Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung [1 ed.] 9783428438495, 9783428038497

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Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung [1 ed.]
 9783428438495, 9783428038497

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JAN SCHAPP

Das subjektive Recht im Prozeß der Rechtsgewinnung

Schriften

zur

Rechtstheorie

Heft 58

Das subjektive Recht i m Prozeß der Rechtsgewinnung

Von

Dr. Jan Schapp

D U N C K E R & H U M B L O T

/

BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Schapp, Jan Das subjektive Recht i m Prozeß der Rechtsgewinnung. — 1. A u f l . — Berlin: Duncker u n d Humblot, 1977. (Schriften zur Rechtstheorie; H. 58) I S B N 3-428-03849-5 brosch.

Alle Rechte vorbehalten © 1977 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1977 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISÖN 3 428 03849 5

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Problemstellung und Lösungsansatz der vorliegenden Arbeit I. Der normative Ansatz zum subjektiven privaten u n d öffentlichen Recht ....

10

I I . Der hier verfolgte Lösungsansatz: Das Verhältnis von Wirtschaftsgefüge — N o r m als Konfliktsentscheidung — rechtstechnischem A n spruch

14

I I I . Stellung des Freiheitsgedankens i m hier zugrundegelegten funktionalen System. Vergleichbare Systembegriffe

18

1. Stellung des Freiheitsgedankens i m hier zugrundegelegten f u n k tionalen System

18

2. Vergleichbare Systembegriffe

22

I V . Die Problematik der Auffassung des subjektiven Rechts als T e i l eines Wertsystems V. Überblick über den Gang der geplanten Untersuchung

23 24

Zweites Kapitel Wirtschaftssystem und Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne I. Welche Bedeutung hat die liberale Wirtschaftstheorie u n d i h r F r e i heitsbegriff f ü r die vorliegende Untersuchung? I I . Das Wirtschaftssystem zur privaten u n d öffentlichen Seite I I I . Eigentum u n d Anspruch i m wirtschaftlichen Sinne

27 31 36

1. Methodische Vorbesinnung: Eigentum u n d Anspruch als S t r u k t u r teile, nicht als Gedankeninhalt der Gemeinschaft

37

2. Eigentum als wirtschaftliche Zuordnung von Gütern

39

3. Der Anspruch als erfüllbare Berechtigungs-Verpflichtungs-Beziehung. Zuordnung von Vermögenswerten durch Ansprüche

41

4. Die Arbeitskraft als Quelle des Vermögens

43

5. Die Zuordnungslehre i m Schrifttum

45

Drittes

Kapitel

Das privatrechtliche Gesetz und das subjektive private Recht im juristisch-technischen Sinne I. Das privatrechtliche Gesetz

49

6

Inhaltsverzeichnis 1. Das positivistische Modell der „Gesetzesanwendung" u n d sein V e r hältnis zu dem Gedanken der F u n k t i o n des Gesetzes

49

2. Der Fundus juristischen Wissens u n d seine Bedeutung für die E n t scheidung von Gesetzgeber u n d Richter

51

3. Der Grundansatz der überkommenen Imperativtheorie zur Überw i n d u n g ihrer eigenen A b s t r a k t i o n

53

4. Ausblick auf Hayeks Lehre v o m Gesetz

57

I I . Das subjektive private Recht i m juristisch-technischen Sinne

60

1. Der Anspruch i m wirtschaftlichen Sinne als Anknüpfungspunkt der gesetzlichen Konfliktsentscheidung

60

2. Der Vorgang der „rechtlichen Anerkennung" des Anspruchs

64

3. Das Vorfeld des Anspruchs. F ü h r t jede rechtliche Entscheidung zu einem Anspruch i m juristisch-technischen Sinne?

66

Viertes

Kapitel

Die klassische Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts bis zur Kombinationstheorie unter dem Aspekt der erarbeiteten Struktur I. V o n der römischrechtlichen actio zu Windscheids materiellrechtlichem Anspruch

69

I I . Rechte auf fremdes u n d eigenes Verhalten als von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht bei Windscheid

77

I I I . Das subjektive Recht als rechtlich geschütztes Interesse bei Jhering . .

81

I V . Die Kombinationstheorie

86

Fünftes

Kapitel

Die Forschungsergebnisse der modernen normativ-rechtsformalen Schule zum subjektiven Recht I. Vorbemerkung I I . Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis bei Bucher

90 91

1. Darstellung der Lehre Buchers

91

2. Beruht die zentrale Stellung des I n d i v i d u u m s i m Recht auf seiner Möglichkeit, Ansprüche geltend zu machen?

92

3. Rechtsinhaltsbegriff u n d Rechtsformbegriff. Die Freiheitsvermutung. Das Dürfen als Zweck der N o r m

93

4. Bedeutende Einzelkomplexe i n der Sicht der normativ-rechtsformalen Auffassung Buchers a) Die Übertragbarkeit subjektiver Rechte b) Die Unterscheidung von absoluten u n d relativen Rechten c) Die Rechtsverletzung

100 100 102 103

5. Gesamtwürdigung Buchers 109 a) Die Rechtsformalität als Methode. Realbegriff u n d N o m i n a l begriff 109

Inhaltsverzeichnis b) Gelingt die Entmystifizierung des subjektiven Rechts durch den normativen Ansatz? Querverbindungen zum Gedanken des Vermögens 110 c) Das prozessual-dynamische Moment i n Buchers Rechtsbegriff . . 112 I I I . Aichers normativer Ansatz

113

1. Überblick über Aichers Lehre. Problematik seines Ansatzes

113

2. Methodische Besinnung: Das Verhältnis der Ausschließungs„befugnis" des §903 B G B zu den einzelnen Ansprüchen aus dem Eigentum 114 3. Teleologische u n d normative Momente des subjektiven Rechts bei Aicher 116

Sechstes Kapitel Subjektives privates Recht und Wertsystem I. Die K r i t i k des subjektiven privaten Rechts als Ausdruck liberaler Rechtssystematik. Deutung des Denkansatzes, dessen sich diese K r i t i k bedient 118 I I . Die Ergänzung des Privatrechtssystems durch den Begriff der „ K o operation" bei Coing 123 1. Darstellung der Lehre Coings

123

2. Stellungnahme zur Lehre Coings a) Das Verhältnis von Abgrenzungsfreiheit u n d Kooperation b) Weitere Einzelaspekte der Lehre Coings

124 124 129

I I I . Die Wandlung des Sozialbildes seit den klassischen Privatrechtsgesetzbüchern u n d ihre A u s w i r k u n g auf das Privatrechtssystem bei Wieacker 132 1. Darstellung der Lehre Wieackers

.·····

1 3 2

2. Analyse der Zuordnung der einzelnen Elemente i n Wieackers Sozialmodell 134 3. Stellungnahme zur Lehre Wieackers

135

I V . Das „institutionelle Rechtsdenken" u n d sein Verhältnis zu dem Gedanken der F u n k t i o n des Rechts 138

Siebentes Kapitel öffentlich-rechtliches Gesetz und subjektives öffentliches Redit I. Das Verhältnis von subjektivem privatem u n d subjektivem öffentlichem Recht als zentrales Problem der Lehre v o m subjektiven öffentlichen Recht 144 I I . Das öffentlich-rechtliche Gesetz als Konfliktsentscheidung m i t der Folge von gegenseitigen Ansprüchen i m Verhältnis Staat - Bürger . . 152 1. Das öffentlich-rechtliche Gesetz als Konfliktsentscheidung das Gefüge privater u n d öffentlicher Interessen

über

152

8

Inhaltsverzeichnis 2. Die Anspruchskonzeption des subjektiven öffentlichen Rechts

154

3. Weitere Begründung der Trennung von Staatsfunktion u n d Recht 160 4. Z u Georg Jellinek, Rupp u n d Henke i m einzelnen

164

I I I . Verschiedene A r t e n von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen i m einzelnen 171 1. Auch der öffentlich-rechtliche Anspruch ist n u r S t r u k t u r t e i l

171

2. Verschiedene A r t e n v o n öffentlich-rechtlichen Ansprüchen a) Der staatliche Anspruch auf Zahlung von Steuern b) Ansprüche des Staates z u m Zwecke der Durchsetzung öffentlicher Interessen i m Hinblick auf die private wirtschaftliche Betätigung selbst c) Ansprüche des Bürgers gegen den Staat

173 173 175 179

Achtes Kapitel Ausblick auf verfassungsrechtliche Problemstellungen I. Das Verhältnis von Verfassungsgesetz u n d subjektivem Grundrecht, untersucht a m Beispiel des A r t . 14 G G 181 1. Die Unterscheidung von Institutsgarantie u n d subjektivem G r u n d recht als Grundansatz der überkommenen Dogmatik zu A r t . 14 G G a) Die Unterscheidung von Institutsgarantie u n d subjektivem Grundrecht. I h r e praktische Bedeutung b) K r i t i k an dem Nebeneinander von Institutsgarantie u n d subj e k t i v e m Grundrecht 2. Funktionales Verständnis von i m K o n f l i k t stehenden Interessen, Verfassungsgesetz u n d subjektivem Grundrecht i m juristischtechnischen Sinne 3. Zusammenfassung I I . Subjektives Grundrecht u n d Verfassung als Wertsystem Literaturverzeichnis

181 181 185

187 190 192 199

Erstes Kapitel

Problemstellung und Lösungsansatz der vorliegenden Arbeit Die vorliegende Arbeit behandelt zwei große Problemkomplexe der Theorie des subjektiven Rechts auf der Grundlage eines einheitlichen Lösungsansatzes. Der erste Problemkomplex läßt sich schlagwortartig als die Bedeutung des normativen Ansatzes für die Theorie des subjektiven Rechts bezeichnen. I m Zentrum der Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts seit der Pandektistik stand schon die Rechtsordnung als Quelle der subjektiven Rechte, wenn auch eine Reihe weiterer Aspekte hinzukam. Eine moderne Schule zum subjektiven Recht hat den normativen Ansatz fortgeführt, so vor allem Bucher 1 und Aicher 2 . Gegenüber der traditionellen Betrachtungsweise unterscheidet sich diese moderne Schule dadurch, daß sie den normativen Ansatz methodisch reflektiert und damit absichert. I m Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht nun die Frage, ob die A r t der Durchführung des normativen Ansatzes zur Erfassung des subjektiven Rechts ausreichend ist. W i r versuchen, den rein normativen Ansatz durch Einfügung der Norm i n eine Struktur zu ergänzen. Der zweite Problemkomplex kann schlagwortartig als Bedeutung des Freiheitsbegriffs für die Theorie des subjektiven Rechts bezeichnet werden. Einerseits w i r d das subjektive Recht als Ausdruck menschlicher Freiheit überhaupt bezeichnet, andererseits sieht man i n i h m einen liberalen Freiheitsbegriff des 19. Jahrhunderts verkörpert, der die gesellschaftspolitischen Wandlungen seit der Jahrhundertwende nicht mehr zum Ausdruck zu bringen vermag. Die Frage ist hier also, wieweit eine metaphysische Konzeption des subjektiven Rechts möglich ist. Wenn w i r die Norm i m Hinblick auf den ersten Problemkreis i n eine Struktur eingestellt haben, wie verhält sich diese Struktur zu einer metaphysischen Konzeption des subjektiven Rechts? Die beiden Problemkomplexe und die A r t des i n dieser Arbeit verfolgten Lösungsansatzes sollen einleitend noch etwas deutlicher skizziert werden, wobei natürlich auch die Probleme nur ganz grob umrissen werden können. 1 2

Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis. Das Eigentum als subjektives Recht.

10

1. Kap.: Problemstellung und Lösungsansatz der vorliegenden Arbeit I. Der normative Ansatz zum subjektiven privaten und öffentlichen Recht

Die Theorie des subjektiven Rechts scheint heute eine Fülle methodisch und sachlich unterschiedlicher Ansätze i n sich zu vereinen, die sich offenbar durchaus nicht mehr zu einem Gesamtbild zusammenfügen lassen. Dieser Eindruck ist jedoch nur teilweise berechtigt, es läßt sich doch eine große Entwicklungslinie herausarbeiten. Die Geschichte des Begriffs des subjektiven Rechts bis etwa zur Kombinationstheorie könnte man i n zwei Abschnitte unterteilen: Von der römischrechtlichen actio bis zu Windscheids Entdeckung des Anspruchs läßt sich die durchgehende Entwicklungslinie eines früheren Stadiums ziehen. Coing hat diese Entwicklung anschaulich beschrieben 3 . Ein zweites Stadium läge dann i n den Versuchen einer Einheitsdefinition des Begriffs durch die Willens-, die Interessen- und die Kombinationstheorie. Diesen zweiten Abschnitt könnte man als die i m eigentlichen Sinne klassische Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts bezeichnen. Die Stellung unserer Wissenschaft zu dieser klassischen Begriffsgeschichte ist heute distanziert, wenn auch deren Ergebnisse i n den Lehrbüchern weiter tradiert werden. Die Ergebnisse sind weitgehend zu Formeln erstarrt, die h i n und her geschoben werden und deren Unvereinbarkeit man einzusehen gelernt hat. Kasper hat das Unbehagen gegenüber den Ergebnissen dieser Begriffsgeschichte am prägnantesten zum Ausdruck gebracht 4 . Sein gedanklicher Ansatz liegt i n der Erkenntnis, daß schon eine befriedigende Angabe darüber fehlt, auf welche offene Frage m i t dem Begriff des subjektiven Rechts i n der Rechtswissenschaft geantwortet werden soll 5 . Die Begriffe der Einheitsdefinitionen wie Freiheit, Macht, Wille, Können, Dürfen, Genuß, Interesse sind für Kasper von diesem Standpunkt aus nur noch Verabsolutierungen von Teilwahrheiten 6 . Ein zusammenhängendes Problembild läßt sich aus den gegeneinanderstehenden Definitionen nicht mehr erkennen 7 . Dieser resignierende Standpunkt Kaspers ist angesichts des begriffsjuristischen Strebens nach Einheitsdefinitionen, welches die klassische Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts weitgehend beherrscht hat, sicher berechtigt. Es ist aber zu fragen, ob sich von diesem kritischen Standpunkt aus das Verhältnis der Konzeptionen etwa Windscheids und 3 Coing , Z u r Geschichte des Begriffs „subjektives Recht", i n : Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S. 29 ff. 4 Das subjektive Recht — Begriffsbildung u n d Bedeutungsmehrheit.

5

6 7

Kasper, S. 7. Kasper, S. 177. Kasper, S. 157.

I. Der normative Ansatz zum subjektiven Recht

11

Jherings zum subjektiven Recht noch fassen läßt. Beide Konzeptionen werden durch die schlagwortartigen Einheitsdefinitionen nicht zutreffend wiedergegeben. W i r meinen, hier zu einem Standpunkt kommen zu können, von dem aus sich doch eine Kontinuität der großen Positionen der klassischen Begriffsgeschichte nachweisen läßt. Dem Unbehagen an der klassischen Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts, wie es Kasper eindringlich formuliert hat, trägt die moderne normative Schule zum subjektiven Recht Rechnung, die als die heute auf diesem Gebiet w o h l bedeutungsvollste und einflußreichste Forschungsrichtung bezeichnet werden kann. Sie ist — i n Anknüpfung an Kelsen — von Bucher begründet worden, Aicher hat sich i h r angeschlossen. E i n wichtiger Unterschied zur traditionellen Untersuchungsweise liegt bei den genannten Forschern i n der sorgfältigen Herausarbeitung der Methode, m i t welcher an den Untersuchungsstoff herangegangen werden soll. Gerade damit soll der Methodensynkretismus überwunden werden, der nach Auffassung Aichers die bisherige Diskussion weitgehend beherrscht hat 8 . Das Methodenargument ist also gewissermaßen die A n t w o r t auf die von Kasper gestellte Frage, ob es überhaupt einen i n sich geschlossenen Begriff des subjektiven Rechts geben könne. Die normative Methode insbesondere Buchers beruft sich auf die zentrale Stellung der Norm i n der Rechtswissenschaft der Neuzeit und fragt daher von der Norm aus auf das subjektive Recht. Dieser klare Ansatz verleiht i h r eine hohe Durchschlagskraft ihrer Ergebnisse, die aber nach der ausgesparten Seite der Zwecke, der Interessen hin durch Unklarheiten erkauft wird. Das Verhältnis zwischen normativen und teleologischen Elementen des subjektiven Rechts, u m sich der D i k t i o n Buchers zu bedienen, bleibt auch methodisch ungeklärt oder doch jedenfalls problematisch. Wie sich das Eigentum als Rechtsinhaltsbegriff zum Eigentum als Rechtsformbegriff i m Sinne Buchers verhält, haben weder Bucher noch Aicher ausreichend geklärt. Die Stringenz der normativen Methode erweckt den Eindruck einer weitgehenden Unabhängigkeit gegenüber den Problemkonstellationen der Tradition und ihrem „Methodensynkretismus". Tatsächlich arbeitet die normative Methode aber aus den Komplexen der klassischen Begriffsgeschichte nur die Achse Gesetz-Anspruch oder Rechtsordnung-verliehene Willensmacht als bedeutsamsten Strukturteil heraus und schattet i m übrigen den gesamten Interessenbereich ab. Auch Jhering hatte bereits die Interessenseite des subjektiven Rechts als substantielles Moment von der Klage- oder Rechtsschutzseite als formalem Moment geschieden. Die Leistung Buchers gegenüber der Tradition liegt also vor allem i n der Beschränkung des Begriffs auf den normativen Komplex. 8

Aicher, S. 15.

12

1. Kap.: Problemstellung und Lösungsansatz der vorliegenden Arbeit

Die Probleme zur inhaltlichen Seite h i n sind damit nicht gelöst. Gerade sie waren aber auch Gegenstand der klassischen Begriffsgeschichte, so daß man i n der normativen Methode die Ausziehung eines, allerdings wohl des wichtigsten Teiles dieser klassischen Begriffstradition sehen kann. Bucher selbst versteht sich i n diesem Sinne als Fortsetzung des imperativistischen Ansatzes der Pandektistik 9 . I m Selbstverständnis der normativen Methode ist m i t der Herausstellung der Formalität und der Technizität des subjektiven Hechts zugleich eine Abwendung von naturrechtlichen, metaphysischen Begründungen des subjektiven Rechts verbunden. Die aufgezeigten Entwicklungslinien zum subjektiven privaten Recht, insbesondere der Denkansatz der normativen Schule, setzen sich überraschenderweise auch ins öffentliche Recht hinein fort und kehren insbesondere bei der heutigen Diskussion der Problematik des subjektiven öffentlichen Rechts wieder. Die Entsprechung geht soweit, daß auch die i n der privatrechtlichen normativen Diskussion nicht gelösten Probleme i m Hinblick auf das subjektive öffentliche Recht nicht gelöst sind. Das soll kurz, m i t Beschränkung auf das subjektive öffentliche Recht des Verwaltungsrechts, erläutert werden. I m Rahmen dieser einleitenden Skizze soll nur die Parallelität des normativen Ansatzes zum subjektiven öffentlichen Recht m i t der neueren privatrechtlichen Entwicklung hervorgehoben werden. Der öffentlich-rechtliche Ansatz hat einen vor allem staatsrechtlich geprägten Hintergrund, der für den normativen Ansatz des Privatrechts nicht so deutlich wird. Dieser Aspekt kann erst i n der ins einzelne gehenden Auseinandersetzung des 7. Kapitels ausgearbeitet werden. Der Schulbegriff des subjektiven öffentlichen Rechts umfaßt die beiden Arten des Abwehrrechtes gegen ungesetzlichen Zwang und des Rechtes auf staatliche Leistung, beruht also auch heute noch weitgehend auf den Jellinekschen status libertatis und status positivus. Systematisch entscheidend i n der heutigen Diskussion scheint uns die Frage nach der Beziehung dieser Konzeption zum „privatrechtlichen" Eigentum zu sein. Hier wendet insbesondere Rupp sich scharf gegen die i n der heutigen Verwaltungsrechtsprechung beliebte Methode, den Freiheitsstatus m i t allen möglichen, insbesondere aus dem Privatrecht entliehenen Rechtspositionen aufzufüllen und i h m dadurch rechtliche Konturen abzugewinnen 1 0 . Er setzt diesem von i h m dem Privatrecht zugeschriebenen sog. „Rechtsgutdenken" für den öffentlich-rechtlichen Bereich ein an der Rechtspflicht orientiertes Denken gegenüber. Nicht die Rechtsgüter des Privatrechts konturieren den öffentlich-rechtlichen status libertatis, son9 10

Bucher, S. 16. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 223.

I. Der normative Ansatz zum subjektiven Recht

13

d e m allein das öffentlich-rechtliche Gesetz, weil ein anderer Maßstab einfach nicht vorzufinden ist. Die durch das öffentlich-rechtliche Gesetz normierten Pflichten führen aufgrund einer von diesem Gesetz zu unterscheidenden Reaktionsnorm erst zu subjektiven öffentlichen Abwehrrechten des einzelnen. Rupp sieht einen Wandel des juristischen Denkens vom Rechtsgutdenken zum Denken i n Pflichten auch für das Privatrecht 11 . Ein Indiz dafür ist i h m der unter der Flagge des „Erfolgs- und Handlungsunrechtes" geführte Streit 1 2 . Näher liegt es heute, hier auf die Ergebnisse der normativen Schule zum subjektiven privaten Recht zu verweisen, i n denen dieser Entwicklungsprozeß noch deutlicher zum Ausdruck kommt. Auch sie stellen eine Abwendung vom Rechtsgutdenken dar, die „antinaturrechtliche Spitze" ist beiden Auffassungen gemeinsam 13 . Wenn sich aber das privatrechtliche Institut des Eigentums nicht plötzlich m i t Staatsrichtung i n den öffentlich-rechtlichen status libertatis hineinverpflanzen läßt, welches ist denn das Eigentum, m i t dem es die Verwaltungsgesetze zu t u n haben? Rupp bezeichnet diese Frage als ungelöst 14 , neigt aber offenbar dazu, die Entwicklung einer Theorie des staatsgerichteten bzw. öffentlichen Eigentums für erforderlich zu halten 1 5 . Rupp würde damit zu einer Doppelkonzeption bestehend aus den Begriffen des öffentlichen Eigentums und der öffentlich-rechtlichen, durch Gesetz individualisierten Pflicht kommen, die offenbar weitgehend Buchers Dualismus von Eigentum als Rechtsinhalts- und Rechtsformbegriff entsprechen würde. Die Parallelität der beiderseitigen Entwicklungen w i r d unter einem etwas anderen Aspekt noch deutlicher, wenn man die Forschungen Henkes 1 6 heranzieht. Er sieht das Hauptproblem i n der bisher i m wesentlichen prozessualen Konzeption des subjektiven öffentlichen Rechts und w i l l jetzt den Schritt Windscheids von der actio zum Anspruch auch für das subjektive öffentliche Recht tun. Auf diese Weise kommt er zu einem materiellrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen ungesetzlichen Zwang und zu einem positiven Anspruch auf staatliche Leistung. Die Problemat i k der Beziehung des öffentlich-rechtlichen Gesetzes zu Eigentum stellt sich für Henke nicht so scharf wie für Rupp, da Eigentum für ihn i n der idealen Einheit aufgehoben ist, zu welcher das öffentlich-rechtliche Gesetz private und öffentliche Interessen verschmilzt. I m Ergebnis ist damit auch für Henke ein privatrechtlich verstandenes Institut des Eigentums 11 12 18 14 15

Rupp, S. 230, 231. Rupp, S. 225. Vgl. etwa Rupp, S. 232 und Bucher, S. 2. Rupp, S. 238. Rupp, S. 240, 241.

16 Das subjektive öffentliche Recht; ausführlichere Darstellung seiner Lehre bei der ins einzelne gehenden Auseinandersetzung i m 7. Kapitel.

14

1. Kap.: Problemstellung und Lösungsansatz der vorliegenden Arbeit

für eine öffentlich-rechtliche Konzeption des subjektiven Rechts nicht brauchbar. Indem Henke das subjektive öffentliche Recht, und zwar sowohl das Abwehrrecht wie das Leistungsrecht, als materiellrechtlichen Anspruch interpretiert, befindet er sich i n Ubereinstimmung m i t dem Kerngedanken von Windscheids Lehre zum subjektiven Recht, die w i r i n der Entwicklung des Anspruchsbegriffs sehen, und damit auch mit dem Grundgedanken der normativen Schule, die diesen Anspruchsbegriff weiter fundiert hat. Man kann also sagen, daß die Entwicklungslinien der Theorie des subjektiven Rechts i m Privatrecht und i m öffentlichen Recht weitgehende Ubereinstimmung aufweisen, und daß angesichts der beherrschenden Stellung des normativen Ansatzes auch das Problem des Eigentums als Rechtsinhaltsbegriff (in der Sprechweise von Bucher) sich für beide Rechtsgebiete i n vergleichbarer Weise stellt. I I . Der hier verfolgte Lösungsansatz: Das Verhältnis von Wirtschaf tsgefüge — Norm als Konfliktsentscheidung — rechtstechnischem Anspruch Der normative Ansatz, den Bucher auf die juristischen Denkgewohnheiten der Neuzeit zurückgeführt hat 1 7 , hat seine Fruchtbarkeit zur Erfassung des subjektiven Rechts bewiesen. Auch die vorliegende Arbeit knüpft darum an die Norm an. Erfaßt w i r d aber von der Norm aus mit der nötigen Prägnanz nur der Anspruch, das Recht des einen gegen den anderen, wie nicht nur ein Blick auf die moderne privatrechtliche normative Methode zeigt, sondern auch ein Blick auf Windscheid oder die heute i m öffentlichen Recht angestellten Überlegungen. Woran liegt das? Die Klärung dieser Frage führt uns zu dem i n dieser Arbeit verfolgten methodischen Ansatz. Die Norm gewährt nicht nur Ansprüche, sondern sie tut es, indem sie über einen Konflikt der Interessen entscheidet. Der Konflikt ist die Voraussetzung, der Anspruch ist die Folge der Norm als Entscheidung über einen Konflikt. Die Norm hat gewissermaßen zwei Seiten. I m Hinblick auf die Außenseite zur sozialen W i r k lichkeit h i n erfüllt sie die Funktion der Konfliktsentscheidung, indem sie zur Innenseite „ i m juristischen Raum" Ansprüche gewährt. W i r führen den normativen Ansatz also durch die Frage nach der sozialen Funktion der Norm selbst fort. Inwieweit bedeutet die Heranziehung dieses Außenaspektes der Norm nun eine Lösung für Fragestellungen der Theorie des subjektiven Rechts? Das Wort „Konflikt der Interessen" i m Hinblick auf den Außenbereich ist noch zu blaß, da es schon i m Hinblick auf die Funktion des Gesetzes formuliert ist. Was hier vom Gesetz her gesehen als Außenbe17

aaO, S. 6.

II. Der hier verfolgte Lösungsansatz

15

reich bezeichnet wird, hat selbst wieder eine Struktur, und die konfliktentscheidende Funktion des Gesetzes ist nur verständlich, wenn man sie auf diese Struktur bezieht. U m die Arbeit nicht zu sehr auszuweiten, beschränken w i r uns für die hier durchgeführte Untersuchung auf den Bereich der Wirtschaft als zentralen Sachbereich des Privatrechts und als einen der wichtigen Bereiche des öffentlichen Rechts. Die Überlegungen könnten i n ähnlicher Weise ζ. B. auch für den Persönlichkeitsbereich durchgeführt werden. Entscheidend ist nur, daß man überhaupt die i n den einzelnen Sachbereichen vorfindliche Struktur i n ihrer Bedeutung für das Gesetz erkennt. I n dieser Struktur der Wirtschaft, auf die sich die Norm als Konfliktsentscheidung bezieht, hat nun das Eigentum einen zentralen Platz, aber einen Platz nicht als Rechtsbegriff, als Folge gesetzlicher Anordnung, sondern als wirtschaftliches Gut, als Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne. W i r versuchen uns von dem Zwange zu befreien, das Eigentum immer sofort wieder auf eine gesetzliche Anordnung zurückzuführen, für einen Rechtsbegriff, Gedankeninhalt der Rechtsordnung oder ähnliches zu halten. Eigentum ist Teil einer wirtschaftlichen Struktur, über deren Konflikte erst die Gesetze entscheiden. Eigentum ist damit primär ein w i r t schaftlicher Begriff. Das Wort „Begriff" könnte schon den Eindruck erwecken, als ob w i r uns m i t der Darstellung der Wirtschaftsstruktur nur auf einer geistigen Ebene bewegen. U m hier jedes MißVerständnis auszuschalten, sollte man Eigentum nicht als wirtschaftlichen Begriff, sondern als wirtschaftliche Gegebenheit bezeichnen. Ohne diesen Ansatz läßt sich die konfliktentscheidende Funktion des Gesetzes kaum verständlich machen, und erst von diesem Ansatz aus gewinnt man auch einen ausreichenden Boden, u m Eigentum und rechtstechnischen Anspruch — über das konfliktentscheidende Gesetz — i n eine adäquate Beziehung zu bringen. Diese Beziehung ist auf einem Sinnzusammenhang aufgebaut, und nicht auf der Einsehbarkeit begrifflicher Unterschiede etwa von Dürfen und Können, Erlaubnis und Verbot 1 8 . 18 Diese Trennung von „Vorgegebenheit" u n d Gesetz durchzieht i n u n t e r schiedlicher Ausformung vor allem die rechtsphänomenologische Forschung. Was i n den „Apriorischen Grundlagen des Bürgerlichen Rechts" von A d o l f Reinach noch die Unterscheidung v o n Wesenssphäre u n d Sphäre des positivrechtlichen Gesetzgebers ist, w i r d i n der „Neuen Wissenschaft v o m Recht" W i l h e l m Schapps zum Verhältnis v o n Vorgegebenheit u n d positivem Gesetz. (Bezeichnende U n t e r t i t e l der beiden Bände: Der Vertrag als Vorgegebenheit, und: Wert, Werk u n d Eigentum). Ich habe i n meiner A r b e i t „Sein u n d Ort der Rechtsgebilde" daran angeknüpft u n d mich v o r allem auch dort schon gegen die Erfassung des Eigentums n u r aus dem Geistigen heraus gewandt, bei der das Eigentum sich schließlich zu einem Gedankending, Gedankeninhalt der Gemeinschaft verflüchtigt (aaO, S. 94 ff. m i t Literaturangaben). Die F u n k t i o n der N o r m w i r d i n diesem rechtsphänomenologischen Gedankenkreis jedoch nicht ausreichend erforscht. Reinach, aaO, S. 16: „Gegenüber der Sphäre apriorischer Gesetze t r i f f t das positive Recht seine Bestimmungen i n absoluter

16

1. Kap. : Problemstellung und Lösungsansatz der vorliegenden Arbeit

Die skizzierte Gesamtstruktur aus Wirtschaftsgefüge, konfliktentscheidendem Gesetz und rechtstechnischem Anspruch erlaubt eine überzeugende Interpretation und Einordnung der verschiedenen Stationen der Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts. Sie befreit vor allem weitgehend von dem Zwang, jedes vorhergehende Stadium der Forschung gegenüber dem jeweils erreichten für einen I r r t u m halten zu müssen, da die Struktur ein umfassendes Bezugsgerüst für jeweils neue Akzentsetzungen i n der Lehre abgibt. Das römischrechtliche Aktionendenken läßt sich i n sie ebenso einordnen und i n seiner Reichweite verständlich machen, wie Savignys Formel von der Klage als materiellem Recht i m Zustande der Verteidigung und wie Windscheids Wendung von der richterlichen actio zum gesetzlichen Anspruch. Die Nähe zu Jherings Ansatz liegt auf der Hand, überraschenderweise läßt sich aber auch zeigen, daß auch Windscheid m i t seiner Unterscheidung der Rechte auf fremdes und eigenes Verhalten eine ähnliche Konzeption i m Auge gehabt haben muß. Die schroffe Gegensätzlichkeit der Einheitsdefinitionen zum subjektiven Recht durch Willens- und Interessentheorie erscheint von hier aus angesichts des Problemzusammenhanges nicht als das entscheidende Ergebnis der klassischen Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts. Die skizzierte Struktur ermöglicht eine Auseinandersetzung m i t den wichtigsten Ergebnissen der modernen normativen Schule zum subjektiven Recht, wobei w i r den Schwerpunkt auf die Forschungen Buchers legen, w e i l sie auf diesem Gebiete w o h l die eindringlichsten sind und i m übrigen durch die Geschlossenheit der Gesamtkonzeption hervorragen. Vor allem die Problematik, die m i t der Unterscheidung von Norm als Befehl und Norm als Erlaubnis gekennzeichnet ist, läßt sich von unserem Ansatz aus weiter klären. Bucher hat durchaus recht, wenn er i n der Norm keine Erlaubnis sehen w i l l 1 9 , aber es ist vom imperativistischen Ansatz aus schwer darzulegen, w a r u m das so ist. Erst die Annahme einer positiven Funktion der Norm i m Hinblick auf eine vorausgesetzte soziale Wirklichkeit ermöglicht es, einerseits einen Erlaubnischarakter für überflüssig zu halten, andererseits die Befehlsnatur der Norm aus der Isolierung zu erlösen, i n welcher die Imperativtheorie m i t i h r hantiert, indem der Befehl i n den sozialen Zusamenhang der Konfliktsentscheidung eingeordnet wird. Damit zusammenhängend ermöglicht der i n dieser Arbeit eingenommene Standpunkt eine eindringliche Analyse des Problems, welches Freiheit, n u r auf wirtschaftlichen Bedürfnissen, auf sittlichen Anschauungen u n d dergl. fußend." H i e r liegt w o h l m i t ein G r u n d dafür, daß die rechtsphänomenologischen Untersuchungen i n der praktischen Rechtswissenschaft bisher noch nicht das gebührende Interesse gefunden haben. 19 aaO. S. 54.

II. Der hier verfolgte Lösungsansatz

17

Bucher mit der Unterscheidung von Eigentum als Rechtsform- und Rechtsinhaltsbegriff bzw. von normativen und teleologischen Elementen des subjektiven Rechts zu lösen versucht hat. Wenn die Norm über Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne entscheidet, kann nicht dieses Eigent u m Zweck oder Inhalt der Norm sein, sondern nur die Entscheidung selbst. Indem die normative Methode auch wieder das Eigentum als Rechtsinhaltsbegriff an die Norm „teleologisch" anknüpft, bekommt sie diesen Zusammenhang nicht i n den Blick. A u f der anderen Seite ist sie wegen der angenommenen teleologischen Substanz dieser Beziehung genötigt, die Beziehung Norm-Anspruch als nur formal, nicht inhaltlich zu deuten. Die Untersuchung soll auch auf die oben skizzierte Problematik des subjektiven öffentlichen Rechts ausgedehnt werden, also i m Hinblick auf den Aspekt, m i t dem sich vor allem Rupp und Henke auseinandergesetzt haben. Diese Ausdehnung liegt aufgrund der Einheitlichkeit der Problemstellung und der Einheitlichkeit der von uns verfolgten, gleich noch zu skizzierenden Lösung nahe. Die Berechtigung dieses „Ubergriffs" ins öffentliche Recht läßt sich aber auch noch unter weiteren Gesichtspunkten begründen. Der methodische Ansatz dieser Arbeit für das Privatrecht gewinnt weitere Konsistenz dadurch, daß er auch für das öffentliche Recht durchführbar ist. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt. Sowohl für das öffentliche Recht wie auch für das Privatrecht als Fachwissenschaften ist die Frage der Beziehung des subjektiven öffentlichen Rechtes zu Eigentum und Freiheit eines der entscheidenden Grundlagenprobleme i m beiderseitigen Grenzgebiet. Wie bereits die Forschungen von Georg Jellinek, aber auch jetzt die von Rupp und Henke deutlich gemacht haben, ist für diese Problemstellung ohne gegenseitige Abstimmung der beiden Fachwissenschaften nicht viel zu erreichen. Auch für das öffentliche Recht fassen w i r das Gesetz als Entscheidung eines Konfliktes auf, nur daß hier private und öffentliche Interessen einander gegenüberstehen. Den öffentlich-rechtlichen Charakter erhält das Verhältnis aus der A r t der sich gegenüberstehenden Interessen, nicht aus einer besonderen Qualität des Gesetzes, das auch hier unter funktionalem Aspekt nur Abgrenzung, Konfliktsentscheidung ist. Ebensowenig wie dem Gesetz des Privatrechts ein besonderes privatrechtliches Eigentum korrespondierte, sondern es sich auf Konflikte um wirtschaftliches Eigentum bezog, entspricht dem Gesetz des öffentlichen Rechts ein öffentlich-rechtliches, staatsgerichtetes Eigentum. Auch dieses Gesetz bezieht sich nur auf wirtschaftliches Eigentum, allerdings soweit Interessen des Staates i n bezug auf dieses Eigentum betroffen sind. Das Wirtschaftsgefüge ist die gemeinsame Basis von Privatrecht und öffentlichem Recht, die beide ihre Konfliktsentscheidungsfunktion nur i m H i n blick auf unterschiedliche Teile des einheitlichen Gefüges wahrnehmen. 2 Schapp

18

1. Kap.: Problemstellung und Lösungsansatz der vorliegenden Arbeit

Die Trennung der Rechtsgebiete darf nicht über die Komplementarität privater und öffentlicher Interessen i n diesem einheitlichen Gefüge hinwegtäuschen, die allein auf der Rechtsebene gar nicht mehr f aßbar ist. Das positivistische Staatsrecht hat die Beziehung Staat-Bürger i n ihrem K e r n als ein Verhältnis der Gewaltunterworfenheit aufgefaßt. Der Schutz des Bürgers lag allein darin, daß diese Gewalt sich i n der Form des Gesetzes äußern mußte. Letztlich bestimmt dieser positivistische Staatsbegriff die Konzeptionen Rupps und Henkes zum subjektiven öffentlichen Recht noch ebenso, wie sie das System der subjektiven öffentlichen Rechte von Georg Jellinek bestimmt hat. Unser Ansatz zum öffentlichen Recht ist nur dann durchführbar, wenn w i r diese positivistische Konzeption des Verhältnisses Staat-Bürger i n die beiden Elemente der Staatsfunktion und der Entscheidung des Gesetzes über diese Staatsfunktion auflösen. Damit scheinen w i r i m Ergebnis die wichtigste systematische Säule unseres heutigen öffentlichen Rechts aufzugeben. Tatsächlich w i r d aber nur eine idealistische Überhöhung des neuzeitlichen Staatsbegriffs aufgegeben, die einer adäquaten Erfassung des Verhältnisses von öffentlichen Interessen und öffentlich-rechtlichem Gesetz bisher i m Wege gestanden hat. Erst dieser Schritt ermöglicht eine einheitliche Konzeption der subjektiven privaten und öffentlichen Rechte, die von den Forschern, die sich m i t dem subjektiven öffentlichen Recht befaßt haben, zwar erstrebt, aber überzeugend doch nicht erreicht worden ist. I I I . Stellung des Freiheitsgedankens im hier zugrundegelegten funktionalen System. — Vergleichbare Systembegriffe 1. Stellung des Freiheitsgedankens im hier zugrundegelegten funktionalen System Die skizzierte Struktur (Wirtschaftsgefüge und Norm als Konfliktsentscheidung) 20 , die w i r i n den Mittelpunkt der Untersuchung stellen, ist nicht ausreichend umrissen, wenn nicht die Stellung des Freiheitsgedankens zu ihr näher dargelegt wird. Die Fragestellung bedarf einiger weiterer Überlegungen über die A r t des hier zugrundegelegten Systems. Es könnte den Anschein haben, als ob w i r mit der Trennung von W i r t schaftsgefüge und Norm und m i t der Voraussetzung des Wirtschaftsgefüges und insbesondere m i t der Voraussetzung von Eigentum i m w i r t 20

I n dieser A r b e i t w i r d als S t r u k t u r sowohl das Wirtschaftsgefüge als auch die Beziehung von Wirtschaftsgefüge u n d Recht bezeichnet. Ebenso verwenden w i r den Ausdruck „System" f ü r das Wirtschaftsgefüge, für das Rechtssystem u n d auch f ü r den Zusammenhang von Wirtschaftsgefüge u n d Rechtssystem. Der Sinn, i n dem die Ausdrücke S t r u k t u r u n d System verwendet w e r den, ergibt sich jeweils aus dem Zusammenhang.

III. Stellung des Freiheitsgedankens im funktionalen System

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schaftlichen Sinne für die Norm zu einer A r t Naturrecht kommen. Setzen w i r damit nicht i n Wirklichkeit Eigentum als unabänderlich für das Gesetz voraus? Alles ist doch tatsächlich jederzeit durch Gesetz änderbar und gerade diese Änderbarkeit vermag der Positivist so gut i n seinem Ansatz vom Gesetz her zu berücksichtigen. Die Distanz zu dem naturrechtlichen Denkansatz k l i n g t bei Bucher für das subjektive private Recht ebenso durch wie bei Rupp für das subjektive öffentliche Recht. Sie ist ein Grundmotiv der gesamten normativ-positivistischen Auffassung des subjektiven Rechts. Sicher ist die Eigentumsordnung auch als solche i m Großen änderbar. Nur darf das nicht hindern, das auf sie bezügliche Rechtssystem zu untersuchen, solange es sie gibt. Die vorliegende Untersuchung gilt denn i n der Tat auch nur für eine auf Eigentum aufgebaute Struktur der Wirtschaft und des Rechts, nicht auch für jede beliebige andere. Der hier zugrundegelegte Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Recht w i r d i n der positivistischen Konzeption dadurch zerrissen, daß man der Norm jede Macht über die Eigentumsordnung zuschreibt, also sowohl die Eigentumsordnung selbst wie auch ihre Abschaffung primär als Normwirkungen begreift. Damit überpointiert man die Macht der positiven Norm und verfehlt i m Ergebnis ihren eigentlichen, i n der Konfliktsentscheidung liegenden, viel bescheideneren Gehalt. Eine wesentliche Änderung oder Abschaffung der Eigentumsordnung läßt sich nicht durch einfaches Gesetz erreichen, sondern beruht auf einer politischen Gesamtentscheidung, die sich i n einer Revolution ebenso äußern kann wie i n einer i n demokratischen Formen erfolgten Abstimmung. Das positive Gesetz setzt dann diesen neuen Zustand ebenso voraus, wie das auf Eigent u m bezügliche Gesetz den alten Zustand. W i r machen uns hier also die Unterscheidung von Carl Schmitt zwischen Verfassung als politischer Gesamtentscheidung und Verfassungsgesetz zu eigen 21 . Die Auffassung, daß ein Federstrich des Gesetzgebers ganze Bibliotheken i n Makulatur verwandelt, t r i f f t auf die Eigentumsordnung als solche gerade nicht zu, da sie nicht m i t der Feder des Gesetzgebers geändert wird. Die Berufung auf eine politische Gesamtentscheidung zu dem vorausgesetzten System, also dem Wirtschaftssystem, i n bezug auf das auch erst das Gesetz seine bestimmte Bedeutung hat, ist also weitere methodische Voraussetzung des hier verfolgten Ansatzes. Der Gedanke der politischen Gesamtentscheidung ist letztlich auch nur ein methodisches Hilfsmittel, welches i n dem gesamten zugrundegelegten Konzept bestimmte Funktionen erfüllt. Die ganze historische Dimension w i r d hier wie i n einem Brennpunkt zusammengefaßt und damit i m Hinblick auf die eigentlich interessierenden Fragen abgeschichtet. Die Annahme einer 21



Vgl. Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 20 ff.

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1. Kap.: Problemstellung und Lösungsansatz der vorliegenden Arbeit

politischen Gesamtentscheidung läßt sich also ebenfalls unter der Kategorie der „Voraussetzung" fassen, die die Untersuchung von weiteren Problemschichten ermöglicht, ohne daß das Vorausgesetzte selbst wieder problematisiert werden muß. Die Annahme einer politischen Gesamtentscheidung ermöglicht einerseits einen Standpunkt, von dem aus man die Erforderlichkeit grundlegender Werte für ein System dartun kann, von dem aus sich aber andererseits auch die historische Relativität dieser grundlegenden Werte aufzeigen läßt. Der Wertgesichtspunkt w i r d also über den Gedanken der politischen Gesamtentscheidung auf ein funktionales System bezogen, von diesem System zugleich abgeschichtet und damit wissenschaftlich praktikabel gemacht. Daß es sich bei dem Begriff der politischen Gesamtentscheidung nur um eine methodische „Raffung" der historischen Dimension handeln kann, ergibt sich schon aus dem Element der „Entscheidung" i n dem Begriff der politischen Gesamtentscheidung, m i t dem i n diesem Zusammenhang keine Aussage von ontologischem Gehalt verbunden werden kann. Wenn man den Begriff der politischen Gesamtentscheidung ontologisch verstehen wollte, so müßte für jede historische Zeitepoche, die eine Eigentumsordnung gekannt hat, eine solche Entscheidung nachweisbar sein. E i n solcher Nachweis dürfte für die römische Zeit ebenso schwierig sein wie etwa für das Mittelalter. Daß i m Mittelalter die Eigentumsordnung i n eine Werthierarchie eingefügt war, nach der Gott den Menschen die Welt zu Lehen gegeben hatte 2 2 , bietet keinen ausreichenden Anknüpfungspunkt für den Gedanken einer politischen Gesamtentscheidung zu einer Eigentumsordnung. Der Begriff der Entscheidung w i r d offenbar erst sinnvoll m i t der radikalen Problematisierung des Eigentums selbst, die historisch eine Folge der Freiheitsphilosophie der Aufklärung gewesen ist. Die Annahme einer Grundentscheidung für eine bestimmte Eigentumsordnung und damit für einen bestimmten Freiheitsbegriff wäre dann nur eine Folge davon, daß das Wirtschaftssystem seit dem 19. Jahrhundert insgesamt als verfügbar erscheint und daß aufgrund dieser Verfügbarkeit die Eigentumsordnung als solche selbst als durch eine Entscheidung gehalten gedacht werden muß. Eine wesentliche Funktion des Begriffs der politischen Gesamtentscheidung zu einer Eigentumsordnung liegt danach heute i n der Abwehr einer eigentumsfeindlichen Weltanschauung und ihres Freiheitsbegriffs. Die Abschichtung der Dimension, die hier m i t dem Begriff der politischen Gesamtentscheidung bezeichnet ist, führt auf der anderen Seite dazu, daß die Eigentumsordnung und die auf sie bezügliche Funktion 22 Heute entwickelt etwa Calliess eine Institutionenlehre zum Eigentum unter einem betont christlichen Aspekt, vgl. Calliess, Eigentum als Institution, S. 58 - 106.

III. Stellung des Freiheitsgedankens im funktionalen System

21

des Rechts unabhängig von der metaphysischen Einkleidung untersucht werden können, i n welcher sie uns seit Aufklärung und klassischem ökonomischem Liberalismus erscheinen. Erst durch diese Abschichtung ist der ausreichende Ansatz geschaffen, der es ermöglicht, unabhängig von den Auswirkungen einer Freiheitsmetaphysik für das Recht eine große Linie zum römischrechtlichen Aktionendenken durchzuziehen und hinsichtlich des Strukturmodells der Wirtschaft an die Ergebnisse der anthropologischen Soziologie anzuknüpfen. Die methodische Trennung von Freiheitsbegriff und Eigentumsordnung ermöglicht aber nicht nur eine von der Problematik der Freiheitsmetaphysik unbelastete Erfassung des Verhältnisses von Eigentum und Recht, sondern auch eine prägnantere Erfassung der Bedeutung des Freiheitsbegriffs selbst. Ein methodisch unreflektierter Ansatz i n der Rechtswissenschaft setzt einzelne Strukturteile des Wirtschaftsgefüges, vor allen Dingen das Eigentum selbst, m i t Freiheit gleich oder betrachtet sie doch jedenfalls als Ausprägung oder Ausdruck der Freiheit. Für den hier verfolgten Ansatz ist Freiheit dagegen das Produkt des gesamten Systems, und zwar Freiheit i n dem Sinne, wie ihn die politische Gesamtentscheidung zu dem System zugrunde gelegt hat. Das Wirtschaftssystem selbst ist von der politischen Gesamtentscheidung her gesehen nur Mittel, durch welches dieser Freiheitsbegriff verwirklicht werden soll. Die politische Gesamtentscheidung ist also gewissermaßen über das Wirtschaftssystem als Instrument auf einen bestimmten Freiheitsbegriff als obersten Wert bezogen 23 . Dieser Ansatz schließt es aus, gewissermaßen i n jedem einzelnen Gesetz eine Verwirklichung der Freiheit selbst zu sehen. Die Vorstellung, die ein einzelnes Gesetz und den Freiheitsbegriff i n diese direkte Beziehung bringen würde, brächte allenfalls ein politisches Postulat zum Ausdruck, das sofort wieder den Rückgriff auf den ganzen Systemzusammenhang erforderlich machte. Jedes einzelne Gesetz ist über die Konfliktsituation, über die es entscheidet, auf das Gesamtsystem bezogen. Es ist nicht möglich, unter Absehung von diesem Bezug i n einzelnen Gesetzen eine Verwirklichung von „Freiheit" zu sehen. Sinnvoll erscheint uns allenfalls die Redeweise, daß die einzelnen Gesetze — als Konfliktentscheidungen — einen Beitrag zur Freiheit i m Sinne des vorausgesetzten Systems leisten. 23 Luhmann, Rechtssystem u n d Rechtsdogmatik, S. 60, ist der Auffassung, daß die bürgerliche Ideologie m i t ihrem Eigentumsbegriff entweder Z u f a l l oder Kommunismus zur W a h l stelle, u n d sieht den Ausweg ebenfalls i n einer funktionalen Lösung f ü r das Eigentum, das er als binären Schematismus von Haben u n d Nichthaben auffaßt. W i r sehen dagegen als funktionalen Zusammenhang das Wirtschaftssystem selbst an, i n das Eigentum n u r wieder eingeordnet ist, u n d gewinnen so einen Komplex, zu dem auch der „bürgerliche" Freiheitsbegriff noch wieder i n eine sinnvolle Beziehung gesetzt werden kann.

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1. Kap.: Problemstellung und Lösungsansatz der vorliegenden Arbeit 2. Vergleichbare

Systembegriffe

Der vorliegend verfolgte Ansatz weist eine gewisse Verwandtschaft zu dem Grundansatz von Luhmanns funktionaler Systemtheorie auf. Die zentrale These von Luhmann geht dahin, daß ein bestehendes System i m Hinblick auf eine komplexere Umwelt deren Komplexität durch Leistung reduziert 2 4 . Luhmann sieht ein solches System auch i n der Rechtsanwendung auf Grund eines konditional programmierten „input-outputModells" 2 5 . Als komplexere U m w e l t für das Rechtsgewinnungssystem, i m Hinblick auf die durch Konfliktsentscheidung eine Leistung des Systems erbracht wird, könnte das Wirtschaftsgefüge angesehen werden. Das Verhältnis zu Luhmanns Forschungen soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden, da w i r nicht von einem allgemeinen Systembegriff auf die Struktur W i r t schaf t-Norm-subjektives Recht vorstoßen, sondern diesen Zusammenhang für sich selbst sprechen lassen wollen. I m übrigen w a r es bereits einer der großen Grundgedanken der Interessenjurisprudenz, das Rechtssystem als funktionales System zu begreifen. Die Interessenjurisprudenz hat ja auch die Auffassung des Gesetzes als Konfliktsentscheidung ausgearbeitet 26 . Der Gedanke eines Systems der Lebensverhältnisse k l i n g t bei Heck schon an 2 7 , t r i t t dann aber zugunsten eines Systems der Konfliktsentscheidungen zurück 2 8 . Hecks I n teresse geht auf Regeln für den Rechtsgewinnungsprozeß, w i r versuchen, die systematische Bedeutung des subjektiven Rechts i n diesem Rechtsgewinnungsprozeß zu klären und stimmen dabei i n dem Anknüpfungspunkt der Norm als Konfliktsentscheidung m i t Heck überein. Der von Canaris entwickelte Systembegriff (die Einheit der Rechtsidee als Systemgedanke) 29 ist von dem hier verwandten Systembegriff grundlegend verschieden. Canaris selbst deutet die Unterschiedlichkeit beider Systembegriffe an, wenn er das Hecksche System der Lebensverhältnisse, das System der Konfliktsentscheidungen, der Problemlösungen, aber auch Viehwegs topisches Denken 3 0 als auf menschliches Handeln und Gesetzgebung bezogene Systeme darstellt, welche nach seiner Auffassung 24

Vgl. etwa Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität. Vgl. Luhmann, Positives Recht und Ideologie, in: Soziologische Aufklärung, S. 178 ff., 193. 28 Grundlegend Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 148. 27 aaO, S. 149 ff., vgl. dazu ferner Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 59, Canaris , Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 34 Anm. 74. 28 Darauf weist auch Larenz, Methodenlehre, S. 60, hin. 29 Canaris , Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 16. 80 Vgl. Viehweg, Topik und Jurisprudenz. 25

IV. Auffassung des subjektiven Rechts als Teil eines Wertsystems

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die Einheit der Rechtsidee nicht zum Ausdruck bringen können 3 1 . Canaris' Systembegriff selbst charakterisiert eindringlich das heute vorherrschende juristische Systemdenken, ohne daß Canaris allerdings von seinem Standpunkt aus die Problematik dieses Systemdenkens erfaßt, die für uns i n seinem Charakter als Denken i n einem geistigen System, Wertsystem liegt. Dieser Ansatz vom Wertsystem aus hat auch seine Bedeutung für die Theorie des subjektiven Rechts. W i r sind damit bei dem zweiten Problemkreis, m i t dem i m Rahmen dieser Arbeit eine Auseinandersetzung erfolgen soll. IV. Die Problematik der Auffassung des subjektiven Rechts als Teil eines Wertsystems I n dieser Arbeit soll der normativistische Ansatz als Grundmotiv der bisherigen Theorie des subjektiven Rechts, auch schon i n der klassischen Begriffsgeschichte, i n eine größere Struktur eingeordnet werden, die sich als ein auf ein Wirtschaftssystem bezogener Rechtsgewinnungsprozeß darstellt. Diese Struktur zeigt sich als ein System, von dem der Freiheitsbegriff abgeschichtet und zu dem er dann i n eine Beziehung gesetzt werden kann. I n der Rechtswissenschaft w i r d nun ein methodischer A n satz vertreten, der die Bedeutung des subjektiven Rechts ebenfalls vom Begriff des Rechtssystems her zu klären versucht. So geht eine weit verbreitete Auffassung i m Privatrecht (Coing, Wieacker, Raiser) dahin, daß der Begriff des subjektiven Rechts Ausdruck einer liberalen Rechtssystematik des 19. Jahrhunderts sei. Angesichts des gesellschaftspolitischen Wandels seit der Jahrhundertwende sei eine Rechtssystematik erforderlich, die nicht oder nicht ausschließlich auf dem Begriff des subjektiven Rechts aufbaue. Coing findet eine zweite systematische Säule des Privatrechts i n dem Gedanken der Kooperation 3 2 , Wieacker gründet das heutige Privatrecht auf den Gedanken der Genossenschaft und Verantwortung 3 3 , Raiser setzt dem „liberalen" Begriff des subjektiven Rechts ein institutionelles Rechtsdenken entgegen 34 . Der Grundzug dieser Diskussion des Privatrechtssystems und seiner erforderlichen Modifizierung ist also eine kritische Einstellung gegenüber dem Begriff des subjektiven Rechts. Die Diskussion selbst hat noch zu keiner verfestigten Lehre ge 7 führt 3 5 . U m so wichtiger ist eine Auseinandersetzung m i t diesen Denk31 32 38

Canaris , aaO, S. 30, 35,145. Coing, Privatrechtssystem, S. 53. Wieacker, Sozialmodell, S. 25.

34 Raiser, Der Stand der Lehre v o m subjektiven Recht i m deutschen Z i v i l recht, J Z 61, 465 (472). 35 So auch Runge, A n t i n o m i e n des Freiheitsbegriffs i m Rechtsbild des Ordoliberalismus, S. 52, A n m . 28; vgl. auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 554, 557.

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1. Kap.: Problemstellung und Lösungsansatz der vorliegenden Arbeit

ansätzen, die deren methodische Reichweite und damit die Berechtigung dieser kritischen Grundhaltung gegenüber dem Begriff des subjektiven Rechts prüft. Von unserem methodischen Ansatz aus ist eine Plattform gewonnen, von der aus eine solche Auseinandersetzung möglich ist. Die Problematik dieser Denkansätze liegt darin, daß sie das Rechtssystem nicht als funktionales, auf Handlungen bezogenes System zugrunde legen, sondern als ein geistiges System, ein Wertsystem. Die Einheit dieses Systems w i r d vor allem durch die Einheit des Begriffs der Freiheit gewährleistet. Eine andere Akzentuierung des Freiheitsbegriffs stellt sich damit notwendig zugleich auch als eine Änderung dieses Systems dar. Es fehlt aber jegliche Analyse, was der Begriff des subjektiven Rechts m i t diesem Wertsystem zu tun hat. Indem einfach unterstellt wird, daß der Begriff des subjektiven Rechts Ausdruck eines liberalen Rechtssystems sei, erscheint er bei einer gesellschaftspolitischen Änderung zum Sozialen h i n nicht mehr unverändert akzeptabel. Dieser Ansatz ist methodisch nicht ausreichend, um dem Begriff des subjektiven Rechts näherzukommen, Ausgangspunkt hierfür müssen vielmehr die i n dieser Arbeit entwickelten methodischen Unterscheidungen sein, i n deren Mittelpunkt der Gedanke der Funktion des Rechtes steht. Tatsächlich arbeiten zum Beispiel auch Coing und Wieacker mit funktionellen Strukturelementen, entscheidend bleibt aber für beide doch schließlich der Ansatz von einem obersten Wert her und damit ein unabgeklärter Begriff des „Rechtssystems". Das Problem ist nicht die Neubegründung eines Rechtssystems angesichts gesellschaftspolitischen Wandels, sondern die Klärung des Systembegriffs selbst. Wie w i r d gesellschaftlicher Wandel von einem Rechtssystem aufgenommen und verarbeitet? Es wurde schon auf die politische Gesamtentscheidung hingewiesen, die ein völlig neues Wirtschaftssystem und damit auch eine neue Grundlage für die Gesetze schaffen kann. Aber auch i m Rahmen eines sich identisch erhaltenden Wirtschaftssystems können geänderte gesellschaftspolitische Vorstellungen über die Gesetzgebung verarbeitet werden, da der Begriff des funktionalen Wirtschaftssystems durch die Einbeziehung der öffentlichen Seite genügend Flexibilität und Spannbreite hat. Die gesellschaftspolitischen Wandlungen seit der Jahrhundertwende, auf die sich die genannten Autoren bei ihren Überlegungen zu einer Änderung des Rechtssystems berufen, haben sich bisher i n diesem Rahmen gehalten. V. Überblick über den Gang der geplanten Untersuchung I m folgenden 2. Kapitel w i r d die Struktur der Wirtschaft als ein offenes System entwickelt. Dieses offene System ist nach unserer Grundthese „Regelungsgegenstand" sowohl des privatrechtlichen wie des

V. Überblick über den Gang der geplanten Untersuchung

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öffentlich-rechtlichen Gesetzes. Die Untersuchung dieser Struktur w i r d also zweckmäßigerweise vor die „Klammer" der rechtlichen Untersuchung gezogen. Die Entwicklung der Wirtschaft als eines offenen Systems ist durchaus nicht Selbstzweck, sie dient uns vielmehr zur einen Seite h i n zur deutlichen Abschichtung des Freiheitsbegriffs, zur anderen Seite hin zur Herausarbeitung der Strukturteile, ohne die das Gesetz als Konfliktsentscheidung sich nicht verständlich machen läßt, nämlich Eigentum und Anspruch i m wirtschaftlichen Sinne. Beide Begriffe sind Voraussetzung der privatrechtlichen ebenso wie der öffentlich-rechtlichen Regelung und garantieren die Beziehung zwischen beiden Rechtsgebieten zwar nicht direkt, aber — um so nachhaltiger — auf einer dritten Ebene. Das 3. bis 6. Kapitel ist der Untersuchung des privaten subjektiven Rechts gewidmet. I m 3. Kapitel w i r d der Grundgedanke unserer strukturellen Auffassung, das Ineinandergreifen von Wirtschaftsgefüge, Gesetz als Konfliktsentscheidung und subjektivem Recht i m juristischtechnischen Sinne entwickelt. Dieser zunächst i m 3. Kapitel geschlossen durchgeführte Ansatz w i r d dann i m 4. Kapitel durch eine Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der klassischen Begriffsgeschichte und i m 5. Kapitel durch eine Auseinandersetzung m i t den Ergebnissen der modernen normativen Schule, insbesondere m i t den Forschungen Buchers, vertieft. Das 6. Kapitel setzt sich kritisch m i t den Überlegungen zum Privatrechtssystem auseinander, die das subjektive private Recht als Ausdruck einer liberalen Rechtssystematik deuten und i h m daher selbst kritisch gegenüberstehen. Es handelt sich hier um den schon beschriebenen „wertsystematischen" Ansatz zum subjektiven Recht. I m 7. Kapitel schließt dann eine Auseinandersetzung m i t der Problematik des subjektiven öffentlichen Rechts des Verwaltungsrechts an. Es liegt i n der Konsequenz der durchgeführten Untersuchung, daß hier das Verhältnis von Eigentum und Anspruch i m wirtschaftlichen Sinne und dem Schulbegriff des subjektiven öffentlichen Rechts i m Mittelpunkt steht. Die Arbeit kommt auf Grund der vorgenomenen Blickwendung vom Wirtschaftsgefüge auf das Gesetz zu einer Neuorientierung des Begriffs des subjektiven öffentlichen Rechts selbst. I m Rahmen der vorliegenden Arbeit ist es allerdings nicht möglich, spezifisch verwaltungsrechtliche Probleme des Schulbegriffs des subjektiven öffentlichen Rechts abzuhandeln, w i r müssen uns darauf beschränken, die von uns i n Angriff genommene Neuorientierung durch einige Einzeluntersuchungen etwas weiter abzusichern. I m 8. Kapitel folgt als abschließender Ausblick auf das Verfassungsrecht eine Untersuchung der Frage, ob sich der allgemeine strukturelle Grundgedanke der Arbeit auch auf das subjektive Grundrecht des Art.

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1. Kap.: Problemstellung und Lösungsansatz der vorliegenden Arbeit

14 GG anwenden läßt und hier gegebenenfalls zu einer Systematik führt, die leistungsfähiger ist als der überkommene Dualismus von Institutsgarantie und Rechtsstellungsgarantie. Diese Skizze zu einem verfassungsrechtlichen Grundproblem ist i m Rahmen unserer Arbeit deshalb so wichtig, weil für die Verfassung die Annahme so nahe liegt, daß sie tatsächlich eine Eigentumsordnung nicht nur sichert, sondern konstituiert. Hier entscheidet sich also die Frage, ob sich die i n dieser Arbeit durchgeführte Blickwendung auf allen Rechtsgebieten durchführen läßt. Die Frage nach der Funktion des subjektiven Grundrechts steht letztlich vor dem Hintergrund des Streites u m das Verhältnis von Rechtsstaat und Sozialstaat. Die Überlegungen zum Verfassungsrecht werden daher m i t einer Analyse dieses Streites abgeschlossen. W i r beschränken uns dabei auf die Argumentationen von zwei bedeutenden Vertretern der einander entgegentretenden Schulen (Häberle und Forsthoff). Auch hier kommen wir, wie bei der entsprechenden Untersuchung zum Privatrechtssystem i m 6. Kapitel der Arbeit, zu der Uberzeugung, daß letztlich aus Wertsystemen heraus argumentiert w i r d und aus diesem Grunde die Aporien, i n die sich der Streit verstrickt, nur auf Grund einer kritischen Analyse dieses Denkansatzes selbst auflösbar sind.

Zweites Kapitel

Wirtschaftssystem und Eigentum im wirtschaftlichen Sinne I. Welche Bedeutung hat die liberale Wirtschaftstheorie und ihr Freiheitsbegriff für die vorliegende Untersuchung? Nach den Ausführungen i m 1. Kapitel ist es selbstverständlich, daß als System der Wirtschaft die Struktur zugrunde gelegt werden kann, die seit Adam Smith Gegenstand der Wirtschaftswissenschaften ist. W i r stützen uns also bei der Darstellung insbesondere auf die wirtschaftswissenschaftlichen Ergebnisse. I m Hinblick auf das von uns angenommene Grundmodell vom Erwerbsstreben-Arbeitsteiligkeit-Tausch ist diese Struktur auch von der anthropologischen Soziologie erarbeitet, deren Ergebnisse ebenfalls herangezogen werden sollen. Vorweg ist jedoch insbesondere i m Hinblick auf die Wirtschaftswissenschaften noch eine Frage zu klären. Wie kann es gelingen, angesichts der bedeutenden Wendungen der Theorie von Adam Smith über den Ordoliberalismus bis hin zur Theorie der sozialen Marktwirtschaft eine einheitliche Struktur zugrunde zu legen? Die Frage w i r d durch den methodischen Ansatz dieser A r beit beantwortet, es dient jedoch der Klärung, wenn dieser Aspekt noch einmal kurz i m Hinblick auf die Problemstellung i n der Wirtschaftswissenschaft ausgearbeitet wird. Hier reicht allerdings die Beschränkung auf einige große Schwerpunkte der Wirtschaftstheorie, da nur das Verhältnis zu unserem methodischen Ansatz interessiert. Die Wirtschaftsstruktur, wie sie von der anthropologischen Soziologie erarbeitet und wie sie von der neuzeitlichen Wirtschaftstheorie „vorgefunden" wurde, w i r d von den großen wirtschaftswissenschaftlichen Konzeptionen der Neuzeit i n ein metaphysisches Gewand gehüllt, das diesen Konzeptionen ihre Unbedingtheit, ihre Notwendigkeit gibt, das sie aber auch historisch-praktisch gleichzeitig zu politischen Postulaten gemacht und ihnen ihre Durchschlagskraft verliehen hat. Unter diesem Aspekt kann man die Lehre Adam Smiths deuten, daß der M a r k t eine natürliche, harmonische Ordnung von unsichtbarer Hand sei 1 , aber auch die These 1 A d a m Smith, Eine Untersuchung über N a t u r u n d Wesen des Volkswohlstandes, 4. Buch, 2. Kapitel, Bd. 2, S. 43 der Ausgabe Verlag Achenbach 1973; vgl. dazu weiter Euchen, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 357 m i t weite-

ren Stellenangaben bei Smith.

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2. Kap. : Wirtschaftssystem und Eigentum im wirtschaftlichen Sinne

von Eucken von der Wettbewerbsordnung als Ordo 2 . Diese Konzeptionen treten auf Grund dieser metaphysischen Verankerung 3 tatsächlich dann i n Konkurrenz m i t der rechtswissenschaftlichen Konzeption, da diese metaphysische Stabilisierung der Struktur sich für die Rechtswissenschaft i m Sinne eines vorgegebenen Naturrechtes auswirken muß, i m Hinblick auf welches das positive Recht nur einen beschränkten oder überhaupt keinen Spielraum mehr hat. Damit liegt das Verhältnis zu der hier durchgeführten Untersuchung schon auf der Hand. W i r haben die „metaphysische Einkleidung" der Wirtschaftsstruktur selbst dadurch vermieden, daß w i r diesen Gesichtspunkt methodisch auf die politische Gesamtentscheidung bezogen haben, womit die historische Fundierung dieses Wirtschaftssystems abgedeckt ist, und daß w i r i m übrigen Wirtschaftssystem und Freiheitsbegriff nicht miteinander identifizieren, sondern — von der politischen Gesamtentscheidung her gesehen — als M i t t e l und Zweck einander auf zwei verschiedenen gedanklichen Ebenen zugeordnet haben. Dieser Ansatz ermöglicht die scharfe Herausarbeitung der funktionalen Zusammenhänge innerhalb der Wirtschaftsstruktur unbelastet von der Problematik, die auftaucht, wenn man ein bestimmtes Funktionieren dieses Systems mit höherer Harmonie oder vorgegebener Ordnung identifiziert. Tatsächlich ist damit auch unser Systembegriff für die Wirtschaft lockerer, da das System für uns nur einen Rahmen darstellt, innerhalb dessen Neuakzentuierungen, neue gesellschaftspolitische Zielsetzungen möglich sind. Dieser Systembegriff für die Wirtschaft und diese Zuordnung von Wirtschaftssystem und Freiheitsbegriff entspricht i m übrigen weitgehend der Konzeption der modernen Wirtschaftstheorie und insbesondere der Konzeption der sozialen Marktwirtschaft. Nach Müller-Armack ist der Markt nur ein Mittel, ein Instrument für das jenseits des Marktes liegende Ziel einer freien und sozialen Gesellschaftsordnung 4 . Dieser A n satz führt dazu, daß man die M a r k t w i r k u n g nicht verabsolutiert, sondern sie i m Hinblick auf gesellschaftspolitisch wünschenswerte Ziele für ergänzungsfähig hält. Der M a r k t ist nicht das einzige M i t t e l zur Erreichung dieses Ziels, aber immerhin das wichtigste Strukturelement. Giersch weist i n seiner „Allgemeinen Wirtschaftspolitik" ausdrücklich auf die i m Vergleich zur klassischen liberalen und zur neoliberalen Theorie undog2

Vgl. Eucken, Grundsätze, S. 372, 373. Dazu eindringlich Runge, Antinomien, S. 57. 3 Z u r Religiosität des Harmonieglaubens bei A d a m Smith vgl. MüllerArmack, Wirtschaftslenkung u n d Marktwirtschaft, i n : Wirtschaftsordnung u n d Wirtschaftspolitik, S. 28; das Wort Ordo ist bei Eucken aus der m i t t e l alterlichen Philosophie entlehnt, vgl. Grundsätze, S. 372. 4 Vgl. Müller-Armack, Wirtschaftslenkung u n d Marktwirtschaft, aaO, S. 87, 107, 126; ferner S t i l u n d Ordnung der sozialen Marktwirtschaft, i n : W i r t schaftsordnung u n d Wirtschaftspolitik, S. 238.

I. Die liberale Wirtschaftstheorie und ihr Freiheitsbegriff

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matischere und wirklichkeitsnähere Konzeption der sozialen M a r k t w i r t schaft hin 5 , die nach unserer Auffassung gerade durch die Akzentuierung der nur instrumentalen Rolle des Marktes und die Abschichtung der metaphysischen Problematik erreicht wird. I m Grundansatz entspricht auch Gierschs eigene Konzeption diesem theoretischen Konzept. Als Ziel der Gesellschaftspolitik t r i t t bei i h m anstelle der Sozialutopien der Wertkompromiß. Dem entsprechen die Begriffe des notwendigen Konfliktes und des offenen Systems bei Giersch 6 . Die Absonderung des Wertgesichtspunktes unter dem Aspekt des Ziels der Gesellschaftspolitik führt dann notwendig zu einer weitgehend instrumentalen Sicht der W i r t schaftsstruktur selbst. Nach Abschichtung des metaphysischen Aspektes zeigen die i n sich geschlossenen Konzeptionen des klassischen ökonomischen Liberalismus und des Neoliberalismus alle wesentlichen Elemente des von uns angenommenen offenen Systems. Die metaphysische Fundierung führt bei ihnen nur zur Akzentuierung jeweils eines ganz bestimmten Strukturteils. Unter historischem Gesichtspunkt hat sich gerade dieser Strukturteil als wesentlich für die Funktion des Ganzen dargestellt, so daß es verständlich erscheint, wenn der naturrechtliche Aspekt gerade i n diesen Strukturteil hineingelegt wurde. So hat der Harmonieglaube von Adam Smith den Blick auf die notwendige Freiheit des Marktes gelenkt und dam i t die Gegenposition zur merkantilistischen Drangsalierung der W i r t schaft geschaffen 7. Die neoliberale Konzeption stellt geschichtlich vor allem den Versuch einer Bewältigung des Monopolproblems dar, auch hier wieder ist der Lösungsvorschlag metaphysisch vertieft durch den Ordogedanken 8 . Bei Eucken werden i m übrigen alle Teile unseres offenen Systems vorgetragen, da sie vom Ordogedanken her gedacht werden allerdings i n dem Verhältnis von konstituierenden und regulierenden Prinzipien 9 . Auch Eucken kennt eine politische Gesamtentscheidung 10 . Er bezieht sie allerdings auf die Wettbewerbsordnung als solche, so daß es sich nicht u m eine politische Gesamtentscheidung i n dem von uns entwickelten methodischen Sinne handelt. Es ist vielmehr aus unserer Sicht die Entscheidung zu einer bestimmten Wirtschaftspolitik schon i m Rahmen des von uns vorausgesetzten Systems. 5

Giersch, Allgemeine Wirtschaftspolitik, S. 188. Vgl. dazu insgesamt Giersch, Allgemeine Wirtschaftspolitik, S. 59 ff. 7 Vgl. dazu Müller-Armack, Wirtschaftslenkung u n d Marktwirtschaft, aaO, S. 104. 8 Diese Stoßrichtung bestimmt ζ. B. prägnant Böhms „Wettbewerb u n d Monopolkampf". 6

9

10

Eucken, Grundsätze, S. 254 - 304. aaO, S. 250, 251.

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2. Kap.: Wirtschaftssystem und Eigentum im wirtschaftlichen Sinne

Runge kommt i n seinen „Antinomien des Freiheitsbegriffs i m Rechtsb i l d des Ordoliberalismus" zu einer ähnlichen Würdigung des ordoliberalen Freiheitsbegriffs als Verabsolutierung eines Strukturmomentes der Wirtschaft 1 1 . Der Begriff der Freiheit läßt sich nach Runge nicht auf die Zwangsläufigkeit der kaufmännisch richtigen Entscheidung reduzieren 1 2 . Er betont gegenüber der naturrechtlichen Ideologie eines total geplanten Ordnungsvollzuges die Überzeugimg, daß sich die Sachgesetzlichkeiten nicht zu einem umfassenden Ordnungsgesetz ergänzen, daß die Natur nur Ordnungselemente, aber nicht die Ordnung selbst beinhaltet, und daher „die ordnende Tat der Rechtssetzung" unentbehrlich bleibt 1 3 . Diese Auffassung deckt sich jedenfalls i m Ansatz m i t der i n dieser Arbeit vertretenen, n u r kommen w i r von unserer methodischen Konzeption her zu einer umfassenderen Ausarbeitung des gegenseitigen Verhältnisses von Wirtschaft und Recht und damit schließlich auch zu wesentlich anderen Akzentsetzungen. So beruht vom Standpunkt dieser Arbeit aus die Auffassung Runges, daß i n den Begriffen des subjektiven Rechts und der Vertragsfreiheit eigene Wertungen des Rechts zum Ausdruck kommen 1 4 , auf der überkommenen Wertsystematik des Rechts und ist methodisch selbst nicht genügend abgesichert 15 . Der Ausblick hat ergeben, daß w i r uns i m folgenden die wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse über die Wirtschaft als funktionales System zunutze machen können, ohne damit die unterschiedlichen metaphysischen Konzeptionen, die bisher dazu vertreten worden sind, übernehmen zu müssen. Die Offenheit des Systems sichert der Gesetzgebung und neuen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen einen Platz i m Rahmen des Systems. Nach dieser methodischen Absicherung soll nun eine Skizze des Wirtschaftsgefüges zur privaten und öffentlichen Seite h i n ausgearbeitet werden. Auch hier genügt ein Überblick, da besondere wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisziele nicht verfolgt werden, sondern es nur darauf ankommt, die Bezugsebene des privatrechtlichen und öffentlichrechtlichen Gesetzes darzustellen. Diese Skizze ist dann Grundlage der Herausarbeitung von Eigentum und Anspruch i m wirtschaftlichen Sinne als besonderen Strukturteilen.

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12

Runge, aaO, S. 34,109.

Runge, aaO, S. 107, polemisch gegen Böhm.

13

Runge, aaO, S. 171, unter Hinweis auf Coing , Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 127. Ein ähnliches Verhältnis von sinnhaft strukturiertem Wirtschaftsgefüge m i t Strukturelementen und Funktion des Rechtssystems selbst n i m m t Raiser , Wirtschaftsverfassung als Rechtsproblem, i n : Die staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, S. 109 ff., 115,116 an. 14

Runge, aaO, S. 58.

15

Vgl. dazu die Untersuchung i m 6. Kapitel.

II. Das Wirtschaftssystem zur privaten und öffentlichen Seite

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II· Das Wirtschaftssystem zur privaten und öffentlichen Seite Die Bedürftigkeit des Menschen, worauf auch immer sie beruht, führt zu einem Streben nach ihrer Überwindung, d. h. zum Erwerb von Nahrung und Kleidung, dann auch zur Herstellung von Werkzeugen, u m die Befriedigung dieser Bedürfnisse zu erleichtern. Das Erwerbsstreben richtet sich schließlich auf die Anlage eines Vorrats, der der zukünftigen Bedarfsdeckung dient 1 6 . Dieser Vorrat schafft die Sicherheit, deren das I n dividuum als Mängelwesen zu seiner zukünftigen Lebensführung bedarf. Diese Sicherheitsgewährung w i r d von Gehlen unter dem Stichwort der Hintergrundserfüllung untersucht 1 7 . Irgendwann einmal hat sich eine Spezialisierung i m Hinblick auf die Herstellung von Dingen ergeben, d. h. es setzte sich Arbeitsteiligkeit durch, die eine bessere Bedarfsdeckung ermöglichte 18 . Tauschakte realisierten nach Aufkommen der Arbeitsteiligkeit die Ergebnisse des eigenen Erwerbsstrebens 19 . M i t dem Aufkommen der Geldwirtschaft i n einem späteren Stadium t r i t t an die Stelle des Tausches der Kauf. Der Gegenstand des Erwerbsstrebens kann bereits hier als Eigentum an Gütern oder vielleicht noch zutreffender als Vermögen bezeichnet werden. W i r gehen gemäß unserem methodischen Ansatz i n dieser Arbeit davon aus, daß die Begriffe des Eigentums und Vermögens i n dem geschilderten Zusammenhang ihren ersten und ursprünglichen Ort haben. Es sind wirtschaftliche, nicht primär juristisch-technische Begriffe. Soziologie und Rechtsphilosophie haben das Eigentum i n erster Linie i n diesen Zusammenhang der Herstellung von Gütern gestellt 2 0 . Gehlen führt als zweite, nicht aus dem Herstellen ableitbare Komponente des Eigentums das Haben an, das aus dem Behalten zu entwickeln ist. A u f den Begriff des Eigentums i m wirtschaftlichen Sinne und die methodische Bedeutung dieses Begriffs für unsere Untersuchung gehen w i r i m A n schluß an die Darstellung des wirtschaftlichen Funktionssystems i n diesem Kapitel noch näher ein. Das dargestellte „Grundmodell" der Wirtschaft, bestehend aus dem Zusammenhang von Erwerbsstreben, Arbeitsteiligkeit und Tausch, ist als Struktur, als Funktionssystem jedoch nur über den Markt, nicht allein 16 Vgl. dazu etwa Gehlen, Urmensch u n d Spätkultur, S. 50 ff. u n d die dort zitierte Auffassung von Schelsky.

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18

Vgl. Gehlen, aaO, S. 50 ff. Vgl. dazu Gehlen, aaO, S. 33, 34.

19 Z u m Tausch als G r u n d f o r m einer sozialen Reziprozität Gehlen, aaO, S. 46; Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer u n d personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie, i n : Jahrbuch f ü r Rechtssoziologie und Rechtstheorie Band 1, S. 37 ff., 70.

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Vgl. dazu Gehlen, aaO, S. 52. I n der Rechtsphänomenologie ζ. B. Reinach,

Die Apriorischen Grundlagen des Bürgerlichen Rechts, S. 124, ebenso W. Schapp, Wert, W e r k u n d Eigentum.

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2. Kap. : Wirtschaftssystem und Eigentum im wirtschaftlichen Sinne

über die zweiseitige Austauschbeziehung zu begreifen. Für unsere instrumentale Auffassung ist es dabei wichtig, daß der Markt nur als ein Strukturprinzip der Wirtschaft begriffen wird, daß w i r den Begriff des Marktes also nicht i m Sinne einer selbstregulierten Ordnung oder über den Begriff des Wettbewerbs verabsolutieren. Aber auch für eine instrumentale Auffassung ist der Begriff des Marktes das wichtigste Strukturprinzip der Wirtschaft, da er unerläßlich ist, um die wirtschaftliche Effektivität des marktwirtschaftlich verfaßten Systems i m Gegensatz zu einem zentralgelenkten System zum Ausdruck zu bringen und damit die eigentliche Essenz auch noch des hier zugrunde gelegten offenen Systems und der Entscheidung zu diesem System ausmacht 21 . Für unseren Zweck können die grundlegenden Definitionen von Hayek und Eucken zum Markt herangezogen werden, da sie durchaus funktional formuliert sind. Hayek bezeichnet den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren zum besten Einsatz der wirtschaftlichen Kräfte 2 2 , nach Eucken ist der Markt ein Verfahren, i n dem die Bedürfnisse über die Kosten die Produktion kontrollieren 2 3 . Daß der Markt die größte Möglichkeit zur Entfaltung der spontanen privaten Kräfte darstellt, ist zentrale Uberzeugung des ökonomischen Liberalismus i n welcher Erscheinungsweise auch immer 2 4 . Sie beruht ganz auf einem instrumentalen Verständnis des Marktes und kann hier durchaus herangezogen werden. Zur negativen Seite hin erweist sich der Begriff des Marktes als Hilfsmittel zur Erfassung der Leistungen, die von der privaten Tätigkeit und Initiative nicht oder nur schwer erbracht werden können und die daher i m wesentlichen dem Staate zufallen. Das Ergänzungsverhältnis zwischen privaten und öffentlichen Interessen läßt sich also zu einem wesentlichen Teil nur über den Gedanken der Leistungsfähigkeit des Marktes formulieren, so daß der Begriff des Marktes sich auch von dieser Seite her als zentraler Strukturgedanke des Systems erweist. Bemerkenswerterweise herrscht auch i m Hinblick auf diese Ergänzungsbedürftigkeit des Marktes eine sehr viel weitergehende Einigkeit zwischen den wirtschaftswissenschaftlichen Forschern als die Unterschiede i n den Grundpositionen vermuten lassen. Da w i r über den M a r k t den Systemübergang zu den öffentlichen Aufgaben finden, interessiert ein kurzer Uberblick über das Ausmaß dieser Ergänzungsbedürftigkeit. Es müssen hier mehrere Aspekte der Ergänzungsbedürftigkeit unterschieden werden. 21 Das ist übrigens heute bis w e i t i n das sozialistische Lager hinein anerkannt, vgl. vor allem die bei Hayek , Freiburger Studien, S. 57 zitierte Bemerkung Schumpeters, die Marktwirtschaft sei die wirksamste Wirtschaftsform. Vgl. auch E. Heimann, Soziale Theorie der Wirtschaftssysteme, S. 129: Die Marktwirtschaft sei aus guten Gründen als K a m p f gegen die Knappheit durch Expansion definiert. 22 Hayek , Freiburger Studien, S. 226, 249 ff.

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24

Eucken, Grundsätze, S. 71. Vgl. etwa Müller-Armack, aaO, S. 26.

II. Das Wirtschaftssystem zur privaten und öffentlichen S e i t e 3 3 Unter einem sachlichen Aspekt lassen sich öffentliche Aufgaben wie Landesverteidigung, Straßenbau, Schulwesen heute nicht mehr zum Gegenstand privatwirtschaftlicher Initiative machen. Damit sind nur Schwerpunkte eines großen Kreises von Aufgaben bezeichnet, die heute vom Staate wahrgenommen werden. Diese Aufgaben sind dem Staate teilweise historisch zugewachsen, zu einem Teil mögen sie ursprünglich privatwirtschaftlich erfüllt worden sein. Man kann über die Abgrenzung i m einzelnen streiten, nicht jedoch darüber, daß es i m augenblicklichen Sozialwesen Aufgaben gibt, die vernünftigerweise vom Staat effektiver wahrgenommen werden als von privatwirtschaftlicher Initiative. Unter funktionellem Gesichtspunkt bedarf der M a r k t selbst der A b stützung, u m wirksam zu bleiben. Er ist zwar Strukturprinzip, das bedeutet aber durchaus nicht, daß er sich selbst reguliert oder seine F u n k tionsfähigkeit allein schon aus dem Gedanken des Strukturprinzips heraus erhalten kann. A u f die Funktion des Marktes als solche bezieht sich eine gesetzliche Wettbewerbsordnung ebenso wie die staatlichen Maßnahmen der Konjunkturpolitik, die staatliche Setzung von Rahmenbedingungen i m Geld- und Währungswesen und ähnliches. Es genügt hier diese ganz pauschale Gruppierung, da es n u r auf den ganz groben Uberblick ankommen kann. Unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit bedarf die durch den M a r k t erreichte Einkommensverteilung der Korrektur, die i m wesentlichen durch staatliche Maßnahmen durchgeführt wird. Daß die durch den M a r k t erreichbare Einkommensverteilung nicht m i t dem Prädikat sozialer Gerechtigkeit versehen werden kann, sondern hier der staatliche Ausgleich erforderlich ist, w i r d von der liberalen Wirtschaftstheorie weitgehend anerkannt. Sie verabsolutiert die Ergebnisse des Marktes durchaus nicht als sozial gerecht. Eucken zieht sich zunächst darauf zurück, daß die über den M a r k t erzielbaren Ergebnisse jedenfalls gerechter seien als die i n einer zentralen Verwaltungswirtschaft erzielbaren 25 . Er statuiert dann aber als regulierendes Prinzip der Wettbewerbsordnung doch den steuerlichen Ausgleich des wirtschaftlichen Ergebnisses 26 . Nach Hayek sind die über den M a r k t erzielbaren Preise n u r — gewissermaßen technische — Folge des Konkurrenzsystems 27 , an die man m i t dem — i m übrigen von Hayek als Luftspiegelung bezeichneten 28 — Prädikat sozialer Gerechtigkeit nicht herangehen kann 2 9 . Das erzielte Ergebnis w i r d 25

Eucken, Grundsätze, S. 124, 300.

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Eucken, Grundsätze, S. 300 f.

27

Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, S. 146.

28

Hayek, Freiburger Studien, S. 76. 29 Hayek, Freiburger Studien, S. 119, auch S. 185; nach Hayek, Freiburger Studien, S. 168 sind die Preise zwar nicht gerecht, aber annähernd proportional. 3 Schapp

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2. Kap.: Wirtschaftssystem und Eigentum im wirtschaftlichen Sinne

ganz konsequent auch nur als Ergebnis einer Mischung aus Geschicklichkeit und Zufall bezeichnet 30 . Der Gedanke der von der Regierung auf Grund von Steuermitteln vorzunehmenden Aufgaben steht auch bei Hayek i m Zentrum der Untersuchung, wenn der Akzent dabei auch nicht auf dem sozialen Ausgleich liegt. Auch Müller-Armack bezeichnet die Steuer als marktkonformes Mittel, sozialen Ausgleich zu erzielen 31 . Wenn die Theorie der sozialen Marktwirtschaft i m übrigen Massenwohlstand durch Expansion vor die Frage einer anderen Verteilung des Sozialprodukts stellt, liegt dem derselbe Gedanke zu Grunde 3 2 . Insbesondere hier zeigt sich, daß der Begriff der Gerechtigkeit nicht ohne weitere Vermittlung auf den M a r k t bezogen werden kann, sondern allenfalls dem Gesamtsystem zugeordnet werden kann. Der M a r k t als Strukturprinzip leistet vor allem die Effektivität des Systems, nicht unmittelbar gerechte Einkommensverteilung. Diese Effektivität ist aber wieder Voraussetzung für jede Umverteilung des erarbeiteten Produkts. Der Gesichtspunkt der Ergänzungsbedürftigkeit des Marktes als Strukturprinzip erlaubt eine übersichtliche Gliederung der Staatsaufgaben, die wirtschaftlich relevant sind, nach sachlichen Kriterien. Ein wesentlicher Teil dieser damit sachlich beschriebenen Staatsaufgaben ist nun i n eine Gegenseitigkeitsbeziehung zum privaten Teil des Funktionssystems eingestellt, die erst eigentlich den Systemzusammenhang ausmacht: Der einzelne Wirtschaftsbürger alimentiert durch seine Steuerzahlungen die Gesamtheit der Staatsleistungen, d. h. der Vermögenswert dieser Staatsleistungen muß erst auf der privaten Seite erwirtschaftet werden. Wenn w i r das Verhältnis von Steuererhebung und staatlicher Leistung hier als Gegenseitigkeitsverhältnis bezeichnen, so geschieht das i n Anlehnung an den für die private Seite des Systems zu Grunde gelegten Gedanken der Austauschbeziehung durch Vertrag. Die Leistungen sind einander hier nicht so straff zugeordnet wie i n der vertraglichen Austauschbeziehung. Allein, wenn man auf die Gesamtheit der Bürger abstellt, so gilt ein ähnliches Verhältnis auch hier. Der Staat kann nur das auskehren, was an i h n selbst geleistet worden ist. Das „do ut des" der privaten Austauschbeziehung gilt i n einer den öffentlichen Interessen entsprechenden Weise auch i m Verhältnis Bürger-Staat 3 3 . I n dieser Sicht verfolgt nicht erst der Staat, sondern bereits der Bürger m i t seinem steuerlichen Beitrag an den Staat öffentliche Interessen. Der Grundgedanke des Vermögens, daß der B ü r ger etwas durch das Eigentum vermag, strukturiert auch die Beziehung 30

81 82

Hayek, Freiburger Studien, S. 122; Der Weg zur Knechtschaft, S. 135.

Vgl. Müller-Armack,

aaO, S. 33, und durchgehend.

Vgl. dazu Giersch, Allgemeine Wirtschaftspolitik, S. 189, m i t L i t e r a t u r nachweisen; auch Hayek, Freiburger Studien, S. 226. 88 Jhering, Der Zweck i m Recht, Bd. 1, spricht hier von einem erzwungenen Beitrag eines jeden zu den Zwecken der Gesellschaft, S. 400, u n d dann d i r e k t von der Gegenleistung des Staates an das I n d i v i d u u m , S. 430.

II. Das Wirtschaftssystem zur privaten und öffentlichen Seite

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zur öffentlichen Seite hin. Er „vermag" nämlich durch seine Steuern die Erfüllung öffentlicher Aufgaben. I m wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum w i r d die Zentralität der Beziehung von privatem Erwerbsstreben einerseits und Steuererhebung und Verwendung der M i t t e l durch den Staat andererseits erkannt und analysiert. Eucken behandelt unter den Stichworten „Einkommenspolit i k " und „Wirtschaftsrechnung" die Erforderlichkeit des durch Steuer erfolgenden Ausgleichs und staatlicher Aufgabenwahrnehmung (Umweltschutz, Arbeitsschutz usw.) als regulierende Prinzipien der Wettbewerbsordnung 34 , allerdings nur kurz und ohne entscheidendes Gewicht auf den Zusammenhang von Steuer und staatlicher Aufgabe zu legen. Das Wort „regulierend" ist auf die Ergänzungsbedürftigkeit der Wettbewerbsordnung bezogen, der Schwerpunkt liegt also durchaus auf der Sicht von Markt und Wettbewerb her, der hier skizzierte Zusammenhang w i r d nicht zum Thema. Müller-Armack bezeichnet die Besteuerung vorhandener Kaufkraft als marktwirtschaftlichen Weg, die Wirtschaft i n den Dienst des Staates zu stellen 35 . Für Hayek ist die Mittelerhebung durch Steuer und Mittelverwendung durch den Staat der Kern der staatlichen „Regierung" durch Befehl, die er als Wesen des öffentlich-rechtlichen Bereichs auffaßt 36 . Der Inhalt der Regierung w i r d direkt als Verwaltung aller dem Staate anvertrauten M i t t e l bezeichnet 37 . Empfang und Verwendung von Vermögen durch den Staat zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben scheint uns also der entscheidende Strukturgesichtspunkt des Wirtschaftssystems zur öffentlichen Seite hin zu sein. Dieser Strukturgesichtspunkt entspricht dem i m Begriff des Vermögens zum Ausdruck kommenden Gedanken, wie er auch für die private Seite des auf Eigentum aufgebauten Wirtschaftssystems gilt, daß nämlich auf Grund der Werthaftigkeit der Güter etwas vermocht wird. Man könnte sagen, daß das ganze System i n diesem Gedanken letztlich seine Einheit findet. Die rechtswissenschaftliche Theorie hat bisher weder vermocht, den funktionellen Zusammenhang von Erwerbsstreben, Eigentum und Austauschbeziehung auf der privaten Seite dieses Systems noch das „Gegenseitigkeitsverhältnis" von Steuer und staatlicher Leistung i n den Griff zu bekommen. Das liegt nach unserer Auffassung vor allem daran, daß bisher ein methodischer Ansatz gefehlt hat, der diese Ebene als Funktionssystem von der normativen Ebene trennt. Statt dessen werden einzelne Strukturteile und die Funktion des Rechtes für die Struktur, die w i r i n der Konfliktsentscheidung sehen, unkritisch miteinander ver84 35

Euchen, Grundsätze, S. 300, 301.

aaO, S. 33. 36 Hayeh, Freiburger Studien, S. 54, 55, 229. 37 Freiburger Studien, S. 61; weitere Stellen zur Steuer, aaO, S. 51, 68, 225, 226.



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2. Kap. : Wirtschaftssystem und Eigentum im wirtschaftlichen Sinne

mengt. Man kann auch nicht einwenden, daß dieser Funktionszusammenhang den Juristen nicht zu interessieren hätte, da er ja i n seiner praktischen Arbeit tagtäglich über die Konflikte innerhalb dieser Struktur zu entscheiden hat. I m praktischen Ergebnis sind denn auch die neueren Versuche zur Systemfrage i n der Rechtswissenschaft weitgehend ein Gemisch aus beiden Ebenen. Durch die für die öffentliche Seite des Systems geschilderte Gegenseitigkeitsbeziehung von Steuerleistung und staatlicher Leistung durch Verwendung der Steuermittel lassen sich nicht alle staatlichen Tätigkeiten erfassen. So sind eine Reihe staatlicher Aktivitäten auf private Betätigung direkt bezogen, ζ. B. i m Polizeirecht i m engeren Sinne, i m Bau- und Gewerberecht oder auch i m Wettbewerbsrecht. Diese staatlichen Aktivitäten sind unter dem Gesichtspunkt der verwendeten Geldmittel durch Steuer alimentierte Leistungen des Staates an die Gesamtheit, für den betroffenen Bürger liegt i n ihnen i n der Regel eine Beschränkung seiner Betätigungsmöglichkeiten. Auch i n dieser Inanspruchnahme des Bürgers kann man eine Leistung an den Staat zu öffentlichen Zwecken sehen, die die Substanz eines subjektiven Rechtes des Staates darstellen kann, wie w i r noch ausführen werden 3 8 . Hier erfüllt die H i n gabe von Vermögen gewissermaßen direkt öffentliche Zwecke, während bei der Steuerleistung die staatliche Entschließung über die Verwendung der M i t t e l zwischengeschaltet ist. I I I . Eigentum und Anspruch im wirtschaftlichen Sinne Aus der geschilderten Struktur sollen zwei wichtige Elemente hervorgehoben werden, weil sie unterbewußt, aber um so machtvoller auch die juristische Vorstellung des subjektiven Rechts mitbestimmen, die Strukturelemente des Eigentums und des Anspruchs i m wirtschaftlichen Sinne. Unsere Absicht bei dieser Hervorhebung ist es, zu zeigen, daß die Aussagen, die man über diese Gebilde machen kann, sich nur aus ihrer Stellung i n der Struktur oder i n dem Funktionszusammenhang ergeben, und daß der Zusammenhang dieser Aussagen auch nur auf dieser Ebene gesucht werden kann. Wie sich die Ubertragbarkeit eines Rechtes zu dem i h m gewährten Rechtsschutz verhält, welche Rechte überhaupt übertragbar sind, welche Rechte ausgeübt und welche Rechte genutzt werden können, warum ein Anspruch geltend gemacht und nicht ausgeübt wird, all diese Fragen lassen sich nur aus dieser Sphäre heraus beantworten, und zwar i m Hinblick auf die Funktionen des Eigentums und des Anspruchs i m wirtschaftlichen Sinne. Die Begriffe erhalten ihre Prägnanz durch ihre Stellung i n dem System.

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Vgl. i m einzelnen dazu das 7. Kapitel.

III. Eigentum und Anspruch im wirtschaftlichen Sinne

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1. Methodische Vorbesinnung: Eigentum und Anspruch als Strukturteile, nicht als Gedankeninhalt der Gemeinschaft Die Erforderlichkeit dieser Untersuchung w i r d noch deutlicher, wenn man einmal den methodischen Ansatz analysiert, m i t dem bisher weitgehend dieser Zusammenhang bewältigt worden ist. Die einzelnen geschilderten Beziehungen lagen natürlich auch für die überkommene Theorie auf der Hand. N u r erschienen sie zunächst als Bewußtseinsleistungen, und entsprechend war dann eine Synthese sehr leicht auf Grund eines einheitlichen Bewußtseinsaktes möglich, der das Konglomerat dieser Gehalte i n eins zusammenfaßte. So bezeichnet zum Beispiel Enneccerus/ Nipperdey 3 9 Rechte als Gedankendinge, die nicht tasächlich existieren. Nach von T u h r 4 0 sind subjektive Rechte nur Vorstellungen, welche i m Geiste der beteiligten Menschen existieren. Daß Eigentum ein Begriff ist, ist uns auch heute noch weitgehend selbstverständlich. Das Problem ist damit schon durch das einheitliche Denken des Begriffs Eigentum gelöst. Es fragt sich dann nur, wer denn eigentlich diesen Begriff des Eigentums denkt. Hier greift Enneccerus/Nipperdey auf die Gemeinschaft zurück 4 1 . Da die Gedanken variabel sind, erscheint auch der Begriffsinhalt selbst als variabel. Dieser methodische Ansatz, der heute weitgehend unbewußt den Konzeptionen zugrunde liegt, entspricht der großen idealistischen Wissenschaftstradition. Die Welt w i r d gewissermaßen dadurch verdoppelt, daß man neben die wirkliche Welt die begriffliche Welt setzt und dann wissenschaftlich nur m i t dieser begrifflichen Welt arbeitet. Die Bewußtseinsakte erscheinen als das letzte Wirkliche und damit auch als der einzig mögliche Untersuchungsgegenstand. Schon die Frage, was der Begriff des subjektiven Rechts sei, verrät diesen Ansatz vom Geistigen her. Warum fragt man nicht, was das subjektive Recht ist? A u f diese Frage läßt sich nur m i t dem Zusammenhang antworten, i n dem es vorkommt, die Beziehungen dieses Zusammenhangs erscheinen nicht als Inhalt des Begriffs, w i r sind vielmehr bei unserer Struktur. Es fehlt also nicht, wie Kasper meint 4 2 , bereits eine befriedigende Angabe darüber, auf welche offene Frage m i t dem Begriff des subjektiven Rechts i n der Rechtswissenschaft geantwortet wird, sondern es fehlt bereits eine Untersuchung, welchen methodischen Wert überhaupt die Bildung von Begriffen hat 4 3 . 39

Allgemeiner Teil, § 72, A n m . 22, S. 437. Allgemeiner Teil, Bd. I I , 1. Hälfte, S. 3. 41 Allgemeiner Teil, § 72,1 4, S. 437. 42 aaO, S. 7. 43 Ich k a n n i n diesem Zusammenhang auf meine kritische Auseinandersetzung m i t dem „Begriffsdenken" i n der Rechtswissenschaft i n meiner A r b e i t „Sein u n d Ort der Rechtsgebilde" verweisen. Ich habe mich dabei auf die Spätphilosophie W i l h e l m Schapps, insbesondere i n seinen Büchern „ I n 40

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2. Kap. : Wirtschaftssystem und Eigentum im wirtschaftlichen Sinne

Die große Bedeutung dieses allgemeinen Verständnisses von „Begriff" w i r d etwa bei Bucher m i t seiner Unterscheidung von Rechtsform- und Rechtsinhaltsbegriff deutlich. Entsprechend dem normativen Grundansatz kann letzter Beziehungspunkt dieser Begriffe, auch soweit sie als inhaltlich aufgefaßt werden, dann wieder nur die Norm sein. Der rein normative Ansatz, der allein auf den Anspruch zielt, ist an sich durchaus funktional. Er ist aber eingebettet i n einen umfassenderen begrifflichen Wissenschaftsansatz, der diese funktionale Bedeutung nicht deutlich werden läßt. Bucher versucht, das ungelöste Problem dann mit der These von der Formalität der normativen Methode zu retten, womit er deren eigentlichen funktionalen Aussagewert verdeckt 44 . I n der Literatur klingt unsere Auffassung i n den verschiedensten Untersuchungszusammenhängen an. Es soll nur einer herausgegriffen werden. Häufig w i r d das Eigentum als Prototyp des subjektiven Rechts bezeichnet 45 . Diese Redeweise hat keinen Sinn, wenn damit zum Ausdruck gebracht werden soll, daß das Eigentum einfach ein subjektives Recht ist. Sie legt doch wohl zugrunde, daß das Eigentum einerseits etwas anderes ist als ein subjektives Recht, andererseits aber doch Grundlage für alle subjektiven Rechte, die dann doch nur als solche i m rechtstechnischen Sinne gemeint sein können. Damit kommt i n dieser Redeweise ansatzweise schon eine methodische Unterscheidung von Eigentum und subjektivem Recht zum Ausdruck. Was unter Eigentum zu verstehen ist, w i r d als offenbar i n sich verständlich vorausgesetzt. Die Redeweise nimmt i n einer schlagwortartigen Kurzfassung mit dem Wort Eigentum auf einen Verständnisboden Bezug, von dem aus dann der Begriff des subjektiven Rechts, nicht der des Eigentums entwickelt werden soll. Insgesamt überspielt aber doch der Ausdruck „Prototyp" sublim die hier aufgedeckte Problematik. Niemand zweifelt heute doch wohl daran, daß es das Eigentum i n diesem hier vorausgesetzten wirtschaftlichen Sinne gibt. Jeder hat m i t i h m täglich zu t u n und alle wirtschaftlichen Handlungen wären unverständlich, wenn sie sich nicht auf bestehendes Eigentum oder den Erwerb von Eigentum richten würden. Dieses bestehende wirtschaftliche Eigentum ist Gegenstand von Veräußerungen, es w i r d belastet, es w i r d durch Sachbeschädigungen zerstört, jemand w i r d durchBetrug u m diesesEigenGeschichten verstrickt" u n d „Philosophie der Geschichten", m i t ihrer Tendenz gegen das sogen. Gattungsdenken gestützt. Lübbe, Bewußtsein i n Geschichten, hat auf die Nähe der Spätphilosophie W. Schapps zu Wittgenstein aufmerksam gemacht. Die These Wittgensteins, daß der Sinn v o n Begriffen n u r über die Sprachspiele erfaßt werden kann, i n denen sie gebraucht werden, zeigt die Nähe zur hier durchgeführten Überlegung. 44 Eine ausführlichere Stellungnahme findet sich i m 5. Kapitel. 45 Aicher, S. 14; auch Schmidt verwendet den Ausdruck bei der Schilderung der realbegrifflichen Theorie der K o m p l e x s t r u k t u r subjektiver Rechte, aaO, S. 263.

III. Eigentum und Anspruch im wirtschaftlichen Sinne

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t u m gebracht, die Gesetzgebung kann es i n bestimmtem Umfange fortnehmen oder seinen Gebrauch einschränken. Und dennoch erscheinen alle diese Beziehungen nur als Inhalt eines Begriffs, und man versucht, sich i h r Verhältnis zueinander als etwas Gedachtes klarzumachen. Die Sozialpflichtigkeit soll aus dem Begriffe ebenso folgen wie die Herrschaft über die Sache, die als gedanklich unbeschränkt angesehen wird, die Belastbarkeit ist ebenso Begriffsinhalt wie die Natur als Freiheit. A l l e Beziehungen können offenbar mühelos als Inhalt eines Begriffs gedacht werden, wobei man die Kriterien aber insgeheim aus ganz anderen Zusammenhängen entnimmt. Der Wandelbarkeit des Begriffs als etwas nur Gedachtem entspricht auf das deutlichste die Wandelbarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse, die man auch primär als Wandlung der gesellschaftlichen Vorstellungen begreift. Aber irgendwie muß doch auch der Begriff i n sich identisch bleiben und kann nicht nur dem Denken ausgeliefert werden. Man erreicht das, indem man ein Wesen des Begriffs annimmt, und sieht sich damit unversehens mitten i m Naturrecht. Der Ansatz aus dem Geistigen heraus w i r d auf dieser geistig bleibenden Wesensebene nicht überwunden. Die schon i n dem begrifflichen Ansatz liegenden Probleme fahren sich an dieser Stelle dann endgültig fest. Die Verwendung des Ausdrucks Begriff w i r d sich auch i m folgenden nicht vermeiden lassen, da die Redeweise zu eingefahren ist. Die hier vorgebrachte K r i t i k muß aber ständig mitgedacht werden. Sie richtet sich ja nicht gegen eine an sich unschädliche Redeweise, sondern gegen einen machtvollen und i n seinen Auswirkungen nicht genügend reflektierten wissenschaftlichen Denkstil. 2. Eigentum als wirtschaftliche

Zuordnung von Gütern

Wenn w i r die Bedeutung des Begriffs des Eigentums i m wirtschaftlichen Sinne auch aus dem Platz i n der Struktur ableiten, den dieses Eigentum einnimmt, so ist doch die Frage erlaubt, ob dieses Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne nicht noch näher beschrieben werden kann. I n der Struktur stellt sich das Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne dar als Zuordnung eines Wirtschaftsgutes der materiellen Außenwelt zu einer Person, einem Wirtschaftssubjekt. Auch der Begriff der Zuordnung w i r d hier nur i n einem wirtschaftlichen, nicht rechtlichen Sinne verwandt, er entspricht also der hier verfolgten methodischen Unterscheidung beider Ebenen. Treffender würde man vielleicht auf der w i r t schaftlichen Ebene statt von Zuordnung von Zugeordnetsein oder Gehören 4 8 sprechen, u m dem Eindruck entgegenzuwirken, daß mit dem Be46 Reinach, aaO, S. 122, stellt auf das „Gehören" als wesensgesetzlichen K e r n des Eigentums ab. W. Schapp, Wert, W e r k u n d Eigentum, S. 83, spricht von Eigentum als realexistierender Gehörensbeziehung zwischen Werk u n d Ich.

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2. Kap. : Wirtschaftssystem und Eigentum im wirtschaftlichen Sinne

griff der Zuordnung eine von außen kommende A k t i v i t ä t bezeichnet sein soll, die ein Gut einer Person transitiv zuordnet. Gemeint ist nur der i n transitive Zustand des Zugeordnetseins. Von der Person her gesehen stellt sich dieser Zustand als ein Haben dar. Die anthropologische Soziologie hat sich der Ausarbeitung dieses „Habens" gewidmet 4 7 . Das Haben eines Gutes gibt dem I n d i v i d u u m Sicherheit für zukünftige Bedarfserfüllung, es stellt einen Ruhepunkt dar, von dem aus weitere A k t i v i t ä t e n möglich sind. Dieser Wert des Habens motiviert maßgeblich auch den Einsatz, der auf dieses Haben zuführt, jedoch w i l l Gehlen die Kategorie des Habens von der der Herstellung unterschieden wissen. Er faßt das Haben als zweite selbständige Kategorie neben der Herstellung für das Eigentum auf und hält das eine nicht aus dem anderen für ableitbar 4 8 . Nach unserer Auffassung ist m i t dem Gehören, Haben, dem Beisichbehalten der K e r n der Struktur der Wirtschaft beschrieben, w e i l diese Begriffe die Qualität der Beziehung zwischen dem Individuum und einem nach sachlichen Kriterien abgrenzbaren Objekt, nämlich einem Lebensgut der Außenwelt, zutreffend zum Ausdruck bringen. Die Struktur setzt voraus, daß es eine solche Beziehung des Zugeordnetseins gibt, wie andererseits die Einfügung dieser Beziehung i n die Struktur n u r über Begriffe w i e Herstellung, Übertragbarkeit usw. gelingen kann. Aber diese Begriffe sind eben nicht m i t dem der Zuordnung identisch, sie tendieren auf Zuordnung, verändern Zuordnung, aber sind nicht Zuordnung. Das Ergebnis der vorstehenden Betrachtung liegt also i m wesentlichen darin, daß der Begriff des Eigentums noch wieder sorgfältig i m Hinblick auf seinen Platz i n der Struktur bestimmt werden kann, auch wenn weitere Merkmale, m i t denen der Eigentumsbegriff i m allgemeinen i n Zusammenhang gebracht w i r d , sich nur als Strukturbeziehungen zu diesem Eigentum erklären lassen. Es würde an sich nichts hindern, den Begriff des Eigentums i m w i r t schaftlichen Sinne sofort i n einem sehr viel weiteren Sinne zu gebrauchen, etwa als Vermögen überhaupt. Der Begriff des Vermögens ist i n der Lage, alle irgendwie qualifizierbaren vermögensmäßigen Interessen unter sich zu fassen. Man würde damit aber nicht n u r den K e r n der Strukt u r aufgeben, sondern überhaupt jede Möglichkeit, eine K o n t u r dieses Wirtschaftsgefüges selbst herauszuarbeiten. Tatsächlich hat i n der klassischen Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts die vielfache Verwendbarkeit des Begriffs des Interesses einer genauen Erfassung dieser Strukt u r i m Wege gestanden. Das rechtswissenschaftliche Bedürfnis nach Erfassung der hier untersuchten Ebene w i r d offenbar allein durch den Be47 Auch Luhmann setzt f ü r seine funktionale Erfassung des Eigentums über den binären Schematismus von Haben u n d Nichthaben hier an, Rechtssystem u n d Rechtsdogmatik, S. 60 ff. 48 Gehlen, Urmensch u n d Spätkultur, S. 52.

III. Eigentum und Anspruch im wirtschaftlichen Sinne

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griff des Interesses völlig befriedigt. Die Konsequenz ist dann aber eine ähnlich hohe Abstraktion auf der rechtlichen Seite bei der Definition des Begriffs des subjektiven Rechts. A u f diesen Punkt soll insbesondere i m Hinblick auf Jhering noch eingegangen werden. I m Rahmen der jetzt angestellten Untersuchung kommt es nur darauf an, deutlich zu machen, daß auf den Begriff des Eigentums an Sachgütern als K e r n der Wirtschaftsstruktur ohne Aufgabe des Strukturgedankens nicht verzichtet werden kann. Das Problem der Abgrenzung des Begriffs i n bezug auf Randgebiete kann hier noch dahingestellt bleiben, da die genaue Fixierung vor allem eine Frage der praktischen Konfliktsentscheidung ist. 3. Der Anspruch als erfüllbare Berechtigungs-Verpflichtungs-Beziehung. Zuordnung von Vermögenswerten durch Ansprüche Erst die Beschränkung des Begriffs des Eigentums i m wirtschaftlichen Sinne auf einen bestimmten Strukturteil gibt die Möglichkeit, einen weiteren Strukturteil i n aller Schärfe zu erfassen, den Begriff des Anspruchs i m wirtschaftlichen Sinne. Der Anspruch i m wirtschaftlichen Sinne strukturiert einen wesentlichen Teil der Bewegungsvorgänge der W i r t schaftsstruktur unter dem Gesichtspunkt einer Berechtigungs-Verpflichtungs-Beziehung, die durch Erfüllung aufgelöst werden kann. Ebensowenig wie ein Haben erfüllt werden kann, stellt der Anspruch i m w i r t schaftlichen Sinne schon ein Haben dar, aber er tendiert i n vielen Fällen auf ein Haben 4 9 . Unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs lassen sich die Vertragspflichten ebenso fassen wie die Abwicklung mangelhafter Verträge, die Entschädigungen für Eigentumsverletzungen oder zur öffentlich-rechtlichen Seite h i n der Steueranspruch oder die Verfolgung baurechtlicher Pflichten des Bürgers durch die Behörde. Immer ist nicht der gesamte zugrundeliegende Strukturkomplex, also etwa das Vertragsverhältnis, gemeint, sondern nur die zweiseitige Beziehung, auf die sich der Gedanke der Verpflichtung und der Erfüllung anwenden läßt 5 0 . Ein Vertragsverhältnis läßt sich nicht erfüllen, w o h l jedoch eine Vertragspflicht. 49 F ü r Reinach als Phänomenologen wären diese Beziehungen w o h l apriorische Gesetzlichkeiten, die i m Wesen des Anspruchs gründen. F ü r uns sind es Strukturbeziehungen eines sozialen Komplexes (Wirtschaftsgefüge), die erst die Redeweise v o m Anspruch verständlich machen. Gemeinsam dürfte beiden Ansätzen die Überzeugung sein, daß es etwas gibt, was auf diese Weise zur „Selbstgegebenheit" gebracht werden kann. 50 F ü r Luhmann ist das subjektive Recht die nicht ausgeglichene, rein zweiseitige Leistungserwartungsbeziehung, Z u r F u n k t i o n der „subjektiven Rechte", i n : Jahrbuch f ü r Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie, Bd. 1, S. 323, 325. D a m i t reduziert sich auch f ü r Luhmann, w e n n m a n einmal von dem spezifisch soziologischen Aspekt der E r w a r t u n g absieht, der K e r n des „juristisch-funktionalen" Begriffs subjektives Recht auf die zweiseitige Anspruchsbeziehung.

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2. Kap. : Wirtschaftssystem und Eigentum im wirtschaftlichen Sinne

Worauf beruht nun die Möglichkeit, den Anspruch als Strukturteil i n dieser Weise zu vereinzeln und aus der Struktur herauszuheben? Man könnte einwenden, daß der Anspruch schon eine Abstraktion aus der Struktur i m Hinblick auf das Recht darstellt. Tatsächlich ist für uns der Anspruch i m wirtschaftlichen Sinne der Anknüpfungspunkt der rechtlichen Konfliktsentscheidung. Das mag die Möglichkeit der gesonderten Erfassung dieses Strukturteils m i t abstützen, ändert jedoch nichts an der Einfügung des Anspruchs i n eine ganz bestimmte Stelle der Struktur. Der Begriff des Anspruchs erfaßt bestimmte, nur aus dieser Struktur heraus verständliche Spannungsbeziehungen unter den Gesichtspunkten der Berechtigung, Verpflichtung und der Erfüllung. Man kann den Begriff der Pflicht genausogut als wirtschaftliches Strukturelement auffassen wie den Begriff des Habens. Der eine begründet dann den Begriff des Anspruchs, der andere den Begriff des Eigentums. Daß Verträge erfüllt werden müssen und daß Eigentumsverletzungen entschädigt werden müssen, ist eine Folge des angenommenen Strukturzusammenhanges. Der Begriff des Anspruchs formuliert nur dieses Müssen als zweiseitige Beziehung i n der Struktur, die i n ihrer Weise genauso erforderlich für die Funktion des Systems ist, wie etwa das Eigentum oder ein Erwerbsstreben, das sich auf den Erwerb dieses Eigentums richtet. Ebenso wie beim Eigentum als wirtschaftlichem Begriff klingt der hier vertretene Standpunkt i m Hinblick auf den Anspruch i n der Literatur schon häufig an. Windscheid selbst schreibt dazu i n einer ganz grundlegenden Stelle 5 1 : „Die Actio ist also anstatt des Anspruches. Jemand hat eine Actio, heißt, i n die Sprache unserer Rechtsanschauung, für welche die gerichtliche Verfolgbarkeit erst die Konsequenz des Rechtes ist, übersetzt: Jemand hat einen rechtlich anerkannten Anspruch. Oder geradezu: Jemand hat einen Anspruch. Denn unser Sprachgebrauch zeigt hier dieselbe Erscheinung, wie der römische i n Betreff des Wortes actio, daß er die Tatsache nennt statt des Rechtes auf dieselbe." Windscheid führt hier den Anspruch als Rechtsbegriff ein, läßt dabei aber die Sphäre deutlich werden, aus der dieser Rechtsbegriff auch nach seiner Auffassung entstammt. Der Anspruch ist eigentlich nur rechtlich anerkannt, die Sprechweise vom Anspruch selbst als Rechtsbegriff erscheint dann nur als eine Abkürzung dieser genaueren Formulierung. Das w i r d auf den Sprachgebrauch zurückgeführt, ändert aber offenbar nach Windscheids Auffassung an dem eigentlichen Sachverhalt, daß der Anspruch eine Tatsache ist, die durch das Recht anerkannt wird, nichts. Für unsere Deutung der Begriffe Eigentum und Anspruch, vor allem für unsere Orientierung auf die methodisch hier anvisierte Ebene, spricht 51 Die Actio des römischen Civilrechts v o m Standpunkte des heutigen Rechts, S. 6.

III. Eigentum und Anspruch im wirtschaftlichen Sinne

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vor allen Dingen auch der „Naturcharakter" dieser Ausdrücke. Man weiß i m allgemeinen Sprachgebrauch, was m i t diesen Begriffen gemeint ist, wenn man sie gebraucht, und dieses allgemeinen Sprachgebrauches muß sich notwendigerweise auch der Rechtswissenschaftler bedienen, wenn er m i t seinen Konfliktsentscheidungen i n das Gefüge der Wirtschaft eingreifen w i l l . Er bestätigt einen Anspruch oder er bestätigt i h n nicht, aber daß erst mal ein Anspruch vor ihn gebracht wird, daß er i n der erhobenen A r t überhaupt als Anspruch möglich sein muß, das ist auch für seine Entscheidung Vorgegebenheit. Das „Beanspruchen" ist nicht Sache der Rechtswissenschaft, sondern gerade das, worüber sie zu entscheiden hat. Dieser Aspekt w i r d nur demjenigen unwesentlich erscheinen, der von vornherein davon ausgeht, daß die hier aufgeworfenen Fragen überhaupt nur mit Kunstbegriffen zu lösen seien, für die die Beziehung auf ein Gemeintes mangels erreichbarer mathematischer Präzision von vornherein nicht wesentlich ist. Man kann auch den Anspruch schon als eine Zuordnung von Eigentum i n dem entwickelten Sinne und, soweit er nicht durch Übertragung von Eigentum erfüllt wird, als Zuordnung des Vermögenswertes der Erfüllung bezeichnen. Nur bezeichnet dieses Wort Zuordnung dann noch nicht ein endgültiges Haben, sondern eben nur den Anspruch auf dieses Haben, das Haben i n dem Vorstadium, das sich aus den Bewegungsverläufen der Wirtschaftsstruktur ergibt. Diese durch den Anspruch vermittelte A r t der Zuordnung macht den Vermögenswert des Anspruches aus, der also erst aus der Erfüllung resultiert. Wenn man also den Begriff Zuordnung auf Eigentum und Anspruch anwenden w i l l , so muß man berücksichtigen, daß er die unterschiedliche Strukturbedeutung von Eigentum und A n spruch nicht zum Ausdruck zu bringen vermag, wohl jedoch den gemeinsamen Charakter von Eigentum und Anspruch als „Vermögen". Die A r t , wie der Anspruch zuordnet, zeigt, daß der Kern der Struktur letztlich doch wieder i m Eigentum selbst liegt. 4. Die Arbeitskraft

als Quelle des Vermögens

Die Analyse der Wirtschaftsstruktur unter dem Aspekt der für die Rechtswissenschaft grundlegenden wirtschaftlichen Strukturelemente muß noch nach einer weiteren Seite ergänzt werden, u m nicht unvollständig zu erscheinen. Die eigene Arbeitskraft des Menschen, sein Einsatz, seine Initiative lassen sich nicht m i t dem Eigentum und dem A n spruch unter einen Begriff des wirtschaftlichen Rechtes bringen. Sie sind nur Quelle des Vermögens, aber noch nicht selbst Vermögen. Es fehlt hier das Habensverhältnis, der Gedanke der Zuordnung hat auch noch nicht den Sinn, den man i h m beim Anspruch noch geben konnte. Die Arbeitskraft führt zu Werken, aber sie ist nicht selbst Werk. Es ist wichtig, auf diesen Unterschied zwischen Arbeitskraft einerseits und Eigen-

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2. Kap. : Wirtschaftssystem und Eigentum im wirtschaftlichen Sinne

tum und Anspruch andererseits hinzuweisen, weil nach unserer Auffassung Erwerbswille und Arbeitskraft die ganze Struktur tragen. Die Struktur ist also nicht identisch m i t einer Ansammlung wirtschaftlicher Güter i n Gestalt von Eigentum und Ansprüchen, sie erhält ihre ganze Spannung erst aus einem Strukturteil, der noch nicht Wirtschaftsgut ist, aber seinerseits erst eine Beurteilung der auf das Wirtschaftsgut bezüglichen Lebensvorgänge überhaupt ermöglicht. Dieser Strukturteil schafft erst den Strukturzusammenhang, ohne sich deswegen doch als W i r t schaftsgut, als wirtschaftliches Recht, als materielle Berechtigung darzustellen. Diese Darlegung bedarf allerdings i n einem gewissen Umfange der Einschränkung. Die Verletzung der Arbeitskraft eines Menschen kann zu Ansprüchen gegen den Schädiger führen. Darum ist aber doch die A r beitskraft als solche noch kein wirtschaftliches Recht. Weiter kann die A r beitskraft über den Vertrag Gegenstand der Berechtigung eines anderen werden. Für den Arbeitenden selbst führt sie dann zu Eigentum erst über die Vermittlung durch den Vertrag. Die Betätigung der A r beitskraft kann auch direkt zu Eigentum am hergestellten Werk führen. I n keinem dieser Fälle kann aber davon gesprochen werden, daß die A r beitskraft sich schon als Vermögen i m Sinne von Eigentum oder A n spruch darstellt. Wenn man heute sagt, daß die Arbeitskraft das wesentliche Vermögen der Menschen i n der industriellen Gesellschaft ist, so w i r d der Ausdruck Vermögen hier i n einem anderen Sinne verwandt als i m Hinblick auf Eigentum und Anspruch. Die unterschiedliche Bedeutung läßt sich allerdings erst unter dem Gesichtspunkt des hier zugrundegelegten Strukturzusammenhanges selbst aufzeigen. Die Bedeutung des Strukturteils der Arbeitskraft oder vielleicht noch zutreffender der Leistung gegenüber den Strukturteilen des Eigentums und des Anspruchs soll an einem Beispiel noch deutlicher gemacht werden. Ein Kaufmann verkauft eine Sache, die er für 100,— D M eingekauft hat, i n seinem Laden für 200,— D M an den Verbraucher. Für die rechtswissenschaftliche Betrachtung ist hier zunächst der Kaufvertrag „Sache gegen 200,— D M " faßbar. Der Kaufmann hat das Eigentum an der Sache und w i r d das Eigentum an den 200,— D M erwerben. Ob man sich den ganzen Vorgang durch Ansprüche vermittelt vorstellen w i l l oder nicht, ist i n diesem Zusammenhang gleichgültig. Der Gedanke des Kaufvertrages unterstellt die Gleichwertigkeit der ausgetauschten Leistungen. Und doch realisiert sich für den Kaufmann i n diesem Kaufvertrag als dem letzten A k t sein Gewinnstreben, das sich von Anfang an allein auf den Erwerb der 100,— D M gerichtet hat, die den Einkaufspreis übersteigen. Die Arbeitsleistung bis zur Erzielung dieses Gewinns ist ein langer Weg, der m i t der Einrichtung des Geschäftslokals beginnt, dann über den Einkauf und die Werbung bis zum endlich abgeschlossenen Kaufvertrag führt. Auf diesem Wege läßt sich auf keiner Station ein

III. Eigentum und Anspruch im wirtschaftlichen Sinne

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materielles Recht auf diesen Gewinn feststellen, das etwa dem Eigentum an der Sache oder den sich i m Kaufvertrag gegenüberstehenden Ansprüchen als Recht vergleichbar wäre. Es w i r d dann schließlich auch kein Recht auf den Gewinn durch die Zahlung des Käufers erfüllt, sondern ein Anspruch aus dem Kaufvertrag. Das hat aber wirtschaftlich zur Folge, daß jetzt der Gewinn erzielt, realisiert ist. Das Gewinnstreben ist vom Kaufmann aus gesehen der einzige Zweck seiner Tätigkeit, es realisiert sich auch durch den Gewinn von Eigentum, aber diese Realisation erfolgt gemäß der Struktur der arbeitsteiligen Wirtschaft nur vermittelt. Die A r t der Vermittlung läßt sich nicht generell angeben, man müßte hier alle denkbaren Erwerbsmöglichkeiten aufführen. Generell läßt sich nur feststellen, daß der Erwerb von Eigentum an Gütern gewissermaßen die Achse der Struktur ist. Aufgrund der Arbeitsteiligkeit der Wirtschaft w i r d dieser Erwerb i m wesentlichen durch Verträge vermittelt. I m H i n blick auf den Vertrag, aber auch auf sonstige Bewegungsvorgänge, also i m Mittelfeld dieser Achse hat dann der Anspruch seinen Platz. W i r sind hier auf die Arbeitskraft, die Leistimg, den Erwerbswillen noch besonders eingegangen, weil sich ohne diesen Gesichtspunkt auch kein einsichtiges Verhältnis zwischen Anspruch und Eigentum i m Rahmen der Struktur herstellen läßt. Für den Einblick i n die Lebendigkeit der Struktur ist entscheidend, daß man mit der Arbeitskraft eine Quelle des Vermögens annimmt, die sich noch nicht als Vermögen selbst darstellt, w e i l sich erst aufgrund dieser Unterscheidung eine Spannungsbeziehimg h i n zum wirtschaftlichen Recht entwickeln läßt. W i r stoßen also bei dieser Analyse der einzelnen Strukturelemente des Wirtschaftsgefüges gewissermaßen von außen nach innen durch, vom Eigentum als Ergebnis des Gewinnstrebens über den Anspruch als ein Instrument zur Erreichung dieses Ergebnisses h i n zum Gewinnstreben als Quelle des Vermögens. Daß insbesondere der Anspruch, wie sich noch ergeben wird, die entscheidende Rolle für das Recht als Konfliktsentscheidung spielt, weist bereits darauf hin, daß das Recht als Konfliktsentscheidung i m H i n blick auf diesen Strukturzusammenhang primär eine instrumentale Rolle hat. 5. Die Zuordnungslehre

im Schrifttum

Wegen des engen sachlichen Zusammenhangs soll bereits an dieser Stelle der Untersuchung auf zwei bedeutende sachenrechtliche Ansätze zum Eigentum eingegangen werden. M i t unseren Begriffen des Eigentums und des Anspruchs befinden w i r uns i n weitgehender Übereinstimmung mit der sachenrechtlichen Zuordnungslehre, wie sie heute insbesondere von Westermann vertreten wird. Nur gelingt es uns m i t der methodischen Differenzierung zwischen Wirtschaftsstruktur und rechtlicher Ebene, den wirtschaftlichen Charakter des Zuordnungsgedankens

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2. Kap. : Wirtschaftssystem und Eigentum im wirtschaftlichen Sinne

und damit seine eigentliche Leistungsfähigkeit noch deutlicher herauszuarbeiten. Von hier aus läßt sich dann auch zeigen, daß die i n der Literat u r gegen den Zuordnungsgedanken vorgebrachten Bedenken methodisch eine ganz andere Ebene betreffen. Westermann sieht das Wesen der Dinglichkeit i n der güterzuordnenden Funktion der Dinge i m Recht. Absolutheit des Klageschutzes und Unmittelbarkeit der Objektsbeziehung sind nur Ausflüsse dieser güterzuordnenden Funktion. Westermann bezieht i n seinen Zuordnungsbegriff weiter auch die Forderungen ein und kommt so zu einem Anwendungsgebiet des Zuordnungsgedankens, der sich m i t dem hier aufgezeigten deckt 52 . Unserer methodischen Unterscheidung zwischen den beiden Ebenen entspricht Westermanns Gedanke, daß die Absolutheit des K l a geschutzes nur Ausfluß der güterzuordnenden Funktion der Rechte ist 5 3 . Raiser hat gegen die Zuordnungslehre den Verdacht ausgesprochen, daß sie das Eigentumsrecht m i t dem Eigentumsobjekt identifiziere und deshalb das Eigentumsrecht vom Vermögen nur schwer trennen könne, zumal gerade das Vermögen i n der Summe des einer Person Zugeordneten bestehe 54 . I n dieser Argumentation von Raiser stehen ein normativ verstandener Begriff des Eigentumsrechtes, ein faktischer Begriff des Eigentumsobjektes etwa i m Sinne der körperlichen Sache und der Begriff des Vermögens i n einem unklaren Verhältnis. Der Vorwurf, daß die Zuordnungslehre Recht und Sache identifiziere, t r i f f t deren Aussagegehalt durchaus nicht 5 5 . Wenn dann das Rechtsobjekt, also doch wohl die Sache, m i t dem Vermögen gleichgesetzt wird, so liegt allerdings i n dem Begriff des Vermögens der K e r n des Zuordnungsgedankens, aber Vermögen sagt eben etwas anderes aus als „Sache". Der Dualismus von Recht und Sache, m i t dem Raiser die Argumentation beginnt, gibt keine ausreichende Basis für eine Auseinandersetzung m i t der Zuordnungslehre. Er ist selbst i n seinen Voraussetzungen unabgeklärt, erst recht aber ist das Verhältnis dieses Dualismus zum Begriff des Vermögens dunkel. Die drei Begriffe lassen sich erst auf der Grundlage einer Struk52 58

Westermann, Sachenrecht, § 2 II, S. 7 ff.

Ä h n l i c h streicht jetzt auch Larenz, Allgemeiner Teil, § 12 I I a, S. 157 den Gesichtspunkt des Zukommens, Gebührens eines Gutes als wesentlichen K e r n des Begriffs des subjektiven Rechts heraus. Larenz wendet sich von hier aus gegen das subjektive Recht als Abstraktionsbegriff, der aus Rechtsnorminhalten abgeleitet ist, u n d spricht i n diesem Zusammenhang v o n auf das subjektive Recht bezogenen Vorschriften des positiven Rechts. D a r i n k l i n g t unsere Ebenenunterscheidung an. 54 Raiser i n Schlegelberger, Rechtsvergleichendes Handwörterbuch I I , 1929, S. 772; i h m folgend Aicher, S. 74; dort auch ein umfassender Literaturnachweis zur Zuordnungslehre. 55 Z u dem häufig verwandten Schema Recht-Sache, N o r m - Faktizität nehmen w i r u n m i t t e l b a r anschließend u n d dann ausführlicher noch i n der Auseinandersetzung m i t Bucher Stellung.

III. Eigentum und Anspruch im wirtschaftlichen Sinne

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turuntersuchung, wie sie i n dieser Arbeit i n Angriff genommen wird, i n eine sinnvolle Beziehung zueinander bringen. Raiser 56 wendet insbesondere gegen Westermann ein, der Gedanke der Zuordnung könne nicht die wesentlichen Aufgaben des dinglichen Rechts i m Zivilrechtssystem umfassend beschreiben, so vor allem die Anerkennung, Verteilung und Begrenzung der Sachherrschaft des einzelnen innerhalb der Rechtsgemeinschaft. Diese Feststellung ist berechtigt, sie stellt aber keinen Einwand gegen die Zuordnungslehre dar, so wie sie hier verstanden wird, da für uns das Recht erst i m Hinblick auf die vorausgesetzte Vermögensebene wirksam wird, der Begriff der Zuordnung also die Wirksamkeit des Rechtes auf der methodisch nachgelagerten Ebene auch nicht wiederzugeben braucht. Aicher wendete gegen den Zuordnungsgedanken ein, er treffe nicht das Wesen der Dinglichkeit, weil er auch für Forderungen gelte 5 7 . Auch dieser Einwand w i r d durch unsere Analyse des Verhältnisses von Eigent u m und Anspruch widerlegt. Der Zuordnungsbegriff gilt für den A n spruch i n anderer Weise als für das Eigentum, er ist aber beim Anspruch vom Zuordnungsbegriff beim Eigentum abgeleitet. Gerade deswegen scheint es auch berechtigt, den Akzent der Zuordnungslehre auf den Gedanken der unmittelbaren Zuordnung durch Eigentum und die dinglichen Rechte zu legen. Ein häufig vertretener gedanklicher Ansatz zum Eigentum geht dahin, das Verhältnis zwischen Person und Sache könne kein Rechtsverhältnis sein, weil Sachen weder Subjekte noch Adressaten von Rechtsnormen seien und damit auch nicht an einem Rechtsverhältnis beteiligt sein könnten 5 8 . Das ist schon der Grundgedanke des normativen Ansatzes i n seiner Formulierung bezüglich des Eigentums. Diese Auffassung unterstellt, daß das Verhältnis zwischen Person und Sache, da es nichts Rechtliches sein kann, etwas rein Faktisches, nämlich Sachbeherrschung ist 5 9 . Damit w i r d die der Rechtsordnung entgegengestellte Lebenswirklichkeit aller Sinngehalte entleert 6 0 . Die Beziehung zwischen Person und Sache ist zwar kein Rechtsverhältnis, aber auch nicht faktische Sachherrschaft, sondern als Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne durchaus ein für das Recht bedeutsames Verhältnis. Wer den Sinngehalt dieser Beziehung 56

Besprechung zu Westermann, Sachenrecht, JR 1955, S. 118. aaO, S. 73, 74. 58 So Oertmann, Jherings Jahrbücher 31, S. 427 - 430, zustimmend Aicher, aaO, S. 67. 59 So ausdrücklich Aicher, S. 67: Daß der Ausdruck „Sachbeherrschung" n u r etwas Tatsächliches bezeichnet, w i r d v o n Aicher zwar nicht gesagt, entspricht aber dem traditionellen juristischen Sprachgebrauch. 60 Ä h n l i c h Enneccerus/Nipper dey, §72 A n m . 2, S. 429, w e n n er Macht u n d Recht einander gegenüberstellt. 57

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2. Kap. : Wirtschaftssystem und Eigentum im wirtschaftlichen Sinne

auf reine Sachherrschaft reduziert, kann auch die Norm nicht als Konfliktsentscheidung begreifen, da tatsächliche Sachherrschaft — einmal abgesehen von der Besitzproblematik — keine Konflikte begründet. Die Norm als Konfliktsentscheidung schützt das Eigentum als wirtschaftliches Gut, als wirtschaftlichen Wert. Selbst wenn man historisch einen Zustand ohne Rechtsschutz annehmen wollte, so wäre das Verhältnis der Menschen zru ihren Wirtschaftsgütern doch nicht das der nur tatsächlichen Sachbeherrschung, sondern ebenso das des Gehörens, der Zuordnung, des Vermögens, wie w i r die Begriffe heute gebrauchen 61 .

61

I m älteren Schrifttum k o m m t Derriburg, Pandekten, §39, dem nahe, w e n n er das subjektive Recht als „ A n t e i l an Lebensgütern, Haben von Lebensgütern" bezeichnet. Ä h n l i c h Ahrens, Naturrecht, §36, Bd. 1, S. 299. Bezeichnenderweise reduziert Enneccerus/Nipperdey, § 72 A n m . 2, S. 429, bei der Auseinandersetzung m i t Dernburg diese Auffassung sogleich wieder auf den reinen Machtbegriff.

Drittes

Kapitel

Das privatrechtliche Gesetz und das subjektive private Recht im juristisch-technischen Sinne I. Das privatrechtliche Gesetz 1. Das positivistische Modell der „Gesetzesanwendung" und sein Verhältnis zu dem Gedanken der Funktion des Gesetzes Für unsere heutige Auffassung liegt die Arbeit des praktischen Juristen dem Schwerpunkt nach i n der Rechtsanwendung. Die Rechtsanwendung stellt sich dabei als Anwendung der Gesetze auf den Einzelfall dar. Der Vorgang dieser Anwendung w i r d weitgehend noch immer als Subsumtion eines konkreten Falles unter den allgemeinen Sachverhalt des Gesetzes aufgefaßt, aus dem sich dann bei Deckung die Rechtsfolge herauslesen läßt. Ganz entscheidend für diese Konzeption ist nun, daß das Gesetz selbst sich gewissermaßen als eine Mauer erweist, hinter die nicht zurückgefragt zu werden braucht. Die Verbindlichkeit des Gesetzes ist die wesentlichste Voraussetzung unserer Vorstellung, daß Recht durch Subsumtion unter das Gesetz „angewendet" w i r d 1 . Auch die Interessenjurisprudenz, auch i n der heutigen Form der Wertungsjurisprudenz, legt diese Konzeption zugrunde. Sie greift nur gewissermaßen über das Gesetz hinweg auf die bewerteten Interessen über, u m den Inhalt des Gesetzes, den verbindlichen Willen desto genauer ermitteln zu können, vor allem aber, um einen Anknüpfungspunkt zur Ausfüllung von Gesetzeslücken durch analoge oder ergänzende Rechtsanwendung zu erhalten. Die Beziehung des Rechtsanwenders zu den Interessen stellt sich als ein Problem der Lückenausfüllung dar. Damit ist der Gedanke einer Lückenlosigkeit der Rechtsordnung zugrundegelegt. Es wird, solange es eben geht, versucht, Recht nur anzuwenden, nicht zu schöpfen. Man folgt dem Idealbild eines Gesetzgebers, dessen Motive nicht überprüft zu werden brauchen, solange es eben geht. Für diese Rechtskonzeption bleiben dann nur Randbezirke nicht einbeziehbar, für den allergrößten Teil beruht das Recht auf der verbindlichen Entscheidung des Gesetzgebers. 1

Z u r Problematik des Subsumtionsideals vgl. heute vor allem Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 47 ff. 4 Schapp

50

3. Kap.: Privatrechtliches Gesetz und subjektives privates

echt

Dieses positivistische Rechtsmodell ist sicher selbst nur wieder eine Abstraktion, deren eigentliche Gründe man erforschen und dann durchaus auch für legitim halten kann. So scheint uns ein wesentlicher Grund der zu sein, daß der praktische Jurist, der seine Arbeit „ n u r " als Rechtsanwendung versteht, von der Frage entlastet ist, ob die Gründe ausreichend waren, die den Gesetzgeber gerade zu einer bestimmten Regelung bewogen haben. Die Verantwortung ist geteilt i n die Bereiche der Entscheidung und der Durchsetzung der Entscheidung. Gerade diese Teilung erhöht die Schlagkraft des Rechtes als eines auf eine soziale Umwelt bezogenen Leistungssystems. Insbesondere durch diese Teilung der Verantwortung w i r k t dieses Rechtsmodell also einer Beliebigkeit der Einzelfallentscheidung entgegen, die keine ausreichende Bewältigung der Probleme mehr ist, welche die soziale Umwelt heute an das Rechtssystem stellt. Dieses Rechtsmodell stellt jedoch das Rechtssystem nur i n einer Sicht dar, und zwar i n der Sicht des die Gesetze anwendenden Juristen auf das Gesetz hin. I n dieser Sicht kann allerdings, soweit die Entscheidung des Gesetzgebers selbst faßbar ist, der praktische Jurist von den Gründen für diese Entscheidung absehen oder diese nur zur Ermittlung der Entscheidung selbst heranziehen. Das bedeutet jedoch noch nicht eine Beliebigkeit einer Entscheidung des Gesetzgebers überhaupt, sondern nur, daß der praktische Jurist den Gesetzgeber nicht anhand seiner Gründe korrigieren darf, daß er kein Naturrecht gegen den Gesetzgeber ausspielen darf. Die richtige Formulierung ist also nicht die Beliebigkeit der Entscheidung des Gesetzgebers, sondern nur deren Verbindlichkeit, Nichtrevidierbarkeit für den anwendenden Juristen. Die Aufgabe des Gesetzgebers selbst ist also durch dieses Rechtsmodell gar nicht einbezogen. Sie stellt sich als Konfliktsentscheidung i m Hinblick auf die vorgegebene soziale Wirklichkeit dar und orientiert sich an den Problemen und Entscheidungsspielräumen dieser Vorgegebenheit, d. h. i n unserer Redeweise, sie findet i m Rahmen der vorgegebenen Struktur statt. Daß das kein naturrechtlicher Ansatz ist, sondern einfach eine empirische Feststellung, ohne die überhaupt Gesetzgebung nicht möglich wäre, wurde i m 1. Kapitel schon festgestellt. Soweit i n der Entscheidung des Gesetzgebers das Recht liegt, und i n der Arbeit des praktischen Juristen nur die Anwendung, muß diese Beziehung des Gesetzgebers auf die soziale Wirklichkeit als Rechtserzeugungsprozeß begriffen werden. Die Achse Befehl - (denkender) Gehorsam stellt nur die Innenansicht des Rechtssystems dar, die Außenansicht zeigt den Befehl i n einem Zusammenhang, der erst den Inhalt des Befehls bestimmt. Die Innensicht verleitet zu einer Überpointierung des puren Dezisionsmomentes i n der gesetzgeberischen Entscheidung und führt damit zu einem B i l d des Rechtes von gesetzgeberischer Beliebigkeit und praktisch-juristischem Gehorsam, das keine geeignete Grundlage mehr für die Lösung

I. Das privatrechtliche Gesetz

51

der mehrschichtigen Problematik des subjektiven Rechts ist. Auch das positivistische Rechtsmodell ist nur eine Abstraktion m i t bestimmten legitimen Zwecken. Dieses Rechtsmodell muß i m Hinblick auf die Zwecke, die es erfüllt, relativiert werden, damit der Umfang der Abstraktion erkennbar wird. Erst dadurch w i r d der Raum für die Lösung von Problemen geschaffen, deren Bewältigung ganz andere Lösungsansätze erfordert. 2. Der Fundus juristischen Wissens und seine Bedeutung für die Entscheidung von Gesetzgeber und Richter Vorstehend wurde die Leistung des Rechtssystems i m Hinblick auf das am positiven Gesetz orientierte positivistische Rechtsmodell dargestellt. W i r sind damit von der neuzeitlichen kontinentalen Rechtsauffassung ausgegangen, die sich i m Privatrecht an den großen Kodifikationen orientiert. Die Rechtsgewinnungsfunktion des Rechtssystems läßt sich aber noch deutlicher machen, wenn man sie einmal unbelastet von der Dichotomie von Gesetz und Gesetzesanwendung zu erfassen versucht. A m geeignetsten scheint dazu ein Blick auf die Funktionsweise eines Richterrechts. Ob man nun auf das römische Recht oder den englischen Rechtskreis zurückgreift, der Richter schöpft Recht zwar für den Einzelfall, aber doch gehalten auf Grund eines tradierten Fundus juristischen Wissens, welches i h n bei seinen Entscheidungen leitet und i h m die richtige Entscheidung anzeigt. Es ist die bewährte Übung, wie immer schon ein Konflikt gelöst worden ist, die sich i n seinem Richterspruch fortsetzt und die dann auch die eigentliche Autorität des Spruches ausmacht. I m Hinblick auf diese juristische Kunst, die die Entscheidung des Richters trägt, kann man nun sicher nicht davon sprechen, daß die Entscheidung i m Einzelfall durch Subsumtion unter die Sätze dieser Kunst gewonnen werde oder daß diese Kunst auf den Einzelfall angewandt werde. Auch der Begriff der Entscheidung paßt auf diese Kunst, auf den Fundus juristischen Wissens, aus dem heraus entschieden wird, nicht, oder jedenfalls doch nicht i m Sinne einer einmaligen Dezision. Was ändert sich nun, wenn diese juristische Erfahrung zur Lösung bestimmter, umschriebener Konflikte als staatliches Gesetz formuliert und für ein ganzes Rechtsgebiet kodifiziert wird? Der Richter war auf Grund seines Ethos an den Fundus juristischen Wissens gebunden und praktizierte ihn auf Grund seiner Richterstellung. Wenn er nunmehr die ganze Erfahrung seines Berufsstandes als Formulierung des Gesetzes vorfindet, kann man nicht sagen, er entscheide allein auf Grund des staatlichen Willens jetzt gemäß dem Gesetz. Der alte Zusammenhang besteht weiter und trägt jetzt auch das Gesetz. Dieses bezieht seine Autorität nicht so sehr aus dem staatlichen Willen wie aus der Tatsache, daß die lange Übung die Vernunft der Entscheidung gewährleistet und der i n seiner 4·

52

3. Kap.: Privatrechtliches Gesetz und subjektives privates Recht

Wissenschaft bewanderte Jurist diese Vernunft einzusehen gelernt hat. Es ist möglich, daß die Kodifizierung insgesamt eine höhere Praktikabilität des Rechts gewährleistet, auch sind sicher i n einem kodifizierten Recht schneller Änderungen möglich. Dadurch w i r d aber der andere Zusammenhang und seine maßgebende Rolle für die Rechtsgewinnung nicht durchbrochen. Diese Fundierung der Rechtsgewinnung i n der juristischen Erfahrung ist sicher auch eine der bedeutendsten Voraussetzungen dafür, daß überhaupt Rechtswissenschaft betrieben werden kann, denn Gesetze, die ihre Autorität allein aus dem Befehl eines Gesetzgebers entnehmen, brauchten nicht i n irgendeinem Zusammenhang untereinander zu stehen. Die Fundierung des Gesetzes i n der juristischen Erfahrung scheint uns auch einen Ansatz zu bieten, den Bruch zwischen Gesetzesanwendung und richterlicher Rechtsschöpfung abzumildern, der die positivistische Konzeption kennzeichnet 2 . A u f Grund dieser Überlegung kommen w i r zu einer Annäherung von Richterrecht und Gesetzesrecht, die uns i m folgenden vor allem eine einheitliche Erfassung der Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts ermöglichen wird. Die Konfliktsentscheidung w i r d sinnvollerweise für ein Gesetzesrecht auf die Einheit von Gesetzgeber und Richter bezogen, die insgesamt die Leistung des Rechtssystems für die soziale Umwelt erbringen. Die Kriterien der Entscheidung ergeben sich aus der Fundierung dieses Systems i n der juristischen Erfahrung. Dieser Begriff des Rechtssystems umfaßt also das Richterrecht ebenso wie das Gesetzesrecht m i t ergänzender Rechtschöpfung durch den Richter. Wenn w i r i n dieser A r beit von der gesetzlichen Konfliktsentscheidung sprechen, so ist diese Sprechweise schon auf ein Gesetzesrecht bezogen und auch hier, wie die Ausführungen ergeben haben, nur vereinfacht. W i r haben die Untersuchung zunächst i n diese Richtung vertieft, u m uns soweit wie möglich von dem positivistischen Ansatz der gesetzgeberischen Beliebigkeit zu lösen. Auch als Gesetzgeber t r i t t uns der Jurist entgegen. Das gilt jedenfalls für den privatrechtlichen Raum und für lange Perioden der Pri2 Z u ähnlichen Ergebnissen k o m m t Kriele, w e n n er das Verhältnis von Gesetzgeber u n d Richter nicht als das von Rechtssetzer u n d Rechtsanwender sehen w i l l , sondern dem Gesetzgeber n u r eine Rechtssetzungsprärogative zubilligt, aaO, S. 311, Leitsatz 3, neben der auch f ü r den praktischen Juristen vernunftrechtliche Erwägungen i m m e r unumgänglich bleiben, aaO, S. 313, Leitsatz 14. Die entscheidende Erkenntnis Krieles k o m m t bereits i n dem Beg r i f f der Rechtsgewinnung zum Ausdruck, der bei i h m an die Stelle des Begriffs der Rechtsanwendung t r i t t (vgl. dazu S. 313, Leitsatz 6). Der Blick w i r d von seiner F i x i e r u n g auf das positive Gesetz gelöst u n d auf die entschiedenen Interessen gerichtet. Der Gesetzgeber steht damit neben dem Richter, nicht über ihm. I n diesem Sinne schon W. Schapp i n seinen Untersuchungen über das Verhältnis von Einzelfall u n d Gesetzgeber, I n Geschichten verstrickt, Zweiter Abschnitt, K a p i t e l 7, S. 109 ff. W o h l nicht zufällig f ü h r t diese Sicht auch bei Kriele zu einer Frontstellung gegen die A r t des rechtswissenschaftlichen Denkens, die i n dieser A r b e i t als „wertsystematisch" bezeichnet w i r d . Vgl. dazu z. B. aaO, S. 315, Leitsatz 22.

I. Das privatrechtliche Gesetz

53

vatrechtsentwicklung. F ü r das öffentlich-rechtliche Gesetz ist eine weitere Untersuchung erforderlich, die sich m i t dem Gedanken der heutigen hohen Variabilität der öffentlich-rechtlichen Gesetzgebung auseinandersetzt. Wenn das Richterrecht und das Gesetzesrecht als Rechtsgewinnungssysteme eine weitgehend einheitliche Struktur haben und sich nur gewissermaßen durch die A r t der verwandten Arbeitsmittel unterscheiden, so muß sich auch eine neue Bewertung von Windscheids Wendung von der richterlichen actio auf den gesetzlichen Anspruch ergeben. Daß die Klage durch die Autorität des Richters, der Anspruch aber durch die Autorität der Rechtsordnung gegeben wird, kann keinen entscheidenden Unterschied mehr machen, wenn die Struktur als Rechtsgewinnungssystem i n beiden Fällen gleich ist und Klage und Anspruch auf dieses System bezogen werden. Tatsächlich akzentuieren Anspruch und Klage dann nach unserer Auffassung auch nur unterschiedliche Aspekte des einheitlichen Rechtsgewinnungsprozesses. Windscheid hat m i t der Entdeckung des Anspruchs die Struktur vervollständigt, aber nicht geändert. Das w i r d i m einzelnen i m nächsten Kapitel auszuführen sein. 3. Der Grundansatz der überkommenen Imperativtheorie zur Überwindung ihrer eigenen Abstraktion Seine eindringlichste wissenschaftliche Ausformung hat das positivistische Rechtsmodell nach der Seite der N o r m w i r k u n g hin i n der Imperativtheorie zur Norm gefunden 3 . Die Imperativtheorie ist Grundlage auch der heutigen normativen Schule zum subjektiven Recht. I m vorliegenden Zusammenhang soll von der von uns erarbeiteten Struktur aus nur eine erste Deutung der zentralen Fragestellung der Imperativtheorie erfolgen, ohne daß es dabei zunächst auf die recht unterschiedlichen Ausgestaltungen der Imperativtheorie selbst ankommt. Diese Fragestellung geht dahin, ob die Norm nur befiehlt, also gebietet oder verbietet, oder ob sie auch Rechte gewährt. W i r knüpfen dabei an die Darstellung von Enneccerus/Nipperdey an, die, wenn man einmal die Forschungen von Bucher und Aicher einer speziellen Untersuchung vorbehält, als repräsentativ für eine weithin vertretene Meinung angesehen werden kann. Enneccerus/Nipperdey 4 führt zunächst aus, daß das Recht Normen enthalte, d. h. Gebote, die die Menschen zu einem bestimmten Verhalten verpflichten. Es möge zwar logisch ein Recht denkbar sein, das nur aus Geboten und Verboten bestehe, allein ein solches Recht könnte n u r Pflichten, keine subjektiven Rechte kennen. Ein Recht auf Erfüllung 3

Vgl. dazu etwa Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht; ausführliche

Literaturübersicht bei Enneccerus/Nipperdey, 4

aaO, § 30 I I I , S. 199 ff.

§ 30, S. 196 ff.

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3. Kap.: Privatrechtliches Gesetz und subjektives privates Recht

des Gebotes könnte aus dem Gebot allein nämlich dem anderen nicht erwachsen. Dazu sei die Gewährung dieses Rechts an i h n erforderlich. Das Recht sei diesen schwer auszudenkenden Weg, nämlich ein Recht nur aus Geboten und Verboten zu begründen, nicht gegangen. Es gebiete und verbiete nicht bloß, sondern es gewähre auch den Menschen eine Macht, es unterstelle i h m die Außenwelt (Sachen und andere Menschen) i n einem gewissen Maße. Der Rechtssatz, der m i r Eigentum gebe, verbiete nicht n u r anderen, mich i n der Herrschaft zu stören, sondern er gebe zugleich m i r die Herrschaft über die Sache i n dem Sinne, daß ich selbst verlangen könne, i n der Herrschaft nicht gestört zu werden. Ja diese Gewährung stehe (wo sie m i t dem Befehl überhaupt verbunden sei) sogar i n erster Reihe, sie gehe begrifflich (nicht zeitlich) den m i t der Gewährung verbundenen Geboten voraus. Die Darstellung von Enneccerus/Nipperdey läßt deutlich erkennen, daß i n dieser Normtheorie tatsächlich der Befehl i m Zentrum steht, daß also diese Normtheorie m i t Recht als Imperativtheorie bezeichnet werden kann. Ob sich dieser Befehl nun an den Rechtsgenossen oder an den Richter richtet, oder ob sich hier etwa zwei Befehle kombiniert an beide richten, ist noch wieder eine weitere Frage, die von Kelsen zum Beispiel anders gelöst w i r d als von Enneccerus/Nipperdey. Ganz überwiegend w i r d der Befehl auf den Rechtsgenossen bezogen, für den dann die Verpflichtung entsteht 5 . W i r gehen davon aus, daß dieser Befehl als Konfliktsentscheidung i n einem Zusammenhang steht und daß dieser Zusammenhang erst die Wirkungsweise des Befehls bestimmt, daß sich vor allem erst aus diesem Zusammenhang heraus bestimmen läßt, worauf sich dieser Befehl bezieht. Das Wort Befehl w i r d hier nur aufgenommen, u m überhaupt eine Auseinandersetzung m i t der Imperativtheorie zu ermöglichen. Aus der vorstehenden Untersuchung über die A r t der juristischen Konfliktsentscheidung hat sich ja ergeben, daß es wegen seiner verabsolutierenden Schärfe bereits ungenau ist und zu Schlußfolgerungen i n die falsche Richtung verleitet. Die konsequente Konstruktion vom Befehl aus unter Abschaltung aller Zusammenhänge, i n denen dieser „Befehl" immer schon steht, führt nun zu der Folgerung, daß dieser Befehl eigentlich j a n u r Verpflichtungen bewirken kann. Man hätte dann allerdings eine nur aus Verpflichtungen bestehende Rechtswelt, eine offenbar schwer zu vollziehende V o r stellung. Die Beziehung zu dem nach unserer Deutung durch diesen Normbegriff zunächst abgetrennten Zusammenhang, i n dem etwas, was man allenfalls als Befehl auffassen könnte, notwendigerweise schon steht, w i r d nun dadurch erreicht, daß der Norm eine zweite W i r k u n g zugemessen w i r d : Sie befiehlt nicht nur, sondern sie gewährt auch 5

Vgl. dazu Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 189 ff.

I. Das privatrechtliche Gesetz

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Rechte. Bei Enneccerus/Nipperdey kommt sehr deutlich zum Ausdruck, daß die Annahme der Gewährung von Rechten durch die Norm vor allem dazu dient, die logisch zwar mögliche, der natürlichen Anschauung jedoch unzureichend erscheinende einseitig imperativistische Normtheorie m i t einem Fundament zu versehen. Die Gewährung ist erforderlich, u m zur anderen Seite hin die isolierte Befehlsnatur der Norm überhaupt plausibel machen zu können. Kasper 6 spricht i m Hinblick auf Enneccerus/ Nipperdeys Lehre vom subjektiven Recht von einem zuweilen scholastisch anmutenden Verfahren. Der V o r w u r f ist berechtigt, wenn man sich vor Augen führt, daß ein „begriffliches, (nicht zeitliches)" Vorausgehen der Gewährung vor dem Verbot angenommen wird, um einen logisch an sich denkbaren, aber dann doch offenbar wieder nur schwer auszudenkenden Weg nicht gehen zu müssen. Über dieses Gegeneinander vom Befehl, bestehend aus Gebot oder Verbot, und Gewährung oder auch Erlaubnis ist die überkommene Normtheorie bis heute nicht hinausgekommen, und dieses Gegeneinander bestimmt auch noch die Untersuchungen zur Theorie des subjektiven Rechts, soweit sie einen normativen Ansatz verfolgen. Unser Ansatz ist schon deswegen grundlegend anders, weil w i r nicht vom Begriff der Norm aus denken, sondern die Stellung der Norm von ihrer Leistung für ein soziales Ganzes her zu beurteilen versuchen. Nicht nur i m H i n blick auf das subjektive Recht, sondern bereits i m Hinblick auf die Norm w i r d der begriffliche Ansatz durch einen funktionalen ersetzt. Nicht erst die Einheitsdefinitionen des subjektiven Rechts beruhen auf einer Verabsolutierung von Teilwahrheiten, wie Kasper meint, sondern bereits der Normbegriff, der diesen Einheitsdefinitionen weitgehend zugrunde liegt. Diese Verabsolutierung ist aber kein unabwendbares Schicksal unserer Wissenschaft, sondern läßt sich durch eine strukturelle Untersuchung der vorliegenden Art doch bis zu einem gewissen Grade auflösen. Die hier vorgetragene Einwendung richtet sich nur gegen den grundlegenden Denkansatz der von der Auffassung der Norm als Imperativ ausgehenden Normtheorie. Es darf nicht verkannt werden, daß die einzelnen Durchführungen dieser Normtheorie wieder zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt haben. Von Bedeutung für die einzelne Ausgestaltung ist vor allem, welche Strukturmomente den beiden grundlegenden Begriffen des Verbots und der Gewährung zugeordnet werden, wie ihr Verhältnis zueinander selbst gesehen wird, und ob überhaupt ein Charakter als Erlaubnis oder Gewährung von Rechten angenommen wird. I n dieser Hinsicht ist die wiedergegebene Darstellung von Enneccerus/Nipperdey nicht repräsentativ. Bucher geht von einem monistischen Normbegriff aus, faßt die Norm also nur als Befehl, aus dem sich dann allenfalls eine Verpflichtung ergeben kann. Dieser Konsequenz entgeht 6

aaO, S. 8, A n m . 17.

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er dann, indem er der Norm zugleich Ermächtigungscharakter für den einzelnen zuschreibt, eine Verpflichtung geltend zu machen. Er hat dam i t den Bereich des Anspruchs, aber nicht den des Eigentums abgedeckt. I m Hinblick auf das i m Eigentum enthaltene Verhaltendürfen w i r d einerseits eine nicht auf die Norm zurückgeführte Freiheitsvermutung angenommen, andererseits offenbar doch der normativ gewährte Ausschließungsanspruch teleologisch auf die Sachherrschaft bezogen7. Ä h n liche Komplikationen ergeben sich auf Grund der Anknüpfung an Bucher auch bei Aicher. Es bleibt unklar, ob Enneccerus/Nipperdey die Gewährung nur auf den Anspruch bezieht oder beim Eigentum zum Beispiel auf die Herrschaftsmacht selbst. Die wiedergegebene Stelle spricht von Herrschaftsmacht offenbar nur i n dem Sinne, daß der Berechtigte verlangen kann, i n der Herrschaft nicht gestört zu werden, während an anderer Stelle Beherrschungsrecht und Ansprüche, beide jeweils als Rechtsmacht verstanden, unterschieden werden 8 . Von der Norm als Befehl her ergibt sich also vor allem das Problem der Beziehung dieses Befehls einerseits zu dem Verhaltendürfen des Eigentümers, andererseits zu der Berechtigungsstellung des Anspruchsberechtigten. Genau genommen kann bei konsequenter Durchführung nur die Verpflichtungsstellung des Schuldners erfaßt werden. Von diesem Ausgangspunkt aus w i r d dann versucht, die Berechtigungsstellung des Gläubigers und die Herrschaftsmacht des Eigentümers i n die Normkonzeption m i t einzubeziehen. Dabei taucht die Frage nach dem Verhältnis von Anspruch und Eigentum i n unserem Sinne nicht auf. Die einfache Tatsache, daß ein Anspruch durch Übertragung von Eigentum erfüllt werden kann, hat i n der Tat mit der Norm nichts zu tun. Für uns stellt sich allerdings gerade deswegen die Frage, wieso Eigentum und Anspruch jeweils gesondert auf die Norm sollten zurückgeführt werden können, während der Zusammenhang dieser Gebilde von der Norm aus nicht erfaßbar ist. W i r kommen also zu dem Ergebnis, daß die überkommene Normtheorie die Begrifflichkeit ihres Ansatzes vom Befehl her durch unterschiedliche Zuordnungen der beiden Pole des Verbots und der Gewährung zu überwinden trachtet. Auch die Normtheoretiker, die den Erlaubnischarakter der Norm ablehnen, versuchen damit natürlich — wenn auch nur i m negativen Sinne — ein Verhältnis zu der Sphäre herzustellen, die Gegenstand der Erlaubnis sein könnte. A m deutlichsten t r i t t die Einsicht, wie beschränkt die Möglichkeit des rein imperativistischen Ansatzes ist, i n Buchers methodischer Grundannahme hervor, daß seine normative A b leitung notwendigerweise auch rechtsformal sein müsse. Aber auch das Moment des Inhaltes bezieht Bucher dann wieder auf die Norm, so daß 7 8

I m einzelnen vgl. das 5. Kapitel. aaO, § 73 I, S. 440.

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auf diese Weise alle Aspekte wieder von dort her entworfen werden. Es gelingt dieser Normtheorie, wie auch immer sie die einzelnen von i h r angenommenen Elemente zueinander zuordnet, nicht, die grundlegende Abstraktion, die i n der Auffassung der Norm als Befehl liegt, auf der begrifflichen Ebene wieder abzugleichen. Die Untersuchung bleibt Begriffsuntersuchung, sie transzendiert den Normbegriff nicht i m Hinblick auf eine soziale Wirklichkeit. Die letzte Evidenz schöpft sie schließlich aus Begriffserkenntnis, Wesenserkenntnis, logischer Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Durchführung eines bestimmten Normbegriffes. 4. Ausblick auf Hayeks Lehre vom Gesetz Die imperativistische Normtheorie beruht zwar letztlich auf der großen Tradition eines liberalen Rechtsverständnisses, sie vermag aber den wesentlichen Gehalt dieses Rechtsverständnisses durch i h r Begriffsinstrumentarium nicht mehr zum Ausdruck zu bringen. Ob das Gesetz Rechte gewährt, ist für die Imperativtheorie eine Frage des zugrunde gelegten Normbegriffes, keine Frage von politisch-existentieller Bedeutung. Hayek hat von einem liberalen Standpunkt aus eine Lehre zum Gesetz entwickelt, die eine viel umfassendere Beurteilung dieser zentralen Frage der Gewährung erlaubt. I m Zentrum der Lehre Hayeks steht ein funktioneller Gesetzesbegriff, wie w i r ihn hier zugrunde legen, er w i r d jedoch letztlich nicht v o l l durchgeführt. W i r gehen auf Hayeks Lehre näher ein, u m von hier aus einmal den verengten Ansatz der Imperativtheorie weiter deutlich zu machen, zum anderen aber auch, u m dieses liberale Gesetzesverständnis von unserem funktionellen abzugrenzen. Hayek geht auf den Gedanken Kants zurück, daß das Privatrecht Güter nicht zuweist, sondern nur sichert 9 . K a n t schreibt 10 : „Bürgerliche Verfassung ist hier allein der rechtliche Zustand, durch welchen jedem das Seine nur gesichert, eigentlich aber nicht ausgemacht oder bestimmt wird. — A l l e Garantie setzt also das Seine von Jemandem (dem es gesichert wird) schon voraus." Hayek unterscheidet nun zwei verschiedene A r t e n von Ordnungen. Die Ordnung des menschlichen Handelns (Handelnsordnung) beruht darauf, daß die einzelnen i h r Wissen für ihre Zwecke verwenden 1 1 . Von dieser Handelnsordnung w i r d die Rechtsordnung unterschieden. Die privatrechtliche Rechtsordnung stellt sich für Hayek als ein auf diese Handelnsordnung bezogenes abstraktes Regelwerk dar, welches dem einzelnen Rechtsgenossen seine Handlungen nicht vorschreibt, sondern n u r auf die Schaffung von Bedingungen zielt, unter denen sich eine Ordnung von selbst bilden kann 1 2 . I m Gegensatz 9

Hayek , Freiburger Studien, S. 175. Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, 1,1, § 9. 11 aaO, S. 173. 12 aaO, S. 44. 10

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dazu ist das öffentliche Recht eine Befehlsordnung, d. h. die öffentlichrechtlichen Gesetze beziehen sich als Befehl auf menschliches Verhalten, sie grenzen Freiheit nicht nur ab wie das privatrechtliche Gesetz, sondern schränken sie ein 1 3 . Der Begriff des Gesetzes hat damit eigentlich einen prägnanten Sinn nur noch für den öffentlich-rechtlichen Raum als Befehl. I m Privatrecht hat das Gesetz gerade nicht diese Befehlswirkung, es enthält sich des Eingriffs, es ist gewachsene Ordnung 1 4 . Hayek weist darauf hin, daß die Gesetzgebung sich auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts entwickelte, die Entwicklung auf dem Gebiet des Privatrechts sich aber jahrtausendelang über einen Prozeß der Rechtsfindung vollzog, indem Richter und Rechtsgelehrte versuchten, die Regeln zu artikulieren, die schon seit langer Zeit das Handeln der Menschen und i h r „Rechtsempfinden" geleitet hatten 1 5 . Der i n dieser Arbeit zugrunde gelegten methodischen Unterscheidung von Wirtschaftsstruktur und Rechtsebene entspricht Hayeks Unterscheidung von Handelnsordnung und Rechtsordnung. Hayek gewinnt durch diese Unterscheidung — ebenso wie w i r — einen großen Bezugsrahmen, von dem her sich die Frage nach der Funktion des Gesetzes sinnvoll stellen läßt. Die Imperativtheorie zur Norm hat diesen Bezugsrahmen nicht mehr, sondern muß ihre grundlegenden Begriffe von der Norm allein her entwickeln, so daß schließlich die Frage, ob die Norm Rechte gewährt oder ob sie nur verbietet, nur noch eine Frage des angenommenen Normbegriffs ist. Nach unserer Auffassung korrespondiert die Annahme einer Gewährung i m wesentlichen der isolierten Deutung der Norm als Befehl, die sonst zu einer Konzeption des Rechtes nur aus Pflichten führen müßte. Diese Schwierigkeiten stellen sich für Hayeks Lehre vom Gesetz nicht. Da er der Rechtsordnung eine Handelnsordnung voraussetzt, kann er die W i r k u n g der Rechtsordnung i m Hinblick auf diese Handelnsordnung beschränken. So liegt denn auch der zentrale Gedanke Hayeks i m Anschluß an Kant darin, daß die Rechtsordnung Rechte nicht zuweist, sondern nur sichert. Das Problem der imperativistischen Normtheorie w i r d durch einen umfassenderen methodischen Ansatz gelöst. Hayek führt den Gedanken, daß das Recht nur Abgrenzung ist 1 6 , aber selbst nicht konsequent durch. Er faßt nämlich das öffentlich-rechtliche Gesetz nicht als Abgrenzung, sondern als freiheitseinschränkenden Befehl auf. Hier ist ein Vorgriff auf die öffentlich-rechtliche Untersuchung des 7. Kapitels erforderlich. Nach unserer Auffassung ist der Staat m i t seiner Aufgabenwahrnehmung ebenfalls i n die Handelnsordnung i m Sinne Hayeks integriert. Das Recht hat auch hier n u r die Funktion der 13

aaO, S. 163, 212. aaO, S. 89. 15 aaO, S. 213. le Ausführlicher Literaturnachweis zu dieser grundlegenden Auffassung bei Hayek , Freiburger Studien, S. 175, Anm. 18. 14

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Abgrenzung der aufeinander bezogenen privaten und öffentlichen Interessen. Wenn Hayek i m öffentlich-rechtlichen Gesetz den freiheitseinschränkenden Befehl sieht, t r i f f t er damit nicht die Funktion dieses Gesetzes als Abgrenzung, sondern nur eine notwendige Qualität der staatlichen Tätigkeit i m Rahmen der bereits vorausgesetzten Struktur selbst. Hayek läßt also das liberale Schema von Freiheit und Zwang auf die Rechtsebene durchschlagen, er denkt hier „wertsystematisch" 17 . Hayeks Deutung des öffentlich-rechtlichen Gesetzes als Befehl hat seinerseits wieder Auswirkungen auf sein Verständnis des privatrechtlichen Gesetzes. I m Gegensatz zu der unmittelbar regelnden Natur des öffentlich-rechtlichen Befehls ist für ihn nämlich das privatrechtliche Gesetz jetzt eine abstrakte Regel. M i t dem Gedanken der Abstraktheit des privatrechtlichen Regelwerks unterstreicht Hayek den Gedanken der Selbständigkeit der privaten Handelnsordnung. Damit w i r d aber letztlich der Gedanke der Funktion des Rechtes, welche auch nach Hayek i n der A b grenzung liegt, verwischt, weil diese Funktion nur darin gesehen werden kann, daß die Rechtsordnung an irgendeiner Stelle i n die Handelnsordnung zwar nicht eingreift, aber doch zu ihr i n Beziehung tritt. Letztlich ist auf diese Weise auch für das Privatrecht bei Hayek der Wertgedanke einer nicht durch das Gesetz beeinträchtigten Freiheit, der i n der A b straktheit des privatrechtlichen Regelwerks zum Ausdruck kommt, das tragende Motiv der Rechtskonzeption. Der Gedanke, daß das Recht Abgrenzung ist, hat zur römischen Zeit ebenso gegolten wie heute jedenfalls i m westlichen Kulturkreis. Es ist kein typisch liberaler Gedanke, die liberale Theorie hat i h n nur aufgegriffen und ihn einprägsam von der Freiheit her formuliert. Es ist ein Mißverständnis m i t weittragenden Folgen gewesen, daß man die A b grenzungsfunktion des Rechtes selbst für den Ausdruck einer liberalen Gesellschaftsauffassung gehalten hat und sie demgemäß der K r i t i k an dieser Gesellschaftsauffassung mit unterworfen hat 1 8 . W i r wählen i n dieser Arbeit statt des Begriffs der Abgrenzung den der Konfliktentscheidung, weil sich nur über den Begriff des Konfliktes die Beziehung zur methodisch vorausgesetzten Wirtschaftsebene genauer fassen läßt, auf die es uns hier ankommt. Der vom Recht abgegrenzte Bereich bleibt ohne diese Abgrenzung letztlich gestaltlos, die Funktion des Rechtes als A b grenzung kann also nicht hinweggedacht werden, ohne daß der abgegrenzte Bereich selbst seine Kontur verliert. Der Begriff der Abgrenzung selbst ist daher wohl schon von der Freiheit her gedacht. Der Konflikt dagegen ist immer schon durch sinnhafte Gebilde wie Eigentum und A n spruch i m wirtschaftlichen Sinne strukturiert, so daß die Entscheidung 17 Z u r Bedeutung des „wertsystematischen" Denkens vgl. die Ausführungen i m 6. u n d 8. Kapitel. 18 Nähere Ausführungen dazu i m 6. u n d 8. K a p i t e l bei der Auseinander-

setzung mit Coing , Wieacker und Häberle.

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3. Kap. : Privatrechtliches Gesetz und subjektives privates Recht

über den Konflikt hier tatsächlich etwas voraussetzen kann, worüber entschieden wird. Das „Seine von Jemandem", was nach Kant alle Garantie schon voraussetzt, sind Eigentum und Anspruch i m wirtschaftlichen Sinne. Für die Theorie des subjektiven Rechts stellt sich jetzt die Frage, welche Wirkungen diese „Garantie" i m Sinne Kants hat, wie sich der rechtliche Zustand darstellt, durch welchen jedem das Seine nur gesichert, eigentlich aber nicht ausgemacht oder bestimmt wird. I I . Das subjektive private Recht im juristisch-technischen Sinne 1. Der Anspruch im wirtschaftlichen Sinne als Anknüpfungspunkt der gesetzlichen Konfliktsentscheidung Der für die Wirtschaftsstruktur entwickelte Anspruch i m wirtschaftlichen Sinne ist Anknüpfungspunkt der gesetzlichen Konfliktsentscheidung. Die W i r k u n g der Konfliktsentscheidung besteht darin, daß sie unter bestimmten Voraussetzungen einen wirtschaftlichen Anspruch anerkennt und i h n damit zu einem rechtlichen macht. Zunächst ist zu fragen, wie es kommt, daß die rechtliche Konfliktsentscheidung gerade an den wirtschaftlichen Anspruch anknüpft. W i r hatten i n der Untersuchung der Wirtschaftsstruktur ausgeführt, daß die Vermögensverschiebungen i n der Wirtschaftsstruktur auf Grund von Ansprüchen i m wirtschaftlichen Sinne erfolgen. Die Vermögensverschiebungen sind nun aber vorzüglich Gegenstand von Konflikten darüber, ob sie erfolgen sollen oder nicht. Die Klärung dieser Konflikte i m Hinblick auf die Voraussetzung, unter denen die Vermögensverschiebung rechtens sein soll, von Rechts wegen soll beansprucht werden können, ist die wesentliche Leistung des Gesetzes als Konfliktsentscheidung. Das Recht stabilisiert (natürlich nur i m hier untersuchten Bereich der W i r t schaft) die A r t der Verschiebung von Vermögen und leitet sie i n Bahnen. Nicht Eigentum als solches begründet schon einen Konflikt, sondern erst die Frage, wem von mehreren es zustehen soll. Diese Frage muß auf Grund eines bestimmten Lebensverhältnisses erst auftauchen, der Begriff des wirtschaftlichen Anspruchs w i r d noch nicht durch die abstrakte Vorstellung begründet, daß — ohne jeden weiteren Zusammenhang — jemand einfach das Eigentum eines anderen beansprucht. Das zugrunde liegende Lebensverhältnis kann eine Verletzung von Eigentum sein, die zu Entschädigungspflichten führt, es kann ein nicht erfüllter Vertrag, eine widerrufene Schenkung oder die Rückabwicklung eines Vertrages auf Grund Rücktritts sein. Das Gesetz formuliert also nicht Voraussetzungen, unter denen es jemandem einen Anspruch gewähren w i l l , wenn auf Grund der zugrunde liegenden Lebensverhältnisse niemand auf den Gedanken kommt, einen Anspruch zu erheben. Das Gesetz

II. Das subjektive private Recht im juristisch-technischen Sinne

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löst nur nach der Wirtschaftsstruktur mögliche Konflikte, nicht erdachte Konflikte. Schon die Voraussetzungen, die es für einen Anspruch formuliert, müssen möglich sein, müssen i m tatsächlichen Leben eintreten können. Die Voraussetzungen sind aber nach ihrem Zusammenhang durch den Konflikt bestimmt, der durch das Gesetz nicht konstituiert werden kann. Diese Feststellung, daß das Gesetz nur über mögliche Ansprüche entscheiden kann und die Möglichkeit sich nur aus dem konkreten Konflikt ergeben kann, ist eigentlich so selbstverständlich, daß man meinen sollte, auf sie verzichten zu können. Tatsächlich liegt dem praktischen juristischen Gebrauch aber ein ganz anderes B i l d des Anspruchs zugrunde. Dieses B i l d ist nicht ganz leicht zu beschreiben, da es weitgehend unterbewußt den Gebrauch des Begriffes beherrscht. Es ergibt sich mehr oder weniger selbstverständlich aus der Struktur des positivistischen Rechtsanwendungsmodells, dem auch die Verwendung des Anspruchsbegriffs sich anpaßt. A u f Grund der angenomenen Allgemeinheit des Gesetzes, unter das subsumiert wird, sieht man den gesetzlichen Anspruch nicht als das Produkt der Entscheidung über einen Einzelfall, man stellt i h n sich wohl mehr als eine ideale Gegebenheit vor, die von den tatsächlichen Lebensverhältnissen unabhängig ist. Die Abstraktheit des gesetzlichen Tatbestandes (wenn . . . ) und die Abstraktheit der gesetzlichen Rechtsfolge (dann . . . ) scheinen ohne jede Beziehung zu einem Einzelfall allein auf Grund ihrer Zuordnung i m Gesetz ein für sich verständliches Sinngefüge darzustellen, an dessen von der Wirklichkeit gelöster Wesensart der gesetzliche Anspruch teilnimmt. Das hypothetische Schema „wenn — dann" führt auch nur zu einem hypothetischen Anspruch. Die Ebene der Wirklichkeit ist dann erst m i t dem Einzelfall selbst erreicht, der ausschließlich als Anwendungsgebiet des Gesetzes, nicht als dessen Regelungsgegenstand erscheint. Ein existenter Anspruch ergibt sich i m Einzelfall, wenn dieser sich m i t dem allgemeinen Tatbestand des Gesetzes deckt. Erst i m Einzelfall w i r d eine Aufspaltung zwischen einem tatsächlich erhobenen und dem rechtlich zuerkannten Anspruch sichtbar, aber dieser Spannungsbeziehung kommt auch hier kein entscheidender systematischer Wert zu, weil die Anspruchserhebung heute — jedenfalls dem systematischen Schwerpunkt nach — als Verfahrensvoraussetzung ins Prozeßrecht abgedrängt ist. So bleibt für das Verhältnis Gesetz — Einzelfall das Verhältnis hypothetischer gesetzlicher Anspruch — existenter rechtlicher Anspruch des Einzelfalls bei Deckung von allgemeinem Tatbestand des Gesetzes und konkretem Tatbestand des Einzelfalles. Das Rechtsanwendungsmodell prägt also auch völlig die Verwendung des Anspruchsbegriffs. Wie ein Einzelfall i n der Lage ist, sich m i t dem allgemeinen Tatbestand des Gesetzes zu „decken", diese Frage liegt außerhalb des dargestellten Gedankenkreises.

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3. Kap.: Privatrechtliches Gesetz und subjektives privates Recht

Für uns entscheidet auch das Gesetz nur wirkliche Konflikte, die allgemeine Formulierung von gesetzlichem Tatbestand und gesetzlicher Rechtsfolge sichert nur die Durchsetzbarkeit der Entscheidung, es ist ein Aspekt der „Innenansicht" des Gesetzes i m Sinne der Ausführungen zu I, 1 i n diesem Kapitel. Das bedeutet aber, daß bereits das Gesetz m i t seiner Entscheidung sich auf den Einzelfall bezieht und hier gewissermaßen — als Entscheidung — zwischen den tatsächlich erhobenen und den rechtlich zuerkannten Anspruch t r i t t . A n dieser Stelle w i r d i n einem eigentlichen Sinne juristische Arbeit geleistet, die Rechtsanwendung ist ihr nur zugeordnet. Es kann hier auf die Ausführungen über die Einheit von Gesetzgeber und Richter als Rechtssystem verwiesen werden, welches eine Leistung i m Hinblick auf vorgeordnete Lebensverhältnisse erbringt. Diese Leistung liegt eben nicht i n der Entscheidung eines Einzelfalles durch Anwendung eines Gesetzes, so als ob das Gesetz selbst außerhalb dieses Zusammenhanges stände, sondern gerade i n der juristischen Entscheidung durch Gesetzgeber und Richter. Die rechtsanwendende Tätigkeit des Richters läßt sich nicht ohne Einbeziehung des Gesetzgebers als Systemleistung auf die Lebensverhältnisse beziehen, beides muß i m Hinblick auf die Lebensverhältnisse vielmehr als Einheit gefaßt werden. W i r haben den Begriff des juristischen Fundus gebildet, u m den Gedanken der Rechtsgewinnung herauszustellen und uns von dem Rechtsanwendungsmodell etwas zu lösen. W i r kommen also zu dem Ergebnis, daß das Rechtssystem, verstanden als Einheit von Gesetzgeber und Richter, i n jedem Einzelfall den tatsächlich erhobenen zu einem rechtlich anerkannten Anspruch machen kann. Die Auflösung dieses strukturellen Zusammenhanges i n das Schema des Rechtsanwendungsmodells kann den entscheidenden Schwerpunkt der Rechtsgewinnung, der i m Verhältnis von Gesetzgeber und Einzelfall liegt, also zur „Außenseite" der Norm hin, nicht mehr fassen. Vor allem die „Allgemeinheit" des Gesetzes erweist sich als schwer überwindbare Barriere für die hier vorgetragene Aufassung, weil sie m. E. unmerklich der Meinung Vorschub leistet, daß das Gesetz wegen der Allgemeinheit des Tatbestandes sich auch nicht auf etwas Wirkliches zu beziehen brauche. Die Entscheidungsfunktion des Gesetzes kommt i n dem hypothetischen Schema, das Grundlage der Gesetzesanwendung ist, nicht zum Ausdruck. Die häufig vertretene Auffassung des Gesetzes als Urteil ist der sprechendste Beweis für diese „Vergeistigung" des Gesetzes. Für uns ist die Entscheidungsfunktion der zentrale Angelpunkt, der eine Verbindung von Konflikt und subjektivem Recht i m juristisch-technischen Sinne ermöglicht. Die von uns angenommenen beiden Seiten der Norm zeigen sich bereits i n Tatbestand und Rechtsfolge des Gesetzes, aber nur, wenn man sie aus der Vergeistigung zu nur hypothetisch verbundenen Allgemeinheiten erlöst und den K e r n des Gesetzes i n der Entscheidung sieht, die diese beiden Seiten miteinander verbindet.

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Eine häufig vertretene Auffassung geht dahin, daß das Privatrecht den Schutz oder die Sicherung des Eigentums oder Vermögens bezwecke. Der Begriff des Schutzes ist zur Erfassung des hier dargestellten Zusammenhanges problematisch, w e i l sich tatsächlich durch die M i t t e l des Privatrechts Eigentum und Vermögen nur indirekt schützen lassen. Es liegt nicht i n der Macht des privatrechtlichen Gesetzes, um jedes einzelne Eigentum gewissermaßen einen Kreis zu ziehen und damit die Verletzung unmöglich zu machen. Das Gesetz kann nur an Verletzungstatbestände anknüpfen und sie durch rechtliche Anerkennung von Ansprüchen abzugleichen versuchen. Selbst beim vorbeugenden Unterlassungsanspruch des § 1004 BGB w i r d der Schutz nur durch die Durchsetzung eines Anspruchs vermittelt, er ist nicht etwa direkte Folge des gesetzlichen Ausspruchs. Über den Gedanken des Schutzes läßt sich also nicht fassen, wie das Recht tatsächlich effektiv wird. Er scheint uns i m Gegenteil dazu beigetragen zu haben, die eigentliche Funktion des Rechtes aus dem Blick zu rücken, w e i l i n der Beziehung zwischen Schutz und Geschütztem der Gedanke des zu entscheidenden Konfliktes keinen Platz hat. Da Schutz und Geschütztes sich schon begrifflich kaum trennen lassen, gelingt es von diesem gedanklichen Ansatz aus auch nicht, eine Ebene der Lebensverhältnisse von der rechtlichen Ebene abzuschichten und die rechtliche Ebene auf diese Ebene der Lebensverhältnisse i n irgendeiner spezifizierbaren Weise zu beziehen. Hier liegt jedenfalls teilweise das Dilemma von Aichers Ansatz, der einmal das „Wie", die Technik des Schutzes als Gegenstand der rechtsformalen Betrachtung bezeichnet 1 9 , dann jedoch wieder den Schutz selbst als das formale Element dem Geschützten als dem inhaltlichen Moment gegenüberstellt 20 . Beim Eigent u m mag eine solche Trennung von Schutz und Geschütztem immerhin noch möglich erscheinen, da sie hier i n Wirklichkeit auf der Trennung von Anspruch und Eigentum beruht, was w i r d jedoch beim Vertrag geschützt? Wenn man die Vorstellung durchführen w i l l , müßte man hier schon den Begriff des Anspruchs etwa i n unserem Sinne aufspalten. Dam i t würde sich bei Aicher i m Hinblick auf den Vertrag ein ganz anderes Verhältnis von Schutz und Geschütztem ergeben als i m Hinblick auf das Eigentum. Auch wenn man davon ausgeht, daß der Schutzgedanke nur die rechtliche Anerkennung wirtschaftlicher Ansprüche i m hier zugrunde gelegten Sinne formuliert, ließe sich auf Grund dieses Ansatzes die Funktion des Rechtes nur schwer zum Ausdruck bringen. Der Schutz wäre gerade die Folge einer gesetzlichen Entscheidung über einen Konflikt, i n welchem dieser Anspruch erhoben wird. Die positive Leistung des Gesetzes liegt nicht i n der Schutzgewährung, sondern i n der Lösung des

19 20

aaO, S. 16. So w o h l aaO, S. 53.

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3. Kap.: Privatrechtliches Gesetz und subjektives privates Recht

Konfliktes selbst. Der Begriff des Schutzes erfaßt also einen für das Verständnis der Funktion des Rechtes zu kleinen Ausschnitt. 2. Der Vorgang der „rechtlichen Anerkennung"

des Anspruchs

Der Schwerpunkt der juristischen Arbeit i n dem hier zugrunde gelegten Sinne liegt i n der Herausarbeitung der Voraussetzungen, unter denen etwas rechtens soll beansprucht werden können. Die Festsetzung der Voraussetzungen i n der Anspruchsnorm ist selbst nur das Ergebnis dieser juristischen Arbeit, sie liefert die anwendbare Formel. Die juristische Arbeit geht vorher, sie liegt i m Finden dieser Voraussetzungen, i n der Abwägung m i t weiteren Voraussetzungen, die möglich erscheinen, i n der Abschneidung ungeeigneter Voraussetzungen und i n der Bewertung des ganzen Zusammenhanges, aus dem man schließlich den Anspruch folgen läßt. Daß gerade i n der Entscheidung zugunsten nur einer Seite ein Konflikt entschieden wird, mutet eigenartig an. Die Interessen des Anspruchsgegners sind aber gerade dadurch berücksichtigt, daß die rechtliche Anerkennung des Anspruchs eben an die juristisch erarbeiteten Voraussetzungen gebunden ist. So kann, wenn man die Bestimmungen der §§ 985 und 986 BGB zusammen liest, der Eigentümer von dem nicht berechtigten Besitzer die Herausgabe verlangen. Die Interessen des Anspruchsgegners sind durch das Merkmal der mangelnden Berechtigung als A n spruchsvoraussetzung formuliert. A u f das spezielle Problem einer Gestaltung der „Gegenrechte" des Anspruchsgegners als Einwendung oder Einrede kommt es i n diesem Zusammenhang nicht an. Das Ergebnis der Konfliktsentscheidung ist also kein Vergleich, wie der Begriff der Abwägung der gegenseitigen Interessen vermuten lassen könnte, sondern gerade die Entscheidung zugunsten des einen gegen den anderen. Darin zeigt sich kein verfehltes Anspruchsdenken, wie man so oft abwertend gemeint hat, sondern die juristische Entscheidung folgt hier der harten Kontur der Spannungsbeziehungen des wirtschaftlichen Gefüges, welches ohne diese zweiseitigen Erfüllungsbeziehungen, aber auch ohne deren rechtliche Präzisierung nicht funktionsfähig wäre. Was bedeutet es nun genau, daß ein Anspruch rechtlich anerkannt wird, rechtens sein soll? Die Wirkung, daß der rechtlich anerkannte A n spruch m i t den Zwangsmitteln der Gemeinschaft durchsetzbar ist, ist sicher der primäre Aspekt, der sich als Folge der rechtlichen Anerkennung aufdrängt. Die Beschränkung der Selbsthilfe w i r d auf der anderen Seite ausgeglichen durch die Herausbildung des staatlichen Machtmonopols und die Möglichkeit, sich der staatlichen Macht i n einem genau ausgeformten Verfahren zu bedienen. Daß man Selbsthilfe und ihre Ablösung durch staatliches Machtmonopol i n dieser Weise aufeinander beziehen kann, zeigt deutlich, daß die Rechtsentscheidung nur befriedet, aber nicht soziale Zusammenhänge eigentlich konstituieren kann.

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Demgegenüber scheint uns aber auch noch ein zweiter Aspekt wichtig, wenn dieser zweite Aspekt auch letztlich i n dem ersten, i n der effektiven Durchsetzbarkeit der rechtlich anerkannten Ansprüche fundiert ist. Je komplizierter die wirtschaftlichen Abläufe sind, desto mehr ist es erforderlich, daß jeder daran Beteiligte jederzeit den Umfang seiner Rechte kennt, oder daß dieser Umfang doch zumindest m i t juristischer Hilfe zu ermitteln sein muß. Daß der Richter für den strittigen Einzelfall schon eine gerechte Entscheidimg finden wird, hilft nicht weiter, wenn zwischen den Beteiligten eigentlich nichts strittig ist, sondern sie nur zur Fortsetzung und Abwicklung ihrer Beziehungen wissen müssen, wie diese Beziehungen sich eigentlich darstellen. Keiner mißgönnt dem anderen seine Rechte, wenn nur feststellbar ist, daß es seine Rechte sind. Diese Funktion des Rechts erfüllt nicht die gerechte Einzelfallentscheidung, sondern nur die Entscheidung des Rechts selbst, ob sie n u n i n der Kodifikation auf einen Gesetzgeber zurückgeführt w i r d oder i n einem reinen Richterrecht der tradierten Praxis entspricht. Diese Überlegung macht die Spannung deutlich, die zwischen dem Lebenssachverhalt und der gerechten Entscheidung als vom Lebenssachverhalt abhebbarer Kulturleistung besteht. Die weitverbreitete Vorstellung, daß es doch eigentlich für jeden Fall ein bereits „fertiges" Recht gebe und es nur darum gehen könne, dieses Recht zu erkennen, die auch unserem Rechtsanwendungsdogma zugrunde liegt, verkennt die Bedeutung juristischer Arbeit. Der Lebenssachverhalt ist seiner Natur nach rechtlich unabgeklärt, die rechtliche Entscheidung w i r d aus i h m nicht erkannt, sondern muß gefunden, erarbeitet werden. Vorgegeben ist die Unklarheit, der Konflikt. Die Entscheidung ist nicht als Recht aus dem Konflikt ablesbar, sondern sie löst als juristische Leistung erst den Konflikt. Diese Spannungsbeziehung, die den methodischen Ansatz dieser Arbeit i m wesentlichen trägt, zeigt sich heute aufs deutlichste nur noch bei den vor Gericht kommenden Fällen, die sich als auf der Parteiebene ungelöste Konflikte darstellen, die für den Richter lösbar sirici. N u r sind w i r gewöhnt, die bereits vom Gesetzgeber geleistete Arbeit für selbstverständlich zu halten und insoweit von Rechtsanwendung zu sprechen, während für den Richter nur ein Randbereich eigener Rechtsschöpfung verbleibt, der die Einzelfallgerechtigkeit sichert, i m übrigen aber m i t dem Komplex des Rechtes, das nur angewendet wird, schwer unter ein einheitliches Prinzip der Rechtsschöpfung zu bringen ist. Die Verkennung dieser spezifischen Leistung des Rechts, die sich aus dieser Spannungsbeziehung zwischen rechtlich unbearbeitetem Lebenssachverhalt und seiner rechtlichen Klärung ergibt, ist nach unserer A u f fassung mit ein Grund für das Gegeneinander einer weit verbreiteten soziologischen und der w o h l herrschenden juristisch-positivistischen Rechtskonzeption. Von der Soziologie her ist man geneigt, der lang an3 Schapp

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dauernden Übung, dem Verhaltensmuster, welches sich herausgebildet hat, schon den Charakter des Rechts zuzusprechen, so daß die Frage, welche Bedeutung das Recht hat, an sich schon mit der Lösung der soziologischen Probleme gelöst erscheint 21 . Der Jurist dagegen sieht alle Lebensverhältnisse schon durch die Brille der von i h m erreichten Klarheit, ohne zu berücksichtigen, daß diese Klarheit erst das Ergebnis seiner Arbeit ist und daher etwas voraussetzt, i m Hinblick auf das diese K l a r heit erarbeitet werden muß. Der Begriff der Parallelwertung i n der Laiensphäre ist zum Beispiel ein deutlicher Ausdruck dieses Ansatzes vom Juristischen her. Dieser Ansatz hat den Vorteil, daß die ganze soziale Welt sich i n Rechtsbegriffen abbilden läßt, womit dann der Aspekt der für die Lebensverhältnisse erforderlichen rechtlichen Regelung endgültig nicht mehr auszumachen ist. Dort, wo das Recht m i t den unklaren Lebensverhältnissen konfrontiert wird, nämlich i n der Rechtsprechung, w i r d Rechtsfortbildung dann allzuoft nur noch als Konkretisierung bisher unklarer Stellen i n dem Zusammenhang der Rechtsbegriffe aufgef aßt, die sich i m wesentlichen schon aus dem Gedanken der Systemeinheit dieser Rechtsbegriffe begründen läßt. Für uns w i r d hier ein Zipfel dessen sichtbar, was Recht überhaupt leistet. I n der tatsächlichen Handhabung des Anspruchsbegriffs i n der Rechtswissenschaft sind wirtschaftliche und rechtliche Momente ineinander verschränkt, aber doch immer noch unterscheidbar. Die Redeweise von der Geltendmachung und auch Erfüllung beziehen sich auf den wirtschaftlichen Anspruch, denn die rechtliche Anerkennung kann weder geltend gemacht, beansprucht, noch erfüllt werden. Die rechtliche Anerkennung ist aber Voraussetzung dafür, daß überhaupt festgestellt werden kann, was geltend gemacht und was erfüllt werden kann. 3. Das Vorfeld des Anspruchs. Führt jede rechtliche Entscheidung zu einem Anspruch im juristisch-technischen Sinne? Die Untersuchung könnte den Eindruck erwecken, als ob die Auffassung vertreten würde, daß alles Recht sich nur durch die rechtliche A n erkennung von Ansprüchen i n dem hier entwickelten Sinne realisiert. I n der Tat ist der Begriff des Anspruchs für uns der zentrale Begriff des Privatrechts und ein wesentlicher Begriff auch für das Verständnis des öffentlichen Rechts, wie noch zu entwickeln sein wird. Den Bereich des Straf rechts hatten w i r von vornherein ausgeklammert, es dürfte jedoch auch hier auf der Hand liegen, daß die Verfolgung des staatlichen Strafanspruches ähnliche Überlegungen für das Strafrecht rechtfertigen 21 K r i t i s c h zu dieser Gleichsetzung der faktischen I n s t i t u t i o n m i t der Rechtsnorm, Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer u n d personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie, aaO, S. 61.

II. Das subjektive private Recht im juristisch-technischen Sinne

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könnte. Damit ist aber nur eine ganz wesentliche Struktur hervorgehoben, es soll nicht behauptet werden, daß alles Recht auf direktem Wege zu Ansprüchen führt. Hier sind noch einige Ausblicke erforderlich, u m der Gefahr einer Verab^olutierung des Gedankenganges entgegenzutreten. Ein großer Kreis rechtlicher Regelungen des Privatrechts befaßt sich nicht m i t der Normierung von Ansprüchen, sondern m i t der Erfassung und Beschreibung von Rechtsverhältnissen und rechtlichen Handlungen selbst. So bestimmt das Recht selbst, wieweit es den Anwendungsbereich des Begriffs Eigentum ausdehnen w i l l (Eigentum nur an Sachen), was unter einer Sache i m rechtlichen Sinne zu verstehen ist, es gibt Vorschriften für die Übertragung des Eigentums an beweglichen und unbeweglichen Sachen, normiert die A r t der Sachenrechte und wie sie entstehen, es ordnet an, daß ein I r r t u m i m Sinne des § 119 BGB nur bei Abgabe einer Anfechtungserklärung zur Nichtigkeit des Geschäfts führt usw. A l l diese Regelungen haben ihre Einwirkung auf den Rechtsverkehr: Eigentum w i r d nach den Bestimmungen des Gesetzes übertragen, es werden nur die i m Gesetz normierten Sachenrechte bestellt, i m Falle eines Irrtums w i r d eine Anfechtungserklärung abgegeben. Dennoch kann man nicht sagen, daß hier Normen vorliegen, die die Rechtssubjekte zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, ohne ihnen zugleich Rechte zu gewähren, wie es ja dem Grundansatz der Imperativtheorie entsprechen würde. Es handelt sich dem Schwerpunkt nach u m eine Erfassung der Wirklichkeit unter Rechtsbegriffen, welche die juristische Wertung der Lebensvorgänge erst ermöglicht. I m Einzelfall liegt der K e r n der juristischen Entscheidung zum Beispiel nicht i n der A n t w o r t auf die Frage, ob das Eigentum von einem auf den anderen übergegangen ist, sondern die A n t w o r t auf diese Frage selbst ist nur Hilfsmittel bei der Beurteilung, welche Rechte die Beteiligten gegeneinander haben. Die rechtliche Erfassung der Wirtschaftsvorgänge dient i m wesentlichen der Formulierung von Anspruchsvoraussetzungen i n einem ganz weiten Sinne, es handelt sich um juristische Arbeit i m Vorfeld des Anspruchs. I m Vorstehenden wurde i m Hinblick auf den Anspruch schon ausgeführt, daß der Wirtschaftsverkehr ein ganz starkes Interesse an der Klarheit der Rechtsbeziehungen hat. Folgen knüpfen sich nur an den rechtlich anerkannten Anspruch, der wirtschaftliche Anspruch ist von hier aus gesehen nur eine methodische Abschichtung i m Rahmen eines einheitlichen Anspruchsbegriffs. Der Gedanke der Klarheit der Rechtsbeziehungen gilt vor allem für das Vorfeld des Anspruchs. Der Wirtschaftsverkehr selbst orientiert sich für seine Abwicklung an den Formen, unter denen das Recht i h n erfaßt, w e i l diese Formen die A r t und Weise sind, i n der der Wirtschaftsverkehr für eine Rechtsentscheidung relevant wird.

5*

68

3. Kap.: Privatrechtliches Gesetz und subjektives privates Recht

Eine Reihe von Gesetzen w i r d herkömmlicherweise dem Privatrecht zugerechnet, hat aber ganz oder zum Teil öffentliche Zielsetzungen. Als Beispiel sei etwa das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen genannt, dessen Zielsetzung überwiegend öffentlich-rechtlich ist. I n der sozialen Mietgesetzgebung und auch i n der Arbeitsgesetzgebung fließt der soziale Status jedenfalls der einen Seite i n die Normierung m i t ein. Selbst gewisse Formvorschriften des BGB, die einen oder beide Partner des Geschäfts vor Übereilung schützen wollen, lassen sich als Verwirklichung öffentlicher oder doch jedenfalls sozialer Zwecke auffassen. Hier taucht die Frage auf, ob denn die öffentlichen Interessen i n diesen Gesetzen immer auch durch Ansprüche des Staates gegen den einzelnen realisiert werden müssen. Ein Blick auf die A r t , wie die genannten Gesetze praktisch effektiv werden, verhindert eine derartige Verabsolutierung des Anspruchsbegriffs. Dem Gesetzgeber steht hier die Ahndung eines bestimmten Verhaltens als Straftat oder Ordnungswidrigkeit zur Durchsetzung des öffentlichen Interesses zur Verfügung. Er kann aber ζ. B. das öffentliche Interesse auch dadurch wahrnehmen, daß er es i n die Normierung der Voraussetzungen einfließen läßt, unter denen Private gegeneinander Ansprüche geltend machen können, also zum Beispiel dadurch, daß er ein Rechtsgeschäft oder den Teil eines Rechtsgeschäfts für nichtig erklärt. Die Ansprüche der Privaten untereinander sind ihrer Natur nach gegen diese Einflußnahme des Gesetzgebers nicht abgeschirmt. Eine auf private Interessen gerichtete Konfliktsentscheidung des Privatrechtsgesetzgebers kann öffentliche Interessen m i t einbeziehen, und diese durch Gestaltung der Ansprüche der Privaten untereinander befriedigen. Der Staat benutzt hier sein Rechtssetzungsmonopol für eigene öffentliche Zwecke, ohne selbst verwaltend tätig zu werden. Praktisch geht das jedoch nur i n einem bestimmten Umfang. Der Staat kann ζ. B. auf diese Weise den Mietern Vermögensvorteile zu Lasten der Vermieter zuwenden 22 , jedoch nicht Steuern erheben. Hierzu bedarf es eines eigenen Anspruchs des Staates gegen den Bürger.

22 Es interessiert hier n u r der technische Aspekt, w i e eine bestimmt geartete Konfliktsentscheidung effektiv w i r d , nicht die verfassungsrechtliche Problematik.

Viertes

Kapitel

Die klassische Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts bis zur Kombinationstheorie unter dem Aspekt der erarbeiteten Struktur I m Rahmen dieser Arbeit kann keine Auseinandersetzung mit der gesamten Entwicklung der Theorie des subjektiven Rechts bis zur Kombinationstheorie erfolgen. Es interessieren nur einige Aspekte der Entwicklung, und zwar die, i n denen die Theorie auf die hier ausgearbeitete Struktur stößt. Die Auseinandersetzung soll also auf einige ausgewählte Problemkreise beschränkt bleiben. Soweit Willens-, Interessen- und Kombinationstheorie bei der Auseinandersetzung herangezogen werden, beschränken w i r uns weiter auf die Lehren jeweils ihrer bedeutendsten Vertreter. I. Von der römischrechtlichen actio zu Windscheids materiellrechtlichem Anspruch Die Vorgeschichte, die zu Windscheids Anspruchsbegriff führt, und die Begründung dieses Anspruchsbegriffs selbst bei Windscheid ist i n vieler Hinsicht bedeutsam für den hier verfolgten Ansatz. Die geschichtliche Entwicklung kreist m. E. u m die hier aufgedeckte Struktur. Die Wissenschaft ordnet bis h i n zu Windscheid die Elemente i n immer neuer Weise einander zu. Von der Struktur aus bleibt aber die Einheit des Problemzusammenhangs erkenntlich. Zugleich w i r d an Windscheids Wendung eine Ausweitung des Begriffs deutlich, die neue Probleme begründet. Es soll versucht werden, das i m einzelnen darzulegen. Zunächst ist eine kurze zusammenfassende Skizze der historischen Entwicklung erforderlich. Bis einschließlich Savigny bedienen w i r uns bei der Darstellung des Aufsatzes von Coing „ Z u r Geschichte des Begriffs subjektives Recht'" i n „ Z u r Geschichte des Privatrechtssystems" 1 . Dem praktischen Sinn der Römer entsprach es, die juristische Energie i n der Ausbildung verschiedenartiger Klagen und der Formulierung von Klagevoraussetzungen zu investieren. Coing hat dargelegt, daß die Römer den Begriff des subjektiven Rechts i n einer der heutigen Wissenschaft vergleichbaren Fassung noch nicht kannten (32 - 38). Erst die 1

Vgl. aaO, S. 29 ff.

70

4. Kap. : Zur klassischen Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts

Glossatoren fragen nach der Ursache der Klage. Sie bedienen sich der aristotelischen Lehre von den vier causae und ordnen der Klage ein ius als causa naturalis zu. Die Heranziehung dieser Kategorie bedeutet, daß das hinter der Klage stehende subjektive Recht den Wesensinhalt und die Individualität der Klage bestimmt (40). Coing sieht hierin einen wichtigen Schritt auf eine materiellrechtliche Betrachtungsweise (40). Donellus geht dann einen Schritt über diese Lehre der Glosse hinaus, indem er die actio als das dem einzelnen Recht zugeteilte Rechtsmittel bezeichnet, als das remedium, das dem Schutz des einzelnen Privatrechts diene. Während die Glosse ius und actio i m wesentlichen noch nebeneinander geordnet sieht, ist für Donellus die actio dem subjektiven Recht schon untergeordnet (44). Diese Auffassung des Donellus teilt noch Savigny m i t seiner Lehre, daß die actio das subjektive Recht i m Zustand der Verletzung und Verteidigung sei (44, 49)2. Das w a r der Stand der Entwicklung, auf den Windscheid stieß. Er arbeitet auch m i t dem Begriff des subjektiven Rechts i m Unterschied zur Klage, aber seine Lösung verläßt die bisher verfolgte Bahn und packt das Problem von einer anderen Seite (50). Das Klagerecht ist nicht das materielle Recht i n veränderter Gestalt, i m Zustand der Verteidigung, sondern an die Stelle der Klage t r i t t m i t demselben Inhalt das subjektive Recht, der Anspruch 3 . Die Klagbarkeit bedeutet nur die Durchsetzbarkeit dieses materiellen Anspruchs i m Prozeß. Die actio ist nicht der Ausfluß (gegen Savignys Verletzungslehre), sondern nur der Ausdruck des Rechts 4 . Damit waren materielles Recht und Prozeßrecht voneinander getrennt. Was vorher ein System von Klagen war, w a r nun ein System von Ansprüchen, die i m Prozeß durchsetzbar waren. Was hat Windscheid zu diesem Schritt veranlaßt? Er selbst gibt eine kurze und sehr bezeichnende Begründung. Der römischrechtliche Sprachgebrauch soll der Rechtsanschauung der neuen Zeit angeglichen werden 5 . Der Richter gewähre heute nicht mehr Klagen, sondern die Rechtsordnung Rechte 6 . Die veränderte Rechtsanschauung führt das Recht nicht mehr auf das Gericht, sondern auf die Gesetze zurück. Windscheid wendet sich ausdrücklich gegen die Lehre seiner Zeit (Donellus, Savigny), die i n der actio das Resultat des Zusammenstoßes von Berechtigung und Verletzimg sah 7 . 2

So Savigny, System V, S. 2.

8

So eindringlich Windscheid gegen Savigny, Die Actio des römischen C i v i l rechts v o m Standpunkt des heutigen Rechts, S. 2 - 4. 4

Windscheid,

5

aaO, S. 7. Windscheid, Windscheid,

β 7

aaO, S. 4. Die Actio, A b w e h r gegen Dr. Muther, S. 19, 26. Die Actio, A b w e h r gegen Dr. Muther, S. 7.

I. Von der actio zu Windscheids Anspruch

71

Der Römer faßte die von uns dargestellte Struktur von der Durchsetzung der Rechte, also von der Klage her auf. Der römische Jurist ist damit auf seine ganz eigentliche, handgreifliche Aufgabe der Streitentscheidung bezogen. Selbstverständlich kannte auch der Römer den Begriff des Eigentums (dominium), aber er stellte zwischen i h m und der Klage noch keine logische Beziehung her. Die Klageformel, die gegeben wird, entspricht i m übrigen i n der präzisen Formulierung der Voraussetzungen, unter denen die richterliche Anordnung ergeht, unserer Vorstellung von der rechtlichen Bearbeitung des Lebenssachverhalts. Vor allem i n diesem Element, aber auch i n dem der Durchsetzung, entspricht das römischrechtliche „System" also der hier ausgearbeiteten Struktur. Bei seiner Darstellung der Begriffsgeschichte bemerkt Coing, daß man die Sozialgeschichte des Privateigentums von der Dogmengeschichte des subjektiven Rechts als wissenschaftlich-technischem Begriff scheiden müsse8. Eine Rechtsordnung könne Eigentum i m Sinne einer privaten Verfügungsgewalt über Güter gekannt haben, auch wenn eine dogmenhistorische Untersuchung ein subjektives Recht für diese Rechtsordnung noch nicht feststellen könne 9 . Coing hält damit i m Ergebnis die klassische römische Zeit zwar für einen möglichen Gegenstand sozialgeschichtlicher Forschung über Eigentum, aber nicht für ein Objekt dogmengeschichtlicher Forschung über den Begriff des subjektiven Rechts i m wissenschaftlichen Sinne, den er erst auf die Glosse datiert. Diese Unterscheidung führt m. E. zu einer schiefen Optik. I m römischen Recht nahm die actio die Stelle des heutigen Anspruchs ein, beides sind juristisch-technische Gebilde m i t durchaus vergleichbarer Funktion. Sie beziehen sich beide als Ergebnis juristischer Arbeit i n vergleichbarer Weise auf w i r t schaftliches Eigentum. Für die Römer war das kein Thema, für uns heute w i r d es durch einen alles umfassenden Oberbegriff des subjektiven Rechts verdeckt. Der juristisch-technische Begriff Coings ist also ein anderer als der i n dieser Arbeit vertretene. Coing meint einen Begriff der Wissenschaft (die dann etwa mit den Glossatoren begänne), Technik w i r d als Wissenschaft begriffen, w i r begreifen Technik als Kunst der Rechtsgewinnung durch den Juristen selbst. Unter den wissenschaftlichen Begriff ist die Klage nicht faßbar, sie erscheint fast als Verkennung des wissenschaftlichen Begriffs des subjektiven Rechts, für uns nimmt die Klage i n der Struktur die Stelle des subjektiven Rechts i m technischen Sinne des gewonnenen Rechts ein. Daß man den Akzent dann nachher m i t dem Anspruch auch anders setzen kann, hindert uns nicht an der Erkenntnis jedenfalls struktureller Gleichwertigkeit von Klage und A n spruch. Coings Differenzierung ist nach unserer Auffassung auch nicht durch das Ausweichen auf die Sozialgeschichte des Eigentums zu halten. 8

9

Privatrechtssystem, S. 31, 32.

Coing, aaO, S. 32.

72

4. Kap.: Zur klassischen Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts

Das römische Aktionensystem ist nicht Gegenstand einer sozialgeschichtlichen Untersuchung des Eigentums, sondern einer auf die Kunst der Rechtsgewinnung selbst gerichteten Betrachtung. Die Römer kannten nicht nur freie Verfügungsgewalt über Güter, sondern haben auch das Klagesystem geprägt, von dem w i r heute noch zehren. Das alles sind Selbstverständlichkeiten, die aber von Coing bei seiner Unterscheidung von Sozialgeschichte und Dogmengeschichte doch nicht ausreichend berücksichtigt werden. Der wissenschaftliche Begriff, den Coing bei den Römern vermißt, ist gerade das Gebilde, dessen Auffindung seit über hundert Jahren soviel Schwierigkeiten macht. Sollte man da nicht eher meinen, daß die Frage nach diesem Begriff schon zweifelhaft ist, als daß die römischen Juristen etwas Bedeutungsvolles übersehen hätten? Daß sie i n der eigentlichen juristischen Arbeit ihren Mann gestanden haben, w i r d sicher niemand bestreiten wollen, aber leider ohne den wissenschaftlichen Begriff des subjektiven Rechts, wie die moderne Theorie hinzufügen muß. Windscheid ist bei seiner entscheidenden Wendung auf den Anspruch übrigens sehr vorsichtig i n der Würdigung der römischrechtlichen Tradition. Er begründet die Wendung nicht m i t der Erforderlichkeit wissenschaftlicher Begriffe, sondern m i t verändertem Sprachgebrauch und letztlich veränderter Rechtsüberzeugung. Worauf diese Veränderung dann beruht, ist eine weitere, von Windscheid offengelassene Frage. Die Frage nach der Ursache der Klage, die dann i m ius gefunden wurde, w a r nach Darlegung Coings eine Auswirkung griechisch-philosophischer Begrifflichkeit, nämlich der Anwendung des aristotelischen Ursachenschemas. Eine innere Beziehung zwischen ius und actio fehlte jedoch noch, obwohl die Glosse schon zu weiteren Differenzierungen gelangte. Das ius wurde als causa proxima aufgefaßt, der Lebenssachverhalt demgegenüber als causa remota 1 0 . Donellus stellt dann m i t seiner Bezeichnung der Klage als Heilmittel diese Beziehung her, sie hat bis Savigny das juristische Denken geleitet und w i r d erst durch Windscheid ersetzt. Diese i n den Anfängen auf Donellus zurückgehende, dann von Savigny plastisch formulierte Lehre, daß das Klagerecht das materielle Recht i n veränderter Gestalt, i m Zustand der Verteidigung sei, t r i f f t den i n dieser Arbeit dargelegten Strukturzusamenhang des Privatrechts. Wenn materielles Recht und Klagerecht durch den Gedanken der Verteidigung, des Heilmittels miteinander verbunden werden, so bedeutet materielles Recht letztlich doch soviel wie Vermögen, wirtschaftliches Recht. Savigny unterstreicht den Qualitätsunterschied dadurch, daß das Klagerecht die veränderte Gestalt des materiellen Rechts ist. Damit ist die methodisch andere Bezugsebene angedeutet, die i n der vorliegenden 10

Coing , Privatrechtssystem, S. 41.

I. Von der actio zu Windscheids Anspruch

73

Arbeit angenommen wird. Daß die moderne Forschung so wenig m i t Donellus' undSavignys Lehre anfangen konnte, ist zu einem bedeutenden Teil Windscheids Wendung zu verdanken, die die ganze weitere Entwicklung geprägt hat. Nach unserer Auffassung t r i f f t Savignys Formel sehr viel mehr vom subjektiven Recht als alle späteren Einheitsdefinitionen. Unser Denken w i r d von der Annahme eines auf alle subjektiven Rechte zutreffenden Oberbegriffs aber derart geprägt, daß es uns heute schon schwerfällt, überhaupt einen sinnvollen wissenschaftlichen Standort für diese Erkenntnis Savignys auszumachen. Es bleibt vom heutigen Standpunkt eigentlich nur die Frage, wie es möglich sein soll, daß ein subjektives Recht eine neue Gestalt annimmt. Das methodische Gerüst, i n das sich Savignys Formel als A n t w o r t einfügen läßt, w i r d i m übrigen von Savigny nicht gegeben. Die Formel beruht mehr auf Intuition. Savigny bleibt i m übrigen m i t seiner Formel i m Rahmen der römischrechtlichen Konzeption des Aktionensystems. Das w a r möglich, w e i l der wissenschaftlich-begriffliche Ansatz der Glossatoren schon von Donellus funktional ausgedeutet wurde. Das Aktionensystem bleibt weiter Richtpunkt, seine Vertiefung i n eine Ebene des materiellen Rechts führt nicht zur Nivellierung i m Sinne eines allgemeinen, für alle Fälle gleich aussagefähigen Begriffs des subjektiven Rechts. Savigny kennt zwar auch diesen 11 . Aber der systematische Stellenwert dieses allgemeinen Begriffs bleibt doch wohl gering 1 2 . Savigny lenkt sofort dahin ein, daß es vorzugsweise i n sichtbarer Gestalt erscheine, wenn es bezweifelt oder bestritten werde, und daß es selbst einer tieferen Grundlage bedürfe, die er i m Rechtsinstitut findet 13. Windscheids Schritt bedeutet nun eine dem modernen Zeitgefühl besser entsprechende Auffassung des Klagerechts als Anspruch, der durch Klage nur durchgesetzt wird. Eine Stellungnahme, wie sich das bei Windscheid als Anspruch erscheinende Klagerecht zu dem subjektiven Recht Savignys verhält, das erst i m Zustand der Verteidigung als Klagerecht erscheint, liegt darin nicht. I n der Redeweise Windscheids formuliert, das Klagerecht mag zwar Ausdruck des Anspruchs sein, das würde aber nicht hindern, die Frage zu stellen, ob nicht der Anspruch seinerseits i m Sinne Savignys als Recht i n geänderter Gestalt, i m Zustand der Verteidigung bezeichnet werden muß. W i r wollen hier nur zum Ausdruck bringen, daß Windscheids Lösung nur ein Teilbereich von Savignys Formel erfaßt. Beide Meinungen lassen sich vereinbaren, auch wenn Windscheid die Verletzungslehre für den eigentlichen Kontrahenten hält 1 4 . 11 Subjektives Recht als Gebiet, w o r i n m i t unserer Einstimmung der W i l l e herrscht, vgl. System I, S. 7. 12 Vgl. Savigny, System I, S. 7: Manche nennen es das Recht i m subjektiven Sinne. 13 System I, S. 7; vgl. zum Verhältnis v o n Rechtsinstitut u n d subjektivem Recht bei Savigny, unten S. 130 f.

74

4. Kap.: Zur klassischen Begriffsgeschichte des subjektiven

echts

Windscheid läßt sich nun aber durch seine Entdeckung des Anspruchs i n eine ganz andere, man könnte fast sagen, i n die entgegengesetzte Richtung führen. Der leitende Gesichtspunkt bei dieser Entdeckung w a r schon die zentrale Stellung der Rechtsordnung als Quelle der Rechte. Nicht der Richter findet, sondern die Rechtsordnung gewährt Rechte. Für den römischen Magistrat nimmt Windscheid an, daß er über dem Rechte stand, die actio w a r nicht durch das Recht, sondern durch die Tätigkeit der Magistrate da 1 6 . I m Sinne Windscheids muß man für das heutige Recht wohl ergänzen, daß der Richter bestehendes Recht nur anwendet. Die Abtrennung der prozessualen Seite durch Windscheid hat m. E. nun zur Folge, daß die Verankerung des Rechts i n einer Konfliktsebene gelöst wird. Daß Recht Konfliktsentscheidung ist, liegt auf der Hand, wenn der Schwerpunkt i m Richterspruch gesehen wird. Was ist aber Recht, wenn es durch die Rechtsordnung gewährt und i m Streitfall vom Richter nur angewendet wird? Von diesem neuen Blickwinkel aus verkürzt sich der gesamte Zusammenhang auf die Beziehung Gesetz-subjektives Recht als W i r k u n g des Gesetzes. Der entscheidende Schritt lag nun aber darin, daß i n der weiteren Entwicklung der Theorie des subjektiven Rechts als von der Rechtsordnung gewährt nicht nur Ansprüche erscheinen, sondern Rechte überhaupt, vor allem aber die sog. Herrschaftsrechte 16 . Daß nur die Ansprüche durch Klage durchsetzbar waren, konnte als zufällig außer Betracht bleiben, da beim Anspruch ja die prozessuale Seite abgetrennt war. Die Kategorie der Erzeugung durch das objektive Recht deckte nach Windscheids späterer Auffassung nicht nur die Beziehung objektives Recht - Anspruch, sondern auch die Beziehung objektives Recht - Eigentum 1 7 . Allerdings sind die Darlegungen Windscheids hierzu selbst widersprüchlich. A n anderer Stelle v e r t r i t t er eine A u f fassung, die der hier vorgetragenen nahekommt. Sie soll unter I I untersucht werden 1 8 . Es ist letztlich der positivistische Gesetzesbegriff, der hier eine ausreichende Differenzierung i m Sinne der vorliegenden Arbeit so schwer gemacht hat. Das Gesetz ist staatlicher W i l l e ohne Beziehung auf einen Zusammenhang, i n dem gewollt wird. Windscheid hatte aufgrund dieser Ausweitung seiner Konzeption über den Anspruch hinaus das materielle Recht Savignys, das bis Savigny dem Klagerecht vorgeordnet war, dem Anspruch i n Wirklichkeit nebengeordnet. Solange der Akzent auf Rich14 Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts v o m Standpunkt des heutigen Rechts, S. 1, 2. 15 aaO, S. 4. 18 Angedeutet bereits i n Die Actio des römischen Civilrechts, S. 3.

17 18

Vgl. Windscheid,

Pandektenrecht, S. 164.

Auch Kelsen, Hauptprobleme, S. 584, weist darauf hin, daß Windscheid keinen einheitlichen, scharf umrissenen Begriff des subjektiven Rechts liefere.

I. Von der actio zu Windscheids Anspruch

75

terspruch und Klage lag, ging das nicht, bei Verlagerung des Schwerpunktes auf das objektive Recht konnten Eigentum ebenso wie A n sprüche als Wirkungen des objektiven Rechts aufgefaßt werden. Der Ansatz vom objektiven Recht her führt also schließlich zu einer Nivellierung des Begriffs des subjektiven Rechts, oder richtiger, gibt überhaupt erst die Grundlage für einen einheitlichen Begriff des subjektiven Rechts als Gegensatz zum objektiven Recht. Es ist eine neue Argumentationsebene erreicht, auf der die vorher vorhandenen Strukturen sich i m Sog des Begriffs der objektiven Rechtsordnung auflösen und zu dem Einheitsbegriff des subjektiven Rechts verschmelzen 19 . Windscheids Lehre vom Anspruch als materiellem Recht hat i n unserer Wissenschaft aber die zentrale Bedeutung aus einem Grunde erhalten, der noch nicht angesprochen wurde. Der Hinweis auf die Änderung der Zuordnimg der subjektiven Position vom Richter auf die objektive Rechtsordnung, die dem Zeitgefühl eher entsprach, ist letztlich nur eine vordergründige Begründung. Der Übergang von der Klage auf den A n spruch ermöglichte die Erfassung einer vorprozessualen Existenz dessen, was dann i m Prozeß durchgesetzt wurde. Diese vorprozessuale Existenz ist nach unserer Deutung die wirtschaftliche Natur des Anspruchs, der Anspruch i m wirtschaftlichen Sinne, wie er hier zugrundegelegt w i r d . Daß Ansprüche erfüllt und übertragen werden können, läßt sich nicht von der Klage, von der Durchsetzbarkeit her verständlich machen. Windscheid selbst führt eine neue Begründung der Übertragbarkeit i m Vorw o r t 2 0 als wesentlichen Gedanken seiner Schrift an. Die Wissenschaft w i r d von der Aufgabe entlastet, Ubertragungsakte von der prozessualen Seite her konstruieren zu müssen. M i t der Rechtsordnung als neuem Bezugspunkt t r i t t also zwar das Moment des Konfliktes i n den Hintergrund, w i r d ins Verfahrensrecht abgeschoben, aber m i t der Entdeckung des Anspruchs w i r d zugleich ein Bezugsobjekt für wirtschaftliche Vorgänge wie Übertragung, Belastung usw. geschaffen, das dieses Bezugsobjekt nur deshalb sein kann, w e i l seine Natur sich nicht allein i n der Klagbarkeit erschöpft. Damit erreicht Windscheid m. E. hier den A n schluß an die i n dieser Arbeit zugrundegelegte S t r u k t u r 2 1 . Bei Windscheid selbst k l i n g t das i n der Auffassung an, daß der Anspruch nur eine vom Recht anerkannte Tatsache sei 2 2 . Der juristische Sprachgebrauch verwendet die Redeweise „materiellrechtlicher Anspruch" oder auch „Anspruch als materielles Recht". Vordergründig läßt sich dieser Begriff des materiellen subjektiven Rechts 19 Die Polarität des Einheitsbegriffs des subjektiven Redits zur objektiven Rechtsordnung betont i m selben Sinne eindringlich Kasper, S. 176. 20 Die Actio des römischen Civilrechts, S. I I I . 21 Vgl. 2. Kapitel, I I I . 22 Die Actio des römischen Civilrechts, S. 6, vgl. oben 2. Kapitel, I I I .

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4. Kap.: Zur klassischen Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts

auf die Entgegensetzung von Bürgerlichem Recht als materiellem Recht und Prozeßrecht als formellem Recht zurückführen. Aber diese Unterscheidung gewinnt ihre Aussagekraft ja selbst wieder daraus, daß das materielle objektive Recht etwas Materielles regelt und die prozessuale Durchsetzung nur als hinzugefügte Form erscheint. Das Wort „materiell" bringt hier genau das zum Ausdruck, was Jhering m i t den Interessen als substantiellem Moment des Rechts i m Gegensatz zur Klage als formellem Element bezeichnet hat 2 3 . Der Rückgriff auf eine Klassifizierung des objektiven Rechts t r i f f t also letztlich nicht den K e r n der Sache. Der Anspruch als materielles Recht ist tatsächlich auch als subjektives Recht i m ganz eigentlichen Sinne des Wortes ein materielles Recht 24 . Der Begriff des materiellrechtlichen Anspruchs hat demnach nach unserer Auffassung genausogut i n einem Richterrecht Platz wie i n einem kodifizierten Recht. Voraussetzung ist nur, daß man auch für das Richterrecht den Richterspruch selbst von den Regeln unterscheidet, nach denen er zustandekommt, also von dem „materiellen" objektiven Recht, das auch den Richter des Richterrechts leitet. U m erklären zu können, daß die Römer nur die actio, aber nicht den Anspruch hatten, sieht Windscheid sich zu der Annahme genötigt, daß der römische Richter über dem Rechte stand, daß die actio nicht durch das Recht, sondern eigentlich durch die Tätigkeit der Magistrate da w a r 2 5 . Diese Annahme erscheint uns angesichts der immer wieder tradierten Klageformeln zweifelhaft. I n ihr liegt eine Theorie zur Entstehung von Recht, deren leitender Gedanke die richterliche W i l l k ü r ist. Zutreffender ist es w o h l zu sagen, daß die Römer vom Prozeß her dachten und deshalb ihr System von der Durchsetzbarkeit der Rechte her konzipierten. Damit erweist sich Windscheids Wendung für uns als schärfere Erfassung eines ganz wesentlichen Elementes der Struktur, das aber auch schon vorher vorhanden war, nicht dagegen als Entdeckung eines Punktes, an dem die Wirklichkeit selbst sich gegenüber vorhergehender Zeiten geändert hätte. Dennoch entspricht Windscheid m i t seinem Anspruchsbegriff nicht nur dem Zeitgefühl, sondern auch den Zeiterfordernissen eines sich rasch entwickelnden Wirtschaftsverkehrs i m 19. Jahrhundert. Nicht zufällig verlegt sich der Akzent von der Durchsetzbarkeit der Rechte auf die Frage, ob sie überhaupt bestehen. Die Klarheit der Rechtsbeziehungen auch i m vorprozessualen Zustand ist eine Forderung an das Recht, die letztlich vor allem mit der Kodifizierung erfüllt worden ist. I n diesem Punkt hat sich also doch die Wirklichkeit geändert. Für die römische 23

Vgl. Geist des römischen Rechts, §§ 60, 61. Die Unterscheidung zwischen materiellem u n d formellem Gesetz nach der A r t des Zustandekommens hat für den vorliegenden Zusammenhang dagegen überhaupt keine Bedeutung. 25 aaO, S. 4. 24

II. Rechte auf eigenes und fremdes Verhalten bei Windscheid

77

Zeit müßte man also richtiger sagen, daß zwar die Struktur die gleiche war wie heute, also auch den heute vom Anspruch besetzten Platz aufwies, daß aber das Recht aufgrund des Entwicklungszustandes der W i r t schaft praktisch m i t einem auf die Durchsetzbarkeit der Rechte aufgebauten System auskam 26 . I I . Rechte auf fremdes und eigenes Verhalten als von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht bei Windscheid Die Entstehung eines Einheitsbegriffs des subjektiven Rechts als von der Rechtsordnung verliehener Willensmacht, als rechtlich geschütztem Interesse oder als Kombination aus Wille und Interesse ist nicht so reibungslos erfolgt, wie das heute scheinen möchte. Der Gedanke an einen für alle Erscheinungen, die w i r heute als subjektive Rechte bezeichnen, gleichermaßen passenden Begriff hat sich erst langsam herausgebildet. Windscheid hatte zunächst den Anspruch statt der Klage entwickelt. Von hier bis zu einem generellen Begriff des subjektiven Rechts war noch ein Stück Wegs. W i r widmen uns den Gedankengängen nun genauer, die Windscheid von seinem gewonnenen Standpunkt aus entwickelt, u m zu einem umfassenden Begriff des subjektiven Rechts zu kommen, um insbesondere auch das Eigentum i n irgendeiner Weise darunter zu fassen. Dieser Ubergang ist für uns entscheidend, nicht die schließlich gefundene Einheitsdefinition, die als Schlagwort dann über hundert Jahre weitergereicht worden ist, meistens mit dem Zusatz, wie unbefriedigend sie sei 27 . Diesen Weg vom Anspruch zu einem generellen Begriff des subjektiven Rechts findet Windscheid m. E. über seine bekannte Unterscheidung von Rechten auf fremdes und eigenes Verhalten, mit der allerdings bereits K i p p i n seiner Bearbeitung von Windscheids Pandektenlehrbuch schon nicht mehr viel anzufangen wußte 2 8 . Diese Unterscheidung ist kein Mißgriff aufgrund einer viel zu weit getriebenen Abstraktion, sie stellt vielmehr ausgehend vom Anspruch (Rechte auf fremdes Verhalten) den Versuch einer Einbeziehung der gesamten Struktur i n den Begriff des subjektiven Rechts dar, ähnlich wie das vordem Savigny m i t seiner Verteidigungsformel getan hatte. Hier liegen die Probleme, nicht i n einer fruchtlosen Auseinandersetzung m i t der Willensformel. 26 Festzuhalten ist i n diesem Zusammenhang allerdings, daß das angelsächsische Rechtsdenken auch heute noch m i t einer weitgehend auf Rechtsbehelfe ausgerichteten Methode auskommt, so Kahn-Freund, Anmerkungen zu K a r l Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts u n d ihre soziale Funktion, S. 211. Windscheids Wendung k a n n nicht monokausal erklärt werden, sicher hat auch die idealistische T r a d i t i o n des kontinentalen Rechtsdenkens ihren Einfluß gehabt, w i e Kahn-Freund, aaO, andeutet. 27 Vgl. etwa Larenz, Allgemeiner Teil, § 12 I I , S. 155; § 13, S. 167.

28

Vgl. Windscheid,

Pandekten, S. 155 ff.

78

4. Kap. : Zur klassischen Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts

Bei den Rechten auf ein gewisses Verhalten, T u n oder Unterlassen der dem Berechtigten gegenüberstehenden Person hat die Rechtsordnung einen Befehl zu diesem Verhalten erlassen und diesen Befehl dem Begünstigten zur freien Verfügung hingegeben 29 . Sie überläßt es ihm, ob er von dem Befehl Gebrauch machen, insbesondere ob er die i h m von der Rechtsordnung gegen den Widerstrebenden gewährten M i t t e l zur A n wendung bringen w i l l . Demgemäß ist sein Wille maßgebend für die Durchsetzung des von der Rechtsordnung erlassenen Befehls. Von diesen Rechten unterscheidet Windscheid eine zweite A r t von Rechten 30 . Nicht die vorstehende Bedeutung hat nämlich das Wort Recht, wenn man sagt, der Eigentümer habe das Recht, seine Sache zu veräußern, der Gläubiger das Recht, seine Forderung zu zedieren, einem Vertragschließenden stehe das Rücktritts- oder Kündigungsrecht zu. Man meint i n diesen Redewendungen m i t dem Worte Recht, daß der Wille des Berechtigten maßgebend sei für die Entstehung von Rechten der zuerst gedachten A r t oder für den Untergang oder die Veränderung entstandener. Es w i r d also nach Windscheid dem Berechtigten ein maßgebender Wille zugeschrieben nicht für die Durchsetzung, sondern für das Sein von Befehlen der Rechtsordnung. Beide A r t e n der subjektiven Rechte umfaßt nach Windscheid die Definition: Recht ist eine von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht oder Willensherrschaft. Die Rechte der ersten A r t sollen der Kürze halber als solche auf fremdes, die der zweiten als solche auf eigenes Verhalten bezeichnet werden 3 1 . Bei den Rechten der ersten A r t handelt es sich offenbar um den zuvor von Windscheid entwickelten Anspruch. Windscheid macht nun den Versuch, alles, was sich nicht unter den Anspruchsbegriff bringen läßt, als eine besondere A r t von subjektiven Rechten auf eigenes Verhalten zusammenzufassen. Dazu soll offenbar sowohl die Einwirkungsbefugnis des Eigentümers gehören (formuliert nur für den Fall der Veräußerungsbefugnis) wie auch die Übertragbarkeit des Anspruchs selbst, wie offenbar auch der ganze Bereich, der heute unter dem Stichwort Vertragsfreiheit abgehandelt w i r d 3 2 . Offenbar ist die Unterscheidung vom Anspruchsbegriff her entwikkelt, die Rechte auf eigenes Verhalten sind demgegenüber auf den ersten 29 30

Windscheid,

Pandekten, S. 155.

aaO, S. 156. 31 Diese plastische Formulierung w i r d hier von Kelsen, Hauptprobleme, S. 584, übernommen, bei Windscheid selbst findet sie sich nicht. Kelsen hat sich i m übrigen, aaO, S. 584 ff., w o h l am umfassendsten m i t dieser U n t e r scheidung Windscheids auseinandergesetzt. 32 Bei Windscheid Wille, der f ü r die Entstehung usw. von Ansprüchen maßgebend ist.

II. Rechte auf eigenes und fremdes Verhalten bei Windscheid

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Blick recht verschiedenartig. Sie betreffen i m Sinne unserer Unterscheidung zwischen subjektivem Recht i m wirtschaftlichen Sinne und i m juristisch-technischen Sinne alle die wirtschaftliche Seite des Rechts. Tatsächlich möchten w i r die Unterscheidung von Windscheid so deuten, daß er hier versucht, das subjektive Recht i m wirtschaftlichen und i m rechtstechnischen Sinne i n eine einheitliche Konzeption einzubeziehen. Es ist unser Strukturproblem, welches Windscheid hier zu dieser Unterscheidung veranlaßt. Da das Instrumentarium, insbesondere die Auffassung des Gesetzes als Befehl, aber nicht ausreicht, wurde diese so fruchtbare Unterscheidung i n der weiteren Entwicklung wieder aufgegeben. Auch Windscheid bewältigt sie m i t seinen M i t t e l n nicht. Zunächst ist die vorsichtige A r t festzuhalten, mit der Windscheid die Unterscheidung entwickelt. Er kann sich darauf verlassen, daß der Leser den Anspruchsbegriff kennt. Hier ist die Darstellung denn auch bestimmt und i n sich geschlossen. Der Ansatz zu der zweiten A r t von Rechten beginnt dann m i t der Bemerkung, daß das Wort Recht i n gewissen Fällen nicht diese entwickelte Bedeutung habe. Man meine vielmehr i n diesen und ähnlichen Redewendungen m i t dem Wort Recht etwas anderes. Die Rechte der zweiten A r t werden von Windscheid aus der Wortbedeutung entwickelt, nicht abstrakt konstruiert. Windscheid erfühlt hier etwas und versucht es dann i n seine Konzeption einzubeziehen. Damit ist er allen von vornherein konstruktiven Versuchen weit überlegen. Der Ansatz, wie denn eigentlich das Wort Recht verwandt wird, ist für ein konstruktives Denken fast unverständlich. Jedenfalls bewegt sich Windscheid m i t seinem Ansatz durchaus noch nicht i n der Gedankenbahn, ob nun das Gesetz ein Dürfen erlauben kann, ob es das Dürfen nur durch Verbote ermöglicht usw. Windscheid läßt es nun nicht bei dieser intuitiven Unterscheidung bewenden, sondern versucht eine nähere Qualifizierung dieser Gruppierungen durch eine unterschiedliche Beziehung zur Rechtsordnung. Auch die von Windscheid hier gemachte Unterscheidung läßt sich als Indiz für die Berechtigung unserer Interpretation auffassen, obwohl er hier die Zusammenhänge offenbar nur erahnt, jedenfalls nicht deutlich dargelegt hat. Der individuelle Wille soll bei den Rechten auf fremdes Verhalten maßgebend für die Durchsetzung der Befehle der Rechtsordnung sein, bei den Rechten auf eigenes Verhalten jedoch maßgebend für das Sein von Befehlen der Rechtsordnung. Damit ist doch wahrscheinlich gemeint, daß der Wille des einzelnen i n bezug auf die Gestaltung seiner Verhältnisse (Rechte i n dem Sinne der zweiten Art) maßgebend dafür ist, daß Befehle der Rechtsordnung überhaupt existieren, die dann ihrerseits durch Anspruchsverfolgung durchgesetzt werden. Die Rechte der zweiten A r t geben dem Sein von Befehlen der Rechtsordnung erst seine Relevanz, die Rechtsordnung braucht den hier beschriebenen individuel-

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4. Kap.: Zur klassischen Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts

len Willen, u m sich auf i h n zu beziehen, um überhaupt eine Bezugsebene für durchsetzbare Befehle zu haben. Wenn man sich dieser Interpretation anschließt, würde i n der Unterscheidung von Sein und Durchsetzung von Befehlen der Rechtsordnung die Fundierung des Rechts i n den Lebensverhältnissen i m Sinne dieser Arbeit zum Ausdruck kommen. Die Befehle der Rechtsordnung gewinnen Relevanz erst, indem sie sich auf Rechte der zweiten A r t beziehen, die Durchsetzung der Befehle führt dann erst zu Rechten der ersten A r t . Erst auf der jetzt gewonnenen Grundlage bildet Windscheid den beide Bedeutungen umfassenden Oberbegriff des subjektiven Rechts als von der Rechtsordnung verliehener Willensmacht. Er gibt mit dieser Abstraktion fast alle gewonnenen Erkenntnisse wieder auf. Wenn man i n unterschiedlicher Bedeutung vom Recht i m subjektiven Sinne spricht, wie Windscheid vorher dargelegt hatte, heißt das noch nicht, daß diese unterschiedlichen Bedeutungen sich unter einem Oberbegriff sinnvoll zusammenfassen lassen. Der Wille, einen Anspruch durchzusetzen, und der Wille, eine Sache zu veräußern, haben außer der Tatsache, daß man beide Male von Willen spricht, wenig miteinander gemein. Vor allem kann Windscheid aber den Unterschied von Sein und Durchsetzung von Befehlen der Rechtsordnung m i t dem Begriff der Verleihung nicht mehr fassen. Wenn der Wille der zweiten A r t von Rechten für das Sein von Befehlen der Rechtsordnung maßgebend sein soll, so w i r d i h m doch offenbar durch die Rechtsordnung gerade keine Macht verliehen, sondern die Rechtsordnung setzt i h n voraus. Der individuelle Wille ist maßgebend für das, was das Recht anordnet (weil er erst den Regelungsgegenstand schafft), nicht umgekehrt. Die allgemeine Definition Windscheids deckt nur die Fälle der ersten Gruppe. Daß Windscheid bei den Rechten der ersten A r t nicht ausdrücklich von Ansprüchen spricht, ist bezeichnend. Er versucht doch, den Eindruck apriorischer Gleichstellung beider Arten zu erwecken, der sich bei der Verwendung des Wortes Anspruchs nicht hätte aufrechterhalten lassen. Die Beziehung beider Rechtsgruppen zueinander ist das Problem, nicht, ob sie beide Willensmacht sind. Windscheid kommt diesem Problem mit der Unterscheidung von Sein und Durchsetzung von Befehlen der Rechtsordnung am nächsten und gibt diese Erkenntnis dann m i t der Annahme einer Verleihung der Willensmacht durch die Rechtsordnung für beide Arten von Rechten wieder auf. Windscheid geht also i n seinem Pandektenlehrbuch i m Grunde von einem strukturellen Ansatz zum subjektiven Recht aus, weil er i n W i r k lichkeit vom Anspruch her kommt. Erst die allerletzte Abstraktion ist der generelle Begriff des subjektiven Rechts als Verleihung von Willensmacht durch die Rechtsordnung. Der Fehler des Forschungsansatzes der

II.

echte auf eigenes und fremdes Verhalten bei Windscheid

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folgenden Entwicklung liegt dann i n dem Versuch, von dieser letzten Abstraktion aus wieder zu den Zusammenhängen zurückfinden zu wollen. Was von Windscheid schon erkannt war, war nicht mehr gegenwärtig. Man hat nur den Begriff der Verleihung, der nun i n Erlaubnis, Verbot usw. aufgespalten wird, u m zu einem Zusammenhang zu kommen. Die Richtigkeit der sich ergebenden Thesen kann nicht mehr an den Gegebenheiten kontrolliert werden. Als wichtigstes K r i t e r i u m bleibt letztlich die logische Erforderlichkeit eines bestimmten Gesetzesbegriffs. K i p p hat i n seiner Bearbeitung der 9. Auflage des Pandektenlehrbuchs von Windscheid die Rechte der zweiten A r t aufgegeben 33 . Das Veräußerungsrecht des Eigentümers habe nur die Bedeutung, daß das Verbot der Störung des Eigentümers erweitert ist, w i r d also auf ein Recht auf fremdes Verhalten zurückgeführt. Das Störungsverbot geht nun nämlich nicht mehr dahin, den Eigentümer nicht zu stören, sondern auch denjenigen nicht zu stören, den der Eigentümer durch den A k t der Veräußerung bestimmt 3 4 . Das Recht, einen Vertrag zu schließen, könne man zwar der Sprache nach Recht nennen, aber zu einem rechtlichen Begriff könne man diese Erscheinungen nicht m i t den wahren subjektiven Rechten zusammenfassen. K i p p bewegt sich bei seiner Bearbeitung schon völlig i m Schema des imperativistischen Ansatzes. Die Ubertragungsmöglichkeit läßt sich sicher nicht i n Kipps Weise erklären, auch das erweiterte Verbot kann das Recht zur Übertragung nicht ermöglichen, sondern setzt eine v o m Recht akzeptierte Übertragung voraus. Die Überzeugung, daß man das Recht, einen Vertrag zu schließen, nicht m i t dem wahren subjektiven Recht zusammenfassen kann, ist zutreffend, wenn K i p p nur auch klarmachen könnte, warum das so ist. Tatsächlich geht die Einsicht Windscheids tiefer, wenn er Veräußerungsbefugnis und Recht zum allgemeinen Vertragsschluß als besondere Rechte zusammenfaßt, und letztere nicht wieder über das Verbot konstruieren w i l l , nur ist eben der für beide gebildete Oberbegriff des subjektiven Rechts problematisch. K i p p erkannte den einheitlichen, der zweiten Gruppe zugrundeliegenden Gedanken nicht, w e i l er von der Imperativtherorie aus nicht zu erkennen ist. I I I . Das subjektive Recht als rechtlich geschütztes Interesse bei Jhering Die Interessentheorie Jherings zum subjektiven Recht, wie sie i n den §§ 60 und 61 des „Geist des römischen Rechts" entwickelt wird, kann man — aus der Sicht Windscheids — als den Versuch einer gegenseitigen Zuordnung der Rechte auf fremdes und eigenes Verhalten i m Sinne 33

34

Vgl. Windscheid,

Kipp, aaO, S. 163.

β Schapp

Pandekten, S. 163; dazu Kelsen, Hauptprobleme, S. 591.

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4. Kap.: Zur klassischen Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts

Windscheids sehen. Die Kontinuität der Problemstellung ist für denjenigen überraschend, der Windscheid nur als Willenstheoretiker sieht und dann auf den Gegensatz von Wille und Interesse fixiert ist. Die Lösung ist bei Windscheid nur angedeutet (Sein und Durchsetzung von Befehlen der Rechtsordnung), sie w i r d von Jhering ganz prägnant und i n einer Weise entwickelt, die dem hier vertretenen Strukturmodell nahekommt. Jhering beginnt seine Konzeption des subjektiven Rechts m i t einer Polemik gegen die Willenstheorie zum subjektiven Recht. Nicht ein abstrakter Wille, sondern der Nutzen sei die Substanz des Rechts (336, 338). Neben diesem substantiellen Moment hat das subjektive Recht ein formales Moment, welches sich zu jenem Zweck bloß als M i t t e l verhält, nämlich den Rechtsschutz, die Klage. Rechte sind rechtlich geschützte Interessen (339). Die Untersuchung spaltet sich dann bei Jhering i n zwei Teile auf. I n dem einen untersucht er das Interesse als substantielles Moment, i n dem anderen den Rechtsschutz der Interessen als formales Moment des Rechts. Die Schwierigkeit von Jherings Rechtsbegriff und damit auch der Grund für viele Mißverständnisse liegt n u n i n der Unverbundenheit des Interesses als des substantiellen und der Klage als des formalen Elements des Rechts. Diese Unverbundenheit hat ihren Grund darin, daß hier die beiden methodisch voneinander zu trennenden Ebenen i m Sinne dieser Arbeit untersucht werden. Sie w i r d aber zum Problem, wenn man i n Jherings Ausführungen eine einheitliche A n t w o r t auf die Frage sieht, was das subjektive Recht ist. M i t dem substantiellen Moment des Rechts hat Jhering nach unserer Auffassung die Lebensverhältnisse selbst i m Blick, das, worauf sich das Recht nur als M i t t e l bezieht. Völlig eindeutig w i r d das bei Jhering nicht formuliert, allein es liegt schon i m Sinne des Wortes „Interesse". Es klingt i m übrigen i n vielen Wendungen an. Jhering spricht davon, daß uns nur der Interessenbegriff das praktische Verständnis des Rechts erschließt (339). Eine Definition des Rechts, welche nicht von dem Begriff des Gutes i m weiteren Sinne (eben vorher war vom Gut i m ökonomischen Sinne die Rede) ausgehe, ist nach Jhering verfehlt (341). I m Zusammenhang mit seiner Definitionsformulierung bezeichnet Jhering das substantielle Moment als faktischen Zustand des Nutzens, der jederzeit ohne weitere Folgen aufgehoben werden könne und daher des rechtlichen Schutzes bedarf (339). Dann tut Jhering einen Schritt, der i h n eindeutig über die Frage nach einer Einheitsdefinition des subjektiven Rechts hinaushebt und die dekkungsgleiche Zuordnung des formalen Elements zum substantiellen unmöglich macht. Er weist zunächst darauf hin, daß das substantielle Mo-

III. Das subjektive Recht als rechtlich geschütztes Interesse

83

ment sich i n folgender Vorstellungsreihe darstelle: Nutzen, Gut, Wert, Genuß, Interesse (339). Diese Formulierung ist für die Definition eines Elements des subjektiven Rechts schon ungewohnt großzügig. Jhering geht dann auf die einzelnen Begriffe weiter ein. Hier interessiert nun vor allem, was er unter Genuß versteht. Der Genuß w i r d danach durch die tatsächliche Zweckverwendung des Rechts vermittelt, die m i t dem bloßen Dasein des Rechts als solchem noch nicht schlechthin gegeben ist (345). Z u den Arten des Genusses des Rechts zählt auch der Genuß des Wertes durch Tausch oder Kauf oder zeitweise Überlassung und durch unentgeltliche Hingabe (346, 347). Der Genuß umfaßt also einen großen Teil dessen, was unter dem Begriff der Dispositionsbefugnis verstanden w i r d (349). Hier beschreibt Jhering unser Funktionsgefüge der Wirtschaft, aber eingeschränkt auf die Fälle der Verfügung über bestehendes Eigentum, weil er den Begriff des subjektiven Rechts erklären w i l l . Diese Einschränkung läßt sich jedoch nicht halten. Jhering sieht das selbst, wenn er sagt, daß der Nutzen, den das Recht dem Berechtigten erweisen soll, m i t dem Dasein des Rechts noch nicht schlechthin gegeben sei, sondern eine Zweckverwendung des Rechts voraussetze (345). Dieser Genuß durch Zweckverwendung von Rechten ist selbst nicht mehr identisch m i t der Substanz dieses einzelnen subjektiven Rechts i m Sinne eines rechtlich geschützten Interesses, weil die Zweckverwendung den wirtschaftlichen Vorgang selbst darstellt, der allenfalls durch eine Reihe subjektiver Rechte geschützt wird, dem aber nicht gewissermaßen eine Klage als Rechtsschutz hinzugefügt werden kann, wie es für das einzelne Eigent u m noch vorstellbar ist. Der wirtschaftliche Ansatz sprengt den Begriffsrahmen des subjektiven Rechts i m juristisch-technischen Sinne, den Jhering m i t i h m auffüllen w i l l . A m Ende dieses Paragraphen kommt Jhering dann auch zu Formulierungen, die es als wenig wahrscheinlich erscheinen lassen, daß er als Substanz des Rechts gerade nur das Interesse hat ansehen wollen, welches i m subjektiven Recht durch Klage geschützt ist. Er spricht davon, daß das Vermögen erst durch die Verschiedenartigkeit der ökonomischen Nutzungsformen seine volle Brauchbarkeit gewinne (350), ein Sachverhalt, der als Substanz des Rechts sicher nicht mehr durch eine darauf bezogene einzelne Klage geschützt werden kann. Das Recht schützt nun diese nur faktischen Interessen (339), indem es ihnen Sicherheit gewährt. Darin liegt das formale Moment. Zur Spezifizierung des Schutzgedankens beruft Jhering sich auf die Klage des römischen Rechts, die er als Selbstschutz des Interesses bezeichnet (353). Die Ausführungen Jherings lassen nicht genau erkennen, welche I n teressen nun durch Klage geschützt und darum subjektive Rechte sind. 6*

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4. Kap. : Zur klassischen Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts

Jhering verwendet zwar als Abgrenzung den Gedanken der nur durch das objektive Recht geschützten Interessen, den er durch sein Beispiel des Schutzzolls erläutert. Hier stellt sich der Schutz privater Interessen nur als Reflex des objektiven Rechts dar, er führt nicht zur Klage (353). Damit ist aber gerade nicht geklärt, welches Interesse aus dem ganzen Bündel vorgelagerter Interessen i n den Fällen individuellen Rechtsschutzes nun durch die Klage geschützt wird, welches genau bestimmte Interesse also die Substanz des einzelnen subjektiven Rechts ausmacht. M i t den Interessen als Substanz des Rechts hat Jhering den Bereich i m Auge, der bei Windscheid als Rechte auf eigenes Verhalten erscheint, i n denen der Wille zwar für das Sein, aber nicht für die Durchsetzung von Befehlen der Rechtsordnung maßgebend ist 3 5 . Die Ubereinstimmung geht so weit, daß beide Forscher — modern formuliert — die Vertragsfreiheit als wesentliches Element dieses Bereichs darstellen. Für Windscheid ist das Recht, ein Recht der ersten A r t erst zu begründen, Bestandteil dieser zweiten Gruppe, Jhering bezeichnet als Interesse i m Sinne seiner Definition das Interesse an vertraglicher Verwertung eines bestimmten Rechts. Die Blickrichtung ist etwas verschoben, der K e r n des Gedankens ist derselbe: Verfügbarkeit, Recht zur Verwendung von Rechten ist sowohl der Hauptgedanke Windscheids bei seinen Rechten auf eigenes Verhalten, wie Jherings bei seinem Interesse als Substanz des Rechts. M i t dem formalen Moment des Rechts i m Rechtsschutz t r i f f t Jhering den Bedeutungsbereich, den Windscheid als Recht auf fremdes Verhalten der zweiten A r t der subjektiven Rechte voranstellt. A l l e i n Jhering verwendet den Windscheidschen Anspruchsbegriff nicht 3 6 , so daß eine innigere Verbindung von Interesse und Klage, die von hier aus vielleicht möglich gewesen wäre, nicht erreicht wird. Er macht zwar am Ende des § 61 eine kleine Konzession i n Richtung Windscheid, indem er von dem der Klage zugrundeliegenden Recht spricht (368). Aber die Verhältnisse bleiben ungeklärt. W i r d denn nach Jhering Rechtsschutz durch Klage für ein vorher schon bestehendes Recht gewährt, welches der Klage zugrundeliegt? Das würde die ganze Theorie vom Rechtschutz durch Klage als formalem Moment des subjektiven Rechts zunichte machen. Es ergeben sich also bei Windscheid und Jhering zwar unterschiedliche Akzente, i n der großen Konzeption besteht aber eine überraschende und tiefgreifende Ubereinstimmung der Einsichten. Jhering hat die Fundierung des Rechts i n den wirtschaftlichen Interessen schärfer erkannt 35 I n der Deutung ähnlich Kelsen, Hauptprobleme, S. 592, n u r daß aus der Sicht Kelsens darin die von i h m abgelehnte naturrechtliche Substanz des subj e k t i v e n Rechts liegt. 36 Vgl. dazu auch Kelsen, Hauptprobleme, S. 580.

III. Das subjektive Recht als rechtlich geschütztes Interesse

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als Windscheid und i h r vor allem den entscheidenden systematischen Stellenwert als substantiellem Moment des Rechts gegeben. Bei Windscheid beschränkt sich die entsprechende Einsicht auf die Unterscheidung von Sein und Durchsetzung von Befehlen der Rechtsordnung. Windscheid ist dagegen von der „formalen" Seite her durch seinen Anspruchsbegriff überlegen. Durch Umschaltung von der Klage auf den Anspruch kann er einen Bereich von subjektiven Rechten von großer Konsistenz individualisieren, nämlich die Rechte auf fremdes Verhalten, der sich allein von der Klage her oder allein vom Interesse her nicht ausmachen läßt. A l l e i n für diese subjektiven Rechte i m juristisch-technischen Sinne fehlt wieder die scharfe Erkenntnis ihrer Fundierung i n den subjektiven Rechten i m wirtschaftlichen Sinne, oder i n der Sprechweise Jherings i n den Interessen als Substanz des Rechts. Windscheid und Jhering werden heute überwiegend dahin verstanden, daß sie m i t ihren Begriffsbestimmungen die A n t w o r t auf die Frage nach dem subjektiven Recht gegeben haben. Jedenfalls waren beide genötigt, die Struktur des Rechts i m Sinne der vorliegenden Arbeit i n ihren Begriff des subjektiven Rechts mit aufzunehmen. Die Gemeinsamkeit der Erkenntnisse ist dabei für uns das eigentlich Bedeutsame. Unvereinbar werden die Definitionen erst i n der letzten Abstraktion als von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht oder rechtlich geschütztes Interesse. I n dieser Unvereinbarkeit sind sie dann von der Wissenschaft tradiert worden, die Ubereinstimmungen wurden weniger beachtet. Bei Jhering kann man allerdings schon daran zweifeln, ob er überhaupt eine für alle Erscheinungen passenden Begriff des subjektiven Rechts bilden w i l l , oder ob seine Intention nicht vielmehr auf die Strukt u r des Rechts überhaupt i m Sinne der vorliegenden Arbeit geht. Er verwendet den Ausdruck subjektives Recht i n den §§ 60, 61 des „Geist des römischen Rechts" nur sehr sparsam. I n der Überschrift ist zwar von allgemeiner Theorie der Rechte die Rede, die Unterabteilungen sprechen dann aber von dem substantiellen und formalen Moment des Rechts. § 60 beginnt m i t der Frage, was ist das Recht, womit ebenfalls noch nicht das subjektive Recht i m heutigen Sinne angesprochen ist. Nach einigen Absätzen heißt es dann endlich, daß Jhering für seine Zwecke auf Erklärung des Rechts i m subjektiven Sinne aus sei (329). A l l e i n Recht i m subjektiven Sinne ist noch etwas anderes als subjektives Recht. Jhering kennt auch den Ausdruck subjektives Recht (ζ. B. 330), dieser w i r d aber seltener verwandt. So kann man Jhering auch dahin verstehen, daß er die dynamische Struktur des Rechts schildern w i l l und gerade keinen Einheitsbegriff des subjektiven Rechts vorlegen w i l l , der für alle Strukturteile als Oberbegriff gleich gut paßt. Jhering betreibt keine Begriffsbestimmung des subjektiven Rechts, sondern eine Funk-

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4. Kap.: Zur klassischen Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts

tionsbestimmung des Rechts und kommt dabei zum Begriff des Rechts i m subjektiven Sinne. Die folgende Forschung hat Jherings Kurzformel von den Rechten als rechtlich geschützten Interessen i m Sinne der Begriffsjurisprudenz ausgelegt, als Etikett, das an alle subjektives Recht genannten Sachverhalte anheftbar sein muß. Der eigentliche Aussagegehalt liegt jedoch m. E. i n der Beschreibung einer Struktur, er zeigt sich nur i n dem Weg, wie Jhering zu seiner Definition kommt. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß auch bei Windscheid der Weg zu seiner allgemeinen Begriffsbestimmung uns mehr richtige Erkenntnisse zu enthalten scheint als diese selbst, wobei Windscheid und Jhering ja i n ihren Einsichten nach unserer Deutung parallel laufen. I V . Die Kombinationstheorie Der wichtigste Einwand gegen Jherings Interessentheorie zum subjektiven Recht geht dahin, Jhering habe Inhalt und Zweck des subjektiven Rechts verwechselt 37 . Der Inhalt sei durchaus Willensmacht, es diene nur den Zwecken nach der Befriedigung menschlicher Interessen. Diese Auffassung führt dann zur sog. Kombinationstheorie. I n der Formulierung, wie sie etwa Enneccerus/Nipperdey v e r t r i t t 3 8 , ist das subjektive Recht begrifflich eine Rechtsmacht, die dem Einzelnen durch die Rechtsordnung verliehen ist, seinem Zwecke nach ein M i t t e l zur Befriedigung menschlicher Interessen. Der Ausdruck „begrifflich" w i r d von Enneccerus/Nipperdey dahin erläutert, er bedeute Inhalt des Rechts. I m übrigen w i r d die Kombinationstheorie i n noch wieder leicht voneinander abweichenden Nuancierungen vertreten. Die Formel von Enneccerus/ Nipperdey kann, wenn man von diesen Nuancen absieht, als repräsentativ angesehen werden. Die Kombinationstheorie stellt seit Ausgang des 19. Jahrhunderts die herrschende Lehre zum subjektiven Recht dar 8 9 . Der Einwand, der zu dieser Kombination beider Elemente führt, beruht auf einem Mißverständnis Jherings, welches wohl durch dessen eigene Polemik gegen die Willenstheorie veranlaßt ist. M a n übersah, daß Jhering dem W i l l e n i n seiner Konzeption durchaus einen Platz anwies, und zwar einen Platz, der sich gar nicht so sehr von der Bedeutung unterscheidet, die Windscheid dem W i l l e n i m Hinblick auf die Rechte auf fremdes und eigenes Verhalten, also unterhalb seiner letzten A b straktion, gibt. 87

Enneccerus/Nipperdey,

88

aaO, § 72, S. 428, 429. Vgl. Regelsberger, Pandekten, § 14, von Tuhr, Allgemeiner Teil I, § 1,

89

§ 72, S. 429.

Staudinger /Coing, Vorbemerkung 20 zu § 1 BGB, Lehmann!Hübner, § 10 IV,

S. 83; kritisch Lange, Allgemeiner Teil, §11. Übersichtlicher Abriß der Entwicklung bis zur Kombinationstheorie bei Raiser, JZ 61, 465.

IV. Die Kombinationstheorie

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Eine genauere Textanalyse Jherings ergibt, daß Jhering dem Worte Willen i m Hinblick auf das subjektive Recht offenbar eine zweifache Bedeutung zuschreibt: Eine auf die Durchsetzung der Rechte, bei Jhering also auf die Klage bezogene Bedeutung: Der individuelle Wille kann so weit, als er durch den allgemeinen Willen (d. h. das Gesetz) gedeckt ist. Jhering bezeichnet diese Auffassung durchaus als zutreffend (329). Davon unterscheidet er die Frage, ob der Wille auch die Substanz des Rechtes sei, wie behauptet werde (330). Das verneint er und macht hier wieder folgende Unterscheidung: Wie der Steuermann zwar den Kurs wolle, aber nur um das Schiff i n den Hafen zu bringen, so wolle auch der Rechtsgenosse aufgrund seiner privatrechtlichen Autonomie, aber nur, um seinen Zielen zu dienen (331). Der auf Durchsetzung der Rechte gerichtete Wille ist genau die W i l lensmacht der Rechte auf fremdes Verhalten, die auch bei Windscheid von der Rechtsordnung verliehen war und auf Durchsetzung von Rechtsbefehlen ging. Der Wille der zweiten A r t ist der Wille zur Begründung, Aufhebung und Veränderung von Rechten i m Sinne Windscheids, der nach dessen Auffassung für das Sein von Befehlen maßgebend ist, aber dann durch Hereinnahme i n den allgemeinen Begriff des subjektiven Rechts bei Windscheid doch zur von der Rechtsordnung verliehenen Willensmacht wird. N u r diesen Schritt vermeidet Jhering, er enthält sich also der letzten und auch gar nicht i n der Konsequenz von Windscheids eigener Konzeption liegenden Abstraktion. Der i n den Rechten der zweiten A r t (Rechte auf eigenes Verhalten) bei Windscheid liegende Wille kann dann i n der Tat diese Rechte als besondere Gruppe auch gar nicht verständlich machen. Diese Rechte sind wirtschaftlicher A r t und die Ausdrücke Nutzen, Interesse treffen die Substanz dieser Rechte besser. Daß auch der Wille eine Rolle spielt, aber als Mittel, hat Jhering zugestanden. Entscheidend ist aber i n der Tat der Akzent auf dem Interesse, der Jhering hier eine neue Welt eröffnet. Die Rechtsordnung bezieht sich nicht auf den Willen, sondern auf menschliche Interessen. Dieser grundlegende Satz berechtigt Jhering dazu, hier an die Stelle des Willens das Interesse zu setzen. Windscheid verkürzt i n Vorbereitung seines Oberbegriffs des subjektiven Rechts hier den Zusammenhang schon auf den Willen. Interesse hätte auch für i h n näher gelegen, wenn man bedenkt, daß dieser Wille für das Sein von Befehlen der Rechtsordnung maßgebend sein soll, diese sich also doch offenbar auf einen Lebenssachverhalt beziehen sollen, der nur als Wille interpretiert wird. Wenn Windscheid statt Wille hier Interesse gesetzt hätte, hätte diese folgenschwere Nivellierung aller Strukturen durch den Oberbegriff nicht erfolgen können: Das Interesse w i r d nicht von der Rechtsordnung verliehen, sondern von ihr geschützt. Festzuhalten bleibt, daß Jhering i m Hinblick auf die Durchsetzung der Rechte

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4. Kap.: Zur klassischen Begriffsgeschichte des subjektiven Rechts

durch Klage durchaus den individuellen Willen als konstitutives Moment des subjektiven Rechtes sieht, und zwar i n nicht anderem Sinne als Windscheid i m Hinblick auf seine Rechte auf fremdes Verhalten, d. h. auf die Ansprüche, die bei i h m ja die Stelle der Klage einnehmen. I n diesem Kernpunkt sind beide Willenstheoretiker, der Streitpunkt zwischen ihnen ist ein ganz anderer. Er ist sehr viel schwerer auszumachen als diejenigen vermuten, die schlagwortartig Wille und Interesse gegeneinander ausspielen. Damit ist der entscheidende Einwand gegen die Kombinationstheorie i n der Fassung von Enneccerus/Nipperdey schon gebracht. Windscheids allgemeiner Begriff des subjektiven Rechts und Jherings Interessenbegriff lassen sich nicht i n einer Konzeption vereinen, weil die entscheidend andere Akzentsetzung bei Jhering schon auf einer gedanklichen Vorstufe Windscheids stattgefunden hat. Windscheids allgemeiner Begriff des subjektiven Rechts als von der Rechtsordnung verliehener Willensmacht ist ein gedanklicher Fehlgriff, der sich auf dieser Stufe durch die Verwendung des Interessenbegriffs nicht mehr reparieren läßt. Konsequenterweise ist die Kombinationstheorie dann auch genötigt, Ansprüche und Herrschaftsrechte i m selben Sinne als von der Rechtsordnung verliehene Rechtsmacht aufzufassen 40 . Das Wort „Rechtsmacht", das i n den modernen Formulierungen an die Stelle des Wortes Willensmacht t r i t t , macht dabei den weitgehenden Verzicht auf spezifischen Aussagegehalt deutlich 4 1 . W i r brauchen nicht näher darzulegen, daß Herrschaftsrechte nicht von der Rechtsordnung verliehen werden, und daß andererseits Ansprüche nicht einfach menschlichen Interessen dienen, sondern sehr i m Unterschied zu den Herrschaftsrechten zunächst einmal dem Rechtsschutz. Nun kann man zwar die Formel der Kombinationstheorie für jede einzelne A r t des subjektiven Rechts so auslegen, daß sie als stimmig angesehen werden kann. Diese Auslegungen haben dann aber nichts mehr miteinander gemein und wirken i m übrigen schon i m Hinblick auf ihr Bezugsobjekt gekünstelt. Die Kombinationstheorie ist nicht mehr i n der Lage, die großen Probleme Windscheids und Jherings zum Ausdruck zu bringen, geschweige denn sie zu lösen. A u f den mangelnden methodischen Ansatz weist i m übrigen i n ganz bezeichnender Weise schon die verwandte Terminologie hin. Inhalt und Zweck des Rechts werden einander wie etwas Gegensätzliches gegenübergestellt. Die richtigen Gegensätze sind Inhalt und Form oder M i t t e l und Zweck. Enneccerus/Nipperdey wählt also zwei materiale Kategorien 40 41

Vgl. Eneccerus! Nipper dey, § 72 I 2, S. 431.

Vgl. dazu auch Raiser, J Z 61, 465: vorsichtigere, aber vieldeutige Redeweise.

IV. Die Kombinationstheorie

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zur Kennzeichnung des subjektiven Rechts unter Vernachlässigung der zugehörigen formalen Kategorien. Wenn man Willensmacht und Interesse so zusammenstellen w i l l , wie die Kombinationstheorie das macht, so müßte man entweder die Willensmacht als Form, das Interesse als Inhalt des Rechts bezeichnen, oder die Willensmacht als Mittel, das I n teresse als Zweck des Rechts. M i t diesen Zusammenstellungen ließe sich allenfalls ein Sinn verbinden, wenn man sie i m Sinne unserer Überlegungen zu Windscheid und Jhering auslegt. Es ergibt sich aber keine sinnvolle Kombination, wenn die beiden materialen Kategorien miteinander kombiniert werden. Derselbe Einwand gilt i m übrigen, wenn man statt Inhalt Begriff des subjektiven Rechts sagt, denn auch Begriff und Zweck sind kein Gegensatz, beide Begriffe sind ebenso inkommensurabel wie Inhalt und Zweck.

Fünftes Kapitel

Die Forschungsergebnisse der modernen normativ-rechtsformalen Schule zum subjektiven Recht I. Vorbemerkung Die klassische Tradition, insbesondere die Willenslehre zum subjektiven Recht, ist i n neuerer Zeit unter einem ganz bestimmten Aspekt fortgeführt und entwickelt worden: dem der Norm. Grundlegend sind hier insbesondere die Forschungen von Bucher. Aicher hat den Ansatz, beschränkt auf den Bereich des Eigentums, ausgebaut. Man könnte die normative Schule, wie sie vor allem durch Bucher und Aicher repräsentiert wird, als die methodisch verschärfte Fortführung der pandektistischen Tradition bezeichnen, jedenfalls gibt sie die Problemfassungen, i n denen die Gehalte der Tradition heute diskutiert werden. I m Zentrum der grundlegenden Schrift der neueren normativen Richtung, Buchers „Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis", steht nun gerade das Problem, welches w i r i m Hinblick auf Windscheids Rechte auf eigenes und fremdes Verhalten herausgearbeitet haben. Bucher erkennt sehr viel schärfer als Windscheid, daß nur die Ansprüche normativ erfaßbar sind und sondert sie scharf von den sonstigen Gehalten, die als subjektives Recht bezeichnet werden könnten. Damit ist hier die Zweiteilung des Begriffs des subjektiven Rechts, die i n der ganzen neueren Tradition schon angelegt war, m i t methodischer Schärfe durchgeführt. Es ist für uns von großem Interesse, wie Bucher diese Teilung gelingt, vor allem, wie er die Teile einander zuordnet. Insbesondere unter diesem Gesichtspunkt gehen w i r auf Bucher, dann aber auch auf Aicher näher ein, w e i l bei ihnen das Problem am schärfsten hervortritt. I m modernen Schrifttum bedient sich auch Jürgen Schmidt i n „ A k tionsberechtigung und Vermögensberechtigung" eines normativen Ansatzes, der aber wegen der Hereinnahme des materiellen Momentes der Aktionsberechtigung und Vermögensberechtigung i n die Norm andersartig als der rechtsformale Ansatz von Bucher und Aicher ist 1 . Von der materiellen Unterscheidung aus erarbeitet Schmidt ein umfassendes System unterschiedlicher positivrechtlicher Strukturen. Da es uns hier 1

M i t der formalen S t r u k t u r der N o r m bei Schmidt hat sich vor allem

Aicher, S. 47 ff., auseinandergesetzt.

II. Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis bei Bucher

91

vor allem auf die Durchführbarkeit des „rechtsformalen" Ansatzes i m Sinne von Bucher und Aicher ankommt, soll die Untersuchung auf diese beiden Forscher beschränkt werden. II. Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis bei Bucher 1. Darstellung

der Lehre Buchers

I n der Fragestellung geht auch Bucher von einem i n sich konsistenten Begriff des subjektiven Rechts als Forschungsgegenstand aus, er unterstellt also, daß es etwas gibt, nach dem man i n dieser Weise fragen kann 2 . Er vertritt die These, daß i n einer von der Norm her konzipierten Rechtswissenschaft auch das subjektive Recht von der Norm her begriffen werden müsse (7). Er w i l l es normlogisch widerspruchsfrei i n die Normordnung integrieren (7). Gerade dadurch sollen die theoretischen Vorbehalte abgebaut werden, die i n einer zunehmend vom normativen Denken beherrschten Rechtswissenschaft dem Begriff des subjektiven Rechts entgegenstehen. Die Konzeption des Rechts von der Norm her entspricht der neuzeitlichen Geistestradition der Rechtswissenschaft, sie war i m klassischen römischen Recht noch nicht i n dieser Weise gegeben (17). Nach dem Stand der heutigen Wissenschaft sieht Bucher keine ernstzunehmende Alternative gegen eine normative Rechtsauffassung, d. h. die Auffassung, daß die Rechtsordnung nicht anders sei als eine Summe von Verhaltens Vorschriften (5). Wie gelingt nun die Integration i n die Normordnung? Die gesamte rechtliche Ordnung hat ihren letzten Sinn und Zweck nur i m einzelnen Menschen (19). Das kann bei der Konzeption des subjektiven Rechts nicht unberücksichtigt bleiben. Bucher sieht sich also vor der Aufgabe, einerseits das subjektive Recht aus der Norm abzuleiten, andererseits aber der Tatsache zur Anerkennung zu verhelfen, daß die Norm selbst wieder nur der Zwecke der einzelnen wegen da ist. Die Kombination erfolgt i n der Weise, daß die abstrakte Norm der Rechtsordnung nach Bucher den einzelnen ermächtigt, nach freier W i l l k ü r selbst wieder Normen zu setzen, aber individuelle Normen. Die individuelle Normsetzung liegt i n dem A k t , den man herkömmlicherweise als Geltendmachung des Rechtes gegen einen Dritten aufgefaßt hat. Nicht das subjektive Recht selbst ist bei Bucher Normsetzung, sondern die Ausübung des Rechtes ist die Normsetzung, zu der die Rechtsordnung ermächtigt, das Recht selbst ist nur die von der Rechtsordnung verliehene Befugnis zu dieser individuellen Normsetzung. Das subjektive Recht ist also Normsetzungsbefugnis (56). 2 Vgl. Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis, S. I I I : Der Verfasser sucht nach einer neuen Fassung des Begriffs des subjektiven Rechts. — Die i m T e x t zitierten Seitenzahlen beziehen sich auf dieses Werk Buchers.

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5. Kap.: Die normativ-rechtsformale Schule zum subjektiven Recht

Diese Konzeption führt Bucher dazu, zwischen dem subjektiven Recht und dem Anspruch aus dem subjektiven Recht zu unterscheiden. Das subjektive Recht ist nur Normsetzungsbefugnis, als Anspruch sieht Bucher die aufgrund dieser Befugnis gesetzte Norm selbst an (48). Der Normsetzungsbefugnis entsprechen auf der Seite des Verpflichteten nur potentielle Pflichten, diese werden aktuelle Pflichten erst durch die Inanspruchnahme selbst. Die individuelle Normsetzung aufgrund subjektiven Rechts ist die unterste Stufe i n der Delegationshierarchie der Rechtserzeugung (56). Bucher kann unter diesen Begriff des subjektiven Rechts dann sowohl die i m Eigentum und den anderen absoluten Rechten enthaltenen Ausschließungsansprüche als auch die relativen Rechte fassen. I n der Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Rechten liegt für Bucher der einzig wirklich grundlegende Strukturgegensatz innerhalb der subjektiven Rechte (131). Bucher führt ihn auf die unterschiedliche Bestimmung des Normadressaten zurück. Entweder werden durch die Ausübung des subjektiven Rechts nur einzelne (relatives Recht) oder schlechthin alle (absolutes Recht) verpflichtet (132). Das nach der herkömmlichen Auffassung i m Eigentum enthaltene Dürfen (die Einwirkungsbefugnis des § 903 BGB) ist nach Bucher nicht Gegenstand einer Erlaubnis durch die Norm, deren Wirkungsweise ja i n der Auferlegung von Verhaltenspflichten besteht (54). Die Rechtsordnung als Summe von Verhaltensnormen setzt aber einen nicht normierten, d. h. frei gestellten Bereich voraus (53). Die für diesen Bereich geltende Freiheitsvermutung bezieht sich auch auf das z. B. i m Eigentum enthaltene Dürfen, das auf i h r beruht (153, 167). I n diesem Punkt trägt Bucher jedoch noch einen weiteren, damit nicht leicht zu vereinbarenden Gedanken vor: Der Unterlassungsanspruch bei den absoluten Rechten ist seinerseits nur ein M i t t e l zum Zwecke der Verschaffung einer faktischen Sachherrschaft (155), ja die Verleihung absoluter Rechte durch die Norm w i r d selbst als Zweck bezeichnet, welcher durch das normative Mittel des Unterlassungsanspruchs erstrebt w i r d (153). Damit ist der Gedankengang Buchers i n seinem Grundzug kurz skizziert. W i r setzen uns zunächst m i t dem grundlegenden Ansatz auseinander und gehen dann auf eine Reihe von Problemkomplexen ein, die Bucher aufgrund dieses Ansatzes löst. 2. Beruht die zentrale Stellung des Individuums im Recht auf seiner Möglichkeit, Ansprüche geltend zu machen? Beschränkt auf den ganz speziellen Ansatz Buchers ergibt sich die Frage, ob sich i n dem Gedanken der gesetzlichen Ermächtigung zu individueller Normsetzung tatsächlich der Gedanke der Normwirkung einer-

II. Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis bei Bucher

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seits und der zentralen Stellung des Rechtssubjekts andererseits miteinander i n Einklang bringen lassen. Bereits hier ergeben sich kaum überwindliche Schwierigkeiten. Buchers subjektives Recht als individuelle Normsetzungsbefugnis ist i n etwa m i t dem Bereich deckungsgleich, der i n der herkömmlichen Terminologie m i t dem Ausdruck Anspruch bezeichnet wird. Wenn man einmal diesen etwas anschaulicheren Begriff des Anspruchs verwendet, so ist die zentrale Stellung des Individuums i m Rechtsleben nicht damit getroffen, daß es seine Ansprüche nach eigener W i l l k ü r geltend machen kann. Ansprüche werden i n aller Regel gewährt, u m auch erfüllt zu werden. Sicher bleibt dem Individuum ein gewisser Raum der Entscheidung, ob es seine Ansprüche verfolgen w i l l oder nicht, aber darin liegt kaum der Schwerpunkt der Privat autonomie, darin kommt die zentrale Stellung des Individuums i m Recht nicht zum Ausdruck. Der Raum der Privatautonomie, den Bucher m i t dem formalen subjektiven Recht doch wohl getroffen meint 3 , ist diesem subjektiven Recht vielmehr als Bereich, für den nach Bucher die Freiheitsvermutung gilt, vorgeordnet. Die zentrale Stellung des Individuums i m Recht w i r d — i n herkömmlicher Terminologie — durch die Vertragsfreiheit und das i m Eigentum enthaltene Dürfen getragen, nicht durch die Möglichkeit, vom Gesetz bereits gewährte Ansprüche auch gegen den Verpflichteten geltend zu machen. Wirtschaftlich gesehen ist die Geltendmachung der Ansprüche die Regel, der Verzicht auf die Geltendmachung, auf den Bucher sich auch beruft, die Ausnahme, der aber auch wieder eine causa zugrundeliegen wird, entweder ein entgeltliches Geschäft oder eine Schenkung. Dieser Überlegung kann nicht der Einwand entgegengehalten werden, es handele sich nur u m individuelle Normsetzung i n einem normativen Sinne, w e i l hier nach der Prämisse gerade Wirkung der Norm und materielle Entscheidungsfreiheit i n eine Beziehung gebracht werden sollen. I n diesem Kernbereich von Buchers These ist die Kombination von formalen und teleologischem Element bereits nicht gelungen. W i r führen das darauf zurück, daß Bucher die wirtschaftliche Seite des Anspruchs i n ihrer Bedeutung nicht berücksichtigt hat. Zugleich erhebt sich die Frage, wie nach Buchers eigenen Prämissen überhaupt ein nur rechtsformaler Begriff des subjektiven Rechts möglich ist, wenn er zugleich die zentrale Stellung des Individuums i m Recht zum Ausdruck bringen soll. 3. Rechtsinhaltsbegriff und Rechtsformbegriff. Die Freiheitsvermutung. Das Dürfen als Zweck der Norm Die Frage nach der Beziehung von nur normativ und nur teleologisch erfaßbarem Bereich — um i n der Sprechweise von Bucher zu bleiben — taucht also bereits für den Innenraum des subjektiven Rechts als Norm3

Vgl. aaO, S. 19.

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5. Kap. : Die normativ-rechtsformale Schule zum subjektiven Recht

setzungsbefugnis auf und w i r d hier kaum gelöst. Sie stellt sich dann nach Buchers Konzeption erneut i m Verhältnis von subjektivem Recht als Normsetzungsbefugnis und dem Bereich, der bei den absoluten Rechten herkömmlich m i t dem Worte Dürfen umschrieben wird, also gewissermaßen vom subjektiven Recht i m normativen Sinne her gesehen dem Außenbereich. Hier liegt für Bucher der eigentliche Schwerpunkt seines methodischen Ansatzes. Das Verhältnis beider Bereiche erscheint bei Bucher i n recht unterschiedlicher Beleuchtung, die kennzeichnend für die hier zu bewältigenden Schwierigkeiten ist. Grundlegend ist für Bucher selbst wohl die Unterscheidung von Rechtsinhalts- und Rechtsformbegriff. Er faßt seine normative Untersuchung des subjektiven Rechts als eine rechtsformale auf und grenzt sie gegen eine rechtsinhaltliche ab (36 ff.). Die Unterscheidung w i r d wie folgt begründet: Rechtsinhaltsbegriffe sind solche, bei denen das autonome Element bei der Begriffsbildung weitgehend zurücktritt und die Begriffsbildung von vorgegebenen Sachverhalten auszugehen hat (36)4. Das t r i f f t vor allem bei Begriffen zu, die Bestandteil einer positiven Rechtsordnung sind. Bucher sieht als Rechtsinhaltsbegriffe „vorerst" auch solche Begriffe allgemeineren Charakters an, wie den Begriff des Eigentums, des Pfandrechts, des Kaufs usw., weil sie i n jeder Rechtsordnung eine eigene Ausprägung erfahren (37). Den Rechtsinhaltsbegriffen werden die Rechtsformbegriffe gegenübergestellt, die allgemein sind und an jede Rechtsordnung herangetragen werden können (37). Zu ihnen rechnet Bucher den Begriff der Norm selbst, den Begriff der Freiheit als dem Negat der Normierung eines Verhaltens und schließlich auch den Begriff des subjektiven Rechts als Normsetzungsbefugnis. Man könne zwar, macht Bucher diese Unterscheidung plausibel, von einem Eigentumsbegriff des klassischen oder nachklassischen römischen Rechts oder des französischen Rechts, nicht aber von einem schweizerischen oder deutschen Normbegriff oder dem subjektiven Recht des italienischen oder österreichischen Rechts sprechen (37). Dieser gedankliche Ansatz bedarf i n einem ganz wesentlichen Punkte einer Uberprüfung. Von der unterschiedlichen Ausgestaltung ζ. B. des Eigentums i n den einzelnen positiven Rechtsordnungen kann nicht darauf geschlossen werden, daß diese Rechtsordnungen auch einen unterschiedlichen Begriff des Eigentums i m wirtschaftlichen Sinne haben. Bucher legt bei den Rechtsinhaltsbegriffen den Akzent zu sehr auf die unterschiedliche positivrechtliche Ausgestaltung und übergeht damit den für die meisten Rechtsordnungen durchaus gleichen Begriff des Eigentums i m wirtschaftlichen Sinne. Nicht jede Rechtsordnung braucht 4 Vgl. dazu Bucher, Traditionale u n d analytische Betrachtungsweise i m Privatrecht, Rechtstheorie 1970, S. 23 ff., w o Bucher von einer ähnlichen U n t e r scheidung ausgeht.

II. Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis bei Bucher

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Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne zu kennen, aber wenn sie es kennt, dann gelten die von uns entwickelten Strukturgegebenheiten auch für diese Rechtsordnung. Der von Bucher für die Norm und das subjektive Recht formulierte Satz, daß diese Begriffe von unterschiedlichen positiven Rechten nur i m selben Sinne verwandt werden können, scheint uns sehr viel eher i m Hinblick auf das Eigentum selbst richtig zu sein. Wenn man einen i n den Rechtsordnungen identischen Begriff des Eigentums i m wirtschaftlichen Sinne annimmt, so fragt es sich, wie sich zu i h m der ebenfalls überall gleichgelagerte Begriff des subjektiven Rechts verhält. Bucher stellt diese Frage nicht. Die unterschiedliche inhaltliche Ausgestaltung von Eigentum und Kauf dient i h m als gedanklich notwendiger Gegensatz zur Gleichartigkeit der Begriffe Norm und subjektives Recht i n den positiven Rechtsordnungen. Damit fehlt bei Bucher auch der gedankliche Ansatz zur Entwicklung einer Struktur zwischen Eigentum und Anspruch i m Sinne der vorliegenden Arbeit. Diese Grundentscheidung Buchers hat für fast alle seine Problemlösungen ihre Bedeutung. Uberall können die Gestaltungen der Anspruchsebene nicht auf eine wirtschaftliche Gegebenheit bezogen werden. Tieferer Grund dafür ist letztlich eine Normauffassung, die i n der Norm nur einen auf ein bestimmtes Verhalten gerichteten Befehl sehen kann, also ihre Rechtskonzeption auf diese eine Strukturbeziehung aufbauen muß. Bucher stößt selbst i m Verlauf seiner Untersuchung an verschiedenen Stellen auf einen Begriff des Eigentums i m hier entwickelten Sinne, der über den Begriff des Eigentums als Gegenstand unterschiedlicher Rechtsordnungen weit hinausgeht. Aber er lenkt dese Vorstellung immer gleich wieder ins Normative ab, w e i l er darin offenbar die einzige Möglichkeit sieht, Begriffe zu konzipieren, die für alle Rechtsordnungen i n gleicher Weise gültig sind. Einige dieser Stellen sollen herangezogen werden. Nach der Entwicklung des Unterschiedes von Rechtsinhalts- und Rechtsformbegriffen betont Bucher, daß dieser Gegensatz kein absoluter ist. Eine Uberlagerung beider Komponenten ist denkbar (37). Es liegen nach seiner Darlegung den meisten Rechtsinhaltsbegriffen Leitideen zugrunde, die allgemeingültig sind, i n verschiedenen Rechtsordnungen i n gleicher Form angetroffen werden und damit überhaupt erst eine rechtsinhaltliche Vergleichung analoger Rechtsinstitute ermöglichen (37). Es hätte nun nahegelegen, diesen einheitlichen Begriff festzuhalten und i m Sinne des verwandten methodischen Ansatzes gegen die normative Seite abzugrenzen. Bucher tut das nicht, sondern bezeichnet offenbar als Leitidee, daß es zur Erreichung des als „Eigentum" bezeichneten Sachverhalts nur einen einzigen normativen Weg gibt, der sich als Ausschließungsbefugnis des Eigentümers gegen Dritte bei gleichzeitiger fak-

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5. Kap.: Die normativ-rechtsformale Schule zum subjektiven Recht

tischer Sachherrschaft beschreiben läßt (38). Damit ist als das Identische i m Eigentumsbegriff der verschiedenen Rechtsordnungen wieder seine Beziehung zur Norm und nicht seine wirtschaftliche Natur festgehalten, die sehr viel eher die Leitidee des Eigentums ist als jene 5 . A n anderer Stelle mißt Bucher dem Begriff des subjektiven Rechts die Aufgabe zu, die rechtlichen Verhältnisse anschaulich und darstellbar zu machen (21 ff.). Das subjektive Recht hat Bedeutung als vereinfachendes Denkschema. Den Vorstellungen Eigentum, Besitz, Pfand liegt derselbe Denkmechanismus zugrunde, den Bucher mangels besserer Bezeichnung „Verselbständigungswirkung" nennt. Bei allen subjektiven Rechten besteht die Tendenz, sie nicht mehr als normative Sachverhalte zu begreifen, sie insbesondere nicht mehr i m Zusammenhang mit dem objektiven Recht und als von diesem abhängig zu sehen. Verwickelte rechtliche Verhältnisse werden so auf eine einfache Formel gebracht, die oft nicht mehr als normative Gegebenheit, sondern gewissermaßen als Faktum aufgefaßt wird. Subjektive Rechte würden gelegentlich wie Sachen behandelt (22). Eigentum würde i m Regelfall gefühlsmäßig weitgehend als gewissermaßen naturgegebene und von einer bestimmten Rechtsordnung unabhängige Tatsache hingenommen (26). Diese Ausführungen lassen wohl eine ganz grundlegende Überzeugung Buchers durchscheinen: Das Reale i n den Begriffen Eigentum, Pfand usw. sind die normativen Beziehungen, die Begriffe selbst bringen nur Vorstellungen zum Ausdruck, die sich gegenüber ihrem eigentlichen normativen Sein verselbständigt haben. Dabei schwingt mit, daß diesen verselbständigten Vorstellungen kein Realitätscharakter zukommt, sie dienen didaktischen Zwecken, und die Verselbständigung mag aus diesem Grunde zweckmäßig sein. Allenfalls beruht die Verselbständigung auf Gefühlsgründen. Das Normative w i r d bei Bucher zur eigentlichen Substanz, die soziale Wirklichkeit w i r d zur Abstraktion, zu einer gegenüber dem Normativen nur verselbständigten Vorstellung. Damit ist der ursprüngliche Ansatz, der die Wirkung der Norm als etwas Formales auffaßte, i n sein Gegenteil umgekehrt. Bucher beobachtet m i t der Selbständigkeit der Vorstellung Eigentum etwas durchaus Richtiges, erst die Einfügung i n sein normatives Konzept führt dann zu einer kaum überzeugenden Interpretation dieser Beobachtung. Der verselbständigten Vorstellung Eigentum, der gefühlsmäßigen Hinnahme als naturgegeben liegt etwas anderes zugrunde, als eine Wertung normativer Beziehungen i n der Laiensphäre. Hier w i r d der wirtschaftliche Begriff des Eigentums getroffen, auf den sich auch die Norm nur bezieht. Bezeichnend ist, daß 5 Dieselbe Gedankenführung findet sich aaO, S. 160: H i e r ist von einem unabhängig von allen positivrechtlichen Besonderheiten einheitlichen K e r n der Begriffe Eigentum u n d Pfand die Rede, der dann aber sofort wieder als deren allgemeingültiger rechtsformaler Gehalt aufgefaßt w i r d .

II. Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis bei Bucher

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auch diese wirtschaftliche Existenz des Eigentums vor allem unter der Kategorie der verselbständigten Vorstellung, des Denkschemas erfaßt wird, also vom Begrifflichen her, wie w i r das i m 2. Kapitel unter I I I als überkommenen Ansatz zum Eigentum geschildert haben. Die Zurückführung des Begriffs ins Normative von hier aus ist dann kein Übergang i n eine andere Ebene, sondern läßt sich leicht vollziehen. A m nächsten ist Bucher der wirtschaftlichen Natur, wenn er auf die gelegentliche A u f fassung des Eigentums als Faktum wie eine Sache hinweist. Daß Bucher selbst i m Hinblick auf diese Seite seiner Konzeption skeptisch geblieben ist, ergibt sich aus einer Bemerkung am Ende seines Werkes: Der Eigentumsbegriff sei meist als Rechtsinhaltsbegriff aufzufassen, und dieses auch dann, wenn sich über i h n i n normlogischer Hinsicht einige Aussagen machen ließen (167). I n einem methodisch nicht ganz abgeklärten Verhältnis zur Unterscheidung von Rechtsinhalts- und Rechtsformbegriff steht bei Bucher die Dichotomie von Freiheitsvermutung und normiertem Verhalten und die Mittel- und Zweck-Beziehung von Ausschließungsrecht und Sachherrschaft. Zunächst zur Problematik der Freiheitsvermutung. Der Grundgedanke Buchers ist, daß die Norm keine Erlaubnis ausspricht, sondern immer nur Verhalten gebietet 6 . Für den nicht normierten Bereich w i r d demzufolge eine Vermutung der Freiheit angenommen. Das ist der Grundgedanke einer bestimmten Ausprägung der Imperativtheorie, die bei Binding zur Formulierung vom Loch i m Normenkreis geführt hat 7 . Sie läßt sich auch auf den Eigentumsbegriff beziehen und bedeutet hier, daß sich normativ über den Gedanken der Verhaltenspflicht nur das Ausschließungsrecht erfassen läßt, nicht jedoch die Einwirkungsbefugnis des Eigentümers selbst auf die Sache. M i t der Einschränkung, daß das Gesetz sich nicht auf jedes denkbare Verhalten i m Wege einer Erlaubnis bezieht, vollzieht die Imperativtheorie den entscheidenden Schritt, der überhaupt noch eine irgendwie sinnhaft faßbare Normwirkung erkenntlich bleiben läßt. Letztlich scheint i n dieser Konzeption, wenn auch i n konstruktiver Erstarrung, der Gedanke einer dem Gesetz vorgegebenen Sphäre durch, der für unser ganzes P r i vatrecht grundlegend ist. Die konstruktive Erstarrung beruht darauf, daß dieser Gedanke aus dem Begriff des Gesetzes selbst entwickelt wird, so als ob aus i h m selbst zu erkennen wäre, ob es nur befiehlt oder auch erlaubt. Buchers grundlegende Aussage hierzu geht also dahin, daß dieser Raum normativ nicht erfaßt ist. Die Unterscheidung verliert ihre Überzeugungskraft, wenn man sie einer genaueren Analyse daraufhin unterzieht, welches Verhalten denn 6 Vgl. dazu die Ausführungen i m 3. Kapitel, I 3 zum Grundansatz der Imperativtheorie. 7 Binding, K r i t . Vierteljahresschrift 21 (1879), S. 542 (563).

7 Schapp

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5. Kap. : Die normativ-rechtsformale Schule zum subjektiven Recht

nun eigentlich von der Norm geboten wird. Diese ganz konkrete Fragestellung kommt bei den normtheoretischen Forschern häufig zu kurz. Geboten w i r d doch offenbar das Verhalten des Verpflichteten, das Verhalten des Berechtigten liegt i n der Ausübung seines subjektiven Rechts und w i r d von Bucher selbst als die i n der Anspruchserhebung liegende freie W i l l k ü r auf gef aßt, also als das Moment, welches der zentralen Stellung des Individuums i m Recht Rechnung trägt. Von der Norm her gesehen scheint es zunächst sinnvoll, normiertes und freies Verhalten zu unterscheiden, von den Bezugspersonen her w i r d diese Unterscheidung fragwürdig, da sie sich auf zwei verschiedene Personen bezieht und damit die Dichotomie sinnlos wird. Jemand, der verpflichtet ist, eine Eigentumsstörung zu unterlassen, müßte schon i n anderer Beziehung nicht verpflichtet, sondern frei sein, und hier fehlt überhaupt jeder Ansatzpunkt für einen sinnvollen Zusammenhang, der sich als freies Verhalten der Verpflichtung entgegenstellen ließe. Andererseits hat es auch nach Buchers eigener Prämisse keinen Sinn, i m Hinblick auf den Inhaber des subjektiven Ausschließungsrechtes davon zu sprechen, daß sein Verhalten bis auf den normierten Bereich frei sei, denn auch die Anspruchserhebung ist für i h n kein normiertes Verhalten, sondern gerade individuelle, freie Normsetzung. Hier zeigt es sich, daß das Eigentum als wirtschaftlicher Begriff insgesamt „vor die Klammer" der Norm gehört, die Abspaltung eines nicht von der Norm erfaßten Teils i m Eigentum beruht selbst schon auf einer ausschließlich normativen Konzeption. Ein normierter und ein freier Bereich lassen sich sinnvoll kaum i n der Weise der Imperativtheorie einander gegenüberstellen. Das ist eine selbstverständliche Erkenntnis, wenn man m i t uns das Gesetz für eine Konfliktsentscheidung hält, die sich auf ein soziales Gefüge bezieht. Der Bereich der Freiheitsvermutung, des Dürfens, der Sachherrschaft w i r d nun von Bucher noch i n anderer Weise auf die Norm bezogen. Bucher sieht den von der Norm gewährten Unterlassungsanspruch bei den absoluten Rechten selbst wieder nur als M i t t e l zum Zwecke der Verschaffung einer faktischen Sachbeherrschung. Jedoch schwanken die Formulierungen hier beträchtlich. Einmal formuliert Bucher (153 oben), der normative Gehalt erschöpfe sich in der Unterlassungspflicht, die Sachbeherrschung durch den Berechtigten sei nur Motiv für die rechtliche Regelung beziehungsweise deren faktische Folge 8 . Dann wieder spricht Bucher von dem Zweck der Verleihung absoluter Rechte und den normativen Mitteln, m i t denen dieser Zweck verfolgt w i r d (153). Schließlich ist davon die Rede, daß bei der Fassung des Begriffs der absoluten Rechte die den Rechtszweck ausmachende Sachbeherrschung außer Betracht bleiben müsse (153). 8 Ä h n l i c h aaO, S. 38: Ausschließunßsbefugnis bei gleichzeitiger Freiheit des Berechtigten, über die Sache frei zu verfügen.

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Jede dieser Formulierungen hat eine andere Bedeutung. Faktische Sachbeherrschung als Zweck des Ausschließungsanspruchs ist etwas anderes als diese Sachbeherrschung als Motiv der rechtlichen Regelung und Motiv ist wieder etwas anderes als faktische Folge. Von all diesen Bedeutungen ist zu unterscheiden, ob das absolute Recht selbst, nicht allein die faktische Sachherrschaft durch das normative M i t t e l des Ausschließungsrechts verliehen wird, und von dieser Auffassung wäre wieder zu unterscheiden, ob es der Zweck des absoluten Rechtes als subjektiven Rechtes selbst ist, faktische Sachherrschaft zu ermöglichen. Diese Unsicherheit i n den Formulierungen ist nicht zufällig, sie zeigt das unabgeklärte Verhältnis zwischen dem als Anspruch verstandenen subjektiven Recht und dem Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne. Der Trennungsstrich w i r d einmal so gezogen, daß alle normativen Elemente auf die Seite des Anspruchs fallen und auf der anderen Seite nur Faktizität übrigbleibt, dann wieder so, daß durch Anspruchsgewährung als M i t tel absolute Rechte gewährt werden. Dabei stellt Bucher sich unter absoluten Rechten hier ganz offensichtlich nicht nur deren normative Seite, also wieder nur Ausschließungsansprüche, vor. Die Redeweise ist — ganz abgesehen davon, ob man i h r zustimmen w i l l — allenfalls dann überhaupt verständlich, wenn man den Ausdruck „absolutes Recht" hier (jedenfalls für den Bereich des Vermögens) i n dem von uns entwickelten wirtschaftlichen Sinne versteht. M i t dem hier behandelten Gedankenkreis des Dürfens als Zweck des von der Norm gewährten Ausschließungsrechtes versucht Bucher ein weiteres Mal, Anschluß an die Sinngebilde der sozialen Wirklichkeit zu finden. Ein Versuch lag m. E. i n der Konzeption des subjektiven Rechts selbst als Ermächtigung, nach freier W i l l k ü r individuelle Normen zu setzen, ein weiterer Versuch lag i n der Annahme einer Freiheitsvermutung für den nicht normierten Bereich und der Verneinung der Erlaubnisfunktion der Norm. Auch diese Konzeption über den Zweck bleibt problematisch, selbst wenn man davon absieht, daß unklar bleibt, wie man sie sich genau vorzustellen hat. Der wichtigste Einwand geht dahin, daß bei konsequenter Durchführung des Zweckgedankens kein großer Unterschied mehr zur Auffassung besteht, die der Norm eine Erlaubnisfunktion zuschreibt. Die Erkenntnis, die dort gewonnen war, geht hier wieder verloren. Der Zweck zum Beispiel privatrechtlicher Normen des Eigentumsschutzes liegt i n der Beseitigung von Eigentumsstörungen, nicht darin, durch Beseitigung dieser Störungen Eigentum oder auch nur faktische Sachherrschaft zu gewähren. Die Auffassung der normativen Betrachtung als nur rechtsformal führt zu einer Entleerung der normativen Seite von dem praktischen und durchaus aus sich heraus verständlichen Zweck der Rechtsgewinnung. Diese Entleerung führt dann ihrerseits dazu, den Zweckgedanken zur anderen Seite hin überzupointieren, das heißt die soziale Wirklichkeit als Zweck der Norm aufzufassen. 7*

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5. Kap.: Die normativ-rechtsformale Schule zum subjektiven Recht 4. Bedeutende Einzelkomplexe in der Sicht der normativ-rechtsformalen Auffassung Buchers

W i r haben uns bisher m i t einigen Grundgedanken der normativ-rechtsformalen Auffassung des subjektiven Rechts auseinandergesetzt. Bucher konzipiert von diesen Grundgedanken aus eine Reihe von Problemlösungen für wichtige Sachkomplexe der Lehre vom subjektiven Recht. A u f diese soll i m folgenden auf der erarbeiteten Grundlage noch etwas näher eingegangen werden. Es handelt sich insbesondere u m die Frage der Ubertragbarkeit der Rechte, der Unterscheidung von absoluten und relativen Rechten und der Rechtsverletzung. a) Die Übertragbarkeit subjektiver Rechte Die Ubertragbarkeit gehört nach Bucher nicht zum Begriff des subjektiven Rechts als Normsetzungsbefugnis (93), obwohl viele subjektive Rechte übertragen werden können (22). Die Ubertragbarkeit ist keineswegs selbstverständlich, liegt doch genau gesehen nach Bucher eine A u f hebung der alten Rechtsbeziehungen und Neubegründung gleicher Relationen i n einer anderen Person vor (22, ebenso 95). Wenn man von „Ubergang" der Rechte spreche, so könne dies nur i m Sinne einer Metapher gemeint sein, die offensichtlich i n Analogie zu dem von-Hand-zuHand-Gehen von Sachen gebildet werde und die nur möglich sei, wenn die i n Frage stehenden rechtlichen Beziehungen i n einem als isolierte Einheit aufgefaßten subjektiven Recht verkörpert würden (22). I n einem anderen Zusammenhang faßt Bucher dann die Ubertragbarkeit von Herrschaftsrechten als unselbständige Gestaltungsrechte auf 9 , die er den selbständigen Gestaltungsrechten i m Sinne Seckeis entgegenstellt. Bucher steht also insbesondere bei einer Begründung der Übertragbarkeit deutlich vor der Alternative, entweder ein subjektives Recht i n einem anderen als dem von i h m entwickelten Sinne anzunehmen, oder die Übertragbarkeit normativ zu begründen. Er entscheidet sich — jedenfalls m i t der ersten der beiden gerade skizzierten Argumentationen — für das letztere. Genau gesehen ist das auch i n seinem Sinne keine Lösung, denn er müßte nun erklären, wieso die Norm i n gewissen Fällen die Normsetzungsbefugnis i n der Person des einen aufhebt und des anderen begründet. Wenn die Norm das i n Anerkennung eines Übergangs des Rechtes tut, ist die Ubertragbarkeit des subjektiven Rechts damit vorausgesetzt und nicht begründet. Die Redeweise, daß die Norm m i t Aufhebung und Neubegründung der Normsetzungsbefugnis die Ubertragbarkeit von Rechten ermöglicht, gibt kaum einen vollziehbaren Sinn. I m übrigen läge darin ein neuer Zweck der Norm, dessen Verhältnis zu dem 9

Vgl. auch den diese Auffassung eindeutig klarstellenden Hinweis auf

Thon, Rechtsnorm, S. 325 ff., bei Bucher, S. 93, Anm. 15.

II. Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis bei Bucher

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Zweck der Ermächtigung zu individueller Normsetzung völlig ungeklärt wäre. Angesichts der Frage nach der Konstruktion der Ubertragbarkeit von Rechten zeigt sich also, daß bereits der Gedanke der Normsetzungsbefugnis den Begriff des subjektiven Rechts i n einem anderen (nach unserer Auffassung wirtschaftlichen) Sinne voraussetzt, denn der Begriff der Normsetzungsbefugnis sagt noch nichts darüber aus, wem diese Normsetzungsbefugnis zusteht. Es w i r d nicht einfach das einzelne Individuum zur Setzung individueller Normen ermächtigt, sondern es w i r d — wenn man Buchers Grundannahme einmal folgt — ganz konkret (jedenfalls beim Eigentum) nur der Inhaber eines subjektiven Rechts dazu ermächtigt. Bucher leitet aus der Tatsache, daß die Verfügbarkeit nicht bei allen subjektiven Rechten angetroffen wird, zum Beispiel nicht beim Persönlichkeitsrecht, ab, daß sie nicht zum Wesen des subjektiven Rechts schlechthin gehören kann (93). Die Veräußerungsbefugnis w i r d als ein den subjektiven Rechten nicht inhärentes, als ein nur akzessorisches Merkmal bezeichnet (98). Die Tatsache, daß nicht alle subjektiven Rechte veräußerlich sind, stützt also schließlich die Konzeption, daß das Eigentliche des subjektiven Rechts in etwas anderem liegen muß. Sie trägt ihrerseits die scharfe Herausarbeitung der Anspruchsseite. Bei dieser Argumentation w i r d das Wesen des subjektiven Rechts unversehens i n die normative Seite gelegt, weil sie als einziges Merkmal bei allen subjektiven Rechten i n gleicher Weise faßbar ist. Der Schluß, daß das überall Gleiche auch das Wesen des Begriffs treffen müsse, ist aber nicht zwingend. Daß der gebildete Begriff des subjektiven Rechts bei Vermögensrechten wie bei Persönlichkeitsrechten zutrifft, zeigt nur, daß man bei beiden dasselbe Merkmal abstrahiert hat, nämlich den Gesichtspunkt des Rechtsschutzes, der Verteidigung. Ob dieses Merkmal das Wesen dieser Rechte ausmacht oder selbst nur akzessorisch ist, ist i m Hinblick auf diese Rechte selbst zu beurteilen. Wenn man schon von einem Wesen des subjektiven Rechts sprechen will, so bezeichnet die Verfügbarkeit sicher eher einen Aspekt des Wesens der Vermögensrechte als der ihnen gewährte Rechtsschutz. Entsprechend liegt auch bei den Persönlichkeitsrechten ihr Wesen in ihrer Werthaftigkeit, die von der Werthaftigkeit der Vermögensrechte zwar der A r t nach verschieden, aber doch unter dem allgemeinen Gesichtspunkt des Wertes, des Interesses noch vergleichbar ist. Wenn man vom Wesen her formuliert, scheint m i r umgekehrt der Rechtsschutz, i m Sinne Buchers das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis, i n beiden Fällen akzessorisch. Das methodisch Bedenkliche bei dieser Argumentationsweise Buchers, die i m übrigen i n der Rechtswissenschaft auch heute noch eine bedeutende Rolle spielt, liegt darin, daß die Bildung immer abstrakterer Begriffe m i t Wesenserkenntnis gleichgesetzt wird. Was sich dabei schließlich er-

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5. Kap.: Die normativ-rechtsformale Schule zum subjektiven Recht

gibt, mag zwar das Wesen eines allgemeinen Begriffs sein, den man aber durch diese Abstraktion erst gebildet hat, es ist keineswegs zwingend das Wesen der Gebilde, von denen man abstrahiert hat, hier also etwa das Wesen des Vermögensrechtes oder der Persönlichkeitsrechte. I m H i n blick auf die gemachte Abstraktion des Rechtsschutzes mag man dann die Veräußerlichkeit als etwas Akzessorisches bezeichnen, obwohl es auf der Hand liegt, daß diese Redeweise hier kaum noch sinnvoll ist. Keineswegs bedeutet das, daß die Veräußerlichkeit auch i m Hinblick auf das Vermögensrecht selbst akzessorisch ist. Mehr läßt sich durch den Hinweis darauf, daß Persönlichkeitsrechte nicht veräußerlich sind, nicht beweisen. I m übrigen ist die Veräußerlichkeit selbst schon eine Abstraktion aus dem Wirtschaftsgefüge, i n dem die Vermögensrechte ihren Platz haben. Es ist schon ein eigenartiges Vorgehen, m i t dieser Abstraktion überhaupt eine Aufklärung des Persönlichkeitsrechtes zu versuchen, so als ob grundsätzlich Veräußerlichkeit überall erwartet werden könnte. Die von uns untersuchte Struktur w i r d durch begriffliche Über- und Unterordnung einzelner ihrer Elemente nicht mehr erfaßt. b) Die Unterscheidung von absoluten und relativen Rechten Als einzig wirklich grundlegenden Strukturgegensatz bei den subjektiven Rechten bezeichnet Bucher die Unterscheidung von absoluten und relativen Rechten (131). Diese Auffassung Buchers stellt i n der Tat auf das auch für uns bedeutsamste Strukturelement ab. Es gelingt Bucher allerdings m. E. nicht, diesen Strukturgegensatz i n seine Konzeption einzubeziehen oder auch nur verständlich zu machen. Bucher entwickelt den Strukturgegensatz aus dem Gedanken der Norm selbst und hier wieder aus dem formalsten Kriterium, dem Merkmal des Kreises der Adressaten der zu erlassenden Norm. Sie kann sich entweder gegen alle oder nur gegen bestimmte Einzelpersonen richten. Entsprechend kann man absolute und relative Rechte unterscheiden (132). Wenn Bucher jetzt mit seiner Konzeption ernst macht, daß die Normsetzung i n der Ausübung des Rechtes liegt, so wäre bei den absoluten Rechten eine ständige Normsetzung gegen alle anzunehmen, den Berechtigten nicht zu stören. Bucher hilft sich hier mit der Annahme, daß ein solcher Wille des Berechtigten vermutet werden könnte (68, 69). Nach dem zuvor ausgearbeiteten Begriff des subjektiven Rechts wäre also auf Grund des bestehenden absoluten Rechts als Normsetzungsbefugnis jedermann potentiell zur Nichteinwirkung verpflichtet, auf Grund des jederzeit zu vermutenden Ausübungswillens des Berechtigten würde diese potentielle Pflicht immer zugleich auch eine aktuelle darstellen müssen. Bucher zieht diesen Schluß nicht, sondern bezeichnet auch die ständige Verpflichtung aller anderen auf Grund des vermuteten Ausschließungswillens nur als potentiell, zu einer aktuellen würde sie erst,

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wenn der Normadressat überhaupt die Möglichkeit der Einwirkung hat, d. h. wenn er i n eine Beziehung zur Sache t r i t t und auf sie einwirken kann (154). M i t dieser Auffassung gerät Bucher i n Kollision zur überkommenen Doktrin des BGB zum Anspruch. Danach w i r d der Anspruchsbegriff beim absoluten Recht auf den Fall beschränkt, daß dieses Recht durch einen Dritten beeinträchtigt w i r d (84). Was Bucher hier als absolutes Recht auffaßt, ist i n überkommener Redeweise die Ausschließungsbefugnis des § 903 BGB, aber eben noch kein Anspruch. Bucher konzipiert diese A n sprüche i m Sinne des BGB, soweit sie auf Schadensersatz gehen, auf Grund des Gedankens der Verletzung des Anspruchs auf Nichteinwirkung (84). Er weist selbst darauf hin, daß sein Anspruchsbegriff damit nicht dem des BGB entspricht, der einen Rückfall i n die sich am A k t i o nenmodell orientierende Betrachtungsweise darstelle (86). Bucher kann sich bei diesem Anspruchsbegriff übrigens auf eine Stelle bei Windscheid berufen 10 . Bucher t r i f f t m i t dieser Konzeption des Anspruchs nicht die i n dieser Arbeit dargelegte Struktur, nach der die Ansprüche (aus absoluten Rechten) eine Verletzung von Rechten i m wirtschaftlichen Sinne voraussetzen und die Folge der gesetzlichen Entscheidung über diesen Verletzungssachverhalt sind. Der Anspruchsbegriff des BGB orientiert sich nicht zufällig am Aktionenmodell. Weil bei Bucher dieser Strukturgesichtspunkt fehlt, gelingt es i h m nicht, den Begriff des normativ begründeten subjektiven Rechts auf das relative Recht zu beschränken. Der Grund für eine solche Beschränkung ist nämlich nur aus der Struktur des Rechts als Konfliktsentscheidung über wirtschaftliche Sachverhalte heraus verständlich zu machen. So ergibt sich für Bucher von seinem Ansatz her die Notwendigkeit, auch die absoluten Rechte normativ zu erklären, und sie dabei nicht mit den nur relativen dinglichen Ansprüchen zu identifizieren. Die Lösung findet er i n dem von ihm ausdrücklich als nur formal bezeichneten Gesichtspunkt, daß Normadressaten nicht nur einzelne, sondern auch alle sein können. Der Strukturgegensatz der subjektiven Rechte, von dem auch Bucher ausgegangen war (131), w i r d schließlich zu einem Strukturgegensatz auf Grund formal unterschiedlich bestimmter Normadressaten. c) Die Rechtsverletzung Die Problematik soll noch weiter an Buchers Konzeption der Rechtsverletzung selbst vertieft werden. A u f der Verletzung subjektiver Rechte stehen nach Bucher zwei Sanktionen: entweder der Zwangsvollzug oder die Gewährung eines neuen subjektiven Rechts (110 ff.). Eine nicht freiw i l l i g erfüllte Pflicht kann zwangsweise durchgesetzt werden, ohne daß 10

Pandekten I § 43 Ziffer 1, S. 185.

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5. Kap.: Die normativ-rechtsformale Schule zum subjektiven Recht

die Erzwingung durch Gewährung eines neuen subjektiven Rechts erfolgen müßte. Die ursprüngliche Pflicht bleibt auch i m Stadium der Erzwingung dieselbe (111). Als Hauptbeispiel nennt Bucher Geldforderungen. Davon zu unterscheiden sind die Verletzungen von Rechten, die zu neuen Rechten führen. Bucher nennt als Fälle subjektive Rechte auf Schadensersatz oder Genugtuung, auf Beseitigung einer Störung oder Rückgabe eines Gegenstandes (111). Er bezeichnet i n diesen Fällen das verletzte Recht als primäres, das als Sanktion gewährte Recht als sekundäres (110). W i r wenden uns vor allem Buchers Unterscheidung von primären und sekundären Rechten zu und versuchen, sie an einem Beispiel weiter zu klären. Als Beispiel diene die Beschädigung einer Sache und der daraus resultierende Anspruch auf Grund Verletzung des Eigentums. Bucher nimmt auf Grund der normativen Interpretation des absoluten Rechts ein Recht (im Sinne der Normsetzungsbefugnis) gegen jedermann an, nicht auf die Sache einzuwirken. Die durch den vermuteten Willen des Eigentümers begründete individuelle Norm schafft die entsprechende Pflicht. Diesen Zusammenhang faßt Bucher als primäres Recht auf. Was w i r d nun durch die Beschädigung der Sache verletzt? I m Hinblick auf die Pflicht müßte man wohl genauer davon sprechen, daß sie nicht erfüllt wird, auch die Redeweise von der Verletzung hätte wohl einen Sinn. Die Normsetzungsbefugnis selbst scheint uns durch Beschädigung der Sache nicht tangiert werden zu können. Die Norm knüpft nun an diesen Tatbestand unter teleologischem Aspekt ein neues subjektives Recht auf Schadensersatz (110), das sich seinerseits wieder als Normsetzungsbefugnis darstellt. Das ist das sekundäre Recht. Bucher nimmt hier also zwei normative Befehle an: den Befehl gegen jedermann, die Sache nicht zu beschädigen, und den Befehl an einen einzelnen, nach einer Beschädigung Schadensersatz zu leisten. Für uns stellt sich die Frage, ob sich i n der positiven Rechtsordnung tatsächlich diese beiden Befehle nachweisen lassen, oder ob nicht vielmehr unsere Rechtsordnung tatsächlich allein mit dem zweiten Befehl auskommt. I n § 823 I BGB vermögen w i r tatsächlich nur den zweiten Befehl zu sehen, wenn man sich einmal der Auffassung anschließt, daß mit dem Worte Befehl das Entscheidende an der Norm beschrieben ist. Den generellen Befehl, sich so zu verhalten, daß eine Sache nicht beschädigt wird, könnte man allenfalls i n § 903 BGB sehen. Die Bestimmung w i r d nicht so ausgelegt, sie wäre i m übrigen i n dieser Auslegung neben § 823 I BGB auch unnötig. Der allgemein auf Nichtbeschädigung von Sachen gerichtete Befehl ist also i n unserer Rechtsordnung keine Realität. Nachweisbar ist nur die Anordnung, unter bestimmten Voraussetzungen bei Beschädigung von Sachen Ersatz zu leisten. Auch diese Formulierung ist noch i n einem ganz entscheidenden Punkt ungenau, worauf i m folgenden noch eingegangen werden soll.

II. Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis bei Bucher

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Was bedeutet es nun, daß Bucher vor diese einzig nachweisbare Norm noch eine andere mit allgemeinerem Inhalt stellt? Hier kommt i n der Tat ein zentraler Gedanke der überkommenen Normtheorie zum Ausdruck, ohne den sie sicher nicht als so strikt durchführbar erscheinen würde, wie das etwa bei Bucher der Fall ist. Dieser Gedanke liegt darin, daß Normen sich auf menschliches Verhalten überhaupt richten, Verhaltensvorschriften sind. Menschliches Verhalten erscheint als gesollt, als geboten. Nun läßt sich zwar die Pflicht, bei Sachbeschädigung Ersatz zu leisten, ebenso als normiertes Verhalten auffassen wie die Pflicht, keine Sache zu beschädigen. Allein, wenn man den allgemeinen Satz aufrechterhalten w i l l , daß Normen menschliches Verhalten befehlen, so kann man dieses Verhalten nicht gut i n der Schadensersatzleistung bei Rechtsverletzung sehen. Die allgemeine Pflicht, Sachen nicht zu beschädigen, erscheint als Anknüpfungspunkt, der sehr viel eher vom Charakter einer Norm als Befehl zu einem Verhalten zu überzeugen vermag. Der eigentliche Grund liegt aber noch tiefer. Man hat m i t dieser Pflicht zugleich auch eine Begründung, warum Schadensersatz zu leisten ist, und zwar eine Begründung allein aus der Norm heraus. Der Fall, i n dem die Schadensersatzpflicht eintritt, erscheint als eine Verletzung der Norm, als ein Abweichen vom normierten Verhalten. Während die Anknüpfung an die zweite Pflicht (nur zur Entschädigung bei eingetretener Verletzung) den sozialen Sachverhalt voraussetzt, weil die Pflicht nur i n i h m sinnvoll ist, bedarf die Anknüpfung an die erste Pflicht (die Sache schon nicht zu beschädigen) keiner weiteren Begründung aus dem sozialen Sachverhalt heraus. Die angenommene Pflicht zu einem bestimmten Verhalten kann aus sich heraus schon begründen, warum die Abweichung von dieser Pflicht Folgen haben muß. Die Verdoppelung der Norm schneidet auf diese Weise die Frage nach der Beziehung von Norm und sozialer Wirklichkeit ab. Bucher bewältigt die von uns aufgedeckte Struktur allein auf der normativen Ebene m i t seiner Unterscheidung von primären und sekundären Normen 1 1 . Was bei uns der Konflikt ist, über den die Norm erst entscheidet, ist bei Bucher bereits Abweichung von einem normierten Verhalten. Der Aufladung der Normseite m i t aus sich heraus verständlichem Sinn durch Zerspaltung der Normen i n primäre und sekundäre und der daraus folgenden Abschließung gegen die Sphäre, auf die sich die Norm bezieht, entspricht folgerichtig einer Entleerung dieser Sphäre von Sinngehalten. Sicher bezieht sich auch nach Bucher das normierte Verhalten noch auf irgendetwas, es ist nicht nur gesolltes Verhalten, aber die Bezugsebene ist rein faktisch bestimmt. Inhaltlich w i r d die Normsetzungsbefugnis ebenso wie die Pflicht zur Nichteinwirkung bei den absoluten Rechten durch Verweisung auf einen mehr oder weniger körperhaften 11

Vgl. dazu S. 51 ff.

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5. Kap. : Die normativ-rechtsformale Schule zum subjektiven Recht

Gegenstand, das sog. Rechtsobjekt, umschrieben (113). Das Faktische ist der Gegenpol zum Normativen 1 2 . Die Verletzung stellt auf der Ebene des Faktischen eine E i n w i r k u n g auf diesen körperhaften Gegenstand dar (113). Bucher setzt sich auf der Grundlage dieser Konzeption der Rechtsverletzung m i t der i m Bereich des „juristischen Unterbewußten" wirkenden Vorstellung auseinander, ein absolutes Recht sei dann verletzt, wenn dessen Rechtsobjekt „verletzt" worden sei. Er wendet sich gegen die Bedenklichkeit dieser Identifikation von Rechtsverletzung und Rechtsobjektsverletzung, die genau gesehen auf eine Identifikation von Recht und Rechtsobjekt hinauslaufe (114) 13 . Die „unterbewußte" Vorstellung, der Bucher hier entgegentritt, gibt es i n der Tat, aber sie läßt sich nicht aus der Entgegensetzung von normativem Recht und faktischem Rechtsobjekt deuten. Sie t r i f f t vielmehr das Rechtsgut selbst, welches sich i n der werthaften Sache repräsentiert. Nicht Recht und Rechtsobjekt werden verwechselt, sondern das Recht w i r d m i t dem Rechtsgut gleichgesetzt und diese Gleichsetzung entspricht i n der Tat auch der Funktion des objektiven Rechts als auf Rechtsgüter bezogener Konfliktsentscheidung. Verletzt w i r d weder das Rechtsobjekt i m Sinne eines körperhaften Gegenstandes, noch die auf der Norm beruhende Pflicht, sondern verletzt w i r d das Rechtsgut, und auch n u r das stellt sich das „juristische Unterbewußtsein" vor. Rechtsverletzung ist vor allem Rechtsgutverletzung, für den Bereich der Wirtschaft Verletzung von Rechten i m wirtschaftlichen Sinne. Diese „mittlere Ebene" kommt i n der Konzeption der überkommenen Normtheorie nicht vor, w e i l sie m i t der Dichotomie von Faktizität und Normativität nicht zu fassen ist. Der Sinngehalt dieser Ebene „rutscht" überwiegend i n die Normativität hinein und erscheint hier als Normverletzung. Für die Faktizität bleibt die körperhaft verstandene E i n w i r k u n g auf die Sache als Bezugsgegenstand normativer Befehle. Sie, nicht die Verletzung von Eigentum w i r d verboten 1 4 . Wenn man die Fassung des § 823 I BGB einmal daraufhin untersucht, auf welches Objekt der Gesetzgeber die Verletzung bezogen hat, so ist es das „Eigentum eines anderen". Die gesetzliche Rechtsfolge des Schadensersatzes w i r d also weder an die E i n w i r k u n g auf eine Sache noch an die Verletzung einer Rechtspflicht angeknüpft, sondern an die Verletzung eines Rechtsgutes, als das w i r Eigentum auffassen können. Bei der Formulierung hat der Gesetzgeber sich nicht etwa i m Ausdruck vergriffen, 12

Vgl. dazu 2. Kapitel, I I I , 5. Vgl. dazu schon die Auseinandersetzung m i t Raisers E i n w a n d gegen Westermanns Zuordnungslehre, 2. Kapitel, I I I , 5. 14 Deutlich w i r d diese Auffassung der Rechtsverletzung zum Beispiel i n den Ausführungen Buchers, aaO, S. 115. 18

II. Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis bei Bucher

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er setzt nur mit Selbstverständlichkeit die von uns i n dieser Arbeit dargelegte Struktur voraus. I n der Zivilrechtsdogmatik beginnt i n der Regel an dieser Stelle die Konstruktion. Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit eines anderen werden noch als Rechtsgüter aufgefaßt, das Eigent u m dagegen w i r d nicht mit diesen Gebilden als Rechtsgut i n eine Reihe gestellt, sondern als subjektives Recht von diesen Rechtsgütern geschieden 1 5 . Der Begriff des subjektiven Rechts ermöglicht dann die normative Erfassung. Eigentum w i r d als von der Rechtsordnung verliehene W i l lensmacht über Sachen von den Rechtsgütern Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit unterschieden, bei denen die Vorstellung einer Verleihung durch das Gesetz i n der Tat schwerfällt. Diese Unterscheidung w i r d auch von Bucher gemacht. Persönlichkeitsrechte und Sachenrechte unterscheiden sich nach seiner Meinung i n ihrer Struktur vor allem dadurch, daß der Ausschließlichkeitsbereich bei den einen von Natur aus zugeordnet ist, bei den anderen auf einer Entscheidung des positiven Rechts beruht (152). Nach der i n dieser Arbeit vertretenen Auffassung sind Leben und Eigentum i m selben Sinne Rechtsgüter, die durch das Gesetz nicht verliehen, sondern nur geschützt werden, und eben dieser Schutz ist durch § 823 I BGB ausgesprochen 16. Bucher entwickelt seine normative Konzeption i m wesentlichen i m Hinblick auf den Ausschließlichkeitsbereich der absoluten Sachenrechte. Hier erscheint die Beschreibung eines faktischen Bereichs, auf den nicht eingewirkt werden darf, noch möglich, sie entspricht jedenfalls noch der Anschauung. Wie soll man sich aber die normative Konzeption der Schadensersatzpflichten aufgrund Betruges oder Erpressung vorstellen, also die unter anderem i n §§ 823 I I und 826 BGB geregelten Fälle? Hier statuiert kein absolutes Recht aufgrund normativer Ermächtigung Nichteinwirkungspflichten Dritter, die dann verletzt werden könnten. Die ganze primäre Pflichtenebene entfällt hier offensichtlich, weil auch Bucher kein allgemeines gesetzliches Recht annehmen wird, zum Beispiel nicht betrogen zu werden. Faßbar ist von vornherein nur die von Bucher sog. sekundäre Pflichtebene, die an den Verletzungstatbestand erst anknüpft. Es sind weder absolute noch relative Rechte, deren Pflichtenseite verletzt wird, verletzt w i r d das Vermögen i m wirtschaftlichen Sinne aufgrund eines wirtschaftlichen Verletzungstatbestandes, an den das Gesetz die Folge des Ersatzes knüpft. Nach unserer Auffassung liegt zwar ein anderer Verletzungstatbestand, aber dasselbe Verletzungsobjekt vor wie in § 823 I BGB, nämlich das Vermögen. Zerstörung einer werthaften Sache und Betrug stellen sich beides Mal als Vermögensverletzungen dar 15

So vor allem Enneccerus/Lehmann,

Larenz, Schuldrecht, Bd. 2, § 72 I, S. 546.

Schuldrecht, §233 I, 1, 2, S. 936;

16 Vgl. zu dem hier abgehandelten Problem J. Schapp, Sein u n d Ort der Rechtsgebilde, S. 89 ff., wo Eigentum i m Hinblick auf die „Selbstgegebenheit" m i t den Lebensgütern auf eine Stufe gestellt w i r d .

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5. Kap.: Die normativ-rechtsformale Schule zum subjektiven Recht

und führen deshalb zu gesetzlicher Ersatzpflicht. Wer für § 823 I BGB ein subjektives Recht mit entsprechenden Ausschließungspflichten annimmt, kommt natürlich i n konstruktive Schwierigkeiten, wenn er § 823 I I BGB normativ genauso konzipieren w i l l . Darauf beruhen die die Forschung seit langem berunruhigenden systematischen Schwierigkeiten i m Verhältnis von § 823 I und I I BGB 1 7 . W i r kommen aufgrund des hier angenommenen Verhältnisses von Verletzungssachverhalt und Norm als Konfliktsentscheidung zu einer einheitlichen Konzeption beider Bestimmungen 18 . Auch von § 823 I I BGB her gesehen bestätigt sich also die Richtigkeit unserer Deutung des Wortes „Eigentum" i n § 823 I BGB. Der Hinweis darauf, daß das Vermögen kein subjektives Recht und daher als solches nicht rechtlich geschützt sei, verkennt den Grund des rechtlichen Schutzes. Auch die subjektiven Rechte werden nicht wegen ihrer Würde als subjektive Rechte geschützt, sondern weil sie Vermögen i m w i r t schaftlichen Sinne sind. Die Frage ist nur, wie die Lebenssachverhalte herauszuarbeiten sind, die als Vermögensverletzungen aufzufassen und m i t der gesetzlichen Folge des Schadensersatzes zu versehen sind. Hier w i r d die Sachbeschädigung über den Begriff der Verletzung des Eigentums, der Fall des Schadens durch Betrug durch Bezugnahme auf die Strafvorschrift als Schutzgesetz bzw. durch § 826 BGB direkt formuliert. Die Annahme primärer Verhaltenspflichten als teleologisch notwendiger Vorstufe (51 ff.) sekundärer Pflichten ergibt keinen Sinn mehr bei den relativen Rechten des Vertragsrechtes, die nicht auf Erfüllung, sondern z. B. auf Herausgabe von Sachen bei Nichtigkeit des Vertrages gehen 1 9 . Hier w i r d die Individualität des Anspruchs, z.B. aus§ 812 BGB, so sehr durch die Situation bestimmt, daß für die Formulierung einer primären Verhaltenspflicht überhaupt kein Anknüpfungssachverhalt gegeben ist. Die Problematik des Verhältnisses von § 823 I zu § 823 I I BGB w i r d vollends relativiert, wenn man diese Fälle m i t einbezieht, i m Hinblick auf die auch die überkommene Doktrin nicht auf den Gedanken kommt, die Frage zu stellen, welches subjektive Recht denn verletzt wird. Zugrunde liegt i n dem Bereicherungsfall ganz offensichtlich ein Sachverhalt der Vermögensebene, der nur aus ihr heraus auch verständlich gemacht werden kann. Er ist Gegenstand einer gesetzlichen Konfliktsentscheidung, die durch Gewährung eines Anspruchs erfolgt. Das i m A n spruch liegende subjektive Recht ist erst Folge des zugrundeliegenden Sachverhalts, über das Gesetz auf ihn bezogen. Angesichts dieser über17

Vgl. etwa Latenz, Schuldrecht, Bd. 2, § 72 I, II, S. 456 ff.; von Caemmerer,

Wandlungen des Deliktsrechts, i n : Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben I I , S. 55 ff., 66 ff. 18 Ä h n l i c h Schmidt, Aktionsberechtigung u n d Vermögensberechtigung, S. 76, von dem einheitlichen Gedanken der Vermögensberechtigung her. Gegen die Trennung von „subjektivem Recht" u n d „geschütztem Interesse" auch Esser, Schuldrecht, § 107 I, Bd. 2, S. 396. 19 Auch hier n i m m t Bucher, S. 111, sekundäre Rechte an.

II. Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis bei Bucher

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all gleichen Struktur des gesetzlichen Anspruchs und seiner Beziehung zum Vermögenskonflikt erhebt sich die Frage, welche Bedeutung die A n nahme eines Verhaltenspflichten statuierenden absoluten Rechtes haben kann, das nur für einige Fälle (z. B. § 823 I BGB) überhaupt bedeutsam sein kann, und hier auch, wie w i r meinen nachgewiesen zu haben, i n der Realität gar nicht nachweisbar ist. Die Vereinzelung des wirtschaftlichen Sachguts unter dem Aspekt der Nichteinwirkung hat die Normtheorie ihrerseits dazu geführt, hier m i t der Unterscheidung von absoluten und relativen Rechten einen Begriff des subjektiven Rechts aufzubauen, der dessen eigentliche Funktion nicht mehr fassen kann. 5. Gesamtwürdigung

Buchers

a) Die Rechtsformalität als Methode. Realbegriff und Nominalbegriff Bucher setzt m i t seiner normativen Methode an dem zentralen Punkt an, den die Pandektistik letztlich nicht gelöst hatte, an der Frage nach dem Verhältnis von Norm und subjektivem Recht. Er kommt dabei zu einer Beschränkung des Begriffs des subjektiven Rechts, die auch den Ergebnissen i n dieser Arbeit entspricht. Es fehlt aber eine eingehende Reflexion über die Reichweite der normativen Methode überhaupt, so daß die Gesamtkonzeption insoweit bruchstückhaft bleibt. Das Verhältnis von Rechtsinhalts- und Rechtsformbegriff, von Anspruch als M i t t e l und Zuordnung von Sachherrschaft als Zweck, von Norm als Gebot und Gewährung bleibt letztlich i m K e r n ungeklärt. Ein Grund dafür liegt w o h l i n der zu hohen Abstraktion des Normbegriffs als wissenschaftlicher Basis einer solchen Untersuchung. Der erfaßte Bereich ist unter der Voraussetzung dieses Normbegriffs richtig erfaßt, aber alle Fäden nach „draußen" sind durch diesen Normbegriff gewissermaßen abgeschnitten. Vor allem die „Erlaubnis" ist letztlich ein rechtspolitischer Begriff, der auch i m Hinblick auf die Norm nicht nur „normlogisch" losgelöst von jedem Aussagegehalt untersucht werden kann, der i n der allgemeinen rechtspolitischen Diskussion m i t i h m verbunden wird. Bucher meint den Ansatz durch die Auffassung der Untersuchung als nur „rechtsformal" halten zu können. Die Formalität kann aber kein Selbstzweck sein, sie weist zudem ständig über sich hinaus, wie w i r meinen nachgewiesen zu haben. Auch der Versuch Buchers, diese Untersuchungsweise durch die Unterscheidung von Realbegriff und Nominalbegriff zu untermauern 2 0 , halten w i r nicht für tragfähig. Bucher selbst weist darauf hin, daß auch die Nominaldefinition i n seinem Sinne irgendwelchen Erkenntniszwecken dient, daß auch die Bildung von Nominalbegriffen unter dem Gesichts20 Vgl. Bucher, Traditionale u n d analytische Betrachtungsweise i m P r i v a t recht, i n : Rechtstheorie 1970, S. 23 ff.

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5. Kap.: Die normativ-rechtsformale Schule zum subjektiven Recht

punkt der Zweckmäßigkeit an Grenzen stößt 21 . Wenn man diesen Gedanken Buchers auf seine Untersuchung des subjektiven Rechts anwendet, so kann letzter Grund eines rechtsformalen Begriffs als Nominaldefinition nicht diese Definition selbst sein, sondern nur die Erkenntnis eines größeren Zusammenhanges, aus dem das als formal bezeichnete Moment zunächst abgeschichtet wird. Die ganze Evidenz von Buchers Untersuchung beruht auf einer durchaus für sich faßbaren Funktion der Norm i m Hinblick auf eine komplexere Lebenswirklichkeit, eine Evidenz, die sich m i t Buchers Auffassung der Rechtsformalität als einer i n sich geschlossenen Untersuchungsmethode nicht begründen läßt. b) Gelingt die Entmystifizierung des subjektiven Rechts durch den normativen Ansatz? Querverbindungen zum Gedanken des Vermögens Ein tieferer Grund dafür, daß Bucher dem Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne i n seiner Konzeption keinen ausreichenden Platz anweisen kann, liegt darin, daß er den Begriff des subjektiven Rechts i m inhaltlichen Sinne letztlich doch für eine metaphysische Größe hält, die rational nicht erfaßt werden kann. Das kommt insbesondere am Anfang des Werkes zum Ausdruck. Bucher führt hier aus, daß er den Begriff des subjektiven Rechts nicht als rechtsinhaltlichen, sondern als rechtstechnischen entwickeln w i l l , weil durch die Aufzeigung der ohne weiteres rational erfaßbaren normativen Grundlagen gleichzeitig eine Entmystifizierung dieser Rechtsfigur des subjektiven Rechts erreicht und die verbreitete Abneigung gegen diese „notion métaphysique" bekämpft werden solle (2). Diese Betrachtungsweise des subjektiven Rechts unterscheide sich also grundlegend von einem rechtsphilosophischen, allenfalls rechtspolitischen Vorgehen, das aus allgemeinen überpositiven Gesichtspunkten rechtsinhaltliche Schlüsse ziehe (2). Die hier zum Ausdruck kommende Auffassung der rechtsinhaltlichen Ebene macht i n der Tat eine Beziehung der Norm auf den Begriff des Eigentums i m rechtsinhaltlichen Sinne schwierig. Hinter dieser Darlegung Buchers könnte die Befürchtung stehen, daß eine Theorie des Eigentums oder subjektiven Rechts als Rechtsinhaltsbegriff nur i m Sinne einer naturrechtlichen Freiheitstheorie möglich ist, die sich nach Auffassung Buchers letztlich nicht mehr rational begründen läßt. Alles was nicht normativ ist, wäre nach dieser Auffassung Frage des naturrechtlichen Geltungsgrundes. I n dieser Arbeit ziehen w i r die rational faßbare Struktur aber auch i n diesen Bereich durch, was vor allem deshalb möglich ist, weil w i r diesen Bereich nicht vom Freiheitsbegriff aus entwerfen, sondern Wirtschaftsstruktur und Frei" aaO, S. 35.

II. Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis bei Bucher

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heitsbegriff wieder systematisch voneinander trennen. Was i n einer bestimmten Rechtsordnung an Freiheit verwirklicht ist, ist durch die A n erkennung des Eigentums noch nicht gesagt. Weil man hier einen Wertungszusammenhang vermutet, kann man nicht das Eigentum als Bezugspunkt der Norm überhaupt fallen lassen. Bucher befindet sich mit seiner Einschätzung des rechtsinhaltlichen Begriffs des subjektiven Rechts i m übrigen i n Übereinstimmung m i t der großen Tradition, die das subjektive Recht i m letzten Grunde als Ausdruck personaler Freiheit sieht. Von hier her gesehen ist die normative Analyse eine Reaktion auf die Gleichsetzung des materiellen Bereichs m i t menschlicher Freiheit. Die eigentliche Begründung, daß die normative Methode ein Verhältnis zur Vorgegebenheit nicht sucht, könnte sich bereits aus dieser Deutung der geregelten Substanz ergeben. Seine weitgehende Übergehung des Vermögens als von der Norm bezogenen Bereichs veranlaßt offenbar auch Bucher selbst zu Bedenken. So führt er aus, daß sein vor allem an den relativen Rechten orientierter Begriff des subjektiven Rechts der soziologischen Umschichtung der Vermögen von Sacheigentum auf relative Forderungsrechte etwa seit Beginn des letzten Jahrhunderts entspreche (18, 168). Der Anschluß, den Bucher hier an die Vermögensebene zu gewinnen sucht, kennzeichnet die Schwierigkeiten seines Ansatzes i n dieser Hinsicht. Der normative Begriff deckt sich entgegen der i n der Hauptthese vorgetragenen A u f fassung zu den absoluten Rechten mit den relativen Forderungsrechten, die für uns den Begriff des subjektiven Rechts i m juristisch-technischen Sinne ausmachen. Aber deswegen nehmen diese relativen Rechte nicht auf der Vermögensebene selbst wieder eine beherrschende Stellung ein. Hier kommt der Vermögenscharakter genausogut i m Sacheigentum zum Ausdruck wie i n den Forderungsrechten. Die Zuordnung beider zueinander ist Ausdruck der Wirtschaftsstruktur selbst, die eben nicht nur i n dem einen oder anderen besteht. Eine soziologische Umschichtung der Vermögensstruktur m i t einer Schwerpunktveränderung auf die relativen Rechte ist durchaus erfolgt, nur kann deswegen nicht angenommen werden, daß sich auch der Zentralgedanke des Vermögens selbst verschoben hat. Buchers Folgerung ist Ausdruck der Tatsache, daß er eine Beziehung zum Vermögen herstellen möchte, dabei aber den Gedanken des Vermögens nicht entwickelt hat. So gelingt das nur unter Abweisung des Sacheigentumsbegriffs, der nicht i n die Beziehung von normativem subjektivem Recht und seiner vermögensmäßigen Substanz eingefügt werden kann. Eine soziologische Entwicklung soll von der vermögensmäßigen Seite her das normative Gebilde voll abdecken. Es hätte Bucher doch zu denken geben müssen, daß er mit seinem der Intention nach allgemein für alle Rechtsordnungen gültigen normativen Recht nach seiner eigenen Darlegung die vorindustrielle Eigentumsordnung nicht mehr erklären kann, i n der der Schwerpunkt nach seiner Prämisse auf dem

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5. Kap.: Die normativ-rechtsformale Schule zum subjektiven Recht

Sacheigentum lag. Auch dieser Versuch einer Verankerung i n der Vermögenssphäre zeigt also die Unsicherheit, die bei Verwendung des rein normativen Denkmodells i m Verhältnis von normativer und rechtsinhaltlicher Sphäre herrscht 22 . c) Das prozessual-dynamische Moment i n Buchers Rechtsbegriff Buchers Gedanke einer Schwerpunktverlagerung des subjektiven Rechts von seiner materiellrechtlichen Existenz fort i n die Geltendmachung gegen Dritte hat seinen eigenen Wert und eigene Aussagekraft unabhängig von der Einfügung dieses Gedankens i n das normative Modell. Es liegt hierin nicht n u r eine Überspielung von Kelsens Pflichtenkonzeption, wie Aicher gemeint hat 2 3 . Es gibt für diese Akzentverlagerung noch eine wesentlich andere und m. E. sehr viel haltbarere Begründung. I m praktischen Rechtsverständnis der Römer war Recht die actio, also die Handlung, durch die die gerichtliche Rechtsverfolgung eingeleitet w u r de 2 4 . Windscheid ermöglicht m i t seiner Zurückführung der Rechte auf die Rechtsordnung statt auf das Gericht zwar die Annahme einer vorprozessualen Existenz der Rechte. Das strukturelle Element der Rechtsverfolgung entschwindet damit aber dem Blick der Wissenschaft. I n dem Rechtsbild ist jetzt nur noch Platz für die Frage, ob Ansprüche bestehen oder nicht, und das entscheidet sich durch Subsumtion eines konkreten Falles unter ein allgemeines Gesetz. Die Verfolgung des Rechts erscheint von hier aus als nur prozessuale Durchsetzung bestehender Rechte. Buchers Untersuchimg lenkt wieder den Blick darauf, daß auch die vorprozessuale Existenz der Rechte letztlich doch wieder prozessualen Charakter hat. Das Wort „prozessual" ist hier i m Sinne einer wirtschaftlichen Verfolgung der Rechte, i m Sinne des Kampfes u m das Recht gemeint. Dam i t erscheint der materielle Rechtsbereich letztlich nicht mehr als Bereich bestehender Rechte, sondern der Verfolgung von Rechten. Von der Norm her gedacht, ermächtigt das Gesetz zu dieser Verfolgung, vom wirtschaftlichen Recht her gedacht kontrolliertes sie nur als Konfliktsentscheidung.

22 Ähnlich wie Bucher argumentiert Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 99, 100: I n der Rechtsgeschichte der letzten 200 Jahre gebe es eine Entwicklung vom Primat des absoluten Rechts zum Primat des gesetzlich festgelegten Anspruchs. Die Begründung durch Gesetz und die Abhängigkeit vom Gesetz seien — auch i m öffentlichen Recht — die bestimmenden M e r k male des subjektiven Rechts geworden. Die Argumentation Henkes steht i m selben Kontext wie die Buchers. Henke und Bucher stehen vor dem Problem, daß sie i n ihrer Theorie des subjektiven Rechts als Anspruch das absolute Recht nur schwer oder gar nicht unterzubringen vermögen.

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24

Aicher, S. 33.

Vgl. dazu Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, S. 6; Käser, Römisches Privatrecht, S. 28.

III. Aichers normativer Ansatz

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I I I . Aichers normativer Ansatz Eine Reihe der zu Bucher angestellten Überlegungen treffen auch auf Aichers Untersuchung „Das Eigentum als subjektives Recht" zu, so daß sich die folgende Auseinandersetzung m i t Aicher auf einige Punkte beschränken soll, die von dem hier eingenommenen Standpunkt aus als wichtig erscheinen 25 . 1. Überblick über Aichers Lehre. Problematik seines Ansatzes Aicher geht von der Frage aus, wie sich die beiden i n § 354 A B G B und § 903 BGB genannten Elemente des Eigentums, das Verfahrenkönnen nach Belieben und die Ausschließungsbefugnis, zueinander verhalten. Er wendet sich gegen den unheilvollen Methodensynkretismus (15), m i t dem die bisherige Diskussion dieser Frage belastet ist, und unterscheidet i m Anschluß an Bucher rechtsinhaltliche und rechtsformale Betrachtung des Eigentums. Das Recht weist dem einzelnen bestimmte Rechtspositionen zu. Der Zweck dieser Zuweisung, des rechtlich Geschützten kann nur teleologisch erforscht werden, dagegen hat eine normative Sicht das „Wie", die Form des Schutzes einer bestimmten zugewiesenen Rechtsposition zu erfassen (16). I m Hinblick auf diese Frage des „Wie" des Schutzes folgt Aicher nun Kelsens Begriff des subjektiven Rechts als einer Rechtsmacht (zur Klage) des berechtigten Individuums, die neben den Unrechtstatbestand als ein weiteres Moment hinzutritt, welches den auf Sanktionsverhängung gerichteten Staatswillen bedingt 2 6 . Buchers Konzeption einer Ermächtigung des Individuums zu individueller Normsetzung lehnt Aicher ab. Für das Eigentum bedeutet das, daß sich nur die Ausschließungsbefugnis als Rechtsmacht zur Klage normativ begreifen läßt, die Norm hat keine Erlaubnisfunktion, da ihr das Dürfen gleichgültig ist 2 7 . I n diesem Punkt stimmt Aicher nicht nur m i t Kelsen, sondern auch m i t Bucher überein. Aichers Titel „Das Eigentum als subjektives Recht" unterstellt an sich schon, daß Eigentum etwas anderes ist als das subjektive Recht, welches Aicher untersucht, sonst hätte das „als" keinen Sinn. Den i m Titel liegenden Ansatz hält Aicher aber nicht durch, wenn er i n der Problemstellung (13 ff.) nun nach dem Verhältnis der beiden i n § 354 A B G B und § 903 BGB enthaltenen „Befugnisse" fragt. Das Dürfen und das Ausschließungsrecht i m Sinne dieser Bestimmungen lassen sich nämlich nicht mehr m i t „als" verbinden. Bei dem Versuch, zwischen diesen Elementen 25 Vgl. i m übrigen meine Besprechung von Aichers „Das Eigentum als subjektives Recht" i n : A c P 176, 90, m i t einer gerafften Inhaltswiedergabe des Buches. 26 Aicher, S. 25, unter Hinweis auf Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 134 - 141. 27 Aicher, S. 52, gegen die insoweit dualistische Konzeption J. Schmidts.

8 Schapp

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5. Kap.: Die normativ-rechtsformale Schule zum subjektiven Recht

eine Beziehung herzustellen, spielt der Ausdruck „Eigentum" keine entscheidende Rolle mehr 2 8 . A n dieser Stelle fehlt eine Besinnung auf die Funktion der §§ 354 ABGB und 903 BGB. Sind diese Bestimmungen nicht selbst Folge der Theorie, die dann auf sie angewendet w i r d und anscheinend i n ihnen ihre Bestätigung findet? 2. Methodische Besinnung: Das Verhältnis der Ausschließungs-„befugnis" des § 903 BGB zu den einzelnen Ansprüchen aus dem Eigentum Nach der imperativistischen Diktion bedeutet § 903 BGB i m Hinblick auf das Ausschließungsrecht ein Verbot der Störung des Eigentümers. Die Gesetze, die unter diesen allgemeinen Begriff fallen, vor allem die Bestimmungen der §§ 1004, 985, aber i n einem weiteren Sinne doch wohl auch § 823 BGB, soweit die Bestimmung auf Entschädigung für Eigentumsverletzungen geht, stellen sich dann aber durchaus nicht gewissermaßen i n apriorischer Reinheit als Störungsverbote dar. Die Störung selbst ist nicht etwas, was dem Eigentum allemal i n gleicher Weise passiert, und darum einfach verboten werden könnte, es sind vielmehr unterschiedliche Konfliktsituationen, i n denen Eigentum vorkommen kann, die entsprechend auch durch unterschiedliche Ansprüche gelöst werden. Die Herausgabe des § 985 BGB ist etwas anderes als die Störungsabwehr des § 1004 BGB und als die Entschädigung für Eigentumsverletzung. Aber nicht nur die Rechtsfolgen sind unterschiedlich, sondern schon die Konfliktsituationen, über die entschieden wird, sind gar nicht miteinander zu vergleichen, und darin liegt dann auch der Grund für die Unterschiedlichkeit der Ansprüche. Die i m Hinblick auf Eigentum möglichen Konflikte werden durch diese Komplexe konturiert. Die allgemeine Formel vom Störungsverbot ist eine unzulängliche Abstraktion sowohl der Konfliktsituationen als auch der für sie getroffenen gesetzlichen Entscheidungen. Diese Abstraktion w i r d dann nicht mehr als wissenschaftlicher Oberbegriff für eine Mehrzahl ganz konkreter Gesetze begriffen, sondern als die A r t und Weise, wie sich das Gesetz selbst auf das Eigent u m selbst bezieht. Das führt dazu, daß der Gesetzgeber jetzt selbst ein abstraktes Einwirkungsverbot ausspricht, für das deutsche Recht i m § 903 BGB, ohne daß damit ein Anspruch begründet werden kann. Da die logische Verbindung zu den Einzelansprüchen abgerissen ist, die allenfalls i n der gattungsmäßigen Zusammenfassung gesehen werden kann, w i r d diese Bestimmung als Beschreibung des Eigentums selbst gewertet. Dieses damit beschriebene Eigentum hat dann dieselbe Abstraktionsstufe wie das allgemeine Störungsverbot. I n der Lehre w i r d das Problem der Beziehung des § 903 BGB zu den Einzelansprüchen aus dem Eigentum kaum gesehen. Man befindet sich 28 Vgl. i m übrigen die ähnliche Überlegung zum „Eigentum" als Prototyp des subjektiven Rechts, 2. Kapitel, I I I , 1, oben S. 38.

III. Aichers normativer Ansatz

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m i t § 903 BGB eben nicht auf der Anspruchsebene, sondern auf der der i m Eigentum enthaltenen Befugnisse 29 . Die wissenschaftliche Forschung hat die Tendenz, bei der Untersuchung dieser Befugnisse anzusetzen, ohne daß der Weg, wie man zu diesen Befugnissen gekommen ist, noch eine Rolle spielt. Eine Untersuchung des § 985 BGB könnte kaum zu einer Aussage darüber führen, was Eigentum ist, da die Bestimmung den Begriff Eigentum (in unserem Sinne als wirtschaftlichen Begriff) voraussetzt. Bei der Untersuchung des § 903 BGB scheint das möglich, obwohl die Bestimmung doch nur abstrakt die entsprechenden Ansprüche der §§ 985, 1004 BGB usw. zusammenfaßt und darüber hinaus durch i h r Ausschließungsverbot keine Aussage macht. Es w i r d hier die A b straktion als Wesen für sich gewertet, dem es unabhängig von seinem Charakter als Zusammenfassung verschiedener Erscheinungen nachzuforschen gilt. Darin liegt der alte begriffsjuristische Fehler, daß man bei einer Untersuchung eines Begriffs den Grad der Abstraktion nicht mehr erkennt. § 985 BGB ist keine selbstverständliche Folge des i m § 903 beschriebenen Ausschließungsgebots, der Weg läuft vielmehr umgekehrt. Die Bestimmung des § 985 BGB ist das eigentliche Ergebnis juristischer Arbeit. Ihre Zusammenfassung m i t anderen Ansprüchen als Ausschließungsgebot allen Dritten gegenüber beruht schon auf der Annahme, daß i n dem Aussprechen eines solchen Verbots das Wesen dieser gesetzlichen Bestimmungen liege. Schon diese Annahme verkürzt die Zusammenhänge bis zur Unkenntlichkeit. Was die Forscher i n § 903 BGB untersuchen, ist die Konzeption der Imperativtheorie selbst, nicht das Eigentum. Die Ergebnisse sind damit entsprechend präjudiziert 3 0 . Der methodische Ansatz, den man bei der Untersuchung des § 903 BGB dadurch macht, daß man entweder die hier vorliegende Abstraktion nicht sieht oder unreflektiert akzeptiert, führt zu einer folgenreichen Verzeichnung des Eigentumsbegriffs überhaupt. Was i m Einzelfall nur als Konfliktsentscheidung über Situationen denkbar ist, i n denen Eigentum i n bestimmten Konstellationen vorkommt, w i r d hier i n einer Weise beschrieben, als ob es aus dem Wesen des Eigentums als darin enthaltene Befugnis selbst folge. Daß dieses Wesen das Ende eines langen Wegs i m perativistischer Konstruktion ist, w i r d nicht mehr gesehen. Es ist der 29 Der häufig hervorgehobene Unterschied zwischen Befugnis u n d Anspruch erhält damit hier eine neue Bedeutung: die Ausschließungsbefugnis ist n u r die gattungsmäßige Zusammenfassung der konkreten Ansprüche. Es k o m m t uns hier darauf an, die i m Begriff der Befugnis liegende Abstraktion wieder deutlich zu machen. 80 Soweit m a n i n § 903 B G B die „Freiheit des Eigentums" überhaupt zum Ausdruck gebracht sieht, steht die Bestimmung i n einem verfassungsrechtlichen Kontext, der sich an den Gesetzgeber selbst richtet. Sie realisiert sich insoweit ζ. B. nicht durch die Vindikation. Dieser Bedeutungsgehalt ist also durch die hier durchgeführte Überlegung nicht getroffen. Z u diesem rechtspolitischen Aspekt eindringlich Kahn-Freund, Anmerkungen zu K a r l Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts u n d ihre soziale Funktion, S. 212, 213.

8*

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5. Kap. : Die normativ-rechtsformale Schule zum subjektiven Recht

funktionslose Eigentumsbegriff, den man gewonnen hat, w e i l man von einem funktionslosen Gesetzesbegriff ausgegangen ist. Die von Aicher zu § 903 BGB untersuchte Problematik des Eigentumsinhaltes setzt also eine völlige Lösung von der Frage der Beziehung von § 903 BGB zu den einzelnen Gesetzesbestimmungen voraus. Wenn man § 903 BGB unter dem Aspekt dieser Beziehimg sieht, ist eine gegenseitige Abstimmung kaum noch möglich. Die privatrechtlichen Bestimmungen, die Ansprüche „aus dem Eigentum" gewähren, setzen das Eigent u m als wirtschaftliche Gegebenheit voraus. Diese Struktur hat der Gesetzgeber i n § 903 BGB nicht getroffen, i n der Projektion auf den Eigentumsbegriff selbst ist vielmehr von i h r nichts übriggeblieben. Die Generalität der Bestimmung des § 903 BGB verdeckt, daß die Ausschließungsbefugnis nicht einfach i m Eigentum enthalten ist oder das Gesetz ein entsprechendes Verbot ausspricht, sondern daß das Gesetz je verschiedene Konflikte u m Eigentum durch Entscheidung klärt, aber Eigentum dabei voraussetzt. Diese Entscheidungen gestalten auch nicht Eigentum gewissermaßen von ihnen heraus, so als ob es vorher nichts wäre, sondern werden über Eigentum als wirtschaftliches Gut getroffen. Der Effekt der Entscheidung kann nicht gewissermaßen i n den Inhalt des Eigentums aufgenommen werden, w e i l die Entscheidung strukturell i n einer Konfliktsituation über Eigentum erfolgt und die Lösung dieses Konflikts sich auch nicht begrifflich als Eigentumsinhalt darstellen kann. 3. Teleologische und normative Momente des subjektiven Rechts bei Aicher M i t der Erkenntnis, daß Zuordnung, Sachherrschaft und auch Verpflichtung nur teleologisch erfaßbare Momente des subjektiven Rechts sind (72, 73, 75), kommt Aicher i n die Nähe der hier verfolgten Konzeption 3 1 . Nur sind es bei Aicher offenbar die Zwecke der Norm, die die Redeweise von der nur teleologischen Betrachtungsweise begründen, nicht die Zwecke des Individuums, wie i m Rahmen dieser Arbeit. Ganz deutlich w i r d das allerdings nicht, da i n der Regel nur von „teleologischer Sicht" ohne Angabe des Zwecksetzers die Rede ist. Entsprechend steht bei Aicher diesen Zwecken der Norm die Schutzwirkung der Norm als nur formaler Aspekt gegenüber. Da w i r die Norm i n der anderen Hinsicht von Zwecken entlastet haben und diese auf das Individuum beziehen, würden w i r — wenn w i r einmal i m Rahmen von Aichers Konzeption argumentieren dürfen — i n dem von der Norm gewährten Schutz den eigentlichen Zweck der Norm sehen. Damit ständen sich die Zwecke verschiedener Zwecksetzer, aber nicht Zweck und formale W i r kung der Norm gegenüber. 31

I m H i n b l i c k auf die Zuordnung allerdings zweifelnd.

III. Aichers normativer Ansatz

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Von seinem Standpunkt aus kommt Aicher zu einer unglücklichen Zersplitterung des Anspruchsbegriffs. Der nur teleologisch erfaßbaren Natur der Begriffe „obligatorisch" und „dinglich" setzt er die normative Natur der zugehörigen Begriffe „relativ" und „absolut" entgegen (72). M i t diesem Gegensatzpaar ist i m Sinne der hier verfolgten Konzeption weder der wirtschaftliche noch der rechtlich anerkannte Anspruch bezeichnet. Der „Kreis der Normadressaten" ist das einzige K r i t e r i u m dieser Zäsur, die Funktion des Rechts, die die beiden Ebenen aufeinander bezieht, ist damit nicht getroffen. W i r verweisen auf die bereits angestellten Überlegungen zur Bedeutung insbesondere der Begriffe relativabsolut unter I I 4 dieses Kapitels. Indem Aicher den Begriff des Schutzes als Normwirkung i n den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt, hat er tatsächlich einen anderen A n satzpunkt als Bucher, bei dem über den Gedanken der Ermächtigung gewissermaßen doch die Norm durch das Individuum „hindurchgeht". Das Begriffspaar Schutz-Geschütztes führt letztlich doch wieder dazu, daß vom Geschützten her gedacht wird, weil hier der materielle Schwerpunkt liegt. Die Anknüpfung an Kelsen steht bei Aicher allerdings dieser Verkehrung der Fronten entgegen. Wenn Aicher aber den Anspruch „ — u m ein verdeutlichendes B i l d zu gebrauchen — als Speerspitze des subjektiven Rechts" bezeichnet 32 , so ließe sich dieses B i l d auch auf das Fundierungsverhältnis von wirtschaftlichem Eigentum und rechtlichem Anspruch i m Sinne dieser Arbeit anwenden 33 .

32 aaO, S. 63; i n dem Zusammenhang ist m i t dem subjektiven Recht Eigent u m gemeint. 38 Auch die Nähe zu Savignys Verletzungsformel liegt auf der Hand, vgl. 4. Kapitel, I .

Sechstes Kapitel

Subjektives privates Recht und Wertsystem I. Die Kritik des subjektiven Rechts als Ausdruck liberaler Rechtssystematik. Deutung des Denkansatzes, dessen sich diese Kritik bedient W i r kommen zum zweiten Problemkreis der Theorie des subjektiven Rechts, der i n dieser Arbeit abgehandelt werden soll. Er wurde i m ersten Kapitel unter I V bereits kurz skizziert. Eine tief verankerte Auffassung i n der Rechtswissenschaft geht dahin, daß der Begriff des subjektiven Rechts letztlich auf den Gedanken der Freiheit oder auch der Personalität des Menschen zurückgeführt werden müsse, daß er ohne den Begriff der Freiheit nicht verständlich ist. I m Hinblick auf Eigentum w i r d dieser Gedanke als Gleichsetzung von Eigentum und Freiheit formuliert. Kasper sieht i n dem personalen Aspekt bei aller von i h m herausgearbeiteten Bedeutungsvielfalt doch wohl die letzte Substanz des Begriffs, jedenfalls i n rechtsphilosophischer Sicht den eigentlichen Wesensgehalt 1 . W i r haben i n dieser Arbeit den Denkansatz der normativen Schule, insbesondere i n ihrer rechtsformalen Ausprägung, als Versuch einer Distanzierung von dieser metaphysischen Fundamentierung des Begriffs des subjektiven Rechts gewürdigt. I m negativen Sinne bestimmt damit die „metaphysische" Deutung des subjektiven Rechts auch noch die Fragestellung der normativen Methode. Was ist nun damit gesagt, daß der eigentliche Gehalt des subjektiven Rechts durch den Begriff der Freiheit beschrieben wird? Diese Auffassung ist undifferenziert, sie bringt zwar etwas Richtiges zum Ausdruck, allein ein einsehbares Verhältnis von subjektivem Recht und Freiheit läßt sich aus der einfachen Gleichsetzung nicht ablesen. Dieser verschwommene Ansatz hat aber große Auswirkungen auf die moderne Diskussion der Theorie des subjektiven Rechts gehabt und hier auch zu praktisch schwerwiegenden Auswirkungen geführt. Eine weit verbreitete Auffassung sieht heute i n dem Begriff des subjektiven Rechts nur noch den Ausdruck eines bestimmten Freiheitsverständnisses, nämlich des liberalen Freiheitsbegriffs des 19. Jahrhunderts, der durch die gesellschaftspolitische Entwicklung seit der Jahrhundertwende überholt ist. Man schließt daraus, daß der Begriff des subjektiven Rechts und m i t i h m 1

aaO, S. 179.

I. Das subjektive Recht als Ausdruck liberaler Rechtssystematik?

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die auf i h m aufgebaute sog. „liberale" Rechtssystematik des 19. Jahrhunderts selbst überholt ist und der Ersetzung durch eine neue Rechtssystematik, jedenfalls aber der Revision bedarf. Coing, Wieacker, Raiser und i m Verfassungsrecht Häberle haben Forschungen über eine mögliche Modifikation oder Ersetzung des Systems angestellt. Coing w i l l neben das subjektive Recht als Abgrenzungsfreiheit den Begriff der Kooperation als zweite systematische Säule des Privatrechts setzen2. Wieacker sieht als Grundgedanken des heutigen Privatrechtssystems nunmehr statt des individualistischen Freiheitsbegriffs den Gedanken der Genossenschaft und Verantwortung 3 , Raiser w i l l die dem Liberalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts verhaftete Lehre vom subjektiven Recht durch eine Pflichtenlehre ergänzen und beschränken 4 . Er stellt das Rechtsinstitut und seinen Schutz als Ordnungsprinzip neben das Prinzip des Personenschutzes durch Zuteilung subjektiver Rechte und bezeichnet beide als gleichwertige Prinzipien, die sich teils ergänzen, teils i n einem Spannungsverhältnis zueinander stehen 5 . Häberle hat den Gedanken für das Verfassungsrecht i m Anschluß an L i t t und Smend zu einer umfassenden Institutionenlehre erweitert, deren eigentlicher Gegner ein sog. „liberaler" Begriff des subjektiven Rechts ist 6 . Dieser gedankliche Ansatz stellt auf die eine Seite Begriffe wie Willensmacht, individualistische Freiheit, Abgrenzungsfreiheit, negative Freiheit der Aufklärung, Schrankenmodell des subjektiven Rechts, Beliebigkeit der Rechtsausübung, auf die andere Seite m i t sozialem Gehalt gefüllte Begriffe wie Kooperation, Genossenschaft, Verantwortung und Pflicht. Die „liberale" Rechtsauffassung mag dem 19. Jahrhundert entsprochen haben, sie kann aber — nach dieser Meinung — die Gehalte dieser zweiten Bedeutungsgruppe nicht fassen. Daher bedarf das liberale Rechtssystem jedenfalls einer Anpassung, wenn nicht einer Ersetzung, durch die diese neuen Gehalte zum Ausdruck gebracht werden können. Der beschriebene gedankliche Ansatz steckt in einem schweren D i lemma: Er hat, wie insbesondere Wieacker hervorhebt 7 , noch nicht zu einem neuen Rechtssystem führen können, andererseits hat er die Gegenposition so nachhaltig diskreditiert, daß sie kaum mehr vertretbar erscheint. I m öffentlichen Recht zeigen sich die Fronten etwa zwischen Hesse8 und Häberle 0 auf der einen und Forsthoff 1 0 auf der anderen Seite 2 3 4

Coing, Privatrechtssystem, S. 53. Wieacker, Sozialmodell, S. 25. Raiser, JZ 61, 473.

5 Raiser, Rechtsschutz u n d Institutionenschutz i m Privatrecht, i n : summum ius summa iniuria, S. 148,167; ähnlich JZ 61, 472. 6 Die Wesensgehaltsgarantie des A r t . 19 Abs. 2 GG, S. 3,150. 7 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 553 ff. 8 Hesse, Der Rechtsstaat i m Verfassungssystem, i n : Rechtsstaatlichkeit u n d Sozialstaatlichkeit, 557 ff., 565.

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6. Kap.: Subjektives privates Recht und Wertsystem

noch sehr viel schärfer. Dieses Dilemma scheint uns nicht aus den aufgebauten Positionen heraus lösbar, sondern nur durch eine Besinnung auf den Systembegriff, m i t dem bei der skizzierten Fragestellung gearbeitet wird. Der Standpunkt unserer Arbeit ermöglicht uns eine fruchtbare Auseinandersetzung m i t den unausgesprochenen Grundlagen dieses heute machtvoll vertretenen juristischen Ansatzes zu einem Privatrecht, aber auch öffentlichen Recht als „Sozialrecht" 1 1 . Der gedankliche Ansatz, der das subjektive Recht m i t Freiheit, i n welcher Auffassung auch immer, erklären w i l l , legt unausgesprochen die Uberzeugung zugrunde, daß die i m Recht verwandten Gebilde Konkretisierungen eines obersten Wertes sind. Nicht nur das subjektive Recht, sondern der Gedanke des Rechtssystems selbst w i r d auf diesen Wert bezogen und von i h m aus entworfen. Der geisteswissenschaftliche Hintergrund dieses Denkens ist die philosophische Tradition des Idealismus, als oberster Wert steht seit der Aufklärung der Begriff der Freiheit i m M i t telpunkt. Die unterschiedliche Abschattung dieses Begriffs zur i n d i v i dualistischen oder sozialen Seite h i n bedeutet für diesen Denkansatz eine Veränderung des obersten Wertes, die sich irgendwie auch i m Rechtssystem und i n seinen Grundbegriffen ausprägen muß. Bei diesem methodischen Ansatz hat das Recht i m Hinblick auf den zugrunde gelegten Wert der Freiheit keine deutlich definierte Funktion. Der oberste Wert greift gewissermaßen durch das Recht hindurch, ohne dort Widerstand zu finden. Diese Deutung dieses methodischen Ansatzes läßt sich vor allem durch die Redeweise belegen, das subjektive Recht sei Ausdruck einer liberalen Rechtssystematik, eines bestimmten Freiheitsverständnisses und auf Grund geänderter gesellschaftspolitischer Gesamtlage müsse sich auch das Rechtssystem ändern. Es w i r d bei diesem Ansatz nicht mehr untersucht, was es heißt, daß etwas der Ausdruck von etwas anderem ist. Die Werte oder der oberste Wert setzt sich i m Recht durch und bestimmt auch die Natur der rechtlichen Grundbegriffe, ohne daß die methodische Annahme eines solchen Zusammenhanges von Wert und Rechtsbegriff näher geklärt würde 1 2 . Das Rechtssystem selbst w i r d als Wertsystem gedacht, und diese Identifikation bedingt dann auch, daß eine gesellschaftspolitische Änderung der grundlegenden Werte sich als Änderung des Rechtssystems selbst darstellt. So w i r d das Rechtssystem des 19. Jahrhunderts als Ausdruck der Werte des 19. Jahrhunderts ver9

Die Wesensgehaltsgarantie des A r t . 19 Abs. 2 GG. Begriff u n d Wesen des sozialen Rechtsstaats, i n : Rechtsstaat i m Wandel, S. 27 ff., 49. 11 Vgl. speziell i m Hinblick auf eine Einbeziehung des öffentlichen Rechts Bullinger, öffentliches Recht u n d Privatrecht. 12 Bezeichnend spricht Canaris , Systemdenken, S. 16 ζ. B. v o n den Emanationen der Rechtsidee, die bei i h m die Stelle des obersten Wertes e i n n i m m t u n d die Einheit des „Systems" gewährleistet. 10

I. Das subjektive Recht als Ausdruck liberaler Rechtssystematik?

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standen, unser Rechtssystem als Ausdruck unserer heutigen Wertvorstellungen, wobei offenbleibt, ob es i h m schon angeglichen ist oder nur noch der Angleichung bedarf. Forsthoff hat diesen methodischen Ansatz für das Verfassungsrecht vor allem auf die Wertphilosophie der zwanziger Jahre zurückgeführt 1 3 . Tatsächlich liegen die Grundlagen jedoch w o h l i m philosophischen Idealismus überhaupt und nicht i n einer bestimmten Ausprägung der Wertphilosophie i n den zwanziger Jahren. Das rechtliche Denken i n einem Wertsystem ist n u r ein Aspekt der großen geisteswissenschaftlichen Tradition der Rechtswissenschaft. Hierher zu rechnen ist die Begriffsjurisprudenz selbst, soweit sie aus einem Begriff Zusammenhänge oder Rechtsfolgen entwickeln w i l l , hierher zu rechnen ist ferner das Wesensargument i n der Rechtswissenschaft, welches Rechtsfolgen aus dem Wesen herleitet. I m Grunde ist das Denken i n einem Wertsystem der naturrechtliche Ansatz, der durch die Annahme einer Wandelbarkeit des obersten Wertes ergänzt und damit gegen das entscheidende Gegenargument abgeschirmt wird. Unser Einwand richtet sich nicht gegen die Annahme eines obersten Wertes, sondern nur gegen die Bedeutung, die i h m zur Erfassung des Begriffs des subjektiven Rechts zugemessen wird. Woraus leiten die K r i t i k e r des subjektiven Rechts die Überzeugung ab, daß die Änderung oberster Werte zu einer Änderung des Rechtssystems und vor allem zu einer veränderten Stellung des Begriffs des subjektiven Rechts i m Rechtssystem führen müsse? Der Begriff des Rechtssystems und der Stellung des subjektiven Rechts i m Rechtssystem müßte für eine solche Aussage doch erst entwickelt werden. Das einzige, was i n dieser Hinsicht vorgetragen wird, ist aber die Bedeutung des obersten Wertes für das Rechtssystem und entsprechend die Annahme einer Änderung des Rechtssystems, wenn dieser oberste Wert sich ändert. Die liberale Gegenposition, die vor allem für den Bereich des Verwaltungsrechts und Verfassungsrechts vertreten wird, aber ihre Bedeutung genauso für das Privatrecht hat, argumentiert von ihrem grundlegenden Ansatz genauso aus einem Wertsystem heraus, nur m i t einem anders akzentuierten Freiheitsbegriff. Allerdings scheint hier eine funktionell orientierte Deutung des Begriffs des subjektiven Rechts sehr viel stärker durch als bei dem mehr „sozial" bestimmten Ansatz. Das läßt sich für das Privatrecht bei Coing ebenso nachweisen wie für das öffentliche Recht bei Forsthoff. F ü r den mehr liberal bestimmten Ansatz spielen funktionale Elemente auch i m übrigen eine größere Rolle als für den sozial bestimmten oder institutionellen Ansatz, so zum Beispiel bei Forsthoff der soziologisch fundierte Begriff der Daseins Vorsorge 14. Was auch hier nicht gelingt, ist letztlich die Trennung zwischen dem Wertbe18 14

Forsthoff,

Zur Problematik der Verfassungsauslegung, S. 20.

Vgl. Forsthoff,

Rechtsfragen der leistenden Verwaltung.

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6. Kap.: Subjektives privates Recht und Wertsystem

griff der Freiheit und der funktionalen Bedeutung des subjektiven Rechts etwa i n dem Sinne, wie sie i n dieser Arbeit angenommen wird. Da die mehr sozial bestimmte Auffassung i n der Wertannahme umfassender ist, jedenfalls weitere Gehalte verarbeiten kann als ein liberaler Freiheitsbegriff, scheint die „liberale" Auffassung auf verlorenem Posten zu stehen 15 . Das Denken von einem Wertsystem her ist weder ausreichend, u m den Freiheitsbegriff genügend prägnant zu erfassen, noch um die Probleme des subjektiven Rechts weiter zu klären. Unser Ansatz führt uns hier also zu einer insgesamt kritischen Distanz zu der A r t der Problemstellungen, die unter den Begriffen „subjektives Recht und Freiheit" abgehandelt werden. A m nächsten steht dem hier vertretenen methodischen Ansatz noch die Auffassung des subjektiven Rechts über den Begriff einer Abgrenzungsfreiheit oder über das Schema des Schrankenmodells. Nur muß dabei bewußt bleiben, daß i n diesen Formulierungen gerade keine Aussagen über einen ethischen, materialen Freiheitsbegriff liegen, daß sie i m Gegenteil nur die Abgrenzungs- und Konfliktsentscheidungsfunktion des objektiven Rechts und entsprechend den technischen Charakter des subjektiven Rechts zum Ausdruck bringen 1 *. Diese Begriffe formulieren gerade den Verzicht auf das materiale Freiheitsverständnis und die Beschränkung auf den Gesichtspunkt der Funktion des Rechts, sie geben also insoweit durchaus eine positive Aussage 17 . Die Vehemenz, m i t der z. B. Häberle den formalen Freiheitsbegriff ablehnt, läßt sich nur daraus erklären, daß er nicht bis zu diesem positiven Aussagewert durchdringt, der den eigentlichen Gehalt dieses Freiheitsbegriffs ausmacht. Häberle unterstellt gewissermaßen sein Denken aus einem Wertsystem heraus als einzig möglichen methodischen Ansatz zur Erfassung der Rechtsbegriffe. Daß i m übrigen auch die Vertreter der l i beralen Schule wie Forsthoff noch in einem Wertsystem denken und den formalen Freiheitsbegriff nicht auf seinen funktionellen Kern reduzieren, der i n der Beschreibung der Abgrenzungsaufgabe des Rechts liegt, wurde schon ausgeführt. Erst diese Deutung des formalen Freiheitsbe15

Forsthoff, Die U m b i l d u n g des Verfassungsgesetzes, i n : Festschrift für Carl Schmitt, S. 50, sieht i n der Verfassungsdeutung i m Sinne einer fließenden Geltungsfortbildung des Verfassungsgesetzes (so Smend, Verfassung u n d V e r fassungsrecht, S. 138) eine objektive Realität, die auf der Ebene subjektiver Meinungen nicht mehr begriffen werden kann. 16 Eine ähnliche Auffassung k l i n g t i n der Bemerkung Aichers, S. 87, an, Jhering u n d Gierke hätten bei ihrem — v o n hoher ethischer Überzeugung getragenen — vehementen A u f t r e t e n gegen den individualistischen Eigentumsbegriff dessen n u r methodisch-rechtsformale Bedeutung verkannt. 17 Vor allem eine Formulierung des Rechtssystems liegt j a auch i n Kants Begriff des Rechts als Inbegriff der Bedingungen, unter denen die W i l l k ü r des einen m i t der W i l l k ü r des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden k a n n (Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung i n die Rechtslehre, § B).

II. Ergänzung des Privatrechtssystems durch „Kooperation"?

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griffs i n Richtung auf die i n dieser Arbeit angenommene Funktion des Rechts scheint uns einen Einstieg i n die Lösung der Probleme zu ermöglichen, i n die beide Positionen zum Verhältnis des Begriffs des subjektiven Rechts zur Freiheit verstrickt sind. Die Arbeit setzt sich i m folgenden m i t den Forschungen Coings und Wieackers zum Verhältnis von subjektivem Recht und Privatrechtssystem i m einzelnen auseinander. I n der Einzelanalyse dieser Forschungen soll der hier skizzenhaft vorgetragene Gedanke weiter verdeutlicht werden. Es folgt dann i n diesem Kapitel eine Auseinandersetzung mit dem institutionellen Denkansatz, wobei uns insbesondere dessen Verhältnis zu der hier zugrunde gelegten funktionalen Rechtsauffassung interessiert. Die spezifisch öffentlich-rechtliche Fragestellung zum Verhältnis von Rechtsstaat und Sozialstaat und — parallellaufend — zum Verhältnis von Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung soll i m Rahmen eines Ausblicks auf verfassungsrechtliche Problemstellungen i m 8. Kapitel behandelt werden. I I . Die Ergänzung des Privatrechtssystems durch den Begriff der „Kooperation" bei Coing 1. Darstellung

der Lehre Coings

Nach Coing ist die Entwicklung des systematischen Rechtsdenkens durch das rationalistische Naturrecht i n der Aufklärung außerordentlich begünstigt worden 1 8 . Das Naturrecht der Aufklärung ist Sozialphilosophie der Freiheit. Das subjektive Recht w i r d nunmehr aus dem Gedanken des moralischen Wertes der Freiheit der Persönlichkeit verstanden. Es ist Ausdruck dieser Freiheit, Freiheitsrecht. Das Privatrecht w i r d als System der Freiheitsrechte verstanden. A u f der geistigen Arbeit des 18. Jahrhunderts beruht also das uns vertraute juristische Schema, welches das Privatrecht i n seinem Ruhezustand als System von subjektiven Rechten auffaßt, i n seinem Bewegungszustand aber als durch menschliche Handlungen bewegt denkt, welche diese Rechte schaffen und verändern, seien es nun Rechtsgeschäft oder Delikt (47). I n diesem System sind die Gesichtspunkte von Freiheit und Gleichheit gewahrt. Alle sind frei und gleich, — denn alle haben Rechte und diese Rechte können nur durch freie Handlungen verändert werden (47). Der Gedanke der Freiheit erscheint damit als Grundlage des Ganzen sowohl i m System der subjektiven Rechte wie auch vor allem i m Prinzip der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie 1 9 . 18 Coing , Z u r Geschichte des Privatrechtssystems, S. 46. A u f diese Sammlung beziehen sich auch die i m folgenden i m Text angegebenen Seitenzahlen. 19 Coing, Bemerkungen zum überkommenen Zivilrechtssystem, i n : Festschrift für Dölle, S. 26.

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6. Kap.: Subjektives privates Recht und Wertsystem

Coing stellt nun die Frage, ob dieses klassische System des Privatrechts auch für unsere heutige Wirklichkeit noch die Funktion eines Systems erfüllt, die er darin sieht, die Probleme und Lösungen des Z i v i l rechts i n ihrem Zusammenhang darzustellen 20 . Er verneint diese Frage, da sich i n dieses System eine Reihe von Erscheinungen der modernen Rechtsentwicklung nicht ohne weiteres einfügen lassen (29). Coing nennt Treu und Glauben, das Rechtsscheinsprinzip, den Gedanken des Verschuldens bei Vertragsschluß, den faktischen Vertrag, das Arbeitsverhältnis, die faktische Gesellschaft (29). Das Recht der wirtschaftlichen Zwecken dienenden Organisationen stellt Probleme und führt zu Ordnungsprinzipien, die dem System eher fremd sind (31). Weiter passen nicht i n das System privatrechtliche Phänomene wie das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, i m Deliktsrecht die Ausweitung der Haftung für fremdes Verschulden und die Gefährdungshaftung (31). Coing kommt zu folgender Schlußfolgerung: Das klassische System weist dem Privatrecht i n erster Linie die Aufgabe zu, Freiheitssphären, d. h. subjektive Rechte abzugrenzen. Infolgedessen kommt nicht zur Geltung, daß das Privatrecht neben dieser Aufgabe der Grenzziehung auch die andere hat, die Kooperation der Mitglieder der Rechtsgemeinschaft zu ermöglichen 21 . Das Privatrecht dient nicht nur der Abgrenzung der Freiheitssphären, sondern auch der Kooperation i n Freiheit 2 2 . Ohne den Gesichtspunkt der Kooperation sind die meisten Erscheinungen des Vertragsrechtes nicht verständlich zu machen. Die Eigenart der Verträge erschöpft sich ja nicht i n gegenseitigen Rechten und ihrer Abgrenzung 2 3 . Zum selben Ergebnis kommt Coing auch am Ende seines Aufsatzes zur Geschichte des subjektiven Rechts 24 . Der Begriff des subjektiven Privatrechts ist nicht der zentrale Begriff des Privatrechts, wie von Tuhr gemeint hatte, sondern nur ein sachlich zweckmäßiger und von den ethischen Zielsetzungen her wohlbegründeter Begriff des Privatrechts (55). 2. Stellungnahme

zur Lehre Coings

a) Das Verhältnis von Abgrenzungsfreiheit und Kooperation Die i n dieser Arbeit herausgearbeiteten Strukturmomente klingen bei Coing durchweg an, ohne jedoch i m Ergebnis zum Tragen zu kommen. Den wichtigsten Grund dafür sehen w i r darin, daß Coing m i t seinem 20 21 22 23 24

Festschrift f ü r Dölle, S. 29. Festschrift für Dölle, S. 34. Festschrift f ü r Dölle, S. 39. Festschrift f ü r Dölle, S. 34. I n : Z u r Geschichte des Privatrechtssystems, S. 53 ff.

II. Ergänzung des Privatrechtssystems durch „Kooperation"?

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Systembegriff bei einem geistigen System bleibt 2 5 und nicht die Erforderlichkeit eines Handlungssystems erkennt, welches die Lebensverhältnisse selbst zur Grundlage macht. Er arbeitet dann aber m i t Begriffen wie Kooperation, die allenfalls i n einem Handlungssystem einen Platz haben. Auch Coing sieht den Freiheitsbegriff zunächst als Begriff eines ethisch-politischen Bereichs an, wenn er seine Herkunft aus der Sozialphilosophie der Aufklärung betont. Sein Aufsatz „ Z u r Geschichte des Begriffs ,subjektives Recht'" geht j a davon aus, daß es den Begriff des subjektiven Rechts auch vor der Aufklärung gegeben habe. Die Theorie des subjektiven Rechts, die bis dahin ein Bestandteil der privatrechtlichen Dogmatik gewesen war, erhielt nun, so schreibt Coing (46), ein moralisches Fundament und ihre Verkündigung ein ethisches Pathos. Offenbar bleibt es aber nicht bei dieser lockeren Beziehung, denn nach Coing w i r d das Privatrecht nun selbst als ein System der Freiheitsrechte verstanden (47). Diese Identifikation rutscht unvermutet unter. Sie besagt durchaus etwas anderes, als daß die Freiheit das moralische Fundament der subjektiven Rechte sei. Zwar bleiben die Formulierungen Coings vorsichtig, das System, m i t dem er sich dann auseinandersetzt, ist aber dieses System einer Auffassung der subjektiven Rechte als Freiheitsrechte. I n unserem Sinne liegt darin keine Struktur, sondern die Deutung einer Struktur unter sozialphilosophischem Aspekt. Den ersten Versuch, auch das so verstandene System der subjektiven Rechte als Freiheitsrechte zu einem Handlungssystem zu ergänzen oder i n ein solches zu überführen, macht Coing übrigens dann i n seiner Schilderung des „uns vertrauten juristischen Schemas" selbst, wenn er das Privatrecht i m Ruhezustand als ein System subjektiver Rechte, i n seinem Bewegungszustand als durch freie menschliche Handlungen bewegt darstellt (47). Hier w i r d i n die Vorstellung des „juristischen Schemas" der Begriff der Handlung mit hineingenommen. Die Momente der Ruhe und Bewegung deuten schon auf ein Funktionsmodell i n unserem Sinne. Die Vorstellung konkretisiert sich aber nicht dahin, weil beide Seiten dann wieder unter dem Aspekt der Freiheit gedeutet werden. Der Gedanke der Freiheit erscheint nicht nur i m subjektiven Recht, sondern er ist zugleich auch Grundsubstanz der Handlung. I m Hinblick auf die Freiheit der Handlung t r i t t das Prinzip der Privatautonomie i n den Vordergrund. Die Darstellung Coings i n der Festschrift für Dölle 2 6 ist ein deutlicher Beweis für die faszinierende Wirkung des Freiheitsbegriffs auf den Ju25 Aufgabe des Systems soll sein, Probleme u n d Lösungen des Zivilrechts i n ihrem Zusammenhang darzustellen, Festschrift f ü r Dölle, S. 29, aber ebenso i n dem Aufsatz „Geschichte u n d Bedeutung des Systemgedankens i n der Rechtswissenschaft", i n : Z u r Geschichte des Privatrechtssystems, S. 9 - 28. Auch das topische Systemdenken, dem Coing m i t seiner Formulierung nahesteht, bleibt letztlich ein Ansatz aus dem Geistigen heraus. 26 Insbesondere S. 26 unter Ziffer 4.

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6. Kap.: Subjektives privates Recht und Wertsystem

risten, der eigentlich ein Handlungssystem darstellt, aber alle Teile desselben nur als neuen Ausdruck der Freiheit begreift. Das hier von Coing geschilderte „Schema" gibt i n der Tat die heute geläufige Systemvorstellung der Rechtswissenschaft wieder. Eine k r i t i sche Auseinandersetzung mit dieser Systemvorstellung ist deshalb so schwierig, weil hier i n schwer zu entwirrender Weise die Elemente zweier unterschiedlicher Systembegriffe miteinander verschmolzen sind. Einerseits erlauben die Begriffe des subjektiven Rechts und der Privatautonomie ihre Ausdeutung als Vermögen und Handlung und geben dam i t das Gerüst einer Wirtschaftsstruktur, andererseits erlaubt die bei beiden Begriffen angenommene Beziehung zum Gedanken der Freiheit für beide denselben großen Rückgriff auf diesen einheitlichen Gedanken der Freiheit und schafft so ein neues System, das Recht als Werteinheit. Beide Systemauffassungen finden dann darin eine höhere Synthese, daß man i n der Tat alles, was i m Privatrecht geschieht, als Ausdruck der Freiheit auffassen kann 2 7 . Die Freiheit w i r d zur obersten Gattung aller privatrechtlichen Handlungen. Der Abschluß eines Kaufes ist ebenso ein Fall von Freiheit wie der Gebrauch eines Fahrrades. Das Recht bezieht sich nicht auf ein Gefüge von Vermögen und Handlungen, sondern auf Freiheit selbst. Für die Freiheit läßt sich aber eine Struktur i n unserem Sinne nicht mehr nachweisen, die Frage danach ist sinnlos, sie t r i t t vor dem einheitlichen Charakter dieses Begriffs zurück. Diese Doppelrolle des juristischen Schemas hat bis zur Fragestellung Coings die juristischen Bedürfnisse nach einem System i m wesentlichen erfüllt. Der Akzent lag letztlich doch auf dem Freiheitsbegriff, die Herausarbeitung eines strukturellen Zusammenhanges wurde kaum als Aufgabe erkannt 2 8 . Daß subjektives Recht und Privatautonomie Teile einer Struktur bilden könnten, mag zwar unterschwellig beide Begriffe getragen haben, die relative Unverbundenheit beider Begriffe hat aber für den Gebrauch als „juristisches Schema" nicht eigentlich gestört. Der Begriff der Privatautonomie ist übrigens selbst schon völlig unter dem Aspekt der Freiheit der Handlung formuliert. Viele Probleme, die heute i m Hinblick auf die Vertragsfreiheit erörtert werden, lassen sich auf die Problematik der Begriffsbildung selbst, wie sie vorstehend skizziert wurde, zurückführen. Die starren Dualismen von Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit, von Vertragsfreiheit 27 Renner, Die Rechtsinstitute des Privatrechts u n d ihre soziale Funktion, t r i f f t diese Vermischung beider Ebenen, w e n n er formuliert (82), unsere Rechtsordnung könne i n ihrer juristischen Erscheinung ebensogut für die elysischen Gefilde gelten, f ü r ein „zephyrleichtes" Leben ohne A r b e i t u n d Pflicht. 28 Das Problem steht zwar — von einem marxistischen Ansatz her — i m Zentrum des Werkes von Renner, bei dem sich aber wegen des Schwankens zwischen Unterbau-Überbau-These u n d positivistischem Normbegriff letztlich kein klares B i l d der F u n k t i o n des Rechts ergibt. Vgl. dazu auch die E i n -

führung von Kahn-Freund, aaO, S. 6.

II. Ergänzung des Privatrechtssystems durch „Kooperation"?

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und Vertragsfunktion, aber auch die unklare Vorstellung der Vertragsfreiheit als eines gesetzlich ausgestalteten Instituts 2 9 spiegeln das Changieren des zugrundeliegenden Systembegriffs wider. Coing ergänzt nun durch seinen Begriff der Kooperation auch nicht dieses juristisches Schema bestehend aus subjektivem Recht und Privatautonomie, sondern rekurriert zunächst auf die Aufgabe des Privatrechts selbst, die er i n der Abgrenzung von Freiheitssphären, d. h. subjektiven Rechten sieht 3 0 . M i t dem Begriff der Abgrenzung ist die F u n k tion des Rechts i m Hinblick auf ein größeres Ganzes getroffen. Wenn dam i t ein System bezeichnet sein soll, ist es ein anderes, als es i n dem „ j u ristischen Schema" i m gerade skizzierten Sinne zum Ausdruck kommt. I m Hinblick auf die Abgrenzung gewinnt auch die Redeweise von der Freiheit eine i n diesem Zusammenhang faßbare Bedeutung: Als Freiheitssphäre w i r d der durch die Abgrenzung umrissene Raum insoweit bezeichnet, als damit die Entscheidimg für eine von zwei Konfliktsparteien gegen die andere getroffen ist. Der Freiheitsbegriff ist nur das Kontrastmittel, welches die Abgrenzungsaufgabe des Rechts besonders hervorzuheben vermag. Er ist notwendiger Bestandteil der Vorstellung von der Abgrenzung selbst. Sofern man die Funktion des Rechts — gleichbedeutend — als Konfliktsentscheidung formuliert, ist das entsprechende Pendant i n den beteiligten Interessen zu sehen. Dieser auf die Abgrenzungsfunktion des Rechts bezogene Begriff der Freiheit ist formal. Er hat m. E. m i t der ethischen Freiheit, als deren Verkörperung die subjektiven Rechte aufgefaßt werden, wenig zu tun. N u r die Gleichheit des Begriffs hat dem Eindruck Vorschub geleistet, daß es sich hier weiterhin u m eine Formulierung eines allgemeinen Freiheitsverständnisses des Rechts handelt. Ethische Freiheit läßt sich nicht durch das Recht als Konfliktsentscheidung abgrenzen. Diese „Abgrenzungsfreiheit" w i r d von Coing nun m i t dem subjektiven Recht gleichgesetzt 31 . Damit beschreibt Coing die Funktion des subjektiven Rechts i m juristisch-technischen Sinne. Auch dieses subjektive Recht als Abgrenzungsfreiheit wäre nicht mehr kommensurabel m i t der Privatautonomie i m Sinne des juristischen Schemas (subjektives Recht als Ruhezustand — Bewegung aufgrund freier Handlungen). Coing kommt hier also m. E. durch die Beschränkung auf die Aufgabe des Rechts zu einem neuen Systembegriff, wobei die Verbindung zu einem materialen Freiheitsverständnis nur verbal erhalten bleibt. Der entscheidende gedankliche Schritt Coings liegt jetzt i n der Auffassung, daß das Privatrecht nicht nur als System subjektiver Rechte, als Abgrenzung von Freiheitssphären begriffen werden könne, sondern daß 29

So zum Beispiel Häberle, S. 145.

30

Festschrift f ü r Dölle, S. 39. Festschrift f ü r Dölle, S. 39.

31

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6. Kap.: Subjektives privates Recht und Wertsystem

das Recht auch die Kooperation der Mitglieder der Rechtsgemeinschaft sicherzustellen habe 32 . Das Privatrecht dient nicht nur der Abgrenzung der Freiheitssphären, sondern auch der Kooperation i n Freiheit 3 3 . Hier zeigt es sich, daß Coing dem Gedanken der Funktion des Rechtes nicht ausreichend Rechnung trägt. Die Beziehung des Rechtes zur Abgrenzung ist eine andere als die zur Kooperation. Die Funktion des Rechts i m Kernbereich des Privatrechts ist abgrenzende Konfliktsentscheidung, und diese Abgrenzung bezieht sich ihrerseits auf ein Wirtschaftsgefüge, i n dem die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft kooperieren. Abgrenzimg bezeichnet die Funktion des Rechts, Kooperation das, worauf sich diese Funktion unter anderem bezieht. Die von Coing vorgenommene Gleichordnung von Abgrenzung und Kooperation beruht auf einer entscheidenden Unklarheit i m methodischen Ansatz. I n Wirklichkeit greift Coing auf eine Erscheinung des Funktionsgefüges der Wirtschaft durch, u m der Ausdruckslosigkeit des von i h m angenommenen Freiheitsbegriffs zu entkommen, dessen Formalität i n dem gebrauchten Zusammenhang nicht erkannt wird. Der Freiheitsbegriff bekommt, bezogen auf die Abgrenzungsaufgabe des Rechts, eine individualistische Spitze, und zum Ausgleich dieser Spitze scheint der Gedanke der Kooperation geeignet. Grundlegend ist auch hier i n noch stärkerem Maße als bei dem „juristischen Schema" der Gedanke, ein vollständiges soziales System zu geben. Der Unterschied zu diesem juristischen Schema liegt i m übrigen darin, daß der m i t Privatautonomie umschriebene Bereich nicht mehr als Freiheitssphäre, sondern als Kooperationssphäre aufgefaßt wird. Die von Coing angewandten methodischen Arbeitsmittel sind nicht ausreichend, u m den Freiheitsbegriff, die Funktion des Rechts und das wirtschaftliche Gefüge i n ein einsichtiges Verhältnis zueinander zu bringen. Die einseitige Identifizierung des Begriffs des subjektiven Rechts m i t einer letztlich nur noch formalen Freiheit (Abgrenzungsfreiheit) führt jetzt dazu, daß unverbunden neben diesen Begriff der seiner A r t nach soziale Begriff der Kooperation gesetzt wird. Soweit man i n dieser Unverbundenheit ein System sehen w i l l , ist es letztlich auch wieder nur ein geistiges, es liegt i n der Antithetik von Freiheit und Sozialem. Coings Systemergänzung endet also schließlich darin, daß er diese beiden Begriffe gegeneinander ausspielt. Er bleibt damit der Faszination des Freiheitsbegriffs ausgesetzt. Der eigentliche Unterschied zu unserem Vorgehen liegt darin, daß w i r den Freiheitsbegriff aus der von uns beschriebenen Struktur herausziehen und damit für die Struktur selbst und auch für den Freiheitsbegriff klarere Konturen erreichen. Eine Kontrolle unseres Ergebnisses anhand der Erscheinungen, die sich nach Coing nicht i n die liberale Rechtssystematik einfügen lassen, ist 82 88

Privatrechtssystem, S. 53. Festschrift für Dölle, S. 39.

II. Ergänzung des Privatrechtssystems durch „Kooperation"?

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nicht allzu schwierig. Das Privatrecht nimmt i n dem hier interessierenden Kernbereich i m Hinblick auf alle von Coing geschilderten Komplexe seine Abgrenzungsaufgabe wahr. Sogar das Prinzip von Treu und Glauben ist kein verbindendes, sondern ein die Interessen abgrenzendes. Es erhält nämlich unter diesem Aspekt die eine Seite gegen die andere recht, weil Treu und Glauben nicht beachtet sind bzw. das Prinzip führt zu Pflichten der einen Seite gegen die andere. I m Vertragsrecht, auf das Coing seine Überlegungen i m wesentlichen stützt, ist Kooperation allein dadurch möglich, daß das Gesetz die gegenseitigen Rechte klar gegeneinander abgrenzt. Das Gesetz muß nicht Abgrenzimg und Kooperation ermöglichen, sondern ermöglicht Kooperation durch Abgrenzung. Die meisten der von Coing genannten Komplexe sind Folgen fortschreitender Industrialisierung und aufkommenden Massenverkehrs. Die Funktion des Privatrechts als Abgrenzung durch Konfliktsentscheidung braucht ihretwegen nicht modifiziert zu werden, sondern bleibt die gleiche. Daß Gesetze m i t öffentlich-rechtlichem Charakter jetzt zunehmend Bedeutung gewinnen, berührt einen anderen Aspekt, der i m übrigen von Coing mit den Kooperationsgedanken auch nicht zum Ausdruck gebracht wird. Daß angesichts dieser Entwicklungen das Freiheitsverständnis des subjektiven Rechts zweifelhaft wurde, hat Coing zu Recht empfunden. Nur setzt sein Modifikationsversuch gerade nicht hier ein, so daß der K e r n des Problems, nämlich die Frage, was das subjektive Recht mit Freiheit zu tun hat, i n der vorgeschlagenen Lösung ausgespart bleibt. b) Weitere Einzelaspekte der Lehre Coings Damit ist die Kernthese Coings auf der Grundlage unseres Strukturmodells analysiert. Coing kommt i n einer Reihe von Gedanken nahe an die hier vertretene Auffassung heran, was für uns doch ein Hinweis auf den grundlegenden Charakter der hier erarbeiteten Strukturen ist. Es soll auf einige Punkte noch näher eingegangen werden. Als Fazit seines Aufsatzes „ Z u r Geschichte des Begriffs »subjektives Recht'" nennt Coing i m wesentlichen drei Gründe, warum der Begriff des subjektiven Rechts i h m für Aufbau und wissenschaftliche Erfassung eines modernen Privatrechts unentbehrlich erscheint 34 . Es ist ein Begriff erforderlich, der deutlich macht, daß die Nutzung und Verfügungsgewalt hinsichtlich einer bestimmten Rechtsposition dem einzelnen übertragen ist. Unentbehrlich erscheint die Begriffsbildung Coing auch für die Frage der Übertragung von Rechtspositionen. Der Begriff macht sodann deutlich, daß der Schutz der genannten Position von der Entschließung des einzelnen abhängt. Begründet ist die Vorstellung des subjektiven Rechts nach Coing aber vor allem auch i n ihrer Beziehung auf den Gedanken der Freiheit und ihres Schutzes durch die Rechtsordnung 35 . 34 35

Z u r Geschichte des Privatrechtssystems, S. 54. Vgl. insgesamt Z u r Geschichte des Privatrechtssystems, S. 54.

9 schapp

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6. Kap.: Subjektives privates Recht und Wertsystem

Die drei großen Motive der wirtschaftlichen Substanz des Rechts, bei Coing formuliert als Nutzung, Verfügungsgewalt und Ubertragbarkeit, des Rechtsschutzes und der Freiheit, die i n dieser Arbeit i n den Rahmen eines Strukturmodells eingestellt worden sind, werden als grundlegende Gehalte auch von Coing genannt. Bei Coing bleiben die Gehalte aber nebeneinander stehen, unser Aspekt liegt gerade darin, daß w i r über ein auf den Lebensverhältnissen aufbauendes System zu einer Verbindung kommen. A n anderer Stelle kommt auch Coing zu Formulierungen, die fast schon dieses Strukturmodell wiedergeben. So charakterisiert er i n der Festschrift für Dölle das traditionelle Privatrechtssystem wie folgt: Die Freiheit ist der Grundwert, das Eigentum i n der technischen Formulierung des subjektiven Rechts der tragende Grundbegriff, und die P r i vatautonomie m i t dem i h r zugeordneten Rechtsgeschäft erscheint als die eigentliche Quelle der vorhandenen Rechte 36 . Die auch methodisch deutliche Unterscheidung von Wirtschaftsstruktur, technischer Aufgabe des Rechts und Freiheit wäre nur ein kleiner Schritt über diese Formulierung hinaus. Coing stellt die Frage, ob Savigny nicht den von ihm, Coing, m i t Kooperation bezeichneten Sachverhalt i m Auge gehabt habe, als er als rechtliche Grundkategorie nicht das subjektive Recht, sondern das Rechtsverhältnis vorschlug, das er als eine organische Beziehung bezeichnete 37 . Daß Savigny schließlich doch das Rechtsverhältnis als „Organismus" wieder i n ein Gegenüber gegenseitiger Rechte auflöste und das subjektive Recht unter dem Gesichtspunkt der Freiheit definierte 38 , führt Coing auf den Einfluß der naturrechtlichen Denkschemen zurück 3 9 . Vom hier vertretenen Standpunkt aus manifestiert sich i n Savignys Schritt nicht die Macht der Freiheitsphilosophie der Aufklärung, sondern die praktische Notwendigkeit der Rechtswissenschaft, die schon den Römer zur Herausbildung von Aktionen veranlaßte. Die A n t w o r t auf die dem Recht gestellte Frage ist das subjektive Recht, nicht das Rechtsverhältnis. Dieses ist nur M i t t e l zur Ermittlung, wem das Recht zukommt. Auch hier unterscheidet sich unser Blickwinkel wieder von dem Coings: Das Rechtsverhältnis hat grundlegende Bedeutung für eine Systematik des Rechts, aber nicht anstelle des subjektiven Rechts, sondern als Bezugsebene des objektiven Rechts, d. h. zunächst als Lebens Verhältnis. Die rechtliche „Ausgestaltung" konstituiert das Rechtsverhältnis dann nicht als eigenwertige Existenz, sondern dient der Abgrenzung gegenseitiger Sphären, der Ermittlung subjektiver Rechte. 38 37 38

aaO, S. 28. Privatrechtssystem, S. 53. Gebiet, w o r i n der W i l l e der einzelnen Person herrscht, Savigny, System I,

S. 7. 39 Privatrechtssystem, S. 48, 49.

II. Ergänzung des Privatrechtssystems durch „Kooperation"?

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Schon bei Windscheid war nach Coing der auf Savigny noch mächtig wirkende Einfluß der Freiheitsphilosophie nicht mehr spürbar 4 0 . Die Verbindung der Lehre vom subjektiven Recht mit der politischen Freiheit sei verloren gegangen. Je weniger die sittliche Notwendigkeit subjektiver Rechte empfunden wurde, um so mehr wurde betont, daß es die staatliche Rechtsordnung sei, die sie verleiht, interpretiert Coing diese Entwicklung 4 1 . N u r aus i h r heraus sei Jherings A n g r i f f auf Savignys Lehre von der Willensmacht verständlich. Jherings K r i t i k zeige deutlich, wie vollständig Savignys Gedanke, daß alle subjektiven Rechte letzten Endes der Entfaltung der sittlichen Persönlichkeit dienen sollten, vergessen gewesen sei 42 . Auch hier kann wieder nur darauf hingewiesen werden, daß man die geschichtliche Entwicklung auch anders beurteilen kann. Derselbe Grund, der Savigny das subjektive Recht und nicht das Rechtsinstitut zur systematischen Säule des Rechts machen ließ, bestimmte auch die Problemstellungen Windscheids und Jherings. Eine Freiheitsphilosophie war hier wie dort nicht der tragende Pfeiler der Lehre vom subjektiven Recht, desto schärfer wurde bis h i n zu Jhering die Bedeutung des subjektiven Rechts für den Prozeß der Rechtsgewinnung herausgearbeitet. Hier stehen Savigny, Windscheid und Jhering durchaus i n einer einheitlichen Tradition der Problemstellung, bei aller Jheringschen Polemik gegen die Willenstheorie, die schließlich das heutige Verständnis dieser Entwicklung wohl entscheidend m i t beeinflußt hat. Für uns ist der von Coing beklagte Abbruch des Begründungszusammenhangs zwischen materialem Freiheitsverständnis und Lehre vom subjektiven Recht i m 19. Jahrhundert nur Ausdruck dafür, daß ein materiales Freiheitsverständnis für den Begriff des subjektiven Rechts i m technischen Sinne äußerlich bleibt, keine Funktion hat. Coing weist darauf hin, daß der Gedanke der Freiheitsrechte i m englischen Rechtskreis i n erster Linie i n seiner politischen Bedeutung erkannt wurde und i n der Theorie der Bürger- und Menschenrechte seinen Ausdruck fand, während i n Deutschland das Privatrecht als System der Freiheitsrechte verstanden wurde 4 3 . Daß die englische Jurisprudenz gerade auf diesem Gebiet der Verfassung den Freiheitsbegriff entwikkelt hat, zeigt den Schwerpunkt seiner praktischen Bedeutung. Dagegen ist i n Deutschland die Freiheitskonzeption des Privatrechts nach unserer Auffassung i m wesentlichen neben dem überkommenen System der subjektiven Rechte hergelaufen. Das Privatrecht, das i n seinen wesentlichen Strukturen sehr viel älter ist als die Freiheitsphilosophie der Aufklärung, 40 41 42 43

9*

Privatrechtssystem, Privatrechtssystem, Privatrechtssystem, Privatrechtssystem,

S. 73. S. 73. S. 73. S. 47.

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6. Kap.: Subjektives privates Recht und Wertsystem

änderte sich auf Grund der Auffassung von der Freiheit her i n seinen systematischen Grundzügen nicht. Daß i n Deutschland die Freiheitsphilosophie i m wesentlichen nur auf das Privatrecht wirken konnte, entspricht dem politischen Zustand Deutschlands i n dieser Zeit. Das Theoretische und wenig Greifbare der Konzeption entspricht ihrer geringeren politisch-praktischen Bedeutung. I I I . Die Wandlung des Sozialbildes seit den klassischen Privatrechtsgesetzbüchern und ihre Auswirkung auf das Privatrechtssystem bei Wieacker 2. Die Darstellung

der Lehre Wieackers

M i t ähnlichem Ergebnis wie Coing hat auch Wieacker die überkommene Rechtssystematik gedeutet. Wieacker legt den Akzent allerdings stärker auf die politische Seite, so daß eine Auseinandersetzung m i t seiner Lehre hier insbesondere unter diesem Blickwinkel die Problematik noch vertiefen kann. Seine Auffassung unterscheidet sich vor allem i m H i n blick auf die ausdrückliche Herausarbeitung eines „Sozialmodells" von dem Ansatz Coings. W i r fassen die Kernthesen Wieackers zunächst zusammen, wobei vor allem „Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft" zugrunde gelegt wird. Savignys „System des heutigen römischen Rechts", insbesondere aber seiner Definition des subjektiven Rechts liegt, so führt Wieacker aus (5), die formale Pflichten- und Freiheitsethik Kants zugrunde. Die eigentümliche Bestimmung des subjektiven Rechts als Willensmacht ist nicht aus der älteren westeuropäischen Freiheit etwa Lockes, sondern aus Kants Freiheitsbegriff der unbedingten und unendlichen sittlichen Persönlichkeit zu verstehen, dessen Fundamentalsätze die optimale Vereinbarung der eigenen Freiheit mit der Freiheit jedes anderen und der kategorische Imperativ sind (5). Dieser große ethische Entwurf der Pandektenwissenschaft konnte i n der Wirtschaftsgesellschaft des 19. Jahrhunderts keine dauernde Nachfolge finden (6). Ihre Pioniere waren den beiden politischen Ideenkreisen des Liberalismus und der Demokratie verpflichtet. Zwischen ihnen besteht nach Wieacker ein tiefer Gegensatz, den er für die Ursache der Labilität der sozial-ethischen Grundkonzeption der modernen Privatrechtsgesetzbücher i n der heutigen Gesellschaft hält (6). Beide Ideenkreise seien von Anbeginn an unversöhnliche und doch fest aneinander geschmiedete Gegner gewesen. Das Freiheitspathos der Unternehmerklasse des Liberalismus und das Gleichheitspathos der ständelosen demokratischen Nation ließen sich nicht miteinander versöhnen (7). Das soziale Modell der west- und mitteleuropäischen Kodifikationen beruhte also nach Wieacker — zugespitzt — auf der Usurpation einer ein-

III. Wandlung des Sozialbildes und Privatrechtssystem bei Wieacker

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zigen Klasse der Wirtschaftsgesellschaft, nämlich auf derjenigen des besitzenden Bürgertums als vornehmlichen Repräsentanten der nationalen Rechtsordnungen (10). Solange diese Klasse auch Vorkämpfer der nationalen Demokratie war, ergab sich das B i l d einer scheinbaren Vereinbarkeit von Liberalismus und Demokratie, die Erkenntnis dieser Usurpation ermöglichte aber schon die Vorhersage, daß den bürgerlichen Rechtsordnungen die soziale Integration der nationalen Gesellschaft i n der Zukunft nicht gelingen würde (12). Nun habe aber keine juristische Konzeption des 19. Jahrhunderts den sozialen Geist der freiheitlichen Rechtsordnungen des 20. Jahrhunderts seherischer vorweggenommen als Gierkes Entdeckung eines Sozialrechts als Aufgabe (14). Das Sozialbild, das dem heutigen Privatrecht zugrunde läge, habe sich still, aber vollkommen seit dem Erlaß des BGB umgewälzt (17). Unter Führung des Reichsgerichts habe sich die der Privatrechtsordnung i m 19. Jahrhundert zugrunde liegende formale Freiheitsethik i n eine materiale Ethik sozialer Verantwortung zurückverwandelt und sei damit zu den ethischen Grundlagen des älteren europäischen Naturrechts zurückgekehrt (18). Wieacker führt hier als Beleg die Vertrauenstheorie, den Übergang von der Obligation zum Schuldverhältnis als Organismus, die Lehre von der Geschäftsgrundlage, ferner das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis als Beschränkung des Eigentums an, also alles Erscheinungen, die auch nach Auffassung Coings nicht ohne weiteres i n das liberale System einfügbar waren. Die Gesamtbilanz zeigt nach Wieacker, daß die heutige Interpretation des bürgerlichen Rechts vielfach nicht mehr daran denkt, die Privatrechtsordnung ihrem ursprünglichen Sinne gemäß als ein Aggregat von subjektiven Rechten, von „Willensmacht" der Individuen anzusehen; sie betrachtet vielmehr die Rechtsverhältnisse wesentlich als Sozialfunktionen, die nach Maßgabe vorgegebener und vertraglich übernommener Verantwortungen ausgeübt werden (20). Diesen Auswanderungen ehemaliger Kernbereiche einer für alle Staatsbürger verbindlichen Rechtsordnung i n die neuen Provinzen des Sozialrechts entspricht die Desintegration der Einheit des alten Privatrechtssystems und seiner klassischen Grundbegriffe (23). Kooperation der einzelnen untereinander, der einzelnen i n Betrieben, Gesellschaften und Verbänden, Kooperation der Betriebe, Gesellschaften und Verbände selbst ist nach Wieacker das Modell der privat- und sozialrechtlichen Grundbeziehungen unserer Zeit. Diese Gesellschaft ist keine Vielheit von Subjekten, die sich erst durch individual vertragliche Selbstbeschränkung binden, sondern eine „Genossenschaft" von Rechtsgenossen, die einander schon durch vorgegebene Aufgaben verbunden sind (25). Das spezifische Ethos der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhuderts war die Freiheit, das Ethos unserer Zeit ist die Verantwortung, das dem Aufsteigen neuer Klassen und der Gewinnung neuer sozialer Einsichten entspringt (25),

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6. Kap.: Subjektives privates Recht und Wertsystem 2. Analyse der Zuordnung der einzelnen Elemente in Wieackers Sozialmodell

Dieser Gedankengang Wieackers bedarf zunächst einmal einer Analyse der verschiedenen Elemente und ihres Zusammenhanges, bevor dazu Stellung genommen werden kann. Wieacker sieht einen formalen Freiheitsbegriff Kants als Grundlage von Savignys Lehre von der Willensmacht und diese wieder als Grundkonzeption des Privatrechts als eines „Aggregats von subjektiven Rechten". Er beruft sich allerdings auch auf Kants Freiheitsbegriff der unbedingten und unendlichen Autonomie der sittlichen Persönlichkeit, der i n der Darlegung Coings i m Vordergrund gestanden hatte 4 4 . Wenn man als formal vor allem die Einbeziehung des Freiheitsbegriffs i n ein Rechtssystem bei Kant ansieht (Vereinbarkeit der W i l l k ü r mehrerer nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit), so liegt hier i m Ansatz bereits eine Zweigleisigkeit, die problematisch ist. Es scheint wenig sinnvoll, vom großen ethischen Entwurf der Pandektenwissenschaft unter Hinweis auf eine nur formale Freiheitsethik Kants zu sprechen. Als Sozialmodell, welches den klassischen Privatrechtsgesetzbüchern zugrunde liegt, sieht Wieacker nicht diese Freiheitsethik Kants an, die „keine dauernde Nachfolge finden konnte" (6), sondern offenbar das Sozialmodell des ökonomischen Liberalismus, welches durch das Bürgert u m durchgesetzt wurde, und zwar i n einer Weise, die das Bürgertum selbst als demokratisch empfinden konnte, solange es Vorkämpfer der Demokratie gegen den Absolutismus war. Damit bleibt bei Wieacker die Beziehung zwischen der Privatrechtskonzeption als eines Aggregats subjektiver Rechte, zurückgehend über Savigny auf eine formale Freiheitsethik Kants, und diesem Sozialmodell des ökonomischen Liberalismus als Grundlage der Privatrechtskodifikationen zunächst, jedenfalls für das 19. Jahrhundert, ungeklärt. Eine Gleichsetzung nimmt offenbar auch Wieacker nicht an, denn er setzt das Ethos der Wirtschaftsgesellschaft des 19. Jahrhunderts und den großen sittlichen Entwurf der Pandektenwissenschaft ausdrücklich einander gegenüber, spricht allerdings auch von der bürgerlichen Ethik, die der W i r t schaftsverfassung des ökonomischen Liberalismus zugrunde lag (23). Wieacker geht nun von dem Gedanken aus, daß durch Aufstieg neuer Klassen, d. h. durch Verschiebung der demokratischen „Zuständigkeit", sich auch das Sozialbild vollkommen umgewälzt hat, das dem heutigen Privatrecht zugrunde liegt (17). Offenbar ist die Vorstellung die, daß von den beiden fest aneinander geschmiedeten Gegnern Liberalismus und Demokratie die Demokratie die Oberhand gewinnt. Das Sozialmodell des ökonomischen Liberalismus verlor als Sozialbild einer Klasse die 44

Coing, Privatrechtssystem, S. 46.

III. Wandlung des Sozialbildes und Privatrechtssystem bei Wieacker 135 Verbindlichkeit. Vorsichtig verwendet Wieacker jetzt nicht mehr den Ausdruck Sozialmodell, sondern spricht nur noch von einem Sozialbild, das dem heutigen Privatrecht zugrunde liegt, da i n der Tat nach Wieackers Voraussetzungen ein Sozialmodell dieser neuen Klassen nicht gezeichnet werden kann, es sei denn, man wollte die Demokratie i n dem Sinne, wie Wieacker den Begriff gebraucht, als Sozialmodell ansehen. Dieser Wandlung i m Verhältnis der beiden Ideenkreise Liberalismus und Demokratie zueinander entspricht nun nach Wieackers Darlegung eine Wandlung des Rechts von der formalen Freiheitsethik Kants, die der deutschen Privatrechtsordnung zugrunde lag, i n eine materiale Ethik sozialer Verantwortung i m Sinne der ethischen Grundlagen des älteren europäischen Naturrechts (18). Das führt dazu, das Privatrecht nicht mehr als Aggregat von Willensmacht aufzufassen, sondern die Kooperation als Modell der rechtlichen Grundbeziehungen unserer Zeit anzusehen. Dam i t ist der Gedankenkreis, der m i t der formalen Freiheitsethik Kants als Grundlage unseres Privatrechtssystems begann, geschlossen. 3. Stellungnahme zurr Lehre Wieackers Ob sich die Vorstellungskomplexe, die Wieacker schließlich zu dieser Folgerung veranlassen, tatsächlich in dieser Weise kombinieren lassen, wollen w i r wieder anhand unseres Strukturmodells prüfen, weil eine immanente K r i t i k dieses „Sozialmodells" selbst schnell i n Gefahr käme, sich i n Unübersichtlichkeiten zu verlieren. Das Sozialmodell des ökonomischen Liberalismus, welches Wieacker für das 19. Jahrhundert zugrunde legt, war nicht die soziale Wirklichkeit des 19. Jahrhunderts, auf die sich das Recht effektiv bezog, sondern es war nur eine politische, auf die Gesetzgebung einwirkende Vorstellung. Einfluß auf die soziale Wirklichkeit hatte sie vor allem über ihren Einfluß auf die Gesetzgebung, aber dieser Einfluß hatte nur sektorale Auswirkung, man kann kaum annehmen, daß durch diesen Einfluß das gesamte Strukturgefüge der Wirtschaft nun i m Sinne dieses Modells umgestaltet worden wäre. Auch ein politisch herrschendes Modell der W i r t schaft setzt sich allein wegen seines politischen Einflusses nicht plötzlich i n Wirklichkeit um. Von einem Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher kann man also allenfalls insoweit sprechen, als dieses Sozialmodell auf die Vorstellungen der Gesetzgeber vom Wirtschaftsgefüge und der Stellung des Rechts dazu eingewirkt hat und auf Grund dieser Einwirkung auch zu gesetzlichen Entscheidungen geführt hat, nicht jedoch i n dem Sinne, daß die Gesetzbücher als Recht sich auf ein entsprechendes Sozialmodell beziehen. Die Meinung des Gesetzgebers, er regele dieses Modell, weil es die Wirklichkeit ist, mag zwar Einfluß auf seine Entscheidungen gehabt haben, hat aber nicht dazu geführt, daß der Gesetzgeber nun ein solches Modell effektiv geregelt hat. I m Sinne unserer

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6. Kap.: Subjektives privates Recht und Wertsystem

Arbeit bezeichnet das „Sozialmodell" Wieackers gerade nicht das Strukturgefüge der Wirtschaft, sondern ein bestimmtes Freiheitsverständnis i m Hinblick auf dieses Strukturgefüge, dessen Auswirkungen auf das Wirtschaftsgefüge über den „Transmissionsriemen" der Gesetzgebung laufen müssen. Es ist überhaupt hier zunächst der Einfluß auf die Gesetzgebung zu prüfen und dann der Einfluß der Gesetzgebung auf die Wirtschaftsstruktur. Welchen Einfluß der ökonomische Liberalismus dann tatsächlich gehabt hat, ζ. B. auf die Zollgesetzgebung, auf die Einführung der Gewerbefreiheit usw., ist Gegenstand der rechtsgeschichtlichen Forschung und kann hier i m Rahmen der systematischen Fragestellung dahinstehen. Diese scharfe systematische Ortsbestimmung w i r d von Wieacker nicht durchgeführt. Er untersucht nicht, i n welchem Sinne der Liberalismus das soziale Modell der europäischen Kodifikationen war. Entsprechend problematisch ist m. E. bei Wieacker die Beziehung dieses Liberalismus zu der formalen Freiheitsethik Kants und der Konzeption des Privatrechts als eines Aggregats von Willensmacht, die auf diese formale Ethik zurückgeführt wird. Für uns bedeutet die Formalität der vom Recht abgegrenzten Freiheitssphären vor allem die Bezeichnung der Abgrenzungsaufgabe des Rechtes selbst. Das liberale Wirtschaftsmodell ist damit nicht getroffen und soll auch gar nicht getroffen sein. Die A b grenzungsaufgabe des Rechts mag zwar letztlich daran hängen, daß überhaupt noch so etwas wie Privateigentum anerkannt wird, keineswegs steht sie aber i n irgendeiner inneren Wechselbeziehung zum Sozialmodell des ökonomischen Liberalismus selbst. Während die Abgrenzung die effektive Funktion des Rechts i m Hinblick auf das Wirtschaftsgefüge bezeichnet, ist das „Sozialmodell" des Liberalismus nur eine Auffassung dieses Wirtschaftsgefüges m i t politischer Wirkung, die i m Einfluß auf die Gesetzgebung liegt. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß auch Wieacker die Rechtskonzeption auf der Grundlage von Willensmacht und das Sozialmodell des ökonomischen Liberalismus nicht gleichsetzt. Andererseits geht seine Kernthese doch gerade dahin, daß die Änderung des Sozialbildes auch diese Rechtskonzeption obsolet macht, so daß er insoweit diesen inneren Zusammenhang doch wohl annimmt. Die gesellschaftliche Entwicklung, die Wieacker beschreibt, mag man als Änderung des Sozialbildes bezeichnen, aber sie hat ihren Einfluß auf die Wirklichkeit wieder nur über die Gesetzgebung selbst gehabt. Der Einfluß eines modifizierten Sozialbildes auf die Gesetzgebung führte vor allem zu einer Vergrößerung des Raumes der sozial ausgleichenden Gesetzgebung auch für das Privatrecht. Wieacker bezeichnet das als Desintegration des klassischen Privatrechts. Nach unserer Auffassung ist dadurch die klassische Abgrenzungsaufgabe des Privatrechts nicht berührt,

III. Wandlung des Sozialbildes und Privatrechtssystem bei Wieacker 137 es werden nur stärkere Akzente auf sozial gestaltende Gesetze gelegt. Auch der Bereich sozialer Gestaltung w i r d letztlich formuliert wieder nur als Abgrenzungsrecht, über subjektive Rechte 45 . Wieacker kommt zu dem Schluß, daß auf Grund der Änderung des Sozialbildes doch offenbar die Wirklichkeit selbst als Genossenschaft von Rechtsgenossen aufzufassen ist, die einander durch vorgegebene gemeinsame Aufgaben verbunden sind. Als Kontrast faßt er die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts als Vielheit von Subjekten auf, die sich durch individualvertragliche Selbstbeschränkung binden. Da Wieacker den Gedanken der Funktion des Rechts i m hier zugrunde gelegten Sinne nicht verwendet, bezieht er die Gedanken der formalen Freiheit und des sozialen Ausgleichs nicht als Abgrenzung und als Konfliktlösung auf das Recht, sondern auf die Wirklichkeit und formuliert m i t ihrer Hilfe W i r k lichkeitsmodelle. Die Stellung des Rechts dazu bleibt unausgearbeitet. Hier kann man allenfalls die Beziehung konstatieren, daß das Recht die diesen Modellen zugrunde liegenden Wertungen selbst wieder übernimmt, nämlich die Freiheit als Ethos der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, die Verantwortung als Ethos unserer Zeit. Das W i r k lichkeitsmodell, das jetzt für das 19. Jahrhundert angenommen wird, ist übrigens nicht das Aggregat von subjektiven Rechten als Willensmacht, da die Formel sich allenfalls auf eine Rechtskonzeption beziehen kann, sondern die sich individual vertraglich bindende Vielheit von Subjekten, die offenbar m i t dem Sozialmodell des Liberalismus gleichgesetzt wird. W i r können i m Rahmen dieser Arbeit nur die beiden methodischen Ansätze einander gegenübersetzen und i n dieser Gegenübersetzung unseren Grundgedanken vielleicht etwas deutlicher machen. Nach unserer Auffassung regelte das Recht i m 19. Jahrhundert ebenso wenig eine Vielheit von Subjekten, die sich individualvertraglich selbst banden, nach dem Grundsatz der Freiheit, wie heute eine Genossenschaft m i t vorgegebenen Aufgaben nach dem Grundsatz der Verantwortung. Die gesellschaftliche Entwicklung hat nicht ein liberales Rechtssystem i n ein soziales verwandelt, sondern neue politische Leitvorstellungen haben sich über die Gesetzgebung und Rechtsprechung selbst geltend gemacht, dabei das System des Rechts aber unberührt gelassen. Auch Wieacker kann den Grundzug des sozialen Rechtssystems nicht formulieren, sondern weicht hier auf ein geändertes Wirklichkeitsmodell, allenfalls geänderte rechtliche Grundwerte aus. Das Privatrecht als System subjektiver Rechte w i r d nicht ersetzt, und es kann auch nicht ersetzt werden, weil Abgrenzung die zentrale Aufgabe des Rechts geblieben ist, auch wenn 45 A n dieser Stelle müssen w i r auf die Untersuchungen zur Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Gesetzes i m 7. K a p i t e l verweisen; öffentlich-rechtliche Zielsetzungen fließen aber auch i n privatrechtliche Gesetze ein, vgl. dazu 3. Kapitel, I I , 3.

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6. Kap.: Subjektives privates Recht und Wertsystem

die Zahl der Gesetze m i t der Zielsetzung des sozialen Ausgleichs sich vermehrt hat. Wieacker faßt sein Modell der Kooperation nicht als Ergänzung der Abgrenzungsfreiheit des subjektiven Rechts auf wie Coing, sondern als Ablösung des Modells der individualvertraglichen Selbstbeschränkung, er wählt also den entsprechenden Vergleichspunkt i n einer dem 19. Jahrhundert zugeschriebenen Auffassung des Vertrages, und kommt dann entsprechend zu einer Ersetzung, nicht Ergänzung des gesamten Systems. I n das neue Wirklichkeits- oder Rechtssystem paßt dann aber nach seiner Auffassung auch das Aggregat von Willensmacht und damit das subjektive Recht selbst nicht mehr hinein. Insbesondere an diesem Punkt w i r d deutlich, daß es sich hier um eine modifizierte Deutung des „Vertrages" handelt, die aber die Funktion des subjektiven Rechts nicht ersetzt. Ob man für die soziale Wirklichkeit des 19. Jahrhunderts den Gedanken der Kooperation und Genossenschaft ausschließen kann, erscheint uns i m übrigen zweifelhaft. Ein solcher Ausschluß scheint auch für das Sozialmodell des ökonomischen Liberalismus nicht ohne weiteres möglich, i n dessen Mittelpunkt gerade die durch den Markt vermittelte Kooperation der Wirtschaftssubjekte stand. Coing und Wieacker setzen sich mit derselben Problematik auseinander, Wieacker lenkt jedoch m i t seinem Gedanken des Sozialmodells den Blick i n eine andere Richtung als Coing. Das Strukturproblem w i r d akut. Aber es w i r d m. E. durch Wieacker nicht gelöst, da er die Bedeutung des Rechtssystems selbst nicht ausreichend würdigt. Das Rechtssystem w i r d als Ausdruck eines Freiheitsbegriffs verstanden, der als überholt angesehen wird. Erst diese nicht geprüfte und vom „wertsystematischen" Ansatz her auch kaum bewußt werdende Identifikation führt zur Forderung nach einem neuen System des Rechts. W i r sind auf Grund unserer Analyse der Auffassung, daß die Wandlung des Freiheitsverständnisses seit der Jahrhundertwende nicht zu einer Änderung des Rechtssystems geführt hat, sondern von dem bestehenden Rechtssystem verarbeitet worden ist. IV. Das „institutionelle Rechtsdenken" und sein Verhältnis zu dem Gedanken der Funktion des Rechts I n der modernen Diskussion findet sich ein weiterer methodischer A n satz zur hier bearbeiteten Problematik, dessen unterschiedliche Ausprägungen man ganz grob unter den Begriff des institutionellen Rechtsdenkens zusammenfassen kann. Auch i n der Sicht dieses Rechtsdenkens erscheint der Begriff des subjektiven Rechts als Ausdruck einer überwundenen oder zu überwindenden liberalen Rechtssystematik. Zu einer

IV. „Institutionelles Rechtsdenken" und Funktion des Rechts

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klaren Konzeption hat dieses institutionelle Rechtsdenken aber noch nicht geführt, wie Raiser, selbst einer der bedeutenden Vertreter dieser Denkrichtung 4 6 , zugesteht 47 . Das institutionelle Rechtsdenken hat bereits eine lange Geschichte, die — u m nur wenige Namen zu nennen — von Savigny und Stahl über Kaufmann, Carl Schmitt, Larenz bis zu Raiser und Häberle reicht 4 8 . Die Frontstellung gegen den Begriff des subjektiven Rechts findet sich bereits bei Savigny, der dann das Institut, den Organismus doch nicht zur Grundfigur der Rechtswissenschaft gemacht hat, sondern das System selbst auf der Grundlage des subjektiven Rechts errichtet hat 4 9 . W i r haben darin nicht — wie Coing — die Ubermacht der aufklärerischen Freiheitsphilosophie, sondern den Ausdruck struktureller Notwendigkeit gesehen, dem sich auch Savigny gebeugt hat. Es lassen sich nun bei aller Unterschiedlichkeit der Ausprägung dieses institutionellen Rechtsdenkens bei den einzelnen Gelehrten doch einige Grundgedanken dieses Denkansatzes herausarbeiten und i n ein Verhältnis zu der hier durchgeführten Untersuchung setzen. Es ist hier nur ein kurzer Uberblick möglich, aber i m Rahmen dieser Arbeit auch ausreichend, da w i r die Untersuchung nicht vom Begriff der Institution her entwickelt haben 5 0 . Wichtig scheint uns zunächst die Erkenntnis zu sein, daß der Institutionenbegriff als solcher keinen genügenden Aussagewert hat, sondern 46 Vgl. Raiser , Rechtsschutz u n d Institutionenschutz i m Privatrecht, i n : summum ius summa iniuria, S. 145 ff.; Grundgesetz u n d Privatrechtsordnung. 47 Rechtsschutz u n d Institutionenschutz, aaO, S. 148. 48 Vgl. Savigny, System I, S. 7 ff.; Stahl, Die Philosophie des Rechts, Band I I , I, S. 415; 416; Erich Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts u n d die clausula rebus sie stantibus, S. 141, 152, 171 -177; Carl Schmitt, Freiheitsrechte u n d institutionelle Garantien der Reichsverfassung; Die drei A r t e n des rechtswissenschaftlichen Denkens; Larenz, Methodenlehre, S. 473; Raiser, aaO; Häberle, aaO. Eingehende Darstellung der E n t w i c k l u n g des institutionellen Rechtsdenkens bei Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 277 ff. Ausführliche Literaturnachweise bei Rüthers, Institutionelles Rechtsdenken i m Wandel der Lehrbuch, §9, Verfassungsepochen, S. 18 (neuere Diskussion) u n d Forsthoff, S. 165. 49 Vgl. dazu die oben wiedergegebenen Überlegungen von Coing, 6. Kapitel, I I , 2 b, S. 130. 50 Insbesondere Rüthers hat i n „Institutionelles Rechtsdenken i m Wandel der Verfassungsepochen" eine eindringliche Analyse der Bedeutung des I n s t i tutionenbegriffs unter juristisch-praktischem Aspekt durchgeführt. Rüthers erhält ein klares B i l d dadurch, daß er den Institutionenbegriff — jeweils i n unterschiedlichen Bedeutungen — auf die Rechtsanwendung bezieht. Die f a k tische u n d die metaphysische I n s t i t u t i o n (konkretes Ordnungsdenken [481, konkret-allgemeiner Begriff [36]) sind der Rechtsanwendung vorgeordnet, die normative I n s t i t u t i o n ist i h r nachgeordnet. Die metaphysische I n s t i t u t i o n beeinflußt die Rechtsanwendung bis zur „unbegrenzten" Auslegung. Rüthers selbst beruft sich auf den Positivitätsgrundsatz der Verfassung (40) u n d sieht die Bedeutung seiner Untersuchung darin, dem Rechtsanwender den Einfluß der Wertebene wieder bewußt zu machen u n d i h n eben dadurch i n Grenzen zu halten (57 ff.).

140

6. Kap.: Subjektives privates Recht und Wertsystem

nach dem wissenschaftlichen Zusammenhang beurteilt werden muß, i n dem er zu einer Problemlösung verwendet w i r d 5 1 . Ausgeklammert werden soll daher vor allem der soziologische Institutionenbegriff, wie i h n durchaus unterschiedlich etwa Gehlen 5 2 und Schelsky 53 entwickeln. Die Institution als Ausgleich der Instinktunsicherheit des Menschen i m Sinne Gehlens stellt die Lösung eines ganz bestimmten Problems der anthropologischen Soziologie unter ganz bestimmten Prämissen dar 5 4 , die für eine juristische Untersuchung allenfalls über mehrere Zwischenstufen verwendbar ist. U m so erstaunlicher ist es, daß ζ. B. dieser Institutionenbegriff von Häberle als Beleg seines für das Verfassungsrecht entwickelten Institutionenbegriffs herangezogen w i r d 5 5 . Das Gemeinsame ist hier schließlich nur noch der gemeinsame Name, die Bedeutung der Fragestellung w i r d methodisch nicht mehr erarbeitet. F ü r die heutige Rechtswissenschaft ist der von Hauriou entwickelte Institutionenbegriff bedeutsam geworden 56 . Haurious Lehre hat i n Deutschland Einfluß über Carl Schmitts Lehre vom konkreten Ordnungsdenken gewonnen 57 . Haurious Lehre entwickelt ihre Faszination vor allen Dingen als Körperschaftstheorie i m Hinblick auf die körperschaftlichen Institutionen 5 8 , die Begriffe des Eigentums und der Rechtsordnung kann Hauriou m i t seiner Lehre von der dinglichen Institution kaum noch überzeugend erfassen 59 . Wieweit sich Carl Schmitt zu Recht auf Hauriou beruft, mag hier dahingestellt bleiben 6 0 , jedenfalls spielt er i n seiner grundlegenden Schrift über die drei A r t e n des rechtswissenschaftlichen Denkens den Institutionengedanken, der hier als der Denktyp des konkreten Ordnungsdenkens formuliert wird, gegen das ge51

Darauf weist auch Rüthers, Institutionelles Rechtsdenken, S. 34, hin. Urmensch u n d S p ä t k u l t u r ; Mensch u n d Institutionen, i n : Anthropologische Forschung, S. 69 ff. 58 Schelsky, Über die Stabilität v o n Institutionen, insbesondere Verfassungen, i n : A u f der Suche nach Wirklichkeit, S. 33 ff.; Z u r soziologischen Theorie der Institution, i n : Z u r Theorie der Institution, S. 9 ff. 54 Kritisch zu den Prämissen Gehlens Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer u n d personfunktionaler Ansatz der Rechtstheorie, aaO, S. 64. 52

55

Häberle, aaO, S. 103.

δβ

Hauriou, Die Theorie der I n s t i t u t i o n u n d zwei andere Aufsätze, heraus-

gegeben von Schnur. 57

Die drei A r t e n des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 21. So auch W. I v o r Jennings , Die Theorie der Institution, i n : I n s t i t u t i o n u n d Recht, S. 99 ff., 106. 59 Zusammenfassende Übersicht über diese Lehre Haurious von der dinglichen I n s t i t u t i o n bei Leontovitch, Die Theorie der I n s t i t u t i o n bei Maurice Hauriou, i n : I n s t i t u t i o n u n d Recht, S. 176 ff., 255 ff. K r i t i s c h zu den dinglichen 58

Institutionen bei Hauriou auch Jennings , aaO, S. 105 und Georges Gurvitch,

Die Hauptideen Maurice Haurious, i n : I n s t i t u t i o n u n d Recht, S. 23 ff., 65. 80 Zweifelnd auch Schnur i n seiner E i n f ü h r u n g zu den Aufsätzen

Hauriou, aaO, S. 23.

von

IV. „Institutionelles Rechtsdenken" und Funktion des Rechts

141

setzesgebundene normativ-dezisionistische Denken aus und gibt damit ein kennzeichnendes Beispiel für das Versinken der Konturen eines Rechtssystems i n einem Wertsystem, wie w i r es unter I dieses Kapitels beschrieben haben. Das Recht hat bei diesem Denkansatz keine feststellbare eigenständige Funktion mehr, es w i r d auf die i n den konkreten Ordnungen enthaltenen Werte direkt durchgegriffen und aus ihnen heraus Recht direkt abgeleitet. Die Problematik läßt sich i n eine neue Dimension hineinheben, wenn man einmal den Ansatz von Carl Schmitt folgerichtig zu Ende denkt. Nach Carl Schmitt entsprechen die beiden wichtigsten Denktypen des normativ-dezisionistischen Denkens und des konkreten Ordnungsdenkens nun selbst wieder bestimmten Zeitaltern, deren Ausdruck sie sind. So entspricht das normativ-dezisionistische Denken dem Zeitgeist des 19. Jahrhunderts, das konkrete Ordnungsdenken dem Zeitgeist nach 1933 61 . Hier zeigt sich, daß der Ansatz doch dem Wieackers und Raisers ähnelt, die i n dem subjektiven Recht nur den Ausdruck einer überholten liberalen Rechtssystematik des 19. Jahrhunderts sehen können und sich entsprechend u m die Einfügung sozialer Gehalte i n das Rechtssystem bemühen. Wenn man i n dieser Weise das normativ-dezisionistische Rechtsdenken selbst wieder auf den Zeitgeist bezieht, w i r d der Gedanke der konkreten Ordnung relativiert: Auch dieses Denken wäre dann Ausdruck der konkreten Ordnung einer bestimmten Zeit. Hier liegt zutage, daß nicht die Denktypen sich wandeln, sondern daß ein angenommener oberster Wert sich geändert hat und man nun das Rechtssystem nach diesem Wert interpretiert. Dieser Gedanke Carl Schmitts stellt also seinen eigenen Ansatz zum konkreten Ordnungsdenken methodisch auf dieselbe Stufe wie das normativ-dezisionistische Denken und hebt damit i n Wirklichkeit diese Unterscheidung letztlich auf. Herausgearbeitet ist der Wandel des Zeitgeistes, aber nicht die Funktion des Rechts. Es ist letztlich ein Streit u m unterschiedliche Werte, das Recht hat i m Hinblick auf diese Werte keine selbständige Funktion, da beide Auffassungen als Wertsystem konzipiert und einander gegenübergestellt werden. Rüthers weist darauf hin, daß Larenz eine christlich bestimmte Personalität heute ebenso als Inhalt des konkret-allgemeinen Begriffs auffaßt, wie zu Zeiten des Nationalsozialismus etwa den völkischen Geist und nationalsozialistisch bestimmte Wertvorstellungen 6 2 . Diese Wendung könnte theoretisch damit erklärt werden, daß der konkret-allgemeine Begriff oder die konkrete Ordnung selbst die Wandlungen des Zeitgeistes i n sich aufnimmt und zum Ausdruck bringt. Der ganze Ansatz w i r d aber schließlich auf dieser Basis unglaubwürdig und führt damit zur Notwendigkeit einer anderen Einordnung des Wertgedankens. W i r stellen nicht 61 62

Die drei A r t e n des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 66. Rüthers, Institutionelles Rechtsdenken, S. 36.

142

6. Kap.: Subjektives privates

echt und Wertsystem

normativ-dezisionistisches Denken und konkretes Ordnungsdenken, sondern das Denken i n einem funktionalen und i n einem Wertsystem einander gegenüber. Das Denken vom Wertsystem her faßt vor allem den Wandel der Werte, aber nicht die Funktion des Rechts. Das Denken vom funktionalen System her bezieht das Recht als Konfliktsentscheidung auf Wirklichkeitsabläufe des sozialen Lebens. Da diese für uns — jedenfalls für den hier untersuchten Bereich der Wirtschaft — selbst ein i n sich i n gewissem Umfange konsistentes Gefüge darstellen, findet das Recht i n diesem Gefüge selbst seinen Rahmen. Neue Wertvorstellungen fließen als neue politische Zielsetzungen i n die Konfliktsentscheidung ein, aber i m Rahmen des vorausgesetzten Systems, sie begründen nicht jeweils eine neue Wirklichkeit und damit wie als selbstverständliche Folge auch schon neues Recht. Unter diesem Aspekt ist die während des Nationalsozialismus vertretene Auffassung, daß das Recht direkt aus konkreten Ordnungen folge, vor allem der Versuch der Legitimierung neuen Rechts und neuer Werte durch den Hinweis auf die A r t der Rechtsentstehung. Das neue Recht nimmt den Charakter der Notwendigkeit an, w e i l es sich aus der angeblich unabänderlichen Natur des Rechtsgewinnungsprozesses selbst legitimiert. Praktisch ist auch dieses Recht durchsetzbar nur als positives Recht, nicht als ständig neu erkannte Emanation von konkreten Ordnungen. Der Einfluß auf die bestehende Gesamtmasse des positiven Rechts ist während der nationalsozialistischen Zeit i n den einzelnen Bereichen unterschiedlich gewesen. Für den Bereich der Wirtschaft w i r d man nicht davon sprechen können, daß das bestehende Wirtschaftssystem völlig aufgegeben worden wäre, wenn auch das marktwirtschaftliche Geschehen stark eingeschränkt w a r 6 3 . A m häufigsten verwandt w i r d w o h l der Begriff des Rechtsinstituts, den Rüthers als normativen Institutionenbegriff von dem faktischen und dem metaphysischen unterscheidet 64 . Institution bedeutet hier eine Mehrzahl von Rechtsnormen, die sich auf eine bestimmte Lebenseinheit beziehen. Die rechtliche Institution „Eigentum" w i r d zum Beispiel inhaltlich durch die A r t . 14, 15, 20 I GG und die Eigentumsvorschriften des BGB bestimmt 6 5 . Dieser Begriff der Institution ist unkonturiert, weil er Lebensverhältnisse und rechtliche Regelung dieser Lebensverhältnisse zu einer Einheit vermengt, ohne daß dabei die Funktion des Rechts i m Hinblick auf diese Lebensverhältnisse deutlich würde. Gerade darum ist er aber wohl so praktikabel und für den juristischen Sprachgebrauch unentbehrlich. Die Konturen eines sozialen Lebensverhältnisses werden 63 Vgl. hierzu Müller-Armack, Wirtschaftslenkung u n d aaO, S. 69 ff. 84 Institutionelles Rechtsdenken, S. 34 ff. 65 So Rüthers, Institutionelles Rechtsdenken, S. 37.

Marktwirtschaft,

IV. „Institutionelles Rechtsdenken" und Funktion des Rechts

143

dazu verwendet, jedenfalls i n die Vielzahl der Normen einfach auf Grund der Tatsache eine Ordnung hineinzubringen, daß bestimmte Normen sich auf ein bestimmtes Lebensverhältnis beziehen. Z u m Begriff des A n spruchs, der nur über die Funktion des Rechts verständlich ist, kann man von hier aus nicht vordringen. Wenn es also heißt, die Rechtswissenschaft müsse lernen, i n Rechtsinstituten statt i n subjektiven Rechten zu denken, so führt diese Redeweise weder zu den Lebensverhältnissen noch zur Funktion des Rechts, sondern zu einer allenfalls den Zwecken der Ubersicht dienenden Gruppierung von Normen i m Vorfeld des A n spruchs. Raiser hat versucht, den Begriff der Institution als zweite systematische Säule des Privatrechts neben dem subjektiven Recht dadurch fruchtbar zu machen, daß er zum Beispiel die Bestimmung des § 823 I BGB als Schutz eines subjektiven Rechts, die des § 823 I I BGB dagegen als Schutz einer Institution aufgefaßt hat 6 6 . W i r haben zum Verhältnis dieser beiden Bestimmungen bereits bei der Auseinandersetzung m i t Bucher Stellung genommen 67 . I n funktioneller Betrachtung w i r d nicht das eine M a l ein subjektives Recht und das andere M a l eine Institution geschützt, sondern i n beiden Fällen wirtschaftliches Eigentum bei unterschiedlichen Verletzungstatbeständen durch Gewährung subjektiver Rechte i m juristisch-technischen Sinne. Der Versuch, hier m i t einer Entgegensetzung von subjektivem Recht und Institution weiterzukommen, zeigt die Schwierigkeiten, die der überkommene Ansatz schon bei der Erfassung der Lebensverhältnisse hat.

ββ 67

Raiser , Rechtsschutz u n d Institutionenschutz i m Privatrecht, aaO, S. 158. Vgl. oben 5. Kapitel, I I , 4 c, S. 107 f.

Siebentes Kapitel

öffentlich-rechtliches Gesetz und subjektives öffentliches Recht I. Das Verhältnis von subjektivem privatem und subjektivem öffentlichem Recht als zentrales Problem der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht Die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht hat seit Georg Jellinek zwei große Probleme zu lösen. Einmal liegt eine weitgehend entwickelte Systematik des subjektiven privaten Rechts vor, die um die beiden Pole der Willensmacht und des Interesses kreist, und es liegt der Gedanke nahe, daß auch das subjektive öffentliche Recht aus diesen Komponenten bestehen muß. Z u m anderen verfügt das Staatsrecht über einen letztlich auf dem Gedanken der Souveränität aufgebauten Staatsbegriff, und es ergibt sich die Notwendigkeit, eine Konzeption des subjektiven öffentlichen Rechts von diesem Staatsbegriff aus zu entwerfen oder doch jedenfalls sie m i t i h m i n Einklang zu halten. Die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht steht damit i m Schnittpunkt einer zivilrechtlichen und einer öffentlich-rechtlichen Rechtskonzeption oder — umfassender formuliert — von zivilrechtlichem und öffentlich-rechtlichem Rechtsdenken selbst. Das Problem dieser Beziehung ist von Georg Jellinek i n seinem „System der subjektiven öffentlichen Rechte" nicht gelöst worden, Jellinek stellt vielmehr den staatsrechtlichen Ansatz i n den Vordergrund. Rupp zeigt das Problem erneut auf 1 , verfolgt aber ebenfalls den öffentlich-rechtlichen Ansatz, den er nun auch auf das Privatrecht anwenden w i l l . Henke versucht den Uberzeugungsgehalt der privatrechtlichen Konzeption, die für ihn ebenso wie für uns i n dem Begriff des Windscheidschen Anspruches steckt, für das subjektive öffentliche Recht nutzbar zu machen, verläßt dabei aber tatsächlich nicht die von einem staatsrechtlichen Gesetzesbegriff her bestimmte Konzeption des subjektiven öffentlichen Rechts. Die Problematik stellt sich den genannten Forschern i m Grundzug i n der gleichen Weise, die Lösungen sind zwar unterschiedlich, aber durchweg „öffentlich-rechtlich". W i r geben i m folgenden eine kurze Skizze der Lösungsansätze von Georg Jellinek, Rupp und Henke zu dem hier skizzierten Problem. I m Rahmen dieser Arbeit kann nur dieses Grundlagenproblem des subjek1

Grundfragen, S. 146.

I. Zum Verhältnis von subjektivem privatem und öffentlichem Hecht 145 tiven öffentlichen Rechts behandelt werden, die Lösung spezifisch verwaltungsrechtlicher Fragen, die sich auf der Grundlage der überkommenen Systematik des subjektiven öffentlichen Rechts i n großer Zahl stellen, fällt nicht unter das hier abgehandelte Thema. Jellinek legt für seine Entwicklung des Systems der subjektiven öffentlichen Rechte zunächst die privatrechtliche Konzeption des subjektiven Rechts i m Sinne der Kombinationstheorie zugrunde. Danach ist die Willensmacht das formale, das Gut oder Interesse das materiale Element i m subjektiven Recht 2 . Den Unterschied zwischen dem subjektiven privaten und subjektiven öffentlichen Recht entwickelt er nun aber nicht aus dem materialen Moment des Interesses heraus, sondern i m Hinblick auf das formale K r i t e r i u m der Willensmacht. Nach seiner Auffassung liegt dem Privatrecht ein natürliches Dürfen zugrunde. Die Rechtsordnung fügt i h m ein Wollenkönnen hinzu und macht dieses natürliche Dürfen damit zu einem rechtlichen. Das öffentliche Recht hat dagegen kein natürliches Dürfen zur Grundlage, hier verleiht die Rechtsordnung nur ein Wollenkönnen. U m diesen Unterschied zum Ausdruck zu bringen, spricht Jellinek davon, daß i m öffentlichen Recht das Wollen gewährt werde, während es i m Privatrecht nur erlaubt w i r d 3 . Die prägnante Ausführung dieser Gedanken findet sich i n folgenden Sätzen 4 : „Ausschließliches Wollenkönnen ist das formale K r i t e r i u m des öffentlich-rechtlichen, Wollendürfen, das auf einem Wollenkönnen ruht, das des privatrechtlichen Anspruchs. Das materielle Moment beider Ansprüche ist dasselbe: das Interesse. A l l e i n kraft des formellen Unterschiedes differenzieren sich auch die Interessen. Das subjektive öffentliche Recht ist daher nur durch ein Wollenkönnen geschütztes Interesse, das subjektive Privatrecht ein Interesse, zu dessen Realisierung auch ein Wollendürfen verliehen ist. Gewährtes und erlaubtes Wollen sind die beiden juristischen Möglichkeiten, durch welche der Mensch seine Interessen befriedigen kann." Die Problematik von Jellineks Anknüpfung an die privatrechtliche Konzeption des subjektiven Rechts i m Sinne der Kombinationstheorie liegt darin, daß diese Konzeption für das Privatrecht selbst mehrdeutig ist. W i r verweisen auf unsere Ausführungen i m 4. Kapitel. Jellinek übernimmt hier die Ergebnisse der Kombinationstheorie als Einheitsdefinition, die zwar die Elemente enthält, aber ihren Zusammenhang nicht zum Ausdruck bringt. Wenn er jetzt für das subjektive öffentliche Recht an das Willensmoment anknüpft, w i r d die Frage entscheidend, i n wel2

Jellinek, System, S. 45.

3

Z u diesen Unterscheidungen Jellineks hat vor allem Kelsen, Hauptprobleme, S. 629 ff., kritisch Stellung genommen. 4

Jellinek, System, S. 57.

10 Schapp

146 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht chem Sinne hier Wille und Willensmacht zu verstehen sind. Jellinek wahrt jetzt m. E. die Beziehung zur Interessenebene doch wieder dadurch, daß er das Privatrecht auf einem natürlichen Dürfen aufbaut, das sich i n ein rechtliches Dürfen verwandelt, während das öffentliche Recht diese Grundlage des Dürfens gerade nicht hat. Damit w i r d eine substantielle Unterscheidung gemacht, die die subjektiven Rechte des Privatrechts auch unter dem von Jellinek nur beabsichtigten formalen Aspekt anders erscheinen lassen als die subjektiven öffentlichen Rechte. Aus unserer Untersuchung der Ergebnisse der normativen Schule ergab sich bereits, daß das Moment des Dürfens nur als teleologisch erfaßbar gilt, daß es ganz vereinfacht ausgedrückt die Ebene der Interessenverfolgung kennzeichnet. Indem Jellinek für das öffentliche Recht dieses Dürfen verneint, und gerade auf dieser Verneinung den Unterschied beider A r ten von subjektiven Rechten aufbaut, hat er i n Wirklichkeit für die öffentliche Seite eine Beziehung zur Substanz des subjektiven Rechts aufgegeben. Äußerlich w i r d die Beziehung zum Interesse zwar auch für das öffentliche Recht aufrechterhalten, dieses Interesse ist eben nur durch ein Wollenkönnen, nicht auch durch ein Wollendürfen geschützt. Allein, worin dieses Interesse liegt, w i r d nicht weiter ausgeführt. Dem überkommenen Ansatz nach, welcher das subjektive Recht nur auf den Bürger bezieht, kann dieses Interesse nicht das vom Staat verfolgte Allgemeininteresse sein. Die materiale Substanz der Interessen des Bürgers gegen den Staat w i r d aber von Jellinek nicht i m einzelnen beschrieben. Die Unabgeklärtheit der Kombinationsformel w i r k t sich bei Jellinek also dahin aus, daß das private Recht auf die durchaus materiale Kategorie des Dürfens bezogen wird, die für das öffentliche Recht verneint wird, daß Jellinek darin aber nur eine unterschiedliche formale Qualifizierung des Momentes der Willensmacht sieht und glaubt, die Beziehung zum materialen Moment des Interesses für beide Seiten durchaus aufrechterhalten zu können. Tatsächlich hat er m i t seiner Entscheidung i m Hinblick auf das Dürfen die privatrechtliche Konzeption für das subjektive öffentliche Recht schon aufgegeben. Die Aufrechterhaltung der Beziehung zum Interesse bedeutet wenig, da diese Beziehung i n der Kombinationstheorie schon für das Privatrecht nur vage entwickelt ist. Nachdem der Begriff des subjektiven privaten Rechts von Jellinek i n dieser Weise für eine öffentlich-rechtliche Konzeption vorbereitet worden ist, baut er i h n von einem staatsrechtlichen Ansatzpunkt weiter aus. I m Privatrecht war die Willensmacht immerhin noch die Willensmacht des einzelnen, wenn sie i h m auch von der Rechtsordnung verliehen war. Die Einsicht i n die individuelle Natur der Willensmacht ist solange zwingend, wie man sie noch auf ein materiales Dürfen oder Interesse beziehen muß. Nachdem dieser Pol für das öffentliche Recht i m Effekt aufgegeben ist, verschiebt sich der Aspekt auf die Seite des Staates.

I. Zum Verhältnis von subjektivem privatem und öffentlichem Recht 147 Jellinek entwickelt jetzt vier status der Beziehung zum Staat, i n denen sich dieses vom Staat verliehene Wollenkönnen qualifiziert 5 . Die gliedliche Stellung des einzelnen i m Staate begründet seine Möglichkeiten, nicht ein natürliches Dürfen. Diese gliedliche Stellung des einzelnen i m Staat erscheint i n den vier status des Unterworfenseins (status passivus), der Freiheit von ungesetzlichem Zwang (status libertatis oder negativus), der Forderungen an den Staat (status positivus) und der Leistungen für den Staat (status activus) 6 . Welche Beziehung besteht nun zwischen diesen vier status und dem Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts? Jellinek beruft sich auf die privatrechtliche Unterscheidung von Rechtsverhältnis und Anspruch und sieht entsprechend i n den vier status nur dem privatrechtlichen Rechtsverhältnis entsprechende Zustände, aus denen sich erst Ansprüche ergeben 7 . Ein System der subjektiven öffentlichen Rechte legt er also insoweit vor, als er Rechtsverhältnis und Anspruch unter dem Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts zusammenfaßt 8 . M i t diesem Ubergreifen auf den Begriff des Rechtsverhältnisses, aus dem sich erst der Anspruch ergibt, zielt Jellinek doch wieder auf eine materiale Bestimmung des Verhältnisses zwischen Staat und einzelnem ab, denn das Rechtsverhältnis kann ohne seinen Inhalt allein m i t dem Hinweis darauf, daß es als die gliedliche Stellung des einzelnen i m Staat vom Staat konstituiert wird, nicht erklärt werden. Dieser materiale Charakter müßte i n der Funktion dieser Rechtsverhältnisse für Staat und einzelnen liegen und käme wohl auch i n dem Zusammenhang zum Ausdruck, i n dem diese Rechtsverhältnisse untereinander ständen. Tatsächlich sind aber die status bei Jellinek nicht unter diesen Gesichtspunkten entworfen. Der Zentralgedanke kommt vielmehr schon i n der Zusammenfassung der vier status als gliedlicher Stellung des einzelnen i m Staat zum Ausdruck. Es ist der Gedanke der Gewaltunterworfenheit i m status passivus, die gemildert ist durch die Unterworfenheit unter gesetzliche Gewalt als die Freiheit von ungesetzlichem Zwang i m status libertatis. Die status positivus und activus sind Annexe, die zwei weitere Sachbereiche beschreiben, aber nur Auffangfunktion haben und i n keinem inneren Zusammenhang zu der machtvollen Konzeption der gliedlichen Stellung i m Staat auf Grund des Gedankens der Unterworfenheit unter gesetzmäßige Gewalt stehen, die i n den status passivus und libertatis formuliert ist 9 . 5

Jellinek, System, S. 81, 82. System, S. 86, 87. 7 System, S. 58. 8 System, S. 58. 9 Luhmann bezeichnet die „ w e i t h i n akzeptierte" Unterscheidung der einzelnen status als theoretisch offensichtlich nicht bewältigte, rein i n d u k t i v 6

10*

148 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht Die Konzeption Jellineks, die ihren Ausgangspunkt bei der Modifikation des Momentes der Willensmacht i m subjektiven privaten Recht genommen hatte, endet i n ihrem K e r n i n dem Prinzip der Unterworfenheit unter gesetzmäßige Gewalt, die den individuellen Willen i m Rahmen dieser Unterworfenheit wirkungslos macht. Henke hat m i t Recht darauf hingewiesen, daß Jellineks Grundgedanke der gliedlichen Stellung i m Staat keinen Raum für individuelle subjektive öffentliche Rechte läßt, da i n dieser Spannungsbeziehung das Individuum dem Staate gerade nicht als m i t eigenen Rechten ausgestattete Persönlichkeit gegenübertritt 1 0 . Das Wollenkönnen des einzelnen w i r d gerade vom Staat ausgeschlossen, dessen Wollen seinerseits maßgebend ist. Diese Umdrehung der Fronten ist vorbereitet durch die Zertrennung der Verbindung von Wollen und Dürfen für das öffentliche Recht. Die wesentliche Konsequenz dieser Konzeption ist dann, daß es ein dem privaten subjektiven Recht vergleichbares subjektives öffentliches Recht nicht gibt. Der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts ist bei Jellinek noch nicht ausdrücklich auf ein prozessuales Rechtsmittelsystem h i n orientiert, er w i r d vielmehr primär i m Sinne des Rechtsverhältnisses, das allerdings auch den aus i h m entspringenden Anspruch umfaßt, verstanden. M i t der Entwicklung der Verwaltungsrechtswissenschaft nahm dieser Begriff immer mehr eine rechtstechnische Bedeutung an und orientierte sich immer stärker an den gegebenen Klagemöglichkeiten 11 . So w i r d der Ausdruck subjektives öffentliches Recht heute entsprechend den gegebenen Klagen i m Verwaltungsrecht nur für das Recht auf Abwehr von ungesetzlichem Zwang und für das Recht auf eine staatliche Leistung gebraucht. Diese Unterscheidung ist schon i m systematischen Verhältnis von status passivus und libertatis einerseits und status positivus andererseits bei Georg Jellinek enthalten. Die Entwicklung seit Georg Jellinek liegt darin, daß die Lehre jetzt vom status als „Rechtsboden" (Rupp) des subjektiven öffentlichen Rechts zum subjektiven öffentlichen Recht i m technischen Sinne selbst fortgeschritten ist. Der A n fang dieser Entwicklung setzt m i t Ottmar Bühler ein. Bühler konzipierte die Fragestellung, die überhaupt erst die Feststellung ermöglicht, wann denn eine Gesetzesüberschreitung durch die Verwaltung den einzelnen so berührt, daß i h m Abwehrrechte zustehen müssen 12 . Die Beziehung zur zivilrechtlichen Konzeption steht heute bei Rupp und Henke wieder i m Mittelpunkt der Überlegungen zum subjektiven gewonnene Klassifizierung v o n einer geradezu aufreizenden Unausgeglichenheit, Grundrechte als Institution, S. 136. 10 Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 44. 11 Z u dieser E n t w i c k l u n g vgl. Henke, S. 71. 12 Ottmar Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte u n d i h r Schutz i n der deutschen Verwaltungsrechtsprechung.

I. Zum Verhältnis von subjektivem privatem und öffentlichem

echt 149

öffentlichen Recht. Beide Forscher setzen i m Ergebnis doch unterschiedlich an, so daß hier eine getrennte Darstellung geboten ist. Rupp unterscheidet entsprechend der prozessualen Orientierung zwischen Abwehroder Beseitigungsrechten einerseits und subjektiven öffentlichen Rechten auf Gesetzeserfüllung andererseits, denen also die Bezeichnung „subjektives öffentliches Recht" vorbehalten bleibt. Während das subjektive öffentliche Recht auf Gesetzeserfüllung an sich wenig Schwierigkeiten macht, konzipiert Rupp das subjektive Abwehrrecht in zwei Schichten: Ein öffentlich-rechtlicher status w i r d durch öffentlich-rechtliche Gesetze mit der Folge der Entstehung von Pflichten individualisiert 1 3 . Die Verletzung dieses status ist Tatbestand einer sog. Reaktionsnorm, die dem einzelnen Abwehransprüche gegen die Verwaltung gewährt 1 4 . M i t dem Gedanken des status als Boden von Reaktionsrechten zieht Rupp m. E. die beiden Jellinekschen status passivus und libertatis zusammen, m i t der scharfen Abschichtung der Reaktionsnorm und des durch sie gewährten subjektiven Abwehrrechtes trägt er der prozessualen Entwicklung Rechnung, die den Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts nicht auf die gesetzlichen Pflichten anwendet, sondern i h n auf das gewährte Rechtsmittel hin orientiert. Rupp legt nun besonderes Gewicht darauf, nachzuweisen, daß der öffentlich-rechtliche status nicht m i t Rechtspositionen des Privatrechts ausgefüllt ist, sondern nur ein dem privatrechtlichen Dürfen allenfalls entsprechendes öffentlich-rechtliches Dürfen beschreibt, welches erst durch das öffentlich-rechtliche Gesetz konturiert w i r d 1 5 . Die subjektiven Privatrechte und die Zivilrechtsordnung, i n die sie unlösbar eingebettet sind, sind dem öffentlichen Recht nicht vorgegeben 16 . Rupp w i l l vielmehr seine an Norm und Pflicht orientierte Konzeption des öffentlichen Rechts auch auf das Zivilrecht ausdehnen und hält von hier aus eine Uberwindung des von i h m als naturrechtlich aufgefaßten Rechtsgutdenkens für möglich. Dem Einwand, daß das Verfassungsrecht offenbar das Eigent u m als Rechtsgut, also i m zivilrechtlichen Sinne, zugrunde lege, begegnet er m i t dem Hinweis auf die Ungeklärtheit der verfassungsrechtlichen Eigentumskonzeption 17 . Er sieht eine Lösung hier nur i n der Entwicklung eines dem besonderen Spannungsverhältnis des öffentlichen Rechtes Rechnung tragenden öffentlich-rechtlichen Eigentumsbegriffs 18 . Während Georg Jellinek also noch an einen allgemeinen Begriff des subjektiven Rechts i m Sinne der Kombinationstheorie anknüpft und — 13 14 15 16 17 18

Grundfragen, Grundfragen, Grundfragen, Grundfragen, Grundfragen, Grundfragen,

S. 221 ff. S. 249. S. 222. S. 233. S. 235, 238. S. 241.

150 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht jedenfalls dem Ansatz nach — aus dem kombinierten Begriff nur das Moment der Willensmacht variiert, geht Rupp von vornherein mit seiner Entgegensetzung von Rechtsgutdenken und Pflichtenkonzeption von einem beiderseits unterschiedlichen Ansatz aus und hält sogar die Ausdehnung einer nur normativen Konzeption auf das Zivilrecht für möglich. Der entscheidende Schritt war i m übrigen nach unserer Auffassung von Jellinek schon getan worden, indem er dem natürlichen Dürfen für das öffentliche Recht keine Bedeutung zuschrieb und dann i m Ergebnis das System der subjektiven öffentlichen Rechte als ein Verhältnis der gesetzmäßigen Gewaltunterworfenheit konzipierte. Henke unternimmt die Lösung folgenden Problems: Die Schulauffassung des subjektiven öffentlichen Rechts nimmt ein solches dann an, wenn ein zwingendes Gesetz den Individualinteressen des einzelnen zu dienen bestimmt ist und wenn es dem einzelnen eine Rechtsmacht zur Durchsetzung seines Interesses verleiht 1 9 . Nach seiner Auffassung lassen sich beide Voraussetzungen kaum unterscheiden, sie sind tautologisch 20 . Gehandhabt w i r d diese Voraussetzung als Prozeßvoraussetzung für eine bestimmte Klage. Es w i r d also i n Wirklichkeit von der Klage her darauf geschlossen, daß ein subjektives öffentliches Recht vorliegen müsse. Henke geht nun von dem für ihn ganz zentralen Gedanken aus, daß das subjektive Recht etwas der Person Zugehöriges ist, etwas, quod nostrum est, wie Donellus sagt 21 . Das Grundlegende ist also das materielle Recht, nicht die zu seiner Durchsetzung gewährte Klage. Den Schritt Windscheids von der actio zum materiellen Recht sieht Henke als das Schlüsselereignis der modernen Geschichte des Begriffs des subjektiven Rechts. Er möchte sich nun auch für das öffentliche Recht von der prozessualen Konzeption des Begriffs des subjektiven Rechts lösen, die er dem Aktionensystem vor Windscheid gleichstellt, und auch für das subjektive öffentliche Recht den Schritt von der actio zum materiellen Recht tun 2 2 . Für die Durchführung dieses Programms löst Henke sich i m Ergebnis nicht von der Jellinekschen Konzeption. Die subjektiven Rechte auf Abwehr ungesetzlichen Zwanges und auf eine staatliche Leistung stellen sich ihm nunmehr statt als Rechtsbehelfe als materielle Ansprüche i m Sinne Windscheids dar. Henke trägt aber insbesondere i m Hinblick auf den Abwehranspruch eine eindringliche Analyse der herrschenden Systematik vor, aus der sich ergibt, warum nur dieser Abwehranspruch das materielle Recht sein kann 2 3 . Ursprünglich hatten auch i m öffent19 20 21 22 23

Henke, Henke, Henke, Henke, Henke,

S. 1. S. 3. S. 4. S. 4 ff. S. 11 ff.

I. Zum Verhältnis von subjektivem privatem und öffentlichem

echt 151

liehen Recht die subjektiven Rechte des Landesherrn und des Untertanen einander gegenüber gestanden. Der Souveränitätsbegriff des Absolutismus konnte aber m i t der Auffassung, daß das Verhältnis zwischen Herrscher und Beherrschtem durch Rechte und Gegenrechte bestimmt war, nichts mehr anfangen. Der Gedanke der Souveränität zerstörte die Auffassung dieses Verhältnisses als Rechtsverhältnis. Der Souveränitätsgedanke bewirkte nun aber auch eine Änderung der theoretischen Konzeption auf privater Seite. Wie sich die subjektiven Herrschaftsrechte zur Souveränität wandelten, so die alten subjektiven Rechte der Untertanen zu der — ebenfalls naturrechtlich begründeten — „natürlichen Freiheit". Damit war, wie Henke schreibt, der K e i m zu einer unendlichen Auseinandersetzung gelegt. I n der Vorstellung nahm das Gesetz jetzt nämlich den Charakter eines objektiven Ausgleichs zwischen öffentlichem Wohl und individueller Freiheit an, ihre Vereinigung und A u f hebung i n einer höheren Ordnung. Diesem Gesetz konnten keine Rechte, Gerechtsame, Privilegien entgegengesetzt werden, da sie alle durch eine allgemeine und gleiche Freiheit ersetzt waren und diese, m i t dem öffentlichen Wohl zu einer höheren Einheit verschmolzen, i m Gesetz aufging. Jede Anerkennung eines individuellen Rechts hätte den idealen Ausgleich der Interessen i m Staat gestört 24 . Subjektive Rechte sind darum nach Henke erst wieder vorstellbar, wenn das Gesetz überschritten wird. Erst dann treten sich Staat und Bürger wieder als Gleichgeordnete gegenüber. Si excessit, privatus est 25 . Der materielle Anspruch gegen den Staat, nach dem Henke sucht, beruht also darauf, daß die Verwaltung die höhere Einheit verfehlt, zu der das Gesetz die privaten und staatlichen Interessen verschmolzen hat. Henke n i m m t auf Grund dieses Tatbestands einen materiellen Anspruch des Bürgers auf Unterlassung von Unrecht gegen die Verwaltung an, der dann durch Klage durchgesetzt werden kann. Die materielle Konzeption des Anspruchs auf Leistung liegt auf der Hand, er ergibt sich aus dem Gesetz selbst. Henkes Lehre hat die Auswirkung, daß auf Grund des angenommenen Gesetzesbegriffs privatrechtliche Positionen m i t öffentlich-rechtlichen verschmolzen werden und dann i n einer privatrechtlichen Identität nicht mehr feststellbar sind. Insofern deckt sich das Ergebnis m i t Rupps Individualisierung eines öffentlich-rechtlichen status, der nicht m i t „privatrechtlichen Rechtsblöcken" ausgefüllt ist. Henke kommt aber nicht zu dem zweischichtigen Aufbau der Abwehrrechte wie Rupp, sondern gewährt den materiellen Anspruch auf Grund Gesetzesüberschreitung, während Rupp den materiellen Charakter w o h l i n erster Linie den aus dem öffentlich-rechtlichen Gesetz entspringenden Pflichten zumessen 24 25

Henke, S. 31. Henke, S. 49.

152 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht würde. I n diesem Punkt sind die beiden Konzeptionen nicht miteinander vergleichbar, da Rupp den Pflichtgedanken akzentuiert, Henke jedoch den Gedanken des Rechts i m Sinne des Windscheidschen materiellrechtlichen Anspruchs. II. Das öffentlichrechtliche Gesetz als Konfliktsentscheidung mit der Folge von gegenseitigen Ansprüchen im Verhältnis Staat — Bürger 1. Das öffentlich-rechtliche Gesetz als Konfliktsentscheidung über das Gefüge privater und öffentlicher Interessen Die vorstehende Darstellung der Problematik, insbesondere aber der von Jellinek verfolgte Lösungsansatz, zeigt, wie sich ein auf dem Souveränitätsgedanken aufgebauter Staatsbegriff machtvoll i n die Beziehung von Interessen und Rechtsordnung eingeschoben hat und nunmehr m i t geringem Spielraum den Gang der Lösung vorzeichnet. Der Gedanke der Souveränität bündelt auf der staatlichen Seite das funktionelle Moment der öffentlichen Interessenverfolgung und das Moment der rechtlichen Entscheidung über diese Interessenverfolgung zu dem einheitlichen Prinzip des gesetzmäßigen Zwanges. Die staatliche Interessenverfolgung w i r d dabei auf das Moment des Zwanges reduziert, die Entscheidung des Rechts entsprechend auf den Gedanken der Bändigung dieses Zwanges. I n der Tat ist das einer der großen Gedanken des neuzeitlichen Staatsrechtes. Aber damit ist noch nicht gesagt, daß dieser Gedanke auch der geeignete methodische Ansatz für eine Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts ist. W i r meinen vielmehr, daß eine solche Theorie ein breiteres Spektrum umfassen muß, daß sie vor allem auf der funktionellen Beziehung zwischen Verfolgung der öffentlichen Interessen durch den Staat und rechtlicher Entscheidung über diese Interessenverfolgung aufbauen muß. Indem die überkommene Doktrin nicht mehr zwischen staatlicher Aufgabenwahrnehmung und Recht unterscheidet, sondern beides unter dem Gesichtspunkt des gesetzmäßigen Zwanges oder noch technischer formuliert dem Gesetzmäßigkeitsprinzip zusammenfaßt, qualifiziert sie das Verhältnis zwischen Staat und Bürger in einer Weise, die sich strukturell nicht mehr aufschlüsseln läßt und i n der vor allem die Funktion des Rechts als Konfliktsentscheidung über einander entgegengesetzte, aber auch aufeinander bezogene Interessen des Bürgers und des Staates sich nicht mehr nachweisen läßt. Aus dem Dreiecksverhältnis von einander gegenüberstehenden privaten und öffentlichen Interessen und Entscheidung des Rechts über ihre Abgrenzung w i r d eine auf dem Gedanken der staatlichen Gewalt aufgebaute zweiseitige Beziehung. Daß diese Gewalt i n der Form des Gesetzes erscheinen muß, ändert nichts daran, daß die Substanz dieser Beziehung nach

II. Das öffentlich-rechtliche Gesetz als Konfliktsentscheidung

153

der überkommenen D o k t r i n i n der Gewalt selbst, i n der Unterworfenheit, i n der Stoßrichtung des Staates gegen den Bürger liegt. Das Prinzip des gesetzmäßigen Zwanges bringt nicht zum Ausdruck, daß das Recht selbst sich auf Staat und Bürger als Gleichgeordnete bezieht. Für unsere Fragestellung liegt die große Bedeutung der überkommenen staatsrechtlichen Konzeption vor allem darin, daß der Gedanke der staatlichen Souveränität oder Gewalt die große Palette der zur staatlichen Seite h i n vorhandenen Interessen aufsaugt und damit das eigentliche Fundament für eine Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht absorbiert. Ebenso wie die Privatrechtswissenschaft auf ein System der Lebensverhältnisse verzichtet hat, w e i l sie offenbar nicht zu systematisieren waren, hat die Wissenschaft des öffentlichen Rechts auf ein System der öffentlichen Aufgaben verzichtet, w e i l auch hier die Systematisierung unmöglich erschien 26 . Unsere Überlegungen zu dem Gedanken des Wirtschaftssystems gelten aber ebenso gut hier wie dort. Die Systematisierung i m Sinne eines geistigen Systems unter einem einheitlichen Prinzip oder dem Gedanken eines obersten Wertes, die den Forschern wohl vorgeschwebt hat, wenn sie die Lebensverhältnisse nicht für systematisierbar hielten, w i r d von uns auch gar nicht erstrebt. Das funktionelle System der Wirtschaft hat für uns eine ganz andere Bedeutung, es ermöglicht vor allem die Abschichtung der Funktion des Rechts und damit letztlich den Ausbruch aus den idealistischen Rechtskonzeptionen, die unsere Wissenschaft nicht nur i m Privatrecht, sondern auch i m öffentlichen Recht bestimmen. E i n Durchgriff auf die A r t und Weise, wie staatliche Aufgaben sich auf wirtschaftliches Eigentum beziehen, ist solange nicht möglich, wie die staatlichen Aufgaben i n den methodischen Ansatz nur als Ausübung staatlicher Gewalt eingebracht werden. Eine sinnvolle Beziehung zwischen wirtschaftlichem Eigentum und subjektiven öffentlichen Rechten läßt sich solange nicht herstellen, wie dieser große methodische Ansatz zum Staatsbegriff die Fragestellung bestimmt. Alles, was sich von hier aus ergibt, kann nicht mehr sein, als diese Quelle herzugeben vermag. Die gliedliche Stellung i m Staat, die Freiheit von ungesetzlichem Zwang, die Individualisierung eines öffentlich-rechtlichen status, die ideale Einheit von privaten und öffentlichen Interessen i m Gesetz, schließlich ein spezifischer, nur dem öffentlichen Recht angehörender Eigentumsbegriff sind nur Ausflüsse dieses einen methodischen Ansatzes, der die Lösung des Problems i m K e r n schon unmöglich macht. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Zusammenziehung von Souveränität und Recht i n dem Gedanken der gesetzmäßigen Gewalt oder das Gesetzmäßigkeitsprinzip nicht ihre Bedeutung haben, nur muß die Frage erlaubt sein, ob dieses Strukturprinzip ausreicht, das 2e Vgl. dazu Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 238: Der konkrete I n h a l t der Staatstätigkeit k a n n i m m e r n u r empirisch bestimmt werden.

154 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht Verhältnis von Wirtschaft und Recht i m öffentlich-rechtlichen Bereich zu klären. Nur das w i r d i n dieser Arbeit verneint. Die eigentliche Bedeutung des Gedankens der gesetzmäßigen Gewalt sehen w i r i n den juristisch-praktischen Auswirkungen für die Staatsorganisation selbst. Die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns ist aber kein Prinzip, welches die i h m zugemuteten Lösungen auf unserem Untersuchungsgebiet fundieren kann. 2. Die Anspruchskonzeption des subjektiven öffentlichen

Rechts

Ist eine Anspruchskonzeption des subjektiven öffentlichen Rechts auf der für das Privatrecht erarbeiteten Grundlage, daß das Gesetz als Konfliktsentscheidung an den wirtschaftlichen Anspruch anschließt, für das öffentliche Recht durchführbar? Bei der Untersuchung des Wirtschaftsgefüges i m zweiten Kapitel ergab sich bereits, daß sich i m Rahmen des Wirtschaftssystems wirtschaftliche Ansprüche von Staat und Bürger gegeneinander nachweisen lassen. Auch gegen die Auffassung, daß das öffentlich-rechtliche Gesetz einen Konflikt zwischen Privaten und Staat entscheidet, indem es die Voraussetzungen normiert, unter denen diese wirtschaftlichen Ansprüche rechtlich anerkannt sein sollen, läßt sich wohl wenig einwenden. Tatsächlich ergibt sich aber auf Grund dieser Auffassung für das Verwaltungsrecht eine Umorientierung, die m i t den überkommenen positivrechtlichen Strukturen des Verwaltungsrechts i m Widerspruch zu stehen scheint. Es stellt sich also die Frage, welche Bedeutung ein derart neu gefaßter Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts überhaupt für das praktische Verwaltungsrecht haben würde. W i r sehen diese Bedeutung vor allem darin, daß für das öffentliche Recht der Anschluß an die Interessenebene wieder hergestellt w i r d und damit die Entscheidungsprobleme dorthin verlagert werden, wo sie sich praktisch auch i m wesentlichen stellen. Erst von hier aus kann dann auch die Bedeutung des angeschlossenen Rechtsschutzsystems ermittelt werden, von dessen beiden Klagearten aus heute die Frage nach der materiellen Natur des subjektiven öffentlichen Rechts zwar gestellt wird, aber kaum beantwortet werden kann. Die positivrechtliche Struktur des Verwaltungsrechts w i r d also durch unsere Konzeption nicht verleugnet, sondern nur i m Hinblick auf die betroffenen Interessen relativiert und damit erst i n ihrer eigentlichen Bedeutung erkennbar. Die verwaltungsrechtliche Diskussion ist — m. E. auf Grund des methodisch zugrunde gelegten Staatsbegriffs — heute gekennzeichnet durch ein eigenartiges Nebeneinander zweier Arten von Rechten und Pflichten. Es w i r d wie selbstverständlich davon gesprochen, daß sich aus den öffentlich-rechtlichen Gesetzen Rechte und Pflichten einerseits des Bürgers

II. Das öffentlich-rechtliche Gesetz als Konfliktsentscheidung

155

gegen den Staat, aber auch des Staates gegen den Bürger ergeben 27 , andererseits werden diese Rechte und Pflichten auf Grund der Gesetze zu einem subjektiven öffentlichen Recht nur, wenn der Bürger etwas vom Staate verlangt. Die Pflicht des Bürgers w i r d zwar untechnisch als Recht des Staates bezeichnet, allein sie führt nicht zu einem subjektiven öffentlichen Recht des Staates. Das subjektive öffentliche Recht steht auch hier wieder nur dem Bürger zu, und zwar dann, wenn der Staat mehr von i h m verlangt, als i h m die Gesetze zusprechen. Der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts ist also v ö l l i g an dem Rechtsschutzsystem der Abwehr ungesetzlichen Zwanges und des Anspruchs auf eine staatliche Leistung orientiert. Die Positionen des Staates werden zwar als staatliche Rechte bezeichnet, den Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts verweigert man ihnen jedoch. Unsere an den Staatsaufgaben orientierte Auffassung führt dazu, die Rechte des Staates i n der Eingriffsverwaltung als materielle Ansprüche und damit als subjektive Rechte aufzufassen 28 . Diese Änderung des Aspektes ist i m Ergebnis kaum verständlich, wenn man sich nicht einmal klar macht, welcher Grund eigentlich dazu geführt hat, die Positionen des Staates nicht als subjektive Rechte zu bezeichnen. Für uns ist das nicht nur eine terminologische Frage, hier kommt vielmehr u. E. ein personalistisches Rechtsverständnis zum Ausdruck, welches den staatlichen Positionen die Qualifikation als Recht verweigert. Otto Mayer hat die Frage untersucht, ob die Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts des Staates für eine Systematik des Verwaltungsrechts förderlich sein könnte und diese Frage verneint. Vergegenwärtigen w i r uns noch einmal die Argumentation von Otto Mayer 2 9 . Er räumt zwar ein, daß ζ. B. bei der Steuerforderung und dem Anspruch auf Vornahme der befohlenen polizeimäßigen Herstellung eines Bauwerks die Vorstellung an Leichtigkeit gewinne, wenn die Denk- und Sprechweise dem Zivilrecht entlehnt werde. Diese Rechte könnten sogar umschlagen i n ein Privatrecht, ζ. B. die Steuerforderung i m Konkurs. Aber grundsätzlich bringe der ursprüngliche Zusammenhang m i t der öffentlichen Gewalt etwas mit, was der Anwendung des Begriffs des subjektiven öffentlichen Rechts widerstrebe. Denn schließlich seien auch diese äußersten Verdichtungen 27 Wolff-Bachof, Verwaltungsrecht I, §§ 40 - 43, S. 287 ff., weisen dem Gegeneinander verwaltungsrechtlicher Rechte und Pflichten systematisch entscheidenden Stellenwert zu; weniger ausgeprägt Forsthoff, Lehrbuch, S. 184. 28 Die Rechte des Staates werden auch von Lutz Richter, AöR n. F. 8 (1925), S. 1 ff., insbesondere S. 41 als subjektive öffentliche Rechte anerkannt. A b lehnend Forsthoff, Lehrbuch, S. 186, w e i l der Begriff damit seine Prägnanz verliere. I m Rahmen unseres Systems stellt sich aber gerade an dieser Stelle die Forderung nach Anerkennung eines subjektiven Rechts i m technischen Sinne. 29 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 105, 106.

156 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht der staatlichen Willensherrschaft nichts anderes als Ausflüsse und Ausübungen des einen großen „Urrechtes" auf Gehorsam 30 . Das Recht aber sollte etwas Neues sein, ein Stück des Machtkreises, welchen die Rechtsordnung um die Person herum entstehen ließe über das hinaus, was sie von sich selber sei und könne. Wo das fehle, knüpften sich nirgends irgendwelche weiteren Wirkungen daran, daß man sich entschließe, da und dort ein subjektives Recht des Staates anzuerkennen. A n dem feinen Gewebe unseres Rechtsstaates bleibe kein Stückchen undeutlich und unklar, wenn man ein solches Ding nicht darin zu entdecken vermöge. Das sei aber kein Grund, sich des handlichen Namens nicht weiter zu bedienen, nur solle man nicht glauben, damit viel gesagt zu haben. Diese Darlegung bestätigt i m K e r n unsere Einwendungen gegen die überkommene Doktrin. Eine Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts ist nur i n einem ganz bestimmten Sinne möglich, wenn man den K e r n der staatlichen Betätigung i n der Ausübung des „Urrechtes" auf Gehorsam sieht. Bei dieser Sicht verlagert sich allerdings der Gedanke des Rechts i n die Bändigung dieses Urrechtes und dann schließlich i n die Abwehr staatlicher Betätigung. Wie der Gedanke der Souveränität offenbar den Gedanken des Rechtes abstößt oder doch jedenfalls äußerlich, Form bleiben läßt, so zieht der Gedanke der Person den Gedanken des Rechtes an. Auch das k l i n g t i n der Argumentation Otto Mayers an. Recht dient dem Schutze der Person, fügt ihrem Machtkreis etwas hinzu, während der Staat das, was er ist, aus sich heraus ist. Letzte Grundlage dieser Differenzierung ist eine Wertentscheidung zugunsten des einzelnen gegen den Staat, also der Wertgedanke, der die ganze neuzeitliche Staatskonzeption prägt. Was sich zunächst wie eine terminologische Zufälligkeit gab, ob etwas Recht des Staates oder sein subjektives Recht ist, erscheint i n dieser Sicht nichts weniger als zufällig, sondern als tiefster Ausdruck eines wertorientierten Rechts V e r s t ä n d n i s s e s . Daß das Recht den einzelnen schützt und nicht den Staat, ist Ausdruck eines auf das gesamte System bezogenen Wertgedankens. Dieser Gedanke vermag aber die Funktion des Rechtes i m Rahmen dieses Systems selbst nicht zu bestimmen. Wer diese Funktion i n der Konfliktsentscheidung und gegenseitigen Abgrenzung sieht, w i r d auch dem Staate materielle Rechte als Folge dieser Abgrenzung zubilligen müssen, da anders eine Einflechtung des Staates i n das Gesamtsystem gar nicht denkbar ist. Die Frage des Wertes w i r d nicht hier entschieden, sondern i m H i n blick auf das Gesamtsystem. Wenn Recht als Abgrenzung verstanden wird, ist die Zubilligung eines subjektiven Rechts an einen Konflikts30 Unter Hinweis auf Fleiner, Institutionen, S. 154: Nicht subjektive staatliche Rechte, sondern Ausflüsse staatlicher Kompetenz, u n d Jellinek, System, S. 197,198: Spezialisierungen des Gehorsamsanspruchs des Staates.

II. Das öffentlich-rechtliche Gesetz als Konfliktsentscheidung

157

partner zugleich die A r t , i n der dem anderen Schutz gewährt wird. Das subjektive Recht i m technischen Sinne als Folge der gesetzlichen Konfliktsentscheidung hat nicht den Charakter der Werthaftigkeit, Personalität, den man meint, nur einer Seite zukommen lassen zu können. Die Sprache, die dem Staate Rechte zubilligt, gleicht sich hier der Struktur sehr viel genauer an als die staatsrechtliche Konstruktion. W i r meinen also entgegen Otto Mayer, daß m i t diesem „handlichen Namen" doch etwas Wichtiges zum Ausdruck gebracht ist. I n der Analyse des Staatsbegriffes, der auch der überkommenen Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts zugrunde liegt, decken w i r uns i m übrigen mit der Auffassung Otto Mayers. W i r hatten angenommen, daß der K e r n des Staatsbegriffs i n dem Gedanken der Souveränität liegt und daß i m Verhältnis dazu das Recht nur Form, etwas Äußerliches bleibt. Mayer konzipiert sogar diese Unterworfenheit unter staatliche Willensherrschaft selbst als „Urrecht" des States auf Gehorsam und kommt damit natürlich zu einem Begriff des „staatlichen Rechts", der m i t dem Gedanken des individuellen Rechtsschutzes nichts mehr gemein hat, aber um so deutlicher den eigentlichen K e r n des modernen Staatsbegriffs trifft. Von der Annahme eines subjektiven öffentlichen Rechts des Staates brauchen w i r uns also durch diese Bedenken Otto Mayers nicht abhalten zu lassen. Der Durchführung dieser Konzeption scheint nun aber die von Otto Mayer selbst m i t begründete Systematik des Verwaltungsrechts i m Eingriffsbereich entgegenzustehen. Diese Systematik baut ihrerseits auf dem Gesetzmäßigkeitsprinzip auf und konzipiert das Verwaltungshandeln i m Eingriffsbereich als einen obrigkeitlichen Ausspruch, der den Untertanen i m Einzelfall bestimmt, was für i h n Rechtens sein soll. Sein Vorbild ist das gerichtliche Urteil 3 1 . Der A k t der Verwaltung ist rechtmäßig, wenn er durch das Gesetz als Ermächtigungsgrundlage gedeckt wird. Diese Systematik des Verwaltungsrechts für den Eingriffsbereich scheint völlig dem idealistischen Bilde des Gesetzes zu entsprechen, wie es als ideale Einheit der privaten und öffentlichen Interessen so eindringlich vor allem von Henke beschrieben wird. Der Absorbtion der Interessen i n dieser idealen Einheit durch das Gesetz entspricht es, daß das Gesetz eben nur angewendet wird. Die Verwaltung liest aus dem Gesetz gewissermaßen den Rechtszustand ab und stellt ihn durch einen urteilsähnlichen A k t fest. Nach Otto Mayer 3 2 hat dieser A k t den Charakter der „Bestimmung". Es entsteht der Eindruck eines Verfahrens, 31 32

So Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 93. Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 93.

158 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht i n welchem objektives Recht angewendet, nicht subjektive Rechte verfolgt werden. Dieses Auffassungsschema, i n welchem uns seit Otto Mayer das Verwaltungshandeln i m Eingriffsbereich erscheint, bedarf selbst wieder der Analyse. Noch Pann 3 3 betrachtet es als Ideal eines Rechtsstaates, wenn bei bestrittener Militärpflicht, Einquartierung, Steuerleistung der Staat wie jeder Private seinen Anspruch gerichtsordnungsmäßig i m Wege der Klage geltend machen müßte. Otto Mayer verfällt bei der Auseinandersetzung m i t Pann i n den Ausruf: Das könnte schön werden 3 4 ! Er weist damit indirekt auf den eigentlichen Grund dafür hin, daß die Verwaltung ihre Rechte i n diesen Fällen selbst festsetzt. Ohne das Zugriffsrecht des Staates lassen sich die öffentlichen Interessen nicht zweckgerecht wahrnehmen, die eigene Festsetzung durch die Verwaltung entspricht funktioneller Notwendigkeit. Otto Mayer hat mit seiner Konzeption, daß die Verwaltung i n urteilsähnlicher Weise vor ihrem Zugriff ihre Rechte feststellt, diese funktionelle Notwendigkeit i n eine geniale Form gefügt. Nur ändert diese Konzeption selbst nichts daran, daß die Behörde hier zunächst über eigene Interessen entscheidet. Das der Verwaltung zugebilligte Initiativrecht führt dann zur Vertauschung der Parteirollen i m Prozeß. Dem Bürger bleibt die Abwehr überlassen. Materiell ist das Bestehen der Rechte der Verwaltung Gegenstand des Prozesses. Wenn man eine Analogie zum Zivilrecht bilden wollte, so könnte man die Anfechtungsklage der prozessualen Konstruktion nach etwa m i t der Vollstreckungsgegenklage, also mit dem Abwehrmittel gegen einen rechtskräftig festgestellten Anspruch, vergleichen. Die Vertauschung der Parteirollen ist i n ihrem K e r n nicht Folge einer rechtsprechenden Qualität der Verwaltung, sondern der Notwendigkeit, daß i n einem zweckmäßig organisierten Staat die Verwaltung von sich aus muß tätig werden und auch über Vollstreckungstitel muß verfügen können. Die durchaus gerechtfertigte Analogie zum Urteil hat nun zu einer eigenartigen Verschiebung der Optik geführt. Daß das dem Bürger zugebilligte Rechtsmittel sich gegen den urteilsähnlichen Ausspruch richten mußte, war nur konsequent. Das bedeutet aber doch nicht, daß die „ U r teilstätigkeit" der Behörde als solche i n Streit gezogen wird, sondern gestritten w i r d doch um das, was die Behörde zu ihren Gunsten festgesetzt hat, um das von ihr Beanspruchte. Da man aber die Interessen i n dem Gesetzesbegriff aufgelöst hatte, die Behörde also als jemand, der seine eigenen Interessen verfolgt, gar nicht faßbar war, hielt man für den Streitgegenstand die Rechtmäßigkeit der „Urteilstätigkeit" der Ver33 34

Reform des Verwaltungsrechts, S. 14. Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 60.

II. Das öffentlich-rechtliche Gesetz als Konfliktsentscheidung

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waltung selbst. M a n befindet sich gewissermaßen sofort i m Rechtsmittelverfahren, ohne daß ein Streitfall zugrunde liegt. Es w i r d nicht erkannt, daß die Verwaltung hier i n einer Doppelfunktion tätig wird, als jemand, der seine Ansprüche verfolgt, und dem das Recht zugebilligt ist, das Ausmaß der Ansprüche i n vollstreckbarer Weise zunächst selbst festzusetzen. Dieses Kernproblem der Theorie des subjektiven Rechts w i r d auch von Henke nicht überzeugend gelöst. Henke hat sich die Interessenebene durch den Gedanken der idealen Einheit der privaten und öffentlichen Interessen i m Gesetz selbst abgeschnitten und versucht nun, die materielle Natur des Anspruchs nachzuweisen, den er als Grundlage der Anfechtungsklage annimmt. Nachdem er auf die urteilsähnliche Natur des Verwaltungsaktes hingewiesen hat, die seiner idealen Einheit der Interessen völlig zu entsprechen scheint, kommt Henke zu der Frage, wieso gegenüber Urteilen, die Gesetze verletzen, eigentlich kein materieller Unterlassungsanspruch, sondern nur Rechtsmittel gegeben werden 35 . Er beantwortet die Frage damit, daß ein solcher Unterlassungsanspruch zwar theoretisch möglich wäre, aber eben historisch — bis auf einen F a l l 3 6 — nicht festgestellt werden könnte. Damit löst er aber das Problem nicht. Nach unserer Auffassung müßte die Lösung dahin gehen, daß der Richter ja über Ansprüche entscheidet, und zwar i n allen I n stanzen. Es handelt sich nicht plözlich i n der zweiten Instanz nur noch u m den Anspruch auf Aufhebung eines rechtswidrigen Urteils, sondern dieser Anspruch, sofern man i h n annehmen w i l l , ist allenfalls das Hilfsmittel zur Durchsetzung dessen, was i m zugrunde liegenden Streitfall materiell beansprucht wird. Die Parallele sollte also nicht so durchgezogen werden, daß man den Verwaltungsakt m i t dem Urteil erster Instanz auf eine Stufe stellt, sondern es wäre gerade umgekehrt von dem Streitfall her, über den der Richter entscheidet, zu fragen, worüber denn der Verwaltungsakt entscheidet. Hier fehlt i n der Konzeption Henkes eine ausreichende Analyse der Stellung der Interessen und des Rechts zu diesen Interessen. Damit beraubt Henke sich letztlich selbst der Möglichkeit, überhaupt eine materielle Natur des Anspruchs i m Verwaltungsrecht nachzuweisen. W i r verkennen nun nicht, daß die Identifizierung von Verwaltung und rechtsprechender Tätigkeit selbst einen größeren historischen Hintergrund hat. Wenn man aber damit ernst machen w i l l , daß das Recht über Staatsfunktionen entscheidet, so muß man jedenfalls methodisch auch hier diese beiden Ebenen auseinanderhalten. Es ist durchaus nicht nötig, daß man die Verwaltung zur Durchsetzung ihrer Rechte deshalb an die 35 36

Henke, S. 105.

Als Beispiel nennt Henke, S. 105 die zur Zeit des ersten Deutschen Reiches bestehende Möglichkeit des Untertanen, seinen Landesherrn wegen eines Gerichtsaktes vor dem Gericht des Reiches zu verklagen.

160 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht Gerichte verweist, die gegenteilige Konzeption beruht selbst wieder auf funktionellen Notwendigkeiten, sollte aber nicht dazu führen, daß man i n der Konzeption des subjektiven öffentlichen Rechts jetzt allein auf den Rechtsanwendungsaspekt abstellt und damit, wie w i r meinen, notwendig bei einer prozessualen Auffassung landet. W i r kommen damit zu einer Zweiteilung der Konzeption i n einen Bereich materieller Ansprüche auf Grund Gesetzes einerseits und ein angeschlossenes, prozessual aufgezogenes Rechtsschutzsystem gegen die Durchführung dieser A n sprüche andererseits. Der Funktion nach entsprechen w i r damit Windscheids Zuordnung von Anspruch und Klage eher, als wenn w i r uns wie Henke an dem abgespaltenen Rechtsschutzsystem orientieren w ü r den und hier jeder Klage einen Anspruch entsprechen ließen. Es soll nicht geleugnet werden, daß einzelne Teile des Verwaltungsrechts historisch i n einer Weise ausgebildet sind, daß sich Schwierigkeiten für eine praktische Durchführung dieser Konzeption ergeben. Steht ζ. B. i m Baurecht dem Bauherrn ein materielles Recht auf die Baugenehmigung gegen die Behörde zu oder der Behörde ein materielles Recht auf Einhaltung der Bauvorschriften gegen den Bauherrn? Diese Frage soll i m folgenden noch erörtert werden. Schwierigkeiten, die sich i m einzelnen ergeben, sind jedoch aus der Interessenlage heraus verständlich zu machen. Ohne einen Rahmen, wie w i r i h n hier zu erarbeiten versuchen, würde von vornherein schon jeder Ansatz zur Einordnung und damit schließlich vielleicht auch Lösung der Probleme des subjektiven öffentlichen Rechts fehlen. 3. Weitere Begründung der Trennung von Staatsfunktion und Recht Grundlage der hier entwickelten Konzeption des subjektiven öffentlichen Rechts ist die jedenfalls methodische Trennung von Staatsfunktion und Recht, durch das über das Ausmaß der Staatsfunktion entschieden wird. Diese Trennung widerspricht nicht dem Rechtsstaatsprinzip, sie kann vielmehr durchaus als sein eigentlicher Kern bezeichnet werden. Daß auch der Staat unter dem Recht steht, ist eine Uberzeugung, die älter ist als der idealistische Staatsbegriff, den Henke darstellt und der dann auch die letzte Verankerung der Lehre von Jellinek ist. W i r haben als Beitrag zur Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts nur diese idealistische Überhöhung, die i m Staate schließlich nur noch Souveränität sehen kann, abgeschichtet, um diese Stellung des Rechts zur Verfolgung öffentlicher Interessen durch den Staat dafür u m so deutlicher wieder hervorzuheben. Wenn der Rechtsstaatsgedanke auch zum Ausdruck bringt, daß das Recht über der Staatsfunktion steht und diese an i h m gemessen wird, so

II. Das öffentlich-rechtliche Gesetz als Konfliktsentscheidung

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enthält er doch auch weitere Prinzipien, i n denen festgelegt ist, wie dieses Recht gewonnen werden soll. I m Rahmen unserer Arbeit interessieren diese Prinzipien nicht, da es hier nur auf die Erfassung der Wirkungen des Rechts, nicht auf die A r t seines Zustandekommens ankommt. I m Privatrecht haben w i r den Schwerpunkt der Rechtsgewinnung nicht i n die Richtertätigkeit, sondern i n die Gesetzgebung gelegt und diesen Gedanken noch wieder durch die Annahme eines Fundus juristischer Erfahrung vertieft, welche die Gesetze letztlich auch nur zum Ausdruck bringen. Der Gedanke hat etwas verändert seine Berechtigung auch i m öffentlichen Recht. Die Annahme einer vorausgesetzten Sphäre der Lebensverhältnisse führt auch hier dazu, daß bereits die Gesetzgebung als eigentlicher Schwerpunkt juristischer Arbeit, als Rechtsgewinnung erscheint. Daß die öffentlich-rechtliche Gesetzgebung letztlich i n einem Fundus juristischer Erfahrung ruht, w i l l allerdings auf den ersten Blick nicht so recht einleuchten. Die hohe Variabilität öffentlich-rechtlicher Gesetze führt dazu, daß man hier letztlich nur noch eine Ansammlung von Ad-hoc-Entscheidungen zu sehen vermag. Der Eindruck täuscht jedoch. Was w i r i m Zivilrecht als juristische Erfahrung gekennzeichnet hatten, stellt sich hier nur unter einem anderen Namen dar, es kann als Regierungskunst bezeichnet werden. Man darf sich durch das Schema der Gewaltenteilung den Blick darauf, was hier eigentlich passiert, nicht verstellen lassen. Die Kunst der maßvollen Entscheidung, der Abwägung, der Befriedung w i r d hier auf beide Seiten des Wirtschaftsgefüges bezogen ebenso geübt, wie es i m Bereich des Privatrechts der Jurist i m überkommenen Verständnis tut. Was w i r hier meinen, w i r d noch klarer, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die altständischen Parlamente als Gerichte aufgefaßt wurden und daß m i t dieser Charakterisierung ihre Rechtsgewinnungsfunktion sehr viel deutlicher zum Ausdruck kam als auf Grund des uns heute geläufigen Schemas, welches Gesetzgebung und Rechtsprechung i n eine Antithese bringt und i m übrigen i n der Gesetzgebung vor allem eine Erscheinungsweise des Volkswillens sieht 3 7 . Georg Jellinek hat das Zusammenfließen von Souveränität und Recht i n seinem Staatsbegriff durch den Gedanken der Selbstbindung des Staates an das Recht wieder abzugleichen versucht 38 . Der Gedanke ist letztlich der Kantschen Philosophie entlehnt, i n der die sittliche Persönlichkeit sich an selbstgegebene Gesetze zu binden vermag. Seine Anwendung auf den Staat ist Konstruktion, aber für Jellinek eine erforderliche 37 Hayek , Freiburger Studien, S. 204, w i l l die öffentlich-rechtliche Gesetzgebung einem Senat der Weisen anvertrauen. Er betont damit i n ähnlicher Weise die sachliche Funktion i m Sinne einer Regierungskunst. Unter diesem Aspekt würden sich Wahlen zu einem heutigen Parlament als Modus der Richterbestellung darstellen. Ausführliches Referat der modernen Literatur zu diesen Fragen bei Wiethölter, Privatrecht als Gesellschaftstheorie? i n : Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, S. 645 ff. 38 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 367 ff. 11

Schapp

162 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht Konstruktion, w e i l er sonst nicht erklären könnte, w a r u m der souveräne Staat an das gesetzte Recht überhaupt sollte gebunden sein. Otto Mayer hat ausgeführt 39 , daß die eigentliche Lösung des Rätsels nicht i n der Selbstbindung des Staates liege, sondern i n der Idee der Gewaltenteilung, nach der der Staat als Verwaltung an das gebunden ist, was der Staat als Gesetzgeber für Recht erklärt. Indem Otto Mayer Jellineks Gedanken auf die Idee der Gewaltenteilung bezieht, deckt er i n der Tat den eigentlichen Ort des Problems auf. N u r ist die Idee der Gewaltenteilung selbst wieder mehrschichtig, so daß dieser Gedanke noch einer weiteren Ausführung bedarf. Jellinek selbst hat darauf hingewiesen, daß i n der Staatsrechtslehre die Lehre von den unterschiedlichen staatlichen Funktionen Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechung ursprünglich nicht abstrakt aus einer einheitlichen Idee deduziert worden ist, sondern sich zunächst als Beschreibung sachlich voneinander unterscheidbarer A u f gabenverfolgung durch den Staat darstellte, geleitet von der Uberzeugung, daß der Scheidung von Organen und Formen auch ein sachlich begründeter Unterschied als Basis dienen müsse 40 . Erst Montesquieu tut den — für Jellinek — entscheidenden Schritt, indem er nicht nur die objektiven Staatsfunktionen gemäß den bestehenden Einrichtungen unterschied, sondern diese auch unter voneinander getrennte Organe verteilt wissen wollte 4 1 . Damit ist der freiheitssichernde Charakter der Trennung erkannt 4 2 . Diese Vorstellung bestimmt seitdem unser B i l d der Gewaltenteilung. Uns scheint das, was Jellinek als sachliche Grundlage der Unterscheidung beschreibt, für unsere Unterscheidung von I n teressen und Entscheidung des Rechts über die Interessenkonflikte bedeutsamer als die Lehre Montesquieus, die ja auch erst auf der Grundlage dieser sachlichen Unterscheidung die Bedeutung der Trennung — als einen Aspekt der Staatsorganisation — herausarbeitet. Der Staat ist an das Recht auf Grund funktioneller Notwendigkeit gebunden, die sich wieder aus dem vorausgesetzten Gesamtsystem herleitet, nicht auf Grund einer verfassungsrechtlichen Folgerung aus dem Prinzip der Gewaltentrennung. Die vorgetragene Auffassung des subjektiven öffentlichen Rechts stellt eine Fortführung unserer bereits für die zivilrechtliche Seite entwickelten Rechtsstruktur dar. Sie ermöglicht vor allem eine Einordnung der „voridealistischen" und der idealistischen Rechtsauffassung i m öffentlichen Recht i n eine einheitliche Konzeption. Die heutigen Darstellungen des öffentlichen Rechts vermitteln zum Teil den Eindruck, als ob der Zustand gegeneinander gerichteter Rechtspositionen des Landesherrn und 39

40 41

Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 78.

Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 596. Montesquieu, Über den Geist der Gesetze, X I . Buch, 6. Kapitel, vgl. dazu

Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 603. 42

Vgl. dazu auch Ermacora, Allgemeine Staatslehre, S. 612.

II. Das öffentlich-rechtliche Gesetz als Konfliktsentscheidung

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des Untertanen eigentlich noch kein Rechtszustand gewesen sei. Für die Zeit des Absolutismus w i r d das weitgehende Fehlen des öffentlichen Rechts betont, dann aber auch wieder hervorgehoben, daß diese Lücke, die sich dem Rechtsgefühl auftat, durch das Eindringen der Zivilrechtspflege i n das öffentliche Recht ausgefüllt worden sei 43 . Henke 4 4 spricht davon, daß m i t dem Wandel i m Verhältnis von Staat und einzelnem die Verkleidung der Positionen Souveränität und Freiheit i n subjektive Rechte abgeworfen worden sei. A n anderer Stelle trägt er die Auffassung vor, daß dem theoretischen Wandel von einem Gegeneinander subjektiver Rechte zu einem Antagonismus von natürlicher Freiheit und staatlicher Gewalt auch eine konkrete Veränderung der rechtlichen Wirklichkeit gefolgt sei 45 . Diese Auffassungen überschätzen die Bedeutung des neuen Staatsbegriffs für den praktischen Rechtszustand selbst. Auch die Deutung der landesherrlichen Rechte als subjektiver Rechte oder das Praktizieren von Zivilrechtsschutz i m öffentlichen Bereich unterstellt diesen Bereich dem Recht. Die Frage ist allenfalls, wie wirksam diese Rechtskonzeptionen gewesen sind. Diese Frage muß aber nach den A n forderungen der jeweiligen Zeit beurteilt werden, und hier verliert sie sich i n der historischen Dimension. Die Auffassung Henkes, daß m i t dem theoretischen Wandel die subjektiven Rechte endlich ihre Verkleidung abgeworfen hätten und nun als Souveränität und Freiheit erschienen seien, billigt dieser Konzeption einen höheren Wahrheitsgehalt zu und ist i m eigentlichen Grunde unhistorisch. Für uns stellt sich dieser theoretische Wandel gerade als eine idealistische Überhöhung des Staatsbegriffs dar, die an der zugrunde liegenden Funktion des Rechts und damit an der gleichbleibenden Struktur des Rechts i m öffentlichen Bereich wenig ändern konnte. I m Grunde liegt hier nur eine weitere Auswirkung der i n der Aufklärung begründeten Freiheitsphilosophie vor, deren Bedeutung für die Konzeption des Privatrechts i m Vorhergehenden, vor allem bei der Auseinandersetzung m i t Coing, schon gewürdigt wurde. Ebensowenig wie die subjektiven Privatrechte nun plötzlich Freiheit waren, erhielt die staatliche Aufgabenverfolgung durch den Souveränitätsgedanken eine andere Qualität. W i r unterlaufen also i m öffentlichen Recht diese neue Deutung des Staates ebenso wie die Auswirkung der Freiheitsphilosophie auf den Begriff des subjektiven privaten Rechts durch die Annahme einer gleichbleibenden Funktion des Rechts. Die eigentliche Aufgabe liegt dann darin, diese gleichgebliebene Funktion des Rechts aus dem Gewand dieser Deutung zu befreien. Die Unterstellung des Staates unter das Recht ist letztlich ein wesentliches Moment des von uns beschriebenen Wirtschaftssystems, da ohne 43 44 45

Ii·

So Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 47. aaO, S. 19. aaO, S. 14,15.

164 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht eine solche Unterstellung eine auf Privateigentum bezogene Staatsfunktion kaum denkbar wäre. Die Abgrenzung, die nur durch das Recht geleistet werden kann, ist Voraussetzung dafür, daß der Staat die von i h m geforderten Leistungen für dieses System erbringen kann. Die Unterstellung des Staates unter das Recht ist also vom Gesamtsystem her gesehen nicht nur ein zufälliger Aspekt. Deshalb führt es auch zu einer verengten Sicht, sie allein aus dem Begriff des Staates (Selbstbindung) öder dem Prinzip der Gewaltentrennung herleiten zu wollen. 4. Zu Georg Jellinek, Rupp und Henke im einzelnen Die Problematik des subjektiven öffentlichen Rechts, mit der w i r uns bisher auseinandergesetzt haben, wurde unter I dieses Kapitels anhand der Lehren von Georg Jellinek, Rupp und Henke entwickelt. Es soll i m folgenden noch auf einige Gedanken dieser Forscher eingegangen werden, mit denen eine ausreichende Auseinandersetzung bisher noch nicht erfolgt ist. Was den grundlegenden Ansatz von Jellinek betrifft, so führen w i r seine Anknüpfung an die Konzeption des subjektiven privaten Rechts folgerichtig durch, wobei w i r allerdings nicht von einer Schlagwortformulierung der Kombinationstheorie ausgehen, sondern von unserem Strukturbegriff des subjektiven Rechts, wie er insbesondere i m Hinblick auf das Privatrecht entwickelt wurde. Jellineks Anknüpfung an die Willensmacht der Kombinationsformel führt ihn, wie schon ausgeführt wurde, i n Wirklichkeit zur Willensmacht des Staates und damit dem Schwerpunkt nach zur Unterworfenheit des Bürgers. Die Beziehimg zu den Interessen geht dabei verloren. Eine Substanz, die der Bürger dem entgegensetzen könnte, w i r d von Jellinek abgelehnt. Wenn Jellinek auch nach den subjektiven Rechten des Bürgers gefragt hatte, so entspricht diese Frontverkehrung doch den vorgegebenen Verhältnissen. A l l e r dings sieht man, daß die Kombinationsformel auch i m öffentlichen Recht nur äußerlich bleibt, die eigentliche Substanz der staatlichen Position w i r d wieder i m Willen gesehen, nicht i n den Interessen, wie man hier mit Jhering einwenden könnte. Wenn man die staatliche Willensherrschaft i n die Interessen auflöst, und auf diese öffentlichen Interessen dann das Gesetz als Konfliktsentscheidung i m Sinne der hier durchgeführten Strukturuntersuchung bezieht, kommt man zu dem subjektiven öffentlichen Recht des Staates i m Sinne der vorstehenden Ausführungen. Das willenstheoretische Konzept läßt sich also i m öffentlichen Recht ebenso durch vergleichbare Umstellungen i n Richtung auf unser Ergebnis modifizieren. Einer der tieferen Gründe für Rupps Konzeption des subjektiven öffentlichen Rechts ist wohl seine Empfindlichkeit gegenüber dem

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„Fascinosum" Eigentum 4 6 , gegenüber dem zivilrechtlichen Rechtsgutdenken, i n denen er den letzten Ausdruck einer naturrechtlichen Konzeption sieht. W i r haben schon bei der Auseinandersetzung m i t Bucher darauf hingewiesen, daß uns das auch ein wichtiger Grund für die distanzierte Haltung gegenüber dem Eigentumsbegriff bei der normativen Schule des Privatrechts zu sein scheint. Der eigentliche gedankliche A n satz von Rupp liegt darin, daß Zivilrecht und öffentliches Recht unterschiedliche Spannungsverhältnisse aufweisen und aus diesem Grunde schon das zivilrechtliche Rechtsgutdenken nicht ins öffentliche Recht übertragen werden kann. Eine solche Übertragung sieht Rupp darin, daß eine populäre juristische Vorstellung den status libertatis m i t zivilrechtlichen Rechtspositionen auffüllt, und das Gesetz dann hierin eingreifen läßt. Ein Hauptgedanke der vorliegenden Untersuchung ist es, den Eigentumsbegriff als wirtschaftlichen Begriff darzutun und i h n gewissermaßen vor die Klammer sowohl des Privatrechts wie des öffentlichen Rechts zu ziehen. Die Vorstellung, daß es sich bei Eigentum u m ein privates subjektives Recht oder auch nur um ein privatrechtliches Institut handelt, macht es i n der Tat schwer vorstellbar, wie sich das öffentliche Recht auf dieses privatrechtliche Institut sollte beziehen können. Bei dieser Auffassung des Eigentums ist die rechtliche Regelung ja per definitionem durch das Privatrecht erfolgt, das öffentliche Recht müßte also i n einen Rechtskreis eingreifen, i n dem es keine Kompetenz hat. W i r haben durch unsere methodische Unterscheidung von Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne und Anspruch i m juristisch-technischen Sinne diese Schwierigkeiten bereits für den Wirkungsbereich des Privatrechts ausgeräumt und uns durch diese methodische Unterscheidung gerade auch ein Regelungsfeld für das öffentliche Recht erhalten. Dieser Ansatz hat nun auch zur Folge, daß w i r kein Eigentum i m öffentlich-rechtlichen Sinne kennen, wie Rupp es als Lösung seines Problems vorschlägt 47 . Diese Verdoppelung des Eigentumsbegriffs würde dem Recht auch die letzte Evidenz nehmen, worüber es denn nun eigentlich handelt. Unterschiedliche Eigentumsbegriffe könnten auch nicht mit unterschiedlichen Spannungsbeziehungen beider Rechtsgebiete begründet werden. I n unserer Sicht kann man von unterschiedlichen Spannungen allenfalls i m Hinblick auf die Interessenebene sprechen, das Verhältnis der beider· seitigen Gesetze zu den vorgelagerten Interessen oder die Natur dieser Gesetze selbst geben keinen Anlaß zur Annahme unterschiedlicher Spannungen. So fallen auch nicht i n der ganz anderen Umwelt des öffentlichen Rechts jene vom Rechtsgutdenken eingeschwemmten Rechtsgüter, w e i l sie aus ihrem Wurzelgrund gerissen sind, i n sich zusammen, wenn sie i n die ganz anders dimensionierte Dynamik des öffentlichen Rechts geraten 48 . Die Dynamik ist vielmehr eine Frage der beiderseitigen 46 47

Grundfragen, S. 235. Grundfragen, S. 241.

166 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht Interessen und diese sind i n einem System aufeinander bezogen, so daß hier die Vorstellung der Übertragung des einen i n das andere an sich schon unmöglich ist. Innerhalb dieses Systems hat aber der Begriff des Rechtsgutes durchaus seinen Platz, und zwar auch auf der Seite, auf die sich das öffentliche Recht bezieht, sofern man nämlich unter Rechtsgut hier Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne verstehen w i l l . W i r beschränken uns hier auf den einfachen Hinweis, daß der Staat auf Grund der Steuerpflicht über die knappe Hälfte des Bruttosozialprodukts verfügt, und daß diese Verfügungsmasse sicher Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne darstellt, so wie w i r den Begriff i n dieser Arbeit entwickelt haben. Die populäre juristische Auffassung, die den status libertatis m i t den Rechtspositionen des Privatrechts auffüllt, trägt nach unserer Auffassung, wenn auch unterbewußt, dem eigentlichen Sachverhalt sehr viel besser Rechnung als die Vergeistigung dieses status, die i n der heutigen öffentlich-rechtlichen Theorie der Ausgangspunkt der meisten Konzeptionen ist. Grundlage der „populär-juristischen" Vorstellung ist nach unserer Auffassung das Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne, nicht irgendein Rechtsbegriff des Eigentums. I m Hinblick auf dieses Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne hat es auch Sinn, davon zu sprechen, daß der Staat i n dieses Eigentum eingreift. Historisch war der Eingriff i n Eigentum die staatliche Steuererhebung 49 , also wirtschaftlich gesehen die Verlagerung von Vermögen vom Bürger auf den Staat. Wenn man den Eingriff i n Eigentum i n diesem Sinne als wirtschaftlich verständlichen Vorgang der Interessenebene sieht, entfällt jeder Vorbehalt gegen die von Rupp kritisierte Anfüllung des status libertatis m i t diesen Positionen. Nicht nur der Begriff des Eigentums ist ein wirtschaftlicher, sondern auch der Begriff des Eingriffs, sofern man ihn konkret auf den gemeinten wirtschaftlichen Vorgang bezieht. Die Umbildung der Formel vom Eingriff i n Freiheit und Eigentum bis hin zu dem Gedanken der Individualisierung eines status libertatis bei Rupp ist historisch gesehen nur die Konsequenz des modernen Staatsbegriffs, der sich für Henke als ideale Einheit der privaten und öffentlichen Interessen i m öffentlich-rechtlichen Gesetz zeigt. Es hätte doch zu denken geben müssen, daß der Ausdruck Eigentum i n der neuen Formel (Individualisierung eines status) nicht mehr vorkommt, sondern diese m i t ihrem Begriff des status nur noch eine unkonturierte Freiheit bezeichnet. Entsprechend wandelt sich der Begriff des Eingriffs, der i m Hinblick auf Eigentum den wirtschaftlichen Sinn der Steuererhebung (und i m Hinblick auf Freiheit die Bedeutung der Verhaftung) 5 0 hatte zu 48

So Rupp, Grundfragen, S. 233. Vgl. Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, S. 92,105. 50 Vgl. dazu Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, S. 103, 104. S. 126: Aus diesem Begriff der „Freiheit der Person" sei der Begriff der Gesamtfreiheit konstruiert worden. 49

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dem Gedanken der Individualisierung oder Konturierung. Der Gedanke der Individualisierung eines Freiheitsstatus ist damit schließlich nur noch eine Umschreibung für die Entstehung von Recht ohne weiteren feststellbaren Gehalt, er vermag allenfalls wegen seines Bezugs auf einen formal bleibenden Begriff der Freiheit noch die Abgrenzungsfunktion des Rechtes zum Ausdruck zu bringen. Die juristische Bedeutung der Formel vom Eingriff i n Freiheit und Eigentum lag darin, daß für diese Eingriffe die Zustimmung des Parlaments i n Gesetzesform verlangt wurde 5 1 . Die Formel beschrieb damit gerade den wirtschaftlichen Sachverhalt, auf den sich das Gesetz beziehen sollte. Die hier verfolgte ZweiEbenen-Unterscheidung war zentraler Bestandteil des juristischen Zusammenhangs, i n dem diese Formel verwendet wurde. Diese Bedeutung entfällt i n dem Rahmen, i n dem Rupp die fortgebildete Formel verwendet. Es werden nicht mehr Gesetze für die Individualisierung eines Freiheitsstatus gefordert, sondern dieser Begriff hat sich zu einer V o r stellung darüber gewandelt, welche Wirkungen Gesetze ihrerseits haben. Die alte Formel schritt vom Eigentum zum Gesetz fort und dachte sich diese Beziehung funktional als Schutz des Eigentums, die neue Formel denkt von der W i r k u n g des Gesetzes her, die Beziehung auf das Eigent u m w i r d überflüssig 52 . M i t der Individualisierungslehre bei Rupp geht also endgültig, und von Rupp bewußt angestrebt, die Verbindung zu dem Begriff des Eigentums verloren. Die A r t , wie Rupp den Gedanken durchführt, führt dann aber weiter auch zu beträchtlichen Unklarheiten bei der Konzeption des subjektiven öffentlichen Rechts i m Eingriffsbereich, die Rupp j a m i t dieser 51

Vgl. dazu Jesch, aaO, S. 105. Die Vergeistigung des Zusammenhanges, der m i t der Formel des „ E i n griffs i n Freiheit und Eigentum" angesprochen war, zu dem Schema unbeschränkter allgemeiner Freiheit und ihrer Einschränkung durch das Gesetz läßt sich vor allem i m Werk von Jesch, „Gesetz und Verwaltung", aufzeigen. Jesch, aaO, S. 125, spricht von einem Fortschreiten der geschichtlichen Entwicklung vom Besonderen zum Allgemeinen, von den vereinzelten Grundrechten zum allgemeinen Freiheitsgedanken. Georg Jellinek habe diesen Komplex als status libertatis bezeichnet und hervorgehoben, daß „er ein durchaus einheitlicher ist und nicht etwa aus einer gesonderten Anzahl von Rechten besteht" (Jesch, S. 125, 126 unter Hinweis auf Jellinek, System, S. 111). Von hier aus ist die nachträgliche Einbeziehung historisch gewachsener Einzelrechte i n den nunmehr entdeckten allgemeinen Freiheitsstatus der einzige Weg einer Verarbeitung der Historie i m Hinblick auf die neuen Erkenntnisse. (Vgl. Jesch, S. 125, der ausdrücklich von einer systematisch folgerichtigen Rückbeziehung spricht; ähnlich auch Henke m i t seinem Gedanken der Verkleidung von Souveränität und Freiheit i n subjektive Rechte, vgl. oben unter 3.). Von der neuen Plattform aus kann offenbar die Bedeutung dieses systematischen Schrittes selbst nicht mehr analysiert werden, vor allem ist nicht mehr erkennbar, welche Gehalte man eigentlich m i t dem Austausch der Begriffe Eigentum und Freiheit aufgegeben hat. Jesch kommt hier zu folgender Formulierung: Die Eigentumsformel habe von Anfang an (also seit Locke) die einheitliche Individualsphäre richtig nach ihren dinglichen K r i t e rien beschrieben (aaO, S. 126). 52

168 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht Lehre fundieren w i l l . Jellinek hatte noch den status passivus als den status der Unterwerfung von dem status libertatis als einer das Imperium verneinenden Sphäre unterschieden 53 . I n der individuellen Pflichtsphäre des status passivus war bei Jellinek die Selbstbestimmung und daher die Persönlichkeit ausgeschlossen, während der status libertatis gerade zum Ausdruck brachte, daß die staatliche Herrschaft eine solche über nicht allseitig Subjizierte, d. h. über Freie war 5 4 . Jellinek gerät m i t dieser Beschreibung des status libertatis für das öffentliche Recht allerdings zu seiner eigenen Argumentation i n Widerspruch, daß die Rechtsordnung i m öffentlichen Recht nur ein Wollenkönnen verleihe, dem kein Wollendürfen zugrunde liegt. Dieses Problem ist bei Jellinek i m Verhältnis von status passivus und status libertatis nicht aufgelöst, der Schwerpunkt seines Systems liegt i n der Unterworfenheit, und der Gedanke der Begrenzung, der durch den status libertatis formuliert wird, erscheint wie i m Staatsbegriff mehr von außen herangetragen. Dieses Problem kompliziert sich bei Rupp noch weiter. Rupp nimmt als Rechtsboden subjektiver Reaktionsrechte nur einen einheitlichen status an. Er knüpft dabei ausdrücklich an den status libertatis Jellineks an und bezeichnet diesen als Boden für die Reaktionsrechte i n seinem Sinne 55 . Diesem einen status kommen dann aber offenbar bei Rupp mehrere Funktionen zu, so daß sich i m Ergebnis kein klares B i l d bietet. Die Bezeichnung als Freiheitsstatus 56 weist darauf hin, daß ein status gesucht wird, der dem Zustand freien Dürfens i m Sinne bürgerlichen Eigentums auf öffentlich-rechtlicher Ebene verglichen werden kann 5 7 . Wenn dann aber doch offenbar der Gedanke vertreten wird, daß das öffentlich-rechtliche Gesetz diesen status zu Pflichten individualisiert, aus i h m Pflichten herausprägt 58 , so muß hier der Einwand erlaubt sein, daß ein Freiheitsstatus als Stoff einer Individualisierung von Pflichten ein Widerspruch i n sich ist. Es sind ja nicht die Pflichten des Staates, die das Ergebnis dieser Individualisierung sind, sondern gerade die Pflichten des Bürgers, denen nach unserer Auffassung Rechte des Staates entsprechen. Der Gedanke der Pflicht des Bürgers und des Freiheitsstatus lassen sich aber nicht aufeinander beziehen. Nicht zufällig hatte Jellinek den status passivus als Pflichtstatus vom status libertatis als status der Begrenzung der staatlichen Macht unterschieden. Das Dürfen i m status libertatis kann nicht zur Pflicht umgeprägt werden, es ist bei konsequenter Durchführung des Gedankens 53

System, S. 86, 87. System, S. 87. 55 Grundfragen, S. 161. 56 So zum Beispiel Grundfragen, S. 223. 57 So auch Grundfragen, S. 222. 58 Ganz k l a r w i r d allerdings nicht, welches Verhältnis Rupp zwischen I n d i vidualisierung des Freiheitsstatus u n d Pflichtentstehung durch die N o r m ann i m m t . Wenn m a n beides gleichsetzt, was Rupp j a w o h l tut, dann ist n u r diese Beziehung möglich. 54

II. Das öffentlich-rechtliche Gesetz als Konfliktsentscheidung

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nur die Formulierung des Gedankens der Freiheit von ungesetzlichem Zwang, also des Abwehrrechtes selbst. Aus der Doppeldeutigkeit der ersten von Rupp angenommenen Stufe des Rechtsbodens subjektiver Reaktionsrechte ergeben sich dann entsprechende Schwierigkeiten für die zweite Stufe der Reaktiönsnorm und des Reaktionsanspruches selbst. Einmal geht Rupp davon aus, daß die Verletzung eines status nur Anspruchselement desjenigen Rechtssatzes ist, der dem einzelnen bei Verletzung seines Freiheitsstatus einen A b wehranspruch gegenüber der Verwaltung gewährt 5 9 . Das ist die Funktion des Jellinekschen status libertatis selbst, die Rupp hier zugrunde legt. Was hier als Verletzung des status bezeichnet wird, ist bei Henke Verfehlung des Gesetzes oder ganz allgemein formuliert Gesetzesüberschreitung durch die Verwaltung. Dann aber nimmt Rupp offenbar an, daß die Gesetzwidrigkeit hoheitlichen Handelns i m Hinblick auf die durch die Rechtsnorm des öffentlichen Rechts statuierten eigenständigen Rechtspflichten zu beantworten ist 6 0 . Diese Pflichten sind aber — da w i r uns i m Eingriffsbereich befinden — gerade die Pflichten des Bürgers gegenüber der Verwaltung, deren Nichterfüllung natürlich als Pflichtverletzung dem Bürger keine irgendwie gearteten Abwehransprüche geben kann. A u f Grund der Pflichten, die sich aus der Individualisierung des status bei Rupp ergeben, kann die Rechtmäßigkeit hoheitlichen Handelns gerade nicht beurteilt werden. Auch bei Rupp bleibt von der Behörde her gesehen nur die Pflicht zu gesetzmäßigem Handeln, und auf der Gegenseite die Statusformulierung i m Hinblick auf eine Überschreitung dieser Pflicht. Die individualisierte Pflichtbeziehung, die Rupp diesem Gedanken vorschalten w i l l , bleibt zu i h m ohne innere Beziehung, w e i l Rupp das einzig mögliche Verbindungsglied, den Gedanken des Rechtes des Staates, nicht ausarbeitet. Wenn man dieses „Mittelglied" einbezieht, so könnte man dahin formulieren, daß die öffentlich-rechtlichen Gesetze i m Eingriffsbereich subjektive Rechte des Staates anerkennen, daß das unberechtigte Inanspruchnehmen solcher subjektiver Rechte durch den Staat zu einem prozessualen Abwehrverfahren seitens des Bürgers führt und daß diesen Rechten Pflichten des Bürgers entsprechen, deren Verletzung aber nicht vom Bürger, sondern gerade vom Staat durch Verfolgung seiner Rechte unterbunden wird. Rupp visiert m i t dem Gedanken des Rechtsbodens für subjektive Reaktionsrechte an sich die von uns angenommene materielle Anspruchsebene durchaus an. Er löst dann aber auf Grund der Vergeistigung des alten Gedankens vom Eingriff i n Freiheit und Eigentum zu einem öffentlichrechtlichen, nur durch das Gesetz individualisierten status die Beziehung zu einem noch anschaulich faßbaren Begriff des Eigentums. Die einzig 59 eo

Grundfragen, S. 249. Grundfragen, S. 231, 232.

170 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht materielle Beziehung, die er jetzt i n Händen behält, ist für diese Ebene der Gedanke der Pflicht, die durchaus i n einem materiellen Sinne verstanden wird. Die Beschränkung auf eine einseitige Pflichtenkonzeption w i r d damit begründet, daß die Norm eben nur diese W i r k u n g haben kann. Daß diese Pflicht hier nur die Pflicht des Bürgers sein kann und entsprechend das Recht des Staates, w i r d von hier aus nicht mehr deutlich gemacht. Nach unserer Auffassung zeigt sich hier die Grenze des normativen Ansatzes, auf die w i r entsprechend schon i m Rahmen der p r i vatrechtlichen Untersuchung hingewiesen haben. Ganz i m Unterschied zu dieser Konzeption Rupps geht Henke von dem Gedanken des materiellrechtlichen Anspruchs aus und legt hier den Akzent eindeutig auf die Berechtigungsseite, wenn er i n diesem Zusammenhang die Formel von Donellus zitiert, das subjektive Recht sei dasjenige, „quod nostrum est" 6 1 . Was hätte nun näher gelegen, als diesen Anspruch i n der materiellen Ebene zu suchen, i n welcher Rupp nur Pflichten feststellen konnte? Hier akzeptiert Henke aber die von i h m selbst so eindringlich ausgearbeitete Auffassung, daß das öffentlich-rechtliche Gesetz private und öffentliche Interessen zu einer idealen Einheit verschmilzt. So kann er nur zu der Auffassung kommen, daß jede Anerkennung eines individuellen Rechts den idealen Ausgleich der Interessen i m Staate stören würde 6 2 . Er behält damit als einziges Instrument der von i h m beabsichtigten A n spruchskonzeption das Gesetzmäßigkeitsprinzip und den Gedanken seiner Überschreitung oder Verfehlung i n Händen. Von seinem Gesetzesbegriff aus kann Henke diesen Verfahrensabschnitt der gerichtlichen Überprüfung des Verwaltungshandelns nicht mehr i m Hinblick auf die eigentlich vorgelagerten materiellen Interessen relativieren und damit dessen i m wesentlichen prozessuale Bedeutung erkennen. Der Grundgedanke Henkes, die Anknüpfung an Windscheids Anspruchsbegriff, ist i n der Tat ein ganz entscheidender Ansatz zur Bewältigung der Probleme des subjektiven öffentlichen Rechts. Dieser Ansatz ist aber solange nicht praktikabel, wie nicht feststeht, w o r i n denn eigentlich nun genau der Fortschritt lag, den Windscheid m i t seinem Anspruchsbegriff gegenüber dem römischrechtlichen Aktionendenken erzielte. Für uns liegt die Bedeutung dieses Schrittes Windscheids darin, daß der Anspruchsbegriff selbst wirtschaftlicher Natur ist, ein Strukturteil des dem Gesetz vorgelagerten Wirtschaf tsgefüges darstellt und i n dieser Bedeutung einen A n knüpfungspunkt für die Rechtsentscheidung gibt. Es genügt also nicht, wenn man sich durch den Anspruchsbegriff von einem prozessualen Rechtsmittelkonzept nur abwendet, es muß auch der volle Übergang zu den materiellen Interessen vollzogen werden, die sich auf der Interessenebene als Anspruch darstellen. A n diesem Übergang werden sowohl 61 82

Henì ce, S. 4. Henke, S. 31.

III. Verschiedene Arten von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen

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Rupp wie Henke durch den überkommenen Gesetzesbegriff gehindert. Dieser „positivistisch-idealistische" Gesetzesbegriff ist wohl der letzte Grund dafür, daß Rupp sich auf der an sich materiellen Ebene nur auf eine Pflichtenkonzeption beschränkt, während Henke zwar für die prozessuale Ebene den Gedanken des materiellen Rechts verfolgt, ihn aber hier überzeugend auch nicht nachweisen kann, weil er sich durch eben diesen Gesetzesbegriff den Durchgriff auf die Interessenebene selbst verwehrt. I I I . Verschiedene Arten von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen im einzelnen 1. Auch der öffentlich-rechtliche ist nur Strukturteil

Anspruch

Der Auffassung Henkes, daß die Anerkennung eines individuellen Rechts auf Grund des öffentlich-rechtlichen Gesetzes den idealen Ausgleich der Interessen i m Staate stören würde, liegt eine tiefverwurzelte Anschauung über die Funktion des Gesetzes überhaupt zugrunde. Gesetzgebung w i r d als Befriedung einander widerstreitender Interessen, als Erzielung eines Ausgleichs zwischen ihnen aufgefaßt. Dem entspricht es dann, wenn man die Tätigkeit des Gesetzgebers als eine Abwägung gegeneinanderstehender Interessen, als Güterabwägung bezeichnet. Das ist zum Beispiel auch die Charakterisierung, mit der Häberle i n seiner Institutionenlehre die Funktion der Gesetzgebung zu fassen versucht 63 . M i t dieser Auffassung w i r d nun i n der Tat ein wichtiges Element der Gesetzgebung erfaßt, aber doch nicht das entscheidende. M i t dem Worte Abwägung läßt sich der der gesetzgeberischen Entscheidung vorausgehende Bewertungs- und Klärungsprozeß zutreffend bezeichnen. Aber das Recht w i r d letztlich effektiv dadurch, daß am Ende dieses Abwägungsprozesses die Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Seite steht, d. h. also nach unserer Auffassung, daß ein Anspruch entweder gegeben oder verneint oder i n modifizierter Weise gegeben wird. Hinsichtlich dieses Anspruches folgt das Gesetz der Struktur der Lebensverhältnisse, deren Zusammenhang es zwar klären und fortbilden kann, den es aber durch seine Entscheidung nicht begründet. Die Kraftlinien i n diesen Lebensverhältnissen werden durch Absetzung voneinander i m Hinblick auf ihre funktionelle Bedeutung für das Gesamtsystem gesichert, jede Verschmelzung der Interessen würde das Gefüge als solches funktionsunfähig machen. Die Begriffe des Ausgleichs, der Verschmelzung, der Güterabwägung bezeichnen also die Abgrenzungs- und Konfliktsentscheidungsfunktion des Gesetzes selbst nicht, auf die es uns zur Erfassung 63

Vgl. zu Häberle 8. Kapitel, II.

172 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht des Begriffs des subjektiven Rechts i m rechtstechnischen Sinne entscheidend ankommt. Diesen methodischen Ansatz unserer Arbeit muß man sich noch einmal eindringlich vor Augen führen, um die Reserve gegenüber dem Gedanken abzubauen, daß das öffentlich-rechtliche Gesetz i m Eingriffsbereich zwar die privaten und öffentlichen Interessen gegeneinander abwägt, dann aber zugunsten des Staates entscheidet. Es sind tatsächlich Ansprüche, die dem Staat hier zuerkannt werden, der Begriff des Ausgleichs kann methodisch auf die A r t und Weise, wie das öffentlich-rechtliche Gesetz effektiv wird, nicht bezogen werden. Diese Ansprüche des Staates gegen den Bürger und des Bürgers gegen den Staat bilden nun ebensowenig ein System wie die Ansprüche der Privaten untereinander i m Zivilrecht. Sie sind genauso wie die zivilrechtlichen Ansprüche zunächst nur Strukturteile des vorausgesetzten W i r t schaftsgefüges, die auf Grund der Spannungsbeziehungen i n diesem W i r t schaftsgefüge individualisiert werden. Auch i m Privatrecht kann zum Beispiel ein systematischer Zusammenhang zwischen dem Anspruch auf Aufwendungsersatz des Beauftragten und dem Anspruch auf Schadensersatz für eine Sachbeschädigung nicht hergestellt werden. Es ist der Sinnzusammenhang der unterschiedlichen Lebensverhältnisse Auftrag und Vermögensverletzung, der hier jeweils eine Vermögensverschiebung erforderlich werden läßt, die w i r als Anspruch i m wirtschaftlichen Sinne aufgefaßt haben, der durch das Recht nur anerkannt wird. Der methodische Wert unserer Annahme eines Wirtschaftsgefüges liegt ja gerade darin, daß sich i n i h m Ansprüche i m wirtschaftlichen Sinne individualisieren lassen, ohne daß die Gesamtheit dieser Ansprüche das System selbst darstellt. Ein geschlossenes System dieser Ansprüche wäre allenfalls als geistiges, nicht als funktionales System möglich. Diese Systematisierung — wie auch immer man sie sich vorstellen mag — hätte all die Einbußen an Gehalt zur Folge, die dieser Denkansatz mit sich bringt. Ein Beispiel für ein solches geistiges. System, allerdings nicht der A n sprüche, sondern der Pflichten, ist Rupps Individualisierungslehre, die von vornherein auf den Durchgriff auf vorgeordnete Interessen verzichtet, weil sie i m Sinne des verfolgten Systembegriffs als nicht systematisierbar erscheinen. Henke bezeichnet seine Unterscheidung von gesetzlichen Unterlassungsansprüchen und gesetzlichen Leistungsansprüchen als System der subjektiven öffentlichen Rechte 64 . Da er nach unserer Auffassung den materiellen Charakter der Unterlassungsansprüche i m Gegensatz zu dem materiellen Charakter der Leistungsansprüche, der auf der Hand liegt, nicht ausreichend deutlich machen kann, bleibt dieser Systembegriff zweifelhaft. Es wäre Begriff s jurisprudenz, wollte man annehmen, daß 64

aaO, S. 94.

III. Verschiedene Arten von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen

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allein ein „Ergänzungs Verhältnis" der Begriffe „Unterlassung" und „ L e i stung" zueinander schon den Zusammenhang eines Systems stiftete. I m Sinne des hier erarbeiteten Ansatzes bringt diese Unterscheidung nur die unterschiedliche Zuständigkeit materieller Ansprüche zum Ausdruck. Die Unterlassungsansprüche sind Rechtsmittel gegen materielle A n sprüche des Staates, die Leistungsansprüche stehen dagegen umgekehrt dem Bürger gegen den Staat zu. Bei dieser Interpretation liegt die Beziehung der beiden Anspruchsarten zueinander auf der Hand, ohne daß sich daraus jedoch ein System bilden ließe. Diese Ausführungen waren nötig, um dem Eindruck entgegenzuwirken, es könne ein aufeinander bezogenes System von Ansprüchen dargestellt werden, welches das Wirtschaftsgefüge zur öffentlichen Seite hin abbildet. Auch die öffentlich-rechtlichen Ansprüche strukturieren nur Konfliktsituationen, über die das Gesetz entscheidet. I m folgenden sollen einige A r t e n von Ansprüchen i m Verhältnis Staat — Bürger etwas deutlicher herausgearbeitet werden, u m die i m Vorstehenden erarbeitete These zur Natur der subjektiven öffentlichen Rechte noch etwas anschaulicher zu machen. 2. Verschiedene Arten von öffentlich-rechtlichen

Ansprüchen

a) Der staatliche Anspruch auf Zahlung von Steuern I m Rahmen der Untersuchung des Wirtschaftsgefüges i m 2. Kapitel unter I I war ein Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen Staat und privatem Teil der Wirtschaft herausgearbeitet worden, dessen beide Seiten sich als Steuerleistung des Bürgers an den Staat und staatliche Aufgabenwahrnehmung auf Grund der durch Steuer erlangten M i t t e l darstellten. Dieses Gegenseitigkeitsverhältnis w i r d nun nach der einen Seite durch den Anspruch des Staates gegen den Bürger auf Zahlung von Steuern strukturiert. Es handelt sich gemäß unserem Ansatz zunächst u m einen w i r t schaftlichen Anspruch, der dann vom öffentlich-rechtlichen Gesetz als rechtlicher anerkannt wird. A n diesem Anspruch läßt sich die Durchführbarkeit unserer Konzeption besonders deutlich aufzeigen. Das Wesen des Steuergesetzes kann nicht darin gesehen werden, daß es private und öffentliche Interessen zu einer Einheit verschmilzt, sondern das Steuergesetz setzt ganz konkret einen Anspruch des Staates gegen den Bürger auf Zahlung von Steuern fest. I m Steuerrecht ist auch anerkannt, daß dieser Anspruch bereits von Gesetzes wegen und nicht erst auf Grund Festsetzung durch den Steuerbescheid entsteht 65 . Entsprechend sind auch „zivilrechtliche" Kategorien wie Erlaß und Verjährung auf diesen Anspruch anwendbar. Die allgemeine Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts, die weiterhin vom Abwehranspruch gegen den ungesetzlichen Steuerbe65

Vgl. Kruse, Steuerrecht, S. 126.

174 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht scheid ausgehen muß, kann also der positivrechtlichen Struktur des Steuerrechts nicht ausreichend Rechnung tragen. Der Steueranspruch, der auch positivrechtlich nur als materiellrechtlicher Anspruch verständlich ist, läßt sich i m Schulbegriff des subjektiven öffentlichen Rechts nicht unterbringen. Die Schwierigkeiten, die unter diesem Aspekt das Steuerrecht für eine allgemeine D o k t r i n des Verwaltungsrechtes macht, kehren verstärkt i m Verfassungsrecht wieder. Auch hier ist eine Einbeziehung der Steuerproblematik i n die Systematik des A r t . 14 GG bisher nicht befriedigend gelungen 6 6 . A u f diese Frage soll i m Rahmen des nächsten Kapitels noch eingegangen werden. W i r sehen i n diesen Schwierigkeiten die notwendige Folge des Denkansatzes von einem geistigen Eigentumsbegriff her, m i t dem i n der Tat das Steuerrecht nicht i n die Systematik des A r t . 14 GG einbeziehbar ist. Die Steuerzahlungspflicht ist nur strukturell, nicht als Inhaltsbestimmung des als privates subjektives Recht verstandenen Eigentums zu begreifen. Daß eine Vermögensumschichtung, m i t der jährlich knapp die Hälfte des Bruttosozialprodukts unseres Landes auf den Staat übertragen wird, i n unserem Rechtssystem nur unter dem Aspekt der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung vorkommt, sollte doch w o h l Anlaß zu einer ernsthaften Überlegung sein, was dieses System denn eigentlich leistet. Es ist bisher nicht gelungen, die wirtschaftlich schlechthin zentrale Bedeutung der Steuerleistung für den Staat i m Verwaltungsrecht und i m Verfassungsrecht auch systematisch zu verarbeiten. Für uns war insbesondere diese Tatsache mit ein Anlaß zur Ausarbeitung des hier vorgetragenen strukturellen Eigentumsbegriffs. Erst auf Grund einer Einbeziehung der Steuerleistung i n das System läßt sich auch m i t der genügenden Anschaulichkeit nachweisen, daß der Begriff des öffentlichen Eigentums ein I r r w e g ist. Der Begriff mag seine Überzeugungskraft i m Hinblick auf die öffentliche Widmung von Straßen, Friedhöfen, Deichen usw. haben. Was bedeutet er aber i m Hinblick auf den Steuerbeitrag des Bürgers an den Staat selbst? W i r d der an das Finanzamt überwiesene Betrag i m Moment der Überweisung von privatem zu öffentlichem Eigentum? Bildet sich vielleicht öffentliches Eigentum erst, wenn von diesem Betrage eine Straße gebaut worden ist? Verwandelt dieses öffentliche Eigentum sich i n privates Eigentum zurück, wenn der Betrag an einen Fürsorgeempfänger ausgezahlt wird? Es liegt auf der Hand, daß i n all diesen Fällen eine Deduktion aus dem Begriff des privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Eigentums heraus gerade das Entscheidende, nämlich den Zusammenhang zwischen privater und öffentlicher Leistung auf der Grundlage wirtschaftlichen Eigentums, nicht zu fassen vermag. Man kann den Anspruch des Staates auf Zahlung der Steuer i m j u r i stisch-technischen Sinne als öffentlich-rechtlichen Anspruch bezeichnen, ββ Vgl. dazu Rüfner, Die Eigentumsgarantie als Grenze der Besteuerung, i n : Die staatliche E i n w i r k u n g auf die Wirtschaft, S. 647 ff., insbesondere S. 648.

III. Verschiedene Arten von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen

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erfüllt w i r d er durch die Übertragung von Eigentum i m wirtschaftlichen Sinne, von Vermögen. Wenn sich jetzt öffentlich-rechtliche Gesetze auf dieses wirtschaftliche Eigentum beziehen, so ändert das doch an dessen Natur nichts. Insbesondere vom Steuerbegriff her gesehen bricht also die Systematik des Verwaltungsrechts und letztlich auch die überkommene Systematik des A r t . 14 GG auf. Nicht ohne Grund ist der Steuerbegriff nicht i n die überkommene Systematik des Verwaltungs- und Verfassungsrechts eingearbeitet. Er ist mit ihr nicht verträglich 6 7 , und jeder Versuch einer ernsthaften Einbeziehung ist nur auf der Grundlage der Problematisierung der überkommenen Vorstellungen überhaupt möglich. Daß also gerade die Steuerleistung an den Staat auf Grund eines staatlichen Anspruchs auf Übertragung von wirtschaftlichem Eigentum erfolgt, ist weder zufällig noch bedeutungslos. Es zeigt, daß auch das öffentliche Hecht den Spannungsbeziehungen folgt, die i n dem W i r t schaftsgefüge vorgezeichnet sind und damit dieselbe Funktion erfüllt wie das privatrechtliche Gesetz. Diese Erkenntnis sollte genügender A n laß sein, die Konzeptionen zum subjektiven öffentlichen Recht i n Zweifel zu ziehen, die diesen Sachbereich nicht erfassen können. Der Hinweis auf die Spezialität der steuerrechtlichen Problematik genügt hier nicht mehr. Historisch hat der Steuerkomplex i m übrigen zur Ausbildung unseres öffentlich-rechtlichen Gesetzesbegriffs und des öffentlich-rechtlichen Eingriffsbegriffs geführt, ein Zusammenhang, der i n den heutigen systematischen Untersuchungen über das Verhältnis von Freiheit und Gesetz erfolgreich verdrängt und allenfalls als historischer Aspekt abgetan w i r d 6 8 . b) Ansprüche des Staates zum Zwecke der Durchsetzung öffentlicher Interessen i m Hinblick auf die private wirtschaftliche Betätigung selbst Die staatlichen Leistungen sind das Äquivalent, welches der Bürger für seinen steuerlichen Beitrag an den Staat erhält. Es besteht hier zwar kein Austauschverhältnis i m Sinne von aufeinander bezogenen Vertragsleistungen wie i m Zivilrecht, aber der Zusammenhang ist doch jedenfalls auf der wirtschaftlichen Ebene deutlich faßbar. Die Leistung der Steuer führt nicht direkt zu einer „Gegenleistung" des Staates, sondern das Verhältnis w i r d durch eigenständige staatliche Entscheidungen 67 Vgl. dazu Forsthoff s Bemerkung (Begriff u n d Wesen des sozialen Rechtsstaates, aaO, S. 53): „ W ü r d e die Unterscheidung von steuerlichem Eingriff u n d Eingriff i n das Eigentum fallen, so wäre dem heutigen Sozialstaat die verfassungsrechtliche Grundlage w e i t h i n entzogen. Der Vorgang wäre von k a u m absehbarer Tragweite." Von dem hier vertretenen Strukturmodell aus gesehen können w i r weder Forsthoff s Prämisse noch seiner Folgerung zustimmen. Das ganze Problem ist n u r der Ausdruck der ungenügenden Systematik. Weitere Ausführungen dazu i m 8. K a p i t e l unter I I . 68 Vgl. dazu die Ausführungen zu Jesch, oben Anm. 52.

176 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht v e r m i t t e l t , w o b e i d e r S t a a t i m R a h m e n d e r gegebenen M i t t e l ü b e r E n t s c h e i d u n g s s p i e l r a u m v e r f ü g t 6 9 . Es g i b t n u n aber auch L e i s t u n g e n des B ü r g e r s a n d e n Staat, m i t d e n e n d i r e k t e i n ö f f e n t l i c h e r Z w e c k e r s t r e b t w i r d . Das G e g e n s e i t i g k e i t s v e r h ä l t n i s , v o n d e m d e r S t e u e r a n s p r u c h n u r e i n T e i l w a r , s c h r u m p f t h i e r g e w i s s e r m a ß e n a u f eine L e i s t u n g s b e z i e h u n g zusammen. I n p r i v a t r e c h t l i c h e r Sprechweise k ö n n t e m a n v o n e i n e m „ k a u s a l e n " A n s p r u c h sprechen. Es h a n d e l t sich u m d i e F ä l l e , i n d e n e n d e r B ü r g e r b e i seiner p r i v a t e n w i r t s c h a f t l i c h e n B e t ä t i g u n g ö f f e n t l i c h e B e l a n g e z u beachten h a t , also ζ. B . u m das P o l i z e i r e c h t i m engeren Sinne, v o r a l l e m aber u m das B a u - u n d G e w e r b e r e c h t . D a ß auch diese Rechtsgebiete sich a u f G r u n d des Gedankens eines s t a a t l i c h e n A n s p r u c h e s u n d e i n e r entsprechenden L e i s t u n g s p f l i c h t des B ü r g e r s erfassen lassen, bedarf allerdings einer näheren Darlegung. I m P o l i z e i r e c h t i m e n g e r e n S i n n e w i r d m a n d e n G e d a n k e n eines s t a a t l i c h e n A n s p r u c h s gegen d e n p o l i z e i p f l i c h t i g e n S t ö r e r ohne größere B e d e n k e n f ü r d u r c h f ü h r b a r h a l t e n . H i e r m a r k i e r t d e r B e g r i f f des S t ö rers sehr d e u t l i c h d e n T a t b e s t a n d d e r V e r l e t z u n g d e r ö f f e n t l i c h e n S i c h e r h e i t u n d O r d n u n g , aus d e m sich d e r staatliche A n s p r u c h e r g i b t , d e r d a n n m i t d e r P o l i z e i v e r f ü g u n g durchgesetzt w i r d . S y s t e m a t i s c h s c h w i e r i g e r e i n z u o r d n e n s i n d die Rechtsverhältnisse v o r a l l e m i m B a u - u n d 89 Badura geht i n seiner eindringlichen Analyse „Verwaltungsrecht i m liberalen u n d sozialen Rechtsstaat" davon aus, daß die Begriffe der eingreifenden u n d der leistenden V e r w a l t u n g unter zwei nicht miteinander vergleichbaren Gesichtspunkten gebildet sind, dem der F o r m des Verwaltungshandelns (liberale Eingriffstheorie) einerseits u n d der Zwecke der V e r w a l t u n g andererseits (vgl. etwa aaO, S. 11, 22). Nach seiner Auffassung müßte eine konsequente Ersetzung der Systemidee des liberalen Rechtstaates durch die des sozialen Rechtsstaates die Theorie der V e r w a l t u n g auf der Basis der nicht weiter auflösbaren Verwaltungszwecke der Gefahrenabwehr, Abgabenerhebung, Leistung u n d L e n k u n g entwickeln. M i t dem Hinweis auf die Formalität des Eingriffsschemas, dem Rückgang auf die Zwecke der Verwaltung, auf das Verwaltungshandeln als A r b e i t des Staates i m Sinne Lorenz von Steins (Gegenwart u n d Z u k u n f t der Rechts- u n d Staatswissenschaften Deutschlands, vgl. Badura, aaO, S. 15) tendiert Badura i n die Richtung der hier angestellten Untersuchung. W i r unterscheiden uns von Baduras Konzept durch Annahme eines funktionalen Zusammenhangs der Zwecke u n d die methodische Beziehung der F u n k t i o n des Rechts auf diesen Zusammenhang der Zwecke des Staates. V o n Baduras Standpunkt aus bleibt die einzig mögliche „Systemidee" die Mehrheit der „nicht weiter auflösbaren Verwaltungszwecke", die topisch-phänomenologisch beschrieben werden (aaO, S. 22: Gefahrenabwehr, Abgabenerhebung, Leistung u n d Lenkung). Der Begriff des „ E i n griffs" ist nach unserer Auffassung nicht n u r formal, er bezeichnet eine w i r t schaftliche K r a f t l i n i e , die A l i m e n t a t i o n des Staates. Die Formalisierung ist erst das Ergebnis einer bestimmten wissenschaftlichen Verwendung, vgl. dazu die Ausführungen zu Jesch, oben A n m . 52. Die heute übliche formale Verwendung des Begriffs b e w i r k t eine Aversion gegen ihn, die i h m offenbar für ein teleologisch aufgebautes System keine Chance läßt. Walter Jellinek (Verwaltungsrecht, § 22, S. 505) kontrastiert den eingreifenden Staat als „Nehmer" m i t dem leistenden Staat als „Geber", ohne allerdings diese Qualifizierungen zum entscheidenden Systemgesichtspunkt zu machen.

III. Verschiedene Arten von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen

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Gewerberecht. Das liegt vor allem daran, daß hier m i t dem Prinzip des Verbots m i t Erlaubnisvorbehalt gearbeitet wird. W i r widmen uns daher diesem Prinzip etwas näher, wobei w i r uns auf das Sachgebiet des Baurechts beschränken wollen. Die Frage geht dahin, welche materiellen Ansprüche sich i m Anwendungsgebiet dieses Prinzips nachweisen lassen, wem sie zustehen, und wie möglicherweise das Prinzip des Verbots m i t Erlaubnisvorbehalt die materiell vorgegebenen Fronten verkehrt. Zunächst soll ein Blick auf die überkommene Konzeption und auf die Ergebnisse geworfen werden, zu denen Henke von seinem materiellrechtlichen Standpunkt aus i m Baurecht kommt. Die überkommene Vorstellung faßt die Baufreiheit (gewissermaßen als Teil des Grundeigentums zur öffentlich-rechtlichen Seite hin) als subjektives öffentliches Recht auf, i n das durch gesetzwidrige Versagung der Erlaubnis rechtswidrig eingegriffen w i r d 7 0 . Die Aufhebung der Ablehnung seines Baugesuchs gibt dem Bauherrn nun aber noch keinen Anspruch auf Bauerlaubnis. A l l e i n man läßt sie daraus doch mittelbar folgen 7 1 . Der ganze Fall w i r d etwa nach dem V o r b i l d der Abwehransprüche aus § 1004 BGB konstruiert. Henke wendet sich gegen diese Konstruktion, w e i l sie die Verpflichtungsklage auf die Baugenehmigung nicht zureichend erklären kann. Die Verpflichtungsklage ist eine Leistungsklage, der Leistungsanspruch des Bauherrn auf die Baugenehmigung folgt aus den Baugesetzen 72 . Da die materiellrechtliche Natur der Leistungsansprüche für Henke relativ unproblematisch ist, fügt sich auf diese Weise der ganze Bereich des Bau- und Gewerberechts ohne größere Schwierigkeiten i n seine Konzeption ein. Die Leichtigkeit, m i t der es Henke gelingt, von einer gegen den Bürger gerichteten Eingriffskonzeption des Rechts der Bauerlaubnis auf eine gegen den Staat gerichtete Leistungskonzeption überzuwechseln, beruht letztlich darauf, daß bei beiden Konzeptionen eigentlich die beteiligten materiellen Interessen nicht gewürdigt worden sind. Nach unserer A u f fassung sind i m Recht der Bauerlaubnis auf Grund des Prinzips des Verbots m i t Erlaubnisvorbehalt zwei materielle Ansprüche ineinander verzahnt. Aus Gründen einer präventiven Überwachung aller Bauvorhaben hat das Gesetz zunächst formell ein generelles Verbot jeglicher Bautätigkeit ausgesprochen, und n u r denjenigen von diesem Verbot ausgenommen, der i m Einzelfall eine Erlaubnis zum Bau erwirkt. Es besteht also auf Grund des Gesetzes eine Antragspflicht des Bürgers, die der Behörde die Überwachung ermöglichen soll, und eine entsprechende Bescheidungspflicht der Behörde, die das Gegenstück zu dieser Antragspflicht ist. 70 71

Vgl. dazu Henke, S. 115. Vgl. etwa W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 459, 493, dazu auch Henke,

S. 115. 72

12

So Henke, S. 116.

Schapp

178 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht Der ganze Mechanismus ist formaler Natur, dieser Anspruch auf Bescheidung des Baugesuchs folgt durchaus aus dem Gesetz. Insoweit ist der Auffassung Henkes zuzustimmen, daß das Recht auf die Genehmigung (oder zutreffender: auf Bescheidung seines Baugesuchs) ein gesetzlicher Leistungsanspruch des Bürgers ist. Der formale Mechanismus der Überwachung erlaubtes der Baubehörde nun, die materiellen öffentlichen Interessen i m Hinblick auf jedes einzelne Bauvorhaben gegen den Bauherrn durchzusetzen, denn der Bauherr erhält die Genehmigung nur, wenn diesen Interessen Rechnung getragen ist. Diese Interessen stellen durchaus nicht den Gegenstand eines Anspruchs des Bürgers gegen die Verwaltung aufgrund eines Gesetzes dar, sondern lassen sich nur als Anspruch des Staates auf Beachtung der i n einem bestimmten Verfahren (Bauplanung) festgesetzten öffentlichen Interessen gegen den Bauherrn auffassen. Daß diese Interessen den eigentlichen Kern des Rechts der Baugenehmigung darstellen, zeigt sich dann, wenn der Bauherr seiner formalen Antragspflicht nicht nachkommt und also den Überwachungsmechanismus nicht auslöst. Wenn das Bauwerk den öffentlichen Interessen genügt, besteht für die Behörde kein Grund zum Einschreiten, anderenfalls hat sie Möglichkeiten, ihren Anspruch auf Beachtung dieser Interessen durchzusetzen. A n diesem Verhältnis von formaler und materieller Baurechtswidrigkeit zeigt sich deutlich, wie die beiden hier voneinander abgehobenen Schichten ineinander verschränkt sind. Die Konzeption von dem Eingriff i n die Baufreiheit her t r i f f t also den materiellen Kern der Sache. Die Umdrehung auf einen Leistungsanspruch des Bürgers gegen den Staat befriedigt zwar auf den ersten Blick mehr, weil sie direkten Bezug auf die Baugenehmigung hat, sie verfehlt aber die materiellen Interessen i m Baurecht. Dieser Leistungsanspruch ist nur eine Folge davon, daß die Verwaltung die materiellen öffentlichen Interessen i n der Form des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt durchsetzt 73 . Es bleibt die Frage, wie sich der Gedanke des Eingriffs i n eine Baufreiheit zu unserer materiellen Anspruchskonzeption verhält. Diese Frage ist eigentlich durch unseren grundsätzlich anderen Ansatz zum Verhältnis von Staatsfunktion und Recht schon beantwortet. Es genügt daher hier eine kurze Wiederholung dieses Gedankenganges. Der Gedanke des staatlichen Eingriffs i n eine Baufreiheit i m Verwaltungsrecht beruht letztlich auf der grundlegenden öffentlich-rechtlichen Konzeption, die staatliche Souveränität und natürliche Freiheit einander gegenübersetzt, 73 Diese F i g u r des „Verbots m i t Erlaubnisvorbehalt" ist also auch kein apriorisches Wesen, w i e es häufig scheint, nichts, was höhere Einsichten i n das Wesen des Rechts zum Ausdruck brächte u n d sich darum gewissermaßen logisch zwingend über das Verwaltungsrecht gelegt hat. Hier w i r d n u r m i t zwei Begriffen der Imperativtheorie die Verkoppelung von Meldepflicht und staatlicher Interessenverfolgung formuliert.

III. Verschiedene Arten von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen

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dann aber i m öffentlich-rechtlichen Gesetz zu einer idealen Einheit verschmilzt. Diese Konzeption behält damit formalen Charakter, sie kann allenfalls die Abgrenzungsaufgabe des Rechts beschreiben, aber schon nicht mehr den materiellen Kern der beteiligten Rechtspositionen deutlich machen. W i r fassen daher die staatliche Position als Anspruch auf Beachtung öffentlicher Belange auf, die private Position w i r d nicht mehr mit dem Ausdruck Baufreiheit umschrieben, sondern mit dem Begriff des Eigentums i m wirtschaftlichen Sinne. Bautätigkeit als Ausübung wirtschaftlichen Eigentums ist funktionell nur möglich bei Beachtung öffentlicher Interessen. Uber diesen Zusammenhang entscheidet das öffentlich-rechtliche Baugesetz, indem es der Behörde einen rechtlichen A n spruch auf Durchsetzung dieser öffentlichen Interessen gibt. Der auf Freiheit und Eingriff aufgebaute Grundgedanke des Baurechts ist damit letztlich aus seiner idealistischen Verkleidung befreit und auf den funktionellen Kern der Aussage reduziert. Gegen die Redeweise von Baufreiheit und Eingriff bestehen i m übrigen keine Einwendungen, wenn man sich nur vor Augen hält, daß eine andere Aussage als die hier skizzierte damit nicht gemacht werden kann. Die vorgetragenen Überlegungen gelten auch für die Gewerbefreiheit, für die aus den dargestellten Gründen ebenfalls eine funktionelle Bezeichnung, etwa Gewerbetätigkeit, besser passen würde. c) Ansprüche des Bürgers gegen den Staat Nicht jede Lebensäußerung eines Privaten ist Gegenstand des A n spruchs eines anderen. Eine (wirtschaftliche) Anspruchsbeziehung ergibt sich erst aufgrund eines Sachverhalts, der die entsprechende Spannungsbeziehung mit den beiden Polen der Berechtigung und der Verpflichtung zu konstituieren vermag. Diese Erkenntnis kann man auch auf die staatliche Aufgabenwahrnehmung übertragen. Daß die Steuereinnahme des Staates nur aufgrund eines Anspruchs gegen den Bürger möglich ist, liegt auf der Hand. Der individuelle Charakter der Leistung begründet hier die streng zweiseitige Beziehung. Die Verwendung der Steuermittel durch den Staat kann nicht i m selben Sinne Gegenstand von Ansprüchen der Bürger gegen den Staat sein. Daß die Leistungen des Staates an die Gesamtheit der Bürger mehr zerfließen als die individuellen Leistungen der Bürger an den Staat, liegt i n der Natur der öffentlichen Interessen begründet, die durch staatliche Leistungen wahrgenommen werden. Die Leistungen des Staates an den Bürger lassen sich also nicht i m selben Ausmaße durch Ansprüche i m juristisch-technischen Sinne durchstrukturieren, wie umgekehrt die Leistungen des B ü r gers an den Staat. Wie weit das Gesetz hier Ansprüche i m juristischtechnischen Sinne gibt, hängt einmal von der Natur des zugrundeliegenden strukturellen Anspruchsverhältnisses ab, dann aber auch von der 12·

180 7. Kap.: öffentlich-rechtliches Gesetz u. subjektives öffentliches Recht Entscheidung, wie weit man diese möglicherweise vorliegende strukturelle Anspruchsbeziehung justitiabel machen w i l l . Es zeigt sich hier, daß der letzte Grund für die Annahme eines Anspruchs i m juristischtechnischen Sinne schließlich doch das zur Durchsetzung gewährte Rechtsmittel ist, wie das bereits i m 3. Kapitel dargelegt wurde. Daß der Bürger seine „Rechte" auch anders als durch das Gericht, nämlich auf politischem Wege, durchzusetzen vermag, ändert nichts daran, daß die Beziehung i n diesen Fällen eben nicht zu einem technischen Anspruch geführt hat. I n diesem Sinne besteht auf einem großen Teil der öffentlichen Leistungen, wie zum Beispiel allgemein auf Straßenbau oder auf eine ausreichende Landesverteidigung, kein juristisch durchsetzbarer Anspruch des Bürgers. Anders ist hingegen schon die Frage der Benutzung öffentlicher Einrichtungen zu beurteilen. Das große Gebiet der öffentlichrechtlichen Entschädigung setzt i n einem ganz weiten Sinne den Tatbestand der rechtswidrigen Vermögensbeeinträchtigung voraus und ist daher i m Sinne der vorliegenden Arbeit leicht einzuordnen, da sich die Anspruchsbeziehung aus diesem Tatbestand ergibt. Wenn i m übrigen i n diesem Saehbereich die Enteignung als Eingriff i n Eigentum bezeichnet wird, so ist das eine durchaus wirtschaftlich-funktionale Verwendung des Ausdrucks Eingriff, die seine ursprüngliche Bedeutung wieder deutlich werden läßt. Wie weit Ansprüche des Bürgers auf Fürsorgeleistungen, auf Subventionen und ähnliches anerkannt werden, ist eine Frage des positivrechtlichen Gesetzeszustandes, die allgemein nicht beantwortet werden kann. Aufgrund des Sozialstaatsprinzips der Verfassung und des Gleichheitssatzes besteht unter dem Grundgesetz die Tendenz, individuelle Vergünstigungen auch als rechtliche Ansprüche zu gestalten.

Achtes Kapitel

Ausblick auf verfassungsrechtliche Problemstellungen I. Das Verhältnis von Verfassungsgesetz und subjektivem Grundrecht, untersucht am Beispiel des Art. 14 GG Die bisherige Untersuchung hat ein Beziehungsgeflecht zwischen einer Wirtschaftsstruktur, dem privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Gesetz als Konfliktsentscheidung und subjektiven privaten und öffentlichen Rechten i m technischen Sinne als Folge dieser Konfliktsentscheidung ergeben. Ebenso wie nach unserem methodischen Ansatz die W i r t schaftsstruktur Voraussetzung der Konfliktsentscheidung des einfachen Gesetzgebers war, ist dieses gesamte Beziehungsgeflecht einschließlich der Konfliktsentscheidung des einfachen Gesetzgebers Voraussetzung des Verfassungsgesetzes als einer Konfliktsentscheidung zwischen dem einzelnen Wirtschaftssubjekt und dem Gesetzgeber selbst. M i t dieser A u f fassung führen w i r unsere „Wendung" auch i m Hinblick auf das Verfassungsgesetz durch. Die überkommene Dogmatik denkt dagegen auch i m Verfassungsrecht i m wesentlichen von der Norm her. Sie ist damit ähnlichen Schwierigkeiten i n der Lehre des subjektiven Grundrechts ausgesetzt wie die durchaus entsprechenden methodischen Ansätze des Privatrechts und des öffentlichen Rechts. Es soll versucht werden, diesen Grundgedanken i m folgenden jedenfalls skizzenhaft auszuführen. Die Untersuchung soll dabei beispielhaft nur für den Bereich des A r t . 14 GG durchgeführt werden. W i r beginnen m i t dem Lösungsansatz der überkommenen Dogmatik zu diesem Komplex und skizzieren dann nach k r i t i scher Stellungnahme unseren Lösungsansatz auf der Grundlage des hier verfolgten Strukturmodells. 1. Die Unterscheidung von Institutsgarantie und subjektivem Grundrecht als Grundansatz der überkommenen Dogmatik zu Art. 14 GG a) Die Unterscheidung von Institutsgarantie und subjektivem Grundrecht. Ihre praktische Bedeutung I m Rahmen des A r t . 14 GG stellt sich i m Hinblick auf die Bestimmung der Natur des subjektiven Grundrechts genauso wie i m Hinblick auf das

182

8. Kap.: Ausblick auf verfassungsrechtliche Problemstellungen

subjektive private und öffentliche Recht des Verwaltungsrechts die Frage, was denn eigentlich die geschützten Interessen sind. Offenbar genügt es nicht, wenn man hier die Problemlösung darin sieht, daß es das private subjektive Recht selbst sei, das durch A r t . 14 GG geschützt werde, sich also gewissermaßen m i t veränderter Richtung jetzt gegen den Staat richtet. Rupp hat überzeugend dargetan, daß die Vorstellung, private subjektive Rechte Vermögenswerten Charakters änderten i m Verfassungsrecht plötzlich nur ihre Richtung gegen den Staat, seien aber i m übrigen weiter private Rechte, für eine Dogmatik des A r t . 14 GG nicht ausreicht 1 . Die verfassungsrechtliche Dogmatik des A r t . 14 GG hat nun die Unterscheidung zwischen dem durch A r t . 14 GG geschützten Institut Eigentum und dem subjektiven Grundrecht des A r t . 14 GG ausgebildet und f ü l l t gewissermaßen die Vorstellungslücke, die sich hier i m Hinblick auf das geschützte Interesse ergibt, m i t diesem Gegensatz von Institut und subjektivem Grundrecht. Man greift, wie zum Beispiel bei Rupp ganz deutlich wird, auf das Institut Eigentum zurück, wenn das subjektive private Recht als Schutzgegenstand der Verfassungsbestimmung überfordert scheint. W i r setzen i n unserer Untersuchung bei dieser Unterscheidung von Institut und subjektivem Grundrecht an, weil sie uns i m Zentrum der Dogmatik des A r t . 14 GG zu stehen scheint. Es kommt uns dabei zunächst n u r auf die juristisch-technische Verwendung des Institutsbegriffs i m Rahmen des A r t . 14 GG an. Die umfassendere Bedeutung, i n der zum Beispiel Häberle den Begriff der Institution zur Grundlage seines Verständnisses der Grundrechte macht, soll i n diesem Zusammenhang noch außer Betracht bleiben 2 . Die Unterscheidung, i n der sich heute i m wesentlichen die Systematik des A r t . 14 GG präsentiert, ist auf der Grundlage der Lehre von Carl Schmitt zur Weimarer Zeit 3 für das Grundgesetz vor allem von Werner Weber i n seiner Abhandlung „Eigentum und Enteignung" 4 entwickelt worden. Maunz/Dürig/Herzog tragen sie i n etwa i n dem von Weber entwickelten Sinne vor 5 . Der Grundgedanke Webers w i r d i n ähnlicher Weise auch i n der sonstigen verfassungsrechtlichen Literatur vertreten, so daß i n dieser Beziehung heute w o h l von einer herrschenden Lehre gesprochen werden kann 6 . Weber unterscheidet die Garantie des Eigen1

Rupp, Grundfragen, S. 237.

2

Vgl. dazu unter I I dieses Kapitels. 3 Carl Schmitt, Freiheitsrechte u n d institutionelle Garantien der Reichsverfassung. 4 I n : Die Grundrechte I I , S. 355 ff. 5

6

Maunz/Dürig/Herzog,

Art. 14 GG, Anm. 3 ff.

Statt vieler Mangoldt/Klein, A r t . 14 GG, A n m . I I 6; Scheuner, Grundlagen der Enteignungsentschädigung, i n : Reinhardt/Scheuner, Verfassungsschutz des Eigentums, S. 63 ff. (68); Kaiser, Verfassungsrechtliche Eigentumsgewähr, Enteignung u n d Eigentumsbindung i n der Bundesrepublik Deutschland, i n :

I. Verhältnis von Verfassungsgesetz und subjektivem Grundrecht

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turns als Institut von der von i h m sogenannten Rechtsstellungsgarantie, die in der Literatur i m allgemeinen mit dem etwas weniger spezifischen Ausdruck des „subjektiven Grundrechtes" bezeichnet wird. Der Satz „Das Eigentum w i r d gewährleistet" enthält nach Weber die beiden Garantien des Eigentums als Institut und die Rechtsstellungsgarantie 7 . Die Institutsgarantie schützt das Eigentum als Institut der i m Recht ausgeformten Sozialordnung, die Rechtsstellungsgarantie dagegen die konkreten Vermögensrechte, die der Einzelne hat oder noch erwirbt. Beides hängt allerdings nach Weber eng zusammen. Die Rechtsstellungsgarantie kann nicht weiter reichen, als das Institut des Eigentums es zuläßt, und andererseits werden Sinn und Wert der Institutsgarantie danach bestimmt, wie weit sie die Grundlage für eine wirksame Sicherung der konkreten vermögensrechtlichen Rechtsstellung abgibt. Die Institutsgarantie als die grundsätzliche Anerkennung des Sacheigentums und der Existenz frei verfügbarer Vermögensrechte des einzelnen richtet sich nur gegen den Gesetzgeber. Soweit die Verfassungsnorm also auf das Eigentum als Institut abstellt, hat sie nur den Gesetzgeber zum Adressaten. Das Eigentümliche ist dabei, daß A r t . 14 GG dem Gesetzgeber gegenüber das Institut des Eigentums i n Schutz nimmt, es aber i h m gleichzeitig überläßt, Inhalt und Schranken dieses Instituts zu bestimmen 8 . Die Grenze für den Gesetzgeber ist hier die Wesensgehaltsgarantie des A r t . 19 I I GG. Weber beruft sich auf M a r t i n Wolff, der den Sinn der Institutsgarantie dahin formuliert, daß an den körperlichen Sachgütern ein Privatrecht möglich bleiben soll, das den Namen Eigent u m verdient, bei dem also Beschränkungen des Herrschaftsbeliebens Ausnahmen sind 9 . Was die Institutsgarantie positiv bedeutet, w i r d sichtbar an den Tatbeständen, die das Eigentumsinstitut konkret gefährden. Eine solche Bedrohung steht nach Weber auf der Tagesordnung der Gegenwartsproblematik i n den Tatbeständen der Planwirtschaft, der M i t bestimmung und der Steuerprogression 10 . Zur Rechtsstellungsgarantie führt Weber aus, daß sie sich nicht, wie die Institutsgarantie, nur an den Gesetzgeber, sondern auch an die Exekutive und an die Gerichte wendet 1 1 . Die Gerichte können i n bestimmten Fällen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen, die Bedeutung für die Exekutive hält Weber dagegen selbst für gering, da die Staat u n d Privateigentum, S. 5 f f (13); Hans Huber, öffentlich-rechtliche Gewährleistung, Beschränkung u n d Inanspruchnahme privaten Eigentums i n der Schweiz, i n : Staat u n d Privateigentum, S. 49 ff. (57); Rupp, Grundfragen, S. 235; vgl. auch die unten folgenden Ausführungen zu Selmer. 7 aaO, S. 355. 8 aaO, S. 356. 9 M a r t i n Wolff, Reichsverfassung u n d Eigentum, i n : Festgabe für Kahl, S. 6. 10 aaO, S. 359. 11 aaO, S. 363.

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8. Kap.: Ausblick auf verfassungsrechtliche Problemstellungen

Tätigkeit der Verwaltung ohnehin unter Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes steht. Weber kommt also zu dem Schluß, daß auch, soweit sich A r t . 14 GG als eine Rechtsstellungsgarantie darstellt, die Bestimmung sich i n der Hauptsache an den Gesetzgeber selbst wendet. Die Rechtsstellungsgarantie schützt nun die vermögensrechtliche Position des Bürgers — mindestens zum Teil — gegen dieselben Bedrohungen, gegen die sich auch die Institutsgarantie richtet 1 2 . Praktisch ist der Gedanke des Instituts bisher vor allem i m Hinblick auf die verfassungsrechtliche Beurteilung des steuerlichen Eingriffs geworden. Die Auffassung, daß A r t . 14 GG das subjektive private Recht selbst schütze, war hier nicht haltbar, da i m Falle der Steuer dieses Recht vollständig auf den Staat übergeht und ein solcher vollständiger Übergang bei Beziehung des A r t . 14 GG auf das subjektive private Recht allenfalls als entschädigungspflichtige Enteignung möglich wäre. Man wich daher zunächst dahin aus, daß A r t . 14 GG nicht das private subjektive Recht, sondern das Vermögen selbst schütze 13 . Konstruktiv ist dieser Ansatz vom Vermögen her aber auch nicht durchführbar, da der Begriff des Vermögens als Schutzobjekt zu unkonturiert ist. Die Grenze der Besteuerung w i r d daher i m Schrifttum heute aus der Institutsgarantie entwickelt 1 4 . Bei Durchführung dieses Ansatzes steht man alsbald vor einer bezeichnenden Schwierigkeit. Aus der Institutsgarantie folgen keine subjektiven Abwehrrechte des einzelnen, der Gedanke der Institutsgarantie war von Werner Weber vielmehr i m Sinne eines objektivrechtlichen Satzes entwickelt worden. Vor allem Selmer hat sich bisher u m die Lösung dieser Problematik bemüht. Er hält die Unterscheidung von I n stitut und subjektivem Grundrecht i m Rahmen des A r t . 14 GG strikt durch und gibt dementsprechend, da der Sçhutzgegenstand beim steuerlichen Eingriff nur das Institut Eigentum sein kann, kein subjektives Grundrecht i m Sinne des A r t . 14 GG. Die Verletzung der i n A r t . 14 GG ebenfalls enthaltenen objektivrechtlichen Institutsgarantie durch übermäßige Steuerbelastung führt aber, da A r t . 14 GG als Spezialgrundrecht nicht relevant ist, zur Anwendung des Auffangtatbestandes des A r t . 2 I GG. Der Steuergesetzgeber beeinträchtigt durch übermäßige Steuerbelastung die allgemeine Handlungsfreiheit des A r t . 2 I GG, wenn ein Steuergesetz den durch die objektive Eigentumsrechtsnorm des A r t . 14 I Satz 1 GG umgrenzten Bereich verläßt und daher nicht mehr zur verfassungsmäßigen Ordnung i m Sinne des A r t . 2 I GG gehört 1 5 . Selmer

12

aaO, S. 364. Vgl. dazu i m einzelnen Rüfner, Die Eigentumsgarantie als Grenze der Besteuerung, aaO, S. 647, u n d Selmer, Steuerinterventionismus u n d Verfassungsrecht. 13

14

15

Selmer, aaO, S. 333, und Rüfner, aaO, S. 649. So Selmer, aaO, S. 333.

I. Verhältnis von Verfassungsgesetz und subjektivem Grundrecht

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versubjektiviert also die Institutsgarantie als Satz des objektiven Rechts wieder m i t Hilfe des A r t . 2 I GG. b) K r i t i k an dem Nebeneinander von Institutsgarantie und subjektivem Grundrecht Bedeutung und Leistungsfähigkeit der Unterscheidung von Institutsgarantie und subjektivem Grundrecht i n A r t . 14 GG sind nicht leicht zu bestimmen. U. E. führt insbesondere das Nebeneinander dieser beiden Garantien nicht zu einer überzeugenden Systematik des A r t . 14 GG. Das subjektive Grundrecht oder — i m Sinne W. Webers — die Rechtsstellungsgarantie bleibt auf die einzelne Vermögenswerte Position des Privaten bezogen, so daß sich insoweit dieselben Probleme wie vorher stellen: nach welchen Kriterien bestimmt sich der Umfang des Geschützten, ist es das Eigentum i m privatrechtlichen Sinne? Die Rechtsstellungsgarantie deckt damit weiterhin den hergebrachten Bereich des Schutzes des einzelnen Eigentums i n den unproblematischen Fällen, vor allem i m Bereich der Enteignung, ab. Der Begriff des Instituts wäre an sich nun möglicherweise geeignet, eine A n t w o r t auf die Frage zu geben, die diese einfache Konzeption des subjektiven Grundrechts nicht lösen kann. Der ganze Überzeugungsgehalt der Lehre vom Institut beruht nach unserer Auffassung letztlich darauf, daß dieser Begriff den größeren Zusammenhang der Eigentumsordnung anspricht, aus dem die Entscheidungskriterien für eine Entscheidung nach A r t . 14 GG zu entnehmen sind. Der Begriff des Instituts erfüllt jedoch i n der überkommenen Doktrin nicht diese Funktion, das Institut w i r d vielmehr selbst als Gegenstand einer Garantie aufgefaßt, die nun unverbunden neben die i m subjektiven Grundrecht gewährte Garantie tritt. Dieser entscheidende Schritt, daß man nun auch das I n stitut direkt garantiert sein läßt, ist u. E. Folge des überkommenen A n satzes zur Norm, der jede Beziehung zur Norm nur als Normwirkung begreifen kann. Es treten jetzt zwei normative Befehle nebeneinander: der eine auf das Institut, der andere auf die konkrete Rechtsstellung bezogen. Der auf die Rechtsstellung bezogene Befehl bleibt i m Hinblick auf seinen Inhalt unklar, nur die Berechtigungsstellung ist deutlich bezeichnet. Der auf das Institut bezogene Befehl ist hinsichtlich seines Inhaltes konturiert, bleibt aber ohne Bezug zu einem Berechtigten. W i r wenden uns nun durchaus nicht gegen den Gedanken, daß das I n stitut garantiert wird, nur beschreibt das Nebeneinander von Institutsgarantie und subjektivem Grundrecht nicht die A r t , wie das Verfassungsgesetz effektiv wird. Die Garantie des Instituts ist allenfalls die Folge der Gewährung des subjektiven Grundrechtes selbst, t r i t t aber nicht neben sie. Die Pflicht des Gesetzgebers, die von Weber und Selmer

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8. Kap.: Ausblick auf verfassungsrechtliche Problemstellungen

nur objektivrechtlich begriffen wird, ist gerade der Inhalt des subjektiven Grundrechts des einzelnen Eigentümers. Zwar ist durchaus eine objektivrechtlich bleibende Pflicht des Gesetzgebers ohne entsprechende Berechtigung des einzelnen Eigentümers denkbar. Damit ist aber gerade das ursprünglich gestellte Problem, eine Spezifizierung des subjektiven Grundrechtsschutzes nach seinem Inhalt, nicht gelöst, welches die Dogmatik doch erst zum Institutsbegriff hingeleitet hatte. Die sinnvolle Verknüpfung von Institut und subjektivem Grundrecht w i r d letztlich auch durch das Schema selbst verhindert, dessen man sich zur Lösung des Problèmes bedient. Die Eigentumsordnung als solche w i r d als das Allgemeine gesehen, die einzelne Rechtsstellung des jeweiligen Eigentümers als das Besondere. Das Allgemeine und das Besondere erscheinen als nicht aufeinander bezogene Kategorien, folglich werden sie auch als zwei durchaus voneinander zu unterscheidende Gegenstände der verfassungsrechtlichen Garantie aufgefaßt. Dem kategorialen Bruch zwischen dem Allgemeinen und Besonderen folgt die Norm, sie garantiert zweimal. Wenn man m i t den Kategorien des Allgemeinen und des Besonderen zur Lösung des hier gestellten Problems tatsächlich ernst machen wollte, so brauchte man sich nur auf den Hinweis zurückzuziehen, daß die allgemeine Gattung bereits durch den Schutz des Einzelfalles, der unter diese allgemeine Gattung fällt, ausreichend geschützt ist. Tatsächlich soll aber m i t der Unterscheidung von Institut und Rechtsstellung ein ganz anderes Ziel verfolgt werden. Nach unserer Interpretation soll die Einordnung des einzelnen Eigentums i n den Funktionszusammenhang der Wirtschaft selbst für die Bestimmung des A r t . 14 GG fruchtbar gemacht werden, also der Funktionszusammenhang i m Sinne dieser Arbeit. Das ist m i t der Kategorie der Eigentumsordnung als solcher und der einzelnen Rechtsstellung und der Unterscheidung von zwei jeweils gesondert auf diese Gebilde bezogenen Garantien nicht zu erreichen. Das Schema, i n welchem man bei dieser Entgegensetzung denkt, faßt die Funktion des Rechts als Konfliktsentscheidung i m Hinblick auf ein vorausgesetztes Gefüge und die A r t , wie die Konfliktsentscheidung effektiv wird, nicht. W i r lösen uns daher von diesem Ansatz und versuchen, das gestellte Problem auf der Grundlage unseres Strukturmodells zu lösen. Eine genauere Analyse von Webers Unterscheidung bestätigt unsere K r i t i k . A n der Darstellung Webers fällt nämlich auf, daß die meisten materiellen Probleme des Eigentumsschutzes unter dem Begriff der Institutsgarantie abgehandelt werden, während der Schwerpunkt der Erörterung zur Rechtsstellungsgarantie i n der Abhandlung der prozessualen Fragen liegt. Wenn sich nach Weber die Rechtsstellungsgarantie nicht nur gegen den Gesetzgeber, sondern zusätzlich auch noch gegen Exekutive und Rechtssprechung richtet, so ist darin der Versuch zu sehen, durch diese weiteren Anspruchseinrichtungen einen eigenen Bedeutungsbezirk

I. Verhältnis von Verfassungsgesetz und subjektivem Grundrecht

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für die Rechtsstellungsgarantie zu gewinnen, der sie aus der völligen Deckung mit der Institutsgarantie herausführt, die i m übrigen sonst doch wohl angenommen werden müßte. Weber selbst aber weist darauf hin, daß diese Fälle praktisch unerheblich sind 1 6 , vor allen Dingen kann mit dem Hinweis auf diese Fälle nicht die entscheidende Frage gelöst werden, wie denn i m übrigen i m Hinblick auf die Anspruchsrichtung gegen den Gesetzgeber sich die Rechtsstellungsgarantie zu der Institutsgarantie verhält. Der hier ins Auge gefaßte Zusammenhang w i r d i m übrigen wohl von Weber selbst zugrundegelegt, wenn er ausführt, daß die Rechtsstellungsgarantie nicht weiter reichen kann, als das Institut des Eigentums es zuläßt, und daß andererseits Sinn und Wert der Institutsgarantie danach bestimmt werden, wie weit sie die Grundlage für eine wirksame Sicherung der konkreten vermögensrechtlichen Rechtsstellung abgibt. Das Wort „Grundlage" weist hier i n die Richtung unserer Überlegungen. Es ist bezeichnend, daß Rupp sich gerade gegen diesen Ansatz wendet 1 7 , der nämlich i n seiner Konsequenz ein allgemeines Eigentumsfundament für alle Rechtsgebiete bedeuten würde und damit dem Gedanken eines spezifisch öffentlich-rechtlichen Eigentums widerspricht. Die Problematik der Unterscheidung von Institut und subjektivem Grundrecht w i r d auch deutlich angesichts der Komplikationen, vor die Selmer sich bei der praktischen Anwendung gestellt sieht. Selmers Versuch, einerseits die objektivrechtliche Natur der Institutsgarantie aufrechtzuerhalten, andererseits sie doch m i t Hilfe des A r t . 2 I GG zu versubjektivieren, zeigt, zu welchen Konsequenzen das unabgeklärte Verhältnis von Institut und individueller Rechtsstellung letztlich führen muß. Das soll kein Einwand gegen Selmers Konstruktion sein, sondern nur ein Hinweis darauf, daß die von i h m verwandten Denkmodelle selbst in ihrer Verwendungsfähigkeit ungeklärt sind. 2. Funktionales Verständnis von im Konflikt stehenden Interessen, Verfassungsgesetz und subjektivem Grundrecht im juristisch-technischen Sinne Auch der Verfassungsgesetzgeber entscheidet nur den Konflikt einer vorausgesetzten Struktur, i n die nun aber der einfache Gesetzgeber m i t einbezogen ist. Konfliktspartei ist dabei aber nur der öffentlich-rechtliche Gesetzgeber, also der Gesetzgeber, der seinerseits über den Konflikt zwischen privaten und öffentlichen Interessen entscheidet. Die andere Konfliktspartei ist der wirtschaftliche Eigentümer selbst, der durch die Entscheidung des öffentlich-rechtlichen Gesetzgebers i m Hinblick auf die 16 17

aaO, S. 364. Grundfragen, S. 242.

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8. Kap.: Ausblick auf verfassungsrechtliche Problemstellungen

Abgrenzung privater und öffentlicher Interessen gegeneinander i n seinem wirtschaftlichen Eigentum getroffen sein kann. Bei dem Konflikt handelt es sich um die Frage, inwieweit der öffentlich-rechtliche Gesetzgeber bei seiner eigenen Konfliktsentscheidung i m Hinblick auf das vorausgesetzte Wirtschaftsgefüge seine Rechtsschöpfungsfunktion verfehlt hat. Der Konflikt w i r d dadurch bereinigt, daß dem wirtschaftlichen Eigentümer ein Anspruch gegen den öffentlich-rechtlichen Gesetzgeber auf Aufhebung des Gesetzes selbst gegeben wird. Diese Darstellung gibt natürlich nur ein stark vereinfachtes Schema, sie bedarf nach verschiedenen Richtungen der Erläuterung. Daß w i r auch i m Hinblick auf das Verfassungsgesetz eine Struktur voraussetzen, über deren Konflikte erst durch das Verfassungsgesetz entschieden wird, w i r d Bedenken hervorrufen. Wenn schon konzediert werden mag, daß das Eigentum nicht durch privatrechtliches Gesetz gewährt wird, w i r d es dann nicht jedenfalls durch die Verfassung als oberster Norm gewährt? W i r erinnern hier an die Bedeutung, die w i r i m 1. Kapitel dem Verfassungsgesetz schon zugeschrieben haben. Es vermag einen gegebenen Gesellschaftszustand zu stabilisieren und die Funktionsfähigkeit des Systems zu erhalten, aber es begründet das System nicht selbst. Die normative Funktion der Verfassung läßt sich überhaupt nur erkennen, wenn man ihre Wirkung i n dieser Weise auf das beschränkt, was sie leisten kann. Daß die Grenzen der Wirksamkeit des Verfassungsgesetzes nicht gewissermaßen geometrisch genau ermittelt werden können, darf nicht dazu führen, das Problem dieser Grenzen überhaupt für nicht existent zu halten. Auch diese Voraussetzung einer gegebenen Struktur für die Verfassung selbst bedeutet nicht die Annahme eines Naturrechts, sondern nur die Beschreibung eines Rahmens, innerhalb dessen die Verfassung selbst ihre Funktion hat und wirksam wird. Daß man diese beiden Fragen so schwer auseinanderhalten kann, bringt die Gefahr m i t sich, daß für das Verfassungsgesetz genauso wie für das privatrechtliche Gesetz die Frage nach einem Regelungsgegenstand nicht mehr gestellt wird. Unser Ansatz steht i n direktem Gegensatz zu der Auffassung, die die Verfassung als eine Grundnorm für jede weitere Rechtsetzung ansieht. Diese Auffassung bedient sich der schon fast klassisch zu nennenden einseitigen normativen Blickrichtung und sieht von hier aus eine Stufe aufeinanderfolgender Rechtsetzungsakte. Daß Recht nur Begrenzung sein kann, läßt sich von diesem Standpunkt aus nicht mehr erfassen, da der Gedanke der Begrenzung irgend etwas voraussetzt, was begrenzt werden muß. I n dieser Sicht wandelt sich darum Recht zu dem Gedanken der Ermächtigung zur Setzung weiteren Rechtes. Die einfache Gesetzgebung bedarf der Verfassung und erscheint als Vollzug der Verfassung. Wenn diese Konzeption — in einer bestimmten Ausprägung — auch vor allem

I. Verhältnis von Verfassungsgesetz und subjektivem Grundrecht

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von Kelsen vertreten w i r d 1 8 , unterbewußt ist es eine sehr viel weitergehende populär-juristische Vorstellung, die i n vielen Einzelfragen ihre Konsequenzen hat. Sie liegt zum Beispiel auch der verfassungsrechtlichen Systematik von Häberle zugrunde, nach dessen Auffassung die ganze einfache Gesetzgebung eine Ausgestaltung der Grundrechte als Institution darstellt 1 9 . Ein gedanklicher Ansatz, der in der Konsequenz die privaten Rechte als Ausgestaltung eines Verfassungsrechts ansehen muß, w i r d nur noch schwer eine Funktion dieses Verfassungsrechts i m Hinblick auf das private Recht lokalisieren können. Warum kommt das Prädikat der Institution gerade dem Grundrecht zu? Begründung dafür kann allenfalls die Annahme eines Ableitungszusammenhangs sein, also die A u f fassung, daß die Verfassung oberste Norm i n welchem Sinne auch immer sei. W i r haben i m Laufe dieser Arbeit immer wieder Anstrengungen gemacht, uns aus einem Normverständnis zu lösen, das von der Norm her — i n Richtung des Normbefehls — nur auf die Normwirkung sieht. Diese Anstrengung ist i m selben Sinne auch i m Hinblick auf das Verständnis des Verfassungsgesetzes erforderlich. Auch das Verfassungsgesetz begrenzt nur, es gewährt nicht. Der Ausdruck Garantie selbst, der i m Rahmen des A r t . 14 GG gebraucht wird, überpointiert die Wirkung der Verfassung schon und lenkt den Blick nur zu einer Seite. Es wäre ein Mißverständnis, wollte man i n diesen Ausführungen ein Votum gegen die große Bedeutung des Verfassungsrechts für die praktische Jurisprudenz sehen. Indem w i r die Norm i n den Konflikt hineinstellen, soll die Verabsolutierung der Normwirkung gelöst und die Rechtskonzeption auf das hin ausgerichtet werden, was die Norm i m Rahmen dieses Konflikts und seiner Entscheidung tatsächlich leistet. Wie ist nun der Konflikt genau zu beschreiben, über den der Verfassungsgesetzgeber entscheidet? Die Beteiligten dieses Konfliktes sind der wirtschaftliche Eigentümer und der öffentlich-rechtliche Gesetzgeber i m Hinblick auf die von i h m selbst zu treffende Abgrenzung von privaten und öffentlichen Interessen. Damit steht nach unserer Auffassung der privatrechtliche Gesetzgeber seinerseits nicht i n dieser von der Verfassung entschiedenen Konfliktsituation. Hier ist aber darauf hinzuweisen, daß die Qualifikation des Gesetzgebers sich i n Wirklichkeit aus den I n teressen herleitet, über die er entscheidet. Es wurde schon ausgeführt, daß auch Gesetzgebung, die herkömmlicherweise dem Privatrecht zugerechnet wird, i n beträchtlichem Umfange öffentliche Interessen einbezieht 2 0 . Diese muß i m verfassungsrechtlichen Sinne auch als öffentlichrechtliche Gesetzgebung aufgefaßt werden. Da es i m vorliegenden Zusammenhang weniger auf genaue Abgrenzung, als vielmehr auf die Her18 19 20

Vgl. etwa Kelsen, Hauptprobleme, S. X V . Häberle, aaO, S. 60; S. 158: Grundrechte u n d deren Ausführungsgesetze! Vgl. 3. Kapitel, I I 3, oben S. 68.

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8. Kap.: Ausblick auf verfassungsrechtliche Problemstellungen

ausstellung der eigentlichen Schwerpunkte ankommt, soll diese Frage hier nicht weiter vertieft werden. I m Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Gesetzgeber hatten w i r die Wahrnehmung öffentlicher Interessen durch den Staat als Staatsfunktion von der Gesetzgebung selbst als Rechtsschöpfung scharf unterschieden. Diese Unterscheidung scheint uns die zentrale Grundlage auch für eine verfassungsrechtliche Systematik i m strukturellen Sinne zu sein. Sie erst ermöglicht nämlich einmal die Herausstellung des Gesetzgebers selbst als Anspruchsgegners, zum anderen aber die Beschreibung des Konfliktes, der sich zwischen i h m und dem wirtschaftlichen Eigentümer entwickelt: Es geht um die Frage, ob dieser Gesetzgeber bei seiner Rechtsschöpfung das Verhältnis von Staatsfunktion und privaten Interessen richtig bestimmt hat. Der Maßstab der „Richtigkeit" w i r d sich vor allem aus den Anforderungen des Wirtschaftsgefüges als System ergeben, das sich in dieser Weise gegen die Rechtsschöpfungskompetenz des öffentlich-rechtlichen Gesetzgebers durchsetzt. Der Anspruch, der aus diesem Konflikt gegen den Gesetzgeber folgt, kann nur dem wirtschaftlichen Eigentümer zustehen, denn eine die öffentlichen Interessen übermäßig berücksichtigende Rechtsschöpfung beeinträchtigt den Eigentümer i n seiner w i r t schaftlichen Position. Man kann die Frage stellen, wie es kommt, daß der Begriff des Konfliktes überhaupt an das Verhältnis von wirtschaftlichem Eigentümer und öffentlich-rechtlichem Gesetzgeber herangetragen werden kann. I n der Tat stellt sich dieses Verhältnis der natürlichen Anschauung ohne weiteres als ein Konfliktsfall dar, während man sich wohl scheuen würde, das Verhältnis zur Gesetzgebung i n rein privatrechtlichen Fragen als einen Konflikt aufzufassen. Das liegt sicher entscheidend mit daran, daß die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Gesetzgebung gegenüber den staatlichen Interessen, über die sie zu entscheiden hat, so schwer zu behaupten ist. Eine Spannungsbeziehung zwischen dem Gefüge der Lebensverhältnisse, i n das die staatliche Aufgabenwahrnehmung integriert ist, und der konfliktentscheidenden Funktion des Gesetzes i m öffentlichen Bereich begründet also erst die verfassungsrechtliche Fragestellung. I n diesem Sinne scheinen uns die gesamten vorhergehenden Ausführungen über das Verhältnis von Interessen und Gesetz ihrerseits erst die Grundlage für eine ausreichende Systematik der Grundrechtsbestimmungen der Verfassung zu sein. 3. Zusammenfassung Von dem erarbeiteten Beziehungsgeflecht aus werfen w i r noch einmal einen Blick auf die Arbeitsmittel der überkommenen Dogmatik i n der grundlegenden Frage nach der Natur des subjektiven Grundrechts des Art. 14 GG. Die wichtigsten Momente dieses Beziehungsgeflechts sind

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das wirtschaftliche Eigentum und sein Verhältnis zu den öffentlichen I n teressen i n einem Systemgefüge, die abgrenzende Entscheidung des öffentlich-rechtlichen Gesetzgebers über dieses Verhältnis, der Konflikt zwischen dem wirtschaftlichen Eigentümer und dem öffentlich-rechtlichen Gesetzgeber über dessen Rechtsschöpfungsakt selbst und die Entscheidung dieses Konfliktes durch den Verfassungsgesetzgeber, der dem wirtschaftlichen Eigentümer gegen den öffentlich-rechtlichen Gesetzgeber einen Anspruch auf Aufhebung des Gesetzes gibt, wenn dieser seine Kompetenz überschritten hat. Dieses Beziehungsgeflecht ist an sich selbstverständlich. Der Grundgedanke ergibt sich aus dem methodischen Ansatz unserer Arbeit, nach welchem eine Zweiseitigkeit jeder Norm angenommen wird, deren beide Seiten über den Gedanken der Konfliktsentscheidung miteinander vermittelt sind. Zur Außenseite hin entscheidet die Norm über einen Konflikt, zur Innenseite h i n realisiert sie diese Entscheidung durch Gewährung eines rechtlichen Anspruchs. Dieses Beziehungsgeflecht w i r d nun sicher nicht durch die Vorstellung eines privatrechtlichen Eigentums, welches i m Verfassungsrecht Staatsrichtung annimmt, ausreichend erfaßt. Die Einwände, die man gegen dieses vereinfachte Schema vorgebracht hat, sind auch nach unserer A u f fassung berechtigt. Schon die Vorstellung, daß das Eigentum sich gegen irgend jemand richten könnte, verkürzt die eigentlichen Zusammenhänge bis zur Unkenntlichkeit. Wenn man m i t i h r Sinn verbinden w i l l , könnten damit allenfalls die Ansprüche i n unserem Sinne gemeint sein, aber die unterschiedliche Richtung von Ansprüchen gibt weder eine Systemat i k des Privatrechts noch des Verfassungsrechts. Nach unserer Auffassung hat dann ja auch die vor allem von Weber entwickelte Unterscheidung zwischen Institutsgarantie und subjektivem Grundrecht i m wesentlichen die Funktion dieses vereinfachten Schemas des privat- und staatsgerichteten Eigentums übernommen. Ein grundlegender Einwand gegen die Konzeption von Weber war die Unverbundenheit der doppelten Garantie. Wenn man durch den Begriff des Instituts bei Weber einmal den Systemgedanken zum Ausdruck gebracht sieht 2 1 , so garantiert die Verfassung nicht einmal das System als solches und dann davon unabhängig das einzelne Eigentum, sondern sie kann das einzelne Eigentum überhaupt immer nur i n Anbetracht seiner Sy21

Ob allerdings der Institutsbegriff bei Weber m i t unserem Systembegriff gleichgesetzt werden kann, erscheint — abgesehen von der sogleich i m Text noch erörterten grundlegenden Unterscheidung beider Begriffe — schon deshalb fraglich, w e i l Weber an anderer Stelle das Institut Eigentum offenbar als Privatrechtsinstitut auffaßt (aaO, S. 357). Die materiellen öffentlichen Interessen wären dann i n diesen Institutsbegriff nicht einbezogen. Darauf beruhen — allerdings aus normativer Sicht formuliert — vor allem die Bedenken, die Rupp, Grundfragen, S. 235, gegen Dürig, Grundrechte und Zivilrechtssprechung, Festschrift für Nawiasky, S. 157, vorträgt. Rupp, Grundfragen, S. 237, geht davon aus, daß Weber sein Institut Eigentum auch durch Verwaltungsrechtssätze ausgeprägt sein läßt.

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8. Kap. : Ausblick auf verfassungsrechtliche Problemstellungen

stemfunktion schützen und gewährt diesen einheitlich zu denkenden Schutz durch ein subjektives Grundrecht des wirtschaftlichen Eigentümers gegen den öffentlich-rechtlichen Gesetzgeber. Der entscheidende Einwand gegen das unverbundene Nebeneinander von Institutsgarantie und subjektivem Grundrecht geht also dahin, daß diese Unterscheidung nicht zum Ausdruck bringen kann, daß das Verfassungsgesetz zur „Außenseite" über einen sich aus dem vorausgesetzten System ergebenden Konflikt entscheidet, indem es zur „Innenseite" ein subjektives Grundrecht gewährt. Weil für den überkommenen normativen Ansatz nur die Kategorie der Normwirkung zur Verfügung steht, erscheint die Ebene, „über" die das Gesetz nur entscheidet, i n der überkommenen Dokt r i n als Gegenstand einer direkten Garantie. Da insoweit nur das Institut garantiert sein kann, muß eine zweite auf die einzelne Eigentümerstellung bezogene Garantie daneben angenommen werden, die aber nun der Institutsgarantie nur parallel laufen kann. Die ganze Konzeption w i r d erst ermöglicht durch die Vorstellung, daß mit dem Allgemeinen (der Eigentumsordnung als solcher) etwas anderes geschützt ist als m i t dem Besonderen, das unter dieses Allgemeine fällt (dem einzelnen Eigentum). W i r beziehen das Verfassungsgesetz zur Außenseite hin i m übrigen nicht auf ein Institut Eigentum, sondern auf ein offenes System, i n welchem wirtschaftliches Eigentum seinen Platz hat. Erst die Unterscheidung der einzelnen Systemteile (vor allem wirtschaftliches Eigentum und öffentlich-rechtlicher Gesetzgeber) ermöglicht uns, die Konfliktsentscheidungsfunktion des Verfassungsgesetzes, also die Beziehung zur Außenseite herauszuarbeiten. Die globale Vorstellung des Instituts bietet keinen Anknüpfungspunkt für die Herausarbeitung eines Konfliktes, der sich ja innerhalb des Instituts abspielen müßte. Der Begriff des I n stituts Eigentum i n der Dogmatik des A r t . 14 GG läßt sich aus seiner idealen Allgemeinheit nicht i n ein funktionales Verständnis i m Sinne des hier zugrundegelegten Strukturgedankens überführen. II. Subjektives Grundrecht und Verfassung als Wertsystem Die vorstehenden Überlegungen zu einer funktionalen Erfassung des subjektiven Grundrechts auf der Grundlage des Verfassungsgesetzes als Konfliktsentscheidung sind i m Rahmen einer Auseinandersetzung mit den Arbeitsmitteln des praktischen Verfassungsrechts i m Rahmen des Art. 14 GG entwickelt worden. Es wurde hierbei insbesondere bei der Unterscheidung von Institutsgarantie und Rechtsstellungsgarantie angesetzt, weil sich i n dieser Unterscheidung das von uns i n Angriff genommene Problem schon am deutlichsten abzeichnet und diese Unterscheidung nach unserer Auffassung i m übrigen auch für eine Systematik des Art. 14 GG heute wohl der Angelpunkt sein dürfte. Die Untersuchung blieb auf dieser mehr instrumentalen Ebene, die Frage des Verhältnisses

II. Subjektives Grundrecht und Verfassung als Wertsystem

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zu einem auch von dem Verfassungsgesetzgeber zugrundegelegten Freiheitsbegriff blieb zunächst i n dieser Untersuchung zurückgestellt. Die große moderne „Systemdiskussion" des Verfassungsrechts nimmt heute aber ihren Ausgang bei einer unterschiedlichen Interpretation des Freiheitsbegriffs. Hier stehen sich das sogenannte geisteswissenschaftliche Grundrechtsverständnis etwa Hesses und Häberles und die „liberale" Auffassung Forsthoffs diametral gegenüber 22 . Beide Schulen konzipieren nach unserer Deutung die Verfassung als Wertsystem i n dem von uns bereits i m 6. Kapitel entwickelten Sinne. Die von der geisteswissenschaftlichen Schule vorgetragenen Argumente weisen eine weitgehende Ubereinstimmimg m i t den von Coing und Wieacker i n der Privatrechtsdiskussion verwendeten auf. Forsthoffs Argumentation steht dagegen einer funktionalen Betrachtungsweise näher, obwohl letztlich für i h n auch ein bestimmter Freiheitsbegriff grundlegend bleibt. W i r haben m i t unserem Strukturmodell gewissermaßen einen dritten Standpunkt erarbeitet, von dem aus beide Positionen dieser Systemdiskussion des Verfassungsrechts als Denken i n einem Wertsystem gedeutet werden können. Das schroffe Gegeneinander 23 dieser Positionen kann zwar nicht aufgehoben, es kann aber der eigentliche Grund dafür bewußt gemacht werden. Da die verfassungsrechtliche Systemdiskussion i n ganz hervorragender Weise den metaphysischen Denkansatz zum subjektiven Recht überhaupt repräsentiert, soll unser Ansatz auch i m verfassungsrechtlichen Bereich jedenfalls skizzenhaft gegen diesen Ansatz von einem Wertsystem her abgegrenzt werden. Da es uns i m wesentlichen auf diese A b grenzung ankommt, genügt es, wenn w i r uns i m folgenden auf die einander gegenüberstehenden Argumentationen von Häberle und Forsthoff beschränken. Häberle wendet sich bereits i m Ansatz gegen das sogenannte Schrankenmodell des Rechts und das Eingriffsdenken 24 . Er bezeichnet den diesem Denken zugrundeliegenden formalen Freiheitsbegriff als aufklärerisch, individualistisch, voluntaristisch und nominalistisch 25 . Er wendet sich dann gegen die liberal-positivistischen Formulierungen des Staatsrechts der Jahrhundertwende, aber auch noch des Carl Schmitt der Weimarer Zeit, nach welchen die Freiheit keiner Ausführungsgesetze bedarf, oder wie Carl Schmitt formuliert 2 6 , selbst kein Institut ist. Seine Grundthese geht dahin, daß die Freiheit immer schon ausgestaltet ist, alles was 22 Vgl. etwa Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 76; Häberle, aaO; Forsthoff, Die U m b i l d u n g des Verfassungsgesetzes, i n : Festschrift für Carl Schmitt, S. 35 ff.

23

So die Bewertung von Hesse, aaO, S. 76.

24

aaO, S. 150. aaO, S. 3,150. Freiheitsrechte u n d institutionelle Garantien, aaO, S. 167.

25 2β

13

Schapp

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8. Kap.: Ausblick auf verfassungsrechtliche Problemstellungen

sie ist, nur i m Recht ist 2 7 . Die einzelnen Grundrechte faßt Häberle dann als Besonderungen dieser Freiheit auf 2 8 . Sie sind ebenfalls Institut. Die ganze einfache Gesetzgebung des Privatrechts, des Strafrechts und des öffentlichen Rechts stellt sich als Ausgestaltung der Freiheit und ihrer Besonderungen, der Grundrechte als Institute dar 2 9 . Der Begriff des Instituts bei Häberle w i r d einmal als Durchgriff auf das Soziologische 30 , die Lebenswirklichkeit 3 1 verstanden. Der Gedanke, daß das Institut immer schon vom Recht geprägt ist, führt dann aber dazu, daß diese Lebenswirklichkeit nicht gegenüber dem Recht abgesetzt wird, das Recht w i r d vielmehr i n den Institutsbegriff m i t hineingenommen. Die schlagendste Formulierung dafür ist, daß durch den Institutsgedanken die K l u f t zwischen Sein und Sollen überbrückt w i r d 3 2 . I n dieser Verklammerung der beiden Ebenen ist nach unserer Auffassung die tragende Bedeutung von Häberles Institutsbegriff zu sehen. Häberle beruft sich dann zwar auf eine Reihe der bisher i n den Sozialwissenschaften und auch i n der Rechtswissenschaft vorgetragenen Institutsbegriffe, ohne aber den spezifischen Aussagegehalt dieser Begriffe besonders zu würdigen. Sie dienen letztlich alle der Begründung seiner großen These einer Einheit von Lebenswirklichkeit und Recht. Welche Bedeutung hat i n diesem Gedankenkomplex nun noch das subjektive Grundrecht? Häberle bewältigt diese Frage m i t dem Gedankenschema, daß i n der sozialen Wirklichkeit individuelle und soziale, objektive und subjektive Momente gleichrangig seien 33 . Das subjektive Grundrecht w i r d damit als subjektives Moment der Institution gedeutet, das gleichrangig neben der objektiven Seite steht 3 4 . Häberle begegnet also der „Gefahr", daß sich das subjektive Grundrecht doch wieder als Hebelpunkt einer liberal-individualistischen Rechtsauffassung darstellt, durch seine These der Gleichrangigkeit individueller und sozialer, subjektiver und objektiver Momente der Institution als solcher. Diese Thesen von Häberle sind der systematisch deutlichste Ausdruck des sogenannten geisteswissenschaftlichen Verständnisses der Grundrechte, das i n den Grundrechten nicht so sehr Abwehrrechte gegen den Staat als vielmehr ein System positiver Werte, oder, wie auch formuliert worden ist, ein Rechtsgutgemälde 35 sieht. Forsthoff hat sich gegen dieses 27 28 29 30 31 32 33 34 35

Durchgehend, u. a. aaO, S. 146, 225. aaO, S. 207. aaO, S. 60. aaO, S. 110. aaO, S. 91. aaO, S. 32. Durchgehend, z. B. aaO, S. 14,17. aaO, S. 24. Lerche, Ubermaß u n d Verfassungsrecht, S. 225.

II. Subjektives Grundrecht und Verfassung als Wertsystem

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Verständnis der Grundrechte gewandt, das zu einem unkontrollierbaren Einfluten sozialer Gehalte i n die Grundrechte führe 8 6 . Er versteht i m Gegenteil die Grundrechte weiterhin i m Sinne des klassischen Verständnisses als reine Abwehrrechte gegen den Staat. Das Rechtsstaatsprinzip — als Ausdruck dieser Abwehrrechte — und das Sozialstaatsprinzip sind nach Forsthoff auf der Verfassungsebene nicht miteinander verschmolzen 37 . Erst i n der Verbindung von Verfassung, Gesetzgebung und Verwaltung verbinden sich Rechtsstaat und Sozialstaat 88 . Die Begriffe des Rechtsstaates gehen auf Ausgrenzung, auf Freiheit, der Sozialstaat ist auf Teilhabe hingerichtet 3 9 . Die sozialstaatliche Ordnung ermangelt zwar der verfassungsrechtlichen Gewähr, sie vollzieht sich aber auf der Ebene der Gesetzgebung m i t der aus den Gegebenheiten und Notwendigkeiten des Soziallebens geschöpften K r a f t 4 0 . I n engem inneren Zusammenhang m i t Forsthoffs Verfassungskonzeption stehen die von i h m i m Verwaltungsrecht vorgetragenen Überlegungen zur Möglichkeit eines einheitlichen Systems. Die Aufgabe, die Eingriffsverwaltung und die Daseinsvorsorge als den wesentlichen Komplex der Leistungsverwaltung i n einem einheitlichen Rechtssystem zusammenzufassen, ist nach Forsthoff ungelöst, und er zweifelt auch, ob sie lösbar ist. Das moderne Verwaltungsrecht sei vielleicht doch nicht infolge wissenschaftlichen Unvermögens, sondern kraft der Logik der Dinge dualistisch 41 . Häberle setzt dem gesamten Rechtssystem einen obersten Wert der Freiheit voran, als deren Ausgestaltung dann alle rechtlichen Regelungen erscheinen. Die Freiheit geht gewissermaßen durch alle Stationen des Rechts hindurch, indem sie sich durch rechtliche Ausgestaltung selbst verwirklicht. I n diesen Systemansatz ist jeder Wandel grundlegender gesellschaftspolitischer Überzeugungen von vornherein einbezogen, w i r d also i m Hinblick auf seine Bedeutung für das Recht nicht problematisch. Über die Institution umfaßt der Freiheitsbegriff auch den Pflichtgedanken, das Soziale, die objektiven Momente. Häberle hat damit aber letztlich nicht die Frage nach der Funktion des Rechtes beantwortet, sondern ist i h r durch einen übergreifenden Systemansatz von einem obersten Wert her ausgewichen. Die deutlichste Formulierung dieses Ausweichens findet sich i n der These, die subjektivrechtliche Seite der Grundrechte sei gleichrangig m i t der objektivrechtlichen, institutionellen Seite. Damit ist sicher die Bedeutung des subjektiven Grundrechts i n einem Rechts36 37 38 39 40 41

13

Vgl. Forsthoff, Die U m b i l d u n g des Verfassungsgesetzes, aaO. Begriff u n d Wesen des sozialen Rechtsstaates, aaO, S. 49. aaO, S. 49. aaO, S. 38, 39. aaO, S. 54. aaO, S. 33.

1Ô6

8. Kap.: Ausblick auf verfassungsrechtliche Problemstellungen

system nicht getroffen. Es hätte das Verhältnis von Institution und subjektivem Grundrecht zueinander interessiert, das durch die Behauptung der Gleichrangigkeit nicht dargestellt ist. Das Nebeneinander von objektiven und subjektiven Momenten, die nicht aufeinander bezogen werden, erinnert i m übrigen an das Nebeneinander von Institut und subjektivem Grundrecht, das von der herrschenden Lehre i m Rahmen des A r t . 14 GG angenommen wird. Häberle versteht sein Konzept als die Gegenposition zu einem liberalen Freiheitsbegriff, den er selbst aber gar nicht weiter aufklärt, sondern nur i n schlagwortartigen Formulierungen zum Ziel seiner Angriffe macht. Wenn es heißt, daß die Freiheit keiner Ausführungsgesetze bedarf 4 2 , so ist damit doch wohl ein ethischer Freiheitsbegriff gemeint, der eben wegen seiner sittlichen Natur nicht durch ein rechtliches Regelwerk erfaßt werden kann. Der Sinn dieser Aussage ist also weitgehend verfehlt, wenn man sie i n ihr Gegenteil umdreht und jetzt einfach die These vertritt, daß die Freiheit ausgestaltet werden müsse. Auch der Satz Carl Schmitts, daß die Freiheit nichts konstituiert 4 3 , geht methodisch von dieser Trennung zweier Bereiche der Freiheit und des Rechts aus. M i t diesem Aussagegehalt setzt Häberle sich nicht auseinander, wenn er den Satz einfach umdreht. Indem Forsthoff primär auf das Grundrecht als Abwehrrecht gegen den Staat abstellt, hält er die normative Bedeutung der Verfassung fest und löst sie nicht institutionell auf. Aufgrund alter Denktradition sieht er durch dieses Abwehrrecht als Ausgrenzung aber eine individuelle Freiheit geschützt 44 und kommt damit letztlich — i n unserer Sicht — doch wieder zu einem „wertsystematischen" Ansatz für das Verfassungsrecht. Es hätte nun nahegelegen, die Formalität dieses Freiheitsbegriffs zu betonen und darin nur eine Beschreibung der Abgrenzungsfunktion des Rechtes selbst zu sehen. Forsthoff tut diesen Schritt nicht, sondern geht offenbar von einer materialen Bedeutung dieses Freiheitsbegriffs aus. Er kann dann das Abwehrrecht nur als Schutz dieser materialen Freiheit interpretieren. Da auf diese Weise die gesamten materiellen öffentlichen Interessen nicht i n das verfassungsrechtliche System einbezogen werden können, schiebt Forsthoff sie auf die Ebene der einfachen Gesetzgebung und kommt so zu seinem augenfälligen Bruch zwischen Verfassung als Verwirklichung des Rechtsstaates und einfacher Gesetzgebung als Verwirklichung des Sozialstaates. Die Gegenposition etwa von Häberle faßt die öffentlichen Interessen m i t i n den Freiheitsbegriff ein, kann dann aber von dieser zu umfassenden Position aus das subjektive Grundrecht ebensowenig wie die objektive Verfassungsnorm i n ihrer 42

Vgl. dazu Häberle, aaO, S. 130.

48

Verfassungslehre, S. 200. Vgl. Forsthoff, Die U m b i l d u n g des Verfassungsgesetzes, aaO, S. 40.

44

II. Subjektives Grundrecht und Verfassung als Wertsystem

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Funktion fassen. Für beide Positionen stellt das subjektive Grundrecht letztlich Ausdruck der jeweils unterschiedlich verstandenen Freiheit dar. Von beiden Positionen aus ist kaum erkennbar, daß ein Denkansatz, der Freiheit und subjektives Recht i n dieser Weise kurzschließt, der eigentliche Grund der jeweiligen Komplikationen ist. Wenn Forsthoff die Ausgrenzung als Begriff des Rechtsstaates der Teilhabe als Begriff des Sozialstaates entgegensetzt, so ist das i n der Struktur derselbe Gedanke, der von Coing i n der Entgegensetzung von Abgrenzungsfreiheit und Kooperation für das Zivilrecht formuliert worden ist. W i r können auf unsere Untersuchung zu Coing verweisen. Auch Forsthoff kommt m i t dieser Gegenübersetzung zu einer nicht durchführbaren Antithese. Die Teilhabe betrifft die Funktionsebene des Gefüges der Lebensverhältnisse, die Ausgrenzung die Rechtsebene. Die Teilhabe auf der Funktionsebene ist gar nicht möglich, ohne daß auf der Rechtsebene Ausgrenzung erfolgt. Der Bruch i n Forsthoffs Konzeption zwischen Rechtsstaat und Sozialstaat gründet also schließlich auf der methodischen Unterscheidung unserer beiden Ebenen des Rechts als Konfliktsentscheidung und der Lebensverhältnisse, nur ordnet Forsthoff diese beiden Schichten einander nicht i n unserem Sinne zu. Die „ Ausgrenzungsebene 1 ' w i r d m i t einem Wertbegriff der Freiheit identifiziert, der sich m i t den Prinzipien der „Teilhabeebene" nicht vereinbaren läßt. Worauf die Unvereinbarkeit beruht, kann analytisch nicht gefaßt werden, so daß i m Ergebnis zwei unterschiedliche Ebenen, nämlich Rechtsstaat und Sozialstaat, wie erratische Blöcke nebeneinander stehen. Das Problem kehrt i m Verwaltungsrecht wieder, wo die Eingriffsverwaltung über das Gegeneinander der beiden Begriffe Souveränität und Freiheit verstanden wird, die Leistungstätigkeit des Staates dagegen als positive Funktionsbeziehung. Wenn Forsthoff hier resignierend darauf hingewiesen hat, daß das moderne Verwaltungsrecht nicht infolge wissenschaftlichen Unvermögens, sondern kraft der Logik der Dinge dualistisch sei, so müssen dem doch Zweifel entgegengesetzt werden. W i r haben i n unserer dem subjektiven öffentlichen Recht des Verwaltungsrechts gewidmeten Untersuchung versucht, den über die Verschmelzung von Souveränität und Freiheit laufenden Denkansatz zur funktionellen Seite hin aufzulösen und damit die subjektiven Rechte der Eingriff s Verwaltung i n eine Reihe mit den Rechten der Leistungsverwaltung zu bringen. Dualistisch ist das moderne Verwaltungsrecht, aber der Dualismus liegt nicht zwischen Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung, sondern zwischen Staatsfunktion und Recht. Die Auswirkungen, die Forsthoffs gedanklicher Ansatz i m einzelnen hat, zeigen sich besonders deutlich bei seiner Einordnung der Steuerhoheit des Staates. Der Rechtsstaat als Steuerstaat beruht nach seiner Auffassung auf einer spezifischen, i n der rechtsstaatlichen Verfassung

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8. Kap.: Ausblick auf verfassungsrechtliche Problemstellungen

enthaltenen Voraussetzung, der scharfen Abgrenzung der Steuerhoheit von dem i n den Grundrechten gewährleisteten Schutz des Eigentums. Steuererhebung ist überhaupt nur möglich, indem sie nicht als Eingriff i n Eigentum und damit als entschädigungspflichtige Enteignung qualifiziert w i r d 4 5 . Da die materialen staatlichen Interessen nicht i n eine Beziehung zu Forsthoffs Freiheitsbegriff gebracht werden können und Forsthoff i m übrigen — für den Bereich des Eigentums — diesen Freiheitsbegriff m i t der privatrechtlichen Position des Eigentums gleichsetzt, ist er genötigt, die ganze Steuerproblematik aus der Verfassung herauszunehmen und den Schutzbereich des A r t . 14 GG entsprechend einzuschränken. Unser Verfassungsgesetz hat den allgemeinen Freiheitsbegriff i n A r t . 2 I GG den einzelnen Grundrechten vorgeordnet. Das Verhältnis zwischen Freiheit und den einzelnen Grundrechten w i r d heute überwiegend wertsystematisch gedeutet, d. h. Art. 2 I GG stellt das Muttergrundrecht dar, die Einzelgrundrechte sind nur die Besonderungen dieser allgemeinen Freiheit. Nach unserer Auffassung stabilisiert die Verfassung i m Bereich der Wirtschaft einen bestimmten Systemzusammenhang, i n dessen Zentrum das Eigentum steht. Durch diese Stabilisierung soll die i n A r t . 2 I GG intendierte Freiheit erreicht werden. Die Verfassung hat gar nicht die Möglichkeit, diese Freiheit gewissermaßen auf direktem Wege zu erreichen. Auch diese funktionelle Auffassung des Verhältnisses von Wirtschaftssystem und Freiheit ist m i t dem Verfassungstext vereinbar. Sie entspricht i m übrigen der Verfassungspraxis, deren Schwerpunkt i n der Anwendung der Einzelgrundrechte und nicht i n der Ableitung von Rechtsfolgen aus einem allgemeinen Freiheitsbegriff liegt.

45

Begriff u n d Wesen des sozialen Rechtsstaats, aaO, S. 53.

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