliasson 1984, 249, 263; FitzRoy/Kay 1991, 147 ff.; Day 1987,251 f.

5

Day 1984, 66; Fischer 1990, 11 ff.; Csanyi/Kampis 1987, 239

2. Zum Problem der Generierung komplexerer "Ordnung aus Lärm"

53

müßte, wenn nicht die Fähigkeit zur Verarbeitung von Ungleichgewicht in Unternehmen institutionalisiert würde.6 Die Fähigkeit zur Erzeugung neuer Möglichkeiten aus Risiko7 muß von Rationalität, die die Verfügung über mehr oder weniger bekannte Alternativen bezeichnet, unterschieden werden.8 In einer instabilen Ökonomie muß das durch Zufuhr neuer Möglichkeiten entstehende Ungleichgewicht ständig durch Versuche, "Ordnung aus Lärm" zu erzeugen9, kompensiert werden. Die neuen Möglichkeiten können ihrerseits nur durch aktives Handeln erprobt 10 und ggf. in neuen Handlungsmustern verarbeitet werden, die die Entscheidungskapazität des Individuums überfordern würden. Ungleichgewichtszustände entstehen vor allem deshalb, weil der Veränderungsprozeß sich nicht ohne Anpassungskosten vollzieht und die Orientierung an und die Koordination mit "gemeinsamem Wissen", das über ein Netzwerk verstreut ist, zunächst dazu tendiert, das Neue zu ignorieren oder es nach dem Muster des Alten zu interpretieren. Dies gilt auch für die Entwicklung der Technik, die nicht mehr gleichmäßig erfolgt, sondern Sprüngen unterliegt, insbesondere weil die Nutzung des Neuen durch "versunkene Kosten"11 der Investitionen, aber auch durch Routine blockiert wird. Hier entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen der Organisation, die den auf dem Markt entstehenden Irreversibilitäten durch Schaffung eines stabilen internen, Orientierung ermöglichenden Zeithorizonts entgegenwirkt, und den fortbestehenden Ungewißheiten des Marktes, die letztlich auch die Organisation wieder zu Anpassungen zwingt, wenn es der Organisation nicht gelingt, durch "kreative Zerstörung" (Schumpeter) eine Veränderung durchzusetzen. Eine solche produktive Veränderung ist möglich, weil die Unternehmensorganisation ihrerseits neues Wissen innerhalb ihres größeren Zeithorizonts produziert, das auch die Marktverhältnisse verändern kann.12 Vor allem in den Zeiten der Massenproduktion ist dieses Verhältnis zwischen Markt und Organisation längere Zeit relativ stabil geblieben.13 Die liberale Ökonomie basierte nicht nur auf der Möglichkeit der Verarbeitung "zerstreuten Wissens"14, also der Möglichkeit des Entscheidens auf 6

Day 1984, 72; vgl. zur Bedeutung von Informationstechnologien für diesen Prozeß Boynton 1993,

58 ff. 7

Day 1984, 66

8

Baecker 1989, 31, 34 f.

9

Vgl. allg. v. Foerster 1985, 125 f.; Atlan 1987, 237 ff.

10

Dachler 1984, 136; ders. 1988, 261 ff.; vgl. allg. zu einer ökonomischen Theorie der Selbstorganisation Probst 1987, 10 ff.; Fehl 1983, 80 11

Vgl. Homgren/Foster 1987, 325 f.

12

Favereau 1991, 69, 84; vgl. zu Entwicklung von Technologien Amendola/Gaffard 1986, 473 ff.; dies. 1988; Dosi 1982, 142 ff.; ders./Metcalfe 1991, 37 ff.; 13

Vgl. zu diesen Veränderungen Piore/Sabel 1985

14

v. Hayek 1986,27 ff.

54

ΠΙ. Wissensgesellschaft: Kontinuität der Erfahrung und systematische Wissensproduktion

unvollständiger Wissensgrundlage, sondern auch darauf, daß - wie im Modell der Erfahrung ermöglichenden Wahrscheinlichkeit allgemein - von bestimmten Präferenzen ausgegangen werden kann, die als Voraussetzungen unterstellt werden 15 und deshalb die Bildung von Erwartungen ermöglichen. Ohne solche Vorentscheidungen, die durch variable Konventionen über "gemeinsames Wissen" beweglich gehalten werden, ist die Handlungsorientierung auf unvollständiger Wissensgrundlage nicht möglich. Deshalb ist die Anpassungsfähigkeit des ökonomischen Systems begrenzt. Das gleiche gilt auch für die Technik und ihre Rezeption durch das ökonomische System. Technik ist selbst kein unstrukturierter "Wissenspool", aus dem Informationen frei geschöpft werden könnten.16 Auch die Entwicklung der Technik wird von der Notwendigkeit der Koordination zwischen der Notwendigkeit der Stabilisierung bestimmter Trajektorien und der gleichzeitigen (riskanten) Suche nach dem Neuen bestimmt.17 Daraus erklärt sich, warum bestimmte Technologien sich zu Lasten anderer durchsetzen können: Es muß stets unter Bedingungen unvollständigen Wissens und unter Zeitdruck über die Entwicklung bestehender oder die Investition in mehr oder weniger unbekannte Technologien (mit unbekannten Kosten und Nutzen) entschieden werden. Auch hier bildet sich ein Selbstorganisationseffekt heraus, der die Technikentwicklung durch Formulierung konventionalisierter Stopp-Regeln in gewissem Umfang festlegt und festlegen muß, weil sonst Zukunftserwartungen nicht gebildet werden können. Dies hängt damit zusammen, daß auch hier eine Fülle neuer technischer, aber auch ökonomischer Anschlußzwänge und -möglichkeiten bedacht werden müssen. Das geht bis zur Berücksichtigung der Bedingungen der Nutzung neuer Technologien, die neues Lernen notwendig machen können, ein Erfordernis, das zu einem bestimmten Zeitpunkt durch anderweitige Inanspruchnahme von Anpassungskapazität schwer erfüllbar sein kann. Auch die Technikentwicklung muß selektiv erfolgen, sie hat Rückwirkungen auf die Herausbildung von "technologischen Paradigmen"18, die zu Selbstverstärkungseffekten führen und konkurrierende Innovationen behindern können. Die Entwicklung komplexerer Technologien19 hängt zugleich von einem immer voraussetzungsvoller werdenden Verhältnis frei verfügbaren Wissens einerseits (Technik als öffentliches Gut) und erst neu zu entwickelnden, durch private "Inklusion" aneignungsfähig werdenden Kenntnissen ab. 20 Daraus ergibt sich, daß ein relativ hohes differenziertes Niveau frei verfügbaren, aber 15

Chanier 1992, 77

16

Dosi 1988, 1120, 1130

17

Nelson/Winter 1977, 36; Amendola/Gaffard 1986,152 ff.; dies. 1988; Bienaymé 1988, 823 ff.

18

Vgl. Dosi 1988, 1120, 1130

19

Vgl. allg. Rosegger 1991, 81 ff.

2 0

Vgl. Dosi 1988, 1164; Silverberg 1991, 67; vgl. allg. Mackaay 1986, 242; Romer 1990, "S" 17 ff.; Drucker 1993,184 ff.; Arthur 1990,122; Witt 1987,148 ff.

2. Zum Problem der Generierung komplexerer "Ordnung aus Lärm"

55

auf Kombination mit aneignungsfähigen Innovationen angelegtes Wissen für die Technikentwicklung von großer Bedeutung ist. 21 Infolge des Auftretens von Unternehmen läßt sich aber die Technikentwicklung selbst nur noch in Ungleichgewichtsmodellen beschreiben, weil das über Organisationen strukturierte Wissen die gesellschaftliche "Ideenpopulation" durch systematisch erzeugte "Attraktoren" und "Repulsionen" unter Druck setzt. Die Suche nach dem Neuen erfolgt nicht unstrukturiert, weil ein Bedarf für die Erzeugung von Stopp-Regeln besteht, die den Abbruch von Experimenten erforderlich macht. Der Prozeß der Konventionsbildung, der in der Marktgesellschaft eher an die Erwartungen von Individuen gebunden bleibt, wird durch die Beteiligung von Organisationen komplexer, da das Koordinationsbedürfnis differenzierter wird und einem schnelleren Wandel unterliegt und zugleich auch mehr Ungewißheit erzeugt wird. Der wachsende Anteil des Wissens an der Produktion und damit die Entwicklung "intelligenter Produkte" 22 steigert die Bedeutung der "Wissensökonomie"23, die sich von der Ressourcenökonomie in mehrfacher Hinsicht unterscheidet. Vor allem wird die Produktion selbst variabler 24; sie orientiert sich an funktionalen Relationierungen statt an festen Ziel-Mittel-Hierarchien, die früher den längeren Zeithorizont des Unternehmens geprägt haben. Vor allem aber ist die "Wissensökonomie" entgegen dem klassischen Modell durch das Gesetz zunehmender Erträge charakterisiert 25, da technisches Wissen einerseits als "öffentliches Gut" wirkt und dennoch unmittelbar auch private Aneignungsfähigkeit ermöglicht. Auch dies ist eine wichtige Erkenntnis für die Entwicklung eines Rechts der "Wissensgesellschaft" 26, weil die staatliche Regelbildung sich darauf einstellen muß, die Flexibilität und Varietät der gesellschaftlichen "Ideenpopulation" zu schützen und die Zufuhr von neuen Impulsen zu steigern. Der gesellschaftliche Wissenspool kann durch organisational erzeugte Selbstblockierungseffekte seine Innovationsfähigkeit einbüßen. Systematisches Auftreten von Organisationen in der Wirtschaft führt in den Prozeß der gesellschaftlichen Wissensbildung ein strategisches Moment ein, das den Optionsraum, innerhalb dessen entschieden und Konventionen gebildet werden müssen, selbst der Veränderung aussetzt. Dadurch ist die Paradoxie der Anpassung noch gesteigert worden: Wie kann man sich an eine WissensUmwelt anpassen, die ohne das eigene Wissen und das eigene Verhalten gar

21

H.A. Simon 1983, 7, 8

2 2

Drucker 1993, 184

23

Drucker 1993, 184; Zeleny 1989,45; Arthur 1990,122 ff.; Zand 1982,57

2 4

Vgl. allg. Wamecke 1992; Davidow/Malone 1992; Crazier 1991a, 32, 49; Piore/Sabel 1985; H.A. Simon 1983, 6; Le Moigne 1987,499 ff. 2 5

Arthur 1990,129; Drucker 1993,184 ff.

2 6

Zand 1982, insb. 57 ff.; Willke 1992,286 ff.

56

ΠΙ. Wissensgesellschaft: Kontinuität der Erfahrung und systematische Wissensproduktion

nicht existiert? 27 Dies ist übrigens eine der Bedingungen für die Entstehung der Theorie autonomer Systeme, die ihrer Umwelt keine eindeutig lesbaren Anpassungszwänge entnehmen können, weil die dauerhafte Abstufung von Komplexitätsniveaus, wie es sich etwa in dem dauerhafte Regelmäßigkeiten bildenden Kausalitätsmodell niedergeschlagen hat, nicht mehr funktioniert und damit die "Informationen" aus der natürlichen wie der innergesellschaftlichen Umwelt nur über die "Kodierung" entsprechend den "Eigenwerten" ausdifferenzierter Systeme Sinn erhalten können.28 Lernen bedeutet dann nicht mehr die kontinuierliche Verbesserung der durch ein stabiles Referenzsystem (Kausalität) gefilterten Wahrnehmung der Umwelt, sondern das Operieren mit den über Systeme gespeicherten Unterscheidungen innerhalb einer durch Effekte der Irreversibilität opak werdenden Umwelt. Die Annahme, daß es eine stabile, "vorstellbare" gleichbleibende Wirklichkeit geben könnte, wird dann unhaltbar. Damit tritt das Chaos, das mit den alten hierarchischen Modellen der Erkenntnis aus der gesetzmäßigen Ordnung "ausgegrenzt" (aber deshalb nicht ignoriert) worden ist, innerhalb der Ordnungsbildung selbst auf. Ordnung löst sich nicht im Chaos auf, aber es entsteht der Zwang, die Generierungsmuster des Wissens und die "Wissensgesellschaft" besser auf die Verarbeitung von Ungewißheit einzustellen. Die Herausbildung einer "Wissensgesellschaft", die die Orientierung an stabilen Regeln und Regelmäßigkeiten in Frage stellt, ist vor allem mit dem Aufstieg der Organisation verbunden. Es läßt sich sogar die These aufstellen, daß die Entstehung moderner komplexer Technologien nicht so sehr mit der quantitativen Zunahme des Informationsgehalts der Produktion und der Produktionsverfahren zusammenhängt, als vielmehr von der qualitativen Strukturierung der "Wissensströme" durch Organisation. Ihr Anstieg hat erst die Technologien der Spezialisierung, Differenzierung und Relationierung von Wissen ermöglicht und damit dessen Produktivität systematisch gesteigert.29 Die technologischen Revolutionen sind vor allem organisationale Revolutionen, die mehr und mehr das Denken in stabilen Gesetzmäßigkeiten und ihren Variationen durch die Individuen innerhalb einer homogenen Realität durch eine Kombinatorik von Relationierungen und eine Pluralität von Möglichkeitsräumen abgelöst haben. Damit entsteht ein Moment der Irreversibilität 30 innerhalb der "Wissensgesellschaft", das nicht mehr als Einbrechen des durch die "Regel" ausgeschlossenen Chaos in die gesellschaftliche Ordnung betrachtet werden kann (eine Möglichkeit, die auch dem früheren Denken nicht fremd war), sondern innerhalb der Prozesse der Ordnungsbildung selbst dau2 7

Godard 1991, 246; vgl. auch Atlan 1989, 241 ff.; Lanzara 1986, 276

2 8

Boyer/Chavance/Godard 1991, 24

2 9 Petrin 1991, 162; Dosi/Metcalfe 1991, 37; vgl. auch die Untersuchung zum Verhältnis von Technik und Organisation von Hughes 1983 3 0

Vgl. dazu die Beiträge in: Boyer/Chavance/Godard (Hg.) 1991

2. Zum Problem der Generierung komplexerer "Ordnung aus Lärm"

57

erhaft präsent ist. Die hierarchische Stufung der Problemwahrnehmung und der Wissenserzeugung wird erschüttert, die Mobilisierung des Wissens in variablen Optionsräumen verschleift Regel und Regelanwendung in einem paradoxen Prozeß der experimentellen Erzeugung von "Ordnung aus Lärm". 31 Die neue durch Organisation geprägte Entwicklung von Wirtschaft und Technologie läßt sich nur noch in nicht-linearen Modellen beschreiben, die auf Rückkopplungs- und Verschleifungseffekte zwischen Komplexitätsstufen eingestellt sind.32 Damit ist einerseits die Ungewißheit größer geworden, andererseits ist aber auch das proaktive Lernen durch Modellierung und Erprobung von Möglichkeiten denkbar geworden. Hier läßt sich z.B. das in der oben vorgeschlagenen Interpretation des Eigentums enthaltene Potential der Bindung von Ungewißheit weiterentwickeln. Unter den veränderten Bedingungen der Wissensproduktion müssen Unternehmen als kollektive Mechanismen der Gedächtnis- und Modellbildung fungieren 33, die systematisch Lernen ermöglichen. Vor allem mit dem fortschreitenden Übergang von der Massenproduktion zu flexiblen Formen der "Wissensindustrie", deren Produkte einen höheren "Informationsgehalt" haben, verändert sich die Funktion des Unternehmens, das nicht mehr durch seine Produkte und die darauf bezogenen Regelbestände als vielmehr durch das Wissen und das Know-how definiert wird, das an das organisationale Netzwerk selbst gebunden ist 3 4 und selbst nicht mehr der Verfügung durch einen individuellen Eigentümer unterliegen kann: Das Unternehmen wird ebenfalls charakterisiert durch die Verschleifung seiner Ebenen, es wird prozeduralisiert 35, d.h. es wird durch einen sich verändernden Prozeß der Selbstdefinition bestimmt, durch den es seine eigenen Ziele und Grenzen ständig modifiziert und sich dabei an seinen eigenen Operationen orientiert. 36 Eine von der strukturbildenden Wirkung hierarchisch gestufter Komplexitätsniveaus und den daran orientierten Regeln abgelöste Wissensgenerierung kann nur noch über eine Modellkonstruktion verlaufen, die den Schöpfer des Modells impliziert. 37 Wissen existiert mehr und mehr außerhalb des Denkens des Individuums als kollektiver, an ein Netzwerk von Relationen gebundener emergenter Effekt. 38

31 Vgl. Atlan 1986, 252; Livet 1991, 445; Bienenstock 1985, 4; v. Foerster 1969; Godard/Salles 1991, 255 ff.; vgl. auch die Beiträge in Dupuy/Dumouchel (Hg.) 1983 3 2 Vgl. zu einer mit Ungleichgewichtsverhältnissen rechnenden Ökonomie nur Day 1984, 57 ff.; ders. 1987, 251 ff.; Fehl 1983, 65 ff.; Kunz 1985, 78 33

Favereau 1991, 69 ff.

34

Williamson 1991, 172; vgl. auch Gibbs/Jenkins 1991, 1429

3 5

Vardaro 1990, 226

3 6

Le Moigne 1987, 499 f., 508; vgl. auch Baecker 1992, 168 zur "Unvollständigkeit" des Unternehmens; zur systematischen Suche nach Alternativen vgl. Simon 1990, 7; Touraine 1987, 213 ff. 3 7

Le Moigne 1987, 508 f.; vgl. allg. auch Luhmann 1988

38

Vgl. Fischer 1990,11 ff.; Groys 1993, 156 ff.

58

Ι . Wissensgesellschaft: Kontinuität der Erfahrung und systematische Wissensproduktion

3. Flexibilisierung des Unternehmens durch interne und externe Grenz Überschreitungen Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, daß die äußere Grenze wie die internen Hierarchieebenen des Unternehmens zum Problem werden müssen.39 Die stabile, Abstraktionsebenen dauerhaft abschichtende Organisation wird überführt in eine flexible, problemorientierte Binnenstruktur nach dem Modell "überlappender Netzwerke" 40, das auf Problemverknüpfung statt auf interne Grenzziehungen ausgerichtet ist. 41 Die Wissensstruktur des Unternehmens wird durchlässiger und variabler und kann mehr Informationen aufnehmen.42 Dem Unternehmen wird zugleich dadurch mehr Flexibilität und Varietät zugeführt. Selbstbeobachtung wird durch institutionalisierten Einbau alternativer Sichtweisen ("Unternehmenskulturen") mit Fremdbeobachtung verknüpft, und systematisch wird ein Moment von Chaos in Ordnung eingeführt. 43 Dadurch sollen Formen organisationalen Lernens ermöglicht werden, die das im Netzwerk des Unternehmens enthaltene Wissen durch Irritationen zu mobilisieren suchen. Ähnliches gilt für die Öffnung der Produktion durch systematische Rückkopplung zu den Kunden.44 Dies alles sind Variationen einer Flexibilisierung von Organisationen, die von der Einsicht in die begrenzte Rationalität der Entscheidung von Organisationen bestimmt sind. Nachdem einmal die Orientierung an den Hierarchien und Grenzen des klassischen regelorientierten Denkens unmöglich geworden ist, bedarf es variabler Organisationsformen, die die Erfassung komplexerer Situationen erlaubt. 45 Wissen ist gebunden an kollektive Netzwerke des nunmehr vor allem über Organisationen erzeugten "gemeinsamen Wissens". Die Organisation ist dadurch gekennzeichnet, daß sie die Suche nach dem Neuen nicht der spontanen Zufuhr von Varietät überläßt, sondern ihrerseits "angepaßte" kollektive Mechanismen der Selbständerung durch Verfahren der systematischen Selbstbeobachtung auf Dauer stellt. Dadurch bildet sich eine neue prozedurale Rationalität heraus, die sich von einer substantiellen dadurch unterscheidet, daß sie nicht auf Entscheidungen zwischen relativ festliegenden Optionen eingestellt ist, sondern unter Komplexitätsbedingungen Optionsräume durch Verfahren 3 9

Guilhou 1992, 582

4 0

Nonaka 1990, 35 f.

41

Jarillo 1988, 32; Vardaro 1990, 229

4 2

Lyles/Schwenk 1992, 155, 164; Boynton/Victor 1991, 58 ff.

43 Nonaka 1988, 12; ders. 1991, 96; ders./Yamanouchi 1989, 307; diesem Aspekt der "impliziten" Generativität der organisationalen Netzwerke wird Williamsons Theorie der Organisation als eines Bündels von Verträgen (vgl. 1981, 1537; 1991, 159 ff.; 1991a, 269 ff.) nicht gerecht; vgl. FitzRoy/Kay 1990, 247 ff. 4 4

Crazier 1991a, 49; Piore/Sabel 1985; Imai/Nonaka/Takeuchi 1985, 345

4 5

H.A. Simon 1991, 37

3. Untemehmensflexibilisierung durch interne und externe Grenzüberschreitungen

59

modelliert, über die systematisch aus einer unvollständigen Wissensbasis neue Möglichkeiten projiziert werden. 46 Das traditionelle hierarchisch organisierte Unternehmen war für die effektive Bearbeitung gut abgrenzbarer Probleme geeignet, die neue flexible Unternehmensorganisation muß komplexe, schwer abgrenzbare Aufgaben bewältigen, deren Lösung sich nicht an einem Bestand relativ festliegender Präferenzen orientieren kann.47 Darin schlägt sich eine Entwicklung nieder, die von einer durch Verschleifung früher getrennter Komplexitätsebenen gesteigerten Ungewißheit beherrscht wird. Im traditionellen Marktparadigma konnte sich innerhalb von relativ stabilen, durch Präferenzen strukturierten Regelmäßigkeiten ein über den Markt zerstreutes Wissen durch Unternehmensentscheidungen im Versuch-Irrtums-Verfahren zu neuer Erfahrung aggregieren. Unter komplexen Umweltbedingungen stehen aber einerseits mehr Möglichkeiten zur Disposition, die andererseits aber durch weniger feste Regelbestände mit- und untereinander verknüpft sind. Dies erfordert ein höheres Maß an Koordination mehrerer, durch Verfahren modellierter und projizierter Entscheidungselemente48, da in komplexen Situationen Ursachen und Wirkungen nicht leicht zu verbinden sind.49 Dies muß durch höhere Flexibilität und durch Lernen zum Handeln auf unvollständiger Informationsbasis kompensiert werden. Die neue Organisation ist selbst durch ihre horizontal-relationale Funktionsweise, die zyklische Verknüpfung von Handlungen zu überlappenden, auf Selbständerung angelegten Netzwerken50, das entscheidende Medium, in dem sich Wissen bildet und das praktische Anschlüsse ermöglicht, die früher durch den Prozeß der individuelle Beiträge aggregierenden Erfahrung generiert worden sind. Hier ist daran zu erinnern, daß auch der traditionelle Erfahrungsbegriff an der Produktion von Wissen, also an Lernprozessen orientiert war. Das neue organisationale Lernen ist aber in einem höheren Maße auf die Konstruktion von Problemen und nicht nur das allmähliche Akkumulieren von "Fällen" einerseits und die stabile Orientierung an Regelmäßigkeiten andererseits eingestellt. Die Zufuhr von Dauervariation, und damit ein Moment des Zufalls, nimmt in komplexen Organisationen eine Form an, in der die punktuelle Überschreitung des Bekannten abgelöst wird durch eine strategische Kombinatorik der Selbstkonstruktion des Unternehmens.51 Die Aufgabe des Managements besteht mehr und mehr darin, innerhalb eines organisation a l Beziehungsnetzwerks eine kreative Spannung zu erzeugen, die in abge4 6 H.A. Simon 1978, 1, 12; ders. 1983, 7; ders. 1969; vgl. auch Kirat 1991, 42 ff.; Favereau 1989, 121 ff. 4 7

Zand 1982, 57; Boynton/Victor 1991, 53, 58

4 8

Wynne 1992, 277; ders. 1987, 269 ff.

4 9

Miles/Snow 1986, 64

5 0

Dachler 1984, 142

51

Vgl. allg. Allen 1988, 120 ff.; Dachler 1988, 261 ff.

60

ΠΙ. Wissensgesellschaft: Kontinuität der Erfahrung und systematische Wissensproduktion

stimmten Beobachtungs- und Handlungszyklen generiert und verändert wird. Darüber modelliert das Unternehmen sich als produktiver Gesamteffekt selbst.52 Dies ist darin begründet, daß die Beobachtung von "Wirkungen" nicht mehr ohne weiteres am einfachen Muster der Kontrolle nach festen vorgegebenen Kriterien erfolgen kann; vielmehr wird die "Qualität" des Produkts als ein Gesamteffekt des auf ständige Verbesserung angelegten Prozesses definiert. 53 Die auf permanentes Lernen eingestellte Organisation bildet in sich selbst in begrenztem Maße chaotische Effekte ab und introjiziert sich damit ein Moment der Unordnung, die auch in ihrer Umwelt auftritt, aber angesichts der langen Produktionszyklen möglicherweise zu spät ihre Signale "von außen" sendet.54 Auch hier haben wir es mit einem Auftreten von diffuser Kausalität und schwer beschreibbaren Vernetzungseffekten zu tun, die das Unternehmen auf seine Weise durch spezifisch organisationsinterne Mittel, nämlich durch prophylaktische Selbstirritation, verarbeitet. Das Unternehmen reagiert auf zunehmende Orientierungsprobleme, indem es seine internen und externen Grenzen durch institutionalisierte Grenzüberschreitungen flexibel hält. 55 Die durch Organisation selbst erzeugte Ungewißheit der Orientierung an der nicht mehr durch einfache Schematisierungen zu ordnenden Umwelt wird intern kompensiert durch größere Resilienz, die sich flexibel auf das Unterwartete einstellen kann. Das Unternehmen muß sich deshalb durch systematische Produktion des Neuen um des Neuen willen geradezu selbst programmieren. 56 Innovation ist damit auf Dauer gestellt57 und bleibt an den Prozeß der Verbindung von Ordnung und Unordnung verwiesen. Die entscheidende Veränderung des flexiblen Unternehmens ist dadurch gekennzeichnet, daß es sich vom Paradigma der Problemlösung auf das Modell der Problemgenerierung und Problemkonstruktion umstellt, also seinen Optionenraum ("Vorentscheidungen") durch Verschleifung mit den einzelnen Optionen (Entscheidungen) auf Lernen einstellt.58 Die Tendenz zur Überschreitung interner Grenzen zwischen Hierarchieebenen sowie zwischen Binnenstruktur und Außenwelt erzeugt auch neue Formen der interorganisationalen Netzwerkbildung, die wiederum verschiedene Variationen zwischen horizontaler und hierarchischer Verbindung annehmen 5 2

Senge 1990, 7 f., 12 f.; Nonaka 1988, 12

53

Vgl. TQM 1990; Grant/Shani/Krishnan 1994, 25 ff.; Qualität kann als komplexes Gut durch den Markt allein nicht gewährleistet werden, vgl. dazu auch Karpik 1989; zur Verbindung von Total Quality Management und Ökologie Friedman 1992, 25; Rogers 1992, 29; Vandermerwe/Oliff 1991, 6 ff.; Corbett/Van Wassenhove 1993, 116 ff. 5 4

Nonaka 1988a, 57 f.; Zeleny 1987, 59 ff.; ders. 1989, 45 ff.; Miles/Snow 1986, 62 ff.

5 5

Morgan 1986, 92

5 6

Nonaka 1991, 96 ff.; vgl. in theoretischer Perspektive Atlan 1989, 242 ff.; im Hinblick auf Institutionen Denzau/North 1994, 3 5 7

Nonaka 1990, 27 ff.; vgl. auch Foray 1991, 884 ff.

5 8

Nonaka 1990, 27 ff.; Favereau 1989, 121

4. Bewältigung von Ungewißheit, Herausbildung "hybrider" (Selbst-)Organisationsformen

61

können. Auf die wirtschaftsrechtlichen Probleme der Bildung von Konzernen und locker gekoppelten "Netzwerken" zwischen Großunternehmen und Zulieferern soll hier nicht im einzelnen eingegangen werden. Hier kommt es nur auf die Einsicht an, daß solche neuen Unternehmens- und Organisationsverbindungen nicht mehr nur unter dem Gesichtspunkt der Vermachtung von Marktverhältnissen betrachtet werden dürfen, sondern daß es sich hier um ein neues Phänomen handelt, das nach einer neuen Konstruktion verlangt. 59 4. Zur Bewältigung von Ungewißheit durch Herausbildung "hybrider" (Selbst-)Organisationsformen Vor allem die Akzentuierung des Problems der Wissensgenerierung und der Notwendigkeit zur dauerhaften Innovation eröffnet auch eine Perspektive auf die Herausbildung von "hybriden" Formen der Verbindung von Markt und Organisation.60 Das traditionelle Verhältnis von Wissen als öffentlichem Gut, das frei zugänglich ist, und Wissen als Gegenstand privater Aneignung (Patent, Know-how etc.) erweist sich als nicht mehr ausreichend komplex für die Befriedigung des Wissensbedarfs einer auf Innovationen angewiesenen Industrie. Neue Formen der Erzeugung eines "gemeinsamen Wissens" sind damit erforderlich, das nicht mehr durch Erwartungen ermöglichende Konventionen über den Markt oder durch kontinuierliche aggregierte Erfahrung gebildet werden kann. Damit steigt die Bedeutung interorganisationaler Kooperationsformen 61, deren Gegenstand die Erzeugung eines gemeinsamen Wissenspools ist, aus dem auf der Grundlage von Joint Ventures oder Verträgen mehrere Organisationen relativ frei schöpfen können.62 Solche Verbindungen sind ihrerseits erst durch moderne Informationstechnologien möglich geworden, die es zulassen, offenen Zugang zu großen gemeinsam erzeugten Datenmengen zu schaffen, statt erst langsam Vertrauen über Erfahrung aufzubauen oder den Wissenspool des einen Unternehmens durch Übernahme des anderen zu ermöglichen. Auf diese Weise läßt sich die interne Flexibilität sozusagen nach außen kehren. Neue Formen flexibler Grenzüberschreitung zwischen Markt und Organisation sowie zwischen Organisationen dürfen nicht als Tendenz zur "Entdifferenzierung" interpretiert werden, es handelt sich vielmehr um eine "Rekodierung" von Marktelementen durch eine Organisationslogik, nicht aber um eine bloße Grenzverwischung. 63 Auch hier begegnet 5 9

Vgl. auch Florida 1991,559 ff.

6 0

Teubner 1990, 295 ff.; vgl. auch die Beiträge in Joerges (Hg.) 1991

61

Imai/Itami 1984, 286

6 2

Miles/Snow 1986, 64

63

Imai/Itami 1984, 286; vgl. zu "hybriden" grenzüberschreitenden Beziehungsnetzwerken Hutter/Teubner 1993, 706; vgl. zu neuen Verbindungen zwischen öffentlichen und privaten Organisationsformen Sternberg 1993,11 ff.; vgl. allg. auch Mayntz 1993, 9 ff.

62

ΠΙ. Wissensgesellschaft: Kontinuität der Erfahrung und systematische Wissensproduktion

uns wieder eine Folge der veränderten Stellung der gesellschaftlichen Wissenssysteme in komplexen Gesellschaften: Die Grenzen sind variabel geworden, sie unterliegen einem permanenten Prozeß der Reformulierung, über die Organisationen Strategien der Ko-Evolution mit ihrer Umwelt kognitiv und praktisch entwerfen. Die neuartigen heterarchischen und hierarchischen Netzwerke von Organisationen müssen der Notwendigkeit gerecht werden, kollektives Lernen und die Agrégation unterschiedlicher Typen "gemeinsamen Wissens" als Grundlage für die permanente Generierung von Innovationen zu ermöglichen, die allein die Selbsterhaltung von Unternehmen in einer komplexer gewordenen Umwelt ermöglichen können. Die Produktion und die Aneignung von Wissen verlangt aber unter Bedingungen zunehmender Komplexität nach neuen Formen variabler inter- und innerorganisationaler Netzwerkbildung 64; vor allem die wachsende quantitative und qualitative Bedeutung von Forschung und Entwicklung und die Möglichkeit der Vernetzung von Wissen durch Informationsverarbeitungs- und -Übertragungssysteme65 lassen die Generierung neuen, nicht unmittelbar an definierte Ziele gebundenen multifunktionalen Wissens durch abgestimmte Lernstrategien mehrerer Unternehmen sinnvoll erscheinen. Dies hängt auch damit zusammen, daß das "prozeduralisierte" Unternehmen nicht mehr durch seine Produktpalette definiert wird, sondern durch flexible, variable Funktionen.66 Durch diese Umstellung wird es möglich, die Struktur der Organisation, die bisher durch das Erfordernis relativ fester hierarchischer Strukturen definiert war 67 , durchlässig zu machen und auf einen Wissenstyp einzustellen, der an flexible, auf Selbständerung angelegte Netzwerke gebunden ist. 68 Umgekehrt wird daran auch deutlich, daß Wissen als öffentliches Gut nicht mehr ausreichend im allgemein zugänglichen Variationspool der Gesellschaft verfügbar ist; auch dies ist ein Grund dafür, daß sich "hybride" Organisationen bilden, die die Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem überschreiten. Das neue "Organisationswissen" unterscheidet sich von dem traditionellen, an Netzwerke gebundenen "impliziten" Wissen69 dadurch, daß es stärker auf Selbständerungsfähigkeit und die Bildung von Modellen angelegt ist, während es wie jenes die zentrale Verfügung ausschließt. Die flexible Kombinatorik der Möglichkeiten läßt aber auch die Bildung neuer Koordinationsformen zwischen der traditionellen Organisation und dem Vertrag zu 70 , die nicht mehr auf die Alternative der 6 4

Zand 1982, 57; Guilhou 1992,573; Halal 1986, 123 ff.

6 5

Vgl. Boynton 1993, 35; Pavitt 1990,17 ff.

6 6

H.A. Simon 1991, 35 ff.; Favereau 1989, 167, knapp sind danach nicht mehr materielle, sondern kognitive Ressourcen, die vor allem durch die Effizienz der "internen Umwelt" des Unternehmens generiert werden. 6 7

Dosi/Metcalfe 1991,50

6 8

Florida 1991,569

6 9

Polanyi/Prosch 1975, 185

7 0

Vgl. dazu nur Brousseau 1993, 15 ff.; Teubner 1987, 61 ff.; Imai/Itami 1984, 285 ff.

4. Bewältigung von Ungewißheit, Herausbildung "hybrider" (Selbst-)Organisationsformen

63

dauerhaften Integration in eine hierarchische Struktur (Organisation) oder genau definierte Austauschbeziehungen (Vertrag) festgelegt sind. Damit kann zugleich ein Problem bewältigt werden, das bisher großen Organisationen erheblich zu schaffen gemacht hat, nämlich die Leistungsmessung und -bewertung: Das Unternehmen als "finanzielle Institution", das seine Leistung im Preisparameter über den Erfolg bestimmen kann, kann den Gesamterfolg oder den Erfolg eines oder mehrerer Produkte relativ leicht messen, hat aber Schwierigkeiten, die Beiträge der einzelnen Abteildungen zu bewerten, weil diese nicht an den Markt angekoppelt sind. Es wird dadurch kompensiert, daß einzelne Abteilungen in neuerer Zeit zu "profit centers" erhoben werden, deren Produktivität selbständig bewertet wird. Diese Tendenz, auf die hier nicht im einzelnen eingegangen werden kann, wird ihrerseits durch die Entwicklung flexibler Informationssysteme erleichtert, die auch die Grundlage der Konzeption eines neuen Paradigmas, der "fraktalen Fabrik" 71 , gebildet haben. "Fraktale" im diesem Sinne sind autonome, selbständig agierende Unternehmenseinheiten, deren Ziele und Leistungen flexibel beschrieben (und darauf aufbauend gemessen) werden und über ein höchst leistungsfähiges Informations· und Kommunikationssystem variabel und flexibel vernetzt werden. 72 Das Ziel besteht dabei in der Erhaltung der Kompatibilität der Beiträge zu einer "gemeinsamen Vision", die sich mit dem Unternehmen verbindet. Auch auf diese Weise entstehen "hybride" Formen der Austauschbarkeit von Markt und Organisationselementen über die bisherigen Grenzen hinweg. Das gleiche Phänomen der Grenzüberschreitung zwischen Markt und Organisation läßt sich auch im Verhältnis zwischen Produktion und Konsumtion beobachten. Der Markt entwickelt sich nicht mehr kontinuierlich auf der Grundlage stabiler Präferenzen über punktuelle Variationen von Fall zu Fall durch neue Produkte, die zugleich die relativ stabilen Erwartungen beeinflussen. In neuerer Zeit entstehen immer mehr Produkte, die in jeder Hinsicht mit Wissen "bepackt" sind:73 Dies gilt nicht nur für das Produkt selbst, sondern auch für die Bedürfnisse, die dadurch befriedigt werden. Das Produkt wird etwa durch Prestige geprägt, sein Gebrauch erfordert die Einstellung auf unterschiedliche Zeithorizonte (langlebige/kurzlebige Produkte). Sein Gebrauch erfordert selbst bestimmte Fertigkeiten, er kann eingebettet sein in ein komplexes kollektives Netzwerk von Parallelinteressen, durch deren Koordination es allein nutzbar wird (Kommunikationsgeräte) etc. In umgekehrter Richtung findet die Verschleifung von Produktion und Konsumtion durch Integration des Konsumenten in die Produktion selbst statt:74 Die Informationen, die durch den Gebrauch von Produkten entstehen, erhalten selbst einen Innovati71

Wamecke 1992; Davidow/Malone 1992

7 2

Wamecke 1992, 74, 142 f.; vgl. auch Boynton 1993, 58 ff.

7 3

Imai/Itami 1984, 285 ff.

7 4

Vgl. allg. Piore/Sabel 1985; Crozier 1991a; ders. 1991b

64

ΠΙ. Wissensgesellschaft: Kontinuität der Erfahrung und systematische Wissensproduktion

onswert und werden in die Produktion zurückgeführt. Die Flexibilität der Produktion läßt es zu, die Standardisierung mindestens partiell zu lockern und die Produktion für die Bedürfnisse des Kunden zu spezifizieren. Auf diese Weise kann ein Unternehmen durch größere Flexibilität seine Resilienz steigern, indem es dem Pool der Möglichkeiten ständig Neues zuführt. Das bedeutet, daß die Organisation und organisationale Netzwerke selbst als wichtige Ressource für die Erzeugung von Wissen aus Komplexität betrachtet und behandelt werden müssen. Dieser Gesichtspunkt ist auch für die weitere Untersuchung festzuhalten: Die Erhaltung und Veränderung gesellschaftlicher Wissensbestände ist dadurch entscheidend verändert worden, daß sie mehr und mehr über Organisationen erfolgt. Auf die sich daraus im einzelnen für das Recht im allgemeinen und das Umweltrecht im besonderen ergebenden Konsequenzen soll weiter unten näher eingegangen werden. Jedenfalls ist der produktive Charakter des Wissens erheblich gesteigert worden. Dadurch ist ein neuer Koordinationsbedarf entstanden, der - wie gezeigt - zum Teil über organisationsinterne und Selbstorganisationsprozesse des Marktes bewältigt wird, aber auch den Staat und das Recht vor neue Probleme stellt. Auf der einen Seite drängt sich die Notwendigkeit auf, die Erhaltung der Produktivität des Wissens unter Komplexitätsbedingungen selbst zu einer Aufgabe des Staates und des Rechts zu machen, insbesondere eines auf die Vermeidung von Selbstblockierungen und die Ermöglichung der Generierung neuen Wissens eingestellten Verfahrensrechts. Auf der anderen Seite muß aber bei der rechtlichen Rezeption technischen Wissens dessen Bindung an organisationale Netzwerke in Rechnung gestellt werden. Damit ist verstärkt die Möglichkeit der ungewollten Erzeugung perverser Effekte durch Blockierung von Innovationen verbunden. Die sich selbst modellierende Organisation ist auf den Einbau von Alternativen in den Prozeß der Erprobung des Neuen durch die Überschreitung bestehender Grenzen angelegt, weil Programme und ihre "Anwendung" nicht mehr - wie im traditionellen Modell - getrennt, sondern über die paradoxe Erzeugung emergenter Effekte zur Selbstprogrammierung zusammengeschlossen werden.75 In Natur- wie Gesellschaftswissenschaften tritt die Notwendigkeit des Operierens mit Modellen auf, die nicht über eine vollständige, auf Regeln oder Regelmäßigkeiten basierende Beschreibung verfügen, sondern auf experimentelle Konstruktionen verwiesen sind, die sich systematisch auf das Unvorhersehbare einstellen und nur noch mit lokalen deterministischen Beziehungen rechnen.76 Stabilität kann nicht über Regeln und die Erhaltung von Komponenten gewonnen werden, sondern durch den Prozeß der permanenten Suche nach Mechanismen globaler "unscharfer" Musterbildung ("fuzzy systems"). Das Wissen, das über (inter-)organisationale Systeme er7 5

Allen 1988, 128; Nonaka/Yamanouchi 1989, 299 ff.

7 6

Allen 1988, 109, 128

4. Bewältigung von Ungewißheit, Herausbildung "hybrider" (Selbst-)Organisationsformen

65

zeugt wird, ist als relationales Wissen dadurch gekennzeichnet77, daß es über (inter-)organisationale Systeme distribuiert ist und nicht über eine Gesamtheit von Individuen wie die Erfahrung. Während für den Markt das über eine Vielzahl von Marktteilnehmern zerstreute Wissen paradigmatisch war, so ist für die neuen Organisationsformen das systematische Erproben von Relationierungen einer Vielzahl von Elementen und die darüber ermöglichte Generierung des Neuen charakteristisch. 78 Die auf dem Einbau von Unordnung in organisierte Ordnungsbildung basierenden neuen Formen der Modellierung lassen keine hierarchische Abstufung "natürlicher" Komplexitätsstufen und Verzweigungen mehr zu. Sie stellen die stabilen Regeln und Regelmäßigkeiten, aber auch die Trennungen in Frage, über die in der Marktgesellschaft stabile Zuordnung von Verantwortung an Subjekte erfolgte. Damit wird auch die Stellung des (individuellen) Subjekts und einer organisierten Gemeinschaft gleicher Subjekte unterlaufen, die nur auf der Basis der klassischen Trennungen, insbesondere der zwischen Privatem und Öffentlichem, zwischen Allgemeinem und Besonderem etc. möglich war. In den variablen Prozessen der strategischen Selbstprogrammierung und der darüber erzeugten kollektiven Selbstorganisationseffekte werden das "Subjekt" der Beobachtung und der Gegenstand der Beobachtung miteinander verschleift und über die "Gesellschaft der Organisationen" distribuiert. Das stabile "Objekt" der Beobachtung geht in den systemintern formulierten Unterscheidungen auf, mit denen Modelle unter Ungewißheitsbedingungen gebildet werden. Das beobachtende Objekt wird in der Polykontexturalität der Selbst- und Fremdbeobachtungen durch variable Koordinationseffekte abgelöst. Die Produktivität und die Produktionsverhältnisse des Wissens sind gerade für eine Rechtstheorie deshalb von besonderer Bedeutung, weil Wissen nicht aus "semantischen Atomen" besteht79, die über stabile Austauschbahnen übertragen und in Regeln unterschiedlicher Komplexitätsstufe aggregiert werden können. Praktisches Orientierungswissen bleibt an die Beziehungsnetzwerke gebunden, über die es reproduziert wird, infolgedessen hat deren Veränderung einschneidende Bedeutung für das Wissen selbst. Wenn Wissen nicht mehr in stabilen Regeln und Regelmäßigkeiten geordnet werden kann, wird auch die Koordination zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen erschwert. Das über Organisationen produzierte Wissen entzieht sich zu einem erheblichen Teil der staatlichen Beobachtung und stellt deshalb auch die Rezeption in komplexeren Entscheidungsverfahren vor große Probleme. Es bedarf deshalb neuer Verfahren, die ihrerseits ein konstruktives Moment der Modellbildung entwickeln müssen, das sich auf die bloße "Sammlung" von zerstreutem Wissen nicht mehr einlassen kann. Solche Ver7 7

Kampis/Csanyi 1987, 143, 148; Allan 1989, 237

7 8

v. Foerster 1969, 19 ff.; vgl. auch Csanyi/Kampis 1985, 303, 312

7 9

Bienenstock 1985, 3, 4

5 Ladeur

66

ΠΙ. Wissensgesellschaft: Kontinuität der Erfahrung und systematische Wissensproduktion

fahren müssen ihrerseits konzipiert werden als institutionalisierte Formen der Grenzüberschreitung einerseits und der Kooperation andererseits, in denen abgestimmte experimentelle Modelle entwickelt werden, die systematisch mit der Unvollständigkeit des verfügbaren Wissens rechnen müssen. Diese Unvollständigkeit ergibt sich daraus, daß Staat und Recht das "relational" gewordene Wissen nicht sammeln können, sondern es nur in ihren eigenen Wahrnehmungsbedingungen reproduzieren können und es dabei zwangsläufig verändern. Die globalen Regelmäßigkeiten, die die liberale Gesellschaft charakterisiert und eine einfache Koordination gerade über die institutionalisierten Trennungen ermöglicht hatten, haben ihre Orientierungskraft eingebüßt. Das neue, eher durch eine Kombinatorik der Relationierungen geprägte Wissen der "Wissensgesellschaft" ist nur durch ihrerseits organisierte Grenzüberschreitungen möglich, die eine Abstimmung in neuer Form ermöglichen und ihrerseits "produktiver" Übersetzungsmechanismen bedürfen. Die Zwischenüberlegungen zur Entwicklung und Veränderung gesellschaftlicher Wissensbestände und ihrer Generierungsmuster sollten die Grundlagen für eine genauere Untersuchung der mit der Entstehung komplexer Risiken sich stellenden Informationsprobleme gelegt haben. Oben ist auf die enge Bindung des Gefahrenbegriffs an die Erfahrung hingewiesen worden. Neue schwer strukturierbare Entscheidungsprobleme (insbesondere der Umweltverwaltung) werden mit dem Übergang zur Entwicklung von Technologien geschaffen, die - wenn auch in unterschiedlichem Umfang - den Prozeß der Innovation des gesellschaftlichen Wissens beschleunigen, indem sie Erfahrungen nicht mehr kontinuierlich nutzen und erweitern, sondern die Entwicklungstrajektorien selbst, und damit den Optionsraum, verändern und nicht nur einzelne Optionen einführen. Diese neue Form der Technologieentwicklung ist vor allem durch enge Verbindung zwischen Technologie und Wissenschaft charakterisiert. Auch darin zeigt sich eine Variante der generellen Transformation des nicht mehr durch hierarchische Abstufung natürlicher Komplexitätsniveaus und insbesondere durch das Kausalitätsmodell strukturierten Wissenssystems. Die Wissenschaft ihrerseits verwaltet nicht mehr die Kenntnis der allgemeinen natur- und ingenieurwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten auf einer von der Anwendung jedenfalls typischerweise getrennten und allenfalls allmählichem Wandel ausgesetzten hierarchisch höheren Ebene des gesellschaftlichen Wissens, vielmehr entwickelt sich auch hier eine heterarchische Verschleifung zwischen Optionsräumen und den einzelnen Optionen durch interorganisationale Netzwerkbildung zwischen Wissenschaft und Technologie: Die Forschung ist unter Bedingungen zunehmender Komplexität des Wissens auf die durch Technologie erzeugten Wissensbestände angewiesen; wissenschaftliches Experiment und praktische Anwendung sind vielfach nicht mehr deutlich voneinander getrennt. Daß dabei auch die finanziellen Kosten der Forschung eine große Rolle spielen, liegt auf der Hand. Auch hier zeigt sich wiederum ein Phänomen der Grenzüberschreitung

4. Bewältigung von Ungewißheit, Herausbildung "hybrider" (Selbst-)Organisationsformen

67

durch sekundäre Modellierung, nicht durch entdifferenzierende Grenzverwischung: Zwischen Wissenschaft und Technik werden Verbundsysteme gebildet, über die ein Wissenstyp generiert wird, der sowohl wissenschaftlich als auch technisch "kodierbar" ist und der sich dadurch auszeichnet, daß er nur noch in sehr begrenztem Maße in die allgemeine Wissenschaftsöffentlichkeit überführt werden kann.80 Auch dies ist eine Erscheinungsform des oben beschriebenen Aufstiegs von Organisationen zu Trägern eines kollektiven Prozesses der Wissensbildung81, der über ein interorganisationales Beziehungsnetzwerk distribuiert, aber auch daran gebunden ist. Während die Entwicklung von Erfahrung an die Herausbildung stabiler hierarchisch gestufter Entwicklungstrajektorien und deren Variation (primär) durch Individuen und die punktuelle Zufuhr von Innovationen angewiesen war, über die sich ein "durchschnittlicher", auf Normalisierung und Konventionsbildung angelegter Wissensbestand stabilisieren konnte, wird das neue technologische Wissen durch (inter-)organisationale Netzwerke erzeugt. Dieser Gesichtspunkt darf neben der Zunahme "wissenschaftsinterner" Komplexität, auf die weiter unten noch einzugehen sein wird, nicht vernachlässigt werden. Die auch in früheren Wissenschaftsepochen schon erkennbare Angewiesenheit der Erkenntnis auf die Entwicklung technischer Beobachtungsverfahren 82 und -geräte etc. ist in neuerer Zeit noch weitaus stärker ausgeprägt und hat sich vor allem in der Abhängigkeit von der Entwicklung leistungsfähiger Computer niedergeschlagen, die heute vielfach wissenschaftliche "Beobachtung" und Konstruktion erst ermöglichen. Aber auch darüber hinaus wirft ein Zwang zum Aufbau einer nur noch durch komplexe Organisation zu bewältigenden Forschung, die von Verfahren der Anwendung deshalb nicht mehr leicht zu unterscheiden ist, neue Probleme auf. Einerseits sind die Experimente nur noch in großen Anlagen durchzuführen, andererseits ist - wie angedeutet - auch die Technologie nicht mehr auf die punktuelle Entwicklung von "Lösungen" (Produkten) ausgerichtet, sondern auf multifaktoriell nutzbare Innovationen, die ihrerseits in der eigentlichen technischen Anwendung unterschiedlich "kodierbar" sind und deshalb nicht mehr auf enge Zweck-Mittel-Erwartungen festgelegt sind. Daß auch der Staat in das so nur grob skizzierte (inter-)organisationale Netzwerk der Generierung wissenschaftlichen und technischen Wissens eingebaut ist, sei an dieser Stelle nur angemerkt. Auch darauf ist weiter unten noch zurückzukommen. Hier ist nur festzuhalten, daß das wissenschaftliche und technologische Wissen in erheblich höherem Maße als früher an die Produktivität (inter-)organisationaler Netzwerke gebunden ist und deren Generierungsmu-

8 0

Vgl. Foray 1991,729 ff.; Guilhou 1992, 565, 573 ff.; Amendola/Gaffard 1986,473 ff.

81

Foray 1991, 729 ff.

8 2

Pomian 1985, 129 ff.

68

ΠΙ. Wissensgesellschaft: Kontinuität der Erfahrung und systematische Wissensproduktion

ster bei der Untersuchung der Fortentwicklung des Gefahren- und Risikobegriffs stärker berücksichtigt werden muß. Wie oben ausgeführt, ist das gesellschaftliche Wissen auch schon früher an die Netzwerke seiner eigenen Erzeugung gebunden gewesen, aber diese Abhängigkeit hat sich durch die Entwicklung arbeitsteiliger, interorganisationaler Formen der Generierung von Wissen nicht nur verstärkt, sondern auch qualitativ wesentlich verändert. Diese Überlegung soll in einem Zwischenschritt zur Eröffnung einer neuen Perspektive auf den Risikobegriff in der naturwissenschaftlichen Diskussion benutzt werden.

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

1. Zur dogmatischen Fortentwicklung des Gefahrenbegriffs a) Das Risiko als Gefahrenverdacht? Die Fortentwicklung des im ersten Kapitel skizzierten Gefahrenbegriffs hat zunächst bei einer eher mit einer punktuell verfahrenden Erweiterung einzelner seiner Elemente angesetzt und die grundsätzliche Neuorientierung der Begrifflichkeit vermieden. Vor allem bei Großtechnologien mit hohem Schadenspotential konnte die Formel, daß die Gefahr das Produkt aus potentieller Schadensgröße und Eintrittswahrscheinlichkeit sei1, dazu benutzt werden, auch entfernte Wahrscheinlichkeiten zu berücksichtigen. Bei potentiell katastrophalen Schadensereignissen ist das Vorliegen einer Gefahr auch dann zu bejahen, wenn der Schadensfall als äußerst unwahrscheinlich angesehen werden kann.2 In neueren Umweltgesetzen ist aber unterhalb der Gefahrengrenze die "Risikovorsorge" vorgesehen3, die begrifflich nur schwer von der Gefahrenabwehr zu trennen ist. Die Abgrenzungsschwierigkeiten setzen schon beim sog. Gefahrenverdacht ein4, der auch schon früher als Variante des Gefahrenbegriffs verstanden worden ist. Danach ist als Gefahr auch eine Art Gefahr zweiten Grades anzusehen, deren Einschätzung erschwert ist, ohne daß aber die Möglichkeit eines Schadenseintritts auszuschließen ist.5 Auf der Grundlage des verfügbaren Wissens, auf die es bei der Anwendung des Gefahrenbegriffs ankommt, ist zwar das Vorliegen einer Gefahr nicht zu bejahen, aber es besteht die Wahrscheinlichkeit, daß weiteres Wissen erlangt werden kann, das ein Wahrscheinlichkeitsurteil über den Eintritt eines Schadens ermöglicht.6 Die Begriffsbildung läßt erkennen, daß es hier zunächst um weitere Aufklärung gehen muß, aber der Übergang zum Gefahrenbegriff im engeren Sinn 1

Hoppe/Beckmann 1989, § 4 Rnr. 68; Drews/Wacke/Vogel/Martens 1986, 220 ff.

2

BVerfGE 49, 89,143; vgl. allg. Scherzberg 1993, 498

3

Vgl. nur § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG; § 7 Abs. 1 Nr. 3 AtomG; vgl. allg. Kutscheidt 1993,439 ff.

4

Vgl. aus der umfangreichen Literatur nur Di Fabio 1991a, 361 ff.; Kokott 1992, 749 ff.; Hoppe/Beckmann 1989, § 4 Rnr. 74; Damstädt 1983, 94 5

Drews/Wacke/Vogel/Martens 1986, 226

6

Applegate 1991, 261 ff.; vgl. zum Problem der Kosten der Testverfahren Nabholz 1991, 664

70

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

besteht darin, daß die Zeit zur Ermittlung der näheren Umstände nicht ohne die Steigerung der Gefahr eines Schadenseintritts benutzt werden kann: Die wie eine (bekannte) gefährliche Substanz riechende Flüssigkeit kann nicht eindeutig identifiziert werden; wenn sie aber gefährlich ist, wird ein Schaden entstehen, noch bevor die Untersuchung durch ein chemisches Labor abgeschlossen sein kann.7 Hier tritt bekanntlich das Problem der Abgrenzung von der sog. Anscheinsgefahr auf 8; diese ist dann anzunehmen, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts bei Kenntnis der Umstände auszuschließen war: Der Raubüberfall auf der Straße ist nur für Fernsehaufnahmen inszeniert worden. Die Abgrenzung im einzelnen ist dann schwierig, wenn das Maß des verfügbaren Wissens nicht eindeutig abgrenzbar ist. Nach der traditionellen Auffassung ist auch hier auf den "durchschnittlichen Erfahrungsschatz" abzustellen.9 Idealtypisch ließe sich die Unterscheidung nach der subjektiven Vorstellung der eingreifenden Behörde vornehmen. Ein Gefahrenverdacht liegt dann vor, wenn die Behörde selbst der Auffassung ist, nicht über ausreichendes Wissen zu verfügen; eine Anscheinsgefahr wäre dagegen zu bejahen, wenn eine Gefahr nach dem "durchschnittlich" in einer Situation verfügbaren Wissen nicht anzunehmen war. Dies erscheint jedoch zweifelhaft, weil es hier letztlich um das Problem der Verteilung des Risikos für die Folgen von Entscheidungen aufgrund unterschiedlicher Typen unvollständigen Wissens geht. Für die eine Variante läßt sich im nachhinein aufgrund einer festliegenden Konvention ein Urteil darüber fällen, daß eine Gefahr tatsächlich nicht bestand, obwohl die Analogie zu einem "kanonisierten Beispiel" des Gefahrenverlaufs nahelag, mit der Folge, daß das Eingreifen der Polizei jedenfalls dann nicht zur Staatshaftung führt, wenn der "Anscheinsstörer" den Schein der Gefahr selbst gesetzt hat. 10 Das "Muster" einer Gefahr war also durchaus erfüllt. 11 Die Polizei muß nicht bei jedem Überfall, Unfall etc. die theoretische Möglichkeit in Erwägung ziehen, daß es sich um eine Simulation handeln könnte. Umgekehrt ist es beim Gefahrenverdacht so, daß - auch wenn ein Experte ohne weiteres zu einem anderen Schluß hätte kommen können - es keine Konvention darüber gibt, wie ein bestimmter, nicht aufgrund allgemein verfügbaren Wissens einzustufender Stoff im Hinblick auf seine Schädlichkeit zu bewerten ist. Selbst wenn sich im nachhinein herausstellt, daß der Stoff unschädlich war, bleibt das Handeln der Polizei doch auch retrospektiv minde7

Vgl. Köck 1993, 215 ff.

8

Vgl. BGHZ 117, 303 ff.; Schoch 1993, 724 ff.

9

v. Müller 1930,92 ff.; vgl. aus neuerer Sicht Brandner 1990,99 f.

10 11

Vgl. zur Haftung BGHZ 117, 303 ff.; dazu Schoch 1993, 724 ff.

Bei komplexen Risiken wird der "Gefahrenverdacht" prozeduralisiert in der Form eines "Informationsaustauschs" zwischen beteiligten Behörden und privaten Unternehmen; vgl. z.B. des AMG Di Fabio 1993,109 ff.

1. Zur dogmatischen Fortentwicklung des Gefahrenbegriffs

71

stens soweit rechtmäßig, soweit es zur Aufklärung des Verdachts erforderlich war. Das traditionelle Polizeirecht hat mit dem Abstellen auf die "Erkennbarkeit" der Gefahr im Zeitpunkt des behördlichen Einschreitens die Notwendigkeit des praktischen Handelns auf unvollständiger Tatsachengrundlage in Grenzen berücksichtigt. Auch in der Perspektive der handelnden Verwaltung indiziert das Abstellen auf die Erkennbarkeit der Gefahr 12 oder des den Gefahrenverdacht begründenden Moments die Orientierung an einer allgemein zugänglichen Erfahrung. Umgekehrt ist deshalb die unerkennbare Gefahr nach der traditionellen Auffassung ein Widerspruch in sich.13 Aber auch im klassischen Polizeirecht war eine Konstellation denkbar, in der die Polizei aufgrund unvollständigen Wissens oder gar eines Irrtums gegen eine - aufgrund des zur Zeit des behördlichen Handelns vorliegenden Wissens - unerkennbare Gefahrenlage einschritt, die sich im nachhinein aufgrund verbesserten Wissens tatsächlich als solche erkennen ließ. Dieses Problem läßt sich mit dem Institut des Nachschiebens von Gründen lösen.14 Auch dies zeigt aber, daß die Öffnung des klassischen Polizeirechts für neues Wissen nur sehr begrenzt ist und aufgrund der Orientierung an der Erfahrung auch begrenzt bleiben konnte. Gerade die mangelnde Konventionalisierbarkeit des Gefahrenverdachts und damit einer Wahrscheinlichkeit zweiten Grades, die die Offenheit des Erfahrungsprozesses explizit einräumt, zwingt im neueren Umweltrecht zu einer materiell- und verfahrensrechtlichen Spezifizierung von Informations- und Duldungspflichten gegenüber15 Behörden, weil der Verdacht so unspezifisch und seine Untersuchung so kostspielig sein kann16, daß der Anlagenbetreiber, Stoffproduzent etc. an der Aufklärung systematisch beteiligt werden muß. Die Risikozurechnung unter dem Gesichtspunkt einer Art Verursachung zweiten Grades, der Zurechnung von Verdachtslagen, erscheint im traditionellen Polizeirecht nur unter dem Gesichtspunkt der Vorwerfbarkeit möglich. Der Gefahrenverdacht wird im klassischen Polizeirecht nach einer Beweisregel formuliert oder auf der Anerkennung der Möglichkeit der Begrenztheit der verfügbaren Erfahrung. Beide Fälle werden in der älteren Literatur nicht hinreichend getrennt; die Trennung ist aber erforderlich, da im einen Fall nur die situative Einschlägigkeit einer an sich verfügbaren Erfahrungsregel fraglich ist (Beweisproblem), während im anderen Fall die situative Änderung der Erfahrungsregel aufgrund eines neuen "Falls" erforderlich erscheint. 12

PrOVG 77, 333, 338; vgl. dazu auch Brandner 1990, 19

13

Scholz 1919, 19

14

Brandner 1990, 21

15 Vgl. dazu etwa die Vorschriften über das Testverfahren im ChemG § 7 ff. und die Prüfnachweisverordnung vom 17.7.1990 (BGBl I 1432); vgl. zur Notwendigkeit einer Standardisierung von Bewertungsverfahren Krier/Brownstein 1991, 132 ff.; vgl. allg. Ladeur 1993a, 121 ff. 16

Vgl. zur Rechtslage in den USA Applegate 1991, 261 ff.

72

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

Diese Unklarheit, die mangelnde Unterscheidung zwischen der Prüfung situativer Einschlägigkeit von Erfahrung im Einzelfall und ihrer situativen Fortentwicklung im Einzelfall (aus der Antizipation der Möglichkeit des Irrtums und damit der Erkenntnis der Unzulänglichkeit der Erfahrung, die als Lernen zweiten Grades aufgrund früheren Lernens am Irrtumsfall charakterisiert werden kann), hat auch die Benutzung der dogmatischen Figur des Gefahrenverdachts für weitere Konstellationen unvollständigen Wissens ermöglicht, zugleich aber den Zugang zu einer Spezifizierung komplexerer Risiken verstellt. Wie noch zu zeigen sein wird, kommt es aber vor allem darauf an, das früher nur spontan erfolgende Lernen, das im klassischen Polizeirecht keinen eigenständigen Status hat, systematisch in die Dogmatik des Risikound des Gefahrenbegriffs einzubauen. Darauf wird weiter unten noch einzugehen sein. b) Risikobegriff

und Ungewißheit

Der Begriff des Gefahrenverdachts enthielt jedenfalls in seiner zweiten Variante (Unvollständigkeit des Erfahrungswissens) ein reflexives Moment insofern, als er das der Wahrscheinlichkeitsabschätzung zugrunde liegende Wissen als möglicherweise unzuverlässig indiziert 17, während - wie oben gezeigt - das klassische Konzept der Wahrscheinlichkeit die Kenntnis der Möglichkeiten voraussetzt. Der Begriff wird in Rechtsprechung und Literatur auch benutzt, um einen Typus der Schadensmöglichkeit unterhalb der Gefahrengrenze als Risiko einzuordnen.18 Allerdings deutet sich hier schon eine weitere begriffliche Unklarheit an, weil nach der traditionellen polizeirechtlichen Terminologie der Gefahrenverdacht wie/als eine Gefahr behandelt werden kann, wenn die Größe des zu erwartenden Schadens die mangelnde Abschätzbarkeit der Wahrscheinlichkeit kompensiert.19 (Davon zu unterscheiden wäre die Annahme einer "objektiven" Schadensmöglichkeit, die aber wegen des möglichen Ausmaßes und der Eintrittswahrscheinlichkeit nicht die Gefahrengrenze erreicht). 20 Auch gegen Risiken muß vielfach aufgrund neuerer Umweltgesetze "Vorsorge" getroffen werden bis zur Grenze des "Restrisikos" 21, das nur theoretisch, praktisch aber nicht vorstellbar ist. Diese Grenze soll der Standard der 17

Englehardt/Lund 1992, 890 ff.

18

Vgl. nur BVerwGE 72, 300, 326 (Wyhl); BVerwG, NVwZ 1989, 1168, 1169 (THTR)

19

Vgl. Hoppe/Beckmann 1989, § 4 Rnr. 74

Vgl. zu den Grenzen der Risikobewertung im Atomrecht Sommer 1981, 654, 656; Breuer 1978, 829 ff.; vgl. zu den USA Lewis 1992, 336; ders. 1980, 33 ff.; Spiewak/Weinberg 1985, 431 ff.; vgl. allg. auch Thompson 1992, 275 21

Vgl. dazu nur BVerfGE 49, 89, 143

1. Zur dogmatischen Fortentwicklung des Gefahrenbegriffs

73

"praktischen Vernunft" der Vorsorge setzen.22 Hier zeigt sich eine weitere Unstimmigkeit, die daraus entsteht, daß der Begriff des Risikos an den Gefahrenbegriff angeschlossen wird und damit ihm gegenüber eine Art Vorhof bildet.23 Dies erweist sich schon insofern als problematisch, als, wie noch zu zeigen sein wird, die Schadenswahrscheinlichkeit bei der Nutzung komplexer Technologien ohnehin weitgehend anhand "bloß theoretischer Überlegungen und Berechnungen in Betracht gezogen" werden muß. 24 Die Problematik läßt sich an der Kontroverse um die Grenze der "praktischen Vernunft" zeigen, die sich zwischen R. Breuer und H. Sommer darüber entwickelt hat 25 , ob das "praktische Vorstellungsvermögen" der führenden Naturwissenschaftler den Standard der "praktischen Vernunft" bestimmen könne. Bevor auf den "Stand von Wissenschaft und Technik"26 als Bezugsrahmen für die "theoretischen Überlegungen und Berechnungen" bei Sicherheitsanalysen eingegangen wird 27 , sollen im folgenden zunächst die Varianten ausdifferenziert werden, die sich mit dem - Unvollständigkeit des Risikowissens anzeigenden - Konzept des Gefahrenverdachts verbinden. Daran läßt sich vor allem zeigen, daß der Begriff der Wahrscheinlichkeit seinen objektiven Charakter eingebüßt hat und mehr und mehr mit einem Selbständerungen ausgesetzten Stand des subjektiven, d.h. von praktischer Erfahrung mehr oder weniger weit entfernten Wissens assoziiert wird. 28 Dabei ist zum Vergleich durchaus daran zu erinnern, daß auch mit dem klassischen, an die Erfahrung gebundenen Gefahrenbegriff stets die Möglichkeit des Lernens, der Neubildung von Erfahrungen aufgrund von Irrtümern verbunden war. Mit der Entfernung von dem möglichen Schadensereignis büßt die Wahrscheinlichkeit der möglichen Ereignisketten aber die Fähigkeit ein, als Grundlage für die Formulierung "kanonisierter Beispiele" zu dienen.29 Der Risikobegriff impliziert nicht nur eine quantitative Erweiterung des Gefahrenbegriffs um die entfernten Schadensmöglichkeiten, er verliert mit der Erweiterung zugleich seine Orientierung am Kausalmodell sowohl in praktischer als auch in theoretischer Hinsicht, soweit die damit vorausgesetzte hierarchische Abschichtung "natürlicher Komplexitätsniveaus" und der Verzweigung von Ereignis Verläufen 30 als Bezugsrahmen für die Zuordnung entfällt. 2 2

Vgl. BVerfGE 49, 89,153, sowie Breuer 1978, 829 ff.

23

Vgl. Ossenbühl 1986, 161 ff.

2 4

Vgl. BVerwGE, NVwZ 1989, 1169 (THTR); BVerwGE 72, 300, 315 ff.

2 5

Vgl. Breuer 1978, 829 ff.; Sommer 1981, 654 ff. Vgl. dazu allg. Marburger 1979, insb. 164; vgl. aus wissenschaftstheoretischer Sicht Lohse 1994,

68 ff. 2 7

Vgl. auch Ladeur 1993a, 121 ff.

2 8

Vgl. nur Lewis 1980, 33 ff.; Cooke 1982, 331 ff.; Thompson 1986, 59; Lave 1987, 291 f.

2 9

Shafer 1981, 3

3 0

Krüger 1992, 1 ff.

74

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

Dies zeigt sich auch bei der Bestimmung der zurechenbaren Verlaufsmöglichkeiten, die nunmehr zu erweitern sind um (bisher) nicht als kausal mit einer Handlung verknüpfbare diffuse Beiträge zu komplexen Schadensereignissen (Waldschäden)31 oder diffuse negative Synergismen in komplexen Anlagen (die zu Störfällen beitragen können) oder - wenn man die Erweiterung der Schadensindikatoren um diffuse "Rechtsgüter" wie den Naturhaushalt32 in Rechnung stellt - den einzelnen Beitrag zu einer diffusen Verkettung von Bedingungen, die zu schwer beschreibbaren und bewertbaren Veränderungen des Naturhaushalts führen. 33 Damit verbindet sich eine Vielzahl unterschiedlicher Varianten der Ungewißheit in der Wissensbasis34, auf der zu entscheiden ist. Dazu gehören u.a. begriffliche Ungewißheiten, die durch den Mangel der Beschreibbarkeit eines Rechtsguts entstehen (Naturhaushalt), weiterhin unterschiedlich zu bewertende Meßungenauigkeiten (im Hinblick auf die Validität der Meßergebnisse und ihre Zuverlässigkeit), Ungenauigkeiten, die bei der Interpretation und Verallgemeinerung der Bewertung und der Abgrenzung der zu beurteilenden Grundgesamtheiten entstehen. Daneben bestehen komplexere Varianten der Ungewißheit bei der Modellbildung (hinsichtlich der Verknüpfung von Variablen und der Sensitivität der Relationierung) sowie bei der Annahme von Kombinationswirkungen zwischen einzelnen Faktoren, schließlich wissenschaftstheoretische Ungewißheiten (die Selektivität einer Theoriebildung, die das Kausalmodell und seine Ordnungsleistung nicht mehr als richtig unterstellen kann).35 Manche Ungewißheit (Unvollständigkeit) ist mit mehr oder weniger großem Sach- oder Zeitaufwand auszuräumen, andere sind wegen der Komplexität der faktischen Verknüpfungsmöglichkeiten oder grundlegenden wissenschaftstheoretischen Schwierigkeiten der Modellbildung schwer oder gar nicht zu beseitigen. Schließlich ist neben den verschiedenen Varianten der Ungewißheit die Möglichkeit von "Ignoranz" in Betracht zu ziehen, eine Konstellation, in der nicht einmal die Beschreibung möglicher Risiken, sondern allenfalls vage "Schreckensszenarien" denkbar sind.36 Die verschiedenen Konstellationen der Ungewißheit und Ignoranz lassen - anders als im Kausalitätsmodell oder im Falle der Analogie zu "kanonisierten Bei31

Vgl. aus der Rechtsprechung BGHZ 102, 350 ff.; und aus der umfangreichen Literatur Ladeur 1986,445 ff. 3 2 Vgl. etwa § 1 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, § 2 Abs. 1 Satz 2 UVPG, § 3a Abs. 2 ChemG, § 1 Nr. 4 PflSchG; vgl. aus der Rechtsprechung BayVGH, NuR 1980, 25; BVerwG, NuR 1989, 385 (Paraquat); aus der Literatur Gassner 1993, 118, 122 33 Vgl. zu den Schwierigkeiten der ökologischen Bestimmung von Risiken für den Naturhaushalt nur die Aufsatzreihe von Knauf, Säle u.a. 1991; vgl. auch die Beiträge in Rehbinder (Hg.) (1991); zur Ablösung der Umweltbeeinträchtigung vom Schadensbegriff vgl. Di Fabio 1993, 151; Kloepfer/Rehbinder/ Schmidt/Aßmann 1990,139 3 4

Vgl. Walker 1991, 626; vgl. auch ders. 1989,469; Page 1978

3 5

Robins 1989, 1125

3 6

Zeckhauser/Viscusi 1990, 560; Smithson 1989, 263 ff.

1. Zur dogmatischen Fortentwicklung des Gefahrenbegriffs

75

spielen" der Wahrscheinlichkeit - nur eine lockere Kopplung zwischen Handlung und Ereignis zu, die die Grundlage für die Möglichkeit ideologischer (Über-)Interpretationen und Präferenzen für Zurechnungen bildet. 37 Dies hängt damit zusammen, daß die gesellschaftlichen Institutionen, insbesondere die die Bildung von Wissen organisierenden Paradigmen, nicht auf das Operieren mit schwer strukturierbaren Ungewißheiten eingestellt sind. Ungewißheit wird durch die oben beschriebenen Prinzipien der Wissensorganisation, das Kausalitätsmodell, Wahrscheinlichkeitsmuster und die Zufuhr des Neuen "von Fall zu Fall" ausgeschlossen, begrenzt oder zerstreut. Dies ist aber in den neuen schwer strukturierbaren Konstellationen komplexer Ungewißheit nicht ohne weiteres möglich. Dennoch besteht ein Bedürfnis, irritierenden Varianten der Ungewißheit auszuweichen, sie zu negieren oder aber umgekehrt zu übersteigern, weil sich damit alle möglichen Ängste verbinden. Im Angesicht von Ungewißheit wird es schwierig, Konventionen über die Bildung von Stopp-Regeln zu finden, die ein Handeln auf unvollständiger Wissensgrundlage ermöglichen. Der Rückgriff auf bewährte Unterscheidungen ist nicht mehr ohne weiteres möglich, ein praktikables Verfahren der Prüfung von Wissen kann sich nur schwer herausbilden, damit wird aber auch die Widerlegung aller möglichen Interpretationsangebote erschwert. Daraus entstehen erhebliche Orientierungsprobleme sowohl für Individuen als auch für Organisationen. Insbesondere in Organisationen kann dieses Problem zu verschiedenen Varianten der Behinderung von Flexibilität und Innovationsfähigkeit durch "abergläubisches Lernen" 38 führen, wenn die Praxis einer Organisation in einen Modellentwurf "einrastet" und dann nicht mehr für Selbstrevision offen ist. Dies ist die Kehrseite des größer gewordenen strategischen Potentials von Organisationen und interorganisationalen Netzwerken und stellt die darüber erfolgende Bildung gesellschaftlichen Wissens vor große Probleme, weil sich damit auch in der Öffentlichkeit die Möglichkeit der Verschiebung von Verantwortung verbindet. Der Zerfall des hierarchischen Modells "natürlicher Komplexitätsniveaus", mit deren Hilfe dauerhaft Zurechnungen39 und Ursache-Wirkungs-Verknüpfungen 40 ermöglicht werden, erlaubt auch erheblich mehr Lesarten der Interpretation von Zurechenbarkeit: Schließlich kann nie die Möglichkeit ausgeschlossen werden, daß es genügt, wenn zunächst alle anderen sich oder ihr Verhalten ändern. Dies ist besonders für öffentliche Organisationen, aber auch für die Selbstinterpretation der Bürger ein gravierendes Problem, da deren Orientierung sich früher an den Regeln und Trennungen orientieren konnte, die über die Marktgesellschaft einerseits und die Trennung von Privatem und Öffentlichem andererseits erzeugt worden sind. 3 7

Smithson 1989, 249

3 8

Smithson 1989, 249; vgl. allg. March/Olsen 1987,734 ff.

3 9

Vgl. Douglas 1990, 1,9

4 0

Vgl. zur Charakterisierung der Kausalität als einer "nützlichen Fiktion" Rosenberg 1992, 305

76

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

Wenn diese Trennungen nicht mehr funktionieren, kann der Gedanke entstehen, daß "alles möglich sein" muß. Weder bei der Konstruktion von Umweltrisiken noch bei der Konstruktion innergesellschaftlicher Probleme kann der stabile Bezugsrahmen, der durch Wahrscheinlichkeitsannahmen und einen Bestand von "kanonisierten Beispielen" abgestützt worden war, vorausgesetzt werden. Es gibt keine (ausreichende) Erfahrung mit der neuen Technologie, mit dem neuen Stoff. Es kann nicht mehr punktuell an die durch das Kausalitätsmodell, die "kanonisierten Beispiele" der Wahrscheinlichkeit und die Erfahrung der in stabilen Entwicklungstrajektorien gebündelten Anschlußmöglichkeiten angeknüpft werden. Angesichts der Fülle der mit neuen Technologien eingeführten Verzweigungsmöglichkeiten entstehen neue komplexe, schwer beschreibbare Risiken, die auch nicht mehr ohne weiteres über die Dezentralisierung der Technikentwicklung und infolge begrenzter Wirkungsmöglichkeiten über die vorauszusetzende Resilienz der Natur so abgepuffert werden können, daß ein Überschuß des Nutzens über die Kosten von vornherein erwartet und akzeptiert werden kann. c) "Risiko" als ein "Gefahr"

umfassender Oberbegriff?

Wie oben gezeigt, ist der Risikobegriff in der bisherigen Diskussion eher als Sonderfall des Gefahrenbegriffs betrachtet worden. Dadurch ist die grundlegende Veränderung, die sich mit dem Auftreten verschiedener Konstellationen der Ungewißheit ergibt, eher vernachlässigt worden. In neuerer Zeit hat sich allerdings eine gegenläufige Tendenz in der Rechtsdogmatik herausgebildet, die mit dem Risikobegriff eine stärkere Abhängigkeit von Wertungen verbindet und das Risiko stärker von traditionellen Konzepten der Wahrscheinlichkeit und von der Schadensorientierung und seinen Konnotationen (Normalität eines Bestandes, abgrenzbares Rechtsgut etc.) ablöst.41 Diese Tendenz zu einer abstrakteren Fassung des Risikobegriffs, der ihn schließlich zum Oberbegriff werden läßt, gegenüber den die Gefahr sich nur noch als Sonderfall darstellt, hat sich vor allem im Entwurf zum Allgemeinen Teil eines Umweltgesetzbuches niedergeschlagen.42 Danach soll das Umweltrisiko künftig nur noch als "Möglichkeit einer Umweltbeeinträchtigung" qualifiziert sein, die "nicht aufgrund praktischer Vernunft ausgeschlossen" er-

Vgl. etwa Darnstädt 1983, 94, der Ungewißheit und Kosten der Reversibilität von Entscheidungen verknüpfen will; vgl. auch Slovic u.a. 1991, 7 ff.; Scherzberg 1993, 498; vgl. Di Fabio 1992, 151 ff.; vgl. zur Notwendigkeit, Anreize zur Reduzierung von Ungewißheit zu setzen Silbergeld 1991, 99, 109; Vermeidung von Irreversibilität kann aber kein ausschlaggebendes Kriterium des Entscheidens unter Ungewißheitsbedingungen sein, da durch Entscheidung auch neue Optionen eröffnet werden können, vgl. aus ökonomischer Sicht einerseits Henry 1974, 1006 ff., andererseits Ramani/Richard 1993, 259 ff. 4 2 Vgl. Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann 1990, 119; vgl. auch Di Fabio 1993a, 109; Schneider/Steinberg 1991, 28 f.

1. Zur dogmatischen Fortentwicklung des Gefahrenbegriffs

77

scheint. Als Beeinträchtigung wird jede Veränderung der "natürlichen Beschaffenheit" angesehen. Es liegt auf der Hand, daß angesichts der Weite des so gefaßten Begriffs ein funktionales Äquivalent zu den über die Kriterien der Wahrscheinlichkeit und des Schadens gewonnenen Stopp-Regeln gefunden werden muß. Diese werden einmal im Rückgriff auf den "Stand der Technik" 43 und andererseits über den verstärkten Einbau gesellschaftlicher Wertungen gesucht. Diese Kopplung des Risikobegriffs mit anderen gesellschaftlichen Wissensbeständen einerseits und Wertungen andererseits soll weiter unten noch einmal aufgegriffen werden. Festzuhalten ist aber, daß die grundsätzlich zu begrüßende Verselbständigung des Risikobegriffs mit einer Höherlegung der Abstraktionsebene erkauft wird, die einen genaueren Zugriff auf die Bedeutung der Ungewißheit für eine schärfere Fassung des Risikobegriffs verfehlt. Ungewißheit kann nicht nur quantitativ als Unvollständigkeit des Entscheidungswissens verstanden werden, als eine faktische Beschränkung, die durch eine größere Beurteilungsfreiheit der Behörde einerseits44 und den Rückgriff auf andere Wissensbestände ("Stand der Technik", "Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse" etc.) ausgeglichen werden kann. Ungewißheit ist ein äußerst vielgestaltiges Phänomen, das eine proaktive strategische Gestaltung verlangt, für die neuen Formen der Prozeduralisierung gefunden werden müssen. Wie eingangs erwähnt, stehen die verschiedenen Komponenten des Gefahrenbegriffs, kognitive wie normative, in einem engen Verweisungszusammenhang: Der Begriff der Gefahr als "Grenzbegriff ' ermöglicht insbesondere eine Abstimmung zwischen privatem Handeln und öffentlichen Maßnahmen. Auch für diese Abstimmung muß ein funktionales Äquivalent gefunden werden; dieses Problem wird vernachlässigt, wenn der Risikobegriff nur abstrakter gefaßt wird, dadurch aber das Problem der Koordination privater Erwartungen und öffentlicher Kontrolle unbearbeitet bleibt und entweder an den "Stand der Technik", also die Privaten, oder einen "Beurteilungsspielraum" der Verwaltung oder an die Wissenschaft ("Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse") verwiesen wird. 45 Das Problem der Kooperation und Koordination wird damit entweder nach der einen oder der anderen Seite aufgelöst oder an die Wissenschaft als eine Art "neutrale Instanz" weitergegeben, die aber ihren eigenen Regeln folgt und auf Probleme der Handlungskoordination nicht eingestellt ist. 46 Die über die traditionellen strukturbildenden Paradigmen des Wissens gewährleistete Handlungskoordination zwischen Privaten und der Verwaltung darf nicht aus dem Blick geraten. Der 43 Vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG; vgl. dazu Jarass 1993, § 5 Rnr. 42 ff., BVerfGE 67, 39, 45 ("Konzept") 4 4

Vgl. zum Beurteilungs-/Standardisierungsspielraum der Risikoverwaltung Di Fabio 1992, 1338 ff.; Wahl 1991,409 ff.; Breuer 1989, 43,47 ff.; Hill 1989,401 ff. 45 Vgl. zur "Rezeption" wissenschaftlichen Sachverstands Breuer, 1981, 393 ff.; ders. 1989, 55 ff.; Lohse 1994, insbes. 68 ff. 4 6

Zervos 1989, 651 ff.; vgl. auch I. Levi 1984, 112 ff.

78

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

Zugriff auf die Erfordernisse der Veränderung staatlichen Entscheidens unter Ungewißheitsbedingungen kann aber nur gelingen, wenn die aktiven Veränderungsprozesse innerhalb der gesellschaftlichen Wissenssysteme genauer beschrieben werden und auch nach den Voraussetzungen und Bedingungen privaten Handelns unter Komplexitätsbedingungen sowie der Koordination mit administrativen Entscheidungen gefragt wird. Die Verbindung von Handeln und Wissen ist in der Vergangenheit über den Gefahrenbegriff hergestellt worden und muß in der Gegenwart unter Bedingungen gesteigerter Komplexität und Ungewißheit in neuer Form über den Risikobegriff gesucht werden. Ungewißheit ist nicht nur ein Wissensproblem; es ist aus der Sicht der Verwaltung auch nicht nur ein Entscheidungsproblem. Sie verlangt darüber hinaus nach neuen Formen der Koordination und Kooperation zwischen Privaten und öffentlicher Verwaltung. Aus den bisherigen Untersuchungen ist deutlich geworden, daß Ungewißheit nicht einfach eine Leerstelle ist, sondern durch die praktische Dynamisierung des Wissens erzeugt wird und deshalb auch nach einer systematischen proaktiven, nicht mehr nur punktuell von Fall zu Fall operierenden, sondern komplex angelegten Entscheidungsstrategie der Verwaltung und einer neuen Abstimmung der verschiedenen kognitiven, normativen und praktischen Komponenten verlangt. Diese Leistung hat der Gefahrenbegriff in einer viel einfacheren Form erbringen können, weil er mit den relativ stabilen Wissensbeständen und ihren strukturbildenden Paradigmen (insbesondere dem Kausalitätsmodell, den "kanonisierten Beispielen" der Wahrscheinlichkeit und der Erfahrung) relativ fest verknüpft war. Diese stabile Bindung ist, wie gezeigt, mehr und mehr durch die Dynamisierung des Wissens untergraben worden. Für diese Dynamisierung muß aber ein Ausgleich durch eine komplexere Fassung des Risikobegriffs gefunden werden, die sich nicht nur in der Wahrnehmung der "Wissenslücken" erschöpfen darf, sondern sich für die verschiedenen Erscheinungsformen von Ungewißheit und deren Bedingungen öffnen und den Risikobegriff sowie den daran angeschlossenen Begriff der Vorsorge komplexer konstruieren muß. Die Charakterisierung der Besonderheit des Risikos durch eine gewisse Freiheit der Bewertung seiner Komponenten und prozeduraler Vorgaben ihrer Ermittlung ist aber noch zu statisch angelegt und wird der Notwendigkeit des durch Risikoentscheidungen selbst zu steigernden Risikowissens nicht gerecht. Die "Beurteilungsfreiheit" der Verwaltung ergibt sich nicht so sehr daraus, daß insbesondere wissenschaftliche Risikobewertungen wegen unterschiedlicher Auffassungen nicht unbearbeitet rezipiert werden können47, sondern aus dem spezifisch administrativen Zwang, ein Entscheidungsmodell konstruieren zu müssen. Dabei wird das wissenschaftliche Wissen benutzt, ohne daß es einfach zu "übernehmen" wäre, es wird vielmehr durch Verände4 7

Vgl. dazu Breuer 1989, 66

2. Zur Ausdifferenzierung des Begriffs der Ungewißheit

79

rung des Entdeckungszusammenhangs und Einbau in eine regulative Strategie selbst verändert. 48 Es erscheint auch deshalb nicht ausreichend, bei der Abgrenzung der Gefahr vom Risiko vorrangig auf die bei letzterem unumgängliche, jetzt teilweise auch im Umweltrecht selbst ausdrücklich vorgesehene Risiko-NutzenAbwägung durch die Verwaltung abzustellen.49 Der erwartete Nutzen ist - anders als in der Ökonomie, wo das entsprechende Entscheidungsmodell entwickelt worden ist - im Umweltrecht gerade häufig selbst nicht zu bestimmen. Auch die Notwendigkeit von Risiko-Nutzen-Abwägungen kann daher die Risikoentscheidung allein nicht charakterisieren, da Nutzenerwägungen auch der Interpretation des Gefahrenbegriffs zugrunde lagen, wenngleich diese angesichts der relativ stabilen Konvention über die Fruchtbarkeit der Technikentwicklung eher implizit bleiben konnte. Nutzenerwägungen müssen jetzt eher explizit in ein experimentelles Entscheidungsmodell eingebaut werden. Es erscheint angemessener, ausgehend von der Akzentuierung des produktiven Charakters des Wissens, die Entscheidungsfreiheit der Behörde (aber auch der Privaten!) als "Experimentierspielraum" 50 für die auf die Erzeugung neuen Wissens zielende Modellkonstruktion unter unvollständigem Wissen zu legitimieren und daran verfahrensrechtliche Folgerungen (insbesondere im Hinblick auf die nachträgliche Beobachtung, "Monitoring") zu knüpfen. Es erscheint fraglich, ob der Begriff des "Beurteilungsspielraums" trotz der von U. Di Fabio51 vorgenommenen Präzisierungen dem zukunftsorientierten, proaktiven experimentellen Charakter der Risikoentscheidung unter Ungewißheitsbedingungen gerecht werden kann. In einem weiteren Zwischenschritt soll deshalb zunächst die Bedeutung des Auftretens von Ungewißheit innerhalb der gesellschaftlichen Wissenssysteme genauer eingeordnet und insbesondere nach Möglichkeiten gesucht werden, Ersatz für den Verlust der Orientierungsleistungen der Erfahrung zu finden. 2. Zur Ausdifferenzierung des Begriffs der Ungewißheit Die Veränderung der gesellschaftlichen Wissensbestände läßt sich charakterisieren als Tendenz zur Überschreitung der bisherigen scharfen Grenzen 4 8

Zervos 1989, 651 ff.

4 9

Di Fabio 1993, 187; vgl. aus der Umweltgesetzgebung nur § 16 GenTG (dazu Hirsch/SchmidtDidczuhn 1991, § 16 Rnr. 19 ff.; Ladeur 1992, 948 ff.; vgl. auch § 15 Abs. 1 Nr. 3b); aus der Rechtsprechung BVerwG, NuR 1989, 385. Die Formel stammt aus dem AMG (§ 25); ihre Handhabung ist aber dort wegen des Bezugs auf das gleiche Rechtsgut, das eine Entscheidung zwischen beabsichtigten "Hauptwirkungen" und unbeabsichtigten "Nebenwirkungen" zuläßt, weitaus weniger komplex als im Umweltrecht, das es mit vielfältigen "Belangen" zu tun hat; vgl. auch Breuer 1994, 157 ff. 5 0

Vgl. zum Begriff in anderer Perspektive Faber 1992, § 14IV c

51

Vgl. Di Fabio 1992, 1338, 1344; ders. 1993, 171; vgl. auch Hill 1989,401 ff.

80

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

zwischen verschiedenen hierarchischen Komplexitätsniveaus, die durch die beschriebenen Paradigmen geordnet waren. Diese Tendenz läßt sich auf die Formel bringen, daß Chaos und Ordnung nicht mehr scharf voneinander getrennt sind. Wie oben gezeigt, ist diese Grenze durch die traditionellen, Wissen organisierenden Paradigmen, insbesondere das Kausalitätsmodell, nie als quasi-räumlich konstituiert worden; damit verband sich ein Vorbehalt, nämlich die Hinnahme einer unüberwindbaren Schranke des Wissens. Natürlich konnte der als sicher geltende Druckbehälter unter ungewöhnlichen Umständen doch explodieren, aber dies war ein Einbrechen des Chaos in die Ordnung, das als unvermeidbar galt und das Gleichgewichtssystem der Ordnung jedenfalls nicht dauernd erschüttern konnte, weil daraus wiederum gelernt werden mußte. Aber auszuschließen waren Grenzüberschreitungen nicht. Diese Denkweise ist - wie gezeigt - auf das Zusammenspiel von allgemeiner Regel (und der dahinter stehenden hierarchischen Abstufung "natürlicher Komplexitätsniveaus", über die Ordnung erzeugt werden kann) und individueller Variation durch das Handeln einzelner Akteure zurückzuführen. Die Regel war ebensowenig unmittelbar zu beeinflussen wie - aus der Perspektive der Ordnungserhaltung - der aus Dauerfluktuationen sich herausbildende Ruhepunkt des Gleichgewichts. Die Stufung des Kausalitätsmodells und ihre Implikationen, insbesondere die Trennung von Ordnung und Chaos/Zufall, war - in der Handlungsperspektive beobachtet - ganz auf die Entwicklung der Technik und die damit einhergehenden Gefahren abgestellt: Diese vollzog sich als distribuierter Prozeß individueller Entscheidungen einerseits und die Herausbildung allgemeiner Regeln, deren Wechselverhältnis die Kontinuität und Gleichförmigkeit der Erfahrung und ihre allmähliche Änderung ermöglichte. Soweit die Technik sich über größere Organisationen entfaltete, wurde dadurch die ordnungs- und strukturbildende Leistung der Paradigmen noch nicht in Frage gestellt, da diese selbst hierarchisch und relativ dauerhaft strukturiert waren. Die Abschwächung dieses Ordnungsmodells ist vor allem auf Veränderungen in der Struktur der gesellschaftlichen Institutionen zurückzuführen, insbesondere die Dynamisierung des Wissens durch den Aufstieg der Organisationen, der die Mobilisierung gesellschaftlichen Wissens durch systematische Kombinatorik und Relationierung zum Regelfall gemacht hat und die Trennung zwischen Regel und "Anwendung" sowie die Kontinuität des Lernens unter Erfahrungsbildung über punktuelle Variationen überlagert hat. Vor allem in rechtstheoretischer Perspektive ist festzuhalten, daß die beschriebenen Ungewißheiten bei der Risikoabschätzung nicht nur auf der Zunahme der Komplexität technischen Handelns basieren, sondern daß diese genauer mit dem Übergang zur systematischen Organisation technischen (und wirtschaftlichen) Handelns zusammenhängen, das nicht mehr über Punkt-zu-PunktVerknüpfungen an die Bestände gesellschaftlichen Erfahrungswissens gekoppelt ist. Organisationale und interorganisationale Netzwerke modifizieren und

2. Zur Ausdifferenzierung des Begriffs der Ungewißheit

81

beschleunigen die Entwicklung des Wissens im allgemeinen und der Technologie im besonderen. Es werden immer mehr Möglichkeiten generiert, die nicht mehr an die traditionellen Ordnungsmodelle angeschlossen werden können.52 So schlagen sich die verschiedenen Erscheinungsformen der Ungewißheit etwa großer technischer Systeme in schwer beschreibbaren Rückkopplungsund Verschleifungseffekten mehrerer Fehler nieder, die in der Modellierung schwer zu beschreiben sind.53 Es entstehen diffuse Effekte innerhalb solcher Systeme, die bisher als durch Trennungen und Grenzen klar strukturierte Mikro-Welten gedacht worden sind.54 Diffuse Effekte können aber auch durch eine Vielzahl paralleler oder kumulierter Effekte mehrerer Handlungen entstehen. Es werden durch Organisationen neue Stoffe entwickelt, deren Wirkungen nicht in vollem Umfang und unter allen (schwer überschaubaren) Wirkungsbedingungen getestet werden können; es wird in verstärktem Maß unmittelbar in den Naturhaushalt55 interveniert durch Veränderung von Pflanzen und Tieren (Gentechnologie), um nur einige Formen neuer Technologien zu nennen, deren charakteristisches Merkmal vor allem darin besteht, daß das Denken in Grenzbegriffen, die durch das Kausalitätsmodell abgestützt worden waren, in Frage gestellt wird: Das Chaos kann von Ordnung 56 nicht mehr grundsätzlich getrennt und als unbeherrschbarer Zufall zur Restgröße erklärt werden, die sich menschlicher Herrschaft durch Ordnungsbildung entzieht. Unordnung wird ihrerseits systematisch erzeugt und tritt innerhalb der Ordnung selbst auf. Technik verändert sich nicht über punktuelle Dauervariationen, die bei der Bildung von Wahrscheinlichkeitsannahmen auf der Grundlage von Erfahrung ignoriert und erst im nachhinein durch Lernen aus dem Irrtumsfall berücksichtigt werden können. Wie oben gezeigt, haben Wahrscheinlichkeitsannahmen über mögliche Gefahren auf der Grundlage der durch Erfahrung aggregierten "kanonisierten Beispiele" Zufallsvariationen vernachlässigt, weil die jeweils in Bezug zu nehmende Grundgesamtheit immer unabgeschlossen bleiben mußte. Aber die vorausgesetzten Paradigmen der Wissensorganisation (insbesondere das Kausalitätsmodell) konnten die darin enthaltenen Risiken (Unordnung) als begrifflich nicht erfaßbaren "Rest" akzeptieren, der durch die Dezentralisierung der Erfahrung und des Lernens am Irrtumsfall begrenzt wurde. Unter den 5 2

Ravetz 1987, 99

53

Vgl. Perrow 1984, 287 ff.; vgl. zum Problem der Überkomplexität der "Hochtechnologie" auch Spiewak/Weinberg 1985,459 54

Vgl. Rasmussen 1991, 248 f.; Luhmann 1991, 98 f.

55

Vgl. zur Komplexität ökologischer Fragestellungen Sharpies 1991, 18 ff.; Deatherage 1987, 208,

210 Vgl. zum Denken in nicht-linearen Begriffen allgemein Prigogine 1988; ders./Stengers 1990, Atlan 1979; ders. 1986; Dumouchel/Dupuy (Hg.), 1983 6 Ladeur

82

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

durch die neuen Technologien geschaffenen Komplexitätsbedingungen werden die Grenzen der Erfahrung aber selbst überschritten. Dies schlägt sich in der Komplexität der Modellbildung selbst nieder, die mit verschiedenen Varianten der Ungewißheit rechnen muß, weil das Neue nicht mehr ohne weiteres als zu vernachlässigende Variation des Bekannten angesehen werden kann; diese Entwicklung begrenzt auch die Möglichkeit des Lernens am Irrtumsfall. Hier tritt die Notwendigkeit der Berücksichtigung von "Wahrscheinlichkeiten zweiten Grades"57 zutage, nämlich der Möglichkeit, daß eine aufgrund unvollständigen Wissens formulierte Wahrscheinlichkeitsannahme nicht nur präzisiert, sondern grundlegend verändert werden muß, oder von vornherein nur ein Szenario mit "weichen" Sensitivitätsbeziehungen58 zwischen Variablen entworfen werden kann, aber keine verläßliche Ereignisprognose. Es ist äußerst zweifelhaft, ob solche Modellierungen noch als Wahrscheinlichkeiten überhaupt sinnvoll beschreibbar sind. 59 (Dies hat sich schon bei der Einordnung des "Risikos" als Gefahrenverdacht in den Gefahrenbegriff gezeigt). Problematisch erscheint dies deshalb, weil das Konzept der Wahrscheinlichkeit eine starke praktische Orientierung an der Formulierung von "kanonisierten Beispielen" hat. Diese Orientierung geht aber verloren, wenn "Wahrscheinlichkeiten zweiten Grades" nur auf der Grundlage einer Verallgemeinerung von Erfahrung mit der Notwendigkeit des Lernens am Mißerfolg ohne Spezifizierung an einzelnen "kanonisierten Beispielen"60 erfolgen muß. Unter der Hand wird dann ein grundlegender Wechsel des Bezugsrahmens durch Rückgriff auf einen anderen Wissenstyp vollzogen. Dies ist zwar nicht von vornherein zu verwerfen, aber der Wechsel muß jedenfalls begrifflich genauer spezifiziert werden. "Wahrscheinlichkeiten zweiten Grades" können sich nicht mehr der praktischen Plausibilität der Erfahrung und der Möglichkeit ihrer kontinuierlichen Weiterentwicklung von Fall zu Fall versichern. In der Speicherung dieser "kanonisierten Beispiele" gehen Wissen, Handeln, gesellschaftliche Bewertungen und Institutionalisierungen eine praktische Verbindung ein, die durch das Reflexivwerden von Erfahrungswissen in einer anderen, nicht ohne weiteres auf Erprobung eingestellten Wissensform nicht gewährleistet werden kann. Es geht z.B. bei seltenen Ereignissen (Kernkraftwerksunfällen) nicht mehr um die Abschätzung einer relativen Häufigkeitsverteilung aufgrund vorangegangener Erfahrung, sondern die Bildung einer Modellannahme aufgrund abstrakten, fallunabhängig gewordenen Wissens.61 Eine charakteristische Prozeduralisierung der Risikobestimmung 5 7

Vgl. Applegate 1991, 261 ff., Smithson 1989, 125

5 8

Vgl. nur Gethmann 1993, 35, Wynne/Mayer 1993,32 ff.; Van Leeuwen 1991, 65

5 9

Smithson 1989, 126

6 0

Shafer 1981, 3

61 Vgl. zur Formalisierung von Ungewißheit Apostolakis 1990, 1359 ff.; vgl. zur "Rezeption" subjektiver Wahrscheinlichkeit auch Lewis 1980, 33 ff.; Lind 1987, 277 ff.

2. Zur Ausdifferenzierung des Begriffs der Ungewißheit

83

auf der Grundlage von Teilinformationen ist in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken vorgesehen: Danach tritt die zuständige Behörde nach einem Stufenplan aufgrund von Meldungen oder sonstigen Informationen über Arzneimittelrisiken mit dem Hersteller und weiteren Behörden in einen Informationsaustausch (Gefahrenstufe I) 6 2 , der der Feststellung der Häufigkeit der Verdachtsfälle, der möglichen Ursachen und des Grades der Gefährdung dient. Indes sind komplexe Wahrscheinlichkeiten zweiten Grades nicht bestimmbar. Die mit dem Auftreten von Ungewißheiten und Ignoranz verbundene Problemverlagerung kann sich deshalb leicht dem begrifflichen Zugriff entziehen, weil das nunmehr an Bedeutung gewinnende wissenschaftliche Wissen auf dessen Status im folgenden noch einzugehen sein wird - auch schon in der Vergangenheit in die Beschreibung von Gefahren einbezogen worden ist. Die Berücksichtigung von Expertenwissen ist nichts grundsätzlich Neues, aber auch das jenseits des "durchschnittlichen Erfahrungsschatzes" befindliche, an bestimmte Disziplinen gebundene Expertenwissen war in der Vergangenheit nach dem Kausalitätsmodell geordnet, das seine Koordination mit der praktischen Erfahrung gewährleistet hat. Die Entwicklung des wissenschaftlichen Wissens hat sich ähnlich wie die Erfahrung auf der Grundlage der durch die allgemeinen Paradigmen (das Kausalitätsmodell etc.) erbrachten Strukturierungsleistung durch "überlappende Nachbarschaften" professioneller Wissensbestände63 reproduziert und selbst kontrolliert. 64 Auch Wissenschaft und praktische Erfahrung waren so durch übergreifendes Wissen organisierende Paradigmen im Grenzbereich aufeinander abgestimmt und kommunikationsfähig. Im folgenden wird jedoch näher zu untersuchen sein, wie das mehr und mehr zur Risikobewertung in Bezug genommene wissenschaftlich-technische Wissen, das an die Stelle der Erfahrung treten muß, seinerseits einem mit der Veränderung der organisierenden Paradigmen einhergehenden Wandel ausgesetzt ist, der nicht ohne Rückwirkung auf die Bedingungen der administrativen Rezeption für Entscheidungsverfahren sein kann. Das Kausalitätsmodell hat auch die "Praxis" des wissenschaftlichen Wissens weitgehend beherrscht. Auch innerhalb der Wissenschaft läßt sich eine Abschwächung des Kausalitätsmodells beobachten, die nicht nur für die Wissenschaftsentwicklung selbst zentrale Bedeutung hat, sondern auch - und dies ist in der hier eingenommenen Perspektive noch wichtiger - die Koordination der Wissenschaft und ihrer Leistungen mit den Orientierungsbedürfnissen der Verwaltung vor neue Pro6 2 vgl. zum Stufenplanverfahren des Arzneimittelrechts Allg. VV nach § 63 des AMG (Stufenplan) vom 10.5.1990 (BAnZ Nr. 91 vom 16.5.1990) 63

Polanyi 1966, 72

6 4

Vgl. Polanyi 1962, 215; Willard 1991,91 ff.

84

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

bleme stellt, die nicht dadurch überspielt werden können, daß man "die" Wissenschaft als eine black box und ihre Selbstveränderung als "innerwissenschaftliches" Problem behandelt. Dies ist dann nicht mehr möglich, wenn Wissenschaft für administrative Entscheidungsverfahren "rezipiert" wird. Eine solche Rezeption ist nur soweit möglich, wie übergreifende Abstimmungs- und Übersetzungsregeln die "Lesbarkeit" der Wissenschaft gewährleisten. Damit ist also die "Rezeption" von Wissenschaft in praktische Entscheidungsverfahren keineswegs ausgeschlossen, aber sie löst den einen Wissenstypus von seinem "Entdeckungszusammenhang"65 in einen anderen und verändert ihn dadurch, daß er in einen anderen, nämlich administrativen Entscheidungszusammenhang, eingebaut wird. 66 Auch diese Veränderung ist nicht illegitim, sie bedarf aber einer genauen Beobachtung und Kontrolle. Dies wird im folgenden noch genauer zu untersuchen sein. Zunächst ist aber auch der immanente Prozeß der Ablösung der Wissenschaft vom Kausalitätsmodell zu beschreiben und auf seine Konsequenzen für die Rezeption des "Standes von Wissenschaft und Technik" oder des "Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse" durch Rechtsnormen und Verwaltungsentscheidungen zu befragen. 3. Präzisierung des Risikobegriffs durch Rezeption wissenschaftlicher Erkenntnisse? Zur Ablösung des Kausalitätsmodells in der Wissenschaft Auch die moderne Naturwissenschaft ist seit der Abschwächung der strukturbildenden Kraft des stabilen Naturgesetzes und des darauf basierenden Kausalitätsmodells an neuen Paradigmen orientiert 67, die nicht mehr auf der Beobachtung von Ereignissen und der Verallgemeinerung in ihrerseits beobachtbaren Gesetzmäßigkeiten basieren und die hierarchische Abstufung "natürlicher Komplexitätsniveaus" und der auf ihnen sich bildenden Verzweigungen überwinden. Statt dessen wird mehr und mehr mit der Relationierung und Messung von Variablen und der Entwicklung von Methodologien der Verknüpfung operiert. Die natürliche Welt wird nicht mehr analytisch in einzelne Ereignisse, stabile Ereignisketten und abstrakte Gesetzmäßigkeiten dekomponiert; mit dem Auftreten von Nicht-Linearität und Irreversibilität in der Beobachtung der Natur ist auch der stabile Referenzrahmen des wissenschaftlichen Denkens in Frage gestellt worden. 68 Die zunehmende Komplex6 5

I. Levi 1984, 112 ff.; Cooke 1991, 18

6 6

Zervos 1989, 651; vgl. allg. I. Levi 1984, 119 f.

6 7

Vgl. nur Bunge 1979, 167; Rasmussen 1991, 247 ff.; vgl. allg. auch Eigen/Winkler 1983; Prigogine/Stengers 1990, Küppers (Hg.) 1987 6 8

Vgl. nur Prigogine/Stengers 1990

3. Präzisierung des Risikobegriffs durch Rezeption wissenschaftlicher Erkenntnisse?

85

ität möglicher Wechselwirkungen, die nicht zuletzt durch die Verfeinerung der Methoden und Instrumente der Beobachtung selbst entstanden ist, macht die Vollständigkeit der Beobachtung mehr und mehr zum Grenzfall wissenschaftlichen Denkens. Schon die Strukturierungsleistung des Kausalitätsmodells hat der Naturwissenschaft die Bewältigung einer dilemmatischen Situation ermöglicht: Je mehr Genauigkeit auf die Beschreibung komplexer Ereignisse verwendet wird (je weniger also ein stabiler Problembeschreibung ermöglichender Ordnungsrahmen vorausgesetzt werden kann), desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung oder Wiederholbarkeit von Ereignissen.69 Kausalität war aber gerade ein Mechanismus der "Ereigniserzeugung M . 70 Regelmäßigkeiten können nur zwischen Typen von Ereignissen, nicht zwischen einzelnen von ihnen gefunden werden. Das Kausalitätsmodell erweist sich mit dieser Strukturierungsleistung andererseits aber als zu starr und hält zu wenig Komplexität für die Bildung von Modellen bereit, die die Stabilität der Abschichtung "natürlicher Komplexitätsniveaus" nicht mehr unterstellen können. Das Kausalitätsmodell mit seiner Bindung an einen stabilen Referenzrahmen wird mehr und mehr durch ein neues Denken überlagert, das die Selektivität und Modellierbarkeit von Relationen zwischen abstrakten Variablen in den Vordergrund rückt. 71 Das Problem der Beschreibbarkeit von Ereignissen und der Bildung von Gesetzmäßigkeiten wird durch Steigerung der Autonomie der Begriffsbildung bewältigt: Sowohl die Komponenten als auch die Relationierungsmuster, die dabei benutzt werden, sind nach innerwissenschaftlichen Kriterien selbst definiert und nicht mehr auf reale Ereignisse oder eine Liste von "Eigenschaften" der Realität und die Unterstellung stabiler Gesetzmäßigkeiten zwischen ihnen zurückzuführen. Die Kausalbeziehung wird in diesem Modell nicht einfach eliminiert, sie rückt aber vom Zentrum an die Peripherie. Es handelt sich dann nur noch um einen voraussetzungsvollen Grenzfall, in dem die prototypische Definition von Ereignissen und Ereignisketten aufgrund geteilter Erfahrung innerhalb eines gemeinsamen Bezugsrahmens formuliert werden kann. Auch hier zeigt sich also das gleiche Phänomen wie bei der Beobachtung des wirtschaftlichen Handelns in der "Privatsphäre". Die übergreifenden, Wissen koordinierenden und organisierenden Paradigmen verlieren ihre Integrationskraft angesichts einer zunehmenden Auflösung einer homogenen "gemeinsamen Realität" und deren Überführung in eine Pluralität unterschiedlicher Möglichkeitsräume, die ihre Selbstbeschreibung und das dafür benötigte Wissen an "Eigenwerten" (z.B. der Wirtschaft, der Technik etc.) 72 entwickeln, die die Erhaltung von

69

Rasmussen 1991, 247 f.

7 0

Vgl. Rosenberg 1992,316

71

Rasmussen 1991, 249

7 2

Vgl. allg. zum Konzept der "Eigenwerte" v. Foerster 1985, 210 ff.; 214 ff.

86

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

Kompatibilität zwischen den unterschiedlichen Mustern der Wissensgenerierung zum Problem werden lassen. Das kausale Denken ist aber wegen seiner Öffnung zu den Veränderungen der materiellen Welt und der fortbestehenden Notwendigkeit, Erfahrungen zu bilden, unverzichtbar für die Technik wie für die administrativ-rechtliche Beobachtung der Kontrolle der Technik.73 Demgegenüber ist die Repräsentation von "Möglichkeitswelten"74 in der Form der Relationierung von abstrakten Variablen darauf nicht unmittelbar eingestellt, sie erfolgt selektiv und ihre Variablen haben keinen unmittelbaren Anschluß an die Wirklichkeit. Auch die abstrakteren Relationierungsmodelle sind deshalb darauf angewiesen, daß Erfahrungen immer wieder übersetzt werden in veränderte Parameter und Variablen, weil sie nur selbsterzeugte Komplexität aufnehmen können.75 Andererseits erlaubt die methodisch reflektierte Relationierung von Variablen die Konstruktion von Abhängigkeiten innerhalb von Netzwerken z.B. aufgrund von Sensitivitätsanalysen, die für die Beschreibung komplexer Umwelten bedeutsam sind, auch wenn sie die Realität und einzelne ihrer Komponenten nicht erfassen, sondern nur Beziehungen zwischen Variablen beobachten können. Das Kausalitätsmodell, das weiterhin für die Dogmatik des Gefahrenbegriffs unverzichtbar bleibt, ist aber abhängig von der Erfahrung und von der Vertrautheit mit Ereignissen und der Interpretierbarkeit von Ursache-Wirkungsbeziehungen. Es operiert mit pragmatischen Stopp-Regeln76, die auch die Zurechnung von Verantwortung ermöglichen.77 Die Orientierung an "kanonisierten Beispielen" ermöglicht überdies schnelles Lernen durch punktuelle Variationen. In komplexen Relationierungsmodellen gibt es dagegen keine Stopp-Regeln für die Entscheidung über die Aufnahme und die Validität der Definition von Variablen, die Wahl der Methoden und der reflektierten Rückkopplung mit der Kausalanalyse realer Ereignisse und Ereignisketten. Das Problem der Kopplung von Kausalanalysen mit abstrakteren Methoden der Relationierung von Variablen läßt sich auch an den verschiedenen Erscheinungsformen der Ungewißheit beobachten. Kausalanalysen lassen sich aufgrund der übergreifenden strukturbildenden Bedeutung des Kausalitätsmodells im allgemeinen relativ leicht in nicht-wissenschaftliche Entscheidungsund Beobachtungsverfahren "übersetzen". Dies gilt für abstrakte Relationierungsmodelle oder die Abstimmung zwischen einem solchen und einer Kausalanalyse nicht ohne weiteres. Wann soll ein Modell als ausreichend kom7 3

Rasmussen 1991, 250

7 4

Vgl. dazu Favereau 1989,121 ff.

7 5

Rasmussen 1991, 250 ff.

7 6

Vgl. auchl. Levi 1984, 119

7 7

Rasmussen 1991,252

3. Präzisierung des Risikobegriffs durch Rezeption wissenschaftlicher Erkenntnisse?

87

plex angesehen werden, so daß es bei Risikobewertungen komplexer Technologien Verwendung finden kann? Für die Beantwortung solcher Fragen, die nicht an die Wissenschaft selbst verwiesen werden können, gibt es noch keine pragmatischen Stopp-Regeln, wie dies bei der Orientierung an der Erfahrung der Fall ist: Die Erfahrung wird uns trotz ihrer Unvollständigkeit schon nicht gänzlich im Stich lassen, auch wenn wir uns geirrt haben sollten, weil wir die Verläßlichkeit einer Typenbildung überschätzt haben.78 Die Erfahrung wird dadurch jedenfalls reicher! Die schnelle Entwicklung der Technologie auf immer neuen Entwicklungstrajektorien behindert (oder verhindert) aber die Erhaltung einer gemeinsamen, an ein stabiles Beziehungsnetzwerk gebundenen Erfahrung. Sie kann nur über die komplexe Modellierung multipler Relationen mit ihrerseits multiplen Variablen erfolgen, die nur teilweise in beobachtbare Ereignisketten zurückzuübersetzen sind. Die Zahl und Komplexität der Relationen und Variablen, die in ein Modell eingebaut werden können, nähert sich bei Großtechnologien (Atomtechnologie, große Chemiewerke etc.) oder bei Technologien, die von vornherein nicht an einer festen Grenze zwischen interner "MikroWelt" 79 und externer Umwelt angelegt sind (gezielte oder ungezielte Einbringung von Stoffen in die Umwelt), dem Unendlichen.80 Hier zeigt sich schmerzlich, wie notwendig Stopp-Regeln sind, die die Suche nach Daten begrenzen. Die Definition dieser Regeln kann aber nicht allein Wissenschaft und Technik überlassen bleiben.81 Ihre Formulierung kann nur als "transwissenschaftliches" Problem 82 durch neue horizontale Abstimmungsregeln zwischen unterschiedlichen Wissensbeständen konstruiert werden. Solche Regeln haben primär prozeduralen Charakter; eine solche Regel könnte in der Kopplung der Bildung und Modellierung von Modellen mit dem Grad der Unvollständigkeit empirischer "Kausar-Informationen einerseits und dem Anteil an subjektiver (Experten-)Schätzung durch Transparenzregeln bestehen.83 Jedenfalls zeigt sich, daß das Problem der Ungewißheit, das über Erfahrung nicht zu bewältigen ist, auch nicht an die nicht an Erfahrungen gebundene Wissenschaft weitergegeben wird. Dort tritt Ungewißheit ihrerseits in unterschiedlichen empirischen, methodischen, wissenschaftstheoretischen etc. Erscheinungsformen auf; eine Transformation, deren Bedeutung ihrerseits nicht ge7 8

Vgl. Rasmussen 1991, 255

7 9

Rasmussen 1991, 248 f.; Luhmann 1991, 98 f.

8 0

Vgl. Applegate 1991, 268 ff.; Coodley 1984, 1023; Nabholz 1991, 664; Van Leeuwen 1991, 65; vgl. zum Problem der Auswirkungen der Regelung auf innovative Unternehmen Pavitt 1990, 17 ff.; vgl. auch Huber 1985, 320 81

Diese Tendenz läßt sich zum Teil in der umweltrechtlichen Dogmatik beobachten. Vgl. dazu etwa das Wyhl-Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 30.3.1982 (Az. X 575/77; X 577/77; X 583/77, Bl. 143 ff.: "Auf welche Weise die Wissenschaft zu ihren Erkenntnissen gelangt, bleibt ihr überlassen"). 8 2

Vgl. Weinberg 1981, 5 ff.

83

Englehardt/Lund 1992, 890 ff.

88

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

ring zu veranschlagen ist: Dadurch wird eine Strukturierungsleistung erbracht, die nicht in der Lieferung fertiger Antworten besteht, aber doch durch Entwicklung neuer Koordinationsformen in Entscheidungsverfahren der Verwaltung möglicherweise zur Formulierung von Stopp-Regeln bei der prinzipiell endlosen Suche nach Informationen unter Ungewißheitsbedingungen benutzt werden kann. Es handelt sich dabei nicht nur um die Bewältigung eines wissenschaftlichen Problems, sondern ein Problem der gesellschaftlichen Institutionalisierung von Vertrauensbildung durch Formulierung von Stopp-Regeln, die Handeln auf der Grundlage unvollständigen Wissens ermöglichen.84 Diese Vertrauensbildung kann durch Rezeption des "Standes von Wissenschaft und Technik" oder des "Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse" allein nicht gewährleistet werden. Das bedeutet aber nicht umgekehrt, daß komplexes wissenschaftliches Wissen dafür ohne Bedeutung ist. Für die an Erfahrung gebundene Formulierung von Stopp-Regeln muß ein neues funktionales Äquivalent gefunden werden, da offensichtlich die Suche nach Gewißheit aussichtslos ist, andererseits aber auch unter Komplexitätsbedingungen auf der Grundlage unvollständigen Wissens entschieden werden muß. Der Zugang zu diesem Abstimmungsproblem, das früher durch die strukturbildende Leistung der Wissen organisierenden Paradigmen (insbesondere des Kausalitätsmodells) gewährleistet worden ist, wird, wie leicht erkennbar ist, dadurch erschwert, daß Ungewißheit in verschiedenen Varianten auftritt und die flexible Selbstbeobachtung und Selbstmodifikation der Wissenschaft erscheint. Die allmähliche Veränderung hat die Illusion ermöglicht, als könne die Wissenschaft das Vertrauen selbst beschaffen, das über Erfahrungen nicht mehr zu gewinnen war. Dabei ist aber verkannt worden, daß der Status der Wissenschaft sich grundlegend verändert, wenn diese nicht mehr durch Expertenwissen die Bildung von Erfahrung ergänzt, sondern sie in weitem Maße unter Ungewißheitsbedingungen ersetzen soll. Diese Forderung entsteht aber gerade auf dem Hintergrund der Erschütterung der Gesamtheit der Wissen organisierenden Paradigmen, eines Prozesses, der sich zwangsläufig auch auf die Wissenschaft selbst auswirken muß. Wissenschaft kann die handlungsorientierende Rolle von Erfahrung nicht in dem erwarteten weitem Maße übernehmen: Zwar wird auch die wissenschaftliche Entwicklung von "überlappenden Nachbarschaften" 85 wissenschaftlicher Tätigkeitsfelder geprägt, deren Praxis Vertrauen voraussetzt und erzwingt. Aber gerade diese distribuierte Struktur soll ein Spannungsverhältnis erhalten, dessen eine Seite von den Konventionen bestimmt wird, die die Disziplinen entwickeln86, dessen andere Seite aber an die Offenheit und Unabgeschlossenheit der Forschung und damit an Kreativität und Pluralität gebunden wird. 84

Wynne 1992, 278 ff.

85

Polanyi 1966, 72

8 6

Willard 1991,91 ff.; Bunge 1974, 28 ff.

4. Stopp-Regeln zur Rezeptionsbegrenzung wissenschaftlicher Erkenntnisse

89

Die Praxis der Wissenschaft unterscheidet sich von der Technik dadurch, daß die Fruchtbarkeit ihrer Hypothesen gerade darin bestehen kann, viele neue Fragen aufzuwerfen. Demgegenüber ist Technik durch restriktive Stopp-Regeln strukturiert, die die Verfügbarkeit und Praktikabilität von Regelwissen in einem begrenzten Zeithorizont gewährleisten sollen.87 Der "Stand der Wissenschaft" hat seine Kehrseite immer nur in der Offenheit für Revision. Wissenschaft entwickelt sich nicht nur linear nach bestimmten Festlegungen fort, sie kann und muß sich für Selbstrevision offenhalten. Der "Stand" der Wissenschaft kann daher für die Bewertung der Risiken komplexer neuer Technologien kaum in einer mit der vertrauenbildenden Kraft der Erfahrung vergleichbaren Weise verläßliche Anschlußmöglichkeiten außerhalb seines Beobachtungsbereichs garantieren. Das schließt nicht aus, daß wissenschaftliche Erkenntnisse als Entscheidungsbasis akzeptabel sind und als das möglicherweise beste verfügbare Wissen betrachtet werden können. Aber die Wissenschaft kann ihrerseits gerade nicht die praktische Entscheidungen abstützende Stopp-Regeln liefern, die den Abbruch des prinzipiell endlosen Prozesses der Suche nach weiterer Information erlaubt. Denn gerade dies ist nicht das Problem der Wissenschaft: Auch sie unterstellt zwar die Verläßlichkeit eines, vielfach selbst allerdings schwer beschreibbaren "Standes" der Erkenntnisse, aber nur unter der Bedingung, daß die Infragestellung weiter möglich bleibt. 4. Zur Notwendigkeit von Stopp-Regeln für die Begrenzung der Rezeption wissenschaftlicher Erkenntnisse Die unterschiedliche Verwendungsweise von Wissenschaft und technischem Wissen, die durch die Abschwächung der Integrationsleistung der Wissen organisierenden Paradigmen und die interne Autonomisierung noch schärfer konturiert worden ist, wird durch die Unterstellung der Möglichkeit der "Rezeption" wissenschaftlicher Erkenntnisse für behördliche Einzelentscheidung bzw. Normsetzung über Grenzwerte verwischt, die eine Schädlichkeitsgrenze oder Vorsorgeerfordemisse spezifizieren. 88 Wissenschaftliche Hypothesenbildung wird durch Übernahme in administrative Entscheidungen oder Regelbildungsprozesse verändert, weil dadurch die Suche nach dem Neuen abgebrochen oder kanalisiert wird. 89 Auch dies spricht nicht prinzipiell gegen Standardsetzung oder Entscheidungen auf wissenschaftlich nicht abschließend geklärter Grundlage, aber der darin liegende administrative Abbruch des Suchprozesses hat eine andere Bedeutung als die in das praktische Erfah87

Zervos 1989, 655

88

Vgl. aus der umfangreichen Literatur zur Bildung von Grenzwerten nur Winter (Hg.) 1986; H.W. Levi 1992, 135 ff.; Haber 1987, 269 ff.; Ak. der Wissenschaften zu Berlin 1992 89

Zervos 1989, 655, 658

90

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

rungswissen eingebaute, vertrauenbildende Stopp-Regel, die die Befolgung gesicherter Routinen nahelegt und nicht deren theoretische Infragestellung. Die Verwaltungsentscheidung übernimmt vielfach diese Rolle der Formulierung einer Stopp-Regel in einer expliziten Form, während sie zugleich die Legitimation der Wissenschaft dafür in Anspruch zu nehmen sucht. Dies zeigt sich gerade an der Option für "konservative" Annahmen90, die der Grenzwertsetzung häufig zugrunde liegen. Die Paradoxie kommt in einer Kompromißformel deutlich zum Ausdruck, die P. Lerche 91 geprägt hat, um eine Art Bewertungsspielraum für die Risikoverwaltung zu begründen: Er fordert nämlich den Vorrang für den "handelnden Sachverstand", der "nach Ausschöpfung der sich anbietenden Erkenntnisquellen präzise Grenzlinien" zieht. Selbst für den damit explizit in Bezug genommenen Fall der administrativen Entscheidung innerhalb einer festen Schwankungsbreite zwischen Möglichkeiten92 läßt sich aber aus der Kombination von administrativem Handlungsbedarf und wissenschaftlicher Sachkompetenz93 kein besonderes Vertrauen gewinnen, wenn die Wissenschaft auf Offenheit angelegt ist und die Verwaltung dieser Offenheit von außen, durch ihren Einbau in einen Handlungszusammenhang, Grenzen zieht. Das gilt um so mehr, wenn man berücksichtigt, daß alle oben genannten Varianten der Ungewißheit auch innerhalb des wissenschaftlichen Wissens vorkommen und die wissenschaftliche Erkenntnis auch jenseits der administrativ gesetzten Stopp-Regel weitergehen muß. Dieses Problem wird noch dadurch zugespitzt, daß das Forschungs-Design vielfach durch Regierungsaufträge mitbestimmt wird 94 und der Wissenschaft Antworten abverlangt werden, die sie aufgrund ihrer eigenen Rationalität nicht oder nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt geben würde. 95 Die notwendige Stopp-Regel, mit der die Verwaltung unter Zeitdruck die Suche nach einer Wissensbasis beenden und das Risiko einer Entscheidung auf zwangsläufig unvollständiger Grundlage übernehmen muß, hat jedoch keine andere Bedeutung als die der Reduktion des Rationalitätsanspruchs und seiner Kompensation durch Erfolgserwartungen, die wiederum, darauf wird noch zurückzukommen sein, in einen Konflikt mit der Darstellung und Offenlegung von Risiken treten müssen.96 Es wird noch zu zeigen sein, daß eines der Hauptprobleme der Bewältigung von Risiko und Unge9 0

Vgl. nur Salzwedel 1991, 48; aus naturwissenschaftlicher Sicht Haber 1987, 284; krit. Paustenbach 1989,403 f.; Burmaster/Lehr 1991, 5 ff. 91

Lerche 1981, 18

9 2

BVerwGE 72, 300, 315 ff.; Murswiek 1990, 221; vgl. dazu mit einer Akzentuierung des Verfahrensmoments Wahl 1991, 409 ff.; Rittstieg 1982, 178 9 3

Vgl. nur Breuer 1989,43, 47 ff., 65 f.

9 4

Salter 1988,191

9 5

Smithson 1989, 262; Ravetz 1987, 100, 111

9 6

Japp 1992, 31, 36; vgl. auch Baecker 1989, 35

4. Stopp-Regeln zur Rezeptionsbegrenzung wissenschaftlicher Erkenntnisse

91

wißheit im Verwaltungsverfahren der Mangel einer Konvention über die Möglichkeit der Entscheidung unter Bedingungen von Ungewißheit ist. 97 Die Erfolgserwartungen, die die Technik früher von allzu weitreichenden Rationalitätsansprüchen befreit haben, lassen sich auf moderne technologische Entwicklungen nicht mehr ohne weiteres übertragen. Diese Erfolgserwartungen sind auch insofern problematisch, als sie die Wissenschaft, die die "Grenzwerte" etc. geliefert hat, unter Druck setzen und umgekehrt die genauere Spezifizierung der Art der Ungewißheit und die Entwicklung von darauf eingestellten differenzierten Stopp-Regeln behindern.98 Risiken müssen dann möglichst unterdrückt werden. Dieses Problem stellt sich z.B. auch dann, wenn in Risikobewertungen neuer komplexer Technologien eine Fülle von nichtquantifizierten oder nichtspezifizierten subjektiven Expertenabschätzungen eingehen99, die infolge der Mathematisierung und Formalisierung einen falschen Eindruck von Genauigkeit erwecken. Damit soll nicht gegen die Verwendung subjektiver Expertenschätzungen Stellung bezogen werden - im Gegenteil! -, es geht vielmehr darum, daß ein qualitativ neuer Wisstnstypus in Bezug genommen wird 1 0 0 , dessen Status innerhalb der gesellschaftlichen Wissensbestände klärungsbedürftig ist, da auch hier nicht auf die Integrationsleistung der grundlegenden, die gesellschaftlichen Wissensbestände strukturierenden Paradigmen vertraut werden kann. Risikostandards und Risikobewertungen, die auf wissenschaftlicher Grundlage entwickelt werden, tendieren dazu, den Unterschied zwischen den verschiedenen Typen von Ungewißheit vielfach durch "konservative " Annahmen über Dosis-Wirkungs-Beziehungen (aufgrund von Extrapolationen aus Tierversuchen, Übertragung von Werten zwischen Mensch und Tier etc.) zu vernachlässigen101 und darüber Anschluß an die "praktische Vernunft" der Erfahrung und ihren vertrauensbildenden Charakter zu gewinnen.102 Darauf basiert auch die Umformulierung des Begriffs der "praktischen Vernunft" in eine Stopp-Regel der Datensammlung in der Rechtsprechung des BVerfG zu technischen Risiken. 103 Dahinter steckt der richtige Gedanke, daß eine Reduktion der Rationalitätsansprüche an Entscheidungen unter Risiko- und Ungewißheitsbedingungen in der einen oder anderen Weise erforderlich ist und immer erforderlich gewesen ist. Zugleich muß aber beachtet werden, daß Vertrauen geschaf-

9 7

Norgaard 1989, 313; Japp 1992,32 ff.; Smithson 1989, 297

9 8

Salter 1988,200; Flournoy 1991, 336; Latin 1987,223 ff.; vgl. auch Guidotti 1992, 103 ff.

9 9

Smithson 1989, 262; Lewis 1980,33 f.

100

Vgl. auch Guidotti 1992, 103 ff.; Clarke 1989, 178 ff.; Coldicott 1993, 13; Ravetz 1987, 100, 111; Linnerooth 1984, 223; Cooke 1991, 18, 269 ff. 101

102 103

Rodricks 1992,227; Burmaster/Lehr 1991, 6 ff.; vgl. auch Anderson 1989,413 ff. V g l

Paustenbach 1989,403 f.; Linnerooth 1984,223; vgl. auch Hart/Jensen 1990, 123 ff., 126

BVerfGE 49, 89, 143; Sommer 1981, 654 ff.; Breuer 1978, 835 f.; ders. 1989, 52 f.; vgl. auch Bender/Sparwasser 1990, Rnr. 543; Ladeur 1986, 361 ff.

92

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

fen werden muß 104 und nicht vorausgesetzt werden kann. Für diese Leistung der Erfahrung muß ein funktionales Äquivalent unter Bedingungen gesteigerter Komplexität gefunden werden. Letztlich stehen hinter dem Konzept der "praktischen Vernunft" durchaus richtige Vorstellungen von einer notwendigen "Praktikabilität" des Entscheidens unter unvollständigem Wissen, die die Formulierung von Stopp-Regeln verlangt, mit denen die Suche nach weiterem Wissen abgebrochen werden kann. 105 Diese über die Formulierung von Stopp-Regeln zu gewährleistende "Praktikabilität" 106 kann aber nicht damit begründet werden, daß die Wissenschaft ein plausibles theoretisches Modell der Zuverlässigkeit einer Technologie entwickelt habe. Diese beiden Gesichtspunkte, die Lieferung eines theoretischen Modells und die praktische Notwendigkeit, unter unvollständigem Wissen zu entscheiden107, werden in der Formel von der "praktischen Vernunft" unzulässig zusammengezogen. Wissenschaftliche Modelle können aber nicht ohne zusätzliche Begründung einer die Grenzüberschreitung zwischen Wissenschaft und Verwaltung strukturierenden Kooperationsregel die vertrauenbildende Rolle der Erfahrung übernehmen. Die Forderung nach Entscheidungsrationalität stößt hier an eine Grenze, weil und soweit keine gemeinsamen rationalen Glaubensvorstellungen als Grundlage einer Wahrscheinlichkeitsannahme gebildet werden können.108 Dazu kann der Rekurs auf Wissenschaft (und Technik) nicht verhelfen. Dies hängt vor allem damit zusammen, daß Wissenschaft als Typus - wie gezeigt keinen Handlungsbezug hat. Sie kann Hypothesen aufstellen, aber sie kann praktisches Handeln aufgrund dieser Hypothesen nicht selbst legitimieren, was nicht ausschließt, daß diese von anderen Institutionen durchaus in legitimer Weise dazu benutzt werden. 109 Dazu bedarf es aber eben der Formulierung einer Übersetzungs- und Kooperationsregel. Die Bedeutung unterschiedlicher Vor-Entscheidungen, die den Rahmen für die Verwendung von Wissen vorstrukturieren, spielt gerade dann eine besondere Rolle, wenn die Abstimmung der verschiedenen Wissensbestände nicht mehr durch übergreifende Paradigmen geordnet wird und deshalb neue Regeln und Verfahren der Abstimmung zwischen Wissen und Handeln und zwischen verschiedenen Wissens· und Handlungsbereichen gefunden werden müssen. Die Kompatibilisierung wissenschaftlichen Wissens und einer an "Praktikabilität" orientierten Problemkonstruktion versteht sich nicht von selbst. Die Vielfalt der Wissens104

Willard 1991,91 ff.; Golden 1991, 55,59; Wynne 1992, 278

105

Brown 1990, 241, 266

106

Vgl. Ladeur 1992, 348 ff. 107 Ygi Wildavsky 1988, 8, 30 f.; krit. zur Konstruktion von Abwehrrechten gegen Risiken (d.h. Veränderungen) Schroeder 1986, 562 108

Vgl. Munier 1991, 236; I. Levi 1986; Bratman 1987, 34 f.

109

I. Levi 1984, 12; Smithson 1989, 125 ff.

5. Wissenschaftliche Methodologie oder "wissenschaftspolitische" Konventionsbildung?

93

typen impliziert unterschiedliche Richtigkeitsstandards110, die auf wechselseitige Übertragbarkeit in unterschiedlichen Kontexten erst durch Verfahrensregeln abgestimmt werden müssen. Dieses Problem wird vernachlässigt, wenn die "Klärung" wissenschaftlicher Ungewißheit nach dem jeweiligen "Stand" der Wissenschaft zum wissenschafts-immanenten Problem erhoben wird. Die Unzulänglichkeit dieser Problemkonstruktion wird daran erkennbar, daß sie zwei einander widersprechende Lösungen zuläßt: Man kann einmal die Erwartungen an die Wissenschaft durch einen von außen institutionell gesetzten (Vor-)Entscheidungsrahmen 111 auf eine praktische Alternative festlegen ("sicher oder unsicher") und die zwangsläufig (wissenschafts-immanent bestehende) Offenheit und damit den provisorischen, im Grunde "transwissenschaftlichen" 112 Charakter eines solchen Urteils ignorieren. Man kann aber umgekehrt auch und gerade auf der Offenheit dieses Urteils insistieren, vor allem dann, wenn wissenschaftstheoretische Kontroversen über die Zuverlässigkeit oder die Signifikanz von Methoden oder Aussagen bestehen. Wenn man etwa die Kontroversen um die Atomtechnologie und die Gentechnik Revue passieren läßt 113 , so wird man schnell erkennen, daß trotz der imposanten Fülle und Qualität der Argumente der Befürworter der jeweiligen Technologie die verbleibende wissenschaftstheoretische Ungewißheit114 bei der Abschätzung der Zuverlässigkeit so erheblich ist, daß man die Gegenargumente nicht als wissenschaftlich widerlegt betrachten und eine eindeutige Antwort "der" Wissenschaft zur Entscheidungsgrundlage des Gesetzgebers und der Verwaltung erheben könnte.

5. Bewältigung von Ungewißheit durch wissenschaftliche Methodologie oder "wissenschaftspolitische" Konventionsbildung? In neueren Ansätzen wird versucht, komplexere (also nicht durch weitere Informationssuche zu bewältigende) Probleme der Ungewißheit selbst durch eine Art "Meta-Wahrscheinlichkeit", also eine Variante der Wahrscheinlichkeit zweiten Grades, in die Wissenschaft einzuführen. 115 Dies setzt selbst eine pragmatische Reduktion des Problems voraus, die begründungsbedürftig ist, nicht aber kann sie diese Begründung ersetzen. Ungewißheit kann eben nicht

1 1 0

Goodman/Elgin 1989,41, 76,123

111

I. Levi 1984,14; Brunsson 1985, 38

112

Weinberg 1981,5

113

Ladeur 1987, 60 ff.

114

Vgl. dazu auch Wynne 1987, 8

115

Vgl. Ladeur 1987, 60 ff.

94

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

durch Wahrscheinlichkeiten zweiten Grades ausgedrückt werden, was nicht ausschließt, daß darüber eine Methode gewonnen werden kann, mit Ungewißheit zu operieren 116 - dies ist aber ein anderes Problem. Man muß unterscheiden zwischen kognitiven Methoden der Ausräumung von Ungewißheit und entscheidungsorientierten Verfahren ihrer praktischen Verarbeitung. Die ersteren versuchen, die Offenlegung eines Konflikts gerade zu vermeiden, während die letzteren nach Möglichkeiten suchen, trotz eines ungelösten (und vielleicht unlösbaren) Konflikts 117 eine Entscheidung durch Formulierung einer Stopp-Regel zu ermöglichen, die keine vollständige Rationalität, aber eine unter widersprüchlichen Anforderungen "haltbare" begrenzte Rationalität des "Provisorischen" zuläßt.118 Die Konsequenz einer solchen begrenzten Rationalität läge z.B. darin, daß es nicht mit einer punktuellen Bewertung technischer Risiken sein Bewenden haben kann, sondern daß die Entscheidung zugleich dazu benutzt werden muß, soweit wie möglich durch Beobachtung ihrer Wirkungen neue Informationen zu gewinnen und diese in das Entscheidungsverfahren zurückzuführen. Zu betonen ist aber, daß Ungewißheit und Ignoranz wissenschaftlich im allgemeinen (unter Entscheidungs- und das heißt Zeitdruck!) nicht aufgelöst werden können. Die verschiedenen Versuche des Operierens mit Ungewißheit können aber an die neue Lesart der Wahrscheinlichkeit als eines Ausdrucks für subjektive Annahmen und Erwartungen insofern anknüpfen, als unter solchen Bedingungen auch Teilannahmen und darauf basierende Teil-Szenarien gebildet 119 und durch Kombinationen mit verfügbaren Informationen sowie das subjektive Vertrauen der Experten in Modellen ausgedrückt und spezifiziert werden können. Darüber ließe sich zwar keine Gewißheit erzeugen, aber doch eine Art "kritische Wahrscheinlichkeit" insofern 120, als ein "Teilwissen" darüber gewonnen werden kann, welches die sensitiven Variablen sind und welche mehr oder weniger vernachlässigbar sind. Ein solches Teilwissen wäre ein Konstrukt, das durch Relationierung von Variablen selbst generiert wird. Es liefert kein Abbild der Wirklichkeit, aber es ist doch mehr als bloßes Nichtwissen. Dieses Verfahren setzt stets voraus, daß die Besonderheit der subjektiven Daten und der mit ihnen erfolgenden Modellbildung in Rechnung gestellt wird. 1 2 1 Dies ist nur aufgrund einer eigenständigen methodologischen Überlegung über die Möglichkeit und Notwendigkeit der Abstimmung zwischen Wissenschaft und Ver-

116

Smithson 1989, 127; Cooke 1991, 61

117

I. Levi 1986, 149; White 1980,189

118 Vgl. Dubucs 1987, 15 ff.; Hart/Jensen 1990, 130; vgl. allg. auch H.A. Simon 1969; Slote 1989; sowie den Überblick bei Hampton 1992,219 ff. 119

Cooke 1991, 61, 269

1 2 0

Hammitt 1990,122; Englehardt/Lund 1992, 890 f.

121

Cooke 1991, 269

5. Wissenschaftliche Methodologie oder "wissenschaftspolitische" Konventionsbildung?

95

waltung sowie Privaten möglich, die Ungewißheit und Ignoranz zunächst offenlegen müßte.122 In einer Zwischenüberlegung wäre an dieser Stelle festzuhalten, daß sich die Folgen der Abschwächung der Integrations- und Koordinationsleistung des Kausalitätsmodells, insbesondere für die Produktion von Stopp-Regeln im Prozeß der Suche nach Entscheidungswissen, auch bei Risikoentscheidungen der Verwaltung in der Notwendigkeit der Ersetzung stabiler impliziter Grenzen durch explizit institutionalisierte Formen der Grenzüberschreitung niederschlagen. In der sicherheitswissenschaftlichen Diskussion der jüngsten Vergangenheit ist der Unterschied zwischen einer wissenschaftsinternen Vorgehensweise und methodologischen "wissenschaftspolitischen" Konventionen, die einen Teil der Integrationsleistung des Kausalitätsmodells übernehmen müßten, vielfach verwischt worden. 123 Dies gilt etwa für Entscheidungsregeln wie die Formulierung "konservativer" Annahmen, die selbst keinen wissenschaftlichen Charakter haben124, oder Vermutungen über die "maßgeblichen" Gefahrenquellen und Belastungspfade. 125 Das klassische Konzept der Erfahrung hat, wie oben erwähnt, bestimmte strukturbildende Vor-Entscheidungen immer voraussetzen können, die als Bezugsrahmen erst die Bildung von Erfahrungsurteilen durch die Selektivität der Anschlußmöglichkeiten und -zwänge ermöglicht haben. Neuere Ansätze zur Bildung funktionaler Äquivalente für die Verarbeitung von Ungewißheit sind dagegen auf methodologische Explikation und Konventionalisierung angewiesen, da die Integrationsleistung der traditionellen Paradigmen der Wissensorganisation sich abgeschwächt hat. Die Notwendigkeit zu einer neuen Konventionsbildung ergibt sich vor allem daraus, daß Ungewißheit nicht objektiv in der Umwelt zu lokalisieren ist 1 2 6 , sondern durch die Veränderung der Wissensorganisation127 generiert worden ist. Deshalb muß versucht werden, die neuen Wissensbestände daraufhin abzutasten, ob darin selbst Ansätze zur Formulierung von Stopp-Regeln enthalten sind, die neue Formen der Abstimmung zwischen kognitiven (empirischen, methodischen und theoretischen), normativen und handlungsbezogenen Elementen des Entscheidens unter Ungewißheitsbedingungen zulassen. Diese Frage drängt sich deshalb auf, weil die Suche nach Sicherheit keine Alternative bieten kann, da es äußerst unwahrscheinlich ist, daß die beschrie-

122

de Geus 1992, 3

123 Ygi e t w Fritzsche 1986

a

die Arbeit von Kuhlmann 1992 sowie seine Einleitung in ders. (Hg.) 1991; vgl. auch

124

Rodricks u.a. 1992, 316 ff.; Fritzsche 1986, 367, 375 f.

125

Fritzsche 1986,368,430

126

Smithson 1989, 292

127

Vgl. auch Wynne 1987,269 ff.

96

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

bene Selbstveränderung innerhalb der gesellschaftlichen Wissensbestände eine grundsätzliche Ermäßigung des Zwangs zu Entscheidungen unter unvollständigem Wissen zuläßt. Gerade angesichts der Auflösung hierarchischer Stufungen in den gesellschaftlichen Wissensbeständen muß sich auch jede Form der ethischen Selbstverständigung128 über die Notwendigkeit des Lernens der Gesellschaft danach fragen lassen, ob sie nicht den Charakter eines "abergläubischen Lernens" 129 annimmt: Wenn sich so viel unbeabsichtigt geändert hat, müsse sich noch viel mehr durch gute Absicht ändern können. (Darauf wird am Ende dieser Untersuchung noch einmal zurückzukommen sein). Im folgenden sollen die bisherigen Ausführungen zur Ungewißheit dazu benutzt werden, eine Verknüpfung mit den früher angestellten Überlegungen zur Erzeugung von Wissen über interorganisationale Netzwerke genauer auf Risikowissen und Risikoentscheidungen zu beziehen und die Konsequenzen daraus zu entwickeln, daß Risikobeschreibungen und -bewertungen nicht mehr - wie im klassischen Modell der rationalen Entscheidung130 - von Individuen, sondern von Organisationen vorgenommen werden. In mehreren Schritten soll die Hypothese entwickelt und erprobt werden, daß in einer azentrisch gewordenen Gesellschaft unter den beschriebenen Bedingungen des Handelns unter Ungewißheit der Zugang zur Formulierung neuer Stopp-Regeln, die praktisches Operieren unter Ungewißheitsbedingungen zulassen, dadurch gefunden werden kann, daß die Bedeutung der Organisation und interorganisationaler Beziehungsnetzwerke für die Koordination von Wissen und Entscheidung131 genauer in den Blick genommen wird. Wie oben gezeigt, sind es vor allem die Organisationen, die mehr und anderes Wissen und dadurch paradoxerweise eine höhere Ungewißheit erzeugen, weil sie mit ihren größeren Handlungsressourcen Beziehungsnetzwerke erreichende strategische Kompetenzen haben. Organisationen "sammeln" nicht Informationen zur "Anwendung" allgemeiner Regeln wie das Individuum unter dem Kausalitätsmodell. Sie haben eine höhere Fähigkeit zur Organisation und Produktion neuen Wissens durch systematische Relationierung zwischen Variablen, durch Konstruktion und Erprobung von Modellen; sie nehmen nicht einzelne Handlungen vor, sondern generieren stochastische Handlungsmuster132 und haben damit erheblich zu der oben beschriebenen grundlegenden Selbstmodifikation der Gesellschaft im allgemeinen und der Produktion gesellschaftlichen Wissens im besonderen beigetragen. Organisationen sind lernfähiger, sie sind geradezu Lernmechanismen, und haben zugleich die Gesellschaft insge128

Vgl. dazu Kaufmann 1992, 23 f.; Luhmann 1993, 327

129

Smithson 1989, 249

130

Vgl. dazu Clarke 1989,178

131

Vgl. auch Clarke 1989, 178

132

Vgl. Smithson 1989, 292; de Geus 1992, 3

5. Wissenschaftliche Methodologie oder "wissenschaftspolitische" Konventionsbildung?

97

samt auf höhere Lernfähigkeit festgelegt. Sie haben die Stabilität der gesellschaftlichen Regelsysteme erschüttert, aber zugleich auch größere Möglichkeiten zur Bewältigung von Komplexität entwickelt. Komplexität kann nicht mehr durch Anwendung stabiler Regeln und Bildung dauerhafter Erwartungen bewältigt werden. 133 Eine Alternative könnte in der Entwicklung eines Konzepts der prospektiven Modellbildung und der Bereithaltung von Flexibilität zur Gewährleistung von Resilienz134 bestehen. Das prospektive Moment der Modellbildung unterscheidet sich von der Prognose durch ihren multifaktorellen Charakter, der aus der handelnden Beteiligung mehrerer Organisationen und Institutionen mit unterschiedlichen Zielen und jeweils unvollständigem Wissen resultiert. 135 Die Akzentuierung des Moments der Resilienz versucht anzuknüpfen an die Risikostreuung durch Dezentralisierung der Technikentwicklung, die zwar nicht wiederherstellbar ist, aber in der Gesellschaft der Organisationen möglicherweise darin ein funktionales Äquivalent finden kann, daß die Prozeduralisierung des Unternehmens, die Vielfalt und Offenheit seiner Ziele, als Anknüpfungsbasis benutzt werden kann für die Steigerung von Anpassungsfähigkeit an selbstgeschaffene Komplexität durch Bildung flexibler Erwartungen. 136 Es stellt sich dann die Frage, ob insbesondere Umweltrecht und Umweltverwaltung zur Steigerung von Lernfähigkeit in Organisationen und interorganisationalen Netzwerken nicht ihrerseits durch eine neue Form der Abstimmung zwischen Privatem und Öffentlichem beitragen können und darüber eine Logik des Experiments und des Provisorischen geschaffen werden könnte, die durch Prozeduralisierungen die Integrationsleistung erbringen könnte, die in der "Gesellschaft der Individuen" durch die hierarchische Stufung der Wissensbestände garantiert worden ist. Es stellt sich dann die Frage, ob in einem solchen Modell auch Raum für die Entwicklung Vertrauen ermöglichender Stopp-Regeln wäre, die praktikable Entscheidungen über Risiken dadurch ermöglichen, daß sie in einen komplexen Lernprozeß eingebaut sind, der systematisch und langfristig auf Begrenzung von Risiken eingestellt wäre. Bevor dieser Gedanke weiterentwickelt werden kann, müssen zunächst die normativen und organisatorischen bzw. regulatorischen Komponenten analysiert werden, die mit der kognitiven Komponente des Risikobegriffs verknüpft werden müssen, insbesondere das Vorsorgegebot und die Lernfähigkeit der Umweltverwaltung. Diese Begriffe müssen daraufhin überprüft werden, ob und wieweit sie in ein komplexes Konzept der Risikoentscheidung unter Ungewißheitsbedingungen der Art eingebaut werden können, daß ein funktiona133

Kampis/Csanyi 1987, 148

134

Vgl. Holling 1973, 1 ff.; Smithson 1989, 292; Clarke 1989, 181; de Geus 1992, 3 f.

135

Vgl. nur Lesourne 1993, 29 f. 136 V g l Vardaro 1991, 217, 226; Le Moigne 1987, 499 ff.; vgl. auch Baecker 1992, 168 f.; zur Risikoentscheidung insb. Japp 1992, 31 ff. 7 Ladeur

98

IV. Gefahr und Risiko im Umweltrecht

les Äquivalent zu dem oben charakterisierten Verweisungszusammenhang zwischen dem Gefahrenbegriff, der Erfahrung und einem administrativen Regulierungs- und Entscheidungsmodell formuliert werden kann. Im folgenden soll deshalb zunächst nach der dogmatischen Konstruktion des Vorsorgeprinzips gefragt werden.

V. Zur Weiterentwicklung des Vorsorgebegriffs

1. Vorsorge und das Problem ihrer Begrenzung Der Vorsorgebegriff ist zunächst nur dadurch charakterisiert, daß er, ähnlich wie der Risikobegriff von der kognitiven Seite her, die Konturen der Gefahrenabwehr verwischt: Wenn nicht nur die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts herabgesetzt werden, sondern auch der "normale Bestand" von Rechtsgütern nicht als Indikator für die Notwendigkeit von Risikovorsorge gelten kann1, sondern komplexere Beziehungen und Beziehungsnetzwerke (Luftqualität, Naturhaushalt etc.) zu Rechtsgütern erhoben werden, bedarf sowohl die Zurechenbarkeit von Risiken als auch die Definition der administrativen Reaktionsschwelle einer neuen Bestimmung.2 Zunächst zeigt sich aber an der Veränderung des Bezugsrahmens, daß die Lockerung des Gefahrenbegriffs und seiner Kriterien der Vorsorge noch keine Konturen verleihen kann. Damit kann allenfalls ein Grenzfall der Vorverlagerung der Gefahrenabwehr bewältigt werden, dessen Einordnung in den Anwendungsbereich des Kausalitätsmodells im übrigen aber nicht grundsätzlich in Frage steht. Das Musterbeispiel dafür wäre die sehr unwahrscheinliche, aber dennoch nicht ganz zu vernachlässigende Möglichkeit eines Schadensverlaufs, dessen Beschreibbarkeit keine besonderen Probleme mit sich bringt. Schon bei der Lockerung der Zurechnung, z.B. durch Vorsorge gegen Schadstoffbelastung der Luft auch ohne Verknüpfbarkeit eines Schadens mit einer Ereigniskette, zeigt sich aber das Problem der Komplexitätssteigerung durch Vermischung unterschiedlicher Kriterien, das im Grunde nur signalisiert, daß die strukturbildende Einordnung in das Kausalitätsmodell unmöglich geworden ist. Gefahrenabwehr war und ist - vereinfacht gesprochen - dadurch charakterisiert, daß durch eine "Maßnahme" eine potentiell schädliche Ereigniskette unterbrochen wird. 3 Es ist oben darauf aufmerksam gemacht worden, daß Kausalität und Wahrscheinlichkeit stark von gesellschaftlichen Wertungen und einer sie bestätigenden Praxis zusammengehalten werden.

1

Vgl. zur Risikovorsorge allgemein Rehbinder 1991, 7 ff.; Ak. der Wissenschaften 1992, 370 ff.

2

Vgl. dazu auch Ladeur 1994c

3

Vgl. nur PrOVG 16,125 f.

100

V. Zur Weiterentwicklung des Vorsorgebegriffs

Nur dadurch bleiben die Wirkungen ihrer begrifflichen Vagheit begrenzt.4 Gerade dieser gesamthafte Verweisungs- und Abstützungszusammenhang läßt sich aber durch die Lockerung einzelner Kriterien nicht erfassen. Nur in einigen Grenzfällen (insbesondere der schon genannten unwahrscheinlichen, aber bekannten Ereigniskette) erscheint die Bewältigung des Problems durch die "Vorverlegung" der Gefahrenabwehr angemessen beschreibbar. Im übrigen geht es aber, wenn einmal die Ungewißheit "unterhalb" der Gefahrenschwelle als Anlaß für Risikovorsorge akzeptiert wird, vor allem um Probleme der Bestimmung der "Maßnahmen" und die Begrenzung der potentiell unendlichen Information. Die Vorsorge unterhalb der "Gefahrenschwelle" kann beliebig weit ausgedehnt werden, weil die "Ereigniserzeugung" (Kausalitätsmodell) und die Bildung "kanonisierter Beispiele" auch ihre Ausstrahlung z.B. auf die Bestimmung des Kriteriums der "Erforderlichkeit" von Abwehrmaßnahmen hat.5 Unter Ungewißheitsbedingungen ist eine vergleichbare Konventionalisierung6 schwer möglich, weil die Möglichkeit ihrer Selbstdefinition durch Praxis ausfällt. 7 Für die Vorsorge gibt es kaum orientierungsbildende Praxis. Ungewißheit erschwert nicht nur die faktische Wirkungsabschätzung am Maßstab eines normativ vorauszusetzenden "Normalbestands" eines Rechtsguts, sondern dieses Orientierungsproblem schlägt auch auf die Handlungsseite durch, da ohne einen relativ stabilen Referenzrahmen die Bestimmung von "Interventionspunkten" schwer möglich ist. In Rechtsprechung und Literatur ist der Vorsorgebegriff 8 dennoch sehr stark am Gefahrenbegriff orientiert worden: Er wird einmal für den schon genannten Fall des durch wissenschaftliche Erkenntnis begründeten Gefahrenverdachts mit Bezug auf ein beschreibbares mögliches "Besorgnispotential" verwendet9 und andererseits durch Bezugnahme auf den wahrscheinlichen, aber geringen Schaden (Herabsetzung der Schädlichkeitsschwelle) konkretisiert. Der "bloße" Risikoverdacht10, der seiner Art, Größenordnung oder Wahrscheinlichkeit noch unbekannte Schaden, kann danach nur begrenzt zum Gegenstand von Vorsorgemaßnahmen werden. Aber schon die Begriffsbildung erscheint zweifelhaft, weil auch hier wieder eine Wahrscheinlichkeit zweiten Grades (Verdacht eines Gefahrenverdachts) eingeführt wird. Im Atomrecht werden Risikoerkenntnis, Risikobewertung und Risikovorsorge - ähnlich wie im Gentechnik- und Pflanzenschutzrecht - durch Bezug4

Vgl. Rosenberg 1992,316

5

Vgl. zum Problem der "Verhältnismäßigkeit" bei Risikoentscheidungen Kloepfer 1993a, 236, 243

6

Vgl. Tindale 1992,180; Reed 1992, 19

7

Vgl. dazu Davis 1988, 148; Hacking 1990,169

8

Vgl. nur den Überblick bei Rehbinder 1991, 7 ff.

9

BVerwGE 72, 300, 315

10

Rehbinder 1991, 11

1. Vorsorge und das Problem ihrer Begrenzung

101

nähme auf den "Stand von Wissenschaft und Technik" bzw. den "Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse" miteinander verknüpft. 11 Ein Risikominimierungsgebot besteht aber nur im Atomrecht, während in den beiden anderen genannten Gebieten auf die Vertretbarkeit von Risiken bzw. Risiko-Nutzen-Abwägungen rekurriert werden kann.12 Die Rechtsprechung unterscheidet den Risikobereich, der Gegenstand möglicher Vorsorgemaßnahmen ist, und das nicht zu bearbeitende "Restrisiko" danach, ob ein "konkreter" Vorsorgeanlaß durch wissenschaftliche Erkenntnis begründbar ist. 13 Die Risikovorsorge wird dabei je nach Gefährdungspotential normativ differenziert; im Atomrecht muß ein Risiko entsprechend dem "Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen" sein.14 Jenseits der Schwelle "praktischer Vernunft" ist Risikovorsorge dagegen nicht erforderlich. Im Immissionsschutzrecht und im Gefahrstoffrecht existiert dagegen keine allgemeine Risikominimierungspflicht 15, da die Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG vor allem an den "Stand der Technik" im Hinblick auf die Emissionsbegrenzung und einen allgemeinen Maßstab der "Ausgewogenheit" gebunden ist. 16 Das BVerwG 17 hat insbesondere für die vorsorgende Immissionsbegrenzung ein allgemeines "Konzept" verlangt, weil das Erfordernis der Effektivität von Immissionsbegrenzungen nur makro-ökonomisch kontrolliert werden könne, nicht aber mikro-ökonomisch am einzelnen Betrieb. Im übrigen sind Risiken, denen nicht oder nicht mit vertretbarem Aufwand begegnet werden kann, nach herrschender Auffassung hinzunehmen.18 (Auf Einzelheiten der Dogmatik braucht hier nicht eingegangen zu werden). Kennzeichnend für den unklaren Status der Vorsorge 19 ist die (verbreitete) Einschätzung als Mittel der "Verbesserung der Umweltverhältnisse" oder der Vorverlagerung des Schutzes unterhalb der Gefahrenschwelle. 20 Daneben tritt eine "planerische" Komponente, die eher an der Verteilung von Umweltres11

Vgl. nur Breuer 1989,43, 55 ff.; Marburger 1979, insb. 158 ff., 164 ff.

Vgl. zur Risiko-Nutzen-Abwägung bei Risikoentscheidungen Di Fabio 1993, insb. 187; zur engen Verbindung von Erkenntnis und Wertung bei Risikoentscheidungen auch Salzwedel 1987, 276 f.; ders. 1993,421 ff. 13 Vgl. zur Begrenzung der Reichweite der Risikovorsorge durch den "Anlaß" zu Nachforschungen OVG Münster, UPR 1991,193; BVerwG, UPR 1992,382,384 14

Vgl. zur Risikovorsorge im Atomrecht nur Kloepfer 1989, § 1 Rnr. 5; Hoppe/Beckmann 1989, § 24 Rnr. 35 ff.; Bender/Sparwasser Rnr. 47; BVerwGE 49, 89, 143; BVerwGE 72, 300 ff. 15

Anders Murswiek 1985, 336 ff.

16

Vgl. zum technischen Grundsatz der "Ausgewogenheit" der Risikovorsorge Breuer 1990, 215; vgl. allg. Kutscheidt 1993,447 ff.; Jarass 1993, § 5 Rnr. 53 ff. 17

BVerwGE 69,37,45

18

Salzwedel 1991,52

19

Vgl. aber zum Einbau planerischer Momente Trute 1989, 370

2 0

Vgl. nur Jarass 1993, § 5 Rnr. 41 ff.; vgl. im einzelnen Hoppe/Beckmann 1989, § 25 Rnr. 36; vgl. auch Kloepfer/Kröger 1990, 9 ff.

102

V. Zur Weiterentwicklung des Vorsorgebegriffs

sourcen orientiert ist. 21 Der Gefahrenbegriff erlaubt über das mit ihm verbundene Kausalitätsmodell eine relativ einfache Kopplung von kognitiven und handlungsbezogenen Komponenten: Die gefährliche Ereigniskette wird vor der Überschreitung der Gefahrengrenze durch eine antithetisch bestimmte "Maßnahme" unterbrochen (Polizeiverfügung an den Störer). Diese Koordination ist aber zwischen Risiko und RisikoVorsorge nicht leicht möglich, da das Risiko äußerst vielgestaltig und seine Beschreibung von einer Ungewißheit gekennzeichnet ist, die auch auf die Handlungskomponente durchschlagen muß. Der potentielle Schaden, das Generierungsmuster und die Zurechenbarkeit kann ungewiß sein, deshalb stößt auch die Formulierung von Vorsorge-"Maßnahmen" auf Probleme. Andererseits kann der Zusammenhang bekannt, aber die faktische Möglichkeit der Vorsorge erschwert sein, weil ein Handlungsmittel nicht verfügbar ist oder selbst äußerst komplex angelegt sein müßte und dann die Abschätzung der Kosten und der Wirksamkeit schwierig wird. Damit sind nicht einmal alle möglichen Probleme genannt und die genannten können in ganz unterschiedlichen "Mischungsverhältnissen" auftreten. Jedenfalls stellt die Ungewißheit der Risikobeschreibung auch die Dimensionierung der Risiko-"Abwehr" vor größere Probleme, weil sie nicht aufgrund der Beobachtung einer gefährlichen Ereigniskette durch Entwurf eines alternativen, Schaden vermeidenden Handlungsablaufs gewonnen werden kann. Die Konstruktion der Gefahr nach dem Kausalitätsmodell bildet eine relativ einfache Folie, auf der die Abwehrmaßnahme abgebildet werden kann. Diese Möglichkeit besteht für die Risikovorsorge nicht. Der Zugang zu diesem Problem wird dadurch erschwert, daß insbesondere bei komplexen Technologien auch die Bestimmung des "Risikomanagements"22 vielfach an die Wissenschaft delegiert wird. Die Wissenschaft soll nicht nur das Problem beschreiben, sondern auch seine Bewältigung dimensionieren. Damit wird der Wissenschaft nur scheinbar nichts grundsätzlich Neues abverlangt, da auch im Bereich der Gefahrenabwehr nicht nur die Beschreibung der Gefahr, sondern auch die Entscheidung über eine Gefahrenabwehrmaßnahme von Expertenwissen abhängig sein kann. Wie oben gezeigt, treten aber die verschiedenen Probleme der Ungewißheit auch innerhalb der Wissenschaft in Erscheinung, und dieses Problem wirkt sich auch auf die Möglichkeiten und Grenzen der Formulierung einer Konzeption des "Risikomanagements" aus. Dieses Problem stellt sich um so mehr, als es sich vielfach um neue Technologien handelt, über die zwangsläufig auch in der Wissenschaft wenig Erfahrungswissen verfügbar ist. Überdies zeigt sich auch hier, daß damit der Wissenschaft mindestens partiell eine ihr fremde, nämlich entscheidungsbezogene Fragestellung aufgedrängt wird, während ihr eigenes Denken eher an der Beschreibung und Beobachtung orientiert ist. Es zeigt sich also, daß die Probleme der Un21 2 2

Vgl. dazu nur Breuer 1981,393,413; Rehbinder 1991, 10 ff.

Vgl. zum Verhältnis von Risikoerkenntnis, -bewertung und -management Salzwedel 1993, 421 ff.; Ladeur 1993, 121 ff.; ders. 1994a, 1 ff.

2. Vorsorge und die Indikatorfunktion der Rechtsgüter

103

gewißheit bei der Beschreibung des Risikos bei der Bestimmung der Vorsorgemaßnahmen und ihrer Begrenzung wieder auftreten, und zwar um so schärfer, als auf der deskriptiven Seite alle möglichen Probleme und Ungewißheiten offen bleiben können, aber dennoch entschieden werden muß, und sei es, daß es nicht entschieden wird. 2. Vorsorge und die Indikatorfunktion der Rechtsgüter Die bisherigen Überlegungen zum Vorsorgeprinzip und seiner Konstruktion haben gezeigt, daß seine Bindung an den Gefahrenbegriff und damit das Kausalitätsmodell auf der Handlungsseite zu neuen Problemen führt, die alle damit zusammenhängen, daß der Gefahrenbegriff eine Vielzahl praktischer, normativer und handlungsbezogener Komponenten durch Bezugnahme auf den festen Referenzrahmen einer Normalitätsunterstellung zusammenfassen kann. Dadurch findet auch die "Abwehrmaßnahme11 ihre Konturierung durch das Ziel der Wiederherstellung oder Erhaltung eines normalen Bestandes. Wenn aber die Beschreibung einer Normalität nicht mehr zur Verfügung steht, verliert auch die Formulierung einer auf ihre Erhaltung gerichteten Entscheidung ihre Konturen. Es zeigt sich, daß der Wandel, der sich mit dem Auftreten komplexer Risiken vollzogen hat, nicht allein in der kognitiven Ungewißheit besteht; vielmehr wird der den Gefahrenbegriff prägende Verweisungszusammenhang der einzelnen normativen, faktischen, handlungsbezogenen und institutionellen Komponenten insgesamt gestört. Die kausale und normative Zurechenbarkeit von Handlungen hatte auch eine für die Möglichkeit des Lernens Privater und seiner polizeilichen Kontrolle am Maßstab des Gefahrenbegriffs strukturbildende Bedeutung: Wer mit der Möglichkeit einer polizeilichen Eingriffsmaßnahme (oder der Schadenshaftung) rechnen muß, hat deshalb ein Interesse und die Möglichkeit, sein Handeln zu beobachten und die Gefahr zu vermeiden. Bei nicht mehr individuell zurechenbaren Schäden besteht diese Möglichkeit nicht oder nur sehr eingeschränkt. Dies schlägt sich auch in der großen Zeitdimension nieder, innerhalb deren "Allmählichkeitsschäden" zutage treten. (Dies läßt sich auch am Sonderfall der Altlasten beobachten).23 Der Allmählichkeit des Schadens23 Vgl. zum Problem der Versicherbarkeit von Umweltschäden Schmidt-Salzer 1992, 35 ff.; die Entwicklung des amerikanischen Haftungsrechts zeigt, daß auch im Zivilrecht die Umstellung der Risikozurechnung von der Kausalität eines "regelwidrigen" Handelns auf komplexere Ziele wie die adäquate Zurechnung (Internalisierung) von Kosten und Nutzen ganzer Handlungsfelder auf große Hindernisse stößt und immer wieder unerwünschte Nebenwirkungen produziert. Dies hängt vor allem damit zusammen, daß das Haftungsrecht zu wenig auf Probleme der Bewältigung von Ungewißheit eingestellt ist. Vgl. dazu etwa Litau 1991, 59, 62 f.; Priest 1991, 31, 38, 46; England 1988, 390 f.; vgl. auch Ott/ Schäfer 1993, 217, 234 ff.; sowie Meder 1993, 539 ff.; 1993a, 267 ff. zur Notwendigkeit, juristische "Grenzbegriffe" angesichts von Ungewißheit für "Unschärfen" zu öffnen.

104

V. Zur Weiterentwicklung des Vorsorgebegriffs

eintritts entspricht auch auf der Handlungsseite der privaten Beiträger eine längerfristige Anpassung an eine selbstgeschaffene Technikinfrastruktur, an der sich auch die Erwartungen der Nutzer in verschiedenen Subarenen gebildet haben. Deshalb können hier nicht mehr punktuell einzelne schädliche Fluktuationen innerhalb einer technischen Entwicklungstrajektorie "in die Schranken" verwiesen werden, sondern ein ganzer Optionsraum müßte umgestellt werden. Dafür existieren zwar pauschale Formen wie die ökologisch "angepaßte Technologie", aber deren Entwicklung könnte, wenn überhaupt, nur so erfolgen wie die bisherige Technologie entstanden ist, nämlich über einen komplexen interorganisationalen Prozeß, dessen Entwicklung im einzelnen nicht genau beschreibbar und auch nicht kontrollierbar ist, wenn man an die komplexen selbstorganisierten technologisch-wissenschaftlichen und ökonomischen interorganisationalen Beziehungsnetzwerke denkt, die sich verändern müßten. Die "ökologische Marktwirtschaft" 24 ist einstweilen nicht mehr als eine Leerformel, deren Verwendung aber vielfach die Vermutung nahelegt, als schwebe ihren Protagonisten ein Gesellschaftsmodell vor, das die Grenzen des Kausalitätsmodells für die Gestaltung des Austauschs zwischen Natur und Gesellschaft zwar erkennt, die Anpassungsfähigkeit der Gesellschaft an Zwänge aber überschätzt. Das Kausalitätsmodell hat aber nicht nur von der Beschreibungsseite her seine Integrationskraft verloren, es schwächt auch die Möglichkeit der Dimensionierung von "Maßnahmen". Interessanterweise ist der Glaube an die Fähigkeit der Gesellschaft zur Anpassung an Zwänge um so größer, je ausgeprägter das Verlangen nach individuellem Schutz vor den Zwängen des Alltags ist. Hier wird erkennbar, in welchem Maße Zurechnungen interpretierbar werden, wenn einmal die Integrationskraft der Wissen organisierenden und Probleme abschichtenden gesellschaftlichen Paradigmen abgeschwächt ist. Der jeweils eigenen Gruppe dürfen keine Veränderungen abverlangt werden, die andere, insbesondere aber die Technologie, hat sich nach einem einsinnigen umgekehrten Kausalitätsmodell zu ändern. Die Zunahme der Variabilität und die Unbestimmtheit und Unklarheit von Zurechnungen wird nur als Grundlage der Möglichkeit einer "gemeinsamen" Verfügung und Kontrolle wahrgenommen. Die traditionelle Interpretation des Vorsorgebegriffs hält ebenso wie alternative Forderungen nach einer radikalen Ökologisierung der Technik letztlich am Kausalitätsmodell fest 25, desssen Grundlagen aber weitaus stärker erschüttert worden sind, als dies in beiden Lesarten zum Ausdruck kommt. 26 Die Möglichkeit der Binarisierung von Entscheidungen, wie sie durch das Kausalitätsmodell geschaffen worden ist 27 , ist sowohl im Hinblick auf die 2 4

Vgl. dazu den Überblick von Brenck 1992, 379

2 5

Hacking 1990, 2

2 6

Vgl. dazu demnächst Ladeur 1994c

2 7

Vgl. Flournoy 1991, 336 ff.; Collingrige 1982

2. Vorsorge und die Indikatorfunktion der Rechtsgüter

105

Natur als auch im Hinblick auf die Formulierung von Abwehr-"Maßnahmen" in Frage gestellt worden. Der punktuelle Charakter der polizeilichen Maßnahme28 entsprach dem punktuellen Charakter privaten Handelns innerhalb der von der gemeinsamen Erfahrung vorgezeichneten Schwankungsbreite der Möglichkeiten. Dies ist sicher eine idealtypische Vereinfachung, aber sie hat doch eine strukturbildende Funktion, weil privates wie öffentliches Handeln sich innerhalb eines durch die Freiheit auf der einen Seite und das Ermessen auf der anderen Seite bestimmten Entscheidungsspielraums am Modell der "Anwendung" vorfindlicher Regeln orientieren konnten.29 Wenn aber die Risikoverwaltung nicht mehr einzelne Handlungen von der Abweichung von dem durch die Erfahrung vorgezeichneten Weg abhalten soll, sondern ein ganzes Netzwerk beschreibbarer oder ungewisser schädlicher Wirkungseffekte zu bewältigen ist und auch die Zurechnung nur auf (inter-)organisationale Handlungsnetzwerke bezogen werden kann, können sich ganze Optionsräume und nicht nur einzelne Optionen als änderungsbedürftig erweisen. Dies entspricht nicht mehr der Handlungsperspektive des punktuellen Verwaltungsakts. Auf der "Adressaten"-Seite entstehen Anpassungsprobleme, deren Bewältigung nicht mehr durch ein System abgestufter Vor-Entscheidungen und dadurch eröffneter Anschlußzwänge erleichtert wird. Dieses Problem wird teilweise durch die Begrenzung der Vorsorge auf den "Stand der Technik" bearbeitet. Dadurch sollen die Anpassungsgrenzen des Wirtschaftssystems berücksichtigt werden, der Begriff soll Erwartungen hinsichtlich der zu leistenden Risikovorsorge ermöglichen, die sonst nur schwer gebildet werden können. Demgegenüber wird der Hochtechnologie, deren Innovationsfähigkeit höher eingeschätzt wird und der ein größerer Aufwand zugemutet werden kann, Vorsorge auch nach dem "Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse" abverlangt. Die Abgrenzung erfolgt hier über vage Begriffe wie den "Standard der praktischen Vernunft" oder die "Vertretbarkeit" im Hinblick auf Risiken für den "Naturhaushalt" etc. Angesichts eines erheblich komplexer dimensionierten Anpassungsproblems stellt sich auch die Frage nach der Wirkungsweise einer rechtlichen Regulierungsstrategie, die etwa in dem Bereich, über den sich Aussagen zur Bildung "negativer Synergismen" mit vertretbarer Genauigkeit machen lassen (Luftbelastung etc.), z.B. Belastungsgrenzwerte innerhalb kurzer Zeit stark absenken würde. Auch hier würden, diesmal auf der innergesellschaftlichen Seite der privaten technischen und ökonomischen (inter-)organisationalen Beziehungsnetzwerke schwer abschätzbare distribuierte Effekte entstehen - von der Möglichkeit illegalen Handelns ganz abgesehen. Manche Betriebe könnVgl. auch zur "Unmittelbarkeit" der Verursachung einer Gefahr im Polizeirecht Drews/Wacke/ Vogel/Martens 1986, 313; Knemeyer 1991, Rnr. 248; Pietzcker 1984,457 ff. 2 9

19 ff.

Vgl. zum unbestimmten Rechtsbegriff im technischen Sicherheitsrecht jetzt Ebinger 1993, insb.

106

V. Zur Weiterentwicklung des Vorsorgebegriffs

ten sich möglicherweise leicht anpassen, andere müßten aus ökonomischen Gründen aufgeben, wieder andere ihre Preise stark erhöhen, für manche Bereiche wäre eine Vermeidungs- oder Filtertechnologie verfügbar, für andere dagegen nicht 30 ; die Nachfrage nach verfügbarem technologischen Wissen würde stark ansteigen31 (möglicherweise zum Nachteil von längerfristig viel effektiveren, aber noch nicht ausgereiften Vermeidungstechnologien); zum Zwecke der Erzeugung politischen Widerstands gegen eine strikte Umweltschutzpolitik könnten Unternehmen umwelttechnologisches Wissen, das zur Auferlegung weiterer Anpassungspflichten führen könnte, unterdrücken 32 etc. - dies sind nur einige der möglichen, aber schwer abschätzbaren Folgen. Damit soll kein Szenario entworfen werden, vielmehr ist nur darauf zu insistieren, daß Vorsorge auch von der Handlungsseite her mit großer Ungewißheit konfrontiert ist. Auch dies spricht natürlich nicht von vornherein gegen eine solche Politik, aber man muß jedenfalls davon ausgehen, daß die Reagibilität und Flexibilität interorganisationaler Netzwerke auf Vorsorgestrategien ebensoschwer abschätzbar sein kann wie die durch Schadstoffe belastete Natur. Angesichts des engen Verweisungszusammenhangs zwischen den verschiedenen Komponenten des Gefahrenbegriffs ist es nicht verwunderlich, daß auch Risikovorsorge sich nicht nur kognitiv auf die Beschreibung von Netzwerken und die damit verbundenen unterschiedlichen Erscheinungsformen von Ungewißheit einstellen muß, sondern sich auch auf der Handlungsseite mit dem Problem der Formulierung "netzwerkgerechter" 33 Vorsorgeentscheidungen konfrontiert sieht. Festzuhalten ist, daß auch in der Handlungsperspektive34 nicht mehr mit der Fiktion der punktuellen Entscheidung auf der Grundlage einer allgemeinen Regel operiert werden kann, deren Substrat eine am Maßstab der Normalität als Abweichung und damit als gefährlich bewertete Handlung wäre. Diese Fiktion hat sich an den Paradigmen des linearen Gleichgewichtsmodells orientieren können, dessen Grundlage Ordnungserhaltung durch die Unterdrückung einzelner Störungen im Interesse der Beherrschung einer zulässigen Schwankungsbreite von Möglichkeiten um einen Ruhepunkt herum oder die Vermeidung des Umkippens in einen chaotischen Zustand bedeutete. Das neue, an Ungleichgewichtszuständen orientierte Modell, das Ordnung und Chaos35, Regel und Regelabweichung nicht dauerhaft getrennt halten kann und mit der permanenten Selbstmodifikation von Ordnung in dezentral distribuierten Beziehungsnetzwerken rechnen muß, läßt dagegen die "Anwendung" 3 0

Vgl. zum Problem des "technology forcing" Stewart 1981, 1257 ff.

31

Vgl. Ladeur 1988, 305 ff.; vgl. auch Hoffmann-Riem 1990,400 ff.

3 2

Smithson 1989, 253

33

Vgl. dazu allg. de Rosnay 1986,139,142

3 4

Vgl. dazu Wildavsky 1988, 8 ff., 30, krit. dazu Krohn/Krücken 1993,13 ff.

3 5

Vgl. allg. Prigogine 1988; ders./Stengers 1990

3. Die Selektivität der Vorsorge

107

stabiler Regeln nicht mehr zu. 36 Weder kann an die Kontinuität der aus der Erfahrung gewonnenen Regelmäßigkeit als Voraussetzung der Entscheidung angeknüpft werden, noch können umgekehrt in einer reflexiven Form die Ordnung und Orientierung ermöglichenden Vor-Entscheidungen, der Optionsraum, innerhalb dessen Optionen formuliert werden können, zum Gegenstand von Entscheidungen gemacht werden. Dies wäre ein selbstwidersprüchliches Verfahren, da ein System seine Metaregeln nicht durch Regelsetzung variieren kann - was nicht auf die Behauptung hinauslaufen soll, daß es darauf überhaupt nicht einwirken könnte. (Darauf wird weiter unten noch einzugehen sein). Unter Bedingungen von Komplexität kann aber nicht mit einer stabilen Selbstbeschreibung der Ordnung operiert werden, diese wird selbst erst - anders als nach dem Kausalitätsmodell - durch permanentes Lernen in einer Logik des Provisorischen und des Experiments konstruiert. 3. Die Selektivität der Vorsorge Neben dem Problem der innergesellschaftlichen "Nebenwirkungen" der Vorsorge stellt sich unter rechtlichen wie organisatorischen Aspekten der Risikoverwaltung auch das Problem des Vergleichs unterschiedlicher Risiken: Das traditionelle Gefahrenmodell kann sich dieses Problem ersparen, weil es die von der Rechtsordnung anerkannten Rechtsgüter als "Endpunkte" der Zurechnung von Schäden benutzen kann und über einen Bestand von "kanonisierten Beispielen" für erwartbare Ursache-Wirkungs-Ketten verfügt. Im übrigen kann es die Koordination von Risikoentscheidungen einerseits der gesetzlichen Differenzierung und andererseits der Ermessensausübung überlassen. Auch in dieser Hinsicht bestehen aber bei der Koordination von Risikoentscheidungen sowohl für die Verwaltung selbst als auch für betroffene Private neue kognitive und normative Probleme: Warum soll ein bekanntes Risiko reduziert und zugleich die Ungewißheit über ein Gefährdungspotential in einem anderen Bereich vernachlässigt werden, obwohl es vielleicht vielmehr Aufmerksamkeit verdiente? Dieses Problem wird teilweise mit Hilfe der pauschalen Zumutung sogenannter "Restrisiken" bewältigt37, eine Abgrenzung, die ihrerseits alles andere als klar ist. Im übrigen zeigt sich aber, daß die Orientierungsfunktion der Wissenschaft als Indikator für Vorsorgeerfordernisse (anders als bei der Erfassung der Gefahrengrenze) auch jenseits der oben genannten Probleme alles andere als zuverlässig ist. Eine solche Orientierung wäre allenfalls dann ohne weiteres angängig, wenn die Problemwahrnehmung von Wissenschaft und Verwaltung 3 6 3 7

Vgl. Kampis/Csanyi 1987, 148

Vgl. BVerfGE 49, 89, 143; Sommer 1981, 654 ff.; Bender/Sparwasser 1990, Rnr. 538, 569; Ladeur 1986, 361 ff.

108

V. Zur Weiterentwicklung des Vorsorgebegriffs

die gleiche wäre. Dies ist aber - wie erwähnt - gerade nicht der Fall: Verwaltung und Wissenschaft haben unterschiedliche Selektivitäten. Daraus, daß ein Problem von der Wissenschaft bisher unter Erkenntnisgesichtspunkten vernachlässigt worden ist, folgt nicht, daß es auch unter Handlungsaspekten als sekundär betrachtet werden kann. Die Wissenschaft erzeugt ihre eigenen Problemstellungen, diese sind aber nicht an den Entscheidungsproblemen der Risikovermeidung orientiert. Für bestimmte Fragen hat sich keine fruchtbare Forschungskonzeption entwickeln lassen, andere Probleme sind wissenschaftlich nicht von vorrangigem Interesse, weil es nur auf die Auswertung großer Datenmengen ankommt. Vor allem unter dem Gesichtspunkt der Forschungsfinanzierung ergibt sich ein problematischer Rückkopplungseffekt zwischen Forschung und Verwaltung, da bestimmte Forschungen nur aufgrund von Aufträgen der Verwaltung selbst in Angriff genommen werden, weil entweder das wissenschaftliche Interesse eher sekundär ist oder aber die Forschung finanziell aufwendig ist und die Wissenschaft keine "eigenen" Ressourcen einsetzen will. Hier tritt ein weiteres wissenschaftsinternes Problem zutage, nämlich die infolge der Bindung des Wissens an heterogene Netzwerke eintretende Fragmentierung der wissenschaftlichen und technischen Öffentlichkeit selbst. In früheren Epochen der Wissenschaft- und Technikgeschichte konnte noch davon ausgegangen werden, daß die Einheit der Wissenschaft ihrerseits durch die Unterstellung abgestufter Komplexitätsebenen der Erkenntnis gewährleistet werden konnte. In neuerer Zeit hat sich hier ein Pluralisierungsprozeß vollzogen, der auch die wissenschaftsinterne Kontrolle durch "überlappende Nachbarschaften" 38 innerhalb der Wissenschaftlergemeinschaft in Frage stellt. Viele wissenschaftliche Fragestellungen sind so sehr an eine technische Infrastruktur hochkomplexer technischer Beobachtungs- und Messverfahren gebunden, über die Wissensbestände generiert werden, die nur noch schwer extern kontrollierbar sind. Und daraus entstehen zugleich Grenzüberschreitungen zwischen Technik und Wissenschaft in der Form anwendungsbezogener Wissenschaft. Auch dies trägt dazu bei, daß die Wissenschaft jedenfalls das durch Abschwächung der OrientierungsWirkung der Erfahrung entstandene Vertrauensdefizit institutionell nicht ersetzen kann. Die zunehmend engere Kopplung von Wissenschaft und Technik führt auch dazu, daß innerhalb des technischen Systems selbst immer mehr durch Experimente, Produktentwicklung und -beobachtung generiertes Wissen entsteht, das seinerseits nicht oder nur in sehr begrenztem Umfang an die Wissenschaft weitergegeben oder Teil des allgemein zugänglichen, als öffentliches Gut verfügbaren Wissens wird. Daraus entstehen weitere Orientierungsprobleme für die Umweltverwaltung.

3 8

Vgl. Polanyi 1966, 72; Golden 1991, 55 f.; Willard 1991, 91 ff.

3. Die Selektivität der Vorsorge

109

Dieses Problem wird in der neueren Umweltgesetzgebung mindestens teilweise durch Prozeduralisierung derart gelöst, daß vor der eigentlichen gefahrenbegründenden Nutzung etwa von Stoffen (Chemikalien, Pflanzenschutzmittel etc.) Produzenten Informationspflichten auferlegt werden: Produzenten haben bestimmte Testverfahren im Hinblick auf Gefährlichkeitsmerkmale durchzuführen und das dabei gewonnene Risikowissen der Verwaltung zugänglich zu machen.39 Das Gentechnikgesetz sieht ausdrücklich vor, daß die Antragsteller eine umfassende "Risikobewertung" selbst durchzuführen haben.40 Insbesondere die Durchführung von Testverfahren dient dem Aufbau von Informationssystemen 41, die auch und vor allem in den Anlagengenehmigungsverfahren als Entscheidungsgrundlage dienen können. Die Pflicht zur Erzeugung von Risikowissen, das für Risikoentscheidungen genutzt werden kann42, führt auch zu neuen Ungewißheiten, weil auch hier das Problem entsteht, daß die Menge der potentiell zu erzeugenden Informationen unendlich groß ist. Da die Tests ihrerseits zwangläufig selektiv sind, muß die Möglichkeit bestehen, die Pflicht zur Erzeugung zusätzlicher Risikoinformationen aufzuerlegen. Damit entsteht aber wiederum das Problem der Formulierung von Annahmen mit Wahrscheinlichkeiten zweiten oder gar dritten Grades, nämlich im Hinblick darauf, ob ein Anlaß besteht, die Durchführung weiterer Tests zu verlangen, aus deren Ergebnis auf das Bestehen einer Gefahr oder eines Gefahrenverdachts geschlossen werden könnte.43 Auch hier muß aber mit großer Selektivität gerechnet werden, ohne daß auch nur ein Verfahren verfügbar wäre, das in einer der Erfahrung vergleichbaren Weise Vertrauen darüber bilden könnte, welches die relevanten Fragestellungen sind. Ebendies konnte die Erfahrung, weil sie selbst auch als praktischer distribuierter Suchmechanismus fungierte, der Lernen aus Irrtümern ermöglichen sollte, aber auch konnte, weil der Irrtum entweder rechtzeitig durch das Entdeckungsverfahren erkannt oder aber durch Begrenzung möglicher Folgen und die Revidierbarkeit schädlicher Entwicklungstrajektorien abgepuffert werden konnte. In den neueren Umweltgesetzen wird auch hier bei der Entscheidung über die Notwendigkeit der Generierung neuen Risikowissens auf die Orientierungsfunktion der Wissenschaft vertraut. Und auch hier zeigt sich 3 9 Vgl. §§ 7 ff. ChemG; vgl. aus der Rechtsprechung OVG Münster UPR 1991, 193; BVerwG, UPR 1992, 382 ff. 4 0 Vgl. zum Erfordernis der "Risikobewertung" in § 6 GenTG Hirsch/Schmidt-Didczuhn 1991, § 6 Rnr. 3 f. 41 Vgl. zur Bedeutung des ChemG als eines Informationsgesetzes Rehbinder 1988, 201 ff.; die Funktion der Informationsgewinnung wird aber von der Vorsorge zu scharf getrennt in OVG Münster, UPR 1991,193 4 2 Vgl. nur Lyndon 1989, 291 ff.; vgl. auch Ladeur 1991, 241 ff.; zu Haftungsproblemen vgl. Trauberman 1983,177,194 ff. 43 Vgl. zum Problem der Prozeduralisierung der "Nachmarktkontrolle" im AMG Di Fabio 1993, 109, 127, ders. 1990, 198, 215

110

V. Zur Weiterentwicklung des Vorsorgebegriffs

wieder, daß die Wissenschaft wegen ihrer andersartigen Fragestellungen nur sehr begrenzt Vorgaben für die Auferlegung von Pflichten zur Erzeugung von Risiken machen kann, weil sie ihrerseits nicht systematisch z.B. die Eigenschaften neuer Stoffe im Hinblick darauf beobachtet, ob und welche Risiken sie erzeugen. Dies ist auch deshalb nicht möglich, weil auch hier die Entwicklung neuer Technologien nicht mehr sozusagen auf einer niedrigeren Komplexitätsstufe erfolgt, der gegenüber das wissenschaftliche Wissen auf einer höheren Stufe der Verallgemeinerungsfähigkeit anzusiedeln wäre. Komplexe Technologien erzeugen systematisch neue Probleme, die nicht ohne weiteres unter wissenschaftliche Regel- oder Gesetzmäßigkeiten "subsumiert" werden können. Auch dies ist eine der Erscheinungsformen des Auseinandertretens der früher durch allgemeines Regel- und Modellwissen integrierten unterschiedlichen Wissenstypen. Die Verwaltung ist hier bei der Entscheidung über die Intensität der Vorverlagerung der Gefahrenabwehr durch systematische Erzeugung von Risikowissen auch mit dem Problem der Erzeugung von "negativen Synergismen" auf der Handlungsseite konfrontiert: Wenn die Prüfanforderungen an neue Stoffe erheblich verschärft werden, so entsteht die Wahrscheinlichkeit, daß vermehrt auf alte Stoffe zurückgegriffen wird, die aus Gründen der Komplexität der Aufgabe nicht sämtlich einem Anmeldeverfahren unterworfen werden können.44 Auch dies ist eine weitere Erscheinungsform des mit dem Handeln unter Ungewißheitsbedingungen verbundenen Risikos der Erzeugung paradoxer Effekte, weil die Möglichkeit besteht, daß alte Stoffe viel größere Risiken in sich bergen als diejenigen, über die durch verschärfte Prüfanforderungen mehr Risikowissen verfügbar wird. Durch verschärfte Prüfanforderungen können perverse Effekte auch insofern erzeugt werden, als die damit verbundene Steigerung von Entwicklungskosten kleine innovative Unternehmen stärker belasten und damit Produktentwicklungslinien gestört werden können45, weil die Streuwirkung der mit verschärften Testanforderungen verbundenen Belastungen nicht leicht abschätzbar ist. Diese Beispiele zeigen, daß auch auf der handlungsbezogenen Seite der RisikoVorsorge der Verlust der Wissen organisierenden und systematisierenden Leistung der beschriebenen Paradigmen sich darin niederschlägt, daß systematisch mit "Nebenwirkungen" von Verwaltungsentscheidungen gerechnet werden muß. Die Unmöglichkeit der Abschichtung "natürlicher Komplexitätsniveaus" und der Bildung "kanonisierter Beispiele", an denen sich Wissen 4 4 Vgl. zum Prüfverfahren für Altstoffe insb. Chem.AltstoffVO vom 22.11.1990 (BGBl I 2544); Vorschlag für eine VO (EG) zur Bewertung und Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe (ABI-EG Nr. C 276 vom 5.11.1990, 1; geändert: ABI-EG Nr. L 334 vom 28.1.1991, 14); vgl. auch die Konzeption der Bundesregierung (BT-Drs. 11/6148; vgl. auch Gesellschaft Deutscher Chemiker (BUA), Altstoffbeurteilung. Ein Beitrag zur Verbesserung der Umwelt, 1992 4 5

Vgl. Ashford/Ayres/Stone 1985,419 ff.; Huber 1985, 277, 279, 319

4. Vorsorge und Zurechnung

111

von Fall zu Fall weiterentwickeln kann, erschwert auch die Bestimmung und Abschätzung der Wirkungen des "Risikomanagements". Auch das Risikomanagement muß berücksichtigen, daß die Wirkungen, die eine "Entscheidung" in einem Netzwerk von Beziehungen auslöst, nicht gut prognostizierbar sind. 4. Vorsorge und Zurechnung Das Problem der Ungewißheit verschärft sich noch, wenn man erkennt, daß die normative, Verantwortung zuschreibende Komponente des Kausalitätsmodells und des Gefahrenbegriffs sich ebenfalls verändert. Das ältere Bewertungsmodell mit seinen hierarchisch gestuften Verzweigungen und den darauf eingestellten Kontroll- und Beobachtungsregeln diente der Zuschreibung begrenzter und relativ scharf konturierter Verantwortungsräume 46 und zielte auf die Vorgabe relativ eindeutiger Verhaltensstandards. Die Diffusion der Wirkungen in komplexen Netzwerken bildet aber auch eine Grundlage nicht nur für die vielfach dargestellte und psychologisch diagnostizierte selektive Wahrnehmung von Risiken und Ungewißheit47, sie ermöglicht auch eine Veränderung der Zurechnungsformen, und vor allem läßt sie unterschiedliche Interpretationen der aus der Auflösung der tradierten Unterscheidungen und ihrer Institutionalisierungen zu ziehenden Konsequenzen zu. 48 Die normativen Annahmen, die der Zurechnung von Verantwortung für individuelles Verhalten zugrunde lagen, werden unter den durch die Gesellschaft der Organisationen gesetzten Bedingungen der zunehmenden Fragmentierung der Wissensbestände nicht mehr durch eine individualistische Kultur und Moral reproduziert, sondern werden selbst zum Gegenstand (diskurs-)ethischer Reflexion. 49 Auch diese Beobachtung der Moral ist eine Folge der Fragmentierung der gesellschaftlichen Wissensbestände, die zu neuen "grenzüberschreitenden" Abstimmungen zwischen den früher in hierarchischer Form integrierten Wissens- und Verhaltensbeständen führt. Der Risikobegriff kann sich gerade wegen der Unbestimmtheit seiner deskriptiven, normativen und handlungsbezogenen Komponenten mit allen möglichen Interpretationen einer moralischen Gemeinschaft verbinden, die ihrerseits den Verlust ihrer Gewißheiten durch den Rekurs auf eine Kultur der Viktimisierung und der An4 6

Rasmussen 1991, 248 f.

4 7

Vgl. zur Risikowahrnehmung Otway/Wynne 1993, 101 ff.

4 8

Vgl. Douglas 1990, 5; Wildavsky 1988, 8 ff., 30

4 9

Vgl. zur Diskursethik insbesondere Habermas 1993, 17 f.; Preuß 1990, 82 f., wo Ungewißheit als Problem der Abschwächung der Erkenntnisleistungen der Wissenschaft gesehen wird und Abhilfe in der Aufwertung des moralischen Argumentierens gesucht wird. Aber wie soll die Moral den Verlust an Gewißheit, der einen Verlust an Regelgewißheit ist, kompensieren können? Sie ist ja selbst von dem gleichen Problem in der Gestalt widersprüchlicher moralischer Forderungen betroffen; vgl. Morin 1993, 21 f.

V. Zur Weiterentwicklung des Vorsorgebegriffs

112

klage zu kompensieren sucht.50 Eine mit Ungewißheiten rechnende probabilistische Kultur 51 wird ihrerseits insofern selbstreferentiell, als sie die Dekomposition der hierarchisch gestuften Regelbestände und der objektivierten, verhaltensorientierenden Wahrscheinlichkeitsannahmen betreibt und dem "subjektiven Wahrscheinlichkeitsurteil" der Individuen, dem Risikoerlebnis, zu seinem Recht verhelfen will. Dies ist nicht gerade eine gute Grundlage für den von L. Trilling geforderten "moralischen Realismus"52, der moralische Urteile darauf befragen sollte, mit welchen Bedürfnissen sich eigentlich Beund Verurteilungen verbinden. Für die Vergangenheit läßt sich dies gerade durch den seinerseits stabilen Anschluß einer regelhaften Moral an die hierarchisch integrierten Wissensbestände beobachten. Die gegenwärtige Tendenz zur Moralisierung von Unterscheidungen, insbesondere die Überschätzung subjektiver Risikoerlebnisse53, verstellt sich die Möglichkeit der Selbtbeobachtung, indem sie sich der Notwendigkeit der Einordnung des Risikowissens in ein transsubjektives Differenzierungsgeschehen entzieht. Wenn man die Neigung zur Moralisierung von Zurechnungsproblemen und zur "Demokratisierung" der Risikowahrnehmung mit den hier beschriebenen historischen Tendenzen zur Veränderung und Fragmentierung gesellschafdicher Wissensbestände in einen Zusammenhang bringt, könnte sie sich bloß als eine (intrasubjektive) Erscheinungsform der Selbstmodifikation der strukturbildenden Paradigmen erweisen, nämlich des Übergangs vom universellen, durch stabile Unterscheidungen konstituierten Subjekt (Beschränkung von Optionen durch "Selbstüberwindung"!) zu einem multiplen, grenzenlosen, verflüssigten Selbst.54 Darauf wird noch einmal zurückzukommen sein. Hier kam es vor allem darauf an, daß die Formulierung von Risikovorsorgestrategien nicht nur unter empirischer und theoretischer Ungewißheit hinsichtlich ihrer Wirkungsweise leidet, sondern infolge der Notwendigkeit, das alte Denken in Grenzbegriffen durch Modelle grenzüberschreitenden, netzwerkgerechten, staatlichen Handelns abzulösen, auch eine Ungewißheit in der Gestalt kultureller, politischer und moralischer Komplexität von Zurechnungsproblemen entsteht. Wenn einmal die Abschichtung der "natürlichen Komplexitätsniveaus" und der darüber erzeugten "Ereigniserzeugung" ihre orientierungsbildende Funktion auch für das Handeln unter den dadurch ge5 0

Vgl. dazu Trilling 1976, 219 ff.; ders. 1979,161 f.; vgl. allg. auch Hughes 1993

51

Douglas 1992,48; Bolz 1992, 110

5 2

Vgl. Trilling 1976, 219

53

Douglas 1992,48

5 4

Vgl. Trilling 1979, 146, 175; Kondylis 1991, 203; Douglas 1991, 135. Die Verbindung eines erlebnisorientierten Hedonismus mit der Kritik an der "Konsumgesellschaft" und einem moralischen Rigorismus ist deshalb als neue Erscheinungsform der Bigotterie der Mittelschichten - bei zeitgemäß reduzierten Anforderungen an die Konsistenz und Koordination von Glaubensvorstellungen, Plänen und (für Intellektuelle vor allem:) Handlungen (Bratman 1992, 1 ff.) - nicht so überraschend, wenn man berücksichtigt, daß der Hedonismus eben auch die moralischen Zurechnungen "selbst bestimmt".

4. Vorsorge und Zurechnung

113

setzten Regeln und vorausgesetzten Regelmäßigkeiten verliert, werden Zurechnungen moralisch und politisch unterschiedlich interpretierbar. Die Tendenz zur Verschleifung von Komplexitätsebenen und die damit einhergehende Notwendigkeit zur Modellierung von Optionsräumen - im Gegensatz zur Entscheidung zwischen einzelnen Optionen auf einer Skala begrenzter Möglichkeiten - läßt auch die Zurechnung von Verantwortung zu einem komplexen Entscheidungsproblem werden. Wenn nicht mehr die Erfahrung für die Bildung stabiler Erwartungen benutzt werden kann, kann auch die soziale Umverteilung von Risiken zum Gegenstand staalicher Regelung oder Anlaß für Widerstand unter Rückgriff auf eigene "subjektive Wahrscheinlichkeiten" werden. Dies ist um so leichter möglich (aber zugleich um so problematischer), als auch in dieser Hinsicht Lernen erforderlich ist, aber zugleich die Kontrolle von Lernerfolgen erschwert wird. 55 Weil die Zukunft ungewiß ist, läßt sich auch über das Scheitern der absurdesten Vorschläge keine sichere Prognose stellen. Ein besonderes Problem entsteht daraus, daß die Schwierigkeit der Erfolgskontrolle komplexer Programme, die die Zurechnung von Handlungen und Wirkungen behindert, in der politischen Öffentlichkeit durchaus als Vorteil genutzt werden kann.56 Sie erlaubt das Festhalten an Zielen auch gegen jede Warnung, weil selbst der Mißerfolg, wenn er sich vordergründig nicht leugnen läßt, noch als Ansporn zum "konsequenten Handeln" dienen kann. Es handelt sich dabei um eine paradoxe Form der Verarbeitung von Verschleifungseffekten zwischen früher getrennten Komplexitätsebenen, die die damit einhergehende Dezentrierung des Ordnungsmodells auf einer Meta-Ebene wieder aufzuheben sucht - im festen Griff nach dem eigenen Zopf. 57 Die Annahme, daß das Interesse an der Offenlegung von Ungewißheiten hinsichtlich der Ziele und Mittel politischer Handlungsstrategien allgemein sei 58 , gehört zu den auch institutionell gepflegten Illusionen politischer Aufklärung. Und gerade das Insistieren auf der Notwendigkeit des Lernens kann höchst ambivalent sein. Lernen kann in interorganisationalen Netzwerken nicht in einer kontinuierlichen inkrementellen Form erfolgen 59, es muß als offene, unvollständige Selbstprogrammierung angelegt sein, die sich im Prozeß ihrer "Anwendung" selbst fortschreibt. 60 Die Berücksichtigung von Verschleifungseffekten zwischen ehemals getrennten Ebenen, die Grenzüberschreitung zwischen früher durch stabile Formen der Abstimmung getrennten Handlungsbereichen und Institutionen sowie der Einbau von Abtastmechanismen, mit denen sich 1er5 5

Crozier 1991, 351, Friedberg 1993, 137

5 6

Brunsson 1989, 208

5 7

Friedberg 1993, 137

5 8

Boltanski/Thevenot 1991, 173 f.; krit. dazu Friedberg 1993, 261 ff.

5 9

Klayman 1984, 81, 83

6 0

Atlan 1989,42

8 Ladeur

V. Zur Weiterentwicklung des Vorsorgebegriffs

114

nende Organisationen selbst irritieren und sich damit auf eine Logik des Provisorischen und des Experimentierens, auf die Erzeugung flexibler Erwartungen einstellen, zingt zu kontrollierten Grenzüberschreitungen. Dies ist aber nicht als Grenzverwischung durch "Code-Synthesen" zu verstehen.61 Damit wird nichts anderes als eine allerdings auch in der Praxis häufig zu beobachtende Selbst- und Fremdüberforderung komplexer (inter-)organisationaler Netzwerke propagiert, die in die Selbstblockierung führen muß. Auch dieser Zustand ist allerdings für Organisationen und (inter-)organisationale Netzwerke keineswegs notwendigerweise bedrohlich und deshalb abschreckend. Unter Bedingungen komplexer Vernetzungen nach der Auflösung der die Beobachtung der eine Wirklichkeit strukturierenden "natürlichen Komplexitätsniveaus" ist die Paradoxie der "erfolgreich scheiternden Organisation" 62 keineswegs ungewöhnlich, da es gelingen kann, dadurch die Loyalität einer Klientel zu festigen, "Sorge" bei betreuenden Organisationen zu erzeugen und vor allem die Forderung nach mehr "Mitteln" zu legitimieren. Dieser Zustand beeinträchtigt also keineswegs notwendigerweise den Fortbestand von Organisationen, wenn es gelingt, für das Scheitern andere (Organisationen) verantwortlich zu machen. Die Unbestimmtheit interorganisationaler Dependenzen erleichtert vor allem die moralische Schuldzuweisung: Gerade der hohe Vernetzungsgrad einer heterogen gewordenen Gesellschaft und die unübersehbare Notwendigkeit grenzüberschreitender Koordinationsverhandlungen, die Netzwerke füreinander durchlässig machen und die klare Unterscheidung zwischen Innen und Außen, Ursache und Wirkung erschweren, ist die Grundlage für den Aufstieg der Moral als eines Mediums gesellschaftlicher Verteilungskämpfe um die Notwendigkeit zu lernen. Auf die daraus gerade für administrativen Organisationen erwachsenden Probleme soll im folgenden noch genauer eingegangen werden. Hier ist zunächst festzuhalten, daß Theorien des Lernens, die nicht die durch das Auftreten von Organisationen und interorganisationalen Netzwerken geschaffenen Zwänge in den Vordergrund rücken, den "modalen Zwischenstatus" des Könnens "zwischen dem erst Möglichen und der praktischen Intention"63, also der Bindung des Entscheiden an schwer beobachtbare VorEntscheidungen, überspielen. Sie verfehlen damit ihre eigenen Voraussetzungen, nämlich den Übergang von stabilen Regelmäßigkeiten zu stochastischprobabilistisch gewordenen Formen der Bildung und Organisation des Wissens und seiner Selbstveränderung, und hypostasieren die nicht-linearen Ungleichgewichtszustände zu Vorboten einer Katharsis, die zu einem ganz anderen Zustand der Illumination der mystischen Verschmelzung führen muß. 64 61

Beck 1993, 144

6 2

Vgl. Seibel 1992

63

Krämer 1991, 65, 246 f.

6 4

Fischer 1990, 11 ff.; vgl. zu einer psychoanalytischen Lesart der Symbolsysteme und der sie durchziehenden transsubjektiven Beziehungsnetzwerke Rosolato 1993, insbes. 301 ff.

5. Notwendige Umstellung des Risikobegriffs auf die Wissensgenerierung

115

5. Zur Notwendigkeit einer Umstellung des Risikobegriffs auf die Wissensgenerierung in der Gesellschaft der Organisationen Der Zugang zu Problemen der Bewältigung von Risiko und Ungewißheit kann nur in Anknüpfung an die früher durch den Erfahrungsbegriff erbrachte Ordnungsleistung erfolgen, die kognitive, normative und handlungsbezogene Komponenten des Entscheidens unter unvollständigem Wissen zusammengehalten und dadurch die Bildung von Vertrauen ermöglicht hat. Diese Integrationsleistung kann weder von der Steigerung der kognitiven Komponente (Wissenschaft) noch der Überhöhung der anderen Komponenten, also der Verstärkung moralischer Risikobewertung und -Zurechnung oder einer Entbindung des privaten oder administrativen Dezisionismus ("Beurteilungsspielraum") erwartet werden. Diese Integrationsleistung kann unter gewandelten Bedingungen nur dann gelingen, wenn die damit einhergehende Umstellung der Wissensgenerierung, vor allem die zunehmende Bedeutung der Produktion von Wissen und ihre Bindung an heterogene interorganisationale Netzwerke in den Blick genommen wird. Eine komplexere From der Koordination der an Risikobewertung und Risikomanagement beteiligten Komponenten praktischer Handlungsorientierung ist nur dann möglich, wenn berücksichtigt wird, daß diese anders als im traditionellen Modell der Verknüpfung von Erfahrung und Gefahr an Organisationen und die über sie generierten Modellierungen gekoppelt ist. 65 Risiken, Risikowissen und Risikoentscheidungen werden weitgehend durch Organisationen (oder das über sie veränderte Verhalten großer Gruppen von Individuen) erzeugt, deshalb muß eine Strategie des Operierens mit Risiken und der Versuch zur Integration der daran beteiligten Komponenten auf einer komplexeren Ebene dadurch erfolgen, daß die Problemkonstruktionen berücksichtigt werden, die organisationsspezifisch sind und die Möglichkeit der Abstimmung zwischen den verschiedenen Komponenten durch selektive Vor-entscheidungen prägen. Deshalb muß eine rechtliche oder administrative Strategie der Risikobewältigung nicht nur die Bindung der Wissensgenerierung an Organisationen berücksichtigen, sondern auch die Selbst- und Fremdbeschreibung der Bedingungen des Risikomanagements in Rechnung stellen. Informationen werden nicht einfach "gesammelt", sie werden innerhalb eines als Bestand von Vor-entscheidungen fungierenden Referenzrahmens durch organisational und interorganisational abgestimmte Verfahren produziert. 66 Ihre "Lesbarkeit" und Verständlichkeit wird in einem durch die Gesellschaft der Organisationen bestimmten Kontext durch die Abstimmung von Selbst- und Fremdbeobachtung von Organisationen, nicht aber durch intersubjektive Aggregation von Entscheidungen in Präferenzen hergestellt. Dabei geht es um die Erhaltung praktischer Anschlußfä6 5

Clarke 1989, 178, 181

6 6

Vgl. Guidotti 1992,103

116

V. Zur Weiterentwicklung des Vorsorgebegriffs

higkeit der Entscheidungen an die durch Vor-entscheidungen strukturierten Wissensbestände und Erwartungen; diese kann nicht mehr primär über die nach Regeln entscheidenden Individuen gewährleistet werden. Die Entwicklung organisationaler Beziehungsnetzwerke hat die kontinuitätsstiftende Rolle der Erfahrung übernommen.67 Sie liefert die Interpretationsschemata, die auch früher nicht von den Individuen geschaffen, sondern als kollektiver Effekt der in der Erfahrung gebündelten, Sinn ermöglichenden Anschlußzwänge erst die Grundlage für die Kontinuität einer gesellschaftlichen Praxis gelegt haben.68 Eine Ethik als eine Art Super-Theorie der Normen über die Formulierung von gesellschaftlichen Normen ist dann nur als "Ordnungsethik" möglich69, sie bleibt bezogen auf das Verhalten von Individuen in Institutionen und Organisationen70 und beobachtet das Funktionieren der dafür formulierten Regeln und sucht nach Möglichkeiten und Notwendigkeiten für ihre Innovation. Dabei ist zu unterstellen, daß moralische und rechtliche Normen der Gesellschaft der Individuen gerade durch die Begrenzung der Schwankungsbreite der individuellen Möglichkeiten Orientierung und Erwartungsbildung gewährleistet haben, so daß nicht umgekehrt in der Gesellschaft der Organisationen plötzlich die Handlungsmöglichkeiten der Individuen und des Staates, der doch seine Bezugsgröße in Individuen einbüßt, größer werden können, nur weil das Orientierungsproblem sich verschärft hat! Diese Illusion kann nur dann entstehen, wenn das Moment der Entscheidung aus dem Kontext der Ordnungserhaltung durch Erfahrung (und damit der Begrenzung der Schwankungsbreite zukünftiger Entwicklung) herausgelöst und von den durch interorganisationale Netzwerkbildung geprägten neueren Entscheidungsmodellen bloß "mehr Möglichkeiten" verlangt wird. Die mit der Tradition und Erfahrung brechende Annahme, daß die Unterdrückung ungewisser Schadensmöglichkeiten gleichbedeutend mit einem Sicherheitsgewinn sei, resultiert gerade aus dem relativen Bedeutungsverlust des Individuums in der Gesellschaft der Organisationen und der ethischen Abwälzung der Probleme an die Organisationen und Institution einerseits und aus dem Aufstieg einer vom Problem des Könnens entlasteten und damit entleerten Individualethik andererseits. Das Problem des Könnens wird an die Organisation und an den Staat abgewälzt, zugleich ermächtigt sich das Individuum, immer mehr früher als privat angesehene Probleme in die Öffentlichkeit zu bringen und daraus ethische, d.h. vor allem von der Pflicht zur Einpassung in die Kontinuität einer Praxis entlastete Forderungen zu formulieren.

6 7

Vgl. Friedberg 1993, 90

6 8

Vgl. Ricoeur 1986, 191 ff.; Hörisch 1992, 173, 182; vgl. zur Bedeutung der Entscheidung auch Roy/Bouyssou 1986, 155 ff. 6 9

Schmitz 1992, 213 ff.

7 0

Vgl. dazu Weise/Brandes 1990, 173,185

5. Notwendige Umstellung des Risikobegriffs auf die Wissensgenerierung

117

Wegen der schwer abschätzbaren Wirkung einer Entscheidung auf ein Netzwerk von Beziehungen kann der Versuch, durch Risikovermeidung unfreiwillige Ignoranz zu reduzieren, auf die Steigerung freiwilliger Ignoranz hinauslaufen 71, weil durch Beschränkung von Varietät Lernen und Innovationsfähigkeit allgemein beeinträchtigt werden können.72 In der Zukunft wird es aber - stärker noch als in der Vergangenheit - vor allem darauf ankommen, die gesellschaftlichen Wissensbestände weiterzuentwickeln und auf die Bewältigung der Probleme des Handelns unter Ungewißheit einzustellen. Dabei kann es nicht um das Lernen der Individuen gehen, sondern um die Erhaltung der Flexibilität und Diversität von und in (inter-)organisationalen Beziehungsnetzwerken, über die stochastisch-distribuierte, sich selbst verändernde "Ideenpopulationen" generiert werden. 73 Im Gegensatz zum Begriff der Gefahr ist das Konzept des Risikos nicht durch dauerhafte Unterscheidungen beschreibbar; es beruht von vornherein nicht mehr primär auf der Beobachtung und Beschreibung einzelner Ereignisketten (am Maßstab von Regelwissen)74, sondern auf der Relationierung von Variablen, die komplexer dimensionierte, aber selbst risikoanfällige Beobachtungen und Zurechnungen ermöglichen sollen. "Risiko" ist insofern - anders als der in einem linearen Gleichgewichtsmodell verankerte Gefahrenbegriff - ein nicht linear konzipierter Systembegriff 75, der nicht Eigenschaften der Umwelt abbildet, sondern über die durch die Wissensbestände selbst generierte Ungewißheit in der Form der fallabstrakten, nicht an "kanonisierten Beispielen" spezifizierbaren Sensitivität zwischen Relationen Aufschluß gibt. Dafür steht auch kein einfaches Regelungsmodell mehr zur Verfügung, das an der Unterbrechung potentiell schädlicher Ereignisketten orientiert werden könnte. Unter Ungewißheitsbedingungen muß deshalb auch das Risiko einer Intervention in Rechnung gestellt werden, die an die heterarchisch-horizontale Vernetzung von Variablen und das darin enthaltene Risikopotential nicht angepaßt ist. Diese Anpassung ist auch nicht leicht möglich, weil sie unter Bedingungen unvollständigen Wissens und flexibler Erwartungsbildung nur in experimenteller, auf Selbstrevision angelegter kooperativ-interaktiver Form erfolgen kann.76

71

Smithson 1989, 290; Huber 1985, 320

7 2

Smithson 1989, 292

7 3

Csanyi/Kampis 1987, 233, 239; Day 1984, 62 ff.

7 4

Vgl. auch Davis 1988, 157

7 5

Lowi 1990, 17,38

7 6

Vgl. de Geus 1992, 3; Guidotti 1992,101,103

VI. Orientierungsprobleme der Verwaltung unter Ungewißheitsbedingungen

1. Das Risiko der Risikoregulierung Aus den beschriebenen Problemen der Orientierung der Verwaltung unter Ungewißheitsbedingungen ergibt sich die Notwendigkeit, die Risiken der Risikosteuerung selbst zu beobachten.1 Das bedeutet, daß auch in dieser Hinsicht nicht mehr primär am Mißerfolg gelernt werden kann, weil die Entwicklungstrajektorien nicht mehr in relativ festen Grenzbegriffen beschrieben und von Fall zu Fall beobachtet und bewertet werden können; die über Individuen distribuierte Erfahrung läßt keine zuverlässige Rückkopplung erwarten. Unter den gewandelten Bedingungen muß Risikowissen selbst durch "Sensoren", die auf das informationelle Abtasten von Netzwerken geeicht sind2, systematisch organisiert und produziert werden. Auch hier erweist sich als das charakteristische Moment der Ungewißheit in der Wissensgesellschaft nicht die Angewiesenheit auf mehr Informationen, sondern vielmehr der Grad der Bindung des Wissens an generative Beziehungsnetzwerke mit einer Vielzahl von Interdependenzen und Rückkopplungseffekten, über die emergente, nicht vorhersehbare neue Eigenschaften interaktiv und experimentell erzeugt werden.3 Wissen ist nicht mehr in der Form "semantischer Elemente" analytisch dekomponierbar auf der Grundlage stabiler Gesetzmäßigkeiten, die nur allmählichen Änderungen unterworfen sind. Es ist nicht primär auf "Sammlung" und "Austausch" angelegt, sondern es ist produktiv und seine Produktivität ist an die Relationierung innerhalb der Netzwerke gebunden, über die es "prozessiert" wird, um neues Wissen zu erzeugen. Die Bewältigung von Ungewißheit erfordert ein genauer ausgearbeitetes Modell der Risikoregulierung, das nicht die Verbesserung der Prognosefähigkeit der Verwaltung intendiert, sondern das prospektive Experimentieren mit unvollständigem Wissen ins Zentrum des Interesses rückt. 4 Die Irreversibilität 1

Lowi 1990, 38, Huber 1985, 279; Schmidt-Bleek 1988, 308; vgl. auch Harwell u.a. 1992, 451 f.; Coldicutt 1992, 3, 13 2

Vgl. White 1980, 189; de Rosnay 1986, 139,152

3

de Rosnay 1986 a, 24 f.

4

de Geus 1992, 3 f.; Ravetz 1987, 111

1. Das Risiko der Risikoregulierung

119

einer Netzwerkentwicklung, die über die Verschleifung von Dauervariation im Detail und Anpassung ermöglichende Musterbildung erfolgt, führt zur Emergenz von Ordnungen5, die nicht aus vorfindlichen Gesetzmäßigkeiten ableitbar sind und vor allem für die Verwaltung neue Orientierungsprobleme schaffen, weil diese - anders als die Wirtschaft - über keinen eigenständigen Maßstab der Erfolgskontrolle verfügt. 6 Dieses Problem kann nicht durch unspezifische Appelle zur "Verständigung" über die Entwicklung "der" Gesellschaft und insbesondere eine "Verfassung des Wissens" verarbeitet werden.7 Alle diese Versuche verfehlen die Bedeutung von Risiko und Ungewißheit als Folge einer grundlegenden Selbstmodifikation der gesellschaftlichen Ordnungsbildung in einer von Organisationen bestimmten heterarchisch distribuierten, stochastischen Form 8 der Netzwerkbildung, deren Basiselement nicht das Individuum und Handlungen, sondern Relationen bilden. Die Komplexität der distribuierten Ordnungsbildung ist aber weder dem individuellen Subjekt noch einem intersubjektiven Verfahren der "Verständigung" zugänglich.9 Alle auf dieser Annahme basierenden Versuche zur Rekonstruktion des "Politischen" laufen letztlich auf die Entdifferenzierung der Selbst- und Fremdbeobachtung der Gesellschaft hinaus, wie sie sich bei U. Beck 10 in der Behauptung der Notwendigkeit von "Code-Synthesen" auch explizit niederschlägt. Bei unklaren Zielen, Erfordernissen und Erfolgen 11 gibt es aber auch keine verläßliche Information über den Erfolg, insbesondere über die Reaktion der anderen Beteiligten (Adressaten der Entscheidung, sonstige mittelbar oder unmittelbar Betroffene). Die "Code-Synthesen" registrieren nicht nur und müssen schließlich in eine kompakte Selbstblockierung kognitiver und normativer Komponenten führen. Zunehmende Kontingenz schlägt sich auch im Auftreten emergenter, unvorhersehbarer Effekte und Interdependenzen nieder, die aber nur in entsprechend variablen diskontinuierlichen Beobachtungsstrategien bewältigt werden können12, ohne daß man sich auf das Blendwerk einer Entdifferenzierung einlassen darf, die die "Unvermeidlichkeit des Sekun5

Willke 1992, 207 f.

6

Friedberg 1993, 137

7

Preuß 1990, 88; Habermas 1992, 17 ff.; vgl. aber zu einem pragmatischen Begriff der "Verständigung" im Sinne einer Abstimmung durch gemeinsame Orientierung bildende Konventionen Luhmann 1991, 245 f.; vgl. zu den transsubjektiven Prozessen, der die Diskursfelder durch Schaffung von Anschlußfelder durch Schaffung von Anschlußzwängen strukturierenden Attraktionen und Repulsionen Ricoeur 1986 a, 279 8

Vgl. Bolz 1992, 110

9

Vgl. allg. Groys 1993,156

10

Vgl. Beck 1993, 190, 194

11

Friedberg 1993, 138; Crozier 1991 a, 195, 199; vgl. zur Notwendigkeit der Bildung von "Verknüpfungsintelligenz" in Netzwerken Schreyögg/Noss 1994, 25; zur Notwendigkeit der Organisation des Lernens in Unternehmen Teece 1994, 1 ff. 12

Vgl. H.A. Simon 1990, 7, 11

120

VI. Orientierungsprobleme der Verwaltung unter Ungewißheitsbedingungen

dären" 13 zu negieren sucht. Beobachtungen sind in einer heterogen gewordenen Welt nur polykontextural unter Bedingungen der Erhaltung einer Diversität und Flexibilität a-zentrisch distribuierter (inter-)organisationaler "überlappender kognitiver Netzwerke" möglich. Der durch das früher vorausgesetzte "gemeinsame Wissen" gesteckte Rahmen ist unter veränderten Bedingungen aber zu flexibilisieren und zu transformieren. Als Zwischenresümee kann festgehalten werden, daß die Beobachtung der Konsequenzen der Auflösung von Grenzbegriffen, die die Erfahrung abgesichert haben, sich nicht nur auf die kognitive Seite der um das Risiko erweiterten Gefahr beschränken darf. Das stochastisch-probabilistische Moment einer komplexeren, mit Grenzüberschreitungen operierenden kognitiven Musterbildung entwickelt sich über die Verschleifung zwischen Regel und "Regelanwendung" und verändert nicht nur die Bedingungen der Beschreibung der Umwelt, sondern wirkt auch auf das Handeln und die Möglichkeit seiner Orientierung an einem normativen Rahmen zurück. Unter Komplexitätsbedingungen wird das Handeln wie das Unterlassen der Handlung selbst zum Risikofaktor und macht die reflexive Beobachtung von Vor-Entscheidungen in der Form variabler, netzwerkgerechter, auf Selbständerung angelegter Modellierung von Optionsräumen und die Erprobung von Konventionen 14 erforderlich, während rationales Entscheiden unter den durch die Geltung älterer Paradigmen der Wissensorganisation gesetzten Bedingungen sich an der Möglichkeit der Wahl zwischen mehreren in eine einheitliche Skala einzuordnenden Optionen beschränkte. Zur Konkretisierung dieses Problems soll im folgenden Abschnitt zunächst auf das Problem der durch die administrative Organisation gesetzten und unter Ungewißheit veränderten Bedingungen der Selbst- und Fremdbeschreibung der Verwaltung eingegangen werden.

2. Der Zerfall des Kausalitätsparadigmas und die Veränderung des Status des öffentlichen Wissens Die Untersuchung der Veränderung des Kausalitätsparadigmas, insbesondere der mit dem Verlust seiner strukturbildenden Integrationskraft einhergehenden Orientierungsfunktion, muß noch um den notwendig gewordenen Blick auf die Binnenstruktur der Verwaltungsorganisation und deren Veränderungen unter Bedingungen von Ungewißheit ergänzt werden. Aus den Überlegungen zu den vor allem in kognitiver Hinsicht eintretenden Umstellungen der Entscheidungsperspektive, wie sie durch das hierarchische Modell

13

Hörisch 1992, 173, 182

14

Norgaard 1989, 313

2. Zerfall des Kausalitätsparadigmas und Veränderung des öffentlichen Wissens

121

der Abstufung unterschiedlicher Komplexitätsebenen konturiert worden ist, ist oben schon abgeleitet worden, daß in der Organisationsgesellschaft" 15 auch die Fiktion der Entscheidung als rationaler Informationsverarbeitung unter vorgegebenen Präferenzen und darauf aufbauenden Rationalitätsansprüchen16 aufgegeben werden muß. Die Entscheidung ist selbst in einen dynamischen Modellbildungsprozeß17 integriert, dessen Zwänge von Ungewißheit und der Heterogenität ungelöster (und vielfach unlösbarer) Konflikte bestimmt werden. Vor allem die Umstellung der Betrachtungsweise auf die Strukturbildung durch (inter-)organisationale "überlappende kognitive Netzwerke" 18 läßt auch unter normativen Aspekten die Vorstellung der Notwendigkeit des Entscheidens unter widersprüchlichen Wertvorstellungen und Grundannahmen als praktikabel erscheinen; schließlich können und müssen auch Individuen Entscheidungen treffen, ohne ihre Werte einer klaren Präferenzordnung unterworfen zu haben.19 Daß dabei brauchbarere Entscheidungen entstehen können als unter hoch gespannten Rationalitätserwartungen, mag nur den Diskursethiker wundern. Auch und gerade unter Komplexitätsbedingungen sind aber Stopp-Regeln erforderlich, die die Deliberation begrenzen.20 Organisationen haben ihre eigene Selektivität, mit deren Hilfe sie die Vielfalt möglicher Beobachtungen begrenzen, weil nur so Selbst- und Fremdbindung aufgebaut werden kann.21 In einer reflexiven Perspektive, die die Selbständerung und Selbstbeobachtung von Organisationen in den Blick nehmen muß, ist andererseits der Einbau bzw. die Erhaltung von innerorganisationaler Varietät Voraussetzung für die Entwicklung flexibler, zukunftsoffener Erwartungen, die die Anschlußfähigkeit von Entscheidungen garantieren. Organisationen, die sich nicht mehr an den beschriebenen Regeln und Regelmäßigkeiten orientieren können, sind mit dem Risiko der Selbstblockierung ihrer Beobachtungsfähigkeit konfrontiert, einem Problem, das unter Ungleichgewichtsbedingungen weitaus gravierender ist als unter einem Gleichgewichtsmodell, das durch Vorgabe von Normalitätsstandards die Beobachtung von Abweichungen zuläßt. Es zeigt sich, daß gerade Ungleichgewichtsbedingungen und die damit zwangsläufig auftretende Unklarheit der Ziele dazu führen, daß Organisationen, die mit ihrer (inter-)organisationalen Um15 Vgl. zur Kommunikation zwischen Organisationen Willke 1992, 348 f., 352; vgl. zur Notwendigkeit der Netzwerkbildung zur Vermeidung von Externalitäten als Folge funktionaler Differenzierung Mayntz 1993, 9, 12; zum steigenden Anteil des "öffentlichen" Moments der Wissenserzeugung durch Kommunikation zwischen Unternehmen Teece 1994, 1 ff. 16

I. Levi 1986, 149

17

Moskowitz/Bunn 1987,247,251

18

Nonaka 1990, 35 ff.; vgl. auchTindale 1992, 177, 180; Radzicki 1988, 633 ff.

19

I. Levi 1986, 157

2 0

Brunsson 1985, 5, 9; ders. 1989, 174, 208

Brunsson 1985, 31; vgl. aber zur Bedeutung der Deliberation in der liberalen Theorie Ackerman 1993, 33 f.

122

VI. Orientierungsprobleme der Verwaltung unter Ungewißheitsbedingungen

weit nur locker gekoppelt sind 22 , intra-organisational Ignoranz und auf dieser Grundlage hybride Aktivitäten erzeugen, die das Lernen am Experiment erschweren. Dies wird verstärkt durch das oben beschriebene Problem der Messung von Ergebnissen, mit dem jede Organisation konfrontiert ist. Die Konstruktion von Möglichkeitsräumen unter Ungewißheitsbedingungen anstelle der Subsumtion von Einzelfällen unter die, die eine Wirklichkeit strukturierende Regel ist, ist nur dann möglich, wenn Selbst- und Fremdbeobachtung als kooperatives und koordiniertes Operieren mit Unterscheidungen unter Ungewißheitsbedingungen über eine Pluralität von Stellen verteilt wird, die wechselbezüglich füreinander Leistungen erbringen. Die Generierung gesellschaftlichen Wissens wird damit erheblich voraussetzungsvoller, und gerade sein a-zentrischer konstruktiver Charakter läßt zugleich den Aufbau unterkomplexer manichäischer Wirklichkeitsbilder durch Personen und Organisationen zu, die es sich als Erfolg anrechnen, daß ihre Selbstdarstellung unwiderlegt und unter Ungewißheitsbedingungen auch kaum widerlegbar ist und deshalb jede Selbständerung verweigern. D. Bell 23 hat auf eine Gegenläufigkeit in der Entwicklung der Kontrolle von Wirtschaft und Kultur aufmerksam gemacht: Während die Regulierung der Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten immer stärker zugenommen habe, habe zugleich die soziale Kontrolle von Sitte und Moral abgenommen und einem Hedonismus des Erlebens Platz gemacht. Eine Veränderung ist auch in der Art der Regulierung zu beobachten: Während früher vor allem die Offenheit des Wettbewerbs im Vordergrund 24 stand - und darauf war auch die sekundäre Modellierung von Freiheit und Gleichheit durch Gruppen&utonomie und Chancengleichheit bezogen - tritt jetzt die Regelung der Produktion und die Umverteilung ihrer Ergebnisse in den Vordergrund. Dies geht bis zur Gleichstellung der Individuen, deren Entwicklung nicht mehr durch Bildung nach sozial geltenden stabilen, die Trennung von Öffentlichem und Privatem voraussetzende Normen bestimmt wird, sondern durch die Aufhebung der alten Spaltungen, deren Durcharbeitung aber der Ursprung der "Souveränität" des Subjekts war, in eine Pluralität "innerlich aufgelöster Personen". Die Folge ist die Entwicklung eines neuen Typus der Person, der stochastischprobabilistischen Persönlichkeit, die aus einem variablen Bündel von Erlebnissen der "Selbstentfaltung" besteht, deren Identität sie sich immer wieder neu durch vor allem moralische Ein- und Ausgrenzungen im Konsum von Meinungen versichern muß. Die tertiäre Remodellierung der Freiheits- und Gleichheitsrechte durch die Forderung nach Gleich hat aber - anders als der sozialstaatliche GrupStellung

2 2

Smithson 1989, 253

23

Bell 1991,54

2 4

Vgl. Wilson (Hg.) 1980

3. Rationalität der Verwaltungsentscheidung und Verwaltungsorganisation

123

penpluralismus - keine eigenen reflektierten Formen der Institutionalisierung gefunden, weil sie zur Entwicklung "synthetisch-harmonisierender Denkfiguren" neigt, die das klassische analytisch-kombinatorische Denken innerhalb des Kausalitätsmodells und seiner abgestuften Zurechnung abzulösen suchen25, ohne aber formbildende Anschlußzwänge akzeptieren und neue Anschlußmöglichkeiten eröffnen zu können. Die nicht zuletzt von der Verwaltung ausgehende Tendenz der Trennung von Öffentlichem und Privatem 26 und des Zwangs zur Auseinandersetzung mit der Kontinuität und Gleichförmigkeit der Erfahrung wird bis zur Illusion hochgetrieben, als habe sich die von der Erdenschwere der Anschlußzwänge befreite Welt ganz nach der sich selbst begründenden Meinung zu richten, die sich als richtige ihrerseits nur durch Ausgrenzung des falschen Arguments auszeichnet.27 3. Rationalität der Verwaltungsentscheidung und die Möglichkeitskonstruktionen der Verwaltungsorganisation Das rationale Entscheidungsmodell ordnet sich selbst als eine normative Lesart des Kausalitätsmodells ein: Die Handlung setzt die Idee als die höhere Komplexitätsstufe voraus und ordnet sich ihr unter. Dieses Modell konnte in einer pragmatischen Variante auch die Entscheidung der Ausführungshandlung überordnen und vor allem die Bedeutung des Entscheidungsprozesses entweder ganz vernachlässigen oder ihn auf ein Verfahren der Informationssammlung und Verarbeitung reduzieren. 28 Die Einordnung in eine Abfolge "natürlicher Komplexitätsstufen" und Verzweigungen der Entscheidungsmöglichkeiten und die darauf aufbauenden, Regel und Regelanwendung auseinander liegenden S t r u k t u r b i l d u n g konnte den Konflikt der situativ zu berücksichtigenden Unterschiedlichkeit von Präferenzen, Alternativen, Folgewirkungen und Ordnung erhaltenden Anschlußmöglichkeiten in der Vergangenheit pragmatisch abspannen. Gerade der Verwaltungsorganisation gelingt jedoch die oben beschriebene Umstellung auf heterarchische stochastische Regelbildung nur schwer.29 Dies hängt mit den beschriebenen Unterschieden bei der Erfolgsmessung zusammen: Das Unternehmen muß sich zwar auf eine neue Rationalität der (inter-)organisationalen Netzwerkbildung zur Wissensproduktion einstellen, kann dabei aber seine Orientierung am Gewinn und damit am Markt nicht aufgeben. Daraus ergeben sich die oben skizzierten hybriden Formen der Grenzüberschreitung (aber nicht der Grenz2 5

Kondylis 1991, 65

2 6

Vgl. dazu allg. Seligman 1992

2 7

Vgl. Baumann 1987, 34

2 8

Brunsson 1989, 174 f.

2 9

Ladeur 1993, 137

124

VI. Orientiengsprobleme der Verwaltung unter Ungewißheitsbedingungen

Verwischung) durch wechselseitige Rezeption von Elementen der jeweils anderen Rationalität in den eigenen Unterscheidungsbereich 30 und der Wissensgenerierung durch Verklammerung von Selbst- und Fremdbeobachtung. Für die Verwaltung ist dies nicht ohne weiteres möglich; für sie ist die Neuorientierung erheblich voraussetzungsvoller, weil für sie die hierarchische Ordnung nicht nur für die interne Struktur, sondern auch für den Kontakt nach außen (zu Privaten) konstituierend war. Ihre Kopplung an eine interorganisationale Umwelt erschwert die Entscheidungsbildung weitaus mehr als die des Unternehmens. Die Entscheidung der Verwaltungsorganisation wird dagegen voraussetzungsvoller, wenn nicht mehr unter Normen subsumiert oder nach Routinen verfahren werden kann, sondern Werte, Wahrscheinlichkeitsannahmen und Umweltwahrnehmungen erst strategisch-situativ aufgebaut werden müssen. Organisationstheoretisch betrachtet, kann es für die Verwaltung eine durchaus rationale Lösung sein, das Problem divergierender Anforderungen sowie unsicherer Beschreibung von Möglichkeitsräumen und Zukunftserwartungen über die Abspaltung von Programm und Handeln zu betreiben.31 Dabei benutzt die Verwaltung teilweise die Programmforderungen nur noch als Verhandlungsgegenstand, um Informations-, Kooperations- und Anpassungsleistungen32, die durch hierarchische Entscheidung allein nicht zu erreichen sind, gegen die situative Flexibilisierung der Entscheidung entsprechend den Interessen der privaten Beteiligten einzutauschen. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, solange eine Evaluation33 strategischen Handelns nicht nur möglich ist, sondern auch erfolgt und "Verhandlungslösungen" tatsächlich Vorteile bringen. Diese Feststellung setzt ihrerseits eine reflexive Auseinandersetzung mit dem Orientierungsproblem der Verwaltung voraus. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Es soll vielmehr auf eine problematische, noch weitaus weniger transparente "perverse" Strategie der Verwaltung im Angesicht konfligierender Interessen hingewiesen werden, nämlich die völlige Abtrennung von Programm, Handeln und Evaluation in der Form einer organisationalen "Scheinheiligkeit", die mit "symbolischer Politik" nur unzulänglich gekennzeichnet ist: Diese Variante besteht darin, daß das Verhalten der ehemaligen "Adressaten" zwar in eine Strategie eingebaut wird, aber die Kooperation der Beteiligten und ihre Zielsetzung völlig ungewiß bleibt. Beispielhaft dafür sind Aufgaben der Sozialverwaltung, aber auch andere Verwaltungsstrategien, die Aktivitäten anregen und komplexe, schwer beschreibbare Innovationen herbeiführen sollen.34 Wie oben ange3 0

Imai/Itami 1984, 285 ff.

31

Brunsson 1985, 22

3 2

Vgl. nur Bohne 1981, Püttner 1991, 63 ff.

33

Vgl. zur Evaluation komplexer Leistungen unter Ungewißheitsbedingungen Karpik 1989, 187 ff.

3 4

Crozier 1991a, 130

3. Rationalität der Verwaltungsentscheidung und Verwaltungsorganisation

125

deutet, trifft dies auch auf die Risikovorsorge weitgehend zu, obwohl sie sich etwa von komplexen Entscheidungen der Sozialverwaltung ("Integration Benachteiligter") dadurch unterscheidet, daß das Ziel scheinbar genau beschreibbar und rationale Ziel-Mittel-Korrelationen verfügbar sind, aber mögliche negative Rückkopplungseffekte als unbeabsichtigte Nebenwirkungen auftreten. Der vergleichende Blick auf Aufgaben, deren Zielsetzung komplex und schwer beschreibbar ist, aber offengelegt wird, mag auch für den anderen, im Umweltrecht eher verbreiteten Typus erhellend sein, der Komplexität und mangelnde Strukturierbarkeit eher unterschlägt. Vor allem in der Sozialverwaltung werden "Ziele" verfolgt, die zunächst ohne weiteres plausibel erscheinen, deren Lösbarkeit aber äußerst zweifelhaft ist, weil die Erreichbarkeit von Individuen, aber auch von Organisationen für Innovationen schwer erkennbar ist. In solchen Fällen können sich das "altruistische" Interesse der Organisation und das Eigeninteresse am politischen Überleben leicht verbinden und einen fatalen Zustand der Selbstblockierung herbeiführen. Die Änderung oder gar Abschaffung von Organisation und ihren Aufgaben kann als unmoralischer Angriff auf die geschützten Interessen dargestellt werden, während die Organisation ihre Probleme (auch für ihre Mitglieder) unsichtbar hält und dies nach innen mit dem Schutz der Klientel begründet. Ineffiktivität der Organisation darf nicht thematisiert werden, weil sie dadurch selbst gefährdet wird. Solche Konflikte werden statt dessen in Depressionen der Mitarbeiter "verarbeitet", die ihrerseits für das Scheitern der Projekte häufig viel besser "erreichbar" sind als ihre Klientel, die Hilflosigkeit als eine unter den von der Bürokratie gesetzten Bedingungen durchaus rationale Lebensform erlernt. 35 Umgekehrt erleben die Mitarbeiter das dumpfe Gefühl der Unzulänglichkeit und des Scheiterns als unverdiente Strafe, die durch kritische Darstellung nach außen ein zweites Mal bestraft werden würde. Ähnliches gilt für andere "Gleichstellungs"-Programme, die auf die Herbeifühgung eines komplexen Ergebnisses zielen und jede Kritik moralisch tabuisieren. Moral dient hier vor allem der Abstützung der Forderung nach immer mehr administrativen Ressourcen (ohne Erfolgskontrolle) und zugleich ihre Absicherung gegen Beobachtung. Dieser Mechanismus funktioniert um so besser, als tatsächlich immer mehr gesellschaftliche Handlungsbereiche unter Veränderungsdruck geraten und das Interesse an der Verschleierung von Ineffektivität wegen der Zunahme schwer durchschaubarer globaler Selbstmodifikationsprozesse der Gesellschaft ohne weiteres durchsetzbar ist. Die moralisierende Strategie ist um so plausibler, als die Zurechenbarkeit von Problemen bei zunehmenden Interdependenzen immer als ungerechte Zumutung abgewiesen werden kann. Dieses Problem, das zu einer Aufschaukelung von Selbstblockierungsprozessen führen kann, weil immer mehr Anpassungspflichten durch moralisches 3 5

Brunsson 1989, 206

126

VI. Orientiengsprobleme der Verwaltung unter Ungewißheitsbedingungen

Argumentieren an andere delegiert werden, kann unter Ungewißheitsbedingungen - wie noch zu zeigen sein wird - nur durch flexible Konventionalisierung von Modellierungen bewältigt werden 36; eine Forderung, die allerdings um so schwerer durchzusetzen ist, als organisationale Rationalität und individuelle Selbstwahrnehmung zugleich stärker auseinandertreten und die Individuen in dem Maß, wie sie sich von den strengen Anforderungen der universellen Vernunft entlasten, in ein Verhältnis der Ablehnungsbindung zur Verwaltung geraten und eine Leistungsexpansion fordern. Die Verwaltung gerät damit in ein Dilemma. Sie verliert ihre Orientierungsmöglichkeit an dem traditionellen hierarchischen Ordnungsmodell, sie ist zur Kooperation mit privaten Organisationen verbunden, deren Wissen und Strategien schwer durchschaubar sind, und sie steht auf der anderen Seite unter wachsenden und schwer erfüllbaren Anforderungen der Individuen. In einer solchen Situation "Lernen für alle" zu verordnen, ist wohlfeil, wenn man nicht erkennt, daß nur noch probabilistisch-stochastisch beschreibbare, schwer strukturierbare Aufgaben ein anderes Lernen erfordern als das lineare Lernen erster Ordnung, das mit einer begrenzten Zahl von Regeln nach neuen Erfahrungen sucht. Das neue nicht-lineare Lernen zweiter Ordnung wäre gerade dadurch charakterisiert, daß auch über die zu berücksichtigenden Variablen und damit die Konstruktion des Optionenraums und nicht mehr nur der einzelnen Optionen nachgedacht werden muß - und dies nicht mehr primär aus der Sicht der Individuen. Das Beharren auf konsensorientierten Prozeduren intersubjektiver Verständigung unter Ungewißheitsbedingungen unterläßt die Notwendigkeit der Konventionsbildung über Stopp-Regeln des Suchens nach Stopp-Regeln. Ein nach Möglichkeiten der Abstimmung und Konventionsbildung suchendes Lernen müßte über das Sammeln von Informationen und Daten hinaus durch die Bildung experimenteller Modelle nach situativ "passenden" Anschlußmöglichen suchen, über die sich stochastische, nicht leicht nach vorformulierten Regeln "lesbare" heterarchische Koordinationsmuster innerhalb von Beziehungsnetzwerken generieren lassen. Institutionell kontrollierte "Grenzüberschreitungen" und Abstimmungen zwischen interorganisationalen Netzwerken müßten angesichts der nicht-hintergehbaren Notwendigkeit der Bildung von Stopp-Regeln und darüber generierter Anschlußzwänge funktionale Äquivalente zu den Selbstbegrenzungen bilden, die in der Gesellschaft der Individuen durch die Wissen organisierenden (insbesondere das Kausalitätsmodell) Paradigmen und die rechtsstaatlichen Trennungen (Zurechnungen) gewährleistet worden sind; nicht aber kann die Tendenz zur Grenzüberschreitung interpretiert werden als Freiheit zur Selbstentlastung von praktischen Anschlußzwängen und der Konfrontation mit selbstgeschaffener Komplexität durch "moralische" Selbstkontrolle.

3 6

Norgaard 1989, 303, 313

4. Institutionalisierung von Lernfähigkeit in der Verwaltungsorganisation

127

Auch an dieser Stelle, bei der Beschreibung der (Selbst-)Beobachtungsfahigkeit der Verwaltung als Organisation, zeigt sich, daß die Auflösung des Kausalitätsmodells, die Abschwächung von individueller Verantwortung und hierarchischer Subsumtion dekomponierbarer Einzelereignisse unter Regeln und Regelmäßigkeiten, erst die Eigenständigkeit der Organisation zutage treten läßt. Während die Änderung der Individuen sich stets unmerklich in der von der Regelmäßigkeit gesetzten Schwankungsbreite der Möglichkeiten vollzogen hat, sind die Organisationen, die früher nach dem Modell des Individuums gedacht worden sind, mit Folgen für die rechtstheoretische Begriffsbildung aus dem Schatten des Individuums herausgetreten und lassen als konstitutives Merkmal ihre Offenheit und Unvollständigkeit erkennen. Die Organisation enthält von vornherein ein Moment provisorischer Selbstkonstruktion und dauerhafter Selbständerung. Umgekehrt läßt sich die These aufstellen, daß auch das Individuum sich immer mehr nach dem Paradigma der Organisation selbst wahrnimmt. 4. Zur Notwendigkeit (und Schwierigkeit) der Institutionalisierung von Lernfähigkeit in der Verwaltungsorganisation Die Verantwortung des Individuums war unter der Geltung der liberalrechtsstaatlichen Lesart des hierarchischen Kausalitätsmodells - innerhalb der durch die Regel ermöglichten Optionen - "gewählt"37, heute erscheint sie in einer Regel und Regelanwendung verschleifenden Weise als konstituiert durch (vor allem) Organisationen und organisationale Netzwerke. Nicht zuletzt daraus entsteht die oben beschriebene widersprüchliche Tendenz, Organisationen zum Subjekt von Freiheiten zu erheben, die sich nunmehr auf die Gestaltung der Metaebene des Optionsraumes selbst beziehen und einerseits die Organisation überfordern und andererseits das Individuum entlasten: Die Organisation soll eine Vielzahl einander widersprechender Normen, Werte und Ziele berücksichtigen und dem Individuum die Möglichkeit geben, die Grenzen seines Selbst nicht mehr als fremd gesetzt zu akzeptieren, sondern sie zum Gegenstand von Verhandlungen zu machen. Viele Organisationen werden so für alle möglichen Aufgaben "verantwortlich" bis hin zur Motivation verantwortungsloser Individuen, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Auch hier läßt sich wieder ein Moment der perversen Selbstblockierung des heterarchischen Paradigmas durch Reste des hierarchischen Kausalitätsmodells beobachten: Organisationen werden wie Ganzheiten betrachtet, die aufgrund ihrer Zweckorientierung Ziele formulieren können, die jenseits der Möglichkeiten des Individuums liegen, aber zugleich nach dessen

3 7

Dan-Cohen 1992, 559, 561

128

VI. Orientierungsprobleme der Verwaltung unter Ungewißheitsbedingungen

Wünschen bearbeitet werden sollen.38 Die Organisation kann dabei das Individuum von seiner Verantwortung entlasten. Diese Ambivalenz erschwert die Umstellung der Organisation auf Lernfähigkeit außerordentlich; diese Schwierigkeit wird dadurch verstärkt, daß sich auch in den die Individuen reproduzierenden Kultur eine entsprechende Veränderung vollzieht: Sie nimmt immer mehr Züge einer Kultur der Viktimisierung 39, der Klage und Anklage an. Die widersprüchlichen Tendenzen der Globalisierung der öffentlichen Verantwortung des "Meinens" und der Abwehr von Verantwortung für eine Sphäre des Privaten ist die normative Kehrseite der Auflösung des (kognitiven) Kausalitätsmodells. Damit wird auch der Zugang zu den organisationalen Notwendigkeiten der Umweltverwaltung erschwert, die, jenseits der Erfahrung und der durch sie gewährleisteten Stopp-Regeln arbeitend, nicht einfach zum Adressaten individueller Wünsche werden kann, sondern ein neues, auf heterarchische Beziehungsnetzwerke eingestelltes Interpretationsschema finden muß, in dem auch das Individuum als Mitproduzent einer Strategie innerhalb multipler Optionsräume seine Rolle spielen müßte. Aber diese Rolle kann weder die des Konsumenten staatlicher Leistungen noch die des Verantwortung "demokratisierenden" Auftraggebers sein. Das Legitimationsproblem der Verwaltung ist schwer zu bearbeiten, weil mangels neuer konventionalisierter Wahrnehmungsschemata die Zurechnung von Risiken des Handelns wie der Risikovermeidung auf Organisationen erfolgt, obwohl Organisationen durch Unvollständigkeit ihrer Selbstdefinition und die Notwendigkeit der Abstimmung mit anderen Organisationen auf die Unterbrechung der intraorganisationalen Logik der Produktion durch eine andere Logik angewiesen sind (für den Bereich der Ökonomie ist dies der Markt). Auch unter diesem Aspekt zeigt sich, daß die Organisation keine Entscheidungseinheit sein kann, die nach vorfindlichen kollektiven Präferenzen verfahren könnte.40 Dies wird um so deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, daß die Strukturierungsleistung der hierarchischen Modelle der Wissensorganisation nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Die Organisation wird mit der Notwendigkeit zur Reflexion über die ihren Optionsraum konstituierenden Vor-entscheidungen konfrontiert 41, diese lasse aber keine Beobachtung zu, die nicht zugleich Selbstbeobachtung und Selbstkonstruktion der Organisation unter Ungewißheitsbedingungen wäre und damit wieder auf den schon mehrfach genannten Verschleifungseffekt zwischen Programmierung und Anwendung/Entscheidung stößt.42 Die Ent3 8

Brunsson 1989, 234

3 9

Vgl. Trilling 1976, 219; ders. 1979, 146, 175 ff.; vgl. allg. Hughes 1993

4 0

Roy/Bouyssou 1986, 174

41

Bratman 1991, 1 ff.; Lanzara 1983, 33; ders. 1986, 177, 182; zur Risikoentscheidungen vgl. Wynne 1992, 281 4 2

Le Moigne 1983, 141,153

4. Institutionalisierung von Lernfähigkeit in der Verwaltungsorganisation

129

Scheidung ist unter solchen Bedingungen nur möglich, wenn die praktische sich als begrenzte Vernunft begreift und einen vorfindlichen Bestand an Plänen, Absichten und Anschlußmöglichkeiten als Relevanzfilter benutzt, um Probleme erst erzeugen und konstruieren zu können.43 In einem zweiten Schritt lassen sich dann Optionen spezifizieren, die als Teillösungen akzeptabel sind. Erst danach kann eine rationale Deliberation einsetzen. Dabei spielt, wie bereits erwähnt, die Nachahmung, die Unterstellung der Möglichkeit eines "gemeinsamen Wissens" eine wichtige Rolle. 44 Das bedeutet weiterhin, daß Vertrauen unumgängliche Voraussetzung für die Herausbildung solcher Anschlußmöglichkeiten für gemeinsame Erwartungen ist. Vertrauen muß nicht blind sein, es kann zugleich von Mißtrauen begleitet sein, aber nur, wenn es in einer anderen Institution für Zwecke der Kontrolle und Beobachtung getrennt gehalten und erst sekundär mit Vertrauen konfrontiert wird. 45 Es ist dieses Problem der Bildung von Vertrauen, das die Brisanz des Handelns unter Ungewißheiten ausmacht, nicht nur der Mangel an Information 46, dem mit mehr Wissen abzuhelfen wäre. Dies zeigt sich daran, daß die nichtinstitutionalisierten Umweltgruppen, die der institutionalisierten Wissenschaft und der Verwaltung ein außerordentlich hohes Mißtrauen entgegenbringen, zugleich ein ungetrübtes Vertrauen in "Alternativwissenschaft" haben.47 Dies ist ein Symptom dafür, daß die Gesellschaft unter den Bedingungen des Verfalls der Erfahrung eine neue Konvention zur Ermöglichung des Entscheidens unter Ungewißheiten benötigt48, eine Konvention, die selbst nur auf der Grundlage begrenzter Rationalität, nicht aber eines vernünftigen Konsenses möglich ist. Die Betonung des konventionellen Charakters dieser Entscheidungsstruktur impliziert, daß dabei mit ungelösten Wertkonflikten operiert werden muß.49 Unter Bedingungen begrenzter provisorischer Rationalität, die sich auf die Erzeugung des Neuen einlassen muß, kann Wissen nicht mehr durch Ableitung aus und Weiterentwicklung von bereits als Erfahrung verfügbarem Wissen oder durch abstrakte Verfahren der Deliberation gewonnen werden. Unter solchen Bedingungen sind Ratschläge, möglichst alles zu berücksichtigen und ständig zu lernen, wohlfeil. Statt dessen sind Stopp-Regeln erforderlich, die allenfalls befriedigendes Entscheiden auf begrenzter Wissensgrundlage ermöglichen und selbstgesetzte Zwänge akzeptieren, weil dies Voraussetzung für die Erhaltung von Lernfähigkeit ist. Dieses Wissen generierende Moment der Konventionsbildung erlaubt es, Risikoentscheidungen 43

Bratman 1992, 1 ff.; ders. 1987, 34

4 4

Gilbert 1990,16 ff.

4 5

Goldman 1991,131; Bratman 1992, 1 ff.

4 6

Brunsson 1985, 38

4 7

Vgl. dazu symptomatisch Böhler 1991, 999 ff.

4 8

Smithson 1989, 297

49

I. Levi 1986, 149; Schmidtz 1992, 545, 557; vgl. allg. auch Slote 1989

130

VI. Orientierungsprobleme der Verwaltung unter Ungewißheitsbedingungen

als geradezu durch Verzicht auf Rationalität charakterisiert zu betrachten:50 Diese wird ersetzt durch Erfolgserwartungen, durch Bindung an vorfindliche Anschlußzwänge und Hoffnung auf Anschlußfähigkeit des Neuen an das künftige gemeinsame Wissen. K.P. Japp51 hat darauf aufmerksam gemacht, daß das Entscheiden unter Ungewißheitsbedingungen von "Selbstverstärkungseffekten " und (wie zu ergänzen wäre) Selbstblockierungseffekten beherrscht wird. Die (bis zu einem gewissen Grade unvermeidliche) Vernachlässigung von Alternativen und komplexen Entscheidungsfolgen kann einerseits Verantwortung erst ermöglichen und andererseits die Folgenkontrolle durch Immunisierungsstrategien erschweren. "Zuviel" Verantwortung kann aber die Entscheidungsfähigkeit ganz ausschließen. Dieser Effekt wird auch strategisch herbeigeführt, wenn, statt eine Entscheidungsmöglichkeit auszuschließen, so hohe Anforderungen an die prozedurale Rationalität gestellt werden, daß niemand mehr Verantwortung übernehmen kann und will. Eine auf das Operieren mit und unter Ungewißheitsbedingungen eingestellte Rationalität des Provisorischen könnte in der Verknüpfung von Risiko und Rationalität bestehen52, nämlich in einer Strategie, die Ungewißheit nicht durch Suche nach immer mehr Informationen zu kompensieren sucht, sondern akzeptiert, daß Entscheidungshorizonte entsprechend den kognitiven Strukturen (inter-)organisationaler Netzwerke und nicht der von Regeln "befreiten" Individuen dimensioniert werden müssen. Die Ungewißheit der Entscheidung ist weitgehend bestimmt von der Unvollständigkeit der Organisation, die nicht punktuell nach Regelmäßigkeiten handelt, sondern Handlungsmöglichkeiten und das sie abstützende "gemeinsame Wissen" strategisch durch Kooperation und Koordination mit anderen Organisationen selbst erzeugen muß und dafür weniger Erwartungssicherheit finden kann. Aufgrund dieser strategischen Orientierung ist sie aber auch anders als das Individuum in der Lage, "flexible Erwartungsstrukturen" 53 auszubilden und Handlungsressourcen durch Zufuhr von Varietät für die Erhaltung von Flexibilität gezielt zu mobilisieren. 54 Die Organisation kann systematisch lernen, sie kann ihre Entscheidungen unter multiplen Referenzen gleichzeitig beobachten, indem sie etwa eine verworfene (Entscheidungs-)Alternative zum Zwecke der nachträglichen kontrollierenden Beobachtung mitlaufen läßt, die Bildung von Reaktionsmustern in interorganisationalen Netzwerken verfolgt, Blockierungseffekte in Rechnung stellt, d.h. ihre Fähigkeit zur Bildung komplexer Modelle nicht zur Generierung vollständiger Information, sondern für die flexible Anpassung an sich verändernde, mindestens teilweise selbst erzeugte Zwänge einsetzt. Darin

5 0

Vgl. Japp 1992, 36

51

Japp 1992, 38

5 2

Japp 1992,42; vgl. auch Michael 1993, 81, 83

5 3

Japp 1992, 40 f.

5 4

Nonaka 1990, 27, 35; ders. 1988a, 70

5. Prozedurale Rationalität als Rationalität des Provisorischen

131

könnte ein funktionales Äquivalent zu dem durch Erfahrung gebildeten "gemeinsamen Wissen" unter komplexen, von Organisationen bestimmten Handlungsbedingungen zu sehen sein; dieses Wissen wäre zu charakterisieren als gebunden an eine spezifische organisationale Logik, eine prozedurale Rationalität des Konstruierens, der Abstimmung von Optionsräumen55 durch (Selbst-)Modellierung der Organisation und Beobachtung der in ihrer "internen Umwelt" ausgelösten Irritationen auf mögliche anschlußfähige Musterbildungen etc.. Das bedeutet, daß - hier vor allem bezogen auf die Umweltverwaltung - die spezifische, Wissen erzeugende, zukunftsorientierte, von Selbständerung bestimmte kognitive Struktur der Organisationen für Entscheidungen unter Ungewißheitsbedingungen auszuloten und zu nutzen ist. Das setzt wiederum die Einsicht voraus, daß das über Individuen gewonnene Erfahrungswissen zwar nicht obsolet, aber doch nicht mehr der vorherrschende Wissenstypus sein kann. Die "unvollständige" Organisation kann kein optimales Entscheidungswissen liefern, aber sie kann Ungewißheit besser strukturieren durch ihre größere interne Flexibilität, eine Flexibilität, deren Leistungen sich aber nicht mehr von selbst verstehen, wie dies von der Erfahrung mehr und mehr vorausgesetzt werden konnte, sondern die durch Modellbildung ihrerseits gestaltet werden kann, aber auch muß: Wenn Risikowissen nicht mehr durch die Kontinuität der Erfahrung innerhalb einer begrenzten Schwankungsbreite der Möglichkeiten spontan erzeugt wird, muß eine generative kognitive Struktur auch mit Hilfe des Rechts ausgestaltet werden, und zwar nicht im Hinblick auf ein materielles Ziel, sondern durch prozedurale Steigerung der Flexibilität und kognitiven Varietät. 5. Prozedurale Rationalität als Rationalität des Provisorischen Voraussetzung für eine Umstellung der Entscheidungsperspektive auf flexible Erwartungsstrukturen ist zunächst die Einsicht, daß der Zerfall des hierarchischen Kausalitätsmodells nicht die Möglichkeit dafür geschaffen hat, daß Menschen sich nunmehr frei von Herrschaftsansprüchen "miteinander darüber verständigen können, welches ihre Probleme sind und wie sie gelöst werden sollen".56 Im Gegenteil! Die Wissensbestände, mit denen Individuen und Organisationen operieren, sind kollektive Phänomene, die sich in "intersubjektive Selbstbestimmungspraktiken" nicht auflösen lassen. Daß die gegenteilige Vorstellung sich mit Erfolg verbreiten kann, ist eher Symptom eines nicht durch den Übergang zur Modellierung von Möglichkeitsräumen kompensierten Realitätsverlusts als Indiz einer Bewältigung des Orientierungsproblems. Der Aufstieg der Organisationen zum wichtigsten Träger der kognitiven 55

Favereau 1989, 121 ff.

5 6

Habermas 1992, 536

132

VI. Orientierungsprobleme der Verwaltung unter Ungewißheitsbedingungen

Struktur der Gesellschaft hat die Unvollständigkeit und zugleich die Generativität der für das Operieren unter Ungewißheitsbedingungen erforderlichen Wissensbestände akzentuiert, die über die strategisch zu modellierende Konnektivität der (inter-)organisationalen Netzwerke erhalten werden. Die Dynamik hat die relative Statik der Ordnungsbildung nach dem Kausalitätsmodell abgelöst und zugleich notwendigerweise die durch die Steigerung der Produktion des Neuen zutage getretene Unvollständigkeit des Wissenssystems explizit zum Thema der Selbstreflexion erhoben. Aber diese Selbstreflexion ist nur über die Organisationen zu institutionalisieren, sie kann angesichts der unter Bedingungen der Steigerung von Komplexität zugleich sichtbar gewordenen "Unvollständigkeit" der Individuen nicht durch Selbstbestimmung im Medium der kommunikativen Verständigung bearbeitet werden.57 Die kognitiven Strukturen sind außerhalb des Denkens des Individuums zu lokalisieren 58, und dies wird nicht dadurch verändert, daß Individuen über interorganisationale Institutionalisierungen nachdenken, da sie sich auch dabei selbst der durch die kollektiven Strukturen generierten Möglichkeiten bedienen - und zwar auch dann, wenn sie "Widerstand" leisten. Die gegenteilige Vorstellung ist nur deshalb möglich, weil das "kritische Denken" die azentrisch-stochastisch verlaufenden Selbstorganisationsprozesse59, die nur mit Hilfe nicht-linearer Ungleichgewichtsmodelle beschreibbar sind, nicht verarbeiten kann und die über Such- und Abtastverfahren in und zwischen Beziehungsnetzwerken sich vollziehende Selbstmodifikation der Ordnungsbildung dahin interpretiert, daß nunmehr alles anders sein könnte - was natürlich richtig ist, aber nicht impliziert, daß man sich über alles verständigen könnte. Dabei wird verkannt, daß die Unvollständigkeit des Wissens der Distribution über Netzwerke geschuldet ist und daß diese nicht das Problem, sondern die Lösung sind, eine Lösung, die den Mangel der Verfügbarkeit des Wissens durch experimentelle prospektive Produktion neuen Wissens kompensiert. Der Verlust an stationärer Erwartbarkeit wird durch dynamische Fähigkeit zur Anpassung an selbst-(mit)erzeugte Zwänge60, durch organisierte Flexibilität, durch Bereithalten von mehr Variationsmöglichkeiten, durch - wiederum als gemeinsam unterstellte, konventionalisierbare - offene "Erwartungserwartung" ausgeglichen.61 Dort, wo das Problem der Ungewißheit entstanden ist, in der Auflösung des hierarchischen Ordnungsmodells, durch den Übergang zur - Hierarchieebenen verschleifenden - interorganisationalen Netzwerkbildung, muß auch die Lö5 7

Delfavard 1992, 127, 135

5 8

Fischer 1990,11 ff.

5 9 Vgl. allg. zum Phänomen der Selbstorganisation Probst 1987; Dumouchel/Dupuy (Hg.) 1983; Atlan 1991, 9 ff. 6 0

Favereau 1991,69, 88

61

Baecker 1989,31,45

5. Prozedurale Rationalität als Rationalität des Provisorischen

133

sung gefunden werden, weil die Rückkehr zur Gesellschaft der Individuen unmöglich geworden ist und die Individuen unmittelbar, auch durch sprachliche Vergemeinschaftung keinen Zugang mehr zu einer heterarchisch a-zentrisch gewordenen Welt finden können. Der Verlust dürfte nicht so schmerzlich sein, weil das Subjekt diesen Zugang zur Welt auch früher nur in vermittelter Form gehabt hat, es hat Vernunft immer nur als Anteil an der universellen Vernunft ausüben können. Unter den gewandelten Bedingungen hat es eben nunmehr Anteil an einer prozeduralen über interorganisationale Netzwerke distribuierten nicht-universellen relationalen Vernunft. Die neuen Versuche, öffentliche Deliberation als permanente Gründung der Gesellschaft auf Dauer zu stellen und daraus Orientierung auch für eine "Umweltethik" zu gewinnen62, erheben weitaus höhere Ansprüche als klassische Konzeptionen der Vernunft, wenn sie diese nunmehr an den Prozeß der Selbstbegründung im Diskurs binden und damit nur die gleiche MehrebenenVerschleifung perpetuieren, wie sie dem beschriebenen Modell der Bildung von Selbstorganisationseffekten über interorganisationale Netzwerke zugrunde liegt, ohne aber die notwendigen praktischen Stopp-Regeln formulieren zu können, die die Paradoxie des Entwerfens und Ausprobiereiis von Rationalitätsansprüchen unterbrechen müssen. Statt dessen hat die Diskursethik die Probleme eines Konzepts universeller Vernunft noch dadurch verschärft, daß sie die Unterscheidung zwischen Öffentlichem und Privatem weitgehend eingeebnet und auch das Private für universalisierbar erklärt hat. 63 Komplexe Gesellschaften sind durch Deliberation und unmittelbare Problemlösungen nicht erreichbar; die Unvollständigkeit des Wissens, die Generativität der Beziehungsnetzwerke, an die das Wissen gebunden ist, lassen nur mittelbare formale Kontrollstrukturen zu, die das Operieren mit Unterscheidungen angesichts des unmöglichen Zugriffs auf Einheit durch Formulierung von Stopp-Regeln anschlußfähig halten und dadurch Lernen ermöglichen müssen. Lernen ist aber nicht als ständige Verbesserung des Wissens und der Fähigkeiten, als Streben nach der, wenn auch unerreichbaren, aber doch als Ideal zu unterstellenden Selbsttransparenz möglich, sondern ist die praktische Kehrseite der nicht hintergehbaren Unvollständigkeit des Wissens, die über das Experimentieren und Relationieren von Anschlußmöglichkeiten in flexiblen "Erwartungserwartungen" institutionalisiert werden muß. Eine prozedurale Rationalität kann nur eine Rationalität des Provisorischen sein, eine Rationalität des Entwerfens und der Begrenzung von Optionsräumen durch Bildung von Konventionen, die auf die Produktion des Neuen im Experiment angelegt sind und erst auf dieser Grundlage kollektive Deliberation zulassen. Unvollständigkeit ist deshalb nicht nur eine hinzunehmende Grenze des kol-

6 2

Vgl. dazu krit. Luhmann 1993,254 ff.

6 3

Vgl. dazu allg. Seligman 1992

134

VI. Orientierungsprobleme der Verwaltung unter Ungewißheitsbedingungen

lektiven Wissens, sondern ist den kognitiven Strukturen und Ordnungsschemata inhärent, weil das Wissen nicht mehr nach den beschriebenen ordnungsbildenden Paradigmen abgeschichtet ist und keine Zentralperspektive mehr zuläßt. Deshalb ist auch die Vorstellung, "das akkumulierte Wissen dieser Gesellschaft (werde) von jedem einzelnen Mitglied geteilt", selbst als Fiktion unfruchtbar. 64 Damit werden nur enttäuschte Identitätsvorstellungen der Individuen an eine Intersubjektivität verwiesen, die sich in der fiktiven Gemeinsamkeit eines Sprechens erschöpft, das auf die über die Institutionen a-zentrisch distribuierten Wissensbestände aber gar keinen vollständigen Zugriff mehr haben kann.65 Diese Wissensbestände können nur noch unvollkommen über Erfahrungen kontrolliert werden, im übrigen muß ihre praktische Brauchbarkeit durch Ermöglichung von Flexibilität und Resilienz in den (inter-)organisationalen Beziehungsnetzwerken haltbar gemacht werden. Ignoranz ist infolgedessen nicht einfach ein Mangel an Information, der durch intensive Suche nach der Wahrheit kompensierbar wäre, sondern notwendige Kehrseite eines neuen, an institutionelle Interpretationsschemata und StoppRegeln gebundenen Wissens, das auf Entscheidbarkeit unter Unentscheidbarkeitsbedingungen angelegt ist 66 , weil ihm der Zugang zu einer vorausgesetzten Ordnung verstellt ist. Dieser neue Wissenstypus ist geprägt von der Multiplizierung der Welt in unterschiedliche Möglichkeitsräume, die von der Konstruktion in und der "Manipulation" mit differentiellen sprachlichen Symbolen abhängig sind.67 "Ein Symbolsystem ist ein System implizierter Alternativen, die zusammen die Gegenstände einer Sphäre sortieren". Es liefert keine "Bilder", sondern erlaubt die kognitiven Aktivitäten, deren Bedeutung "eine Frage des Passens und Wirkens ... im Kontext" ist. 68 Da der Kontext seinerseits von Organisationen und interorganisationalen Netzwerken bestimmt wird, müssen die Wissensbestände von den schwer strukturierbaren Problemen geprägt werden, mit denen Organisationen unter Bedingungen von Komplexität konfrontiert werden und infolgedessen ist nach einer Strategie "brauchbarer Ignoranz" zu suchen69, mit der in und von Organisationen operiert werden kann. Das bedeutet, daß die Rationalität der Organisation und der Strategie der "Grenzüberschreitungen" im Hinblick auf die "interne Umwelt", die durch andere (inter-)organisationale Netzwerke gebildet wird, darauf einzustellen ist, daß bei der Entscheidung keine schon geordnete Wirklichkeit vorausgesetzt werden kann, sondern stets ein Möglichkeitsraum entworfen

6 4

Peters 1993, 230

6 5

Vattimo 1991,30,40

6 6

Dupuy 1988, 51 ff.

6 7

Goodman/Elgin 1989, 76, 123

6 8

Goodman/Elgin 1989, 208; vgl. auch Rescher 1979,44

6 9

Ravetz 1987, 111

6. Risikobewertung und die Organisation von Wissen

135

wird 70 , innerhalb dessen ein Problem zunächst konstruiert werden muß. Ungewißheit und Ignoranz sind deshalb nichts, was außerhalb der Organisation und ihrer kognitiven Strukturen bestünde oder von ihr ferngehalten werden müßte oder könnte, sondern Begleiterscheinungen des Lernens unter Komplexitätsbedingungen, d.h. des Operierens mit Wissensbeständen, die über heterarchische Netzwerke und die Verknüpfung von Relationen in interorganisationalen Handlungsfeldern erst generiert und nicht in hierarchischen Ordnungsmodellen mindestens partiell kontextunabhängig gehalten werden. 6. Risikobewertung und die Organisation von Wissen Risikobewertung71 muß mehr als bisher auf Organisationen und ihre "interne Umwelt" und insbesondere ihre kognitiven Strukturen eingestellt werden.72 Probleme bei der Bewältigung neuer komplexer Risiken und vor allem von Ungewißheit und Ignoranz entstehen vor allem daraus, daß das Ineinandergreifen der verschiedenen normativen, faktischen und institutionellen Komponenten des Gefahrenbegriffs und die Grenzen, die sich daraus für seine Anpassung an neue Konstellationen ergeben, zu wenig berücksichtigt werden. Es hat sich gezeigt, daß der Gefahrenbegriff eher punktuell für die Integration von Risiken geöffnet wird, daß aber die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Konsistenz des Bezugsrahmens, der durch den Rekurs auf die Erfahrung und das Kausalitätsmodell gesetzt worden ist, zu wenig verarbeitet worden sind. Dies hat sich - wie oben angedeutet - unter anderem darin niedergeschlagen, daß die Neuartigkeit der mit Ungewißheit und Unvollständigkeit von Entscheidungswissen unter Komplexitätsbedingungen zusammenhängenden unterschiedlichen, schwer strukturierbaren Probleme mit einer Einordnung in die Dogmatik des Gefahrenverdachts eher verdeckt worden sind. Die Vernachlässigung der konstruktiven, Lernen und Risikohandeln ermöglichenden Funktion des Erfahrungsbegriffs hat zu einer Überschätzung des quantitativ-informationellen Aspekts von Risikoentscheidungen geführt. 73 Aber ohne ein funktionales Äquivalent zur Selektivität der handlungsorientierenden, auf Lernen am Irrtumsfall eingestellten Erfahrung wird die Informationssuche endlos. Dies hängt auch damit zusammen, daß Rechtsgüter als Indikatoren von Risiken nicht mehr zuverlässig sind, die Zurechnung auf (individuelle) Handlungen und die Beobachtung von Ursache-Wirkungs-Ket-

7 0

Kondylis 1984,17 f.

71

Vgl. allg. zur Entwicklung der rechtlichen Diskussion über den Risikobegriff Köck 1993a, 123 ff.; Scherzberg 1993,484 ff. 7 2

Clarke 1989, 182; Wynne 1992,275,281

73

Lyndon 1989, 289 ff.

136

VI. Orientierungsprobleme der Verwaltung unter Ungewißheitsbedingungen

ten in einem relativ überschaubaren Zeitraum problematisch geworden ist. Nicht zuletzt die Überschätzung des Informationsaspekts und damit der Bedeutung des Expertenwissens, insbesondere der Einordnung in die bekannte und vertraute Praxis der Sachverständigenbegutachtung74, hat zu einer Verwischung der Grenzen zwischen Norm und Faktum einerseits und zwischen Faktum und wissenschaftstheoretischen und methodologischen Konstruktionsproblemen andererseits geführt. Die unklare systematische Verortung des Risikos findet ihre Fortsetzung in den verschiedenen Varianten "alternativer" Kritik, die zum Teil - durchaus nicht unbegründet - die Neutralität von Sachverstand in Frage gestellt hat, zugleich aber der "Wissenschaft der Wissenschaftskritik" die Gutachterrolle zuschreibt, die sie der "herrschenden" Wissenschaft verweigert. Damit sind - zum Teil im Widerspruch dazu - unspezifische Forderungen nach Ausweitung der Beteiligung von "Betroffenen" verbunden; darin verknüpfen sich die Verfahrens- und materiellrechtlichen, individuellen und kollektiven Momente einer explizit organisierten Dezentralisierung von Entscheidungen mit der Erweiterung individueller Abwehrrechte gegen auch entfernte, nach traditionellen Kriterien nicht mehr als Gefahr zurechenbare Risiken. Charakteristisch ist auch für die kritisierte Gegenposition die untrennbare Verbindung normativer und faktischer Gesichtspunkte bis hin zum unklaren Verhältnis von Staat, Betreiber etc. und "Betroffenen" 75, das in die Formulierung und Verteilung von Beweislasten durchschlägt. Dieser hier nur grob skizzierte Konflikt ist symptomatisch für den Verlust der Orientierungsfunktion, die durch die Kombination von Gefahrenbegriff und Erfahrung in der Vergangenheit gewährleistet worden ist. Er kann durch die Forderung nach einem Konsens76 über die bei Risikoentscheidungen vorauszusetzenden Werte oder durch bloße Erweiterung von Öffentlichkeitsbeteiligung 77 an der Formulierung von Bewertungsmaßstäben und "Rechte gegen Risiken" kompensiert78 werden, weil die Funktion des traditionellen strukturbildenden Paradigmas und die Bedingungen seiner Abschwächung und die Notwendigkeit der Formulierung eines neuen Konstruktions- und Referenzschemas dabei vernachlässigt wurde. Diese Bedingungen, unter denen der Gefahrenbegriff mehr und mehr an seine Grenzen stößt, sind - wie gezeigt - vor allem mit dem Aufstieg der Organisation und der damit einhergehenden Möglichkeit zur Entwicklung komplexer, eine Vielzahl von Handlungen und Relationen in der Zeit koordinierenden Strategien verbunden, die sich nicht mehr in eine dem Einfluß des individuellen Handelns weitgehend entzogene Regelmäßigkeit 7 4

Vgl. BVerwGE 55, 250 ff.; Breuer 1978, 28 ff.

Vgl. zum "Dreiecksverhältnis" auch Murswiek 1985, 247 ff.; zur rechtlichen Einordnung des "Umweltverbrauchs" auch ders. 1994, 77, 81 7 6

Vgl. dazu Preuß 1990, 82 ff.

7 7

Vgl. Hohm 1990, 214; vgl. allg. auch Denninger 1990

7 8

Vgl. Schroeder 86, 502, 513

6. Risikobewertung und die Organisation von Wissen

137

einordnen. Damit verbindet sich die Dynamisierung und Artifizialisierung des Wissens, die die Ordnungsleistungen der Erfahrung in Frage stellt und deren Komplexität jede intersubjektive Verständigung überfordert. Erforderlich ist eine Methodologie des Operierens mit Risiken79, die die durch die Organisationen gesetzten Grenzen und Möglichkeiten des Lernens nutzt und in dieser Hinsicht ein funktionales Äquivalent zur Erfahrung bilden kann. Sowie die Erfahrung keine prognostische, auf Vermeidung von Irrtümern angelegte Kategorie war, sondern auf eine gesellschaftliche Lernfähigkeit berücksichtigende Festlegung von variablen Anpassungszwängen und möglichkeiten für Handeln unter unvollständigem Wissen von Fall zu Fall eingestellt war, so muß nunmehr die Lernfähigkeit in die strategischen interorganisationalen Beziehungsnetzwerken und die darin angelegten kognitiven Strukturen der Gesellschaft eingebaut werden. Wenn man dies in Rechnung stellt, wird sogleich erkennbar, daß eine neue Form der Koordination normativer, empirischer, theoretischer u.a. Komponenten des Entscheidungsfahigkeit gewährleistenden produktiven Wissens nicht durch bloße Appelle zur begrifflichen Klärung gefunden werden kann. Das zu bewältigende Problem ist eine der Erscheinungsformen der Verschleifung früher getrennter Ebenen, die für die Bildung interorganisationaler Beziehungsnetzwerke80 und der darüber aggregierten Anschlußmöglichkeiten für Entscheidungen unter Unentscheidbarkeitsbedingungen charakteristisch sind. Es ist zwar eine Abschichtung der Probleme der Risikobewertung von denen des Risikomanagements erforderlich, aber unter Ungewißheitsbedingungen müssen beide Ebenen jedenfalls insofern miteinander verkoppelt werden, als im Angesicht von Ungewißheit ein Wissen erforderlich ist, das die Konstruktion von Problemen ermöglicht wird 81 , die nicht mehr durch die MVor-entscheidungM über abgestufte "natürliche Komplexitätsniveaus" vorstrukturiert und dadurch bearbeitbar gehalten werden. Die rechtliche Rezeption des Kausalitätsmodells konnte hier zur Bildung einer selektiven Wahrnehmungsschwelle benutzt werden, die zugleich durch Kopplung mit der Erfahrung Handlungsorientierung schafft. 82 Neuere Versuche zur Formulierung komplexerer Indikatoren der Umweltqualität unterhalb der traditionellen Gefahrengrenze 83 haben demgegenüber Entscheidungs- und wenig Orientierungswert, solange keine Vorstellungen von einer Regelungsstrategie bestehen.84 Informationen müssen immer in der einen

7 9

Vgl. Rowe 1988,12, 362; vgl. auch ders. 1993,45 ff.

8 0

Vgl. Perrin 1991, 162

81

Deisler 1988, 18; Bratman 1992, 1 ff.

8 2

Vgl. Hyman/Stiftel 1988, 7

83 Vgl. zu Umweltqualitätszielen Fürst 1990, 56; vgl. zu einer raumbezogenen Umweltleitplanung auch Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann 1990, § 19; krit. Gassner 1993,118,122 84

Alberti/Parker 1991, 85, 100

138

VI. Orientierungsprobleme der Verwaltung unter Ungewißheitsbedingungen

oder anderen Richtung selegiert werden. Damit begibt sich die Umweltregulierung offen in einen Zirkel, denn die Formulierung von Zielen und Kriterien ist wiederum von Information abhängig.85 Diese Paradoxie, der sich die Risikoregulierung unter Ungewißheitsbedingungen nicht entziehen kann, ist nur über Stopp-Regeln operational zu bewältigen, die es erlauben, zunächst mit dem verfügbaren Teilwissen einen Problemrahmen zu formulieren, der die Risikobewertung unter den Erfordernissen der Informationsermittlung strukturiert. Das Bundesimmissionsschutzgesetz benutzt den "Stand der Technik", also das in dieser Form praktisch verfügbare Wissen, nicht nur als Interventionsschwelle, sondern auch als Mittel der Begrenzung der Risikowahrnehmung:86 Es muß nicht jedem Risiko nachgegangen werden - dies wäre praktisch völlig ausgeschlossen -, sondern nur solchen, für die der Stand der Technik eine Begrenzungsmöglichkeit bietet. Hier wird das interorganisationale Netzwerk der praktizierten Technik selbst für die Problemkonstruktion benutzt. Dies zeigt sich auch bei der Umweltverträglichkeitsprüfung, wo die Notwendigkeit besteht, die (möglichen) Informationen durch Dimensionierung des Untersuchungsrahmens (scoping)87 zu strukturieren, weil die Verträglichkeit eines Projekts mit "der" Umwelt keine sinnvolle Fragestellung ist. Der Gesetzgeber kann die Risikoprüfung auch durch Festlegung bestimmter Verfahrenserfordernisse (Tests) begrenzen.88 Vor allem im Bereich des Gefahrstoffrechts wird die Selektion mit Hilfe des ebenfalls prozedural konzipierten, aber nur schwach definierten Kriteriums der "Vertretbarkeit" 89, insbesondere nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, gesteuert. Hier wird der Suchprozeß der Wissenschaft trotz der Eigenständigkeit der Kriterien für Zwecke der Strukturierung auch der Risikowahrnehmung eingesetzt. Es zeigt sich, wie schwierig es ist, einen Ersatz für die Erfahrung als Grundlage des Vertrauens in die Haltbarkeit unvollständiger Information als Handlungs- und Entscheidungsgrundlage zu finden. Vertrauen ermöglicht es, mit Informationen Anschluß an "kanonisierte Beispiele" zu finden oder neue kanonisierte Beispiele zu entwickeln. Wenn die Teil-Informationen aber keine strukturbildende Evokation ermöglichen (der Stoff A kann unter Umständen die Wirkung Β hervorrufen), weil die Vernetzungseffekte schwer strukturierbar und vorstellbar sind, ist dieses Generierungsmuster für Risikobewertungen nicht mehr brauchbar. 90 Diese an 85

Lave/Upton 1987, 280, 283 ff.; vgl. dazu Ladeur 1994a, 1 ff.

8 6

Vgl. allg. auch Latin 1988,127

87

Vgl. Kennedy/Ross 1992,476 f.

88

Applegate 1991, 263 ff.; vgl. auch Trauberman 1983, 194 ff.

89

Vgl. BVerwG, NuR 1989, 385 (Vertretbarkeit ist ein gerichtlich voll kontrollierbarer unbestimmter Rechtsbegriff); zu § 16 GenTG vgl. Hirsch/Schmidt-Didczuhn 1991, § 16 Rn. 17 ff., insb. 23 ff., krit. Ladeur 1992b, 254 ff.; ders. 1992 c, 948 ff. 9 0

Vgl. allg. Rodricks u.a. 1987, 307, 316 ff.; ders. 1992, 227, 234

6. Risikobewertung und die Organisation von Wissen

139

das handlungsorientierende Wissen gestellte Erwartung, die eine Verknüpfung von Tatsache und Wertung unumgänglich macht und als Problem die Grenzen der Integrationsbildung durch Erfahrung signalisiert, wird enttäuscht, wenn etwa die Wissenschaft eine Fülle von extremen Schätzungen vorlegt, ohne daß der Öffentlichkeit oder dem administrativen Entscheider ein verständliches "Muster" für die Einordnung des Risikos geliefert wird 91 , an dem sich ein Vertrauen bilden könnte, das weiteren Beobachtungen zugrunde zu legen wäre. Umgekehrt wird in dieser mangelnden Strukturierbarkeit des Risikowissens vielfach die Legitimation für eine normative Zuweisung der Kompetenz zur Bewertung von Risikoinformationen an die Verwaltung gesehen.92 Auch dieser Gedanke ist nicht ganz von der Hand zu weisen, wie weiter unten zu zeigen sein wird, aber eine bloße normative Ermächtigung kann die durch die Abschwächung der Erfahrung entstandene Lücke in der Vertrauensbildung nicht schließen. Dies hängt damit zusammen, daß das neue Risikowissen - ebenso wie die Erfahrung - an ein komplexes Netzwerk von vor allem interorganisationalen Relationen und ein darin enthaltenes generatives Muster gebunden ist, das nur über eine Pluralität von ineinandergreifenden Komponenten verteilt ist. Normative Festsetzungen können das Fehlen eines handlungsoûtnûtrtnàsn Paradigmas nicht kompensieren. Das bedeutet nicht, daß Risikobewertung und Risikomanagement in einer globalen Form integriert werden müßten.93 Andererseits ist es aber auch nicht möglich, Ungewißheit und Gewißheit scharf zu trennen, weil Übergänge und Wechselwirkungen bestehen. Dies hängt damit zusammen, daß Glaubensvorstellungen in jeder Form des Lernens notwendigerweise strukturbildend wirken müssen94, ohne daß scharfe Trennungen zwischen unterschiedlichen Typen möglich wären. Deshalb führt allein die - allerdings durchaus richtige - Forderung nach Offenlegung der Ungewißheit95, auch soweit sie an den administrativen oder privaten Entscheider zur Bewältigung überlassen wird, nicht weiter: Die Abwägung zwischen der Regulierung von Risiken auf unsicherer Grundlage und dem Aufschub der Entscheidung durch Auferlegung weiterer Informationspflichten ist schwer zu strukturieren. 96 Andererseits können auch Versuche, Ungewißheit allein mit quantitativ-formalen Methoden der Bildung von

91

Hammitt 1990, 65; Deisler 1988, 17; Lave 1990, 235, 242

9 2

Vgl. BVerwGE 72, 300, 315; Breuer 1989, 43, 55 ff., 64 ff.; Di Fabio 1992, 1338; Hill 1989, 401

ff. 93 Hart/Jensen 1992, 39 f.; vgl. auch dies. 1990, 123 ff.; vgl. auch Applegate 1991, 278; Trauberman 1983, 194 ff. 9 4

Bratman 1992,1 ff.; Hogarth 1987,12 ff., 188

9 5

Latin 1988, 89,127; Cooke 1991,18

9 6

Hart/Jensen 1990, 181; Lave 1989, 307, 314; ders./Upton 1987, 283; vgl. zur Verbindung von Risikobegriff und Entscheidungswissen Damstädt 1983, 94; Scherzberg 1993, 497; Ladeur 1991, 241 ff.; zur Ökonomie vgl. Munier 1989, 91 ff.

140

VI. Orientierungsprobleme der Verwaltung unter Ungewißheitsbedingungen

Meta-Wahrscheinlichkeiten in Risikoanalysen zu bewältigen97 nicht befriedigen, weil dabei ebenfalls die das Handlungswissen charakterisierende Gemengelage von Wertung, Glauben, Vertrauen und Fakten vernachlässigt wird.

9 7

Vgl. Apostolakis 1990, 1359 ff.; Zabell 1992, 205 ff.; Lewis 1980, 33 ff.; Lipton u.a. 1993, 1, 4; Finkel 1989, 427, 465, Hunt/Wilkins 1992, 365, 388; Stewart 1988, 153, 158; Ashford u.a. 1985, 419, 428; Ashford/Heaton 1983, 109 ff.; Huber 1985, 277, 292; Gaines 1990, 271, 289; Lyndon 1989, 1796; Latin 1987, 187, 192

VII. Zu einer Methode der Abstimmung von Risikowissen und Risikoentscheidung unter Ungewißheitsbedingungen

1. Vertrauen und Risikoentscheidung Die Bewertung der Technologieentwicklung in der Öffentlichkeit ist in jüngerer Zeit von Mißtrauen geprägt; die damit einhergehende Ungewißheit hemmt auch die Innovationsfähigkeit des technologischen Wissens. Dies hat auch erhebliche Rückwirkungen auf die Bereitschaft zur Offenlegung von Daten, die in der Industrie gewonnen werden.1 Erforderlich ist vor allem eine Veränderung der Institutionen der Risikobewertung und des Risikomanagements selbst2, und zwar eine Veränderung, die stärker auf Bedingungen der Generierung von Risikowissen über interorganisationale Netzwerke eingestellt ist, über die auch die Technologieentwicklung erfolgt. Institutionen der Risikobewertung und des Risikomanagements dürfen die Bindung der Wissensbestände an Organisationen nicht mehr als bloße zufällige Veränderung gegenüber dem vorwiegend an Individuen gebundenen Erfahrungswissen behandeln. Verfahren und Institutionen der Risikobewertung müßten so dimensioniert werden, daß vor allem die organisationale (Re-)Produktion des handlungsorientierenden Wissens stärker berücksichtigt wird 3 und Innovation und Flexibilität systematisch gefördert werden, wenn man sich einmal mit dem Zwang zum Handeln unter Ungewißheit eingelassen hat. Es kommt aber vor allem darauf an, die gemeinsame Abstimmung von Erwartungsbildung durch Ermöglichung von Vertrauen zwischen Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Technik sowie der allgemeinen Öffentlichkeit zu gewährleisten, da ein allzu großes Übergewicht des Staates, soweit es überhaupt möglich ist, sowohl die Möglichkeiten zur Verbesserung der informationellen Seite der Risikobewertung als auch die Flexibilität der Handlungsorientierung innerhalb der die Technik reproduzierenden interorganisationalen Beziehungsnetzwerke lähmen würde. Damit würde zugleich auch die Fähigkeit der Verwaltung zur Generierung von Risikowissen aus der Praxis der Technologie-

1

Hahn/Hirst 1991, 233, 259; Cocklin u.a. 1992, 31,51, 65; Wynne 1992,278

2

Perrin 1991,162; Bradbury 1989,380,398

3

Stewart 1992,547, 551; Lyndon 1989,1796

142

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

entwicklung beschränkt4, während es umgekehrt darauf ankommen muß, die Handlungsbedingungen einer nicht mehr am Gefahrenbegriff Orientierung findenden Technikentwicklung auch ohne klare Erfahrungsbasis und die dadurch gesetzten Erwartungen zu flexibilisieren und für die Bearbeitung von Innovationen durchlässig zu machen. (Wieweit die internen kognitiven Strukturen von Unternehmen für Umweltrisiken sensibilisiert werden können, soll weiter unten noch genauer untersucht werden. Die skizzierten Tendenzen zur Selbständerung durch kontrollierte Grenzüberschreitung, durch Integration komplexer qualitativer Ziele in die Organisation, die sich auch im "Total Quality Management" niederschlagen5, sollten darauf abgetastet werden, ob die neue Flexibilität auch für die Bearbeitung von Umweltrisiken genutzt werden kann). 2. Vertrauensbildung durch Verfahren? Das Exempel der Grenzwerte In der Praxis der Grenzwertfestsetzungen wird als eine praktische StoppRegel für die Bewältigung von Ungewißheit der Rückgriff auf sog. "konservative" Annahmen praktiziert 6, eine Praxis, die weder immanent theoretisch plausibel konstruiert ist noch (im allgemeinen) praktische Grundlage für die Bildung von Vertrauen sein kann. Ein Stoff verursacht mit einer Wahrscheinlichkeit von χ in einem bestimmten Zeitraum y Todesfälle, ohne daß man die Wirkung vieler nicht meßbarer Faktoren oder die Einschränkung der Bedeutung bestimmter Mechanismen und Hintergrundbelastungen abschätzen könnte:7 In solchen Fällen ist es eine gängige Methode, die Suche nach und das Testen von komplexen vernetzten Wirkungen aufzugeben und statt dessen einen "Sicherheitszuschlag" in der Form der Erhöhung der angenommenen Wahrscheinlichkeit einer schädlichen Wirkung vorzunehmen.8 Auch damit wird aber der Komplexität von Risiko, Ungewißheit und Ignoranz nur im Grenzfall, bei der Abschätzbarkeit einer Verteilung bekannter Möglichkeiten Rechnung getragen. Im übrigen ist die Wahrscheinlichkeit eines Schadens, der nicht mehr nach "kanonisierten Beispielen" bekannter Ereignisketten bestimmt werden kann, in den verschiedenen Konstellationen von Ungewißheit von äußerst heterogenen Faktoren abhängig, die der Bildung von

4

Hunt/Wilkins 1992,404

5

Vgl. F.B. Friedman 1992, 25, 28; zum Total Quality Management allgemein TQM 1990; Grant/Shani/Krishnan, 1994, 25 ff.; zur Verbindung mit Umweltinteressen Corbett/Van Wassenhove 1993, 116 ff. 6 Vgl. Haber 1987, 269, 287; Anderson 1989, 413, Nichols/Zeckhauser 1988, 61 f., 68; BVerwGE 72, 300, 321 7

Robins 1989, 1125

8

Burmaster/Lehr 1991, 5 ff.; Anderson 1989, 413

2. Vertrauensbildung durch Verfahren? Das Exempel der Grenzwerte

143

Durchschnitts Wahrscheinlichkeiten entgegenstehen, der ein "Sicherheitszuschlag" hinzugerechnet werden könnte.9 Dabei entsteht auch die Möglichkeit, daß das Risiko zu hoch angesetzt wird, ohne daß zugleich Lernfähigkeit für die Bearbeitung von Ungewißheit entwickelt würde. 10 Eine Alternative könnte darin bestehen, eine Reihe mehrerer möglicher Szenarien durch Beschreibung mit den verfügbaren Parametern von typischen Konstellationen bis zu vernünftigerweise anzunehmenden Extremfällen auszudifferenzieren und die subjektive Wahrscheinlichkeit dann ebenfalls zu spezifizieren, statt einen Durchschnitt mit einer denkbaren Risikoobergrenze zu pauschalieren. Damit würde der Informationsgehalt von Abschätzungen für das Risikomanagement (privat wie öffentlich) verbessert und eine angemessene organisationale Verarbeitung eher gewährleistet. Diese Methode würde Ungewißheit nicht einfach sichtbar machen, sondern ihre Verteilung differenzieren und spezifizieren; formal könnte sie über probabilistische Berechnungsmethoden des Monte-Carlo-Verfahrens bewältigt werden.11 Auf diese Formalisierung kann es zwar nicht primär ankommen, da sie das institutionelle Defizit der Vertrauensbildung nicht kompensieren kann, aber die Methode kann zur Lösung dieses Problems insofern beitragen, als es nicht eine kompakte, scheinbar neutrale Risikobewertung liefert, sondern ein adaptiv-evolutionäres, für die Grenzen der Verfügbarkeit von Information empfängliches Verfahren bereitstellt. 12 Die Begrenztheit der Informationen und die Notwendigkeit des Operierens mit ihrerseits aus Teilinformationen abstrahierten Variablen legt den Gebrauch von Simulationstechnologien nahe, die nicht nur viele Variablen verarbeiten können, sondern über das Durchspielen von Veränderungen und deren Verteilung mit unterschiedlichen bekannten oder unbekannten (subjektiven) Wahrscheinlichkeitsabschätzungen von Experten zwar keine harten Fakten liefern, aber vor allem eine Sensitivitätsanalyse ermöglichen können.13 Diese kann für die Verschleifung von Risikobewertung und Risikomanagement wichtig sein. Hier zeichnet sich eine fruchtbare Möglichkeit zur Zusammenarbeit zwischen Natur- und Ingenieurwissenschaften, Verwaltung und privater Industrie sowie Drittbetroffenen ab, weil darüber eine Akzentverschiebung von der bloß statistischen Signifikanz einzelner Daten zur Abschätzung der quantitativen und qualitativen Bedeutung unterschiedlicher Korrelationen zwischen Variablen für die weitere Informationssuche möglich wird. 14 Dabei ist zu berücksichtigen, daß auch in der Wissenschaft eine Umstellung von der Subsumtion des Besonderen unter 9

Robins 1989,1125; Davis 1988,157; Paustenbach 1989, 390; Burmaster/Lehr 1991,5 ff.

10

Burmaster/Lehr 1991,16

11

Burmaster/Lehr 1991, 6 f.

12

Serafin u.a. 1992,271

13

Vgl. Rodricks u.a. 1987, 307, 314 ff., U v e 1990, 241 f.

14

Dowlatabadi/Morgan 1993, 1813; 1932

144

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

allgemeine Regelmäßigkeiten zur Relationierung von Variablen eingetreten ist und hier noch unausgeschöpfte Entwicklungspotentiale der Methodologie zu vermuten sind. Bei diesem Verfahren kommt es darauf an zu unterscheiden zwischen Bereichen, in denen auch bei Änderung von Variablen nur geringe Ergebnisvariationen zu erwarten sind, und solchen, in denen dynamische Effekte oder sonst eine starke Sensitivität zwischen Information und Ergebnis möglich ist. Nur durch eine solche Strukturierung, die Ungewißheit berücksichtigt, ohne sie vom sicheren Wissen einfach zu trennen und sich auf das bekannte (mit "Sicherheitszuschlag") zu konzentrieren, ist eine dynamische, mit Unvollständigkeit des Wissens operierende kooperative Strategie zwischen Wissen generierendem inter-organisationalen Netzwerken möglich. Auf diese Weise ließe sich - wie unten noch zu zeigen sein wird - ein Lerneffekt erzeugen, der auf Ungewißheitsbedingungen eingestellt ist. 15 Die bloße Risikovermeidung ist unter Komplexitätsbedingungen ebensowenig wie unter Bedingungen der Kontinuität der Erfahrung eine angemessene Strategie, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten, die Lernen selbst als zu riskant erscheinen lassen. Dies ergibt sich daraus, daß es - anders als unter Bedingungen der Gefahrenabschätzung - nicht um eine punktuelle Bewertung linearer Ereignisketten gehen kann16, sondern angesichts des Fehlens fester Orientierungspunkte, die in den "kanonisierten Beispielen" der zu vermeidenden Schadensereignisse gesehen werden konnten, ein Lernen zweiter Ordnung erforderlich ist, ein Lernen, das seinen eigenen Bezugsrahmen und dessen Veränderung mitreflektieren muß: Ein aufgrund theoretischer Modellkonstruktion angenommenes Risiko kann sich im nachhinein als nicht existent herausstellen, oder aber beim Operieren mit ihm können sich neue Wissensbestände bilden, die weitaus größere Risiken beseitigen helfen oder sonst großen Nutzen versprechen. Umgekehrt kann eine weitreichende "Vorsorge" selbst riskant sein, weil sie sich an der Verfügbarkeit des Wissens orientiert 17 und die Innovationsfähigkeit allgemein lähmt und zugleich zur Vernachlässigung ganz anderer Risiken führen kann, für deren Bewältigung keine Innovationsfahigkeit bereitgehalten werden kann. Es muß die durch Evolution der Gesellschaft entwickelte Fähigkeit (Notwendigkeit) zum experimentellen Handeln unter unvollständigem Wissen, mit unsicheren Erwartungen, vorgefaßten Absichten, (Teil-)Plänen und Glaubensvorstellungen18, insbesondere unter Bedingungen der Wissenserzeugung durch (inter-)organisationale Netzwerke ohne vorgegebenen Optionenraum durch Entwicklung von passenden Institutionen und Verfahren modelliert, aber nicht rigide kontrolliert werden.

15

Nichols/Zeckhauser 1988, 71

16

de Geus 1992, 3 f.; Wildavky 1988, insb. 30 ff.

17

Nichols/Zeckhauser 1988, 71

18

Bratman 1992, 1 ff.; ders. 1987, 34 ff.;

2. Vertrauensbildung durch Verfahren? Das Exempel der Grenzwerte

145

Viele Konflikte um Risikobewertungen entstehen daraus, daß die Veränderung des orientierungsbildenden Paradigmas nur teilweise wahrgenommen wird, zugleich aber die Notwendigkeit zur Entwicklung eines modifizierten institutionellen, Vertrauen ermöglichenden Orientierungsschemas vernachlässigt wird. Vertrauen wird ermöglicht über das Prozessieren von Stopp-Regeln, die Handlungskoordination auch unter unvollständigem Wissen erlauben, da die Suche nach immer mehr oder gar vollständiger Information im allgemeinen keine Alternative ist. Wie immer wieder betont worden ist, muß unter Bedingungen der Reproduktion gesellschaftlicher Wissensbestände über interorganisationale Beziehungsnetzwerke deren stochastisch-dynamischer, emergenter Charakter berücksichtigt werden 19, d.h. das Wissen wird nicht mehr linear innerhalb relativ stabiler Optionsräume und abgestufter Verzweigungen über individuelle Variationen (fort-)gebildet, sondern über distribuierte, a-zentrisch-relationale Modellierungen20, die durch Experimentieren mit einer provisorischen, auf Selbständerung angelegten Kombinatorik situativer Relationierungen Innovationen im Pool der Möglichkeiten stimulieren und diese auf die Entstehung brauchbarer Handlungsmuster hin abtasten.21 Dies ist nur über Vereinfachungen möglich, die die Reduktion der Rationalitätsansprüche aber andererseits - wie noch zu zeigen sein wird - infolge der gesteigerten (Selbst-)Beobachtungsfähigkeit der Organisation systematisch zur Generierung von mehr Flexibilität und mehr Wissen für umweltorientierte Lernstrategien benutzen kann, während die frühere Technikentwicklung auf festliegende Trajektorien eingestellt und in ihrer Lernfähigkeit dadurch beschränkt war. Auch unter Bedingungen unvollständigen Wissens muß gehandelt werden, weil nur so neues (wiederum unvollständiges) Wissen erzeugt und die Evolutionsfähigkeit der Gesellschaft durch Steigerung der Reagibilität und der Anpassungsfähigkeit der Wissensbestände an selbstgeschaffene Zwänge erhalten werden kann. Nur dadurch, durch die Erhaltung und Steigerung der Beweglichkeit des "gemeinsamen Wissens", kann die Evolutionsfähigkeit komplexer Gesellschaften gewährleistet werden (sie muß heute vor allem abgesichert werden gegen strategische Versuche, durch Schaffung von Rigiditäten22 Lernen zu verweigern und auf andere abzuwälzen, was wiederum durch den Zerfall der hierarchischen, Wissen strukturierenden Ordnungsparadigmen erleichtert wird, weil Zurechnungen nicht mehr selbstverständlich sind). Demgegenüber waren unter der Geltung der älteren Wissen und Verantwortung strukturierenden Paradigmen Technologieentwicklung wie Verhaltens- und Zurechnungsregeln auf festgelegte Trajektorien eingestellt und Lernfähigkeit dadurch beschränkt. 19

Hammitt 1990,121; Menzies/Price 1993, 187 ff.; vgl. in theoretischer Perspektive Bolz 1992

2 0

Vgl. auch Cottrell 1993, 25 ff.

21

Atlan 1989, 237, 242

2 2

Vgl. Touraine 1987, 213 ff.

10 Ladeur

146

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

Der nicht hintergehbare Zwang zum Handeln unter unvollständigem Wissen erfordert die Gewährleistung einer kontinuierlichen Generierung neuen, (wiederum unvollständigen) Wissens. Aus dieser Konstellation selbst können sich Argumente gegen bestimmte Technologien ergeben, die von vornherein die Selbständerung durch langfristige Festlegung von Entwicklungslinien ausschließen oder erschweren. Im übrigen ist Vorsicht aber eine selbst nur mit Vorsicht zu praktizierende Strategie, weil auch das Nichthandeln mit dem Risiko unerwünschter Rückkopplungseffekte innerhalb der über Netzwerke produzierten und flexibilisierten Wissensbestände verbunden ist. Risikobewertungen müssen als vereinfachte Umweltmodelle von Organisationen für das Operieren in interorganisationalen Netzwerken begriffen werden 23, mit denen experimentiert werden kann und muß.24 Erforderlich wäre also die Suche nach einer "kritischen Wahrscheinlichkeit"25, die auf der Grundlage einer Konvention Vertrauen insofern in Anspruch nehmen könnte, als damit provisorisch in der durch Selbstbeobachtung abzustützenden Hoffnung auf Gewinnung künftigen besseren Wissens in interorganisationalen Netzwerken gehandelt werden kann. Aus den bisherigen Überlegungen ist schon erkennbar geworden, daß weder die Vernachlässigung von Ungewißheit und die Akzentuierung einer Pseudogewißheit des Bekannten noch die bloße Offenlegung der Ungewißheit und ihre implizit vorzunehmende Bewertung durch Experten noch die explizit als politisch qualifizierte Demokratisierung des Risikos angemessene Lösungen sind. Beide vernachlässigen die notwendige praktische Einbettung des Risikowissens und seiner Generierungsmuster in praktische Strategien des Operierens mit Ungewißheit unter dem Zwang der permanenten Konfrontation mit selbstgeschaffenen Zwängen26 (denen sich eine "Demokratisierung" der Entscheidung entziehen könnte und würde). Beide Strategien vernachlässigen auch die grundsätzliche Tragweite der Veränderung des klassischen hierarchischen Klausalitätsmodells. Für deren Bewältigung gibt es keine einfache Strategie, und die Verbesserung der Formalisierung von Expertenwissen und die "Demokratisierung" wären einfache Strategien". 3. Von der Rezeption des Risikowissens zur Modellbildung unter Ungewißheitsbedingungen Eine Alternative könnte in einer Konzeption liegen, die zunächst akzeptiert, daß Risikowissen wegen seines praktischen Charakters aus den verschiedenen 23

Vgl. Clarke 1989, 180 f.

2 4

de Geus 1992, 3

2 5

Hammitt 1990,121

2 6

Vgl. Friedberg 1993, 163 f.

3. Rezeption des Risikowissens und Modellbildung

147

genannten Gründen nicht von Ungewißheit abgespalten werden kann, diese bleibt an einen bestimmten Erkenntnismodus gebunden und ist keine "Eigenschaft" der durch Bildung einer "Vorstellung" zu repräsentierenden Umwelt. Die Lösung kann immer nur in einem institutionellen interaktiv-kooperativen Verfahren der Modellbildung gesucht werden, in das auch - trotz unterschiedlicher Selbstverständnisse - wissenschaftliches Wissen als funktionales Äquivalent einer Vertrauen bildenden Erfahrung eingebaut werden kann. Voraussetzung dafür ist aber eine neue praktische Methode und ein neues Verfahren der Übersetzung von Expertenwissen in einen strategischen Handlungskontext und umgekehrt die Rückkopplung über strukturbildende Prioritäten und schließlich der wechselperspektivische Einbau von systematischer adaptiv-evolutionärer Selbstbeobachtungskapazität ("Monitoring") in die Praxis des Operierens mit unvollständigem Wissen. Etwas anderes als die gesellschaftlichen Wissensbestände und die darin eingeschriebenen Möglichkeiten steht zur Bewältigung von Risiken nicht zur Verfügung! Daraus muß ein neues, konventions- und nicht konsensfähiges "gemeinsames Wissen" gewonnen werden, das die einfache Koordination unter Geltung des älteren Wissensparadigmas durch komplexere Verfahren kontrollierter Grenzüberschreitung ("Überlappung") zwischen den verschiedenen Handlungsorientierung ermöglichenden Wissensmodi ersetzt. Auf der einen Seite muß nach der grundsätzlichen Veränderung der Struktur gesellschaftlichen Wissens akzeptiert werden, daß Risikowissen nicht mehr nach dem Muster der Erfahrung auf die Formulierung relativ klar konturierter "kanonisierter Beispiele" und eine darüber zu bestimmende Schwankungsbreite situativ-konkreter Variation des Bekannten festgelegt werden kann. Es müssen andererseits unter Komplexitätsbedingungen adaptiv-evolutive Modelle auf der Grundlage unterschiedlicher Typen unvollständigen gesellschaftlichen Wissens konstruiert werden, die die punktuelle Aggregation distribuierten Wissens für individuelle Entscheidungen in eine komplexe Form überführen müssen. Diese ist durch organisationale Muster der Wissensgenerierung über das systematische experimentelle Relationieren von Variablen und die strategische "Irritation" und "Punktuierung" von auf Selbständerung angelegten Entscheidungsnetzwerken charakterisiert. Deren stochastisch-probabilistische a-zentrische Selbstmodifikation entspricht aber auf einer höheren Komplexitätsstufe durchaus der dezentralen distribuierten Entwicklung der Technik unter dem älteren Paradigma. Versuche, Ungewißheit durch "mehr Information" zu kompensieren, stoßen schnell an eine Grenze, da der Informationsbedarf potentiell unendlich ist. Der Zwang zum Handeln unter unvollständigem Wissen ist jedoch gerade in einer sich beschleunigt selbst verändernden Gesellschaft unausweichlich, darin hat auch die Vorstellung einer "praktischen Vernunft" 27, wie sie das 2 7

BVerfGE 49, 89, 143

148

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

Bundesverfassungsgericht entwickelt hat, ihre Berechtigung, wenngleich der Begriff unglücklich erscheint. Aber auch und gerade das Operieren mit und unter Ungewißheitsbedingungen ist von Vertrauen abhängig, und Vertrauen ermöglichende Stopp-Regeln verlangen die Bildung der dafür geeigneten Institutionen und Verfahren, die ihrerseits auch auf Selbstrevision angelegt sein müssen.28 Damit ist aber zugleich vorausgesetzt, daß die Lösung der Entscheidungsprobleme nicht in einem unspezifischen Lernen bestehen kann. Vielmehr geht es um ein strukturierendes Lernen zweiter Ordnung 29, das den Bezugsrahmen der Wissensgenerierung, seine Bindung an praktische, auf Erhaltung von Anschlußfähigkeit angelegte Beziehungsnetzwerke und Relationierungsmuster sowie an Methoden der selbst zu organisierenden Extrapolation von Wissen modelliert und darüber "Daten" selegiert und prozessiert, um daraus wiederum Variationen für die Remodellierung zu gewinnen. Das Lernen zweiter Ordnung ist also auf das Ausprobieren von Relationierungen zwischen Anschlußmöglichkeiten und -zwängen in offenen Optionsräumen angelegt. Das zu bewältigende Grundproblem besteht gerade darin, funktionale Äquivalente für die Gewährleistung eines handlungskoordinierenden und die Bildung stabiler Erwartungen ermöglichenden "gemeinsamen Wissens" für die Erfahrung zu finden. Denn ohne ein praktisches "kollektives Prinzip" 30 , das die Koordination von Erwartungen ermöglicht 31, ist die Generierung von Wissen, das nur über eine Kombinatorik von Relationierungen innerhalb des gesellschaftlichen Pools der Möglichkeiten zugänglich und verfügbar werden kann, nicht denkbar. Wenn das "gemeinsame Wissen" aber nicht mehr vorausgesetzt werden kann, muß die Generativität der interorganisationalen Netzwerke ihrerseits zum Gegenstand organisierter Intervention und Irritation werden. Dies geschieht einmal unter Privaten in der Form der Bildung von Joint-Ventures, die der gemeinsamen Forschung dienen32, zum anderen muß auch der Staat die Kreativität und Flexibilität der informationalen Infrastruktur einer Wissensgesellschaft zu seiner Aufgabe machen, weil und soweit die Selbstorganisationsfähigkeit der interorganisationalen Netzwerke durch Blockierungseffekte begrenzt wird. Unter Komplexitätsbedingungen kann sich der Staat nicht mehr darauf beschränken, dauerhafte, Bildung gemeinsamer Erwartungen auf der Grundlage eines "gemeinsamen Wissens" ermöglichende Regeln zu setzen, er muß vielmehr die Erhaltung der Generierungsmuster des Wis2 8

Ladeur 1992c, 948 ff.

2 9

Vgl. Hyman/Stiftel 1988, 26

3 0

Gilbert 1990, 16,18

31

Vgl. auch Sorensen 1991, 474; Bach 1984, 37 ff.

3 2

Imai/Itami 1984, 299; Foray 1991, 779, 789; vgl. zur Veränderung der politischen Institutionen unter dem Druck der Notwendigkeit zur Überschreitung traditioneller Grenzziehungen Michael 1993, 81,83

3. Rezeption des Risikowissens und Modellbildung

149

sens selbst zu seiner Aufgabe erheben. Nur über die Erhaltung der Flexibilität und Produktivität der Wissensbestände ist die Bildung eines "gemeinsamen Wissens" möglich, das für die flexible Reformulierung und Abstimmung einer selbstrevisionsfähigen "Erwartungserwartung" erforderlich ist. 33 In der Gesellschaft der Individuen war es ausreichend, die durch Regeln strukturierte Kontinuität und Gleichförmigkeit des Prozezesses der Aggregation von Wissen zu erhalten; unter Komplexitätsbedingungen, die durch interorganisationale Netzwerkbildung und systematische Strategien der Produktion des Neuen durch Ausprobieren von stochastischen Relationierungsmustern charakterisiert sind, muß die Generalität und Selbstmodifikation der Wissensbestände organisiert werden. Dabei bildet sich - wie gezeigt - die Notwendigkeit heraus, "hybride" grenzüberschreitende (nicht aber Grenzen verwischende) Institutionen zu entwerfen, die der Wissensbasis der Gesellschaft auch neue Varietät zuführen, um die Möglichkeit zur Anpassung an selbstgeschaffene Zwänge durch größere Flexibilität zu gewährleisten. Die Konzeption grenzüberschreitender interaktiver Institutionen und Verfahren kann auch der Besonderheit handlungsorientierenden praktischen Wissens insofern gerecht werden, als es eben nicht nur um die "Sammlung" von semantischen Informationseinheiten gehen kann, die aus einem Praxisbereich zu abstrahieren und in einen anderen zu übertragen sind, sondern um eine wechselperspektivische Verschränkung der konstruktiven, an verschiedene Praxisbereiche gebundenen Momente des Wissens zwischen Technik, Ökonomie, Wissenschaft und Verwaltung. Hier bietet sich eine Parallele zur wechselseitigen Übernahme von Komponenten aus dem jeweils anderen Rationalitätsbereich zwischen Organisation und Markt, z.B. neuartige Dauerverträge zwischen Unternehmen, an, eine Konstellation, die - gerade weil es nicht um eine Verwischung von Grenzen gehen kann - interaktiv durch prozedurale Übersetzungs- und Kollisionsregeln strukturiert werden muß. Die traditionelle vertikale Trennung von Komplexitätsebenen und Verzweigungen, über die ein Abstützungs- und Verweisungszusammenhang verschiedener Wissenstypen stabil gehalten34 und eine dauerhafte Abstimmung zwischen den verschiedenen Komponenten praktischen Entscheidens ermöglicht werden konnte, muß unter Bedingungen komplexer heterarchischer Ordnungsbildung durch explizite interaktive Verfahren einer situativen, variablen Koordination abgelöst werden, wenn einmal der gemeinsame Rahmen der Erfahrungsbildung und der dadurch gewährleistete Austausch zwischen verschiedenen Wissenstypen und ihren Praxisformen erschüttert worden ist. Unter den durch den Zerfall der tradierten Paradigmen gesetzten Bedingungen ist offenbar die kontrollierte prozeduralisierte Grenzüberschreitung zwischen 33

Baecker 1989, 45; Michael 1992, 83

34

Vgl. Ravetz 1987, 100; Tapani Klami u.a. 1991, 73, 100

150

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

verschiedenen Wissenstypen die dem Paradigma der horizontalen Relationierung von Beziehungsnetzwerken gemäße Form der Gewährleistung der neuen Form der Erhaltung eines "gemeinsamen Wissens" in der Gesellschaft der Organisationen. Deshalb bestehen auch keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Übernahme wissenschaftlicher Modelle in technische Systeme oder in administrative Risikobewertungen, da aber die Bewertungen so stark von bestimmten Methoden der Relationierung von Variablen abhängig sind, kann die Methoden- und Modellwahl weder zum bloß wissenschaftlichen noch zum technisch-ökonomischen, noch zum bloß administrativen Wertungsproblem werden.35 Methoden der Risikobewertung bergen selbst ein Risiko, das nicht allein über einen der beteiligten Wissensmodi bewältigt werden kann. Das Verhältnis der Risikobewertung (und ihren normativen sowie praktischen Komponenten) zum Risikomanagement kann nicht dauerhaft geklärt werden, vor allem nicht dadurch, daß die Verarbeitung von Ungewißheit zu einem kognitiven, wissenschaftlichen oder technischen Problem erhoben wird. Die "führenden Naturwissenschaftler und Techniker" 36 können z.B. bei komplexen Anlagerisiken kaum alle jenseits der beherrschbaren Auslegungsstörfälle denkbaren Risiken als "praktisch nicht vorstellbar" ausschließen, da die Bewertungen dann zum großen Teil auf subjektiven Wahrscheinlichkeitsannahmen von Experten basieren, die auf der Grundlage von Teilwissen einerseits und der Korrelation verschiedener theoretischer Variablen andererseits zustande kommen. Insofern wirft auch die gerade in der juristischen Rezeption des technisch-naturwissenschaftlichen Wissens zum Ausdruck kommende Bevorzugung der "Deterministik", die im Gegensatz zu der mit quantitativen Wahrscheinlichkeitsrechnungen operierenden Probabilistik eine denkbare Ursache-Ereigniskette und eine Schadensmöglichkeit korreliert, neue Fragen auf: Es stellt sich einmal das Problem, daß die Verwendung einer in einem bestimmten Verfahren erzeugten "Grenzzahl" eher die bestehende Ungewißheit verdeckt 37, während zum anderen die Festlegung der Methode zwangsläufig ein meta-wissenschaftliches Problem ist, das aber auch nicht einfach als ein politisches oder praktisches charakterisiert werden kann.38 Hier geht es vielmehr um ein mehrere Wissenstypen koordinierendes und insofern grenzüberschreitendes Verfahren der Produktion neuen Wissens.

3 5

Imbus 1988, 356

3 6

Sellner 1980, 183,192

3 7

Breuer 1978, 829, 834

3 8

Vgl. dazu allg. Lerche 1981, 18

4. Von der gesetzesabhängigen zur methodenabhängigen Wissenserzeugung

151

4. Von der gesetzesabhängigen zur methodenabhängigen Wissenserzeugung Das Problem der Bildung von Vertrauen kann durch interaktive schrittweise Prozeduralisierungen und institutionelle Grenzüberschreitungen und die daraus möglicherweise resultierende Konventionsbildung schrittweise abgespannt werden. Auch hier zeigt sich eine Erscheinungsform des Verlusts der hierarchischen Ordnungsbildung, deren Stelle nicht durch die Funktionserweiterung einer der an der Wissensbildung bisher beteiligten Komponenten eingenommen werden kann. Vielmehr bleibt nur die Möglichkeit der heterarchisch-horizontalen Abstimmung von Kollisions- und Kooperationsregeln, die auf eine paradoxe Form der Selbstprogrammierung durch "Anwendung" unvollständigen Wissens angelegt sind.39 Vor allem die Festlegung der Methoden der Risikobewertung ist von großer Bedeutung; sie kann deshalb keine ausschließlich wissenschaftliche oder technische, aber auch keine ausschließlich normative Bedeutung haben, weil Ergebnisse vom "Design" der Konstruktion und der Wahl der Methode abhängig sind. Dies ist einer der Gründe dafür, daß Risikoberechnungen der Atomtechnologie auf Mißtrauen stoßen.40 Deren Hauptproblem hat vor allem darin bestanden, daß Ungewißheit nicht angemessen berücksichtigt worden ist. 41 Es können durchaus gute Argumente dafür sprechen, Ungewißheit durch subjektive Wahrscheinlichkeiten als Ausdruck für partielle Vermutungen von Experten einzusetzen, vor allem im Hinblick darauf, daß dies das beste verfügbare Wissen sein kann und das Operieren mit diesem Teilwissen durch Kopplung mit methodisch ausgearbeiteten Beobachtungspflichten entsprechend der zu bestimmenden Sensitivität zwischen Variablen für die Verbesserung der Wissensbestände dort genutzt werden kann, wo die Erfahrung keine Anschlußmöglichkeiten mehr eröffnet. Dies ist aber nicht durch einfache "Rezeption" wissenschaftlichen Wissens in das Risikomanagement möglich, sondern es bedarf einer besonderen grenzüberschreitenden interaktiven Technik der Nutzung von Expertenwissen.42 Ggf. ist es erforderlich, mehrere Methoden nebeneinander zu benutzen und eine davon zur Beobachtung und Kontrolle der Fruchtbarkeit der Sensitivität der anderen mitlaufen zu lassen.43 Wegen der darin zum Ausdruck kommenden Akzentverlagerung zur generativen Seite der gesellschaftlichen Wissensbestände ist es dann auch möglich, Teilentscheidungen in der Erwartung der Verbesserung des Risikowissens durch Risikoentscheidungen einzusetzen. 3 9

Imbus 1988,365

4 0

Cooke 1991, 28; ders. 1982, 329 ff.; Thompson 1984,571

41

Thompson 1986,59 ff.

4 2

Schmidt-Bleek 1988, 308 ff.; Harwell u.a. 1992, 462; Lewis 1980, 33 ff.; Otway/v. Winterfeldt 1992, 83 ff.; Keeny/v. Winterfeldt 1991,191 ff. 43

Seifrin 1992, 569; Paustenbach 1989, 391; Imbus 1988, 365

152

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

Vor allem im Bereich der Risiken für den Naturhaushalt (aber auch darüber hinaus) läßt sich die Vermutung aufstellen, daß die Erzeugung experimentellen Wissens mit Methoden und Algorithmen der Relationierung von Anschlußmöglichkeiten ein prozedurales Analogon zu klassischen großen Theorien wie dem Kausalitätsmodell und seinen Ableitungen bilden könnte, jedenfalls soweit ein besseres Modell nicht verfügbar ist. 44 Vor allem aber muß eine Methode der interaktiven Generierung wissenschaftlichen Wissens für private und öffentliche Risikoentscheidungen auf den Prozeß der Ablösung von deduktiv-analytischen Strukturmodellen und ihrer kontinuierlichen Weiterentwicklung von Fall zu Fall durch ein neues Ordnungsmodell eingestellt werden; die Generativität der Relationierungsmuster von Informationen, die in "überlappenden Netzwerken" von Anschlußzwängen und -möglichkeiten distribuiert sind, ist nicht mehr in klassischen Modellen abbildbar, sie bleibt jenseits gewisser Komplexitätsgrenzen an einen kollektiven Prozeß und die darüber erzeugten emergenten Effekte innerhalb der interorganisationalen Netzwerke gebunden. Die individuelle Entscheidung hatte das über eine Vielzahl von Marktteilnehmern distribuierte Wissen aggregieren können und punktuelle Variationen unter der Geltung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten erzeugen können. Dies war die besondere Rationalität des Marktes und der Gesellschaft der Individuen, die auf diese Weise die Nutzung distribuierten, nirgendwo zentral verfügbaren Wissens zuließ: Dieses Modell wird nunmehr überlagert durch die Relationierungsmuster, die in interorganisationalen Netzwerken strategisch erzeugt werden und eine weitaus stärkere Mobilisierung der Wissensbestände über die Verschleifung von Regel- und Regelanwendung und interaktive Abstimmungsprozesse erzeugen. Dieses Problem ist nicht nur eine Erscheinungsform der "Pluralisierung" der Kultur, der Fragmentierung in unterschiedliche Interpretationsgemeinschaften 45, vielmehr nimmt das für die Entscheidung unter Unentscheidbarkeitsbedingungen erforderliche "gemeinsame Wissen" immer stärker eine Produktionsorientierung an und wird damit von der proaktiven Modellkonstruktion und dem multiplen Prozessieren und Experimentieren mit einer Kombinatorik von Möglichkeiten abhängig. Dies ist ein Grund dafür, daß das Verfahren der "Extrapolation" wissenschaftlichen Wissens für Entscheidungsverfahren von so grundlegender Bedeutung ist. Für dieses aktiv-konstruktive (und nicht nur kommunikative) Moment der Wissenserzeugung und seiner Modellierung für praktische Entscheidungen unter Ungewißheitsbedingungen muß eine kooperative Methode gefunden werden, die der interorganisationalen Netzwerkstruktur und der darin enthaltenen Komponente der Konstruktion und Projektion angepaßt ist. 4 4

Nichols/Zeckhauser 1988, 72; Dowlatabadi/Morgan 1993,1813; 1932; vgl. auch Morgan 1993, 24

4 5

Vgl. dazu auch J. Simon 1993, 23 ff.

ff.

4. Von der gesetzesabhängigen zur methodenabhängigen Wissenserzeugung

153

Der Akzent ist in der hier eingenommenen Perspektive, wie erwähnt, bei der Produktivität der Wissen generierenden interorganisationalen Netzwerke der Technik, der Wissenschaft, der Unternehmen, der Verwaltung etc. zu setzen. Das so charakterisierte Wissen ist nicht in kommunizierbare semantische Einheiten aufzulösen, die von Experten auf die Verwaltung oder private Unternehmen zu übertragen wären. Dem Extrapolieren von und dem Operieren mit unvollständigem, an ein Netzwerk und seine Kombinatorik gebundenen Wissen liegt immer selbst ein nicht hintergehbares Moment strategischen Entscheidens und des Konstruierens und Modellierens neuer Möglichkeiten zugrunde, das nur durch eine adaptiv-evolutionäre, auf Selbstmodifikation und Selbstreflexion angelegte Institutionalisierung einer "Technologie" der Generierung komplexen Wissens abgespannt, nicht aber aufgelöst werden kann. Vor allem im Bereich der Ökosystemforschung erfolgt die Modellbildung auf der Grundlage "brauchbarer" Ignoranz, deren Folgen durch Bereithalten größerer Resilienz in Grenzen gehalten werden kann. Ein Beitrag zur Gewährleistung flexibler Erwartungsstrukturen 46 im Angesicht der paradoxen Notwendigkeit, mit dem Unerwarteten zu kalkulieren, muß durch grenzüberschreitende strukturelle Kopplung zwischen den Wissen generierenden und verarbeitenden Netzwerken geleistet werden. Das Wissen des technologischen und des Wissenschaftssystems ist selbst nicht mehr durch eine implizite Übereinstimmung mit dem Kausalmodell anschlußfähig für praktisches Entscheiden, es muß von expliziten prozeduralen Übersetzungsregeln und Kollisionsnormen erst auf die Wahrnehmungsmuster der Verwaltung und der Unternehmen abgestimmt werden, bevor es dort "anwendbar" wird, weil eben die Kooperation nach dem Zerfall der klassischen, Wissen organisierenden Paradigmen und dem durch sie gestuften festen Koordinatensystem für die kontinuierliche Bildung neuen Wissens ihre eigenen Regeln innerhalb eines plural gewordenen Optionenraums selbst erzeugen und durch Ausprobieren provisorisch bestätigen muß. Das hier skizzierte Wissensmodell unterstellt zugleich, daß die "Rezeption" wissenschaftlichen Wissens in privaten und öffentlichen Entscheidungsverfahren immer deren Bindung an einen "unpersönlichen" organisationalen Zusammenhang, über den es generiert wird, in Rechnung stellen muß: Es handelt sich um ein kollektives distribuiertes Wissen, das durch "überlappende Nachbarschaften" 47, z.B. der Wissenschaft, zusammengehalten wird; deren Festlegung auf einen "Stand der Wissenschaft" (oder der wissenschaftlichen Erkenntnisse) ist nur durch die Übernahme von Erwartungen möglich, die in anderen Netzwerken (der Verwaltung, der Unternehmen) entstehen. Umgekehrt ist diese Übernahme nur vertretbar, wenn sie in der Verwaltung und in Japp 1992, 43; Morgan 1993, 24 ff.; vgl. Spiewak/Weinberg, die den geringen Alternativenreichtum etwa der Entwickung der Atomtechnologie beklagen. 4 7

Polanyi 1966, 72

154

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

der Produktionsindustrie durch einen von eigenen Anschlußzwängen begrenzten Einbau eines Selbstbeobachtungsmechanismus kompensiert wird, über den systematisch nach vorformulierten Suchkriterien neues Wissen aus dem Operieren mit Entscheidungsmodellen gewonnen und in diese zurückgeführt wird. Das Versuch-Irrtums-Verfahren war an die Geltung des Kausalitätsmodells und die Kontinuität der Erfahrung des implizit bleibenden Lernens aus Irrtümern gebunden. Unter den Bedingungen interorganisationaler Modellbildung auf unvollständiger Wissensgrundlage sind aber die traditionellen Rechtsgüter und Präferenzen der Individuen auch als Indikatoren von Umweltrisiken nicht mehr ausreichend und können den institutionalisierten Stopp-Regeln, die die Wissensanwendung strukturieren, keinen Erwartungshalt geben. Lernen muß deshalb explizit und systematisch, vor allem aber proaktiv werden, d.h. es muß durch Modellbildung einen eigenen Möglichkeitsraum entwerfen, ohne dabei auf Stopp-Regeln verzichten zu können, weil Information potentiell unendlich lange gesucht werden kann. Da das so organisierte Wissen auch öffentlich nicht mehr ohne weiteres und vor allem nicht allen zugänglich ist dies gilt sowohl für die Verwaltung wie die nicht-institutionalisierte öffentliche Meinungsbildung -, muß auch in dieser Hinsicht systematisch für ganz unterschiedliche grenzüberschreitende strukturelle Kopplungen48 gesorgt werden. Das durch Selbstbeobachtung der Unternehmen erzeugte Wissen muß so in der einen oder anderen Form systematisch wieder der institutionalisierten wie der nicht-institutionalisierten Öffendichkeit zugeführt und für die Revision der Modellbildung benutzt werden. Erleichtert wird eine solche komplexe Strategie, die ihren eigenen Optionsraum in einer prozeduralen Rationalität zweiter Ordnung mitgestalten muß, durch die Entwicklung einer Informationstechnologie, die die Sammlung großer Datenmengen und das Abtasten nach "passenden" oder möglichen Szenarien und deren Durchspielen erlaubt.49 Daraus ist zugleich ein Ansatzpunkt für die horizontal-heterarchische Koordination der beteiligten Netzwerke zu gewinnen, die schnelle Algorithmen- und Musterbildung innerhalb stochastischer Wissensbildungsprozesse und damit die Umstellung auf eine Flexibilität ermöglicht, die ihre eigenen Stopp-Regeln mit generieren muß. 50 Nur durch institutionalisierte Formen der Grenzüberschreitung, die die implizite Koordinationsfunktion der Erfahrung durch explizite, organisationale, wechselperspektivische Verschränkung ökonomischer, technisch-wissenschaftlicher und ökologischer Gesichtspunkte remodellieren, wird es möglich, eine neue Konvention zu finden, die Kontinuität und Flexibilität der gesell-

4 8

Vgl. Varela 1987, 216; Luhmann 1991, 108 ff.; Teubner 1989, 100

4 9

Vgl. Morowitz 1989, 178

5 0

Serafin u.a. 1992,271

4. Von der gesetzesabhängigen zur methodenabhängigen Wissenserzeugung

155

schaftlichen Muster der Wissensgenerierung erhält. 51 Andernfalls muß ein Desorientierungseffekt eintreten, der sich entweder darin niederschlagen wird, daß die umweltrechtliche Regulierung wirtschaftlichen Verhaltens resigniert (oder sich in Scheinerfolgen erschöpft) oder die wirtschaftlich-technische Entwicklung sich wegen der Unberechenbarkeit der Umweltanforderungen einerseits und dem hohen Innovationsdruck andererseits in Geheimstrategien flüchtet 52, die mehr oder weniger vollendete Fakten schaffen, aber eine öffentliche Kontrolle kaum noch zulassen. Dann entsteht das Risiko, daß interorganisationales Lernen mit dem Ziel organisiert wird, das eigene Lernen zu vermeiden und den Zwang zum Lernen anderer zu steigern. Unter Kooperationsbedingungen ist diese Strategie der Lernverweigerung häufig zu beobachten. Die Erfahrung hatte die Koordinationsfunktion (intern und extern) implizit erfüllen können, unter den beschriebenen Bedingungen der Komplexität muß aber die Erhaltung von Lernfähigkeit ebenfalls explizit organisiert werden. Es bedarf einer längerfristigen strategischen Abstimmung, die Lernen unter Ungewißheitsbedingungen ermöglicht. Dabei spielt auch ein Gesichtspunkt eine Rolle, auf den noch genauer einzugehen sein wird, nämlich das Risiko inkonsistenter administrativer Risikovorsorge, die ohne erkennbare übergreifende strategische Konzeption das eine Risiko aufwendig bekämpft und ein anderes zwangsläufig wegen der Selektivität öffentlicher Aufmerksamkeit vernachlässigt. Dies ist nicht nur rechtsstaatlich bedenklich und auch im Hinblick auf die Gleichbehandlung problematisch, sondern beeinträchtigt auch die Möglichkeit zur Formulierung von Suchstrategien, deren ohnehin großes Orientierungsproblem deshalb noch verschärft wird, weil der Markt für Umweltschutzgüter weitgehend vom Staat bestimmt wird. 53 Auch die Akzentuierung der Erhaltung von Lernfähigkeit zeigt, daß und warum die strukturelle Kopplung zwischen Wissenschaft, Technik, Verwaltung, Staat und Unternehmen erforderlich ist: Letztlich geht es um eine Stimulierung der Produktivität der Wissensbasis auch für Zwecke des Umweltschutzes. Dieses Ziel kann aber durch Ge- und Verbote allein nicht nur nicht gewährleistet werden, sondern durch falsche Akzentsetzungen gelähmt werden, wenn ein Teufelskreis der Überregelung entsteht54, weil das Wirtschafts- und Techniksystem nicht genügend flexibel ist. Die Entwicklung proaktiver Umweltschutzstrategien wird durch rigide administrative Regulierungen nur weiter gelähmt. Ohne ein neues Paradigma der Abstimmung ökologischer, technischer und ökonomischer Perspektiven wird das Umweltrecht schnell an Komplexitätsgrenzen stoßen, weil sich Selbstblockierungsmechanismen entwickeln, wenn nicht ein neues "gemeinsames Wissen" konventionalisiert wird, über das die

51

Harwell u.a. 1992,463

5 2

Smithson 1989, 253

53

Vgl. Stewart 1981,1257 ff.

5 4

Vgl. allg. Latin 1988, 89,103,141

156

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

Erwartungsbildung koordiniert werden kann.55 Diese Kopplungserfordernisse und ihre Veränderung lassen sich im Umweltrecht ebenso an der Herausbildung technischer DIN-Normen beobachten56, die bei der Konkretisierung von Rechtsbegriffen zugrunde gelegt werden, weil der Mechanimus spontaner Erfahrungsbildung nicht mehr funktioniert. (Eine Parallele zeigt sich im Zivilrecht, wo der Begriff der "im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" mangels eines "gemeinsamen Wissens" seine Rolle als Generierungsmuster für konkrete Vèr/10/te/wpflichten mindestens partiell nicht mehr erfüllt und deshalb durch Verfahrens- und Organisationsregeln "zweiter Ordnung" ergänzt werden muß). 5. Zu einem iterativen Verfahren der Kooperation um Wissenschaft und Verwaltung Methodisch wird die Gefahren- und Risikoanalyse sowie die Analyse der Schutzvorkehrungen und des Risikomanagements in Deutschland von der "Deterministik" beherrscht, d.h. die Bewertung orientiert sich an einem traditionellen Maßnahmekonzept, das "denkbare Ursachenketten" für Störfälle und die Effizienz von Schutzvorkehrungen verbindet. 57 Der Probabilistik, die mit sehr unterschiedlichen Methoden, vor allem mit subjektiven Wahrscheinlichkeitsannahmen von Experten für denkbare Szenarien, operiert, wird dagegen nur eine ergänzende Rolle zugewiesen: Die Probabilistik befriedige das "rechtliche Konkretisierungsbedürfnis" nicht ausreichend, weil die Festlegung einer "Grenzzahl" zu willkürlich sei.58 Zwar ist einzuräumen, daß eine an deterministischen Maßnahmen orientierte Betrachtungsweise, die eine qualitative Beurteilung anhand von Alternativen (gefährlich/nicht gefährlich) zu formulieren sucht, gerade dadurch den Anschluß an ein das klassische Polizeirecht prägendes Erfahrungswissen und seine strukturbildende Leistung zu halten sucht. Bei näherem Hinsehen zeigt sich zwar, daß die zahlenmäßigen Festlegungen der Probabilistik tatsächlich nicht frei von Willkür sind.59 Der entscheidende Vorteil, den diese formale Methode bietet, besteht aber gerade darin, daß nicht mehr eine punktuelle Ja-/Nein-Entscheidung und das dafür erforderliche Wissen angestrebt wird, sondern Ungewißheiten komplexer 5 5

Harwell u.a. 1992, 463

5 6

Vgl. zu ihrer rechtlichen Bedeutung nur BVerwGE 81, 197, 203 f.; BVerwG, UPR 1993, 392 f.; vgl. allg. Lübbe-Wolff 1991, 233; zur Bedeutung im Zivilrecht vgl. Brüggemeier 1986, Rnr. 546 ff., 814 ff. 5 7

Vgl. nur Breuer 1978, 829, 834; vgl. zur ergänzenden Berücksichtigung der "Probabilistik" ders. 1990, 221; 1994, 157 ff.; vgl. auch BVerwG, NVwZ 1989, 1169 (THTR); in den Niederlanden wird der Probabilistik offenbar eine größere Bedeutung beigemessen, vgl. Otway/v. Winterfeldt 1992, 89 5 8

Breuer 1978, 834

5 9

Vgl. nur Lewis 1980, 33; Cooke 1982, 329 ff.; Ahearne 1983, 355 ff.

5. Iteratives Verfahren der Kooperation um Wissenschaft und Verwaltung

157

Technologien besser ausgedrückt werden können und vor allem durch Rückkopplung von Modellbildung und praktischer Erfahrung der systematische Einbau von Selbstrevisionsfähigkeit möglich wird. Wie oben erwähnt, kommt es häufig nicht auf die statistische Bedeutung der erhobenen Schätzwerte an, sondern vielmehr auf die Sensitivität von Relationen für Veränderungen. Gerade bei Sicherheitsstudien über amerikanische Atomreaktoren hat sich gezeigt, daß das Hauptproblem bei der Risikoabschätzung (und der Grund für die teilweise starke öffentliche Abneigung) in der mangelnden Dokumentation und Verarbeitung von Ungewißheiten besteht. Die Deterministik kann jedenfalls dann, wenn sie dominiert, falsche Sicherheitserwartungen wecken, weil sie stark die Verfügbarkeit von Technologien und ihren Realisierungsaufwand akzentuiert.60 Das kann dazu führen, daß gegen manche Risiken in unangemessener Weise Vorsorge getroffen wird, während auch bedeutsame Risiken ignoriert werden.61 Das zeigt sich vor allem bei den "Sicherheitszuschlägen": Gerade unter Ungewißheitsbedingungen besteht das Risiko der Unter- wie der Überschätzung von Risiken, weil der "Standard der praktischen Vernunft" das verfügbare Wissen und die daraus zu generierenden Maßnahmen unter Vernachlässigung von Ungewißheit und der Generierung künftigen Wissens überbewertet. Quantitative Risikobewertungen haben den Vorzug, daß sie - wenn man ihren konstruktiven, nicht wirklichkeitsabhängigen Charakter akzeptiert - die adaptive Modellbildung zulassen, die die Beobachtung von Praxis und das Durchspielen neuer Möglichkeiten für die Generierung von Informationen benutzt.62 Andererseits ist so die Bewertung nach mehreren Modellen möglich 63 , die methodisch deshalb vorzuziehen ist, weil nur durch offenes experimentelles Operieren mit einer Pluralität von Konstruktionen die Pluralität der Möglichkeitsräume ausgeschöpft werden kann. Methoden dürfen nicht so angelegt sein, daß sie den Schein der Objektivität erzeugen - im Gegenteil: Sie können unterschiedliche Berechnungsmöglichkeiten parallel laufen lassen und Ungewißheit besser ausweisen. Bei der Generierung von Expertenwissen (insbesondere für quantitative Risikoanalysen)64 kommt es darauf an, das Verfahren genauer in einzelne Schritte auszudifferenzieren, die der Konkretisierung unterschiedlicher Formen der Kooperation von Wissenschaft und Technik, Unternehmen und Verwaltung etc. dienen. Die Notwendigkeit, das Verfahren der "Extrapolation" und Modellierung von Expertenwissen genauer, und zwar getrennt von der Rezeption einzelner 6 0

Nichols/Zeckhauser 1988, 61, 65

6 1 Vgl. zur Notwendigkeit einer Dynamisierung der Technikbewertung Collingridge 1982 6 2

Serafin u.a. 1992, 271; Seifrin 1992, 569

6 3

Imbus 1988, 356, 365; Smithson 1989, 232; Paustenbach 1989, 391; Cooke 1991,18

6 4

Vgl. krit. zum Verfahren Burmaster/Lehr 1991, 6 ff.

158

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

Wissenselemente, festzulegen, ergibt sich daraus, daß das wissenschaftliche Wissen nicht unbearbeitet in die administrative Entscheidungsfindung übernommen werden kann, weil der gemeinsame Bezugsrahmen, das gemeinsame Wissen, nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Es ist zunächst ein methodischer Rahmen zu entwickeln65, der seinen Charakter als Konstruktionsmodell zweiter Ordnung explizit offenlegt, d.h. der nicht den Anspruch erhebt, wissenschaftliche Informationen zu "sammeln" und zu einem Abbild der Wirklichkeit als Grundlage normativen Entscheidens machen zu können. Der Experte wird nicht mehr als Repräsentant eines allgemeinen, in einer Disziplin verfügbaren Wissens konsultiert 66, vielmehr geht es darum, das über die Disziplin und ihre "überlappenden Netzwerke" zerstreute, unpersönliche heterogene Teilwissen als "Gruppenwissen" zu betrachten, das selbst durch die Modellbildung für das Entscheidungsverfahren erst konturiert werden muß und seine Operationen mitreflektiert. 67 Diese Notwendigkeit wird noch dadurch verstärkt, daß das unter Ungewißheitsbedingungen modellierte Expertenwissen seinerseits zu einem erheblichen Anteil aus subjektiv konstruierten Annahmen besteht, die dadurch jedoch nicht ihren Wert für praktische Entscheidungsverfahren einbüßen. Sie erhalten aber durch die Formalisierung zum Zwecke der Generierung von "Gruppenwahrscheinlichkeiten" 68, die so nicht auf einzelne "repräsentative" Auffassungen reduzierbar oder gar mit der Wirklichkeit gleichzusetzen sind, nicht den Charakter einer objektiven Größe. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch die rechtsdogmatische Problemkonstruktion eine neue Bedeutung: Sie muß ihre Konstruktionsformen bereithalten, damit die subjektiv gewordenen Verfahren der Wissensgenerierung und prozessierung explizit und ihrerseits beobachtbar werden können. Dabei kann es eben nicht um die Rezeption wissenschaftlicher Positionen in einem Entscheidungsprozeß gehen - dies wäre eine Annahme, der die Vorstellung einer Selbstaufklärung von Wissenschaftlern zugrunde liegt -, sondern es muß schon auf einer früheren Stufe der Entscheidungsfindung eine Methode der abgestuften Kooperation mit Experten definiert werden, die mit den Anschlußzwängen und -möglichkeiten des administrativen (bzw. des ökonomischen) Systems rechnet und sie auf die möglichen Leistungen von Experten für das Entscheidungsverfahren mit Hilfe von Kollisions- und Übersetzungsregeln abzustimmen sucht. Die methodologischen Schritte, die einer variablen, auf Veränderung angelegten Bestimmung des für Entscheidungen brauchbaren "gemeinsamen Wissens" dienen, sollten von selbst wissenschaft-

6 5

Keeny/v. Winterfeldt 1991, 191 ff.

6 6

Keeny/v. Winterfeldt 1991, 191 ff.; v. Winterfeldt/Edwards 1986, 112; vgl. auch Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1992,400 ff. 6 7

Cooke 1991, 18

6 8

v. Winterfeldt/Edwards 1986, 133

5. Iteratives Verfahren der Kooperation um Wissenschaft und Verwaltung

159

lieh gebildeten Vermittlern formuliert werden 69, die aber ihrerseits nicht an der Risikobewertung teilnehmen, sondern die Festlegung des die kontrollierte Grenzüberschreitung ermöglichenden Bezugsrahmens zur Aufgabe haben. Sie müßten in Kooperation mit der Verwaltung (bzw. Unternehmen) die zu klärenden Fragen bestimmen und sich dabei der Hilfe sowohl der Wissenschaft wie der beteiligten Praktiker bedienen. Dabei wäre den Experten nahezulegen, Ungewißheit nicht zu unterdrücken oder in allgemeinen Berechnungen zu verbergen, andererseits sollten durchaus Werturteile auch der Wissenschaftler (ist das Risiko "vertretbar"?) erwartet werden, deren Charakterisierung allerdings wiederum offenzulegen wäre. 70 Die Experten sollten auch ermuntert werden, ihre methodischen Annahmen zu nennen, damit die Kontrolle durch Dritte möglich wird. Es müßte darauf geachtet werden, daß kein Zwang erzeugt wird, sich dort wissenschaftlich festzulegen, wo meta-wissenschaftliche Voraussetzungen der Bewertung unvermeidlich sind. Die Auswahl von Experten sollte so erfolgen, daß unterschiedliche Positionen zur Geltung kommen71, aber eine gewisse Kooperationsbereitschaft auch bei Meinungsverschiedenheiten erwartet werden kann. Der Analyserahmen sollte in einem zweiten Schritt mit den Wissenschaftlern abgestimmt werden. Dabei wäre darauf zu achten, daß Meinungsverschiedenheiten die Entscheidungsorientierung nicht gefährden, daß sie jedenfalls bei grundlegenden Technologiebewertungen möglichst nicht vorab "bereinigt" werden, sondern ggf. in einem möglichst auf Kooperation und Vergleich angelegten "Design" eine Alternative zur primären Untersuchungsmethode festgelegt wird. Die Festlegung des Untersuchungsrahmens, der auch insgesamt von allen beteiligten Wissenschaftlern akzeptiert werden sollte, wäre zu dokumentieren. Die Experten sollten dabei verpflichtet werden, vorrangig die für die Berechnung entscheidenden Relationierungen zwischen Variablen zu untersuchen und diese so zu akzentuieren, daß die Ergebnisse "lesbar" und kontrollierbar sind. Dabei wäre eine Dekomponierung der subjektiven Wahrscheinlichkeitsurteile von Experten im Hinblick auf verschiedene Varianten von Ereignissen zu versuchen.72 Sodann wären Berechnungen von Experten so zu aggregieren, daß die sich ergebenden Wahrscheinlichkeitsverteilungen vergleichbar werden, und schließlich wären sie zu integrieren in eine Gesamtverteilung der Wahrscheinlichkeiten im Hinblick auf die untersuchten Probleme. Dabei 6 9

vgl. nur Otway/v. Winterfeldt 1992, 83 ff.; vgl. zur Rolle des Vermittlers in - im allg. aber anders gelagerten Fällen von - Umweltkonflikten Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hg.) 1990; Holznagel 1990 7 0 Otway/v. Winterfeldt 1992, 85 ff.; vgl. dazu auch Funtowicz/Ravetz 1992, 95; vgl. auch Wynne 1992, 278, 281 71 Vgl. zu dieser Frage unter rechtlichen Gesichtspunkten BVerwG, UPR 1993, 391 f., danach ist die Pluralisierung von Gremien, die Grenzwerte u.ä. festsetzen, nicht erforderlich; vgl. allg. Denninger 1990; Hohm 1990,132,214 f. 7 2

Otway/v. Winterfeld 1992, 87

160

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

sollte eine Ausdifferenzierung so vorgenommen werden, daß die Revision aufgrund nachträglicher Beobachtung möglich wird. Alle Teilschritte wären so zu dokumentieren, daß die Kontrolle durch Dritte nicht nur theoretisch möglich ist, sondern durch die Offenlegung der methodischen Arbeitsschritte erleichtert wird. Bei dieser Vorgehensweise würde Ungewißheit von der kognitiven Seite eher noch erhöht, aber zugleich würde die Beobachtungsfähigkeit von Entscheidungssystemen gesteigert, wenn auch die Dokumentation der aufgrund der Entscheidung sich entwickelnden Betriebspraxis darauf abgestimmt würde. 73 Diese Vorgehensweise wird ganz oder teilweise in einzelnen Ländern und bei einzelnen Technologien schon praktiziert. 74 In einer theoretischen Perspektive kommt es aber darauf an, dieses Vorgehen durch Verfahrensregeln ob durch Gesetz oder Verwaltungsvorschriften kann hier dahingestellt bleiben75 - allgemein verbindlich zu machen, damit Lernfähigkeit, auch im Hinblick auf die Regeln selbst, geschaffen wird. Vor allem die Verallgemeinerung und Verfeinerung von Methoden und Verfahren der Risikoanalyse und bewertung wäre Aufgabe des Rechts, da es in einer so verstandenen prozeduralen Rationalität ein funktionales Äquivalent zu der systematischen Rationalität des Kausalitätsmodells und seiner Integrationsleistung liefern könnte. Hier müßte der Akzent bei der Weiterentwicklung der rechtlichen Steuerung der Risikobewertung gesetzt werden. Das nötige Vertrauen kann nicht durch immer umfangreichere Untersuchungen geschaffen werden, die die "metawissenschaftlichen" Fragen mehr oder weniger vernachlässigen, sondern eher durch eine Prozeduralisierung, die ein praktisches Operieren aufgrund "brauchbarer Ignoranz" ermöglicht. Zugleich müßten Versuche zur Vereinheitlichung von Methoden der Risikobewertung gefördert werden, mit deren Hilfe auch der systematische Einbau von Selbstbeobachtung und der Rückkopplung von Praxiserfahrungen in die Bewertung ermöglicht und Lernfähigkeit der Technik und ihrer Kontrolle gesteigert werden könnte. Das spontane Lernen, das früher durch dezentrale Technikorganisation gewährleistet worden ist, muß unter veränderten Bedingungen explizit organisiert werden. In der Angewiesenheit auf formale, nicht an Erfahrung gebundene Risikobewertungen liegt, wie betont, selbst ein Risiko, aber andererseits ist auch die Lernfähigkeit der Technik im Vergleich zu früheren Epochen viel größer, da ihre Entwicklung nicht mehr über festgelegte Trajektorien langfristig erfolgt, sondern sehr viel mehr Anschlußmöglichkeiten eröffnet. Auch die Fähigkeit zur Sammlung und Verarbeitung großer Datenmengen durch systematische 7 3

Vgl. Ladeur 1993a, 121 ff.

7 4

Vgl. zu Ansätzen einer methodischen Vereinheitlichung der Risikobewertung Kürten 1993; vgl. zur Formalisierung von Entscheidungen unter Teilwissen auch Rios Insua 1992, 83; Nau 1989, 375 7 5 Vgl. zum Problem der "Standardisierung" von Grenzwerten durch Verwaltungsvorschriften nur Breuer UTR 1989,43, 55 ff., 64 ff.; Di Fabio 1992, 1338; Hill 1989, 401 ff.; insb. zum Verfahren Wahl 1991,409 ff.; BVerwGE 72, 300, 315 ff.

6. Sonderfälle der Risikobewertung, insbesondere die Stoffkontrolle

161

Entwicklung von Methoden ihrer Interpretation und der Modellierung kann zur Flexibilisierung von Erwartungen und damit zur Steigerung von Resilienz beitragen. Unter Komplexitätsbedingungen kann Ungewißheit nicht vermieden, aber durch Steigerung der Flexibilität von Entscheidungssystemen "haltbar" gemacht werden. 6. Sonderfälle der Risikobewertung, insbesondere die Stoffkontrolle Das oben beschriebene Modell der Risikobewertung unter Ungewißheitsbedingungen ist zunächst nur geeignet für die Analyse von Großtechnologien (Atomtechnologie, Chemiefabriken und ähnliche Produktionsformen). Für Risiken mittlerer Größenordnung, vor allem für die Bewältigung des "Entscheidungsflusses", der durch die Erfordernisse der Stoffkontrolle ausgelöst wird, wäre es in der beschriebenen aufwendigen Form unverhältnismäßig und zu schwerfällig. Dennoch läßt sich daraus ein Prinzip auch für solche Risiken entwickeln: Die Bewertung komplexer Risiken, die mit der Beschleunigung der technischen Entwicklung einhergehen, ist nur durch Umstellung der Perspektive von der Voraussage des "Verhaltens" technischer Anlagen auf die Prozeduralisierung der Modellbildung und Modellbeobachtung unter Ungewißheitsbedingungen möglich. Dazu ist die systematische Erzeugung von Lernfähigkeit in und zwischen technischen Systemen durch Verbesserung des Informationsaustauschs und der Beobachtung von Schwachstellen erforderlich, aus der die Behörde ständig neue Informationen zu gewinnen versuchen müßte, welche ihrerseits nur durch methodisch informierte und über Informationssysteme zu bewältigende Datenanalyse interpretierbar sind.76 Die Beschreibbarkeit von Risiken des Normalbetriebs von Anlagen (Emissionen) oder von Chemikalien und anderen Stoffen mit mehr oder weniger unbekannten Eigenschaften und Verwendungszusammenhängen wird dadurch beeinträchtigt, daß hier die systematische Einschließung in eine technische "Mikro-Welt" 77 von vornherein nicht möglich ist. Aber auch hier kann das Prinzip der Umstellung auf eine Prozeduralisierung der Risikobewertung durch methodisch reflektierte, über Kooperationsregeln gesteuerte Modellbildung aufgrund von Expertenwissen (neben der durchaus die traditionelle Gefahrenabwehr erhalten bleibt!), wenngleich mit Abwandlungen, fruchtbar sein: Der Versuch, nach dem Vorbild der Gefahrenabwehr, Voraussagen über die Risiken von Stoffen durch Festlegung bestimmter Testverfahren etc. (ChemG, PflSchG etc.) zu machen, erscheint nur begrenzt sinnvoll, da die Menge der möglicherweise relevanten Informationen potentiell unendlich

7 6

Vgl. Ladeur 1993a, 121 ff. m.w.N.

7 7

Rasmussen 1991, 248 f.; Luhmann 1991, 97 f.

11 Ladeur

162

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

ist. 78 Auch hier zeigt sich wieder ein Folgeproblem des gestörten Ineinandergreifens der verschiedenen Aspekte des Gefahrenbegriffs: Wenn das "Rechtsgut" so umfassend formuliert wird wie im ChemG oder im PflSchG (§ 3a Abs. 2: Eignung von Stoffen, "die Beschaffenheit des Naturhaushalts" und sogar von "Mikro-Organismen derart zu verändern, daß dadurch sofort oder später Gefahren für die Umwelt herbeigeführt werden können", oder §§ 1 Z.4, 15 Abs. 1 Z.4 PflSchG: Schutz vor "Gefahren für den Naturhaushalt", Schutz vor "sonstigen Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt ..., die nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht vertretbar sind" 79 ; ähnlich § 1 Z.l GenTG, § 16 Abs. 1 Z.3: Schutz der "sonstige(n) Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge" vor "schädlichen Einwirkungen", die "nach dem Stand der Wissenschaft im Verhältnis zum Zweck der Freisetzung" unvertretbar sind80), wird deutlich, daß nicht nur die Ursache-Wirkungs-Beziehungen diffus werden, sondern das "Rechtsgut" selbst und seine Schutzwürdigkeit durch Verfahren, und zwar nicht nur in seinem Randbereich, definiert werden muß. Insbesondere im ChemG ist die Stoffprüfung zunächst auf bestimmte Kriterien und standardisierte Verfahren festgelegt (vgl. §§ 7 ff. ChemG und Prüfnachweis VO vom 17.7.1990). Im übrigen ist die Auferlegung von "Zusatzprüfungen" (§ 9 ff.) allgemein an die "bisherigen Kenntnisse" über den Stoff gebunden, in zweiter Linie sind spezifische Prüfungen dann erforderlich, wenn "Anhaltspunkte, insbesondere ein nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse begründeter Verdacht" besteht, daß der Stoff gefährlich ist. Hier zeigt sich das Dilemma der Risikobewertung, wie sie im Gentechnikrecht erstmalig im Umweltrecht ausdrücklich zur Aufgabe des Antragstellers selbst erklärt wird .(§ 6 GenTG) und nicht mehr durch das strukturbildende Paradigma der Überschreitung einer von der Erfahrung bestimmten Gefahrengrenze festgelegt ist, sondern in anderen "Anhaltspunkten" Halt suchen muß. Im Gefahrstoffrecht zeigt sich die Auflösung des Kausalitätsmodells auf allen Stufen: Es muß eine Vielzahl von Kausalbeiträgen in Rechnung gestellt werden, die Ursache-Wirkungs-Beziehung wird durch eine Fülle von Vernetzungen diffus, und schließlich ist auch das zu schützende Rechtsgut durch schwer überschaubare "Wechselwirkungen" charakterisiert 81, die die Beschreibbarkeit von schädlichen Veränderungen eher zum Sonderfall machen. Die Entscheidung soll hier in den vor allem von dem Stand der Wissenschaft gelieferten "Anhaltspunkten" für einen Gefahrenverdacht Halt suchen. Wie oben erwähnt, ist aber auch der nach dem "Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse" begründete Verdacht kaum geeignet, ein das Rechtsgut selbst de7 8

Applegate 1991, 261 ff.

7 9

Vgl. BVerwG, NuR 1989, 385; vgl. auch die Beiträge in Rehbinder (Hg.) 1991a

8 0

Vgl. Ladeur 1992b, 254 ff.; Hirsch/Schmidt-Didczuhn 1991, § 16 Rnr. 17 ff., 23 ff.

81

Vgl. auch zu den Anforderungen der Umweltbewertung nach § 2 UVPG und § la der 9. BImSchV

6. Sonderfälle der Risikobewertung, insbesondere die Stoffkontrolle

163

finierendes Testverfahren, und damit eine Prozeduralisierung der beschreibbaren Risiken zu gewährleisten. Gerade die Ökosystemforschung leidet unter einem besonders hohen Maß an Ungewißheit in empirischer, methodischer und theoretischer Hinsicht.82 Daran läßt sich wiederum belegen, daß "die" Wissenschaft, die von der Erfahrung erbrachte, Normen und Faktizität integrierende Leistung nicht ohne weiteres übernehmen kann. Die Ökologie83 hat hier selbst einen zunächst fragmentarischen Charakter und die gesetzliche Verweisung kann hier nur die Selbstverständigungsprobleme einer Wissenschaft in den rechtlichen und administrativen Entscheidungsbereich übernehmen.84 Die Ökologie ist nur in begrenztem Maße in der Lage, jedenfalls soweit es um praktische Bewertungen geht, einen "Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse" zu definieren. Hier kommt noch hinzu, daß die Ökologie, soweit sie praktische Feldforschung betreibt, diese nach eigenen Erkenntniskriterien vornimmt. Praktisch ist sie außerdem in hohem Maße von staatlicher Finanzierung abhängig. Die Grenzen des ökologischen Wissens sind nicht die nicht überschreitbaren Grenzen jeder menschlichen Erkenntnis, sondern es handelt sich um eine Wissenschaft, deren methodische Grundlagen und empirische Wissensbestände nach dem eigenen Selbstverständnis85 so unvollständig sind, daß - anders als etwa sonst bei technischen Risikobewertungen - das Schweigen der Ökologie zu bestimmten Risiken nicht einmal provisorisch eine Vermutung begründen kann, die der Formulierung einer Stopp-Regel dienen könnte. Dies hängt damit zusammen, daß technologische Risikoabschätzungen sich mindestens partiell noch an die Erfahrung durch Analogiebildungen über "subjektive Wahrscheinlichkeiten" anschließen können. Die neuen Komplexitätsphänomene implizieren eine zusätzliche Steigerung der Schwierigkeiten der Wissenserzeugung, die aber in das Kausalitätsmodell teilweise, vor allem aufgrund der Anlagenpraxis selbst, wieder zurückzuübersetzen sind. Der vor "schädlichen Einwirkungen" zu schützende "Naturhaushalt" ist von vornherein ein komplexer, auf Wechselwirkungen aufbauender Begriff, dessen Operationalisierung durch die Ökologie als Wissenschaft jedenfalls in der hier einschlägigen Hinsicht nur in sehr begrenztem Maße auf verfügbare Wissensbestände zurückgreifen kann. Ökologie als Wissenschaft ist überdies in weitaus höherem Maße als andere empirisch orientierte Wissenschaften auf die Festlegung von Schwerpunkten und Methoden der Forschung angewiesen86, da sie als Wissenschaft von der Komplexität konstitu-

8 2

Vgl. Harwell u.a. 1992, 451 ff.; Sharpies 1991, 18, 28; Deatherage 1987, 203, 210; Rapport 1989,

120 Dies hat der BayVGH, NuR 1980, 25 verkannt, wenn er meint, die Erkenntnisse der Ökologie könnten hier rezipiert werden; vgl. zum Begriff des Naturhaushalts auch Gassner 1993,118,122 84

Vgl. Sharpies 1991, 18,28

85

Harwell u.a. 1992, 462

8 6

Morowitz 1989,178

164

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

iert ist 87 und die Stabilität von Ökosystemen innerhalb eines Beziehungsnetzwerks einer in Entscheidungen zu übernehmenden Beschreibung nur schwer zugänglich ist. 88 Hier sind unterschiedliche, auch von normativen Wertungen bestimmte Festlegungen möglich, aber auch erforderlich, da wegen der Wechselbeziehung zwischen Natur und Kultur die Erwartungen an die Stabilität von Ökosystemen nicht allein wissenschaftlich formuliert werden können: Ökosysteme befinden sich ständig in einem Prozeß der Selbstveränderung, ein normaler Bestand ist deshalb kaum festzulegen. 89 Wenn man den Blick wieder zurückwendet, so erkennt man, daß an dieser Stelle der Versuch des Rechts, an die Wissensbestände der Ökologie als Wissenschaft anzuschließen, in eine Paradoxie führt, da die Wissenschaft keineswegs das, was sie nicht erkennt, für belanglos erklärt, sondern - im Gegenteil - ein großes Besorgnispotential vermutet, für dessen Erforschung sie sich aber quantitativ wie qualitativ nur unzureichend ausgestattet sieht. Auch hier wird die Notwendigkeit erkennbar, in einem interaktiven Prozeß zwischen Wissenschaft und Entscheidungspraxis "grenzüberschreitende" Abstimmungsregeln zu suchen, über die Erwartungen an Ökosysteme provisorisch formuliert werden, die einerseits anwendungsbezogener Forschung Orientierung geben können, andererseits die staatliche Forschungsförderung strukturieren können. Unter den bestehenden Umständen kann das Fehlen von "Anhaltspunkten" für ökologische Risiken keineswegs Anlaß zur Beruhigung sein, da auch hier angesichts der Angewiesenheit der Beobachtung auf systematische Entwicklung von Lernfähigkeit nicht aus Irrtümern gelernt werden kann. Diesem Zustand kann nur durch Kooperation zwischen Wissenschaft und Verwaltung, insbesondere durch Festlegung von Vielfaltsstandards und Regeln der Modellbildung sowie eine Technik der Informationsverarbeitung, abgeholfen werden. Darüber wären praktikable Ökosystemmodelle zu entwickeln, die auf die Bildung von sensitivitätsorientierten Relationierungsmustem für Stressfaktoren 90 und nicht genau beschreibbare Wirkungen einzustellen wären. Dieses Problem zeigt auch, wie weit gesellschaftliche Festlegungen die Forschung über komplexe Beziehungen prägen können: Die unterschiedlichen Ökosysteme und die Definition ihrer Stabilitätsgrenzen sind von gesellschaftlichen Vorstellungen abhängig91, da Ökosysteme - wenn auch unter Schwankungen - immer wieder in ein Gleichgewicht zurückkehren. Auch ein "biologisch toter" Fluß ist natürlich nicht tot, er entspricht nur nicht mehr den gesellschaftlichen Erwartungen im Hinblick auf eine be87

Vgl. auch Haber 1993, 48 f.

8 8

Haber 1993,48 f.

89

Vgl. zum Problem der Klimaveränderung Dolatabadi/Morgan 1993, 1932; zu einer ökonomischen Theorie der Ungewißheit ausgehend von diesem Beispiel Schelling 1993, 1 ff. 9 0

Vgl. auch Wynne/Mayer 1993, 32 ff.

91

Vgl. zum Verhältnis natürlicher und kultürlicher Umwelt Haber 1993, 74 f.

6. Sonderfälle der Risikobewertung, insbesondere die Stoffkontrolle

165

stimmte Diversität der Arten. 92 Die Festlegung gesellschaftlich bestimmter Eckwerte für Ökosysteme ist deshalb unumgänglich. (Darauf soll unten noch einmal näher eingegangen werden). An dieser Stelle genügt es festzuhalten, daß "meta-wissenschaftliche" 93 grenzüberschreitende Fragen zwangsläufig aufgeworfen werden, wenn wissenschaftliches Wissen für Entscheidungen unter Ungewißheitsbedingungen "rezipiert" werden soll, und daß dafür eine institutionelle Form auch und vor allem durch rechtliche Verfahren geschaffen werden muß. Diese Verfahren hätten die Grenzüberschreitung zwischen Wissenschaft und Entscheiden zu strukturieren und ihre wechselperspektivische Beobachtung zu gewährleisten. Übersetzungs- und Abstimmungsregeln, die weit mehr als bloßen Informationsaustausch ermöglichen, sind durch interaktive Abstimmung von Wissen, Methoden, Grundannahmen, Erwartungen für die Bewältigung von Ungewißheit unterschiedlicher Typen (empirisch, methodisch, wissenschaftstheoretisch etc.) und die Strukturierung eines Potentials der Selbstrevision zu institutionalisieren. Gerade bei ökologischen Risiken, auf die im Rahmen der Untersuchung von Schwerpunktsetzung zurückzukommen ist, zeigt sich, wie sehr der Verlust der Orientierungsbildung durch das Kausalitätsmodell auch die Risikobeobachtung und -beschreibung betroffen hat. Das komplexe Ineinandergreifen der verschiedenen Komponenten traditioneller Gefahrenabwehr und die darüber ermöglichte Problemkonstruktion kann nicht durch bloße Erweiterungen in der einen oder anderen Hinsicht an neue komplexere Risiken angepaßt werden. Das Problem der Verschleifung von normativen und faktischen Annahmen, die Unmöglichkeit, Ungewißheit als objektive Eigenschaft der Umwelt zu beobachten94, zwingt zur Entwicklung einer komplexeren Strategie des Entscheidens, die ihre eigenen Voraussetzungen als Vor-Entscheidungen mitmodellieren muß, ohne sich dauerhaft festlegen zu können. Es war unter der Geltung des Kausalitätsmodells (und ist auch heute noch, wenn auch nur mit Einschränkungen) sinnvoll und zulässig, den subjektiven Anteil an der Problemkonstruktion zu vernachlässigen und diese als objektiv zu unterstellen, wenn und soweit Veränderungen sich eher langsam und kontinuierlich vollziehen.95 Aber eine solche Unterstellung der Stabilität eines strukturbildenden, Entscheidungen orientierenden Rahmens ist um so weniger möglich, je komplexer (d.h. von Wechselwirkungen und Irreversibilität in der Zeit abhängiger) ein Phänomen ist. Und um so weniger lassen sich Unterscheidungen auf Dauer "objektiv" festlegen und in hierarchisch abgestuften Komplex9 2

Vgl. Rapport 1989, 120; Norgaard 1984, 160 ff.

93

Vgl. Weinberg 1987, 27, 31 ff.

9 4

Hogarth 1987, 12

95

de Finetti 1984, 169, 203

166

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

itätsebenen als Bezugsgrößen für Anschlußmöglichkeiten stabilisieren. Dies ändert aber nichts an der Notwendigkeit solcher Unterscheidungen und Festlegungen, die erst die Möglichkeit des Entscheidens unter Ungewißheitsbedingungen schaffen, da unter Zeitdruck die meisten Probleme nicht durch Abwarten und der Suche nach neuer Information auszuräumen sind. Eine Alternative kann nur in der Entwicklung einer prozeduralen Rationalität des Provisorischen gesehen werden, die das Moment der Modellbildung akzentuiert und eine Methodik des Entscheidens unter Ungewißheitsbedingungen entwirft, die den Mangel an verfügbarer Information durch die systematische Generierung neuen Wissens und den Einbau von Lernfähigkeit in Entscheidungen einerseits und die Erhaltung der Flexibilität des Entscheidungssystems andererseits bewältigt. Dazu ist nicht die Formulierung substantieller Konsense erforderlich, sondern - wie in der Vergangenheit auch - die Bereitschaft und Fähigkeit zur Bildung von Konventionen, die die durch die Entwicklung der Gesellschaft der Organisationen gesetzten Zwänge und vor allem die Notwendigkeit der Anpassung an die sich verändernden Generierungsmuster des gesellschaftlichen Wissens in Rechnung stellen. Die Bewältigung von Komplexität würde die vernünftige Verständigung zwischen Individuen überfordern, statt dessen wäre die in der Gesellschaft der Organisationen sich verstärkende Verselbständigung gesellschaftlicher Wissensbestände, die selbstorganisierte "Ideenpopulation"96, die einer Gesellschaft zur Verfügung steht, systematisch darauf abzutasten, ob und wieweit sie ein Potential bereithält, das zur Bewältigung der selbstgeschaffenen Ungewißheit beitragen kann. Vor allem im Bereich der Ökotoxikologie97 chronischer Veränderungsprozesse in der Natur wird es aus wissenschaftstheoretischen Gründen häufig (wegen der Vielzahl der beteiligten Faktoren) auch in Zukunft keine eindeutigen Annahmen geben, wie sie den an der Reproduzierbarkeit von Ereignissen im Experiment orientierten Beweisanforderungen entsprechen würden. 98 Dies setzt auch bei einer am traditionellen Kausalitätsmodell orientierten Ausdifferenzierung des "Risk Assessment"99 in einzelne Stadien (Hazard Identification - Dose-Response-Relation - Exposure und schließlich der integrierenden "Risk Characterization") enge Grenzen, weil auf jeder einzelnen Stufe sich die Problematik der Selektion stellt, die aus einem Hintergrund des Unterscheidens etwas heraushebt. Die Gefahrenbewertung konnte an die "kanonisierten Beispiele" anknüpfen, bei der Vielzahl der verwendeten Chemikalien stellt sich aber schon die Frage, warum dieser und nicht jener Stoff und mit welchen Verfahren zu untersuchen ist. Diese vom Gesetzgeber ge-

9 6

Day 1984, 86; Csanyi/Kampis 1987, 233, 239

9 7

Vgl. dazu die Beiträge in Levin/Strauss (Hg.) 1991

9 8

Russell/Gruber 1987, 286 ff.

9 9

Vgl. Kaplan/Garrick 1993, 91 ff.

6. Sonderfälle der Risikobewertung, insbesondere die Stoffkontrolle

167

wählte Vor-Selektion zwischen Alt- und Neustoffen 100 scheint entsprechend einer gebräuchlichen Gesetzestechnik davon auszugehen, daß die "Altfälle" sich irgendwann erschöpfen werden und deshalb nur ein Übergangsproblem besteht. Dies ist aber bei Chemikalien kaum anzunehmen. Es handelt sich zunächst um eine relativ willkürliche, mit Vertrauensgesichtspunkten zu begründende Strategie der Reduktion von Komplexität; dies kommt ebenso darin zum Ausdruck, daß auch die Altstoffe nach einer Prioritätenliste nach und nach untersucht werden sollen.101 Man erkennt, daß die Vorverlagerung des Problems - man kann nicht warten, bis neue Erfahrungen gewonnen worden sind - nicht nur zu einer quantitativen Vervielfältigung von Risiken geführt hat, die schon bei der Vor-Selektion der zu prüfenden Stoffe zu Festlegungen nötigt, die mangels Erfahrung kaum angemessen begründet werden können. Ähnliches gilt für die Dosis-Wirkungsbeziehung, die prozedural durch bestimmte Versuchsanordnungen und Extrapolationen errechnet wird und deren methodische und wissenschaftstheoretische Ungewißheiten pragmatisch durch sog. Sicherheitszuschläge ("konservative Annahmen") berücksichtigt werden, dabei das Problem der Ignoranz oder Ungewißheit aber eher steigern, weil sie es zum Verschwinden bringen und es nicht zum Ausgangspunkt für neue Operationen werden lassen. Die Problematik setzt sich bei der Expositionsanalyse fort: Auch dort muß mit konstruktiven Modellannahmen gerechnet werden (in der Form der Bildung von "Normalfällen" etc.). Deshalb stellt sich die Frage, ob nicht die Setzung von planerischen Schwerpunkten, die nicht mehr punktuell an isolierbare Risikopotentiale anknüpfen, mindestens ein Gegengewicht zu der immer noch nach dem Gefahren-/Erfahrungsmodell erfolgenden umweltrechtlichen Problemkonstruktion bilden könnte (und müßte). (Darauf wird weiter unten noch zurückzukommen sein). Die Inkonsistenz der bloß pragmatischen Fortentwicklung des klassischen Modells durch schrittweise Anpassung an neue Probleme ist auch - und dies ist in der hier entwickelten Betrachtungsweise besonders hervorzuheben im Hinblick auf die Rückwirkungen innerhalb der Wissenschafts- und Produktentwicklung bedenklich102, weil Innovationen dadurch beeinträchtigt werden können, daß ihre "Haltbarkeit" schwer abzuschätzen ist, wenn Risikobewertungen von Fall zu Fall erfolgen und keine Abstimmungsmöglichkeiten zwischen privaten Unternehmen und Verwaltung eröffnenden Regelmäßigkeiten erkennbar sind. Die Ökologie als Wissenschaft kann die Orientierungsfunktion, wie gezeigt, nicht übernehmen.

100

Vgl. §16cChemG

101 Vgl die Konzeption der Bundesregierung in BT/Drs. 11/6148; Gesellschaft Deutscher Chemiker (BUA) 1992 102

Vgl. Gaines 1990, 271, 289; Ladeur 1988,305 ff.

168

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

Auch deshalb muß die punktuell verfahrende Risikobewertung durch eine praktische, Orientierung ermöglichende prozedurale Methodologie abgelöst werden, die die Koordination zwischen den Wissen produzierenden und beobachtenden Netzwerken erleichtert. Eine solche Methodologie ist nicht verfügbar, sie muß ihrerseits erst aufgebaut werden. Dies kann nur über eine Form der Prozeduralisierung erfolgen, die die Koordination der Generierungsmuster des Wissens und ihrer Spezifizierung für Risikobewertungen durch Kollisions- und Übersetzungsregeln in unterschiedlichen Institutionalisierungen entwickelt. Das Ende der Sicherheit stiftenden hierarchischen Abstufung "natürlicher Komplexitätsniveaus" und die damit einhergehende Umstellung des Wissens auf systematische und methodisch kontrollierte organisierte Generierung des Neuen über heterarchische Verknüpfungen muß sich zu einer Prozeduralisierung zweiter Ordnung ausweiten, die die früher implizit bleibenden Vor-entscheidungen nunmehr durch den Entwurf von auf Experimente eingestellten Optionsräumen mit unvollständigem Wissen explizieren und deshalb ihre Festlegungen immer für Variationen offenhalten muß. Ein Schritt zur Entwicklung einer solchen Prozeduralisierung könnte in der Formulierung einer Methodologie der Rezeption von Sachverstand bestehen, einer Methodologie, die die Entwicklung von Modellen unter Ungewißheitsbedingungen gewährleisten muß und deshalb auf Selbstrevisionsfähigkeit und Sensitivität für die Korrelierbarkeit von netzwerkgerechten 103 strategischen Operationen durchlässig sein muß. 7. Zur Entwicklung einer zeitgemäßen "netzwerkgerechten" kognitiven und normativen Risikokonzeption Es wäre noch einmal der Bogen zurückzuschlagen zu den Ausgangsüberlegungen, die davon bestimmt sind, daß das Wissenssystem der Gesellschaft sich insgesamt in einem grundlegenden Wandel befindet, der vom Übergang zur heterarchischen Netzwerkbildung geprägt ist. Diese Entwicklung kann unter Gesichtspunkten der Steuerung von Risiken nicht einfach durch Restriktion von Innovation begegnet werden, weil alles "irgendwie zusammenhängt" und nichts mehr sicher ist. Dies würde darauf hinauslaufen, dem Veränderungsdruck, unter den die Gesellschaft durch selbstgenerierte Ungewißheit sich gesetzt hat, auf politische Institutionen zu übertragen, die darauf nicht vorbereitet sind. Dies würde ein Risiko für die Natur in eine Gefahr für die Gesellschaft umwandeln, eine Gefahr, die um so ernster zu nehmen ist, als gerade die Eignung der Gesellschaft zum Großexperiment der Selbständerung ihrerseits begrenzt ist. Eine Alternative kann nur im produktiven Experimentieren mit den Möglichkeiten gesehen werden, die in den organisational Netzwerken enthalten sind und über die Wissensbestände generiert werden. 103

Vgl. allg. de Rosnay 1986,139 ff., 152

7. Zeitgemäße "netzwerkgerechte" kognitive und normative Risikokonzeption

169

Deshalb kann es nicht darum gehen, die Unmittelbarkeit der Selbstverständigung der Gesellschaft durch Rücknahme der Ausdifferenzierung von Subsystemen und die darin angelegten Beobachtungsmöglichkeiten104 zu kompensieren, sondern es muß das Auftreten der heterarchischen Fragmentierung und des Koordinationsbedarfs zwischen unterschiedlichen Wissensbeständen durch neue Formen der Institutionalisierung von Grenzüberschreitungen (nicht Grenzverwischungen) erprobt werden. Die Veränderung der Wissensgenerierung, insbesondere ihre Bindung an distribuierte interorganisationale Netzwerke (und nicht mehr an die Gesellschaft der Individuen), erfordert neue adaptiv-evolutionäre Methoden der Konstruktion und der Modellbildung in einem selbst instabil bleibenden Optionenraum, der von beweglichen "Erwartungserwartungen" 105 bestimmt wird und die Produktivität des Wissens systematisch durch Relationierung unterschiedlicher Wissensbestände im Interesse der Erzeugung von Innovation zuläßt. Andererseits bedeutet dies nicht, daß sich "alles auflöst", vielmehr muß nach neuen Formen der Ordnungsbildung unter Bedingungen gesucht werden, die von den Organisationen als dem distribuierten "Gedächtnis" der Gesellschaft geprägt werden. 106 Die dadurch zugleich geschaffenen neuen Möglichkeiten der Verarbeitung großer Datenmengen, des Experimentierens mit Modellen, Szenarien, des Abtastens von Korrelationen zwischen Variablen, der Einstellung auf flexible Erwartungen zielen auf die Produktion neuer Wissenstypen, die auch Entscheidungen unter Ungewißheitsbedingungen zulassen. Die Risikobewertung ist immer noch stark an einem mit dem Kausalitätsmodell assoziierten Denken in Gefahrenketten und individuellen Zurechnungen und Beobachtungen (Erfahrung) orientiert, während eine stärkere Verselbständigung der auf Risiken eingestellten Begrifflichkeit den interorganisationalen Kontext der Entstehung des Risikowissens akzentuieren und deshalb auch das Aggregieren von Wissen für Zwecke der Verwaltungsentscheidung als ein organisationales Problem konstruieren müßte.107 Es müßte akzeptiert werden, daß Beobachtungen und Verarbeitungsmöglichkeiten nicht des individuellen Denkens, sondern der Korrelierbarkeit und der Musterbildung innerhalb der an Organisationen gebundenen "Ideenpopulationen" die Dynamisierung gewährleisten.108 Dies hängt damit zusammen, daß das aktive Moment der Wahrnehmung, die ihre eigenen Bedingungen mitreflektieren muß, mit dem Zerfall des Kausalitätsmodells zutage tritt und die Wissensbildung zwangsläufig verändert. Wenn Wissen nicht mehr als Vorstellung einer objektiven Wirklichkeit durch ein einheitliches Subjekt innerhalb eines einheit104 Ygi 105

m

e

j n e r Systemtheorie der Beobachtung Luhmann 1988; ders. 1992

Vgl. Baecker 1989,45; vgl. auch Pardi 1985; Michael 1993, 83

106

Perrin 1991, 151, 162, 723

107

Clarke 1989,178 ff.

108

Day 1987, 251 ff.

170

VII. Abstimmung von Risikowissen und -entscheidung

liehen, kontinuierlich sich bildenden Erfahrungsraums begriffen werden kann, sondern an kooperative relationale Formen der Konstruktion, des Entwerfens und des Anpassens an selbstgeschaffene Möglichkeiten gebunden bleibt 109 , kann es auch nicht mehr ohne weiteres von dem interorganisationalen Kontext abgelöst und in einen anderen "rezipiert" werden. Vielmehr ist dann ein interaktives Verfahren der Rekonstruktion innerhalb der operationalen Möglichkeiten des anderen organisationalen Netzwerkes erforderlich. Es handelt sich in solchen Fällen um Wissen, das nicht im individuellen Bewußtsein enthalten 110 , sondern über ein Beziehungsnetzwerk distribuiert und in verschiedenen Verfahren unterschiedlich, aber immer innerhalb organisationaler Optionsräume aggregierbar und "lesbar" wird. Daß dies mit Entfremdung nichts zu tun haben muß, ergibt sich schon daraus, daß andererseits die um das Subjekt zentrierte klassische Rationalität111 an einen Universalismus und an einen das Individuum übergreifenden Interpretationsrahmen gebunden war. Und genau daran knüpft die hier skizzierte Konzeption an; sie fragt nach der Veränderung dieses Rahmens und findet darüber den Zugang zu der Hypothese, daß in der Abstimmung von institutionalisierten Grenzüberschreitungen (nach Kollisions- und Übersetzungsregeln) zwischen heterarchischen Selbstbeobachtungsmechanismen und Wissensgenerierungsmustern interorganisationaler Netzwerke ein funktionales Äquivalent in der Form einer Prozeduralisierung zweiter Ordnung gefunden werden kann. In der hier eingenommenen Perspektive kommt es vor allem darauf an, daß gesellschaftliche Institutionen so dimensioniert werden, daß die Produktivität der wissenserzeugenden interorganisationalen Netzwerke erhalten und durch Such-, Beobachtungs- und Abstimmungsmechanismen so verbessert wird, daß dabei in den beteiligten Beziehungsnetzwerken Selbstverstärkungseffekte eintreten, die früher durch die Erfahrung und die darauf basierende Konsensbildung ermöglicht worden sind. Dies kann - wie beschrieben - selbst nur in interaktiven Verfahren der Abstimmung der Methoden der Selbstbeobachtung der unterschiedlichen Netzwerke gewährleistet werden. Das hier entworfene theoretische Modell setzt sich dabei einerseits ab von nur begrenzt tragfähigen Versuchen, den Verlust der Orientierungsfunktion des Kausalitätsmodells durch bloß pragmatische Korrekturen zu kompensieren, und andererseits von der Illusion, als könne dieser Verlust durch Selbstaufklärung und Selbstverständigung der Individuen überwunden werden, eine Überlegung, die unterstellt, auf der Grundlage einer hochabstrakten "Supermoral" 112 müsse man sich ganz ohne Anschluß an 109

Vgl. Fischer 1990,11 ff.; Reed 1992, 9, 11

110

Fischer 1990,11 ff.; Groys 1993, 156

111

Pardi 1985, 18

112

Vgl. dazu Krämer 1991, 36

7. Zeitgemäße "netzwerkgerechte" kognitive und normative Risikokonzeption

171

einen Bestand institutionalisierter Zwänge und Möglichkeiten "über alles" verständigen können - selbst wenn dann nichts mehr unterschieden werden könnte. Aber auch die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, bedürfte natürlich der Gewährleistung von Vertrauen in die Möglichkeit der Haltbarkeit von Verständigung. Warum sollte man aber gerade dazu bereit sein, wo doch jeder weiß, daß die spontane Verständigung sich von der über ein neuartiges "gemeinsames Wissen" koordinierten Kommunikation der Organisationen nur dadurch unterscheidet, daß sie die Grenzen und Anschlußzwänge nicht organisiert, sondern selbst spontan erzeugt und damit unbeobachtbar macht? Demgegenüber versucht die hier skizzierte Konzeption, organisationale Muster der Wissensgenerierung ins Zentrum der Überlegung zu rücken und darauf abzutasten, ob und wieweit sich daraus eine auch für rechtliche Strategien fruchtbare prozedurale Rationalität der institutionalisierten Grenzüberschreitung mit dem Ziel der Steigerung von Resilienz und Flexibilität zur Bewältigung von Ungewißheit entwickeln läßt. Sie knüpft dabei an die Produktivität des verfügbaren Wissens an und sucht nach Möglichkeiten, durch wechselperspektivische Verknüpfung "überlappender Netzwerke" 113 Irritationen zu erzeugen, die dem Pool der Möglichkeiten114 Neues zuführen und die Produktivität der Muster der Wissensgenerierung einerseits und die Fähigkeit, Leistungen für die anderen Netzwerke zu erbringen, steigern können. Dies ist hier in einem Zwischenschritt am Beispiel der "Rezeption" wissenschaftlichen Wissens in administrative Entscheidungsverfahren untersucht worden. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß dies nicht das einzige Mittel der institutionellen Grenzüberschreitung sein kann. Im folgenden sind weitere potentielle Formen von mit anderen Akzeptierungen und in andere Richtungen operierenden Strategien zu untersuchen. Dazu gehört einmal der Einbau "ökonomischer Instrumente" (Abgaben, Haftung, "Verschmutzungsrechte" etc.), also der Versuch, das öffentliche (Umwelt-)Interesse in den eigenen Unterscheidungsbereich des ökonomischen Systems zu übernehmen.115 Sodann tritt hier aus der Perspektive der öffentlichen Verwaltung die Frage nach der Möglichkeit der Orientierung des Wirtschafts- und des technischen Systems durch Schwerpunktsetzungen für administrative Problembearbeitung auf, die die Übernahme von Erwartungen durch längerfristige Festlegungen der Risikobeobachtung ermöglichen und dadurch die wechselseitige Orientierung ersetzen, die früher durch die Erfahrung abgestützt worden ist. Schließlich ist zu untersuchen, ob und wieweit - möglicherweise dadurch abgestützt in umgekehrter Richtung in den intra- und interorganisationalen Netzwerken der Unternehmen durch die Stimulierung der Selbstmodifikation ihrer Bin-

113 114

Polanyi 1966, 77; Nonaka 1990, 27 ff.; ders. 1988a, 57 ff.

Csanyi/Kampis 1987, 239; Day 1984, 66 115 vgl aus der umfangreichen Literatur nur Köck 1992, 412; Gawel 1991, 279 ff.

172

VII. Abstimmung von Risiko wissen und -entscheidung

nenorganisation Unternehmen (durch Fremdsteuerung von Selbststeuerung116 höhere Flexibilität und Resilienz für Anforderungen des Umweltschutzes ermöglicht werden kann.

116

Vgl. Ladeur 1987, 1 ff.; Teubner/Willke 1984, 4 ff.; Willke 1992,207 ff.

V I I I . Rechtsstaat und Risikoregulierung

1. Umweltabgaben und "Verschmutzungsrechte" als Alternativen zum Ordnungsrecht? Auch in der Auferlegung von Abgaben sowie der Zuteilung (und Begrenzung) von "Verschmutzungsrechten" für die Verwertung von Umweltschutzgütern wird ein Mittel gesehen, das geeignet sein könnte, Umweltkosten zu "internalisieren". 1 Auf die Darstellung der unterschiedlichen Formen und Mittel soll hier verzichtet werden, da die "ökonomischen Instrumente" des Umweltschutzes (im Gegensatz zu ordnungsrechtlichen Ge- und Verboten) nur in einer begrenzten Perspektive in den Blick genommen werden sollen, nämlich im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Steigerung der Flexibilität des ökonomischen-technischen Systems und der praktisch operierenden (inter-)organisationalen Netzwerke; hier kommt es besonders darauf an, die Innovationsfähigkeit insgesamt zu erhalten. Ausgehend von der hier entwikkelten Konzeption ist zunächst darauf hinzuweisen, daß es dabei nicht einfach um ökonomische Institutionen geht, sondern genauer darum, die Umweltgüter mit einem "Preis" zu versehen. Dabei ist der Unterschied zwischen beiden Varianten nur theoretisch erheblich, in der Praxis stoßen beide auf ein erhebliches Informationsproblem. Umgekehrt ist auch der Markt für Umweltverschmutzungsrechte stark vom Staat abhängig: Der Preis der Güter ist, wenn man nicht eine "Erstausstattung" verschenken will, schwer zu fixieren, da die Umwelt bisher weitgehend kostenlos verbraucht werden konnte.2 Die auf der Verteilung von Verschmutzungsrechten basierende Konzeption ist nicht leicht zu handhaben, weil der Preis von Umweltgütern mit der nachfassenden Nachfrage (infolge einer insoweit erfolgreichen staatlichen Einflußnahme) erhöht werden müßte, weil sonst der Marktwert des Verschmutzungsrechts kontinuierlich abnähme.3 Auch daran zeigt sich, daß die Rolle des Staates (und damit die Bedeutung des Wissensproblems) sehr groß ist. Hinter diesen Varianten 1 Vgl. zu Rechtsproblemen der Internalisierung von Umweltkosten durch Abgaben Köck 1989; Meßer Schmidt 1989 2

Vgl. auch die Darstellung von Cropper/Oates 1992, 675 ff.; Hahn/Stavins 1991, 1 ff., Hahn/Hester 1989, 361,404 ff. 3 Vgl. zum Problem der Bewertung von Umweltgütern Pearce 1976, 95, 104; Fikentscher 1991, 25; vgl. auch Dose 1990, 365 ff.

174

Vili. Rechtsstaat und Risikoregulierung

der Ökonomisierung der Umwelt steht eine Strategie des "technology forcing": Es soll ein Anreiz geschaffen werden, Umweltbelastungen etwa durch Schadstoffe mit Hilfe technologischer Innovationen zu begrenzen. Das Innovationsproblem zeigt sich daran, daß auf diese Weise ein Anreiz geschaffen wird, verfügbare Technologien einzuführen und damit möglicherweise unerwünschte Nebeneffekte zu erzeugen: Die Durchsetzung von möglicherweise viel effektiveren, noch nicht in vollem Umfang verfügbaren Technologien zu einem späteren Zeitpunkt kann dadurch behindert oder gar unterdrückt werden.4 Ein anderes Problem entsteht daraus, daß politisch starke Interessen (große Unternehmen) politischen Druck mit dem Ziel erzeugen könnten, die Umweltkosten zu senken oder auszugleichen (durch Subventionierung), wenn es gelingt, den Eindruck zu erwecken, daß neue immissionsarme Technologien noch nicht verfügbar seien. Der Staat könnte dies kaum überprüfen. Das Problem verschärft sich noch, wenn man größere Anpassungszeiten einräumt. Bei der Bemessung der Höhe des Preises stellt sich ein ähnliches Problem: Wenn man den Preis wenig differenziert (etwa nach einer Leitsubstanz berechnet), ist das Instrument leicht zu handhaben, aber seine Wirkungen sind schwer abzuschätzen. Wenn umgekehrt die Preise aber je nach Stoffstärke differenziert werden, so stellt sich das Bemessungsproblem und damit die Frage der praktischen Handhabbarkeit des Modells um so schärfer. Weitere Probleme stellen sich bei der Bildung des Marktes und der faktischen Ermöglichung des Handelns mit einzelnen Rechten: Der Markt kann relativ unflexibel sein, da auch bei starker Nachfrage Verschmutzungsrechte nur dann angeboten werden können, wenn ein Unternehmen zuvor durch eigene Investitionen seinen eigenen Bedarf reduziert hat. Dann aber hat es aufgrund der sich aber zugleich in eine Zwangslage gebracht, da es seine Rechte auch anbeiten muß, so daß sich häufig nur ein "Käufermarkt" herausbilden wird, wenn nicht eine starke Nachfrage durch das gleichzeitige Auftreten mehrerer Unternehmen entsteht. Dies ist aber ebenfalls unwahrscheinlich, da innerhalb eines Wirtschaftsraums nicht viele Unternehmen zum gleichen Zeitpunkt an Verschmutzungsrechten interessiert sein werden. Deshalb handelt es sich eher um bilaterale Transaktionen. Zugleich entstehen bei einer solchen Strategie Probleme bei der Abstimmung zwischen ökonomischen Instrumenten und Ordnungsrecht5, insbesondere weil die Bewertung der gesellschaftlich tolerablen Immissionen sich verändern kann. Das Konzept der ökonomischen Instrumente ist im Grunde entstanden als Versuch einer Flexibilisierung des ordnungsrechtlichen Modells, insbeson4 Vgl. dazu Stewart 1981, 1257 ff.; ders. 1992, 547, 551, Gaines 1990, 271, 289; Ashford/Heaton 1983, 109 ff.; Ashford u.a. 1985,419,428, Hahn/Hirst 1991, 233, 259 5

Hahn/H ester 1989, 371,404 ff.

1. Umweltabgaben und "Verschmutzungsrechte": Alternativen zum Ordnungsrecht?

175

dere in der Form des Austauschs von Immissionsmengen zwischen mehreren Quellen ("bubbles"), wie es von der amerikanischen Umweltbehörde (EPA) entwickelt und auch in das Umweltrecht anderer Länder übernommen worden ist.6 In dieser beschränkten Form hat sich die Konzeption wohl bewährt. Die Möglichkeit der Entwicklung zu einem Umweltmarkt muß skeptisch beurteilt werden. Dessen Voraussetzungen und Problemen soll hier nicht im einzelnen nachgegangen werden. Dieses Modell läßt sich in verschiedenen Varianten durchspielen und erweitern: Die eine könnte darin bestehen, nicht an einzelnen, je getrennten Schadstoffquellen anzusetzen, sondern die Schwierigkeiten der Messung und der Kontrolle durch Umstellung auf die Beobachtung der Schadstoffracht in einem bestimmten Gebiet zu bewältigen.7 Dann wird ein "Bubble" nicht nur zwischen mehreren Betrieben, sondern zwischen den Unternehmen einer ganzen Region gebildet, der man einen bestimmten Schadstoff und die damit verbundenen Risiken insgesamt zuweist. Es wird dann darauf gesetzt, daß die Umweltverschmutzer durch Verhandlung untereinander herausfinden, wo und wie sich die Gesamtfracht des Schadstoffes am besten reduzieren läßt. Sinnvoll ist dies aber nur, wenn die Firmen sich vorher geeinigt haben; die Bildung eines "Zwangskollektivs" erscheint kaum vorstellbar, weil einerseits wiederum ein Informationsproblem - jetzt abgewälzt auf die privaten Unternehmen - bei der Zurechnung besteht, zum anderen würden dadurch Unternehmen benachteiligt, die ohnehin schon vorher in den Umweltschutz investiert haben und nunmehr praktisch zur Finanzierung umweltentlastender Maßnahmen bei anderen Unternehmen verpflichtet würden. Unter dem hier betonten Gesichtspunkt der Steigung der Flexibilität und Innovationsfähigkeit 8 der Generierungsmuster des gesellschaftlichen Wissens tritt das Interesse an der Erhaltung der "kognitiven Rationalität"9 in den Vordergrund, die sich - im Gegensatz zur instrumentellen Rationalität innerhalb eines festen Koordinationssystems (Kausalitätsmodell) - mit der aktiven Erzeugung (nicht dem bloßen Austausch) von Wissen verbindet. Die Marktrationalität ist jedoch eher auf die Aggregierung verfügbarer, wenn auch über eine Vielzahl von Beteiligten verstreuten Wissen eingestellt. Die Möglichkeit des Verkaufs von Umweltgütern verbindet sich gerade mit der Idee, daß eine nach Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten differenzierte Reduktion der Umweltbelastung möglicherweise einen höheren Wirkungsgrad erreicht als eine ordnungsrechtliche Normierungsform. Ob aber der Preis-Mechanismus tatsächlich einen Anreiz zur Entwicklung umwelttechnologischer Innovationen bietet, ist eher zweifelhaft. Voraussetzung dafür wäre eine gewisse Berechenbar-

6 Vgl. TA Luft von 1986, 2.2.1.1 lit. b; 2.2.3.2,4.2.10, sowie § 7 Abs. 3 a BImSchG; Kloepfer 1989, § 4 Rnr. 224 7

Segerson 1988,87 ff.

8

Vgl. allg. Ulrich/Probst 1988, 259

9

Vgl. Walliser 1990, vgl. zu den rechtlichen Konsequenzen Ladeur 1993,1303 ff.

176

V i . Rechtsstaat und Risikoregulierung

keit, die aber gerade dort bestehen wird, wo Technologien bereits verfügbar sind und nur Detailfragen, wie der Zeitpunkt oder die Variation der Technologie, dem Unternehmen zur Entscheidung überlassen bleiben - als Alternative zur Festlegung technischer Standards durch den Staat. Wenn die Auswirkungen auf die Industrie im einzelnen (vor allem bei hoch angesetztem Preis) aber schwer kalkulierbar sind, eröffnen sich auch wiederum Möglichkeiten für politischen Widerstand (Arbeitsplätze!). Dennoch mag ein Einsatz ökonomischer Instrumente durchaus dort sinnvoll sein, wo etwa ein eindeutiges Ziel (z.B. die Reduktion des Energieverbrauchs) formuliert werden kann und eine überschaubare Entwicklungstrajektorie abschätzbar ist (Entwicklung energiesparender Autos, Verbesserung der Heiztechnik etc.). Mit dieser Begrenzung mag dem Einsatz ökonomischer Instrumente - auf Unterschiede der Wirkungsweise soll hier nicht eingegangen werden - durchaus eine ergänzende Bedeutung beigemessen werden. Dabei muß aber der Wirkungsrahmen überschaubar bleiben. Als allgemeine umweltpolitische Strategie ist der Einsatz ökonomischer Instrumente aber nicht geeignet, weil die großen Durchsetzungs- und vor allem Informationsprobleme letztlich nur den Rückgriff auf einige wenige Leitsubstanzen oder andere einfache Indikatoren als Parameter zulassen; andernfalls ist das Modell nicht mehr zu handhaben. Gerade dann stellt sich aber wiederum die Frage, ob man die "richtige" Substanz gewählt hat, ob andere Risiken nicht zu stark vernachlässigt werden und schließlich, ob der selbst vielfach schwer kalkulierbare Aufwand, der erzwungen wird, in einem angemessenen Verhältnis zum Erfolg steht. Dabei ist zu berücksichtigen, daß auch aus Kostengründen die Kumulation von Abgaben bzw. Vergabe von Verschmutzungsrechten und ordnungsrechtlichen Interventionen schnell an Grenzen stößt und die Konzentration von Ressourcen auf die Beseitigung bestimmter Stoffe möglicherweise die Aufmerksamkeit und Innovationsfähigkeit der Unternehmen insgesamt zu sehr in Anspruch nimmt und dabei die Generierung neuer komplexerer umweltschonender Technologien gefährdet wird. Auch hier zeigt sich, daß diese Strategie nur begrenzt auf die Erzeugung von Lernfähigkeit und damit neuem Wissen angelegt ist; sie bleibt linear auf bestimmte Variablen festgelegt und begünstigt nicht den Übergang zu einem Lernen zweiter Ordnung, das die kreative, auf Selbständerung angelegte Suche nach neuen Variablen zum Gegenstand haben müßte. Eine komplexere Strategie kann aber - wie erwähnt - nicht primär auf Marktimpulse setzen, sie muß die prozedurale Rationalität der (inter-) organisationalen Netzwerke mobilisieren, an die das technische Wissen gebunden ist und durch deren Aktivierung Innovationen erzeugt werden. Ökonomische Instrumente sind allzusehr nach einem Reiz-Reaktions-Muster konstruiert, das eine bloß vordergründige Anpassung an Preissignale intendiert, die nicht mehr an individuelle Präferenzen gekoppelt sind, während die spezifische prozedurale Rationalität der Organisationen, ihre Binnenstruktur, ihre

1. Umweltabgaben und "Verschmutzungsrechte": Alternativen zum Ordnungsrecht?

177

Zielsuche und Entscheidungsfindung vernachlässigt wird. Dabei wird die Anpassungsfähigkeit von Organisationen einerseits überschätzt, andererseits aber die Notwendigkeit der Steigerung der Variabilität und Flexibilität der Entscheidungsprozesse in Organisationen und damit zugleich die Kreativität der organisationalen Wissensgenerierungsmuster unterschätzt. Wenn der Einsatz von Marktinstrumenten nicht angemessen konstruiert (und d.h. begrenzt!) wird, besteht die Gefahr der Schaffung von schwer durchschaubaren hybriden Mischformen aus ökonomischer markt- und ordnungsrechtlicher Rationalität, deren Wirkungen nur noch schwer beobachtbar sind. Dabei würde auch die Beobachtungsfähigkeit des Staates überschätzt, der seinerseits unter Komplexitätsbedingungen immer nur unter Ungewißheit entscheiden kann und muß. Der Staat kann ebensowenig wie das Unternehmen als black box behandelt werden, dessen interne Struktur gegenüber den angestrebten Ergebnissen als zweitrangig behandelt werden kann. Vielmehr verschiebt sich - wie gezeigt mit dem Aufstieg der prozeduralen Rationalität10 (zu Lasten der substantiellen Rationalität) die Notwendigkeit der Organisation von Selbst- und Fremdbeobachtung und der Generierung neuen Wissens und damit die Notwendigkeit der Bereithaltung und Steigerung von Flexibilität und Innovationsfähigkeit der Unternehmen einerseits und der Ausbildung von darauf eingestellten Beobachtungs- und Interventionsformen des Staates andererseits. Die notwendige Ablösung des Ordnungsrechts eröffnet mehr Möglichkeiten, steigert aber auch die Ungewißheit der (Neben-)Wirkungen staatlichen Handelns. Das Auftreten unbeabsichtigter Wirkungen muß dann zwangsläufig systematisch in die Handlungsstrategie eingebaut und nicht als unvermeidbarer "Störfair betrachtet werden. Eine staatliche Entscheidungsstrategie, die die prozedurale als eine interorganisationale Rationalität in Rechnung stellt, kann auch an neue organisationsinterne "ökonomische Instrumente" anknüpfen, insbesondere das Selbstinteresse der Unternehmen an der Erzeugung von binnenorganisationaler Durchlässigkeit seiner Entscheidungskriterien und -strukturen in der Form eines "Total Quality Management"11, das seinerseits "grenzüberschreitend" (intern) von der strikten Arbeitsteilung und der Orientierung an eindeutigen Präferenzen zur variablen Integration von Aufgaben und Teilwissen übergeht und dabei auch für den Umweltschutz sensibilisiert werden kann. Hier hätten staatlich-rechtliche Strategien mit dem Ziel anzusetzen, die Selbständerungsfähigkeit der Unternehmen zu steigern und dezentrale Such- und Reflexionsstrategien zu entwickeln. In der hier entwickelten Variante der Flexibilisierung hätte die Suche nach einem funktionalen Äquivalent für die frühere Form der Dezentralisierung der Technik, die Lernfähigkeit innerhalb der durch Erfahrung begrenzten Band10

Favereau 1989,121 ff.

11

Friedman 1992, 25, 28

12 Ladeur

. Rechtsstaat und Risikoregulierung

178

breite der Möglichkeiten über Versuch-Irrtums-Schritte in Bewegung gehalten hat, beim Unternehmen anzusetzen. Die frühere Form der hierarchischen Abschichtung von Komplexitätsniveaus, die die Bildung von Erfahrung einerseits begrenzt, andererseits durch die Bildung eines Orientierungsrahmens erst ermöglicht hat, ist in eine horizontale Form der Prozeduralisierung und Selbstmodellierung von Unternehmen (und interorganisationalen Netzwerken) zu überführen, deren Einheit nur funktional durch das stochastische Prozessieren von "Ideenpopulationen"12 gebildet wird und nicht mehr durch die Einordnung in ein System von Gesetzmäßigkeiten. Das so verstandene Unternehmen agiert nicht mehr in einer von der Erfahrung eröffneten Schwankungsbreite vorgegebener Möglichkeiten innerhalb eines Gleichgewichtsmodells (substantielle Rationalität), es muß - wie erwähnt - grenzüberschreitend, intern wie extern, seine Kompetenzen (sein Wissen, seine Produkte, seine Ziele, Produktionsverfahren etc.) ständig in heterarchischen Prozessen reformulieren und zugleich dabei nach neuen Konventionen suchen, die provisorisch Erwartungshalt bieten können. "Ökonomische Instrumente" versuchen demgegenüber, einen Markt zu simulieren, an den sich Unternehmen mit begrenzter Möglichkeit der Flexibilisierung und Selbstgestaltung anpassen, während die Kreativität des Unternehmens13 als eines Wissen produzierenden intraorganisationalen Netzwerks, oder besser in der Pluralität "überlappender Netzwerke" 14, nicht berücksichtigt, geschweige denn stimuliert wird. 2. Umweltschutz durch Haftungsverschärfung? Auch die Verschärfung des Haftungsrechts wird als Mittel der Flexibilisierung des Umweltschutzes durch Ökonomisierung verstanden.15 Der "Versursacher unzumutbarer Immissionslagen oder unzumutbarer Immissionsrisikolagen"16 soll durch das Haftungsrisiko veranlaßt werden, "weiter unter die Zumutbarkeitsschwelle zu gehen, davon auch möglichst weiten Abstand zu halten". Dieses Interesse soll mit der Gefährdungshaftung und Beweiserleichterungen durch Vermutungen (vgl. etwa § 6 UHG) verfolgt werden. Auch hier zeigt sich aber zunächst das Fortwirken des Kausalitätsmodells daran, daß die Gefährdungshaftung etwa nach § 1 UHG an die Verursa12

Csanyi/Kampis 1987, 233, 239;

13

Herman u.a. 1990, 333 ff.

14

Nonaka 1990, 27 ff.

15 Vgl. aus der kaum überschaubaren Literatur nur Salzwedel 1989, 147, 161 ff.; Brüggemeier 1990, 261 ff.; vgl. allg. im Problem der Zuordnung von Risiken unabhängig von Schuld und Kausalität Meder 1993, 539 ff. 16

Vgl. Salzwedel 1989, 161

2. Umweltschutz durch Haftungsverschärfung?

179

chung anknüpft. Ein individuell zurechenbarer Schaden wird mit der Gefahrdungshaftung auch dann sanktioniert, wenn der Schaden begründende Umstand nicht erkennbar war (bis zur Grenze der höheren Gewalt, § 4 UHG). Das ähnliche Problem der Haftung für Entwicklungsrisiken ist im deutschen Produkthaftungsrecht durch Ausschluß der Haftung bei Einhaltung der Anforderungen des Standes von Wissenschaft und Technik geregelt worden. 17 Auf die dogmatischen Probleme im einzelnen soll nicht eingegangen werden. In der hier eingenommenen Perspektive, die sich an den Erfordernissen der prozeduralen als eine Art "kognitiven Rationalität" orientiert, ist die Frage genauer aufzugreifen, warum die Haftung so weit ausgedehnt werden soll. Diese Frage stellt sich um so mehr, wenn man sieht, daß ein Unternehmen, das "Glück" gehabt hat, weil emittierte Stoffe sich erst mit anderen vermischt haben und eine Zurechnung dann nicht mehr möglich ist, oder weil die Eignung eines Stoffes zur Schädigung erst nach dem Ende der Verjährungsfrist entdeckt worden ist, deshalb Haftungsbefreiung eintritt. Damit sind nur einige Ungereimtheiten genannt, die mit der fortbestehenden Orientierung der verschärften Haftung am Kausalitätsmodell zusammenhängen. (Dafür gibt es allerdings auch keine einfache Alternative, weil kollektive Fonds-Lösungen wiederum auf erhebliche Bedenken stoßen müssen).18 Da aber eines der Hauptprobleme des Umweltrechts in den durch das Kausalitätsmodell gesetzten Grenzen der Zurechnung, und damit auch der Bildung von Erfahrung und des Lernens, besteht, ist die Entstehung von Widersprüchen, die mit der Ablösung der Haftung von den Voraussetzungen der Rechtswidrigkeit bei Festhalten am Kausalitätserfordernis einhergehen, nicht verwunderlich. Auch in anderer Hinsicht ergeben sich Widersprüche, die mit der Orientierung der Problemkonstruktion an einfachen Zurechnungen zusammenhängen und der Vernetzung von Handlungen zu schädigenden Beziehungsnetzwerken nicht gerecht werden. So kann etwa ein innovatives Unternehmen, das mit einem bisher nicht als gefährlich bekannten Stoff experimentiert und infolge von Emissionen einen Schaden verursacht, mit einer hohen Ersatzforderung belastet werden, während seine Konkurrenten daraus rechtzeitig und kostenlos lernen können. Das Haftungsmodell geht immer noch von relativ einfachen Zurechnungen aus, die darauf basieren, daß dem Handelnden im allgemeinen der Nutzen allein zufließt. Dies war auch früher schon eine Vereinfachung; diese Form der Zurechnung ist aber vielen synergistischen Austauscheffekten zwischen Innovationen über die Organisationsgrenzen hinweg in einer auf Komplexitätsbedingungen eingestellten Ökonomie häufig nicht mehr angemessen. Dies zeigt sich auch daran, daß darauf strategisch reagiert werden kann, wenn etwa Entwicklungsaufgaben auf selbständige Firmen übertragen werden, deren Konkursrisiko und Haftungsausfall in Kauf genommen werden 17 Vgl. zur Produkthaftung für Entwicklungsrisiken Schmidt-Salzer 1989, 4.429; Ladeur 1993, 1303 m.w.N. 18

Vgl. Salje 1991, 324 ff.; krit. Ladeur 1993, 257 ff.

180

Vili. Rechtsstaat und Risikoregulierung

kann.19 Dadurch kann sogar ein produktives Lernen verhindert werden, weil es im Interesse der Haftungsvermeidung organisational nicht angemessen verarbeitet wird. Auch solche Möglichkeiten strategischen Handelns können und müssen angesichts der Flexibilität die Formen ökonomischer Selbstorganisation in Rechnung gestellt werden. Ein zentrales Problem stellt sich in der hier eingenommenen Perspektive vor allem deshalb, weil bei innovativer Produktund Stoffentwicklung stets mit Ungewißheit gerechnet werden muß, deren Bewältigung ein einzelnes Unternehmen aber überfordern kann. Da der Gesetzgeber auf die Erhaltung der Flexibilität, Produktivität und Innovationsfähigkeit der interorganisationalen Netzwerke und der darin eingelassenen generativen gesellschaftlichen Wissensmuster angewiesen ist, erscheint eine solche Risikoabwälzung problematisch, wenn die Risiken nicht erkennbar waren. Die Gefährdungshaftung wird möglicherweise dogmatisch nicht angemessen konstruiert, wenn sie allein auf die Schaffung von Risiken zurückgeführt wird. Daß dies nicht durchgängig richtig sein kann, ergibt sich aus der differenzierten Regelung des § 833 BGB, der gerade denjenigen von der Haftungsverschärfung freistellt, der Tiere von Berufs wegen hält. Nach dem hier vertretenen kognitivistischen Ansatz erscheint es plausibler, die Gefährdungshaftung und spätere Verschärfungen der Produkthaftung, die auf eine Annäherung an die Gefährdungshaftung hinauslaufen, primär mit dem Übergang zu einer Art kollektiver Zurechnung von Risiken und den darauf bezogenen Lernpflichten zu erklären: Insbesondere bei der Eisenbahn- oder der KfzHaftpflicht geht es m.E. darum, nicht mehr punktuell einen Erfahrungsbestand in Versuch-Irrtums-Schritten zu erweitern, sondern das ganze technische System zu einer Art black box zu erklären, deren interne Verhaltensorientierung den Verletzten grundsätzlich nicht zu interessieren braucht und in die Lernen systematisch eingebaut werden muß. Das technische System und vor allem die Organisationen, über die es entwickelt wird, müssen ihre eigenen Such- und Verhaltensregeln formulieren, die das zur Beherrschung der Gefahr erforderliche Wissen erzeugen und weiterentwickeln. Dies gilt vor allem deshalb, weil für den Geschädigten vielfach nicht mehr erkennbar ist, ob und welche Verkehrspflichten bestehen und ob sie verletzt worden sind, zumal der unmittelbar handelnde Kraftfahrer, Lokführer etc. im allgemeinen selbst nur einen kleinen Teil der "Systemoberfläche" kennt und beherrscht und Fehler im arbeitsteiligen Konstruktions-, Warnings- und Betriebsprozeß häufig schwer zu lokalisieren sind: Die hier skizzierte dogmatische Rekonstruktion der Gefährdungshaftung ist deshalb wichtig, weil sie für die Weiterentwicklung der Haftung unter Bedingungen gesteigerter Komplexität einen angemessenen Orientierungsrahmen bieten kann. 19

Vgl. aus der amerikanischen Literatur England 1988, 387 ff.; Priest 1991, 31, 38, 43

2. Umweltschutz durch Haftungsverschärfung?

181

Die Einstellung der Dogmatik auf das Ziel der Erhaltung der Lernfähigkeit von (vor allem) Organisationen (und nicht mehr primär der Stabilisierung von Erwartungen der Individuen) erlaubt zunächst eine Präzisierung der Beschreibung der neueren Entwicklung der Umwelt- und Produkthaftung, die von einer Tendenz zur Annäherung an die Gefährdungshaftung bestimmt wird. Dies erscheint, ohne daß eine genauere Begründung und Differenzierung hier möglich wäre, angemessen, soweit es darum geht, nicht nur punktuell einzelne Handlungen zuzurechnen und am Maßstab einer kontinuierlich sich entwickelnden Erfahrung zu bewerten ("im Verkehr erforderliche Sorgfalt"), sondern eine Gesamtheit von Handlungen20 zuzurechnen, die durch differenzierte Planungs-, Organisations-, Verhaltens-, Beobachtungspflichten etc. proaktiv zu steuern und nicht mehr nur am Maßstab eines vorfindlichen Erfahrungsbestandes zu messen sind. Die Organisation muß das erforderliche Wissen selbst weitgehend erzeugen und kann nicht mehr in nennenswertem Maße auf ein gemeinsames Verständnis der "im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" zurückgreifen. Das organisationale Wissen ist nur dann zu gewinnen, wenn die Unternehmen sich nicht hinter der durch die Organisationsbildung gegenüber dem Markt gezogenen Grenze verschanzen, einer Grenze, die den Prozeß der organisationsintemen Wissensbildung partiell vor dem Einblick der Öffentlichkeit schützt. Demgegenüber war das Erfahrungswissen allgemein zugänglich und konnte so zur Basis einer kontinuierlichen Konventionsbildung werden. Die traditionelle Gefährdungshaftung ist dadurch begrenzt, daß die durch Erfahrung gesetzte Schwankungsbreite der Möglichkeiten ebenso überschaubar ist wie der Kreis der gefährdeten Rechtsgüter. Durch Dezentralisierung werden die Risiken gestreut, so daß die möglichen Schäden kalkulierbar bleiben und durch Versicherungen zu decken sind. Die moderne Gefährdungshaftung für neue Technologien, insbesondere die Atom- und die Gentechnologie, stößt aber auf ähnliche Probleme der Bewältigung der Ungewißheit wie das öffentliche Sicherheitsrecht: Alle dort beschriebenen Probleme treten auch hier wieder auf, so die Konzentration möglicher Schäden, die durch Dezentralisierung nicht mehr in vergleichbarem Maße distribuiert werden können, andererseits Probleme der Zurechnung infolge der Diffusion oder der Kumulation von Schadensbeiträgen zu langen Wirkungsketten und -netzwerken, Probleme der Festlegung der Normalität eines Bestandes geschützter Rechtsgüter etc.. Damit haben sich die Rahmenbedingungen auch der Haftung grundlegend verändert. Dies spricht nicht prinzipiell gegen die Einführung der Gefährdungshaftung bei Risikotechnologien, insbesondere dann nicht, wenn wenigstens das Bestehen des Risikos und damit die Notwendigkeit der Bereithaltung angemessener (Selbst-)Beobachtung der technischen Systeme unstreitig ist. Ob aber generell die Gefährdungshaftung für Bewältigung von Produkt- und Produktionsrisiken angemessen ist, erscheint sehr zweifelhaft, 2 0

Teubner 1993

182

. Rechtsstaat und Risikoregulierung

wenn man die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Dimensionierung von Lernfähigkeit in Rechnung stellt und die Abhängigkeit von der Entwicklung von Innovationen bedenkt: Bei den traditionellen Gefahren ist die Verteilung von Schäden und Nutzen jedenfalls soweit überschaubar, daß derjenige, der die Gefahr erzeugt, auch wahrscheinlich den größten Nutzen daraus ziehen wird. Das technische System ist relativ eindeutig beschreibbar, seine künftige Entwicklung läßt keine großen Sprünge erwarten. Bei den neueren Technologien ist aber vielfach auch auf der Seite der Nutzer mit einer hohen Streuwirkung zu rechnen. Aufgrund der Vernetzung der Wirtschaft und der hohen Varietät neuer Produkte, deren Informationsanteil groß ist, ist auch die Innovationswirkung für andere Produzenten und andere Produkte von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die interorganisationale technische Umwelt enthält auch jenseits der durch Patente, Betriebsgeheimnisse etc. privat anzueignenden Informationen ein potentiell anschließbares quasi-öffentliches Wissen, das für die Entwicklung von Technologien in einer Wissensgesellschaft eine ebenso hohe Bedeutung hat wie das traditionelle technische Erfahrungswissen.21 Es geht hier - anders als bei traditionellen Technologien - nicht mehr um überschaubare technologische Entwicklungstrajektorien, die durch öffentliche Konventionen festgelegt sind und der privaten Ausdifferenzierung überlassen bleiben, sondern um schwer kalkulierbare Wechselwirkungen innerhalb eines interorganisationalen Netzwerks von technischen und wirtschaftlichen Beziehungen, die das Verhältnis von privatem und öffentlichem Wissen verändern. Die gesetzliche Einführung der Gefährdungshaftung für technische Risiken kann ihrerseits die Innovationsfähigkeit von Unternehmen und der Wirtschaft insgesamt gefährden, wenn sie nicht auf einzelne Produktionsbereiche beschränkt wird. Vor allem für die Entwicklungsrisiken aufgrund von Ungewißheit ist deshalb eher an die Einführung einer Art kollektiver Gefährdungshaftung zu denken, die auch andere Unternehmen an den Innovationsrisiken beteiligt und auf diese Weise normativ einen Streueffekt herbeiführt, der früher über die Dezentralisierung der technischen Entwicklung und die A b s e t z barkeit von Risiken spontan erzeugt worden ist. Diese Risikostreuung kann durch Versicherungen allein nicht bewältigt werden, da auch die Versicherungslösung die Abschätzbarkeit und Dezentralisierung von Risiken voraussetzt22 und im übrigen auch die Höhe der Versicherungsprämie innovationshemmend wirken kann. Im Rahmen der hier verfolgten rechtstheoretischen Fragestellung kann auf dogmatische Probleme der Gefährdungshaftung und insbesondere die mit ihrer Erweiterung einhergehenden Probleme aus der jüngsten Zeit nicht eingegangen werden. Jedenfalls ist darauf zu insistieren, daß die Einführung der 21

Vgl. dazu Ladeur 1993b, 1303 ff.

2 2

Vgl. zum Problem der Versicherbarkeit von Umweltschäden Schmidt-Salzer 1992, 35

2. Umweltschutz durch Haftungsverschärfung?

183

Gefährdungshaftung für Handeln unter Ungewißheitsbedingungen etwas qualitativ Neues im Vergleich zur Haftung für individuelle technische Gefahren bedeutet. Die Lernfähigkeit technischer Systeme kann durch Haftungsverschärfung geradezu blockiert werden, wenn und soweit die normativen, faktischen und theoretischen Aspekte des Handelns unter Ungewißheitsbedingungen nicht abschätzbar sind und deshalb auch eine Vorsorgestrategie nur begrenzt möglich ist. Die Bewältigung der mit der Entwicklung neuer Technologien einhergehenden Risiken kann nicht einfach einzelnen Unternehmen oder sonstigen Akteuren zugerechnet werden, sie müssen vielmehr "netzwerkgerecht" bearbeitet werden. Auch die Überlegung, daß Risiken unter Ungewißheitsbedingungen nicht eingegangen werden sollten, wäre kurzsichtig, da man vielfach nicht einmal weiß, welche Verzweigungsmöglichkeiten eine neue Technologie eröffnet, nachdem einmal die Linearität bestimmter technologischer Trajektorien durch heterarchische Netzwerkbildung abgelöst worden ist. (Dies mag bei bestimmten Technologien mit einer relativ langfristigen Festlegung von Entwicklungsrichtungen wie etwa der Atomtechnologie anders sein). Dies ist die Kehrseite der technischen Risiken, die nicht außer Betracht bleiben darf: Nicht nur die Schadensmöglichkeiten sind diffus, latent, schwer beschreibbar und schwer zu bewerten, das gleiche gilt auch für den Nutzen; es geht nicht mehr um die Möglichkeit privater Aneignung der Vorteile technischen Wissens, sondern auch um die Schaffung von Wissen als eines nur beschränkt aneignungsfähigen öffentlichen Gutes.23 Unter Ungewißheitsbedingungen muß das Rechtssystem dafür sorgen, daß die Wissensbasis als Pool der Möglichkeiten, aus denen immer wieder neue Ideen (kombiniert mit spezifiziertem, in einer Unternehmensorganisation aggregierten Wissen) für die Entwicklung neuer Produkte entnommen werden können. Der Einbau explizit begründeter Such- und Beobachtungsmechanismen in das organisierte Produktentwicklungsverfahren ist auch und gerade durch rechtliche Instrumente zu begünstigen oder zu erzwingen: Die hohe Konnektivität, Flexibilität und Interdependenz der einzelnen "Beziehungsknoten" innerhalb technischer und wirtschaftlicher Beziehungsnetzwerke und die Tendenz zur Grenzüberschreitung zwischen Unternehmen und zwischen Markt und Organisation führt dazu24, daß auch die Zurechnung auf der Seite der Handelnden problematisch wird, da auch deren Einheit sich auflöst: In die Entwicklung des Stoffes X, der sich im nachhinein als gefährlich erweist, ist eine wissenschaftliche Idee von A, ein ingenieurwissenschaftliches Gutachten von B, ein Entwicklungsprojekt in einem Joint Venture von D, E, F, eine sicherheitstechnische Konstruktion von G, eine Sicherheitsüberprüfung durch den TÜV, eine Genehmigung durch die Behörde H eingegangen, um nur einige Möglichkeiten der zerstreuten Ver23

Romer 1990, "S" 71 ff.; ders. 1990 a, 97 ff.

2 4

Vgl. Wamecke 1992; Davidow/Malone 1992

184

. Rechtsstaat und Risikoregulierung

antwortung zu nennen. Kann man hier ohne weiteres die Gefährdungshaftung bei F lokalisieren, der das Produkt herstellt, noch dazu, wenn durch einen Unfall neues Wissen generiert wird, das zugleich eine erfolgversprechende Weiterentwicklung des Projekts durch andere zuläßt? Kann man umgekehrt den damit geschaffenen Anreiz zur Risikovermeidung ohne weiteres als "private" Entscheidung hinnehmen, wenn sich, wie gerade bei großen Unternehmen zu beobachten, daraus eine auch durch andere Momente verstärkte Tendenz entwickelt, eher ältere Technologien immanent zu verbessern, statt neue Produkte zu entwickeln? Auch hier zeigt sich wieder, daß der Verweisungszusammenhang, der den traditionellen Gefahrenbegriff normativ wie faktisch konturiert hat, auch nach der Seite der Akteure (unterstellt, daß eine Kausalkette im traditionellen Sinne nachgewiesen werden kann) unterbrochen worden ist: Selbst wenn ein Schaden einem Akteur zurechenbar ist, wird die Einheit des Handelnden unter Bedingungen der flexiblen funktionalen Vernetzung von Komponenten, insbesondere informationaler Ressourcen des Produktionsprozesses, zum Problem. Hier lassen sich dann Fragen nach der Haftung von Netzwerken anschließen25, deren Abgrenzung wiederum neue Folgeprobleme aufwirft. Wenn das Kausalitätsmodell für die Zurechnung komplexer Risiken insgesamt an Grenzen gestoßen ist, kann auch die von Verhaltenspflichten abgekoppelte Zurechnung einzelner Kausalketten zufällig und willkürlich wirken und damit negative Synergismen erzeugen. Dies gilt um so mehr, als gerade die Kumulation diffuser Schadensbeiträge zu einer komplexen Veränderung des Naturhaushalts, des Klimas, der Ozonschicht etc. damit nicht bewältigt werden kann. Es entsteht aber die Gefahr eines Wertungswiderspruchs, wenn die Rechtsordnung erhebliche Unterschiede zwischen der Haftung (ohne Verschulden) für zurechenbare Kausalketten und Schadensbeiträge zu gravierenden Schädigungen komplexer Güter andererseits macht. An dieser Stelle wird erkennbar, daß im Bereich des Handelns unter Ungewißheitsbedingungen die Suche nach Anschlußmöglichkeiten innerhalb des Kausalmodells zu Inkonsistenzen führen muß, wenn an anderer Stelle Lücken entstehen, die mangels adäquater dogmatischer Bewältigung des Gesamtproblems als faktische Regelungsschranken hingenommen werden. Auch hier zeigt sich wieder, daß das Kausalitätsmodell durch das Ineinandergreifen verschiedener normativer, faktischer und ökonomischer Komponenten seine Konsistenz erhalten hat, und daß die Ausdehnung der Gefährdungshaftung kaum als vielversprechende Entwicklungsperspektive gelten kann. Statt dessen erscheint es sinnvoller, punktuell durch Gesetz neue kollektive Haftungsformen zu erproben, die den Erfordernissen der Erhaltung und Begünstigung von Lernfähigkeit durch Wissensgenerierung innerhalb technischer und ökonomischer interorganisationaler Beziehungsnetzwerke entsprechen. 2 5

Teubner 1993

2. Umweltschutz durch Haftungsverschärfung?

185

Ansätze zu einer begrenzten kollektiven Zurechnung von Risiken enthält das Produkthaftungsrecht für Fälle der Weitergabe der von anderen gelieferten Produkten.26 Grundsätzlich dürfte aber die Haftung von "Netzwerken" bei der Gefahrdungshaftung schwer zu realisieren sein, weil der Verteilungsmaßstab für die Zurechnung von Teilverantwortungen (insbesondere für den internen Ausgleich) kaum bestimmbar erscheint oder jedenfalls zu komplex wäre, als daß er praktisch handhabbar wäre. Im Rahmen des hier untersuchten Themas soll auf Detailprobleme der Haftung und Gefährdungshaftung nicht weiter eingegangen werden. Hier kam es entscheidend darauf an zu zeigen, daß auch die Gefährdungshaftung für Umweltschäden auf erhebliche Probleme stößt, weil der Verweisungszusammenhang der einzelnen Komponenten des Kausalitätsmodells unter Ungewißheits- und Komplexitätsbedingungen insgesamt gestört ist und deren punktuelle Erweiterung eine Reihe neuer Gerechtigkeitsprobleme aufwirft. In der hier angenommenen Perspektive stellt sich vor allem die Frage, ob und wieweit die Verschärfung der Haftung mit dem Interesse an der Erhaltung der Kreativität und Flexibilität der gesellschaftlichen Wissensbasis und damit von Lernfähigkeit vereinbar ist. Auch Haftungsprobleme sind sinnvoll nur dann zu bewältigen, wenn die grundlegende Veränderung des ordnungsbildenden Paradigmas, das sich mit dem Kausalitätsmodell verbunden hat, in Rechnung gestellt wird und ein neues, auf Generierung von Wissen und Erhaltung von Lernfähigkeit in interorganisationalen Netzwerken umgestelltes Ordnungsmodell entwickelt wird. In der Perspektive einer "kognitiven Rationalität" ist zu berücksichtigen, daß es um die Erhaltung der Produktivität der "Ideenpopulation" einer Gesellschaft gehen muß, d.h. die Fähigkeit, nicht nur innerhalb einer begrenzten Schwankungsbreite von Optionen mit festliegenden Parametern und Kriterien Entwicklungstrajektorien punktuell zu variieren, sondern eine dynamische Selbständerung des technologischen Optionenraumes zum Zwecke der Generierung multipler Verzweigungsmöglichkeiten des Wissens als eines (auch) öffentlichen Gutes zu erhalten. Durch Haftungsverschärfung kann aber die Neigung zur Vermeidung nicht nur von Risiken, sondern auch des Neuen insgesamt erzeugt werden. Mit diesem Problem haben große Unternehmen ohnehin zu kämpfen. Daß die Umstellung des Rechts, und damit auch des Haftungsrechts, auf das Handeln unter Ungewißheitsbedingungen, wenn es nur durch Variation einzelner Komponenten des Kausalitätsmodells verarbeitet wird, immer wieder neue Probleme an anderer Stelle schaffen muß, zeigt auch die Diskussion über ein umfassendes (kollektives) "zweites Haftungssystem" 27 in der Form eines Umwelthaftungsfonds: Dieser soll dann haften, wenn eine individuelle Zurechnung mangels Kausalitätsnachweises nicht gelingt. Es stellt sich hier 2 6 27

Brüggemeier 1986, Rnr. 589 ff.

Vgl. dazu einerseits Diederichsen 1991, 41 ff.; andererseits Salje 1991, 324 ff.; vgl. krit. auch Ladeur 1993, 257 ff.

186

. Rechtsstaat und Risikoregulierung

zunächst die Frage, ob und wieweit es mit einem Haftungssystem vereinbar ist, einen Ersatzanspruch auch dann zu begründen, wenn die Kausalität zwar nicht nachweisbar, aber überwiegend wahrscheinlich ist. Es handelt sich hier um einen Gefahrenverdacht, der aber seinerseits - wie oben bei der Untersuchung des öffentlichen technischen Sicherheitsrechts gezeigt worden ist - in mehreren Varianten auftreten kann. Bei komplexen Varianten von insbesondere wissenschaftstheoretischer Ungewißheit erscheint es zweifelhaft, ob auf dieser Grundlage ein Schadensersatzanspruch zu begründen ist. Für die öffentlich-rechtliche Vorsorgeentscheidung mag dies anders sein, weil hier der Verwaltung ein "Experimentierspielraum" zuzuerkennen ist. Daß Gerichte für dessen Ausfüllung die geeigneten Institutionen sind, läßt sich kaum behaupten. Auch dieses Problem soll hier nicht im einzelnen erörtert werden. Es kommt vor allem darauf an, daß auch eine Kollektivhaftung keine einfache Lösung für die Bewältigung der Folgen des Handelns unter Ungewißheitsbedingungen bietet. Je weiter die Haftung für Umweltschäden erstreckt wird, desto stärker kommt das an der einen Seite bewältigte Problem an der anderen Seite wieder zum Vorschein, vor allem bei der Verteilung der Kosten, aber auch bei der Abstimmung eines kollektiven auf das individuelle Haftungssystem und beim Problem der "Verrechnung" mit eigenen Schadensbeiträgen des Geschädigten, insbesondere in der Form geringfügiger, aber anhaltender Emissionen (Autoverkehr, Heizung etc.), etwa bei Gebäudeschäden durch sauren Regen. Wenn ein solches Haftungssystem verallgemeinert wird, werden überdies schnell Haftungssummen erreicht, die Rückwirkungen auf die Rentabilität der Unternehmen haben müssen und die Fähigkeit zur Entwicklung proaktiver Umweltschutzstrategien beeinträchtigen müssen.28 Auch hier zeigt sich, daß ein Umweltrechtssystem durch Lösung von Teilproblemen an anderer Stelle Rückwirkungen innerhalb des interorganisationalen Netzwerkes der Technik und Produktion erzeugen muß. Außerdem fragt sich, ob eine Gesellschaft sich so viel Kontrollaufwand leisten kann, der nur auf Kosten der Fähigkeit zur Innovation erbracht werden kann. Dazu gehört auch, daß die unklaren Voraussetzungen der Haftung zwangsläufig eine Fülle von teuren Gerichtsverfahren provozieren muß, für die jeweils wissenschaftlicher Sachverstand in Anspruch genommen werden muß. Die problematische Vervielfältigung von gerichtlichen Konflikten um Umweltrisiken ist auch in den USA beobachtet worden; sie signalisiert nicht etwa ein besonders hohes Problembewußtsein, sondern eher den Versuch, Probleme des Handelns unter Ungewißheitsbedingungen nicht als grundsätzliche Herausforderung zur Neuordnung des Rechtssystems anzunehmen, sondern auf das Ausprobieren von punktuellen Variationen des Kausalitätsmodells zu vertrauen. Dies mag in begrenztem Umfang durchaus zulässig sein; problematisch wäre jedenfalls der Versuch, eine grundsätzliche Änderung des Haftungssystems ohne Klä2 8 Die Protagonisten des "Umwelthaftungsfonds" rechnen mit einer jährlichen Haftungssumme von 50 Mrd. DM, vgl. Salje 1991, 324 ff.

3. Flexibles Ordnungsrecht durch "Experimentierspielräume" der Verwaltung

187

rung der theoretischen Voraussetzungen dem Gerichtssystem zu überlassen, das hier nur experimentieren kann, ohne aber die Folgen seiner Experimente abschätzen zu können. Diese kurze Skizze aktueller Probleme des Haftungsrechts mag hier genügen, obwohl sie nur einige wenige Grundsatzfragen unter dem Aspekt der Umstellung des Rechts auf eine "kognitive Rationalität" aufgenommen hat. Es ging hier aber nur um den Nachweis, daß die Möglichkeiten des Haftungsrechts für die Bewältigung der Folgen von Entscheidungen unter Ungewißheitsbedingungen selbst begrenzt sind; das Haftungsrecht kann insbesondere nicht ohne weiteres der Notwendigkeit der Generierung neuen Wissens gerecht werden, auf die die Wissensgesellschaft mehr und mehr angewiesen ist. Auch das Haftungsrecht hat zwar stets eine präventive Funktion gehabt, aber unter Ungewißheitsbedingungen ist es schwieriger, die Suchmechanismen in Gang zu setzen, über die neues Wissen zu generieren ist. Lernen zweiter Ordnung in dem oben beschriebenen Sinne kann weder über die Verschärfung der Haftung im ersten Haftungssystem noch durch Einführung eines zweiten kollektiven Haftungssystems erreicht werden. Vielmehr ist das Haftungsrecht eher auf die Orientierung an verfügbarem Wissen und seine Erweiterung auf überschaubare Trajektorien durch die Vorgabe von "Verkehrspflichten" eingestellt29, während die Bewältigung der Probleme des Handelns unter Ungewißheitsbedingungen nur unter Berücksichtigung der "kognitiven Rationalität" der Wissensgesellschaft möglich ist. Das Lernen zweiter Ordnung ist nur über komplexere Regelungen zu ermöglichen, die die Organisation des Unternehmens für Grenzüberschreitungen durch Prozeduralisierungen neuer Art öffnen. Darauf soll im letzten Teil dieser Untersuchung näher eingegangen werden. 3. Flexibilisierung des Ordnungsrechts durch planerische "Experimentierspielräume" der Verwaltung Aus den bisherigen Überlegungen zur Extrapolation des naturwissenschaftlich-technischen Sachverstandes in administrativen Entscheidungsverfahren, in denen unter Ungewißheit entschieden werden muß, ergibt sich, daß die von der Rechtsprechung im Anschluß an R. Breuer entwickelte Vorstellung, die Festlegung von Grenzwerten könne unter bestimmten verfahrensrechtlichen Voraussetzungen den Charakter eines "antizipierten Sachverständigengutachtens" haben30, keine plausible dogmatische Konstruktion ist. Das Sachverständigengutachten ist eine Form der Erschließung von Expertenwissen, die selbst mit dem Kausalitätsmodell und dem daran anschließenden Erfahrungs2 9

Vgl. Brüggemeier 1986, Rnr. 102 ff.

3 0

Vgl. nur BVerwGE 55, 250 ff.; Breuer 1978, 28 ff.

188

Vili. Rechtsstaat und Risikoregulierung

begriff verknüpft ist. Wie gezeigt, geht es aber bei der Begründung administrativer Risikoentscheidungen eher um eine Modellbildung auf der Grundlage unvollständigen Wissens, die Anwendung (vielfach) umstrittener Methoden, die Formulierung subjektiver Wahrscheinlichkeitsannahmen und den Rekurs auf wissenschaftstheoretisch nicht in vollem Umfang begründbare Hypothesen. Entscheidungsbildung unter Komplexitätsbedingungen erfordert eigenständige Kooperations- und Koordinationsregeln, die die notwendige Grenzüberschreitung zwischen Wissenschaft und praktischem Handeln durch interaktive Prozeduralisierung ermöglichen und das konstruktive Moment des seinen eigenen Bezugsrahmen erzeugenden Entwurfs durch Institutionalisierung systematischer Selbstbeobachtung haltbar machen. Aber auch die Figur des "Standardisierungsspielraums" 31, der in allgemeiner Form der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften ausgeschöpft werden können soll, aber sowohl nach der Rechtsprechung des BVerwG als auch nach einem großen Teil der Literatur bei Einzelentscheidungen zu berücksichtigen ist, ist eine auf einen Grenzfall festgelegte dogmatische Konstruktion: Sie erscheint angemessen nur für die Variante der Ungewißheit, die durch empirische Unvollständigkeit der Grundgesamtheit des Fallmaterials charakterisiert ist, und die Variante der Meßungenauigkeiten, nicht aber für komplexere Konstellationen von Ungewißheit (begriffliche und methodische oder wissenschaftstheoretische, durch Zweifel an der Modellvalidität bestimmte Ungewißheit).32 Der Begriff der "Schwankungsbreite" der wissenschaftlichen Auffassungen 33, innerhalb deren die Verwaltung eine Option durch Bestimmung (insbesondere) eines Grenzwertes wahrnehmen kann, ist für den dynamisch-adaptiven Charakter der Prozeduralisierung von Grenzüberschreitungen zwischen Verwaltung und Wissenschaft nicht angemessen. Die Dogmatik des Beurteilungsspielraums ist ihrerseits zu stark orientiert an der Konkretisierung der "inhaltlich-tatbestandsmäßigen Seite der zu vollziehenden Rechtsnorm"34 durch Rekurs auf teils situatives, teils regelhaftes Expertenwissen der Verwaltung selbst. Dies gilt insbesondere für den Beurteilungsspielraum im Prüfungsrecht. Durch die jüngere Rechtsprechung des BVerfG 35 ist dies noch verdeutlicht worden, wenn nämlich die Grenzen der Kontrolle solcher Entscheidungen durch Verwaltungsgerichte vor allem dadurch spezifiziert worden ist, daß eine Pflicht zur Darlegung und Begründung jedenfalls der regelhaften Bestandteile des Expertenwissens verlangt wird und der Beurteilungsspielraum nicht als eine Chiffre für eine von der Verwaltung 31

Vgl. nur BVerwGE 72, 300, 315; Breuer 1989,43,47 ff.

3 2

Vgl. zu verschiedenen Varianten der Ungewißheit Walker 1991, 567 ff.; ders. 1989, 469 ff.; vgl. dazu allg. auch Page 1978, 207 ff. 33

BVerwGE 72, 300, 321; Breuer 1989, 65; Murswiek 1990, 221

3 4

Scholz 1984, 691 ff.;

3 5

Vgl. BVerfGE 83, 130, 145 ff.; 83, 182,199 ff.; 84, 34,49 ff.; 84, 59, 77 ff.; 85, 36,56 ff.

3. Flexibles Ordnungsrecht durch "Experimentierspielräume" der Verwaltung

189

auszufüllende Leerstelle im Prozeß der Aufbereitung einer Norm für die Anwendung auf einen konkreten Sachverhalt behandelt werden darf. Auch für die Dogmatik der ebenfalls nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle zugänglichen Prognose36 gilt ähnliches, wenngleich hier das Moment des unvollständigen Wissens und der damit begründete Vorgriff auf Zukunftserwartungen explizit in Rechnung gestellt wird. Ein Grundproblem der Dogmatik des Ermessens- und des Beurteilungsspielraums sowie verwandter Konstruktionen besteht darin, daß die Trennung zwischen Norm/Tatbestand und der Rechtsfolgenseite (Ermessen) zu einer Prinzipienfrage erhoben worden ist, obgleich vielfach gezeigt worden ist, daß im konkreten Einzelfall Formen der Eröffnung administrativer Gestaltungsspielräume gegeneinander ausgetauscht werden können.37 Dies läßt sich insbesondere bei der Eignungsprüfung von Bewerbern um ein öffentliches Amt zeigen: Die Einstellungsentscheidung läßt sich als Rechtsanwendung mit Beurteilungsspielraum ebenso wie als rechtlich (durch das Ziel der Auswahl geeigneter Kandidaten) begrenzte Ermessensentscheidung begreifen, ohne daß dies im Ergebnis für die rechtliche Kontrolle durch verwaltungsgerichtliche Entscheidung einen Unterschied bedeuten würde. Daraus folgt nicht, daß es gar keinen Unterschied zwischen Ermessens- und Beurteilungsspielraum gäbe, es handelt sich vielmehr um eine gleitende Skala unterschiedlicher Freiheiten der Selbstprogrammierung der Verwaltung: Auf der einen Seite der Skala ist der Beurteilungsspielraum anzusiedeln, der der Konkretisierung von Gesetzen durch ergänzende Bildung von Standards der Verwaltung als "Experten in eigener Sache" ermöglichen soll (Leistungsstandards in Prüfungen, bei der Einstellung von Personal etc.), auf der anderen Seite befindet sich der Ermessensspielraum, der der Verwaltung einen unbenannten (nur durch den Zweck begrenzten) Spielraum zur Selbstgestaltung überläßt, der situativ unterschiedlich, also nicht nur im Rekurs auf ein standardisierbares Expertenwissen ausgeschöpft werden kann. In der Mitte liegen die Fälle, in der das Experten wis sen zwar situativ zur Geltung kommen kann (der Eindruck von einem Prüfungskandidaten, einem Stellenbewerber) und die situative Ermessensentscheidung unter relativ enger gesetzlicher Zweckbindung steht. Insofern ist es konsequent und begrüßenswert, daß das Bundesverfassungsgericht dem Beurteilungsspielraum nunmehr schärfere Konturen dadurch verliehen hat, daß es die Pflicht zur Darlegung und zur Entfaltung der Bewertungsstandards innerhalb von Beurteilungsspielräumen hervorgehoben hat. Davon unterscheidet sich die planerische Abwägung, und insbesondere das planerische Ermessen durch die Vielfalt der zu berücksichtigenden "Belange", die in den Abwägungsprozeß "eingestellt" werden müssen.38 Es handelt sich 3 6

Vgl. Ladeur 1985a, 81 ff.; aus der Rechtsprechung BVerwGE 56, 110 ff., 120 ff.

3 7

Vgl. Schuppen 1992, 129, 147

3 8 Vgl. zur planerischen Abwägung in der Rechtsprechung nur BVerwGE 45, 309 ff.; dazu SchulzeFielitz 1992, 201 ff.; krit. und weiterführend Hoppe 1974, 641 ff.

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. Rechtsstaat und Risikoregulierung

dabei weder um die "Konkretisierung" eines Tatbestands durch administrative Standards noch um die (im Rahmen eines gesellschaftlichen Zweckes) freie Selbstprogrammierung. Die gesetzliche Steuerung erfolgt nicht durch ein substantielles Gebot, sondern durch abstrakte Ziele und durch prozedurale Pflichten, eben zur "Einstellung" von Belangen "nach Lage der Dinge". Mit der letzten Formulierung ist ein Vorbehalt verbunden, der der Verwaltung doch die Möglichkeit eröffnet (auch wenn dies in der Rechtsprechung eher zurücktritt), an faktische Beziehungen und Anschlußzwänge, aber in begrenztem Maße auch an eigene Vorentscheidungen anzuknüpfen. 39 Anders ist Planung nicht möglich: Auf einer grünen Wiese sind planerisch theoretisch unbegrenzt viele alternative Nutzungsformen denkbar, die die Verwaltung aber dennoch nicht alle erwägen muß. Das gleiche gilt umgekehrt für die Wahl des Standorts von Anlagen mit vorentschiedener Nutzung (Straße, Kläranlage etc.); auch hier sind nicht alle theoretisch denkbaren Alternativen mit allen in Betracht kommenden Belangen zu prüfen. 40 Praktisch hat die Verwaltung damit schon ein partielles Vorentscheidungsrecht im Hinblick auf den Rahmen, innerhalb dessen eine Einstellung von Belangen erforderlich ist, die eben nur "nach Lage der Dinge" erfolgt; und diese "Lage" ist eben durch ihre Projekte mitbestimmt. In der Rechtsprechung tritt gerade dieser Aspekt der Vorentscheidung eher in den Hintergrund, weil die Eigenständigkeit planerischen Entscheidens durch das Festhalten an der traditionellen Begrifflichkeit eher verschleiert wird. 41 Vor-Entscheidungen und Anschlußzwänge werden zur bloßen faktischen "Lage" heruntergespielt, in die auch Interessen der Verwaltung und anderer Beteiligter eingehen und das einzustellende Material vorprägen, während die Einstellung der Belange in den Abwägungsvorgang selbst und ihre Gewichtung als Erkenntnisakt verstanden wird, dem die eigentliche planerische Ermessensentscheidung folgt. Dieses bei der Ko- und Subordination der Belange eröffnete planerische Ermessen wird (im Rahmen der Verhältnismäßigkeit von den rechtlich gebundenen Strukturen der Abwägung getrennt. Dessen dogmatische Einordnung bleibt umstritten. Zum Teil wird es als klassisches Verwaltungsermessen angesehen, zum Teil wird dem planerischen Ermessen ein eigenständiger Charakter beigemessen. Nach der hier vertretenen Auffassung, die die Prozeduralisierung als eigenständige Form der horizontalen Verwaltungsprogrammierung (nicht durch gesetzliche Normen oder Ziele, sondern durch die Pflicht zur Relationierung und abgestuften Dimensionierung eines Optionenraums, der Pflicht zur Beachtung von Anschlußmöglichkeiten und Anschlußzwängen und zur polygonalen Koordination un-

3 9

Vgl. ΒVerfGE 45, 309 ff.

4 0

BVerwGE 75, 215, 237

41

Vgl. zur Kritik Hoppe 1974, 641 ff.

3. Flexibles Ordnungsrecht durch "Experimentierspielräume" der Verwaltung

191

terschiedlicher Interessen innerhalb eines Modells) begreift 42, ist dies gerade deshalb zu bejahen, weil man die einzelnen Planungsschritte nicht auseinanderreißen darf. Die rechtliche Bindung der Verwaltung ergibt sich hier eher aus horizontalen, prozeduralen Anforderungen an die Relationierung der einzelnen Planungskomponenten, nicht aus einer engen Verhaltens- oder einer lockeren Zweckprogrammierung (die der Verwaltung mehr oder weniger Freiheit zur Selbstgestaltung eröffnet und erheblich geringere Anforderungen an die immanente Konsistenz stellt; dies zeigt sich insbesondere an der Möglichkeit, im Einzelfall von Verwaltungsvorschriften abzuweichen). Die Planung ist dadurch gekennzeichnet, daß sie durch die horizontalen Anschlußzwänge durchaus zu einer (wenn auch flexiblen) Gesamtregelung durch Koordination aller Belange gezwungen ist (vgl. etwa den Grundsatz der Konfliktbewältigung) 43, während das Ermessen sich an der Einzelfallentscheidung orientiert und Konsistenzgebote sich eher unter Gleichheitsaspekten ergeben, nicht aber aus der Notwendigkeit der Aufstellung eines Gesamtprogramms. Diese Überlegung eröffnet auch den Zugang zur dogmatischen Einordnung der (nicht explizit planerischen) Risikoentscheidung unter Ungewißheitsbedingungen. Auch diese Variante des Verwaltungsentscheidens ist einer engen Verhaltensprogrammierung nicht zugänglich, andererseits kann die Dogmatik des Beurteilungsspielraums 44 dem Operieren unter Ungewißheitsbedingungen nicht gerecht werden, weil es hier - insoweit vergleichbar mit dem Planungsrecht - um die interaktive und adaptive Entwicklung einer Entscheidung geht, deren Defizit (die systematische Unvollständigkeit ihrer Wissensbasis) nur dadurch "haltbar" wird, daß nach der Ausschöpfung der Erfahrung eine Modellbildung erfolgt, die die multiplen Erkenntnismöglichkeiten von Wissenschaft und Technik (je nach Bedeutung des Risikos) abtastet und die verbleibende Ungewißheit durch Formulierung von (Selbst-)Beobachtungspflichten ("Monitoring") 45 partiell kompensiert, im übrigen aber, soweit wie möglich, offenlegt. Es erscheint angemessener, die der Verwaltung dabei notwendigerweise zu eröffnende Entscheidungsfreiheit als "Experimentierspielraum" 46 zu charakterisieren, der soweit wie möglich durch Verwaltungsvorschriften, im übrigen aber durch einzelfallbezogene Konkretisierungen auszugestalten ist und insofern dem planerischen Entscheidungsverfahren nicht unähnlich ist. Dies gilt um so mehr, als auch hier gerade im Bereich der Vorsorge mit negativen Synergismen zwischen einzelnen Entscheidungen zu rechnen ist und aus einzelfallbezogenen Entscheidungen auch für andere Verfahren systematisch 4 2

Vgl. auch Schmidt-Preuß 1992

43

Vgl. zum Grundsatz der Konfliktbewältigung Battis/Krautzberger/Löhr 1994, § 1 Rnr. 115 f. 118

ff. 44

Vgl. zur Weiterentwicklung nur Di Fabio 1992, 1338 ff.

4 5

Vgl. Speilerberg 1991; vgl. auch Murswiek 1990, 213

4 6

Vgl. mit etwas anderer Akzentuierung Faber 1992, § 14 IV c

192

. Rechtsstaat und Risikoregulierung

(und nicht nur von Fall zu Fall) zu lernen ist. Dieser planerische, mehre Entscheidungen relationierende Aspekt darf nicht überbewertet werden, vor allem geht es dabei nicht um eine Art umfassender Umweltplanung47, die eigenständiger Rechtsformen bedürfte, vielmehr liegt die prozedurale Rationalität des Operierens mit und auf der Grundlage von Ungewißheitsbedingungen in der Entwicklung einer durch Verfahren gestuften und strukturierten interaktiven Modellbildung, deren Haltbarkeit sich aus der Offenlegung der Risikoerwägungen und dem Programm seiner künftigen Beobachtung ("Monitoring") ergibt. 48 Die Besonderheit des experimentellen Entscheidens wie des Planungsaktes besteht darin, daß durch die prozedurale Verschleifung des Tatbestands und des Sachverhalts Interdependenzen innerhalb eines Beziehungsnetzwerkes beobachtet, selegiert und (re-)modelliert werden. Dadurch wird nicht nur Information gesammelt und bewertet bzw. eine Palette von Handlungsmöglichkeiten zur situativen Spezifizierung durch die Verwaltung bereitgestellt, vielmehr wird dadurch neues Wissen generiert, das in den paradoxen Prozeß der "Selbstprogrammierung durch Anwendung" eingeht und zugleich auf Erweiterung durch nachträgliche Beobachtung der Entscheidung angelegt sein muß. Die hier vorgeschlagene Begrifflichkeit verbindet die materielle Gestaltungsfreiheit der Verwaltung (insofern in Übereinstimmung mit der Konzeption des Standardisierungs- bzw. Beurteilungsspielraums) mit der prozeduralen Verpflichtung zur Strukturierung von Ungewißheit durch Bildung von Modellen, die auf Ungewißheit und auf Vervollständigung durch Beobachtung ihrer Anwendung angelegt sind. Grundsätzliche Bedenken etwa im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG (Unternehmerfreiheit) dürften gegen die hier skizzierte Variante der prozeduralen Rationalität des Entscheidens unter Ungewißheitsbedingungen kaum bestehen, da der Experimentierspielraum nicht im Sinne eines freien Ermessens herkömmlicher Natur verstanden werden darf. Vielmehr kommt es primär darauf an, Wissen für das Operieren unter Ungewißheitsbedingungen zu erzeugen und Freiheit zum Experimentieren prozedural zu beschränken. Die Zurückhaltung der h.M. gegenüber einer erweiternden Interpretation der Vorsorge, insbesondere ihre Ablösung vom "Stand der Technik", sind berechtigt, da das Verhältnismäßigkeitsprinzip angesichts des unter Ungewißheitsbedingungen möglicherweise dynamisch ansteigenden Wertes von Umweltgütern seine Maßstäblichkeit weitgehend einbüßen muß.49 Die hier entwickelte Konzeption sucht eher einen Kompromiß, der nicht die materielle Verschärfung von Ge- und Verboten über den bisherigen Rahmen hinaus erlaubt, sondern 4 7

Vgl. dazu Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann 1990, § 19; krit. dazu Gassner 1993,118 ff.

4 8

Vgl. zur gesetzlichen Steuerung von Verwaltungsexperimenten Ladeur 1987a, 140 ff.; vgl. allg. zur Bedeutung des Verfahrens in diesem Zusammenhang Pitschas 1990, insbesondere 441 ff. 4 9

Vgl. nur Kloepfer 1993, 236 ff.; ders., in: Gethmann/ders. 1993, 75 f.

3. Flexibles Ordnungsrecht durch "Experimentierspielräume" der Verwaltung

193

statt dessen die Fähigkeit des Staates wie der privaten Unternehmer zur Verarbeitung von Ungewißheit durch Prozeduralisierung und Flexibilisierung der Erwartungen verbessern will, damit die "Resilienz", d.h. die Fähigkeit zur Anpassung an das Unerwartete, nicht aber die Fähigkeit zur Prognose erhöht wird. Eine solche Konzeption läßt ihrerseits die Formulierung allgemeiner Regeln über das Design von experimentellen Entscheidungen nicht zu, vielmehr lassen sich zunächst nur einige Meta-Regeln entwickeln, die die interaktive Abstimmung von Wissensgenerierung und Modellbildung derart vorstrukturieren, daß - entsprechend der oben skizzierten Überlegung - die Extrapolation von "Sachverstand" in Verfahren der Entscheidung unter Ungewißheitsbedingungen stärker auf die Notwendigkeit zur Offenlegung der Grenzen des Teilwissens, der Grenzen der Zuverlässigkeit von Methoden und wissenschaftstheoretischen Grundannahmen umzustellen ist. Die Verwaltung müßte ihrerseits dabei eine größere Transparenz und Verallgemeinerungsfähigkeit der Risikobewertung durch Vereinheitlichung von Methoden, durch Risikovergleich und systematischen Einbau von Monitoring-Kompetenzen in die Implementation der Entscheidung gewährleisten. Private Unternehmen müßten ihrerseits ein Kooperationsinteresse haben, wenn zugleich dadurch das Verfahren beschleunigt und möglicherweise auch materielle Auflagen und Kontrollen eingeschränkt werden können. Ein solches Verfahren wird gesetzlich nur sehr grob zu steuern sein, insofern ist die Experimentierfreiheit der Verwaltung zu erstrecken auf die Entscheidung über die Methoden selbst.50 Eine auf das Handeln unter Ungewißheitsbedingungen abgestimmte Spezifizierung des Gesetzesvorbehalts könnte darin bestehen, die Angemessenheit der gesetzlichen Regelung, insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit und Notwendigkeit der "Nachbesserung", regelmäßig zu prüfen. 51 Insbesondere für Verfahren der Grenzwertsetzung wären allerdings gesetzliche Regeln für die Bildung von Kommissionen52, insbesondere über ihre Zusammensetzung53 und die Dokumentation ihrer Verfahrensschritte erforderlich. Die Dokumentationspflicht sollte dem oben skizzierten interaktiven Vorgehen angepaßt sein und vor allem Transparenz für die Öffentlichkeit gewährleisten. Diese Variante der Verfahrensrationalität kann dem Transparenzinteresse möglicherweise besser entsprechen als eine aufwendige Öffentlichkeitsbeteiligung. Denkbar wäre allerdings, eine Art Demonstrationsmöglichkeit zu erproben, die Umweltverbänden ein begrenztes Recht zur "Wiederaufnahme" 5 0

Vgl. zur Methode der Bestimmung von Endlagerstätten in Atomrecht Ladeur 1989, 241 ff.

51

Vgl. zur experimentellen Gesetzgebung Stettner 1989, 806 ff.; Ladeur 1985, 734 ff.

5 2

Vgl. nur Denninger 1990; Lübbe-Wolff 1991, 219 ff.; Wahl 1991, 409, 415 ff.; v. Lersner 1990, 193 ff.; vgl. zur Notwendigkeit revisionsoffener Regulierung unter Ungewißheitsbedingungen Silbergeld 1991, 99 ff.; eine irreversible Entscheidung ist aber auch unter solchen Bedingungen positiv zu bewerten, da sie neue Optionen eröffnen kann, Ramani/Richard 1993, 259 ff. 53

Vgl. (restriktiv) BVerwG, UPR 1993, 391 f.

13 Ladeur

194

Vili. Rechtsstaat und Risikoregulierung

eines Verfahrens der Standardsetzung einräumen würde. Ähnliches könnte für die private Standardsetzung erwogen werden 54, die auch und gerade nach der hier vertretenen Konzeption nicht in vollem Umfang auf den Staat übertragen werden kann. Statt dessen wären Verfahrenserfordernisse durch Vereinbarung mit Verbänden oder durch Gesetz entsprechend den hier entwickelten Überlegungen stärker auf die methodische Strukturierung und Abstimmung einzelner Schritte innerhalb eines interaktiven Verfahrens der Abstimmung von Sachverstand, Sicherheitserfordernissen und konkurrierenden Interessen zu verpflichten, damit auch in dieser Hinsicht Transparenz gewährleistet wird. Allein die Fülle der zu setzenden Grenzwerte schließt aber eine systematische Beteiligung der Öffentlichkeit praktisch aus. Dabei stellt sich nicht nur ein praktisches Problem, dieses ist vielmehr ein Symptom des Zerfalls einer einheitlichen, an einer substantiellen Rationalität orientierten Öffentlichkeit. "Öffentlichkeitsbeteiligung" wird selbst eher zu einer auf Unterbrechung von Tendenzen zur Selbstblockierung durch Zufuhr nicht-organisierten Wissens angelegten Verfahrenskomponente neben anderen. Ein Modell der prozeduralen "kognitiven Rationalität" kann aber nicht auf ein Zentrum setzen, von dem aus Selbstaufklärung in einem emphathischen Sinne erfolgen könnte. Es orientiert sich an einer pragmatischen Variante der "Verständigung" in der Form der Erhaltung der Durchlässigkeit verschiedener Wissenstypen füreinander; dabei muß aber berücksichtigt werden, daß das an die interorganisationalen Netzwerke gebundene Wissen nicht in eine spontane Bürgeröffentlichkeit der Diskussion überführt werden kann, da es von seinen produktiven Generierungsmustern nicht ablösbar ist. 4. Zum Verhältnis privater und öffentlicher Experimentierfreiheit insbesondere zur Rolle von Anzeigeverfahren im Umweltrecht Das Verhältnis von privater und öffentlicher Entscheidungsverantwortung 55 unter Bedingungen von Ungewißheit stellt sich auch bei Einzelentscheidungen über Risiken, so insbesondere im Arzneimittelgesetz (AMG) 56 und im umweltbezogenen Gefahrstoffrecht, wo explizit mehr oder weniger durch verfahrensrechtliche Anforderungen (standardisierte Tests im ChemG, Einholung von Sachverständigengutachten nach dem AMG) vorstrukturierte private Risikobewertungen dem Staat nur zur Information mitgeteilt werden, von ihm aber nur begrenzt nachgeprüft werden können.

5 4 5 5

Vgl. dazu allg. Lübbe-Wolff 1991,233 Vgl. Di Fabio 1990, 193, 222 f. (Arzneimittelrecht) Vgl. den Überblick zum Arzneimittelrecht von Damm/Hart 1993, 7 ff.;

4. Private und öffentliche Experimentierfreiheit - Anzeigeverfahren im Umweltrecht

195

Trotz der aus den Grundrechten (z.B. aus Art. 2 Abs. 2 GG), abgeleiteten Schutzpflichten 57, die vor allem auch verfahrensrechtliche Bedeutung haben, wird man keine allgemeine Pflicht zur Einführung von administrativen Genehmigungsverfahren für die Bewertung aller nennenswerten Risiken aus der Verfassung ableiten können.58 Dies gilt nach der hier vertretenen Auffassung vor allem deshalb, weil die unter post-industriellen Verhätnissen zentrale Bedeutung der Erhaltung der Innovationsfähigkeit der Wissen generierenden interorganisationalen Netzwerke, die an die Beweglichkeit der Interdependenzen gebunden ist, dadurch gefährdet wäre. Im übrigen kommt es hier vor allem darauf an, daß die komplexe Risikobewertung durch Verbesserung des interaktiven Dialogs mit der Wissenschaft und durch methodische Strukturierung transparenter wird, und der Zwang zur Selbstbeobachtung in die Produktionsverfahren eingebaut wird. Wenn dies gewährleistet ist, kann eine Risikobewertung Privaten überlassen bleiben oder zwischen Staat und Privaten (aufgrund von Informationspflichten) geteilt werden, wenn es sich um eine Fülle von Einzelentscheidungen handelt, deren aufwendige Prüfung den Staat informationell überfordern würde. Unter Ungewißheitsbedingungen kommt es gerade darauf an, methodische Fähigkeiten zur Modellbildung, zur Entscheidung unter unvollständigem Wissen und zur Erzeugung komplexen neuen Wissens für eine erst zu entwikkelnde höhere Kompetenz zur Bewältigung von Risiken bereitzuhalten und dafür einen Prozeß des Experimentierens mit vorhandenem Teilwissen, des Erprobens von Selbständerung ermöglichenden Suchmechanismen zu institutionalisieren, die auf die Generierung neuer emergenter Eigenschaften netzwerkgerechter Entscheidungsverfahren eingestellt sind. Unter diesem Aspekt mögen auch die durchaus nicht unproblematischen Testverfahren des ChemG und die Verknüpfung der Möglichkeit ihrer Erweiterung mit dem "Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse" angesichts der Notwendigkeit, mit einer Logik des Provisorischen zu experimentieren, zur Risikobewältigung beitragen. Sie müssen allerdings mit weiteren Suchmechanismen verbunden werden, die zusätzliches Wissen erzeugen (Beobachtungspflichten, Entwicklung neuer, auf Ungewißheitsbedingungen eingestellter Kriterien und Verfahren der Risikobewertung).59 Es ist stets zu berücksichtigen, daß Ungewißheit und Risiko nicht Eigenschaften eines Stoffes, einer Anlage etc. ist, sondern ein Problem der Begrenztheit der bestehenden Institutionen und ihrer (Selbst)Beobachtungsmöglichkeiten sind. Diesem Problem kann nur durch Steigerung der Flexibilität und Produktivität des eben auf das Operieren mit und unter Ungewißheitsbedingungen eingestellten gesellschaftlichen Wissenssystems insgesamt durch systematische Zufuhr von Innovation Rechnung getra57

Vgl. allg. Hermes 1987

5 8

Vgl. aber Di Fabio 1990, 223 f.

5 9

Vgl. zur differenzierten Nachmarktkontrolle nach dem AMG Di Fabio 1993a, 109 ff.

196

Vili. Rechtsstaat und Risikoregulierung

gen werden, nicht aber (grundsätzlich) durch Unterdrückung von Such- und Experimentierverhalten. Das bedeutet, daß Ungewißheit auch eine Herausforderung für das Rechtssystem darstellt, das seinerseits mit offenen, auf Erfassung stochastischer Veränderungen angelegten Such- und Verfahrensbegriffen eine Selbstprogrammierung in Gang setzt, die auf Lernfähigkeit durch Generierung neuer methodischer Steuerungsformen setzt. Ein Beispiel für eine solche explizite Konstruktion ist die Pflicht zur "Risikobewertung" durch denjenigen, der bestimmte gentechnische Anlagen betreibt oder Vorhaben durchführt. 60 Damit ist mehr als die Sammlung und Beibringung von Informationen gemeint, wie sie auch sonst in Genehmigungsverfahren erforderlich ist Es handelt sich vielmehr um eine Pflicht zur Bewältigung unvollständigen Wissens durch Lernfähigkeit. Lernfähigkeit ist dabei nicht nur im Bereich des Antragstellers, sondern auch der Verwaltung zu berücksichtigen und zu gewährleisten: Risikobewertung ist interaktiv zu konkretisieren in Abstimmung mit den unterschiedlichen Handlungs- und Beobachtungsmöglichkeiten der Verwaltung, des privaten Unternehmens, aber auch der Wissenschaft und Dritter (Öffentlichkeit), und zwar in einer Weise, die dem Charakter des Experiments gerecht wird. Festzuhalten ist aber, daß der Begriff der Risikobewertung in § 6 GenTG zunächst nur eine Chiffre ist, die durch Erprobung und interaktive Abstimmung von Erwartungen zwischen Privaten und Verwaltung durch Verfahren erst zu konturieren ist. Das Gesetz ist auf diese Selbstevaluation explizit nur sehr rudimentär eingestellt. Die einem Experimentiergesetz 61 angemessene Form einer auf Nachbesserung angelegten Informationssammlung und Auswertung, aber auch einer Produktion neuen Wissens, ist nicht systematisch weiterentwickelt worden. 5. Insbesondere: Der Schutz des " Naturhaushalts" Ambivalent fällt auch die Bewertung eines anderen Ansatzes aus, mit dessen Hilfe die Gesetzgebung explizit Ungewißheiten und Risiken jenseits bisheriger Erfahrung Rechnung tragen und andererseits den Kreis der Rechtsgüter erweitern will; als Beispiel dafür ist die Berücksichtigung von Umweltrisiken durch Klimaveränderungen, Einwirkungen auf den Naturhaushalt und seine Wechselwirkungen sowie insbesondere Mikroorganismen zu nennen. Grundsätzlich gehören diese "Rechtsgüter" in den Schutzbereich insbesondere des ChemG, des PflSchG, des GenTG etc. Die Formulierungen, die der Ge6 0

Vgl. § 6 Abs. 1 GenTG (Risikobewertung); Hirsch/Schmidt-Didczuhn 1991, § 6 Rnr. 3 f.

61

Vgl. Stettner 1989, 806 ff.; Ladeur 1985, 734 ff.; Murswiek 1990, 217

5. Insbesondere: Der Schutz des "Naturhaushalts"

197

setzgeber für deren Beschreibung gewählt hat, sind unterschiedlich und zeigen eine Unsicherheit in der Konzeption der Regelungsstrategie an: § 3 a Abs. 2 ChemG werden zu den "umweltgefährlichen" Stoffen solche gezählt, die "geeignet sind, die Beschaffenheit des Naturhaushalts, von ... Klima ... oder Mikroorganismen derart zu verändern, daß dadurch sofort oder später Gefahren für die Umwelt herbeigeführt werden können". Durch § 15 Abs. 1 Z.3 lit.b PflSchG werden auch solche Pflanzenschutzmittel von der Genehmigung ausgeschlossen, die zwar keine "schädlichen Wirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier und auf Grundwasser" haben (lit.a), aber "sonstige Wirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt, ... die nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht vertretbar sind". (Demgegenüber wird in § 1 Z.4 zu den Schutzzielen des Gesetzes auch die Abwehr von "Gefahren" gezählt, die durch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, insbesondere für den "Naturhaushalt", entstehen können). Nach § 13 Abs. 1 Z.4 GenTG ist Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung zum Betrieb einer gentechnischen Anlage die Gewährleistung, daß "die nach dem Stand der Wissenschaft und Technik notwendigen Vorkehrungen getroffen sind und deshalb schädliche Einwirkungen auf die in § 1 Nr. 1 bezeichneten Rechtsgüter nicht zu erwarten sind". (Dazu gehört auch die "sonstige Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge".). In § 16 GenTG (Genehmigung für die Freisetzung und das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen) wird die Formulierung noch etwas modifiziert, wohl deshalb, weil hier immer mit einer Veränderung des Naturhaushaltes zu rechnen ist: Danach ist Voraussetzung für die Genehmigung, daß "nach dem Stand der Wissenschaft im Verhältnis zum Zweck der Freisetzung unvertretbare schädliche Einwirkungen auf die in § 1 Nr. 1 bezeichneten Rechtsgüter nicht zu erwarten sind" (§16 Abs. 1 Ziff. 3).62 Zunächst fällt auf, daß im BImSchG und älteren Umweltgesetzen die "Umwelt" eher als Transportmedium betrachtet wird (§ 3 Abs. 1 BImSChG) und die zu schützenden Güter eher im traditionellen Sinne verstanden werden. Demgegenüber ist in neueren Gesetzen insbesondere der Naturhaushalt selbst als komplexes "Rechtsgut" berücksichtigt worden. Es bestätigt sich aber der Eindruck, daß die Bestimmung des Normalzustands solcher komplexer "Rechtsgüter" und der Charakterisierung einer Abweichung als "schädlich" auf große empirische, methodische und wissenschaftstheoretische Probleme stößt. Die unterschiedlichen gesetzlichen Formulierungen sind wohl Ausdruck dieser Unsicherheit. Die Verwendung insbesondere des Begriffs des "Naturhaushalts" (aber auch eines Sammelbegriffs wie "Klima" oder Mikroorganismen, die eine unendliche Vielzahl von Elementen umfassen) ist nur durch Bezugnahme auf ein Beschreibungsmodell sinnvoll, mit dessen Hilfe die Stoffwirkungen be6 2

Hirsch/Schmidt-Didczuhn 1991, § 16 Rnr. 17 ff., insb. 23 ff.

198

Vili. Rechtsstaat und Risikoregulierung

schrieben und als Abweichung von einem normalen Bestand bewertet werden können. Wie gezeigt, fehlt es jedoch an einem solchen Bezugsrahmen für die Beschreibung des "Naturhaushalts", weil die ihn charakterisierende Vielfalt seiner Bestandteile und der zwischen ihnen bestehenden Beziehungsnetzwerke kaum annähernd vollständig in einer analytisch-deskriptiven Methode katalogisiert werden können.63 Dies schließt nicht aus, daß es Grenzfälle gibt, in denen aufgrund einer zulässigen, wenn auch vereinfachenden Analogie mit dem Kausalitätsmodell "Schäden" diagnostiziert werden können64, insbesondere, wenn die Veränderung des Naturhaushalts nur als Indikator für Folgeschäden an Rechtsgütern im engeren Sinne bewertet wird: Die Regenerationsfähigkeit eines Ökosystems wird in einem Gebiet so verändert, daß die Erosion des Bodens und damit die Gefahr eines Bergrutsches verstärkt wird. Hier wird das Ökosystem unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Sicherheit von Wohnsiedlungen, aber auch der Erhaltung der Ertragsfähigkeit von Böden beschrieben. Dabei läßt sich an Erfahrungen anknüpfen. Dies ist aber nur ein Grenzfall, für den sich eine einfache Zurechnungs- und Beschreibungsform finden läßt. Vor allem dann, wenn die "Benutzung" von Veränderungen im Naturhaushalt als Indikatoren für unzweifelhaft als Schäden zu bewertende Veränderungen an anderen Rechtsgütern unmöglich ist, treten aber die Ungewißheiten auf, die oben auf den Zerfall des Kausalitätsmodells als Beobachtungs- und Bezugsrahmen für die Bestimmung von Einwirkungen auf die Natur zurückgeführt worden sind. Wie lassen sich Veränderungen des Naturhaushalts beschreiben, wenn die methodische Fragestellung den beobachtbaren Ausschnitt aus einem komplexen Beziehungsnetzwerk festlegt, der jeweils zugänglich ist? Wie lassen sich tatsächlich festgestellte Veränderungen bewerten, wenn man nicht weiß, ob und wieweit sie (auch?) Indikatoren weiterer Veränderungen sind, die nicht vom Beobachtungsmodell erfaßt werden (können)? Wann ist eine Veränderung als "schädlich" zu bezeichnen? Wann kann sie auf einen bestimmten Stoff zugerechnet werden usw.? Für alle diese Fälle gibt es kein plausibles konventionalisiertes Beschreibungsmodell. Und auch hier stellt sich wieder das Problem, daß selbst Teilinformationen - ganz abgesehen von der Frage ihrer Bewertung und der Fixierung von Bewertungsmaßstäben - überhaupt nur gewonnen werden können, wenn der Staat ihre Suche organisatorisch und finanziell fördert. Dazu hat der Gesetzgeber durch die Verpflichtung zur Risikobewertung im Gentechnikgesetz - wie gezeigt - einen durchaus beachtlichen Schritt getan, der eine Bewertung erst ermöglicht. In anderen Gesetzen ist dafür ein Testverfahren teils im Gesetz vorgesehen, teils auf Anforderung der Behörde durchzuführen. Dies ist eine Form der Prozeduralisierung, die dem methodischen Problem der Beschreibung von Risikopotentialen zu entsprechen sucht, aber natürlich ihrerseits unvollständig bleiben muß, weil die Methode nur das erfassen kann, wofür sie 6 3

Serafin u.a. 1992,271 ff.

6 4

Vgl. dazu BVerwG, NuR 1989, 385

5. Insbesondere: Der Schutz des "Naturhaushalts"

199

entwickelt worden ist, also Ungewißheit und Unkenntnis jenseits ihrer Fragetellung bestehen läßt. Im PflSchG und im GenTG ist der Gesetzgeber noch einen Schritt weitergegangen, indem er das Problem und die Notwendigkeit der Bewertung offengelegt hat. Die schädlichen bzw. "sonstigen" Einwirkungen auf den Naturhaushalt sind nach dem PflSchG und dem GenTG nur dann beachtlich, wenn sie nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse "unvertretbar" sind. Hier wird deutlich, daß es sich dabei wiederum nur um eine "me ta wissenschaftliche" Feststellung handeln kann.65 Die Veränderung eines Ökosystems kann, selbst wenn sie unbestreitbar auf die Wirkungen eines Stoffes (Chemikalie, Pflanzenschutzmittel etc.) zurückzuführen ist, nicht allein nach wissenschaftlichen Kriterien bewertet werden. Dazu sind gesellschaftliche Wertungen erforderlich, die allerdings wiederum nicht ohne wissenschaftliche Hilfe möglich sind. Hier zeigt sich deutlich, daß das Gesetz konsequenterweise selbst von der Notwendigkeit einer interaktiven Festlegung von Bewertungsmodellen für den Naturhaushalt ausgehen muß, denn ohne eine solche ist die Unterscheidung vertretbarer und "unvertretbarer" Veränderungen nicht möglich. Dies macht aber einen weiteren methodischen Schritt erforderlich, nämlich Überlegungen darüber, wie der Begriff der zu erhaltenden "Normalität" des Naturhaushalts oder einzelner Ökosysteme definiert werden kann, auf dessen Hintergrund eine Veränderung als schädliche Abweichung diagnostiziert werden könnte. Auch hier bietet sich die Möglichkeit an, ein adaptiv-evolutionäres Modell (und nicht ein analytisch-deskriptives) zu entwickeln, das die nicht hintergehbare Ungewißheit seinerseits durch ein zwangsläufig unvollständiges, aber auf Selbständerung durch Selbstbeobachtung angelegtes Modell zu operationalisieren sucht. Dafür kann die Verwaltung einen "Experimentierspielraum" in Anspruch nehmen. Dessen Grenze würde - wie erwähnt - durch die Logik der Prozeduralisierung bestimmt, die an der Prüfung der immanenten Konsistenz eines "Konzepts" des Operierens mit und unter Ungewißheitsbedingungen orientiert ist. Darüber ließe sich ein funktionales Äquivalent für eine substantielle Lesart des durch Kosten-Nutzen-Kriterien zu konkretisierenden Verhältnismäßigkeitsprinzips finden: Es kann nicht sinnvoll sein, unter großem Aufwand entfernte Risiken zu bekämpfen, ohne daß eine plausible Vorstellung von ihrer Bedeutung im Verhältnis zu anderen Risiken verfügbar oder sonst eine planerische Konzeption dazu entwickelt worden wäre, wie mit und unter Ungewißheitsbedingungen zu operieren ist, welches Teilwissen verfügbar ist, welches künftige Wissen aus der Nachbeobachtung erwartet wird, welche mögliche "Nachbesserung" des Modells in Rechnung gestellt wird etc.. Hier wird eine prozedurale Reformulierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlich, da Größe und Wahrscheinlichkeit unbekannter oder schwer beschreibbarer Risiken notwen6 5 Nach BVerwG, NuR 1989, 385 ff. handelt es sich um einen voll kontrollierbaren unbestimmten Rechtsbegriff; vgl. auch zum ähnlichen Problem im GenTG Hirsch/Schmidt-Didczuhn 1991, § 16 Rnr. 23 ff., 29 ff.; zur Begründung einer Einschätzungs- und Entscheidungsprärogative der Verwaltung bei Risikoentscheidungen auch Breuer 1994, 157, 166, 169

V i . Rechtsstaat und Risikoregulierung

200

digerweise auch schwer zu bewerten sind. Das Immissionsschutzrecht hat hier als eine praktische Stopp-Regel, über die eine Entscheidung auf der Grundlage unvollständigen Wissens ermöglicht werden soll, bekanntlich den "Stand der Technik" eingeführt und dabei unterstellt, daß die Technik selbst als Generierungsmechanismus für Abwägungskriterien geeignet ist. Dies ist aber angesichts der Grenzen der ordnungsbildenden Funktion der Erfahrung nicht mehr plausibel. Das BVerwG 66 hat einen Schritt in Richtung auf eine dem Vorsorgeprinzip angemessene Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Bindung an ein "makroökonomisch" angelegtes, nicht am Einzelfall orientiertes "Konzept" gesehen. Dies ist ein durchaus entwicklungsfähiger Ansatz, der angesichts der Schwierigkeiten des substantiellen Vergleichs der konfligierenden Belange zu einer Abstimmung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf eine Rationalität der Prozeduralisierung und eine Logik des Provisorischen beitragen kann. Das Gebot, "schädlichen Einwirkungen" auf den Naturhaushalt, Mikroorganismen, Klima u.a. schwer beschreibbare "Rechtsgüter" in "vertretbaren" Grenzen zu halten, eröffnet der Verwaltung einerseits wiederum einen Experimentierspielraum, andererseits wird sie dadurch prozedural festgelegt, ein Beobachtungsprogramm interaktiv und schrittweise zu entwickeln, das das erforderliche Wissen, die Regeln des Operierens auf zwangsläufig unvollständiger Wissensbasis, das Verfahren der Beobachtung von Entscheidungsfolgen und ihrer Rückkopplung mit künftigen Entscheidungen selbst produziert. Die traditionelle punktuelle Entscheidung über die Genehmigung von Anlagen, die Zulassung von Stoffen etc. hat - wie gezeigt - die Verfügbarkeit eines "durchschnittlichen Erfahrungsschatzes" 67 stets vorausgesetzt, dem die Maßstäbe entnommen werden können. Unter Ungewißheitsbedingungen müssen provisorisch bleibende, auf Selbständerung angelegte Maßstäbe aber erst durch Verfahren konstruiert werden, und dies kann nicht ad hoc erfolgen, weil sonst die Konventionalisierung eines "gemeinsamen Wissens" nicht möglich ist, das sowohl für die Verwaltung als auch für die Unternehmen Orientierung bieten muß. Die Verwaltung muß also ihren Experimentierspielraum dazu benutzen, nicht von Fall zu Fall eine Entscheidung über die "Vertretbarkeit" von Einwirkungen zu treffen, sondern einen Kriterienrahmen zu modellieren, der auf (wiederum experimentelle) Vervollständigung im und am Einzelfall angelegt sein muß. Die punktuelle Entscheidung entsprach dem durch die Strukturierungsleistung des Kausalitätsmodells isolierbaren Einzelfall; der Komplexität vernetzter ökosystemarer Beziehungen auf der Seite der Rechtsgüter muß auf der Handlungsseite ein Konzept der prozeduralen Vernetzung von Entscheidungen entsprechen, da angesichts von Komplexität weder eine gesetzlich progammierte Einzelfallentscheidung noch die Bildung eines komplexen zeitunabhängigen Entscheidungsrahmens möglich ist. 6 6

BVerwGE 67, 37, 45

6 7

v. Müller 1930, 92 ff.

5. Insbesondere: Der Schutz des "Naturhaushalts"

201

Die Konkretisierung dieser Überlegung kann hier nicht im einzelnen geleistet werden, hingewiesen sei nur auf die Möglichkeit, die verfehlte Orientierung am Grenzfall eindeutig beschreibbarer kausaler Verknüpfungen aufzugeben und nach einer Form der normativen Festlegung von Bewertungskriterien zu suchen. Die Definition materieller Umweltqualitätsziele erscheint kaum geeignet zur Bewältigung der Wirkungsvernetzungen. Bedenkenswerter sind dagegen Ansätze zur Festlegung formaler und methodischer Kriterien, die an der Erhaltung einer Diversität von Ökosystemen und der Regenerierungsfähigkeit ihres "internen" Beziehungsnetzwerks orientiert sind und eine Reihe operationalisierbarer Muster für die Beobachtung von Streßfaktoren zu entwickeln suchen. Solche Muster wären von vornherein auf Selbstrevision durch prozedurale Mechanismen der Wissenserzeugung anzulegen. Grundsätzlich käme es darauf an, dabei auf die koordinierte Entwicklung und Verbesserung von Modellen zu setzen und neue horizontal-heterarchische Formen algorithmisierbarer Muster für die Beobachtung der Bildung und Veränderung von Relationierungen innerhalb komplexer informationeller Netzwerke zu finden. Die Unmöglichkeit der Unterscheidung von Ursache-Wirkungs-Ketten ist eine nach dem Zerfall der Orientierungsfunktion des Kausalitätsmodells zutage getretene Grenze der Erkenntnis, eine Not, die aber in neuen Formen der Modellbildung in eine Tugend verwandelt werden kann. Mit Hilfe von Modellierungen, die von den einzelnen Ereignissen und den zwischen ihnen bestehenden linearen transitiven Verknüpfungsformen absehen, wäre unter Nutzung moderner Informationstechnologien, die auf das Abtasten einer Vielzahl von Daten nach stochastisch sich bildenden Regelmäßigkeiten angelegt sind, nach abstrakteren Relationierungsmustern und Netzwerkstrukturen suchen.68 Über solche abstrakte Formen der Modellbildung läßt sich auch eine Koordination von Selbst- und Fremdbeobachtung zwischen Verwaltung und Unternehmen im Interesse einer längerfristigen Entwicklung umweltgerechter Produktionsformen herstellen69 und damit insgesamt ein prozedural-horizontales Äquivalent zu der hierarchisch-substantiellen paradigmatischen Funktion des Kausalitätsmodells finden. 70 Auch hier zeigt sich, daß die Abschwächung der Orientierungsleistung des Kausalitätsmodells nicht nur auf die jeweiligen Erscheinungsformen reduziert und im übrigen durch "Verschärfung" der Verhaltensge- oder -verböte (für Private) und die Senkung der Interventionsschwelle (für die Verwaltung) kompensiert werden kann. Vielmehr hat sich insgesamt die Selbstbeschreibung der Gesellschaft durch Herausbildung neuer heterarchischer Formen der 6 8

Vgl. Morowitz 1989, 178

6 9

Hunt/Wilkins 1992, 365,408

7 0

Globale Modelle eines "Sustainable Growth" haben gegenüber noch weitgehend den Charakter einer naturwissenschaftlichen Modellierung von Stofflüssen, vgl. die Untersuchung von Brenck 1992, 379 ff. m.w.N.; weiterführend Faucheux/Froger/Noel 1993, 59 ff.

202

V i . Rechtsstaat und Risikoregulierung

Selbstorganisation grundlegend verändert. Der Beobachtung komplexer Beziehungsnetzwerke in der Natur entspricht die Umstellung der nicht mehr in hierarchischen Ordnungsformen integrierbaren Gesellschaft auf emergente Phänomene der Selbstorganisation in interorganisationalen Netzwerken. Daraus ergibt sich nicht von selbst eine Anpassung an die Natur, zumal das Kausalitätsmodell nicht einfach verschwindet - es wird für die Konstruktion von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen und damit für die Gewinnung von Erfahrung nach wie vor benutzt -, aber es wird denkbar, komplexere Formen der netzwerkgerechten Abstimmung von Selbst- und Fremdbeobachtung in gesellschaftlichen Institutionen zu konzipieren, die für die mit der Umstellung der Produktion auf die Aggregierung und Generierung von Wissen verbundene Flexibilisierung und Selbständerungsfähigkeit offene Erwartungsstrukturen abstützen. Für die Konkretisierung eines Rechtsbegriffs des "Naturhaushalts" und der "Vertretbarkeit" seiner Veränderung ergibt sich daraus - wie oben erwähnt nicht, daß der damit der Verwaltung eröffnete "Experimentierspielraum" als Freiheit zur Entscheidung nach Ermessen verstanden werden darf. Dieser Spielraum muß auch interaktiv von Privaten und von der Verwaltung zum Experimentieren genutzt werden, und zwar vor allem zum Aufbau eines komplexen Modells von Beziehungsnetzwerken innerhalb des Naturhaushaltes und einem darauf basierenden "Konzept" der Entscheidung, das eine prozedurale Plausibilitäts- und Konsistenzkontrolle zulassen muß. Ein Experimentierspielraum im hier verstandenen Sinne muß unter Beteiligung der Erkenntnismöglichkeiten und Erwartungen der privaten Unternehmen von der Verwaltung im Vorgriff auf die künftige Möglichkeit der Erlangung besserer Wissens- und Bewertungsgrundlagen primär prozedural, iterativ und entwicklungsoffen ausgestaltet werden. Auch in dieser Hinsicht bietet sich eine Parallele zur Entwicklungsoffenheit der Erfahrung an: Wie unter den Voraussetzungen der strukturbildenden Vor-entscheidung der "kanonisierten Beispiele" bewährten Handelns unter dem traditionellen Paradigma die Anschlußfähigkeit des aus Irrtümern gewonnenen neuen Wissens unterstellt werden konnte, so muß nunmehr darauf gesetzt werden, daß nicht nur aus Zufällen gelernt wird, sondern aus der Erprobung des Handelns unter Ungewißheitsbedingungen durch methodisch-selektive Suchmechanismen systematisch neues Wissen generiert wird, das für die Remodellierung genutzt werden kann und dadurch weiterhin Orientierungsfunktion auch für privates Entscheiden übernehmen kann. Die Koordinationsleistung der das gesellschaftliche Wissen durch Such- und Stopp-Regeln strukturierenden ordnungsbildenden Paradigmen darf nicht vernachlässigt werden. Auch an dieser Stelle ist noch einmal zu akzentuieren, daß das hier skizzierte Konzept versucht, zu allen Leistungen des Kausalitätsmodells (seiner empirischen und theoretischen Erkenntnisleistung wie der normativen und Koordinationsfunktion sowie seiner Bedeutung für die Formulierung von

6. Exkurs: "Umweltberatung" als staatliche Erzeugung von Risikowissen?

203

pragmatischen Stopp-Regeln) Äquivalente in einer neuen Form der Prozeduralisierung und Konventionalisierung einer neuen Form "gemeinsamen Wissens" für das Handeln unter Ungewißheitsbedingungen zu finden. Hier geht es also darum, eine begrenzte Variante der Diskontierung der Zukunft zu ermöglichen, nämlich die provisorische Zulassung von Risiken aufgrund der durch Modellbildung und Beobachtung systematisch abgestützten Erwartung, daß wir künftig über besseres Wissen verfügen werden, das privates wie öffentliches Handeln orientieren kann. Ohne eine solche Erwartung ist Handeln unter Ungewißheit nicht möglich, andererseits ist der Zwang zur Entscheidung unter Ungewißheit nicht hintergehbar. Deshalb sind - wie mehrfach gezeigt - Stopp-Regeln und Institutionen erforderlich, die Entscheiden unter unvollständigem Wissen durch Abstützung von Vertrauen ermöglichen. Dieses Vertrauen ist aber eben nicht mehr durch die traditionellen Formen der Risikostreuung zu gewährleisten, sondern verlangt nach systematischen Mechanismen der Generierung neuen Wissens, der Erhaltung der Flexibilität der Entscheidungen und der Offenhaltung von Erwartungsstrukturen. 6. Exkurs: "Umweltberatung" als staatliche Erzeugung von Risikowissen? Auf dem Hintergrund des hier skizzierten Modells, das an der Notwendigkeit der Erhaltung der Flexibilität und Produktivität gesellschaftlicher Wissensbestände orientiert ist, läßt sich auch eine neue Perspektive auf die Rechtsstellung des "präzeptoralen Staates" eröffnen 71, der durch Produkt- und Risikoinformation auf die Öffentlichkeit und insbesondere die Wirtschaft einzuwirken sucht:72 Information ist zunächst unter dem Aspekt der politischen Öffentlichkeit und der Gleichheit des Zugangs zu ihr rechtlich problematisiert worden; dabei ist der mediale Aspekt hinter einem eher traditionellen Verständnis staatlicher Neutralität zurückgetreten. Vor allem die Kumulation staatlicher informationeller Wahrnungen im Hinblick auf Produkte hat aber unter Bedingungen einer nicht mehr von gemeinsamer Erfahrung geprägten Marktentwicklung dazu geführt, auch die staatliche "Verteilung" von Wissen nicht mehr nur unter dem privaten Ehrenschutz entlehnten Gesichtspunkt der Wahrheit rechtlich zu kontrollieren, sondern die Information nach dem Grad der Konkretisierung ihres Produktbezugs nicht nur dem öffentlichen Recht zuzuordnen, sondern sie insbesondere dem Gesetzesvorbehalt zu unterwerfen. 73 Die Annahme, staatliche Information diene der Markttransparenz, sie 71

Vgl. Di Fabio 1993 b, 689 ff.

7 2

Vgl. zum Problem der staatlichen Umweltberatung Köck 1993, 215 ff.; Lübbe-Wolff 1987, 2705 ff.; Di Fabio 1993b, 689 ff.; vgl. aus der Rechtsprechung nur BVerwG, JZ 1991, 625 m. Anm. Gröschner (Glykol) zum verwandten Problem der Warnung vor Gesundheitsrisiken. 7 3

Vgl. nur Wahl/Masing 1990, 553; Di Fabio 1993a, 691 jeweils m.w.N.

204

Vili. Rechtsstaat und Risikoregulierung

sei deshalb nur an einem aus diesem Ziel abgeleiteten materiellen Maßstab ("Wahrheit") zu orientieren, nicht aber als Eingriff zu charakterisieren 74, geht an der Fragmentierung des Wissens und der zunehmenden Bedeutung der konstruktiven Momente der Modellbildung auf der Grundlage von Ungewißheit vorbei. Wissen hat, wie mehrfach gezeigt, produktiven Charakter, es besteht nicht aus vorfindlichen "semantischen Elementen", die gesammelt und verbreitet werden. Eine solche Vorstellung konnte nur unter der Geltung des traditionellen, vom Kausalitätsmodell geprägten hierarchischen Paradigma vertretbar erscheinen. Unter Bedingungen einer von Organisation geprägten Öffentlichkeit, die nicht mehr auf der Kontinuität eines "gemeinsamen Wissens" basiert, müssen die prozeduralen Momente der Konstruktion und der Modellierung von Wissen in den Vordergrund treten. Daß für die Beteiligung des Staates an diesem, die traditionellen Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit übergreifenden Prozeß eine gesetzliche Ermächtigung gefordert wird 75 , erscheint durchaus angemessen. Dies konnte früher durchaus anders bewertet werden; unter den beschriebenen Bedingungen der expliziten organisationalen Einwirkung auf die Bildung von Erwartungen, die systematische Veränderung und Modellierung von Präferenzen, von Bewertungskriterien unter notwendigerweise unvollständigem Wissen kann die Beteiligung des Staates an der Produktinformation nicht einfach unter dem Aspekt der "Wahrheit" bewertet werden, vielmehr geht es auch um seine Kompetenz zur Beteiligung an der Produktion und Gestaltung eines konventionalisierbaren "gemeinsamen Wissens" und vor allem die Beteiligung an der Formulierung von Stopp-Regeln, die das Entscheiden unter Ungewißheitsbedingungen ermöglichen und damit auf die Entscheidung des Verbrauchers einwirken. Auch und gerade der Verbraucher steht unter dem Zwang zur Entscheidung unter unvollständigem Wissen, und der Staat wirkt durch Risikoinformation zwangsläufig auf die Vor-entscheidungen ein, die den Rahmen für die eigentliche Entscheidung bestimmen. Angesichts des fragmentierten Charakters gesellschaftlicher Wissensbestände und der Notwendigkeit zur Bildung prozeduraler Entscheidungsregeln kann die Risikoinformation nicht allein unter dem Gesichtspunkt der "Wahrheit" bewertet werden. Ein weitaus gravierenderes Problem der Reproduktion gesellschaftlichen Wissens stellt sich auch im Bereich der staatlichen Schulbildung. Dabei soll auf Schwierigkeiten der Abstimmung des Schulcurriculums auf eine sich beschleunigt verändernde Gesellschaft nur hingewiesen werden. Vor allem aber kann die Sozialisationsfunktion der Familie immer weniger vorausgesetzt werden. Dies hat Folgen für die Inklusion gesellschaftlicher Gruppen in den Prozeß der Reproduktion der Wissensbestände der Gesellschaft: Es entsteht das Risiko, daß ein Teil der Gesellschaft nicht mehr die früher durch Religion 7 4

Lübbe-Wolff 1987, 2705 ff.

7 5

Vgl. dazu Di Fabio 1993 b, 691

6. Exkurs: "Umweltberatung" als staatliche Erzeugung von Risikowissen?

205

und einer darauf basierenden Arbeitsethik gewährleistete Lernbereitschaft und -fähigkeit erwirbt 76, die den Zugang zu den gesellschaftlich institutionalisierten Wissensbeständen und zur Beteiligung an ihrer Reproduktion eröffnet. Dieses Problem ist durch Umverteilung von Gütern nicht zu bewältigen.77 Die Schaffung von sich selbst verstärkenden sozialen Rigiditäten gefährdet die Fähigkeit der Gesellschaft zur Anpassung an selbstgeschaffene Komplexität, und das heißt Ungewißheit. Die Gesellschaft droht die Fähigkeit einzubüßen, ihre Wissensbestände und die darüber ermöglichte Formulierung und Abstimmung von längerfristigen "Erwartungserwartungen" in einer mit dem Paradigma der Erfahrung vergleichbaren Weise für Individuen in der Form von Verhaltensroutinen und Schematisierungen zugänglich zu halten. Für das Operieren mit und unter Ungewißheitsbedingungen sind neue Konventionalisierungen und Abstimmungen mit gesellschaftlichen Institutionen erforderlich, die Lernfähigkeit und damit "Resilienz" und Flexibilität für eine durch inter-organisationale Netzwerke und nicht mehr Individuen integrierten Gesellschaft bereithalten.

7 6

H.A. Simon 1989, 545, 548

7 7

Vgl. zu den Grenzen der "Umverteilung" Franz 1994, 33

IX. Zur Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs durch Risikovergleich und Prioritätensetzung

1. Zur Notwendigkeit der Prioritätensetzung Der polizeirechtliche Gefahrenbegriff 1, an den auch das neuere Umweltrecht weitgehend anknüpft, hat mit seiner auf das Produkt von möglicher Schadensgröße und Eintrittswahrscheinlichkeit rekurrierenden Bestimmungsformel eine Reihe von eher unausgesprochen bleibenden Annahmen über die normativen und faktischen Möglichkeiten der Festlegung von "Schutzwürdigkeits-" bzw. "Gefährdungsprofilen" 2 und der darauf eingestellten Abwehrmaßnahmen verbunden. Die normativen, faktischen und dezisionalen Komponenten des Begriffs stehen in einem Verhältnis wechselseitiger Abstützung und Verweisung: Der Schadensbegriff setzt einerseits ein faktisches Verständnis einer Wertminderung voraus, andererseits bedarf er eines normativen Maßstabes, der einen "Bestand" von Rechtsgütern voraussetzt.3 Dieser verweist aber partiell zurück auf Normalitätserwartungen, von denen die Prüfung der Minderung des Bestandes ausgehen kann. Die Abweichung von einer Normalität kann nur dann festgestellt werden, wenn die Minderung nicht selbst Bestandteil dieser Normalität geworden ist. Das wird deutlich an § 906 BGB, der nachbarrechtliche Abwehransprüche durch den Maßstab der "Ortsüblichkeit" der Einwirkung begrenzt.4 Ähnliches gilt aber auch im öffentlichen Recht, wenn und soweit Rechte situationsgebunden sind.5 Auch die dezisionale Komponente des Gefahrenbegriffs setzt voraus, daß eine bestimmte Ursache-Wirkungs-Kette als Handlung zugerechnet werden kann, die in umgekehrter Perspektive durch eine Entscheidung der Behörde 1 Vgl. zum polizeilichen Gefahrenbegriff nur Drews/Wacke/Vogel/Martens 1986, 220 ff.; PrOVG, PrVBl 16,125 f. 2 Salzwedel 1991, 39, 48 ff. zur Ausdifferenzierung der Schutzpflichten; vgl. auch BVerwGE 72, 300, 321 zur Bestimmung von vorsorgepflichtigen "Besorgnispotentialen" sowie BVerwG, NVwZ 1989,1168 (THTR) 3

Vgl. dazu nur Drews/Wacke/Vogel/Martens 1986, 222

4

Vgl. Säcker, MünchKomm, BGB, Bd. 4, 2. Aufl., 1986, § 906 Rnr. 78 ff.

5 Vgl. zur "Vorbelastung" im Baurecht BVerwGE 50, 49, 54; BVerwG, NJW 85, 3034; Battis/Krautzberger/Löhr 1994, § 1 Rnr. 112

1. Zur Notwendigkeit der Prioritätensetzung

207

unterbrochen werden kann.6 Diese Zuordnung nimmt das Kausalitätsmodell in Bezug, dessen naturwissenschaftliche Stringenz - entgegen verbreiteter rechtswissenschaftlicher Auffassung - keineswegs so ausgeprägt ist 7 , daß sie nicht auf die wertende Abschichtung "natürlicher Komplexitätsniveaus" und sich darauf bildender Verzweigungen verzichten könnte.8 Die Zurechnung von Kausalität ist nicht ohne die simplifizierende ordnungsstiftende Unterstellung9 einer Handlung möglich, wenn man nicht z.B. den Unterschied zwischen dem Akt der Zeugung des späteren Täters und der von ihm in späteren Jahren begangenen unerlaubten Handlung verwischen will. Die dafür erforderliche Ordnungsleistung wird von der Erfahrung erbracht, die ebenfalls Wissen durch die Sammlung bereichsspezifisch "kanonisierter Beispiele"10 praktisch organisiert und Anschlußzwänge für neue Handlungen bereithält. Die "Ausschläge" des Zufalls, die durch Variation der verfügbaren Wissensbestände geschaffenen Ungewißheiten, werden nicht etwa geleugnet, sondern durch Begrenzung der Schwankungsbreite bei Unterstellung der Rückkehr zum Ruhepunkt eines modellhaften Gleichgewichts abgepuffert. Dies wurde in der Vergangenheit durch die Dezentralisierung der Technik gewährleistet, die das Ausmaß der Schäden in Grenzen gehalten und Lernen ermöglicht hat. Dieses Lernen wird insbesondere durch die Unterstellung der Möglichkeit öffentlicher Verfügbarkeit von Erfahrung innerhalb eines überschaubaren zeitlichen Rahmens konturiert, der Korrekturen zuläßt, ohne daß die Kontinuität und Gleichförmigkeit der Wissensbestände dadurch überfordert würde. Diese Entwicklung wird durch die mögliche Latenz von Schadensmöglichkeiten in Frage gestellt. Dies verweist wiederum auf die Verläßlichkeit der Indikatorfunktion von Rechtsgütern, deren Bestand die Normalitätserwartungen bindet: Wenn die Resorptionsfähigkeit der Natur für diffuse Dauerbelastungen nicht mehr vorausgesetzt werden kann und "Spätschäden" die Grenzen der individuellen Zurechnung unterlaufen, ist die Bildung von Erfahrung ebenfalls gefährdet - mit weitreichenden Folgen auch für die Bedeutung der anderen Komponenten des Gefahrenbegriffs. Inzwischen ist der Verweisungszusammenhang von Erfahrung und Gefahrenbegriff an allen Knotenpunkten unter Druck geraten. Die kausale Zurechnung ist infolge der Diffusion und Kumulation von Kausalbeziehungen einer Vielzahl von Beteiligten in schwer beschreibbaren Wirkungsketten11 häufig 6

Vgl. nur PrOVG, PrVBl 16, 125 f.; Drews/Wacke/Vogel/Martens 1986, 220 ff.

7

Vgl. zum Verständnis des Kausalitätsbegriffs in der Rechtswissenschaft Lübbe 1993, 87 ff.; dies., 1993a, 370 ff.; Feldhaus/Schmitt 1984, 1 ff. zu den Grenzen des Kausalitätsbegriffs bei der Erfassung von diffusen Einwirkungen. 8

Krüger 1992, 1 ff.

9

Rosenberg 1992,305,316

10

Shafer 1981, 3

11

Vgl. nur BGHZ 102, 350 ff.; Brüggemeier 1990, 261 ff.; Ladeur 1986,445 ff.

208

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

unmöglich, ohne daß auf die Fähigkeit der Natur zur Abpufferung solcher Einwirkungen vertraut werden könnte. Diffuse Kausalität ist im Grenzfall sogar bei Einheit des "Störers" im Falle einer Summierung von "Kleckerschäden" über einen langen Zeitraum möglich12; auch dies ist eine Erscheinungsform der sog. Altlasten13, die dann, wenn sie die Schädlichkeitsschwelle in feststellbarer Weise überschritten haben, praktisch häufig nicht mehr zugerechnet werden können, weil das handelnde Subjekt (etwa im Falle des Konkurses) nicht mehr existiert. Auch die dezisionale Seite der Gefahrenabwehr wird tangiert, wenn - nach Identifikation eines Schadens - sich herausstellt, daß die Unterbrechung einer Ursache-Wirkungs-Kette aus kognitiven, technischen, ökonomischen oder aus Zumutbarkeitsgründen nicht möglich ist und statt einer punktuellen Abwehrmaßnahme allenfalls eine komplexe Vielzahl von Entscheidungen innerhalb einer längerfristig zu koordinierenden administrativen Strategie denkbar ist: Die Abwehr des einen Schadens würde mangels ausreichender Anpassungsfähigkeit der Gesellschaft zwangsläufig oder wahrscheinlich einen vergleichbaren oder gar größeren Schaden herbeiführen. Ein weiteres, mit dem herkömmlichen Gefahrenbegriff schwer zu bewältigendes Problem ergibt sich aus den Folgeerscheinungen neuer Technologien, deren Entwicklung und Einsatzformen so hohe Schadenspotentiale in sich bergen, daß auch entfernte Schadensmöglichkeiten - trotz des unterhalb einer schwer definierbaren Reaktionsgrenze einzuordnenden Produkts aus beiden Variablen (Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß) - nicht unbeachtet bleiben können. Schließlich treten mit diesen Technologien (insbesondere Atom- und Gentechnologie) unterschiedliche Formen der Ungewißheit auf 14 , von der Unvollständigkeit einer der Formulierung von Wahrscheinlichkeitsannahmen zugrunde liegenden Fallbasis, über methodische oder wissenschaftstheoretische Ungewißheit (hinsichtlich der bloßen Möglichkeit der Formulierung einer überprüfbaren These und des Prüfungsverfahrens selbst), bis hin zu mehr oder weniger großer Ignoranz, einer Situation, in der allenfalls in einer paradoxen Weise mit dem Unerwarteten gerechnet werden kann. Diese unterschiedlichen Konstellationen werden dem unscharf gebliebenen, erst neuerdings ins positive Recht überführten Risikobegriff 15 (oder auch dem Bereich des "Gefahrenverdachts" 16) zugerechnet oder - bei noch größerer Entfernung von der "Gefahrengrenze" im herkömmlichen Sin-

12

Schmidt-Salzer 1992, 35 ff.

13

Vgl. zur Haftung für Altlasten nur die Beiträge in "Altlasten und Umweltrecht" UTR 1 (1983); sowie Koch 1985; Papier 1985 14

Vgl. Walker 1991,567,574 ff.

Vgl. zur neueren Diskussion um den Risikobegriff vor allem Di Fabio 1993, 119 ff., 150 ff.; ders. 1991, 353 ff.; Scherzberg, 1993,484 ff.; 16 Vgl. Di Fabio 1991a, 629 ff.; Darnstädt 1983, S. 94 ff. Kokott 1992, 749 ff.; BGH, DVB1 1992, 1158 m.Anm. Götz; Schoch 1993, 724 ff.

1. Zur Notwendigkeit der Prioritätensetzung

209

ne - als "Risikoverdacht"17 charakterisiert (jenseits dessen der Bereich des nach dem "Standard der praktischen Vernunft" zu vernachlässigenden "Restrisikos" beginnt18). Dabei geht aber die Eigenständigkeit der einzelnen Konstellationen verloren; die unterschiedlichen Abstufungen der Ungewißheit und ihre Bedeutung für Entscheidungsverfahren werden durch die bloß negative Abgrenzung vom traditionellen Gefahrenbegriff eingeebnet. Eine andere normative Variante der Reaktion auf die Ausdifferenzierung von Gefährdungspotentialen besteht in der Einführung immer weiter gefaßter Schutzgüter, insbesondere des "Naturhaushalts", der "Mikroorganismen", des "Klimas" 19 etc. Diese neuen, nicht mehr dem Modell des individuell zurechenbaren Rechtsguts entsprechenden Risikoindikatoren sind durch die Vielzahl und die Varietät ihrer Komponenten und der zwischen ihnen bestehenden Wirkungsketten und Wirkungsnetzwerke gekennzeichnet. Neben die Diffusion einer Vielzahl von Kausalbeiträgen auf der Handlungsseite tritt damit eine neue, schwer zu bewältigende Konstellation, nämlich - in umgekehrter Perspektive - die Erhaltung von komplexen Beziehungsnetzwerken gegenüber Einwirkungen. 20 Damit entsteht ein neues normatives Problem, das der Problematik der Zurechnung auf der Handlungsseite entspricht: Nämlich die Abgrenzung von Innen und Außen und die Bestimmung des "normalen Bestandes" eines komplexen vernetzten Zusammenhangs, der sich in einem Prozeß ständiger Veränderung und damit im Ungleichgewicht befindet. Eine normative und faktische Elemente kombinierende Form der Reaktion auf Tendenzen zur Auflösung der Einheitlichkeit des (Erfahrungs-)Wissens und seiner Pluralisierung in unterschiedliche Wissenstypen mit je unterschiedlichen Beteiligten stellen die expliziten Rezeptionsformeln dar, mit deren Hilfe ein "Stand von Wissenschaft und Technik" oder der "wissenschaftlichen Erkenntnisse" oder der "Technik" als kognitive Entscheidungsgrundlage21 in Bezug genommen wird. Damit wird eine gewisse Fragmentierung der Öffentlichkeit der an der Produktion dieser pluralisierten "Wissensbestände" beteiligten Personenkreise registriert, während die Erfahrung an einen potentiell einheitlichen Öffentlichkeitsraum gebunden war. Die Schwierigkeit der Erschließung dieser neuen Wissenstypen schlägt sich darin nieder, daß dafür wiederum vielfach Regeln erforderlich sind, da die Selbstdefinition z.B. eines "Standes der Wissenschaft" angesichts interner Fragmentierungserschei17

Rehbinder 1991,11 f.

18

Vgl. nur BVerfGE 49, 89, 143; Breuer 1978, 829 ff.; Petersen 1993, 240 ff., 275 ff. m.w.N.

19

Vgl. nur § 1 Abs. 1 BNatSchG, §§ 1 Ζ. 4, § 16 Abs. 1 Ziff. 3 b PflSchG, § 3 a Abs. 2 ChemG; vgl. auch die wiederum andere Formulierung in § 2 Abs. 1 Ziff. 1 UVPG 2 0

Vgl. zum Ökosystembegriff Haber 1993, 15, 45 ff.; Rapport 1989, 120, 123; Norgaard 1984,

160 ff. 21

Vgl. dazu Marburger 1979,158 ff.; Breuer 1989,43, 57

14 Ladeur

210

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

nungen nicht mehr problemlos möglich ist. 22 Die Verwaltung muß dafür zum Teil sogar rechtliche Verfahren zur Verfügung stellen, die einer (wenn auch nicht verbindlichen) Selbstdefinition des Standes der ihrerseits auf Offentheit angelegten Wissenschaft dienen sollen.23 Diese Notwendigkeit "meta-wissenschaftlicher" 24 Festlegungen zeigt sich auch an der Bedeutung eines "Standardisierungsspielraums" 25, der der Risikoverwaltung innerhalb bestimmter Schwankungsbreiten unterschiedlicher Expertenäußerungen zugestanden wird. In einer wiederum anderen Variante kommt dies in der Verwendung des Begriffs der "Vertretbarkeit" für die Beschreibung zulässiger "Einwirkungen" auch auf komplexe Rechtsgüter wie den "Naturhaushalt" zum Ausdruck. 26 Damit ist die Notwendigkeit einer Abwägung indiziert; unabhängig davon stellt sich die Frage, ob es sich dabei um eine "nachvollziehende"27, d.h. von der Rechtsprechung in vollem Umfang kontrollierbare, oder aber um eine Variante der "planerische" Spielräume für die Verwaltung eröffnenden Abwägung handelt.28 (Darauf soll hier nicht im einzelnen eingegangen werden). Damit sind nur einige der unterschiedlichen Formen eines Teilwissens charakterisiert, auf dessen Grundlage Risikoentscheidungen getroffen werden müssen. 2. Risikowissen und VorsorgebegrifT Je vielfältiger die einzelnen Varianten der Ungewißheit der Risikoentscheidungen sind, desto schwieriger wird es, an der Vorstellung festzuhalten, daß es bei der Kontrollgenehmigung ausschließlich um die "isolierte Subsumtion einer bestimmten Anlage unter normative Sicherheitsanforderungen" gehe.29 Die Risikoerkenntnis wird dynamisiert, wenn sie sich "immer nur auf dem neuesten Stand unwiderlegten möglichen Irrtums" befindet. 30 Die Vorstel2 2

Zervos 1989, S. 651 ff.

23

Vgl. zum Verfahren der Grenzwertsetzung nur Denninger 1990; Lübbe-Wolff 1991, 219 ff.; v. Lersner 1990, 193 ff.; das BVerwG ist der Auffassung, die pluralistische Zusammensetzung von "sachverständigen" Gremien sei nicht rechtlich geboten, vgl. UPR 1993, 381 f. 2 4

Weinberg 1981, 5 ff.

2 5

Vgl. zum Problem der "Standardisierung" von Grenzwerten durch Verwaltungsvorschriften nur Breuer 1989,43, 55 ff., 65 ff.; Hill 1989,401 ff.; Di Fabio 1992, 1338; Wahl 1991,409 ff. 2 6

Vgl. Hirsch/Schmidt-Didczuhn 1991, § 16 Rnr. 17 ff., 23 ff.

2 7

So BVerwG NuR 1989, 385 (Paraquat) zu § 15 Abs. 1 Z. 3 b PflSchG; vgl. allg. zu "nachvollziehenden" Abwägung Weyreuther 1974, 282 ff.; BVerwGE 28, 148, 151; 42, 8; Battis/Krautzberger/Löhr 1994, § 34 Rnr. 19; § 35 Rnr. 6 2 8 Vgl. Ladeur 1992b, 254 ff.; ders. 1992c, 948 ff.; vgl. zur Wertungsabhängigkeit auch von Tatsachenfeststellungen im Umweltrecht Salzwedel 1993,421 ff. 2 9

Breuer 1990, 211 f.; vgl. auch Di Fabio 1991, 353, 355

3 0

Vgl. Breuer 1990, 214

2. Risikowissen und Vorsorgebegriff

211

lung, der Antragsteller habe der Behörde nur die fallspezifischen besonderen "Informationen" zu verschaffen, während diese über das Regelwissen selbst verfüge oder es sich durch Sachverständige verfügbar mache, wird auch positiv-rechtlich durch die im GenTG dem Antragsteller abverlangte Risikobewertung erschüttert. 31 Ähnliches gilt auch für das Atomrecht, wo durchaus im Rahmen des traditionellen Verwaltungsrechts, wenn auch in atypischer Zielrichtung, auf der "Rechtsfolgenseite" durch Eröffnung eines Ermessensspielraums 32 über die Subsumtion unter Sicherheitsanforderungen hinaus eine unterschiedliche Entscheidungen ermöglichende Risikobewertung zugelassen worden ist. Es hat aber Einigkeit darüber bestanden, daß der Ermessensspielraum durch den in § 1 AtomG formulierten Zweck des Gesetzes eng begrenzt wird. 33 Aber gerade bei komplexen Anlagen bietet sich z.B. auch im Bereich der Gefahrenabwehr vielfach nicht nur eine einzige Sicherheitsvorkehrung an. 34 Hier müssen nicht nur Alternativen bewertet werden oder die Notwendigkeit der Redundanz einer Mehrzahl hintereinandergeschalteter Sicherheitsvorkehrungen abgeschätzt werden, es stellt sich auch das Problem der Optimierung, wenn der Sicherheitsgewinn an einer Stelle mit einer Sicherheitseinbuße an anderer Stelle erkauft werden muß:35 Eine Anlage wird z.B. durch höhere Sicherheitsanforderungen häufig zugleich weniger übersichtlich und schwerer zu steuern, oder die zusätzliche Sicherheitsvorkehrung erschwert die Zugänglichkeit der ersten bei Kontrollen, der zusätzliche Test des Materials unter Extrembelastung steigert seinerseits das Risiko späterer Materialermüdung, die Automatisierung der Steuerung führt zu einer Steigerung der zu verarbeitenden Informationen und kann das Personal überfordern 36, die Erweiterung der Schadensvorsorge kann die zu berücksichtigenden Gefährdungspotentiale nicht nur vervielfältigen, sondern auch ihre Gewichtung erschweren - um nur einige der Konstellationen zu nennen, die sich der einfachen Subsumtion und der Schematisierung der Beurteilung (gefährlich/ungefährlich) nach dem herkömmlichen Modell entziehen. Ein Ermessensspielraum könnte der Behörde auch die Möglichkeit geben, zwischen bestimmten Techniklinien, etwa innerhalb der Atomtechnologie, zu differenzieren. 37 Alle diese Probleme stellen sich schon innerhalb des traditionellen Bereichs der Gefahrenabwehr, soweit wegen der Größe möglicher Schäden auch sehr unwahrscheinliche Ursache-Wirkungs-Beziehungen erfaßt 31

Vgl. Hirsch/Schmidt-Didczuhn 1991, § 6 Rnr. 3 f.

3 2

Vgl. zur Interpretation der Ermessensgrenzen im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren nur Degenhart 1982, 40 ff. 33

Vgl. dazu auch BVerfGE 49, 89, 146 f.; VG Schleswig, NJW 1980, 1296,1301

34

Vgl. Breuer 1990, 217 f.; BVerwG 72, 300, 321; vgl. allgemein auch Ladeur 1993a, 121 ff.

35

Vgl. Wildavsky 1988,8,30

3 6

Vgl. Winter 1989, 61 ff.; Kasperson/Gray 1982, 61, 72

37

Breuer 1990, 217

212

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

werden müssen. Zur Spezifizierung ist dafür auch der aus der Ingenieurwissenschaft übernommene "Grundsatz der Ausgewogenheit" der Sicherheitsanforderungen benutzt worden. 38 Andererseits zeigt sich, daß - wie oben erwähnt - die Tragfähigkeit des rechtlichen Gefahrenbegriffs für die Bewältigung technischer Risiken dann überfordert wird, wenn die unterschiedlichen Varianten der Ungewißheit eine Rolle spielen.39 Vor allem dafür ist im neueren Umweltrecht der Vorsorgebegriff 40 entwickelt worden, dessen Eigenständigkeit aber infolge der eher negativen Fixierung auf den Gefahrenbegriff nicht sehr ausgeprägt ist. 41 Es handelt sich zunächst um einen Kompensationsbegriff, der den Verlust der Unterscheidungsfähigkeit des Gefahrenbegriffs nur durch Aufweichung seiner Grenzen auszugleichen sucht: Die Gefahrenabwehr wird vorverlegt in einen unterhalb der Gefahrengrewze bleibenden Risikobereich. Damit rücken aber gerade die Risiken in den Vordergrund des Interesses, die am wenigsten problematisch sind, nämlich die gut beschreibbaren entfernten Schadensmöglichkeiten, bei denen das Produkt aus Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit unterhalb einer normativkonventionell zu bestimmenden Interventionsschwelle bleibt, aber diesseits der Aufmerksamkeitsschwelle liegt, die nach dem "Standard der praktischen Vernunft" das stets hinzunehmende "Restrisiko" abschichtet. Wenn man aber die verschiedenen Varianten der Ungewißheit mit berücksichtigt, zeigt sich, daß der Vorsorgebereich weitaus komplexer ist und mit der Vorstellung einer "Vor-Verlagerung" der Gefahrenabwehr in einer Art Pufferzone kaum angemessen erfaßt werden kann.42 Vor allem die verschiedenen empirischen, methodischen, wissenschaftstheoretischen Ungewißheiten der Risikobeschreibung verstärken die Tendenz zur Verwischung der Grenzen zwischen normativen und faktischen Komponenten, die auch beim Gefahrenbegriff zu beobachten war. 43 Auch dies schlägt sich in verschiedenen Erscheinungsformen nieder: In der wachsenden Bedeutung der "Gremien", die der Definition und Bewältigung von Risiken dienen44, und ihres Verfahrens, der wachsenden Rolle theoretischer "meta-wissenschaftlicher" Modellkonstruktionen, die nicht mehr auf Erfahrungen zurückzuführen sind, in der Einführung methodi3 8

Breuer 1990, 215 ff.

3 9

Walker 1991,567,574

4 0

Vgl. zum Vorsorgebegriff Hoppe/Beckmann 1989, § 24 Rnr. 35 ff.; § 29 Rnr. 25 ff.; Kloepfer 1989, § 7 Rnr. 52 ff.; Bender/Sparwasser 1990, Rnr. 47, 312 ff., 401 ff., Di Fabio 1991, 353 ff., ders. 1993, 149 ff.; Scherzberg 1993, 498 f.; BVerwGE 67, 37 ff.; Petersen 1993, 191 ff.; Breuer 1990, 211, 213; ders. 1981, 393,413; Kutscheidt 1993,439 ff. 41

Vgl. Ossenbühl 1986, 161 f. Salzwedel 1991,48 ff.; vgl. auch ders. 1993, S. 421 ff.

4 2

Vgl. zu einer Umformulierung des Risikobegriffs, die die "Irrtumskosten" der Nichtentscheidung in den Vordergrund stellt, Darnstädt 1983, 94; Scherzberg 1993, 497; vgl. auch Kloepfer, 1993, 65 43 Vgl. zu der Konsequenz für die Frage der Änderung der rechtlich relevanten Tatsachen nach Genehmigungserteilung Breuer 1981a, 300 ff. 4 4 Vgl. nur Denninger 1990; v. Lersner, Lübbe-Wolff 1991, 219 ff.; restriktiv auf der Grundlage des geltenden Rechts BVerwG, UPR 1993, 391 f.

2. Risikowissen und Vorsorgebegriff

213

scher prozeduraler Regeln für die Offenlegung von Risiken und ihre Berücksichtigung in der Form von "Sicherheitsabständen"45 etc. Das Problem der eingeschränkten Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Sicherheitswissen wird etwa durch verstärkte Dokumentationspflichten, die Vorgabe bestimmter (auf die Erzeugung neuen Wissens angelegter) Testverfahren, die erweiterte Möglichkeit zur Formulierung nachträglicher Auflagen u.ä. Formen der Flexibilisierung und Temporalisierung des Entscheidens unter Ungewißheit berücksichtigt.46 In manchen Bereichen, vor allem in der Stoffkontrolle, wird von vornherein auf die Einführung von Genehmigungsverfahren verzichtet und statt dessen ein qualifiziertes Anzeigeverfahren gewählt, das mit der Pflicht zur Selbstüberwachung nach bestimmten Verfahrensvorgaben verbunden ist. 47 Auf die damit aufgeworfenen normativen und kognitiven Probleme soll hier nicht im einzelnen eingegangen werden. Nicht nur die Bestimmung der Reichweite der Vorsorge im Verhältnis zur Gefahrenabwehr erzeugt neue Rechtsprobleme, auch die Ausdifferenzierung der Vorsorge zwingt auf der Grundlage von notwendigerweise unvollständig bleibendem Teilwissen bei gleichzeitig quantitativ zunehmender Vielfalt von Vorsorgeoptionen zur Vornahme von Risikovergleichen und zur Schwerpunktsetzung.48 Risikoentscheidungen sind von dem Paradox beherrscht, daß das Teilwissen quantitativ ständig wächst, während zugleich damit auch eine Vervielfältigung der Entscheidungsoptionen verbunden ist, weil das Wissen nicht mehr wie unter der Herrschaft des Kausalitätsmodells und der Kontinuität der Erfahrung auf die lineare Fortentwicklung in den durch "kanonisierte Beispiele" vorgezeichneten Bahnen festgelegt ist. Vor allem an dieser Frage zeigt sich, daß der Vorsorgebegriff weiter ausdifferenziert werden muß und ein funktionales Äquivalent für das Ineinandergreifen der verschiedenen faktischen und normativen Komponenten des Gefahrenbegriffs gefunden werden muß. Diese Neukonzeption kann durch punktuelle Fortbildung des Gefahrenbegriffs in den verschiedenen möglichen Richtungen nicht ersetzt werden. Der Rückgriff auf die Erfahrung als Wissensbasis für die Bestimmung der Gefahr hat seine Kehrseite in einer StoppRegel49, die die Suche nach Informationen begrenzt. Dieser Mechanismus ist nicht zuletzt durch die Dezentralisierung der Technik und die darüber ermög4 5

Vgl. dazu Haber 1987, 269, 284; BVerwGE 72, 300, 321

4 6

Ladeur 1993, 121 ff.

47

Vgl. zur Verteilung der Verantwortung im Anmelde- bzw. Anzeigenverfahren zwischen Staat und Unternehmen Rehbinder/Kayser/Klein, ChemG, 1985, 193 ff.; Di Fabio 1990, 193, 215; ders. 1993a, 109 ff. 4 8 Breuer 1990, 211 ff.; Di Fabio 1993, 171; aus naturwissenschaftlicher Sicht H.W. Levi 1992, 135, 150; BVerwGE 72, 300, 318 4 9

Rasmussen 1991, 247, 254

214

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

lichte Risikostreuung abgestützt worden. Natürlich wußte man auch zu Zeiten des ungebrochenen Vertrauens in die Technik, daß Unfälle sich ereignen könnten, auch wenn alle erfahrungsgemäß praktikablen Vorsichtsmaßnahmen getroffen worden waren. Aber man konnte darauf vertrauen, daß die Verläßlichkeit des Erfahrungswissens auch durch den Irrtum nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern eher verbessert werden würde, weil die Schwankungsbreite der Möglichkeiten in einem dezentralen Techniksystem begrenzt und zugleich die Lernfähigkeit groß war. Wenn aber das Spektrum der Möglichkeiten nur mit Hilfe eines Ungleichgewichtsmodells beschrieben werden kann, also insbesondere mit irreversiblen Zuständen gerechnet werden muß 50 , weil Irrtümer erst spät erkannt werden oder ein schwer abschätzbarer Vernetzungseffekt eintritt (man denke nur an die Schädigung der Ozonschicht durch FCKW 51 ), ist die Bewertung eines Schädigungspotentials und die Wahrscheinlichkeit seiner Realisierung nur schwer möglich. Andererseits kann aber auch nicht mehr mit den alten Beweisregeln operiert werden, die nach polizeirechtlichen Grundsätzen nur bei einem erheblichen Gefahrenverdacht eine andere als vorläufige Regelung zulassen. Vorsorge muß deshalb auch auf der Grundlage unvollständigen Wissens möglich sein; eine solche Strategie verlangt aber zugleich nach der Formulierung neuer Selbstbegrenzungen, weil bei unbekannten Risiken auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip seine Bindungskraft einbüßt. Deshalb wird die Vorsorge etwa von der Wissensseite her gebunden an einen konkreten Gefahrenverdacht, der entweder durch "Tatsachen" oder durch "wissenschaftliche Erkenntnisse" begründet sein muß.52 Das Erfordernis eines konkreten Verdachts kann aber nur in begrenztem Maße Konturen durch die negative Abgrenzung von bloß abstrakten Schädigungsmöglichkeiten gewinnen, weil diese Unterscheidung letztlich auf das Kausalitätsmodell und seine "natürliche" Abschichtung von Komplexitätsniveaus verweist. Sie hat ihre Fortsetzung innerhalb der polizeirechtlichen Dogmatik in der Konzeption der "unmittelbaren" Verursachung gefunden, die von der Beobachtung linearer Kausalketten ausVgl. allgem. zur Bedeutung von Irreversibilität Prigogine 1979, insb. 186 ff.; zu diesem Phänomen in der Ökonomie vgl. die Beiträge in Boyer/Chavance/Godard (Hg.) 1991 51 5 2

Vgl. dazu die instruktive Entscheidung des OVG Münster, IUR 1992, 40 m.Anm. Lübbe-Wolff

Das BVerwG, UPR 1992, 382, 384, läßt die Frage offen, ob der Verwaltung hier ein "Beurteilungsspielraum" zusteht. Es verlang aber die "nachvollziehbare" Darlegung und "plausible" Begründung der Notwendigkeit lweiterer Nachforderungen. Dies erscheint als ein durchaus sinnvoller Ansatz zu einer Prozeduralisierung des Gefahrenverdachts, für dessen Konkretisierung nicht mehr auf ein verfügbares, "substantielles" durchschnittliches Wissen zurückgegriffen werden kann. Es ordnet sich ein in die neuere Rechtsprechung des BVerfG, die insbesondere im Prüfungsrecht die Dogmatik des Beurteilungsspielraums, soweit es nicht um situative, auf nicht mitteilbaren Eindrücken basierende Einschätzungen geht, umstellt auf eine Prüfung der Darlegungs- und Begründungspflichten für Entscheidungen, die auf der Grundlage unvollständigen Wissens getroffen werden müssen; vgl. BVerfGE 83, 130, 145 ff.; 182, 199 ff.; 84, 34, 49 ff.; 84, 59, 77 ff.; vgl. zum Gefahrenverdacht auch Kloepfer 1993, 61 ff.; Murswiek 1985, 388; vgl. zur sog. Nachmarktkontrolle im Arzneimittelrecht Di Fabio 1993a, 109, 130

3. Der "Stand der Technik" als Stopp-Regel der Risikobewertung

215

geht.53 Diese lassen sich sowohl als Typus (abstrakt) wie als individueller Ereignisverlauf (konkret) beschreiben. Auf die Formulierung eines "Gefahrenverdachts" unter unvollständigem Wissen paßt diese Schematisierung jedoch im allgemeinen nicht genau, da es dann eher um die Ernsthaftigkeit und Erheblichkeit etwa einer Typisierung eines Stoffes als "umweltgefährlich" geht54 und nicht darum, ob sie auf einen konkreten Fall zutrifft. Das Bundesimmissionsschutzgesetz bindet die Vorsorge bekanntlich in § 5 Abs. 1 Nr. 2 an den Stand der Technik; damit wird letztlich - wie erwähnt der technische Wissensstand rezipiert, der sich aber nicht primär an der Diagnose von Risiken, sondern an der Praktikabilität eines technischen Konzepts orientiert. 3. Der "Stand der Technik" als Stopp-Regel der Risikobewertung Die Orientierung der Vorsorge 55 am "Stand der Technik" 56 impliziert eine Stopp-Regel für die Informationssuche, deren Abstützung ebenfalls problematisch geworden ist. Damit wird im Grunde die Rationalität eines technischen Prozesses vorausgesetzt, der aber durch Erfahrung und die Indikatorwirkung bestehender Rechtsgüter seinerseits nicht mehr zuverlässig gesteuert wird. Der Stand der Technik, der sich selbst am "fortschrittlichen" Teil des Techniksystems orientiert, ist seinerseits auch in weit höherem Maße als die allgemein zugängliche Erfahrung strategischen Einwirkungen der Beteiligten unterworfen, da der Kreis der Beteiligten angesichts zunehmender Spezialisierung überschaubar bleiben kann. Auch dadurch wird die Einheitlichkeit und Zugänglichkeit des Wissens beeinträchtigt. Ein zusätzliches Orientierungsproblem ergibt sich daraus, daß die Bindung der Vorsorge an den "Stand der Technik" durch den darin angelegten Rückgriff auf das verfügbare Wissen die Entwicklung komplexerer, noch nicht praktisch verfügbarer Technologien blockieren kann.57 Selbst wenn sich ein "ernsthafter" Verdacht formulieren läßt, so läßt sich eine Interventionsschwelle am Maßstab des Prinzips der Verhältnismäßigkeit nur schwer konturieren. 58

53

Vgl. dazu nur Drews/Wacke/Vogel/Martens 1986, 313; Pietzcker 1984, 857 ff.

5 4

Vgl. BVerwG, UPR 1992, 382, 384

5 5 Vgl. zur Vorsorge BVerwGE 69, 37, 45 (insbesondere zum Erfordernis eines Konzepts); vgl. zum Drittschutz nur Kutscheidt 1993,439 ff.; Kloepfer/Meßerschmidt 1987, 61; Breuer 1981, 393,413 5 6

Vgl. zum Begriff Marburger 1979, 164; Breuer 1989, 43, 57; Nicklisch 1983, 261 ff.

57

Vgl. dazu Stewart 1981, 1257,1303; Ladeur 1988, 305 ff.

58

Vgl. Kloepfer 1993, 76

216

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

Die Rechtsprechung des BVerwG hat bekanntlich hier das Erfordernis aufgestellt, daß etwa der Immissionsbegrenzung bei der Genehmigung von Anlagen ein "Konzept" zugrunde liegen müsse59, das die Bestimmung der Vorsorge in volks- und nicht in bloß betriebswirtschaftlichen Größenordnungen ausweist und auf gleiche und planmäßige Anwendung angelegt ist. Dies erscheint durchaus plausibel, da sich die Abschätzung der umweltentlastenden Wirkung einer Strategie der Immissionsbegrenzung auf die einzelne Anlage nicht sinnvoll beziehen läßt. Nur durch die Bildung einer Gesamtkonzeption läßt sich - und selbst dies nur unter großer Unsicherheit - eine Vorstellung der Angemessenheit von Aufwand und Wirkung gewinnen. Auch hier zeigt sich, daß es nicht um einen abstrakten Regeltypus des riskanten Handelns geht, sondern daß eine Kumulation mehrerer Handlungen zu einem Gesamteffekt vorgenommen wird und auch die staatliche Entscheidung einer gesamthaften Bewertung unterzogen wird. Wenn der Stand der Technik in einem Unternehmen zu einer relativ geringen Senkung der Luftbelastung bei hohem Kostenaufwand führt, so mag dies dennoch als angemessen bewertet werden, wenn die Schadstoffbelastung zu einer Kumulationswirkung mit anderen Emissionen beiträgt, die durch die Einführung des Standes der Technik insgesamt deutlich herabgesetzt wird 60 - dies schließt allerdings im Einzelfall nicht aus, daß das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine Differenzierung zwischen Unternehmen in dieser Hinsicht erzwingen kann. 4. Zur Notwendigkeit des Risikovergleichs a) Zur Entwicklung der Methoden Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich, daß nicht nur auf der kognitiven Seite der Risikobestimmung die punktuelle Bewertung anhand eines abstrakten Maßstabs, wie er für das Polizeirecht typisch war, durchbrochen wird, sondern auch in der Handlungsperspektive der Bezug auf die einzelne Entscheidung überwunden wird. 61 Gerade die immanenten Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips62 bei der rechtlichen Konturierung der Risikovorsorge und ihres möglicherweise hohen Kostenaufwands legt aber die Notwendigkeit nahe, Modelle des Risikovergleichs systematisch in verschiedenen 5 9

BVerwGE 69, 37, 45

Deshalb wird auch auf der Seite der Privaten die strategische Zusammenfassung mehrerer einzelner Handlungen zu einem "Paket" möglich; dies geschieht durch Bildung von "Bubbles", die die Zurechnung von Emissionsminderungen auf mehrere Anlagen ermöglichen; vgl. § 17 Abs. 3 a BImSchG. 61 Vorbilder dafür gibt es aber auch schon im Bauordnungsrecht, wenn etwa für den Abriß mehrerer Schwarzbauten ein planmäßiges Vorgehen verlangt wird; vgl. nur Finkelnburg/Ortloff 1994,151 6 2

Vgl. allgemein Kloepfer 1993, 68 ff., 75

4. Zur Notwendigkeit des Risikovergleichs

217

Richtungen vorzunehmen oder zu entwickeln, wo die Informationsbasis noch nicht ausreichend ist. R. Breuer 63 hat dazu vor allem im Hinblick auf die Anlagensicherheit einen wichtigen Beitrag geleistet, wenn er auf die Möglichkeit der Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips durch neue, dem Handeln unter Risiko angemessenen Formen des Vergleichs aufmerksam gemacht hat. Damit wird zugleich ein Beitrag zur Absicherung der Eigenständigkeit des Vorsorgeprinzips 64 geleistet, die durch die bloße punktuelle Fortentwicklung einzelner Komponenten des Gefahrenbegriffs allein nicht gesichert werden kann. Es erscheint durchaus vielversprechend, eine vorsorgespezifische Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips über die Ausdifferenzierung der Methoden des Risikovergleichs65 einerseits und die Setzung von Prioritäten 66 andererseits zu versuchen. Dieser Gedanke läßt sich in verschiedenen Richtungen entfalten: Im Anlagensicherheitsrecht ist die Notwendigkeit und Möglichkeit zum Vergleich von Strategien der Risikominimierung (im Immissionsschutzrecht nach dem "Stand der Technik", im Atomrecht nach dem "Stand von Wissenschaft und Technik") auf einzelne Anlagen zu beziehen oder aber "anlagentranszendent" zu modellieren. (Im Atomrecht darf auch die Möglichkeit des Vergleichs unterschiedlicher Anlagenkonzeptionen nicht vernachlässigt werden). R. Breuer 67 hat mit Recht auf die höchst bedeutsame Folge des Gebots zur Risikominimierung im Atomrecht hingewiesen68, nämlich die behördliche Pflicht zur Zusammenstellung und zum Vergleich der jeweils in Betracht kommenden technischen Alternativen. Wie soll sonst überprüft werden, welches Risiko mit welchem (verhältnismäßigen) Aufwand begrenzt werden kann? Die bisherige Diskussion ist in dieser Hinsicht aber von der Frage der Grenzwertfestsetzung 69 beherrscht gewesen und deshalb eher eindimensional verlaufen, weil hier von einer gleitenden Skala der Möglichkeiten ausgegangen werden kann. Komplizierter wird die Frage aber dann, wenn sich Grenzen der Kommensurabilität zeigen, weil ein einheitliches Maß nicht oder jedenfalls nicht ohne weiteres zur Verfügung steht. (Darauf wird noch zurückzukommen sein). Aber selbst bei der Festsetzung 63

Breuer 1990, 218

6 4

Vgl. dazu allgemein Kloepfer/Meßerschmidt 1987, S. 61; Breuer 1981, 393, 413; auch der Einsatz ökonomischer Instrumente setzt ein hohes Maß an Risikoinformationen voraus, deshalb skeptisch Mintz 1991, 149, 158, 161 6 5

Vgl. aus der amerikanischen juristischen Diskussion Applegate, 1992,277, 310, 350; vgl. zum sozialwissenschaftlichen Risikovergleich Kaplan/Garrick, 1993, 91 ff.; in philosophischer Perspektive Gethmann, ders./Kloepfer 1993, 36 6 6 Vgl. Applegate 1992, 277 ff.; Reilly 1991, 1359 ff.; Brown 1991, 1413 ff.; Fiorino 1990, 82, 84; Harwell u.a., 1992,451 ff. 6 7

Breuer 1990, 211 ff.; vgl. weiterführend auch ders. 1994,157 ff.

6 8

Vgl. zur Risikominimierung im Atomrecht nur Hoppe/Beckmann 1989, § 29 Rnr. 27; Kloepfer 1989, § 8 Rnr. 15; BVerfGE49, 89,143 6 9

Vgl. BVerfGE 69, 37,45

218

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

von Grenzwerten stellt sich die Frage, ob ein pauschaler "Sicherheitszuschlag"70 das angemessene Mittel zur Verarbeitung unvollständiger Information ist, wenn die Methoden der Bewältigung von Ungewißheit insgesamt differenzierter werden und mehr Optionen zulassen.71 Insbesondere die Ersetzung einer vereinheitlichten Durchschnittsbelastung (die um einen Sicherheitszuschlag erhöht wird) durch eine Kombination unterschiedlicher Variablen, die je nach Verfügbarkeit der Information 72 unterschiedliche Werte annehmen können, erlaubt eine höhere methodische Flexibilität. Vor allem durch die Kumulation von "Sicherheitszuschlägen" zu je für sich schon seltenen Variablen der Belastung können sonst sehr geringe Wahrscheinlichkeiten für zu beherrschende Schadensfälle zustande kommen, die für die Praxis wenig Bedeutung haben:73 Z.B. die Aufnahme eines nur an wenigen Stellen in hoher Konzentration nachweisbaren Schadstoffes durch ein Kind, das große Mengen Erde in den Mund steckt. Wenn man hier mehrere Sicherheitszuschläge bei unterschiedlichen Parametern vornimmt, ergeben sich extrem unwahrscheinliche Szenarien. Das Beispiel ist fiktiv, geht aber an der Wirklichkeit nur insofern vorbei, als hier die Bestimmung der Wahrscheinlichkeiten noch relativ gut beschreibbar ist. Auch wer meint, man könne nicht vorsichtig genug sein, wird aber einräumen müssen, daß die Methode des Sicherheitszuschlags ganz unproblematisch nur bei der Gefahr bloßer Meßungenauigkeiten ist. Vor allem beim Auftreten methodischer und wissenschaftstheoretischer Ungewißheiten74, Konstellationen, in denen sich herausstellen kann, daß tatsächlich gar kein Risiko bestand, ist die Methode alles andere als unbedenklich, zumal damit unterschiedliche Varianten der Ungewißheit vermischt und damit schwer beobachtbar werden. Der Zweifel verdichtet sich aber, wenn man berücksichtigt, daß über viele Stoffe nur sehr bruchstückhafte oder gar keine Informationen zur Verfügung stehen75 und deshalb stoffbezogene Regelungen ohnehin nur selektiv erfolgen können. Ein ähnliches Problem stellt sich beim Vergleich technisch erzeugter mit vergleichbarer natürlicher Belastung (künstliche oder natürliche Radioaktivität76). Auch wenn man die subjektive Wahrnehmung in 7 0 Vgl. aus naturwissenschaftlicher Sicht Haber 1989, 287; Levi 1992, 135, 150; kritisch Burmaster/Lehr 1991, 5 ff.; vgl. auch die Beiträge in Winter (Hg.) 1986; vgl. aus rechtlicher Sicht nur Salzwedel 1991, 48 ff. 71 Hart/Jensen 1992, 32, 35; Burmaster/Lehr 1991, 5 ff.; vgl. zur Sensitivitätsanalyse auch Gethmann 1993, 37 7 2 Vgl. zur Notwendigkeit der Berücksichtigung der Informationsgrundlage von Wahrscheinlichkeitsannahmen Englehardt/Lund 1992,890 ff. 73

Vgl. zur Kritik Burmaster/Lehr 1991, 5 ff.

7 4

Vgl. zu den unterschiedlichen Typen von Ungewißheit Walker 1991, 567, 574; Klapp 1992; Spies 1993; Finkel 1989,429,465 7 5

Vgl. dazu allgemein Applegate 1991, 261 ff.

7 6

Levi 1992, 135 ff.

4. Zur Notwendigkeit des Risikovergleichs

219

der Risikobewertung nicht vernachlässigen kann, so muß man doch berücksichtigen, daß die Risikobeobachtung insgesamt durch den mindestens partiell eingetretenen Verlust der Orientierungswirkung der Erfahrung, und damit auch der Möglichkeit zur Bildung von Vertrauen durch Stopp-Regeln für die Informationssuche, aus dem Gleichgewicht geraten ist und daß ein neues System der Risikobeschreibung, -bewertung und des Risikomanagements für das Entscheiden auf unvollständiger Wissensgrundlage erforderlich ist. 77 Dessen Bildung kann aber über punktuell erfolgende Vorsorgemaßnahmen nicht gewährleistet werden. b) Zum Problem der Trennung von Risikobewertung

und Risikomanagement

Vor allem am Beispiel der Begrenzung der Vorsorge durch den "Stand der Technik" (aber in geringerem Maße gilt dies auch für deren Bindung an den Stand der "wissenschaftlichen Erkenntnisse"78) läßt sich zeigen, daß die Trennung von Risikobewertung und Risikomanagement, wie sie im Verwaltungsrecht der Trennung von Tatbestands- und Rechtsfolgenseite entspricht, nicht ganz durchzuhalten ist. 79 Das hängt damit zusammen, daß der traditionelle Gefahrenbegriff durch die über Erfahrung gesammelten und sanktionierten "kanonisierten Beispiele"80 akzeptablen Handelns konturiert wird, die die Vorselektion schädlicher (vom Normalbetrieb oder einem Unfall ausgehender) Ereignisketten erlauben. Risikobewertung unter Ungewißheitsbedingungen ist verstärkt auf die normative Festlegung von Suchmechanismen, aber auch die Formulierung von Stopp-Regeln durch Verfahren angewiesen:81 Vorsorge unterhalb der Gefahrengrenze ist potentiell unendlich. Dies wird deutlich im Rahmen des Gefahrstoffrechts i.w.S.. Insbesondere das GenTG hat eine Konzeption von Sicherheitsstufen normiert, über das "die Zurechnung bestimmter Arten gentechnischer Arbeiten" erfolgt. Die Risikoabstufung wird nach dem "Stand der Wissenschaft" im Hinblick auf die Bestimmung von "Eigenschaften der Empfänger- und Spenderorganismen, der Vektoren und der gentechnisch veränderten Organismen" vorgenommen (§ 7 Abs. 1 S. 7 7

Vgl. zur Risikowahrnehmung Jungermann/Slovic 1993, 167 ff.; Krohn/Krücken 1993, 9 ff.

7 8

Vgl. zu den Begriffen allg. nur Marburger 1979

7 9

Vgl. zur durchgängigen Abhängigkeit rechtlicher und faktischer Komponenten der Risikoermittlung Salzwedel 1993, 421 ff.; vgl. dazu auch Di Fabio 1991, 353 ff., 355; Scherzberg 1993, 498 ff.; Deisler 1988, 15 ff.; vgl. zum Verhältnis von "Bewertung" und "Subsumtion" im UVP-Recht jetzt Beckmann, DVB1 1993, 1335 ff.; vgl. auch § 16 PflSchG, § 3 a ChemG, § 16 GenTG 8 0 81

Vgl. Shafer 1981, 1,3

Vgl. zum Verfahren der Gefahrenbeobachtung durch Nachmarktkontrolle im AMG Di Fabio 1992, 109 ff.; ders. 1990, 193 ff.; vgl. zur Konkretisierung der Risikobeobachtung durch "Gefahrstufen" im Verfahren der Nachmarktkontrolle die Allg. VV über den Stufenplan nach § 63 AMG, BAnz Nr. 91 vom 16.5.1990, insbesondere Ziff. 6

220

X. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

6 8 2 ). Darüber hat der Antragsteller selbst eine "Risikobewertung" vorzunehmen (§ 6 Abs. 1), die hier ebenfalls eher durch den Prozeß der Sammlung und Produktion von Wissen etwa über die Eigenschaften der Organismen etc. definiert wird (§ 6 Abs. 1 Satz 2). Im ChemG und im PflSchG erfolgt die Risikobewertung durch die Erzeugung von Informationen über vorgegebene Eigenschaften und darauf bezogene Testverfahren. Dies erscheint zunächst als durchaus plausibel, weil der Informationsbedarf sonst nicht zu bewältigen wäre. Das Stufenkonzept ermöglicht eine gewisse Rationalität des Lernens unter Ungewißheitsbedingungen durch Bildung von Vergleichsgruppen. Auch hier zeigt sich, daß mangels einer vorfindlichen Risikogrenze, die eine punktuelle "Subsumtion" zuließe, eher die Formulierung von Verfahrensregeln vorzuziehen ist, die über die Erzeugung und Relationierung von Wissen zugleich variable, auf Vergleichbarkeit einzelner Fallgruppen angelegte Kriterien finden soll. 83 Diese Problematik stellt sich verstärkt, wenn neue komplexe "Rechtsgüter" als Substrat der Vorsorge in den Blick genommen werden, insbesondere der "Naturhaushalt" in seinem Wirkungsgefüge. Hier ist eine punktuelle Bewertung nur in Ausnahmefällen möglich, im übrigen setzt aber die Bestimmung von Risiken für den Naturhaushalt zunächst die Beschreibung von Wirkungsbeziehungen voraus, die wegen der Vielfalt möglicher Relationierungen nicht ohne Bezugnahme auf Stoffeigenschaften 84 erfolgen kann, die wiederum im Hinblick auf mögliche Einwirkungen (Streßfaktoren 85) auf den Naturhaushalt ausgewählt werden müssen. Hier müßte ein nur über variable Gruppenbildung zu gewährleistender iterativer Prozeß institutionalisiert werden, über den Risiken erst beschreibbar werden, ein Prozeß, der normative und faktische Komponenten miteinander zu verknüpfen hätte.86 Der Vergleich des unscharfen Begriffs des Naturhaushalts87 mit den traditionellen Rechtsgütern88 zeigt auch, daß über die Zuordnung be8 2

Die Konkretisierung erfolgt durch die Gentechniksicherheitsverordnung vom 24.10.1990

83

Vgl. Breuer 1991, 37, 51; Di Fabio 1991, 356; vgl. auch Winter 1993, 41 ff.

84 Vgl. zur Funktion des ChemG als eines Informationsgesetzes Rehbinder 1988, 201 ff.; vgl. zu den Folgen für die Anforderungen an die Vorlage von zusätzlichen Nachweisen BVerwG UPR 1993, 382; zu den Informationsproblemen der Verwaltung bei der Stoffbewertung allgemein Applegate 1991, 261 ff. 85

Vgl. dazu Wynne/Mayer1993, 32 ff.

8 6

Vgl. zu der verbreiteten Vorstellung, das zur Beschreibung des Naturhaushalts erforderliche Wissen könne aus der Ökologie einfach "übernommen" werden, BayVGH, NuR 1980, 25; vgl. auch BVerwG, NuR 1989, 385 (Paraquat) vgl. aus der ökologischen Literatur Sharpies 1991, 18 ff.; vgl. zur Ablösung des Risikobegriffs vom Schaden Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann 1990, 139; die dort vorgeschlagene Definition von Umweltrisiken als Möglichkeit einer Beeinträchtigung (§ 2 Abs. 3), sie umfaßt alle ernsthaft in Betracht zu ziehenden Veränderungen ("nicht nur geringfügig"). 87 88

Vgl. dazu Ladeur 1994, 8 ff.

Diese sind stets durch die Beschreibbarkeit eines Normalzustandes charakterisiert; vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens 1986, 222; Scholz 1919, 28; vgl. zur Ablösung des Risikobegriffs vom Schaden auch Di Fabio 1993, 151 ff.

4. Zur Notwendigkeit des Risikovergleichs

221

stimmter privater Rechte (Eigentum) und öffentlicher Zuständigkeiten ein Such- und Beobachtungsverfahren institutionalisiert wird, das die Variation und Fortbildung des Erfahrungswissens ermöglicht: 89 Der Eigentümer eines Gemüsegartens stellt fest, daß die Tomaten fleckiger sind als üblich und regt Nachforschungen der zuständigen Behörde an. Aber Veränderungen des Naturhaushaltes sind weitaus schwerer zu beobachten, sie lassen sich in der Regel nicht als Abweichung von bestehenden Erwartungen beschreiben. Sie sind vielfach nur zu erfassen, wenn zunächst ein Ökosystem und seine Beziehungen modelliert worden sind, während der traditionelle Gefahrenbegriff mit der Beschreibung des Rechtsguts und dessen Nutzenfunktion über einen Maßstab verfügt, anhand dessen sich Gefährdungen durch "störende" Ereignisketten beobachten lassen.90 Diese einfache, Anschlußbeobachtungen ermöglichende Unterscheidung und Verknüpfung ist beim "Naturhaushalt" nicht möglich. Hier besteht das Problem darin, daß schon das Schutzziel schwer zu beschreiben ist, weil Ökosysteme aus einer Vielzahl von Komponenten mit unterschiedlichen Wechselwirkungen bestehen und sowohl ihre Grenze als auch ihre Veränderungen deshalb schwer definierbar sind, weil sich Ökosysteme in einem permanenten Prozeß der Veränderung befinden. 91 Außerdem ist vielfach unbekannt, ob und wieweit sich Ökosysteme regenerieren können und welche Voraussetzungen dafür erforderlich sind 92 Die Problematik spitzt sich noch dadurch zu, daß Ökosysteme sehr unterschiedlich sind und unter einer Vielzahl von externen und internen Einflüssen stehen, die nicht ohne weiteres in unterscheidbare Wirkungsketten zerlegt werden können.93 Der traditionelle Gefahrenbegriff war an der individuellen Wahrnehmung unterscheidbarer Ereignisketten orientiert 94; diese Individualisierbarkeit der Wahrnehmung war durch die strukturbildende Leistung des Kausalitätsmodells95 und die dadurch erfolgende hierarchische Abstufung von Komplexitätsniveaus begründet. Wenn aber die Risiken, die Wirkungsbeziehungen oder die Rechtsgüter nicht mehr individuell zuzurechnen sind, so wird dadurch auch deren Beobachtung beeinträchtigt, sie muß ihrerseits mit Hilfe neuer Institutionen organisiert werden. Risikobeobachtung kann nicht mehr auf die allgemeine Erfahrung und deren individuelle Anwendung im Einzelfall zurückgreifen, deshalb ist 89 Vgl. zur Bedeutung der Erfahrung v. Müller 1930, 92 ff.; Scholz 1919, 15; PrOVG, PrVBl 16, 126; vgl. auch zum zivilrechtlichen Begriff der "Ortsüblichkeit" von Einwirkungen Säcker 1986, § 906 Rnr. 78 ff. 9 0 Vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens 1986, 220 ff.; vgl. zur Kausalität aus naturwissenschaftlicher Sicht Rasmussen 1991, 248 ff. 91

Vgl. Holling 1973, 1 ff.

9 2

Vgl. Atlan 1985, 187 ff., Norgaard 1984, 160 ff.

9 3 Zum Verhältnis von natürlicher und "kultürlicher" Umwelt, Haber 1993, 66 ff.; vgl. auch Harwell u.a. 1992,451 ff. 9 4

Vgl. Clarke 1989, S. 178; Huber 1985,277,292

9 5

Vgl. dazu Rasmussen 1991, 247, 248 ff.; Lübbe 1993, 87 ff.

222

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

auch die Einordnung der über verschiedene, nicht aufeinander abgestimmte Mechanismen erzeugten Fragmente des Risikowissens nicht leicht möglich. Dies gibt Raum für konkurrierende Interpretationen, eine Konstellation, die die Bildung von Vertrauen und die Formulierung von Stopp-Regeln im Prozeß der Wissensbildung nicht eben fördert. Die Orientierung an praktischen, und zwar individuellen Handlungen hatte das Erfahrungswissen und seine Anschlußfähigkeit strukturiert, während das neue Wissen durch Organisationen erzeugt wird und erzeugt werden muß. Das Verhältnis von allgemeiner Erfahrung und individueller Anwendung ist vor allem durch den Übergang zu einem eher theoretischen, durch Relationierung abstrakter Variablen gekennzeichneten Wissen96, das in weit höherem Maße als früher in und durch Organisationen erzeugt wird 97 , grundlegend verändert worden. Wissen ist von den Institutionen, Methoden und Modellen, mit deren Hilfe es erzeugt wird, vielfach nicht mehr abzulösen, nachdem das Kausalitätsmodell mit seiner "natürlichen" Abschichtung von Komplexitätsniveaus98 in Frage gestellt worden ist. Es geht nicht mehr um die kontinuierliche Sammlung und Erweiterung von Erfahrungen, die prinzipiell durch individuelle Handlungen zu gewinnen sind und Anschlüsse an neue individuelle Handlungen ermöglichen, sondern die systematische und methodische Produktion neuen Wissens99, das seinerseits nicht mehr in Ursache-Wirkungs-Ketten übersetzbar und unterschiedlichen wissenschaftlichen, aber auch "meta-wissenschaftlichen" Interpretationen 100 und Re-Modellierungen zugänglich ist, sich also dem allgemeinen Verständnis nur schwer erschließt und vor allem keine Verhaltensorientierung eröffnet. 101 (Dies ist übrigens auch die Grundlage für die Inanspruchnahme einer politischen "Interpretationsfreiheit", die, von der vor-entschiedenen Abschichtung zwischen Ursachen, Wirkungen und Nebenwirkungen befreit, Zurechnungen beliebig umdefinieren zu können vermeint, wenn einmal das alte Ordnungsmodell zerfällt 102). Die Wissenschaft kann den mit der Entwertung der Erfahrung einhergehenden Verlust an Erwartungssicherheit nicht kompensieren: Sie kann den eingetretenen Fragmentierungsprozeß nicht durch Reformulierung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten in Grenzen halten. Ihre Suchmechanismen folgen eigenen Regeln der Innovation, die von denen anderer Teilsysteme mehr und mehr

9 6

Rasmussen 1991, 248 ff.

9 7

Vgl. Harwell u.a. 1992, 452 ff.

9 8

Vgl. Krüger 1992, 1 ff.

9 9

Vgl. dazu Slovic u.a. 1991,7 ff.

1 0 0

Weinberg 1981, 5 ff.

101 Ygi

z u m

Verhältnis von Wissenschaft und Regulierungsinteressen Zervos 1989, 651 ff.

102 ygi. z u weitreichenden Annahmen über die Notwendigkeit einer "ökologischen" Anpassung der Gesellschaft an die Natur Blanke 1989, 183 ff.

4. Zur Notwendigkeit des Risikovergleichs

223

unterschieden sind. 103 Die Wissenschaft orientiert sich eben anders als die Erfahrung nicht an der Suche nach Verhaltenssicherheit und der dafür erforderlichen Wissensbasis oder dem Ziel der Risikoregulierung. Das schließt "grenzüberschreitende" Abstimmungen nicht aus, aber wissenschaftliches Wissen verändert seinen Charakter, wenn es auf den Entscheidungshorizont der Regulierung eingestellt wird. Solche "Grenzüberschreitungen" ermöglichen in umgekehrter Richtung erst einen großen Teil der immer stärker ausdifferenzierten, nur schwer durch allgemeine Regeln koordinierbaren empirischen Untersuchungen, die ohne erhebliche staatliche Unterstützung nicht möglich wären, damit aber auch mindestens partiell von staatlichen Zielen abhängig werden. Aber nur auf diese Weise, durch systematische finanzielle Hilfe ist ein großer Teil des Risikowissens überhaupt nur zu erzeugen, da die individuelle Fortschreibung des allgemeinen Erfahrungswissens an Grenzen gestoßen ist. Dieses Problem setzt auch dem Einbau ökonomischer Instrumente in das Umweltrecht enge Grenzen 104, weil es in zunehmendem Maße um die Bewältigung kollektiver schwer strukturierbarer Effekte geht, die ganz neue Informations- und Zurechnungsprobleme aufwerfen. Mit der Zuordnung von Eigentumsrechten oder der Auferlegung von Abgabepflichten 105 sind aber Umweltprobleme nur dann zu lösen, wenn die Ungewißheiten nicht so groß sind, daß die Entscheidungsfähigkeit Privater blockiert wird. 106 Das gleiche gilt für den Staat, der bei der Bemessung der Abgaben oder der Bestimmung des Maßes, in dem durch und über Eigentum Umwelt verbraucht werden kann, vor dem gleichen Informationsproblem steht. 107 Im übrigen taucht aber auch hier auf der entscheidungsbezogenen Seite der Bewältigung von Umweltrisiken ein charakteristisches Problem der Verschiebung von "Nebenwirkungen" auf, da eine Strategie der Internalisierung von Umweltrisiken angesichts der vielen Ungewißheiten gerade dazu führen kann, daß produktive Entwicklungen in der Wirtschaft gestört und neue möglicherweise viel größere Risiken an anderer Stelle erzeugt werden. 108 Der amerikanische Rechtswissenschaftler P. Huber hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß das "System der Risikoselektion" selbst verändert werden muß. 109 Die Erschütterung der Orientierung an der Erfahrung und der größere Anteil der Natur- und Ingenieurwissenschaften an der Produktentwicklung und den Produktions103

Vgl. dazu Zervos 1989, 655; Cooke 1991,18

104 Ygi a u s fa umfangreichen Literatur nur den Bericht von Cropper/Oates 1992, 677 ff.; skeptisch Mintz 1991, 149, 158, 161 105

Vgl. dazu nur Köck 1991; Meßerschmidt 1986

106

Vgl. Ladeur 1993b, 1303 ff.

107

Vgl. Atkinson/Tietenberg 1991,17, 19

108

Vgl. Ashford/Ayers/Stone 1991, 17, 19; Ladeur 1988, 305 ff. m.w.N.

109

Huber 1985, 279

224

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

formen hat auch das Maß der Risikoinformation gesteigert und damit die Aufmerksamkeit für Risiken erhöht, obwohl darin zugleich die Möglichkeit enthalten sein kann, daraus systematisch zu lernen. Diese Lernfähigkeit kann nur durch die und in den Organisationen, an die die Erzeugung von Wissen mehr und mehr gebunden ist, institutionalisiert werden, da der Umgang mit praktischem Wissen nicht aus seinem Handlungszusammenhang herausgelöst werden kann. Wenn diese Verknüpfung von Wissen und Handeln vernachlässigt wird, besteht die Gefahr der Über- oder der Unterschätzung der Lernfähigkeit von Organisationen: Die eine Variante läuft auf eine unreflektierte Politik des "technology forcing" nach rein normativen Zielvorgaben hinaus, die andere besteht in einer vordergründigen Strategie der Risikovermeidung, deren Nebenwirkungen ebenso normativ durch Zuweisung von Verantwortung 110 , vor allem durch Auferlegung von Lernpflichten für Individuen bewältigt wird. Da das Risikowissen mehr und mehr über Organisationen und interorganisationale Netzwerke erzeugt wird, muß sich eine Strategie der Erhaltung und Steigerung von Flexibilität, auf die sich das Rechtssystem einstellen muß 111 , an den Organisationen und deren Handlungspotentialen orientieren. c) Methodologische Probleme des Risikovergleichs Risikovergleich und Setzung von Prioritäten sind gerade Methoden, die der Notwendigkeit des Einbaus strategischer Komponenten in das Recht entsprechen könnten, da strategisches Denken sich dadurch auszeichnet, daß es mit Zielkonflikten und nicht mit in vollem Umfang beherrschbaren dynamischen Effekten rechnet. Die damit verbundenen Schwierigkeiten lassen sich im Vorsorgebereich aber auch durch Kosten-Nutzen-Erwägungen nicht leicht lösen. 112 Es ist leicht erkennbar, daß ein solcher ökonomischer Risikovergleich im technischen Sinne 113 an den gleichen Informationslücken leiden müßte wie eine rechtliche Bewertung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, auch wenn Ökonomie und Statistik eine Reihe von praktikablen Verfahren zur Integration und Quantifizierung von Risiko und Ungewißheit in Bewertungsmodellen entwickelt haben.114 Jedenfalls dürfte die Kosten-Nutzen-Analyse allein keine geeignete Grundlage für den Risikovergleich bieten, da die Öko110

Vgl. dazu eindringlich Kaufmann 1992, 60 ff.

111

Friedman 1986, 1,3

112 Ygi 2ur Kosten-Nutzen-Abwägung aus rechtlicher Sicht Di Fabio 1993, 187; vgl. auch Gethmann 1993, 28 ff.; Ames u.a. 1987, 271 f.; 1991, 649 ff.; vgl. auch zu dem "Metaproblem" der Kosten der Regulierung Hahn/Hunt 1991, 233, 259, 271 113 114

Vgl. Huber 1985, 385; Abelson 1993, 219 ff.; Reitze 1989,111, 153

Vgl. Apostolakis 1990, 1359 f. Walker 1989, 469 ff.; Burmaster/Lehr 1991, 5 ff,; Finkel 1989, 427 ff., Lewis 1980,33 ff.; kritisch Hornstein1992, 562 ff.

4. Zur Notwendigkeit des Risikovergleichs

225

nomie herkömmlicherweise auch bei der Quantifizierung von Ungewißheiten mit Nutzen- bzw. Verlusterwartungen rechnet, die an individuellen Präfenrenzen orientiert sind. Diese können aber gerade im Umweltrecht wegen der nicht hintergehbaren Mischung von normativen und faktischen Komponenten des Entscheidens über Umweltressourcen 115 nicht einfach übernommen werden. 116 Nicht nur muß die unterschiedliche Bewertung von Risiken berücksichtigt werden, es spielen auch Gerechtigkeitsaspekte bei der Risikoverteilung notwendigerweise eine wichtige Rolle. 117 Festzuhalten bleibt, daß das Umweltrecht noch stark am Gefahrenbegriff orientiert ist; der Gefahrenbegriff und das Konzept der Gefahrenabwehr (durch Einzelmaßnahmen) ist durch einen differenzierten Abstützungs- und Verweisungszusammenhang aus normativen, faktischen, materiellen und prozeduralen Komponenten konturiert worden. Risikovorsorge ist noch weitgehend von der Dominanz dieser Begrifflichkeit geprägt. 118 Für eine Übergangszeit war es durchaus hinzunehmen, daß das Vorsorgedenken eher als unselbständige Erweiterung des traditionellen Ordnungsrechts durch ein Konzept der Vorverlagerung der Gefahrenabwehr betrachtet worden ist. Dies war solange haltbar, wie die neuartigen Risiken und die verschiedenen Varianten der Ungewißheit gegenüber dem Erfahrungswissen auch quantitativ nur untergeordnete Bedeutung hatten und nur mit einzelnen neuen Technologien verbunden wurden. Wenn aber Risiko und Ungewißheit mehr und mehr zur Begleiterscheinung der gesamten Technikentwicklung werden, ist eine Umstellung auch der Rechtsdogmatik erforderlich, die die Eigenständigkeit der Probleme eines neuen "Risikorechts" akzeptiert. Die dem deutschen Recht eigene Unterscheidung von Gefahr und Risiko ist zunächst als Ausgangsbasis einer dogmatischen Fortbildung des Risikobegriffs akzeptabel. Das gleiche gilt für den Versuch, die Risikovorsorge durch die Bezugnahme auf den "Stand der Technik" oder durch eine vom Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse bestimmten "Vertretbarkeit" 119 der Umwelteinwirkungen zu begrenzen. Auch wenn dies konkretisierungs- und erweiterungsbedürftig erscheint 120, so ist daran doch ein Ansatz zu erkennen, der einer Umstellung der Perspektive auf den Vergleich von Risiken und damit die Setzung von Prioritäten nicht von vornherein entgegensteht und vor 115

Hornstein 1992, 562, 585, 603; vgl. auch Krier/Brownstein 1991,119 ff.; Seifrin 1992,552,560

116

Vgl. auch Krier/Brownstein 1991, 136; Krimsky/Goldberg 1991, 92,109

117

Seifrin 1992, 552, 554, 557

118 Vgl. zur Weiterentwicklung des Risikobegriffs nur Di Fabio 1993, insbesondere 109 ff., 170 ff., 187 ff.; Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann 1990,119,136; Scherzberg 1993,484 ff. 119 Vgl. BVerwG, NuR 1989, 385 (Vertretbarkeit als unbestimmter Rechtsbegriff); so auch zum Gentechnikrecht Hirsch/Schmidt-Didczuhn 1991, § 16 Rnr. 17 ff., 29 ff.; anders Ladeur 1992, 254 ff.; ders. 1992, 948 ff. 120

Vgl. jetzt nur Scherzberg 1993,484 ff.

IS Ladeur

226

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

allem die Veränderung der Wissensbasis des Entscheidens unter Risiko und Ungewißheit ausdrücklich aufnimmt. Das US-amerikanische Recht benutzt vor allem im Gefahrstoffrecht die Formel der "unreasonableness"121 als Kriterium, mit dem erlaubte von unerlaubten Risiken unterschieden werden sollen. Damit ist im Chemikalienrecht (Toxic Substances Control Act) der amerikanischen Umweltbehörde (Environmental Protection Agency) ein weiter Spielraum bei der Informationssammlung eingeräumt, aber zugleich die Risikobewertung für die Berücksichtigung einer Vielzahl kaum kommensurabler Faktoren eröffnet. Die auf dieser Grundlage bestehende Praxis ist vor allem für die Chemieunternehmen mit erheblichen Kostenrisiken verbunden, da das Ausmaß der verlangten Risikoinformation schwer abschätzbar ist 1 2 2 , ohne daß vielfach ein der Kostensteigerung entsprechender Sicherheitsgewinn erkennbar ist. 123 Deshalb ist auch in der amerikanischen Literatur nach Ansätzen zu einer Prioritätensetzung gesucht worden 124 , die den Einfluß von Zufälligkeiten begrenzen, die zum Teil von der durch das Medieninteresse geweckten Aufmerksamkeit für bestimmte Stoffe beeinflußt werden. Dies führt dazu, daß für die Bewertung mancher Stoffe ein Kostenaufwand betrieben wird, der angesichts der Vernachlässigung weitaus bedeutsamerer Risiken, die sich aber der Medienwahrnehmung entziehen, vielfach gänzlich unangemessen erscheint. 125 5. Zur amerikanischen Diskussion um den Risikobegriff Die Problematik einer gleitenden Skala von Risiken, die nur die Unterscheidung nach Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit zuläßt, hat sich auch in der amerikanischen Diskussion um den quantitativen Risikovergleich gezeigt. In Literatur und Praxis der USA wird seit einigen Jahren über die allgemeine oder selektive Einschränkung des Abwägungen verlangenden "unreasonable risk"-Standard - vor allem durch eine allgemeine Ausschließung von Risiken minderer Bedeutung - diskutiert ("de minimis-risk" 126 ). Die Umweltbehörde soll dadurch einen größeren oder geringeren Konkretisie-

121

Vgl. allgemein dazu Applegate 1991, 261 ff.

122 Vgl Applegate 1991, 261 ff.; vgl. zur Nachforderung von Testinformationen nach dem deutschen Recht BVerwG, UPR 1992, 382 ff. 123

Vgl. kritisch Wildavsky 1988, S. 8, 30

124

Vgl. Applegate 1992, 277 ff., U v e 1990, 235 ff.; Ahearne 1993, 39 ff.; Dorfman 1982, 13; Reilly 1992,1359, Abelson 1993,219 ff.; Harwell u.a.1992,451 ff. Sater 1990, 143 ff. 125 126

Vgl. krit. Hornstein 1992, 562 ff.

Vgl. die Beiträge in Whipple 1987; Applegate 1992, 277 ff.; Abelson 1993, 222; Lave/Upton 1987, 142 ff.; Rodricks u.a. 1987,307 ff.; Roe 1988, 277 ff.

5. Zur amerikanischen Diskussion um den Risikobegriff

227

rungsspielraum erhalten. 127 Diese Einschränkung soll vor allem im Bereich der Chemikalienkontrolle zu einer Entlastung von Problemen der Risikobewertung führen, wie sie mit der auch in den USA noch verbreiteten Vorstellung einer Subsumtion je besonderer Stoffe unter eine allgemeine Regel verbunden sind. 128 Aber auch hier tritt das Problem des Fehlens eines einheitlichen Maßstabes für die Risikobewertung zutage.129 Zum Teil wird vorgeschlagen, diesen Mangel durch Rückgriff auf den Vergleich mit früher tolerierten Risiken zu kompensieren130 oder die Konkretisierung ganz einer Art planerischen Kompetenz der Umweltbehörde anheim zu geben.131 Damit soll der Behörde die Möglichkeit eingeräumt werden, pragmatisch Risiken "below regulatory concern" zu vernachlässigen132, da eine genaue kognitive Beschreibung größerer oder geringerer Risiken angesichts fehlenden Konsenses kaum möglich erscheine 133, aber auch ein allgemein anerkanntes Verfahren der Definition nicht zur Verfügung stehe.134 Zwar ist in den USA angesichts der starken Ausweitung des Ordnungsrechts, das unübersichtlich und irrational zu werden droht, ein Unbehagen verbreitet, das sich in der Suche nach einem einfacheren und einheitlicheren System der Risikobewertung niederschlägt.135 Aber der Mangel an verfügbaren Daten und die Unterschiedlichkeit der Methoden und deren Bedeutung für die Risikobewertung erschweren die Verständigung. 136 Ähnliches gilt auch für die quantitative Risikoanalyse137, die sich - anders als die deterministische Methode138 - nicht so sehr am Ziel einer "qualitativen" entscheidungsorientierten Bewertung von Risiken nach einem ja/nein-Schematismus als einer methodischen Berechnung des Gesamtrisikos einer Anlage oder eines Stoffes auf der Grundlage zusammengesetzter Teilrisiken orientiert. 139 Die Kritik entzündet sich vielfach daran, daß die Vereinheitlichung, soweit sie überhaupt gelingt, nur als das Produkt einer bestimmten Methode erscheint, das der "Wirklichkeit" nicht gerecht wird, weil die Unvollständigkeit der Datenbasis 127

Applegate 1992, 277 ff.

128

Vgl. Zitko 1990, 29

129

Vgl. Krier/Brownstein 1991,119,132

130

Vgl. Menzies/Price 1993,187 ff.

131

Vgl. Applegate 1992, 277 ff.

132

Meyers 1987,101,102

133

Vgl. Zitko 1990, 29; vgl. auch Rodricks 1987, 311; Lave/Upton 1987, S. 287

134

Imbus 1988, 356, 365; Hornstein 1992, 562 ff.; Serafin u.a.1992, 271 ff.

135

Rodricks u.a. 1987, 307 ff.

136

Hornstein 1992, 562 ff.

137

Hornstein 1992, 573 ff.

138 ygi 139

aus

der deutschen Literatur Breuer 1978, 829, 834

Hornstein 1992, 573

228

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

ebenso wie die methodischen und wissenschaftstheoretischen Ungewißheiten dies verhindere. 140 In Deutschland ist die quantitative Risikoanalyse aus rechtswissenschaftlicher Sicht vor allem von R. Breuer zunächst mit dem Argument kritisiert worden, sie laufe letztlich auf die Festlegung einer willkürlichen "Grenzzahl" hinaus141, die das "rechtliche Konkretisierungsbedürfnis" nicht befriedige. 142 Andererseits hat er aber später die Fruchtbarkeit einer ergänzenden Berücksichtigung der quantitativen Risikobewertung eingeräumt. 143 Diese Einschätzung bleibt noch etwas unscharf angesichts der von Breuer selbst hervorgehobenen Notwendigkeit zur Vornahme von Risikovergleichen im Rahmen des Vorsorgeprinzips. Die Methoden des Risikovergleichs sind bisher noch zu stark an der Konzeption einer Risikobewertung auf der Grundlage einer gleitenden Skala orientiert. Dabei stoßen aber juristische ("de minimis"-Risiken), wirtschaftliche (Kosten-Nutzen-Analysen) und eher naturwissenschaftlich-ingenieurwissenschaftliche Varianten (quantitative Risikoanalysen)144 schnell nicht nur an Grenzen des Wissens, sondern auch an Grenzen des Vertrauens für ein Umweltentscheidungssystem, das früher seine Grundlage in der Kontinuität der Erfahrung, in der Verbindung von allgemeinem Regelwissen und individuellem Handeln gefunden hat. Dieses schlägt sich auch und gerade darin nieder, daß Fakten und soziale Wertungen vielfach kaum voneinander getrennt werden können.145 Das hängt wiederum damit zusammen, daß die Erzeugung von kollektiven Effekten und das Auftreten kollektiver Akteure in das Verständnis und die Strukturierung von Ungewißheit einbezogen werden müssen146 und der Rückgriff auf statistische Methoden allein den Problemzugang eher erschwert. Auch auf der Seite der Methodenwahl für die Risikoanalyse muß Abschied von der bloßen Fortentwicklung der Wahrscheinlichkeitsberechnungen genommen werden und ein grundsätzlicher Neubeginn der Methode der Risikoanalyse147 unter Ungewißheit im Unterschied zur Gefahrenabschätzung nach der Erfahrung versucht werden. Das bedeutet vor allem, daß nicht eine dem traditionellen Modell der Gefahrenabwehr vergleichbare Zuverlässigkeit der Risikobewertung angestrebt werden kann. Manche der dafür entwickelten Methoden scheinen darauf zu vertrauen, daß eine in Zahlen ausge140

Imbus 1988, 356, 365; Hyman/Stiftell988, 7, 26; vgl. zu den verschiedenen Typen der Ungewißheit auch Walker 1991, 567, 574 ff.; Olson 1990, 1, 13 141

Breuer 1978, 834

142

Vgl. Breuer 1990, 221

143

Vgl. Breuer 1990, 221

144

Vgl. zu diesem grundsätzlichen Problem Russell/Gruber 1987, 286 ff.; Krohn/Krücken 1993,

9 ff. 145

Hyman/Stiftel 1988, 20; für das deutsche Recht vgl. nur Salzwedel 1993, 421 ff.

146

Lave 1990, 241

147

Vgl. Reitze 1989, 111, 153

5. Zur amerikanischen Diskussion um den Risikobegriff

229

drückte subjektive Wahrscheinlichkeit durch die Summierung zu einer abschließenden "Grenzzahl" 148 die Unwägbarkeiten des Verfahrens, in dem sie gebildet werden, vergessen machen. D. Hornsteins 149 Kritik, daß Risikobewertungen eher "Artefakte einer Methodologie" als wirklichkeitsgerechte Darstellungen seien, ist grundsätzlich berechtigt, weil der Zwang zum praktischen Handeln unter unvollständigem Wissen zugleich dazu benutzt wird, ein Vertrauen in Anspruch zu nehmen, das in der Vergangenheit durch außerhalb der Wahrscheinlichkeitsberechnung liegende Momente begründet worden ist, nämlich durch die Streuung des Risikos und die Begrenzung seiner Größe infolge der Dezentralisierung der Technikentwicklung. Heute gibt aber weder die Art der Risikoverteilung, die eher von Konzentration bestimmt ist, noch die mögliche Größe des Schadensausmaßes Anlaß zur Beruhigung. Das Problem der Vertrauensbildung 150 muß unter den gewandelten, von Ungewißheit geprägten Bedingungen selbst durch Verfahren bearbeitet werden, da die Erfahrung als Grundlage für die Formulierung von Stopp-Regeln bei der Suche nach Risikowissen nicht mehr ausreicht. 151 Einer der Mängel der quantitativen Risikoanalyse besteht darin, daß sie dem Entscheider keine adäquate Information über das Verhältnis quantifizierter und nicht-quantifizierter Ungewißheiten vermittelt 152 , also z.B. keine Möglichkeit des Vergleichs zwischen aktuellen bekannten und unbekannten oder denkbaren künftigen Risiken eröffnet, da sie allzusehr auf die Möglichkeit vertraut, Ungewißheit durch subjektive Wahrscheinlichkeitsabschätzungen (von Experten) auszudrücken.153 Die Kontinuität der Erfahrung basiert auf der Möglichkeit der Unterstellung bestimmter Regelmäßigkeiten der Technikentwicklung, die die Schwankungsbreite der möglichen individuellen Variation in Grenzen hält. Unter dieser Voraussetzung ist die traditionelle Orientierung der Entscheidung am verfügbaren Wissen und damit an der Erkennbarkeit der Gefahr 154 sinnvoll. Risikovergleiche, die der Steigerung der Rationalität der Vorsorge dienen könnten, dürfen aber nicht nach der vorfindlichen Maßstäblichkeit einer normorientierten Erwartung konzipiert werden, dazu ist das Feld der Möglichkeiten und das Maß der Ungewißheit (in ihren unterschiedlichen Varianten) sowie der Informationsbedarf zu groß. Das Operieren mit Ungewißheit und die Entscheidung unter unvollständiger Information kann nicht mehr als ver148

Vgl. kritisch Breuer 1978, 834

149

Hornstein 1992, 562, 573

150

Vgl. Paustenbach 1989,379,396

151

Vgl. allgem. Ladeur 1991, 241 ff.

152

Rodricks u.a. 1987, 307, 317; Lave 1985, 3, 8; Hart/Jensen 1992, 32 f.

153

Vgl. krit. Cooke 1982, 329 ff.; Thompson 1986, 59 ff.; vgl. differenzierend Lewis 1980, 157

154 vgl. aus der älteren Literatur Scholz 1919, 19; sowie aus jüngerer Zeit Brandner 1990, 99 f.; vgl. aus naturwissenschaftlicher Sicht Dowlatabadi/Morgan 1993, 1813; 1932

230

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

nachlässigbare Ausnahme, sondern muß als Regel verstanden werden, die zu einer Veränderung des Verfahrens selbst führen muß. Das bedeutet, daß die vergleichende Abschätzung mehrerer Risiken unter Ungewißheitsbedingungen methodisch anders konstruiert werden muß als die Sammlung empirischer Informationen über die Vergleichbarkeit strukturell ähnlicher Gefahren nach Größe des Schadens und der Eintrittswahrscheinlichkeit. Die vergleichende Risikobewertung muß notwendigerweise aus dem Schatten des Vergleichs der Gefahren heraustreten, der eher untergeordnete Bedeutung bei der Kontrolle behördlichen Ermessens unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit hatte. Sie muß in der einen oder anderen Form mit einer eher planerischen Variante der "Ausgewogenheit" auf eine Modellbildung umgestellt werden, deren Rationalität nicht durch eine einheitliche Regel, sondern durch eine Methode der Relationierung von Variablen gestiftet wird. 155 (Insofern geht die Kritik an dem konstruktiven Charakter quantitativer Risikoanalysen und vergleiche vorbei, ihr ist nur insofern zuzustimmen, als die methodische Konstruktion nicht den Eindruck erwecken darf, eine Beschreibung der "Wirklichkeit" zu leisten). Dieses Moment der Umstellung auf die Prüfung der immanenten Konsistenz einer planerischen Strategie war schon im Ansatz in der Forderung der Rechtsprechung des BVerwG 156 nach einem "Konzept" der Risikovorsorge enthalten. Es bedürfte aber der Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung durch methodologische Überlegungen. Im folgenden soll zunächst der Versuch des amerikanischen EPA skizziert werden, Prioritäten für die Bewältigung von Umweltrisiken aufzustellen. Die Notwendigkeit dazu hat sich vor allem - dies gilt auch für Deutschland157 - im Bereich der Chemikalienkontrolle ergeben. Sie hat sich dort schon aufgrund der Vielzahl von mehr oder weniger unbekannten Stoffen und der Grenzenlosigkeit der Testmöglichkeiten besonders aufgedrängt. 158 Vor allem dort hat sich mehr und mehr die Notwendigkeit abgezeichnet, den Risikobegriff zu prozeduralisieren, ihn also durch die Pflicht zur Durchführung bestimmter Tests zu definieren 159, die von vornherein nicht auf die Widerspiegelung einer einheitlichen Wirklichkeit Anspruch erheben können. Ähnliches gilt für die Problematik der Altlasten, die sich ja dadurch auszeichnet, daß latent gebliebene Risiken aufgrund verfeinerter Analysemethoden manifest geworden sind, aber wegen ihrer Vielzahl nicht sogleich bewältigt werden können. Aber auch darüber hinaus hat sich vor allem wegen der sichtbar gewordenen Grenzen des Ordnungsrechts bei der Bearbeitung einer Vielzahl heterogener Risi155

Rassmussen 248 ff.

156

BVerwGE 69, 37, 45

157 Yg] z u r Prioritätensetzung im deutschen Chemikalienrecht Gesesllschaft Deutscher. Chemiker (BUA) 1992 158

Vgl. Applegate 1991,261 ff.; vgl. auch Brown 1990, 241 ff.

159 yg]

z u

d e n Voraussetzungen der Nachforderung von Tests BVerwG, UPR 1992, 382

231

6. Probleme der Prioritätensetzung

ken und wachsender, aber fragmentarisch bleibender Risikoinformation die Notwendigkeit einer Schwerpunktsetzung gestellt, da auch der administrative wie der private Aufwand bei der Risikobewertung unterhalb der nach der Erfahrung zu beurteilenden Schadensgrenze aufgrund der vielfältigen Methoden und Fragestellungen potentiell immer größer wird, ohne daß damit aber notwendigerweise ein entsprechender Sicherheitsgewinn verbunden wäre. Mit den Überlegungen zum Risikovergleich und zur Schwerpunktsetzung verbindet sich unausgesprochen auch die Überlegung, daß es nicht nur um die Effektivität der Umweltverwaltung und die Erhaltung der Berechenbarkeit des Umweltrechts geht, sondern darüber hinaus um die Wiedergewinnung eines integrativen Ansatzes, der auch den Privaten, insbesondere den Unternehmen, längerfristig eine Stabilisierung der Erwartungen und Akzeptanz ermöglicht 160 , da die fast unüberschaubare Vielzahl von Risiken sowohl für das technische und ökonomische System als auch auf das Verhalten der privaten Individuen desorientierend wirken kann. Schließlich hat auch der Gefahrenbegriff durch seine Bindung an die Erfahrung ein zwischen Technik und Verwaltung abgestimmtes Handeln ermöglicht. 6. Probleme der Prioritätensetzung a) Ansätze zur Prioritätensetzung

in den USA

Die amerikanische Umweltbehörde EPA bzw. von ihr beauftragte Gremien haben innerhalb der letzten zehn Jahre mehrfach aufgrund von Beschlüssen des Kongresses Ansätze zur Formulierung einer teils gegenständlichen (vor allem auf Chemikalien) beschränkten, teils umfassenden Strategie der Setzung von Schwerpunkten bei der Begrenzung von Umweltrisiken unternommen. In den dazu veröffentlichten Berichten wurde zunächst (für Chemikalien) die Notwendigkeit der Formulierung eines Verfahrens zur Auswahl und Untersuchung umweltrelevanter Stoffe und zur Bestimmung ihrer charakteristischen Eigenschaften sowie zur Entwicklung einer auf Erweiterung angelegten Datenbasis hervorgehoben. In der Untersuchung "Unfinished Business"161 zur vergleichenden Bewertung von Risiken aus dem Jahre 1987 wird im ersten Teil eine Reihe von Sachproblemen zusammengestellt, während im zweiten Teil (zur Methode) vor allem die Notwendigkeit der Vorgabe 160 161

Hunt/Wilkins 1992, 365, 408, 418

Vgl. den Bericht U.S.E.P.A. 1987, U.S.E.P.A. September 1990; U.S.E.P.A., Februar 1992; vgl. aus der Literatur nur Reilly 1991, 1359 ff.; Atcheson 1991, 1375 ff. Brown 1991, 1413 ff.; zur Notwendigkeit der Akzentuierung der Informationsgewinnung für künftige Entscheidungen Olson 1990, 1, 13; dieser Gesichtspunkt kann aber nicht ohne weiteres den Aufschub von Entscheidungen zur Vermeidung von Irreversibilität rechtfertigen, da die künftig durch die Entscheidung zu generierenden Optionen nicht berücksichtigt werden können.

232

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

einer begrenzten Zahl von "end-points" begründet wird, an denen die Beobachtung und Bewertung von Umweltrisiken ansetzen kann, um sie in einem zweiten Schritt mit spezifizierten Belastungsfaktoren zu verknüpfen. Das EPA sollte einen Bezugsrahmen für die Bewertung grundlegender Beziehungen innerhalb von Ökosystemen und ihrer Veränderung unter Streß entwikkeln. 162 Die dagegen erhobenen methodischen Einwände (zum Teil aus dem Kreis der Mitarbeiter des EPA selbst) gipfelten in der These, daß der Ansatz nicht ausreichend ausdifferenziert sei 163 , da eine Reihe von Sachproblemen aufgeführt würden, die zu wenig Anschlußmöglichkeiten für Operationalisierungsschritte innerhalb des ordnungsrechtlichen Systems bilden könnten, d.h., daß die Verknüpfung zwischen Sachproblemen und Belastungspfaden nicht als ausreichend differenziert angesehen wurde. Auch der Bericht von 1990 164 setzt sich diesem Einwand aus, aber seine methodischen Überlegungen sind weiterentwickelt; das "Relative Risk Reduction Strategies Committee" hat in seinem Bericht für das "Science Advisory Board" des EPA vom September 1990 eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen, die darauf zielen, die Umwelt als ein vernetztes Ganzes zu betrachten und deshalb auch die ökologischen Probleme in einem integrativen Konzept zu bewältigen. Die Probleme sollten nicht mehr nach den herkömmlichen Interventions- und Wahrnehmungsmustern der Verwaltung, sondern nach ökologischen Streßfaktoren klassifiziert und dann in formalen Verfahren der Schwerpunktsetzung geordnet werden. Es sollte eine Methodologie entwickelt werden, die den Vergleich unterschiedlicher Risiken und die Formulierung einer darauf abgestimmten Strategie zu ermöglichen hätte. Die Datensammlung und -systematisierung sollte ebenfalls durch formale Methoden verbessert werden. In den zusammenfassenden Empfehlungen wird ausdrücklich auf Probleme der Formulierung eines umfassenden Prioritätenkatalogs hingewiesen, der noch komplexer würde, wenn auch noch Wohlfahrtsrisiken für die Gesellschaft insgesamt einbezogen würden. Der Bericht des "Strategie Planning Workshop" über "Ecological Risk Analysis Guidelines" vom Februar 1992 165 versucht diese allgemeinen Überlegungen durch die Forderung nach Aufstellung von "Ecological end-points" für spezifische Ökosysteme zu ergänzen166 und orientiert sich dabei vor allem an der Diversität der Arten (insbesondere der Bestimmung einer Mindestzahl der Spezies), an der Nahrungskette und an der Sensitivität der Beziehungen zwischen mehreren Variablen. Es seien darüber hinaus Modelle zu entwik162

Vgl. Harwell u.a. 1992, 452; vgl. dazu auch Wynne/Mayer 1993, 32 ff.

163

Vgl. Harwell u.a. 1992, 452; vgl. dazu auch Wynne/Mayer 1993, 32 ff.; Suter Π 1993, 7; krit. auch Hart/Jensen 1992,40; vgl. auch Seifrin 1992,552; Applegate 1992, 272, 289 164

Vgl. dazu auch Blomquist 1991, 154; Reilly 1991, 1359

165

Vgl. auch Sharpies 1989,18 ff.; Norgaard 1989, 303, 313; Rapport 1989, 120 ff.

166

Vgl. allg. auch Gethmannl993, 35

6. Probleme der Prioritätensetzung

233

kein, da deskriptive Analysen allein zu wenig flexibel seien und die Informationsbelastung nur steigern müßten. Der Bedarf an Informationen und die darauf abgestimmte Notwendigkeit zur weiteren Beobachtung (Monitoring) seien ebenfalls systematisch zu berücksichtigen. Auch dies ist noch kein sehr weitreichender Schritt zu einer neuen Form der Verbindung zwischen Ökosystemforschung und umweltrechtlicher Risikobewältigung, die die Kosistenz eines neuen Paradigmas für sich in Anspruch nehmen könnte. Aber eine solche Entwicklung ist auch einstweilen nicht zu erwarten, da die Umstellung von der Beobachtung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten und besonderer Ereignisketten auf neue Sensitivitätsmodelle der Relationierung einer Pluralität von relevanten Variablen 167 (unter Vernachlässigung von weniger bedeutsamen Verknüpfungen) eine erhebliche Veränderung der Herangehensweise der Risikoverwaltung bedeuten würde. Andererseits erscheint diese Perspektive vielversprechend, weil sie im Grunde der Veränderung des gesellschaftlichen Wissens selbst folgt, das ebenfalls mehr und mehr die auf der Seite der Gesetzmäßigkeiten und der Beschreibbarkeit empirischer Zusammenhänge eingebüßte Einheit des Bezugsrahmens über Methoden der Relationierung von Variablen 168 wiederfindet. Das Problem der Ungewißheit, das sich im Umweltrecht in verschiedenen Formen stellt, kann deshalb auch nicht einfach durch explizite gesetzliche Wertentscheidung kompensiert werden - dies wäre auch noch eine Form der zentralisierten Risikobewertung, die dem horizontaldiffusen Charakter der Probleme nicht angemessen wäre. "Demokratische Entscheidung" kann nicht als neues Paradigma zur Bewältigung von Ungewißheit gelten, stattdessen wäre eine neue Form der Verallgemeinerung der Risikobeobachtung durch Entwicklung von Methoden der Relationierung von und des Experimentierens mit Variablen zu entwickeln. Dabei wäre in einer Logik des Provisorischen mit (auf Revision angelegten) Modellannahmen die Veränderung von Beziehungsnetzwerken in Ökosystemen unter Streß zu beobachten.169 Diese Herangehensweise könnte den durch die Abschwächung der Bedeutung des Kausalitätsmodells eingetretenen Orientierungsverlust möglicherweise durch die Einstellung auf neue, nicht mehr hierarchisch konstruierte, auf Dauer angelegte abstrakt-generelle, sondern heterarchische stochastisch-relationale Formen der flexiblen Ordnungsbildung durch Prozentualisierung ablösen.

167

Vgl. Rassmussen 1991,248 ff

168

Harwell u.a. 1992,462

169

Dowlatabadi/Morgan 1993, 1932; Wynne/Mayer 1993, 32 ff.; skeptisch Hart/Jensen 1990, 127

234

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

b) Prioritätensetzung der deutschen Umweltverwaltung bei der "Altstoffbewertung" Die bei der Beurteilung von Chemikalien praktizierte "Prioritätensetzung" durch Klassifizierung von Altstoffen 170 unterscheidet sich im Grunde von der im Chemikalienrecht enthaltenen Regelung des Anzeigeverfahrens nur dadurch, daß es zunächst allein verwaltungsintern auf die "Erfassung" zielt. Deshalb hat auch § 4 Abs. 6 ChemG (a.F.) die Bundesregierung (nur) ermächtigt, im Verdachtsfall auch Altstoffe überprüfen zu lassen. Die Bundesregierung hat sich dafür durch das BUA (Beratungsgremium für umweltrelevante Altstoffe) als Kommission der Gesellschaft deutscher Chemiker beraten lassen. Das BUA hat in einem - wie es selbst formuliert - "pragmatische(n), praxisgerechte(n), aber wissenschaftlich dennoch vertretbare(n) Verfahren" eine Fragestellung entwickelt, die die Feststellung ermöglichen soll, ob an wichtigen "biologischen Wirkungsendpunkten" ökotoxikologisch oder toxikologisch ein Gefährdungspotential als gesichert anzunehmen bzw. stark zu vermuten ist (I), eine Bewertung mangels unzureichender Datenlage nicht möglich ist (II) oder ein Gefährdungspotential derzeit als gering anzusehen ist (III). Danach wird abgeschätzt, ob die Exposition für Mensch und Umwelt als "signifikant" anzusehen ist. Die Prüfung orientiert sich dabei begreiflicherweise sehr stark an den bisher gewonnenen Erkenntnissen. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, daß über viele "Altstoffe" durch jahrzehntelange Praxis umfassende Erfahrungen und Erkenntnisse gesammelt werden konnten. Auf der Grundlage der Einordnung der Stoffe in einzelne Gruppen (die noch keine Beurteilung impliziert) werden dann Stoffberichte erstellt, in denen Empfehlungen an den Bundesumweltminister ausgesprochen werden. Das Prüfverfahren, denen diese Stoffberichte folgen, ist ähnlich angelegt wie das des ChemG, beruht also auf standardisierten Tests. Die Prioritätenfestsetzung erfolgt dabei nicht in einem an der Aufstellung eines allgemeinen Umweltmodells orientierten Verfahren, sondern folgt dem vorhandenen Wissen und sieht standardisierte Tests vor, die die Bedingungen der Umwelt nur sehr begrenzt modellieren können. Vorübergehend mag dies hinzunehmen sein, aber nach der hier für richtig gehaltenen Auffassung kommt es darauf an, ein längerfristig angelegtes, selbst mit Ungewißheit und Unvollständigkeit rechnendes Sensitivitätsmodell der umweltrelevanten signifikanten Streßfaktoren zu entwickeln, die die Stabilität von Ökosystemen abbilden und nicht in 170 Ygi z u r Altstoffregelung in Deutschland BT-Drs. 11/6148 (Konzept der Bundesregierung zur systematischen Erfassung und Bewertung von Altstoffen); EG-Vorschlag einer Verordnung zur Bewertung und Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe (ABI-EG Nr. C276 vom 5.11.1990, S. 1; geänd. ABI-EG Nr. C334 vom 28.12.1991, S. 14); Chem. AltstoffVO vom 22.11.1990, BGBl I 2544; zum Verfahren und zur Prioritätensetzung im einzelnen vgl. Gesellschaft deutscher Chemiker, Beratergremium für umweltrelevante Altstoffe (BUA) 1992.

7. Verbesserung der Vorsorge durch Prioritätensetzung?

235

Anlehnung an das traditionelle Kausalitätsmodell nach einer möglichst genau belegbaren statistischen Wahrscheinlichkeit suchen. Dem bisher praktizierten Verfahren der Prioritätensetzung fehlt eine strategisch-planerische Komponente, die die Einzelfallorientierung überwindet und auf den iterativen Aufbau komplexer Umweltmodelle und daran orientierter Entscheidungsstrategien zielt. 7. Verbesserung der Vorsorge durch Prioritätensetzung? a) Zur Kopplung von dezisionalen und kognitiven Komponenten der Vorsorge Die Formulierung einer Vorsorgekonzeption, die aus dem Schatten des Gefahrenbegriffs heraustritt, muß zunächst das noch am Kausalitätsmodell orientierte Bild einer Grenze, der ein zusätzlicher Schutzbereich "vorgelagert" werden muß, aufgeben und einen neuen methodischen Zugriff auf das Problem der Ungewißheit gewinnen. Angesichts der Menge der (Teil-Informationen, die zur Verfügung stehen und vermutlich aufgrund verfeinerter Meßmethoden in Zukunft noch gewonnen werden können, ist ein neues strukturbildendes Ordnungsmodell erforderlich, das das Verständnis von und das Operieren mit Komplexität erleichtern und ein funktionales Äquivalent zu den "kanonisierten Beispielen"171 darstellen könnte, die unter dem Kausalitätsmodell die Suche nach neuem Wissen durch Stopp-Regeln und die Eröffnung von Anschlußmöglichkeiten und -zwängen strukturiert und zugleich begrenzt haben. Ein neues Vorsorgemodell muß zunächst die grundlegenden Veränderungen berücksichtigen, die mit der Ablösung der Beschreibung der Umwelt vom Denken in einzelnen Kaüsalketten und der Umstellung auf die Konstruktion von Netzwerkbeziehungen einhergehen. Dazu wäre die Entwicklung einer Methode der Bildung von Modellen durch Relationierung von Variablen erforderlich, die ähnlich wie das traditionelle Erfahrungsdenken auch eine Koordination mit den Bedingungen des technologischen Wissens und seines Selbstverständnisses erlaubt. Die Paradigmen des umweltrechtlichen Entscheiden einerseits und der Technikentwicklung andererseits können sich nicht ohne Folgen für Produktivität gesellschaftlicher Wissensbestände und damit die Entwicklung zu einer primär auf der Ressource "Information" basierenden Wissensgesellschaft auseinanderentwickeln. Die Kopplung der Vorsorge an den Stand der Technik oder den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse u.ä. Rezeptionsformeln ist deshalb im Ansatz durchaus richtig. Eine umfassende Vorsorge ist nicht möglich, sie kann nur selektiv erfolgen. Mit den genannten Rezeptionsformeln sollen deshalb 171

Vgl. Shafer 1981, 1,3

236

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

zugleich Stopp-Regeln gewonnen werden, die die prinzipiell unendliche Suche nach Informationen strukturieren. Solche Regeln können aber nicht mehr wie die Erfahrungsregeln einer Praxis implizit bleiben, sie müssen explizit formuliert werden, sie können angesichts der gewandelten Verhältnisse, insbesondere wegen des Aufstiegs der Organisation und des damit ermöglichten strategischen, Beziehungsnetzwerke beeinflussenden Handelns, nicht mehr der Technikentwicklung allein überlassen bleiben, weil die Selbstkontrolle der Technikfolgen nicht mehr zuverlässig unterstellt werden kann. Andererseits ist auch die Wissenschaft auf den Entwurf von Umweltmodellen, die die Vorsorge und ihre Begrenzung strukturieren könnten, nicht ausreichend vorbereitet, da sie eher auf der Offenhaltung von Fragestellungen, nicht aber die Formulierung von Stopp-Regeln in regulatorischer Perspektive eingestellt ist. In methodischer Hinsicht stellt sich aber gerade dann, wenn Vorsorge mehr als eine bloße Appendix-Funktion gegenüber der Gefahrenabwehr übernehmen soll, die Frage nach der Möglichkeit ihrer Spezifizierung z.B. im Hinblick auf zusätzliche Testanforderungen im Stoffprüfungsverfahren, erst recht aber bei einer möglichen Verschärfung der Sicherheitsanforderungen etwa im Hinblick auf Risiken für den "Naturhaushalt". Dabei wird sich mit zunehmender Erkenntnis neuer Zusammenhänge auch in dieser Hinsicht die Grenze zum Gefahrenbegriff zwar als durchlässig erweisen, vor allem aber wird sich gerade dann, wenn die Vorsorge nicht nur marginal bleibt, sondern den Einsatz größerer technischer und finanzieller Mittel erfordert oder verstärkt zum Anlaß für Produktionsbeschränkungen und -verböte wird, die Frage des Risikovergleichs viel schärfer als bei der Gefahrenabwehr stellen (wenngleich sich auch im Baupolizeirecht, wenn es um die Beseitigung eines rechtswidrigen Gesamtzustandes geht - Bauen im Außenbereich -, der Grundsatz "keine Gleichheit im Unrecht" als unzulänglich erwiesen hat). Um so mehr wird es im Umweltvorsorgerecht darauf ankommen, Maßstäbe zu entwickeln, die abgestuft nach Bezugsgrößen (anlagenimmanent und -transzendent, Stoffgruppen, technologieimmanent und -transzendent, Risikogröße etc.) Vergleiche und Prioritätensetzungen ermöglichen. 172 Auf die Orientierung am "Stand der Technik" oder am "Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse" wird man dabei nicht verzichten können, weil auch darin ein verallgemeinerungsfähiges Wissen enthalten ist, das zur Entwicklung eines längerfristig angelegten Vorsorgekonzepts erforderlich ist. Gerade wenn man die Grenzen des Kausalitätsmodells in Rechnung stellt, muß man als Konsequenz auch die Notwendigkeit eines anderen Modells der Selbststeuerung der Technik akzeptieren. Vorsorge kann ihrerseits nicht punktuell aufgrund fallorientierter Untersuchungen der Risiken einzelner Stoffe oder einzelner Anlagen entwickelt werden. Andererseits besteht eine neue Chance für die Vorsorge darin, daß die Technik ihrerseits flexibler und anpassungsfä172

Vgl. Breuer 1990, 217; Kloepfer, in: Gethmann/ders. 1993, 75

7. Verbesserung der Vorsorge durch Prioritätensetzung?

237

higer geworden ist, weil Entwicklungen nicht mehr auf relativ dauerhaft festgelegten Trajektorien verlaufen. Doch auch Flexibilität bedarf einer Strukturierung durch Prioritäten, die nicht ad hoc festgelegt werden können. Ein längerfristig konzipierter Prioritätenkatalog kann die Selbstorganisationsfähigkeit und Kreativität der Technik orientieren und stimulieren und mehr Sicherheitsgewinn versprechen als punktuell verschärfte Anforderungen, die nur schwer und vor allem unter großem Kostenaufwand durchsetzbar sind. Deshalb ist der Rekurs der Rechtsprechung des BVerwG auf das "Konzept" als immanente Form der Rationalität einer Vorsorgestrategie 173, die am Ausmaß des Risikos allein keine ausreichende Orientierung findet, ein durchaus entwicklungsfähiger Ansatz. Eine allgemeine Umwelt- und Ressourcenplanung174 kann aber die Grenzen des verfügbaren Wissens, auf die das Vorsorgedenken ständig stößt, nicht überwinden. Sie kann zwar allgemeine Umweltqualitätsziele formulieren oder begrenzt auf einzelne Teile der Umwelt Bestandsaufnahmen und Teilziele vorgeben (Luftreinhaltepläne 175, Reinhalteordnungen, Wasserwirtschaftspläne im Wasserrecht), die in Vorsorgeentscheidungen transformiert werden, aber deren Bedeutung ist angesichts des Teilraumbezugs176 dieser Instrumente und den Problemen der Koordination von öffentlichem und privatem Wissen nicht geeignet, dem Mangel einer strategischen Orientierung des Vorsorgedenkens abzuhelfen und vor allem die Bewältigung von Ungewißheit zu strukturieren, die auf der Seite der Privaten eine längerfristige Entwicklung zur umweltfreundlichen Produktinnovation erschwert. Umweltqualitätsziele sind viel zu wenig handlungsorientiert und deshalb für eine Prioritätensetzung kaum operationalisierbar. (Dieses Problem wird sich auch bei der Umweltverträglichkeitsprüfung stellen, die mangels ausreichender Konturierung durch Schwerpunkte zur Produktion kaum zu bewältigender Informationsmengen tendiert, ohne dabei aber Ungewißheiten ausschließen zu können177). b) Zur Verknüpfung von Entscheidungen unter Ungewißheit und Wissensproduktion Die Formulierung des Erfordernisses eines "Konzepts" für die Vorsorge durch die Rechtsprechung des BVerwG enthält eine andere planerische, nicht raumbezogene Komponente, die als Anknüpfungspunkt für den Risikovergleich und Schwerpunktsetzungen in einem vorsorgeorientierten Umweltrecht 173

BVerwGE 69, 37,45

174

Vgl. Kloepfer/Rehbinder/Schmitt-Aßmann 1990, § 16; vgl. dazu krit. Gassner 1993, 358 ff.

175

Vgl. nur Schulze-Fielitz 1992,41 ff.; Trute 1989

176

Vgl. auch Koch 1991

177

Vgl.allgem. auch Valiela 1984, 143

238

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

fruchtbar erscheint, weil sie die Möglichkeit eröffnet, Ungewißheiten explizit zu integrieren. Unter Entscheidungsdruck können diese Ungewißheiten nicht ständig wieder in Informationsanforderungen umgewandelt werden, dies scheitert nicht nur an zeitlichen, sondern auch an methodischen und wissenschaftlichen Grenzen der Prognose von Wirkungsvernetzungen. Das Rechtssystem könnte aber Verfahrenselemente bereithalten, mit denen Ungewißheit strukturiert und entscheidbar gemacht werden kann. Daher wäre ein funktionales Äquivalent zur Risikoverteilung durch Dezentralisierung und Kontinuität in der traditionellen Technikentwicklung in der systematischen, in das Verfahren einzubauenden nachträglichen Beobachtung (Monitoring) 178 und ihrer Rückgewinnung für künftige Entscheidungen zu suchen, da sich neues Wissen angesichts der Komplexität und des Organisationsgrades der Technik nicht mehr spontan einstellt.179 Das Sicherheitswissen kann auch unter den gewandelten Bedingungen nicht in vollem Umfang vor der Entscheidung gewonnen werden, es muß partiell durch diese selbst erzeugt werden, und das Entscheidungsverfahren muß darauf systematisch eingestellt werden. Auf Ungewißheiten neuer Art lassen sich die alten Regeln nicht mehr ohne weiteres übertragen, weil das Ausmaß der Risiken nicht oder nur schwer abschätzbar ist und vor allem mit Dynamisierungseffekten insofern gerechnet werden muß, als der potentielle Schaden vielfach lange Zeit latent bleiben kann und intertemporale Vergleiche mit noch größerer Unsicherheit verbunden sind. 180 Schwerpunktsetzungen im Umweltrecht sind sicher nicht leicht möglich, weil die Koordination von Wissen und Handeln nicht mehr durch stabile Gesetzmäßigkeiten das Denken in Gesetzesbegriffen und die Kontinuität und Gleichförmigkeit der Erfahrung vermittelt wird. Deshalb kann auch die Lösung komplexer, von Ungewißheit beherrschter Umweltprobleme nicht einfach durch bessere Prognosen aufgrund immer besserer Datenbasis erwartet werden, weil nicht mehr selbstverständlich aus Irrtümern gelernt werden kann. Aber nur über die Verknüpfung von Wissen, Handeln, Beobachtung des Handelns (Lernen unter Ungewißheitsbedingungen) ist der Zugang zur Formulierung eines rationalen Modells des Vergleichs von Risiken und der Setzung von Prioritäten bei der Vorsorge möglich. Dazu ist vor allem ein neues Verfahren der systematischen Risikobeobachtung erforderlich, das nicht auf die Sammlung der beim Handeln anfallenden Informationen vertraut, sondern mit Anspruch auf Unvollständigkeit seinerseits Indikatoren vorgibt, mit deren Hilfe beobachtet und zugleich das Sy178

Murswiek 1989, 218, 223, Cocklin u.a. 1992, 31, 40; vgl. zur Nachmarktkontrolle im AMG Di Fabio 1993,109 ff; ders. 1990,193, 215 179 Hunt/Wilkins 1992, 388; Serafin u.a. 1992, 271 ff.; Alberti/Parker 1991, 85, 100; Hart/Jensen 1992, 39 180

Vgl. Pearce 1976, 97 ff.

7. Verbesserung der Vorsorge durch Prioritätensetzung?

239

stem der Indikatoren selbst weiterentwickelt wird, da auch die Orientierungsfunktion der Rechtsgüter im traditionellen Sinne nicht ausreichend ist. Die Entwicklung eines neuen Ansatzes zur Modellbildung unter Ungewißheitsbedingungen muß zunächst akzeptieren, daß Prioritäten nur iterativ entwickelt werden können und im ersten Schritt nur begrenzt operationalisierbar sein werden. Auf der anderen Seite ist nur durch das Experimentieren mit Modellannahmen die Suche nach relevanten "sensitiven" Relationierungen181 und Beziehungsnetzwerken in der Umwelt möglich, mit deren Hilfe Streß beobachtet werden kann. Nur auf dieser Grundlage ist auch die (revidierbare) Unterstellung von Zusammenhängen und darauf basierend eine Prioritätensetzung möglich, die sich rechtlich an die Dogmatik des vorläufigen staatlichen Handelns anschließen läßt und die Zulassung von Handeln unter Ungewißheitsbedingungen nur gegen Beteiligung des Begünstigten am Aufbau eines längerfristig konzipierten Beobachtungssystems ermöglicht. Darüber kann eine Abstimmung zwar nicht - wie im traditionellen, an der Erfahrung orientierten Entscheidungsmodell - zwischen Verhaltens- und Entscheidungsregelmäßigkeiten, aber doch zwischen privatem und öffentlichem SwcAverhalten erreicht werden. Diese Form der Abstimmung sollte auch informationsökonomische Widersprüche abspannen können, die darin bestehen, daß einerseits bei den Unternehmen immer mehr Risikowissen anfällt, diese aber aus Furcht vor Haftung, Erzeugung von Ängsten, unerwarteter Verschärfung von Umweltstandards etc. kein Interesse an deren Offenlegung haben, und die Nutzung dieser Informationen für die Modellbildung durch die Verwaltung andererseits behindert wird. 1 8 2 Ebenso wie die Kontinuität der Erfahrung auf der Grundlage ihrer Regelmäßigkeit Risiken "unterhalb der Gefahrengrenze" zugelassen hat, um aus künftigem Wissen neue Erfahrungen zu bilden, können Handlungen unter Ungewißheitsbedingungen heute auch nicht am Maßstab einer illusionären Sicherheit (im Sinne einer Vermeidung von Risiken) bewertet werden, vielmehr muß gefragt werden, ob letztlich darauf vertraut werden kann, daß später verfügbares Wissen das Inkaufnehmen gegenwärtiger Risiken voraussichtlich rechtfertigen kann. Dies ist zwar selbst nicht ohne Ungewißheit zu beantworten, aber wenn ein Bewertungsprogramm so angelegt ist, daß längerfristig die Flexibilität des Produktionssystems auch zur besseren Bewältigung von - nach Prioritäten geordneten - Umweltrisiken gesteigert werden kann, so wird doch ein Risiko eher vertretbar als unter einem System, das Ungewißheiten in der Risikobewertung nur punktuell und ohne die Bereitschaft zur Reformulierung und Differenzierung seiner Grundlagen vorsieht und sich 181 Vgl. allgem. Gethmann 1993, 35; vgl. auch Moskowitz/Bunn 1987, 247ff.; De Geus 1992, 3; Olson 1990, 13 182 Vgl. Lyndon 1989, 1795 ff.; dies. 1989a, 289, 303; vgl. dazu Scherzberg 1993, 484,498 f.; Darnstädt 1983, 94

240

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

damit nicht am Ziel einer längerfristigen Gewährleistung von Orientierungswissen orientiert. Hier hätte auch und gerade die Verwaltung eine besondere Rollen gegenüber der Wissenschaft zu spielen; diese kann ohne systematische Kooperation mit der Verwaltung ihrerseits keine Steuerungsaufgaben übernehmen. Der Verwaltung ist ein "Experimentierspielraum" zu überlassen183, den sie zur Ausdifferenzierung des Vorsorgebegriffs und der Schutzwürdigkeitsprofile komplexer Rechtsgüter wie des Naturhaushalts, des Klimas etc. durch iterativen Aufbau von Prioritäten, d.h. vor allem durch integrative Methoden vergleichender Risikobewertung und eines von der Risikobeobachtung nicht zu trennenden Risikomanagements zu nutzen hätte. Diese Ausdifferenzierung hätte auf verschiedenen Ebenen (anlagen-, stoff-, technologieimmanent und transzendent) zu erfolgen. Einstweilen kann der Konkretisierungsgrad der zu formulierenden Prioritäten in weiten Bereichen noch sehr niedrig sein, aber längerfristig erscheint dieser Weg angesichts der in Zukunft zu erwartenden wachsenden Fähigkeit zur Verarbeitung von Informationen durch Computersysteme durchaus vielversprechend. Das Augenmerk kann heute wie in der Vergangenheit nicht so sehr auf das verfügbare Wissen gerichtet werden, vielmehr muß stets die Möglichkeit der Generierung neuen Wissens mit in Rechnung gestellt werden. Dies war unter der Geltung des Paradigmas der Kontinuität der Erfahrung nicht anders als unter Bedingungen der komplexen theoretischen Modellbildung. Das neue Wissen kann unter den gewandelten Bedingungen nur nicht mehr spontan gewonnen werden, sondern muß durch explizit darauf eingestellte Methoden und theoretische Konstruktionen produziert werden. Deshalb können auch Methoden des Risikovergleichs und der Prioritätensetzung nicht allein anhand der gegenwärtig eher geringen Zuverlässigkeit bewertet werden, sondern sie müssen im Hinblick darauf analysiert werden, ob und wieweit sie systematisch auf Verbesserung durch Selbstrevision angelegt sind und insofern auf künftiges Wissen eingestellt sind, das ohne die provisorische Unterstellung und Erprobung von Modellannahmen gar nicht erschlossen werden könnte. Kurzfristig wären deshalb die Anforderungen an die Konsistenz und die Rationalität von Risikovergleichen eher herabzusetzen - im Vertrauen auf ihre künftige Verbesserung und Ausdifferenzierung. Darin läge durchaus ein Äquivalent zur Erweiterung des Wissens durch Versuch-Irrtums-Schritte unter dem an der Erfahrung orientierten traditionellen Paradigma der Technikentwicklung. Diese Ungewißheit wäre von der Handlungsseite her dadurch zu kompensieren, daß von Privaten mehr, und d.h. vor allem informationelle Beiträge zum Aufbau von Methoden und Modellen der Beobachtung und Beschreibung von Komplexität, erwartet wird. 1 8 4 Auf diese Weise könnte auch ein 183

Vgl. Ladeur 1992, 294 ff.; sowie allgem. Faber 1992 § 14IV c

184

Harwell, u.a. 1992,461; Hart/Jensen 1992, 39; Valiela 1984,143; Hunt/Wilkins 1992, 365,404

7. Verbesserung der Vorsorge durch Prioritätensetzung?

241

Beitrag zur Handlungskoordination zwischen Verwaltung und Privaten geleistet werden, die früher durch Erfahrung ermöglicht worden ist. Der einfache Versuch-Irrtums-Mechanismus, der das Handeln der Verwaltung wie der Privaten früher bestimmt hat, wäre durch explizite Abstimmung der methodischen Konstruktion von Modellen zu kompensieren. Die allgemeine Regelmäßigkeit der Erfahrung wäre durch methodisch reflektierte Verfahren dieses Vergleichs und des Experimentierens mit Schwerpunktsetzungen zu ersetzen. Prioritätensetzung erfordert in dieser Perspektive nicht die mehr oder weniger genaue Kenntnis einer Vielzahl möglicher Ursache-Wirkungs-Beziehungen, wie dies unter der Geltung des traditionellen Kausalitätsmodells erforderlich wäre. Es ist vielmehr ausreichend, daß ein Verständnis für die Abschätzung der Sensitivität von Korrelationen zwischen unterschiedlichen Variablen auf unvollständiger Grundlage gewonnen und das Beobachtungssystem variabel 1 8 5 und flexibel auf Selbständerung angelegt wird. Eine solche Strategie muß Experimentierspielräume vorsehen, deren Strukturierung durch Verfahrens- und Begründungsanforderungen aber ein funktionales Äquivalent für den Verlust an Erwartungssicherheit auf der Seite der Privaten durch methodische und informationelle Koordination bieten müßte.186 Experimentelles Verwaltungshandeln ist aber auf die Evaluation durch eine andere kontrollierende Institution angewiesen, die die Schwerpunktsetzung verfolgt und zugleich am Erfordernis der Suche nach übergreifenden, Transparenz ermöglichenden Methoden der Risikobewertung zu orientieren hätte. Auf dieser Grundlage müßten sich Streßfaktoren (statt Kausalketten) abschätzen lassen 187 , die durch eine längerfristig angelegte Politik der Abstimmung von Vorsorge und Produktplanung auch in die Unternehmen selbst integriert werden können, wenn zugleich eine Technologiepolitik betrieben wird, die die Flexibilität der Unternehmen durch technologische Modernisierung allgemein erhöht und dadurch auch dem Umweltschutz dient. Methodisch kontrollierte und nachvollziehbare Schwerpunktsetzung, die die Durchlässigkeit zwischen privat und öffentlich verfügbarem Wissen erhöht, kann auch die Erwartungsbildung von privaten Unternehmen unter Ungewißheitsbedingungen stabilisieren. Dies wäre ein handlungsbezogenes Pendant zur Veränderung der Wissensseite, die ebenfalls von einer stärkeren Orientierung an der Relationierung von Variablen statt der Systematisierung von Ereignissen bestimmt wird. Die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen muß gesteigert werden, da sie sich nicht mehr auf stabile Regelmäßigkeiten einstellen können, sie müssen vielmehr selbst Flexibilität durch offene Erwartungsstrukturen 188 entwickeln, ein 185

Vgl. Schmidt-Bleek 1988, 308 ff.

186

Dies ist der Grund dafür, daß die Verschärfung der Gefährdungshaftung unter Bedingungen von Ungewißheit an Grenzen stoßen muß, vgl. Ladeur 1993b, 1303; ders., VerSR 1993c, 257 ff.; vgl. jetzt auch Blaschczok 1993, insbes. 165,229,306 187

Vgl. Wynne/Mayer 1993, 32 ff. 188 Vgl in soziologischer Perspektive Japp 1992, 31 ff. 16 Ladeur

242

IX. Prozeduralisierung des Vorsorgebegriffs: Risikovergleich und Prioritätensetzung

Prozeß, der aber seinerseits durch, wenn auch variable, Schwerpunktsetzung der Umweltverwaltung abgestützt werden muß, da sonst das Interesse privater Unternehmen an der informationellen Koordination eher gering sein dürfte. Andererseits besteht auch ein Interesse der Unternehmer daran, daß eine Vorsorgestrategie transparent und berechenbar wird. Die Verwaltung hätte ihrerseits den ihr zuzuerkennenden Experimentierspielraum für die Organisation von Lern- und Beobachtungsprozessen zu nutzen; insbesondere für die Erprobung von Ansätzen zu einer iterativen Prioritätensetzung und zum Risikovergleich könnte sie eine gerichtlich nur eingeschränkte, vor allem unter prozeduralen Gesichtspunkten kontrollierbare Freiheit in Anspruch nehmen.

X. Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

1. Vorbemerkung In einer kognitivistischen, an der Generierung und Verwendung gesellschaftlichen Wissens orientierten Perspektive auf die Entwicklung des Umweltrechts ist eine mit der zunehmenden Ausdifferenzierung seiner einzelnen Elemente einhergehende Tendenz zur Überlastung der Selbstkoordination zwischen den unterschiedlichen Wissensprototypen und den an sie gebundenen Institutionen festzuhalten. 1 Die Erfahrung und der Erfahrungsbegriff standen im klassischen Polizeirecht in einem Verweisungs- und Abstützungsverhältnis, dessen Abstimmungsbedarf über ein strukturbildendes lineares Gleichgewichtsmodell befriedigt wurde. Bis zu einem gewissen Grade hat die zunehmende Verfeinerung des umweltrechtlichen Instrumentariums durchaus Erfolge gehabt. Die Kumulation von einzelnen Reformen hat aber zu einer Reihe von perversen Effekten geführt, die die Gefahr einer Selbst- und Fremdblockierung begründen und im Anschluß an die Retrospektive auf das zwischen den einzelnen kognitiven und normativen Elementen des traditionellen polizeilichen Gefahrenbegriffs und der situativen Erfahrung bestehende Verhältnis die Frage nahelegen, ob und wieweit ein neues, komplexeres ordnungsbildendes kognitivistisches Strukturprinzip denkbar wird, das den innerhalb eines am Vorsorgeprinzip orientierten Umweltrechts bestehenden Koordinations- und Abstimmungsbedarf befriedigen kann. Es fragt sich, ob die geschilderten Spannungen nicht eine genauere begriffliche Beschreibung erforderlich machen, die jenseits pragmatischer Grenzbegradigungen den Übergang zu einem neuen komplexeren Modell der Koordination und Kompatibilisierung unterschiedlicher Varianten des für Entscheidungen unter Ungewißheitsbedingungen erforderlichen Orientierungswissens zuläßt. Als Alternative zum bisherigen ordnungsrechtlichen Strukturprinzip ist in den letzten Jahren ein mit verschiedenen Elementen operierendes Marktmodell 2 entwickelt worden, das auf die Internalisierung von bisher externalisierten Kosten des "Umweltverbrauchs" zielt. Die Alternative ist sicher auch in der hier 1

Florida 1991,569 ff.

2

Stewart 1981,1259; ders. 1985,1 ff.; Dosi 1988,1120 ff.

244

X. Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

eingenommenen Perspektive ernst zu nehmen, da auch sie nicht nur vordergründig eine Entlastung des Staates intendiert, sondern das Problem der Generierung und Verarbeitung von Wissen akzentuiert. Die Grenzen dieses Modells zeigen sich jedoch darin, daß Umweltgüter als öffentliche Güter auf eine Bewertung durch den Staat angewiesen sind und eine generelle Umstellung des Umweltrechts auf die Strategie der Ökonomisierung an neue Wissensgrenzen stoßen kann oder aber eine wenig Differenzierungsmöglichkeit lassende strategische Intervention z.B. bei einzelnen umweltgefährdenden Stoffen in Kauf genommen werden muß, die die Flexibilitätsgewinne der Ökonomisierungsstrategie mindestens teilweise wieder verspielt.3 Ohne daß der Wert eines Marktmodells in der Umweltpolitik damit unterschätzt werden soll, wird im folgenden der kognitivistische Ansatz schärfer akzentuiert und nach Möglichkeiten der Schaffung von Durchlässigkeit der Unternehmen für die Wahrnehmung der Probleme in ihrer natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt sowie einer Flexibilisierung staatlichen Handelns unter Ungewißheitsbedingungen und einer wechselperspektivischen Verschränkung von Selbst- und Fremdbeobachtung gesucht. Dabei kommt es darauf an, unter Bedingungen höherer Komplexität ein auf Diskontinuität und Heterogenität eingestelltes funktionales Äquivalent für die Kontinuität stiftende Rolle der Erfahrung und der über sie generierten impliziten Koordinationsregeln der traditionellen Wissensprototypen zu finden. Strategien, die geradezu gegenläufig auf die Institutionalisierung von Mißtrauen zielen und pragmatische Stopp-Regeln außer Kraft setzen wollen, müssen das Problem der Wissensbegrenzung zwangsläufig auf eine Meta-Ebene verschieben, auf der dann um so mehr Vertrauen in Ideologien oder die Vernunft von Entscheidungsverfahren abverlangt wird. Demgegenüber muß darauf insistiert werden, daß gerade der artifiziell-konstruktive Charakter des Wissens, über das sich Gesellschaften reproduzieren, nicht zu der Illusion führen darf, als ermögliche die Selbstmodifikation der Gesellschaft 4 eine durch intersubjektive Verständigung zu bestimmende Zentralperspektive: Deren Voraussetzungen wird durch die zunehmende Pluralität und Heterogenität der verschiedenen Wissenstypen, die keine einheitliche substantielle Rationalität mehr zulassen, untergraben. In einem weiteren Zwischenschritt läßt sich festhalten, daß die gesellschaftliche Organisation und Institutionalisierung technologischen Wissens in erheblichem Umfang von gesellschaftlichen, pragmatisch fungierenden Stopp-Regeln bestimmt wird, die die Suche nach Risikowissen mit der Notwendigkeit zur Erzeugung von Vertrauen in die Haltbarkeit des kooperativen a-zentrischen Netzwerks der Generierung und Verwertung von Wissen kom-

3

Ladeur1987, 22

4

Gauchet 1979, 451 ff.

1. Vorbemerkung

245

patibel halten. Nur im Vertrauen darauf ist die Bildung neuen Wissens möglich.5 Angesichts der Erfahrungsabhängigkeit der früheren Wissensprototypen konnten die Abstimmungsprozesse und deren Stopp-Regeln weitgehend implizit bleiben. Die Entwicklung neuer komplexerer Formen des Wissens stellt aber auch die traditionellen Institutionalisierungsformen und Stopp-Regeln auf die Probe und zwingt in einer Bewegung der Selbstreflexion zur Explikation der Funktion dieser Stopp-Regeln. Wenn man dies in Rechnung stellt, lassen sich die Probleme bei der Neuabstimmung der beteiligten Wissensprototypen und die dadurch mobilisierten gesellschaftlichen Werte besser beschreiben. Dies gilt um so mehr, nachdem sich gezeigt hat, daß diese Stopp-Regeln eine unverzichtbare Leistung bei der Reduktion von Komplexität erfüllen. An einer Gegenprobe läßt sich dies demonstrieren: Angesichts der oben beschriebenen epistemischen Grenzen der Beseitigung von Ungewißheit ist das Beharren auf einer präzisen Beschreibung aller möglichen Ereignisketten, die mit der Nutzung von immanent oder aufgrund ungeklärter Abgrenzbarkeit von der Umwelt komplexen Technologien verbunden sind, gleichbedeutend mit einem Verzicht und damit einer Blockierung gesellschaftlicher Wissenssysteme durch gesellschaftliche Werte.6 Daß dies in einem nennenswerten Umfang durchgehalten werden kann, ohne daß die Funktionsweise gesellschaftlicher Wissenssysteme insgesamt gefährdet wird, ist höchst zweifelhaft. Auf der anderen Seite ist der Rekurs auf eine normative Konsensorientierung angesichts von epistemischen Risiken, die mit dem Auseinandertreten der durch den gemeinsamen Rekurs auf Erfahrung nicht mehr praktisch zusammengehaltenen Wissenstypen verbunden sind, kaum erfolgversprechend; daß die Auflösung der Erfahrung der einen Wirklichkeit durch mehr gemeinsame Werte kompensierbar wäre, ist mehr als unwahrscheinlich. Dies wird auch dadurch bestätigt, daß der neue moralische Universalismus sich zu seiner Durchsetzung sehr kleiner, vom technischen und wirtschaftlichen System getrennten Protestgruppen bedienen muß. Denkbar wäre demgegenüber aber die Reformulierung einer auf die Abstimmung verschiedener Wissensprototypen zielenden Stopp-Regel, die die früher implizit erfüllte Koordinationsfunktion durch Prozeduralisierung explizieren würde: Hinter der oben beschriebenen Stopp-Regel verbirgt sich im Grunde ein Bedürfnis, die Kontinuität des gesellschaftlichen (technologischen) Lernens durch Bereithaltung von Diversität und Flexibilität eines sich selbst entwickelnden und steuernden Netzwerks des praktischen Wissens zu gewährleisten.7 Die in einem praktischen Verweisungszusammenhang implizit bleibende Variante dieses Prinzips war gebunden an einen allgemeinen Erfahrungshorizont, der auf der Unterstellung eines linearen, die Fluktuatio5

Wildavky 1988, 8 ff., 30

6

Böhler 1991, 999 ff.

7

Vgl. Allen 1988, 109 ff.; Probst 1987, 13

2 4 6 X . Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

nen um einen Ruhepunkt abdämpfenden Gleichgewichtsmodells basierte.8 Die neuen technologischen Wissensformen und ihre praktische Verwendung sind dagegen nur noch in einem nicht-linearen Ungleichgewichtsmodell darstellbar.9 Weder kann eine kontinuierlich über eine Vielzahl von Beteiligten sich entwickelnde technische Erfahrung vorausgesetzt werden, noch kann unterstellt werden, daß die schädlichen Folgen der Technik letztlich insgesamt durch ihren Nutzen aufgewogen werden. Eine neue Stopp-Regel, die sich auf die Bedingungen eines zeitabhängigen, diskontinuierlichen, nur noch einem nicht-linearen Ungleichgewichtsmodell darstellbaren technologischen Wissens einstellt, könnte in einem von Ungewißheit geprägten Entscheidungshorizont eher auf die paradoxe Ermöglichung der Erwartung des Unerwarteten durch bewußte Erhaltung und Generierung von Flexibilität innerhalb der Wissensprototypen und ihrer Vernetzung zielen. Die Erhaltung von Diversität und Varietät konnte - wie gezeigt - sowohl innerhalb der Modellierung technischer "Mikroweiten" als auch bei der Beobachtung der Folgen von Grenzüberschreitungen vorausgesetzt werden und die darauf basierende Stopp-Regel eher in die Praxis der Abstimmung impliziert bleiben. In einem nicht auf spontane Selbststabilisierung angelegten Ungleichgewichtsmodell wird es aber andererseits denkbar, die Flexibilität des technologischen Wissens und seiner Verwendung so zu steigern, daß die Trennung von interner technischer "Mikroweit" und ihren Umwelteffekten nicht zur Entdifferenzierung führen muß, sondern in komplexeren sekundären Modellierungen berücksichtigt wird. Auch eine staatliche Kontrollstrategie kann möglicherweise dadurch verfeinert werden, daß nicht eine umfassende Risikobewertung von Fall zu Fall (oder von Stoff zu Stoff) erfolgt, sondern die Möglichkeit der Revision und Reversibilität, das Maß ihrer Steigerung bzw. des Verbrauchs von Diversität und Varietät in der Umwelt jedenfalls als ein Kriterium in Rechnung gestellt wird. (Dies wäre sicher ein Gesichtspunkt, der jedenfalls stark gegen die bisherige Form der Nutzung der Kerntechnologie sprechen würde). In der Biotechnologie oder im Pflanzenschutz könnte der Verbrauch von biologischer Diversität und Varietät durch den Zwang zur Zufuhr von mehr Varietät zum Zwecke der Selbststabilisierungsfähigkeit der Umwelt angesichts unbekannter Gefahren kompensiert werden. 10 Auf Einzelheiten soll hier nicht eingegangen werden. Die skizzierten Überlegungen, die auf die Reformulierung einer Selbstblockierungen vermeidenden neuen Stopp-Regel für die Abstimmung verschiedener Wissensformen und ihrer Kontrolle zielen, sollen vielmehr im folgenden darauf erprobt werden, ob und wieweit die Internalisierung von Umweltschutzinteressen durch (technologieorientierte) Unterneh-

8

Allen 1988, 109 ff.; Day 1987, 251 ff.; Csanyi/Kampis 1987

9

Vgl. zu einer ökonomischen Lesart Arthur 1990, 122 ff.

10

Vgl. Spiewak/Weinberg 1985, 431 ff.; Luhmann 1991, 101; Wildavsky 1988, 30 ff., 185 ff.; vgl. allg. auch Probst 1987, 61

2. Unternehmen und technologische Innovation

247

men mit Hilfe einer eher prozedural angelegten, Flexibilität und Diversität steigernden rechtlichen Regelung erweitert werden kann. Dies wäre eine Strategie, die zugleich die Überlastung der staatlichen Entscheidungsverfahren vermeidet und Innovationsstrategien der Unternehmen für Umweltschutzinteressen so durchlässig macht11, daß die Selbststeuerung von Wirtschaft und Technik nicht gelähmt wird. In einem weiteren Schritt soll deshalb im folgenden nach den Bedingungen technologischer Innovationen gefragt werden. 2. Unternehmen und technologische Innovation Der Bestand des technologischen Wissens und seine Verfügbarkeit für Zwecke der Produktion von Gütern und Leistungen können in ökonomischer und rechtlicher Perspektive nicht mehr als relativ stabile oder sich kontinuierlich entwickelnde Rahmenbedingungen vorausgesetzt werden. 12 Dementsprechend können auch unternehmerische Optionen - anders als in der neo-klassischen Theorie unterstellt - nicht von der ex ante vollständigen Kenntnis der möglichen Resultate ausgehen. Im Anschluß an J. Schumpeter13, der auf dem notwendigerweise ungewissen Charakter unternehmerischer Innovationen insistiert hat, haben auch andere Autoren das Innovationsverhalten eher als durch eine Abfolge "technologischer Paradigmen"14 strukturiert gesehen und die Abhängigkeit der Entscheidungsbildung von mechanischen Prinzipien der Maximierung von Erfolgen auf der Basis von gegebenen Optionen in Frage gestellt.15 Die Rahmenbedingungen technologischer Innovation sind in neuerer Zeit vor allem durch einen Prozeß des Übergangs von der "Produktindustrie zur Funktionsindustrie" charakterisiert. 16 Damit wird eine andere Perspektive auch auf den oben skizzierten Transformationsprozeß eröffnet, eine Perspektive, in der die Trennung der einzelnen Phasen der Produktentwicklung von der Forschung über die Produktion bis zum Vertrieb (und auch innerhalb des Unternehmens die Trennung verschiedener Abteilungen) mehr und mehr durchlässig geworden ist. Dies hängt mit der Entwicklung zur "Entmaterialisierung" der Produktion 17 und der Steigerung des Wissensanteils zusammen, einer Tendenz, die in manchen Darstellungen schon zur Interpretation auch von materieller Ressourcen als "Informationen" geführt hat. 18 11

Vgl. zu einer Rechtstheorie des Unternehmens Teubner 1987, 61 ff.

12

Vgl. Amendola/Gaffard 1986,473 ff.

13

Schumpeter 1934, 8

14

Dosi 1982, 142 ff.

15

Nelson/Winter 1977, 48

16

Amendola/Gaffard 1988, 21

17

Herman u.a. 1990

18

Ayres 1987; 1988

248

X. Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

Der neo-klassische Ansatz zur Bestimmung der technologischen Innovation hat - wie erwähnt - stets einen bestimmten verfügbaren "Stand der Technik" vorausgesetzt, der sich in einer dauerhaften Kapitalausstattung niederschlägt. Diese muß in eine vorfindliche ökonomische Struktur eingebaut und für ein bestimmtes Ziel, insbesondere eine bestimmte Produktionskapazität, nutzbar gemacht werden. 19 Die Technik ist aber nicht aus dem Netzwerk des allgemeinen Wissens herauszulösen, deshalb hat ihre Entwicklung selbst einen Prozeßcharakter, der an das Netzwerk als ihre "Umwelt" gebunden bleibt. Darüber bilden sich Erwartungen, die die Akzeptanz der Technik, ihre Weiterentwicklung und Durchsetzung bestimmen und die wiederum, wenngleich sie in einer Welt des Ungleichgewichts keine dauerhafte Stabilisierung von ordnungsbildenden Paradigmen ermöglichen, Nachahmungsprozesse auslösen und damit künftig neue Entwicklungen erschweren können. Aber der nur in Ungleichgewichtsmodellen zu beschreibende Übergang zu einer beschleunigten Selbstmodifikation der Technikentwicklung als "Umwelt" des Produktionssystems führt infolge des höheren Wissensgehalts der Produktion 20 zu einer Steigerung der Abhängigkeit des Produktionssystems auch von einem allgemeinen kulturellen Pool der Möglichkeiten. Dies ist ein Prozeß, der nur durch Flexibilisierung und Steigerung von unspezifischer Lernfähigkeit vor der Gefahr der Selbstblockierung bewahrt werden kann.21 Die jüngere Technikentwicklung hat die Bedeutung des oben unter einem anderen Gesichtspunkt beschriebenen, Wissen generierenden Netzwerks als Quelle technologischer Innovation sichtbar gemacht. Die beschleunigte Selbstveränderung und Differenzierung dieses Netzwerks führt mehr und mehr dazu, daß technischer Wandel zu Optionen für Flexibilität als solcher führt, d.h. die Schaffung und Erhaltung von mehr Möglichkeiten für die Zukunft. Angesichts der Ökonomie der Ungewißheit tritt die Schaffung von Optionsräumen in einer prozeduralen Rationalität an die Stelle einer die Verfügbarkeit der Optionen voraussetzenden substantiellen Rationalität.22 Die Erhalten von Anpassungs- und Lernfähigkeit tritt ins Zentrum längerfristig orientierter Unternehmensstrategien.23 Das bedeutet für die hier verfolgte Fragestellung, daß Innovationsprozesse ihrerseits nicht auf einer linearen, immer wieder einen Gleichgewichtszustand ermöglichenden Trajektorie verlaufen, sondern unter dem Einfluß von Ungewißheit eher als stochastische distribuierte Prozesse dargestellt werden müssen, innerhalb derer sich Muster herausbilden, die auf die Wirkung von Ge19

Amendola/Gaffard 1988a, 473 ff.

2 0

Fehl 1983; Kunz 1987

21

Amendola/G af fard 1986, 478; Ayres 1987

2 2

Favereau. 1989a, 273 ff.; 1989, 121 ff.

23

Amendola/G af fard 1988, 26; Kirat 1991, 42 ff.

3. Zur Funktion des Eigentums in der Wissensgesellschaft

249

winnanreizen allein nicht reduzierbar sind.24 Eine Innovation wird durch ein kooperatives, sich prozeßhaft transformierendes Netzwerk von Möglichkeiten generiert und bedarf zu ihrer Umsetzung in die Produktion auch einer gewissen Aufnahmebereitschaft. 25 Das bedeutet umgekehrt, daß strategische Macht von Großunternehmen, die Durchsetzung von Innovationen zu beeinflussen, die Tendenz zu einer gewissen Passivität begünstigen können, eine Haltung, in der Möglichkeiten zur Verstärkung der von anderen entwickelten Innovationen gebaut werden. Auch daraus geht eine gewisse Tendenz zur Blockierung von Innovationen hervor, die im übrigen dadurch begünstigt wird, daß Wissen mindestens teilweise ein an ein Netzwerk von Kooperation gebundenes öffentliches Gut ist, an dessen Erhaltung aber nur ein geringes privates Interesse besteht, weil die Aneignungsfähigkeit begrenzt ist. 26 Der Status des Wissens als eines öffentlichen Gutes gerät in einen Gegensatz zu der sich verstärkt herausbildenden Notwendigkeit, die Generierung von Wissen, das als "Umwelt" für die ihrerseits Wissen durch Organisation spezifizierenden und intemalisierenden Unternehmen fungieren muß. Die Notwendigkeit der Neuabstimmung des Verhältnisses zwischen öffentlich verfügbarem und privat anzueignendem Wissen führt zu neuen selbstreflexiven Organisationsformen, die zu einer sekundären Modellierung der früher getrennten Institutionen der Unternehmensorganisation und des Austauschvertrags provozieren. 27 3. Zur Funktion des Eigentums in der Wissensgesellschaft In der hier eingenommenen Perspektive kommt es entscheidend darauf an, daß die Entwicklung des technologischen Wissens sich offenbar keineswegs in einer linearen Trajektorie darstellen läßt, sondern über ein a-zentrisches, von unterschiedlichen Kräften bestimmtes, diskontinuierlich sich entwickelndes Netzwerk von Anschlußzwängen und -möglichkeiten reproduziert wird. Es fragt sich, ob dessen Dynamik im Interesse der Förderung umwelttechnologischen Wissens zwar staatlich nicht gesteuert, aber für "Irritationen" sensibilisiert werden kann, die die eingangs genannten Gefahren der Selbstblockierung technologischer Such- und Innovationsprozesse verringern. Angesichts der Komplexität technologischer Innovationen kann jedenfalls die Unternehmensorganisation in der Sicht des Umweltrechts nicht mehr als black box behandelt werden, andererseits gibt die Beobachtung der Selbstmodifikationsfähigkeit der technologischen Entwicklung Anlaß zu der Überlegung, ob und wieweit "komplexitätsgerechte" rechtliche Interventionen zu einer Neudimen2 4

Nelson/Winter 1977,48; Boynton/Victor 1991, 53 ff.; Day 1987, 251 ff.; Foray 1991, 779 ff.

2 5

Silverberg 1991, 69; Florida 1991, 569 ff.

2 6

Mackaay 1986,134 ff.; Imai/Itami 1984, 285 ff.

2 7

Amendola/Gaffard 1988 a, 473 ff.; Imai/Itami 1984,285 ff.

2 5 0 X . Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

sionierung der an der Reproduktion des Netzwerks beteiligten Kräfte der Art führen kann, daß die ihm immanente hohe Flexibilität auch für die Internalisierung von Umweltschutzinteressen mobilisiert werden kann. Zu diesem Zweck soll zunächst eine an die eben skizzierte, auf die wachsende Bedeutung des Wissens und seiner Dynamisierung eingestellte Reformulierung des Eigentumsrechts angeknüpft werden, die dessen Funktion im Prozeß der Generierung von Wissen und der Bildung von Erwartungen akzentuiert. Eigentum stellt sich in einer funktionalen, von der substanzhaften Zuordnung von (Grund-)Eigentum abstrahierenden Sichtweise eher als Gewährleistung einer dezentralisierten, nicht-hierarchischen gesellschaftlichen Entscheidungsform dar. 28 Gerade die Ablösung der Konstruktion des Eigentums von materiellen Ressourcen und ihre Umstellung auf die Gewährleistung funktionaler Dezentralisierung von Entscheidungsrechten ermöglicht einen Anschluß an die auch mit den Freiheitsrechten verbundene Notwendigkeit, den historisch generierten Bestand einer individueller Disposition entzogenen "Ideenpopulation" von Verhaltens- und Denkmustern zu erhalten, mit dem der Freiheitsgebrauch abgestimmt werden muß. Die Bildung und Kompatibilisierung gemeinsamer Zukunftserwartungen ist nur durch Unterstellung eines auch rechtlich institutionalisierten gemeinsamen, historisch akkumulierten Netzwerks des Wissens möglich, das einem Prozeß der Selbstorganisation unterliegt. Eigentum ermöglicht die Nutzung des über das Netzwerk distribuierten gemeinsamen Wissens, das nirgendwo gemeinsam verfügbar ist und das demzufolge auch keinen externen Standpunkt zuläßt, von dem aus sich die Gerechtigkeit einer Eigentumsverteilung bewerten läßt. Eigentum erlaubt die Generierung neuen Wissens und neuer Möglichkeiten (auch für Nichteigentümer) gerade dadurch, daß es die mit einer neuen Idee verbundenen neuen Handlungsmöglichkeiten aneignungsfähig macht. Es reduziert den Konsensbedarf für Handlungsmöglichkeiten und macht Trennung (von Eigentum und Nichteigentum) zur Voraussetzung für Kooperation (Vertrag). Die Umstellung der Eigentumskonstruktion auf das Paradigma des Patents an Erfindungen 29, also eine sekundäre Modellierung des Eigentums an Sachen, eröffnet eine Perspektive auf die Funktionsweise des Eigentums insgesamt: Es führt durch Ungleichheit von Entscheidungsmöglichkeiten dem gesellschaftlichen Wissenssystem eine Diversität und Varietät zu, die Selbstorganisation in einer zukunftsoffenen Welt ermöglicht. Eigentum wird als eine Form der Kontinuität des "Gedächtnisses" der Anschlußzwänge und der Aggregation von Anschlußmöglichkeiten institutionalisiert, die einen längeren Zeithorizont ermöglicht, während die Vertragsfreiheit Diskontinuität er2 8

Covai u.a. 1986,462 ff.; Schmidtz 1991, 143

2 9

Child 1990,590

3. Zur Funktion des Eigentums in der Wissensgesellschaft

251

zeugt.30 Das produktive Zusammenspiel von Kontinuität und Diskontinuität, Ordnung und Unordnung, ermöglicht erst die Nutzung des in der gesellschaftlichen "Ideenpopulation" distribuierten Wissens. Die Gegenprobe läßt sich am Beispiel des früheren jugoslawischen Kollektiveigentums machen: Es führt keineswegs dazu, daß "gemeinsam" in einem größeren Entscheidungshorizont öffentliche Interessen berücksichtigt werden. 31 Im Gegenteil, das Kollektiv versucht den Nutzen von Innovationen möglichst schnell in der Form höherer Löhne abzuschöpfen und selbst kaum übersehbare gegenwärtige Kosten möglichst in die Zukunft zu verschieben. Dies führt natürlich umgekehrt dazu, daß die Innovationsbereitschaft des Managements unterentwikkelt ist, zumal im Krisenfall immer der Staat in Anspruch genommen werden kann. Die Umstellung der Theorie des Eigentums auf die Bedingungen der Informationsgesellschaft läßt die komplexen Probleme der Abstimmung von Wissen als an ein kooperatives selbstorganisierendes Netzwerk von Möglichkeiten gebundenes öffentliches Gut mit der Notwendigkeit der Erhaltung und Generierung von privatem Eigentum, und d.h. der Aneignungsfähigkeit von Innovationen, zutage treten. Im Kontext der oben beschriebenen gesteigerten Komplexität der gesellschaftlichen Entwicklung, die nur noch in einem nichtlinearen Ungleichgewichtsmodell dargestellt werden kann, erscheint die bisher implizit gebliebene Abstimmung von Produktion und Aneignungsfähigkeit von Wissen mehr und mehr als problematisch, weil das Verhältnis der verschiedenen Wissensprototypen und ihrer Verwendungsweisen zueinander destabilisiert wird. Damit wird auch die Bildung von Erwartungen unter Ungewißheitsbedingungen erschwert und die Leistungsfähigkeit des Rechtssystems in Frage gestellt. Hier wiederholt sich das Problem der Auflösung der Trennung zwischen technischen "Mikroweiten" und ihrer Umwelt, wie es sich in Abstimmung der verschiedenen Wissensprototypen (Modellierung vs. kausale Ereignisketten) niedergeschlagen hat. Aber der Begriff der Trennung bedarf einer differenzierenden Erläuterung: Es konnte und kann nicht auf Differenzierungsformen verzichtet werden, die ja kein Verhältnis der Gleichgültigkeit des Getrennten begründen, sondern eine Abstimmung unterschiedlicher Formen der Ordnungsbildung notwendig macht. Die neuen Ordnungsprobleme sind nicht durch Entdifferenzierung von Wissen als öffentlichem Gut und Wissen als Gegenstand der privaten Aneignung zu lösen. Das Problem besteht eher in der Bewältigung der Notwendigkeit einer sekundären Modellierung der Abstimmung der "getrennten" Zuordnungsformen. Diese führt etwa dazu, daß innerhalb der am Eigentum orientierten Unternehmensorganisation Elemente des

3 0

Luhmann 1991

31

Pejovich 1987, 461 ff.

2 5 2 X . Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

Vertrages und damit der Generierung von markttypischer Spontanität und umgekehrt innerhalb des Vertragssystems neue flexible Organisationselemente (z.B. joint ventures) reproduziert werden 32, die unspezifisch mehr Wissensmöglichkeiten erzeugen als auf dem Markt durch Selbstorganisationsprozesse aggregiert werden. Für eine umweltrechtliche und -politische Perspektive liegt die Relevanz dieser auf das Eigentum bezogenen Überlegungen darin, daß sich auch an dessen Reformulierung und Umstellung auf die von der Informationsgesellschaft geprägten Bedingungen der Produktion und Aneignung technologischen Wissens Möglichkeiten und Grenzen eines komplexeren rechtlichen Regulierungsmodells erproben lassen. In einer Welt des Ungleichgewichts und der Ungewißheit33 und der dadurch provozierten Notwendigkeit zur Erhaltung und Generierung eines Diversität und Varietät gewährleistenden Pools von Möglichkeiten muß auch die Funktion des Eigentums neu justiert werden. Das Eigentum konnte sich nur auf dem historischen Hintergrund des oben beschriebenen stabilen Gleichgewichtsmodells und des Paradigmas der Erfahrung als SachhtTTschaft darstellen, deren Verselbständigung gegenüber der Sphäre des Öffentlichen und den Nicht-Eigentümern durch implizit bleibende Abstimmungsregeln und Kooperationszwänge wieder begrenzt wurde. Das sich der Form des Patents bedienende neue ordnungsbildende Paradigma des Eigentums ist innerhalb eines nicht-linearen Ungleichgewichtsmodells in höherem Maße auf die explizite Erhaltung von Abstimmungsregeln zwischen den verschiedenen Prototypen der Wissensgenerierung und den Formen ihrer Aneignung angewiesen. Daraus ergibt sich, daß eine komplexere Strategie der rechtlichen Regulierung des Eigentums nicht primär von außen den Raum des Öffentlichen erweitern und die private Sachherrschaft in ihre "Schranken" weisen kann. Das Eigentum bedarf vielmehr einer über die gesellschaftsrechtliche Prozeduralisierung erster Ordnung hinausweisende Reflexion durch eine Prozeduralisierung zweiter Ordnung, die die Funktion des Eigentums auf die Bedingungen der Wissensgesellschaft einstellt.

4. Zur Verschränkung von innerer und äußerer Umwelt des Unternehmens In einer kognitivistischen Perspektive lassen sich auch die Veränderungen der Untemehmensorganisation und der Funktion des gesellschaftsrechtlich

3 2

Teubner 1990, 295 ff.; ders. 1990 a, 261 ff.; Imai/Itami 1984, 285 ff.

33

Fehl 1983, 80; Kunz 1987

4. Verschränkung von innerer und äußerer Umwelt des Unternehmens

253

organisierten Eigentums präzisieren: 34 Die "wissensbasierte" Unternehmensorganisation, die von der Orientierung an Produkten und Dienstleistungen zu einer gegebenen Zeit 35 auf die Erhaltung und Generierung des Wissens umgestellt werden muß, das sie benötigt, um sich flexibel Veränderungsprozessen anzupassen, kann nur noch innerhalb eines nicht-linearen Ungleichgewichtsmodells konstruiert werden. Die traditionelle, an der Erzielung von Skalenerträgen orientierte Funktion der Unternehmensorganisation und die davon abhängige Fragmentierung der Eigentumsfunktionen zwischen Management, Kapitaleigentümern und Kapitalmarkt 36 ist der Dynamik des Wandels und der Durchbrechung von Funktions- und Phasentrennungen zwischen technologischer Innovation und Anwendung nicht mehr angemessen.37 In der Literatur wird deshalb die Notwendigkeit zur "Prozeduralisierung" 38 des Unternehmens gesehen, die, auch über das einzelne Unternehmen hinausgreifend, den Konzern als "polycorporate network" umfaßt. 39 Innerhalb des Unternehmens, der Unternehmensgruppe und zwischen selbst nicht dauerhaft durch Organisation verbundenen Unternehmen bilden sich neue Formen "dynamischer" Netzwerke 40, die die traditionelle hierarchische Organisationsform auflösen und sie mindestens teilweise durch variable heterarchische Relationierungen ersetzen. Diese heterarchische a-zentrische Netzwerkbildung ist dadurch charakterisiert, daß das traditionelle Denken in erfahrungs- und regelorientierten systematischen Trennungen und Arbeitsteilungen an seine Grenzen stößt und durch flexible Formen der Selbstkoordination in einer polykontexturalen Welt verdrängt wird. Die Trennung des Unternehmens von seiner Umwelt wird durchlässig insofern, als innerhalb des Unternehmens in einer organisationsspezifischen Form die Heterogenität der Umwelt remodelliert werden muß in Gestalt einer Dezentralisierung der Organisation.41 Die Organisation transformiert sich selbst, indem sie die Flexibilität der Marktlogik und die Möglichkeit der Nutzung des über eine Vielzahl von beteiligten distribuierten Wissens, das durch Arbeitsteiligkeit allein nicht mehr erschlossen werden kann, innerhalb ihrer eigenen Darstellungsbedingungen reproduziert (und damit zugleich verändert). Es bleibt auch hier festzuhalten, daß es sich nicht um einen Prozeß der Entdifferenzierung, sondern vielmehr der Interferenz handelt: 42 Die Organisation führt sich selbst Unordnung und damit Diversität zu, 3 4

Teubner 1987, 61 ff.; Ladeur 1989,179 ff.

35

Boynton/Victor 1991,58

3 6

FitzRoy 1988, 239 ff.

3 7

Florida 1991,567

3 8

Vardaro 1991, 226

3 9

Teubner 1990, 295 ff.

4 0

Miles/Snow 1986, 62

41

Nonaka 1988, 9, 12. 1988 a

4 2

Teubner 1989, 110, 125

2 5 4 X . Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

indem sie einander überlappende dezentralisierte, nicht auf Dauer angelegte Gruppen bildet, die durch Konkurrenz und Redundanz mehr Information generieren. In der hier eingenommenen kognitivistischen Perspektive muß gerade dieses Moment der Produktion von Wissen besonders akzentuiert werden, da das Maschinenmodell des "Prozessierens von Information" innerhalb einer nach formalen systematischen Gesichtspunkten entwickelten Ordnungskonzeption mit der Vorstellung eines sich im Prozeß der Organisation selbsterzeugenden und selbstverändernden Unternehmens nicht mehr vereinbar ist. 43 Das bedeutet weder, daß das Unternehmen sich selbst planen könnte, noch auch, daß das offene Netzwerk des über eine Fülle von Marktteilnehmern distribuierten Wissens in das Unternehmen transponiert würde: Die Organisation bleibt auch unter den gewandelten Bedingungen jenseits der über den Markt institutionalisierten parametrischen, von den einzelnen Beteiligten nicht beeinflußbaren und dadurch erst Austausch ermöglichenden Ordnung auf komplexere Organisationsformen der Koordination von Interaktionen zu einem sich selbst generierenden kollektiven Effekt angewiesen, der sich als kollektiver Aktor selbst erhält. Aber das intelligenter werdende Produkt zwingt dazu, z.B. das beim Kunden anfallende Wissen über seinen Gebrauch wieder zurückzugewinnen, um nur eine Erscheinungsform einer Tendenz zu benennen, die das Produkt mehr und mehr aufgrund seiner Informations- und Wissensabhängigkeit in eine Dienstleistung tranformiert, eine Entwicklung, die Wartung und Bedienung und schließlich sogar die Rücknahme und Rezyklierung umfaßt und damit den Eigentumserwerb durch Leasing-Modelle ablöst.44 Innerhalb des Unternehmens arbeiten einzelne Gruppen selbst wie ein Unternehmen im Unternehmen und erzeugen eine kreative Spannung, die das an das Netzwerk der Kooperation und Konkurrenz gebundene implizite Wissen durch "überlappende" wechselseitige Irritationen nutzbar machen soll 45 und damit die organisationsimmanente Tendenz zur Bürokratisierung und zum Vollzugsdenken eindämmen soll. Die Organisation wird so mit Unordnung geimpft, um sie besser für die Verarbeitung der in der Umwelt auftretenden Turbulenzen zu wappnen. Dazu gehört auch, daß eine Gegenkultur der Organisation künstlich mehr Diversität und Varietät zuführt, also durch Steigerung von internen Fluktuationen die Lern- und Innovationsfähigkeit verbessert. Dieses Spannungsverhältnis wird haltbar dadurch, daß das Unternehmen eine übergreifende, von den Beteiligten übernommene "Vision" entwickelt. 46 Mit J.L. Le Moigne könnte man sagen, daß das Unternehmen selbstproduzierend ist. 47

4 3

Nonaka 1990, 27 ff., 1991,96 ff.

4 4

Imai/Itami 1984, 299; Rosegger 1991, 81 ff.; Vandermerwe/Oliff 1991,18 f.

4 5

Nonaka 1988, 9 ff.; ders. 1988 a, 58

4 6

Senge 1990, 7

4 7

Le Moigne 1987, 499 ff.

4. Verschränkung von innerer und äußerer Umwelt des Unternehmens

255

In der hier entwickelten kognitivistischen Perspektive ist besonders zu akzentuieren, daß die Hauptursache für die Veränderung des Verhältnisses von Markt und Organisation eben in der steigenden Wissensabhängigkeit des Unternehmens und dem Problem der Erhaltung eines leistungsfähigen Marktes für Informationen zu suchen ist. Innovationen sind aber Produkte eines kollektiven Prozesses, der nur partiell gesteuert werden kann, im übrigen aber in einem heterarchischen Such- und Lernprozeß vor dem Hintergrund des an ein kooperatives Netzwerk gebundenen "impliziten Wissens" sich vollzieht.48 Eine neue Form der Bewältigung der Paradoxie, daß Produktion immer stärker auf Wissen angewiesen, dieses aber nur begrenzt privat aneignungsfähig ist, ist in der Entwicklung einer neuen Variante von joint ventures zu sehen. Durch gemeinsame Forschung und Entwicklung versuchen Organisationen, sozusagen in umgekehrter Richtung Elemente organisationaler Generierung des Wissens in den spontane Selbstorganisation von Informationen ermöglichenden Markt einzuführen. 49 Leistungen von Markt und Organisation sollen so kombiniert werden: Einerseits soll ein vertraglicher "Austausch" stattfinden, aber andererseits soll dessen "Gegenstand" mehreren Beteiligten ohne genauere Spezifizierung für Zwecke zugänglich sein, die außerhalb des joint ventures liegen. Vertragliche längerfristige Kooperationen setzen in den tradierten Formen längere vertrauensbildende Erfahrung voraus, während neuartige joint ventures die gemeinsame Zugänglichkeit eines Wissens gewährleisten, das für die einzelnen beteiligten Unternehmen weder spontan verfügbar noch (zu gleichen Kosten) organisationsintern gewährleistet werden könnte.50 Auch auf diese Weise führen sich die Organisationen mehr Diversität und Varietät zu, als sie selbst intern erzeugen können. Und auch hier ist das Phänomen der steigenden Umweltabhängigkeit der Unternehmensorganisation und damit der Durchlässigkeit zwischen Innen- und Umwelt zu beobachten; aber zugleich läßt sich zeigen, daß der Wandel in Remodellierungen vertraglicher Kooperation wie der Binnenorganisation verarbeitet wird. Darin deutet sich die Möglichkeit und Notwendigkeit einer "institutionellen Ökologie" an 51 , die darauf basiert, daß auch die einzelnen Institutionen sich nicht nur auf die Erhaltung ihrer internen Funktionen und Leistungen beschränken können, sondern auch explizit - und nicht nur über implizit bleibende allgemeine Abstimmungsregeln - einen Beitrag zur Erhaltung des über eine Population von Institutionen "verteilten Passens", des gemeinsamen Kontexts und des Pools der gemeinsam zu nutzenden unspezifischen Vielfalt der Möglichkeiten und des Wissens leisten müssen.52 Dafür sind neue Remo4 8

Silverberg 1991, 67 ff.

4 9

Imai/Itami 1984, 299; Miles/Snow 1986, 64; Foray 1991

5 0

Miles/Snow 1986, 62 ff.

51

Weise/Brandes 1990, 173 ff.

5 2

Probst 1987, 62

256

X. Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

dellierungen und ReSpezifizierungen ihrer Eigenwerte und keine Entdifferenzierung erforderlich. Dies wird erleichtert dadurch, daß der Zeithorizont der Unternehmensentscheidung erweitert und ihre Flexibilität in der beschriebenen Weise erhöht wird. Die aktuelle Diskussion um die Wirtschaftsethik ist auch ein Ausdruck der unbewältigten neuen Komplexität, die zur Gefahr wird, wenn einer verfehlten Entdifferenzierung das Wort geredet wird. Statt dessen wäre auf eine neue Differenzierung der Verschränkung der Eigenwerte unterschiedlicher Subsysteme, Organisations- und Wissensformen zu setzen. In Anbetracht der mit der Dynamisierung des gesellschaftlichen Wissens und der Erschütterung gesellschaftlicher Werte einhergehenden Steigerung von Ungewißheit ist die Verbindung ökonomischer Rationalität mit einer "ethikbewußten Organisationsgestaltung" durch den Einbau "argumentativer Verständigungsprozesse"53 kaum chancenreich. Auch die Aufforderung, das "desorganisierte Verhältnis von ökonomischem System einerseits und gesellschaftlicher Lebenswelt bzw. natürlicher Umwelt andererseits neu zu ordnen" 54 , vor allem durch den Übergang vom "'exklusiven' Eigentum" zu differenzierten Verfügungsrechten, erscheint der beschriebenen Komplexität des Verhältnisses von Umweltorganisation und Umwelt nicht angemessen, da soviel Konsens nicht verfügbar ist. Nach der hier entwickelten Konzeption käme es eher darauf an, das Gewinninteresse als Such- und Lernmechanismus, der insgesamt mehr Möglichkeiten auch für Nichteigentümer schafft, selbst auf einen größeren Zeithorizont einzustellen, ihn also mit Intelligenz zu impfen. 55 Es geht nicht darum, von außen einen "höheren Zweck" an das Unternehmen heranzutragen, sondern das sichtbar werdende Flexibilisierungspotential auch durch rechtliche Interventionen so zu dimensionieren, daß durch mehr Diversität und Varietät die Fähigkeit eines aus mehreren Subsystemen und ihren Umwelten bestehenden "ökologischen Feldes" zur Selbsterhaltung gestärkt wird. In einem Zwischenresümee ist vor allem die Notwendigkeit und Möglichkeit festzuhalten, die Prozesse der Dynamisierung des Wissens sowie der Differenzierung und Flexibilisierung von Eigentum und Unternehmensorganisation genauer zu beschreiben und aufeinander abzustimmen, bevor Möglichkeiten zur Reintegration von externalisierten Umweltproblemen entworfen werden. In der hier entwickelten, am Umweltrecht orientierten Perspektive ergibt sich daraus zunächst eine genauere Beschreibung der Ursachen der Krise des ordnungsrechtlichen Modells. Sie ist eine Erscheinungsform der Vernachlässigung der Binnenstruktur des Unternehmens in den klassischen, den Markt als Institution der Generierung von Wissen beschreibenden Theo-

53

Ulrich 1991,146 ff.; ders. 1989; krit. dazu Priddat 1989,151 ff.

5 4

Ulrich 1989, 140, 147

5 5

Vgl. auch Coffee 1991, 1279; Buxbaum 1990, 7 ff.; FitzRoy/Kay 1991, 147 ff.; Albert 1991

5. Strategie der Intemalisierung des Umweltschutzes durch Unternehmensorganisation

257

rien.56 Die Entwicklung neuer interner und grenzüberschreitender Netzwerke der Wissensbildung durch explizite Kooperation hat das konstruktive Moment der Selbstproduktion des kollektiven Wissens verstärkt und damit die Möglichkeit eines umweltgerechten Unternehmensrechts wie eines unternehmensgerechten Umweltrechts denkbar gemacht, da heterarchische, das Denken in stabilen Trennungen überwindende Formen der flexiblen Relationierung von Markt und Organisation durch neue prozedurale Regulierungen auch die Sensibilisierung für Umweltschutzinteressen als denkbar erscheinen lassen. Das beschriebene "ökologische Feld", in dem gesellschaftliches Wissen und Entscheidungsmöglichkeiten über unterschiedliche Institutionen generiert werden, enthält zugleich Interventionsmöglichkeiten für einen externen Beobachter, den Staat, der einerseits die Selbstbeobachtungs- und Selbstveränderungsfähigkeit des komplexen gesellschaftlichen Selbstorganisationsprozesses durch Redimensionierung von Kontaktstellen, Unterbrechung oder Schaffung von Anschlußzwängen, durch Zufuhr von Diversität aus dem gesellschaftlichen Pool der Möglichkeiten steigern kann, ohne in umgekehrter Richtung die Gefahr zu schaffen, durch abstrakte Regeln oder punktuelle Interventionen die Flexibilität der Unternehmen insgesamt ungewollt zu vermindern und dadurch Probleme durch Schaffung größerer Probleme zu lösen.57 Dies gilt um so mehr, als die über das Eigentum ermöglichte Selbstbeobachtung (Monitoring) der Unternehmen, die durch die Zersplitterung der Eigentumsfunktionen ohnehin gefährdet ist 58 , auch unter rechtlichen Gesichtspunkten auf die gesteigerte Komplexität der natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt des Unternehmens neu einzustellen wäre. 5. Zur Strategie der Intemalisierung des Umweltschutzes durch die Unternehmensorganisation - Verbesserung des Umweltschutzes durch informelle Absprachen, Einführung des Betriebsbeauftragten, des Umweltschutzdirektors u.a. institutionellen Reformen Im Anschluß an die bisherigen Überlegungen läßt sich auch die Frage nach der Möglichkeit von informellen, formale Regulierung ersetzenden Absprachen zwischen Staat und Unternehmen als eine Form der Interferenz von Staat und Markt begreifen, die den Unternehmen mehr Flexibilität und Planungsmöglichkeiten eröffnet. 59 Hier entsteht aber die Gefahr, daß der Staat letztlich seine Eigenlogik aufgibt, da es an einer reflektierten Strategie fehlt, innerhalb derer die an sich diskutablen Verhandlungslösungen strukturiert und 5 6

Vgl. Williamson 1991a, 269 ff.; ders. 1991,159 ff., Jarillo 1988, 31 ff.; Thévenot 1989, 180

5 7

Vgl. Godard 1990, 228; Favereau 1989, 310, 327

5 8

Vgl. Masten 1988,181 ff.

5 9

Harter 1982, 23

17 Ladeur

258

X. Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

auf bestimmte Ziele, Strukturen oder Verfahren eingestellt werden könnten. Ohne eine solche Einordnung ist aber der Innovationsgewinn, der mit einer solchen Handlungsstrategie verbunden ist, möglicherweise gering, da die Unternehmen ihrerseits dazu tendieren werden, ihre dem Staat nicht zur Verfügung stehenden Informationen geheimzuhalten und andererseits auch künftige Möglichkeiten der Flexibilisierung nicht ausgeschöpft werden. Es drängt sich der Eindruck auf, daß auch der Einbau von Umweltschutzbeauftragten auf betrieblicher Ebene oder des Umweltschutzdirektors auf der Unternehmensebene60 in umgekehrter Richtung auf Probleme stößt: Hier wird offenbar der Versuch unternommen, (in der Gestalt des Umweltschutzbeauftragten) eine Variante der externen Regulierung innerhalb der Logik der Unternehmensorganisation zu remodellieren und einen Gewinn an Dezentralisierung zu erreichen. Aber der Einsatz des Betriebsbeauftragten wird, wenn das Unternehmen nicht ohnehin schon eigenständig ein Interesse am Umweltschutz entwickelt hat, seinerseits an Grenzen der Informations- und Einflußmöglichkeit stoßen, wenn das Umweltschutzinteresse getrennt institutionalisiert wird. Ähnliches gilt wohl auch für den Umweltschutzdirektor, der zwar auf Unternehmensebene, also in der Hierarchie, hoch angesiedelt ist, aber doch mit dem Problem konfrontiert ist, daß der Umweltschutz sich als ein Belang darstellt, der "von außen herangetragen" wird. Hier bietet sich zugleich eine Parallele zur Funktion des Arbeitsdirektors in mitbestimmten deutschen Unternehmen an, eine Parallele, die auch sonst bei anderen Instrumenten zur Öffnung des Unternehmens für (bisher) externe, hier etwa soziale Zwecke gesucht wird. 61 Aber schon die Beschreibung der Funktion des Arbeitsdirektors stößt auf das Problem der widersprüchlichen Anforderungen: Der Arbeitsdirektor ist kein Vertreter von Arbeitnehmerinteressen und hat das, wenn auch sich pluralisierende, Unternehmensinteresse zu vertreten; er bleibt deshalb von der Unternehmensleitung abhängig. Das hängt damit zusammen, daß das Unternehmen eben ein "corporate actor" ist, der nicht problemlos in eine Gruppenkoalition transformiert werden kann. 62 Auch wenn auf Einzelheiten nicht eingegangen werden kann, muß doch die Möglichkeit des Einbaus von umweltgerechten Entscheidungskriterien in Unternehmensstrategien durch die Institutionalisierung des Umweltschutzdirektors skeptisch beurteilt werden. Dies gilt allgemein für Versuche, Umweltschutz durch Bildung von Analogien zu bestehenden staatlichen und sozialen Institutionen in Unternehmen zu verankern oder umgekehrt umweltpolitische Steuerungsmodelle durch Analogie zu wirtschaftsrechtlichen Vorbildern zu entwerfen: Ein Beispiel dafür wäre die Überlegung, das mit dem Konzept der

6 0

Vgl. Rehbinder 1989, 305 ff.; ders. 1990, 215 ff.

61

Dierkes 1985, 354 ff.

6 2

Teubner 1987, 61 ff.

5. Strategie der Intemalisierung des Umweltschutzes durch Unternehmensorganisation

259

Ökonomisierung der Umwelt (durch Emissionszertifikate und ähnliche marktkonforme Regelungen) verbundene Problem der Auf- und Abwertung nach dem Beispiel der Zentralbank (Bundesbank) in einer unabhängigen "Umweltbank" zu institutionalisieren.63 Auch hier zeigt sich bei näherem Hinsehen, daß die Analogiebildung vordergründig bleiben muß, da die Unabhängigkeit der Notenbank durch ein komplexes Netzwerk von Beziehungen zum Bankensystem ergänzt wird, zu dem kein Pendant im Umweltrecht entwickelt werden kann.64 Eine problematische Rolle spielt in der gegenwärtigen Umweltrechtsstruktur auch die starke Orientierung an einem traditionellen Modell des Abwehrrechts, das durch Kumulation mit Elementen einer staatlichen Schutzpflicht einerseits65 und den Zerfall des Vertrauens in den technologischen Fortschritt andererseits nur komplizierter, aber deshalb nicht begrifflich komplexer geworden ist. 66 Das dadurch nahegelegte Abwägungsdenken verstärkt die Orientierung an Punkt-für-Punkt-Entscheidungen, die mit der traditionellen binären Alternative (sicher/unsicher) operieren und die Politisierung von Information und Informationssuche bewirken. Dabei wird das am Trennungsdenken orientierte Konstrukt des Abwehrrechts durch die unausgesprochene Voraussetzung abgestützt, daß die Unterlassung der Gefährdung stets einen Sicherheitsgewinn bedeutet.67 Dies ist aber, wie oben gezeigt, angesichts der Fülle unbekannter Risiken und des notwendigerweise unvollständigen Wissens über die Wirkungsweise (insbesondere) von Umweltchemikalien und Pflanzenschutzmitteln angesichts der Privilegierung von Altstoffen nicht der Fall. Der Übergang zu einer Risikomanagement-Konzeption - jenseits an einer weiter am traditionellen Gefahrenbegriff zu orientierenden "Sicherheitsgrenze" -, die die Nicht-Hintergehbarkeit gesellschaftlich produzierter Risiken innerhalb einer durch die Industrieentwicklung weitgehend artifizialisierten Gesellschaft akzeptiert und sich auf die Steigerung der Selbstbeobachtungsund Selbstmodellierungsfähigkeit des "ökologischen Feldes" konzentriert 68, könnte durch Akzeptanz von Ungewißheit zunächst die Bereitschaft zur stärkeren Offenlegung von Risikoinformationen fördern. Dem Charakter des Risikowissens als eines öffentlichen Gutes, dessen Produktion sich nicht nur nicht von selbst versteht, sondern geradezu angeregt werden muß 69 , könnte durch rechtliche und finanzielle Begünstigung von joint ventures mit dem 6 3

Vgl. S taehelin-Witt/Blöchliger 1990

6 4

Baecker 1991, 173 ff.; vgl. auch Ladeur 1992, 386 ff.

6 5

Vgl. allg. dazu E. Klein 1989, 1633 ff.; vgl. zum Konflikt zwischen Schutzpflicht und Abwehrrecht Wahl/Masing 1990,553 6 6

Schroeder 1986,495 ff.; O'Leary 1991

6 7

Flournoy 1991,327 ff.

6 8

Vgl. Weise/Brandes 1990, 173 ff.

6 9

Vgl. Huber 1985, 277 ff.

2 6 0 X . Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

Ziel der Risikountersuchung, -bewertung und -Verarbeitung durch mehrere Unternehmen Rechnung getragen werden. Die durchaus vorauszusetzende Bereitschaft der Unternehmen, die Organisationsgrenzen angesichts der stärkeren Angewiesenheit der Produktion auf Information und Wissen durchlässig zu machen, kommt dem entgegen. Auf diese Weise könnten auch pharmakologische und epidemiologische Untersuchungen, die in der Chemieindustrie vorgenommen werden, besser kooperativ genutzt und in prospektiven variablen Modellierungen von Risikoverläufen verarbeitet werden. Wie oben gezeigt, beruht die traditionelle unausgesprochene Technikbewertung sehr stark auf der methodischen Trennung von allgemeinen Modellaussagen und der individuellen kausalen Verbindung von Ereignissen. Gerade bei ökologischen Risikoabschätzungen ist diese Trennung aber nicht durchzuhalten, da hier das Entsprechungsverhältnis zu der "eingeschlossenen" technischen "Mikroweit" und der Durchbrechung ihrer Grenzen im Störfall oder bei "grenzüberschreitenden" Nebenwirkungen von vornherein nicht unterstellt werden kann. Ökologisches Wissen ist von vornherein stärker auf Beschreibungen verwiesen, so daß Modelle, die die Wirkung von Umweltchemikalien abschätzen sollen, notwendigerweise unvollständig sind und deshalb auch konstitutiv auf die Selbstrevision durch Einbau neuer Information angelegt sein müssen, während traditionelle technische Systeme in ihrer "Grenze" eine "Schnittstelle" besaßen, die zugleich als Sensor für spontan anfallendes neues Risikowissen fungieren konnte. Das in joint ventures gesammelte Wissen könnte ohne Beeinträchtigung privater Interessen auch der Umweltverwaltung zugänglich gemacht werden, wenn die staatliche Umweltpolitik ihrerseits eine höhere Berechenbarkeit und Kontinuität der Zielformulierung und Risikostrategien entwickelt.70 6. Umweltmanagementsysteme und Generierung von Wissen als öffentliches Gut Auch für eine Strategie der Einwirkung auf die Binnenorganisation der Unternehmen im Interesse einer stärkeren Sensibilisierung für Umweltinteressen kann die Überwindung des Denkens in stabilen Trennungen paradigmatisch sein. Hier erscheint es sinnvoll, die technik- und prozeßimmanenten Tendenzen zur Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Phasen, Kompetenzen, Entscheidungsebenen und Wissensformen innerhalb eines flexibler werdenden "prozeduralisierten" Unternehmens zu nutzen und daran ein seinerseits prozedural integriertes Moment der Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle von Produktentwicklungen im Hinblick auf Umweltrisiken anzuschlie7 0

Floumoy 1991, 327 ff.; Latin 1987,187 ff.; Shapiro 1990, 1 ff.

6. Umweltmaiiagementsysteme und Generierung von Wissen als öffentliches Gut

261

ßen. Dies könnte etwa darin bestehen, daß normierte, aber flexible, variable Anforderungen an die Entwicklung eines internen Umweltmanagementsystems vorzugeben wären. 71 Solche Systeme unterscheiden sich von traditionellen Formen der Sicherheitskontrolle dadurch, daß sie nicht im nachhinein, orientiert am Modell der "end-of-the-pipe"-Technologien, kompensatorisch fungieren, sondern in die komplexe Produktentwicklung integriert werden. Ein solches Modell könnte zunächst seinerseits mit experimentellen Formen des Umwelt-Auditing72, des Umwelt-Controlling, der Anforderungen an das Personal, Entwicklung ökologischer Sachkompetenz etc. operieren. Damit könnte in Anknüpfung an den seinerseits provisorischen Charakter der Risikoabschätzungen systematisch der Einbau von Monitoring-Funktionen, die Pflicht zur "Nachbeobachtung" des Produkts und seiner Wechselwirkung mit der Umwelt verbunden werden. Durch rechtliche, insbesondere steuerliche Anreize, aber auch staatliche Umweltinformation abgestützt, könnte die Entwicklung zu einer zyklischen, Gebrauch und Verbrauch von Produkten übergreifenden Dienstleistungskonzeption gefördert werden. Auch damit könnte ein Moment der Wissensgenerierung verbunden werden, da auf diese Weise z.B. der Gebrauch von Chemikalien oder Pflanzenschutzmitteln, der durch Beratung bei der Anwendung begleitet würde, zu einer Verbesserung des Wissens über Umweltfolgen führen kann.73 Das Ziel eines solchen Umweltmanagementsystems müßte so definiert werden, daß Produkt- und Prozeßinformationen sowie die Generierung von Risikowissen generell begünstigt werden, ein Ziel, das nicht durch eine vordergründige Orientierung an einer "Verschärfung" der Standards eines binären Sicherheits-/Unsicherheits-Denkens konterkariert werden darf. Angesichts der oben skizzierten Dynamik der Selbstdefinition weitgehend autonomer gesellschaftlicher Subsysteme würde eine solche selbstdestruktive Strategie nur dazu führen, daß gerade effiziente Technologien, die ein hohes Maß an Risikowissen erzeugen, und ökonomisch erfolgreich, weil flexibel operieren, durch höhere Umweltstandards belastet würden, während alte unflexible Technologien, nicht zuletzt wegen der ökonomischen Risiken (Arbeitsplätze), politisch zwangsläufig geschont werden müßten. Die rechtliche Abstützung der auch technik- und wissensimmanenten Tendenz zu einer stärkeren Flexibilisierung und Dematerialisierung der Produktion, zum Übergang zu längerfristig konzipierten intelligenten Diensten mit hohem Informationsanteil wird, auch wenn damit neue Risiken einhergehen, doch jedenfalls durch Netzwerkbildung zwischen und innerhalb von Organisationseinheiten ein komplexeres Wissen generieren, das auch für ein flexibles Risikomanagement genutzt werden kann. Die in der "Öko-Audit"-Ver71

Vgl. Aalders 1991; Steger/Antes/Feess-Dörr 1991,13 ff.

7 2

Vgl. EG-VO Abi. L 168 S. 1 v. 10.7.1993; vgl. dazu Scherer 1993, 11 ff.; Kloepfer 1993a, 353 ff.

7 3

Vgl. Stewart 1985, 8; Huber 1985, 320; Trauberman 1983,177 ff.; Ladeur 1988, 305 ff.

2 6 2 X . Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

Ordnung der EG enthaltenen Ansätze, die auf Freiwilligkeit basieren, mögen noch unzureichend erscheinen. Sie weisen aber in die richtige Richtung. Eine technologische Innovationsstrategie, die auf die Reintegration von bisher externalisierten Umweltproblemen zielt, wäre abzustützen durch eine gesetzlich normierte oder finanziell zu begünstigende Prüfung des Umweltmanagements und seiner Funktionsweise durch selbständige Umweltberatungsunternehmen (nach dem Muster der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft). Insbesondere für kleinere Unternehmen wäre an die staatliche Finanzierung solcher Systeme und ihrer Kontrolle durch Umweltberatung zu denken. Umweltrecht würde so jedenfalls partiell auf das Ziel der Generierung von Umweltinformationen als eines öffentlichen Gutes umgestellt und hätte dabei auf prozedurale Mechanismen der Reorganisation des Unternehmens zu rekurrieren. Über diesen Gesichtspunkt läßt sich auch ein neuer Zugriff auf die Respezifizierung des Eigentumsrechts und seine gesellschaftliche Ausdifferenzierung finden: Der Übergang zu neuen komplexeren Formen des Finanzkapitals ("paper capitalism") hat vor allem in den letzten Jahren - wenn auch in unterschiedlichem Maß - die mit dem Eigentum verbundene Funktion der längerfristigen Selbstbeobachtung der Wirtschaft untergraben und kurzfristige Spekulationsgewinne ermöglicht, die die langfristige Innovationsfähigkeit von Unternehmen vernachlässigen, ja, zum Teil durch Überschuldung infolge aggressiver Übernahmen anderer Unternehmen gefährdet haben.74 Auch unter Umweltschutzgesichtspunkten wäre daran zu denken, durch gesellschaftsrechtliche oder steuerrechtliche Interventionen (Stimmrechtsbeschränkungen, differenzierte Steuersätze) die längerfristige intelligente Gewinnorientierung zu Lasten der kurzfristigen, Probleme an die Zukunft abwälzenden Spekulation zu fördern. Dies könnte übrigens dazu beitragen, auch die von der Wirtschaftsethik verfolgten Interessen aufzugreifen und die mit dem Übergang zum Finanzkapital begründete Steigerung der Artifizialisierung der Marktwirtschaft zu begrenzen. Die dadurch freigesetzte Tendenz zur Selbstgenerierung des abstrakten Geld-"Vermögens" tendiert dazu, sich selbstdestruktiv gegen das Leistungsethos als Triebkraft der permanenten Innovation zu wenden.

7 4

Coffee 1991, 1277 ff.; Albert 1991

7. Staatliche Regulierung und Flexibilisierung

263

7. Staatliche Regulierung und Flexibilisierung - Die Generierung von Wissen für das Handeln unter Ungewißheitsbedingungen a) Reform der umweltrechtlichen Regulierung durch Prozeduralisierung zweiter Ordnung Eine die Binnenperspektive des Staates berücksichtigende umweltrechtliche Regulierungskonzeption muß auf die skizzierte grundlegende, mit der Ablösung vom paradigmatischen Charakter der Erfahrung einhergehende Veränderung des Risikowissens eingestellt werden: Der Mangel einer möglichen Orientierung an der Erfahrung kann aus den oben dargestellten Gründen nicht durch immer mehr und wissenschaftlich besser begründete Standards (Grenzwerte) oder die immer gründlichere Untersuchung einzelner Risiken kompensiert werden. Dies wäre nur auf dem Hintergrund der verfehlten Annahme begründbar, daß eine Entscheidung zu Lasten einer Technologie jedenfalls eine Verbesserung der Sicherheit bedeutet. Aber gerade dies ist wegen des hohen Vernetzungsgrades zwischen privaten und öffentlichen technologiebezogenen Entscheidungen und alten und neuen, bekannten und unbekannten Risiken nichts weniger als sicher. Auch die Risiken der Risikenvermeidung müssen schon deshalb in Rechnung gestellt werden, weil ressourcenbindende Entscheidungen die Fähigkeit zur Bewältigung späterer, möglicherweise viel größerer Risiken reduzieren können - ganz zu schweigen von den Rückwirkungen auf die Verfestigung alter Technologien. Daß die informationsintensive Einzelfallprüfung vor der Zulassung neuer Risiken die Fähigkeit von innovativen Unternehmungen begrenzt, sich selbst flexibel auf eine Risikomanagementstrategie umzustellen, ist oben schon belegt worden. Auch dies ist eine Folge des Zerfalls des auch in den unternehmerischen Planungen Sicherheit ermöglichenden Erfahrungshorizonts. Die Schwierigkeiten der behördlichen Risikobewertung zeigen sich gerade im Chemikalien- und im Pflanzenschutzrecht, weil hier die Definition von StoppRegeln, die die Strategie der Beschreibung von Ereignisketten begrenzen, nur schwer möglich ist. Der Rückgriff auf wissenschaftliche Maßstäbe bei der Formulierung von Grenzwerten (statt des Denkens in erfahrungs- und gefahrabhängigen Grenz begriffen) verwischt den Unterschied der wissenschaftlichen und der behördlichen Perspektiven: Auf wissenschaftlichen Vermutungen (Hypothesen) basierende Experimente sind um so aussagefähiger und fruchtbarer, je mehr prognostischen Gehalt sie haben und sich dadurch dem Test der Falsifizierbarkeit unterwerfen. Regulative Modelle zielen (im Gefahrstoffrecht) auf die Ermöglichung eines Probehandelns im Hinblick auf überschaubare Folgen auf der Grundlage des vorhandenen Wissens. Regulative Modelle sind nicht systematisch auf die Generierung neuen Wissens angelegt; darin schließen sie an das ältere Konzept der Erfahrung an, obwohl

2 6 4 X . Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

das Substrat des Trennungsdenkens, das "geschlossene" technische Modell einerseits und die unterstellte Absorptionsfähigkeit der Natur für "kleinere" Dauerbelastungen andererseits, nicht mehr den Bezugsrahmen bilden können. Die Regulierung muß relativ dauerhaft sein, obwohl die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht als gewährleistet gelten können. Die Untersuchungsperspektive muß bei der Formulierung von Grenzwerten am Ziel der Beschränkung der erforderlichen Daten interessiert sein 7 5 . Praktisches Orientierungswissen kann nur auf der Grundlage institutioneller Stopp-Regeln gewonnen werden, die die Suche nach neuem Kausalwissen begrenzen. Eine neue Abstimmung zwischen der Binnensperspektive des Unternehmens und dem dort institutionalisierten Wissenstypus einerseits und der von der Behörde einzunehmenden Außenperspektive der Kontrolle von Nebeneffekten andererseits muß die auf der Ebene des Unternehmens entstehende und zu begünstigende Durchlässigkeit der Binnenperspektive ihrerseits in die Außenperspektive übernehmen und sie daraufhin respezifizieren. Das bedeutet, daß die umweltrechtliche Regulierungsperspektive des Staates auf eine Prozeduralisierung zweiter Ordnung eingestellt werden muß, nämlich ein Verfahren, das seinerseits ein Such- und Lernverfahren auf der Ebene der Unternehmung voraussetzt und ermöglicht. Dies schlägt sich im stoffbezogenen Umweltrecht etwa schon jetzt darin nieder, daß Unternehmen selbst standardisierte Testverfahren durchführen müssen. Der darin enthaltene Prozeduralisierungsansatz erscheint jedoch nicht befriedigend, da schon die damit verbundenen Kosten einen perversen Effekt dadurch erzeugen können, daß etwa einfache Pflanzenschutzmittel, die weniger Gewinn versprechen, an den hohen Testkosten scheitern können 76 . Der Mangel an strategischer Sicherheit, der dieses Regelungsmodell charakterisiert, kommt vor allem im amerikanischen Recht darin zum Ausdruck, daß die Beweisanforderungen an das Verbot von Stoffen relativ hoch sind, während umgekehrt das EPA die relativ weitreichende (kostentreibende) Möglichkeit hat, Unternehmen neue Testanforderungen aufzuerlegen, ohne daß damit angesichts der Unsicherheit der Methoden der Risikoabschätzung ein Sicherheitsgewinn verbunden sein muß 7 7 . Umgekehrt sind die Rückwirkungen dieser strategischen Unsicherheit auf das Innovationsverhalten von Unternehmen kaum kalkulierbar. Die Möglichkeit zur Anforderung weiterer Tests dürfte umgekehrt die Bereitschaft der Unternehmen zur Offenlegung des vorhandenen Risikowissens nicht fördern, weil damit die Gefahr einer weiteren Auferlegung von potentiell unendlichen "Sicherheitstests" verbunden sein kann. Andererseits ist die Zahl der Chemikalien so groß, daß die Wahrnehmung der genannten Ermächtigung in systematischer Weise ohnehin nicht möglich ist. 7 5

Zervos 1989, 655; vgl. allg. zu den Risiken der Risikoregulierung Trauberman 1983, 177 ff.

7 6

Vgl. Gaines 1990, 289; Shapiro 1990, 39

7 7

Applegate 1991, 261 ff.

7. Staatliche Regulierung und Flexibilisierung

265

Demgegenüber wäre zu erwägen, ob es nicht sinnvoller ist, jenseits einer relativ klaren, am traditionellen Gefahrenbegriff orientierten Eingriffsschwelle mit Beweiserleichterungen zugunsten von Unternehmen zu operieren, die einen relativ hohen Standard eines prozeduralen internen Umweltmanagements einhalten und dadurch das Vertrauen begründen, daß die nach dem Stand des verfügbaren Wissens vernünftigerweise erreichbaren Risikoinformationen gesammelt und verarbeitet werden. Danach würde sich die Kontrolle stärker von standardisierten Testanforderungen ablösen und auf die Evaluation des Risikomanagements des Unternehmens selbst konzentrieren. Die Förderung und rechtliche Kontrolle von unternehmensinternen Umweltmanagementstrategien ist für die Unternehmen selbst wie für die Umweltverwaltung nur dann innovationsfördernd, wenn damit eine Entlastung von standardisierten, am ordnungsrechtlichen Kontrollmodell orientierten Anforderungen einhergeht 78. Aber eine neue Regelungsstrategie sollte akzeptieren, daß die Entwicklung neuer Produkte zu vielfältig ist, als daß dafür ein verläßlicher allgemeiner substantieller Maßstab gefunden werden könnte, nachdem die Erfahrung ihre ordnungsbildende Funktion eingebüßt hat. Umgekehrt sollte ein Monitoring-Verfahren systematisch die Beobachtung der im internen Bewertungsverfahren modellierten und prognostizierten Vernetzungs- und Wirkungspfade der betroffenen Stoffe nach der Zulassung/Anmeldung ermöglichen. Hier sollten die Möglichkeiten der Informationstechnologien, die es zulassen, daß auch große Datenmengen verarbeitet werden, für die Erfassung umweltgefährdender Stoffe in einer Gesamtbilanz genutzt werden. Die Ablösung des Denkens in Grenzbegriffen findet ihre produktive Kehrseite in der längerfristig denkbaren Abbildung von Stoffkreisläufen durch Computermodelle, die die bisher bestehenden methodischen Grenzen zwischen quantitativen Modellrechnungen und der differenzierten Beschreibung von Ereignissen überwinden können und damit eine neue komplexitätsgerechte Form der Abstimmung zwischen Wissensprototypen erlauben. Der Zugang zu informationstechnologisch zu bildenden Modellen und zu speichernden Daten könnte wiederum die Informationsbasis der Unternehmen verbessern. Hier wäre zu überlegen, ob und wie der rechtliche Schutz von Geschäftsgeheimnissen gegen eine größere Beteiligung an öffentlichen Wissensbasen begrenzt werden kann, so daß der Charakter von Wissen als eines öffentlichen Gutes stärker zur Geltung käme. Der sichtbar gewordene Stoff und seine Wirkungspfade könnten auch die Entscheidungsfindung privater und gewerblicher Nutzer erleichtern. Informationszugangsrechte für Drittbetroffene und Bürgerinitiativen wären dementsprechend ebenfalls für Zwecke der Informationsgenerierung einzusetzen. Zur Abstimmung des Verhältnisses zwischen Öffentlichkeitsinteresse und legitimem Schutz von Betriebsgeheimnissen wäre an die Einschaltung 7 8

Mazmanian/Morell 1991,1477 ff.

2 6 6 X . Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

von Treuhändern zu denken, denen gegenüber auch solche Geheimnisse offenzulegen wären 7 9 . Im übrigen wäre zu überlegen, ob nicht eine Art "Anklageverfahren" gegen Stoffe für den Fall vorgesehen werden könnte, daß etwa Verbände einen hinreichenden Gefahrenverdacht begründen könnten. b) Strategische Schwerpunktsetzung in der Umweltpolitik Ein komplexeres Informationsmodell wäre auch längerfristig eine bessere Grundlage für die Formulierung von Strategien, die auf die Vermeidung bestimmter Risiken zielen, weil sich dann Probleme deutlicher stellen und die Alternativen sichtbar werden, die stillschweigend übergangen werden, wenn bestimmte Stoffe mit hohem Kostenaufwand, aber zweifelhaftem Erfolg aus der Umwelt entfernt werden. In einer an der Setzung von Schwerpunkten orientierten Strategie wären mit Vorrang bestimmte Ziele, etwa die Beseitigung belastender Stoffe innerhalb einer bestimmten Zeit, zu formulieren und etwa höhere Beweisanforderungen an die Zulassung von negativ bewerteten Stoffgruppen zu stellen. Wenn Stoffkreisläufe und Wirkungszusammenhänge besser modelliert werden können, wäre es auch vorstellbar, einzelne Stoffgruppen einer (eingeschränkten) Zweckprüfung zu unterwerfen, wenn dabei die Möglichkeit der Verursachung unbeabsichtigter Folgewirkungen aufgrund unüberschaubarer Verzweigungen und Wechselwirkungen mit anderen Unternehmensentscheidungen ausgeschlossen werden kann. Dies kann etwa für den Bereich der Landwirtschaft angenommen werden, wenn Pflanzenschutzmittel nur zu einer weiteren Steigerung der intensiven Bodennutzung führen sollen.80 Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Jedenfalls ließe sich mit der hier entwickelten Konzeption, die den Informationsgewinn und die Flexibilisierung der Produktentwicklung stark in den Vordergrund stellt, die Setzung von Schwerpunkten nicht nur mit pragmatischen Gründen abstützen, sondern sie würde auch die erforderliche Abstimmung zwischen den strategisch ansetzenden Prozeduralisierungen in der Binnenstruktur des Unternehmens und im staatlichen Risikomanagement erlauben. Denn genau darauf käme es in einer komplexen, das "ökologische Feld" zwischen den privaten und öffentlichen Institutionen und der natürlichen Umwelt aufgreifenden Regelungsperspektive an. Nachdem das über das Erfahrungsparadigma vermittelte Verweisungs- und Abstützungsverhältnis zwischen verschiedenen Wissensprototypen und Entscheidungsverfahren erschüttert worden ist, kann eine neue komplexere Regelungsstrategie ihrerseits nur über die Rekonstruktion eines Abstimmungsverhältnisses mit der Binnenperspektive der Unternehmen und den Entwicklungsbedingungen des technologischen Wissens formuliert werden. Wenn das relativ stabile Denken in Grenzbegriffen nicht 7 9

Vgl. allg. Susskind 1989, 295 ff.; ders./Madigan 1984, 179 ff.

8 0

Vgl. in rechtspolitischer Perspektive Ladeur 1994, 8 ff.

7. Staatliche Regulierung und Flexibilisierung

267

mehr vorausgesetzt werden kann, sondern aufgrund der höheren Dynamik der Selbstveränderung wechselseitige Rückwirkungen zwischen Regulierung und Regulierungs-"Substrat" in Rechnung gestellt werden müssen, muß ein Regulierungsmodell seinerseits auf die Vermeidung von Selbst- und Fremdblockierungen eingestellt werden und stattdessen eine prozedurale, die Dynamik der Selbstveränderung der Unternehmen influenzierende und stimulierende Funktion übernehmen. Dazu würde auch ein Programm der Steigerung der Flexibilität mittelständischer Unternehmen gehören, das gerade auf die Inanspruchnahme von Umweltberatung zielt und eine Steigerung der organisationsimmanenten Fähigkeit zur Selbstrevision aufgrund neuer Informationen gewährleistet. Denkbar wäre es auch, Beweiserleichterungen oder auch nur experimentell befristete Ausnahmen von verbindlichen Regelungen zu normieren ("Innovation waiver"). Gerade mittelständische Unternehmen sind als Generatoren von Innovation und damit von Diversität und Dynamik besonders produktiv, demgegenüber verfügen große Unternehmen über die Fähigkeit, Rentenerträge zu erwirtschaften oder politisch-strategischen Druck zu erzeugen, der die Tendenz zur Selbstblockierung technologischer Dynamik verstärkt. Die Flexibilisierungspotentiale sind innerhalb des herkömmlichen "Kontroll"-Ansatzes wegen des hohen Informationsbedarfs weitgehend erschöpft. Daran ändert auch der Einbau von Kosten-Nutzen-Analysen in die Risikobewertung nichts, da weder Kosten noch Nutzen sich leicht bestimmen lassen. Ähnliches gilt für den Versuch, lokale Besonderheiten (vorhandene Bodenbelastung, Art des Bodens etc.) in die Risikobewertung einzubeziehen, wie es das amerikanische EPA in seiner Pestizid-Strategie getan hat. Auch wenn dies ein richtiger Schritt zu einer komplexeren Regelung ist, so wird der Aufwand dadurch erheblich gesteigert, ohne daß eine Entlastung an anderer Stelle möglich ist. Schließlich wird dabei der Gefahr der Blockierung von Innovationen nicht begegnet. Eine komplexere, die Selbsterhaltungsfähigkeit des "ökologischen Feldes" verstärkende Strategie könnte aber dort, wo Wirkungszusammenhänge zwischen Stoff und Umwelt am deutlichsten zu beobachten sind, in der Landwirtschaft, auch auf eine Vernetzung unterschiedlicher Entscheidungen und Entscheidungshorizonte zielen, um dadurch mehr Diversität zu erhalten. Erkannte Belastungen wären auch unter dem Gesichtspunkt zu bewerten, ob und wieweit die natürliche "Diversitätsreserve" beeinträchtigt wird, die für die Abpufferung unbekannter Wirkungszusammenhänge wichtig ist. Eine ähnliche Umstellung der Perspektive wäre auch für das Naturschutzrecht zu erwägen, das ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung eines Pools von Diversität, der Selbstorganisationsfähigkeit der Natur, zu restrukturieren ist. Dieser Gesichtspunkt ließe sich dahin generalisieren, daß die Trennung einzelner staatlicher Aufgaben nach abstrakt formulierten Regeln durchlässig

268

X. Prozeduralisierung des Umweltrechts durch Prozeduralisierung des Unternehmens

gemacht werden muß für Prozesse der Abstimmung zwischen Entscheidungen. Dies läßt sich wiederum am Beispiel der Landwirtschaft demonstrieren, wo durch agrarpolitische Entscheidungen zugleich der Bedarf an Pflanzenschutzmitteln gesteigert wird, dessen Folgen mit den ordnungsrechtlichen Beobachtungs- und Regelungsinstrumenten nicht zu steuern ist. Auch hier wäre an politische Prioritäten bei der Zulassung von Risiken zu denken: In einer Industriegesellschaft wäre zu erwägen, ob Risikobereitschft im Bereich etwa der chemischen Industrie und der Nutzung ihrer Produkte einerseits in gleichem Maß akzeptabel ist wie etwa in der Landwirtschaft. Im Bereich der gezielten Einwirkung auf die Umwelt durch gentechnologische Innovationen wäre ebenfalls der Gesichtspunkt der Erhaltung von Diversität der natürlichen Umwelt (oder gar der Notwendigkeit einer Zufuhr von mehr Möglichkeiten) zu denken. So haben z.B. früher natürliche Barrieren der Ausbreitung von Schädlingen oder der Selbstverstärkung eines Prozesses der Artenverminderung entgegengewirkt, während die kulturell erzeugte Reduktion von Arten Ökosysteme oder auch landwirtschaftliche Anbauformen vielfach anfälliger für die Ausbreitung von Schädlingen macht. Auch sind kulturell höhergezüchtete Pflanzen oft anfälliger für Krankheiten als weniger ertragreiche, aber robustere. Auch hier wäre zu überlegen, ob nicht durch Anreiz zur Verwendung unterschiedlicher Getreidesorten, Fruchtwechsel etc. trotz der dadurch eintretenden Ertragsminderung längerfristig ein Gewinn an ökologischer Stabilität verbunden ist, der auch durch administrative Mittel zu fördern ist. Auch wenn hier auf Einzelheiten nicht eingegangen werden kann, so läßt die Skizze doch erkennen, daß auch in bezug auf die natürliche Umwelt eine Strategie der Erhaltung von Diversität, der kulturellen Irritation zur Generierung von mehr Flexibilität denkbar ist, zumal die natürliche Umwelt innerhalb des "ökologischen Feldes" von der kulturellen nicht zu trennen ist. Es zeigt sich, daß jenseits der auf dem Trennungsdenken basierenden formal-systematischen Perspektive eine Managementkonzeption denkbar wird, die auf die Evokation von mehr Diversität und Flexibilität innerhalb eines gemeinsamen kulturellen Pools der Möglichkeiten zielt, um die Abstimmung ausdifferenzierter Systeme in wechselperspektivischen Prozeduralisierungen zweiter Ordnung zu erhalten und damit die Sensibilisierung gesellschaftlicher Subsysteme für ihre natürliche Umwelt zu steigern.

XI. Ausblick

Die vorliegende Arbeit versteht sich als Beitrag zu einer Rechtstheorie der Prozedualisierung von Komplexität. Prozedualisierung wird dabei nicht nur als Verfahren der Festlegung von Entscheidungskriterien begriffen, sondern vielmehr als eine Form der Bewältigung des Effekts der Verschleifung das Spektrum der Entscheidungsoptionen und des Optionenraumes selbst durch Modellbildung. Die unter solchen Bedingungen zu operationalisierende experimentelle Entscheidung, die in privaten wie öffentlichen Organisationen ihre eigene praktische Wissensbasis weder voraussetzen noch allgemein auf ihre spontane Erzeugung durch praktische Versuch-Irrtums-Strategien vertrauen kann, wird erst durch "hybride", die traditionelle Abschichtung "natürlicher Komplexitätsniveaus" durchlässig haltende (aber nicht auflösende!) intra- und interorganisationale Verknüpfungen auf Wissensgenerierung angelegte ermöglicht. Die neuen Anforderungen, die an das Recht unter Komplexitätsbedingungen gestellt werden, müssen sich aber zunächst gerade der kognitiven, praktische Orientierung ermöglichenden Seite des traditionellen liberalen Eingriffsabwehrdenkens versichern, wenn die mit dem Aufstieg der Organisation (und ihrer Selbstveränderung) einhergehenden Rückwirkungen auf die Wissenssysteme der Gesellschaft und die sie institutionalisierenden Rechtsformen beschrieben werden sollen. Nur unter dieser Voraussetzung ist eine "komplexitätsgerechte" Weiterentwicklung des Rechts möglich, die die Falle der Unmittelbarkeit vermeidet, die im Prozeß der Selbsttransformation der Gesellschaft immer wieder neu aufgestellt wird. Es ist dies die Illusion zu glauben, als könnte das an die Institutionen gebundene und über sie produzierte und prozessierte Wissen "dem Menschen" selbst durch Entscheidung verfügbar werden. Daß dieser Versuch immer wieder zu einer entzivilisierenden Vernichtung gesellschaftlichen Wissens führt, steht seiner unendlichen Wiederholung keineswegs im Wege. Auch das "ökologische Denken" tendiert dazu, die Durchlässigkeit der traditionellen Trennungen und die Variabilität der Zurechnungen dahin mißzuverstehen, als sei die Disposition darüber durch demokratische Entscheidung möglich und die Vermeidung ungewollter Nebeneffekte nur eine Sache des guten Willens. Es ist aber gerade die Eigenart a-zentrischer Netzwerkbildung, sich der guten Absicht zu entziehen: Die westliche Zivilisation basiert im

270

XI. Ausblick

Grunde auf einer Objektivierung und Institutionalisierung des Wissens, die sich der Unmittelbarkeit des Bewußtseins entzieht. Die Akzentuierung der unmittelbaren Wirkung der individuellen Rechte als Eingriffsabwehrrechte des jeweils Handelnden gegenüber dem Staat hat den im Grunde viel wichtigeren mittelbaren strukturbildenden kollektiven Effekt der Gewährleistung einer durch das Verhalten der jeweils anderen ermöglichten Infrastruktur der Wissensgenerierung im allgemeinen und der Erwartungsbildung im besonderen vernachlässigt. Dadurch ist auch der Zugang zu den durch den Aufstieg der Organisation als des primären Akteurs veränderten Bedeutung des Rechts erschwert worden. Die Notwendigkeit der Bewältigung von Komplexität - nicht nur im Umweltrecht - sollte Anlaß sein, diesen kollektiven Effekt des Rechts wieder in das Zentrum zu rücken und danach zu fragen, wie das Recht unter Bedingungen der durch Organisationen beschleunigten gesellschaftlichen Transformation durch Setzung von Anreizen zur Erhaltung und Bildung wissensgenerierender intra- und interorganisationaler Beziehungsnetzwerke eine neue "komplexitätsgerechte" Form der Lernfähigkeit gewährleisten kann, die als funktionales Äquivalent des früheren Verweisungszusammenhangs von normativen und kognitiven Komponenten des liberalen, um das Individuum zentrierten Rechts gelten kann. In den ersten Kapiteln ist vor allem auf den notwendigen Zusammenhang zwischen den Wissenssystemen, den sie strukturierenden Paradigmen und deren Verstetigung und Koordination durch gesellschaftliche Institutionen hingewiesen worden: Die gesellschaftlichen Institutionen bauen Anschlußmöglichkeiten und -zwänge für die Erwartungsbildung auf, andererseits erzeugen sie über Stoppregeln Vertrauen, das die Fortentwicklung des Wissens kanalisiert und strukturiert. Es ist eine der Thesen dieser Arbeit, daß an der Notwendigkeit der Wiederherstellung einer anderen Variante der Koordination von Wissenssystemen, Institutionen und Werten, die früher durch das Kausalitätsparadigma, die Erfahrung und ihre Verknüpfung mit der Erwartungsbildung und der Normstruktur der Gesellschaft gewährleistet worden ist, kein Weg vorbeiführt. Die Bewältigung dieses Problems wird aber dadurch erschwert, daß eben mit der Auflösung des beschriebenen Paradigmas auch die Möglichkeit der Organisationen zur Entlastung von Selbst- und Fremdbeobachtung einhergeht, da weitaus mehr über die Notwendigkeit des Lernens und seiner Verteilung zwischen den gesellschaftlichen Systemen und Organisationen gestritten werden kann. Eine solche, in unterschiedlichen Erscheinungsformen auftretende Strategie bleibt selbst noch an die Darstellungsbedingungen des hierarchischen Kausalitätsparadigmas gebunden, indem es dessen vorausgesetzte Strukturierungsleistung auf die Setzung durch "demokratische Entscheidung" zu übertragen sucht. In der (selbst-)organisierten Gesellschaft müssen zwar Praxisformen explizit gewährleistet werden, die sich früher in einem Evolutionsprozeß spontan durchgesetzt haben. Dennoch müssen Koordinationszwänge akzeptiert werden, die nicht auf Vereinbarung oder Ent-

XI. Ausblick

Scheidung zurückgeführt werden können, sondern die als kollektive distribuierte Generierungsmuster einen Pool multipler Möglichkeiten schaffen, der alle Eigenschaften eines öffenüichen Gutes hat. Auch das Recht muß dazu beitragen, daß ein den veränderten Bedingungen der Wissenserzeugung angepaßtes Modell der Institutionalisierung geschaffen wird, das über nicht-subjektive "distribuierte" Verknüpfungen von Selbst- und Fremdbeobachtung die Konfrontation der Gesellschaft mit selbstgeschaffenen Zwängen und ihre produktive Bewältigung ermöglicht.

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