Von der Koexistenz zum Frieden
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Bruno Liebrucks VON DER KOEXISTENZ ZUM FRIEDEN

Herbert Lang Bern Peter Lang Frankfurt am Main 1972/73

VON DER KOEXISTENZ ZUM FRIEDEN

ISBN 3 261 00815 6

© Herbert Lang & Cie AG Bern Peter Lang GmbH Frankfurt am Main 1972

Nachdruck oder Vervielfältigung auch auszugsweise in allen Formen wie Mikrofilm, Xerographie, Mikrofiche, Mikrocard, Offset verboten. Druck: Fotokop, Wilhelm Weihert, Darmstadt

In unseren Tagen ist nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in anderen Teilen der Welt manchmal von der Aufhebung des Ost-WestGegensatzes die Rede. Verbirgt sich unter der Formel der Koexistenz nur eine andere Kampfstrategie in der Auseinandersetzung der gestern noch so genannten beiden Welthälften oder zeigt sich am Horizont ein schwacher Schimmer dessen, was wir meinen, wenn wir das Wort Frieden aussprechen? In der christlichen Tradition knüpft das Wort Frieden an ein Kind an, das in einer Krippe lag. Zu diesem Kind zogen Könige aus dem Morgenland, von einem Stern geführt, um es anzubeten. Darauf befahl der König Herodes den Kindermord im eigenen Land. Diese Geschichte stammt aus dem Logos. Sie möge daher als Maßstab für die Anforderung an das logische Formniveau dienen, wenn die Wegrichtung der Überschrift eingeschlagen wird. Dieser Friede trat so auf, wie der Friede auf der Erde aufzutreten pflegt. Die politische Macht erhebt sofort ihre Stimme, die nicht die Stimme der Sprache, sondern der Handlung als Tat ist. Das Aussprechen des Friedens versetzt uns in Angst. Wir gebrauchen das Wort Koexistenz, um nicht sentimental zu erscheinen. Man will im nüchtern erscheinenden Gebrauch des Fremdworts den sogenannten Realitäten Rechnung tragen. Die Zeit der um:nittelbaren Verwirklichung 5

von Wunschträumen scheint vorüber~ nachdem solche Unmittelbarkeit einige Schaustellungen in unserem Jahrhundert gegeben hat. Folgen wir in solcher Ernüchterung einem Realitätssinn, der im Zusammenleben der Menschen ein besserer Garant für den Frieden sein könnte? In unserer zivilisierten Welt könnte der nüchterne Ausdrud< ,,Koexistenz" auf die Signatur unserer Zeit hinweisen. Sie besteht darin, daß die Wegrichtung, die wir objektiv einschlagen, mit verkehrten Wegweisern beschriftet ist. Zu oft ist den Völkern in der Geschichte die Freiheit versprochen worden, damit der wirkliche Weg in umgekehrter Richtung verlaufen konnte. Aber zu keiner Zeit wissen wir, ob es so ist. Im Dunstkreis der Informationen, mit denen wir täglich überschüttet werden, ohne daß uns die Zeit bliebe, auch nur eine einzige von ihnen mit Vernunft zu betrachten, werden wir von ihnen geformt, bevor wir sie auf ihren Wirklichkeitsgehalt befragen können. In einer solchen Situation ist jede unmittelbare Rede über den Frieden nicht davor gefeit, uns Informationen ohne Wirklichkeitsgehalt zu geben. Deshalb soll in dem folgenden Gespräch zwischen zwei um Philosophie bemühten Partnern vom Frieden erst am Schluß die Rede sein. Es soll darauf hingewiesen werden, daß Informationen heute eher geeignet sind, uns von der Wirklichkeit, in der wir leben, abzusperren, als unser Bewußtsein vor die eigene Ver6

nunft zu bringen, die Wirklichkeit und nicht Illusionen vernimmt. Die Behebung dieser Schwierigkeiten kann nach der Meinung des Verfassers dieses Gesprächs nicht anders geleistet werden als auf dem Weg über die Besinnung auf den logischen Status, in dem wir jeweilig stehen und in dessen Horizont wir unsere Erfahrungen machen. Das Gespräch wird von zwei Partnern geführt, von denen wir annehmen, daß sie an der Verwirklichung des Friedens interessiert sind und nicht an den Schlagworten als Vehikeln der Politik. In der Bezeichnung „Schlagwort" tritt der Schlägercharakter seiner Verwendung zwar unmittelbar auf. Er wird jedoch übersehen. Es bedarf daher des Umweges über heute als esoterisch verschrieene Oberlegungen, um in die Gegend zu gelangen, in der der Friede unter Menschen intendiert und verwirklicht werden kann. Das Gespräch findet zwischen zwei Menschen auf einem Kongreß statt, auf dem Vorträge und Diskussionen über Philosophie und Wissenschaftstheorien stattfinden. Es wird an einem vortragsfreien Vormittag bei Gelegenheit eines Spazierganges in den Straßen einer modernen Stadt geführt.

DAS GESPRÄCH A. In der ganzen Welt spricht man heute von einer Entspannungswelle, die durch die Völker und sogar 7

durch die verschiedenen Gesellschaftssysteme gehen soll. Welche Ursachen das auch immer haben mag, wir sollten die sich bietende Chance ergreifen. Was würden Sie dazu sagen, der Sie die Meinung vertreten, daß der Friede unter den Menschen bei der heutigen Bewußtseinslage nur dann erreicht werden kann, wenn man sich auf den logischen Status besinnt, von dem aus er überhaupt sichtbar wird. Sie haben außerdem gesagt, daß es sich dabei nicht um ein von uns gern „strategisch" genanntes Verfahren handeln kann, das eine Theorie erstellt. Sie sind ja der ausgesprochenen Meinung, daß das Wort „strategisch" das Gegenteil seines von uns intendierten Verwendungssinnes verrät. Was ist also Ihr Gegenvorschlag? B. Handle sprachlich. A. Das ist ein Imperativ. Ich glaube aber von Ihnen gehört zu haben, daß ein imperativisches Ethos nicht zum Frieden führt. B. Bevor der von mir ausgesprochene Imperativ begriffen wird, ist die Reflexion zu leisten, daß jede menschliche Handlung, die vernünftig ist und als solche den Frieden unter den Menschen vorbereiten hilft, sprachlich ist. Sprache selbst dagegen ist nicht handlungsförmig. A. Wenn dem so ist, wozu dann der Imperativ? B. Jedes Ethos ist immer auch imperativisch. Ihre Frage dagegen scheint mir von einem Extrem ins andere zu fallen. Wenn es allgemein so ist, scheint es 8

keiner Vermittlung zwischen dem Handeln und der Sprache zu bedürfen. A. Sie haben mich verstanden. B. Es kommt auf die Vermittlung zwischen der einzelnen Handlung und i h r e m Allgemeinen als einem nicht begrifflichen, sondern wesentlichen Charakter an. A. Wenn Sie „wesentlicher Charakter" sagen, so meinen Sie das, was Hegel im zweiten Teil der Logik das Wesen genannt hat? B. Ja. A. Es wird nicht leicht sein, darüber ein Gespräch zu führen, dazu noch auf offener Straße. B. Deren Offenheit die Verschlossenheit vor der Philosophie demonstriert. A. Jedenfalls davor, was Sie Philosophie nennen. Sie wollen also mit ihrem Imperativ sagen: ,,Handle vermittelt". B. Damit ist das Wort „vermittelt" im Extrem. „Sprachlich" ist kein Extrem. Die Vermittlung ist kein Mittel. A. Wie in der Politik, in der man immer von einem Extrem in das andere fällt? B. Einmal ist es die Rasse, dann ist es die Gesellschaft. A. Man muß pragmatisch hindurchsteuern. Es ist beides zu beachten. B. Was wir beachten, begreifen wir noch nicht. Ihr s·atz ist ein Imperativ. 9

A. Die Handlung hat den Vorrang. B. Bei Ihnen. A. In jeder Theorie über Handlungen ist das imperativische Moment zu beachten, wie Sie doch auch sagen. Sonst bleibt die Frage der Realisierung draußen. B. Ich unterscheide Realisierung und Verwirklichung. Die Frage der Verwirklichung ist nicht eine Frage nach dem, was die Handlung wesentlich ist, sondern was sie begrifflich ist. Dazu muß man in die Schule gehen. A. Was sagt denn der Lehrer? B. Der Lehrer, der dieses Mal nicht Hegel, sondern Hölderlin ist, sagt etwas, was nur in weitausgreifender Rede sagbar ist. Aber Sie haben ja wohl ,,Patmos" gelesen. A. Ich habe darin gelesen. Mit dem Frieden hat das wohl zu tun. Aber es ist gut, daß Sie auf dem Kongreß davon nichts gesagt haben. B. Wie gut das ist, werden Sie gleich sehen. Der Lehrer sagt: ,,und es sahe der achtsame Mann das Angesicht des Gottes genau". A. Das ist Mythos! B. Mythos heißt Wort. A. Wir sind aufgeklärt, emanzipiert. B. Dann ist ja alles gut. A. Es ist aber nicht alles gut. B. Ich zog nur eine Folgerung. A. Konsequenz ist die höchste Obliegenheit eines 10

Philosophen. B. ,,Das aber erkannt' er. Alles ist gut. Drauf starb er." A. Sie meinen, Hölderlin hätte auch nur die Konsequenz gezogen? B. Nein, er hat hingehört. A. Aha! Das hat wohl mit der Sprache zu tun. B. Niemand spricht, ohne zu hören. A. Dann wäre also alles gut. B. Wir sind im logischen Stadium des Imperativs. Wir sollten hinhören. A. Das ist mir eine schöne Logik. Der Mensch soll immer das tun, was er eh schon tut. B. Ich sagte nicht „tun", sondern „hinhören". A. Das ist heute Talmi. B. So wie Mythos. A. Das Insistieren auf der Sprache ist reaktionär. B. Dann müssen wir mit dem Gespräch aufhören. Wir wollen doch nicht reaktionär sein. A. Die Handlung hat den Vorrang. B. Sie meinen es etwa so, wie man ein Versprechen geben kann? A. Ein anständiger Charakter hält ein gegebenes Versprechen. B. ,,Ich" kann dabei sich versprechen und die Sprache versprechen. A. Sie sagen „Ich" und verwenden es objektiv. B. Ich verspricht immer sich. A. Auch wenn Ich etwas verspricht? 11

B. Die Alternative, daß Ich entweder etwas verspricht oder auf sein Versprechen reflektiert, ist logisch falsch. A. Husserl wai: anderer Meinung. B. In den „Logischen Untersuchungen". Später hat er seinen Irrtum eingesehen. Er hatte aber zu wenig Kenntnisse von Hegel, um sich denkend in dem logischen Status festzuhalten, der dieser Einsicht entspricht. A. Worin besteht dieser logische Status? B. Indem Ich etwas verspricht und dabei sich verspricht, geht Ich in den wesentlichen Grund. Aus ihm kommt es existierend hervor. A. Das ist Mystik. B. Das ist Logik. Im Gespräch allerdings nur ein schwacher Hinweis auf sie. A. Ein anständiger Logiker hat keine Hintergedanken. Logik mit Mystik auffrisiert, das machte gestern berühmt. Aber heute hört niemand mehr zu. B. Mythos und Mystik sind keine Mittel. A. Sie legen die Hände in den Schoß. B. Die Hände sprechen mit, nachdem sie Jahrtausende lang mühsam gearbeitet haben. Ihre Arbeit ist in der Sprache gegenwärtig. A. Wir wollen den Menschen von der harten Arbeit ~rlösen. B. Erlöse uns von dem Übel. A. Mit einem Menschen, der die Disziplinen durcheinanderwirft, kann man nicht sprechen. Er redet 12

nicht verständlich. B. Ich versuchte, etwas Vernünftiges zu sagen. Dabei habe ich mich, der Situation entsprechend, vergriffen. A. Was Sie gesagt haben, ist schon vergriffen. B. Bei dem Versuch, das Vergriffene doch noch zu ergreifen, vergriff ich mich. A. Das musikalische Glockengeläute, das Sie Sprache nennen, ist vergriffen und lädt zum Vergreifen ein. B. Ist der Logos auch vergriffen? A. Gestern war es so. Aber seit 1831 ist es besser geworden, wenn auch nur allmählich. Jetzt geht es wieder los. B. Hoffentlich. Aber bevor es richtig losgeht, fällt mir eine Geschichte ein. A. Eine Geschichte? B. Sie gehört zu einem der vielen Umwege zur Erreichung des menschlich friedlichen logischen Status, wenn er in einem Gespräch wenigstens anvisiert werden soll. A. Da bin ich gespannt. B. Der Geschichtenerzähler berichtet nicht unmittelbar über ein Geschehen. Er teilt eine Geschichte mit, bei der er dabei war und die er zugleich von der Muse gehört hat. A. Was mich betrifft, so können Sie sie jetzt mitteilen. B. Ich war 1949 in Hoek van Holland, um nach 13

England zu fahren. Wir waren fast nur Deutsche. Ein Holländer verteilte Schokolade. Das heißt, er bot sie zum Verkauf an. Dabei pries er nicht die Ware an, sondern sagte nur: ,,Es geht wieder los". A. Wo ist die Pointe der Geschichte? B. Ich fand, daß der Mann die Wahrheit sagte und fürchtete mich sehr. A. Sie meinen, er hat eine richtige Prognose gestellt. B. Ich meine, daß er die Wahrheit gesagt hat. Vor Prognosen fürchte ich mich nicht. A. Aber die Wahrheit fürchten Sie! B. Ja, wie die Sprache. A. Wenn die Sprache nicht unter die Handlung subsumiert werden kann, sie der Handlung nicht inhäriert, brauchen Sie sich nicht zu fürchten. B. Vielleicht gerade deshalb. A. Ich möchte nicht unhöflich werden. Solche Reden erschienen mir bis gestern sinnlos. Heute würde ich sagen: Es mag an mir liegen. Aber ich kann mit ihnen keinen Sinn verbinden. B. Das kann man wohl sagen. A. Man weiß nicht, ob von etwas oder von nichts die Rede ist. B. So etwa, wie am Anfang der Hegelschen Logik. A. Na, sehen Sie! B. Darf ich noch eine Geschichte erzählen? Sie geschah auch und die Muse war wieder dabei. A. Mit der stereotypen Einleitung haben Sie ja 14

schon begonnen. B. Es war nicht 1949, nicht in Holland, sondern 1934, in Königsberg. Ich studierte dort. Als ich auf dem Paradeplatz vor der Universität in Richtung der Buchhandlung Gräfe & Unzer ging, am Kantdenkmal vorbei, hörte ich einen ehemaligen Studenten, der Zeitungsverkäufer geworden war, eine Nachricht ausrufen. Es waren etwa 50 Leute auf dem Platz und der Straße davor. Ich trat näher und hörte die Worte ,,Adolf Hitler ermordet, Adolf Hitler ermordet". A. Natürlich stürzte sich alles wie wild auf den Zeitungsverkäufer. B. Nein, es waren nur einige, die lässig vorbeigingen und ihm das Blatt abnahmen. A. Na und? B. Der Zeitungsverkäufer bog bei der Buchhandlung in eine Straße ein, und ich hörte noch gerade, wie er rief: ,,Schamlose Lügen in Moskau". A. Haben Sie sich eine Zeitung gekauft? B. Nein. A. Warum nicht? B. Ich interessierte mich für Hitler nicht unmittelbar. A. Da sieht man, wie Sie geschlafen haben. B. Das Dumme an der Sache ist nur, daß ich mich in einem entsprechenden Schlaf noch heute befinde. A. So weit brauchen Sie nicht zu gehen. Das nehme ich Ihnen nicht ab. Unsere Studenten jedenfalls sind wacher als Sie damals. Aber Sie sollten das under15

statement nicht zu weit treiben. B. Ich bin an Hitler und jeder Piraterie, wo sie auch auftritt, heute immer noch nicht unmittelbar interessiert. A. Wofür interessieren Sie sich unmittelbar? B. Für Logik. A. Ach. B. Man sollte es nicht für möglich halten. A. Sie wollen in Ihrer versteckten Sprache doch nicht andeuten, daß die zivilisierte Richtung in der Logik, die von Westen her kommend endlich unsere philosophischen Wälder lichtet, etwas mit Piraterie zu tun hat? B. Ich bin kein Mann des understatements und der Andeutungen, wenngleich auf das Logische, das mit dem Frieden zu tun hat, in einem Gespräch nur hingewiesen werden kann. A. Auf welcher Seite standen die strengen Logiker aus dem Westen? Sie können sogar zufrieden sein. Einige stammten aus Wien. B. Wien hat uns schon einiges gebracht. A. Aber wir haben es angenommen. B. Dieses Mal werden wir es wieder annehmen. A. Das hoffe ich. Wie kommen Sie eigentlich auf diesen Kongreß? B. Ein Freund hat mich eingeladen. A. ,,Handle sprachlich". Habe ich recht verstanden, wenn das heißen soll: Engagiere dich nicht? B. Ich habe doch gesagt, daß ich mich engagiere. 16

A. Sollte ich das überhört haben? Wofür engagieren Sie sich? B. Für Logik. A. Warum erzählen Sie dann immer Geschichten? B. Weil die Geschichten aus dem Logos kommen. A. Wenn ich recht verstanden habe, war die Muse dabei. B. Sie kommt auch aus dem Logos. A. Aus welchem Bereich? B. Die stillen Räume der Logik sind keine Bereiche. A. ,,Mein Reich ist nicht von dieser Welt." B. Jetzt haben Sie sich vergriffen. A. Man paßt sich an. B. Man kann die Umwelt nicht ignorieren, in der man lebt. A. Leider nicht, man würde ersticken. B. Vorher erblindet man. Sokrates fürchtete sich, an der Seele zu erblinden. A. Seit Kant sollte man wissen, daß es nicht möglich ist, mit Sinn von so etwas wie „Seele" zu sprechen. Nietzsche hat es Kant in seinen wachen Augenblicken nachgesprochen. Er sagte es in der Sprache seiner Zeit, was damals so unzeitgemäß war wie heute. B. Ich wußte nicht, daß Kant derartiges gesagt hat. A. Natürlich nicht wörtlich. Aber lesen Sie einmal das Paralogismuskapitel. B. Das habe ich gelesen. A. Es gibt natürlich viele Kantinterpretationen. 17

B. Warum natürlich? A. Weil die Leute nicht logisch denken können. B. Anders als logisch können wir ja wohl nicht denken. A. Das sagen Sie so hin. Zwischen dem, was ich und der gesunde Menschenverstand unter Logik verstehen und Ihren Geschichten gibt es keine Ähnlichkeit. Sollten Sie überhaupt Logik treiben, so bewegen Sie sich in Scheinproblemen der Logik. B. Die Scheinprobleme der Logik sind die Probleme des Scheines. A. Im Hervorzaubern von Tricks scheinen Sie gut geübt. B. Zu diesem „Trick" brauchte Hegel einige hundert Seiten seiner Logik. A. Soll das ein Argument sein? B. Bevor ich das behaupte, gehe ich freiwillig ins Irrenhaus. A. Das können Sie nicht. Das sogenannte Problem der Willensfreiheit ist auch eines der Scheinprobleme. B. Es mag in der Tat ein Scheinproblem sein, aber nicht in der Sprache. A. Wie meinen Sie das? B. Der Mensch ist nur als nichtfestgestelltes Tier animal rationale. A. Woher wissen Sie das? B. Jede Selbstdisziplinierung zur Logik, auch wenn sie nur formal sein soll, hat das vorausgesetzt. 18

A. Sie werfen wieder die Disziplinen durcheinander. Das mag ontologisch, phylogenetisch oder ontogenetisch, so sein. Aber es ist kein Problem der Logik. B. Es ist kein Problem der Logik als einer Logik der Wissenschaft. Es ist ein Problem der Logik als Zentrum der Philosophie, ein Problem der Wissenschaft der Logik. A. Wir müssen den Menschen in seine Gesellschaft integrieren. Dazu brauchen wir eine Logik, die Techniken erstellt. Wir leben in der Zeit der Technik, der sich auch die Politik beugt. Nur das Mechanisierte ist logisch. B. Nur das Mechanisierte, auch innerhalb von Bewußt-Sein, ist technisch. Nur im Bereich des Mechanisierten ist die Bedeutung eines Begriffs identisch mit seiner Verwendung. Um das zu wissen, muß man eingesehen haben, daß die Integration des Menschen in seine Gesellschaft theoretisch ein Schwindel ist, wie die Interpretation der Integralrechnung als einer Theorie. A. Ein Intervall ist kontinuierlich, wenn es immer noch einen Zwischenraum gibt, der kleiner ist als jeder beliebig kleine. Wir können den Fehler beliebig klein machen. B. Was haben solche Operationen mit der Logik zu tun? A. Die Logik ist der Inbegriff solcher Operationen. B. Da unterscheiden wir uns. Hamann hat gesagt: 19

„Vernunft ist Sprache!" Hegel hat gezeigt, daß Operationen noch begrifflos sind. A. Ihre Rede von einer Philosophie von der Sprache her konnte man sich allenfalls gefallen lassen. Man überhört so etwas am besten. Aber eine Logik von der Sprache her dürfte der Ungereimtheiten größte sein. Die Folgen bleiben dann nicht aus. Sie interessieren sich dann nicht mehr für das Zusammenleben der Menschen. B. Vielleicht nur nicht unmittelbar. Es gibt Zeiten, in denen sich nur Solipsisten für die Gesellschaft interessieren. A. Kein Mensch kann Solipsist sein. B. Aber das, was er so Denken heißt, kann er so betreiben. A. Cum principia negando non est disputandum. B. Vor allem nicht mit jemand, der Prinzipien kennt, die zugleich Ereignisse sind. A. So bringt man Ereignis und Erwähnung durcheinander. B. Sie sind immer zugleich getrennt. Aber die Unmittelbarkeit ihrer Trennung ist zugleich ein Ereignis und ein Wahn. A. Halten Sie das für den Wahn unserer Zeit? B. Ja. A. Ich habe mich hinreißen lassen. Aber das ist die Gegend, in der ich Sie vermutet habe. B. Der Vemunftinstinkt verläßt auch den Solipsisten nicht. 20

A. Halten Sie mich für einen Solipsisten? B. Wir sind zu uninteressant, als daß es sich lohnte, über uns zu reden. A. Mir geht es auch immer um die Sache. Man soll nur Sachfragen stellen. B. Meinen Sie „Sachlichkeit ist Sittlichkeit"? A. Abgesehen von dem hochtönenden Wort „Sittlichkeit" würde ich es bejahen. B. Die Ober- und Untertöne bringen manchmal auch das Nichttönende zum Tönen. A. Sie bleiben ein Hinterweltler. B. Das hoffe ich nicht. Bei Dante wird im Inferno mit dem hinteren Mund zum Abmarsch geblasen. Die also Verfahrenden legitimieren sich hinterweltlich. A. Halten Sie es für notwendig, solche Obszönitäten von sich zu geben? B. In manchen natürlichen wie geschichtlichen Situationen ist das notwendig. A. Sie bleiben ein Hinterweltler. Die Logik ist rein. B. Ein Bote, der nicht von Gott kommt und zugleich rein ist, ist nur dadurch entschuldigt, daß er nicht existiert. A. Wir werden die Sprache hintergehen und dann hinterfragen. B. Müßten Sie das nicht für hinterweltlerisch halten? A. Nein, hinterweltlerisch ist jede Rede vom Mythos. 21

B. Was verstehen Sie unter Mythos? A. ,,Handle sprachlich" heiße „handle mythisch" und wir haben, ob in rechten oder linken Lagern den Trend zum Verbrechen, der immer Auschwitz zu seinem Limes hat. B. Wenn das eine angenäherte Erklärung dafür sein soll, was Sie unter Mythos verstehen, so könnte ich das mit dem Satz vergleichen, daß die Mathematik das Wesen, in unserem Gespräch den logischen Platonismus, zu ihrem Limes hat. A. Das ist eine Analogie, auf deren schlüpfrigen Pfad man sich nicht begeben sollte. Der Limes Auschwitz ist erreicht. B. Hier türmen sich die Schwierigkeiten, die einem Gespräch über das Verhältnis von Logik und Frieden im Wege stehen. Ich muß mich wieder mit einem Hinweis begnügen. Es gibt eine Logik, in der der Schluß der Analogie nur die Enthüllung dafür ist, daß der Schluß des Daseins, der nicht mit dem kategorischen zu verwechseln ist, nicht schließt. In der Tradition ist dieser der vollkommene Schluß. A. Das müßten Sie erst einmal zeigen. Aber abgesehen davon, man muß nicht gleich in mythische Zeiten springen. B. Es bedarf keines Sprunges. Wir sind mitten in ihnen. A. Mythen sind nur abgekürzte verschwommene Berichte aus einer dunklen Vergangenheit, die der Phantasie freien Spielraum gewährt. Außerdem 22

waren die mythischen Geschichten nicht Geschichten des Friedens. B. Jetzt sieht es so aus, als müßten wir nicht nur die Wirkungsgeschichte, sondern auch die Interpretationsgeschichte des Mythos in der Bedeutung vorhomerischer und homerischer Geschichten durchgehen. Wir ließen sie Revue passieren. Es entstünde dann der Schein einer wissenschaftlichen Aufgabe, in der nicht der Mythos, sondern meistens eine gerade vergangene Zeit gespiegelt wird. Der Mythos gleicht keinem Spiegel. A. Der zuletzt ausgesprochene Satz ist nur dann sinnvoll, wenn Sie schon wissen, was der Mythos ist. B. Sagen wir also mit Plato: Setzen wir zwei e:t8'1) des Mythos. Das eine heißt : ,,Der Weg nach Auschwitz." Das andere heißt: ,,Der Mensch hat zu allen Zeiten im sympathetischen Weltbild gelebt und gehandelt. Im Maschinenzeitalter ist es besonders deutlich. Er begreift sich selbst als Maschine." A. Ist auch die Mathematik ein Mythos? B. Ein länger dauernder. Wir kennen die Zeit des Uralten nicht. Um den alten Mythos mit dem der formalen Logik und dem der Mathematik vergleichen zu können, muß man den Standort kennen, der beide übergreift. Es ist der Standort des sympathetisrnen Weltumgangs. A. Das ist kein Standort. B. Richtig. Es ist die Sphäre, in der Menschen immer gelebt haben und denken. Es ist die Sphäre 23

der Möglichkeit der Erkenntnis. A. Was heißt dann „Handle sprachlich"? B. Handle so, daß du deine Handlung auch dann bejahen kannst, wenn du dich als von ihr behandelter ansiehst. A. Dann könnte kein Richter ein Urteil sprechen. Was Sie vortragen, ist allenfalls eine Gärtnerphilosophie. B. Der Garten spielt in der Geschichte des Menschen als Bewußt-Sein eine bedeutende Rolle. Denken wir nur an das Paradies, den Garten Epikurs, den Garten Hölderlins. A. Man soll die Menschen so behandeln, wie man Pflanzen behandelt? B. Es wird nicht ein Garten der Pflanzen und Tiere sein, sondern der Garten des Menschen. A. Dann ist nicht das verständige, sondern das gärtnerische Handeln das menschlich_e.7 B. So denke ich. A. Wird wieder ein Gott in diesem Garten wandeln? B. Er wird als Sprache und in der Sprache der Menschen gegenwärtig sein. So wird er auch an den Äpfeln der Bäume sichtbar sein. Erst dann ist der Mythos unblutig. A. Eine schöne Utopie. B. Vielleicht die des Friedens. A. Das Bestreben, aus den Menschen Engel zu machen, macht sie zu Bestien. 24

B. Von Engeln war nicht die Rede. Pascal behält recht. A. Utopie ist Ortlosigkeit. B. Der Garten ist der logische Ort der Zeit. A. Wer soll das verstehen? B. Wir sollten auf die Geschichte hören, die schon von den Schwierigkeiten erzählt hat, die selbst für einen Heroen wie Herakles entstanden, als er auf dem Weg zu den Gärten der Hesperiden war. Wir müssen den Mythos davon in unser Wissen aufnehmen. A. Das bleibt alles sehr vage. B. Es ist in diesem Gespräch eine vage, aber unerhörte Horizontauffächerung. A. Sie haben doch einmal gesagt, wir •seien für unsere Horizontauffächerungen verantwortlich. B. Es wird lange dauern, bis wir den gesellschaftlichen Grad der Freiheit erlangt haben, um diese Verantwortung in das Bewußtsein aufnehmen zu können. A. Sie glauben, daß wir auf diesem Weg sind? B. Einige wenige wohl. Das Durcheinander der Geschichte ist kein gerader Weg. Aber es ist menschlicher als die geraden Linien und Straßen, auf denen immer marschiert wurde. Es gibt keinen Weg zurück zum Mythos. Wir wollen die gesellschaftlichen Zustände, denen er entsprang, nicht. A. Wir wollen die Wohlstandsgesellschaft. B. Es gibt einige, die sie nicht wollen. Nicht von 25

vergangenen aristokratischen Idealen her, die sie niemals gehabt haben, sondern weil sie in der Nichtidentität des Menschen mit den in der Tradition aufgerichteten Hierarchien noch die Identität alles dessen, was Menschenantlitz trägt, wissen. A. Das kann man heute nicht mehr so in das Bewußtsein unserer Mitbürger und Zeitgenossen bringen, daß darin nicht nur der Wille zur Erhaltung alter abgestorbener Gesellschaftsstrukturen gesehen wird. B. Sie haben damit leider insofern recht, als man solche Gedankengänge nicht mehr in intentione recta vortragen kann. Schon die Gewundenheit unserer letzten Bemerkungen zeigt die Furcht, daß hier gerade die Klügsten das Mißverständnis dem Verstehen vorziehen werden. Deshalb kann der heute politisch wache Mensch sich nicht mehr unmittelbar für das Politische interessieren. Nur die Philosophie kann Licht in diese Verhältnisse bringen. A. Aber Sie sagen selbst, daß es zur Signatur unseres Zeitalters gehört, daß Philosophie in ihm kein Dasein hat. B. Dem muß man ins Auge sehen, auch wenn man darin die Signatur der Unwahrheit sieht. Die Zeitalter unterscheiden sich danach, wie weit sie Philosophie in ihr Bewußtsein einlassen oder nicht. A. Was ich für einen Fortschritt halte, ist in Ihren Augen Rückschritt. B. Ich denke nicht in Kategorien wie Fortschritt 26

oder Rückschritt. Es handelt sich vielmehr einerseits um die Kraft der Bewußtheit, den Begriff, der im menschlichen Leben Existenz hat, sofern er Leben begründet und erkennt, andererseits um selbstveranstaltete Bewußtlosigkeit, die sich nur noch für das bereits Mechanisierte interessiert. A. Da wir uns hier über logische Fragen nicht gut unterhalten können, sollten Sie dafür ein Beispiel aus einem Gebiet geben, das aktuell ist, aber nicht zur Logik gehört. B. Man kann nicht darüber jammern, daß die Tiere aussterben, und sie in einer Wissenschaft untersuchen, die das Aussterben herbeigeführt hat. Das ist ein Pflaster auf die Wunde, das in die Wunde fällt. Der Mensch ist nicht ein höheres W e s e n , sondern als existierender Begriff logisches T i e r , das ohne seine Brüder nicht leben kann. A. Wenn ich darauf eingehen soll, so darf ich das wohl dahin verstehen, daß die Einsicht in diese paradox anmutende Situation, in der sich danach die Verhaltensforschung befindet, nicht ins Bewußtsein gelangen kann, wenn nicht vorher Philosophie zu Wort käme. B. Ich kann Ihnen sagen, wie ich mir das vorstelle. Sie werden dabei sehen, daß das heute nahezu unmöglich ist. Man setzt immer noch am besten bei Kant ein. Bei ihm ist der Raum zusammen mit den Kategorien Bestimmtheitsmöglichkeit an Anschauungsvorstellungen. 27

A. Das glaube ich einigermaßen zu verstehen. Aber man wendet immer ein, daß darin die Elimination des Raumes liegt, in dem wir wirklich leben. B. Das sind schon Widerstände innerhalb der Philosophie. Ich füge noch hinzu, daß die Räume im Plural Bestimmtheitsmöglichkeiten an Anschauungsgegenständen sind, wie sie im Augenblick 'ihrer Konstitution sind. Das „sind" zeigt auf eine Ontologie, die sich innerhalb der Logik konstituiert. Der Raum im Singular ist das stehende Bild des Bildens überhaupt, worin die Fichtesche Dimension der ersten Ontologisierung Kants besteht, die Hegel überwunden hat. Die Räume im Plural sind das Worin der Konstitution der Anschauungsgegenstände. Dieses Worin ist die Hegelsche Idee. In ihr lebt die Kunst und die Religion. Dieser Raum ist ein Garten. A. Das wird heute niemand verstehen. B. Billiger ist der Weg einer Philosophie von der Sprache her, die zum Frieden führt, nicht zu haben. Wer nicht dort ansetzt, wo Kant stehen geblieben ist, wird immer nur ein neues intelligent erscheinendes Märchen vortragen. Schließlich werden wir dort anlangen, wo die Einsicht aufkeimt, daß die Welt nicht Faktenaußenwelt ist, sondern etwas, was eirt Interesse für uns hat, ja von uns g e s eh e n sein will. A. Ich könnte jetzt so weit mitgehen, daß ich sage, es seien zu große Schritte, mit denen Sie vorgehen. Aber ich halte gerade solche Rede für ein Märchen. 28

B. Damit ist unsere Situation der Philosophielosigkeit gekennzeichnet, die die Begriffslosigkeit schlechthin ist. Die Logik der kleinen Schritte in der Philosophie läßt sich heute, wenn überhaupt, nur dadurch gewinnen, daß wir kritische Kommentare dessen geben, was in der Philosophie und der Kunst s c h o n e r r e i c h t ist. Wer auf der Höhe des Bewußtseins steht, das zwar nicht für die Zeit, aber doch an ihr ist, wird nicht mit einer neuen Philosophie aufwarten. Er wird die Philosophie nicht als die Magd ansehen, die der exakten Wissenschaft die berühmte Schleppe nachträgt, sondern wissen, daß dies die Zeit der Kommentare ist. A. Das erlaubt die Zeit nicht. Wir suchen die Völkerverbindung nicht im Wissen, sondern allenfalls im Sport, obwohl es hier gerade in unseren Tagen Zeichen gibt, in denen sich die ästhetische Verspieltheit in solcher Ahnungslosigkeit ankündigt. B. Man tut so, als habe man des Rätsels Lösung in der Hand, trägt aber diesen Irrtum in Worten vor, die ausdrücklich erklären, daß wir die Lösung nicht haben. A. Einer hatte doch das Rätsel der Sphinx gelöst. Das Ende war schrecklich. B. Es war die erste unmittelbare Lösung des Rätsels des Mythos. Heute beginnt Philosophie zu sehen, daß dieser Logos auch noch ein Mythos war und ist. ödipus stieg in den Logos und glaubte, nicht den eigenen Vater, sondern einen Wegelagerer 29

zu erschlagen, nicht die eigene Mutter, sondern eine infima species, die Königin, zu heiraten. A. Er hat die eigene Mutter geheiratet. Das war die in seiner Gesellschaft furchtbare Wirklichkeit. B. Bald wird man uns erzählen, daß es nur die Gesellschaftsordnung war, die das ganze Unheil verschuldet hat. Man kann dann artige Versuche machen. Es bietet sich dann ein Ausweichen ·in mutterrechtliche Zustände an, die es ja bekanntlich niemals gegeben hat. A. Nach dem patriarchalischen Benehmen der Väter ist das verständlich. B. Diejenigen, die das verständlich fanden, jammern bald über die vaterlose Gesellschaft, wobei sich immer Wortführer melden, die mit den eben gestorbenen nichts zu tun haben wollen. Es geht sehr schnell bei den sich immer Integrierenden. A. Wir haben immer Angst vor dem Erstikkungstod. B. Ist das Patriarchat einmal da, so kann man aus ihm nicht umstandslos, nicht unmittelbar heraus. Ist die formale Logik einmal da, so muß erst gezeigt werden, daß auch sie noch ein Mythos im pejorativen Wortsinn war. Neue Räume innerhalb von BewußtSein gewinnen wir nur in einer Horizontauffächerung, die die alten in sich behält. Der Mensch, der sich für seine Horizontauffächerung verantwortlich weiß, kann weder der aristokratischen EU