Das Sondervotum in der Verfassungsgerichtsbarkeit der neuen Bundesländer [1 ed.] 9783428519101, 9783428119103

Die Mehrheit entscheidet - nach diesem demokratischen Prinzip wird nicht nur in der Politik verfahren, sondern auch in e

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Das Sondervotum in der Verfassungsgerichtsbarkeit der neuen Bundesländer [1 ed.]
 9783428519101, 9783428119103

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1020

Das Sondervotum in der Verfassungsgerichtsbarkeit der neuen Bundesländer Von

Christian Eggeling

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTIAN EGGELING

Das Sondervotum in der Verfassungsgerichtsbarkeit der neuen Bundesländer

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1020

Das Sondervotum in der Verfassungsgerichtsbarkeit der neuen Bundesländer

Von

Christian Eggeling

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Wintersemester 2004 / 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D 517 Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11910-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2004/2005 von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung habe ich Literatur und Rechtsprechung bis zum Jahresende 2004 berücksichtigt. Mein herzlichster Dank gilt meiner verehrten Doktormutter, Frau Prof. Dr. Carola Schulze. Sie hat durch ihre engagierte Unterstützung maßgeblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen und mir während meiner langjährigen Tätigkeit an ihrem Lehrstuhl ein Höchstmaß an akademischer Freiheit gewährt. Weit über die eigentliche Betreuung hinaus hat sie mich in vielerlei Hinsicht persönlich gefördert und geprägt. Herrn Prof. Dr. Ralph Jänkel bin ich für die Übernahme und die zügige Anfertigung des Zweitgutachtens sehr dankbar. Zu danken habe ich der Studienstiftung des Deutschen Volkes, die mein Vorhaben mit einem Promotionsstipendium gefördert hat. Dank gebührt ferner Herrn Prof. Dr. Christian Pestalozza, von dem ich anlässlich des Auswahlgespräches für das Promotionsstipendium und auch in der Folgezeit wertvolle inhaltliche Anregungen und Hinweise erhielt, sowie Herrn Prof. Dr. Matthias Dombert, der mir einen Einblick in die verfassungsrichterliche Praxis gab. Der Geschäftsleiter des Berliner Verfassungsgerichtshofs, Herr Reinhard Rudolph, unterstützte mich mit zahlreichen Materialien, die mir die Arbeit sehr erleichterten. Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Abhandlung zu meiner großen Freude mit dem Wolf-Rüdiger-Bub-Preis ausgezeichnet. Ich widme diese Arbeit meiner Mutter und dem Andenken meines Vaters. Hamburg, im Oktober 2005

Christian Eggeling

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Synopse der landesrechtlichen Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Stellung der Landesverfassungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Zusammensetzung der Landesverfassungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . 1. Spruchkörper und Anzahl der Mitglieder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Qualifikation der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschlussfähigkeit der Landesverfassungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Kreation der Verfassungsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Voraussetzungen der Wählbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wählbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mindestalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Wahlverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kreationsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorschlagsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anhörung und Aussprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Quorum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Amt der Verfassungsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Amtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Amtszeit und Wiederwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inkompatibilitäten und Inelegibilitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stellvertretung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Amtsende und Ausscheiden aus dem Verfassungsrichteramt . . . . . . a) Ablauf der regulären Amtszeit bzw. Erreichen der Altersgrenze b) Amtsenthebung und Ausscheiden aus dem Verfassungsrichteramt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Neuwahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Entschädigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Zuständigkeiten der Landesverfassungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Organstreitigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Normenkontrollverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abstrakte Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkrete Normenkontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Individualverfassungsbeschwerde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kommunalverfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wahlprüfungsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 18 19 20 20 20 24 25 25 25 26 26 26 27 28 28 30 30 31 32 35 36 36 37 39 41 44 44 45 45 45 46 49 50

8

Inhaltsverzeichnis 6. Überprüfung von Volksabstimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Abgeordneten- und Ministeranklageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Sonstige Zuständigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Allgemeine Verfahrensbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Geschäftsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Verfahrensstatistiken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . 4. Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Thüringer Verfassungsgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Auswertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52 54 55 56 58 59 59 60 61 61 62 62 63 65

C. Die rechtlichen und ideengeschichtlichen Grundlagen des Sondervotums I. Die gesetzlichen Regelungen des Sondervotums in Berlin und den neuen Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Grundsatz der geheimen Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeit abweichender Voten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mitteilung des Stimmenverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Rechtslage in den Altbundesländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die ideengeschichtlichen Grundlagen des Sondervotums . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entwicklung des Sondervotums in der deutschen Gerichtspraxis bis 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Diskussion über das Sondervotum bei den Beratungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und des Deutschen Richtergesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Vorbild des Supreme Court of the United States . . . . . . . . . . . . . 4. Der 47. Deutsche Juristentag 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Novellierung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes . . . . . . . . . V. Das Sondervotum beim Bundesverfassungsgericht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Praxis bis 1970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Praxis seit dem In-Kraft-Treten der 4. Novelle des BVerfGG von 1970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Bewertung des Sondervotums in der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das Sondervotum in der Verfassungsgerichtsbarkeit der Bundesländer 1. Erste Ansätze zur Bekanntgabe abweichender Meinungen in Bayern und Bremen nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Einfluss der Debatten 1968 auf die Landesverfassungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 67 67 68 68 69 72 74 74

77 79 80 89 92 92 94 98 101 101 101 103 108

Inhaltsverzeichnis 3. Die Einführung des Sondervotums beim Hamburgischen Verfassungsgericht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Diskussion über das Sondervotum bei der Errichtung einer Landesverfassungsgerichtsbarkeit in Berlin und in den neuen Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mecklenburg-Vorpommern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Novellierung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zu den Auswirkungen und der Bedeutung veröffentlichter Sondervoten I. Prämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Interne Auswirkungen veröffentlichter Sondervoten . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sondervoten – ein Beratungshindernis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der gerichtliche Beratungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche und autonom verordnete Vorgaben für das Sondervotum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sondervoten und die Kollegialität im Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sondervoten – eine zusätzliche Arbeitsbelastung für die Verfassungsrichter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorlagefristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sondervoten bei Eilentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sondervoten – eine Gefahr für die richterliche Unabhängigkeit? . . a) Die innere Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sondervoten in der öffentlichen Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . c) Sondervoten in der juristischen Fachöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . d) Sondervoten als parteipolitische Indikatoren? . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Externe Auswirkungen veröffentlichter Sondervoten . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sondervoten und die Autorität des Verfassungsgerichts . . . . . . . . . . . a) Wirkungen auf die unterlegene Partei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirkungen auf die Öffentlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirkungen auf die Träger öffentlicher Gewalt. . . . . . . . . . . . . . . . d) „Verkündung“ des Sondervotums durch den Dissenter selbst? . . e) Exkurs: Schreiben in „eigener Sache“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sondervoten – ein Mittel zur Fortentwicklung des Rechts? . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

E. Die Mitteilung des Stimmenverhältnisses bei der Abstimmung . . . . . . . . . 225 F. Sondervoten auch für andere Gerichtsbarkeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 G. Ergebnisse und Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Anhang: Statistik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

Abkürzungsverzeichnis BayVerf BayVerfGH BayVerfGHG BerlVerfGH BerlVVVG BremStGHG BWStGHG GO HessStGHG HVerfGG LL LVerfGG LSA LVerfGG MV

LVerfG LSA LVerfG MV NdsStGHG NWVerfGHG RhPf Verf RhPfVerfGHG SaarVerf SaarVerfGHG SächsVerf SächsVerfGH SächsVerfGHG SächsVerfGHG EntschVO

Verfassung des Freistaates Bayern Bayerischer Verfassungsgerichtshof Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof – Bayerisches Verfassungsgerichtshofsgesetz Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin Gesetz über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (Berlin) Gesetz über den Staatsgerichtshof Bremen Gesetz über den Staatsgerichtshof Baden-Württemberg Geschäftsordnung Gesetz über den Staatsgerichtshof des Landes Hessen Gesetz über das Hamburgische Verfassungsgericht – Hamburgisches Verfassungsgerichtsgesetz Linke Liste Gesetz über das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt – Landesverfassungsgerichtsgesetz (Sachsen-Anhalt) Gesetz über das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern – Landesverfassungsgerichtsgesetz (Mecklenburg-Vorpommern) Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Gesetz über den niedersächsischen Staatsgerichtshof Gesetz über den Verfassungsgerichtshof für das Land NordrheinWestfalen Verfassung des Landes Rheinland Pfalz Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Landes RheinlandPfalz Verfassung des Saarlandes Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Saarlandes Verfassung des Freistaates Sachsen Sächsischer Verfassungsgerichtshof Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen – Sächsisches Verfassungsgerichtshofsgesetz Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über die Entschädigung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs des Freistaates Sachsen

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Abkürzungsverzeichnis

SächsVVVG ThürBVVG ThürVerf ThürVerfGH ThürVerfGHG VAbstG LSA VAG Bbg Verf Bbg Verf Bln Verf Brem Verf BW VerfG Bbg VerfGG Bbg VerfGHG Bln Verf Verf Verf Verf

LSA MV Nds NW

Gesetz über Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid (Sachsen) Thüringer Gesetz über das Verfahren bei Bürgerantrag, Volksbegehren und Volksentscheid Verfassung des Freistaates Thüringen Thüringer Verfassungsgerichtshof Gesetz über den Thüringer Verfassungsgerichtshof – Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetz Gesetz über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (Volksabstimmungsgesetz Sachsen-Anhalt) Gesetz über das Verfahren bei Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (Volksabstimmungsgesetz Brandenburg) Verfassung des Landes Brandenburg Verfassung von Berlin Verfassung der Freien Hansestadt Bremen Verfassung des Landes Baden-Württemberg Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Gesetz über das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg – Verfassungsgerichtsgesetz Brandenburg Gesetz über den Verfassungsgerichtshof (Berlin) – Verfassungsgerichtshofsgesetz Berlin Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern Niedersächsische Verfassung Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen ***

Im Übrigen richten sich die im Text verwendeten Abkürzungen nach Kirchner, Hildebert/Butz, Cornelie, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Auflage, Berlin 2003.

Die Verfassung ist „kein monolithischer Block . . . wie so ein Granitfindling, der in der Landschaft steht, sondern etwas Lebendiges, Wachsendes, Wechselndes“. Wolfgang Zeidler1

A. Einleitung Die Mehrheit entscheidet – diese demokratische Regel wird nicht nur für Wahlen und Abstimmungen im politischen Prozess oder für Entscheidungen in gesellschaftlichen Gremien angewandt, sondern auch für die Urteilsfindung in einem Kollegialgericht. Sie ermöglicht zwar keine Gewähr für die Richtigkeit der gefällten Entscheidung, erleichtert aber deren Zustandekommen: Die Auffassung der Mehrheit des Kollegiums wird zur Entscheidung „des Gerichts“. Ob aber eine Entscheidung unter den Richtern umstritten gewesen ist, welche Argumente in der Beratung gegen sie vorgebracht wurden, ob sie bei der Abstimmung gleichsam auf Messers Schneide stand, erfahren die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit in aller Regel nicht; die Richter sind aufgrund des in den Verfahrensbestimmungen der einzelnen Gerichtszweige verankerten Beratungsgeheimnisses verpflichtet, über den Gang der Beratung und das Abstimmungsergebnis Stillschweigen zu bewahren. Ein Spalt, der einen Blick auf den gerichtlichen Beratungsvorgang erlaubt, hat sich jedoch geöffnet, als im Dezember des Jahres 1970 den Richtern des Bundesverfassungsgerichts durch eine Gesetzesnovelle die Möglichkeit eingeräumt wurde, ihre von der Mehrheit abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederzulegen und dieses zusammen mit der Entscheidung veröffentlichen zu lassen. Das Für und Wider des aus dem angloamerikanischen Rechtskreis entstammenden Sondervotums war schon während der Schaffung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes in den Jahren 1949 bis 1951, danach auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum und in der Richterschaft eingehend erörtert worden. Ihren Höhepunkt erreichten die teils mit Leidenschaft geführten Diskussionen auf dem 47. Deutschen Juristentag 1968 in Nürnberg. Die Gegner des Sondervotums sahen in ihm einen Bruch mit der deutschen Gerichtstradition und befürchteten, dass die Autorität und Befriedungswirkung des richterlichen Spruchs gefährdet werden könne, wenn er von dem Gericht selbst in Frage gestellt werde, während die Befürworter sich einen Schritt zu mehr demokratischer Transparenz im Gerichtsverfassungsrecht, eine Stärkung der Persönlichkeit des einzelnen Richters und frühzeitige Hinweise auf bevorstehende Änderungen oder neue Akzente in der Recht1 Diskussionsbeitrag auf dem 55. Deutschen Juristentag 1984 in Hamburg (55. DJT, Bd. II, S. N 92).

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A. Einleitung

sprechung erhofften. Mit überwältigender Mehrheit sprachen sich die Teilnehmer des Juristentages für die Zulassung des Sondervotums, das Zweigert als ein „Stück großer Justizreform mit kleinen Mitteln“ bezeichnet hatte2, bei den Verfassungsgerichten aus; für die Einführung bei den obersten Gerichtshöfen des Bundes fand sich eine deutliche Mehrheit. Die Einführung des Sondervotums bei allen Kollegialgerichten wurde hingegen mit knapper Mehrheit abgelehnt, für einen späteren Zeitpunkt aber als wünschenswert betrachtet. Die „Euphorie von Nürnberg“3, der sich auch die politischen Kräfte nicht entziehen konnten, verflog jedoch rasch. Nach der Aufnahme des Sondervotums in das Verfahrensrecht des Bundesverfassungsgerichts wurde dessen Ausweitung auf die Verfassungsgerichte der Länder und die obersten Bundesgerichte nicht weiter verfolgt. Allein Hamburg gestattete im Jahre 1982 den Mitgliedern seines Verfassungsgerichts das Recht zur öffentlichen Bekanntgabe abweichender Voten.4 Mit der gesetzlichen Regelung des Sondervotums beim Bundesverfassungsgericht erledigten sich viele grundlegende Streitfragen. Seine prinzipielle Zulässigkeit wird gegenwärtig auch nicht mehr ernsthaft in Zweifel gezogen.5 Die Auswirkungen veröffentlichter Sondervoten auf die Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts und auf das Rechtsleben sind inzwischen mehrfach untersucht worden.6 Die Beurteilung variiert dabei von nachdrücklichen Bedenken bis hin zum ungeteilten Beifall; Kritik richtet sich jedoch häufig gegen die Handhabung und Form einiger Sondervoten.7 Im Hinblick auf die Landesverfassungsgerichte hat sich einzig Geck 1983 Gedanken über die verfassungspolitische Zweckmäßigkeit einer generellen Einführung des Sondervotums gemacht. Ihm erschienen aufgrund der gegenüber dem Bundesverfassungsgericht bestehenden Verschiedenheiten bezüglich der Kompetenzzuweisungen, des Umfangs der Rechtsprechungstätigkeit, der Entscheidungsfolgen, der Zusammensetzung der Spruchkörper und der Rechtsstellung der Gerichtsmitglieder die Nachteile des Sondervotums bei den Landesverfassungsgerichten wesentlicher als dessen Vorteile und riet, den bei

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Zweigert, 47. DJT I, S. D 39. Ritterspach, S. 1389. 4 Beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof wurden abweichende Meinungen überstimmter Gerichtsmitglieder bereits seit 1949 zusammen mit der Entscheidung in der amtlichen Entscheidungssammlung veröffentlicht, allerdings stets ohne namentliche Nennung des Verfassers; vgl. Heyde, JöR N. F. Bd. 19 (1970), S. 210 f. 5 Vgl. Klein, in: Benda/Klein, § 16, S. 133, Rn. 318. 6 Vgl. Fromme, S. 867 ff.; Spanner, S. 891 ff.; Geiger, S. 455 ff.; Zierlein, DÖV 1981, S. 83 ff.; Millgramm, S. 101 ff.; Ritterspach, S. 1379 ff.; Lamprecht, Richter contra Richter, S. 101 ff.; Roellecke, S. 363 ff. 7 Zuck, JuS 1975, S. 697; Geiger, S. 458 f. 3

A. Einleitung

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diesen Gerichten zum damaligen Zeitpunkt vorherrschenden Rechtszustand8 – den Ausschluss des Sondervotums – als „das Bewährte“ zu erhalten.9 Neu entfacht wurde der Streit um das Sondervotum zu Beginn der neunziger Jahre, als nach der Wiedervereinigung Deutschlands Berlin und die fünf neuen Länder die rechtlichen Grundlagen für die Konstituierung einer eigenen Landesverfassungsgerichtsbarkeit schufen.10 Insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen nahm während den Gesetzesberatungen die Frage, ob den Mitgliedern des Landesverfassungsgerichts die Kundgabe abweichender Meinungen gestattet werden sollte, breiten Raum ein. Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen entschieden sich dafür, das Institut des Sondervotums von Anfang an in ihre Verfassungsgerichtsgesetze aufzunehmen, Sachsen-Anhalt folgte 1996. Der Freistaat Sachsen hat in den Verfahrensbestimmungen für seinen Verfassungsgerichtshof das Sondervotum hingegen explizit untersagt. Mittlerweile können die Verfassungsgerichte in Berlin und den neuen Ländern auf eine rund zehnjährige Rechtsprechungstätigkeit zurückblicken; sie sind nicht nur im Staatsgefüge, sondern auch im Bewusstsein der Bevölkerung als höchste Rechtsschutzinstanz des jeweiligen Landes etabliert. Aus der Entscheidungssammlung der Landesverfassungsgerichte (LVerfGE) lässt sich entnehmen, dass die Verfassungsrichter – allen voran diejenigen des Berliner Verfassungsgerichtshofes – von der Möglichkeit des Sondervotums schon öfters Gebrauch gemacht haben. Bis Dezember 2004 sind insgesamt 55 Sondervoten überstimmter Gerichtsmitglieder veröffentlicht worden; nicht selten liegen dabei zwei oder mehr abweichende Meinungen zu einer Entscheidung des Landesverfassungsgerichts vor. Damit steht erstmals hinreichend Anschauungsmaterial zur Verfügung, um der Frage nachzugehen, welche Erfahrungen mit dem Sondervotum speziell bei diesen Landesverfassungsgerichten gemacht wurden. Wie wirken sich die Unterschiede bei den „Rahmenbedingungen“ für abweichende Meinungen im Bundesverfassungsgericht einerseits und in den Landesverfassungsgerichten andererseits, die Geck Anlass zur Skepsis gegenüber der Einführung des Sondervotums in der Landesverfassungsgerichtsbarkeit gaben, praktisch aus? Haben sich die Bedenken, die von den Sachverständigen während den Beratungen der Verfassungsgerichtsgesetze in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen gegen die Kundgabe von Sondervoten vorgebracht wurden, als berechtigt erwiesen? Oder hat sich die Zulassung des Sondervotums bei den Landesverfassungsgerichten bewährt? Empfiehlt es sich dann, das Institut der ab8

Vgl. hierzu Starck, Sondervoten, S. 286 ff. Geck, Sondervoten, S. 321, 399 f. 10 Vgl. zur Diskussion im Schrifttum Rinken, NVwZ 1994, S. 32; Eckardt, SächsVBl. 1994, S. 276; v. Mangoldt, SächsVBl. 1995, S. 223. 9

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weichenden Meinung auch bei dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof einzuführen? Welche Kriterien und Voraussetzungen sollten an die Abgabe eines Sondervotums zu stellen sein?11 Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, hierauf eine Antwort zu geben. Sie soll versuchen, anhand der in der bisherigen Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen veröffentlichten Sondervoten die realen Auswirkungen dieses Instituts aufzuzeigen; hierbei soll sie auch die an das Sondervotum allgemein geknüpften Erwartungen und Befürchtungen vor dem Hintergrund der jeweiligen organisatorischen und verfahrensrechtlichen Besonderheiten dieser Landesverfassungsgerichte gründlich beleuchten. Es soll erörtert werden, welche Faktoren und Umstände im Zusammenhang mit der Abgabe von Sondervoten bei den Landesverfassungsgerichten von wesentlicher Bedeutung sein können; dazu sind auch die in der über 30jährigen Praxis des Sondervotums beim Bundesverfassungsgericht gemachten Erfahrungen heranzuziehen. Die Untersuchung kann jedoch keine Analyse der zu einzelnen landesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen vorgelegten abweichenden Meinungen sein. Da hier allein die Auswirkungen des Sondervotums im Vordergrund stehen, soll zu dem Inhalt der behandelten Mehrheitsentscheidungen und Sondervoten keine Stellung bezogen werden. Diesbezüglich wird auf – soweit vorhanden – weiterführende Kommentierungen und Rezensionen verwiesen. Um sich der Thematik zu nähern, beginnt die Untersuchung mit einer synoptischen Betrachtung der landesrechtlichen Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit (B.). Sie soll einen Überblick über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Landesverfassungsgerichte in den neuen Ländern und Berlin hinsichtlich ihrer Organisation, der Stellung der Gerichtsmitglieder, der Zuständigkeiten und der allgemeinen Verfahrensbestimmungen verschaffen. Einen Eindruck über die Tätigkeit dieser Verfassungsgerichte vermittelt eine Statistik über die jährlichen Verfahrenszahlen. Nachdem auf diese Weise der Bezugsrahmen für die der Arbeit zugrundeliegenden Fragestellung abgesteckt ist, konzentriert sich die Untersuchung auf das Institut des Sondervotums (C.). Einer Darstellung der gesetzlichen Regelungen des Sondervotums, die auch einen Blick auf die Rechtslage in den alten Bundesländern wirft, folgt die Klärung terminologischer Fragen. Anschließend wird die ideengeschichtliche Entwicklung der Diskussion über die Veröffentlichung abweichender Richtermeinungen nachgezeichnet, um die eigentliche Problematik des Sondervotums zu vergegenwärtigen. Das Augenmerk richtet sich dabei besonders auf die parlamentarische Genese der Vorschriften über das 11 Dieser Problematik hat sich jüngst Dombert, S. 167 ff., im Rahmen eines Festschriftenbeitrages angenommen.

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Sondervotum in Berlin und den neuen Ländern. Auf dieser Grundlage wird sodann im Hauptteil der Arbeit in eine Auseinandersetzung mit der Frage einzutreten sein, wie sich die Veröffentlichung von Sondervoten in der Rechtsprechungspraxis der Landesverfassungsgerichte in Berlin und den sie zulassenden neuen Ländern ausgewirkt hat und worin ihre Bedeutung zu sehen ist (D.). Hierbei soll zunächst untersucht werden, welche Auswirkungen abweichende Meinungen auf den gerichtsinternen Bereich, d. h. den Entscheidungsprozess im Spruchkörper haben können. Diskutiert wird, ob die Ankündigung eines Sondervotums die gerichtliche Beratung beeinflusst, ob Sondervoten für die Kollegialität und die Arbeitsbelastung der Verfassungsrichter von Nachteil sind und ob sie die richterliche Unabhängigkeit gefährden. Im Anschluss daran werden die Wirkungen des Sondervotums außerhalb des Gerichts gewürdigt. Hierbei ist zum einen zu fragen, ob sich die Veröffentlichung von Minderheitsvoten der Autorität und der Bindungskraft der verfassungsgerichtlichen Entscheidung als abträglich erweist oder ob sie den Rechtsfrieden fördert; zum anderen, ob die Sondervoten Einfluss auf die verfassungsrechtliche Diskussion und die Entwicklung der Rechtsprechung gewonnen haben. Kurz angesprochen werden soll auch das Verhältnis der Bekanntgabe von abweichenden Meinungen zu der Mitteilung des Abstimmungsergebnisses in der Entscheidung (E.). Ausgehend von dem sich aus Teil D. ergebenden Befund wird die Frage aufgeworfen, ob das Institut des Sondervotums auf weitere Zweige der Gerichtsbarkeit ausgeweitet werden sollte (F.). Die Arbeit schließt mit einer thesenartigen Darstellung ihrer Ergebnisse (G.).

B. Synopse der landesrechtlichen Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit Nach dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990 haben sich die fünf neuen Bundesländer mit der Schaffung demokratischer und rechtsstaatlicher Landesverfassungen1 jeweils für eine eigene Verfassungsgerichtsbarkeit entschieden. In Berlin entfielen mit dem Ende des Besatzungszustandes auch die Vorbehaltsrechte der alliierten Mächte, die aus statusrechtlichen Gründen stets ihre Zustimmung zu der Errichtung des bereits in Art. 72 der Berliner Verfassung von 1950 vorgesehenen Verfassungsgerichtshofes verweigert hatten.2 Im Zeitraum zwischen 1990 und 1995 schufen die neuen Länder und Berlin die gesetzlichen Grundlagen für ihre Verfassungsgerichtsbarkeit, sie finden sich in den entsprechenden Artikeln der Landesverfassungen3 und in den zur Ausführung dieser Bestimmungen erlassenen Verfassungsgerichtsgesetzen.4 Aufgrund des Homogenitätsprinzips mussten 1 Den Prozess der Verfassungsgebung in den neuen Ländern zeichnet Dietlein, S. 1 ff. nach. Vgl. zur Entstehung der Verfassungen der neuen Bundesländer und deren Architektur synoptisch v. Mangoldt, S. 25 ff.; Häberle, JöR N. F. 41 (1993), S. 69 ff.; Starck, Verfassungen, S. 1 ff. Vgl. zur Bildung der brandenburgischen Staatlichkeit Berlit, S. 37 ff.; zur Entstehung der Sächsischen Verfassung Heitmann, S. 41 ff. 2 Vgl. zur Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Berlin Pestalozza, Berlin ohne Verfassungsgericht, S. 183 ff.; Wilke, S. 139 ff.; Wille, S. 1 ff.; Körting/ Schmidt, LKV 1998, S. 121 f.; Sodan, DVBl. 2002, S. 645 ff. 3 Art. 84 (Art. 72 a. F.) der Verfassung von Berlin; Art. 112, 113 der Verfassung des Landes Brandenburg; Art. 52–54 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern; Art. 81 der Verfassung des Freistaates Sachsen; Art. 74–76 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt; Art. 79, 80 der Verfassung des Freistaates Thüringen. 4 In Berlin: Gesetz über den Verfassungsgerichtshof v. 08.11.1990, GVBl. 1990, S. 2246; in Brandenburg: Gesetz über das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg v. 22.11.1996, GVBl. I 1996, S. 344; in Mecklenburg-Vorpommern: Gesetz über das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern v. 19.07.1994, GVOBl. MV 1994 S. 734; in Sachsen: Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen v. 18.02.1993, SächsGVBl. 1993, S. 177 mit Berichtigung S. 495; in Sachsen-Anhalt: Gesetz über das Landesverfassungsgericht v. 23.08.1993, GVBl. 1993, LSA S. 441; in Thüringen: Gesetz über den Thüringer Verfassungsgerichtshof v. 28.06.1994, GVBl. 1994, S. 781. Einen knappen Überblick über die Verfassungsgerichtsgesetze in den neuen Ländern gibt Müller, NJ 1995, S. 509 ff. Vgl. auch Starck, Verfassungen, S. 30 ff.; Bethge, FS Klein, S. 179 ff.

I. Die Stellung der Landesverfassungsgerichte

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diese zwar eine grundsätzliche Konformität zum Bundesrecht und zu den Regelungen der alten Bundesländer wahren, dennoch verblieb den Gesetzgebern ein Gestaltungsspielraum, der im Einzelnen differenzierte Regelungen zuließ. Die nun folgende vergleichende Betrachtung der Verfassungsbestimmungen und der Verfassungsgerichtsgesetze in den neuen Ländern und Berlins kann keine umfassende Kommentierung zu den einzelnen Vorschriften sein5; sie soll jedoch einen die besonderen Konturen hervorhebenden Überblick ermöglichen. I. Die Stellung der Landesverfassungsgerichte Wie das Bundesverfassungsgericht innerhalb der Verfassungsordnung der Bundesrepublik sind auch die Landesverfassungsgerichte innerhalb der Verfassungsordnung des jeweiligen Landes oberste Verfassungsorgane.6 Dies folgt, so Starck, aus der Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit, über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und in Rechtsstreitigkeiten zwischen Verfassungsorganen zu entscheiden.7 Die Verfassungen von Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen unterstreichen die Verfassungsorganqualität des Landesverfassungsgerichts, indem sie seine Stellung als ein allen anderen Verfassungsorganen gegenüber selbständiges und unabhängiges Gericht beschreiben; sie halten damit ausdrücklich fest, dass es selbst ein Verfassungsorgan ist.8 In Mecklenburg-Vorpommern und in Thüringen wird dem Landesverfassungsgericht im Anschluss an die Abschnitte über den Landtag und die Landesregierung ein eigener Abschnitt in der Verfassung gewidmet; eine entsprechende Lokalisierung des Landesverfassungsgerichts nimmt auch die Verfassung von Sachsen-Anhalt vor. Mit Ausnahme des Sächsischen Verfassungsgerichtshofsgesetzes wird zudem in allen Verfassungsgerichtsgesetzen jeweils im ersten Paragraphen der Status des Landesverfassungsgerichts als ein oberstes Verfassungsorgan des Landes hervorgehoben. Mit dieser Qualifizierung als Verfassungsorgan wird die Autorität der Landesverfassungsgerichte im Verfassungsgefüge gestärkt.9 5 Dies würde den Rahmen dieser Synopse sprengen. Vgl. zu den Bestimmungen des Berliner Verfassungsgerichtshofgesetzes Wille, S. 35 ff. Stellung, Arbeitsweise und Verfahrensarten des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg erläutern Wolnicki, S. 27 ff., und Kluge, S. 81 ff. Den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen stellt Meissner, Verfassungsgerichtshof, S. 511 ff. vor, die einzelnen verfassungsgerichtlichen Verfahren Degenhart, § 18, S. 539 ff. Für die übrigen Länder steht Vergleichbares noch aus. Die parlamentarische Genese der Landesverfassungsgerichtsbarkeit in den neuen Ländern und Berlin untersucht Heimann, S. 4 ff. 6 BVerfGE 36, 342 (357); 60, 175 (213). Vgl. auch Blümel, HStR IV, § 102, S. 979, Rn. 32; Wilke, S. 146; Jutzi, in: Linck/Jutzi/Hopfe, Art. 79, Rn. 1 ff. 7 Starck, Landesverfassungsgerichte, S. 156, 181. 8 Art. 112 Abs. 1 Verf Bbg; Art. 52 Abs. 1 Verf MV; Art. 79 Abs. 1 ThürVerf.

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

II. Die Zusammensetzung der Landesverfassungsgerichte 1. Spruchkörper und Anzahl der Mitglieder Die Verfassungsgerichte in den neuen Ländern und Berlin bestehen jeweils nur aus einem Spruchkörper, der sich aus einer ungeraden Anzahl von Mitgliedern zusammensetzt. In Berlin10, Sachsen11 und Thüringen12 ist der Spruchkörper mit neun Verfassungsrichtern, in Mecklenburg-Vorpommern13 und Sachsen-Anhalt14 mit sieben Richtern besetzt. Eine Ausnahmeregelung ist in Brandenburg vorgesehen: Dort beträgt die Anzahl der Verfassungsrichter grundsätzlich neun15; durch Gesetz kann sie allerdings auf zwölf erhöht und das Gericht in zwei Spruchkörper gegliedert werden.16 Damit wird bezweckt, bei ansteigenden Verfahrenszahlen die Arbeitsfähigkeit des Verfassungsgerichts sicherzustellen. Bisher hat der Landtag hiervon noch keinen Gebrauch gemacht. 2. Qualifikation der Richter In allen neuen Ländern und Berlin ist auf eine gemischte Zusammensetzung des Verfassungsgerichts Wert gelegt worden. Neben Berufsrichtern17 und sonstigen Juristen, welche den juristischen Sachverstand gewährleisten sollen, wirken auch Nicht-Juristen – sog. Laienrichter – an der Entscheidungsfindung mit. Das Laienrichterelement gilt als eine Art Plausibilitäts9

Schlaich/Korioth, S. 22, Rn. 29. Art. 84 Abs. 1 S. 1 Verf Bln, § 1 Abs. 2 S. 1 VerfGHG Bln. Unter den neun Richtern müssen beide Geschlechter jeweils mit mindestens drei Mitgliedern vertreten sein, § 1 Abs. 3 VerfGHG Bln. Eine derartige paritätische Besetzung ist in keinem anderen Verfassungsgericht vorgeschrieben. Vgl. zu dieser Geschlechterquote Bahl, NVwZ 1993, S. 44; Wilke, S. 147; Harms-Ziegler, S. 207. 11 Art. 81 Abs. 2 SächsVerf, § 2 Abs. 1 S. 1 SächsVerfGHG. 12 Art. 79 Abs. 2 S. 1 ThürVerf, § 2 Abs. 1 S. 1 ThürVerfGHG. 13 Art. 52 Abs. 2 S. 1 Verf MV, § 2 Abs. 1 S. 1 LVerfGG MV. 14 Art. 74 Abs. 2 Verf LSA, § 3 Abs. 1 S. 1 LVerfGG LSA. 15 Art. 112 Abs. 2 S. 1 VerfG Bbg, § 2 Abs. 1 S. 1 VerfGG Bbg. Wie in Berlin besteht in Brandenburg eine Frauen- und Männerquote, jedoch lediglich in Form einer Sollvorschrift: Frauen und Männer sollen mindestens drei der Verfassungsrichter stellen, § 2 Abs. 2 VerfGG Bbg. 16 Art. 112 Abs. 3 Verf Bbg. 17 Der Begriff des „Berufsrichters“ meint nicht den Status von Gerichtsmitgliedern als hauptberufliche Landesverfassungsrichter, sondern die Qualifikation des Personenkreises, dem die Verfassungsrichter entnommen werden müssen. Vgl. Wilke, S. 143 f. Die Bedeutung des hohen Amtes als Verfassungsrichter spricht dafür, dass als Berufsrichter nur Richter auf Lebenszeit in Betracht kommen. Vgl. Jutzi, in: Linck/Jutzi/Hopfe, Art. 79, Rn. 6. 10

II. Die Zusammensetzung der Landesverfassungsgerichte

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kontrolle: Für den gerichtlichen Rechtsfindungsprozess kann es heilsam sein, wenn die anstehenden Fragen und Probleme auch den nicht juristisch ausgewiesenen Richtern, dem „gesunden Menschenverstand“, nachvollziehbar und verständlich dargelegt werden müssen; gelingt dies nicht, so sollte der Jurist hierin einen Anlass sehen, das eigene Denken zu revidieren.18 In den neuen Ländern bringt die Einbeziehung der Laien vor dem Hintergrund der vorrechtsstaatlichen Vergangenheit zudem den Wunsch zum Ausdruck, verloren gegangenes Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz wiederherzustellen und zugleich Verständnis für die Funktionsbedingungen der Gerichte zu wecken.19 Schließlich soll die Mitwirkung von Laienrichtern auch eine gewisse Sensibilität für die Mentalität und die sozialen Bedürfnisse der Menschen im Lande ermöglichen: Mit den historisch-politischen und persönlichen Erfahrungen der nichtjuristischen Mitglieder könnte, so Harms-Ziegler, die „unentbehrliche Kenntnis der tatsächlichen Lebensverhältnisse in der DDR“ in das Gericht eingebracht werden.20 Freilich dürften diese Erwägungen mit zunehmender Zeit ihr Gewicht verlieren, auch der Blick auf die in den letzten zehn Jahren qualitativ wie quantitativ erheblich gewachsenen Aufgaben der Landesverfassungsgerichtsbarkeit lässt die jüngst unter fachlichen Aspekten geäußerte Kritik am Laienrichterelement nicht unberechtigt erscheinen.21 In Berlin müssen drei der neun Verfassungsrichter zum Zeitpunkt ihrer Wahl Berufsrichter sein und drei weitere die Befähigung zum Richteramt22 besitzen.23 Da es sich hierbei nicht um feste Größen, sondern um Mindestanteile handelt, können die verbleibenden drei Richterstellen mit juristischen Laien besetzt werden.24 18

Finkelnburg, LKV 2004, S. 18; Kühne, DRiZ 1975, S. 393. Huber, ThürVBl. 2003, S. 78. Kritisch zu dieser Vertrauensfunktion der Laienrichter Rüggeberg, VerwArch 61 (1970), S. 208 ff. 20 Harms-Ziegler, S. 207. Das Laienrichterelement gestattete es auch, bereits von Anfang an nicht ausschließlich Kandidaten aus dem Westen Deutschlands in die Verfassungsgerichte zu wählen. Vgl. auch FAZ v. 15.12.1998. 21 Vgl. Huber, ThürVBl. 2003, S. 78, der das Laienelement in der Verfassungsgerichtsbarkeit als „tendenziell anachronistisch“ sieht. Vgl. auch Lange, NJW 1998, S. 1281; Baring, DVBl. 1955, S. 693. Rüggeberg, VerwArch 61 (1970), S. 203, hält die Bedenken einer „Überforderung“ der Laienrichter hingegen für nicht stichhaltig. So auch Finkelnburg, LKV 2004, S. 18, der meint, dass sich die Beteiligung von Nichtjuristen beim Verfassungsgericht des Landes Brandenburg bewährt habe, wenngleich auf die Auswahl der Laienrichter besondere Sorgfalt verwandt werden müsse: Nicht jeder Aktivbürger tauge zum Verfassungsrichter. 22 Die Befähigung zum Richteramt wird durch ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit der ersten Staatsprüfung und den anschließenden Vorbereitungsdienst mit der zweiten Staatsprüfung erworben, vgl. § 5 Abs. 1 DRiG. 23 Art. 84 Abs. 1 S. 1 Verf Bln, § 3 Abs. 3 S. 2 VerfGHG Bln. 19

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg setzt sich zu je einem Drittel aus Berufsrichtern, Mitgliedern mit der Befähigung zum Richteramt bzw. Diplomjuristen und Laienrichtern zusammen.25 Im Verfassungsgerichtsgesetz wird diese Regelung dahingehend konkretisiert, dass der Präsident und der Vizepräsident aus dem Kreis der Berufsrichter oder der Mitglieder mit der Befähigung zum Richteramt zu wählen sind.26 Geringere Anforderungen stellt die Verfassung in Mecklenburg-Vorpommern. Dort müssen der Präsident und drei weitere Mitglieder des Verfassungsgerichts lediglich die Befähigung zum Richteramt haben.27 Das Landesverfassungsgerichtsgesetz schränkt diese weit gefasste Regelung wieder ein: Unter den besagten drei weiteren Mitgliedern muss sich der Vizepräsident befinden und auch die jeweiligen Stellvertreter müssen die Befähigung zum Richteramt besitzen.28 Außerdem dürfen für das Amt des Präsidenten und seines Stellvertreters nur Richter aus dem Kreis der Präsidenten der Gerichte und der Vorsitzenden Richter an den oberen Landesgerichten, für das des Vizepräsidenten und seines Stellvertreters nur solche aus dem Kreis der Berufsrichter gewählt werden.29 Die übrigen drei Mitglieder können Laienrichter sein, sofern es sich um im öffentlichen Leben erfahrene Personen des allgemeinen Vertrauens handelt und diese für das Amt besonders geeignet sind.30 Die Sächsische Verfassung schreibt für die Besetzung des Verfassungsgerichtshofs fünf Berufsrichter sowie vier andere Mitglieder vor.31 Die An24 Sie müssen es jedoch nicht: Die Verpflichtung, das Laienrichterelement ausreichend zu berücksichtigen, ist bereits durch die Berufung der weiteren Mitglieder mit der Befähigung zum Richteramt erfüllt. Es können also auch weitere Berufsrichter und Personen mit der Befähigung zum Richteramt gewählt werden. Hinsichtlich der Qualifikation des Gerichtspräsidenten verzichtet das VerfGHG Bln auf jedwede Festlegung: Das Berliner Abgeordnetenhaus kann daher auch einen Laienrichter zum Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes wählen, vgl. Wilke, S. 148. In den vergangenen zehn Jahren gehörten dem Berliner Verfassungsgerichtshof allerdings ausschließlich Volljuristen an. Diese der Gesetzesintention zuwiderlaufende Praxis dürfte auf den erheblichen Arbeitsanfall und die Komplexität der zu bewältigenden Rechtsprobleme zurückzuführen sein, vgl. Sodan, DVBl. 2002, S. 649. 25 Art. 112 Abs. 2 S. 2 Verf Bbg. Auch hier kann die Richterbank mit drei Laienrichtern besetzt werden, sie muss aber nicht. 26 § 2 Abs. 1 S. 2, 3 VerfGG Bbg. 27 Art. 52 Abs. 2 S. 2 Verf MV. 28 § 2 Abs. 2 LVerfGG MV. 29 § 2 Abs. 3 LVerfGG MV. 30 § 3 Abs. 1 LVerfGG MV. 31 Art. 81 Abs. 2 SächsVerf. Das im Vergleich zu den Verfassungsgerichten der übrigen Länder hohe Quorum der Berufsrichter sorgte in der Literatur vereinzelt für Kritik: Nach Rinken, NVwZ 1994, S. 30, drückt es Misstrauen sowohl gegen die Laienrichter als auch gegen die anderen juristischen Professionen (Rechtsanwälte,

II. Die Zusammensetzung der Landesverfassungsgerichte

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zahl der Berufsrichter ist hier sowohl eine Mindest- als auch eine Maximalzahl.32 Einer der Berufsrichter hat das Amt des Vorsitzenden des Verfassungsgerichtshofs zu bekleiden.33 Das Verfassungsgerichtshofsgesetz geht darüber hinaus: Auch der Vizepräsident muss den Berufsrichtern zugehörig sein.34 An die übrigen Mitglieder werden keine Anforderungen gestellt.35 Die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt nennt keine Qualifikationserfordernisse für die Verfassungsrichter. Diese stellt erst das Verfassungsgerichtsgesetz auf, indem es die Wahl von drei Richtern und ihren Vertretern aus der Zahl der Präsidenten der Gerichte des Landes und der Vorsitzenden Richter an den oberen Landesgerichten bestimmt.36 Aus dieser Gruppe ist auch der Präsident und der Vizepräsident des Landesverfassungsgerichts zu wählen.37 Die weiteren vier nicht berufsrichterlichen Mitglieder und ihre Vertreter sollen auf Grund ihrer Erfahrung im öffentlichen Leben für das Amt besonders geeignet sein; mindestens ein Mitglied muss ein auf Lebenszeit ernannter Universitätsprofessor des Rechts sein.38 Entsprechendes gilt für dessen Vertreter. Da das Laienelement in Sachsen-Anhalt nicht zwingend vorgeschrieben ist, können die weiteren Mitglieder – abgesehen von dem Hochschullehrer – Juristen, also auch Berufsrichter, sein. Die Thüringer Verfassung sieht vor, dass der Präsident und zwei weitere Mitglieder Berufsrichter sein und drei weitere Mitglieder die Befähigung zum Richteramt haben müssen.39 Die verbleibenden Stellen können mit Laienrichtern besetzt werden.40

Verwaltungsjuristen etc.) aus. Zudem räume diese Regelung der Staatsregierung einen besonderen Einfluss auf die Zusammensetzung des Gerichts ein, da sie nach der Sächsischen Verfassung die Fachgerichte allein besetze und somit bei der Berufung der Berufsrichter für den Verfassungsgerichtshof ein mittelbares „Vorauswahlrecht“ habe. Überwiegend wird jedoch das zahlenmäßige Übergewicht der Berufsrichter als Vorteil gesehen, da auf diese Weise die fachliche Kompetenz der Gerichtsmitglieder gesichert werde, vgl. Eckardt, SächsVBl. 1994, S. 275; Meissner, Verfassungsgerichtshof, § 17, S. 519, Rn. 13; v. Mangoldt, SächsVBl. 1995, S. 220. 32 Pestalozza, LKV 1993, S. 255. 33 Art. 81 Abs. 3 SächsVerf. 34 § 2 Abs. 1 S. 2 SächsVerfGHG. 35 Sie können also auch Volljuristen sein. 36 § 4 Abs. 1 S. 1 LVerfGG LSA. 37 § 4 Abs. 2 LVerfGG LSA. 38 § 5 Abs. 1 S. 1 LVerfGG LSA. 39 Art. 79 Abs. 2 S. 2, 3 ThürVerf, § 2 Abs. 1 S. 2, 3 ThürVerfGHG. 40 Wie in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt müssen sie es nicht. Vgl. auch Jutzi, in: Linck/Jutzi/Hopfe, Art. 79, Rn. 8.

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

3. Beschlussfähigkeit der Landesverfassungsgerichte Um die Entscheidungsfähigkeit des Landesverfassungsgerichts zu sichern, ist in einigen Ländern das Beschlussfähigkeitsquorum gegenüber der vollständigen Anzahl der Verfassungsrichter herabgesetzt. Dadurch wird das Verfahren nicht gefährdet, wenn ein Richter kurzfristig ausfällt und ein Stellvertreter nicht rasch genug geladen werden kann bzw. – wie in Berlin und Brandenburg – nicht vorhanden ist. Der Berliner Verfassungsgerichtshof ist beschlussfähig, wenn mindestens sechs seiner Mitglieder anwesend sind.41 Dieses Quorum vermindert sich um die ausgeschlossenen, die abgelehnten sowie die ausgeschiedenen Verfassungsrichter, für die noch kein Nachfolger ernannt wurde.42 Entsprechend geregelt ist die Beschlussfähigkeit in Brandenburg.43 In Mecklenburg-Vorpommern ist die Beschlussfähigkeit des Landesverfassungsgerichts gesetzlich nicht geregelt. Während den Beratungen zum Landesverfassungsgerichtsgesetz geäußerte Bedenken, dass es gerade in einem Flächenland zu Ferienzeiten oder an Feiertagen bei besonders eilbedürftigen Verfahren schwierig werden könne, kurzfristig eine Vollbesetzung zu erreichen, konnten sich nicht durchsetzen.44 Der Spruchkörper ist daher nur bei vollzähliger Besetzung der Richterbank entscheidungsfähig; kann ein ordentliches Mitglied nicht rechtzeitig erscheinen und ist sein Vertreter nicht erreichbar, ist das Landesverfassungsgericht – wenn auch nur vorübergehend – beschlussunfähig. Der Sächsische Verfassungsgerichtshof ist beschlussfähig, wenn mindestens sieben der neun Mitglieder mitwirken; darunter müssen, um das Übergewicht der berufsrichterlichen Gruppe zu erhalten, mindestens vier berufsrichterliche Mitglieder sein.45 Dies gilt nicht für die Kammern nach § 9 Abs. 1 S. 2 SächsVerfGHG und für einstweilige Anordnungen gemäß § 15 S. 1 SächsVerfGHG, hier genügt eine Anzahl von drei Richtern.46 Das Verfassungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt ist beschlussfähig, wenn mindestens sechs Mitglieder oder deren Vertreter anwesend und min41

§ 11 Abs. 1 S. 1 VerfGHG Bln. § 11 Abs. 1 S. 2 VerfGHG Bln. Dazu rechnen nicht die durch Ablauf ihrer Amtszeit ausgeschiedenen Richter, da diese nach § 7 Abs. 2 VerfGHG Bln in diesem Fall die Geschäfte fortführen; vgl. Pestalozza, JR 1991, S. 46. 43 § 8 S. 1, 2 VerfGG Bbg. 44 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Protokoll der 113. Sitzung des Rechtsausschusses am 28.04.1994, S. 12. Vgl. auch die Stellungnahme von Haack vom 21.04.994 zum Entwurf des Landesverfassungsgerichtsgesetzes, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, S. 4 f. 45 § 8 Abs. 2 S. 1 SächsVerfGHG. 46 § 8 Abs. 2 S. 2 SächsVerfGHG. 42

III. Die Kreation der Verfassungsrichter

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destens zwei von ihnen Berufsrichter i. S. d. § 4 Abs. 1 LVerfGG LSA sind.47 In Thüringen ist zwar in der amtlichen Überschrift zu § 8 ThürVerfGHG der Begriff „Beschlussfähigkeit“ enthalten, in der Norm selbst findet sich hierzu jedoch keine Regelung. Der Verfassungsgerichtshof ist daher bei Entscheidungen in Rechtssachen nur bei voller Mitgliederzahl beschlussfähig; eine kurzfristige Verhinderung eines Richters ist durch seinen Stellvertreter bzw. bei dessen Verhinderung durch andere Stellvertreter in dem durch § 8 Abs. 1 S. 2, 3 ThürVerfGHG geregelten Modus aufzufangen. Wegen des ihm eindeutig erscheinenden Regelungsgehaltes dieser Vorschrift hat der Verfassungsgerichtshof davon abgesehen, ein Beschlussfähigkeitsquorum in seiner Geschäftsordnung festzulegen.48 III. Die Kreation der Verfassungsrichter 1. Die Voraussetzungen der Wählbarkeit a) Wählbarkeit Zu den Voraussetzungen für das Amt des Verfassungsrichters49 gehört in den neuen Ländern und Berlin das passive Wahlrecht. Mecklenburg-Vorpommern50, Sachsen-Anhalt51 und Thüringen52 stellen – wie auch die meisten der Altbundesländer53 – auf die Wählbarkeit zum jeweiligen Landtag ab. Diese Regelung bezweckt, die Richterbank mit Personen zu besetzen, die ihren Lebensmittelpunkt im Land haben und daher auf eine bessere Landeskenntnis zurückgreifen können. Auf eine größere Auswahl der Kandidaten für das Verfassungsrichteramt setzen hingegen Berlin54, Branden47

§ 13 Abs. 2 LVerfGG LSA. Bauer, LKV 1996, S. 387, hält den § 8 ThürVerfGHG nicht für eindeutig im Sinne des Plenarprinzips: Er weist auf dem Widerspruch des Abs. 1 zum Abs. 2 hin, welcher die Folgen einer Stimmengleichheit regelt; damit werde im Abs. 2 eine Situation unterstellt, die der Abs. 1 mit der vorgeschriebenen Entscheidungspräsenz von neun Richtern gerade verhindern wolle. Bauer bezeichnet den § 8 ThürVerfGHG insoweit als wenig glückliche Regelung. 49 Vgl. zu den positivrechtlichen Grundlagen der Verfassungsrichterwahl in Bund und Ländern Harms-Ziegler, S. 191 ff. 50 § 3 Abs. 1 S. 1 LVerfGG MV. 51 §§ 4 Abs. 1 S. 2, 5 Abs. 1 S. 2 LVerfGG LSA. 52 § 4 Abs. 1 ThürVerfGHG. 53 Vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 1 BayVerfGHG; § 3 Abs. 1 S. 1 HessStGHG; § 2 Abs. 2 NdsStGHG; § 3 Abs. 1 S. 1 NWVerfGHG; § 4 Abs. 1 RhPfVerfGHG, § 2 Abs. 3 S. 2 SaarVGHG. 54 § 3 Abs. 1 VerfGHG Bln. 48

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

burg55 und Sachsen56, indem sie die Wählbarkeit zum Deutschen Bundestag fordern. Da die Wählbarkeit somit einen Wohnsitz im jeweiligen Land nicht voraussetzt, ist auch die Berufung „externer“ Verfassungsrichter möglich.57 b) Mindestalter Ein gewisses Maß an allgemeiner Lebenserfahrung soll die Festlegung eines Mindestalters für das Amt des Verfassungsrichters sicherstellen. In Sachsen-Anhalt58 wird ein Lebensalter von 40 Jahren vorausgesetzt, in den übrigen Ländern beträgt es 35 Jahre.59 2. Das Wahlverfahren a) Kreationsorgan In keinem der ostdeutschen Länder gibt es sog. geborene Verfassungsrichter, d. h. solche, die aufgrund der Bekleidung eines bestimmten hauptberuflichen Amtes kraft Gesetzes auch Mitglied des Verfassungsgerichts sind, ohne dass es eines zusätzlichen Kreationsverfahrens bedarf. Diese in einigen der alten Bundesländer60 gehandhabte Verfahrensweise stieß allgemein auf Ablehnung, da durch einen solchen Automatismus dem Parlament der Spielraum bei der Auswahl der Richter genommen werde.61 Indem die Kreation der Verfassungsrichter in allen Ländern dem jeweiligen 55

Art. 112 Abs. 5 S. 1 Verf Bbg, § 3 Abs. 1 VerfGG Bbg. § 2 Abs. 3 S. 1 SächsVerfGHG. 57 Dennoch orientiert sich die Besetzungspraxis der Landesparlamente zumeist an der Regel, wonach nur die heimischen Kandidaten für das Verfassungsrichteramt geeignet sind. Vgl. hierzu auch Wilke, S. 148. 58 § 5 Abs. 1 S. 2 LVerfGG LSA. 59 § 3 Abs. 1 VerfGHG Bln; Art. 112 Abs. 5 Verf Bbg, § 3 Abs. 1 VerfGG Bbg; § 3 Abs. 1 S. 1 LVerfGG MV; § 2 Abs. 3 S. 1 SächsVerfGHG; § 4 Abs. 1 ThürVerfGHG. 60 In Nordrhein-Westfalen ist der Präsident des Oberverwaltungsgerichts zugleich kraft Gesetzes Präsident des Verfassungsgerichtshofs, zusätzlich gehören dem Verfassungsgerichtshof die beiden lebensältesten Präsidenten der Oberlandesgerichte an (Art. 76 Abs. 1 Verf NW, § 2 Abs. 1, 2 NWVerfGHG). Der Präsident des rheinlandpfälzischen Oberverwaltungsgerichts ist zugleich Präsident des Verfassungsgerichtshofes, der Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts ist Stellvertreter des Präsidenten (Art. 134 Abs. 2 RhPfVerf, § 3 RhPfVerfGHG). In Bremen ist der Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts gesetzliches Mitglied des Staatsgerichtshofes (Art. 139 Abs. 2 S. 1 Verf Brem, § 2 Abs. 1 BremStGHG). Vgl. hierzu Knöpfle, S. 256 m. w. N. 61 Vgl. etwa Abgeordnetenhaus von Berlin, 11. Wahlperiode, Protokoll der 23. Sitzung des Rechtsausschusses am 16.08.1990, S. 3. 56

III. Die Kreation der Verfassungsrichter

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Landesparlament durch geheime Wahl vorbehalten ist62, vermittelt sie ein Höchstmaß an demokratischer Legitimation.63 b) Vorschlagsrecht Das Vorschlagsrecht für die Kandidatur zum Amt des Verfassungsrichters ist nicht in allen Landesgesetzen geregelt. In Berlin enthalten weder die Verfassung noch das Verfassungsgerichtshofgesetz Bestimmungen hinsichtlich der Auswahl der Kandidaten. Die Vorschläge müssen daher aus den Reihen der Fraktionen selbst kommen; hierbei ist auf die allgemeinen Verfahrensweisen des Abgeordnetenhauses bei Wahlen zurückzugreifen.64 Ein Vorschlagsrecht mit eher appellativem Charakter enthält die Brandenburgische Verfassung: Bei der Wahl der Verfassungsrichter ist anzustreben, dass die politischen Kräfte des Landes angemessen mit Vorschlägen vertreten sind.65 Diese nicht unumstrittene Norm verfolgte ursprünglich den Zweck, das geringe Quorum der absoluten Mehrheit für die Richterwahl auszugleichen. Mit der Verfassungsnovellierung von 1997, durch die ein Mehrheitserfordernis von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages festgelegt wurde, hat diese Norm jedoch an Bedeutung verloren.66 Im Übrigen gilt auch in Brandenburg das allgemeine parlamentarische Wahlverfahren. In Mecklenburg-Vorpommern wird die Wahl der Verfassungsrichter von einem besonderen Ausschuss des Landtages vorbereitet, dessen Zusammensetzung und Verfahren der Landtag in seiner Geschäftsordnung zu regeln hat.67 Die Ausschusssitzungen sind vertraulich; anderen Abgeordneten als den Ausschussmitgliedern ist die Teilnahme nicht gestattet. Das Ausschussverfahren soll die Möglichkeit geben, die Personalvorstellungen zu erörtern und zu abgestimmten Vorschlägen zu gelangen. In Sachsen ist das Vorschlagsrecht neben dem Landtagspräsidium auch der Staatsregierung eingeräumt.68 Um Bedenken entgegenzutreten, dass da62 § 2 Abs. 1 S. 1 VerfGHG Bln; § 4 Abs. 1 S. 1 VerfGG Bbg; § 4 Abs. 1 LVerfGG MV; § 3 Abs. 3 S. 1 SächsVerfGHG; § 3 Abs. 1 S. 3 LVerfGG LSA; § 3 Abs. 1 S. 1 ThürVerfGHG. 63 Pieper, S. 42. Vgl. auch Knöpfle, S. 255 f. 64 Vgl. § 74 GO des Abgeordnetenhauses von Berlin. 65 Art. 112 Abs. 4 S. 2 Verf Bbg, § 4 S. 2 VerfGG Bbg. 66 Dass die endgültige Zusammensetzung des Verfassungsgerichts das politische Kräftebild Brandenburgs widerspiegeln soll, sagt diese Regelung indes nicht. Mit dieser Formulierung soll der Eindruck vermieden werden, die Verfassungsrichter seien Vertreter der politischen Kräfte des Landes. Vgl. Harms-Ziegler, S. 205 m. w. N. 67 Art. 52 Abs. 3 Verf MV, § 4 Abs. 2 LVerfGG MV.

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

durch der Exekutive Einfluss auf die Zusammensetzung des Gerichts ermöglicht werde, wurde das Vorschlagsrecht für beide Gremien gleichwertig ausgestaltet; ein von der Staatsregierung unterbreiteter Vorschlag entfaltet daher keine Bindungswirkung für das Parlament. In Sachsen-Anhalt ist das Vorschlagsrecht dem Ausschuss für Recht und Verfassung zugewiesen, dessen Verfahren durch die Geschäftsordnung des Landtages geregelt wird.69 Das Ausschussverfahren entspricht dem in Mecklenburg-Vorpommern. Das Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetz enthält keine Regelung hinsichtlich der Vorschlagsberechtigung. Insoweit finden auch hier die allgemeinen parlamentarischen Verfahrensweisen Geltung. c) Anhörung und Aussprache Die Anhörung gibt dem Landesparlament die Gelegenheit, sich vor der Wahl ein Bild von dem Kandidaten zu machen. Vorgesehen ist sie allein in Brandenburg; der Landtag hat hierfür einen Ausschuss zu bestimmen.70 Hingegen wird im Sächsischen Verfassungsgerichtshofgesetz die Anhörung der Kandidaten explizit ausgeschlossen.71 Die übrigen Länder beziehen hierzu keine Stellung; dem Parlament steht es daher frei, die Kandidaten vorher anzuhören. Auf die Aussprache im Parlament haben alle Länder verzichtet72, um Autorität und Ansehen der Verfassungsrichter schützen.73 d) Quorum Bettermann sieht die Verfassungsgerichtsbarkeit als eine Möglichkeit der Opposition, Regierungsakte und parlamentarische Mehrheitsentscheidungen überprüfen zu lassen; sie sei „Waffe“ der politischen Minderheit.74 Im Hinblick auf die Funktion des Verfassungsgerichts als unabhängige Kontrollinstanz kommt dem notwendigen Quorum für die Wahl der Verfassungsrichter besondere Relevanz zu. Die Zusammensetzung der Richterbank darf 68

§ 3 Abs. 2 SächsVerfGHG. § 3 Abs. 1 S. 2 Abs. 2 LVerfGG LSA. 70 Art. 112 Abs. 4 S. 4 VerfBbg, § 4 S. 4 VerfGG Bbg. 71 § 3 Abs. 3 S. 3 SächsVerfGHG. 72 § 2 Abs. 1 S. 1 VerfGHG Bln; Art. 112 Abs. 4 S. 1 Verf Bbg, § 4 S. 1 VerfGG Bbg; Art. 52 Abs. 3 Verf MV, § 4 Abs. 1 LVerfGG MV; § 3 Abs. 3 S. 1 SächsVerfGHG; Art. 74 Abs. 3 Verf LSA, § 3 Abs. 1 S. 2 LVerfGG LSA; § 3 Abs. 1 S. 1 ThürVerfGHG. 73 Hückstädt, LKV 1997, S. 306. 74 Bettermann, S. 723. 69

III. Die Kreation der Verfassungsrichter

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daher nicht allein den Vorstellungen der jeweils im Parlament herrschenden Mehrheit entsprechen, sondern muss die Einbeziehung aller Fraktionen des Landtages erkennen lassen. Dieser Anforderung tragen alle der neuen Länder und Berlin Rechnung, indem sie für die Richterwahl eine Zwei-Drittel-Mehrheit vorschreiben. Diese Regelung sorgt für eine ausgewogene Zusammensetzung des Gerichts, indem sie eine Einigung zwischen Regierung und parlamentarischer Opposition erzwingt.75 Damit ist auch die politische Neutralität der Verfassungsrichter ein Stück weit gewährleistet.76 In Brandenburg77, Sachsen78 und Thüringen79 kommt es dabei auf zwei Drittel der Mitglieder des Landtages an, in Berlin80, Mecklenburg-Vorpommern81 und Sachsen-Anhalt82 auf zwei Drittel der abgegebenen Stimmen. In Sachsen-Anhalt gilt die Besonderheit, dass die Zweidrittelmehrheit der anwesen75 Benda, in: Benda/Klein, § 5, S. 55, Rn. 130; Trautwein, S. 12; Rau, S. 153. Freilich hat der durch die qualifizierte Mehrheitswahl bedingte Einigungszwang regelmäßig zur Folge, dass nur Kompromisskandidaten zum Zuge kommen oder bei mehreren zu besetzenden Stellen „Paketlösungen“ vereinbart werden. Gegen derartige Kumpanei und Kungelei der Parteien würde nicht einmal Einstimmigkeit der Verfassungsrichterwahl helfen, so Bettermann, S. 746. Kritisch auch Harms-Ziegler, S. 204; Bahl, NVwZ 1993, S. 44. 76 Schlaich/Korioth, S. 33, Rn. 43. 77 Art. 112 Abs. 4 S. 5 Verf Bbg, § 4 S. 5 VerfGG Bbg. Nach Art. 112 Abs. 4 S. 5 Verf Bbg a. F., § 4 S. 5 VerfGG Bbg a. F. genügte in Brandenburg noch die absolute Mehrheit der Stimmen. Diese Regelung zog heftige Kritik auf sich, vgl. v. Mangoldt, Verfassungen, S. 76.; Starck, Verfassungen, S. 31. Dass die Kritik nicht unbegründet war, zeigte sich bald. Nachdem der seinerzeit auf Vorschlag von dem Bündnis 90/Die Grünen gewählte Verfassungsrichter von Arnim im Januar 1996 aus Protest gegen das Urteil des Brandenburgischen Verfassungsgerichts über die Inkompatibilität von Amt und Mandat um die Entlassung aus seinem Amt gebeten hatte (Urteil v. 25.01.1996 – VfG Bbg 12, 13/95; vgl. hierzu unten D. I. 3. c), nahm die SPD-Fraktion das Recht in Anspruch, die frei gewordene Richterstelle mit ihrer Kandidatin, der wegen ihrer DDR-Vergangenheit umstrittenen Professorin Will, zu besetzen. Die Oppositionsfraktion CDU sprach sich vehement gegen die Berufung Wills aus. Die SPD verfügte jedoch über die absolute Mehrheit im Landtag und war auf die Stimmen der CDU nicht angewiesen. Will wurde schließlich zur Verfassungsrichterin gewählt, blieb aber unter der Zweidrittelmehrheit. Die Wahl Wills erregte überregionales Aufsehen, vgl. FAZ v. 14.09.1996 und v. 18.09.1996; Berliner Zeitung v. 19.09.1996 und v. 20.09.1996; Berliner Zeitung, FAZ und WELT, jeweils in der Ausgabe v. 26.09.1996. Im Jahre 1997 änderte der brandenburgische Landtag Landesverfassung und Verfassungsgerichtsgesetz dahingehend, dass eine Zweidrittelmehrheit für die Wahl der Verfassungsrichter erforderlich ist (ÄndG vom 24.06.1997, GVBl. I, S. 68), vgl. FAZ v. 13.06.1997. 78 Art. 81 Abs. 3 S. 1 SächsVerf, § 3 Abs. 3 S. 1 SächsVerfGHG. 79 Art. 79 Abs. 3 S. 3 ThürVerf, § 3 Abs. 1 S. 2 ThürVerfGHG. 80 Art. 84 Abs. 1 S. 2 Verf Bln, § 2 Abs. 1 S. 1 VerfGHG Bln. 81 Art. 52 Abs. 3 Verf MV, § 4 Abs. 1 LVerfGG MV. 82 Art. 74 Abs. 3 Verf LSA, § 3 Abs. 1 S. 2 LVerfGG LSA.

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

den Abgeordneten mindestens die Mehrheit der Mitglieder des Landtages sein muss. IV. Das Amt der Verfassungsrichter 1. Amtsstellung Das Verfassungsrichteramt wird in allen neuen Ländern und Berlin grundsätzlich als Ehren-83 bzw. Nebenamt84 ausgeübt. Die Länder MecklenburgVorpommern und Sachsen-Anhalt betonen daher, dass zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichts die verfassungsrichterliche Tätigkeit gegenüber jeder anderen beruflichen Tätigkeit stets vorgeht85; in den übrigen Ländern fehlt eine ausdrückliche Kollisionsnorm. Doch auch ohne eine derartige Regelung ergibt sich bereits aus der Stellung des Verfassungsgerichts als einem Verfassungsorgan, dass es jederzeit zum Zusammentritt und zur Entscheidung in der Lage sein muss.86 Dies ist nur dann möglich, wenn bei allen Richtern des Verfassungsgerichts die Pflichten aus der hauptberuflichen Tätigkeit hinter den Pflichten als Verfassungsrichter zurücktreten.87 Eine Ausnahme von dem Grundsatz der ehren- bzw. nebenamtlichen Tätigkeit sehen die Verfassungsgerichtsgesetze von Berlin und Brandenburg vor, um eine Überlastung des Gerichts zu verhindern: Auf Vorschlag bzw. Antrag des Gerichts können bis zu vier Richter für die Dauer ihrer restlichen Amtszeit zu hauptamtlichen Verfassungsrichtern ernannt werden, sofern der Geschäftsanfall dies als erforderlich erscheinen lässt.88 Bislang ha83

§ 3 Abs. 3 S. 1 VerfGHG Bln; § 5 Abs. 2 LVerfGG MV; § 5 Abs. 2 S. 3 SächsVerfGHG (für die nichtberufsrichterlichen Mitglieder); § 8 Abs. 1 LVerfGG LSA; § 9 Abs. 1 S. 1 ThürVerfGHG. 84 Dies gilt für die berufsrichterlichen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes in Sachsen, § 5 Abs. 2 S. 1 SächsVerfGHG. Das Brandenburgische Verfassungsgerichtsgesetz schweigt zum Charakter des Richteramtes; dessen Nebenamtlichkeit ergibt sich jedoch aus einem Umkehrschluss zu § 9 Abs. 3 S. 1 VerfGG Bbg. 85 § 8 Abs. 3 LVerfGG MV; § 8 Abs. 2 LVerfGG LSA. 86 So Starck, Landesverfassungsgerichte, S. 172 f.; Sodan, DVBl. 2002, S. 650. 87 In Berlin folgt der Schutz der ehrenamtlichen Tätigkeit der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes bereits aus der Verfassung: Nach Art. 19 Abs. 1 Verf Bln darf niemand im Rahmen der geltenden Gesetze an der Wahrnehmung öffentlicher Ehrenämter gehindert werden, insbesondere nicht durch sein Arbeitsverhältnis. 88 § 13 Abs. 4 VerfGHG Bln; § 9 Abs. 3 VerfGG Bbg. In Berlin gilt dies nur für diejenigen Richter, welche die Befähigung zum Richteramt haben. Zusätzlich ist ein mit Zweidrittelmehrheit gefasster Beschluss des Abgeordnetenhauses erforderlich; die Ernennung der betreffenden Richter erfolgt durch den Präsidenten des Abgeordnetenhauses. Auch in Brandenburg wird die Ernennung durch den Präsidenten des Landtages vorgenommen; diese bedarf jedoch nur eines zustimmenden Beschlusses des Parlaments mit einfacher Mehrheit.

IV. Das Amt der Verfassungsrichter

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ben jedoch beide Landesverfassungsgerichte von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. 2. Amtszeit und Wiederwahl Der Frage nach der angemessenen Amtsdauer und der Zulässigkeit der Wiederwahl eines Verfassungsrichters haben sich die neuen Länder und Berlin auf sehr verschiedene Weise angenommen. Die reguläre Amtszeit schwankt zwischen fünf und zwölf Jahren: In Berlin89 sowie in SachsenAnhalt90 beträgt sie sieben Jahre, in Sachsen91 neun Jahre und in Brandenburg92 zehn Jahre. In Mecklenburg-Vorpommern93 werden die Verfassungsrichter wie auf Bundesebene94 auf die Dauer von zwölf Jahren gewählt. Am kürzesten amtieren die Mitglieder des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, die Wahlperiode dauert nur fünf Jahre.95 Unterschiedlich wird auch die Möglichkeit der Wiederwahl beurteilt. In Berlin96, Brandenburg97 und Mecklenburg-Vorpommern98 ist die erneute Berufung der Richter ausdrücklich ausgeschlossen. Hingegen haben sich Sachsen99 und Thüringen100 für die uneingeschränkte Zulassung der Wiederwahl entschieden. Einen Mittelweg geht Sachsen-Anhalt101; die Wiederbestellung der Verfassungsrichter ist nur einmal gestattet. Die Regelungen zur Amtszeit und zur Wiederwahl nehmen Einfluss auf die demokratische Legitimation und die Unabhängigkeit der Verfassungsrichter.102 Welche konkrete Amtsdauer sich als vorteilhaft erwiesen hat und ob sich die Möglichkeit der Wiederwahl auf die richterliche Unabhängigkeit 89

§ 2 Abs. 1 S. 1 VerfGHG Bln. § 3 Abs. 1 S. 3 LVerfGG LSA. 91 Art. 81 Abs. 3 S. 1 SächsVerf, § 3 Abs. 3 S. 1 SächsVerfGHG. 92 Art. 112 Abs. 4 S. 1 Verf Bbg, § 4 S. 1 VerfGG Bbg. In Brandenburg wurden gemäß Art. 114 Verf Bbg, § 61 Abs. 1 VerfGG Bbg die bei der Konstituierung des Verfassungsgerichtes zu bestellenden Richter für eine Amtszeit von fünf Jahren mit einmaliger Wiederwahlmöglichkeit gewählt. Am 07.04.1999 wurde § 61 Abs. 1 S. 2 VerfGG Bbg dahingehend novelliert (GVBl. S. 98), dass die einmalige Wiederwahl für eine volle Amtszeit, d. h. zehn Jahre möglich ist. 93 § 5 Abs. 1 S. 1 LVerfGG MV. 94 § 4 Abs. 1 BVerfGG. 95 § 3 Abs. 1 S. 1 ThürVerfGHG. 96 § 2 Abs. 1 S. 2 VerfGHG Bln. 97 Art. 112 Abs. 4 S. 3 Verf Bbg, § 4 S. 3 VerfGG Bbg. 98 § 5 Abs. 1 S. 2 LVerfGG MV. 99 Art. 81 Abs. 3 S. 1 SächsVerf, § 3 Abs. 3 S. 4 SächsVerfGHG. 100 § 3 Abs. 2 S. 1 ThürVerfGHG. 101 § 3 Abs. 1 S. 4 LVerfGG LSA. 102 Pieper, S. 40; Harms-Ziegler, S. 199. 90

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

auswirkt, konnte bisher noch nicht empirisch festgestellt werden.103 Von der schwierigen Beurteilung dieser Problematik zeugen die Gesetzesberatungen in Berlin und in Sachsen. In Berlin wurde befürchtet, dass allein die Möglichkeit einer wiederholten Berufung den Richter beeinflussbar machen könnte. Mit dem Ausschluss der Wiederwahl sollte jedem Verdacht entgegengetreten werden, dass der Verfassungsrichter nicht mehr nach seiner persönlichen Auffassung, sondern im Sinne der ihn unterstützenden Kreise in den Wahlgremien entscheide, von denen seine Wiederwahl abhänge.104 Im Regierungsentwurf des Sächsischen Verfassungsgerichtshofgesetzes wurde dagegen auf die Kontinuität der Rechtsprechung abgestellt: Die Zulässigkeit der Wiederwahl ermögliche es, bewährte Richterpersönlichkeiten im Verfassungsgerichtshof zu behalten und ihre gewonnenen Erfahrungen auch weiterhin zu nutzen.105 Ähnliche Erwägungen werden auch in Thüringen maßgebend gewesen sein. 3. Inkompatibilitäten und Inelegibilitäten Das Amt des Verfassungsrichters ist mit bestimmten Ämtern in der Gesetzgebung und der Verwaltung unvereinbar. Diese Inkompatibilitäten folgen aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung: Die Verfassungsgerichtsbarkeit kann ihrer Kontroll- und Korrekturfunktion kaum gerecht werden, wenn eine personelle Verflechtung mit den anderen Gewalten besteht. In allen Ländern ist daher das Mandat in einer gesetzgebenden Körperschaft – sei es in einem Landesparlament oder im Bundestag bzw. Bundesrat – mit dem Amt als Landesverfassungsrichter inkompatibel; gleiches gilt für die Mitgliedschaft in der Bundes- oder einer Landesregierung.106 In 103

Wille, S. 51. Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokoll XI/40, S. 2038. 105 Sächsischer Landtag, Drs. 1/2486, S. 30. 106 § 3 Abs. 2 S. 1 VerfGHG Bln; Art. 112 Abs. 5 S. 2 Verf Bbg, § 3 Abs. 2 S. 1 VerfGG Bbg; Art. 52 Abs. 4 Verf MV, § 3 Abs. 2 LVerfGG MV; Art. 81 Abs. 3 S. 3 SächsVerf, § 2 Abs. 3 S. 2 SächsVerfGHG; Art. 74 Abs. 4 S. 1 Verf LSA, § 5 Abs. 2 LVerfGG LSA; Art. 79 Abs. 3 S. 1 ThürVerf, § 4 Abs. 2 S. 1 ThürVerfGHG. In allen Ländern werden die Inkompatibilitäten in den Verfassungsgerichtsgesetzen nach der Überschrift bzw. der Terminologie den Voraussetzungen der Wählbarkeit zugeordnet. Dies ist irreführend, da durchaus auch Mitglieder der Legislative und Exekutive als Verfassungsrichter gewählt werden können. Erst wenn das betreffende Mitglied zum Verfassungsrichter ernannt wurde, besteht eine Inkompatibilität zwischen beiden Ämtern. Einzig in Sachsen-Anhalt wird im Falle der Ernennung das Ausscheiden aus dem Landtag oder der Landesregierung von Sachsen-Anhalt festgelegt. Vgl. zu dieser Regelung Pestalozza, LKV 1994, S. 12. Wilke, S. 149, ordnet die Inkompatibilitäten hingegen den Wählbarkeitsvoraussetzungen zu: Liege eine Inkompatibilität vor, sei bereits die Wahl zum Verfassungsrichteramt ausgeschlossen. 104

IV. Das Amt der Verfassungsrichter

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Sachsen-Anhalt wird darüber hinausgehend die Inkompatibilität des Verfassungsrichteramtes mit der Mitgliedschaft in einem dem Landtag oder der Landesregierung entsprechenden Organ der Europäischen Gemeinschaft vorgeschrieben.107 Differenziert wird hinsichtlich der Frage, ob und welche Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes zugleich das Richteramt am Landesverfassungsgericht bekleiden dürfen. In Sachsen ist – da das Sächsische Verfassungsgerichtshofgesetz diesbezüglich keine Regelung trifft – eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst generell mit dem Amt des Verfassungsrichters vereinbar. Auf diese Weise sollte erreicht werden, dass der Kreis der Kandidaten für das Verfassungsrichteramt nicht übermäßig eingeschränkt wird.108 Die übrigen Länder verwehren den Angehörigen des öffentlichen Dienstes den Zugang zum Landesverfassungsrichteramt, allerdings in unterschiedlicher Ausgestaltung: Berlin109 und Brandenburg110 erstrecken die Inkompatibilitätsregelung auf den gesamten öffentlichen Dienst der Bundesrepublik, d. h. auch auf Beschäftigte anderer Länder und des Bundes. In Mecklenburg-Vorpommern111, Sachsen-Anhalt112 und Thüringen113 gilt die Inkompatibilität mit dem Verfassungsrichteramt dagegen nur für Beamte und Angestellte des eigenen Landes. Professoren an deutschen Hochschulen114 bzw. Hochschullehrer115 sowie Richter116 bzw. Richter auf Lebenszeit117 sind jedoch durchweg von den Inkompatibilitätsregelungen ausgenommen. 107 Art. 74 Abs. 4 Verf LSA, § 5 Abs. 2 1. HS. LVerfGG LSA: Gemeint sind die Europäische Kommission, der Rat und das Europäische Parlament. In den übrigen Ländern können Personen, die den genannten Organen angehören, ohne weiteres als Verfassungsrichter gewählt werden. 108 Sächsischer Landtag, Drs. 1/2486, S. 28 f. 109 § 3 Abs. 2 S. 2 VerfGHG Bln. 110 § 3 Abs. 2 S. 2 VerfGG Bbg. Zur Problematik der verfassungsrechtlichen Ermächtigung zu dieser Inkompatibilitätsregelung Pestalozza, DVBl. 1993, S. 1065, Fn. 25. 111 § 3 Abs. 3 LVerfGG MV. Die Terminologie weicht von dem Abs. 2 dieser Vorschrift und den übrigen Inkompatibilitätsregelungen ab: Den Beamten und Angehörigen des öffentlichen Dienstes wird bereits die Wählbarkeit zum Amt des Verfassungsrichters abgesprochen; hier besteht also eine Inelegibilität. 112 § 5 Abs. 3 S. 1 LVerfGG LSA, welcher konkretisiert: Die nichtberufsrichterlichen Mitglieder dürfen beruflich weder im Dienst des Landes noch einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts unter der Aufsicht des Landes oder der Kommunen und Gemeindeverbände stehen. Erfasst werden also alle dem Land zuzurechnenden Organisationseinheiten. 113 Art. 79 Abs. 3 S. 2 ThürVerf, § 4 Abs. 2 S. 2 ThürVerfGHG. Diese Normen nehmen eine ähnliche Konkretisierung wie in Sachsen-Anhalt vor. 114 § 3 Abs. 2 S. 2 VerfGHG Bln; § 3 Abs. 2 S. 2 VerfGG Bbg. 115 § 3 Abs. 3 LVerfGG MV; § 5 Abs. 3 LVerfGG LSA; Art. 79 Abs. 3 S. 1 ThürVerf, § 4 Abs. 2 S. 2 ThürVerfGHG.

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

Zustimmung verdient der Ausschluss sämtlicher Angehöriger des öffentlichen Dienstes von dem Verfassungsrichteramt. Einmal kann wegen der Weisungsgebundenheit der Beamten gegenüber dem Dienstherrn die richterliche Unabhängigkeit nicht gewährleistet werden, Interessenkonflikte sind nicht auszuschließen. Außerdem werden mehrere Staatsfunktionen in einer Person vermengt, so dass der Einsatz von Beamten als Verfassungsrichter auch unter dem Aspekt der Gewaltenteilung bedenklich ist.118 In einigen der neuen Länder führen schließlich frühere Verstrickungen in der DDR zum Ausschluss vom Verfassungsrichteramt. Obwohl inhaltlich nahezu identisch, sind die jeweiligen Vorschriften sehr unterschiedlich ausgestaltet. In Mecklenburg-Vorpommern ist eine Person, die gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat oder für das Ministerium für Staatssicherheit bzw. das Amt für Nationale Sicherheit tätig war, nicht zum Mitglied des Landesverfassungsgerichts wählbar; es liegt also bereits eine Inelegibilität vor.119 Die Regelung in Sachsen entspricht derjenigen in Mecklenburg-Vorpommern, sie ist allerdings als Inkompatibilität120 ausgestaltet: Die betreffende Person kann nicht Mitglied des Verfassungsgerichtshofes sein.121 Die sachsen-anhaltinischen Bestimmungen sind weniger streng und lassen Spielraum: Zum Mitglied des Landesverfassungsgerichts soll nicht gewählt werden, wer gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat oder wegen seiner Tätigkeit als Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes für das Amt nicht geeignet ist.122 Hierbei handelt es sich um eine beschränkte Inelegibilitätsregelung.123 In Thüringen ist die Tätigkeit für das Ministerium der Staatssicherheit hingegen Tatbestand für eine Amtsenthebung.124 Berlin und Brandenburg teilen diese Vorbehalte nicht.125

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§ 3 Abs. 2 S. 2 VerfGHG Bln; § 3 Abs. 2 S. 2 VerfGG Bbg; § 3 Abs. 3 LVerfGG MV; Art. 79 Abs. 3 S. 1 ThürVerf, § 4 Abs. 2 S. 2 ThürVerfGHG. 117 § 5 Abs. 3 LVerfGG LSA. 118 Vgl. Starck, Landesverfassungsgerichte, S. 175; so auch Harms-Ziegler, S. 198. 119 § 3 Abs. 4 LVerfGG MV. 120 So auch Rinken, NVwZ 1994, S. 31. Missverständlich: Pestalozza, LKV 1993, S. 255. 121 § 2 Abs. 4 SächsVerfGHG. Diese Vorschrift entspricht der für den öffentlichen Dienst allgemein geltenden Regelung des Art. 119 SächsVerf. Nicht übernommen wurde das dort vorgesehene einschränkende Merkmal der Untragbarkeit im Einzelfall: An dem SED-Regime beteiligte Personen sollten nicht Hüter der neuen freiheitlich-demokratischen Verfassung werden. 122 § 6 Abs. 1 LVerfGG LSA. 123 Vgl. Heimann, S. 85; Pestalozza, LKV 1994, S. 12. 124 § 6 Abs. 3 Nr. 3 ThürVerfGHG.

IV. Das Amt der Verfassungsrichter

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4. Stellvertretung Der weitreichende Einfluss der politischen Kräfte des Landes auf die Zusammensetzung des Landesverfassungsgerichts zeigt sich besonders in den Stellvertreterregelungen. In Mecklenburg-Vorpommern126, Sachsen127, Sachsen-Anhalt128 und Thüringen129 wird für jeden Verfassungsrichter ein eigener Stellvertreter gewählt. Im Vertretungsfall kommt somit ein Richter zum Einsatz, der von denselben Kräften im Landtag getragen wird, welche auch das verhinderte Mitglied unterstützt und gewählt haben. Auf diese Weise bleibt das von den Parteien mit der Richterwahl bezweckte Gleichgewicht zwischen den einzelnen politischen Grundüberzeugungen innerhalb des Spruchkörpers auch dann erhalten, wenn ein oder mehrere Stellvertreter an der Entscheidung mitwirken. Überwiegend gelten für die Stellvertreter die allgemeinen Vorschriften hinsichtlich der Mitglieder des Verfassungsgerichts entsprechend.130 Mit Ausnahme von Thüringen ist die Amtszeit des Stellvertreters trotz der persönlichen Zuordnung nicht an die des zu vertretenden Verfassungsrichters gebunden.131 Das Sächsische Verfassungsgerichtshofgesetz erstreckt die Stellvertretung auch auf den Fall, wenn das ordentliche Mitglied aus seinem Amt ausscheidet: Der Stellvertreter vertritt den Verfassungsrichter bis zur Ernennung eines Nachfolgers, sofern dieser nicht die Amtsgeschäfte selbst fortführt.132 Bei vorzeitig eintretender Vakanz des Amtes – etwa durch Entlassung vor Ablauf der Amtszeit auf eigenen Wunsch, auf Antrag des Gerichts oder im Gefolge einer Richteranklage – hat der Stellvertreter auch in den übrigen Ländern das Amt des ausgeschiedenen Mitglieds zu übernehmen. Ist der Stellvertreter selbst verhindert, muss die politische Balance im Gericht zurücktreten: Der Stellvertreter wird dann durch einen der übrigen Stellvertreter in der Reihenfolge des Lebensalters vertreten; die weitere Stellvertretung findet allerdings nur innerhalb der Gruppen der Berufsrichter bzw. der zum Richteramt Befähigten und der Laienrichter 125 Offenbar war man hier der Auffassung, dass solche Belastungen bereits vor dem Wahlverfahren bekannt und zur Ablehnung der betroffenen Kandidaten führen werden. 126 § 2 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 LVerfGG MV. 127 § 2 Abs. 2 S. 1 SächsVerfGHG. 128 § 3 Abs. 1 S. 2 LVerfGG LSA. 129 § 2 Abs. 2 ThürVerfGHG. 130 § 2 Abs. 2 S. 5 SächsVerfGHG; § 12 Abs. 1 S. 1 LVerfGG LSA; § 2 Abs. 2 S. 2 ThürVerfGHG. 131 § 5 Abs. 3 LVerfGG MV; § 2 Abs. 2 S. 6 SächsVerfGHG; § 12 Abs. 1 S. 2 LVerfGG LSA. 132 § 2 Abs. 2 S. 1 SächsVerfGHG.

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

statt, damit die vorgegebene Zusammensetzung der Verfassungsgerichte gewahrt bleibt.133 Die Verfassungen und Verfassungsgerichtsgesetze von Berlin und Brandenburg sehen hingegen davon ab, für die Verfassungsrichter Stellvertreter bereitzustellen.134 Dies kann zu prekären Situationen führen. Bei der Verhinderung eines oder mehrerer Mitglieder ist das Gericht nicht mehr ordnungsgemäß besetzt, so dass seine Beschlussfähigkeit gefährdet ist.135 Der Gesetzgeber in Berlin und in Brandenburg hat es für ausreichend erachtet, dieser Gefahr mit einem verringerten Beschlussfähigkeitsquorum zu begegnen.136 Zusätzlich ist in beiden Ländern der Erlass einstweiliger Anordnungen erleichtert: In besonders dringenden Fällen können sie auch bei Beschlussunfähigkeit erlassen werden, wenn mindestens drei Richter anwesend sind und der Beschluss einstimmig gefasst wird.137 Sämtliche Unwägbarkeiten, welche die Funktionsfähigkeit des Landesverfassungsgerichts beeinträchtigen könnten, kann letztlich jedoch nur eine Stellvertreterregelung ausschließen.138 5. Amtsende und Ausscheiden aus dem Verfassungsrichteramt a) Ablauf der regulären Amtszeit bzw. Erreichen der Altersgrenze Die Amtszeit eines Verfassungsrichters endet regulär mit ihrem Ablauf.139 Dem gleichgestellt ist in einigen Ländern das Erreichen einer Höchstalters133 § 2 Abs. 4 LVerfGG MV; § 2 Abs. 2 S. 3 SächsVerfGHG; § 12 Abs. 2 LVerfGG LSA; § 8 Abs. 1 S. 2, 3 ThürVerfGHG. 134 In den Altbundesländern hat nur Bayern darauf verzichtet, seinen Verfassungsrichtern Stellvertreter zur Seite zu stellen. Einer solchen Regelung bedarf es in Bayern nicht, da die Zahl der zu bestellenden Richter gesetzlich nicht festgelegt ist. Es werden daher vom Landtag mehr Richter gewählt, als zur Besetzung der Senate erforderlich ist. Vgl. hierzu Knöpfle, S. 281. 135 So auch Wilke, S. 148 f.; Pestalozza, DVBl. 1993, S. 1064. Vgl. auch Wimmer, S. 11 f. 136 § 11 Abs. 1 S. 1 VerfGHG Bln; § 8 Abs. 1 S. 1 VerfGG Bbg. Siehe hierzu auch sub B. IV. 7. 137 § 31 Abs. 6 S. 1 VerfGHG Bln; § 30 Abs. 7 VerfGG Bbg. Viel Gewicht wird einer unter diesen Umständen zustande gekommenen einstweiligen Anordnung allerdings nicht eingeräumt: Sofern sie nicht vom Verfassungsgericht – in normaler Besetzung – bestätigt wird, tritt sie nach einem Monat außer Kraft. 138 Heimann, S. 86, sieht indes keine zwingenden Gründe, für die Verfassungsrichter Stellvertreter vorzusehen. Kluge, S. 58 f., will den Einwand der gefährdeten Beschlussfähigkeit dadurch entkräften, dass in sechs Jahren Praxis des Brandenburgischen Verfassungsgerichts ein solcher Fall nie eingetreten sei. 139 Vgl. § 7 Abs. 1 VerfGHG Bln; § 6 Abs. 2 S. 1 VerfGG Bbg; § 6 Abs. 1 S. 1 LVerfGG MV; § 6 Abs. 1 ThürVerfGHG; § 6 Abs. 2 SächsVerfGHG. Sinngemäß: § 9 Abs. 1 LVerfGG LSA.

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grenze; sie beträgt in Brandenburg140, Mecklenburg-Vorpommern141 und Thüringen142 68 Lebensjahre, in Sachsen143 65 Lebensjahre für die berufsrichterlichen Mitglieder bzw. 70 Lebensjahre für die nichtberufsrichterlichen Mitglieder. In diesen Fällen sehen die Verfassungsgerichtsgesetze vor, dass der betreffende Verfassungsrichter seine Amtsgeschäfte bis zur Ernennung des Nachfolgers fortzuführen hat.144 b) Amtsenthebung und Ausscheiden aus dem Verfassungsrichteramt Alle neuen Länder und Berlin enthalten katalogmäßig ausgestaltete Vorschriften, nach denen Verfassungsrichter bereits vor Ablauf ihrer Amtszeit aus dem Amt ausscheiden können. In Berlin kann ein Richter durch Beschluss des Verfassungsgerichtshofs mit Zustimmung von sechs Verfassungsrichtern aus seinem Amt abberufen werden, wenn er dauernd dienstunfähig oder zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden ist.145 Zwingend angeordnet ist hingegen das Ausscheiden eines Verfassungsrichters aus dem Berliner Verfassungsgerichtshof, wenn die Voraussetzungen seiner Wählbarkeit entfallen, d. h. Inkompatibilitäten i. S. d. § 3 Abs. 2 VerfGHG Bln eintreten.146 Schließlich legt § 8 Abs. 1 VerfGHG Bln fest, dass die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs den disziplinarrechtlichen Vorschriften für Richter nicht unterliegen. Die Gründe für die Entlassung aus dem Brandenburgischen Verfassungsgericht sind durchweg zwingend ausgestaltet. Der Verfassungsrichter scheidet aus dem Amt aus, wenn er dauernd dienstunfähig ist, zu einer Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt wurde oder die Voraussetzungen seiner Wählbarkeit entfallen sind; dem Gericht bleibt lediglich die Aufgabe, das Ausscheiden durch Beschluss festzustellen.147 Weitergehend sind die Vorschriften in Mecklenburg-Vorpommern. Ein Verfassungsrichter scheidet nicht nur bei Dienstunfähigkeit oder rechtskräf140

§ 6 Abs. 2 S. 1 VerfGG Bbg. § 6 Abs. 1 S. 1 LVerfGG MV. 142 § 4 Abs. 1 ThürVerfGHG. 143 § 6 Abs. 1 Nr. 5 SächsVerfGHG i. V. m. § 5 Abs. 1 SächsRiG bzw. § 6 Abs. 1 Nr. 6 SächsVerfGHG. 144 § 7 Abs. 2 VerfGHG Bln; § 6 Abs. 2 S. 2 VerfGG Bbg; § 5 Abs. 2 LVerfGG MV; § 9 Abs. 1 LVerfGG LSA; § 6 Abs. 2 SächsVerfGHG; § 3 Abs. 2 S. 2 ThürVerfGHG. 145 § 8 Abs. 2 VerfGHG Bln. 146 § 7 Abs. 3 VerfGHG Bln. 147 § 6 Abs. 3 VerfGG Bbg. 141

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

tiger Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe aus dem Amt aus, sondern auch bei dem Entfallen der Voraussetzungen für die Wählbarkeit zum Landtag, dem Eintritt bzw. nachträglichem Bekanntwerden von Inkompatibilitäten oder Inelegibilitäten oder dem Vorliegen einer so groben Pflichtverletzung, dass sein Verbleiben im Amt mit der Bedeutung und der Würde des Landesverfassungsgerichts nicht mehr vereinbar ist.148 Die Entlassung des Verfassungsrichters wird durch Beschluss des Landesverfassungsgerichts festgestellt; sie kann auch von dem Landtag, der Landesregierung sowie durch das betroffene Mitglied selbst beantragt werden.149 In Sachsen können die Verfassungsrichter gemäß § 5 Abs. 3 S. 1 SächsVerfGHG grundsätzlich nur nach den für Richter im Landesdienst geltenden Vorschriften150 ihres Amtes enthoben werden. Diese werden jedoch dahingehend erweitert, dass das Entlassungsverfahren durch die Staatsregierung eingeleitet und die dienstgerichtliche Entscheidung mit einer Zwei-DrittelMehrheit vom Verfassungsgerichtshof getroffen wird.151 Zusätzlich finden sich in § 6 Abs. 1 SächsVerfGHG Gründe, bei deren Vorliegen das Amt eines Verfassungsrichters vor Ablauf der Amtszeit endet; u. a. bei dem Verlust der Wählbarkeit zum Bundestag, dem nachträglichen Eintritt von Inkompatibilitäten sowie dem Ausscheiden eines berufsrichterlichen Mitglieds aus seinem Amt als Berufsrichter. Allein im Fall des § 6 Abs. 1 Nr. 3 SächsVerfGHG hat der Verfassungsgerichtshof mit einer Mehrheit von zwei Dritteln festzustellen, dass bei dem betroffenen Mitglied eine Inkompatibilität nach § 2 Abs. 4 SächsVerfGHG – Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit oder Tätigkeit für das MfS – nachträglich bekannt geworden ist; ansonsten tritt die Beendigung des Verfassungsrichteramtes bereits kraft Gesetzes ein. Ähnlich gefasst wie in Mecklenburg-Vorpommern sind die Entlassungsgründe in Sachsen-Anhalt, allerdings steht die Entlassung des Richters hier im Ermessen des Landesverfassungsgerichts.152 Diese Entscheidung trifft das Gericht durch Beschluss mit Zwei-Drittel-Mehrheit, wobei mindestens neun Mitglieder und Stellvertreter anwesend sein müssen.153 Für die Richter am Thüringer Verfassungsgerichtshof gilt eine ähnliche Reglung wie in Berlin: Die Verfassungsrichter scheiden qua Gesetz aus ihrem Amt aus, wenn die Voraussetzungen ihrer Wählbarkeit entfallen.154 148 149 150 151 152 153 154

§ 6 Abs. 2 LVerfGG MV. § 7 Abs. 1 S. 1 LVerfGG MV. §§ 41 ff. SächsRiG. § 5 Abs. 3 S. 1, 2 SächsVerfGHG. §§ 10 S. 2, 11 Abs. 1 LVerfGG LSA. § 11 Abs. 2 LVerfGG LSA. § 6 Abs. 1 i. V. m. § 4 ThürVerfGHG.

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Darüber hinaus kann der Verfassungsgerichtshof auf Antrag des Präsidenten des Landtages ein Mitglied aus seinem Amt abberufen, wenn einer der in § 6 Abs. 3 ThürVerfGHG genannten Gründe vorliegt; hierunter fällt auch die Tätigkeit für das MfS. Hierfür ist ein Beschluss des Gerichts mit der Zustimmung von sechs Mitgliedern erforderlich.155 Ebenfalls wird hervorgehoben, dass die Verfassungsrichter nicht den disziplinarrechtlichen Vorschriften für Richter unterliegen.156 Durchweg wird jedem Verfassungsrichter schließlich das Recht auf vorzeitige Entlassung eingeräumt.157 Mit dem Ausscheiden aus dem Amt sind die Richter von ihren Amtspflichten entbunden; eine Fortführung ihrer Amtsgeschäfte findet in diesen Fällen nicht statt. 6. Neuwahlen Scheidet ein Verfassungsrichter aus seinem Amt aus, kommt dem Termin der Neubesetzung erhebliche Bedeutung zu. Richter, deren Amtszeit abgelaufen ist oder welche die Altersgrenze erreicht haben, sollen nicht ungebührlich lange die Amtsgeschäfte fortführen müssen. Auch könnte das Fortamtieren des Verfassungsrichters politische Kräfte ermuntern, die Wahl des Nachfolgers zu verzögern.158 Hinzu kommt, dass in denjenigen Ländern, die den Mitgliedern des Verfassungsgerichts keine Stellvertreter zur Seite stellen, das Gericht durch das vorzeitige Ausscheiden eines Verfassungsrichters gezwungen wird, bis zum Zeitpunkt der Neuwahl in verminderter Besetzung entscheiden zu müssen.159 Mit Ausnahme von Berlin und Brandenburg ist in allen Ländern der zeitliche Rahmen für die Neuwahl der Verfassungsrichter gesetzlich festgelegt. In Mecklenburg-Vorpommern hat die Neuwahl für das ausgeschiedene Mitglied oder den Stellvertreter innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Amt stattzufinden; die Vorschrift ist insoweit zwingend ausgestaltet.160 Das Sächsische Verfassungsgerichtshofgesetz sieht vor, dass die Neuwahl frühestens drei Monate und spätestens einen 155

§ 6 Abs. 4 ThürVerfGHG. § 6 Abs. 6 ThürVerfGHG. 157 § 6 Abs. 1 VerfGHG Bln; § 6 Abs. 1 VerfGG Bbg; § 6 Abs. 2 Nr. 1 LVerfGG MV; § 10 S. 1 LVerfGG LSA; § 6 Abs. 1 Nr. 7 SächsVerfGHG; § 6 Abs. 2 ThürVerfGHG. 158 Pestalozza, JR 1991, S. 46. 159 Starck, Landesverfassungsgerichte, S. 161, spricht insoweit von einer „verfassungsrechtlichen Pflicht“ der Wahlorgane, nach Ablauf der Amtsperiode eines Verfassungsrichters dessen Nachfolger zu wählen. 160 § 5 Abs. 3 LVerfGG MV. 156

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

Monat vor Beendigung des Amtes des ausscheidenden Richters stattfinden soll161; entsprechende Soll-Vorschriften gelten auch in Sachsen-Anhalt162 und in Thüringen163. Die fehlende Regelung einer Frist für die Neuwahl der Richter hat in Berlin und in Brandenburg bereits zu Misslichkeiten geführt. In Berlin konnten für den ehemaligen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs Finkelnburg sowie die Richter Arendt-Rojahn, Driehaus, Eschen und Kunig, deren Stellen nach Ablauf ihrer regulären Amtszeit am 26. März 1999 neu besetzt werden sollten, erst am 9. März 2000 Nachfolger gewählt werden; da sich die Parteien weder über die inoffiziellen Regeln der Richterwahl noch über mehrheitsfähige Kandidaten verständigen konnten, musste der Verfassungsgerichtshof solange in alter Besetzung weiterarbeiten.164 Überregionales Aufsehen erregten auch die Vorgänge um die Verfassungsrichterwahlen in Brandenburg in den Jahren 1998 und 1999. Für das Laienrichteramt hatte die PDS die als „Stimme des Ostens“ und als „Jeanne d’Arc des Ostgefühls“ hochgelobte parteilose Schriftstellerin Dahn nominiert, sie war auch vom Hauptausschuss des Brandenburgischen Landtags zur Wahl vorgeschlagen worden. Bedenken der Fraktionen von SPD und CDU im Landtag an der Einstellung Dahns zur Rechtsstaatlichkeit sowie ihrer Haltung zum politischen System der Bundesrepublik ließen jedoch nach heftigen, bundesweit geführten Auseinandersetzungen165 im Herbst 1998 ihre Kandidatur scheitern.166 Die notwendige Zweidrittelmehrheit der Landtagsabgeordneten verfehlte auch der zweite Kandidat der PDS, der Berliner Rechtsprofessor Kutscha.167 Erst im Juni 1999, ein Dreivierteljahr später, konnte die PDS trotz anfänglicher Skepsis der SPD und CDU zwei neue parteilose Kandidaten durchsetzen: Den Sohn des verstorbenen DDR-Regimekritikers Havemann, einen gelernten Elektriker, und die Potsdamer Rechtsanwältin Jegutidse.168 Bis zu diesem Zeitpunkt mussten die Verfassungsrichter Mitzner und Schö161

§ 3 Abs. 1 S. 1 SächsVerfGHG. § 9 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 LVerfGG LSA. 163 § 3 Abs. 2 S. 3; Abs. 3 S. 3 ThürVerfGHG. 164 Vgl. hierzu im Einzelnen unten sub D. I. 6. d). 165 Auch prominente Sozialdemokraten wie Bahr, Gaus und Hildebrandt sowie Schriftsteller wie Grass und Wolf hatten sich für Dahn stark gemacht. 166 Die FAZ vom 21.12.1998 sah sich daraufhin zu dem Kommentar veranlasst, dass Dahn wegen ihres provokanten Auftretens „nicht langweilig genug“ für das Verfassungsrichteramt sei. Dahn selbst zeigte sich irritiert, mit welcher Ängstlichkeit sie zurückgewiesen wurde; vgl. Berliner Zeitung v. 18.12.1998. Eingehend zum Fall Dahn auch Wassermann, NJW 1999, S. 471 f. 167 Der PDS-Fraktionsvorsitzende Brandenburgs Bisky erklärte daraufhin den „Brandenburger Weg“ einer parteiübergreifenden Zusammenarbeit für beendet. Vgl. hierzu auch Berliner Zeitung v. 12.11.1998 und v. 09.12.1998; FAZ v. 17.12.1998; Berliner Zeitung v. 18.12.1998, v. 23.12.1998 und v. 28.12.1998. 162

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neburg, die wegen Erreichens der Altersgrenze bereits im November 1998 aus ihrem Amt ausscheiden sollten, weiter amtieren. Dies waren nicht die ersten Schwierigkeiten bei der Neubesetzung der Richterbank des Brandenburgischen Verfassungsgerichts. Nachdem der Verfassungsrichter von Arnim im Januar 1996 von seinem Amt zurückgetreten war, verzögerte sich die Wahl eines Nachfolgers aufgrund anhaltender Querelen der Parteien bis September 1996.169 Solange blieb sein Amt vakant, das Gericht musste in reduzierter Besetzung entscheiden. Derartige Probleme ließen sich durch die gesetzliche Anordnung einer Frist für die Neuwahlen vermeiden.170 7. Entschädigung Entsprechend dem ehren- bzw. nebenamtlichen Charakter der Richtertätigkeit an einem Landesverfassungsgericht erhalten die Verfassungsrichter grundsätzlich kein Gehalt, sondern lediglich eine pauschalierte oder nach der tatsächlichen Tätigkeit berechnete Entschädigung.171 Sie ist zumeist recht bescheiden. Den Mitgliedern des Berliner Verfassungsgerichtshofes wird neben einer monatlichen Grundentschädigung pro Fall eine Aufwandsentschädigung gewährt. Die Grundentschädigung beträgt für den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes 332,34 Euro, für den Vizepräsidenten 281,21 Euro und für die übrigen Verfassungsrichter 230,08 Euro.172 Bei Verfassungsrichtern, die ihr Einkommen ganz oder überwiegend aus öffentlichen Mitteln beziehen, wird die Grundentschädigung halbiert.173 Die zusätzliche Aufwandsentschädigung beträgt nach § 13 Abs. 2 S. 2 VerfGHG Bln 51,13 Euro bei Beschlüssen und 204,52 Euro bei schriftlich begründeten Sachentscheidungen174, der Berichterstatter erhält jeweils den doppelten Betrag. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Tätigkeit am Verfassungsgerichtshof lediglich zu entschädigen ist, sieht § 13 Abs. 4 S. 4 VerfGHG Bln vor: Sind 168 Vgl. Berliner Zeitung v. 03.05.1999, v. 18.05.1999 und v. 02.06.1999; FAZ v. 19.05.1999; Berliner Zeitung und die WELT, jeweils in der Ausgabe v. 10.06.1999. Die SPD bemühte sich anschließend zu betonen, dass ihre Unterstützung der beiden Kandidaten drei Monate vor der Landtagswahl kein Vorzeichen für mögliche Koalitionsabsichten sei, vgl. FAZ v. 10.06.1999. 169 Vgl. Berliner Zeitung v. 30.01.1996 und oben B. III. 2. d). 170 Vgl. zur Problematik der Vakanzen bei Verfassungsgerichten auch Wimmer, S. 4 ff. m. w. N. 171 Vgl. Starck, Landesverfassungsgerichte, S. 176. 172 § 13 Abs. 1 VerfGHG Bln. 173 § 13 Abs. 3 VerfGHG Bln. 174 Zur Problematik der Abgrenzung zwischen diesen beiden Begriffen Wille, S. 55 ff.

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

der Präsident und der Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs aufgrund ansteigendem Geschäftsanfall zu hauptamtlichen Verfassungsrichtern ernannt, werden sie wie der Präsident und der Vizepräsident des Kammergerichts besoldet. Die weiteren hauptamtlichen Verfassungsrichter erhalten die Besoldung eines Vorsitzenden Richters am Kammergericht.175 Beinahe symbolischen Charakter hat die Aufwandsentschädigung für die Mitglieder des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern und die in dem Verfahren mitwirkenden Vertreter: Sie erhalten ein pauschaliertes Tagegeld in Höhe von 100 Euro pro Sitzung.176 In Sachsen-Anhalt erhalten die Verfassungsrichter eine monatliche Aufwandsentschädigung in Höhe von 409,03 Euro.177 Den Stellvertretern steht eine Aufwandsentschädigung in Höhe des hälftigen Betrages zu; wirken sie selbst an einem Verfahren mit, erhalten auch sie die volle Aufwandsentschädigung178. Die Mitglieder des Thüringer Verfassungsgerichtshofes erhalten für jeden Tag, an dem sie an einer Sitzung oder Beratung teilnehmen, eine Entschädigung von einem Zwanzigstel des monatlichen Grundgehalts der Besoldungsgruppe B 9; der Präsident erhält einen Zuschlag von 10 % dieser Summe.179 Über den üblichen Rahmen180 der Aufwandsentschädigung hinaus geht die Höhe der Entschädigung für die Verfassungsrichter im Land Brandenburg und im Freistaat Sachsen: Den Mitgliedern des Brandenburgischen Verfassungsgerichts steht eine monatliche Entschädigung in Höhe eines Drittels der Abgeordnetenentschädigung nach § 5 AbgG Bbg zu; d. h. seit dem 1. Januar 2003 ein Drittel von 4399 Euro.181 Für diejenigen Verfassungsrichter, 175 Nach Ansicht von Heimann, S. 98, wird diese Einstufung dem Statusunterschied zwischen Verfassungsgericht und Kammergericht nicht gerecht. 176 §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 LVerfGG MV. 177 § 8 Abs. 3 S. 1 LVerfGG LSA. 178 § 12 Abs. 3 LVerfGG LSA. 179 § 9 Abs. 1 S. 2, 3 ThürVerfGHG. 180 Auch die meisten Altbundesländer sind wenig generös: Die Mitglieder des Baden-Württembergischen Staatsgerichtshofs erhalten für jeden Tag, an dem sie bei einer Sitzung oder Beratung des Gerichtshofs anwesend sind, eine Entschädigung in Höhe von einem Fünfzehntel des monatlichen Grundgehalts der Besoldungsgruppe B9, § 7 Abs. 2 BWStGHG; die Verfassungsrichter Hamburgs 102,26 e (vertretende Mitglieder) bis 306,78 e (Präsident), § 13 HVerfGG. 181 § 9 Abs. 1 S. 1 VerfGG Bbg. Zur Kritik an dieser Verfahrensweise Pestalozza, DVBl. 1993, S. 1066, Rn. 34. Der brandenburgischen Regelung ähnelt die Bestimmung in Hessen: § 14 HessStGHG gewährt den Verfassungsrichtern eine monatliche Vergütung in Höhe von höchstens einem Drittel der Grundentschädigung der Abgeordneten des Landtags nach § 5 HessAbgG.

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die einen Anspruch auf ein Einkommen aus einem Amtsverhältnis oder aus einer Verwendung im öffentlichen Dienst haben182, reduziert sich die monatliche Entschädigung auf ein Sechstel dieses Betrages.183 Der Präsident erhält eine zusätzliche Aufwandsentschädigung in Höhe von 250 Euro, der Vizepräsident eine solche in Höhe von 125 Euro.184 Das Sächsische Verfassungsgerichtshofgesetz spricht lediglich von einer monatlichen Aufwandsentschädigung für die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes, welche sich für den Präsidenten und den Vizepräsidenten erhöht.185 Das Nähere – d. h. die konkrete Ausgestaltung der Entschädigung – wird an die Sächsische Staatsregierung delegiert, welche die jeweiligen Beträge durch Rechtsverordnung festzusetzen hat.186 Gemäß der Verordnung über die Aufwandsentschädigung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen beträgt die monatliche Aufwandsentschädigung für den Präsidenten 1789,52 Euro, für den Vizepräsidenten 1406,05 Euro und für die weiteren Mitglieder 1022,58 Euro187; letztere Summe erhalten auch die Stellvertreter für jeden Kalendermonat, in dem sie tätig geworden sind.188 Ob die vergleichsweise üppige Entschädigung der brandenburgischen und sächsischen Verfassungsrichter mit einer möglichen übermäßigen Arbeitsbelastung gerechtfertigt werden kann, erscheint zweifelhaft189: Die den Verfassungsgerichten in Brandenburg und Sachsen zugewiesenen Kompetenzen weichen nicht von denjenigen der übrigen Landesverfassungsgerichte ab. Darüber hinaus hat das Brandenburgische Verfassungsgerichtsgesetz bereits mehrere Vorkehrungen getroffen, um eine Überlastung des Gerichts zu verhindern: Bei Verfassungsbeschwerden ist das Verfassungsgericht nur subsidiär zuständig.190 Schließlich können bei ansteigendem Geschäftsanfall auch bis zu vier Richter für die Dauer ihrer Amtszeit zu hauptamtlichen Verfassungsrichtern ernannt werden, sie werden in diesem Fall wie Vorsit182

D. h. namentlich die berufsrichterlichen Verfassungsrichter. § 9 Abs. 1 S. 2 VerfGG Bbg. 184 § 9 Abs. 1 S. 3 VerfGG Bbg. 185 § 46 Abs. 1 SächsVerfGHG. 186 § 46 Abs. 2 SächsVerfGHG. Kritisch Heimann, S. 97: Dadurch erhalte neben dem Parlament ein weiteres Verfassungsorgan Einfluss auf das Verfassungsgericht, ohne dass dies notwendig sei. 187 § 1 Abs. 1 SächsVerfGHAufwEntschVO vom 21.01.1999 (SächsGVBl. 1999, S. 14), geändert durch Art. 1 der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung zur Euro-bedingten Änderung von Rechtsverordnungen vom 11.12.2001 (SächsGVBl. 2001, S. 725). 188 § 1 Abs. 2 SächsVerfGHAufwEntschVO. 189 Franke, S. 284, hält diese Regelung hingegen für unbedenklich: Die Entschädigung in Höhe eines Drittels der Abgeordnetenentschädigung entspreche dem ehrenamtlichen Charakter der Richtertätigkeit. 190 Siehe hierzu unten sub B. V. 3. 183

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

zende Richter am Oberverwaltungsgericht besoldet.191 Der brandenburgische Gesetzgeber hat mit der Koppelung der Entschädigung an die Abgeordnetendiäten wohl den Status des Verfassungsgerichts als oberstes Gericht des Landes und als Verfassungsorgan höher bewerten wollen192; ähnliche Erwägungen dürften auch in Sachsen maßgebend gewesen sein. V. Die Zuständigkeiten der Landesverfassungsgerichte Die Vorschriften über die Zuständigkeiten der Verfassungsgerichte in den neuen Ländern und Berlin orientieren sich an den bewährten Regelungen des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, gehen aber teils mit der Zulassung eigener Verfahrensarten auch über sie hinaus. Wie beim Bundesverfassungsgericht gilt auch für die Landesverfassungsgerichte das Enumerationsprinzip. 1. Organstreitigkeiten In jedem der neuen Länder und Berlin sind Organstreitverfahren vorgesehen193: Die Verfassungsgerichte entscheiden über die Auslegung der Verfassung aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Landesorgans oder anderer Beteiligter, die durch die Verfassung oder die Geschäftsordnung eines obersten Landesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Die jeweiligen Bestimmungen lehnen sich durchweg eng an den bundesrechtlichen Organstreit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG an, so dass es hier bei dem Verweis auf die einschlägige Literatur bewenden darf.194 191

§ 9 Abs. 3 S. 3 VerfGG Bbg. Siehe auch oben sub B. IV. 1. Kritisch Heimann, S. 99. 192 Während den Gesetzesberatungen bestand allerdings Konsens darüber, nach mehrjähriger Tätigkeit des Verfassungsgerichts eine nach der Sitzungsanzahl oder anderweitig gestaffelte Entschädigung noch einmal zu überdenken, vgl. Landtag Brandenburg, Protokoll der 47. Sitzung des Hauptausschusses am 09.06.1993, S. 15 f. 193 Art. 84 Abs. 2 Nr. 1 Verf Bln, §§ 14 Nr. 1, 36 ff. VerfGHG Bln; Art. 113 Nr. 1 Verf Bbg, §§ 12 Nr. 1, 35 ff. VerfGG Bbg; Art. 53 Nr. 1 Verf MV, §§ 11 Abs. 1 Nr. 1, 35 ff. LVerfGG MV; Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 SächsVerf, §§ 7 Nr. 1, 17 ff. SächsVerfGHG; Art. 75 Nr. 1 Verf LSA, §§ 2 Nr. 2, 35 ff. LVerfGG LSA; Art. 80 Abs. 1 Nr. 3 ThürVerf, §§ 11 Nr. 3, 38 ff. ThürVerfGHG. 194 Vgl. zum Organstreitverfahren beim Bundesverfassungsgericht: Klein, in: Benda/Klein, § 26, S. 404 ff.; Pestalozza, § 7, S. 95 ff.; zu Organstreitigkeiten in den alten Bundesländern Bethge, Organstreitigkeiten, S. 17 ff.; in Berlin Wille, S. 130 ff.; Bahl, NVwZ 1993, S. 45 m. w. N.; in Brandenburg Kluge, S. 93 ff.; in Mecklenburg Vorpommern Hückstädt, LKV 1997, S. 307; in Sachsen Degenhart,

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2. Normenkontrollverfahren a) Abstrakte Normenkontrolle Dem Vorbild des Bundes folgen die Länder auch bei der abstrakten Normenkontrolle195. Kommt es zu Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche oder sachliche Vereinbarkeit von Landesrecht mit der Landesverfassung, entscheiden auf Antrag die Landesverfassungsgerichte.196 Bedeutsame Abweichungen von der bundesrechtlichen Regelung zeigen sich allein bei der Ausgestaltung des Quorums, welches zur Antragstellung aus dem Parlament heraus berechtigt: Brandenburg197 und Thüringen198 verlangen mit einem Fünftel der Mitglieder des Landtages das niedrigste Parlamentsquorum. In Berlin199, Sachsen200 und Sachsen-Anhalt201 beträgt es ein Viertel, in Mecklenburg-Vorpommern202 ein Drittel der Abgeordneten des Landtages. In Thüringen203 sind auch alle Fraktionen des Landtages antragsberechtigt. b) Konkrete Normenkontrolle Die Verfassungsgerichte von Berlin und den neuen Ländern entscheiden schließlich auch in den ihnen nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG zugewiesenen Fällen. Hält ein Landesgericht ein von ihm anzuwendendes Landesgesetz für verfassungswidrig, weil es die Landesverfassung verletze, muss es das Verfahren aussetzen und eine Normenkontrollentscheidung des Landesver§ 18, S. 541; Pestalozza, LKV 1993, S. 256; in Sachsen-Anhalt Pestalozza, LKV 1994, S. 14.; in Thüringen Jutzi, in: Linck/Jutzi/Hopfe, Art. 80 Rn. 15 ff. 195 Art. 84 Abs. 2 Nr. 2 Verf Bln, §§ 14 Nr. 4, 43 ff. VerfGHG Bln; Art. 113 Nr. 2 Verf Bbg, §§ 12 Nr. 2, 39 ff. VerfGG Bbg; Art. 53 Nr. 2 Verf MV, §§ 11 Abs. 1 Nr. 2, 39 ff. LVerfGG MV; Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf, §§ 7 Nr. 2, 21 ff. SächsVerfGHG; Art. 75 Nr. 3 Verf LSA, §§ 2 Nr. 4, 39 ff. LVerfGG LSA; Art. 80 Abs. 1 Nr. 4 ThürVerf, §§ 11 Nr. 4, 42 ff. ThürVerfGHG. 196 Vgl. zu der abstrakten Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht Klein, in: Benda/Klein, § 22, S. 301 ff.; Pestalozza, § 8, S. 120 ff.; in den alten Bundesländern Ulsamer, S. 43 ff.; in Berlin Wille, S. 156 ff.; in Brandenburg Kluge, S. 97 ff.; in Sachsen Degenhart, § 18, S. 545 ff.; Pestalozza, LKV 1993, S. 256; in Sachsen-Anhalt Pestalozza, LKV 1994, S. 14; in Thüringen Jutzi, in: Linck/Jutzi/ Hopfe, Art. 80 Rn. 19 ff. 197 § 39 VerfGG Bbg. 198 § 42 ThürVerfGHG. 199 § 43 VerfGHG Bln. 200 § 21 SächsVerfGHG. 201 § 39 LVerfGG LSA. 202 § 39 Abs. 1 LVerfGG MV. 203 § 42 ThürVerfGHG.

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

fassungsgerichts einholen. Diesem allein steht die Verwerfungskompetenz zu. Die Vorschriften zur konkreten Normenkontrolle entsprechen ebenfalls durchweg dem bundesrechtlichen Modell.204 3. Individualverfassungsbeschwerde Alle neuen Länder und Berlin haben sich im Rahmen der Konstituierung ihrer Verfassungsgerichtsbarkeit für die Einführung der Verfassungsbeschwerde entschieden.205 Die jeweiligen Regelungen gleichen denen des Bundesrechts206, sie sind im Detail jedoch sehr differenziert ausgestaltet. Unterschiede zeigen sich insbesondere beim Beschwerdegegenstand, der Einlegungsfrist und der Subsidiarität zum Bundesverfassungsgericht. In Berlin kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Landesverfassung enthaltenen Rechte verletzt zu sein, Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben.207 Es wird explizit hervorgehoben, dass der Verfassungsgerichtshof nur subsidiär zuständig ist, d. h. nur, soweit nicht in derselben Sache Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben ist oder wird.208 Die Verfassungsbeschwerde ist – abweichend von der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG – innerhalb von zwei Monaten nach Erlass des angegriffenen Hoheitsaktes zu erheben; richtet sie sich gegen eine Rechtsvorschrift oder einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den der Rechtsweg nicht 204 Art. 84 Abs. 2 Nr. 4 Verf Bln, §§ 14 Nr. 5, 46 ff. VerfGHG Bln; Art. 113 Nr. 3 Verf Bbg, §§ 12 Nr. 3, 42 ff. VerfGG Bbg; Art. 53 Nr. 5 Verf MV, §§ 11 Abs. 1 Nr. 3, 42 ff. LVerfGG MV; Art. 81 Abs. 1 Nr. 3 SächsVerf, §§ 7 Nr. 3, 25 ff. SächsVerfGHG; Art. 75 Nr. 5 Verf LSA, §§ 2 Nr. 6, 42 ff. LVerfGG LSA; Art. 80 Abs. 1 Nr. 5 ThürVerf, §§ 11 Nr. 5, 45 ff. ThürVerfGHG. Vgl. zu der konkreten Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht Klein, in: Benda/Klein, § 23, S. 326 ff.; Pestalozza, § 13, S. 202 ff.; in den alten Bundesländern Groschupf, S. 85 ff.; in Berlin Wille, S. 190 ff.; in Brandenburg Kluge, S. 100 ff.; in Sachsen Degenhart, § 18, S. 545 ff.; in Thüringen Jutzi, in: Linck/Jutzi/Hopfe, Art. 80 Rn. 23 ff. 205 In den alten Ländern sahen bis zur Wiedervereinigung nur Bayern, Hessen und das Saarland die Möglichkeit einer Landesverfassungsbeschwerde vor. Vgl. dazu Schumann, S. 149 ff. Zur Einführung der Landesverfassungsbeschwerde in den neuen Ländern Klein, DVBl. 1993, S. 1329 ff. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Individualverfassungsbeschwerde in den neuen Ländern sowie das Verhältnis zwischen Landes- und Bundesverfassungsbeschwerde stellt Pfaff, S. 15 ff. vor. 206 Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG. Vgl. hierzu: Pestalozza, § 12, S. 159 ff. 207 Art. 84 Abs. 2 Nr. 5 Verf Bln, §§ 14 Nr. 6, 49 ff. VerfGHG Bln. Vgl. im Einzelnen auch Wille, S. 211 ff. 208 Art. 84 Abs. 2 Nr. 5 Verf Bln, §§ 14 Nr. 6, 49 Abs. 1 VerfGHG Bln.

V. Die Zuständigkeiten der Landesverfassungsgerichte

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offen steht, binnen eines Jahres seit dem In-Kraft-Treten der Vorschrift bzw. dem Erlass des Hoheitsaktes.209 Das Brandenburgische Verfassungsgerichtsgesetz übernimmt die Berliner Vorschriften weitgehend unverändert.210 Von der Ermächtigung des Art. 6 Abs. 2 S. 2 Verf Bbg, ein besonderes Annahmeverfahren einzurichten, hat der brandenburgische Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht; für Entlastung sorgt vielmehr eine der Berliner Regelung entsprechende Subsidiaritätsklausel.211 Einen Sonderweg geht die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, indem sie zwischen der Verfassungsbeschwerde gegen Landesgesetze212 einerseits und der Verfassungsbeschwerde gegen sonstige Maßnahmen der öffentlichen Gewalt213 des Landes andererseits unterscheidet. Letztere kann nur mit der Rüge des Beschwerdeführers erhoben werden, durch die öffentliche Gewalt in einem der in Art. 6 bis 10 der Landesverfassung Mecklenburg-Vorpommerns genannten Grundrechte214 verletzt zu sein, soweit nicht das Bundesverfassungsgericht zuständig ist. Daraus ergibt sich auch der Prüfungsmaßstab des Landesverfassungsgerichtes; er erschöpft sich allein in der Landesverfassung. Die Beschwerdefrist beträgt einen Monat.215 Erweitert wird der Prüfungsmaßstab im Fall der gegen ein Landegesetz gerichteten Verfassungsbeschwerde. Diese kann jeder mit der Behauptung erheben, durch das betreffende Landesgesetz unmittelbar in seinen Grundrechten oder staatsbürgerlichen Rechten verletzt zu sein. Da diesbezüglich eine Beschränkung auf bestimmte Landesgrundrechte fehlt, bildet über die Einbeziehungsnorm des Art. 5 Abs. 3 Verf MV das gesamte Grundgesetz den Prüfungsmaßstab.216 Eine Subsidiarität gegenüber der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht besteht hierbei nicht217; die Frist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde beträgt ein Jahr.218 209

§ 51 VerfGHG Bln. Art. 6 Abs. 2 i. V. m. Art. 113 Nr. 4 Verf Bbg, §§ 12 Nr. 4, 45 ff. VerfGG Bbg. Vgl. zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen im Einzelnen Kluge, S. 83 ff. 211 § 45 Abs. 1 VerfGG Bbg. Kritisch zu dieser Regelung aufgrund ihrer fehlenden verfassungsrechtlichen Ermächtigung Pestalozza, DVBl. 1993, S. 1068. 212 Art. 53 Nr. 6 Verf MV, §§ 11 Abs. 1 Nr. 8, 51 ff. LVerfGG MV. 213 Art. 53 Nr. 7 Verf MV, §§ 11 Abs. 1 Nr. 9, 57 ff. LVerfGG MV. 214 Die Menschenrechte gemäß Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 Verf MV sowie die über Art. 5 Abs. 3 Verf MV in die Landesverfassung einbezogenen Grundrechte des Grundgesetzes zählen somit nicht hierzu. 215 § 58 S. 1 LVerfGG MV. 216 Vgl. Hückstädt, LKV 1997, S. 307. 217 Sie wird wohl auch nicht erforderlich sein, da eine unmittelbare Betroffenheit durch ein Gesetz nicht allzu oft zu erwarten ist. 218 § 52 LVerfGG MV. 210

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

In Sachsen steht jeder Person die Möglichkeit einer Landesverfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof offen, wenn sie sich durch die öffentliche Gewalt des Landes in einem ihrer landesverfassungsrechtlichen Grundrechte verletzt sieht; die jeweiligen Artikel der Sächsischen Verfassung werden ausdrücklich genannt.219 Die Verfassungsbeschwerde ist, da das Gesetz hierzu keine Aussage macht, gegenüber derjenigen zum Bundesverfassungsgericht nicht subsidiär. Die Fristen entsprechen dem § 93 BVerfGG.220 In der Landesverfassungsgerichtsbarkeit ohne Beispiel ist die Befugnis des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes, zu seiner Entlastung die Entscheidung im Verfassungsbeschwerdeverfahren durch Beschluss auf spezielle Kammern zu übertragen, wenn die Verfassungsbeschwerde die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht erfordert und die Angelegenheit nicht von besonderer Bedeutung ist.221 Die aus zwei Berufsrichtern und einem anderen Mitglied des Gerichts zusammengesetzten Kammern entscheiden über die Verfassungsbeschwerde gemäß § 30 Abs. 7 S. 2 SächsVerfGHG im schriftlichen Verfahren. Daneben kann der Verfassungsgerichtshof eine unzulässige oder offensichtlich unbegründete Verfassungsbeschwerde auch durch Plenarentscheidung als sog. a-limine-Entscheidung verwerfen.222 Dies kann zweckmäßig sein, wenn die Verfassungsbeschwerde öffentliche Belange berührt; das höhere Gewicht, welches einem von dem Gesamtgericht getragenen Urteil zukommt, mag sich dann als vorteilhaft erweisen.223 Stark eingeschränkt ist die Verfassungsbeschwerde in Sachsen-Anhalt: Sie kann nur mit der Behauptung erhoben werden, durch ein Landesgesetz unmittelbar in einem der in der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt verankerten Grundrechte, grundrechtsgleichen Rechte oder staatsbürgerlichen Rechte verletzt zu sein; eine verfassungsgerichtliche Überprüfung sonstiger Akte der öffentlichen Gewalt anhand der Landesverfassung ist nicht möglich.224 Für diese Fälle bleibt nur die Verfassungsbeschwerde zum Bundes219 Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 SächsVerf, §§ 7 Nr. 4, 27 ff. SächsVerfGHG. Vgl. zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen im Einzelnen: Degenhart, § 18, S. 552 ff.; Rinken, NVwZ 1994, S. 33 f. 220 § 29 Abs. 1, 3 SächsVerfGHG. 221 §§ 30 Abs. 6, 7 SächsVerfGHG. Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit dieses Kammerverfahrens äußert Rinken, NVwZ 1994, S. 34: Es sei zweifelhaft, ob die Ermächtigung des Gesetzgebers in Art. 81 Abs. 4 SächsVerf, das Nähere zu regeln, auch eine von der Vollbesetzung des Gerichtes abweichende Kammerbesetzung gestatte und das Kammerverfahren dem Grundsatz des gesetzlichen Richters nach Art. 78 Abs. 1 S. 1 SächsVerf/Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht zuwiderlaufe. Dies verneinen Eckardt, SächsVBl. 1994, S. 277 und v. Mangoldt, SächsVBl. 1995, S. 221. 222 § 10 Abs. 1 SächsVerfGHG i. V. m. § 24 BVerfGG. Vgl. dazu SächsVerfGH SächsVBl. 1994, S. 278. 223 Eckardt, SächsVBl. 1994, S. 277; vgl. zur entsprechenden Regelung beim BVerfG Zöbeley, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 24, Rn. 10.

V. Die Zuständigkeiten der Landesverfassungsgerichte

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verfassungsgericht wegen einer Verletzung der Grundrechte aus dem Grundgesetz. Eine Subsidiaritätsregelung besteht nicht; die Beschwerdefrist beträgt ein Jahr.225 Die thüringischen Regelungen zum Verfassungsbeschwerdeverfahren stimmen weitgehend mit den Vorschriften des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes überein: Jeder kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt des Landes Thüringen in einem seiner in der Thüringer Verfassung enthaltenen Grundrechte, grundrechtsgleichen Rechte oder staatsbürgerlichen Rechte verletzt zu sein, Verfassungsbeschwerde beim Thüringer Verfassungsgerichtshof erheben.226 Die Beschwerde ist binnen eines Monats einzulegen; richtet sie sich gegen ein Gesetz oder einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offensteht, innerhalb eines Jahres.227 Eine Subsidiaritätsklausel wie in Berlin oder Brandenburg existiert nicht. Bei ansteigendem Arbeitsanfall gibt es in Thüringen eine dem sächsischen Kammerverfahren ähnliche Entlastungsmöglichkeit: Ein von dem Verfassungsgerichtshof für die Dauer eines Geschäftsjahres bestellter Ausschuss kann Verfassungsbeschwerden durch einstimmigen Beschluss zurückweisen, wenn sie unzulässig oder offensichtlich unbegründet sind.228 Dieser Ausschuss setzt sich aus dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs, einem Mitglied mit der Befähigung zum Richteramt und einem weiteren Mitglied zusammen.229 4. Kommunalverfassungsbeschwerde Mit Ausnahme Berlins ist in allen Ländern die sog. Kommunalverfassungsbeschwerde vorgesehen, mit der Gemeinden und Gemeindeverbände die Verletzung ihres Rechts auf kommunale Selbstverwaltung rügen können230; in Sachsen wird dieses Verfahren als Normenkontrolle auf kommunalen Antrag bezeichnet.231 224 Art. 75 Nr. 6 Verf LSA, § 2 Nr. 7, 47 ff. LVerfGG LSA. Vgl. auch Pestalozza, LKV 1994, S. 14. 225 § 48 LVerfGG LSA. 226 Art. 80 Abs. 1 Nr. 1 ThürVerf, § 11 Nr. 1, 31 ff. ThürVerfGHG. Vgl. zu den einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen Jutzi, in: Linck/Jutzi/Hopfe, Art. 80 Rn. 2 ff. 227 § 33 ThürVerfGHG. 228 § 34 Abs. 1 ThürVerfGHG. 229 § 34 Abs. 2 ThürVerfGHG. 230 Art. 100 i. V. m. 113 Nr. 5 Verf Bbg, §§ 12 Nr. 5, 51 ff. VerfGG Bbg; Art. 53 Nr. 8 Verf MV, §§ 11 Abs. 1 Nr. 10, 51 ff. LVerfGG MV; Art. 75 Nr. 7 Verf LSA, §§ 2 Nr. 8, 51 ff. LVerfGG LSA; Art. 80 Abs. 1 Nr. 2 ThürVerf, §§ 11 Nr. 2, 31 ff. ThürVerfGHG.

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

Die jeweiligen Vorschriften sind im Wesentlichen der Kommunalverfassungsbeschwerde auf Bundesebene nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG, §§ 13 Nr. 8 a, 91 BVerfGG nachgebildet.232 Allein die Thüringer Verfassung weicht hinsichtlich des Beschwerdegegenstandes hiervon ab: Anders als die übrigen Länder, welche ausdrücklich die Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts durch ein Landesgesetz erfordern, kennt Thüringen eine derartige Einschränkung nicht. Demnach können auch kommunalaufsichtsrechtliche Verfügungen Gegenstand der Kommunalverfassungsbeschwerde sein, soweit der Rechtsweg erschöpft ist.233 Im Stadtstaat Berlin wurde 1994 ein ähnliches Verfahren zum Schutz der einzelnen Bezirke eingeführt, welche gemäß Art. 66 Abs. 2 S. 1 Verf Bln ihre Aufgaben nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung erfüllen: die sog. Normenkontrolle hinsichtlich der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen der Hauptverwaltung und den Bezirken von Berlin.234 Dieses Verfahren entspricht der abstrakten Normenkontrolle.235 5. Wahlprüfungsverfahren Über die Gültigkeit der Wahl zum Landtag und die Frage, ob ein Abgeordneter sein Mandat verloren hat, wird im Rahmen der Wahlprüfung entschieden. Sie bezweckt die Sicherung der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Parlaments, d. h. den Schutz des objektiven Wahlrechts.236 Die Verfassungen der neuen Länder orientieren sich diesbezüglich am Modell des 231

Art. 90 i. V. m. Art. 81 Abs. 1 Nr. 5 SächsVerf, §§ 7 Nr. 8, 36 SächsVerfGHG. Dieser Begriff ist irreführend: Er verleitet zu der Annahme, dass es sich hierbei um ein objektives Beanstandungsverfahren wie die abstrakte Normenkontrolle handelt, also ein Betroffensein in eigenen Rechten nicht erforderlich ist. Diesem Verständnis ist bereits der SächsVerfGH SächsVBl. 1994, 232 entgegengetreten, indem er klargestellt hat, dass dieses Verfahren nur von Trägern kommunaler Selbstverwaltung eingeleitet werden kann, welche antragsbefugt sind, d. h. nach Art. 90 SächsVerf die Verletzung in ihren eigenen Selbstverwaltungsrechten behaupten können. Schließlich legt auch der systematische Vergleich mit der Kommunalverfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG nahe, dass die kommunale Normenkontrolle als subjektives Rechtsschutzverfahren zu verstehen ist. 232 Vgl. zu der Kommunalverfassungsbeschwerde in Brandenburg Kluge, S. 93; in Sachsen Degenhart, § 18, S. 560 ff.; in den alten Ländern Hopfe, S. 257 ff. Zur Subsidiarität der Kommunalverfassungsbeschwerde nach Bundesrecht gegenüber der nach Landesrecht in den neuen Ländern Kettler, LKV 1995, S. 132 ff. 233 Jutzi, in: Linck/Jutzi/Hopfe, Art. 80 Rn. 14. 234 Art. 84 Abs. 2 Nr. 6 Verf Bln, §§ 14 Nr. 9, 57 VerfGHG Bln. 235 Vgl. hierzu Uerpmann, LKV 1996, S. 228. 236 Gensior, S. 107. Vgl. zur Wahlprüfung in den Altbundesländern auch SchmittVockenhausen, S. 28.

V. Die Zuständigkeiten der Landesverfassungsgerichte

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Grundgesetzes237: Die Wahlprüfung fällt grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Landtages238, dessen Entscheidung kann jedoch mit Beschwerde zum Verfassungsgericht gerügt werden.239 Auf diese Weise wird der Kompetenz des Parlaments Rechnung getragen, über die Legitimation seiner Mitglieder selbst zu entscheiden; die abschließende und rechtsverbindliche Entscheidung bleibt jedoch dem Verfassungsgericht als einer nicht politischer Opportunität unterliegenden Instanz vorbehalten.240 Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Wahlprüfungsverfahrens sind in den einzelnen Verfassungsgerichtsgesetzen weitgehend übereinstimmend geregelt. Die Beschwerde gegen die Entscheidung des Landtags können durchweg der Abgeordnete, dessen Mitgliedschaft bestritten ist, ein Wahlberechtigter bzw. eine Gruppe von Wahlberechtigten241, deren Einspruch bzw. Anfechtung der Wahl vom Landtag verworfen worden ist, eine Fraktion oder – bis auf Sachsen-Anhalt – ein Zehntel der Mitglieder des Landtages erheben242. Sachsen-Anhalt erstreckt die Beschwerdebefugnis darüber hinaus auch auf Wahlbewerber, Parteien, Listenvereinigungen sowie den 237

Art. 41 GG. Zur Wahlprüfung im Bund: Pestalozza, § 5, S. 89 ff. Art. 63 Abs. 1 Verf Bbg; Art. 21 Abs. 1 Verf MV; Art. 45 Abs. 1 SächsVerf; Art. 44 Abs. 1 und Abs. 2 Verf LSA; Art. 49 Abs. 3 ThürVerf. 239 Art. 63 Abs. 2 i. V. m. Art. 113 Nr. 5 Verf Bbg, §§ 12 Nr. 7, 59 VerfGG Bbg; Art. 21 Abs. 2 i. V. m. 53 Nr. 9 Verf MV, §§ 11 Abs. 1 Nr. 5, 48 LVerfGG MV; Art. 45 Abs. 2 i. V. m. 81 Abs. 1 Nr. 5 SächsVerf, §§ 7 Nr. 5, 32 SächsVerfGHG; Art. 44 Abs. 3 i. V. m. 75 Nr. 8 Verf LSA, §§ 2 Nr. 1, 34 LVerfGG LSA. Die Thüringer Verfassung weist dem Verfassungsgerichtshof nur die Entscheidung über die Anfechtung der Prüfung einer Landtagswahl nach Art. 49 Abs. 3 ThürVerf zu, Art. 80 Abs. 1 Nr. 8 ThürVerf. Ob ein Abgeordneter seinen Sitz im Landtag verloren hat, muss das Gericht demnach nicht zwingend entscheiden. Das ThürVerfGHG ordnet diese Angelegenheit in §§ 11 Nr. 8, 48 ThürVerfGHG hingegen dem Verfassungsgerichtshof zu. Dieses ist unschädlich, da die Mandatsprüfung zur Wahlprüfung rechnet und Art. 80 Abs. 2 ThürVerf eine Erweiterung der Zuständigkeiten des Verfassungsgerichtshofes erlaubt. So auch Jutzi, in Linck/Jutzi/Hopfe, Art. 80, Rn. 36. Für dieses Modell der Wahlprüfung haben sich auch die meisten Altbundesländer entschieden. Vgl. hierzu Gensior, S. 105 ff. 240 Jutzi, in Linck/Jutzi/Hopfe, Art. 80, Rn. 34; Kluge, S. 106; vgl. auch Storost, in: Umbach/Clemens, § 48, Rn. 10 m. w. N. 241 In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen müssen dem Wahlberechtigen mindestens 100 weitere Wahlberechtigte beitreten. In Sachsen ist eine Gruppe von Wahlberechtigten, für die ein Wahlvorschlag zugelassen wurde, vom Erfordernis des Beitritts weiterer Wahlberechtigter befreit, § 32 S. 3 SächsVerfGHG. Vgl. dazu Rinken, NVwZ 1994, S. 35. 242 § 59 Abs. 1 VerfGG Bbg; § 48 Abs. 1 LVerfGG MV; § 32 S. 2 SächsVerfGHG; § 48 Abs. 1 ThürVerfGHG. Die brandenburgische Regelung ist ungenau: Gemäß § 3 des brandenburgischen Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) sind neben den Wahlberechtigten auch der Landeswahlleiter und der Landtagspräsident einspruchsberechtigt. Diese werden in § 59 Abs. 1 VerfGG Bbg jedoch nicht erwähnt. Vgl. auch Kluge, S. 106 f. 238

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

Präsidenten des Landtages, den Minister des Inneren und den Landeswahlleiter, deren Einspruch vom Landtag zurückgewiesen worden ist.243 Für ein in der Landesverfassungsgerichtsbarkeit einzigartiges Modell des Wahlprüfungsverfahrens hat sich Berlin entschieden: Die Prüfung der Gültigkeit der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen sowie der Entscheidungen über den Erwerb und den Verlust eines Sitzes im Abgeordnetenhaus oder in einer Bezirksverordnetenversammlung obliegt allein dem Verfassungsgerichtshof.244 Er entscheidet also erst- und letztinstanzlich.245 Von den übrigen Ländern unterscheidet sich das Berliner Verfassungsgerichtshofgesetz auch dadurch, dass es materielles Wahlprüfungsrecht enthält; § 40 Abs. 2 VerfGHG Bln nennt einen umfassenden Katalog rügefähiger Wahlfehler. Wer einspruchsberechtigt ist, richtet sich nach dem jeweils gerügten Wahlfehler, § 40 Abs. 3 VerfGHG Bln. 6. Überprüfung von Volksabstimmungen Eine Domäne der Landesverfassungsgerichte ist die Überprüfung von Streitigkeiten im Rahmen der plebiszitären Gesetzgebung. Die meisten Verfassungsgerichtsgesetze treffen diesbezüglich nur unvollständige Regelungen und beschränken sich auf den Verweis auf ihre allgemeinen Verfahrensvorschriften sowie die zur Ausführung der Volksabstimmungen erlassenen Gesetze. Der Berliner Verfassungsgerichtshof entscheidet über alle Einsprüche im Zusammenhang mit Volksinitiativen, Volksbegehren oder Volksentscheiden.246 Die Rechtsschutzmöglichkeiten konkretisiert § 41 BerlVVVG: Danach können sowohl die Vertrauenspersonen der Initiatoren der Volksabstimmung als auch ein Viertel der Mitglieder des Abgeordnetenhauses jede das direkt-demokratische Verfahren betreffende Entscheidung vor dem Verfassungsgerichtshof angreifen.247 In Brandenburg hat die Landesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des Landtages das Verfassungsgericht anzurufen, wenn sie ein Volksbegehren für unzulässig halten.248 Für die einzelnen Formen der direkten Demokratie finden sich weitere Zuständigkeiten des Verfassungsgerichts im VAG 243

§ 34 Abs. 2 LVerfGG LSA. Art. 84 Abs. 2 Nr. 6 Verf Bln, §§ 14 Nr. 2 und 3, 40 ff. VerfGHG Bln. 245 Wille, S. 151. 246 Art. 84 Abs. 2 Nr. 6 Verf Bln, §§ 14 Nr. 7, 55 VerfGHG Bln. 247 Vgl. auch Ziekow, LKV 1999, S. 93. 248 Art. 77 Abs. 2 i. V. m. Art. 113 Nr. 5 Verf Bbg, §§ 12 Nr. 8, 60 Abs. 1 VerfGG Bbg. Das Verfahren vor dem Verfassungsgericht ist daher nicht fakultativ, sondern obligatorisch. Vgl. hierzu Kluge, S. 112 ff. 244

V. Die Zuständigkeiten der Landesverfassungsgerichte

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Bbg: So können etwa die Vertreter der Volksinitiative das Verfassungsgericht anrufen, wenn der Landtagspräsident die Volksinitiative als nicht zustande gekommen zurückreicht oder der Landtag die Beratung des Anliegens ablehnt.249 Eine detaillierte Regelung enthält das Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Auf Antrag der Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Landtags entscheidet das Landesverfassungsgericht über die Zulässigkeit eines Volksbegehrens.250 In allen übrigen Streitigkeiten über die Durchführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden können neben der Landesregierung und dem Quorum der Landtagsmitglieder auch die Antragsteller der Volksinitiative oder des Volksbegehrens die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts einholen.251 Der Sächsische Verfassungsgerichtshof kann bereits in einem frühen Stadium der Volksgesetzgebung in die Prüfung des Gesetzesentwurfs einbezogen werden: Hält der Landtagspräsident einen Volksantrag für unzulässig, entscheidet auf seinen Antrag der Verfassungsgerichtshof.252 Die Einzelheiten des Verfahrens regelt § 12 SächsVVVG. Im SächsVVVG finden sich hinsichtlich der weiteren Stufen der Volksgesetzgebung zusätzliche Zuständigkeiten des Verfassungsgerichtshofs.253 Die Rechtslage in Sachsen-Anhalt ähnelt derjenigen in Berlin. Das Landesverfassungsgericht entscheidet bei allen Streitigkeiten über die Durchführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden auf Antrag der Initiatoren der Volksabstimmung, eines Viertels der Landtagsmitglieder oder der Landesregierung.254 In Thüringen hat wie in Brandenburg die Landesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des Landtages den Verfassungsgerichtshof anzurufen, wenn sie ein Volksbegehren für unzulässig halten.255 Weitere Zuständigkei249

§ 11 VAG Bbg. Vgl. auch §§ 22, 53 Abs. 4 VAG Bbg. Art. 60 Abs. 2 S. 2 i. V. m. Art. 53 Nr. 9 Verf MV, §§ 11 Abs. 1 Nr. 6, 49 LVerfGG MV. 251 Art. 53 Nr. 3 Verf MV, §§ 11 Abs. 1 Nr. 7, 50 LVerfGG MV. 252 Art. 71 Abs. 2 S. 3 i. V. m. Art. 81 Abs. 1 Nr. 5 SächsVerf, §§ 7 Nr. 6, 33 SächsVerfGHG. Degenhart, § 18, S. 563, bezeichnet dieses Verfahren als „präventive Normenkontrolle“, das verhindern soll, dass der plebiszitäre Impetus sich später als verfassungswidrig erweist. Vgl. zur Volksgesetzgebung in Sachsen auch Krieg, ZG 1996, S. 314; Fritz/Musall, SächsVBl. 2001, S. 233 ff. 253 §§ 22, 44 SächsVVVG. 254 Art. 81 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Art. 75 Nr. 2 Verf LSA, §§ 2 Nr. 3, 52 LVerfGG LSA i. V. m. § 30 VAbstG LSA. 255 Art. 82 Abs. 5 i. V. m. Art. 80 Abs. 1 Nr. 6 ThürVerf, §§ 11 Nr. 6, 49 ThürVerfGHG i. V. m. §§ 12 Abs. 2, 18 Abs. 3 ThürBVVG. 250

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B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

ten des Verfassungsgerichtshofs hinsichtlich der übrigen Phasen der Volksgesetzgebung enthält das ThürBVVG.256 7. Abgeordneten- und Ministeranklageverfahren Als einzige der neuen Länder haben die Verfassungen Brandenburgs und Sachsens Anklageverfahren257 in den Katalog der verfassungsgerichtlichen Zuständigkeiten aufgenommen. Brandenburg kennt nur die Abgeordnetenanklage. Dieses Verfahren soll vor allem der Bestechlichkeit eines Abgeordneten entgegenwirken258: Mit Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages kann gegen einen Abgeordneten Anklage beim Verfassungsgericht erhoben werden, wenn dieser in gewinnsüchtiger Weise seinen Einfluss oder sein Wissen als Abgeordneter in einer das Ansehen des Landtages gefährdenden Weise missbraucht hat.259 Im Falle der Verurteilung steht es im Ermessen des Gerichts, ob es dem Abgeordneten das Mandat aberkennt.260 256

§ 7 Abs. 4 ThürBVVG. Eingehend hierzu Grube, ThürVBl. 1998, S. 217 ff. Die dem Bund nicht bekannten Abgeordneten- und Ministeranklageverfahren gehen auf das impeachment des englischen Rechts zurück; sie haben ihren rechtshistorischen Ursprung aber auch im Frühkonstitutionalismus. Insbesondere die Ministeranklage gilt als Merkmal des konstitutionellen Staates: Weil der Monarch politisch nicht verantwortlich war und keine Abhängigkeit der von ihm ernannten Minister vom Parlament bestand, sollte die Verfassung durch die Möglichkeit der Ministeranklage gegen Übergriffe der Regierung geschützt werden. Zur Geschichte der verfassungsrechtlichen Anklageverfahren grundlegend Freund, S. 316 ff. In den Altbundesländern ist die Ministeranklage in nahezu allen Verfassungen verankert worden, die Abgeordnetenanklage existiert nur in Baden-Württemberg (Art. 42 Verf BW), Bayern (Art. 61 BayVerf), Niedersachsen (Art. 13 NdsVerf) und im Saarland (Art. 85 SaarVerf). Vgl. zur Ministeranklage in den alten Bundesländern Freund, S. 331 ff., zur Abgeordnetenanklage S. 336 ff. Heute sind die Anklageverfahren, wie Bahl, NVwZ 1993, S. 45 meint, eher Ausdruck politischer Moralvorstellungen. Praktisch relevant sind beide Verfahren nicht, bislang wurde in keinem Land von ihnen Gebrauch gemacht. 258 Freund, S. 329. Die Abgeordnetenanklage konkurriert mit der nach § 108 e StGB strafbaren Abgeordnetenbestechung: Wird der Abgeordnete zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt, kann das Gericht ihm auch die Wählbarkeit entziehen. Gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 WahlG Bbg bedeutet dies zugleich den Verlust der Mitgliedschaft im Landtag. Die nach Art. 61 Abs. 3 Verf Bbg mögliche Aberkennung des Abgeordnetenmandats durch das Landesverfassungsgericht ist dann obsolet. Dennoch sind Strafverfahren und Anklageverfahren vor dem Verfassungsgericht parallel durchführbar, vgl. § 54 VerfGG Bbg. Vgl. auch Kluge, S. 110 f. 259 Art. 61 Abs. 1 Verf Bbg, §§ 12 Nr. 6, 52 ff. VerfGG Bbg. 260 Art. 61 Abs. 3 Verf Bbg, § 58 Abs. 2 VerfGG Bbg. 257

V. Die Zuständigkeiten der Landesverfassungsgerichte

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In Sachsen gibt es sowohl die Abgeordneten- als auch die Ministeranklage.261 Beide Anklageverfahren spiegeln das Anliegen der Sächsischen Verfassung wider, sich entschiedener als die übrigen Verfassungen der neuen Länder der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit zu stellen: Der Landtag kann beim Verfassungsgerichtshof die Aberkennung von Mandat oder Amt beantragen, wenn der dringende Verdacht besteht, dass ein Mitglied des Landtages oder der Staatsregierung vor seiner Wahl bzw. Berufung gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat oder wegen seiner früheren Tätigkeit für die Staatssicherheit untragbar erscheint.262 Für den Beschluss der Anklageerhebung ist eine ZweiDrittel-Mehrheit der Abgeordneten erforderlich, die mehr als die Hälfte der Mitglieder des Landtages betragen muss.263 Wird der Angeklagte verurteilt, hat der Sächsische Verfassungsgerichtshof das Mandat oder das Amt abzuerkennen; ihm steht hierbei kein Ermessen zu.264 Angesichts der sehr eng gefassten Tatbestände dürfte den Anklageverfahren in Brandenburg und Sachsen keine große praktische Bedeutung zukommen.265 8. Sonstige Zuständigkeiten Hingewiesen sei noch auf folgende Verfahren: In Mecklenburg-Vorpommern266, Sachsen-Anhalt267 und Thüringen268 kann die Verfassungsmäßigkeit eines Untersuchungsauftrages des Untersuchungsausschusses untersucht 261 Vgl. zur Abgeordneten- und Ministeranklage in Sachsen v. Mangoldt, Historische Verantwortung, S. 67 ff. In der Literatur werden Bedenken an der Praktikabilität der Ministeranklage in der parlamentarischen Demokratie erhoben, da die Regierung auf das politische Vertrauen des Parlaments angewiesen sei und die Verfassungsgerichtsbarkeit einen umfassenden Schutz biete, vgl. Freund, S. 329; Dauster, S. 123 ff. m. w. N. Heimann, S. 136, nennt die Ministeranklage einen heute nicht mehr systemgerechten „Fremdkörper“. In Sachsen wird ihre Berechtigung jedoch darin zu erkennen sein, dass sie dem Übergang von der SED-Herrschaft zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung dient: Die neue Regierung soll nicht den „Tätern“ von früher anvertraut werden. So auch v. Mangoldt, Historische Verantwortung, S. 67, Rn. 22, S. 70 Rn. 25. 262 Art. 118 SächsVerf, §§ 7 Nr. 9, 37 ff. SächsVerfGHG. 263 Art. 118 Abs. 2 SächsVerf. 264 § 43 Abs. 5 S. 2 SächsVerfGHG. 265 Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg hatte bislang noch nicht über eine Abgeordnetenanklage zu entscheiden. Ihre Bedeutung könnte eher in der vorbeugenden Wirkung zu sehen sein. In Sachsen wurden bisher vier Abgeordnetenanklagen erhoben, z. B. SächsVerfGH, SächsVBl. 1999, 7 ff. Vgl. auch Kunzmann, SächsVBl. 1998, S. 149 ff. 266 Art. 53 Nr. 4 Verf MV, §§ 11 Abs. 1 Nr. 4, 45 ff. LVerfGG MV. Das Verfahren ähnelt der konkreten Normenkontrolle.

56

B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

werden, Thüringen gestattet darüber hinaus auch die verfassungsgerichtliche Kontrolle sonstiger Entscheidungen in einem Untersuchungsverfahren.269 Ein Verfahren vorbeugender Normenkontrolle existiert in Sachsen: Auf Antrag der Staatsregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Landtags überprüft der Verfassungsgerichtshof die Zulässigkeit einer verfassungsändernden Gesetzesvorlage.270 Der Berliner Verfassungsgerichtshof entscheidet über Einsprüche gegen die Feststellung der Senatsverwaltung für Justiz, dass die Mitgliedschaft im Richterwahlausschuss erloschen sei oder ruhe.271 Allen Ländern ist schließlich die einstweilige Anordnung bekannt.272 VI. Allgemeine Verfahrensbestimmungen Die Verfassungsgerichtsgesetze der neuen Länder und Berlins enthalten jeweils in ihrem zweiten Teil Vorschriften, die für alle Verfahrensarten gelten. Sie sind weitgehend den allgemeinen Verfahrensvorschriften des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (§§ 17 bis 35 BVerfGG) nachgebildet, so dass hier auf die einschlägige Literatur verwiesen werden darf.273 Wie das 267 Art. 75 Nr. 4 Verf LSA, §§ 2 Nr. 5, 44 ff. LVerfGG LSA. Auch in SachsenAnhalt folgt die Prüfung der konkreten Normenkontrolle. 268 Art. 64 Abs. 1 S. 2, Art. 80 Abs. 1 Nr. 7 ThürVerf, §§ 11 Nr. 7, 50 ThürVerfGHG. Hierbei handelt es sich um einen speziell geregelten Fall des Organstreits. So auch Jutzi, in Linck/Jutzi/Hopfe, Art. 80, Rn. 33. 269 Art. 80 Abs. 2 ThürVerf, §§ 11 Nr. 9, 51 f. ThürVerfGHG. 270 Art. 74 Abs. 1 S. 3 i. V. m. Art. 81 Abs. 1 Nr. 5 SächsVerf, §§ 7 Nr. 7, 34 f. SächsVerfGHG. Zu den Voraussetzungen der Prüfung eines Antrags auf Verfassungsänderung (sog. Normenentwurfskontrolle) im Einzelnen Degenhart, § 18, S. 564, Rn. 63. Vgl. zu der vorbeugenden Normenkontrolle in den Altbundesländern Ulsamer, S. 50 ff. m. w. N. 271 Art. 84 Abs. 2 Nr. 6 Verf Bln, §§ 14 Nr. 8, 56 VerfGHG Bln i. V. m. § 17 Abs. 2 RiG Bln. Hierzu eingehend Wille, S. 244 ff. 272 § 31 VerfGHG Bln; § 30 VerfGG Bbg, § 29 LVerfGG MV; § 15 SächsVerfGHG; § 31 LVerfGG LSA; § 26 ThürVerfGHG. Zu der einstweiligen Anordnung in Brandenburg Wolnicki, S. 59 ff.; in Sachsen Degenhart, § 18, S. 565, Rn. 66 ff.; in den Altbundesländern Schuppert, S. 347 ff. 273 Die allgemeinen Verfahrensvorschriften regeln u. a. die Ausschließung und Ablehnung von Verfassungsrichtern, die Rechte und Pflichten der Verfahrensbeteiligten, die Einleitung des Verfahrens und dessen Ablauf, die Beratung und Abstimmung, die Entscheidung des Gerichts sowie die Kosten des Verfahrens und die Erstattung der Auslagen. Vgl. zum BVerfGG Umbach/Clemens, §§ 17–35 BVerfGG, S. 412 ff. und Pestalozza, § 2, S. 45 ff. Vgl. zum allgemeinen Verfahrensrecht des Berliner Verfassungsgerichtshofes Wille, S. 69 ff.; in Brandenburg Wolnicki, S. 61 ff.; Pestalozza, DVBl. 1993, S. 1066 f.; in Sachsen Meissner, Verfassungsgerichtshof, § 17, S. 534 ff.; Rinken, NVwZ 1994, S. 31 f.; in Sachsen-Anhalt Pestalozza, LKV 1994, S. 13 f.

VI. Allgemeine Verfahrensbestimmungen

57

bundesrechtliche Vorbild stellen auch die Verfahrensvorschriften der Landesverfassungsgerichtsgesetze keinen geschlossenen Regelungsbereich dar; sie beschränken sich lediglich auf Besonderheiten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens und verweisen ansonsten auf andere Verfahrensordnungen. Dem Verfassungsgericht wird somit bei der konkreten Ausgestaltung des Verfahrens ein gewisser Spielraum überlassen.274 Zum Ausdruck kommt dies vor allem in Thüringen: Nach § 12 ThürVerfGHG regelt der Verfassungsgerichtshof sein Verfahren nach freiem Ermessen in Anlehnung an die allgemeinen Regeln deutschen Verfahrensrechts, soweit das Verfassungsgerichtshofgesetz nicht etwas anderes bestimmt; hinsichtlich der Öffentlichkeit, der Beratung und der Abstimmung sind die Vorschriften der Titel 14 bis 16 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend anzuwenden. In Berlin sind nur die Vorschriften der Titel 14 bis 16 des Gerichtsverfassungsgesetzes anzuwenden, wenn das Verfassungsgerichtshofgesetz diesbezüglich keine andere Regelung trifft.275 Das Brandenburgische Verfassungsgerichtsgesetz gestattet die Heranziehung der Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung und der Zivilprozessordnung.276 In Mecklenburg-Vorpommern können sowohl die Vorschriften der Titel 14 bis 16 des Gerichtsverfassungsgesetzes als auch diejenigen der Verwaltungsgerichtsordnung angewendet werden.277 Gleiches gilt in Sachsen-Anhalt, ergänzend können hier auch die Vorschriften der Zivilprozessordnung herangezogen werden.278 Der Freistaat Sachsen ging gesetzgeberisch einen anderen Weg. In § 10 Abs. 1 SächsVerfGHG werden die für das Bundesverfassungsgericht geltenden allgemeinen Verfahrensvorschriften auf das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof für entsprechend anwendbar erklärt, soweit im Verfassungsgerichtshofgesetz nicht etwas anderes bestimmt ist. Über diese dynamische Verweisung werden auch diejenigen Normen erfasst, auf die das Bundesverfassungsgerichtsgesetz seinerseits verweist. Dem Verfassungsgerichtshof soll hierdurch die Möglichkeit gegeben werden, auf die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückgreifen zu können; zu identischer Auslegung ist er aber keineswegs gezwungen.279 Die 274

So auch Müller, NJ 1995, S. 510. § 15 VerfGHG Bln. 276 § 13 Abs. 1 VerfGG Bbg. 277 § 13 LVerfGG MV. 278 § 33 LVerfGG LSA. 279 Eckardt, SächsVBl. 1994, S. 276; v. Mangoldt, SächsVBl. 1995, S. 223. Bedenken an dieser Regelung äußert Rinken, NVwZ 1994, S. 31, da sie das allgemeine Verfahrensrecht des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes für den Bürger unübersichtlich mache. Auf die grundsätzliche Problematik dieser Verweisung weist Pestalozza, LKV 1993, S. 255 f. hin: Sie zwingt den sächsischen Gesetzgeber, auf jede Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes zu reagieren und ggf. die Ausnahmeregelungen des SächsVerfGHG zu erweitern bzw. zu reduzieren. 275

58

B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

Bestimmungen, auf die sich die Verweisung nicht bezieht, sind in den §§ 11–16 SächsVerfGHG ausdrücklich benannt. Hier hat der sächsische Gesetzgeber eigenständige Regelungen getroffen.280 VII. Geschäftsordnungen In den Verfassungsgerichtsgesetzen der neuen Länder und Berlins sind schließlich Ermächtigungen zum Erlass einer Geschäftsordnung vorgesehen.281 Hiervon haben alle Verfassungsgerichte Gebrauch gemacht.282 Die Geschäftsordnungen haben u. a. die innere Geschäftsorganisation des Verfassungsgerichts, die wissenschaftlichen Mitarbeiter, das Akteneinsichtsrecht, die Ladungen und Zustellungen, die mündliche Verhandlung, das Beratungsund Abstimmungsverfahren, die Berichterstattung, das Sondervotum283 sowie die Form und Veröffentlichung der Entscheidung zum Gegenstand.

280 Sie betreffen die Richterablehnung, Zeugen und Sachverständige, das Sondervotum, die Bindungswirkung der Entscheidungen, die einstweilige Anordnung sowie die Kosten und Auslagen. 281 § 12 Abs. 2 S. 1 VerfGHG Bln; § 10 S. 1 VerfGG Bbg; § 12 Abs. 2 S. 1 LVerfGG MV; § 10 Abs. 2 SächsVerfGHG; § 15 S. 1 LVerfGG LSA; § 10 Abs. 2 S. 1 ThürVerfGHG. Vgl. zu den Geschäftsordnungen der Landesverfassungsgerichte in den Altbundesländern Starck, Landesverfassungsgerichte, S. 177 ff. 282 In Berlin: Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin v. 06.12.1994, GVBl. S. 504; in Brandenburg: Geschäftsordnung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg v. 17.12.1998, GVBl. I 1999, S. 2; in Mecklenburg-Vorpommern: Geschäftsordnung des Landesverfassungsgerichts MecklenburgVorpommern v. 20.12.1995, GVOBl. MV 1996, S. 12; in Sachsen: Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofs des Freistaates Sachsen v. 14.10.1993, SächsGVBl. 1993, S. 1134; in Sachsen-Anhalt: Geschäftsordnung des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt v. 18.04.1994, GVBl. S. 543 (geändert durch Beschluss vom 22.10.1997, GVBl. 1998, S. 278); in Thüringen: Geschäftsordnung des Thüringer Verfassungsgerichtshofes v. 13.09.1995, GVBl. S. 313. 283 In den Ländern, in denen es zugelassen ist.

VIII. Verfahrensstatistiken

59

VIII. Verfahrensstatistiken284 1. Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin285 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Organstreitigkeiten

5

Normenkontrollverfahren





Verfassungsbeschwerden

49

Normenkontrolle zur Zuständigkeitsabgrenzung

4

3



3

4



11





1





5





146

107

78

111

111

120

108

167

183







2













Wahlrechts-/Wahlprüfungsverfahren

1





8





13

Einsprüche gegen Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid













3

Gemeinsames Gericht Berlin-Brandenburg zur Abstimmung über die Länderfusion













Verfahren zum Richterwahlausschuss













Gesamtzahl der Verfahren

55

148

108

92

118

111

284

2

1

1



2

1

9



– 1

1





200

228

224















































123

133

168

203

201

228

226

Die Verfahrensstatistiken sind Angaben der Landesverfassungsgerichte gegenüber dem Verfasser entnommen. Der Verfasser dankt für die freundliche Unterstützung. Die Zahlen beziehen sich auf die eingegangenen Verfahren. 285 Die Statistik schließt Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit ein. Eine nach Verfahrensarten und -gegenständen gegliederte Statistik für den Zeitraum von 1992 bis 1997 findet sich bei Körting/Schmidt, LKV 1998, S. 125.

1

60

B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

2. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg286 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Organstreitigkeiten

1

1



5

2

1



2



3

1

2

Abstrakte Normenkontrollen



2

1



1

1













Konkrete Normenkontrollen





2













1

1



Verfassungsbeschwerden

5

9

17

40

31

44

38

57

47

44

43

51

Kommunale Verfassungsbeschwerden

4



3

1

6

4

5



23

63

243

9

Wahlprüfungsangelegenheiten















2









Gemeinsames Gericht Berlin-Brandenburg zur Abstimmung über die Länderfusion







2

















Sonstige Verfahrensarten

1













1









Einstweilige Anordnungen

3

5

3

12

7

6

7

5

10

3

244

10

14

17

26

60

47

56

50

67

80

114

532

72

Gesamtzahl der Verfahren

286 Über die Arbeit des Brandenburgischen Verfassungsgerichts berichten die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Gerichts jährlich in der LKV, vgl. Kluge, LKV 1995, S. 245; Wolnicki, LKV 1997, S. 89; v. Seebach, LKV 1998, S. 229 f.; Buchheister, LKV 1999, S. 138 ff.; ders., LKV 2000, S. 143 ff.; Hahn, LKV 2001, S. 208 ff.; ders., LKV 2002, S. 173 ff.; Möller, LKV 2003, S. 269 ff.; ders., LKV 2004, S. 221 ff.

VIII. Verfahrensstatistiken

61

3. Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Organstreitigkeiten

1

2

1

1

1

1



2

1

1

Normenkontrollen



















2

Verfassungsbeschwerden (einschl. kommunaler Verfassungsbeschwerden)

4

2

1

22

6

1

2

9

8

14

Wahlprüfungsangelegenheiten





















Volksbegehren





















Ausscheiden als Mitglied des LVerfG



1

1







1

1



2

Einstweilige Anordnungen















1



5

Gesamtzahl der Verfahren

5

5

3

23

7

2

3

13

9

24

4. Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Organstreitigkeiten

3

1

1



2



1

2

1

3

5

1

Abstrakte Normenkontrollen

1

1



1

1



2

1







1

Konkrete Normenkontrollen





1

















1

Verfassungsbeschwerden

17

41

19

31

48

50

57

75

72

54

70

99

Normenkontrollen auf kommunalen Antrag

4

4

1



1

67

16



7



1

5

Wahlprüfungsbeschwerden

1













3









Entscheidungen über Volksantrag



1













1







Abgeordnetenanklagen











3

1











Sonstige Verfahrensarten











2



1









Einstweilige Anordnungen



7

3

8

8

79

10

14

15

9

13

22

Gesamtzahl der Verfahren

26

55

25

40

60

201

86

96

96

66

89

129

62

B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

5. Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt 1994

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

Organstreitigkeiten





1





2

1









Abstrakte Normenkontrollen























Konkrete Normenkontrollen















2







Verfassungsbeschwerden



2

3

3





8

8

4

12

11

Kommunale Verfassungsbeschwerden

5

1



10

1

2



1







Wahlprüfungsangelegenheiten







2



1











Sonstige Verfahrensarten

16

12



6

11

9



3







Gesamtzahl der Verfahren

21

15

4

21

12

14

9

14

4

12

11

6. Thüringer Verfassungsgerichtshof 1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

Organstreitigkeiten

2





1

2

1



1





Abstrakte Normenkontrollen

1

1





1



1

1

1



Konkrete Normenkontrollen





















Verfassungsbeschwerden (einschl. kommunaler Verfassungsbeschwerden)

13

20

38

13

6

24

18

16

33

30

Wahlprüfungsangelegenheiten

2

1

















Volksbegehren













1







Einstweilige Anordnungen

4

10

1





1



1

3

6

Gesamtzahl der Verfahren

22

32

39

14

9

26

20

19

37

36

VIII. Verfahrensstatistiken

63

7. Auswertung Die Verfahrensstatistiken zeichnen ein recht inhomogenes Bild. Die Verfahrenszahlen des Berliner Verfassungsgerichtshofes liegen insgesamt weit über denjenigen der übrigen Landesverfassungsgerichte: Während im Jahre 1999 in Berlin 133 Verfahrenseingänge zu verzeichnen waren, wurden in Brandenburg 50, in Sachsen 86, in Sachsen-Anhalt 14, in Thüringen 9 und in Mecklenburg-Vorpommern nur 7 Verfahren anhängig. Ähnlich, wenngleich mit einigen Schwankungen, sind die Verfahrenszahlen in den Vorjahren. Augenfällig ist jedoch, dass sich die Verfahren mit landesorganisationsrechtlichen Streitfragen und die Normenkontrollverfahren in allen Ländern auf demselben niedrigen Niveau bewegen; sie bleiben meist im einstelligen Bereich. Auch bei den sonstigen Verfahren vor den Landesverfassungsgerichten lassen sich keine gravierenden Abweichungen feststellen. Dass die Verfahrenszahlen in den neuen Ländern und Berlin so stark voneinander differieren, liegt an der Individualverfassungsbeschwerde.287 Von ihr wird in Berlin am häufigsten Gebrauch gemacht: Von den 133 Verfahrenseingängen im Jahre 1999 entfielen 108 (81 %) auf Verfassungsbeschwerden. Ein Grund für den hohen Anteil der Verfassungsbeschwerden ist die Rechtsprechung des Berliner Verfassungsgerichtshofes, die Anwendung der Verfahrensordnungen des Bundes durch die Landesfachgerichte am Maßstab der Landesgrundrechte zu überprüfen.288 In Brandenburg und in Sachsen fallen die Zahlen der eingegangenen Verfassungsbeschwerden deutlich geringer aus, obgleich die Verfassungsbeschwerde auch in diesen Ländern an der Spitze der an das Verfassungsgericht herangetragenen Streitfälle steht. Wie in Berlin richten sich nur wenige der Verfassungsbeschwerden gegen auf Landesrecht beruhende Akte der Landesgewalt, betreffen also genuine Streitigkeiten der Landesebene.289 Das Brandenburgische Verfassungsgericht hatte sich 1999 mit 38 (76 %) Verfassungsbeschwerden zu befassen, der Sächsische Verfassungsgerichtshof mit 57 (66 %) Verfassungsbeschwerden. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt kommt der Individualverfassungsbeschwerde hingegen nur eine nachrangige Bedeutung zu; ein Resultat des in diesen Ländern stark eingeschränkten Verfassungsbeschwerdeverfahrens.290 Die Erfolgsquote der Landesverfassungsbeschwer287 Der Präsident des Berliner Verfassungsgerichtshofes Sodan bemerkte anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Verfassungsgerichtshofes mit Blick auf die hohen Verfahrenszahlen, dass es in Berlin eine besondere Neigung gebe, sich zur Wehr zu setzen; vgl. „Die Welt“ vom 22.05.2002. 288 Vgl. BerlVerfGH NJW 1993, 515 ff. Der Zunahme der Verfassungsbeschwerden zwischen 1992 und 1993 ist deutlich. 289 Finkelnburg, LKV 2004, S. 17. 290 Siehe oben sub B. V. 3.

64

B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

de ist in allen Ländern äußerst gering. In Berlin waren im Zeitraum von 1992 bis 1997 von 551 eingereichten Verfassungsbeschwerden nur 9 (1,63%) zulässig und begründet, in Brandenburg führte von 1993 bis 1997 keine einzige Verfassungsbeschwerde zum Erfolg.291 Ab 1997 ist in Berlin, Brandenburg und Sachsen ein Anstieg der Verfassungsbeschwerdeverfahren zu verzeichnen. Dies lässt auf einen Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Oktober 1995 schließen, in der es die Prüfungs- und Verwerfungskompetenz der Landesverfassungsgerichte bei Verfassungsbeschwerden gegen letztinstanzliche Entscheidungen der Landesgerichte in bundesrechtlich geregelten Verfahren erheblich erweiterte.292 Der Berliner Verfassungsgerichtshof sah hierdurch seine bisherige Jurisdiktion bestätigt, das Brandenburgische Verfassungsgericht und der Sächsische Verfassungsgerichtshof haben aufgrund § 31 BVerfGG ihre Rechtsprechung der Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes angeglichen; sie überprüfen nunmehr ebenfalls letztinstanzliche Entscheidungen der Landesgerichte darauf, ob bei der Anwendung von Bundesrecht die Grundrechte der Landesverfassung beachtet wurden. Das mit dem Kompetenzzuwachs einhergehende Anwachsen der Verfahrenseingänge wird angesichts der nur begrenzten Arbeitskapazität der Landesverfassungsgerichte mit einer gewissen Sorge gesehen.293 In Thüringen blieb diese Entwicklung in der Rechtsprechung offenbar ohne Auswirkungen. Die Zahlen der eingelegten Verfassungsbeschwerden bewegen sich, obwohl das Verfassungsbeschwerdeverfahren den Regelungen in Berlin und Brandenburg entspricht, auf einem im Vergleich zu diesen Ländern sehr geringen Niveau; sie gehen nach einem Höhepunkt von 38 Verfahren im Jahr 1997 zurück. Zu beschäftigen hatten sich die Verfassungsgerichte in den neuen Ländern auch verstärkt mit Fragen zum kommunalen Selbstverwaltungsrecht, was auf die besondere Situation der kommunalen Neugliederung nach der Wiedervereinigung zurückzuführen ist. Die Zahlen der Kommunalverfassungsbeschwerden bzw. der Normenkontrollen auf kommunalen Antrag in Sachsen erreichen hingegen nicht jene der Individualverfassungsbeschwerden. In Sachsen sorgte die Gemeindegebietsreform im Stadt-Umland-Bereich und im ländlichen Raum294 1998 allerdings für einen auffälligen Verfahrensanstieg. Eine außerordentlich starke Zunahme von Kommunalverfassungsbeschwerden prägte im Jahre 2002 auch die Tätigkeit des Brandenburgischen Verfassungsgerichts; die Mehrzahl dieser Verfahren richtete sich 291

Diese Zahlen sind den Statistiken von Pfaff, S. 268 f. zu entnehmen. BVerfGE 96, 345 ff. 293 Vgl. Buchheister, LKV 2000, S. 143 f.; Klein/Haratsch, JuS 2000, S. 209 (215). 294 Vgl. zur Gemeindegebietsreform (SächsGVBl. 1998, S. 553 ff.) Sponer, LKV 1997, S. 406 ff.; LKV 1998, S. 186 ff. und S. 386 ff.; LKV 1999, S. 97 ff. 292

IX. Fazit

65

gegen einzelne Bestimmungen des Gesetzes zur Reform der Gemeindestruktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden im Land Brandenburg, welches der Brandenburgische Landtag Ende Februar 2001 verabschiedet hatte.295 IX. Fazit Im Rahmen seiner Ansprache anlässlich der Errichtung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes bezeichnete der damalige Ministerpräsident des Freistaates Sachsen Biedenkopf das Gericht als den Schlussstein im Gewölbe des neuen rechtsstaatlich-demokratisch verfassten Freistaates.296 Dies fasst die verschiedenen Motive zusammen, die für die Konstituierung der Verfassungsgerichte in den neuen Ländern wesentlich waren: In der Errichtung der Landesverfassungsgerichtsbarkeit wurde die Vollendung der neuen Staatlichkeit gesehen; der Schutz der jungen Landesverfassungen sollte in die Hände eines besonderen, mit unabhängigen Richtern besetzten Gerichts gelegt werden, welches sowohl das Handeln der Exekutive als auch des Gesetzgebers am Maßstab der Verfassung zu lenken und zu kontrollieren befugt ist. Zugleich lässt sich das Bestreben der verfassungsgebenden Körperschaften erkennen, die Abkehr von dem Gewaltenmonismus der DDR zu betonen. Eine Reaktion auf das unbeschränkte Wirken der Exekutive während der SED-Herrschaft ist insbesondere die durchgängig eingeführte Landesverfassungsbeschwerde als Rechtsschutzinstrument des einzelnen Bürgers gegen Grundrechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt. Anders als die meisten Verfassungen der alten Bundesländer, die den Zuständigkeitskatalog ihrer Verfassungsgerichte lediglich auf Streitfragen zur Staatsorganisation, die Wahlprüfung und Normenkontrollen beschränken, haben die Verfassungen der neuen Länder und Berlin damit auch im Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit eine gewisse Bürgernähe zum Programm erkoren.297 Mit ihrem breit gefächerten Zuständigkeitskatalog nehmen die Landesverfassungsgerichte staatsorganisationsrechtlich sowie verfassungspolitisch die gleiche Stellung ein, die das Bundesverfassungsgericht besitzt. Der hohe Rang, welcher der Verfassungsgerichtsbarkeit in den Verfassungen der neuen Länder eingeräumt wird, bringt die Eigenstaatlichkeit der Länder und deren selbstständigen, vom Bund unabhängigen Verfassungsraum zum Ausdruck: Über die Anwendung und Auslegung der Landesverfassung, insbesondere im Hinblick auf die neuartigen Grundrechte, welche einige der neuen Länder 295 296 297

GVBl. I, S. 30. Biedenkopf, SächsVBl. 1994, S. 25. Rinken, NVwZ 1994, S. 30.

66

B. Landesrechtliche Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit

in ihre Verfassung aufgenommen haben, soll auch von einem eigenen Landesverfassungsgericht entschieden werden. Einen Anstoß für die Entscheidung, eine mit wirksamen Kompetenzen ausgestattete Landesverfassungsgerichtsbarkeit zu errichten, mag schließlich auch die gestiegene Bedeutung und die überwiegend positive Einschätzung der Landesverfassungsgerichte in den alten Ländern geleistet haben. Die Regelungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit in den neuen Bundesländern und Berlin mussten sich aufgrund des Homogenitätsprinzips nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG an den Vorgaben des Grundgesetzes orientieren. Sie lehnen sich daher überwiegend an die Vorschriften für das Bundesverfassungsgericht an, teilweise haben aber auch die Verfassungen und die Landesverfassungsgerichtsgesetze der alten Bundesländer Pate gestanden. Dies hatte den Vorteil, dass den am Bundesverfassungsgericht und an den Verfassungsgerichten der alten Länder gemachten Erfahrungen Rechnung getragen werden konnte. Trotz weitgehend übereinstimmender Strukturen sind die Regelungen in den einzelnen Ländern – auch untereinander – jedoch nicht identisch, wie es die unterschiedliche Ausgestaltung der Gerichtsorganisation oder spezielle Verfahrensarten belegen. Die vor allem in Berlin und in Brandenburg rege Inanspruchnahme der Landesverfassungsgerichte macht deutlich, dass diese Gerichte im Staatsgefüge und von den Bürgern zunehmend als eine lohnende Rechtsschutzalternative zum überlasteten Bundesverfassungsgericht wahrgenommen werden.

C. Die rechtlichen und ideengeschichtlichen Grundlagen des Sondervotums I. Die gesetzlichen Regelungen des Sondervotums in Berlin und den neuen Ländern 1. Der Grundsatz der geheimen Beratung Für die Beratungen der Landesverfassungsgerichte gilt der Grundsatz des Beratungsgeheimnisses. Berlin1, Brandenburg2 und Thüringen3 schreiben in der jeweiligen Vorschrift über die Entscheidung vor, dass das Landesverfassungsgericht in geheimer Beratung entscheidet. Das Sächsische Verfassungsgerichtshofsgesetz enthält selbst keine Regelung über die Beratung des Verfassungsgerichtshofs, nimmt jedoch über die Verweisungsnorm des § 10 SächsVerfGHG auf den das Beratungsgeheimnis beim Bundesverfassungsgericht statuierenden § 30 Abs. 1 S. 1 BVerfGG Bezug. In MecklenburgVorpommern verpflichtet eine mit „Beratung und Abstimmung“ titulierte Norm die Mitglieder des Landesverfassungsgerichts ausdrücklich, über den Gang der Beratung und Abstimmung Stillschweigen zu bewahren.4 Eine strikt ausgeformte Pflicht zur Verschwiegenheit existiert auch in SachsenAnhalt: Während § 28 Abs. 1 S. 1 LVerfGG LSA festlegt, dass die Entscheidungen des Verfassungsgerichts in geheimer Beratung getroffen werden, zwingt § 29 LVerfGG LSA die Gerichtsmitglieder hinsichtlich der Details der Beratung zur Verschwiegenheit.5

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§ 29 Abs. 1 S. 1 VerfGHG Bln. § 27 Abs. 1 S. 1 VerfGG Bbg. 3 § 24 Abs. 1 S. 1 ThürVerfGHG. 4 § 26 Abs. 4 LVerfGG MV. 5 Dass in den übrigen Ländern die richterliche Schweigepflicht nicht gleichermaßen explizit zum Ausdruck kommt, lässt freilich nicht den Schluss zu, eine Pflicht zur Verschwiegenheit über den Gang der Beratung bestünde nicht: Die Formulierung „geheime Beratung“ impliziert nicht nur die Heimlichkeit der Beratung, sondern auch die entsprechende Geheimhaltungspflicht der Verfassungsrichter. Vgl. SchmidtRäntsch, § 43 DRiG, Rn. 2; Pestalozza, § 20, S. 291, Rn. 38. 2

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

2. Zulässigkeit abweichender Voten Berlin6, Brandenburg7, Mecklenburg-Vorpommern8, Thüringen9 und seit 1996 auch Sachsen-Anhalt10 haben jedoch zugleich in den jeweiligen Regelungen über die Entscheidung bzw. über die Beratung des Gerichts eine partielle Ausnahme von dem Grundsatz des Beratungsgeheimnisses dahingehend zugelassen, dass jedes Mitglied des Verfassungsgerichts seine in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederlegen kann; dieses ist der Entscheidung anzuschließen.11 Die Regelungen übernehmen nahezu unverändert die Vorschrift des § 30 Abs. 2 BVerfGG, die den Richtern des Bundesverfassungsgerichts die Möglichkeit des Sondervotums einräumt.12 Ergänzende Bestimmungen finden sich in den Geschäftsordnungen der einzelnen Landesverfassungsgerichte.13 Der Freistaat Sachsen hat dagegen in § 13 SächsVerfGHG die Anwendung des § 30 Abs. 2 BVerfGG auf das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und damit das Sondervotum ausdrücklich ausgeschlossen.14 3. Mitteilung des Stimmenverhältnisses In engem Zusammenhang mit dem Sondervotum steht die Frage, ob das Landesverfassungsgericht das Abstimmungsergebnis in den Entscheidungsgründen bekannt geben darf. Die Verfassungsgerichtsgesetze von Berlin15, Brandenburg16, Sachsen-Anhalt17 und Thüringen18 gestatten – entsprechend 6

§ 29 Abs. 2 S. 1 VerfGHG Bln. § 27 Abs. 2 S. 1 VerfGG Bbg. 8 § 26 Abs. 5 LVerfGG MV. 9 § 24 Abs. 2 S. 1 ThürVerfGHG. 10 § 28 Abs. 2 S. 1 LVerfGG LSA. 11 Das Sondervotum ist daher nicht Teil der Entscheidung, sondern ein bloßer Annex oder „Anbau“, vgl. Pestalozza, § 20, S. 291, Rn. 38. 12 Mit § 30 Abs. 2 BVerfGG identisch sind die Regelungen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. In Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen findet sich eine nur marginale Abweichung; statt der in § 30 Abs. 2 BVerfGG verwendeten Formulierung „jeder Richter“ heißt es „jedes Mitglied des Verfassungsgerichts“. 13 § 13 GO BerlVerfGH; § 19 GO VerfG Bbg; § 4 GO LVerfG MV; § 5a GO LVerfG LSA; § 20 GO ThürVerfGH. 14 Dies verdeutlicht die amtliche Überschrift des § 13 SächsVerfGHG: „Kein Sondervotum“. 15 § 29 Abs. 2 S. 2 VerfGHG Bln. 16 § 27 Abs. 2 S. 2 VerfGG Bbg. 17 § 28 Abs. 2 S. 2 LVerfGG LSA. 18 § 24 Abs. 2 S. 2 ThürVerfGHG. 7

II. Die Rechtslage in den Altbundesländern

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§ 30 Abs. 2 BVerfGG – jeweils im Anschluss an die Regelung des Sondervotums die Mitteilung des Stimmenverhältnisses. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Angabe des Stimmenverhältnisses hingegen nicht vorgesehen.19 In Sachsen ist mit dem Ausschluss des § 30 Abs. 2 BVerfGG durch 13 SächsVerfGHG nicht nur das Sondervotum, sondern auch die Offenlegung des Abstimmungsergebnisses untersagt.20 II. Die Rechtslage in den Altbundesländern Können in den östlichen Bundesländern überwiegend Bestimmungen verzeichnet werden, welche die Zulässigkeit des Sondervotums und der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses in der Entscheidung vorsehen, markiert die Rechtslage in den westlichen Bundesländern das Gegenteil.21 Das bundesrechtliche Regelungsmodell des § 30 Abs. 2 BVerfGG haben nur Bremen22, Hamburg23 und Niedersachsen24 in ihre Verfassungsgerichtsgesetze aufgenommen; in diesen Ländern ist sowohl die Abgabe eines offenen Sondervotums als auch die Mitteilung des Stimmenverhältnisses zulässig. In Bayern sind Sondervoten ebenfalls möglich, allerdings sind sie ohne namentliche Angabe des Verfassers zu veröffentlichen.25 Die Angabe des Stimmenverhältnisses ist dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof indes untersagt.26 In Nordrhein-Westfalen sind alle Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes ausdrücklich verpflichtet, über den Hergang der Beratung und die Abstimmung Stillschweigen gegenüber jedermann zu bewahren. Sondervoten und die Mitteilung des Stimmenverhältnisses sind demnach unzulässig.27 Wenngleich die Verfahrensbestimmungen von Baden-Württemberg28, Hessen29 und dem Saarland30 auf eine solche strikte Stillschweigepflicht verzichtet haben und nur im Rahmen der jeweiligen Norm über die Entscheidung die Heimlichkeit der Gerichtsberatung vorschreiben, ist die Be19

§ 26 Abs. 4 LVerfGG MV. Das Stimmenverhältnis wird den Entscheidungen allerdings dann zu entnehmen sein, wenn Stimmengleichheit besteht, § 8 Abs. 3 S. 3 SächsVerfGHG. 21 Rechtsvergleichend zu den Sondervoten bei den Verfassungsgerichten der alten Bundesländer Starck, Sondervoten, S. 285 ff. 22 § 17 Abs. 3 BremStGHG. 23 § 22 Abs. 4 HVerfGG. 24 § 12 Abs. 1 NdsStGHG i. V. m. § 30 Abs. 2 S. 1 BVerfGG. 25 Art. 25 Abs. 5 BayVerfGHG. 26 Art. 24 Abs. 4 BayVerfGHG. 27 § 24 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 25 Abs. 3 S. 1, 2 NWVerfGHG. 28 § 22 Abs. 1 S. 1 BWStGHG. 29 § 23 Abs. 1 S. 1 HessStGHG. 30 § 22 Abs. 1 S. 1 SaarVerfGHG. 20

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

kanntgabe abweichender Voten dort ebenfalls nicht gestattet: Das Beratungsgeheimnis schließt nach allgemeiner Auffassung die Veröffentlichung eines Sondervotums aus.31 Das hessische Staatsgerichtshofsgesetz erstreckt das Beratungsgeheimnis explizit auch auf die Abstimmung, so dass dort die Bekanntgabe des Stimmenverhältnisses nicht zulässig ist.32 Die Geschäftsordnung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofes sichert die gesetzlich vorgeschriebene Geheimhaltung des Beratungsvorgangs dadurch ab, dass die Niederschrift über die Sitzungen des Verfassungsgerichtshofs keine Hinweise über den Hergang der Beratung und die Abstimmung enthalten darf.33 Daraus wird gefolgert, dass die Verfassungsrichter verpflichtet sind, auch über die Abstimmung Stillschweigen zu wahren.34 In Baden-Württemberg wird eine solche Pflicht weder gesetzlich noch in der Geschäftsordnung angeordnet; der Baden-Württembergische Staatsgerichtshof ist insoweit nicht gehindert, das Abstimmungsergebnis in seinen Entscheidungen bekannt zu machen.35 Eine nur lückenhafte Regelung besteht in Rheinland-Pfalz. Dessen Verfassungsgerichtshofsgesetz enthält selbst keine Regelung über die Heimlichkeit des Beratungsvorganges36, sondern erklärt in § 12 RhPfVerfGHG die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Beratung und Abstimmung für entsprechend anwendbar. Über die Geheimhaltung der gerichtlichen Entscheidungsfindung sagt das Gerichtsverfassungsgesetz nichts: Weder aus § 192 GVG, wonach bei Entscheidungen Richter nur in der gesetzlich bestimmten Anzahl mitwirken dürfen, noch aus § 193 GVG, der nur die Anwesenheit der zur Entscheidung berufenen Richter gestattet, lässt sich ein Beratungsgeheimnis sowie eine Pflicht, dieses zu wahren, entnehmen.37 Auch aus den §§ 43, 45 Abs. 1 S. 2 DRiG, welche Berufs- und Laienrichter zur Verschwiegenheit über den Hergang der Beratung und Abstimmung verpflichten, kann ein Beratungsgeheimnis für die Mitglieder des Rheinland-Pfälzischen Verfassungsgerichtshofes nicht hergeleitet werden: § 84 DRiG überlässt es dem Landesgesetzgeber zu bestimmen, ob und in31

Schmidt-Räntsch, DRiG, § 43 Rn. 6; Starck, Sondervoten, S. 296. § 23 Abs. 1 S. 1 HessStGHG. 33 § 20 Abs. 1 S. 2 GO SaarVerfGHG. 34 Starck, Sondervoten, S. 312 ff. Da im Saarland gesetzliche Vorschriften bezüglich der Geheimhaltung des Abstimmungsergebnisses nicht vorhanden seien, könne – so Starck – eine Änderung der Geschäftsordnung die Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses ermöglichen. 35 Starck, Sondervoten, S. 314; Schinkel, S. 80. 36 Vgl. § 18 Abs. 1 RhPf VerfGHG. 37 Starck, Sondervoten, S. 287; Scheuerle, ZZP 68 (1955), S. 319. Anders aber Heyde, Minderheitsvotum, S. 76, der in den §§ 192, 193 GVG die gesetzliche Grundlage für die Heimlichkeit der Urteilsfindung sieht. So auch Friesenhahn, 47. DJT, Bd. II, S. R 37 f.; Schmidt-Räntsch, DRiG, § 43, Rn. 4. 32

II. Die Rechtslage in den Altbundesländern

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wieweit die Vorschriften des DRiG für die Richter eines Landesverfassungsgerichts gelten. Das rheinland-pfälzische Richtergesetz38 beschränkt sich jedoch auf die Feststellung, dass die besondere Rechtsstellung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes durch das Landesrichtergesetz unberührt bleibt.39 Da es keine Aussage über die Geltung des Deutschen Richtergesetzes trifft, kommen dessen Bestimmungen nicht zur Anwendung.40 Die Verfassungsrichter unterliegen somit weder den Vorschriften des Deutschen Richtergesetzes noch denen des rheinland-pfälzischen Richtergesetzes, sondern allein dem Verfassungsgerichtshofsgesetz. Hieraus folgt, dass für den Verfassungsgerichtshof eine geheime Beratung nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Ebenso wenig besteht für seine Richter eine gesetzliche Pflicht, über Beratung und Abstimmung Stillschweigen zu bewahren. Die Zulassung oder das Verbot der Bekanntgabe von abweichenden Meinungen und des Abstimmungsergebnisses steht demnach zur Disposition des Verfassungsgerichtshofs. In seiner Geschäftsordnung41 hat der Verfassungsgerichtshof auf eine Regelung zu der Frage der Geheimhaltung von Beratung und Abstimmung verzichtet.42 Überstimmten Richtern bleibt es insoweit unbenommen, ihre abweichende Ansicht zu einer Entscheidung in einem Sondervotum niederzulegen. Ebenso steht es dem Verfassungsgerichtshof frei, das Abstimmungsergebnis bekannt zu geben.43

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Vom 16.03.1975, GVBl. S. 117. § 1 Abs. 2 RhPf RiG. 40 Dies ergibt sich aus der fehlenden Kompetenz des Bundes, das Verfahren eines Landesverfassungsgerichtes – welches Verfassungsorgan des Landes ist – und die Rechtsstellung der Landesverfassungsrichter zu regeln. Vgl. Starck, Sondervoten, S. 288, Fn. 18. 41 Vom 13.08.1991, GVBl. S. 345. 42 In der Geschäftsordnung in der Fassung vom 04.01.1951 (GVBl. S. 3) hatte der Rheinland-Pfälzische Verfassungsgerichtshof das Beratungsgeheimnis noch zur richterlichen Pflicht erhoben: § 8 Abs. 2 GO a. F. verpflichtete die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs ausdrücklich, über den Hergang bei der Beratung und Abstimmung Stillschweigen zu bewahren; Minderheitsvoten und die Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses waren folglich unzulässig. Vgl. zur alten Rechtslage Hensgen, S. 65 f.; Starck, Sondervoten, S. 299 f. Warum der Verfassungsgerichtshof bei der Neufassung seiner Geschäftsordnung im Jahre 1991 die Möglichkeit offener Sondervoten und die Mitteilung des Stimmenverhältnisses nicht von vornherein zugelassen hat, lässt sich nicht ergründen. 43 Gesetzlich vorgeschrieben ist die Angabe des Stimmenverhältnisses im Rahmen des Anklageverfahrens gegen Mitglieder der Landesregierung, vgl. § 38 Abs. 3 S. 2 RhPfVerfGHG. 39

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

III. Terminologie Als Sondervotum wird allgemein die von der Mehrheit des Spruchkörpers abweichende Meinung eines Richters bezeichnet. Die „abweichende Meinung“ ist der Inhalt, das „Sondervotum“ die prozessuale Form.44 Worauf sich das Sondervotum beziehen kann, ergibt sich aus der Terminologie der es zulassenden Normen45: Der Richter kann von der Entscheidung oder von deren Begründung abweichen. Im ersten Fall, der sog. dissenting opinion, setzt sich der Richter in seinem Sondervotum von dem Ergebnis der Mehrheitsentscheidung ab; im zweiten Fall, der sog. concurring opinion, schließt sich der Richter zwar dem Ergebnis der Mehrheitsentscheidung an, gibt ihm in seinem Votum jedoch eine andere Begründung als sie in den Urteilsgründen zum Ausdruck kommt.46 Es ist jedoch auch möglich, dass ein Richter in seinem Sondervotum einzelnen Teilen des Urteilstenors zustimmt, von anderen aber partiell abweicht.47 Mehrere Richter können gemeinsam ein Sondervotum abgeben, ein Richter kann aber auch mit einem 44

Vgl. Roellecke, S. 365. Sie ist überall gleich, vgl. oben sub C. I. 46 Die in der Literatur für das Rechtsinstitut der abweichenden Meinung verwendete Terminologie ist nicht einheitlich. Insbesondere in dem die Diskussion über das Sondervotum auf dem 47. Deutschen Juristentag 1968 begleitenden Schrifttum finden sich die unterschiedlichsten Bezeichnungen. Das Leitthema des Juristentages wies die Bekanntgabe der abweichenden Meinung des überstimmten Richters als „Dissenting Opinion“ aus. In den einzelnen Beiträgen war von einem „Minderheitsvotum“, vom „Judicial Dissent“ oder von einem „dissenting vote“ die Rede. Eine Erklärung für die vielfältigen Umschreibungen mag eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit dem aus dem angloamerikanischen Rechtskreis stammenden Instrument sein; der später in § 30 Abs. 2 BVerfGG Gesetz gewordene Terminus „Sondervotum“ war im Gegensatz zu heute noch nicht in den allgemeinen Sprachgebrauch eingedrungen. Im aktuellen Schrifttum wird mitunter noch an der „dissenting opinion“ als Oberbegriff für die abweichende Meinung als solche festgehalten, vgl. Lamprecht, Richter contra Richter, S. 19 ff. und DRiZ 1996, S. 233 ff.; vereinzelt wird auch der Begriff „dissenting vote“ benutzt, vgl. Lietzmann, S. 81 ff.; Mahrenholz, S. 167; Schmidt-Räntsch, DRiG, § 43, Rn. 6; Faller DVBl. 1995, S. 988 ff. Beide Bezeichnungen sind als Sammelbegriff für das Sondervotum ungeeignet, weil missverständlich: Die „dissenting opinion“ kennzeichnet nur eine Variante des Sondervotums. Der Ausdruck „dissenting vote“ ist ungenau, da „vote“ im Englischen lediglich die bei der Beratung abgegebene Stimme bedeutet, nicht aber die Meinung. So auch Rupp, S. 531. Unklar ist der Vorschlag Gecks, die im Ergebnis abweichende Meinung als Dissent und die in den Gründen abweichende Meinung als individuelle Meinung zu definieren; vgl. Geck, Sondervoten, S. 316. Im folgenden soll der Begriff Sondervotum – entsprechend der gesetzlichen Terminologie – als Oberbegriff für die dissenting opinion und die concurring opinion gebraucht werden. So auch Schneider, S. 347. 47 Eine solche Konstellation findet sich in BVerfGE 53, 30 (69). Vgl. auch Schlaich/Korioth, S. 38, Rn. 48. 45

III. Terminologie

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Anschlussvotum dem Sondervotum eines anderen Richters ganz oder teilweise beitreten. Einen Extremfall stellt die plurality opinion dar, bei der sowohl Teile des Urteilstenors als auch Teile der Urteilsbegründung von unterschiedlichen Richtergruppen gestützt werden.48 Dem Sinn des Sondervotums nach muss sich die Abweichung auf Rechtsfragen beziehen; die materielle Grenze bildet hierbei der Zusammenhang mit der Entscheidung. Berlin und diejenigen der neuen Länder, welche das Rechtsinstitut der abweichenden Meinung vorsehen, gestatten dem in der Minderheit gebliebenen Richter das Recht49, das Sondervotum unter namentlicher Nennung zusammen mit der Entscheidung der Mehrheit zu veröffentlichen; sie folgen damit – wie der Bund – dem Modell des sog. offenen Sondervotums. Pendant hierzu ist das anonymisierte Sondervotum, welches ohne Angabe des Verfassers veröffentlicht wird. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, ein abweichendes Votum zu den geheimen Gerichtsakten zu geben, welche weder den Prozessbeteiligten noch der Öffentlichkeit zugänglich sind (geheimes Separatvotum).50 48 Vgl. Millgramm, S. 59. Ein Beispiel für eine solche plurality opinion ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.11.1971 über die Vereinbarkeit des Hessischen Richterbesoldungsgesetzes mit Bundesrecht, BVerfGE 32, 199 (227 ff.). Zu dieser Entscheidung, an der sieben Richter mitwirkten, wurden fünf Sondervoten vorgelegt: Eines wurde von den Richtern Geller, Rupp und Wand gemeinsam abgegeben; das zweite stammte von Geiger. Die Richter Seuffert, Leibholz und Rinck traten in ihren Sondervoten dem Sondervotum von Geiger zu jeweils unterschiedlichen Abschnitten bei. Auf diese Weise haben letztlich alle sieben Richter zu dem gefällten Urteil eine abweichende Meinung niedergelegt: Sechs Richter dissentierten zum Urteilstenor, der verbleibende Richter zu den Urteilsgründen. Die eigentliche Begründung des Urteils wurde damit von keinem der Richter vollständig getragen, der Urteilstenor selbst nur von einem – dem von der Urteilsbegründung abweichenden – Richter. Vgl. zu diesem nur schwer zu entwirrenden Geflecht von Sondervoten Klein-Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, § 30, Rn. 6.0. ff.; Fromme, S. 880. 49 Eine gesetzliche Pflicht des überstimmten Richters zur Formulierung und Bekanntgabe seiner abweichenden Auffassung stand nie zur Diskussion, vgl. nur Zweigert, 47. DJT, Bd. I, S. D 10; Federer, JZ 1968, S. 520. Ob eine Meinungsdivergenz zu einem Sondervotum wird, entscheidet der dissentierende Richter selbst; auch die Mehrheit des Gerichts oder der Vorsitzende können ihn nicht dazu bestimmen, ein Sondervotum abzugeben. Vgl. Klein-Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Ulsamer, § 30, Rn. 6.5. 50 Beim Bundesverfassungsgericht entwickelte sich von Anfang an die Praxis, dass überstimmte Richter ihre von dem Urteilstenor oder den Gründen abweichenden Meinungen mit schriftlicher Begründung dem Senatsvorsitzenden übergeben und den anderen Mitgliedern des Gerichts mitteilen konnten. Diese Separatvoten wurden jedoch nicht zu den – den Verfahrensbeteiligten nach § 20 BVerfGG zugänglichen – Gerichtsakten genommen, sondern in geheimen Senatsakten aufbewahrt; in späteren Verfahren konnte auf die dort behandelten Rechtsfragen zurückgegriffen werden. Die Anzahl dieser Geheimvoten blieb insgesamt jedoch gering. Im Rahmen der Beratungen zu der 4. Novelle des Bundesverfassungsge-

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

IV. Die ideengeschichtlichen Grundlagen des Sondervotums 1. Die Entwicklung des Sondervotums in der deutschen Gerichtspraxis bis 1949 Bei den germanischen Völkern der vormittelalterlichen Zeit waren Gerichtsverfahren und Abstimmung völlig öffentlich.51 Diese Übung wurde im deutschen Sprachraum noch bis in das 14. Jahrhundert hinein beibehalten. Erst infolge der zunehmenden Rezeption des römischen und des kanonischen Rechts in der Neuzeit fanden die geheime Gerichtsberatung und die Geheimhaltung des Abstimmungsergebnisses Eingang in die deutsche Gerichtsbarkeit.52 Bei einigen Gerichten – zuerst beim kurfürstlichen pfälzischen Hofgericht, dann auch beim Reichskammergericht und beim Oberappellationsgericht in Celle – war es aber zulässig und üblich, dass abweichende Meinungen überstimmter Richter dem Beratungsprotokoll hinzugefügt oder als Separatvotum zu den Gerichtsakten gereicht wurden.53 Inwieweit diese Beratungsprotokolle und die Voten der Richter der Geheimhaltung unterlagen, wurde in den deutschen Staaten unterschiedlich streng beurteilt. Während in Preußen die absolute Schweigepflicht über Beratung und Abstimmung vorgeschrieben war54, bestand in Baden und in Württemrichtsgesetzes gab der Richter am Bundesverfassungsgericht Geiger an, in 19 Jahren 20 unveröffentlichte Sondervoten verfasst zu haben; vgl. das Wortprotokoll der 13. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestages im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am 23.04.1970, S. 40. 1989 hat Geiger seine zu den Akten gegebene Separatvoten veröffentlicht, vgl. Geiger, Abweichende Meinungen, S. 1 ff. Vgl. hierzu auch Vollkommer, JR 1968, S. 242 m. w. N.; Schneider, S. 347; Zierlein, DÖV 1981, S. 86; Millgramm, S. 48, Klein/Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, § 30, S. 5, Rn. 4. 51 Eine Beratung im heutigen Sinn fand nicht statt. Vgl. Zweigert, 47. DJT, Bd. I, S. D 45; Nadelmann, AöR 86 (1961), S. 40 m. w. N. Vgl. zur historischen Entwicklung des Sondervotums Heyde, Minderheitsvotum, S. 80 ff. mit ausführlichen Literaturhinweisen. Vgl. zur Geschichte des Beratungsgeheimnisses Hülle, DRiZ 1986, S. 384 ff. 52 Teils wurde die öffentliche Abstimmung auch noch im 18. Jahrhundert praktiziert, wie das von Federer, JZ 1968, S. 512, gebrachte Beispiel des Emmendinger Blutgerichts von 1732 und 1739 zeigt. 53 Weitere Hinweise zu diesen Vorläufern des Sondervotums bei Federer, JZ 1968, S. 512 f. Vgl. hierzu auch Heyde, Minderheitsvotum, S. 81 f. m. w. N. 54 Vgl. § 18 Abs. 3 S. 3 der Allgemeinen Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten vom 06.07.1793: „Sämmtliche Räte müssen über alle im Collegio vorkommenden Angelegenheiten, besonders aber über ihre eigene sowohl, als über die Vota der anderen Mitglieder, in streitigen Rechtssachen, ein gewissenhaftes Stillschweigen beobachten“. Die in § 144 Abs. 2 des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 vorgesehene Möglichkeit, eine abweichende Stellungnahme zu den geheimen Gerichtsakten zu geben, diente allerdings weniger der Gewissensentlastung als dem Ausschluss der persönlichen Haftbarkeit: Mit diesem Votum sollten die Richter sich

IV. Die ideengeschichtlichen Grundlagen des Sondervotums

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berg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine nahezu transparente Gerichtspraxis: In Baden konnten die Parteien bzw. ihre Anwälte sämtliche Verfahrensakten einschließlich des Votums des Referenten sowie des Beratungsprotokolls einsehen und Abschriften fertigen lassen; das Beratungsprotokoll enthielt auch die von der Mehrheit abweichenden Stellungnahmen einzelner Richter.55 Auf diese Weise standen den Parteien die wesentlichen Beratungsvorgänge offen. Außerdem wurden die Entscheidungen des Badischen Oberhofgerichts zusammen mit der „Discussion beim Oberhofgericht“, d. h. einer Darstellung der Verhandlung, des ungefähren Verlaufs der Beratung, etwaigen Sondervoten und den genauen Mehrheitsverhältnissen in den „Jahrbüchern des Großherzoglich Badischen Oberhofgerichts“ veröffentlicht.56 Die Namen der beteiligten Richter wurden nicht genannt. In § 199 Abs. 2 der Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg vom 25. September 1819 war über das Verfahren zum gerichtlichen Schutz der Verfassung bestimmt, dass die beim Staatsgerichtshof geführten Beratungsprotokolle mit den Abstimmungen und Beschlüssen veröffentlicht werden mussten.57 Nach der Reichsgründung wurde im Rahmen der Beratungen eines einheitlichen Gerichtsverfassungsgesetzes für die gesamte Zivil- und Strafgerichtsbarkeit in Deutschland 1875/76 auch über die Zulassung des Sonvor einer eventuellen Inanspruchnahme aufgrund eines rechtswidrigen Urteils – der sog. Syndikatsklage – schützen können; es bezweckte also in erster Linie ihre persönliche Rechtfertigung. Vgl. hierzu Heyde, Minderheitsvotum, S. 92 f.; Nadelmann, AöR 86 (1961), S. 55; Federer, JZ 1968, S. 512. 55 Vgl. Federer, JZ 1968, S. 513 m. w. N. 56 Vgl. Heyde, Minderheitsvotum, S. 84 ff. und Federer, JZ 1968, S. 513, mit mehreren Beispielen zu dieser Verfahrenspraxis. 57 Zum Inhalt dieser sog. Deliberationsprotokolle gehörten alle Aufzeichnungen über die Verhandlungen und Debatten in den Sitzungen des Staatsgerichtshofes, vgl. Federer, JZ 1968, S. 513. An die Usancen des alten Württembergischen Staatsgerichtshofs knüpften die Gesetze, die in der Zeit zwischen dem Ende des 2. Weltkrieges und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland in der Region Württemberg erlassen wurden: Nach Art. 20 Abs. 2 des Württemberg-Badischen Gesetzes Nr. 154 über den Staatsgerichtshof vom 18.08.1948 (RegBl. 1948, S. 121) war im Verfahren bei Ministeranklagen das Stimmenverhältnis im Urteil anzugeben. Das Gesetz über den Staatsgerichtshof für das Land Württemberg-Hohenzollern vom 11.01.1949 (RegBl. 1949, S. 85) sah sogar die Bekanntgabe abweichender Meinungen vor: In § 25 war bestimmt, dass in den Fällen des § 20 – Streit oder Zweifel über die Auslegung oder Anwendung der Verfassung – und § 21 – Streit oder Zweifel darüber, ob ein Gesetz oder eine andere Rechtsordnung mit der Verfassung in Einklang steht – Richter, die bei der Abstimmung überstimmt worden waren, ihre von dem Urteil abweichende Ansicht schriftlich niederlegen und begründen konnten. Wurde die Entscheidung verkündet, galt dies auch für die abweichende Ansicht. Vgl. hierzu Heyde, JöR N. F. 19 (1970), S. 206 f. m. w. N.; Federer, JZ 1968, S. 513 f. m. w. N.

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

dervotums diskutiert.58 Der Abgeordnete Lasker schlug der Reichstagskommission in der 1. Lesung vor, in das GVG einen § 162 a aufzunehmen, wonach jeder Richter seine von der Mehrheitsentscheidung abweichende Ansicht bei der Verkündung des Urteils bekannt geben dürfe. In der Begründung seines Antrags nahm er unter anderem Bezug auf mögliche Fehlentscheidungen mit nur knappen Mehrheiten: Damit das Ansehen des gesamten Kollegiums nicht beschädigt werde, solle ein in der Minorität gebliebener Richter durch die öffentliche Kundgabe seiner Auffassung gegen unrichtige Urteilssprüche der Mehrheit protestieren können; die Kontroverse innerhalb des Spruchkörpers werde hierdurch der Diskussion der sachkundigen Öffentlichkeit anheim gestellt.59 Der Vorschlag Laskers wurde eingehend erörtert, jedoch mit Hinweis auf die Gefahren für die Autorität der Gerichte und das kollegiale Verhältnis unter den Richtern mit nur einer Gegenstimme abgelehnt.60 Nicht angenommen wurde auch der weniger weitreichende Antrag des Abgeordneten Grimm, die Abgabe von Sondervoten zu den Gerichtsakten zu gestatten und die Zulässigkeit der Einsichtsnahme nach den allgemeinen Bestimmungen über das Akteneinsichtsrecht zu regeln. Seine ausführliche Schilderung der badischen Praxis konnte die Mehrheit der Kommission nicht überzeugen.61 Der daraufhin beschlossene Kommissionsentwurf, abweichende Meinungen in die Geheimakten des Gerichts aufzunehmen62, wurde in der 2. Lesung wieder gestrichen: Eine derartige Vorschrift sei durch kein praktisches Bedürfnis gerechtfertigt und überflüssig.63 Für diese Entwicklung mag die vorherrschende Rolle Preußens im Deutschen Reich eine Rolle gespielt haben. In das GVG aufgenommen wurde schließlich eine Bestimmung, welche die Geschworenen und Schöffen zum Stillschweigen über den Hergang der Beratung und Abstimmung verpflichtete.64 Auf eine entsprechende Statuierung der Schweigepflicht für die Berufsrichter wurde verzichtet, da diese bereits kraft ihrer amtlichen 58

Vgl. zur Diskussion auch Millgramm, S. 66 f. Lasker, in: Hahn, Materialien zum GVG, S. 361 f. Interessant ist, dass die Ausführungen Laskers bereits die wesentlichen Erwägungen enthielten, die noch heute für die Bekanntgabe abweichender Meinungen vorgetragen werden. 60 Von Schwarze, in: Hahn, Materialien zum GVG, S. 362; Reichensperger, ebd., S. 363. Wenig schmeichelhaft beurteilte der Abgeordnete Struckmann, ebd., S. 365, die Richterpersönlichkeit: Das offene Sondervotum führe zur Liebdienerei nach oben oder zur Popularitätshascherei nach unten und fördere Eitelkeit und Rechthaberei. 61 Grimm, in: Hahn, Materialien zum GVG, S. 361, 363. 62 Dieser Entwurf geht auf den Vorschlag der Abgeordneten Bähr und Struckmann zurück, vgl. Hahn, Materialien zum GVG, S. 361. 63 Klotz, in: Hahn, Materialien zum GVG, S. 851; Gneist, ebd., S. 851; Reichensperger, ebd., S. 852. 64 § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27.01.1877 (RGBl. S. 41). 59

IV. Die ideengeschichtlichen Grundlagen des Sondervotums

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Stellung zur Verschwiegenheit gehalten waren.65 Obwohl das GVG keine Vorschrift über die Zulässigkeit einer abweichenden Stellungnahme enthielt, sah sich das Reichsgericht nicht gehindert, in seiner Geschäftsordnung jedem Richter das Recht zur Abgabe eines Sondervotums zu den der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Senatsakten zu gewähren.66 Beim Weimarer Staatsgerichtshof waren Sondervoten nicht gestattet.67 2. Die Diskussion über das Sondervotum bei den Beratungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und des Deutschen Richtergesetzes Bei den Beratungen zum Gesetz über das Bundesverfassungsgericht in den Jahren 1949 bis 1951 wurde die Frage des Sondervotums erneut aufgeworfen. Der Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion des Bundestages sah die ausdrückliche Zulassung des offenen Sondervotums vor.68 Die Bundesregierung befürchtete hingegen, dass die Veröffentlichung einer abweichenden Meinung dem Ansehen des Gerichts und der Autorität der Entscheidung abträglich sei. Sie wollte dem überstimmten Richter nur die Möglichkeit eröffnen, seine abweichende Meinung zu den geheimen Gerichtsakten zu geben.69 Der Bundesrat bemühte sich um einen Kompromiss. Im Interesse der Fortentwicklung des Rechts solle mit Zustimmung des Gerichts zumindest eine anonyme Veröffentlichung des Sondervotums zulässig sein.70 Im Rechtsausschuss des Bundestages wurde die Einführung des Sondervotums 65 So die Begründung des Regierungsentwurfs des GVG, in: Hahn, Materialien zum GVG, S. 181. 66 § 15 der Geschäftsordnung des Reichsgerichts vom 05.04.1880 (Zentralblatt für das Deutsche Reich 1880, S. 190). Vgl. zur Praxis des Reichsgerichts auch Millgramm, S. 68 m. w. N. 67 § 8 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Staatsgerichtshofes vom 20.09.1921 (RGBl. S. 1535) schrieb den Richtern Stillschweigen hinsichtlich der Beratung und Abstimmung vor. 68 BT-Drs. 1/328, S. 5. In einem § 22 Abs. 4 sollte folgende Regelung aufgenommen werden: „Mitglieder, die überstimmt worden sind, können ihre abweichende Meinung in einem begründeten Sondergutachten niederlegen. Das Sondergutachten ist mitzuverkünden und mitzuveröffentlichen“. 69 BT-Drs. 1/788, S. 9. Ein § 26 Abs. 3 sollte lauten: „Mitglieder des Gerichts, die überstimmt werden, können ihre abweichende Meinung in einem Sondergutachten niederlegen und zu den Akten geben“. 70 BT-Drs 1/788, S. 42. Der Regierungsentwurf sollte durch einen zweiten Satz ergänzt werden: „Soweit eine Veröffentlichung der Entscheidungsgründe stattfindet, kann durch Beschluss des Gerichts die Veröffentlichung des Sondergutachtens ohne Nennung des überstimmten Mitglieds zugelassen werden“. Beide Gesetzesentwürfe sowie der Vermittlungsvorschlag des Bundesrates sind auch bei Geiger, BVerfGG, § 30, S. 106 f. abgedruckt.

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jedoch mehrheitlich abgelehnt: Das Vertrauen in die Justiz und besonders die Autorität des Verfassungsgerichts seien in Deutschland noch nicht groß genug, um in politischen Prozessen unliebsame und für die ganze Institution lebensgefährliche Reaktionen der Öffentlichkeit auszuschließen, wenn ein Richter zum Ausdruck bringe, man hätte auch anders entscheiden können. Zudem stünde einem Sondervotum die deutsche Gerichtstradition entgegen.71 Das BVerfGG trat schließlich ohne eine Regelung zum Sondervotum in Kraft.72 Wenige Jahre später befasste sich der Gesetzgeber bei den Beratungen des Deutschen Richtergesetzes noch einmal mit dem Sondervotum. In einer zu Beginn der parlamentarischen Arbeit am Richtergesetz herausgegebenen Referentendenkschrift wandte sich das Bundesjustizministerium mit Nachdruck gegen die Veröffentlichung von Sondervoten73; auch der Deutsche Richterbund äußerte Bedenken.74 Der Rechtsausschuss des Bundestages stand der Einführung des offenen Sondervotums weniger ablehnend gegenüber. Nach einer eingehenden Erörterung fand sich bei einer Probeabstimmung 1960 eine Mehrheit von 12 zu 4 Stimmen für die Zulassung des Minderheitsvotums beim Bundesverfassungsgericht und den Verfassungsgerichten der Länder, ein Antrag auf Zulassung auch bei den übrigen obersten Gerichten des Bundes unterlag hingegen mit 8 zu 8 Stimmen.75 In einer der nächsten Sitzungen des Rechtausschusses wurden der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Müller und der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts Werner als Sachverständige gehört. Beide76 sprachen sich dezidiert gegen das offene Sondervotum aus: Seine Zulassung wäre eine Rezeption fremden Rechts und gefährde die Solidarität des Kollegiums.77 Unter dem Eindruck dieser Stellungnahmen verzichteten die Abgeordneten auf eine weitere Be71 So die Begründung des Berichterstatters des Rechtsausschusses Wahl, BT-Protokolle, S. 4224 f. Vgl. dazu ausführlich Federer, JZ 1968, S. 517 f. 72 Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12.03.1951 (BGBl. I S. 243). 73 Referentendenkschrift des Bundesjustizministeriums zur Vorbereitung eines Richtergesetzes vom 31.05.1954, S. 31. Die bekannten Argumente tauchten wieder auf: Das Sondervotum widerspreche deutscher Tradition und der Einheit der Entscheidung. Vgl. hierzu auch Federer, S. 517 f.; Nadelmann, AöR 90 (1965), S. 446 f. 74 Vgl. Arndt, DRiZ 1950, S. 150. 75 Ein Antrag auf Einführung des Sondervotums bei allen Kollegialgerichten wurde mit 12 zu 2 Stimmen bei zwei Enthaltungen abgelehnt. Vgl. das Stenogr. Protokoll der 110. Sitzung des Rechtsausschusses am 15.06.1960, S. 46. 76 Müller äußerte sich nur für seine Person und unter Vorbehalt einer anderweitigen Stellungnahme des Plenums des Bundesverfassungsgerichts; Werner handelte zugleich als Sprecher der Präsidenten der weiteren obersten Bundesgerichte. 77 Stenogr. Protokoll der 119. Sitzung des Rechtsausschusses am 03.11.1960, S. 43–51.

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handlung dieser Problematik, um die Möglichkeit künftiger Diskussionen offen zu halten.78 Damit blieb es bei der im Regierungsentwurf vorgesehenen Vorschrift über die richterliche Schweigepflicht, welche als § 43 in das Deutsche Richtergesetz aufgenommen wurde.79 3. Das Vorbild des Supreme Court of the United States In den fünfziger Jahren knüpfte die Diskussion über die Veröffentlichung von Sondervoten verstärkt an die Gerichtspraxis im angloamerikanischen Rechtskreis an. Erfahrungsberichte Rechtsgelehrter und Praktiker hatten der deutschen Fachöffentlichkeit Einblicke in das amerikanische Rechtswesen ermöglicht, in welchem der öffentliche Meinungsaustausch als ein Fundament der freiheitlichen Staatsordnung angesehen wurde.80 Insbesondere beim Supreme Court of the United States, dem höchsten Gericht der Vereinigten Staaten81, war das Rechtsinstitut der abweichenden Meinung ein wesentlicher Bestandteil des gerichtlichen Verfahrens geworden. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts82 hatte sich bei diesem Gericht die noch heute praktizierte Übung83 entwickelt, dass die von der Mehrheit der Richter ge78 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses zu § 42 des Entwurfs eines Deutschen Richtergesetzes, BT-Drs. Nr. 2785, S. 15. Vgl. auch das Stenogr. Protokoll der 137. Sitzung des Rechtsausschusses am 26.01.1961, S. 25. 79 Deutsches Richtergesetz vom 01.07.1962 (BGBl. I S. 1655). § 43 DRiG lautet: „Der Richter hat über den Hergang der Beratung und Abstimmung auch nach Beendigung seines Dienstverhältnisses zu schweigen.“ 80 Rupp, S. 536 m. w. N. Vgl. auch Nadelmann, AöR 86 (1961), S. 39 ff.; McWhinney, JZ 1961, S. 655 ff. 81 Der Supreme Court nimmt die Funktionen der Verfassungsgerichtsbarkeit und der letzten Instanz der Bundesgerichtsbarkeit wahr. Vgl. hierzu Adam, DRiZ 1964, S. 17 f.; Homberger-Stäheli, S. 17 ff. 82 In den ersten Jahren seines Bestehens orientierte sich der Supreme Court an der herkömmlichen englischen Verfahrenspraxis der sog. „seriatim opinion“: Jeder Richter gab bei der Urteilsverkündung sein Votum zu der Rechtssache seriatim, d. h. der Reihe nach bekannt. Aus der Addition aller Richterstimmen wurde sodann ermittelt, wie der Fall von der Mehrheit des Gerichts entschieden wurde und welche Richter hiervon abwichen, vgl. Millgramm, S. 59. Diese Übung wird in England im Court of Appeal und im House of Lords im Wesentlichen noch heute praktiziert. Vgl. zur englischen Gerichtspraxis Nadelmann, AöR 86 (1961), S. 41 ff.; Grünhut, S. 620 ff.; Federer, JZ 1968, S. 515; Cohn, JZ 1969, S. 330 ff.; Homberger-Stäheli, S. 14 f. Adam, NJW 1959, S. 1302, sieht die geschichtliche Grundlage der abweichenden Meinung insoweit im englischen Recht. Millgramm, S. 99, meint dagegen, dass das offene Sondervotum vorwiegend amerikanischer Tradition entstamme. Für Letzteres spricht, dass sich die Praxis, ein von der Mehrheitsentscheidung abweichendes Votum zu veröffentlichen, tatsächlich erst beim Supreme Court bildete. 83 Das Recht, einer Entscheidung des Supreme Court eine abweichende Meinung beifügen zu können, ist gesetzlich nicht normiert; es folgt aus überkommener

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tragene Entscheidung als opinion of the court verkündet wird. Dieser Entscheidung können die in der Minderheit gebliebenen Richter ihre im Ergebnis oder in der Begründung abweichende Meinung in einer sog. separate opinion hinzufügen. Die abweichende Meinung wird zusammen mit den Gründen der Mehrheit im Verkündungstermin verlesen und in der Entscheidungssammlung abgedruckt.84 War die separate opinion in der Zeit nach ihrer Einführung eher selten, wurde von ihr im 20. Jahrhundert reger Gebrauch gemacht: Bis zum Jahre 1940 sind zu etwa 25 % aller Entscheidungen des Supreme Court separate opinions abgegeben worden, 1980 sogar zu 75–80 %.85 Die Vielzahl der abweichenden Meinungen ist dem besonderen Ansehen und der Autorität des Supreme Court in keiner Weise abträglich, wie in der Literatur festgestellt wird.86 Einige der Richter am Supreme Court erlangten mit ihren abweichenden Stellungnahmen eine weit über die Landesgrenzen hinausgehende Berühmtheit. Vor allem der Richter Holmes87 ist als „great dissenter“ in die Rechtsgeschichte eingegangen; allerdings weniger aufgrund der Zahl der von ihm abgegebenen abweichenden Meinungen als wegen ihrer häufig richtungsweisenden Bedeutung. Die besondere Faszination, welche die Unabhängigkeit und das hohe gesellschaftliche Ansehen der angloamerikanischen Richter ausstrahlten, ließ den Vorschlag, das Rechtsinstitut der abweichenden Meinung auch in die deutsche Gerichtspraxis einzuführen, auf einen empfänglichen Boden stoßen.88 4. Der 47. Deutsche Juristentag 1968 Die Diskussion über die Einführung des offenen Sondervotums setzte sich nun auf Tagungen und im rechtswissenschaftlichen Schrifttum fort.89 Rechtstradition. Vgl. auch Millgramm, S. 59; Nadelmann, AöR 86 (1961), S. 44 m. w. N. 84 Vgl. zur separate opinion beim Supreme Court of the United States Adam, NJW 1959, S. 1302 ff.; ders., DRiZ 1968, S. 201 ff.; Nadelmann, AöR 86 (1961), S. 43 ff.; Rupp, S. 531 ff.; Heyde, Minderheitsvotum, S. 33 ff. Eine vergleichende Untersuchung der Praxis der separate opinion beim Supreme Court mit der des Sondervotums beim Bundesverfassungsgericht nimmt Millgramm, S. 57 ff., vor. Einige Beispiele berühmter separate opinions nennt Homberger-Stäheli, S. 26 ff. Vgl. auch McWhinney, JZ 1961, S. 655. 85 Vgl. Millgramm, S. 63 f.; Mahrenholz, S. 168. Eine Statistik zu einzelnen, ausgewählten Terms des Supreme Court findet sich bei Homberger-Stäheli, S. 23. 86 Adam, DRiZ 1968, S. 201; Zweigert, 47. DJT, Bd. I, S. D 21. 87 Holmes war 1902–1932 Richter am Supreme Court of the United States. 88 Vgl. Kaiser, ZäöRV 18 (1957/58), S. 556; Arndt, FS Rheinstein, S. 129 f., bezüglich der Einführung des offenen Sondervotums in die Verfahrensordnung des Bremischen Staatsgerichtshofs.

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Als im Laufe der sechziger Jahre der Wunsch nach Abschaffung hergebrachter Traditionen und Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen zunehmend das politische Leben bestimmte, wurde auch das Bild des Richters unter soziologischen und politologischen Gesichtspunkten kritisch hinterfragt. Der Richter sollte nicht mehr wie bisher bloß Teil einer anonymen und hinter verschlossenen Türen tagenden Gerichtsbehörde sein, sondern entsprechend den freiheitlich-demokratischen Prinzipien des Grundgesetzes als sichtbares Individuum in das Licht der Öffentlichkeit gerückt werden.90 Dem Selbstverständnis des modernen, persönlichkeitsbezogenen Richtertypus sollte die Möglichkeit der abweichenden Meinung Rechnung tragen91: Das Sondervotum wurde als ein Instrument gesehen, das überholte strikte Beratungsgeheimnis zu durchbrechen und demokratische Offenheit in der Justiz zu schaffen; es sollte zugleich dem Bürger verdeutlichen, dass Recht erst durch das Ringen verschiedener Positionen miteinander entsteht, durch Sieg oder Niederlage bei der Abstimmung. Schließlich gewann das Rechtsinstitut der abweichenden Meinung auch unter der Richterschaft, welche sich zuvor eher reserviert verhalten hatte92, immer mehr an Zustimmung. Neue Impulse gingen dabei vor allem von der Verfassungsgerichtsbarkeit aus. Im Jahre 1967 sprach sich das Plenum des Bundesverfassungsgerichts mit 9 gegen 6 Stimmen für die gesetzliche Einführung des offenen Sondervotums aus.93 Auch innerhalb des Deutschen Richterbundes traten Bestre89 Vgl. nur McWhinney, JZ 1961, S. 655 ff.; Grünhut, S. 620 ff.; Nadelmann, AöR 86 (1961), S. 39 ff. und AöR 90 (1965), S. 440 ff.; Rupp, S. 531 ff.; Möhring, S. 63 ff.; Heyde, Minderheitsvotum, S. 120 ff. und die ebendort wiedergegebene Übersicht über den damaligen Meinungsstand im Schrifttum. 90 Wassermann, Minderheitsvotum, S. 26. 91 Vgl. auch die von der Kommission des Bundesvorstandes der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen beschlossenen „Leitsätze zur Justizpolitik“ vom 25.10.1967, in: Recht und Politik 1967, S. 99 ff. In Ziff. 4 des III. Abschnitts hieß es: „Richten ist Sache des Gewissens. Um die Richter an Kollegialgerichten persönlichkeitsbewusster zu machen, ist ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre von der Entscheidung abweichende Meinung im Urteil kundzutun“. Strelitz, 47. DJT, Bd. II, S. R 69, hielt es nicht für zufällig, dass die Debatte zum Sondervotum gerade in dieser Zeit so stark in den Vordergrund getreten sei. 92 Eine von Wagner, DRiZ 1968, S. 257, bei den Richtern der obersten Gerichtshöfe des Bundes durchgeführte Umfrage, ob das Sondervotum bei ihrem Gericht zugelassen werden sollte, kam zu folgendem Ergebnis: Von 235 Richtern sprachen sich 65 für und 158 gegen das Sondervotum aus; 12 waren unentschieden. 93 Sitzung des Plenums vom 23.05.1967. Die Problematik des offenen Sondervotums war bereits in den fünfziger Jahren mehrfach im Plenum des Bundesverfassungsgerichts erörtert worden. In der Sitzung vom 03.04.1952 sprachen sich die Mitglieder des Gerichts einmütig dafür aus, dass das Bundesverfassungsgericht erst Ansehen erlangen müsse, bevor dieser Frage nähergetreten werden könne. Am 05.07.1956 beschloss das Plenum mit 14 zu 8 Stimmen, dass die Veröffentlichung von abweichenden Meinungen in jeder Form – d. h. auch ohne Namensnennung –

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bungen nach Reformen hervor. Im April 1968 stellte die Richteramtsrechtskommission des Richterbundes Leitsätze zum Richteramtsrecht auf, in denen in Ziff. I, 9 für jeden Richter das Recht zur Abgabe einer abweichenden Meinung vorgeschlagen wurde.94 Ihren Höhepunkt fanden die temperamentvoll geführten Debatten auf dem 47. Deutschen Juristentag im September 1968 in Nürnberg. Das Thema der allgemeinen verfahrensrechtlichen Abteilung des Juristentages lautete: „Empfiehlt es sich, die Bekanntgabe der abweichenden Meinung des überstimmten Richters (Dissenting Opinion) in den deutschen Verfahrensordnungen zuzulassen?“ Für diese Frage hatte Zweigert ein vorbereitendes Gutachten erstattet. Er befürwortete die Einführung des offenen Sondervotums in allen Gerichtszweigen und Instanzen.95 Das Sondervotum werde dem Geist der Verfassung und der modernen offenen Gesellschaft weit mehr gerecht als die strikte Geheimhaltung der richterlichen Beratung und Abstimmung. Die frühere Funktion des Beratungs- und Abstimmungsgeheimnisses, den Richter vor landesherrlicher Einflussnahme zu schützen und der gerichtlichen Entscheidung durch die fiktive Einstimmigkeit die Autorität eines Gottesurteils zu verleihen, sei heute obsolet geworden. Die Unabhängigkeit des Richters sei nun fest im Grundgesetz verankert. Außerdem habe in einer Demokratie regelmäßig Publizität in allen staatlichen Bereichen zu gelten.96 Zweigert führte die viel beklagte Rechtsfremdheit des Volkes auf die Geheimhaltung der richterlichen Entscheidungsvorgänge zurück: Da der Richter wegen des Beratungsgeheimnisses anonym bleibe, sei der Anschein einer entmenschlichten Justiz entstanden. Durch das Sondervotum werde der Richter dagegen als Persönlichkeit hinter der Entscheidung sichtbar; zugleich werde dadurch dem naiven Autoritätsglauben an richterliche Urteile die Tatsache entgegengehalten, dass auch Recht und Richterspruch Menschenwerk seien.97 Dieses Wissen um die Relativität des Rechts fördere ein realistischeres Rechtsempfinden in der Bevölkerung. Neben diesen rechtspolitischen Gesichtspunkten führte Zweigert auch fachliche Erwägungen für die abweichende Meinung ins Feld: Bereits die bloße Möglichkeit eines Sondervotums führe im Rahmen der Urteilsbildung zu einer intensiveren Auseinandersetzung zwischen Mehrheits- und Minderheitsmeinung.98 Zudem und die Bekanntgabe des Abstimmungsverhältnisses im Senat aufgrund des in § 30 BVerfGG statuierten Beratungsgeheimnisses gesetzlich unzulässig seien. Vgl. Zierlein, DÖV 1981, S. 85. 94 Leitsätze zum Richteramtsrecht, in: DRiZ 1968, S. 189. Vgl. auch die Begründung hierzu, DRiZ 1968, S. 221 ff. 95 Zweigert, 47. DJT, Bd. I, S. D 40, D 43. 96 Zweigert, ebd., S. D 37. 97 Zweigert, ebd., S. D 24 f. 98 Zweigert, ebd., S. D 28.

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befreie das Sondervotum den dissentierenden Richter von dem Gewissensdruck, sich mit einer Rechtsauffassung identifizieren zu lassen, die er für rechtswidrig halte.99 Auch sei das Sondervotum ein Mittel, die Qualität der Entscheidung zu verbessern. Zum einen könne die Urteilsbegründung klar und verständlich formuliert werden, ohne dass Rücksicht auf verschiedene und widersprüchliche Ansichten genommen werden müsse. Zum anderen zwinge ein drohendes Sondervotum die Mehrheit, ihre Entscheidungsbegründung besonders sorgfältig und überzeugend abzufassen.100 Die Bekanntgabe einer abweichenden Meinung könne auf eine mögliche Änderung der bisherigen Rechtsprechung hinweisen und damit die Vorhersehbarkeit künftiger gerichtlicher Entscheidungen erhöhen. Werde die Tatsache offenkundig, dass mehrere gleichlautende Entscheidungen nur mit knapper Mehrheit ergangen seien, wirke sich eine plötzliche Änderung dieser Rechtsprechung nicht mehr so überraschend aus.101 Schließlich könne das Sondervotum Impulse für eine Fortentwicklung des Rechts geben. Hierfür berief sich Zweigert auf die Erfahrungen mit der separate opinion beim Supreme Court of the United States: Nicht selten sei dort der Dissent eines überstimmten Richters später zur herrschenden Auffassung geworden.102 In seinem Gutachten schlug Zweigert vor, das offene Sondervotum in § 43 des Deutschen Richtergesetzes aufzunehmen; jedoch beschränkt auf Berufsrichter sowie Entscheidungen in Rechtsfragen.103 Den Laienrichter wollte Zweigert von diesem Instrument ausnehmen, da ihre zur Urteilsfindung geleisteten Beiträge der möglichen Fortbildung des Rechts durch Sondervoten nicht dienlich seien.104 Der Gesetzesvorschlag Zweigerts löste sehr unterschiedliche Reaktionen im Fachschrifttum aus105: Einige Autoren, besonders Richter der jüngeren Generation, begrüßten ihn.106 Überwiegend wurde jedoch eine eher distanzierte Haltung eingenommen. Allenfalls in der Verfassungsgerichtsbarkeit, bei den obersten Bundesgerichten und den obersten Landesgerichten wurde die Zulassung des Sondervotums als sinnvoll angesehen107, teils wurde vor99

Zweigert, ebd., S. D 29. Zweigert, ebd., S. D 34. 101 Zweigert, ebd., S. D 20 f. 102 Zweigert, ebd., S. D 23. 103 Zweigert, ebd., S. D 44. 104 Zweigert, ebd., S. D 42 f. 105 Eine Überblick über die einzelnen Stellungnahmen im Schrifttum gibt Millgramm, S. 74 ff. 106 Vgl. Vollkommer, JR 1968, S. 252; Federer, JZ 1968, S. 520 f. 107 Vgl. Berger, NJW 1968, S. 966; Pakuscher, JR 1968, S. 297. Nur für den Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit: Paul, DÖV 1968, S. 515; Wagner, DRiZ 1968, S. 258. 100

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geschlagen, zuerst nur beim Bundesverfassungsgericht einen Versuch zu machen.108 Mit Entschiedenheit widersetzte sich Baring der Einführung des Sondervotums: Der öffentlichen Bekanntgabe einer abweichenden Meinung stünde die jahrhundertlange Tradition der geheimen Beratung in Deutschland entgegen.109 Baring warnte davor, das angloamerikanische Rechtsinstitut in das deutsche Rechtsleben zu übernehmen: Der angloamerikanische und der deutsche Rechtskreis seien derart verschieden, dass das Sondervotum im deutschen Recht ein systemwidriger Fremdkörper sein werde.110 Zudem verschlechtere eine abweichende Meinung das Klima im Kollegium.111 Für die Beibehaltung des strikten Beratungsgeheimnisses spreche schließlich, dass die Möglichkeit, ein Sondervotum abzugeben, sich als Zwang für den dissentierenden Richter auswirken könne. Gerade in der Verfassungsgerichtsbarkeit könnten Sondervoten bei der Frage der Wahl oder der Wiederwahl Schaden stiften.112 Die Diskussion auf dem 47. Deutschen Juristentag113 wurde durch zwei Referate von Pehle und Friesenhahn eingeleitet. Während in Pehle das Wort eines Richters des Bundesgerichtshofes zum Ausdruck kam, verkörperte Friesenhahn das wissenschaftliche Urteil eines Rechtstheoretikers. Wie Baring stand Pehle dem Sondervotum, welches er als eine dem deutschen Recht fremde Einrichtung begriff114, skeptisch gegenüber. Seine Zulassung wollte er uneingeschränkt nur den Verfassungsgerichten empfehlen, nicht aber den übrigen Gerichten.115 Die Bekanntgabe abweichender Richtermeinungen sei weder aus demokratischen noch aus rechtsstaatlichen Prinzipien zwingend geboten; auch in einer Demokratie seien Beschlussfassung 108

Adam, DRiZ 1968, S. 202. Baring, DVBl. 1968, S. 610. 110 Baring, ebd., S. 613. 111 Baring, ebd., S. 615. 112 Ein solcher Zwang könne sich, wie Baring meinte, vor allem für die ehrenamtlichen Richter ergeben, weil es ihnen zumeist an Schulung und am Selbstvertrauen fehle; ebd., S. 617. 113 Die Referate und die anschließende Aussprache über das Sondervotum wurden von der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages auf die Schlussveranstaltung gesetzt, um auch den Zuhörern der anderen Arbeitsgruppen die Teilnahme an den Verhandlungen zu ermöglichen. Die Resonanz, welche dieses allgemein sehr interessierende Thema bei den Diskussionsteilnehmern fand, war sehr groß: Annähernd 900–1000 Teilnehmer waren zu Beginn der Verhandlungen anwesend; an der Diskussion am Nachmittag und den sie beendenden Abstimmungen nahmen noch etwa 500 Mitglieder teil. Vgl. Gaul, FamRZ 1969, S. 23. Eine eingehende Darstellung der auf dem 47. Juristentag vorgetragenen Thesen für und wider das Sondervotum findet sich bei Lamprecht, Richter contra Richter, S. 25 ff. Vgl. hierzu auch Berggreen, S. 32 ff. 114 Pehle, 47. DJT, Bd. II, S. R 9. 115 Pehle, ebd., S. R 20 f. 109

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und Abstimmung auf vielen Gebieten geheim.116 Die relative Natur des Rechts dürfe nicht überbetont werden, da jedenfalls der Rechtsschöpfung durch die allgemeinen Gerichte enge Grenzen gesetzt seien.117 Dem Gewissen des abweichenden Richters werde kein Abbruch dadurch getan, dass er eine von ihm missbilligte Entscheidung unterzeichnen müsse und so mit ihr identifiziert werde. Die Unterschrift bedeute nicht die Billigung der Entscheidung, sondern bezeuge nur die Mitwirkung des Richters an ihrem Zustandekommen. Zudem wisse jedermann, dass Entscheidungen in einem Kollegialgericht Mehrheitsentscheidungen seien und daher auch gegen die Stimme einzelner Richter ergehen können.118 Gegen die Einführung des Sondervotums spreche vor allem die Notwendigkeit, die richterliche Unabhängigkeit zu schützen. Diese sah Pehle schon durch die bloße Möglichkeit eines Sondervotums gefährdet, da von verschiedenen Seiten rechtsfremder Druck auf ihn ausgeübt werden könne: Soziale Gruppen und die den Richter tragenden Kreise könnten von ihm eine gegen die Mehrheitsentscheidung gerichtete Stellungnahme in ihrem Interesse erwarten. Insbesondere der Laienrichter könne sich dann leicht von dem Gedanken an seine Wiederwahl oder an eine eventuelle Vergeltung seines als treulos bzw. enttäuschend empfundenen Verhaltens leiten lassen.119 Ohne ein rigides Beratungsgeheimnis sei eine Beeinflussung der richterlichen Unabhängigkeit ebenso von den staatlichen Institutionen zu befürchten. Krisenzeiten könnten Regierung und Parlament veranlassen, den Richter für eine Entscheidung politisch verantwortlich zu machen; mit dem Sondervotum hätten sie gleichsam den Fuß in der Tür des Beratungszimmers.120 Die Gerichtsverfassung dürfe daher kein „Schönwetterprogramm“ sein und nur auf einen Idealtyp des Richters setzen; auch auf menschliche Unzulänglichkeiten müsse Rücksicht genommen werden.121 Für den Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit träfen diese Erwägungen jedoch nicht zu. Aufgrund ihrer deutlich herausgehobenen Stellung als Verfassungsorgan und ihrer umfassenden Kontrollbefugnis verfügten die Verfassungsgerichte über ein hohes Maß an Respekt.122 Bei einem Gericht, welches so grundlegende und zukunftsweisende Entscheidungen fällen könne, könne das Sondervotum als ein inneres Gegengewicht zu der richterlichen Machtfülle wirken.123 Zudem sei die Interpretation der nur allgemein gehaltenen Verfassungsnormen eine echte 116 117 118 119 120 121 122 123

Pehle, Pehle, Pehle, Pehle, Pehle, Pehle, Pehle, Pehle,

ebd., ebd., ebd., ebd., ebd., ebd., ebd., ebd.,

S. S. S. S. S. S. S. S.

R R R R R R R R

14. 11 f. 14 f. 22. 25. 24. 25. 18.

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rechtsschöpferische Tätigkeit, für deren Darstellung sich das Sondervotum eigne.124 Pehle empfahl allerdings, zugleich den Status der Verfassungsrichter durch Wahl auf Lebenszeit zu festigen. Dem – damals noch auf Zeit gewählten – Richter am Bundesverfassungsgericht sollte damit die Sorge genommen werden, wegen einer unpopulären oder dem Wiederwahlgremium nicht genehmen Entscheidung nicht wieder gewählt zu werden.125 Ein ähnliches Bedürfnis wie bei den Verfassungsgerichten gestand Pehle auch dem Gemeinsamen Senat und den Großen Senaten der obersten Bundesgerichte zu.126 Friesenhahn stellte sich auf die Seite der reformfreudigen Juristenkreise. Er sprach sich dafür aus, jedem Mitglied eines Kollegialgerichts, auch den Laienrichtern, das Recht zur öffentlichen Bekanntgabe einer abweichenden Meinung zu gestatten.127 Anders als Pehle orientierte Friesenhahn die Problematik des Sondervotums nicht am Vorwurf der Rezeption eines rechtsfremden Instituts, sondern an der durch das Grundgesetz festgelegten Stellung von Rechtsprechung und Richter in der rechtsstaatlichen Demokratie. Einwände gegen das Sondervotum aus der deutschen Gerichtstradition oder einem angeblichen deutschen Volkscharakter wollte er daher von vornherein beiseite gelassen wissen.128 Zwingende Gründe gegen die Einführung des Sondervotums konnte Friesenhahn nicht erkennen: Die Unabhängigkeit des Richters werde nicht gefährdet. Gerade in den Ländern, welche das Sondervotum zuließen, seien besonders starke und unabhängige Richterpersönlichkeiten bekannt.129 Der Möglichkeit eines Missbrauchs hielt Friesenhahn sein Vertrauen in das richterliche Idealbild entgegen.130 Auch werde durch die Bekanntgabe einer abweichenden Meinung die Autorität des Urteilsspruchs nicht beeinträchtigt. Diese beruhe nicht auf der Fiktion der Einstimmigkeit, an die ohnehin niemand glaube, sondern allein auf der Überzeugungskraft der Gründe.131 Vielmehr könne die Offenlegung der Divergenzen im Spruchkörper die Autorität des richterlichen Spruchs noch erhöhen, 124

Pehle, ebd., S. R 17. Pehle, ebd., S. R 28. 126 Pehle, ebd., S. R 27. 127 Friesenhahn, 47. DJT, Bd. II, S. R 56. Friesenhahn wollte das Sondervotum allerdings auf Rechtsfragen und auf die Abweichung im Ergebnis beschränken. Ein Abweichen in der Begründung hielt er für bedenklich, da der Mehrheitsentscheidung wegen ihrer allgemeinen Rechtswirkungen eine einheitliche Begründung zukommen müsse, vgl. S. R 40. Um das Rechtsinstitut der abweichenden Meinung zu erproben, hielt es Friesenhahn es für zweckmäßig, dieses zunächst nur bei den obersten Gerichtshöfen des Bundes bzw. allen Revisionsgerichten zuzulassen, vgl. S. R 57. 128 Friesenhahn, ebd., S. R 33 f. 129 Friesenhahn, ebd., S. R 43. 130 Friesenhahn, ebd., S. R 44. 131 Friesenhahn, ebd., S. R 46. 125

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indem dem Bürger vor Augen geführt werde, dass in vielen Fällen die Entscheidung nicht eindeutig zu finden sei.132 Dass die Zulassung des Sondervotums das gerichtliche Verfahren erheblich verzögern werde, sei nicht zu erwarten.133 Im Übrigen sprächen, führte Friesenhahn weiter aus, eine Reihe von Argumenten dafür, dass die Bekanntgabe abweichender Meinungen der heutigen Stellung des Richters gemäß sei: Ein Sondervotum fördere die Öffentlichkeit und Kontrollierbarkeit der rechtsprechenden Gewalt, welches ein Hauptziel der rechtsstaatlichen Demokratie sei.134 Die Möglichkeit des Sondervotums betone den einzelnen Richter in seiner personalen Würde als Träger der Rechtsprechung, indem ihm die Freiheit der richterlichen Überzeugung in besonderem Maße garantiert werde.135 Ferner könne ein angekündigtes Sondervotum die Beratung im Spruchkörper intensivieren; es biete darüber hinaus eine Absicherung gegen das Eindringen unsachlicher Erwägungen.136 Schließlich könne das Sondervotum die wissenschaftliche Diskussion beleben, eine Änderung der Rechtsprechung einleiten und auch den Gesetzgeber zum Eingreifen veranlassen.137 Um einem möglichen Zusammenhang zwischen dem Gebrauch von Sondervoten und dem Streben nach Wiederwahl entgegenzutreten, schlug Friesenhahn vor, den Status der auf Zeit gewählten Richter durch Wahl auf Lebenszeit oder eine längere Amtsperiode unter Ausschluss der Wiederwählbarkeit zu ändern.138 Den Referaten folgten drei vorbereitete Diskussionsbeiträge, welche die Problematik der abweichenden Meinung aus der Sicht der Justizverwaltung139, der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit mit ehrenamtlichen Richtern140 sowie der unteren und mittleren Instanzgerichte141 näher beleuchteten. In der abschließenden, teils sehr energisch geführten Diskussion wurden die in dem Gutachten und in den beiden Hauptreferaten erörterten Argumente für und wider das Sondervotum nochmals ausgetauscht, ohne dass grundsätzlich neue Aspekte zutage traten.142 Während der Standpunkt Pehles überwiegend von den Bundesrichtern unterstützt wurde, schloss sich die Mehrheit der Diskussionsredner hingegen der Ansicht Zweigerts und Frie132

Friesenhahn, ebd., S. R 51. Friesenhahn, ebd., S. R 47. 134 Friesenhahn, ebd., S. R 52 f. 135 Friesenhahn, ebd., S. R 53. 136 Friesenhahn, ebd., S. R 50. 137 Friesenhahn, ebd., S. R 50 f. 138 Friesenhahn, ebd., S. R 58. 139 Strelitz, 47. DJT, Bd. II, S. R 69 ff. 140 Pecher, 47. DJT, Bd. II, S. R 75 ff. 141 Wassermann, 47. DJT, Bd. II, S. R 81 ff. 142 Vgl. zu der Diskussion die Berichte von Gaul, FamRZ 1969, S. 23 ff.; Mittelstein, MDR 1968, S. 989 f.; Heidenhain, JZ 1968, S. 757; Weber, JuS 1968, S. 536. 133

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

senhahns an.143 Die einzelnen Beiträge ließen erkennen, dass eine gegenseitige Annäherung der Fronten kaum mehr möglich war. Die Auseinandersetzung um das Sondervotum war über die bloß fachwissenschaftliche Erörterung hinaus bereits zu einer justizpolitischen Frage geworden, bei der sich grundsätzliche Wertanschauungen gegenüberstanden. Nur vereinzelt wurde vermittelnd statt des offenen ein anonymes Votum vorgeschlagen.144 Die am Schluss der Debatte durchgeführte Abstimmung kam zu folgenden Ergebnissen145: Mit großer Mehrheit sprach sich der Juristentag für die Einführung des Sondervotums bei den Verfassungsgerichten (371 zu 31 Stimmen) und bei dem Gemeinsamen Senat sowie den Großen Senaten der obersten Gerichtshöfe des Bundes (356 zu 94 Stimmen) aus. Die Frage, ob es zusätzlich bei den obersten Gerichtshöfen des Bundes zugelassen werden sollte, wurde mit 289 zu 163 Stimmen ebenfalls bejaht. Weniger Zustimmung fand der Vorschlag, das Sondervotum bei den Berufungsinstanzen einzuführen (237 zu 223 Stimmen). Die Zulassung des Sondervotums bei allen – auch den unteren – Kollegialgerichten wurde dagegen mit 292 zu 170 Stimmen abgelehnt. Jedoch entschied sich der Juristentag mit 218 zu 208 Stimmen dafür, dass das Recht zur Bekanntgabe einer abweichenden Meinung möglicherweise später, nach Erfahrungen bei den höheren Gerichten, auch in die Verfahrensordnungen der unteren Kollegialgerichte aufgenommen werden sollte. Schließlich sollte die Möglichkeit eines Sondervotums auch dem ehrenamtlichen Richter zustehen (221 zu 161 Stimmen). Die Bedeutung des 47. Deutschen Juristentages für die wissenschaftliche Diskussion über das Sondervotum blieb eher gering. Wenngleich die erschöpfende Behandlung dieser Problematik die Meinungsbildung einer breiten Fachöffentlichkeit ermöglichte146, kam der Juristentag über die bereits aus dem vorbereitenden Schrifttum bekannten Erkenntnisse nicht hinaus. Fruchtlos war der Juristentag indessen nicht. Seine Beratungen und Beschlüsse gaben der Entwicklung zur Einführung des Sondervotums einen kräftigen Antrieb, der schließlich zur gesetzlichen Zulassung dieses Rechtsinstitutes beim Bundesverfassungsgericht führte.

143 Weber, JuS 1968, S. 536. Gleichwohl ließ sich, wie Pehle in seinem Schlusswort feststellte, eine Linie der Befürworter und Gegner des Sondervotums nicht nach Berufen ziehen; vgl. Pehle, 47. DJT, Bd. II S. R 140. 144 So Rasehorn, 47. DJT, Bd. II, S. R 115 f. 145 Vgl. 47. DJT, Bd. II, S. R 141 ff. 146 Vgl. Federer, JZ 1969, S. 369. Vgl. auch die Glosse von Stöcker, JZ 1969, S. 33, sowie die Postglosse von Sarstedt, JZ 1969, S. 116.

IV. Die ideengeschichtlichen Grundlagen des Sondervotums

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5. Die Novellierung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes Unmittelbar nach Abschluss der Verhandlungen auf dem Juristentag brachte die von der Großen Koalition getragene Bundesregierung den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht in den Bundestag ein. Dieser räumte den Richtern des Bundesverfassungsgerichts u. a. auch die Befugnis zur Abgabe eines offenen Sondervotums ein.147 Bei der ersten Lesung des Gesetzesentwurfs am 12. Februar 1969 erklärte der Abgeordnete der SPD-Fraktion Arndt, dass es jedoch untunlich sei, wenn das Sondervotum und die Wiederwählbarkeit der Verfassungsrichter nebeneinander bestünden; selbst eine starke Richterpersönlichkeit könnte hierdurch verführt werden, zumindest gegen Ende seiner Amtsperiode auf die Wiederwahl durch die Gremien, deren Entscheidungen er aufheben soll, zu schielen.148 Zur abschließenden Beratung der Novelle im Rechtsausschuss des Bundestages kam es jedoch nicht mehr: Das Ende der 5. Legislaturperiode ließ die Gesetzesvorlage hinfällig werden.149 Im Dezember 1969 legte die nunmehr sozialliberale Bundesregierung150 einen neuen Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vor, welcher den nicht mehr zur Verabschiedung gelangten Entwurf aus der vorangegangen Wahlperiode mit nur geringfügigen Änderungen wieder aufgriff.151 In der Begründung des Gesetzesvorschlags wurde u. a. angeführt, dass die Zulassung des Sondervotums für die gerade im Verfassungsrecht beachtliche Fortentwicklung des Rechts 147 Vgl. zur Begründung dieses Entwurfes BR-Drs. 594/68 und BT-Drs. V/3816. Vgl. hierzu auch Federer, JZ 1969, S. 371 m. w. N. 148 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 5. Wahlperiode, Bd. 69, S. 11674 (A). 149 Hintergründig dürfte das Scheitern der Gesetzesnovelle weniger auf die umstrittene Frage des Sondervotums als auf die durch Wahlkampfspannungen erheblich belastete Zusammenarbeit zwischen den Koalitionsparteien zurückzuführen sein, vgl. auch Fromme, S. 867 f. 150 Bereits in der Regierungserklärung vom 28.10.1969 betonte der Bundeskanzler Brandt ausdrücklich, dass jedem Verfassungsrichter das Recht eingeräumt werden müsse, sein von der Mehrheitsmeinung abweichendes Votum zu veröffentlichen; vgl. das Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 132/ 1969. 151 § 30 Abs. 2 BVerfGG sollte folgenden Wortlaut haben: „Ein Richter kann seine in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederlegen; das Sondervotum ist der Entscheidung anzuschließen. Die Senate können in ihren Entscheidungen das Stimmenverhältnis mitteilen. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung“. Vgl. BR-Drs. 678/69; BT-Drs. VI/388. Die Fassung dieses neuen Entwurfes unterschied sich nur durch den Verweis auf die Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts von dem alten Entwurf aus der 5. Legislaturperiode.

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

von Bedeutung sei. Auch bei strenger Bindung an das Grundgesetz führten die Erkenntnis der Rechtstatsachen sowie die Ausfüllung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen häufig zu abweichenden Beurteilungen im Richterkollegium. Das Gericht werde zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den einzelnen Argumenten veranlasst. Dadurch werde auch der Gesetzgeber in die Lage versetzt, etwaige Schwächen und Mängel einer gesetzlichen Regelung zu erkennen und zu beseitigen. Zudem könne das Sondervotum frühzeitig die Möglichkeit einer Änderung der Rechtsprechung anzeigen. Komme es tatsächlich zu einem Wandel in der Rechtsprechung, werde sich dieser nicht mehr so einschneidend auswirken, wenn die neue Rechtsauffassung bereits in einem früheren Sondervotum zum Ausdruck gebracht worden sei. Schließlich verstärke es die Offenheit des gerichtlichen Entscheidungsprozesses, welche nach demokratischen Grundsätzen erwünscht sei.152 Im Rechtsausschuss des Bundestages wurden auch die Richter des Bundesverfassungsgerichts um Stellungnahme gebeten. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Müller bekräftigte seine schon früher vertretene ablehnende Haltung gegenüber dem offenen Sondervotum. Die geforderte Transparenz in der Rechtsprechung könne auch durch die Gegenüberstellung der widerstreitenden Positionen in den Urteilsgründen erreicht werden.153 Die richterliche Unabhängigkeit werde gefährdet, wenn die Öffentlichkeit aus dem Sondervotum Rückschlüsse auf das Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Richters ziehen könnte.154 Wenn das Sondervotum gleichwohl eingeführt werde, solle jedenfalls zugleich die Wiederwählbarkeit der Richter ausgeschlossen werden, um ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten.155 Der Vizepräsident Seuffert und der Richter Leibholz sprachen sich hingegen für das Sondervotum aus. Leibholz betonte mit Blick auf die Problematik eines eventuellen Zusammenhangs zwischen Sondervoten und dem Streben nach Wiederwahl aber auch, dass „man vom Institutionellen her der möglichen Entfaltung der menschlichen Schwäche nicht irgendwie Vorschub leisten“ solle.156 Geiger verwies darauf, dass dem Sondervotum 152 BT-Drs. VI/388, S. 8. Die Begründung der Bundesregierung lässt sich als Resümee der bereits zuvor auf dem Juristentag und im Schrifttum für das Sondervotum vorgetragenen Argumente charakterisieren. Bemerkenswert ist jedoch, dass sich die Begründung des Gesetzesentwurfs nicht bloß auf die für die Judikative im allgemeinen angestellten Erwägungen zum Sondervotum bezieht, sondern dieses in einen speziellen Zusammenhang zu der Besonderheit der verfassungsrechtlichen Rechtsfindung und der Funktion des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan stellt. 153 Protokoll der 13. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestages im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am 23.04.1970, S. 45. 154 Ebd., S. 51. 155 Ebd., S. 25. 156 Ebd., S. 27.

IV. Die ideengeschichtlichen Grundlagen des Sondervotums

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in der Verfassungsgerichtsbarkeit eine wichtige Korrekturfunktion zukomme, da dieser keine weitere richterliche Instanz übergeordnet sei.157 Der Rechtsausschuss des Bundestages entschied sich für die Zulassung des offenen Sondervotums beim Bundesverfassungsgericht158, berücksichtigte mit einer Änderung der Rechtsstellung der Bundesverfassungsrichter jedoch auch Müllers Bedenken: Die Verlängerung der richterlichen Amtszeit von acht auf zwölf Jahre und der Ausschluss der nach bisherigem Recht noch möglichen Wiederwahl sollte jeglichem Verdacht von vornherein den Boden entziehen, ein Richter könnte ein Sondervotum mit Blick auf seine Wiederwahl abgeben oder aufgrund eines bestimmten Sondervotums nicht erneut zur Wahl gestellt werden.159 Am 2. Dezember 1970 wurde das 4. Änderungsgesetz zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz ohne Gegenstimmen160 bei einigen Enthaltungen vom Bundestag verabschiedet. Der damalige Bundesjustizminister Jahn begrüßte die Novelle: Das persönliche Bekenntnis und die öffentliche Kontrolle seien wesentliche Grundsätze des demokratischen Staates.161 Am 21. Dezember 1970 wurden die Regelungen des Änderungsgesetzes162 in das BVerfGG eingeführt163; am 25. Dezember 1970, einen Tag nach Verkündung des Änderungsgesetzes, traten sie in Kraft.164 Die am 27. Januar 1971 vom Plenum des Bundesverfassungsgerichts beschlossene Verfahrensordnung für die Abgabe von Sondervoten165 wurde 1975 in die Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts übernommen.166 157

Ebd., S. 38. Vgl. hierzu den schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses vom 26.11.1970, BT-Drs. VI/1471 S. 4. 159 Vgl. Dietlein, DVBl. 1971, S. 128; Zuck, DÖV 1971, S. 257; Homberger-Stäheli, S. 43, Fn. 138. Vgl. zu der während des Gesetzgebungsverfahrens viel diskutierten Frage der möglichen Beziehung zwischen der Abgabe von Sondervoten und der Wiederwahl auch Federer, JZ 1969, S. 371; Fromme, S. 883 f. 160 Diese waren auch kaum zu erwarten: Die Oppositionspartei, die CDU/CSU, hatte im 5. Bundestag schon den ersten – im Wesentlichen gleichlautenden – Entwurf der 4. Novelle zum BVerfGG mitgetragen. 161 Sten. Prot. der 81. Sitzung des Bundestages vom 02.12.1970, S. 4608. 162 Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (ÄndG) vom 21.12.1970 (BGBl. I S. 1765). 163 Gemäß Art. 1 Nr. 11 ÄndG wurde in § 30 BVerfGG folgender Abs. 2 neu eingefügt: „Ein Richter kann seine in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederlegen; das Sondervotum ist der Entscheidung anzuschließen. Die Senate können in ihren Entscheidungen das Stimmenverhältnis mitteilen. Das Nähere regelt eine Verfahrensordnung, die das Plenum des Bundesverfassungsgerichts beschließt“. 164 Art. 7 ÄndG. 165 BGBl. I S. 99. 158

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

V. Das Sondervotum beim Bundesverfassungsgericht 1. Die Praxis bis 1970 Die gesetzliche Zulassung des offenen Sondervotums bestätigte Tendenzen, die bereits kurze Zeit nach der Konstituierung des Bundesverfassungsgerichts auf die Hinwendung vom strikten Beratungsgeheimnis zur veröffentlichten abweichenden Meinung deuteten: Im Jahre 1952 bat der Bundespräsident Heuß das Bundesverfassungsgericht um ein Gutachten167 über die Frage, ob der geplante Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts fasste am 8. Dezember 1952 den Beschluss, dass Plenargutachten über eine bestimmte verfassungsrechtliche Frage die beiden Senate in späteren Urteilsverfahren zu demselben Gegenstand binden. Um politischen Spekulationen über ein angeblich nur knappes Stimmenverhältnis entgegenzutreten, gab das Gericht bekannt, dass dieser Beschluss mit 20 zu 2 Stimmen gefasst worden war.168 Am 18. Dezember 1952 ließ einer der beiden überstimmten Richter, Geiger, seine von dem Plenarbeschluss abweichende Meinung ohne Genehmigung des Gerichtspräsidenten in vollem Wortlaut veröffentlichen.169 Sein Votum wurde allerdings nicht in die amtliche Entscheidungssammlung des Gerichts aufgenommen. Einen weiteren bedeutenden Schritt auf dem Weg zur Bekanntgabe von Sondervoten stellt das sog. „Spiegel-Urteil“ des Ersten Senates des Bundesverfassungsgerichts vom 5. August 1966170 dar.171 Der Herausgeber des 166

§ 55 der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 02.09.1975 (BGBl. I S. 2515). Die damalige Regelung entsprach im Wesentlichen dem heute geltenden § 56 GO BVerfG. 167 Die Anforderung eines Gutachtens vom Bundesverfassungsgericht war damals noch gemäß § 97 BVerfGG möglich. Diese Vorschrift wurde 1956 gestrichen (Art. 1 Nr. 19 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 21.07.1956, BGBl. I S. 662 ff.). 168 BVerfGE 2, 79. Vgl. auch JZ 1953, S. 39 (Anm. der Redaktion). Heuß zog daraufhin seinen Gutachtenauftrag zurück. 169 Abgedruckt in „Der Kampf um den Wehrbeitrag“, Bd. 2 der Veröffentlichungen des Instituts für Staatslehre und Politik e. V. in Mainz, 1953, S. 822–828. Vgl. hierzu näher Schätzel, AöR 78 (1953), S. 228 ff.; Heyde, JöR N. F. 19 (1970), S. 213 f.; Millgramm, S. 85 f. In seinem Schlusswort zum Juristentag bezeichnete Zweigert seinen Kollegen Geiger insoweit als den „illegitimen Vater“ der dissenting opinion, vgl. Zweigert, 47. DJT, Bd. II, S. R 129. 170 BVerfGE 20, 162. Vgl. zu dieser Entscheidung auch Schultz, MDR 1967, S. 274 ff. 171 Vgl. Heyde, JöR N. F. 19 (1970), S. 214; Roellecke, S. 363.

V. Das Sondervotum beim Bundesverfassungsgericht

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Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ Augstein hatte gegen verschiedene Beschlagnahme- und Durchsuchungsanordnungen, die in einem wegen des Verdachts des Verrats von Staatsgeheimnissen eingeleiteten Ermittlungsverfahren ergangen waren, Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Die Verfassungsbeschwerde wurde zurückgewiesen, weil das Gericht wegen Stimmengleichheit (4 zu 4 Stimmen) gemäß § 15 Abs. 2 S. 4 BVerfGG a. F. eine Grundrechtsverletzung nicht feststellen konnte. In den Entscheidungsgründen hat der Erste Senat – ohne Namen zu nennen – die verschiedenen Rechtsauffassungen der beiden Richtergruppen gegenübergestellt.172 Seit April 1967 war der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts dazu übergegangen, in seinen Entscheidungen das Abstimmungsverhältnis bekannt zu geben.173

172 In den drei Abschnitten der Urteilsbegründung wurde jeweils zunächst die Auffassung der der Entscheidung nicht zustimmenden Gerichtsmitglieder und sodann die die Entscheidung nach § 15 Abs. 2 S. 4 BVerfGG a. F. tragende Auffassung angeführt. Vgl. zu dieser Entscheidung Hall/Peter, JuS 1967, S. 355 ff. Die Praxis eines derartigen „versteckten Sondervotums“ wurde später vom Zweiten Senat bei weiteren mit Stimmengleichheit gefällten Entscheidungen fortgesetzt, vgl. den Beschluss zur Justiziabilität von Gnadenentscheidungen vom 23.04.1969 (BVerfGE 25, 352 [358 ff.]) und zum Verhältnis von Geldstrafe nach dem StGB und Geldbuße als Disziplinarmaßnahme vom 29.10.1969 (BVerfGE 27, 180 [190 ff.]). Bereits vor der „Spiegel-Entscheidung“ hatte der Erste Senat vereinzelt durch die Formulierung, das Gericht habe einen Verfassungsverstoß nicht feststellen können, erkennen lassen, dass die Entscheidung auf der Verfahrensregel des § 15 Abs. 2 S. 4 BVerfGG a. F. beruhte; vgl. BVerfGE 14, 263 (273); 16, 147 (160); 18, 85 (90). 173 BVerfGE 21, 312. Die Namen der Richter wurden nicht genannt. In der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Vorladung zum Verkehrsunterricht vom 23.05.1967 (BVerfGE 22, 21) hat der Zweite Senat neben dem Abstimmungsergebnis zu dem Urteil auch seinen – mit knapper Mehrheit ergangenen – grundsätzlichen Beschluss zur Bekanntgabe des Stimmenverhältnisses mitgeteilt. Bestand eine Entscheidung aus unterschiedlichen Komplexen, wurde das Abstimmungsverhältnis für jeden einzelnen Komplex separat angegeben, vgl. BVerfGE 22, 49; 22, 180. Vgl. hierzu auch Federer, JZ 1968, S. 519. Diese Praxis des Zweiten Senates wurde überwiegend mit dem in § 30 Abs. 1 S. 1 BVerfGG niedergelegten Beratungsgeheimnis sowie der aus § 43 DRiG fließenden richterlichen Schweigepflicht für vereinbar gehalten, vgl. Heyde, JöR N. F. 19 (1970), S. 215 f.; Baring, DVBl. 1968, S. 610; Friesenhahn, 47. DJT, Bd. II, S. R 39. Kritisch dagegen Spanner, S. 893.

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

2. Die Praxis seit dem In-Kraft-Treten der 4. Novelle des BVerfGG von 1970 Am 4. Januar 1971, nur wenige Tage nach dem In-Kraft-Treten der 4. Novelle zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, legten die Richter des Zweiten Senates Geller, H. Rupp und von Schlabrendorff das erste gesetzlich zugelassene Sondervotum in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts vor. Es betraf das sog. „Abhörurteil“ vom 15. Dezember 1970174: In mehreren Verfassungsbeschwerden und einem von der Hessischen Landesregierung erhobenen Normenkontrollantrag war geltend gemacht worden, dass die im Rahmen der Notstandsgesetzgebung von 1968 vorgenommene Ergänzung des Art. 10 GG175 sowie das auf dieser Grundlage ergangene Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses176 verfassungswidrig seien. Der Zweite Senat befand mit 5 gegen 3 Stimmen, dass die Verfassungsänderung nicht gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstoße. Die sog. Ewigkeitsklausel sei dahingehend auszulegen, dass der Gesetzgeber die dort genannten elementaren Verfassungsgrundsätze systemimmanent modifizieren dürfe. Nach dieser Interpretation seien weder die nach Art. 1 Abs. 1 GG unantastbare Menschenwürde noch der in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verankerte Grundsatz der Gewaltenteilung im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG berührt. Schließlich sah die Mehrheit des Senats die Grundrechtseinschränkungen in Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG auch durch den Charakter der Bundesrepublik als streitbare Demokratie legitimiert. Die drei überstimmten Richter meinten in ihrem Sondervotum, dass die Neufassung des Art. 10 GG gleichwohl den jeder Veränderung entzogenen Bereich der Verfassung berühre. Der Schutz der Menschenwürde sei verletzt, da der Bürger durch die geheimen Überwachungsmaßnahmen zum bloßen Objekt staatlicher Gewalt degradiert werde. Das „Abhörurteil“ löste aufgrund seines politisch wie rechtlich äußerst umstrittenen Streitgegenstandes großes Echo aus.177 Überwiegend stieß das Sondervotum auf Zustimmung178, teils aber auch auf starke Kritik. Bereits die Zulässigkeit des Sondervotums wurde bezweifelt, weil es sich auf eine 174

BVerfGE 30, 1 (33). 17. Änderungsgesetz zum Grundgesetz vom 24.06.1968 (BGBl. I S. 709). 176 Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz (G 10) vom 13.08.1968 (BGBl. I S. 949). 177 Dies ließ auch dem neu eingeführten Rechtsinstitut der abweichenden Meinung sogleich besondere Aufmerksamkeit zukommen. „Der Spiegel“ druckte das Sondervotum in vollem Wortlaut ab, vgl. „Der Spiegel“ Nr. 3 vom 11.01.1971, S. 31. Auf eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Entscheidung und des Sondervotums wird hier verzichtet. Vgl. dazu Erichsen, VerwArch 1971, S. 291 ff.; Schlink, Der Staat 1973, S. 85 ff.; Schneider, S. 349 ff.; Häberle, JZ 1971, S. 145 ff.; Hall, JuS 1972, S. 132 ff.; Alberts, ebd., S. 319 ff. 178 H. H. Rupp, NJW 1971, S. 275, betonte in seiner Anmerkung, dass das Gericht seine Urteilskritik selbst geschrieben habe. 175

V. Das Sondervotum beim Bundesverfassungsgericht

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vor dem In-Kraft-Treten des 4. Änderungsgesetzes zum BVerfGG verkündete Entscheidung bezog.179 Auch die Form wurde missbilligt: Der im Stil eines Urteilstenors gefasste Eingang des Sondervotums180 sei für eine abweichende Meinung unangebracht, da diese nur die unmaßgebliche Auffassung der in der Abstimmung unterlegenen Richter wiedergebe.181 Die dissentierenden Richter würden kaum ihren eigenen Gedankengang entwickeln, sondern lediglich die Argumente der Mehrheit rügen; dadurch stünde der Umfang des Sondervotums nicht mehr in Relation zu denjenigen Teilen der Urteilsgründe, auf die sich der Dissens beziehe. Insgesamt wirke die abweichende Meinung eher wie eine kommentierende Glosse zu der Entscheidung.182 Das erste offene Sondervotum erfüllte manche Erwartung, die auf dem Nürnberger Juristentag in dieses Rechtsinstitut gesetzt wurde. Es zeigte der im Hinblick auf die nachrichtendienstlichen Befugnisse des Staates stark sensibilisierten Öffentlichkeit, dass die Auffassungen auch im höchsten Gericht geteilt waren, wie dort um die gerechte Entscheidung in dieser Frage gerungen wurde. Die Publizität der richterlichen Meinungsdivergenz ließ allerdings sogleich auch eine Kehrseite der neuen Einrichtung hervortreten: „Der Spiegel“ hielt dem zur Mehrheit des Senats gehörenden Richter Leibholz vor, dass er einer der vermutlich folgenschwersten und rechtsstaatlich fragwürdigsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zugestimmt habe.183 Ähnlich gegeißelt wurde Vizepräsident Seuffert. Als Seuffert kurz darauf als möglicher Kandidat für das Präsidentenamt des Bundesverfassungsgerichts in Erwägung gezogen wurde, bemerkte der „Spiegel“ mit deutlichem Missfallen an diesen Absichten, auch er habe bei dem „Abhörurteil“ mit der Mehrheit gestimmt.184 Im Jahre 1971 wurden noch 17 weitere Sondervoten in der Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht, dies entspricht einem Anteil von 23,6 % aller in diesem Jahr gefällten Entscheidungen.185 In den darauffolgenden Jahren ging die Anzahl der abweichenden 179 Zuck, DÖV 1971, S. 257; Spanner, S. 894 f. Nach Hall, JuS 1972, S. 134, ist der Frage dieses offensichtlich mit Blick auf die bevorstehende Änderung des BVerfGG formulierten und erst nach dem In-Kraft-Treten der Novelle verkündeten Sondervotum mit einer nicht allzu formaljuristischen Interpretation des § 30 BVerfGG zu begegnen, welche an die auch zuvor geübte großzügige Verfahrensgestaltung des Gerichts anknüpft. 180 Er lautete wie folgt: „Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG . . . ist mit Art. 79 Abs. 3 GG nicht vereinbar und daher nichtig.“ 181 Schneider, S. 350. Vgl. auch Spanner, S. 895. 182 Schneider, S. 351. 183 „Der Spiegel“ Nr. 3 vom 11.01.971, S. 30. 184 „Der Spiegel“ Nr. 4 vom 18.01.1971, S. 25.

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

Meinungen jedoch stark zurück. 1972 wurden nur noch vier, 1979 sechs Sondervoten abgegeben.186 Die hohe Zahl der abweichenden Meinungen im ersten Jahr nach der Novellierung des § 30 BVerfGG lässt neben einem gewissen Interesse, welches die Richter des Bundesverfassungsgerichts dem neuen Rechtsinstitut entgegenbrachten, auch auf einen offenbar vorhandenen Nachholbedarf schließen.187 Im Zeitraum von 1971 bis Ende 1979 wurden 72 Sondervoten zu 56 von insgesamt 621 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts niedergelegt; der Anteil der Sondervoten beträgt 11,6 % der Gesamtmenge der Entscheidungen.188 In den achtziger Jahren nahm die Zahl der Sondervoten weiter ab. Wurden 1981 neun abweichende Meinungen veröffentlicht, pendelte sich die Zahl in der Folgezeit zwischen einer und acht pro Jahr ein.189 Von 664 Entscheidungen, die von 1980 bis Ende 1989 ergingen, wurden zu 35 insgesamt 46 Sondervoten veröffentlicht. Den abweichenden Meinungen kommt somit ein Anteil von 6,9 % aller Entscheidungen zu. Zu der verminderten Anzahl der Sondervoten wird vor allem die zunehmende Arbeitsüberlastung des Gerichts beigetragen haben. Einhergehend mag sich das Bewusstsein entwickelt haben, nicht nur für den Wortlaut der abweichenden Meinung, sondern auch für die Bedeutung des Themas, welches ein Sondervotum rechtfertigt, einstehen zu müssen.190 185

Diese wie die folgenden Zahlen sind Band 30 ff. der Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) entnommen. Sie unterscheiden nicht zwischen der im Ergebnis und der in der Begründung abweichenden Meinung. Nicht berücksichtigt sind auch die sog. Anschlussvoten, d. h. diejenigen Voten, mit denen sich ein Richter lediglich dem Sondervotum eines anderen Richters ganz oder teilweise anschließt, ohne jedoch eigene Erwägungen anzustellen. Mehrere Statistiken über die Sondervoten beim Bundesverfassungsgericht für den Zeitraum von 1971 bis Januar 1982 finden sich bei Millgramm, S. 87 ff. Millgramm differenziert sowohl nach dissenting und concurring opinion als auch nach Einzel- und Gruppensondervoten und bezieht zusätzlich die Anschlussvoten mit ein. Ein nach Richtern geordnetes Verzeichnis der Sondervoten findet sich bei Lamprecht, Richter contra Richter, S. 352 ff. Eine weitere Statistik über Sondervoten beim Bundesverfassungsgericht im Zeitraum vom 15.12.1970 bis zum 31.12.1979 stellt Zierlein, DÖV 1981, S. 89, auf. 186 D. h. 7,5% (1972) bzw. 8,2% (1979) der Gesamtmenge der Entscheidungen des jeweiligen Jahres. Der Anteil der Sondervoten schwankt zwischen 1970 und 1979 jährlich von 6,8% (1976) bis 23,6% (1971). 187 So auch Zöbeley, in: Umbach/Clemens, § 30, S. 526, Rn. 23. 188 Prozentsatz annähernd. Das „Abhörurteil“ vom 15.12.1970 ist berücksichtigt. Gegenstand und Fundstelle der ersten 55 Entscheidungen mit Sondervotum (BVerfGE 30–52) stellt Zierlein, DÖV 1981, S. 94 ff., in einem Verzeichnis zusammen. Vgl. auch die entsprechende Darstellung der abweichenden Meinungen bis Oktober 1990 (BVerfGE 30–82) bei Lamprecht, Richter contra Richter, S. 339 ff. 189 Der Anteil der Sondervoten an der Gesamtzahl der Entscheidungen des jeweiligen Jahres bewegt sich zwischen 1,7% (1988) und 17% (1986).

V. Das Sondervotum beim Bundesverfassungsgericht

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Zwischen 1990 und 1999 wurden 30 Sondervoten zu 23 von insgesamt 436 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts abgegeben. Eine weitere rückläufige Tendenz der Sondervoten lässt sich hieraus freilich nicht erkennen: Gemessen an dem allgemeinen Rückgang der Senatsentscheidungen liegt der Anteil der Sondervoten an der Gesamtzahl der Entscheidungen in diesem Jahrzehnt ebenfalls bei 6,9 %.191 Im Jahre 1995 waren bei 35 Entscheidungen acht Sondervoten zu verzeichnen; der Anteil der abweichenden Meinungen erreichte mit 22,8 % fast den Höchstwert von 23,6 % des Jahres 1971. In ihrer Gesamtschau belegen die Zahlen dennoch, dass die Abgabe eines Sondervotums eher ein Ausnahmefall blieb. Insgesamt wurden die Sondervoten zumeist, aber keineswegs immer zu den besonders bedeutsamen und die Öffentlichkeit in höherem Maß interessierenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts abgegeben.192 Die bisher abgegebenen Sondervoten sind im Anlass, Duktus und Umfang sehr unterschiedlich. Mit abweichenden Meinungen sind zahlreiche Sternstunden in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verknüpft, ebenso gibt es solche von nur minderem Gewicht.193 Einige Sondervoten sind nicht frei von Polemik: Die Mehrheit musste sich von überstimmten Richtern vorwerfen lassen, politisch motiviert entschieden194, inhaltsleer und ohne Überzeugungskraft argumentiert195 oder gar die verfassungsrechtlichen Grundsätze in ihr Gegenteil verkehrt196 zu haben. Auch Staatsorgane blieben nicht unbehelligt.197 Andere Sondervoten bezogen ausführlich zu fachfremden oder nicht entscheidungserheblichen Fragen 190

Mahrenholz, S. 168. In eine andere Richtung zielt die Überlegung Lamprechts, Richter contra Richter, S. 301: Die abfallende Zahl der Sondervoten sei auf den Einzug einer jüngeren Richtergeneration in das Bundesverfassungsgericht zurückzuführen, welche ihre Gegensätze kühler und leidenschaftsloser abhandeln würde als ihre Vorgänger. In der Tat hat es einen dem Dissens nicht abgeneigten Richter wie Hirsch, der in seiner Amtszeit von 1971 bis 1981 21 Sondervoten veröffentlichte, später nicht mehr gegeben. Allerdings scheint dieses Argument gegenüber dem der immens angestiegenen Arbeitsbelastung der Richter am Bundesverfassungsgericht wenig plausibel. 191 Der Anteil der abweichenden Meinungen an der Gesamtzahl der Entscheidungen der einzelnen Jahre pendelt zwischen 0% (1999) und 22,8% (1995). 192 So Spanner, S. 892 f. Lamprecht, Richter contra Richter, S. 142, stellt fest, dass relativ viele Sondervoten Entscheidungen zum öffentlichen Dienstrecht und zur Beamtenversorgung betreffen. 193 Vgl. Millgramm, S. 186. 194 BVerfGE 44, 197, 209 (210) – Politische Betätigung in der Bundeswehr. 195 BVerfGE 93, 121, 149 (155) – Asylrecht. 196 BVerfGE 94, 166, 223 (232) – Asylrecht. 197 In seinem Sondervotum bezeichnete Richter Rottmann die Bundesregierung als „Exekutivausschuss der Regierungspartei“, vgl. BVerfGE 44, 125, 181 (183) – Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung im Wahlkampf.

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

Stellung198, manche erzeugten eher Verwirrung und Missverständnisse als weiterführende Erkenntnisse.199 Doch auch für engagierte, sachgerecht verfasste Sondervoten gibt es Beispiele.200 Mehrmals wurden Sondervoten in späteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zitiert.201 In der Frage des Grundrechtsschutzes gegen Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft schloss sich das Gericht im Ergebnis und in der Begründung einem zuvor veröffentlichten Minderheitsvotum an.202 Für eine Darstellung der einzelnen Sondervoten beim Bundesverfassungsgericht lässt die Themenstellung dieser Arbeit jedoch keinen Raum. Hierzu sei auf die Untersuchung Lamprechts verwiesen, der das Sondervotum in der Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts von 1971 bis 1991 eingehend beleuchtet.203 3. Die Bewertung des Sondervotums in der Literatur Mit der Einfügung des § 30 Abs. 2 in das BVerfGG ist die Diskussion über das Rechtsinstitut der abweichenden Meinung nicht verstummt, wenn auch seine grundsätzliche Zulässigkeit nicht mehr ernstlich in Frage gestellt wird.204 Kritik richtet sich vor allem gegen die praktische Handhabung des Sondervotums. Zu den ersten veröffentlichten Sondervoten bemerkt Zuck, 198 BVerfGE 33, 23, 35 (37) – Eidesverweigerung. In seinem Sondervotum setzte sich der Richter von Schlabrendorff detailliert mit den theologischen Fragen des Eides auseinander. 199 BVerfGE 31, 314 (334) – Umsatzsteuer für Veranstaltung von Rundfunksendungen; BVerfGE 56, 249 (266) – Gondelbahnfall. 200 Vgl. nur BVerfGE 32, 111 (129) – Entschädigung für Schäden in Vertreibungsgebieten; BVerfGE 33, 52 (78) – Kunstfreiheit und Staatsschutz; BVerfGE 39, 1 (68) – Schwangerschaftsabbruch; BVerfGE 42, 1 (11) – Sicherungsverwahrung; BVerfGE 52, 42 (58) – Vertretungsverbot; BVerfGE 53, 257 (289) – Eigentumsschutz der Renten; BVerfGE 56, 185 (187) – Armenrecht; BVerfGE 77, 170 (234) – Giftgas; BVerfGE 80, 137 (164) – Reiten im Walde; BVerfGE 93, 1 (25, 34) – Kruzifix. 201 Das Sondervotum der Richterin Rupp-von Brünneck zur Entscheidung BVerfGE 32, 111 (129) wurde in BVerfGE 53, 257 (289) zitiert. Vgl. auch die Übersicht bei Millgramm, S. 164. 202 BVerfGE 37, 271 (291) – Solange I; BVerfGE 73, 339 – Solange II. Einen Wandel in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts leitete auch das Sondervotum des Richters Böckenförde zur Entscheidung über die Parteienfinanzierung ein; vgl. BVerfGE 73, 40 (103) und BVerfGE 85, 264 (314). Weitere Beispiele nennen Rinken, AK, Art. 94, Rn. 76a und Schlaich/Korioth, S. 39, Rn. 49. 203 Lamprecht, Richter contra Richter, S. 111 ff. Vgl. zu den ersten veröffentlichten abweichenden Meinungen bis September 1973 Spanner, S. 891 ff. Einige ausgewählte Sondervoten stellt auch Millgamm, S. 153 ff. vor. 204 Vgl. Klein, in: Benda/Klein, § 16, S. 133, Rn. 318.

V. Das Sondervotum beim Bundesverfassungsgericht

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dass dieses Instrument zu häufig und in undisziplinierter Weise genutzt werde, wie etwa für die Wiedergabe höchstpersönlicher, subjektiver Ansichten, für Emotionen und für die Rüge mangelnder richterlicher Sorgfaltspflicht.205 Als bedenklich sehen einige Stimmen vor allem die in manchen Sondervoten dominierende Polemik in Ton und Stil an.206 Stern äußert Zweifel, ob das Sondervotum der Funktion und Autorität der Verfassungsgerichtsbarkeit zuträglich sei: Es schwäche die Überzeugungskraft und Befriedungswirkung der mehrheitlichen Entscheidung.207 Für „alarmierend“ hält Isensee die Urteilsschelte aus den eigenen Reihen des Gerichts. Ein Verriss des Urteils im offiziell publizierten Votum komme der Aufkündigung der richterlichen Amtsloyalität gleich; das Urteil werde durch das Sondervotum geradezu delegitimiert.208 Schädlich für das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts ist es nach Ansicht Frommes auch, wenn die Offenlegung der Mehrheitsverhältnisse durch Sondervoten der Presse Anlass gibt, die einzelnen Richter bestimmten politischen Parteien zuzuordnen. In der Öffentlichkeit könne das Gericht dann als eine „politische Veranstaltung“ gesehen werden, in der wie im Parlament auch die jeweilige Mehrheit entscheide.209 Lamprecht zieht aus der Praxis des Sondervotums beim Bundesverfassungsgericht hingegen eine deutlich positive Bilanz. Die abweichenden Meinungen hätten die Rechtsprechung transparenter gemacht, durch sie seien die Richter aus der Anonymität des Spruchkörpers herausgetreten und als Person identifizierbar geworden. Von den Sondervoten gehe eine friedensstiftende, integrierende Wirkung aus, da der im Verfahren unterlegenen Partei erkennbar gemacht werde, dass ihre Rechtsansicht auch im Richterkollegium geteilt worden und damit nicht gänzlich unvertretbar sei.210 205

Zuck, JuS 1975, S. 697 f. Rupp, DÖV 1976, S. 694; Geck, HStR Bd. II, § 55, Rn. 53. 207 Stern, Bd. II, § 44, S. 1043. Kritisch zu den ersten Erfahrungen mit dem Sondervotum in der Praxis Spanner, S. 906 f.: Die Entscheidung werde abgewertet und in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt, wenn das Sondervotum sich auf ein Plädoyer gegen die Mehrheit beschränke. Auch Häberle, ein Befürworter des Sondervotums, mahnt mit Blick auf die Autorität des Gerichts Zurückhaltung nicht nur beim „Ob“ eines Sondervotums an, sondern auch beim „Wie“, d. h. bzgl. seiner Gestalt und Technik, vgl. Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 27. So auch Geiger, S. 458 ff.; Millgramm, S. 185; Klein, in: Benda/Klein, § 16, S. 133, Rn. 318. 208 Isensee, JZ 1996, S. 1087, mit Beispielen aus jüngster Zeit. 209 Fromme, S. 889. Ähnlich Schäfer, DVBl. 1975, S. 102. Skeptisch auch Ritterspach, S. 1379 ff.; Niebler, S. 585 ff. 210 Lamprecht, Richter contra Richter, S. 304. Vgl. auch ders., DRiZ 1992, S. 325 ff. und DRiZ 1996, S. 253 ff. Positiv auch Pestalozza, § 20, S. 292, Rn. 41; Hill, ZRP 1985, S. 17; Rinken, AK, Art. 94, Rn. 72 ff. Vgl. zur sozialen Funktion des Sondervotums die sozialwissenschaftliche Analyse bei Lietzmann, S. 81 ff. 206

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

Simon schreibt dem Sondervotum eine den politischen Konflikt entschärfende, systemstabilisierende Wirkung zu. Es sei eine spezielle Form des pluralistischen Minderheitenschutzes und könne auf das von anderen Gewalten nicht kontrollierte Bundesverfassungsgericht eine wichtige innergerichtliche Korrekturfunktion ausüben. Gerade in umstrittenen Verfahren könnten Sondervoten die Akzeptanz der Entscheidungen und den Respekt vor dem Gericht, das harten Auseinandersetzungen nicht ausweiche, eher noch stärken.211 Überwiegend wird jedoch festgestellt, dass sich die während des 47. Juristentages im Jahre 1968 an die Zulassung des Sondervotums geknüpften Erwartungen und Befürchtungen kaum erfüllt hätten.212 Nach rund zehnjähriger Praxis mit dem Sondervotum konstatiert Zierlein, dass Ansehen und Autorität des Bundesverfassungsgerichts nicht von seiner Inanspruchnahme abhängig seien213; insgesamt seien nennenswerte Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Abgabe von abweichenden Meinungen nicht aufgetreten.214 Symptomatisch ist die Einschätzung Kleins, der meint, dass die Vorteile des Sondervotums kaum messbar seien, fassbare Nachteile aber ebenfalls nicht erkennbar geworden seien.215 Millgramm sieht die wesentliche Funktion des Sondervotums darin, eine alternative Meinung zu einer bestimmten verfassungsrechtlichen Frage kundzugeben und damit die rechtswissenschaftliche Diskussion anzuregen.216 Eine normative Kraft in der Weise, dass sich eine Änderung der Rechtsprechung stets zuvor in abweichenden Meinungen überstimmter Richter abzeichnet, kann den Sondervoten nach Ansicht von Schlaich/Korioth nicht beigelegt werden. Im Ganzen, meinen Schlaich/Korioth, prägen Sondervoten das Bild der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in nur geringem Maße.217

211 Simon, HVerfR, § 34, S. 1661, Rn. 41. So auch Häberle, Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 24; v. Brünneck, S. 49. 212 Zöbeley, in: Umbach/Clemens, § 30, S. 528, Rn. 28; Millgramm, S. 187. 213 Zierlein, DÖV 1981, S. 94. Einen Autoritätsverlust können auch Simon, HVerfR, § 34, S. 1660, Rn. 41; Faller, DVBl. 1995, S. 989 f. und Schlaich/Korioth, S. 37, Rn. 48, nicht erkennen. 214 Zierlein, DÖV 1981, S. 93. 215 Klein, in: Benda/Klein, § 16, S. 133, Rn. 318. 216 Millgramm, S. 186. Vgl. auch Spanner, S. 906; Klein/Bethge, in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, § 30, S. 7, Rn. 6.1.; Mahrenholz, S. 169; Rinken, AK, Art. 94, Rn. 73; Roellecke, S. 380. 217 Schlaich/Korioth, S. 40, Rn. 50. Auch Mahrenholz, S. 170, und Zierlein, DÖV 1981, S. 94, weisen den Sondervoten nur einen unbedeutenden Einfluss auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu. Von einem bescheidenen Nutzen des Sondervotums sprechen Millgramm, S. 187 und Zöbeley, in: Umbach/ Clemens, § 30, S. 528, Rn. 28.

VI. Sondervotum in der Verfassungsgerichtsbarkeit der Bundesländer

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VI. Das Sondervotum in der Verfassungsgerichtsbarkeit der Bundesländer 1. Erste Ansätze zur Bekanntgabe abweichender Meinungen in Bayern und Bremen nach dem Zweiten Weltkrieg Bei den Landesverfassungsgerichten in Bayern und Bremen gab es schon früh Ansätze, abweichende Meinungen überstimmter Richter bekannt zu geben. a) Bayern Die Geschäftsordnung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 24. Mai 1948218 verpflichtete in § 7 lit. f GO a. F. jedes Gerichtsmitglied, über den Gang der Beratung und Abstimmung Stillschweigen zu wahren.219 § 7 lit. a S. 2 GO a. F. räumte den Richtern das Recht ein, ihre von der Entscheidung des Gerichts abweichende Ansicht mit Begründung zu den Akten zu geben.220 Veröffentlichte der Verfassungsgerichtshof eine Entscheidung in der amtlichen Entscheidungssammlung, bestimmte § 8 Abs. 6 GO a. F., dass dann auch die dazu verfassten abweichenden Meinungen mit zu veröffentlichen waren. In der Praxis des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs wurden die abweichenden Ansichten jedoch nur anonym veröffentlicht.221 218

BayGVBl. 1948, S. 121. Eine gesetzlich angeordnete Stillschweigepflicht bestand in Bayern nicht: Das Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof a. F. vom 22.07.1947 (BayBS I S. 24) enthielt keine Regelung über die Heimlichkeit der Beratung, sondern verwies in Art. 12 Abs. 1 auf die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes. Eine Pflicht, das Beratungsgeheimnis zu wahren, lässt sich diesem nicht entnehmen, vgl. Starck, Sondervoten, S. 287. 220 Diese Voten wurden von den dissentierenden Richtern unterzeichnet und der begründeten Entscheidung beigefügt. Bei der Entscheidungsverkündung wurden sie den Beteiligten allerdings nicht bekannt gegeben. Vgl. hierzu Heyde, JöR N. F. 90 (1970), S. 211. 221 In der Entscheidung lautete es in diesen Fällen etwa: „Eines der an der Entscheidung beteiligten Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs gab gemäß § 7 lit. a der Geschäftsordnung des Verfassungsgerichtshofs folgende abweichende Meinung zu den Akten“. Die Anzahl der auf diese Weise veröffentlichten Sondervoten war nur gering. Im Zeitraum von 1949 bis 1958 wurden zu zehn Entscheidungen abweichende Meinungen niedergelegt, von denen fünf in der amtlichen Entscheidungssammlung abgedruckt wurden; Nachweise bei Heyde, Minderheitsvotum, S. 98; Federer, JZ 1968, S. 519. In den darauffolgenden 13 Jahren blieben abweichende Voten ganz aus, erst seit 1971 nahm die Zahl der publizierten Sondervoten wieder stärker zu. Vgl. Starck, Sondervoten, S. 298, Fn. 60 m. w. N.; Pestalozza, § 23, S. 413, Rn. 25, Fn. 31. Insgesamt wurden seit dem Bestehen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes bis zur Reformierung des Verfassungsgerichtshofsgesetzes im 219

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

Diese – nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht zwingend gebotene – Übung zielte freilich nur bedingt auf die Geheimhaltung des Beratungshergangs: Da die Beteiligten über das Akteneinsichtsrecht nach § 8 Abs. 2 GO a. F. von dem Verfasser der abweichenden Meinung Kenntnis nehmen konnten und darüber hinaus für interessierte Personen Urteilsabschriften einschließlich der Minderheitsvoten mit namentlicher Nennung der betreffenden Richter erhältlich waren, bestand ohnehin keine völlige Anonymität der abweichenden Ansichten.222 Die anonyme Veröffentlichung der Sondervoten ließ sich eher damit begründen, dass bei der Publikation der Entscheidungen in der amtlichen Sammlung die Namen der mitwirkenden Richter nicht angegeben wurden; konsequenterweise also auch nicht die Verfasser der mitveröffentlichten abweichenden Meinungen.223 In einer Festansprache zum zehnjährigen Bestehen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs am 26. November 1957 hob der damalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs Wintrich hervor, dass diese Praxis zu keinen Misshelligkeiten Anlass gegeben, geschweige denn die Autorität des Gerichts beeinträchtigt habe.224 Seit 1987 ging der Verfassungsgerichtshof jedoch dazu über, auch den zu den Akten genommenen abweichenden Voten die Namen der Verfasser nicht mehr beizufügen.225 Im Rahmen der Reformierung226 des Gesetzes über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof227 1990 wurde die Pflicht der Verfassungsrichter, über den Hergang der Beratung und Abstimmung Stillschweigen zu bewahren, nunmehr gesetzlich in Art. 24 Abs. 4 BayVerfGHG verankert. Nach Art. 25 Abs. 5 BayVerfGHG sind die Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes berechtigt, ein Sondervotum niederzulegen; dieses ist der Entscheidung ohne Angabe des Verfassers anzuschließen. Das Recht der Akteneinsicht erstreckt sich gemäß Art. 19 Abs. 4 BayVerfGHG Jahre 1990 30 abweichende Meinungen niedergelegt, vgl. Vill, BayVBl. 1991, S. 357. Vgl. auch Heyde/Gielen, S. 72; Meder, Vorbem. vor Art. 60, S. 191, Rn. 1. 222 Nach Rupp, S. 534, kommt dieses Verfahren einem unter Namensnennung veröffentlichten Sondervotum bereits ziemlich nahe. Vgl. auch Zweigert, 47. DJT, Bd. I, S. D 14. 223 Vgl. Federer, JZ 1968, S. 519; Starck, Sondervoten, S. 298 f. Starck ist der Auffassung, dass nach der Geschäftsordnung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs die Bekanntgabe der Namen der abweichenden Richter jedoch durchaus möglich gewesen wäre: Grammatik und Systematik der einschlägigen Vorschriften hätten die Veröffentlichung der Sondervoten mit Namensnennung nicht explizit untersagt. 224 Zitiert bei Kaiser, ZaöRV 18 (1957/58), S. 556, Fn. 135. 225 Diese Praxis basiert auf einem Beschluss aller Berufsrichter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 23.03.1987, vgl. Vill, BayVBl. 1991, S. 357. 226 Vgl. hierzu Pestalozza, § 23, S. 403 ff.; Vill, BayVBl. 1991, S. 353 ff. Die Novelle fasste die im BayVerfGHG a. F. und in der GO a. F. enthaltenen Regelungen in einem neuen BayVerfGHG zusammen. 227 Vom 10.05.1990 (BayGVBl. 1990, S. 122).

VI. Sondervotum in der Verfassungsgerichtsbarkeit der Bundesländer

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nicht mehr auf die Person des abweichenden Richters; das unterschriebene Votum ist daher gesondert aufzubewahren. b) Bremen Das erste Sondervotum in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, das mit einem Gerichtsspruch und namentlicher Nennung des dissentierenden Richters veröffentlicht wurde, gab es beim Bremischen Staatsgerichtshof.228 Dessen Mitglieder waren nach § 8 Abs. 3 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof vom 21. Juni 1949229 grundsätzlich verpflichtet, über die Beratung und Abstimmung Stillschweigen zu bewahren. Gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 der Verfahrensordnung des Staatsgerichtshofs (VerfO) vom 17. März 1956230 konnten sie eine von der Entscheidung abweichende Ansicht nebst Begründung zu den Akten geben. Mit Rücksicht auf das Beratungsgeheimnis wurden diese Schriftstücke – anders als in Bayern – nicht Bestandteil der Verfahrensakten; damit waren sie auch den Beteiligten nicht zugänglich. Eine partielle Ausnahme von der gesetzlichen Schweigepflicht regelte allerdings § 13 Abs. 3 S. 3 VerfO231: Hatte der Staatsgerichtshof ein Gutachten über bestimmte verfassungsrechtliche Fragen zu erstatten, konnte jedes Mitglied verlangen, seine abweichende Ansicht mit dem Gutachten öffentlich mitzuteilen.232 Die in Anwendung dieser Vorschrift veröffentlichten Sondervoten erregten großes Aufsehen, allerdings weniger aufgrund ihres Inhalts als wegen des vom Staatsgerichtshof praktizierten Verfahrens. Ende 1956 ersuchte die Bremische Bürgerschaft den Staatsgerichtshof um eine Entscheidung in der Frage, ob und inwieweit die Abgeordneten der Bürgerschaft, welche der durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 1956233 verbotenen und aufgelösten Kommunistischen Partei Deutschlands angehörten, ihren Sitz in der Bürgerschaft verloren hätten. Das 228

Vgl. Arndt, FS Rheinstein, S. 132; Rinken, JöR N. F. Bd. 42 (1994), S. 346. BremGBl. 1949, S. 141 f. 230 BremGBl. 1956, S. 35. 231 Vgl. zur Entstehungsgeschichte und Bedeutung dieser äußerst umstrittenen Vorschrift Arndt, FS Rheinstein, S. 129 f.; Koch, S. 141 ff. Kritisch auch Pestalozza, § 25, S. 499, Rn. 5. Vgl. zum Versuch, das Gutachten i. S. d. § 13 Abs. 3 S. 3 VerfO von den sonstigen Entscheidungen des Staatsgerichtshofs abzugrenzen Gillner, DÖV 1958, S. 106 ff.; Koch, S. 145; Rinken, Staatsgerichtshof, S. 512 f. Deutlich ablehnend Starck, Sondervoten, S. 300 ff. (302): Das Gutachtenverfahren mit Sondervoten sei eine dem Gesetz widersprechende Erfindung des Bremischen Staatsgerichtshofs. 232 Mit dieser Bestimmung wurde erstmals in der Bundesrepublik Deutschland das offene Sondervotum im Verfahrensrecht eines Gerichts normiert, vgl. Rinken, Staatsgerichtshof, S. 512. 233 BVerfGE 5, 85 ff. 229

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Gericht stellte am 5. Januar 1957 mit einer Mehrheit von 4 zu 3 Stimmen fest, dass durch das Parteiverbot das Mandat der KPD-Abgeordneten in der Landesbürgerschaft erloschen sei, nicht aber die Mitgliedschaft in der Stadtbürgerschaft.234 Von den sieben Richtern des Staatsgerichtshofs äußerten drei eine abweichende Meinung zum Verlust der Mitgliedschaft in der Landesbürgerschaft, drei weitere eine abweichende Meinung zum Verlust der Mitgliedschaft in der Stadtbürgerschaft. Mit dem gesamten Rechtsspruch war nur ein einzelner Richter einverstanden. Die beiden Sondervoten wurden mit der Entscheidung verkündet und zur Veröffentlichung freigegeben.235 Hierfür stützte sich der Bremische Staatsgerichtshof auf § 13 Abs. 3 S. 3 seiner Verfahrensordnung: Das an ihn gerichtete Ersuchen der Bürgerschaft sei als Antrag auf die Erstattung eines Gutachtens im Sinne dieser Vorschrift auszulegen und zu behandeln; insofern seien die Mitglieder des Gerichtshofs berechtigt gewesen, ihre abweichende Ansichten bekannt zu geben. Freilich, meinte der Staatsgerichtshof abschließend, sei auch ein solches Gutachten eine Entscheidung nach § 1 BremStGHG und erlange daher gemäß § 8 Abs. 1 BremStGHG Rechtskraft wie allgemeine Verbindlichkeit.236 Der Rechtsspruch des Bremischen Staatsgerichtshofs fand nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit ein großes Echo, sondern auch im Ausland.237 Teils wurde die Bekanntgabe der abweichenden Meinungen als ein bedeutender Schritt zur Rechtsfortbildung begrüßt.238 Überwiegend stieß das von dem Staatsgerichtshof praktizierte Verfahren jedoch auf Kritik. Dem Gericht wurde taktisch beeinflusstes Definitionsverhalten vorgeworfen239, es habe die fragliche Entscheidung nur deshalb als Gutachten bezeichnet, um aus rechtspolitischen Motiven den überstimmten Richtern die öffentliche Kundgabe ihrer abweichenden Meinungen zu ermöglichen.240 Zudem sei das vom Gericht angewandte Gutachtenverfahren schon als solches fragwürdig. Die in der Verfahrensordnung vorausgesetzte Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs zur Erstattung von Gutachten sei weder der Bremischen Landes234 BremStGH JZ 1957, 212 ff. = BremStGHE 1, 73 (81). Vgl. zu dieser Entscheidung auch die Anm. der Redaktion, JZ 1957, S. 216; Koch, S. 142 ff.; Rinken, JöR N. F. Bd. 42 (1994), S. 346 ff. 235 Die Namen der dissentierenden Richter sind in BremStGH JZ 1957, 212 (216) mit abgedruckt. 236 BremStGH JZ 1957, 212 (213). 237 Gillner, DÖV 1958, S. 106, will gar ein fast weltweites Echo erkennen. Vgl. auch Nadelmann, AöR 86 (1961), S. 57, Fn. 111; Koch, S. 143 m. w. N. sowie die Entscheidungsanmerkung des Prozessvertreters der vier betoffenen Bürgerschaftsabgeordneten Kröger, NJ 1957, S. 82 ff. 238 Vgl. Koch, S. 143. 239 Vgl. Rinken, Staatsgerichtshof, S. 513. 240 Heyde, Minderheitsvotum, S. 101, 106 ff.

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verfassung241 noch dem BremStGHG bekannt; nach dem eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen242 könnten die Sprüche des Gerichtshofs nur als allgemein verbindliche Entscheidungen ergehen. Da einem Gutachten jedoch keine Verbindlichkeit zukomme, könne die Veröffentlichung der Sondervoten auch nicht mit dem angeblichen „Gutachten“-Charakter dieses Rechtsspruches gerechtfertigt werden.243 Dass die Veröffentlichung der abweichenden Ansichten in der Tat erst durch einen Kunstgriff244 des Bremischen Staatsgerichtshofs bewirkt worden war, wurde später bestätigt: In der Diskussion auf dem 47. Deutschen Juristentag 1968 berichtete der Richter des Staatsgerichtshofs Arndt, der bei diesem Rechtsspruch mitgewirkt hatte, dass es der Mehrheit im Gericht in den wochenlangen Beratungen nicht gelungen war, die Minderheit für sich zu gewinnen. Insbesondere der Präsident des Staatsgerichtshofs Lifschütz habe sich strikt geweigert, die Entscheidung der Mehrheit mit zu tragen; er sei eher bereit gewesen, sein Amt niederzulegen, als eine für unrichtig gehaltene Entscheidung zu unterschreiben. Der Hinweis Arndts, dass es zur Normalität in der richterlichen Tätigkeit gehöre, den Namen auch unter ein missbilligtes Urteil setzen zu müssen, habe ihn nicht von seinem Vorsatz abbringen können. In dieser Situation sei man zufällig auf die Bestimmung über das Gutachten in der Verfahrensordnung gestoßen. Um Lifschütz und die anderen Richter der Minderheit aus ihrem Gewissenskonflikt zu befreien und ihnen die Möglichkeit zur öffentlichen Bekanntgabe ihrer abweichenden Ansicht zu schaffen, habe der Staatsgerichtshof die Entscheidung 241

Vom 15.09.1947, BremGBl. 1947, S. 251. Die Aufgabenstellung des Staatsgerichtshofs beschrieb Art. 140 der Bremischen Verfassung i. V. m. § 1 Nr. 1 BremStGHG: „Der Staatsgerichtshof ist zuständig für die Entscheidung von Zweifelsfragen über die Auslegung der Verfassung und andere staatsrechtliche Fragen, die ihm der Senat, die Bürgerschaft oder ein Fünftel der gesetzlichen Mitgliederzahl der Bürgerschaft oder eine öffentlich-rechtliche Körperschaft des Landes Bremen vorlegt, sowie für die anderen in der Verfassung vorgesehenen Fälle.“ 243 Vgl. Friesenhahn, 47. DJT, Bd. II, S. R 35 f.; Heyde, JöR N. F. 19 (1970), S. 213; Starck, Sondervoten, S. 302 ff. m. w. N. Die Bekanntgabe abweichender Ansichten zu Gutachten zu rechtfertigen versucht Gillner, DÖV 1958, S. 106 ff.: Das Gutachten habe eine derart abgeschwächte Bedeutung, dass auch eine abweichende Meinung nach außen hin erkennbar gemacht werden könne; einen Verstoß gegen das Beratungsgeheimnis könne er nicht erblicken. Koch, S. 145 ff., stimmt nach eingehender Untersuchung der vom Bremischen Staatsgerichtshof vorgenommenen verfassungskonformen Auslegung des § 13 Abs. 3 S. 3 VerfO zu und hält die Veröffentlichung eines Sondervotums zu gerichtlichen Gutachten auch ohne entsprechende Ermächtigung im Staatsgerichtshofsgesetz für zulässig. Mit Blick auf die schwierige Abgrenzung der Gutachten von den normalen Entscheidungen bezweifelt Koch allerdings, ob die Beschränkung des Sondervotums auf Gutachten wirklich sinnvoll ist. 244 So WLr. in seiner Glosse zu dieser Entscheidung, NJW 1957, S. 659. 242

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als Gutachten bezeichnet, obwohl der zugrundeliegende Fall in keiner Weise etwas hiermit zu tun hatte.245 Unmittelbar nach der KPD-Entscheidung, am 3. Mai 1957, erging ein weiterer Rechtsspruch des Bremischen Staatsgerichtshofs in der Form eines Gutachtens.246 Er betraf die Vereinbarkeit eines Änderungsantrages der SPD-Bürgerschaftsfraktion zum Gesetzesentwurf für ein Bremisches Personalvertretungsgesetz mit der Landesverfassung. Der Gerichtshof hielt den Änderungsantrag mit 4 zu 3 Stimmen für verfassungsgemäß, die drei überstimmten Richter opponierten mit einem Sondervotum.247 Zuletzt machte der Staatsgerichtshof 1968 von der Vorschrift des § 13 Abs. 3 S. 3 VerfO Gebrauch, als ihm die Frage vorgelegt wurde, ob die Bürgerschaft einen ständigen Petitionsausschuss einsetzen könne. In dem zu dieser Entscheidung veröffentlichten Sondervotum äußerten zwei Richter eine von der Begründung abweichende Ansicht.248 Seitdem hat der Bremische Staatsgerichtshof keinen Rechtsspruch mehr in der Form eines Gutachtens getroffen, um Sondervoten zu veröffentlichen.249 Warum der Staatsgerichtshof in § 13 Abs. 3 S. 3 VerfO die Möglichkeit des offenen Sondervotums auf gerichtliche Gutachten beschränkt hat, lässt sich nicht aufhellen.250 Losgelöst von der Frage der grundsätzlichen Zuläs245 Arndt, 47. DJT, Bd. II, S. R 103 f. Diese Ausführungen wiederholte Arndt später in einem Beitrag für eine Festschrift. Dort hob er hervor, dass er nicht das geringste Anzeichen dafür erkennen könne, dass die Offenlegung der richterlichen Meinungsverschiedenheiten dem Ansehen des Staatsgerichtshofs und der Autorität der Entscheidung geschadet habe; in der nicht-juristischen Öffentlichkeit sei ihm jedenfalls keine Kritik begegnet. Vgl. Arndt, FS Rheinstein, S. 130 ff. Seine Einschätzung teilt Friesenhahn, 47. DJT, Bd. II, S. R 46 f. Starck, Sondervoten, S. 304, meint dazu, dass der Staatsgerichtshof hierbei nicht Prozessrecht ausgelegt, sondern bewusst entgegen dem geltenden Recht eine rechtspolitische Entscheidung durchgesetzt habe. Zurückhaltender Rinken, JöR N. F. Bd. 42 (1994), S. 346 f.: Nur mit dieser – wenngleich prekären – Kompromisslösung des Gutachtenverfahrens habe das Gericht die Zerreißprobe bestehen können. 246 BremStGH ZBR 1957, 234 ff. = BremStGHE 1, 96 (102). 247 Vgl. auch die Entscheidungsanmerkung von Schneider, ZBR 1957, S. 239 ff. Die Argumentationen von Mehrheit und Minderheit stellt Rinken, JöR N. F. Bd. 42 (1994), S. 335 ff., gegenüber. Vgl. auch Koch, S. 143 ff.; Heyde, Minderheitsvotum, S. 99 m. w. N. Zwei Jahre später stellte das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines Normenkontrollantrages gegen das mit den umstrittenen Bestimmungen beschlossene Personalvertretungsgesetz mit Urteil vom 27.04.1959 fest, dass einige dieser Regelungen nichtig seien; es entschied damit teils im Sinne der abweichenden Richter des Bremischen Staatsgerichtshofs, vgl. BVerfGE 9, 268 ff. 248 BremStGHE 1, 161 (166). 249 Dies, mutmaßt Starck, Sondervoten, S. 304, sei darauf zurückzuführen, dass sich der Staatsgerichtshof der rechtlichen Haltlosigkeit seines Vorgehens bewusst geworden sei. 250 Vgl. Arndt, FS Rheinstein, S. 129.

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sigkeit dieses Gutachtenverfahrens erscheint diese Regelung jedoch durchaus plausibel. Ein Gutachten verkörpert nach allgemeiner Auffassung eine Meinungsäußerung darüber, wie ein bestimmter Sachverhalt rechtlich zu beurteilen oder eine Rechtsnorm auszulegen ist.251 Anders als ein gerichtliches Urteil entscheidet es keine Rechtsstreitigkeit zwischen den Parteien, sondern enthält eine bloße Empfehlung. Da dem Gutachten insoweit nach außen hin keinerlei Bindungswirkung zukommt, verliert auch das seit jeher gegen das Sondervotum vorgebrachte Argument, es schwäche die Autorität des Gerichts, an Gewicht. Der Auftraggeber eines gerichtlichen Gutachtens kann gerade ein Interesse an der Gegenüberstellung der widerstreitenden Positionen haben, um sich ein vollständiges Bild der zugrundeliegenden Problematik machen zu können. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen dürften an sich keine Bedenken gegen die Veröffentlichung von Minderheitsvoten bei gerichtlichen Gutachten bestehen. Für die Bekanntgabe der abweichenden Meinungen zu den drei fraglichen „Gutachten“ des Bremischen Staatsgerichtshofs lassen sich die Besonderheiten des Gutachtenverfahrens gleichwohl nicht heranziehen. Die Rechtssprüche ergingen zwar als Gutachten, wurden jedoch vom Gericht ausdrücklich als allgemein verbindliche Entscheidung bezeichnet. Ein Gutachten im herkömmlichen Sinn hat in keinem der Fälle vorgelegen. Die Motive für diese Handhabung sind daher, wie Arndt selbst angegeben hat, allein im rechtspolitischen Bereich zu suchen.252 Ungeachtet der fragwürdigen Auslegung des Gutachtenbegriffs253 stellen insbesondere die beiden „Gutachten“ mit den zu ihnen ergangenen abweichenden Voten aus dem Jahre 1957 einen wichtigen Schritt in der Entwicklungsgeschichte des offenen Sondervotums dar. Die hochpolitische Bedeutung der Streitgegenstände und die Umstrittenheit der vom Staatsgerichtshof angewandten Verfahrenspraxis ließen den Entscheidungen wie den Sondervoten eine gesteigerte Aufmerksamkeit254 zukommen, welche sich auch auf die allgemeine Diskussion über das Rechtsinstitut der abweichenden Meinung befruchtend auswirkte. Im Rahmen der grundlegenden Novellierung des Gesetzes über den Staatsgerichtshof am 18. Juni 1996255 wurde das Gutachtenverfahren abgeschafft und das Sondervotum in das BremStGHG aufgenommen.256 Zu251

Vgl. BVerfGE 2, 79 (87). Vgl. auch Heyde, Minderheitsvotum, S. 110. 253 Auch gerichtsintern war die Problematik des Gutachtenverfahrens sehr umstritten: Im September 1957 erörterte der Staatsgerichtshof diese Frage noch einmal in einer Plenarsitzung, eine abschließende Erklärung konnte aber nicht erreicht werden. Vgl. hierzu Arndt, FS Rheinstein, S. 133 f.; Koch, S. 144 f. 254 Arndt, S. 133, berichtet, dass gerade das KPD-Urteil von Schulen und anderen um politische Bildung bemühten Stellen als Lehrmaterial angefordert wurde. 255 BremGBl. 1996, S. 179. 252

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gleich wurde auch die vom Staatsgerichtshof seit 1971 angewandte Praxis, in den Entscheidungen das Abstimmungsverhältnis bekannt zu geben257, auf eine gesetzliche Grundlage gestellt.258 2. Der Einfluss der Debatten 1968 auf die Landesverfassungsgerichtsbarkeit Das eindrucksvolle Mehrheitsvotum des 47. Deutschen Juristentages für die Zulassung des Instituts der abweichenden Meinung bei den Verfassungsgerichten sorgte nicht nur auf der Ebene des Bundes für eine entsprechende Gesetzesinitiative. Auch in der Freien und Hansestadt Hamburg gab es kurze Zeit nach Abschluss der Verhandlungen auf dem Juristentag Bestrebungen, im Rahmen einer umfassenden Novellierung des Gesetzes über das Hamburgische Verfassungsgericht259 das Sondervotum beim Hamburgischen Verfassungsgericht einzuführen.260 Am 9. September 1969 brachte die CDU-Fraktion der Hamburger Bürgerschaft einen Gesetzesentwurf ein, der in einem neuen § 17 Abs. 2 HVerfGG das Sondervotum sowie die Möglichkeit der Bekanntgabe des Stimmenverhältnisses in der Gerichtsentscheidung vorsah.261 Das im Rahmen der Beratungen des Rechtsausschusses der Bürgerschaft um Stellungnahme gebetene Hamburgische Verfassungsgericht hielt jedoch zur Zurückhaltung an. Es riet, im Interesse einer bundeseinheitlichen Vorgehensweise in der Frage des Sondervotums erst die parallel laufenden Gesetzgebungsbemühungen im Bund abzuwarten und ein Meinungsbild bei den anderen Bundesländern einzuholen, ob entsprechende Bestimmungen auch für ihre Verfassungsgerichte geplant seien. Seine inhaltlichen Bedenken gegen das Sondervotum verhehlte das Gericht gleichwohl nicht. Die Offenlegung des richterlichen Meinungsstreits werde, führte das Hamburgische Verfassungsgericht aus, die Überzeugungskraft des Urteils und die friedensstiftende Funktion des Gerichts beeinträchtigen.262 Der Rechtsausschuss machte sich den Vorschlag des Verfassungsgerichts, eine bundeseinheitliche Regelung anzustreben, zu Eigen; er ließ aber erkennen, dass er 256

§ 17 Abs. 3 S. 2 BremStGHG. Seit BremStGHE 2, 32 (37). Vgl. auch Pestalozza, § 25, S. 499, Rn. 5, Fn. 9. Kritisch Starck, Sondervoten, S. 313 f.: Mit der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses habe der Gerichtshof dem Beratungsgeheimnis zuwidergehandelt. 258 § 17 Abs. 3 S. 1 BremStGHG. 259 Vom 02.10.1953; in der Fassung vom 29.03.1963 (GVBl. 1963, S. 31). 260 Vgl. hierzu Schläfereit, S. 56 f. 261 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, 6. Wahlperiode, Drs. 6/2308. 262 Schreiben des Hamburgischen Verfassungsgerichts vom 03.12.1969, zitiert bei Schläfereit, S. 56. Vgl. hierzu auch Geck, Sondervoten, S. 319. 257

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die Einführung des Sondervotums prinzipiell begrüßte. Der Ausschuss beschloss sodann, nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens im Bund der Hamburger Bürgerschaft einen neuen Antrag in dieser Sache vorzulegen.263 Nach der Novellierung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes wurde die Einführung des Sondervotums beim Hamburgischen Verfassungsgericht jedoch nicht weiter verfolgt. In den übrigen Bundesländern blieben, soweit ersichtlich, entsprechende Bestrebungen anlässlich des Juristentages und in der unmittelbaren Folgezeit ganz aus.264 3. Die Einführung des Sondervotums beim Hamburgischen Verfassungsgericht Am 2. Februar 1977 legte das Staatsamt der Senatskanzlei dem Hamburgischen Senat einen neuen Entwurf einer Novellierung des Hamburgischen Verfassungsgerichtsgesetzes vor. Dieser enthielt auch eine Regelung über das Sondervotum.265 Der Senat strich diese Bestimmung jedoch wieder aus dem Gesetzesentwurf, da ihm die Zulassung des Sondervotums nicht hinreichend begründet erschien.266 Mit dieser berichtigten Fassung des Gesetzesvorschlags beschäftigte sich im März 1979 der Rechtsausschuss der Hamburger Bürgerschaft. Obwohl der Senatsentwurf die Einführung des Sondervotums nun nicht mehr vorsah, war dies in den Ausschussberatungen eines der beherrschenden Themen.267 Die Mitglieder der SPD äußerten sich zu dem Sondervotum sehr skeptisch. In den anderen Bundesländern habe sich bislang keinerlei Bereitschaft gezeigt, dieses Rechtsinstitut in die Landesverfassungsgerichtsbarkeit zu 263 Bericht des Rechtsausschusses vom 02.02.1970, in: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, 6. Wahlperiode, Drs. 6/2901. 264 Vgl. Ritterspach, S. 1380; Dombert, S. 168. Ein halbes Jahrzehnt nach der Aufnahme des Sondervotums in das BVerfGG gab es in Hessen bei den Vorarbeiten einer Neufassung des Hessischen Staatsgerichtshofsgesetzes (GVBl. I, S. 361) Überlegungen, den Richtern des Staatsgerichtshofs die Möglichkeit offener Sondervoten zu gestatten. Nachdem sich das Plenum des Staatsgerichtshofs jedoch einhellig gegen diesen Vorschlag ausgesprochen hatte, wurde die Einführung des Sondervotums in Hessen nicht weiter verfolgt. Vgl. hierzu Gehb, S. 76 m. w. N. Zur Frage, ob das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung über das Sondervotum die Veröffentlichung abweichender Meinungen beim Hessischen Staatsgerichtshof ausschließt, ders., S. 77 ff. 265 Vgl. hierzu Schläfereit, S. 58 m. w. N. 266 Offenbar habe der Hamburgische Senat, nimmt Schläfereit, S. 58, an, das auch politisch heftig umstrittene Sondervotum nicht verantworten wollen. Vgl. auch von der Wense, S. 54. 267 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, 9. Wahlperiode, Drs. 9/717.

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übernehmen. Insoweit sei die von dem Rechtsausschuss zuvor angeregte bundeseinheitliche Vorgehensweise in dieser Frage kaum noch zu realisieren. Zu bedenken gab die SPD weiterhin, dass sich das Hamburgische Verfassungsgericht in seiner Struktur und Kompetenzzuweisung wesentlich von dem Bundesverfassungsgericht differenziere. Im Gegensatz zu jenem seien beim Hamburgischen Verfassungsgericht auch Laien zur Entscheidung berufen; es sei zweifelhaft, ob diese den sachgerechten Umgang mit dem Sondervotum verstünden. Überdies sei das Hamburgische Verfassungsgericht nicht zur Grundrechtsüberprüfung befugt, zu welcher beim Bundesverfassungsgericht der Großteil aller abweichenden Meinungen erginge.268 Die Oppositionspartei, die CDU, befürwortete das Sondervotum hingegen nach wie vor.269 In den Beratungen des Rechtsausschusses wurde auch der damalige Präsident des Hamburgischen Verfassungsgerichts Stiebeler gehört. Er berichtete, dass sich die Richter des Verfassungsgerichts mehrheitlich gegen das Sondervotum ausgesprochen hätten.270 Der Einführung des Sondervotums stünde vor allem die nach hamburgischem Recht zulässige Wiederwahl der Verfassungsrichter entgegen: Bereits die Möglichkeit des Sondervotums könne einen Richter der Versuchung aussetzen, sich mit Blick auf seine Wiederbestellung bei den hierfür zuständigen Gremien zu profilieren. Die Bekanntgabe einer abweichenden Meinung aus anderen als ausschließlich rechtlichen Erwägungen widerspreche aber der Intention dieser Einrichtung. Stiebeler plädierte dafür, wegen dem möglichen Zusammenhang zwischen dem Sondervotum und dem Bestellungsverfahren das Rechtsinstitut der abweichenden Meinung nur bei festen Amtszeiten von etwa zwölf Jahren ohne Möglichkeit einer Verlängerung zuzulassen. Schließlich, betonte der Gerichtspräsident, seien Sondervotum und Bekanntgabe des Stimmenverhältnisses der Autorität des Gerichts abträglich.271 Der Rechtsausschuss setzte sich jedoch, nachdem im Verlauf der weiteren Beratung die Mitglieder der SPD ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Sondervotum aufgegeben hatten272, über die Bedenken Stiebelers hinweg. Durch die Einführung des Sondervotums erhoffte er sich frühzeitige Hin268 Vgl. die Niederschrift der Ausschusssitzung vom 18.06.1979, in: Senatsakten, Bd. 5. 269 Vgl. die Niederschrift der Ausschusssitzung vom 26.06.1979, in: ebd. 270 Für die Einführung des Sondervotums stimmten nur drei der Mitglieder des Hamburgischen Verfassungsgerichts; diese waren, wie Geck, Sondervoten, S. 319, hervorhebt, die zuletzt bestellten Richter. 271 Vgl. die Niederschrift der Ausschusssitzung vom 04.07.1980, in: Senatsakten, Bd. 5. 272 Ein Motiv für diesen Meinungswandel geht aus den Materialien des Rechtsausschusses nicht hervor. Vgl. auch Geck, Sondervoten, S. 319, Fn. 10.

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weise auf eine bevorstehende Änderung der Verfassungsrechtsprechung. Auch verlange die demokratische Struktur der Gesellschaft, dass den Richtern die öffentliche Bekanntgabe einer abweichenden Meinung ermöglicht werde. Der Ausschuss beschloss einstimmig, in den Entwurf der Gesetzesnovelle eine Bestimmung über das Sondervotum aufzunehmen.273 Das Plenum der Hamburger Bürgerschaft verabschiedete den Entwurf des Rechtsausschusses am 3. März 1982 ebenfalls einstimmig und ohne Aussprache274; am 8. März 1982 wurde das Reformwerk in das Gesetz über das Hamburgische Verfassungsgericht aufgenommen.275 Erstmals sah nun auch ein Landesverfassungsgerichtsgesetz die Möglichkeit vor, dass die Mitglieder des Verfassungsgerichts ihre in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederlegen können und das Gericht in seinen Entscheidungen das Stimmenverhältnis mitteilen kann. Obgleich die umfassende Novellierung des Hamburgischen Verfassungsgerichtsgesetzes von 1982 nicht von der Absicht geleitet war, eine größtmögliche Angleichung des Landesrechts an die bundesrechtlichen Regelungen zu schaf273 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Bericht des Rechtsausschusses vom 26.01.1982, Drs. 9/4138. Dem § 18 HVerfGG sollten folgende neue Absätze 4 und 5 hinzugefügt werden: (Abs. 4) „Jedes Mitglied des Gerichts kann seine in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederlegen; das Sondervotum ist der Entscheidung anzuschließen“. (Abs. 5) „Das Verfassungsgericht kann in seinen Entscheidungen das Stimmverhältnis mitteilen“. Für diese Entscheidung dürfte, wie Schläfereit, S. 174, vermutet, eine politische Motivation letztlich den Ausschlag gegeben haben. 274 Stenogr. Berichte der Bürgerschaft über die Sitzungen der 9. Wahlperiode, Bd. 7, 93. Sitzung vom 03.03.1982, S. 5458. Die Bestimmungen über das Sondervotum und die Bekanntgabe des Stimmenverhältnisses wurden jedoch – bei unverändertem Wortlaut – als Abs. 4 und 5 des § 22 HVerfGG normiert. Die Systematik des § 22 HVerfGG verdeutlicht den Ausnahmecharakter des Sondervotums: Gemäß § 22 Abs. 1 dürfen bei der Beratung und Abstimmung nur die zur Entscheidung berufenen Mitglieder des Verfassungsgerichts anwesend sein. Abs. 3 dieser Vorschrift verpflichtet alle Mitglieder des Verfassungsgerichts, über den Hergang der Beratung und das Abstimmungsverhältnis Stillschweigen gegen jedermann zu bewahren. Diese richterliche Verschwiegenheitspflicht ergänzt das in § 19 Abs. 3 HVerfGG festgelegte Prinzip der geheimen Gerichtsberatung. Der Abs. 3 des § 22 HVerfGG wurde erst im Zuge der Gesetzesnovelle 1982 in das Hamburgische Verfassungsgerichtsgesetz aufgenommen, zuvor war die spezielle Stillschweigepflicht über Beratung und Abstimmung in § 11 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Hamburgischen Verfassungsgerichts geregelt. Der § 22 Abs. 4 HVerfGG entbindet den Richter insoweit partiell von dieser Schweigepflicht. Vgl. hierzu Starck, Sondervoten, S. 289; Schläfereit, S. 175 ff. Zum Verhältnis des § 22 Abs. 4 HVerfGG zu den Vorschriften des Deutschen Richtergesetzes und des Hamburgischen Richtergesetzes von der Wense, S. 53 f. 275 GVBl. 1982 I, S. 53.

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fen276, ist doch für die Regelung über das Sondervotum die Patenschaft des § 30 Abs. 2 BVerfGG unverkennbar. Dies belegt nicht nur der identisch gefasste Wortlaut beider Normen. Auch das in der Geschäftsordnung des Hamburgischen Verfassungsgerichts geregelte Verfahren bei der Abgabe eines Sondervotums277 orientiert sich weitgehend an dem Inhalt der entsprechenden Vorschrift der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts. In der bisherigen Rechtsprechung des Hamburgischen Verfassungsgerichts haben Sondervoten allerdings keine besondere Relevanz erlangt.278 4. Die Diskussion über das Sondervotum bei der Errichtung einer Landesverfassungsgerichtsbarkeit in Berlin und in den neuen Ländern Als nach der Wiedervereinigung in Berlin und den neuen Ländern Landesverfassungsgerichte konstituiert wurden, lebte das Interesse an dem bis dahin fast in Vergessenheit geratenen Rechtsinstitut der abweichenden Meinung279 wieder auf. Die Länder Berlin, Brandenburg und Thüringen nahmen das Sondervotum bereits in ihre Entwürfe für ein Landesverfassungsgerichtsgesetz auf. In den übrigen Ländern – Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt – wurde die Frage, ob ein überstimmter Verfassungsrichter seine abweichende Meinung bekannt geben kann, ein essentieller Gegenstand der Gesetzesberatungen.280 a) Berlin Noch vor der Neufassung des die Grundlagen des Berliner Verfassungsgerichtshofes regelnden Art. 72 Verf Bln brachte die CDU-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses einen Entwurf für ein Verfassungsgerichtshofsgesetz ein. Dieser erklärte in einem § 9 die allgemeinen Verfahrensvorschriften des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht auf das Verfahren des Berliner Verfassungsgerichtshofs für entsprechend anwendbar, bezog also auch die Möglichkeit des Sondervotums nach § 30 Abs. 2 BVerfGG ein.281 276 Schläfereit, S. 64, stellt bei einem Vergleich beider Verfahrensgesetze sogar eine deutliche Abkehr der hamburgischen Vorschriften von den Bundesregelungen fest. 277 §§ 27, 28 der Geschäftsordnung vom 11.02.1983 (GVBl. 1983, S. 65). 278 Vgl. von der Wense, S. 54; Schläfereit, S. 177 m. w. N. 279 Es sei still geworden um das Sondervotum, konstatierte 1987 Ritterspach, S. 1379. 280 Vgl. hierzu auch Heimann, S. 119 ff. 281 Antrag der Fraktion der CDU für ein Verfassungsgerichtshofsgesetz vom 23.08.1990, Abgeordnetenhaus von Berlin, Drs. 11/1066, S. 3.

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Wenig später folgte ein eigenständigerer Gesetzesentwurf der Regierungsfraktionen der SPD und Grüne/AL, der in einem § 30 Abs. 2 VerfGHG Bln eine dem § 30 Abs. 2 BVerfGG identische Regelung enthielt.282 Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses orientierte sich am Entwurf der Regierungskoalition; allerdings wurde die Regelung über das Sondervotum und die Bekanntgabe des Stimmenverhältnisses nunmehr in § 29 Abs. 2 VerfGHG Bln normiert.283 Das Abgeordnetenhaus nahm das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof in der Fassung dieser Beschlussempfehlung einstimmig an.284 Weder dort noch in den Beratungen des Rechtsausschusses wurde die Problematik des Sondervotums angesprochen.285 b) Brandenburg In Brandenburg reichten die Fraktionen der SPD, CDU, PDS-LL, FDP und Bündnis 90 gemeinsam einen Entwurf für ein Gesetz über das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg ein. In § 27 Abs. 2 VerfGG Bbg war die Möglichkeit eines Sondervotums sowie der Mitteilung des Stimmenverhältnisses vorgesehen; diese Regelung entsprach wörtlich dem § 30 Abs. 2 BVerfGG.286 Der Landtag übernahm den Gesetzesentwurf unverändert.287 Auch in Brandenburg wurden das Sondervotum und die Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses im Parlament nicht beraten.

282 Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Grüne/AL für ein Gesetz über den Verfassungsgerichtshof vom 10.09.1990, Abgeordnetenhaus von Berlin, Drs. 11/1113, S. 4. 283 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 18.10.1990 zum Antrag der Fraktionen der SPD und Grüne/AL zum Gesetz über den Verfassungsgerichtshof und zu dem Antrag der Fraktion der CDU zum Verfassungsgerichtshofsgesetz, Abgeordnetenhaus von Berlin, Drs. 11/1285, S. 4. 284 Abgeordnetenhaus von Berlin, 2. Lesung vom 24.10.1990, Plenarprotokoll 11/45, S. 2340 f. Einen Monat später verabschiedete die Stadtverordnetenversammlung von Berlin (Ost) ein wortgleiches Verfassungsgerichtshofsgesetz (GVABl. 1990, S. 510). Der Entwurf der Westberliner Regierungskoalition wurde mit geringfügigen Abweichungen von den Fraktionen der SPD und der CDU/DA auch in der Stadtverordnetenversammlung eingebracht, vgl. StVV, Drs. 1/169. Vgl. zur Entstehung des Berliner VerfGHG auch Wille, S. 28 f.; Heimann, S. 6 ff.; Körting/Schmidt LKV 1998, S. 122 m. w. N. 285 Eine Erklärung hierfür ist aus den Materialien nicht ersichtlich. 286 Entwurf für das Gesetz über das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg vom 10.03.1993, Landtag Brandenburg, Drs. 1/1750, S. 12. 287 Landtag Brandenburg, Plenarprotokoll 1/73, S. 5844.

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c) Mecklenburg-Vorpommern In den Beratungen des Verfassungsgerichtsgesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern nahm die Problematik des Sondervotums hingegen breiten Raum ein. Der von der Landesregierung eingebrachte Gesetzesentwurf enthielt weder eine Regelung über das Sondervotum noch über die Bekanntgabe des Stimmenverhältnisses, sondern schrieb in § 26 LVerfGG MV die Stillschweigepflicht der Verfassungsrichter über den Hergang der Beratung und der Abstimmung vor.288 Im Rahmen der von dem Rechtsausschuss des Landtages durchgeführten Sachverständigenanhörung zum Gesetzesentwurf baten die Fraktionen der CDU und der LL/PDS um Beantwortung der Frage, ob beide Instrumente nicht doch in das Landesverfassungsgerichtsgesetz aufgenommen werden sollten.289 Der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern Haack sprach sich mit Nachdruck sowohl gegen das Sondervotum als auch gegen die Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses aus: Das Ergebnis der Beratung und der Abstimmung müsse vom Kollegium als Ganzem getragen werden, um die notwendige Autorität und Geltung des Richterspruchs sicherzustellen.290 Die Bekanntgabe eines Sondervotums könne im Hinblick auf eine Wiederwahlmöglichkeit von Richtern Spekulationen eröffnen, dass bei einer Neubesetzung des Gerichts die Rechtsprechung geändert werde. Ebenso stehe zu befürchten, dass durch die Zulassung von Sondervoten die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt werde. Vor allem jene Richter, die öffentliche Auseinandersetzungen über ihr Abstimmungsverhalten scheuen oder ihre Chancen zur Wiederbestellung verbessern wollen, könnten sich zur Abgabe einer abweichenden Meinung veranlasst sehen. Zwar sei davon auszugehen, dass die in ein Landesverfassungsgericht gewählten Persönlichkeiten in der Regel einer solchen Versuchung widerstehen würden; es müsse aber bereits jeder Anschein vermieden werden, dass sich einzelne Richter bestimmten Interessengruppen und Parteien verpflichtet fühlen und ihr Verhalten in Sondervoten hiernach ausrichten. Entsprechendes gelte für die Frage der Mitteilung des Stimmenverhältnisses in den Entscheidungen; auch dadurch könnten Verfassungsrichter mit bestimmten Auffassungen in 288 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern vom 15.02.1994, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Drs. 1/4132, S. 17. 289 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Anlage 3 zum Protokoll der 109. Sitzung des Rechtsausschusses am 24.03.1994, S. 1 f. 290 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Stellungnahme des Sachverständigen Haack vom 21.04.1994 zum Entwurf des Landesverfassungsgerichtsgesetzes, S. 5; vgl. auch das Protokoll der 113. Sitzung des Rechtsausschusses am 28.04.1994, S. 12.

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Verbindung gebracht werden.291 Diese Bedenken wären anders zu beurteilen, räumte Haack ein, wenn die Absicherung der Unabhängigkeit in gleicher Weise institutionalisiert würde, wie dies beim Bundesverfassungsgericht der Fall sei.292 Jedenfalls sei kein Gerichtsmitglied an der Fertigung eines internen Votums gehindert.293 Ablehnend äußerte sich auch der Präsident des Oberlandesgerichts Hausmanns. In der Verfassungsgerichtsbarkeit werde die Offenlegung abweichender Meinungen und des Stimmenverhältnisses zwar als Ausdruck modernen Rechtsdenkens gesehen; Modernes sei aber nicht stets wesensbedingt gut. Eine gerichtliche Entscheidung könne ihrer Befriedungsfunktion nur schwerlich gerecht werden, wenn sich das Gericht durch die Artikulierung interner Differenzen selbst in Frage stelle.294 Wie Haack befürchtete Hausmanns, dass die Möglichkeit des Sondervotums die Unabhängigkeit des Richters beeinträchtige. Insbesondere in Fällen mit hochpolitischer Brisanz könnten einzelne Richter den Druck empfinden, gegenüber der Öffentlichkeit oder den sie unterstützenden Kreisen eine Verlautbarung in einem bestimmten Sinn abgeben zu müssen; dies führe zu einer sachfremden Voreingenommenheit.295 Wenig überzeugend erschien ihm das Argument der die Wissenschaft stimulierenden Transparenz des gerichtlichen Entscheidungsvorganges. Wissenschaftliche Exploration könne bereits dadurch ermöglicht werden, dass in der Begründung der Entscheidung die einzelnen Sachargumente abgewogen werden.296 Eher zurückhaltend fiel die Einschätzung Starcks aus. Er sei zwar kein Gegner des Sondervotums, bekannte Starck, dennoch könne er im Stadium der Errichtung des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern die Einführung dieses Instruments nicht anraten: Es müsse für das Gericht zunächst einmal darauf ankommen, durch eine kontinuierliche Rechtspre291

Landtag Mecklenburg Vorpommern, 1. Wahlperiode, Stellungnahme des Sachverständigen Haack vom 21.04.1994 zum Entwurf des Landesverfassungsgerichtsgesetzes, S. 6; vgl. auch das Protokoll der 113. Sitzung des Rechtsausschusses am 28.04.1994, S. 13. 292 Landtag Mecklenburg Vorpommern, 1. Wahlperiode, Stellungnahme des Sachverständigen Haack vom 21.04.1994 zum Entwurf des Landesverfassungsgerichtsgesetzes, S. 5; vgl. auch das Protokoll der 113. Sitzung des Rechtsausschusses am 28.04.1994, S. 13. 293 Landtag Mecklenburg Vorpommern, 1. Wahlperiode, Stellungnahme des Sachverständigen Haack vom 21.04.1994 zum Entwurf des Landesverfassungsgerichtsgesetzes, S. 5. 294 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Stellungnahme des Sachverständigen Hausmanns vom 21.04.1994 zum Entwurf des Landesverfassungsgerichtsgesetzes, S. 5. 295 Ebd., S. 6. 296 Ebd., S. 6.

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chung in der Bevölkerung Ansehen zu gewinnen. Diesem Ziel sei es nicht dienlich, wenn ein Verfassungsrichter den gerichtlichen Spruch in einem abweichenden Votum sogleich wieder bestreite. Starck empfahl, zuerst abzuwarten, wie häufig das Landesverfassungsgericht angerufen werde und wie sich seine Rechtsprechungspraxis entwickle. In 15 oder 20 Jahren könne dann noch einmal über die Einführung des Sondervotums nachgedacht werden; hierzu könne auch die Meinung der Verfassungsrichter hilfreich sein.297 Wenn den Richtern die Möglichkeit des öffentlichen Sondervotums eingeräumt werde, resümierte Starck, bestehe jedenfalls die Gefahr, dass sie um der persönlichen Profilierung willen das Interesse verlieren könnten, einen für alle tragbaren Konsens zu suchen.298 Für die Einführung des Sondervotums trat hingegen der ehemalige Präsident des Hamburgischen Verfassungsgerichts Plambeck ein. Die gegen das Sondervotum vorgebrachten Zweifel seien zwar bei anderen Gerichtsbarkeiten gerechtfertigt, ein Verfassungsgericht nehme aber eine besondere Rolle ein: Dort sei das Institut der abweichenden Meinung ein rechtspolitisch sinnvolles Instrument für die Rechtsfortbildung, welches die Verfassungsentwicklung stabilisieren und auch Zeichen für die Zukunft setzen könne.299 Dass eine Abhängigkeit der Verfassungsrichter von der sie „entsendenden“ Partei bestünde, habe er nach seiner Erfahrung beim Hamburgischen Verfassungsgericht nicht erlebt; eher hätten sich die Richter nach der Amtsübernahme gegenüber der eigenen Partei als besonders unabhängig erwiesen.300 Für die Bekanntgabe des Stimmenverhältnisses konnte Plambeck indes kein Bedürfnis erkennen.301 Auch Karpen hielt die bloße Angabe des Abstimmungsergebnisses in der gerichtlichen Entscheidung für wenig nützlich.302 Hinsichtlich des Sondervotums legte der Universitätsprofessor den Abgeordneten jedoch nahe, dem Vorbild des § 30 Abs. 2 BVerfGG zu folgen. Gerade in einem Verfassungsgericht gebe es keinen Grund, die Fassade der Einstimmigkeit aufrechtzuerhalten. Der rechtssuchende Bürger wisse nunmehr, dass die Verfahren zu 297 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Stellungnahme des Sachverständigen Starck vom 18.04.1994 zum Entwurf des Landesverfassungsgerichtsgesetzes, S. 2; Protokoll der 113. Sitzung des Rechtsausschusses am 28.04.1994, S. 45. 298 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Stellungnahme des Sachverständigen Starck vom 18.04.1994 zum Entwurf des Landesverfassungsgerichtsgesetzes, S. 5; Protokoll der 113. Sitzung des Rechtsausschusses am 28.04.1994, S. 45. 299 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Protokoll der 113. Sitzung des Rechtsausschusses am 28.04.1994, S. 27. 300 Ebd., S. 28. 301 Ebd., S. 27 f. 302 Ebd., S. 31.

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komplex und zu politisch aufgeladen seien, um einhellig entschieden werden zu können.303 Karpen sah den entscheidenden Grund für das Sondervotum darin, dass es wichtige Argumente bekannt machen und neue Tendenzen in der Rechtsprechung ankündigen könne; hierzu führte er zahlreiche Beispiele aus der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts an.304 Einen Verlust an der Solidität und Einheit der Rechtsprechung durch Sondervoten habe er dabei nicht beobachten können.305 Dezidiert sprach sich von Mutius für die Zulassung des Sondervotums und die Offenlegung des Abstimmungsergebnisses aus, da sich beide Instrumente nach der Einführung in das Bundesverfassungsgerichtsgesetz bewährt hätten. Die Überzeugungskraft und die Akzeptanz der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen hätten darunter in keiner Weise gelitten.306 Dass die Möglichkeit eines Sondervotums die Unabhängigkeit der Verfassungsrichter verletzen könne, glaubte von Mutius nicht. Es gebe genügend Beispiele dafür, dass die Vermutung, ein Richter werde nach dem Gusto desjenigen Lagers entscheiden, aus dem er stamme, gänzlich unzutreffend sei. Vielmehr vollziehe sich nach dem Wahlakt häufig ein Rollenwandel in der Funktion und der Argumentation der Richter, welcher die parteipolitische Orientierung zurücktreten lasse.307 Nach der Sachverständigenanhörung beantragte die CDU-Fraktion, den § 26 des Regierungsentwurfs um einen Abs. 5 zu ergänzen, der jedem Gerichtsmitglied das Recht eines Sondervotums gestattet.308 Im Ausschuss 303 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Stellungnahme des Sachverständigen Karpen vom 19.04.1994 zum Entwurf des Landesverfassungsgerichtsgesetzes, S. 1 f.; vgl. auch das Protokoll der 113. Sitzung des Rechtsausschusses am 28.04.1994, S. 30. 304 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Stellungnahme des Sachverständigen Karpen vom 19.04.1994 zum Entwurf des Landesverfassungsgerichtsgesetzes, S. 2; Protokoll der 113. Sitzung des Rechtsausschusses am 28.04.1994, S. 30 f. 305 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Protokoll der 113. Sitzung des Rechtsausschusses am 28.04.1994, S. 32. 306 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Stellungnahme des Sachverständigen von Mutius vom 25.04.1994 zum Entwurf des Landesverfassungsgerichtsgesetzes, S. 4; vgl. auch das Protokoll der 113. Sitzung des Rechtsausschusses am 28.04.1994, S. 38. 307 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Protokoll der 113. Sitzung des Rechtsausschusses am 28.04.1994, S. 38 f. 308 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Protokoll der 119. Sitzung des Rechtsausschusses am 09.06.1994, S. 8. Der neue § 26 Abs. 5 sollte folgenden Wortlaut haben: „Jedes Mitglied des Landesverfassungsgerichts kann seine in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederlegen, das der Entscheidung anzuschließen ist.“

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herrschte Einvernehmen darüber, dass das In-Kraft-Treten dieses neuen Abs. 5 bis zum 1. Januar 2002 ausgesetzt werden sollte; hierdurch sollte dem Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern zunächst eine längere Phase der Konsolidierung ermöglicht werden. Schließlich wurde der § 26 in der Fassung des Änderungsantrags vom Ausschuss mit den Stimmen der Koalitions- und Oppositionsfraktionen in die Beschlussempfehlung aufgenommen.309 In der zweiten Lesung des Landesverfassungsgerichtsgesetzes bezeichnete der Abg. Eggert die verzögerte Zulassung des Sondervotums als einen halbherzigen Kompromiss, der jeden rechtspolitischen Fortschritt missen lasse.310 Auch der Abg. Schoenenburg hielt die Beschlussempfehlung für inakzeptabel. Es gebe keinen Grund, ein Landesverfassungsgericht vor Kritik zu schützen. Vielmehr müsse an seine Entscheidungen Luft und Licht gelassen werden.311 Die Fraktion der LL/PDS beantragte, die Bekanntgabe des Stimmenverhältnisses durch das Gericht gesetzlich vorzuschreiben312; außerdem sollte die Möglichkeit des Sondervotums sogleich zugelassen werden.313 Der Innenminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern Geil hielt dagegen, dass das Sondervotum auch beim Bundesverfassungsgericht erst dann eingeführt worden sei, nachdem sich dieses Gericht in einer rund zwanzigjährigen Rechtsprechungspraxis bewährt habe.314 In der Einzelabstimmung im Plenum des Landtages wurde der Änderungsantrag der LL/ PDS abgelehnt und der § 26 in der Form der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses verabschiedet.315 In der zweiten Legislaturperiode legte die Landesregierung einen Änderungsgesetzentwurf vor, nach dem das Recht zur Bekanntgabe einer abweichenden Meinung mit sofortiger Wirkung zugelassen werden sollte.316 In der Begründung ihres Änderungsentwurfs führte sie aus, es bestünde kein 309 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Protokoll der 119. Sitzung des Rechtsausschusses am 9.6.1994, S. 8; vgl. auch die Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Gesetzesentwurf der Landesregierung, Drs. 1/4615, S. 25 und den Bericht des Abg. Buske, S. 49. 310 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 1/106, S. 6487. 311 Ebd., S. 6490 f. 312 Dem § 26 Abs. 5 in der Fassung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses sollte folgender Satz angefügt werden: „Das Stimmenverhältnis ist in der Entscheidung mitzuteilen“. 313 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Änderungsantrag der LL-PDS, Drs. 1/4648. 314 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 1/106, S. 6493. 315 Ebd., S. 6495. 316 Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern vom 11.01.1995, S. 4 ff., Drs. 2/45.

VI. Sondervotum in der Verfassungsgerichtsbarkeit der Bundesländer

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Grund für die Annahme, dass die Mitglieder des Landesverfassungsgerichts nicht bereits vom Zeitpunkt der Konstituierung des Gerichts an von der Möglichkeit des Sondervotums in verantwortlicher und das Ansehen des Gerichts nicht beschädigender Weise Gebrauch machen würden.317 Das Plenum des Landtags stimmte dem Ansinnen der Landesregierung mit großer Mehrheit zu.318 d) Sachsen Auch bei den Beratungen des Sächsischen Verfassungsgerichtshofsgesetzes spielte die Frage, ob den Richtern die Veröffentlichung von Sondervoten und dem Gericht die Mitteilung des Stimmenverhältnisses in der Entscheidung ermöglicht werden sollte, eine besondere Rolle. Der Gesetzesentwurf der Sächsischen Staatsregierung schloss in § 13 SächsVerfGHG319 die Anwendung des § 30 Abs. 2 BVerfGG auf das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof explizit aus, untersagte also sowohl das Sondervotum als auch die Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses.320 Die Staatsregierung befürchtete, dass beide Einrichtungen jedenfalls in der Anfangsphase der Rechtsprechungstätigkeit des Verfassungsgerichtshofs die Autorität des verfassungsgerichtlichen Spruches eher relativieren als stärken könnten. So habe sich auch der Bundesgesetzgeber erst nach rund zwanzigjähriger Praxis des Bundesverfassungsgerichts für die Einführung dieser Instrumente in das BVerfGG entschieden. Die meisten Landesverfassungsgerichtsgesetze seien diesem Schritt bis heute nicht gefolgt.321 In der ersten Lesung des Gesetzesentwurfs im Sächsischen Landtag wurde Kritik an dem § 13 SächsVerfGHG laut. Der Abg. Donner bezweifelte, dass durch die Zulassung des Sondervotums die Autorität des Verfassungsgerichtshofs beeinträchtigt werde; die Bevölkerung des Freistaates Sachsen werde auch mit einem differenzierten Urteil umgehen können.322 317

Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Begründung des Änderungsgesetzentwurfs der Landesregierung, S. 5 f., Drs. 2/45. 318 Die Gesetzesmaterialien geben keinen Aufschluss darüber, wie es zu diesem Meinungswandel im Plenum kam. 319 Als Abweichung von § 10 Abs. 1 SächsVerfGHG, der in Form einer dynamischen Verweisung die entsprechende Anwendung der für das Bundesverfassungsgericht geltenden allgemeinen Verfahrensvorschriften vorschrieb. Vgl. hierzu oben sub B. VI. 320 Sächsischer Landtag, Entwurf der Sächsischen Staatsregierung für ein Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen vom 11.11.1992, Drs. 1/2486, S. 10. 321 Ebd., S. 38 f. 322 Sächsischer Landtag, 1. Lesung des Entwurfs zum Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen am 19.11.1992, Abg. Donner (Bündnis

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

Im Verfassungs- und Rechtsausschuss des Landtages nahmen mehrere Sachverständige zur Problematik des Sondervotums Stellung. Ein Plädoyer für die Veröffentlichung abweichender Meinungen hielt der Richter des Bremischen Staatsgerichtshofes Rinken: Das Sondervotum sei Ausdruck eines demokratieadäquaten und diskursiven Rechtsverständnisses.323 Eine publizierte abweichende Meinung nehme der verfassungsgerichtlichen Entscheidung die Fiktion der Einzigrichtigkeit und erhöhe, indem sie den Entscheidungsvorgang transparenter gestalte, die Chancen einer öffentlichen Kontrolle des Gerichts.324 Um insbesondere die Befürchtung einer opportunistischen Wahrnehmung des Sondervotums als „taktischen Schachzug“ eines Verfassungsrichters zugunsten einer erstrebten Wiederwahl zu entkräften, betonte Rinken jedoch nachdrücklich, dass es bei der Zulassung des Sondervotums auf die konkrete Ausgestaltung des Verfassungsgerichtsgesetzes ankomme325: Optimal für das Sondervotum sei wegen der langen Wahlperiode, dem hohen Quorum der Zweidrittelmehrheit, der gestaffelten Wahlzeit und dem Ausschluss der Wiederwahl das Modell des Bundesverfassungsgerichtes. Da die Regelungen in Sachsen bis auf die Möglichkeit der Wiederbestellung weitgehend denjenigen des Bundes entsprächen, bestünde beim Sächsischen Verfassungsgerichtshof die Gefahr eines derartigen Missbrauchs des Sondervotums nicht.326 Körting wies dem Rechtsinstitut der abweichenden Meinung in der bisherigen Verfassungsrechtsprechung der Länder zwar keine ganz zentrale, aber eine doch positive Rolle zu. Gerade in der Landesverfassungsgerichtsbarkeit spreche einiges für die Einführung von Sondervoten: Da das Verfassungsrecht eines Landes im wissenschaftlichen Schrifttum zumeist nur in begrenzten Teilbereichen oder bei bestimmten aktuellen Anlässen behandelt werde, könne die Veröffentlichung eines Sondervotums die Weiterentwicklung des Verfassungsrechts anregen; dies sei für die Verfassungsdiskussion in einem Land von nicht zu unterschätzender Bedeutung.327 Dies fand bei von Mangoldt keinen Beifall: Eine Fortbildung des Verfassungsrechts komme nur dann in Betracht, wenn sich eine umfassende Verfassungsrechtsprechung ausbilde; darauf sei die Sächsische Verfassung auf90/Grüne), Plenarprotokoll 1/56, S. 3892. Kritisch auch der Abg. Kunzmann (SPD), ebd., S. 3890. 323 Sächsischer Landtag, 1. Wahlperiode, Protokoll der Anhörung zum Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen im Verfassungs- und Rechtsausschuss am 11.01.1993, S. 5. 324 Ebd., S. 5. 325 Ebd., S. 6. 326 Ebd., S. 7. 327 Ebd., S. 14.

VI. Sondervotum in der Verfassungsgerichtsbarkeit der Bundesländer

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grund der nur ehren- bzw. nebenamtlichen Tätigkeit der Verfassungsrichter aber nicht ausgerichtet. Hierfür spreche auch die Erfahrung bei den übrigen Landesverfassungsgerichten, bei denen sich durchweg kein umfangreicher Rechtsprechungskorpus gebildet habe.328 Ohnehin habe sich die Mehrheit der Länder gegen die Einführung des offenen Sondervotums entschieden. Auch vertrage eine weitgehend juristisch entwickelte Verfassung wie die sächsische nicht das Urteil, dass sie in allen wesentlichen Streitfragen im Grunde keinen festen Entscheidungsmaßstab gewähre und infolgedessen ein politisch geöffnetes Verfahren im Verfassungsgerichtshof vorherrschen müsse.329 Anlass zu Bedenken gab von Mangoldt vor allem die Mitwirkung von Laienrichtern im Gericht. Da diese sich mit der Abfassung eines Sondervotums schwerer tun könnten als die Mitglieder mit der Qualifikation des Volljuristen, sei anzunehmen, dass eine abweichende Meinung dann mehr von politischen Erwägungen getragen werde. Indes sei es wünschenswert, appellierte von Mangoldt an die Abgeordneten, dass auch die Verfassungsrechtsprechung noch Rechtsprechung bleibe.330 In der folgenden Diskussion vertieften die Sachverständigen ihre Ausführungen zum Sondervotum. Rinken hob hervor, dass die Laienrichter aus Gründen der Gleichbehandlung nicht von dem Recht des Sondervotums ausgeschlossen sein dürften; eine Art „Splitting“ des Sondervotums für Berufsrichter einerseits und für Laienrichter andererseits hielt er für absurd.331 Körting trat der Befürchtung von Mangoldts entgegen, dass Sondervoten als politisches Instrument der Minderheit missbraucht werden könnten: Ein Verfassungsrichter, der in einem Sondervotum in politische Polemik ausarte, würde sich selbst disqualifizieren. Körting betonte, dass die Meinungsvielfalt, welche aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen Ansätze der Richter in einem Landesverfassungsgericht herrsche, auch in einem Sondervotum zum Ausdruck gebracht werden müsse.332 Von Mangoldt blieb weiterhin skeptisch: Öffentliche Sondervoten könnten zu einem Druck auf die Richter führen, künftig anders zu entscheiden. Abweichende Rechtsansichten sollten daher vielmehr in gerichtsinternen Voten, die den Richtern ohne weiteres zur Verfügung ständen, festgehalten werden.333 Ein scharf formuliertes Sondervotum könne zudem die Befriedungsfunktion der verfassungsgerichtlichen Entscheidung beeinträchtigen.334 Schließlich dürfe nicht außer 328 329 330 331 332 333 334

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. S. S. S. S. S. S.

23. 22. 23. 38. 41. 43. 44.

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

Betracht bleiben, dass die Möglichkeit zu Sondervoten bei den nur ehrenbzw. nebenamtlichen Verfassungsrichtern die Versuchung erwecken könne, sich mit Blick auf ihren hauptberuflichen Erwerbszweig zu profilieren.335 In der abschließenden Sitzung des Verfassungs- und Rechtsausschusses am 13. Januar 1993 beantragte die Fraktion der FDP, den § 13 SächsVerfGHG zu streichen; die Fraktionen der SPD und des Bündnis 90/Grüne schlossen sich diesem Antrag an. Die SPD verwies darauf, dass die Abgabe von Sondervoten sowohl bei dem Bundesverfassungsgericht als auch bei den Landesverfassungsgerichten in Bayern, Berlin und Hamburg zulässig sei. Der Antrag wurde mit einer Stimme Mehrheit abgelehnt.336 Die LL/ PDS regte als Kompromiss an, ein anonymes Sondervotum337 nach bayerischem Vorbild einzuführen.338 Durch die anonyme Veröffentlichung einer abweichenden Meinung ließen sich, begründete die LL/PDS ihren Antrag, viele gegen das Sondervotum vorgebrachte Gründe ausschließen. Auch dieser Antrag fand keine Zustimmung. Der Verfassungs- und Rechtsausschuss beschloss sodann, den § 13 des Regierungsentwurfs unverändert in seine Beschlussempfehlung aufzunehmen.339 Für die zweite Lesung des Verfassungsgerichtshofsgesetzes im Landtag legten die Fraktionen der SPD und der LL/PDS je einen Änderungsantrag zu § 13 SächsVerfGHG in der Fassung der Beschlussempfehlung vor. Die SPD forderte in ihrem Antrag die Streichung dieser Vorschrift. Weder die 335

Ebd., S. 45. Sächsischer Landtag, 1. Wahlperiode, Protokoll der 32. Sitzung des Verfassungs- und Rechtsausschusses am 13.01.1993, S. 12; vgl. auch die Begründung des Änderungsantrages des Bündnis90/Grüne zur Streichung des § 13 SächsVerfGHG in Anlage 3, S. 3 des Protokolls. Vgl. auch den Bericht des Verfassungs- und Rechtsausschusses, in: Beschlussempfehlung und Bericht des Verfassungs- und Rechtsausschusses zum Gesetz über den Verfassungsgerichtshof vom 19.01.1993, Sächsischer Landtag, Drs. 1/2696, S. 5. 337 Der § 13 sollte nach dem Antrag der Fraktion der LL/PDS wie folgt gefasst werden: „Jedes Mitglied kann seine in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederlegen; das Sondervotum ist der Entscheidung ohne Angabe des Verfassers anzuschließen“. 338 Sächsischer Landtag, 1. Wahlperiode, Protokoll der 32. Sitzung des Verfassungs- und Rechtsausschusses am 13.01.1993, S. 12; vgl. auch den Bericht des Verfassungs- und Rechtsausschusses, in: Beschlussempfehlung und Bericht des Verfassungs- und Rechtsausschusses zum Gesetz über den Verfassungsgerichtshof vom 19.01.1993, Sächsischer Landtag, Drs. 1/2696, S. 5. 339 Sächsischer Landtag, 1. Wahlperiode, Protokoll der 32. Sitzung des Verfassungs- und Rechtsausschusses am 13.01.1993, S. 12; Beschlussempfehlung und Bericht des Verfassungs- und Rechtsausschusses zum Gesetz über den Verfassungsgerichtshof vom 19.01.1993, Sächsischer Landtag, Drs. 1/2696, S. 11. Vgl. auch den Bericht des Verfassungs- und Rechtsausschusses, ebd., S. 6. 336

VI. Sondervotum in der Verfassungsgerichtsbarkeit der Bundesländer

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Autorität des Bundesverfassungsgerichts noch die Akzeptanz der bislang ergangenen Urteile hätten unter der Bekanntgabe von Sondervoten gelitten. Vielmehr habe das Sondervotum die rechtswissenschaftliche Diskussion und Forschung bereichern und befruchten können. Die in der Sachverständigenanhörung geäußerte Skepsis hinsichtlich der befriedenden Wirkung von Sondervoten teilte die SPD nicht. Eine veröffentlichte abweichende Meinung lasse die Mehrheitsentscheidung für die unterlegene Seite eher tragbar erscheinen. Zugleich könne das Gericht seiner Entscheidung durch die Mitteilung, dass sie einstimmig gefällt worden sei, noch ein besonderes Gewicht verleihen. Der gesetzliche Ausschluss des Sondervotums nähre dagegen die wirklichkeitsferne Unfehlbarkeitsfiktion und gehe von einem obrigkeitsstaatlichen Rechtsprechungsverständnis aus.340 Die Fraktion der LL/PDS bemühte sich erneut um das anonymisierte Sondervotum.341 Damit, führte sie in der Begründung ihres Antrages aus, lasse sich die in der Sachverständigenanhörung geäußerte Befürchtung entkräften, einzelne Richter könnten das Rechtsinstitut der abweichenden Meinung zur persönlichen Profilierung nutzen. Auch ein ohne namentliche Nennung des abweichenden Richters bekannt gegebenes Votum könne einen Einblick in den gerichtlichen Rechtsfindungsvorgang ermöglichen sowie die Auseinandersetzung mit dem geltenden Recht beleben.342 In der zweiten Lesung führte die Frage des Sondervotums zu erheblichen Kontroversen. Die Oppositionsfraktionen der SPD, LL/PDS, FDP und des Bündnis90/Grüne warfen der Staatsregierung vor, sich durch den Ausschluss der Sondervoten möglichst wenig Kritik seitens des Verfassungsgerichtshofes aussetzen zu wollen.343 Das sächsische Verfassungsgerichtshofgesetz sei nicht zeitgemäß, es liege in seiner Entwicklungsstufe vielmehr 20 Jahre zurück.344 Gerade bei einer hochrangigen Institution wie dem Verfassungsgerichtshof sei eine weitreichende Transparenz wünschenswert.345 340 Änderungsantrag der Fraktion der SPD vom 20.01.1993 zur Beschlussempfehlung des Verfassungs- und Rechtsausschusses zum Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen, Sächsischer Landtag, Drs. 1/2743. 341 Dem § 13 SächsVerfGHG sollte folgende neue Fassung gegeben werden: „Jedes Mitglied kann seine in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederlegen; das Sondervotum ist der Entscheidung ohne Angabe des Verfassers anzuschließen und gemeinsam mit der Entscheidung zu veröffentlichen“. 342 Änderungsantrag der Fraktion der LL/PDS vom 20.01.1993 zur Beschlussempfehlung des Verfassungs- und Rechtsausschusses zum Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen, Sächsischer Landtag, Drs. 1/2759. 343 Sächsischer Landtag, 2. Lesung des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof des Freistaats Sachsen vom 21.01.1993, Plenarprotokoll 1/60, S. 4141. 344 Ebd., S. 4142. 345 Ebd., S. 4148 f.

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

Die Praxis des Bundesverfassungsgerichts habe gezeigt, dass das Sondervotum die Weiterentwicklung der Rechtsprechung sowie das Rechtsbewusstsein in der Bevölkerung positiv beeinflussen könne.346 Durch die Zulassung des Sondervotums lasse sich auch dem Schutz der Minderheiten Rechnung tragen.347 Die CDU-Fraktion hielt dagegen, dass die Veröffentlichung von Sondervoten das gerichtliche Beratungsgeheimnis durchbreche. Auch die allgemeine Akzeptanz der Mehrheitsentscheidung könne Schaden nehmen. Schließlich sei es wirklichkeitsfremd anzunehmen, ein offenes Sondervotum könne sowohl für den dissentierenden Richter selbst als auch für die im Streit unterlegene Partei eine friedensstiftende Wirkung entfalten.348 In der Abstimmung wurde der Änderungsantrag der SPD mehrheitlich abgelehnt. Auch der Fraktion der LL/PDS gelang es nicht, ihren Kompromissvorschlag durchzusetzen. Schließlich wurde der § 13 SächsVerfGHG unverändert vom Sächsischen Landtag verabschiedet.349 e) Sachsen-Anhalt Der von der Landesregierung eingereichte Entwurf für ein Landesverfassungsgerichtsgesetz verpflichtete in § 30 LVerfGG LSA alle Mitglieder des Gerichts, über den Hergang der Beratung und die Abstimmung Stillschweigen zu bewahren.350 Sondervoten und die Bekanntgabe des Stimmenverhältnisses waren nicht vorgesehen. In den Beratungen des Ausschusses für Recht und Verfassung wurde angeregt, in das Verfassungsgerichtsgesetz eine dem § 30 Abs. 2 BVerfGG entsprechende Vorschrift aufzunehmen, um beide Einrichtungen auch beim Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt einzuführen.351 Der Staatssekretär Robra sprach sich jedoch mit Nachdruck für die Beibehaltung der strikten Stillschweigepflicht für die Verfassungsrichter aus: Ein der Öffentlichkeit zugängliches Sondervotum, welches dem gerichtlichen Urteil die Rechtmäßigkeit abspreche, gefährde das Ansehen des Landesverfassungsgerichts in der Bevölkerung. Überdies würden auch die Verfassungsgerichtsgesetze 346

Ebd., S. 4143. Ebd., S. 4149. 348 Ebd., S. 4148. 349 Ebd., S. 4149. 350 Gesetzesentwurf der Landesregierung zum Gesetz über das Landesverfassungsgericht vom 02.11.1992, Landtag von Sachsen-Anhalt, Drs. 1/1980, S. 14. In der Begründung des Entwurfs sind zu dieser Regelung keinerlei Erwägungen getroffen worden, vgl. ebd., S. 36. 351 Landtag von Sachsen-Anhalt, Protokoll der 53. Sitzung des Ausschusses für Recht und Verfassung am 16.06.1993, zu § 30. 347

VI. Sondervotum in der Verfassungsgerichtsbarkeit der Bundesländer

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der meisten anderen Bundesländer das Sondervotum nicht gestatten.352 Ohne weiter auf die Problematik des Sondervotums einzugehen, lehnte der Ausschuss den Antrag mehrheitlich ab. Er empfahl dem Landtag, den § 30 LVerfGG LSA unverändert zu übernehmen.353 Die Fraktion der SPD legte zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses einen Änderungsantrag vor, den § 30 LVerfGG LSA nach Maßgabe des § 30 Abs. 2 BVerfGG neu zu fassen.354 In der Begründung des Antrages verwies sie auf die positiven Erfahrungen mit dem Sondervotum beim Bundesverfassungsgericht. In der Landesverfassungsgerichtsbarkeit könnten veröffentlichte abweichende Meinungen die Transparenz und damit letztlich auch die Akzeptanz der Entscheidungen erhöhen. Eine besondere Bedeutung komme dem Sondervotum für die Weiterentwicklung des Verfassungsrechts zu: Gerade vor dem Hintergrund, dass bei der Anwendung und Auslegung der einzelnen Bestimmungen der noch jungen Verfassung Sachsen-Anhalts noch vieles vage und ungeklärt sei, könne die offene Darlegung von unterschiedlichen Meinungen die verfassungsrechtliche Diskussion bereichern.355 Der Landtag lehnte den Antrag der SPD jedoch ab356 und verabschiedete den § 30 LVerfGG LSA in der Form der Beschlussempfehlung.357 Zu Beginn der zweiten Wahlperiode griff der Ausschuss für Recht und Verfassung einen aus der Praxis herangetragenen Wunsch auf, die Aufnahme des Sondervotums in das Landesverfassungsgerichtsgesetz nochmals zu überdenken und setzte die Diskussion über diese Einrichtung fort. Der Ausschuss fasste einstimmig den Beschluss, dem Landtag die Einführung des Sondervotums und der Mitteilung des Stimmenverhältnisses im Wege einer Neufassung des § 28 Abs. 2 LVerfGG LSA anzuempfehlen.358 In der zweiten Beratung des Gesetzesentwurfs im Landtag bezog sich der Bericht352

Ebd. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verfassung vom 30.06.1993 zum Entwurf eines Gesetzes über das Landesverfassungsgericht, Landtag von Sachsen-Anhalt, Drs. 1/2784. 354 Landtag von Sachsen-Anhalt, Änderungsantrag der SPD-Fraktion vom 07.07.1993, Drs. 1/2836. Der § 30 LVerfGG LSA sollte wie folgt lauten: „Ein Richter kann seine in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederlegen; das Sondervotum ist der Entscheidung anzuschließen. Das Gericht kann in seiner Entscheidung das Stimmenverhältnis mitteilen. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung“. 355 Landtag von Sachsen-Anhalt, Zweite Beratung über den Entwurf eines Gesetzes über das Landesverfassungsgericht vom 07.07.1993, Plenarprotokoll 1/50, S. 5871. 356 Ebd., S. 5876. Der Antrag wurde in der zweiten Lesung nicht näher erörtert. 357 Der § 30 wurde bei unverändertem Inhalt jedoch als § 29 in das LVerfGG LSA aufgenommen. 353

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

erstatter des Ausschusses Tögel im Wesentlichen auf diejenigen Argumente, welche die SPD-Fraktion in der vorangegangenen Legislaturperiode für ihren Änderungsantrag herangezogen hatte: Das Rechtsinstitut der abweichenden Meinung habe sich beim Bundesverfassungsgericht außerordentlich bewährt. Die Möglichkeit zur Veröffentlichung einer abweichenden Meinung trage zur Transparenz der gerichtlichen Entscheidung bei. Auch verwies Tögel auf die besondere Bedeutung abweichender Meinungen für die Fortentwicklung der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt.359 Ohne weitere Debatte wurde die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verfassung einstimmig angenommen.360 Am 22. Oktober 1996 wurde in das Gesetz über das Landesverfassungsgericht ein neuer § 28 Abs. 2 LVerfGG LSA eingefügt, der das Sondervotum und die Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses gestattet.361 f) Thüringen Schon der Regierungsentwurf für das Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetz sah in § 24 Abs. 2 sowohl das Sondervotum als auch die Mitteilung des Stimmenverhältnisses vor.362 Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs sollte die Möglichkeit des Sondervotums die Entscheidungsfindung transparenter gestalten, da sich mit diesem Instrument alle rechtlich relevanten Gesichtspunkte umfassend darstellen ließen. Auch könne das Sondervotum die Qualität und Intensität der Beratung verbessern. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Sondervotum beim Bundesverfassungsgericht hätten überdies gezeigt, dass keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Veröffentlichung von abweichenden Meinungen bestünden.363 Nachdem sich der 358 Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verfassung vom 12.09.1996 zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht, Landtag von Sachsen-Anhalt, Drs. 2/2625, S. 1, 3. Dem § 28 Abs. 2 sollte folgende Fassung gegeben werden: „Ein Richter kann seine in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederlegen; das Sondervotum ist der Entscheidung anzuschließen. Das Gericht kann in seinen Entscheidungen das Stimmenverhältnis mitteilen. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung“. Aus dem bisherigen § 28 Abs. 2 sollte nunmehr Abs. 3 werden. 359 Landtag von Sachsen-Anhalt, Zweite Beratung des Entwurfes eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht vom 19.09.1996, Berichterstatter Tögel, Plenarprotokoll 2/44, S. 3437. 360 Ebd., S. 3438. 361 Änderungsgesetz vom 22.10.1996, GVBl. 1996, S. 332. 362 Thüringer Landtag, Entwurf der Landesregierung für ein Gesetz über den Thüringer Verfassungsgerichtshof vom 17.03.1994, Drs. 1/3205, S. 11. 363 Ebd., S. 27.

VI. Sondervotum in der Verfassungsgerichtsbarkeit der Bundesländer

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Justizausschuss des Thüringer Landtages in seiner Beschlussempfehlung für die Annahme des Gesetzesentwurfs der Landesregierung ausgesprochen hatte364, wurde dieser vom Landtag verabschiedet.365 In den Beratungen im Ausschuss und im Plenum des Landtages wurde auf das Sondervotum nicht weiter eingegangen. 5. Die Novellierung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofsgesetzes Im Zuge der grundlegenden Neufassung des Gesetzes über den Niedersächsischen Staatsgerichtshof366 im Jahre 1996 wurde das Rechtsinstitut der abweichenden Meinung auch beim Niedersächsischen Staatsgerichtshof eingeführt.367 Während des Gesetzgebungsverfahrens kam es diesbezüglich zum Streit. Der von der Landesregierung eingebrachte Gesetzesentwurf für ein neues Staatsgerichtshofsgesetz erklärte in § 12 Abs. 1 NdsStGHG u. a. den § 30 BVerfGG auf das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof für entsprechend anwendbar, räumte den Verfassungsrichtern damit also explizit die Möglichkeit eines Sondervotums ein.368 Hiervon versprach sich die Landesregierung mehr Transparenz und demokratische Akzente in der Verfassungsrechtsprechung. Außerdem könne die Veröffentlichung einer abweichenden Meinung zur Beseitigung der Anonymität in der Justiz beitragen und die 364

Beschlussempfehlung des Justizausschusses vom 10.06.1994 zu dem Gesetzesentwurf der Landesregierung, Thüringer Landtag, Drs. 1/3475, S. 1. 365 Thüringer Landtag, Zweite Beratung des Gesetzes über den Thüringer Verfassungsgerichtshof am 16.06.1994, Plenarprotokoll, 1/118, S. 9161. 366 NdsGVBl. S. 342. Die Änderungen der am 01.06.1993 in Kraft getretenen neuen Niedersächsischen Verfassung, durch welche u. a. die Struktur, die Zuständigkeiten und das Verfahren des Staatsgerichtshofes in wesentlichen Teilen neugefasst wurden, machten eine Anpassung der Vorschriften des NdsStGHG erforderlich. Vgl. hierzu Hüpper, S. 50 f.; Berlit, NdsVBl. 1995, S. 105. 367 Vor der Novellierung des NdsStGHG herrschte über die Frage der Zulässigkeit des offenen Sondervotums wegen der unklaren Verweisungstechnik des NdsStGHG a. F. auf die allgemeinen Verfahrensvorschriften des BVerfGG Uneinigkeit, vgl. Pestalozza, § 28, S. 576, Rn. 6; Starck, Sondervoten, S. 305 ff.; Hüpper, S. 140 f.; Berlit, NdsVBl. 1995, S. 99. Die Geschäftsordnung des Staatsgerichtshofs vom 19.10.1988 (GVBl. S. 207) enthielt keine Bestimmungen hinsichtlich des offenen Sondervotums; allerdings sah § 11 Abs. 2 GO StGH a. F. vor, dass auf Antrag eines überstimmten Mitglieds dessen abweichende Meinung ohne Namensnennung in den Entscheidungsgründen wiedergegeben werden konnte. Ebenfalls umstritten war die Zulässigkeit der Bekanntgabe des Stimmenverhältnisses in den Entscheidungen, vgl. Starck, Sondervoten, S. 313; Berlit, NdsVBl. 1995, S. 99, Fn. 49. Das Gericht hat bis zu der Gesetzesnovelle jedoch stets darauf verzichtet, in seinen Entscheidungen das Abstimmungsergebnis mitzuteilen. 368 Entwurf eines Gesetzes über den Staatsgerichtshof vom 06.02.1996, Niedersächsischer Landtag, Drs. 13/1730, S. 6; vgl. auch die Begründung zu dem Entwurf, ebd., S. 24.

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

Richterpersönlichkeit stärken.369 Der Niedersächsische Staatsgerichtshof sprach sich im Rahmen der Anhörung zu der Gesetzesnovelle gegen die geplante Einführung des Sondervotums aus, ohne dies näher zu begründen.370 Auch die CDU-Fraktion lehnte das Sondervotum ab. Für die Beratungen im Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen legte sie einen Änderungsantrag vor, die Vorschrift des § 30 Abs. 2 BVerfGG von der globalen Verweisung auszunehmen. Die Autorität des Gerichts sei gefährdet, wenn durch ein Sondervotum offenbar werde, dass die Entscheidung nur eine knappe Mehrheit gefunden habe. Dasselbe gelte für die friedensstiftende Wirkung des gerichtlichen Urteils.371 Die SPD-Fraktion sah dies anders. Die Autorität des Staatsgerichtshofs hänge nicht entscheidend davon ab, ob eine Entscheidung einstimmig gefällt bzw. sie in der Öffentlichkeit als einstimmig dargestellt werde. Eine bekannt gegebene abweichende Meinung könne gerade dann den Rechtsfrieden wiederherstellen, wenn der im Prozess unterlegenen Partei verdeutlicht werde, dass ihre Auffassung im Gericht auch auf Zustimmung gestoßen sei.372 In der Abstimmung unterlag der Änderungsantrag der CDU den Stimmen der SPD und der Grünen. Der Landtag verabschiedete das NdsStGHG schließlich in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses. Vier Monate nach In-Kraft-Treten des neuen NdsStGHG machten die Verfassungsrichter Starck und Hedergott erstmals von der Möglichkeit des Sondervotums Gebrauch.373 VII. Fazit Gänzlich fremd, wie zuweilen in der Literatur betont wird374, ist das aus dem angloamerikanischen Rechtskreis stammende Institut der abweichenden Meinung der deutschen Kodifikationsgeschichte nicht. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Veröffentlichung von Minderheitsvoten bei dem Badischen Oberhofgericht und dem Württembergischen Staatsgerichtshof zulässig und üblich. Im Rahmen der Beratungen eines einheitlichen Gerichtsverfassungsgesetzes für das Deutsche Reich in den Jahren 1875/76 stand die Einführung des offenen Sondervotums für alle deutschen Gerichte 369 Vgl. die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über den Staatsgerichtshof, Niedersächsischer Landtag, Drs. 13/1730, S. 24. 370 Vgl. Hüpper, S. 141 m. w. N. Vgl. auch die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über den Staatsgerichtshof, Niedersächsischer Landtag, Drs. 13/1730, S. 24. 371 Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen, 64. Sitzung am 05.06.1996, S. 10. 372 Ebd., S. 10. 373 StGH Nds MBl. 1996, S. 1854 ff. 374 Vgl. Mahrenholz, S. 167, Faller, DVBl. 1995, S. 988.

VII. Fazit

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erstmals auf der Tagesordnung des Gesetzgebers; seine Befürworter konnten sich dort jedoch ebenso wenig durchsetzen wie bei den Beratungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes 1949 bis 1951 und des Deutschen Richtergesetzes 1960/61. In den sechziger Jahren beeinflusste angloamerikanisches Rechtsdenken die im Schrifttum weitergeführte Diskussion über das Sondervotum. Von der unabhängigen Stellung vor allem der Richter des Supreme Court of the United States fasziniert, versprachen sich Rechtsgelehrte wie Praktiker von der Zulassung abweichender Meinungen auch hierzulande ein neues richterliches Selbstverständnis. Weiteren Auftrieb verliehen der Diskussion die dem Zeitgeist entsprechenden Forderungen nach mehr demokratischer Öffnung und Transparenz im Staat. Die strikte Geheimhaltung sämtlicher Beratungs- und Entscheidungsvorgänge in der Justiz schien mit dem modernen Demokratieverständnis des Grundgesetzes nicht länger vereinbar. Zu der Mehrheitsentscheidung kundgegebene Minderheitsvoten sollten nun nicht nur die unterschiedlichen Perspektiven und Tendenzen bei der Urteilsfindung nach außen hin manifestieren und der kritischen Öffentlichkeit anheim stellen, sondern auch den einzelnen Richter aus der Anonymität des Spruchkörpers herausheben und auf diese Weise dessen individuelle Persönlichkeit stärken. Besondere Aktualität erhielt die Problematik des Sondervotums durch das 1966 ergangene „Spiegelurteil“ des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, in dem die divergierenden Auffassungen zweier Richtergruppen in den Entscheidungsgründen gegenübergestellt wurden. Ihren Höhepunkt fanden die sehr emotional geführten Auseinandersetzungen zur abweichenden Meinung schließlich auf dem 47. Deutschen Juristentag 1968 in Nürnberg, der sich in seiner allgemeinen verfahrensrechtlichen Abteilung eingehend mit diesem Rechtsinstitut befasste. Mit großer Mehrheit sprachen sich die Teilnehmer des Juristentages für die Einführung des Sondervotums beim Bundesverfassungsgericht und bei den Verfassungsgerichten der Länder aus; abgelehnt wurde hingegen der Vorschlag, Sondervoten bei allen Kollegialgerichten zuzulassen. Im Dezember 1970 reagierte der Gesetzgeber. Er fügte dem § 30 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht einen neuen Abs. 2 hinzu, wonach die Richter dieses Gerichts ihre in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederlegen können, welches der Entscheidung anzuschließen ist. Die Reaktion des Schrifttums auf die Gesetzesnovelle war zumeist positiv; Kritik richtete sich jedoch gegen die Praxis des Sondervotums. Statistisch gesehen spielen Minderheitsvoten beim Bundesverfassungsgericht keine wesentliche Rolle, ihr Anteil an der Gesamtzahl aller Entscheidungen beträgt gegenwärtig etwa 6 %. Wenngleich einige Sondervoten richtungs-

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C. Rechtliche und ideengeschichtliche Grundlagen des Sondervotums

weisende Akzente für die Verfassungsdiskussion zum Ausdruck brachten, teils sogar in späteren Entscheidungen wieder aufgegriffen wurden, ist ihre Bedeutung für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insgesamt doch eher begrenzt geblieben. Die alten Bundesländer begegneten dem Institut der abweichenden Meinung mit nur zögerlichem Interesse. Ansätze zur öffentlichen Bekanntgabe von Sondervoten gab es nach dem Zweiten Weltkrieg beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof und beim Bremischen Staatsgerichtshof. In Bayern wurden abweichende Ansichten zusammen mit der Entscheidung veröffentlicht, allerdings ohne namentliche Angabe des Verfassers. Die Verfahrensordnung des Bremischen Staatsgerichtshofs gestattete die öffentliche Bekanntgabe von Sondervoten nur bei gerichtlichen Gutachten. Im Jahre 1982 schloss sich Hamburg in der Frage des Sondervotums dem bundesrechtlichen Vorbild an und nahm eine dem § 30 Abs. 2 BVerfGG entsprechende Vorschrift in sein Verfassungsgerichtsgesetz auf; 1996 ließen auch die Gesetzgeber Bremens und Niedersachsens Sondervoten zu. Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen entschieden sich bereits im Rahmen der Konstituierung ihrer Verfassungsgerichtsbarkeit für die Veröffentlichung abweichender Meinungen, Sachsen-Anhalt folgte 1996. Der Freistaat Sachsen hat das Sondervotum hingegen ausdrücklich ausgeschlossen. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen war die Streitfrage des Sondervotums eines der beherrschenden Themen der Gesetzesberatungen; die Abgeordneten und Sachverständigen griffen hierbei im Wesentlichen auf das bekannte Spektrum der Argumente pro und contra zurück.

D. Zu den Auswirkungen und der Bedeutung veröffentlichter Sondervoten I. Prämissen Der Streit um die Zulässigkeit veröffentlichter Minderheitsvoten zentriert sich, wie der historische Abriss zeigt, seit jeher weniger um rein prozessuale Erwägungen als um grundsätzliche verfassungspolitische Fragen zur Stellung der rechtsprechenden Gewalt in der modernen demokratischen Rechtsordnung sowie ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit.1 Dass sich bei den Befürwortern und Gegnern des Sondervotums letzten Endes zwei Weltanschauungen gegenüberstehen, wurde bei den Kontroversen im Rahmen der Gesetzesberatungen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen noch einmal deutlich. In der Begründung des Sächsischen Regierungsentwurfs, der die Einbeziehung des Sondervotums in das Verfahrensrecht des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes explizit ausschloss, regte die Sächsische Staatsregierung an, dass zu gegebener Zeit die Zulassung dieses Instruments auch für den Verfassungsgerichtshof im Lichte der dann bestehenden Erfahrungen mit seiner Rechtsprechungstätigkeit erneut geprüft werden könne.2 Freilich wird die Praxis eines Landesverfassungsgerichts, dem die Möglichkeit des offenen Sondervotums nicht bekannt ist, eine nur bescheidene Grundlage für die Beantwortung dieser Frage erlauben können. Ein aufschlussreicheres Urteil über die Vorzüge und Nachteile der Veröffentlichung abweichender Meinungen dürfte hingegen die Rechtsprechungspraxis der Verfassungsgerichte in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen bieten, die fast alle nunmehr auf eine rund zehnjährige Erfahrung mit dem Institut des Sondervotums zurückblicken können. Bis Dezember 2004 sind zu rund 40 abgedruckten Urteilen und Beschlüssen dieser Landesverfassungsgerichte insgesamt 55 abweichende Meinungen veröffentlicht worden; hiervon liegen in zwölf Fällen zwei oder drei Sondervoten zu einer Entscheidung vor.3 Überwiegend handelt es sich dabei um solche, in denen überstimmte Richter ihre von der Mehrheitsentschei1

So auch schon Redeker, 47. DJT, Bd. II, S. R 6; Vollkommer, JR 1968, S. 242. Sächsischer Landtag, Begründung zum Gesetzesentwurf der Sächsischen Staatsregierung vom 11.11.1992, Drs. 1/2486, S. 38 f. 3 Ein Verzeichnis aller bislang abgegebenen Sondervoten findet sich im Anhang. 2

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D. Auswirkungen und Bedeutung veröffentlichter Sondervoten

dung entgegengesetzte Auffassung zum Ausdruck brachten; dem Ergebnis der mehrheitlichen Entscheidung zustimmende, aber in der Begründung differierende Sondervoten sind seltener. Vereinzelt finden sich auch sog. Anschlussvoten, mit denen sich Verfassungsrichter – ohne sich selbständig zur Sache zu äußern – ganz oder teilweise dem Sondervotum eines anderen Richters anschlossen.4 Die meisten abweichenden Meinungen stammen von den Mitgliedern des Berliner Verfassungsgerichtshofes, wo seit der Konstituierung des Gerichts zu 23 Entscheidungen 32 Sondervoten vorgelegt wurden. In Brandenburg ergingen zu zwölf Entscheidungen des Verfassungsgerichts 14 Sondervoten, in Thüringen wurden zu vier Entscheidungen sieben Sondervoten vorgelegt. In Mecklenburg-Vorpommern und in SachsenAnhalt kam es bislang jeweils nur einmal vor, dass ein Gerichtsmitglied öffentlich dissentierte. Die Anzahl der jährlich abgegebenen Sondervoten in Berlin und Brandenburg bewegt sich durchgängig auf niedrigem Niveau. In Berlin wurden im Zeitraum von 1992 bis 1997 jährlich zwei bis fünf Sondervoten veröffentlicht. Ab 1998 ist ein Rückgang auf nur noch ein Sondervotum pro Jahr zu verzeichnen; in den Jahren 1999 und 2002 blieben abweichende Meinungen ganz aus. Beim Verfassungsgericht des Landes Brandenburg ergingen jährlich nicht mehr als zwei Sondervoten. Gemessen an den Verfahrenseingängen der einzelnen Landesverfassungsgerichte5 zeigen diese Zahlen, dass die Verfassungsrichter von der Möglichkeit, der gerichtlichen Entscheidung eine abweichende Meinung beizufügen, durchweg nur sparsam Gebrauch gemacht haben. Keineswegs waren es immer, wie in der Diskussion auf dem Deutschen Juristentag 1968 proklamiert und teils für den Bereich des Bundesverfassungsgerichts angenommen6, nur die wichtigeren, konfliktträchtigen Entscheidungen, zu denen Sondervoten vorgelegt wurden. Erhöhte Aufmerksamkeit erregten freilich etwa die Urteile des Berliner Verfassungsgerichtshofes vom 6. Dezember 1994 zum Parlamentsvorbehalt und dem Budgetrecht des Berliner Abgeordnetenhauses anlässlich der Schließung der Staatlichen Schauspielbühnen7 und vom 17. März 1997 betreffend die Fünfprozentsperrklausel bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen8; auch die Urteile des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg 4 Vgl. BerlVerfGH, Beschluss v. 15.06.1993 – BerlVerfGH 18/92 – LVerfGE 1, 81 (96); VerfG Bbg, Urteil v. 25.01.1996 – VfG Bbg 12, 13/95 – LVerfGE 4, 85 (99). 5 Vgl. die Tabelle oben sub B. VIII. 6 Zierlein, DÖV 1981, S. 94; Limbach, S. 34. Lamprecht, Richter contra Richter, S. 139, stellt hingegen fest, dass viele Sondervoten der Richter des Bundesverfassungsgerichts auch Streitstoff von nur begrenztem Interesse betrafen. 7 BerlVerfGH 65/93 – JR 1996, 103 ff. 8 BerlVerfGH 87/95, 90/95 – LVerfGE 6, 32 ff.

I. Prämissen

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zum Fusionsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg vom 21. März 19969, zur Auflösung der Gemeinde Horno vom 18. Juni 199810, zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen zum sog. Großen Lauschangriff und zum Einsatz von V-Leuten im Brandenburgischen Polizeigesetz vom 30. Juni 199911 und zur Unzulässigkeit der Volksinitiative „Für unsere Kinder“ vom 20. September 200112 konnten allgemeines Interesse beanspruchen. Besondere Beachtung kam schließlich auch dem Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofes vom 25. Mai 2000 betreffend den Mandatsverlust einer Abgeordneten des Thüringer Landtages wegen Zusammenarbeit mit dem MfS sowie den dazu veröffentlichten Sondervoten zu.13 Dass die Abgabe von Sondervoten nicht von der politischen oder juristischen Bedeutung der zugrundeliegenden Rechtssache abzuhängen scheint, zeigt die Vielzahl der zu singulären Verfassungsfragen artikulierten abweichenden Meinungen. Mit dem Grundrechtsschutz befassen sich etwa die Entscheidungen des Berliner Verfassungsgerichtshofes nebst den jeweiligen Sondervoten vom 12. Juli 1994 zur Freizügigkeit als Prüfungsmaßstab in ausländerrechtlichen Streitigkeiten14, vom 31. Mai 1995 zur Gewährleistung der Freiheit der Berufswahl in Art. 11 Verf Bln a. F.15 und vom 21. Februar 2000 zum Verhältnis der Informationsfreiheit ausländischer Mieter und den Eigentumsinteressen des Vermieters16. Zu diesem Bereich gehören auch die Sondervoten zu dem Urteil des Brandenburgischen Verfassungsgerichts vom 14. Juli 1994 betreffend den Anspruch auf unbezahlte Freistellung zum Zwecke der Weiterbildung17 und zu dem Urteil des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt vom 15. Januar 2002 betreffend das Spannungsverhältnis zwischen den Erziehungsrechten der Eltern und des Staates anlässlich der Einführung der Grundschule mit festen Öffnungszeiten18. Mit dem Gebot der Staatsfreiheit des Rundfunks beschäftigen sich das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofes vom 19. Juni 1998 über die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des MDR-Staatsvertrages und die beiden hierzu formulierten abweichenden Meinungen.19 9

VfG Bbg 18/95 – LVerfGE 4, 114 ff. VfG Bbg 27/97 – LVerfGE 8, 97 ff. 11 VfG Bbg 3/98 – LVerfGE 10, 157 ff. 12 VfG Bbg 57/00 – LVerfGE 12, 119 ff. 13 ThürVerfGH 2/99 – LKV 2000, 441 ff. 14 BerlVerfGH 94/93 – LVerfGE 2, 19 ff. 15 BerlVerfGH 55/93 – JR 1996, 146 ff. 16 BerlVerfGH 18/99 – JR 2001, 452 ff. 17 VfG Bbg 8/94 – LVerfGE 2, 117 ff. 18 SachsAnhVerfG 9, 12, 13/01 – LKV 2003, 131 ff. 19 ThürVerfGH 10/96 – ThürVBl. 1998, 232 ff. 10

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D. Auswirkungen und Bedeutung veröffentlichter Sondervoten

Im Bereich des Wahlrechts ergingen abweichende Meinungen zum Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofs vom 19. Oktober 1992 zur Rolle der Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung bei der Besetzung der Bezirksämter20, zum Urteil des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg vom 25. Januar 1996 betreffend die Kompatibilität von Amt und Mandat auf kommunaler Ebene21 und zum Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofes zum wahlrechtlichen Begriff des Wohnsitzes22. Das Parlamentsrecht berühren die Sondervoten zum Beschluss des Berliner Verfassungsgerichtshofes vom 2. Februar 1996 zum Vorschlagsrecht der Fraktionen hinsichtlich der Wahl des Parlamentsvizepräsidenten23 und zum Urteil des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg vom 19. Juni 2003 betreffend das Absetzen eines Fraktionsantrages von der Tagesordnung des Landtages24. Prozessuale Fragen liegen den Sondervoten zum Zwischenurteil des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 6. Mai 1999 zur unmittelbaren und gegenwärtigen Betroffenheit eines Verfassungsbeschwerdeführers durch ein Landesgesetz25 sowie zu den Entscheidungen des Berliner Verfassungsgerichtshofes vom 19. Oktober 1992 zur Beschwerdefähigkeit einer Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung26, vom 18. März 1993 zum Grundsatz der Subsidiarität einer Verfassungsbeschwerde vor Erschöpfung des Rechtsweges27 und vom 25. April 1996 betreffend die Anforderungen an die Darlegung der Verletzung eines in der Berliner Verfassung enthaltenen Rechts durch eine Maßnahme der Landesgewalt28 zugrunde. Abweichende Meinungen wurden auch zu sehr speziellen Fragen geäußert. In Berlin legten drei Verfassungsrichter ein Sondervotum zum Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 20. August 1997 betreffend die anwaltliche Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe vor.29 Zwei Richter des Thüringer Verfassungsgerichtshofes dissentierten, als dieser mit Beschluss vom 12. Januar 1996 den Ausschluss zweier weiterer Gerichtsmitglieder von der Ausübung des Richteramts in einem Verfahren feststellte.30 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

BerlVerfGH 24/92 – LVerfGE 1, 9 ff. (Sondervotum Dittrich). VfG Bbg 12, 13/95 – LVerfGE 4, 85 ff. ThürVerfGH 13/95 – LVerfGE 6, 387 ff. BerlVerfGH 91, 91A/95 – LVerfGE 4, 3 ff. VfG Bbg 98/02 – NVwZ-RR 2003, 798 ff. MVVerfG 2/98 – SächsVBl. 1999, 248 ff. BerlVerfGH 24/92 – LVerfGE 1, 9 ff. (Sondervotum Kunig). BerlVerfGH 54/92 – LVerfGE 1, 74 ff. BerlVerfGH 21/95 – LVerfGE 4, 46 ff. BerlVerfGH 9/97 – LVerfGE 7, 11 ff. ThürVerfGH 2/95, 4-9/95, 12/95 – LVerfGE 4, 413 ff.

I. Prämissen

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Die Zahl der abgegebenen Sondervoten erscheint freilich noch als zu gering, um sie im Bezug auf die einzelnen Landesverfassungsgerichte nach dem ihrer Abfassung zugrundeliegenden Anlass zu rubrizieren. Auffällig ist indes, dass in Berlin die Anwendung und Auslegung der Grundrechte31, insbesondere der Justizgrundrechte32, sowie die formalen Anforderungen an die Verfassungsbeschwerde33 Gegenstand vieler Sondervoten sind; ein Umstand, der nicht nur auf die hohe Anzahl der Verfassungsbeschwerdeverfahren zurückzuführen sein dürfte, sondern auch auf die Rechtsprechung des Berliner Verfassungsgerichtshofes, die Anwendung von Bundesrecht durch die Landesstaatsgewalt anhand der Landesgrundrechte zu messen. In Brandenburg sind schließlich mehrere Fälle zu beobachten, in denen Mitglieder des Landesverfassungsgerichts sich in Sondervoten zu Fragen des Kommunalrechts äußerten.34 Rückschlüsse auf Temperament und richterliches Selbstverständnis, aber auch auf das Arbeitsklima im Spruchkörper erlauben die Zahlen der auf die einzelnen Gerichtsmitglieder entfallenden Sondervoten35: In Berlin haben im Zeitraum von 1992 bis 2004 von insgesamt 23 Verfassungsrichtern 15 öffentlich dissentiert; davon zehn mehr als einmal. Ähnlich ist die Situation beim Verfassungsgericht des Landes Brandenburg; dort haben in der Zeit von 1994 bis 2004 neun von 13 Verfassungsrichtern Sondervoten abgegeben. Diese Zahlen zeigen, dass sich unter den Mitgliedern dieser Landesverfassungsgerichte zahlreiche streitbare Persönlichkeiten befinden, die relativ häufig Wert darauf legten, ihre von der Mehrheitsentscheidung abweichende Ansicht der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Zu beobachten ist dies insbesondere beim Berliner Verfassungsgerichtshof, bei dem nach dem Amtsende der Verfassungsrichter Citron-Piorkowski und Dittrich im Jahre 1997 und der Verfassungsrichter Arendt-Rojahn, Driehaus, Eschen und Ku-

31 Vgl. zu den bereits genannten Entscheidungen des Berliner Verfassungsgerichtshofs: Beschluss v. 17.12.1997 – BerlVerfGH 2/96 – LVerfGE 7, 26 ff.; Beschluss v. 28.06.2001 – BerlVerfGH 100/00 – LVerfGE 12, 15 ff. 32 Vgl. Beschluss v. 15.06.1993 – BerlVerfGH 18/92 – LVerfGE 1, 81 ff., Beschluss v. 16.11.1995 – BerlVerfGH 48/94 – LVerfGE 3, 113 ff.; Beschluss v. 12.12.1996 – BerlVerfGH 38/96 – LVerfGE 5, 58 ff.; Beschluss v. 14.01.1997 – BerlVerfGH 21/94 – JR 1998, 99 ff.; Beschluss v. 06.10.1998 – BerlVerfGH 26, 26A/98 – LVerfGE 9, 59 ff. 33 Vgl. zu den bereits erwähnten Entscheidungen: Beschluss v. 15.06.1993 – BerlVerfGH 18/92 – LVerfGE 1, 81 ff.; Beschluss v. 17.06.1996 – BerlVerfGH 4/96 – LVerfGE 4, 65 ff. 34 Vgl. Urteil v. 14.07.1994 – VfG Bbg 4/93 – LVerfGE 2, 125 ff.; Urteil v. 20.03.2003 – VfG Bbg 54/01 – LKV 2003, 372 ff. 35 Ein nach den einzelnen Verfassungsrichtern geordnetes Verzeichnis der abgegebenen Sondervoten findet sich im Anhang.

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D. Auswirkungen und Bedeutung veröffentlichter Sondervoten

nig im Jahre 2000 auch die Anzahl der abgegebenen Sondervoten deutlich abnahm. Bemerkenswert ist, dass die Sondervoten überwiegend von mehreren Verfassungsrichtern gemeinsam abgegeben wurden. Die Mitglieder des Berliner Verfassungsgerichtshofes Arendt-Rojahn und Dittrich haben insgesamt jeweils achtmal öffentlich dissentiert. Die Richterin Arendt-Rojahn hat allerdings fünf Sondervoten zusammen mit der Richterin Citron-Piorkowski und dem Richter Eschen vorgelegt, hiervon in zwei Fällen unter weiterer Beteiligung des Richters Dittrich. Zwei weitere abweichende Meinungen äußerte Arendt-Rojahn gemeinsam mit dem Richter Storost, bei einer davon wirkte auch die Richterin Möcke mit. Insgesamt hat Arendt-Rojahn lediglich ein Sondervotum allein getragen; auch Dittrich hat nur zwei seiner Sondervoten für sich abgegeben. Drei der Berliner Verfassungsrichter, die Richter Eschen und Storost sowie die Richterin Töpfer, haben sogar jede ihrer abweichenden Meinungen zusammen mit einem oder mehreren anderen Richtern vorgelegt. Der Richter Driehaus dissentierte viermal zusammen mit Töpfer; dabei waren in einem Fall die Richter Dittrich und Kunig, in einem weiteren Fall der ehemalige Präsident des Berliner Verfassungsgerichtshofes Finkelnburg beteiligt. Aus derartigen nach außen hin getragenen „Frontenbildungen“ von drei oder vier Verfassungsrichtern wird erkennbar, welche sachlichen Gegensätze mitunter im Gericht aufeinander prallen. Stets allein votierte hingegen der Richter am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Schöneburg, von dem die meisten – vier – Sondervoten in Brandenburg stammen. Gelegentlich wandten sich auch einige der Vorsitzenden mit einem Sondervotum gegen die Mehrheitsentscheidung „ihres Gerichts“. Von dem ehemaligen Präsidenten des Berliner Verfassungsgerichtshofes Finkelnburg liegen neben dem bereits erwähnten Sondervotum mit den Richtern Driehaus und Töpfer zwei weitere abweichende Voten vor; der ehemalige Präsident des Thüringer Verfassungsgerichtshofes Becker veröffentlichte zusammen mit dem Richter Morneweg ein Sondervotum. Hervorzuheben ist schließlich, dass auch einige der Laienrichter von der Möglichkeit des Sondervotums Gebrauch gemacht haben. Teilweise haben sie gemeinsam mit juristisch ausgebildeten Gerichtsmitgliedern, welche die Formulierungsarbeit geleistet haben mögen, eine abweichende Meinung publiziert: In Brandenburg legte der Laienrichter Havemann je ein Sondervotum zusammen mit der Verfassungsrichterin Harms-Ziegler und der Verfassungsrichterin Jegutidse vor, ein drittes gemeinsam mit den Verfassungsrichterinnen Jegutidse und Will. Der Thüringer Verfassungsrichter Lothholz dissentierte gemeinsam mit seinem Kollegen Rommelfanger. Doch sind auch Sondervoten zu verzeichnen, die von den Laienrichtern allein getragen

I. Prämissen

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wurden. In Sachsen-Anhalt stammt das bislang einzige Sondervotum von der Verfassungsrichterin Faßhauer; in Thüringen liegt eine abweichende Meinung der Verfassungsrichterin Hemsteg-von Fintel vor. Im Folgenden soll vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte in Berlin und den neuen Ländern die in der Diskussion über das Sondervotum vorgebrachten Erwartungen und Befürchtungen beleuchtet werden. Diese lassen sich, grob umrissen, in zwei Kategorien aufteilen: In eine solche, die den Beratungs- und Entscheidungsprozess im Landesverfassungsgericht, gleichsam das „Innere“ des Gerichts, betrifft und in eine solche, die sich auf das Verhältnis des Gerichts nach außen, insbesondere zum Adressaten seiner Entscheidung, bezieht36. Dabei hängt letztere Frage mit den Auswirkungen des Sondervotums innerhalb des Spruchkörpers zusammen; gewisse Überschneidungen sind insoweit nicht vermeidbar. Keinen Eingang in die Untersuchung sollen zwei Aspekte für die Bewertung von Sondervoten finden, welche zwar die Debatten vor und auf dem 47. Deutschen Juristentag 1968 beherrschten, danach aber zunehmend an Antriebskraft verloren. Was für Friesenhahn noch das Hauptanliegen für die Zulassung des Sondervotums war, die freie Entfaltung der Richterpersönlichkeit zu bewirken und den einzelnen Richter als Träger der Rechtsprechung herauszuheben37, mutet heute eher anachronistisch an.38 Jene lautstarken Rufe nach einer stärkeren Personifizierung und einem neuen Selbstverständnis des Richters stammen aus einer Zeit, in der Bestrebungen nach der Emanzipation des Richtertums von den vergangenen autoritären Bewusstseinsstrukturen breiten Raum in Politik und Gesellschaft einnahmen.39 In den Diskussionen über das Sondervotum während der Beratung der Landesverfassungsgerichtsgesetze in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen tauchten Äußerungen dieser Art auch nicht mehr auf. Es dürfte Millgramm beizupflichten sein, wenn er meint, dass das Ansinnen Friesenhahns jedenfalls für den Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit irrelevant sei: Da für das Amt des Verfassungsrichters regelmäßig nur solche Personen berufen würden, die bereits eine besondere Karriere in ihrem Leben hinter 36 Dieser Unterscheidung folgen auch Fromme, S. 871, und Geck, Sondervoten, S. 321. 37 Friesenhahn, 47. DJT, Bd. II, S. R 55, S. R 66. Vgl. auch C. Arndt, DRiZ 1971, S. 38: Das Sondervotum vermenschliche den Richter und führe durch die Steigerung seines Verantwortungsbewusstseins zur Heraushebung der einzelnen Richterpersönlichkeit, deren Gewissen sich freier und unbelasteter darstelle. 38 Roellecke, S. 374. Nur Lamprecht, Richter contra Richter, S. 19 f., ficht noch dafür, dass durch die Möglichkeit des Sondervotums aus einem „amorphen Spruchkörper ein Gremium von Individuen“ werde. 39 Vgl. auch Geck, Sondervoten, S. 334.

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sich hätten, könne es nicht noch Aufgabe des Sondervotums sein, die Persönlichkeit seines Verfassers zu stärken.40 In diese Kategorie fällt auch das in den sechziger Jahren von den Befürwortern des Sondervotums viel bemühte Schlagwort des Demokratisierungseffektes.41 An Aktualität gewannen auf demokratische Prinzipien gestützte Argumente für die Veröffentlichung abweichender Meinungen freilich, als nach der Wiedervereinigung Deutschlands in den neuen Bundesländern eine Judikative auf dem Boden des Grundgesetzes geschaffen werden sollte.42 Rinken, der sich während der Beratung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofsgesetzes mit Verve für die Einführung des Sondervotums eingesetzt hatte, machte nach der Gesetzesverabschiedung keinen Hehl daraus, dass er das Sondervotum gerade in der Anfangsphase der neu konstituierten Landesverfassungsgerichtsbarkeit in Sachsen als ein „Element eines kollektiven Lernprozesses hin zu mehr demokratischer Öffentlichkeit und rechtsstaatlicher Transparenz“ begrüßt hätte; sein Ausschluss werde der „Situation des Aufbruchs aus einer autoritären, auf Geheimhaltung und Entmündigung basierenden, in eine demokratische, auf Öffentlichkeit und Mitbestimmung gegründete politische Ordnung“ nicht gerecht.43 Auch Wolnicki meint, dass das Sondervotum den in einer Demokratie notwendigen offenen Prozess des Meinungsaustausches fördere, indem es Transparenz und Offenheit der Verfassungsrechtsprechung gewähre.44 Der Gedanke, dass Sondervoten durch die Offenlegung richterlicher Meinungsdivergenzen demokratieadäquate Öffentlichkeit und Kontrollierbarkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit ermöglichen können, hat durchaus seine Berechtigung.45 Für die gerichtliche Praxis 40

Millgramm, S. 151; 185. Vgl. nur Zweigert, 47. DJT, Bd. I, S. D 15 f.; Strelitz, 47. DJT, Bd. II, S. R 69 f.; Wassermann, ebd., S. R 83; Heyde, JöR N. F. 19 (1970), S. 219. Auch der Entwurf der Bundesregierung zum 4. Änderungsgesetz für das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht von 1970 spricht davon, dass das Sondervotum zu einer Verstärkung der Offenheit bei der Rechtsfindung führe, welche aus demokratischen Prinzipien erwünscht sei, vgl. BT-Drs. VI/388, S. 8. 42 Bestrebungen zur Transparenz und Öffentlichkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit gehörten zu den zentralen Gegenständen der Gesetzesberatungen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, vgl. oben sub C. VII. 43 Rinken, NVwZ 1994, S. 32. 44 Wolnicki, S. 65. 45 Ablehnend bereits Pehle, 47. DJT, Bd. II, S. R 14; Berger, NJW 1968, S. 964 und Paul, DÖV 1968, S. 513 f. Grundlegende Kritik äußert Geck, Sondervoten, S. 370 ff., der mit zahlreichen Beispielen darauf verweist, dass die von den Anhängern des Sondervotums in diesem Zusammenhang zugrundegelegte Prämisse, die Offenheit aller staatlichen Entscheidungsvorgänge im politischen Bereich entspreche dem Wesen der Demokratie besser als deren Geheimhaltung, nicht für alle Entscheidungen der höchsten politischen Staatsorgane gelte. Es sei nicht einsichtig, meint Geck, dass die Geheimhaltung bzw. Vertraulichkeit vieler politischer Entscheidun41

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scheinen jene eher auf verfassungstheoretischer, rechtspolitischer Diskussionsebene anzusiedelnden Erwägungen gleichwohl unerheblich zu sein, wie die geringe Zahl der bislang veröffentlichten Sondervoten zeigt. Hinweise auf die hier allein interessierenden realen Auswirkungen des Sondervotums geben sie nicht her. II. Interne Auswirkungen veröffentlichter Sondervoten 1. Sondervoten – ein Beratungshindernis? Im Rahmen der Sachverständigenanhörung zum Verfassungsgerichtsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern äußerte Starck die Befürchtung, ein Richter könne mit Blick auf die Möglichkeit der öffentlichen Stellungnahme seine persönliche Profilierung in den Vordergrund stellen und dabei seine Pflicht vernachlässigen, in der Beratung eine von einer breiten Richtermeinung getragene Entscheidung zu suchen.46 Auch andere Stimmen geben zu bedenken, dass das Recht, in einem Sondervotum eine abweichende Meinung bekannt geben zu können, zu einem frühzeitigen Abbruch der Diskussion in der gerichtlichen Beratung führen und dadurch den Prozess der Entscheidungsfindung verschlechtern könne.47 Um diesen Fragen eine Antwort zuzuführen, erscheint es sinnvoll, zunächst Ablauf, Aufgaben und Ziele des Beratungsprozesses näher zu beleuchten. a) Der gerichtliche Beratungsprozess Die Beratung gehört zu den wesentlichen Merkmalen kollegialgerichtlicher Entscheidungsfindung. Sie gibt den beteiligten Richtern die Möglichkeit, alle für die Urteilsbildung maßgeblichen Argumente gründlich abzuwägen, Argumente auszutauschen und auf etwaige Bedenken hinzuweisen; sie vermeidet eine einseitige Beurteilung und eröffnet zugleich die Chance, Schwächen oder auch Fehler einzelner Richter aufzufangen.48 Ziel der Begen allgemein für vereinbar mit dem demokratischen Prinzip des Grundgesetzes gehalten werde, aber für die Ergebnisse der Verfassungsauslegung durch unabhängige Richter ein anderer Maßstab angelegt werden solle. Gleichsinnig Ritterspach, S. 1386 und Roellecke, S. 369. Kritisch auch Schütze, S. 528, der von einer „unsinnigen Leerformel des Demokratisierungseffektes“ spricht. 46 Starck, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Stellungnahme vom 18.04.1994 zum Entwurf des Landesverfassungsgerichtsgesetzes, S. 5; vgl. auch Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Protokoll der 113. Sitzung des Rechtsausschusses am 28.04.1994, S. 45. 47 Werner, DÖV 1967, S. 284; Paul, DÖV 1968, S. 515; Eckardt, SächsVBl. 1994, S. 276; von Mangoldt, SächsVBl. 1995, S. 223; Meissner, Verfassungsgerichtshof, § 17, S. 536, Rn. 51.

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ratung ist es, eine ausgewogene Entscheidung zu finden, welche den zugrundeliegenden Streit schlichtet. Die Verfassungsgerichtsgesetze von Berlin und den neuen Ländern haben die Beratung der Verfassungsrichter zur Pflicht gemacht.49 Jedes zur Beratung anstehende Verfahren wird durch ein Mitglied des Gerichts als Berichterstatter vorbereitet.50 Das sog. Berichterstattersystem beruht auf dem Gedanken, die Arbeitsbelastung des Gerichts in gewissem Umfang durch eine spruchkörperinterne Geschäftsverteilung zu entschärfen.51 Da der Berichterstatter aufgrund seiner vorbereitenden Tätigkeit auf eine fundierte Aktenkenntnis zurückgreifen kann, setzt er in der Regel auch die gerichtliche Entscheidung schriftlich ab52; er „führt“ insoweit das Verfahren von der Vorbereitung bis zur Entscheidungsreife. In Berlin beschließt das Plenum des Verfassungsgerichtshofs jeweils zu Beginn eines Kalenderjahres, nach welchen Grundsätzen die Richter zur Berichterstattung herangezogen werden53; ähnlich wird in Thüringen verfahren.54 Derartige Geschäftsverteilungspläne erlauben es, den Arbeitsanfall im Voraus nach Sachgebieten auf bestimmte Verfassungsrichter zu verteilen, so dass die spezielle Kenntnis oder auch ein besonderes Interesse einzelner Gerichtsmitglieder berücksichtigt werden kann.55 Brandenburg folgt dem Prinzip der durchgehenden Berichterstattung: Die eingehenden Verfahren werden fortlaufend auf die Verfassungsrichter in der alphabetischen Reihenfolge ihrer Nachnamen zur Berichterstattung verteilt.56 Entsprechend ver48 Kissel, § 193 GVG, Rn. 1. Vgl. zur gerichtlichen Beratung allgemein Michel, DRiZ 1992, S. 263 f. 49 § 29 Abs. 1 S. 1 VerfGHG Bln; § 27 Abs. 1 S. 1 VerfGG Bbg; § 26 Abs. 4 LVerfGG MV; § 10 SächsVerfGHG i. V. m. § 30 Abs. 1 S. 1 BVerfGG; § 28 Abs. 1 S. 1 LVerfGG LSA; § 24 Abs. 1 S. 1 ThürVerfGHG. 50 § 8 Abs. 1 S. 1 GO VerfGH Bln; § 11 Abs. 1 GO VerfG Bbg; § 3 Abs. 1 GO LVerfG MV; §§ 12 Abs. 1, 17 Abs. 2 S. 1 GO SächsVerfGH; § 2 Abs. 1 GO LVerfG LSA; § 12 Abs. 1 GO ThürVerfGH. 51 Wolf, § 14, V.1.f. 52 § 10 Abs. 1 S. 3 GO VerfGH Bln; § 3 Abs. 5 GO LVerfG MV. 53 § 8 Abs. 2 S. 1 GO VerfG Bln. Eine Änderung dieser Grundsätze ist während des Laufes des Kalenderjahres freilich möglich, vgl. § 8 Abs. 2 S. 2 GO VerfG Bln. 54 § 12 Abs. 2 S. 1 GO ThürVerfGH. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof orientiert sich dabei an einer zahlenmäßig vergleichbaren Belastung der Gerichtsmitglieder: Die Berichterstattung wird, nachdem sie entsprechend dem Verfahrenseingang bestimmt ist, in der alphabetischen Reihenfolge der Nachnamen der Richter durch den Präsidenten zugewiesen. Vgl. Bauer, LKV 1996, S. 387 f. 55 Vgl. v. Brünneck, S. 44. 56 § 11 Abs. 1 S. 2, 3 GO VerfG Bbg. Hiervon ausgenommen ist der Präsident; er kann sich jedoch selbst als Mitberichterstatter bestellen, § 11 Abs. 1 S. 2, 4, 5 GO VerfG Bbg.

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fährt der Sächsische Verfassungsgerichtshof bei Verfassungsbeschwerden57; bei allen anderen Verfahren wird der Berichterstatter ad hoc von dem Präsidenten bestimmt.58 In Mecklenburg-Vorpommern59 und Sachsen-Anhalt60 beauftragt der Vorsitzende für jedes Verfahren einen Verfassungsrichter mit der Berichterstattung. Individuelle Maßstäbe bei der Bestimmung des Berichterstatters können der unterschiedlichen Zusammensetzung der Richterbank in dem Landesverfassungsgericht Rechnung tragen. Die Aufarbeitung und Vorbereitung eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens dürfte die nichtjuristischen Gerichtsmitglieder wegen ihrer fehlenden Fachkenntnisse regelmäßig vor eine schwer zu bewältigende Aufgabe stellen. Mit Blick auf die wichtige Funktion der Berichterstattervorlage für die Strukturierung der Erstberatung61 sollte der internen Geschäftsverteilungsregelung daher eine gewisse Flexibilität zukommen, die es gestattet, die Vorbereitung aufwändiger Verfahren von vornherein auf Richter mit spezieller Erfahrung auf bestimmten Sachgebieten oder auf berufsrichterliche Mitglieder zu übertragen und die Laienrichter von dieser Arbeit weitestgehend freizustellen. Etwaige Ungleichmäßigkeiten in der Arbeitsbelastung werden sich bei einfacheren Verfahren ausgleichen lassen. Der Berichterstatter fertigt zu der ihm übertragenen Rechtssache ein schriftliches Votum, in einfach gelagerten Fällen einen begründeten Entscheidungsentwurf an.62 Hierzu kann er sich auf die Zuarbeit der wissenschaftlichen Mitarbeiter des Gerichts stützen63; bei Bedarf kann auch ein 57

§ 12 Abs. 2 S. 1 GO SächsVerfGH. Diese Regelung trägt dem Grundsatz des gesetzlichen Richters Rechnung, wenn der Verfassungsgerichtshof von der Möglichkeit Gebrauch macht, die Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde auf eine Kammer zu übertragen; vgl. hierzu Meissner, Verfassungsgerichtshof, § 17, S. 532, Rn. 42. Nach Nr. 2 Abs. 2 des derzeitigen Geschäftsverteilungsplanes ist der Präsident in die Zuteilung zur Berichterstattung wie jedes übrige Gerichtsmitglied einbezogen. 58 § 12 Abs. 2 S. 5 GO SächsVerfGH. Die Einhaltung einer bestimmten Reihenfolge ist hierbei nicht erforderlich; es wird jedoch auf eine gleichmäßige Arbeitsbelastung Rücksicht zu nehmen sein. 59 § 3 Abs. 2 S. 1 GO LVerfG MV. 60 § 2 Abs. 1 S. 1 GO LVerfG LSA. 61 Geck, Sondervoten, S. 328. Idealerweise argumentiert die Vorlage des Berichterstatters bereits so umfassend, dass in der Beratung nur noch die einzelnen Erwägungen bewertet werden müssen, vgl. Zöbeley, in: Umbach/Clemens, § 30, S. 528, Rn. 31. 62 § 11 Abs. 3 S. 1 GO VerfG Bbg; § 3 Abs. 3 GO LVerfG MV; § 17 Abs. 2 S. 1 GO SächsVerfGH; § 2 Abs. 4 GO LVerfG LSA; § 18 Abs. 2 S. 1 GO ThürVerfGH. In Berlin ist die Vorlage eines schriftlichen Votums zwingend vorgeschrieben, wenn eine mündliche Verhandlung stattfindet, § 10 Abs. 1 S. 1 GO VerfGH Bln.

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Mitberichterstatter bestellt werden.64 Das Votum enthält eine ausführliche Darstellung der Sach- und Rechtslage sowie einen Entscheidungsvorschlag. In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern bleibt es den anderen Richtern unbenommen, zusätzlich einen eigenen Entscheidungsvorschlag vorzulegen.65 Das Votum des Berichterstatters wird schließlich zusammen mit einer Abschrift aller entscheidungs- und verfahrenserheblichen Schriftstücke jedem Gerichtsmitglied zugeleitet.66 Zur Einarbeitung in die Akten sind den Verfassungsrichtern in Brandenburg mindestens sieben67, in Sachsen mindestens zehn68 und in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt sowie Thüringen mindestens vierzehn Tage69 eingeräumt. In Berlin sind die Voten spätestens drei Wochen vor dem Beratungstermin unter den Richtern zu verteilen70; erhebt ein Richter Bedenken gegen das Votum des Bericht63 § 4 S. 1 GO VerfGH Bln; § 5 GO VerfG Bbg; § 3 Abs. 1 GO LVerfG MV; § 8 GO SächsVerfGH; § 2 Abs. 1 S. 2 GO LVerfG LSA; § 8, 18 Abs. 1 S. 2 GO ThürVerfGH. Der personelle Unterbau der Landesverfassungsgerichte in Berlin und den neuen Ländern scheint dem Geschäftsanfall und dem Schwierigkeitsgrad der zur Entscheidung stehenden Streitfälle kaum angemessen: Während beim Bundesverfassungsgericht jedem einzelnen Richter drei wissenschaftliche Mitarbeiter des höheren Dienstes zugewiesen sind, müssen die Landesverfassungsgerichte durchweg mit insgesamt nur einem oder zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern auskommen. 64 Vgl. § 8 Abs. 1 S. 2 GO VerfGH Bln; § 11 Abs. 1 S. 4 GO VerfG Bbg; § 3 Abs. 2 S. 1 GO LVerfG MV; § 12 Abs. 3 S. 2 GO SächsVerfGH; § 2 Abs. 1 S. 1 GO LVerfG LSA; § 12 Abs. 3 S. 2 GO ThürVerfGH. Die Bestellung eines – juristisch ausgebildeten – Mitglieds des Verfassungsgerichts als Mitberichterstatter wird sinnvoll sein, wenn einer der Laienrichter mit der Berichterstattung betraut ist oder die Vorbereitung des Verfahrens einen außergewöhnlichen Arbeitsaufwand erfordert. Die Heranziehung eines Zweitberichterstatters mag sich auch dann empfehlen, wenn bei politisch stark umstrittenen Verfahren zwei verschiedene Sichtweisen im Gericht zur Geltung gebracht werden sollen. 65 § 11 Abs. 3 S. 2 GO VerfG Bbg; § 3 Abs. 3 GO LVerfG MV. Diesen Vorschriften liegt der Gedanke zugrunde, einem möglicherweise durch individuelle oder auch politische Präferenzen eines Verfassungsrichters eingefärbten Berichterstattervotum aus Gründen der Egalität im Gericht ein zweites Votum gegenüberstellen zu können. Angesichts des beträchtlichen Arbeits- und Zeitaufwandes, den die Anfertigung eines Berichterstattervotums mit sich zieht, dürfte sich ein Gerichtsmitglied in praxi jedoch eher selten veranlasst sehen, von dieser Regelung Gebrauch zu machen. 66 Vgl. § 10 Abs. 3 S. 2 GO VerfGH Bln; § 12 Abs. 1 GO VerfG Bbg; § 3 Abs. 4 GO LVerfG MV; § 17 Abs. 2 S. 2 GO SächsVerfGH; § 3 Abs. 1 S. 1 GO LVerfG LSA; § 18 Abs. 2 S. 2 GO ThürVerfGH. 67 § 12 Abs. 2 GO VerfG Bbg. 68 § 17 Abs. 3 GO SächsVerfGH. 69 § 3 Abs. 4 GO LVerfG MV; § 3 Abs. 2 GO LVerfG LSA; § 18 Abs. 3 GO ThürVerfGH. 70 § 10 Abs. 3 GO VerfGH Bln.

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erstatters, kann er bis spätestens eine Woche vor dem Beratungstermin einen Gegenvorschlag vorlegen.71 Mit dem Vortrag des Berichterstatters beginnt die Beratung. An ihr dürfen nur die zur Entscheidung berufenen Gerichtsmitglieder teilnehmen.72 Über den Gang der Beratung entscheidet das Gericht73; die Leitung obliegt dem Vorsitzenden.74 Eine bestimmte Dauer der Beratung ist nicht vorgeschrieben. Im Interesse eines möglichst umfassenden Rechtsgesprächs sollte die Beratung allerdings erst dann abgeschlossen werden, wenn die Aussprache unter den Richtern soweit fortgeschritten ist, dass neue Aspekte nicht mehr vorgetragen werden können und nur noch abzustimmen ist. Dies bedeutet freilich nicht, dass das Gericht seine Beratung unbegrenzt fortführen kann; es hat sie dann zu beenden, wenn sich feste Mehrheitsverhältnisse gebildet haben.75 Die Beratung schließt mit der Abstimmung. Soweit nicht etwas anderes vorgeschrieben ist, ergehen die Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte mit einfacher Stimmenmehrheit.76 Bei Stimmengleichheit ist ein Antrag abgelehnt; ein Verstoß gegen die Landesverfassung kann in diesem Fall nicht festgestellt werden.77 Da die Abstimmung wie auch die Beratung die Mitwirkung aller Richter voraussetzt, darf ein Gerichtsmitglied sich nicht der Stimme enthalten oder die Abstimmung über eine Frage deswegen 71

§ 10 Abs. 5 GO VerfGH Bln. § 15 VerfGHG Bln i. V. m. § 192 Abs. 1 GVG; § 13 VerfGG Bbg i. V. m. § 55 VwGO i. V. m. § 192 Abs. 1 GVG; § 26 Abs. 1 LVerfGG MV; § 17 Abs. 1 GO SächsVerfGH; § 33 Abs. 1 LVerfGG LSA i. V. m. § 192 Abs. 1 GVG; § 18 Abs. 1 S. 1 GO ThürVerfGH. In Berlin (§ 4 S. 3 GO VerfGH Bln, § 15 VerfGHG Bln i. V. m. § 193 Abs. 1 GVG), Brandenburg (§ 16 Abs. 3 GO VerfG Bbg) und Thüringen (§ 18 Abs. 1 S. 2 GO ThürVerfGH) kann der Vorsitzende auch den wissenschaftlichen Mitarbeitern die Anwesenheit gestatten. 73 § 16 Abs. 1 S. 1 GO VerfG Bbg; § 5 Abs. 1 GO LVerfG LSA. In den übrigen Ländern ist dies in den Geschäftsordnungen nicht ausdrücklich vorgeschrieben; dort dürfte aber nicht anders verfahren werden. 74 Vgl. § 10 Abs. 1 S. 1 VerfGHG Bln; § 7 Abs. 1 S. 1 VerfGG Bbg; § 10 Abs. 1 S. 1 LVerfGG MV; § 8 Abs. 1 S. 1 SächsVerfGHG; § 13 Abs. 1 S. 1 LVerfGG LSA; § 7 Abs. 1 S. 1 ThürVerfGHG. 75 Millgramm, S. 108; Kühne, DRiZ 1975, S. 395. 76 § 11 Abs. 2 S. 1 VerfGHG Bln; § 28 Abs. 1 S. 1 VerfGG Bbg; § 13 LVerfGG MV i. V. m. § 196 Abs. 1 GVG; § 8 Abs. 3 S. 1 und 2 SächsVerfGHG; § 13 Abs. 3 S. 1 LVerfGG LSA; § 8 Abs. 2 S. 1 ThürVerfGHG. 77 § 11 Abs. 2 S. 2 VerfGHG Bln; § 28 Abs. 1 S. 2 VerfGG Bbg; § 8 Abs. 3 S. 3 SächsVerfGHG; § 13 Abs. 3 S. 2 und 3 LVerfGG LSA; § 8 Abs. 2 S. 2 und 3 ThürVerfGHG. Die Konstellation einer Stimmengleichheit kommt bei den durchweg mit einer ungeraden Zahl von Richtern besetzten Landesverfassungsgerichten im Regelfall nicht in Betracht; sie kann jedoch dann entstehen, wenn das Gericht in verringerter Besetzung entscheiden muss. 72

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verweigern, weil es in einer vorangegangenen Frage überstimmt worden ist.78 Den Mitgliedern des Berliner und des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes ist das Recht eingeräumt, ihre Meinung nach der Stimmabgabe in einer erneuten Beratung zu revidieren. Sie können bis zur Verkündung oder Ausfertigung der Entscheidung die Fortsetzung der Beratung verlangen, wenn sie ihre Stimmabgabe ändern wollen.79 Die Verfahrensbestimmungen der übrigen Landesverfassungsgerichte kennen eine solche Regelung nicht. Es ist gleichwohl einhellig anerkannt, dass auch deren Mitglieder eine Nachberatung mit erneuter Abstimmung veranlassen können. Uneinigkeit herrscht indes darüber, welche Voraussetzungen hierfür gegeben sein müssen. Nach überwiegender Ansicht kann jedes Gerichtsmitglied bereits durch die bloße Änderung oder den Widerruf seiner Stimmabgabe vor der Verkündung der Entscheidung eine nochmalige Beratung und Abstimmung herbeiführen. Die noch nicht vollständig verkündete Entscheidung stelle lediglich einen Entwurf dar, an den das Gericht nicht gebunden sei.80 Die Gegenposition hält eine nachträgliche Änderung der einmal abgegebenen Stimme grundsätzlich für unzulässig. Eine Nachberatung mit neuer Abstimmung sei allerdings dann möglich, wenn die Mehrheit des Kollegiums einem dahingehenden Antrag eines Richters in entsprechender Anwendung des § 194 Abs. 2 GVG stattgebe.81 Hiergegen spricht indes, dass die Vorbereitung eines Meinungswandels im Gericht nicht von einem Mehrheitsbeschluss abhängig gemacht werden sollte, solange die Entscheidung noch nicht verkündet ist und das Gericht erneut in die Beratung treten kann. Da das Sondervotum dem überstimmten Richter die Gelegenheit bietet, seinen Rechtsstandpunkt gegenüber demjenigen der Mehrheit frei von den Zwängen der zumeist auf einen Kompromiss angelegten Entscheidung darzustellen, mag die eingangs erwähnte Besorgnis Starcks, er könne der persönlichen Profilierung willen seine richterlichen Beratungspflichten vernachlässigen, in der Tat nahe liegen. Zu Erschwernissen im Beratungsverlauf kann es jedoch auch schon dann kommen, wenn der abweichende Richter infolge eines frühzeitigen Dissenses das weitere Verfahren nicht mehr unterstützen will und sich mit Blick auf die Abfassung eines Sondervotums zurückzieht. Aber auch ein Entwurf eines abweichenden Votums kann die Beratungen unter Umständen belasten, wenn der Richter damit 78 § 28 Abs. 2 S. 4 VerfGG Bbg; § 26 Abs. 2 S. 4 LVerfGG MV; Kissel, § 195 GVG, Rn. 1; Katholnigg, § 195 GVG, Rn. 1. 79 § 10 Abs. 6 S. 1 GO VerfGH Bln; § 17 Abs. 4 GO SächsVerfGH. 80 Mellinghoff, S. 19 f.; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, § 194 GVG, Rn. 19; Katholnigg, § 194 GVG, Rn. 5. 81 Kissel, § 194 GVG, Rn. 5; ähnlich Michel, DRiZ 1992, S. 264; Kleinknecht/ Meyer-Goßner, § 194, Rn. 4.

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signalisiert, dass er zu einem Kompromiss oder zur weiteren Diskussion nicht mehr bereit ist.82 Indes stehen dem Außenstehenden darüber, ob das Sondervotum im Einzelfall einem vorzeitigen Auseinandertreten von Mehrheit und Minderheit in der Beratung Vorschub geleistet und dadurch den Prozess der Entscheidungsfindung verschlechtert hat, obwohl noch ein Kompromiss möglich gewesen wäre, aufgrund des gerichtlichen Beratungsgeheimnisses allenfalls Mutmaßungen und Spekulationen zu. Eine diesbezügliche Untersuchung kann daher nur bei der Frage ansetzen, ob die gesetzlichen und autonom verordneten Vorgaben, welchen der Richter bei der Veröffentlichung einer abweichenden Meinung unterworfen ist, ein hinreichendes Gegengewicht gegen derartige Bedenken bilden.83 b) Gesetzliche und autonom verordnete Vorgaben für das Sondervotum Zu einem Sondervotum kann, wie sich aus dem Wortlaut der es gestattenden Normen ergibt, allein die „in der Beratung vertretene Meinung“ eines Gerichtsmitglieds werden.84 Mit dieser Vorgabe umgrenzt das Gesetz den möglichen Inhalt des Sondervotums: Dieses soll ausschließlich denjenigen Rechtsstandpunkt zum Ausdruck bringen, für den sein Verfasser in der Beratung eingetreten ist. Da das Sondervotum insoweit lediglich Schriftform gewordener Teil des gerichtlichen Entscheidungsprozesses ist, sind ihm alle Erwägungen, die nicht bereits Gegenstand der Beratung waren, nicht zugänglich.85 Zugleich bewirkt dieses Zulässigkeitskriterium, dass die Sachargumentation des abweichenden Richters in die gerichtliche Beratung einfließen muss. Dass ein Richter dem Kollegium Argumente verschweigt, um sie einem späteren Sondervotum vorzubehalten, oder sich nur halbherzig an der Beratung beteiligt, ist daher mit den gesetzlichen Anforderungen an das Sondervotum nicht vereinbar.86 Auch die Geschäftsordnungen der Landesverfassungsgerichte tragen dafür Sorge, dass ein Sondervotum den Verlauf der Beratung nicht nachteilig be82

Vgl. Millgramm, S. 128. Eine allgemeine Umfrage zum Sondervotum, welche der Verfasser unter den Mitgliedern der Verfassungsgerichte in Berlin und den neuen Ländern durchführte, brachte kein als soziologische Basis für die folgenden Ausführungen taugliches Ergebnis: Überwiegend sahen die Landesverfassungsgerichte von einer Beantwortung des an sie gesandten Fragebogens ab, da Rückschlüsse auf den Gang der Beratungen zu befürchten standen. 84 Vgl. § 29 Abs. 2 S. 1 VerfGHG Bln; § 27 Abs. 2 S. 1 VerfGG Bbg; § 26 Abs. 5 LVerfGG MV; § 28 Abs. 2 S. 1 LVerfGG LSA; § 24 Abs. 2 S. 1 ThürVerfGHG. 85 Dombert, S. 173. 86 Vgl. Pestalozza, § 20, S. 291, Rn. 39. 83

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einflusst. In allen Ländern wird das Recht zur Abgabe eines Sondervotums an eine Mitteilungspflicht geknüpft: Um das Kollegium zur eingehenden Auseinandersetzung mit einer abweichenden Auffassung anzuhalten, hat der Richter seine Absicht, ein Sondervotum abzugeben, möglichst frühzeitig anzukündigen.87 Die zeitliche Spanne dieser Mitteilungspflicht ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich ausgestaltet. Die Mitglieder des Berliner Verfassungsgerichtshofes sollen ein beabsichtigtes Sondervotum so früh wie möglich, spätestens aber unmittelbar vor der Unterzeichnung der Entscheidung mitteilen.88 In Mecklenburg-Vorpommern besteht eine ähnliche Regelung, allerdings ist sie dort zwingend ausgestaltet: Die Verfassungsrichter haben ihre Abweichungsabsicht so früh wie möglich, spätestens eine Woche nach der Beratung und Abstimmung, jedenfalls aber vor der Unterzeichnung der Entscheidung den übrigen mitwirkenden Richtern zu eröffnen.89 In Thüringen haben die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes die Absicht eines Sondervotums spätestens drei Tage nach der Abstimmung bzw. Beratung mitzuteilen.90 Brandenburg91 und Sachsen-Anhalt92 lassen die Mitteilung eines ins Auge gefassten Sondervotums ausdrücklich nur in der Beratung selbst zu: Die Verfassungsrichter haben die Absicht einer abweichenden Meinung in der Beratung anzukündigen, sobald der Stand der Beratungen dies ermöglicht. In Berlin und in Brandenburg kann schließlich jedes an der Entscheidungsfindung beteiligte Mitglied des Gerichts bis zu der Verkündung bzw. Bekanntgabe der Entscheidung die Fortsetzung der Beratung bewirken, wenn ihm ein Sondervotum dazu Anlass gibt. In Berlin ist hierzu ein Antrag beim Plenum des Verfassungsgerichtshofes erforderlich; ein Wiedereintritt in die Beratung ist damit von dem Mehrheitsbeschluss des Kollegiums abhängig.93 Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg lässt hingegen bereits jedes Verlangen eines Richters auf Fortsetzung der Beratung genügen, um diese wieder aufzunehmen.94 Die Möglichkeit einer erneuten Beratung eröffnet Mehrheit wie Minderheit die Chance, ihre Ansichten nochmals zu überdenken.95 87

Vgl. Simon, HVerfR, § 34, S. 1660, Rn. 41. § 13 Abs. 1 GO VerfGH Bln. Da die Mitteilungspflicht indes lediglich als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist, scheinen Ausnahmen nicht ausgeschlossen zu sein. 89 § 4 Abs. 1 GO LVerfG MV. Unklar ist der Sinn dieses „zweifachen“ Fristendes: Die Festlegung eines Endtermins („bis zur Unterzeichnung der Entscheidung“) entsprechend der Berliner Regelung hätte sicher genügt. 90 § 20 Abs. 2 GO ThürVerfGH. 91 § 19 Abs. 1 S. 1 GO VerfG Bbg. 92 § 5a Abs. 2 GO LVerfG LSA. 93 § 10 Abs. 6 S. 2 GO VerfGH Bln. 94 § 16 Abs. 2 GO VerfG Bbg. 88

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Ist die Ankündigung eines Verfassungsrichters, ein Sondervotum abzugeben, demnach als eine Aufforderung an das Kollegium zur Fortführung und Intensivierung der Beratung zu begreifen96, gibt es doch Fälle in der bisherigen Rechtsprechungspraxis der Landesverfassungsgerichte, welche den Eindruck einer nicht ganz zu Ende geführten Beratung im Kollegium vermitteln. Ein Beispiel hierfür ist der Beschluss des Berliner Verfassungsgerichtshofs vom 17. Dezember 1997 und das hierzu ergangene Sondervotum der Richterin Arendt-Rojahn.97 Ein Angestellter des Landes Berlin hatte sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen zwei arbeitsgerichtliche Urteile gewandt. Im Rahmen einer vorgesehenen Verbeamtung hatte der aus der ehemaligen DDR stammende Beschwerdeführer die Frage verneint, für das Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen zu sein. Aus einer vom Dienstherrn eingeholten Auskunft der Gauck-Behörde ergab sich indes, dass er als inoffizieller Mitarbeiter geführt worden war. Das Land Berlin kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis; die Kündigungsschutzklage des Beschwerdeführers vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht blieb ohne Erfolg. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer insbesondere die Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Der Verfassungsgerichtshof wies die Verfassungsbeschwerde ab. Ob für die Befragung des Beschwerdeführers während der Verbeamtungsaktion eine gesetzliche Grundlage erforderlich gewesen ist oder es aufgrund der Freiwilligkeit der Datenpreisgabe bereits an einem Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht fehlt, ließ er offen. Eine gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung lasse sich jedenfalls dem § 9 Abs. 1 Nr. 2 LBG Bln entnehmen.98 Zulässigerweise erhobene Kenntnisse könne der öffentliche Arbeitgeber unabhängig davon verwerten, zu welchem Zweck er sich die Informationen verschafft habe.99 Die Richterin Arendt-Rojahn äußerte in ihrem Sondervotum scharfe Kritik an der Entscheidung. Für eine im Vorfeld einer Verbeamtungsaktion vorgenommene Befragung ohne Bezug auf eine tatsächlich vorliegende Bewerbung sei § 9 Abs. 1 Nr. 2 LBG Bln keine gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Ebenso könne in der Freiwilligkeit der Beantwortung keine Rechtfertigung gesehen werden.100 Die Dissenterin rügte insbesondere, dass die Mehrheit die Pro95

Vgl. Klein, in: Benda/Klein, § 16, S. 133, Rn. 317. Ritterspach, S. 1386. 97 LVerfGE 7, 26 (38 ff.). Vgl. hierzu den Kommentar von Jutzi, NJ 1998, S. 197. 98 LVerfGE 7, 33. 99 LVerfGE 7, 37. 100 LVerfGE 7, 40. 96

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blematik eines Schweige- oder Auskunftsverweigerungsrechts für den Fall der Selbstbezichtigung und die Frage der Zweckbindung der allein auf die zukünftige Verbeamtung abzielende Datenerhebung sowie ein daraus resultierendes Verwertungsverbot für das bereits bestehende Arbeitsverhältnis nicht gewürdigt habe.101 In diesem Zusammenhang hätte sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Selbstbezichtigungsverbot berücksichtigen müssen.102 Schließlich habe die Mehrheit auch den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen zum zulässigen Umfang von Fragen nach einer früheren Tätigkeit für das MfS sowie zur Anwendung und Auslegung der Sonderkündigungstatbestände nicht hinreichend Rechnung getragen.103 Auf einen nicht voll ausgetragenen Willensbildungsvorgang im Spruchkörper lässt auch das Sondervotum schließen, welches der Verfassungsrichter von Arnim104 zu der Entscheidung des Brandenburgischen Verfassungsgerichts vom 25. Januar 1996 über die Frage der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat vorlegte.105 Dem Verfahren zugrunde lag eine Normenkontrollvorlage des Verwaltungsgerichts Potsdam. Dort hatte ein Oberarzt eines Kreiskrankenhauses, der bei einer Kommunalwahl in den Kreistag des Landkreises gewählt worden war, gegen die Aufforderung des Wahlleiters geklagt, im Falle der Annahme des Mandates für den Kreistag sein Dienstverhältnis beim Landkreis zu beenden. Der Wahlleiter berief sich auf die Inkompatibilitätsvorschrift des § 12 Abs. 1 Nr. 1 KWG Bbg, wonach Beamte und Angestellte, die im Dienst der öffentlichen Verwaltung stehen, nicht gleichzeitig der Vertretung ihrer Anstellungskörperschaft angehören können. Das Verwaltungsgericht hielt diese Bestimmung für unvereinbar mit dem in Art. 22 Abs. 1 S. 1 Verf Bbg garantierten Recht aller Bürger auf Wählbarkeit zum Landtag und zu den kommunalen Vertretungskörperschaften und legte die Frage dem Verfassungsgericht zur Entscheidung vor. 101

LVerfGE 7, 42. LVerfGE 7, 43. 103 LVerfGE 7, 49. 104 Die Verfassungsrichterin Harms-Ziegler schloss sich diesem Sondervotum an. 105 VfG Bbg 13/95 – LVerfGE 4, 85 ff. Denselben Streitgegenstand betraf das Normenkontrollverfahren VfG Bbg 12/95, abgedruckt in DÖV 1996, 372 ff.; DVBl. 1996, 363 ff., welches mit VerfG Bbg 13/95 zur gemeinsamen Verhandlung verbunden wurde. Beide Entscheidungen sind hinsichtlich Zulässigkeit und Begründetheit gleichlautend. Die folgenden Ausführungen beziehen sich aus Darstellungsgründen auf das Urteil VfG Bbg 13/95, LVerfGE 4, 85 ff. Vgl. auch die Anmerkungen von Linck, ZG 1996, S. 181 ff.; Menzel, DÖV 1996, S. 1037 ff.; Sendler, NJ 1996, S. 225 f.; Kluge, NJ 1996, S. 356 ff. und die Reaktion Sendlers hierauf, NJW 1997, S. 918 ff.; Löwer/Menzel, ZG 1997, S. 106 ff.; Lindemann, S. 96 ff. 102

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Die Mehrheit des Verfassungsgerichts erklärte die streitgegenständliche Inkompatibilitätsvorschrift für nichtig, weil der Brandenburgische Gesetzgeber zu einer Beschränkung des passiven Wahlrechts auf kommunaler Ebene nicht legitimiert sei. Die ihm in Art. 137 Abs. 1 GG eingeräumte Ermächtigung, Inkompatibilitätsregelungen für den öffentlichen Dienst einzuführen, werde durch die Landesverfassung verdrängt: Der Wortlaut des Art. 22 Abs. 1 Verf Bbg deute auf die Absicht des Verfassungsgebers hin, dass von der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG jedenfalls für den Bereich des Kommunalwahlrechts kein Gebrauch gemacht werden dürfe.106 Hätte der Verfassungsgeber die Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG an den Landesgesetzgeber offen halten wollen, so hätte er dies in Art. 22 Abs. 1 Verf Bbg selbst oder an anderer Stelle der Verfassung zum Ausdruck bringen müssen. Da dies nicht geschehen sei, gelte Art. 22 Abs. 1 Verf Bbg für die kommunalen Vertretungskörperschaften vorbehaltlos.107 Schließlich verwies die Gerichtsmehrheit auf die in Brandenburg historisch gewachsene Tradition der Kompatibilität von Amt und Mandat. Weder dem Verfassungsentwurf des Runden Tisches, dem Kommunalwahlgesetz der DDR von 1990, dem Gesetz über die Wahlen zur Volkskammer noch dem Länderwahlgesetz von 1990 seien Inkompatibilitätsregelungen bekannt gewesen.108 Der Dissenter von Arnim sah in seinem Sondervotum die Inkompatibilitätsvorschrift des § 12 Abs. 1 Nr. 1 KWG Bbg unmittelbar durch Art. 137 Abs. 1 GG gerechtfertigt. Er hielt der Mehrheit vor, die Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Sachsen-Anhalt nicht beachtet zu haben, welche Art. 137 Abs. 1 GG als Ermächtigung des Landesgesetzgebers zur Einschränkung der landesverfassungsrechtlichen Grundrechte der Wählbarkeit bestätigen würden.109 Zudem zeige ein Vergleich mit den Bestimmungen anderer Landesverfassungen, dass in den meisten Ländern der Vorbehalt des Art. 137 Abs. 1 GG Grundlage für landesgesetzliche Beschränkungen des Wahlrechts sei. Dem Art. 22 Abs. 1 Verf Bbg lasse sich eine Aussage darüber, ob das passive Wahlrecht jedem einschränkungslos zukomme oder ob es eingeschränkt werden dürfe, nicht entnehmen. Ebenso wenig lasse die Entstehungsgeschichte der Brandenburgischen Landesverfassung den Schluss zu, dass Art. 22 Abs. 1 Verf Bbg dem Gebrauch von der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG entgegenstehe. Der Landtag habe mit § 28 des Abgeordnetengesetzes von 1991 noch vor der Verabschiedung der Landesverfassung eine Vorschrift über die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat erlassen.110 Dass der Landtag in 106 107 108 109

LVerfGE LVerfGE LVerfGE LVerfGE

4, 4, 4, 4,

95. 96. 97. 104.

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Kenntnis dieser Vorschrift mit Art. 22 Abs. 1 Verf Bbg eine Verfassungsnorm geschaffen habe, welche diese Inkompatibilitätsbestimmung nunmehr untersage, sei kaum vorstellbar.111 Abschließend verwies von Arnim darauf, dass die Ansicht der Mehrheit in ihrer Konsequenz dazu führe, dass nicht nur der § 12 Abs. 1 Nr. 1 KWG Bbg, sondern auch die Inkompatibilitätsvorschrift des Abgeordnetengesetzes verfassungswidrig sei.112 c) Bewertung Unredliche Motive, wie sie Starck ins Auge gefasst hat, werden weder Arendt-Rojahn noch von Arnim zu unterstellen sein. Die aus beiden Sondervoten sprechende harsche Kritik, die Mehrheit habe entscheidungserhebliche Gesichtspunkte verkannt oder schlicht übersehen, weckt indes Zweifel, ob die jeweils zugrundeliegende Rechtssache eine gründliche Prüfung und Beratung erfahren hat. Freilich wird sich kaum erhellen lassen, ob dem Hinweis der Richterin Arendt-Rojahn auf das Auskunftsverweigerungsrecht sowie auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Selbstbezichtigungsverbot von der Mehrheit des Berliner Verfassungsgerichtshofes in der Beratung tatsächlich keine hinreichende Beachtung geschenkt wurde oder ob von Arnim die abweichende Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte zur Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG nicht mit deutlichem Bemühen zur Sprache gebracht hat. Ebenso bleibt die Frage offen, ob diese Voten wirklich noch allein die in der Beratung vertretene abweichende Meinung ihrer Verfasser artikulieren oder eher „nachgereichte“, erst durch Formulierungen der Entscheidungsbegründung veranlasste Erwägungen enthalten. Häberle meint, dass derart „mäkelnde“ Sondervoten jedenfalls ein Indiz für eine nur unzureichende Verarbeitung des Rechtsstoffes in den verfassungsgerichtlichen Beratungen oder für Kommunikationsdefizite im Spruchkörper sein können.113 Es ist einzuräumen, dass es einem Landesverfassungsgericht nicht immer möglich sein wird, jede einzelne Rechtsfrage bis ins Detail zu erörtern. Seine Arbeitskapazität ist wegen der nur ehren- bzw. nebenamtlichen Tätigkeit der Verfassungsrichter gering. Trotzdem müssen die anhängigen Verfahren im Interesse der Verfahrensbeteiligten rasch erledigt werden. Für gewisse zeitliche Grenzen der Beratung dürfte darüber hinaus der bei einigen Landesverfassungsgerichten starke Geschäftsanfall sorgen.114 110 111 112 113

Jetzt § 29 AbgG. LVerfGE 4, 105. LVerfGE 4, 107 f. Vgl. Häberle, Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 25, Fn. 79.

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Gleichwohl rührt dies nicht an der jedes Mitglied des Spruchkörpers treffenden Pflicht, den an das Verfassungsgericht herangetragenen Streitfall sachgemäß und umfassend zu entscheiden. Auch der abweichende Richter hat sich mit ganzer Aufmerksamkeit an den Beratungen zu beteiligen und darf für die Entscheidung bedeutsame Aspekte nicht zurückhalten. Sieht er in dem Sondervotum hingegen Raum, in der gerichtlichen Beratung nicht ausgetragene Argumente vorzubringen oder nutzt er es als Medium, der Gerichtsmehrheit öffentlich Verfehlungen vorzuhalten, so würde dies nicht nur den Wortlaut der das Sondervotum zulassenden Normen missachten, sondern auch seine richterlichen Pflichten.115 Eine abweichende Meinung soll ihren Verfasser nicht aus der Beratungssituation exponieren, sondern lediglich den Endpunkt einer Diskussion im Spruchkörper dokumentieren, bei dem sich die juristischen Bewertungsunterschiede von Mehrheit und Minderheit unverrückbar gegenüber stehen.116 Jedoch sind auch positive Auswirkungen des Sondervotums auf den gerichtlichen Beratungsprozess festgestellt worden. Der ehemalige Bremische Oberlandesgerichtspräsident Arndt wusste dem Nürnberger Juristentag aus seinen Erfahrungen mit der Veröffentlichung abweichender Meinungen bei dem Bremischen Staatsgerichtshof, dem aufgrund des Londoner Schuldenabkommens gebildeten Schiedsgerichtshof und der Schiedskommission für Güter, Rechte und Interessen in Deutschland zu berichten, dass in keinem dieser drei Gerichte die Gründlichkeit der Beratung aufgrund der Möglichkeit eines Sondervotums Schaden genommen habe; eher sei sie noch gestärkt worden. Oftmals seien die Urteilsgründe der Mehrheit auch derart verbessert worden, dass die Minderheit eine fertig präparierte abweichende Ansicht wieder fallen gelassen habe.117 Diese Aussagen bekräftigte Arndt in einem späteren Festschriftenbeitrag.118 Ähnliches wird auch beim Bundesverfassungsgericht beobachtet. Mahrenholz schilderte den Teilnehmern des „Zweiten internationalen Symposiums Rechtsprechungslehre“ aus seiner richterlichen Erfahrung beim Bundesverfassungsgericht, dass die Kritik des Dissenters bei der Beratung der Urteilsbegründung auch dann noch ernst genommen werde, wenn die abweichende Meinung schon angekündigt oder formuliert sei.119 Einen Einfluss des Sondervotums auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts selbst vermochte er nicht zu erkennen, wenngleich es formulierungstechnisch noch 114 115 116 117 118 119

Vgl. auch die Verfahrensstatistik oben sub B. VIII. Millgramm, S. 124. Dombert, S. 175. Arndt, 47. DJT, Bd. II, S. R 105. Ders., FS Rheinstein, S. 146. Mahrenholz, S. 170 f.

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zu „Frontbegradigungen“ kommen könne. Dennoch sieht es Mahrenholz durchaus als möglich an, dass die Ankündigung eines Sondervotums auch als taktisches Mittel eingesetzt werden könne, um den Senat in einer für das Ergebnis nicht ausschlaggebenden Frage noch zu einer Änderung zu bewegen.120 Zöbeley schreibt dem Sondervotum eine konsensfördernde Wirkung zu: In manchen Fällen habe bereits das Vorliegen eines Entwurfs für ein fundiertes Sondervotum dazu geführt, dass der Senat seine Beratung wieder aufgenommen und doch noch zu einem Kompromiss gefunden habe.121 Auch Klein hält das Sondervotum für ein Mittel, welches die Mehrheit des Gerichts zu einem intensiveren Überdenken ihrer Ansicht und zur Auseinandersetzung mit bestimmten in der Beratung vertretenen Argumenten zwingen könne.122 Ähnlich äußert sich Geiger.123 Lamprecht meint, dass die Ankündigung und Abgabe eines Sondervotums die Mitglieder des Gerichts bei der Urteilsberatung unter einen „heilsamen Sachzwang“ setzen könnten: Eine abweichende Meinung gebe der Mehrheit Anlass, sich um so intensiver mit der Gegenansicht auseinandersetzen und dabei auch die Überzeugungskraft der eigenen Position zu überdenken.124 Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Limbach bestätigt, dass die Möglichkeit zu Sondervoten in keiner Weise der Tendenz von Richtern Vorschub geleistet habe, vorschnell zu resignieren und sich in die abweichende Meinung zu flüchten.125 Diese Erwägungen dürften sich grundsätzlich auch auf die Beratungen eines Landesverfassungsgerichts übertragen lassen. Dass in einem Richterkollegium jedoch gerade im Hinblick auf die Möglichkeit eines Sondervotums besonders lange, ernsthaft und sorgfältig argumentiert, die Beratung also vertieft wird, wie vor allem während des Juristentages 1968 und im damaligen Schrifttum angenommen wurde126, ist indes zweifelhaft. Es wird Geck zuzustimmen sein, wenn er meint, dass das Recht zur Abgabe von Sondervoten gelegentlich eine ergänzende, intensivere Auseinandersetzung mit ei120

Ders., S. 171. Zöbeley, in: Umbach/Clemens, § 30, S. 527, Rn. 27. 122 Klein, in: Benda/Klein, § 16, S. 132, Rn. 317. 123 Geiger, S. 460. 124 Lamprecht, Richter contra Richter, S. 20; ders., DRiZ 1996, S. 239. 125 Limbach, S. 33. 126 Heyde, JöR N. F. 19 (1970), S. 225; Rupp, S. 541. Auch Rinken sprach sich im Rahmen der Sachverständigenanhörung vor dem Verfassungs- und Rechtsausschuss des Sächsischen Landtages dafür aus, dass allein die Möglichkeit des Sondervotums die Mehrheit zwinge, sich mit den Argumenten der dissentierenden Minderheit sachlich und gründlich auseinander zu setzen. Vgl. Sächsischer Landtag, 1. Wahlperiode, Protokoll zur Anhörung zum Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen am 11.01.1993 im Verfassungs- und Rechtsausschuss, S. 5. Dieser Auffassung ist mit Blick auf die Schiedsgerichtsbarkeit auch Peltzer, S. 111. 121

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ner Minderheitsmeinung innerhalb des Spruchkörpers auslösen könne, insgesamt aber hiervon nicht zuviel erwartet werden sollte.127 Immerhin scheint es in der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte einen Fall gegeben zu haben, in denen trotz der Existenz des Sondervotums ein Konsens gesucht wurde, um die Formulierung einer abweichenden Meinung zu vermeiden und das Verfassungsgericht als einheitlichen Träger der gefällten Entscheidung darzustellen. Der äußerst umstrittene „Honecker-Beschluss“ des Berliner Verfassungsgerichtshofes128, der wegen der Prominenz des Klägers von einem ausgesprochen lebhaften politischen und öffentlichen Interesse begleitet wurde, lässt keine Aufschlüsse über etwaige Differenzen im Kollegium zu: Kein Mitglied des Gerichts hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ein Sondervotum vorzulegen; auch das Stimmenverhältnis wurde nicht mitgeteilt.129 Nicht hinreichend geklärt werden kann schließlich die Frage, inwieweit ein Dissens im Gericht auch auf gewisse psychologische Umstände zurückzuführen ist, etwa wenn der Minderheitsrichter zu heftig oder unflexibel auf seiner Ansicht beharrt oder die Mehrheit sich seinen Argumenten rigoros verschließt.130 Auch persönliche Animositäten zwischen den Richtern oder andere der Sache nicht dienliche Gründe können eine Rolle spielen.131 Insgesamt dürfte festzuhalten sein, dass die Möglichkeit des Sondervotums nicht per se als ein Beratungshindernis angesehen werden kann.132 Majorität wie Minorität sollten es gleichwohl in der Beratung nicht an dem Willen fehlen lassen, im sorgfältigen Austausch aller maßgeblichen Argumente und Gegenargumente einen Weg der Verständigung zu suchen. Erst wenn dieser Weg nicht beschritten werden kann, der in der Minderheit befindliche Richter also feststellt, dass er sich mit seinen Argumenten gegenüber denjenigen der Mehrheit nicht durchzusetzen vermag, sollte auf das Sondervotum zurückgegriffen werden. 2. Sondervoten und die Kollegialität im Gericht In engem Zusammenhang mit dem zuvor Behandelten steht die Frage, ob und inwieweit sich die Existenz eines Sondervotums auf die Kollegialität im Verfassungsgericht auswirkt. Bereits während der Beratungen des reichs127 128

Geck, Sondervoten, S. 330. BerlVerfGH, Beschluss v. 12.01.1993 – BerlVerfGH 55/92 – LVerfGE 1,

56 ff. 129 Dies wurde in der Öffentlichkeit mit Verwunderung registriert, vgl. Starck, FAZ v. 17.02.1993. 130 Vgl. Mahrenholz, S. 171. 131 Vgl. Peltzer, S. 114. 132 So auch Millgramm, S. 124; Geck, Sondervoten, S. 331.

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einheitlichen Gerichtsverfassungsgesetzes in den Jahren 1875/1876 wurde befürchtet, dass eine veröffentlichte abweichende Meinung den inneren Frieden im Richterkollegium stören könne.133 Auch Baring glaubt, dass ein Sondervotum das Klima im Gericht verschlechtere und dadurch die richterliche Zusammenarbeit erschwere, wenn nicht sogar unmöglich mache: Die Möglichkeit oder auch die Androhung eines Richters, es werde ein Sondervotum ergehen, könne sich wie ein „giftiger Hauch“ im Beratungszimmer breit machen.134 Einen Gegenpol zu diesen nicht näher begründeten Aussagen bilden die Erfahrungen von Arndt und Mahrenholz. Arndt hat während seiner langjährigen Tätigkeit bei drei Gerichten mit praktiziertem Sondervotum nie eine Spannung oder Verstimmung darüber empfunden, dass ein Richter seine unterlegene Meinung nach außen hin dokumentieren wollte.135 Mahrenholz konnte in seiner Amtszeit beim Bundesverfassungsgericht ebenfalls nicht feststellen, dass die Atmosphäre der Beratung durch die Ankündigung eines Sondervotums berührt worden sei. Vielmehr sei die Bereitschaft der Richter, sich gleichsam gegenseitig das rechtliche Gehör zu gewähren, ein derart wesentlicher Bestandteil der Senatsarbeit, dass die Möglichkeit des offenen Widerspruchs gegen die Mehrheit diese nicht beeinträchtigen könne.136 Nennenswerte Schwierigkeiten bei der Abgabe von Sondervoten sieht auch Zierlein nicht. Allerdings sei dies vornehmlich darauf zurückzuführen, merkt Zierlein nachdrücklich an, dass die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts ihre richterliche Tätigkeit im Hauptberuf ausüben und auf eine verhältnismäßig lange Dauer von zwölf Jahren zusammenarbeiten: Das hierdurch geförderte Bewusstsein einer kollegialen Zusammengehörigkeit sowie die Notwendigkeit, aufeinander Rücksicht nehmen zu müssen, hätten sich nicht nur auf das Klima im Senat und auf das Verhältnis der Richter untereinander, sondern auch auf das Zustandekommen der Mehrheitsentscheidung und die Erwägungen des abweichenden Richters positiv ausgewirkt.137 Auch Simon konstatiert, dass die Solidarität der Richter am Bundesverfassungsgericht durch das Sondervotum nicht nachweisbar gelitten habe.138 Für die Landesverfassungsgerichtsbarkeit gibt es keinerlei Erfahrungswerte.139 Die folgenden Ausführungen können daher 133 Vgl. Struckmann, in: Hahn, Materialien zum GVG, S. 365. Siehe zu den Beratungen der Reichstagskommission über das Sondervotum oben sub C. IV. 1. 134 Baring, DVBl. 1968, S. 615. 135 Arndt, FS Rheinstein, S. 140. Auch vor dem Nürnberger Juristentag versicherte Arndt, dass eine abweichende Meinung der Kollegialität im Gericht nicht geschadet, sondern eher genutzt habe, vgl. Arndt, 47. DJT, Bd. II, S. R 105. 136 Mahrenholz, S. 170. 137 Zierlein, DÖV 1981, S. 93 f. 138 Simon, HVerfR, § 34, S. 1660, Rn. 41. 139 Erste Mutmaßungen stellt Geck, Sondervoten, S. 340 ff., an.

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nur denkbare Umstände aufzeigen, die bezüglich des Sondervotums Einfluss auf das kollegiale Verhältnis unter den Mitgliedern eines Landesverfassungsgerichts nehmen könnten. Wie das Bundesverfassungsgericht sind auch die Landesverfassungsgerichte als Kollegialgerichte ausgestaltet. Der Einrichtung eines aus mehreren Richtern zusammengesetzten Gerichts liegt der Gedanke zugrunde, unterschiedliche Erfahrungen und Rechtskenntnisse in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen. Dass sich dabei nicht in jeder Frage Einigkeit erzielen lässt, gehört zum Wesen des Kollegialgerichts; es ist geradezu auf Auseinandersetzungen angelegt. Für die Landesverfassungsgerichtsbarkeit sind zwei weitere Faktoren in Rechnung zu stellen, die sich dissensfördernd auswirken können: Die Landesverfassung, das Handwerkszeug der Verfassungsrichter, bietet mit ihren weiten, interpretationsbedürftigen Normen vielgestaltige Möglichkeiten für divergierende Beurteilungen, ihre ausgeprägte Nähe zum Politischen mag eventuelle Reibungsflächen noch verschärfen. Zudem sorgt das Laienrichterelement dafür, dass der Spruchkörper in einigen Landesverfassungsgerichten mit Persönlichkeiten höchst verschiedener soziologischer und beruflicher Prägung besetzt ist: Der Richter des Brandenburgischen Verfassungsgerichts Schröder war etwa als Pfarrer tätig. Sein Amtskollege Havemann ist freischaffender Künstler. Die Richterin am Thüringer Verfassungsgerichtshof Hübscher ist Ärztin und Hochschuldozentin für Sportmedizin. Ebenfalls Ärztin ist die Richterin am Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt Faßhauer. Der Richter am Thüringer Verfassungsgerichtshof Lothholz ist Geschäftsführer; seine Kollegin Hemsteg-von Fintel Bevollmächtigte der IG Metall. Doch auch die juristischen Mitglieder der Landesverfassungsgerichte weisen sehr unterschiedliche Lebensläufe auf. Der Präsident des Berliner Verfassungsgerichtshofes Sodan ist Universitätsprofessor an der Freien Universität Berlin. Der Berliner Verfassungsrichter Mahlo, von Beruf Rechtsanwalt und Notar, war langjährig Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus und im Bundestag; sein Kollege Groth war Staatssekretär im Berliner Senat. Der Richter am Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern von der Wense war nach Tätigkeiten in Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen Oberbürgermeister in Greifswald. Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg Macke war Richter am Bundesgerichtshof, bis er zum Präsidenten des Brandenburgischen Oberlandesgerichts ernannt wurde. Der als Verfassungsrichter bei einem Landesverfassungsgericht Gewählte wird sich also bei seiner Arbeit mit Persönlichkeiten auseinander setzen müssen, die nicht nur eine unterschiedliche Ausbildung erfahren haben, sondern auch aufgrund ihrer Herkunft oder ihren vor der Berufung in das Verfassungsrichteramt gewonnenen Erfahrungen ganz andere Weltanschauungen besitzen, als er es vielleicht in seinem Lebensumfeld gewohnt ist.

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Auch mag es vorkommen, dass Verfassungsrichter ohne juristische Ausbildung bei der Entscheidungsfindung andere Schwerpunkte setzen als ihre juristisch versierten Kollegen. Idealiter führt dieses gesetzlich implizierte Spannungsverhältnis im Kollegium eines Landesverfassungsgerichts dazu, dass die unterschiedlichen Ansichten der einzelnen Richter die Diskussion bereichern; es birgt aber auch gewissen Zündstoff in sich.140 Pestalozza sieht in dem veröffentlichten Sondervotum eine Art Ventil, welches mögliche Kontroversen im Kollegium während der Beratung und nach Abschluss des Falles, also im Hinblick auf neue Beratungen, entspannen könne: Die Minderheit werde für die Niederlage ihrer Ansicht publizistisch „entschädigt“, das Mehrheitsvotum könne sich knapp fassen, ohne den Vorwurf fürchten zu müssen, Maßgebliches übersehen oder willkürlich entschieden zu haben.141 Es dürfte richtig sein, dass ein Sondervotum etwaigen in der gerichtlichen Beratung zu Tage getretenen Meinungsverschiedenheiten manches von ihrer Schärfe nehmen kann. Der abweichende Richter mag eine gewisse Befriedigung empfinden, wenn seine in der Beratung und Abstimmung unterlegene Argumentation im nachhinein noch öffentlichen Beifall erfährt; die Mehrheit wird sich dessen ungeachtet als legitimierte Trägerin der gerichtlichen Entscheidung fühlen. Belasten jedoch schwerwiegende Differenzen die richterliche Zusammenarbeit, wird auch das Rechtsinstrument des Sondervotums kaum noch eine konfliktentschärfende Wirkung entfalten können. Ein Beispiel hierfür bietet die bereits erwähnte Entscheidung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg zur Frage der Kompatibilität von Amt und Mandat.142 Nach der Urteilsverkündung sah der Dissenter von Arnim sich veranlasst, aus Protest gegen die Entscheidung den Landtagspräsidenten um Entbindung von seinem Verfassungsrichteramt zu bitten.143 Wenn auch es einem Verfassungsrichter manchmal unerträglich erscheinen mag, seine Rechtsauffassung gegen einen von ihm für gänzlich unvertretbar gehaltenen Standpunkt der Kollegen nicht durchsetzen zu können, gehört es doch zu den Grundprinzipien des kollegialen Gerichtsaufbaus, dass der in der Abstimmung Unterlegene die Entscheidung der Mehrheit nach demokratischen Spielregeln akzeptiert. Ein Richter sollte insoweit damit leben können, im Kollegium gelegentlich überstimmt zu werden, selbst dann, wenn es sich bei der zur Entscheidung stehenden Sache 140 Vgl. zu der nicht immer unproblematischen Zusammenarbeit von Berufsrichtern und Laienrichtern Kühne, DRiZ 1975, S. 390 ff. Vgl. auch Rüggeberg, VerwArch 61 (1970), S. 213 f., der auf die Gefahr verweist, dass die Laienrichter dazu neigen könnten, ihr subjektives Rechtsgefühl dem Gesetz überzuordnen. 141 Pestalozza, § 20, S. 292, Rn. 41. Ähnlich Zierlein, DÖV 1981, S. 94. Kritisch aber Millgramm, S. 158. 142 Urteil v. 25.01.1996 – VfG Bbg 12, 13/95 – LVerfGE 4, 85 ff. 143 FAZ vom 26.01.1996; Berliner Zeitung vom 26.01.1996.

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um ein „Herzensanliegen“ handelt.144 Letztlich ist daher auch das Sondervotum immer als ein Eingeständnis zu begreifen, mit der eigenen Auffassung in der Beratung unterlegen zu sein. Sich den Argumenten der Mehrheit beugen zu müssen, mag zwar im Einzelfall schmerzhaft sein, eine Schande ist es aber nicht.145 Geck meint hingegen, dass Sondervoten Spannungen im Spruchkörper eher vergrößern als vermindern könnten: Wenn ein offenes Sondervotum das Richterkollegium in der öffentlichen Wahrnehmung in „Sieger“ und „Besiegte“ eines gerichtsinternen Disputs aufteile oder wenn der Verdacht aufkeime, die abweichende Meinung sei vorwiegend für politische Kräfte geschrieben, so könnten sich diese Umstände auf die kollegiale Zusammenarbeit belastend auswirken.146 Dass die Möglichkeit einer derartigen Wirkung von Sondervoten bei den Landesverfassungsgerichten tatsächlich besteht, scheint angesichts der Tatsache, dass bei diesen Gerichten jene von Zierlein angesprochenen Ausgleichskräfte weitaus schwächer ausgebildet sind, nicht fernliegend. Anders als die Richter beim Bundesverfassungsgericht sind die Landesverfassungsrichter in Berlin und den neuen Ländern nur ehren- bzw. nebenamtlich tätig, ihre Amtsperioden sind – bis auf diejenige in Mecklenburg-Vorpommern – deutlich kürzer ausgestaltet.147 Wird mit Geck freilich einzuräumen sein, dass die nichtständige Zusammenarbeit der Landesverfassungsrichter eine belastende Wirkung von Sondervoten auf die kollegiale Interaktion im Gericht durchaus auch vermindern kann148, sind doch die Voraussetzungen dafür, dass es in einem Landesverfassungsgericht zu einem ähnlichen Grad von Integration und gegenseitigem Vertrauen kommt, wie ihn die hauptamtliche Zusammenarbeit und die zwölfjährige Amtszeit der Richter beim Bundesverfassungsgericht bedingen, ungleich schwerer. Für Unruhe im Gericht kann schließlich auch schon allein die Ankündigung eines Sondervotums oder die Vorlage eines Entwurfs sorgen.149 Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Eindruck entsteht, dass der abweichende Richter an einem Konsens nicht mehr interessiert ist. Wie sich die Ankündigung bzw. Abgabe eines Sondervotums auf die Kollegialität der Landesverfassungsrichter auswirkt, wird sich jedenfalls mangels sicherer Beurteilungsgrundlagen nicht pauschal beantworten lassen. Dies kann von Fall zu Fall verschieden sein. Von nicht unerheblicher Bedeutung ist hierfür allerdings das Arbeitsklima, das sich in dem Verfas144 145 146 147 148 149

Vgl. Sendler, NJ 1996, S. 226. Ähnlich auch Hill, ZRP 1985, S. 17. Vgl. Millgramm, S. 161. Geck, Sondervoten, S. 342. Vgl. oben sub B. IV. 2. Geck, Sondervoten, S. 343. Peltzer, S. 120.

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sungsgericht herausgebildet hat. Dass sich eine vertrauensvolle Kultur unter den Verfassungsrichtern bei einer längeren Amtszeit, wie sie etwa in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen existiert, eher einstellen wird als bei einer kürzeren, dürfte auf der Hand liegen. Aber auch dem Vorsitzenden des Landesverfassungsgerichts kommt eine wichtige Integrationsfunktion zu.150 Versteht er es, ein heilsames Verhältnis unter den Richtern herzustellen und jedem in gleicher Weise Gelegenheit zur Äußerung einzuräumen, dürften sich die von Geck befürchteten desintegrierenden Wirkungen von Sondervoten weiter vermindern lassen. Der Richter am Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Wallerath meint, dass sich bei der Abgabe eines Sondervotums die Einhaltung eines „gestuften“ Vorgehens empfehle: Grundsätzlich sei es ratsam, die eigene Position bereits relativ früh in die Beratung einzubringen. Reife bei einem Richter der Gedanke zu einem Sondervotum, so solle dies erst zu einem Zeitpunkt erklärt werden, in dem das mehrheitlich getragene Entscheidungsergebnis zwar absehbar, aber noch korrigierbar sei. Keinesfalls dürfe sich das Sondervotum aber als „Drohkulisse“ auswirken, die einen konsensualen Lösungsweg erschwere oder gar versperre.151 Bei derart sachgerechter und verständiger Handhabung dürfte ein Sondervotum die Kollegialität im Gericht kaum beeinträchtigen. Der Dissenter sollte allerdings auch die Fähigkeit besitzen, sich nicht zu versteifen und nicht auf einem eigenen, vielleicht sogar vorgefassten Standpunkt zu beharren, sondern sich des internen Ausgleichs wegen auch einmal überzeugen zu lassen. 3. Sondervoten – eine zusätzliche Arbeitsbelastung für die Verfassungsrichter? In einem Leserbrief an die FAZ äußert Hahn den Vorschlag, zur Entschärfung der Arbeitsbelastung des Bundesverfassungsgerichts das Sondervotum abzuschaffen. Im Hinblick auf den hohen Arbeitsaufwand, der für den Verfasser eines Sondervotums anfalle, seien die gebotene Rücksichtsnahme auf die Verfahrensbeteiligten, die auf eine Entscheidung des Gerichts oft unerträglich lange warten müssten, und der Zwang zur Sparsamkeit weitaus gewichtiger zu veranschlagen als die Befugnis der Gerichtsmitglieder, ihre Gedanken einer kleinen Öffentlichkeit mitzuteilen.152 Vor einer zusätzlichen Arbeitsbelastung durch Sondervoten warnte schon der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Müller im Jahre 1970, als die Aufnahme dieses Instituts in das BVerfGG anstand. Die Belastung treffe nicht 150 151 152

Vgl. Millgramm, S. 125. Wallerath in der Befragung des Verfassers zum Sondervotum. FAZ v. 24.01.1998.

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nur den dissentierenden Richter selbst, der seine Formulierungen dem hohen Niveau der Entscheidungsgründe anzupassen habe, sondern auch übrige Gerichtsmitglieder, welche unter Umständen dann die Abfassung der Entscheidungsgründe übernehmen müssten, wenn sich der planmäßige Berichterstatter für ein Sondervotum entscheide.153 Auch Baring glaubt, dass ein häufiger Gebrauch von Sondervoten die Gerichte stärker belasten und dadurch die anhängigen Verfahren verzögern werde.154 Die hohe Anzahl der Verfahrenseingänge beansprucht die Arbeitskraft der nur auf neben- bzw. ehrenamtlicher Tätigkeit fußenden Landesverfassungsgerichtsbarkeit in besonderem Ausmaß. Der zumeist hohe Schwierigkeitsgrad der Verfahren, der eine sorgfältige Durchdringung der Rechtsmaterie erforderlich macht, trägt hierzu bei. In Berlin wird eine durchschnittliche Verfahrensdauer von etwa sechs Monaten festgestellt.155 Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg benötigt für die Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren vier Monate bis zu einem Jahr156; über Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entscheidet es in der Regel binnen weniger Wochen, teils auch binnen einiger Tage.157 Die Verfahrensdauer bei den Verfassungsgerichten der übrigen Länder dürfte auf vergleichbarem Niveau liegen. Dass Sondervoten richterliche Arbeitskraft binden, ist kaum abzustreiten. Ihre Ausfertigung dürfte regelmäßig zeitraubend sein, da es dem abweichenden Richter in erhöhtem Grade auf Stil und Form ankommen wird. Den Kern der Problematik trifft Pestalozza: „Sondervoten machen Arbeit. Auch wenn der Dissenter sie gern auf sich nimmt; sie beansprucht einen Teil seiner Kraft, der für seine sonstige Richtertätigkeit nicht mehr zur Verfügung steht. Selbst wenn Sondervoten in der Freizeit geschrieben würden, kosten sie Substanz, die im Dienst fehlen mag“.158 Doch auch für die Gerichtsmehrheit kann ein Sondervotum zusätzliche Arbeit bedeuten, wenn sie ihre Argumentation in den Entscheidungsgründen auf die abweichende Meinung ausrichten will. 153 Protokoll der 13. Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestages im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am 23.04.1970, S. 31 ff.; der Ansicht Müllers schlossen sich die Richter Haager und Leibholz an. 154 Baring, DVBl. 1968, S. 616. Ähnlich Berger, NJW 1968, S. 966. Eine Verfahrensverzögerung erwarten auch Lemhöfer, 47. DJT, Bd. II, S. R 99; Tophoven, ebd., S. R 121 und Gebhardt, ebd., S. R 123. 155 Sodan, DVBl. 2002, S. 650. Vgl. auch die Statistik über die Erledigungszahlen und -arten beim Berliner Verfassungsgerichtshof bei Körting/Schmidt, LKV 1998, S. 125. 156 Vgl. Buchheister, LKV 1999, S. 138; ders., LKV 2000, S. 143. 157 Vgl. Möller, LKV 2003, S. 269. 158 Pestalozza, § 20, S. 293, Rn. 42.

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a) Vorlagefristen Um zu vermeiden, dass ein Sondervotum das Wirksamwerden der Entscheidung ungebührlich hinauszögert, sehen die Geschäftsordnungen der Landesverfassungsgerichte, bei denen Sondervoten zugelassen sind, Vorlagefristen vor. In Berlin ist das Sondervotum binnen zwei Wochen zu den Akten zu geben, der Präsident kann diese Frist um weitere zwei Wochen verlängern.159 Die Vorlagefrist für das Sondervotum in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen orientiert sich an der für das Bundesverfassungsgericht geltenden Regelung160: Das Sondervotum muss binnen drei Wochen dem Präsidenten vorliegen161, dieser kann die Frist – in Brandenburg nur einmal162 – verlängern.163 Eine Mindestfrist mit variablem Ende besteht in Mecklenburg-Vorpommern. Dort kann der Vorsitzende für die Vorlage des Sondervotums eine Frist setzen, die zwei Wochen nicht unterschreiten soll.164 Auf unterschiedliche Weise geregelt ist auch der Anknüpfungspunkt für den Fristenlauf. In Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen beginnt die Frist zur Vorlage des Sondervotums nach der Abfassung bzw. Fertigstellung der Entscheidung165, in Berlin wird die Vorlagefrist erst durch die Unterzeichnung der Entscheidung in Gang gesetzt.166 In Mecklenburg-Vorpommern dürfte der Fristbeginn ad hoc durch den Präsidenten konkretisiert werden. Die den Verfassungsrichtern gesetzte Frist für die Vorlage eines Sondervotums ist verbindlich. Wird in Berlin das Sondervotum nicht innerhalb der für seine Einreichung bestimmten Frist zu den Akten gegeben, wird die Entscheidung ohne Sondervotum und auch ohne Hinweis auf ein zu erwartendes Sondervotum verkündet oder zugestellt.167 Die Geschäftsordnung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg schreibt explizit vor, dass das Sondervotum entfällt, wenn es nicht innerhalb der Frist dem Präsidenten übergeben wird.168 Wenngleich dies in den Geschäftsordnungen der übrigen Landesverfassungsgerichte nicht ebenso deutlich zum Ausdruck 159

§ 13 Abs. 2 GO VerfGH Bln. § 56 Abs. 1 GO BVerfG. 161 § 19 Abs. 3 S. 1 GO VerfG Bbg; § 5a Abs. 1 S. 1 GO LVerfG LSA; § 20 Abs. 1 S. 1 GO ThürVerfGH. 162 § 19 Abs. 3 S. 2 GO VerfG Bbg. 163 § 5a Abs. 1 S. 2 GO LVerfG LSA; § 20 Abs. 1 S. 2 GO ThürVerfGH. Eine mehrmalige Verlängerung der Vorlagefrist scheint also dem Wortlaut nach nicht ausgeschlossen zu sein. 164 § 4 Abs. 2 S. 1 GO LVerfG MV. 165 § 19 Abs. 3 S. 1 GO VerfG Bbg; § 5a Abs. 1 S. 1 GO LVerfG LSA; § 20 Abs. 1 S. 1 GO ThürVerfGH. 166 § 13 Abs. 2 S. 1 GO VerfGH Bln. 167 § 13 Abs. 3 S. 4 GO VerfGH Bln. 168 § 19 Abs. 3 S. 3 GO VerfG Bbg. 160

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kommt, dürfte auch dort davon auszugehen sein, dass der dissentierende Richter bei dem Verstreichen der Frist keinen Anspruch auf die Veröffentlichung seines Sondervotums mehr hat.169 Schläfereit hält derartige Vorlagefristen für bedenklich, da der abweichende Richter hierdurch in seinem Recht zur Abgabe eines Sondervotums erheblich eingeschränkt werde. Sei dieser gezwungen, in einer recht kurzen Zeitspanne als einzelner gegen die wohlabgewogenen Gründe des Berichterstatters zu argumentieren, werde notwendigerweise die Qualität der abweichenden Meinung leiden. Dann aber könne das Sondervotum seinem Sinn und Zweck kaum noch gerecht werden. Das Interesse an einer zügigen Verfahrenserledigung habe insoweit zurückzutreten.170 Indes ist Schläfereit entgegenzuhalten, dass sich die abweichende Meinung wie auch die Mehrheitsentscheidung selbst im Zuge der Beratung entwickelt. Kommt es zu einem unlösbaren Dissens und entschließt sich der in der Minderheit gebliebene Richter, seine abweichende Ansicht in einem Sondervotum niederzulegen, wird diese in der Beratung bereits durchdacht und ihr Inhalt umrissen sein. Der Dissenter dürfte daher sein Votum ähnlich schnell formulieren können wie der Berichterstatter die Mehrheitsmeinung bei der Abfassung der Entscheidung.171 b) Sondervoten bei Eilentscheidungen Trotz der Vorlagefrist mag es Fälle geben, in denen durch die Anfertigung eines abweichenden Votums eine unzuträgliche Verfahrensverzögerung droht. Eine solche Situation kann insbesondere bei eilbedürftigen Verfahren auftreten, die eine Entscheidung des Verfassungsgerichts binnen kürzester Zeit erfordern. Dieser bislang nur wenig Beachtung geschenkten Problematik hat sich allein der Berliner Verfassungsgerichtshof angenommen: Erfolgt die Verkündung oder Zustellung der Entscheidung grundsätzlich erst nach Vorliegen des Sondervotums172, kann in dringenden Angelegenheiten die Entscheidung jedoch schon verkündet oder zugestellt werden, bevor das Sondervotum zu den Akten gegeben ist; das Gericht hat dann aber darauf hinzuweisen, dass eine abweichende Meinung beabsichtigt ist.173 Den übrigen Landesverfassungsgerichten ist die Möglichkeit eines derartigen „nach169 So auch für das Bundesverfassungsgericht Klein/Bethge, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, § 30, S. 9a, Rn. 6.4; Leibholz/Rupprecht, BVerfGG, Nachtrag, § 30 Anm. 3c zu Nr. 1. 170 Schläfereit, S. 177. 171 Vgl. auch Friesenhahn, 47. DJT, Bd. II, S. R 47. 172 § 13 Abs. 3 S. 1 GO VerfGH Bln. Dombert, S. 171, spricht insoweit von einer verfahrensrechtlichen „Bremsposition“ des Dissenters. 173 § 13 Abs. 3 S. 2 u. 3 GO VerfGH Bln.

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gereichten“ Sondervotums nicht bekannt. Ob auch ohne eine entsprechende Vorschrift die Entscheidung in Eilfällen bereits vor Abgabe des Sondervotums verkündet bzw. zugestellt werden kann, wird nicht einheitlich beurteilt.174 Der Regelung in den allgemeinen Verfahrensbestimmungen der Verfassungsgerichtsgesetze, dass das Sondervotum der Entscheidung anzuschließen ist, lässt sich kein Hinweis entnehmen, dass die Verkündung oder die Zustellung von Entscheidung und Sondervotum unbedingt gleichzeitig erfolgen müssen.175 Mit dieser äußerlichen Konnexität zwischen Entscheidung und abweichender Meinung soll dem Sondervotum lediglich ein angemessener Rang eingeräumt werden.176 Auch die Geschäftsordnungen der Landesverfassungsgerichte enthalten keine Vorschriften, die Entscheidung und Sondervotum hinsichtlich der Verkündung oder Zustellung untrennbar aneinander binden. Wenn in Brandenburg und Sachsen-Anhalt die Bekanntmachung des Sondervotums in der gleichen Weise wie die Entscheidung verlangt wird177, bedeutet dies nicht, dass etwaige Sondervoten bei der Verkündung der Mehrheitsentscheidung zwingend vorzuliegen haben. In Eilfällen erscheint es zweckmäßig, das Sondervotum nicht strikt an die Verkündung bzw. Zustellung der Entscheidung zu binden. Dass der Rechtzeitigkeit der Mehrheitsentscheidung gegenüber dem Sondervotum Priorität zukommen muss, dürfte unbestreitbar sein.178 Würde die Zeit für die Anfertigung eines Sondervotums dann jedoch in einer Weise beschnitten, dass dieses – jedenfalls nach Ansicht des abweichenden Richters – seine Funktion kaum noch erfüllen kann, kann dies zu misslichen Situationen führen.179 Da dem 174 Bejahend Klein/Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, § 30, S. 9a, Rn. 6.4. So auch Leibholz/Rupprecht, BVerfGG, Nachtrag, § 30 Anm. 3c zu Nr. 1. Kritisch aber Arndt, DRiZ 1971, S. 38; Heyde, JöR N. F. Bd. 19 (1970), S. 226. Ähnlich Friesenhahn, 47. DJT, Bd. II, S. R 47: Das Sondervotum müsse vor Unterzeichnung der Mehrheitsentscheidung vorliegen. Geck, S. 333, meint offenbar, die grundsätzlich gewährte Vorlagefrist für die Abgabe des Sondervotums je nach Dringlichkeit der Entscheidung ausnahmsweise einzuschränken. 175 Vgl. Klein/Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, § 30, S. 9a, Rn. 6.4. 176 Millgramm, S. 171. Vgl. auch Leibholz/Rupprecht, BVerfGG, Nachtrag, § 30 Anm. 3a. 177 § 19 Abs. 2 GO VerfG Bbg; § 5a Abs. 4 GO LVerfG LSA. 178 Geck, Sondervoten, S. 333. 179 Der Bundesverfassungsrichter Rottmann schickte in seinem Sondervotum zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16.02.1983 über die Voraussetzungen der vorzeitigen Bundestagsauflösung durch den Bundespräsidenten gemäß Art. 68 GG (BVerfGE 62, 1 (108 ff.) den Hinweis voraus, dass ihm wegen der Eilbedürftigkeit der Entscheidung die ihm nach der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts zustehende 3-Wochen-Frist zur Ausarbeitung des Sondervotums nicht eingeräumt werden konnte und er daher gezwungen gewesen sei, seine abweichende Meinung innerhalb von 24 Stunden nur in den Grundzügen zu skizzieren.

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Sondervotum als unmaßgebliche Meinung für das zugrundeliegende Verfahren keine konkrete Wirkung zukommt, sollte das Verfassungsgericht sich in besonders dringlichen Fällen bei der Verkündung bzw. Zustellung der Entscheidung auf die Mitteilung beschränken können, dass noch ein Sondervotum veröffentlicht wird. c) Bewertung Dass sich das Verfahren vor einem Landesverfassungsgericht durch die Vorlagefrist für das Sondervotum um mindestens zwei bzw. drei Wochen verzögern kann, dürfte in den meisten Fällen nicht sonderlich ins Gewicht fallen. Doch nicht nur die Vorlagefristen verhindern eine für die Verfahrensbeteiligten unter Umständen unerträgliche Verzögerung der Entscheidung, auch der starke Geschäftsanfall bei den Verfassungsgerichten dürfte einem übermäßigen Gebrauch des Sondervotums und damit einer erhöhten Arbeitslast der Richter einen natürlichen Riegel vorschieben. Ob ein Richter sich die Mühe macht, ein Sondervotum abzusetzen, ist seinem Ermessen überlassen. In aller Regel dürfte er den zusätzlichen Zeit- und Arbeitsaufwand nur auf sich nehmen, wenn er sich dazu besonders herausgefordert sieht, ihm die Entscheidung der Gerichtsmehrheit also über alle Maßen contre coeur geht.180 Dass dabei allerdings seine richterlichen Pflichten in anderen Verfahren nicht leiden dürfen, sollte selbstverständlich sein.181 Gerade in Zeiten der Überlastung des Gerichts erscheint es unangemessen, wenn ein Richter sich in größerem Umfang mit einem im Grunde schon erledigten statt mit dem nächsten neuen Verfahren beschäftigt.182 Die geringe Anzahl der vorliegenden Sondervoten in Berlin und den neuen Ländern zeigt, dass die Verfassungsrichter bei der Veröffentlichung abweichender Meinungen mit Augenmaß praktizieren. Der Feststellung Ritterspachs, dass beim Bundesverfassungsgericht zeitliche Verzögerungen durch Sondervoten wohl kaum eingetreten seien und sich auch eine erheblich gestiegene Arbeitsbelastung des Gerichts nicht nachweisen lasse183, dürfte insoweit auch für die Landesverfassungsgerichte Geltung zukommen. 4. Sondervoten – eine Gefahr für die richterliche Unabhängigkeit? Zu den zentralen Streitpunkten in der Diskussion über das Sondervotum gehört die Frage, ob bereits die bloße Möglichkeit, eine abweichende Mei180 181 182 183

So auch Lamprecht, DRiZ 1996, S. 234. Vgl. Friesenhahn, 47. DJT, Bd. II, S. R 47. Zöbeley, in: Umbach/Clemens, § 30, S. 528, Fn. 36. Ritterspach, S. 1385.

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nung zu äußern, die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen184 könnte. Sie spielte auch im Gesetzgebungsverfahren in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen eine große Rolle. Einzelne Gerichtsmitglieder könnten, so wird befürchtet, auf das Instrument des Sondervotums zurückgreifen, um sich weniger aus rechtlichen als aus sachfremden Motiven öffentlich von der Entscheidung der Mehrheit zu distanzieren: Wagner meint, durch Sondervoten könne bekannt werden, welche Auffassung die Richter vertreten hätten, mit der Folge, dass diese von der Öffentlichkeit im Sinne einer gesellschaftlichen oder politischen Weltanschauung „abgestempelt“ würden. Zudem könne sich ein Richter zu einem Sondervotum gezwungen fühlen, um sich gegen den Verdacht zu schützen, er hätte in einem bestimmten Sinn gestimmt.185 Pecher gibt zu bedenken, dass das Recht zum Sondervotum Richtern die Gelegenheit verschaffen könne, sich durch eine Gegenstimme ein Alibi zu verschaffen; dies etwa mit der „untergründigen Beruhigung“, die insgeheim für richtig gehaltene Meinung der übrigen Gerichtsmitglieder werde letztlich durch deren Mehrheit durchgesetzt.186 Nach Geck kann sich der Verfassungsrichter durch die Möglichkeit des Sondervotums unter einen persönlichen Druck gesetzt sehen, unausgesprochenen Erwartungen seitens der politischen Kräfte mit einer Verlautbarung begegnen zu müssen, er habe seine Auffassung nicht durchsetzen können.187 Fromme gibt der Vermutung Ausdruck, dass Sondervoten geeignet sein könnten, Verfassungsrichter zu denjenigen politischen Gruppen, die ihre Wahl durchgesetzt hätten, in einem gewissen latenten Bindungsverhältnis zu halten: Mit diesem Rechtsinstrument sei den Richtern eine Möglichkeit zur Hand gegeben, in bestimmten Situationen sichtbar zu erweisen, dass sie „im Einklang“ mit ihrer Gruppe geblieben seien.188 Insbesondere bei der Möglichkeit einer Wiederbestellung könnten Richter der Versuchung unterliegen, so die vielerorts vorgebrachte Besorgnis, sich durch die Offenlegung eigener Positionen und Überzeugungen zu Entscheidungen bei den zuständigen Wahlgremien in 184 Insbesondere während des 47. Deutschen Juristentages 1968 hielten die Verfechter des Sondervotums dieser Befürchtung entgegen, dass das Recht zur Abgabe abweichender Meinungen gerade „hervorragendster Ausdruck“ der richterlichen Unabhängigkeit sei: Es schärfe das Gewissen des Richters und stärke sein Verantwortungsgefühl, so dass sich dieser zu einer innerlich unabhängigen Persönlichkeit entwickeln könne, vgl. Friesenhahn, 47. DJT, Bd. II, S. R 54; Grünhut, S. 633; Heyde, JöR N. F. Bd. 19 (1970), S. 224; Homberger-Stäheli, S. 120. Aus den unter D. I. genannten Gründen sollen diese letztlich auf die Stärkung der Richterpersönlichkeit zielenden Erwägungen nicht weiter interessieren. 185 Wagner, DRiZ 1968, S. 255. So auch Baring, DVBl. 1968, S. 617. 186 Pecher, 47. DJT, Bd. II, S. R 80. 187 Geck, Sondervoten, S. 354. Vgl. auch Paul, DÖV 1968, S. 515; Peltzer, S. 113. 188 Fromme, S. 883, 886. Vgl. auch Gehb, S. 77.

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Erinnerung zu rufen.189 Auch Sendler will nicht ganz ausschließen, dass beruflicher Ehrgeiz die Abstimmung beeinflussen könnte.190 Mit der Frage nach den möglichen Auswirkungen veröffentlichter Sondervoten auf das Verhältnis der Verfassungsrichter zu den politischen Kräften ist ein Problemkreis angeschnitten, der gemeinhin geradezu als verpönt gilt: Vermutungen einer Interdependenz zwischen der politischen Verhaftung eines Richters und dem Inhalt seiner Entscheidung lösen häufig Entrüstung aus.191 Bryde hat bei seiner Untersuchung, inwieweit das Entscheidungsverhalten der Verfassungsrichter durch deren parteipolitische Überzeugungen beeinflusst werde, ein unter Juristen herrschendes „Tabu“ festgestellt192; auch Roellecke meint, dass sich Missachtung zuziehe, wer in Verfassungsstreitigkeiten oder in der rechtswissenschaftlichen Diskussion mit der politischen Grundeinstellung eines Richters argumentiere.193 In der Tat wird die Einstreuung sachfremder Implikationen in Sondervoten kaum zu belegen sein, ohne dass dies als Kritik am Abstimmungsverhalten einzelner Gerichtsmitglieder missgedeutet würde. Hingegen scheint es zu kurz gegriffen, wenn Lamprecht diesen Verdacht mit dem Hinweis zu entkräften sucht, dass ein Richter mit Charakter und richterlichem Ethos gegen diese Gefahren „eigentlich immun“ sein müsste194 oder wenn Friesenhahn anführt, er könne sich einfach nicht vorstellen, dass der gewissenhafte Richter sein Votum aus Karrieregründen oder aus Angst vor Angriffen durch die Medien bei der Möglichkeit zum Sondervotum anders abgebe als ohne diese.195 Sendler hat so Unrecht nicht, wenn er bezweifelt, dass die Richterschaft nur aus solchen idealen Persönlichkeiten besteht.196 Auch Richter sind Menschen mit menschlichen Schwächen. Dass sie gänzlich frei von der Erwägung sind, wie sich die öffentlich gemachte Position darstellen und auswirken mag, dürfte kaum anzunehmen sein. Ausgehend von dieser Überlegung ist die eingangs aufgeworfene Fragestellung zu präzisieren, ob die Möglichkeit zur Abgabe eines Sondervotums Abhängigkeiten der Verfassungsrichter erzeugen oder bereits existierende intensivieren kann.

189 So Geck, Sondervoten, S. 361; Gillner, DÖV 1958, S. 108; Berger, NJW 1968, S. 965; Zierlein, DÖV 1981, S. 94; Vill, BayVBl. 1991, S. 357 f. 190 Sendler, VBlBW 1994, S. 41. 191 Vgl. Achterberg, DÖV 1977, S. 651. 192 Bryde, S. 177 f. 193 Roellecke, S. 383. 194 Lamprecht, Richter contra Richter, S. 36. 195 Friesenhahn, 47. DJT, Bd. II, S. R 54 f. 196 Sendler, VBlBW 1994, S. 42.

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a) Die innere Unabhängigkeit Der Richter ist unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen, postulieren die Landesverfassungen von Berlin und den neuen Ländern.197 Die weder in den Verfassungen noch in anderen Gesetzen näher bestimmte Unabhängigkeit des Richters ist ein Wesensmerkmal der rechtsstaatlichen Justiz; nur sie sichert seine Unparteilichkeit.198 Hier geht es allerdings nicht um die aus diesem Grundsatz abgeleitete sog. äußere Unabhängigkeit, welche den Richter in sachlicher Hinsicht bei der Ausübung seines Amtes vor allen Weisungen sowie in persönlicher Hinsicht vor jeder Einflussnahme der Exekutive oder des Parlamentes auf seine Rechtsstellung schützt.199 Es erscheint ausgeschlossen, dass die äußere Unabhängigkeit der Landesverfassungsrichter durch unbequeme Sondervoten beeinträchtigt werden könnte.200 Hier interessiert die mit der äußeren Unabhängigkeit korrespondierende Pflicht des Richters, seine Entscheidung frei von sachfremden Einflüssen und inneren Zwängen ausschließlich nach Gesetz und Recht zu treffen.201 Diese sog. innere Unabhängigkeit202 ist eine dem Richter persönlich gestellte Aufgabe203, sie ist rechtlich nicht fassbar und daher auch nicht absicherbar.204 Ihr Inhalt wird mit Begriffen der richterlichen Unvoreingenommenheit, Neutralität und Distanz umschrieben.205 197 Art. 79 Abs. 1 Verf Bln; Art. 108 Abs. 1 Verf Bbg; Art. 76 Abs. 1 S. 2 Verf MV; Art. 77 Abs. 2 SächsVerf; Art. 83 Abs. 2 Verf LSA; Art. 86 Abs. 2 ThürVerf. 198 Knöpfle, S. 248. Die Literatur zur Unabhängigkeit des Richters ist kaum überschaubar. Grundlegend Eichenberger, S. 23 ff.; D. Simon, S. 2 ff.; Barbey, HStR III, § 74, S. 815 ff.; Hager, S. 60 ff.; Faller, FS Zeidler, S. 81 ff.; Wassermann, AK, Art. 97, Rn. 13 ff. Für die Landesverfassungsgerichtsbarkeit: Knöpfle, S. 247 ff. 199 So die herkömmliche Einteilung der richterlichen Unabhängigkeit, die auch von Art. 97 GG zugrundegelegt wird, vgl. Lansnicker, S. 93 ff. Vgl. auch BVerfGE 14, 56 (69); 26, 186 (198); 60, 175 (203). Zur Disziplinargewalt über die Verfassungsrichter Starck, Landesverfassungsgerichte, S. 173 ff. 200 Heyde, Minderheitsvotum, S. 135. So auch Reissenberger, ZRP 2003, S. 166. 201 Benda/Klein, DRiZ 1975, S. 168. Vgl. auch Dütz, JuS 1985, S. 747; Gilles, DRiZ 1983, S. 44. 202 Geck, Wahl und Amtsrecht, S. 108, ordnet die innere Freiheit zu der allein nach Gesetz und Recht für richtig gehaltenen Entscheidung hingegen bei der persönlichen Unabhängigkeit in einem weiten Sinne ein. So auch Faller, DVBl. 1995, S. 991. 203 Lansnicker, S. 98; Papier, NJW 2001, S. 1091. 204 Niebler, DRiZ 1981, S. 285. Vgl. auch Mahrenholz, DRiZ 1991, S. 433. 205 Vgl. zur inneren Unabhängigkeit des Richters: Eichenberger, S. 50 ff.; Billing, S. 85; Zweigert, FS v. Hippel, S. 711 ff.; Pfeiffer, S. 67 ff.; Baer, S. 30 f.; Geiger, DRiZ 1979, S. 65 f.; Hager, 67 ff.; Gilles, DRiZ 1983, S. 44. Vgl. auch BVerfGE 21, 139 (146); 42, 64, (78).

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Gefahren für die Objektivität des Richters können zum einen durch gewisse Erwartungen politischer wie gesellschaftlicher Kräfte und der Verfahrensbeteiligten drohen206; auch die Medien vermögen durch die Art und Weise ihrer Berichterstattung oder Kommentierung einen unangemessenen Druck auf die Richter auszuüben.207 Vielfältige Beeinflussungen können sich weiterhin aus dem Geflecht der sozialen Kontakte ergeben, in das der Richter durch seine Herkunft und Sozialisation eingebunden ist.208 Innere Freiheit muss sich der Richter zum anderen aber auch gegenüber jenen Einflüssen bewahren, die unmittelbar aus seiner eigenen Persönlichkeit entspringen. So können auf das Entscheidungsverhalten des Richters nicht nur sein politischer und weltanschaulicher Standort wirken, sondern auch Vorurteile, Gefühle und Stimmungen, Motive wie Sympathien und Antipathien, die Hoffnung auf öffentlichen Beifall oder die Furcht vor Kritik an unpopulären Urteilen.209 Keine gesetzliche Vorschrift kann davor schützen, dass rechtsfremde Rücksichten, persönliche Wertpräferenzen oder auch menschliche Schwächen des Richters Einfluss auf sein Entscheidungsverhalten nehmen; seine innere Unabhängigkeit lässt sich von der Rechtsordnung nicht erzwingen.210 Zu fordern bleibt in diesem Bereich nur ein richterliches Amtsethos, das dem Richter die Kraft gibt, sich bei seiner Rechtsprechungstätigkeit von jeglichen Erwartungen und Wünschen Außenstehender frei zu machen und ihn befähigt, sich auch über etwaige Abhängigkeiten von sich selbst hinwegzusetzen.211 Zutreffend charakterisiert Barbey die innere Unabhängigkeit des Richters insoweit als eine Haltung und Einstellung, die sich der Vielfalt der Lebenssachverhalte und Meinungen öffnen müsse, ohne sich jedoch dabei durch diese gefangen nehmen zu lassen.212 206 Knöpfle, S. 250; Geck, Wahl und Amtsrecht, S. 109. Weitere mögliche Einflüsse, die sich auf das Entscheidungsverhalten des Richters auswirken können, nennt Niebler, DRiZ 1981, S. 286. 207 Papier, NJW 2001, S. 1091. 208 Knöpfle, S. 250; Wassermann, AK, Art. 97, Rn. 77; Eichenberger, S. 40. 209 Geck, Wahl und Amtsrecht, S. 109; Billing, S. 85. 210 Die begründete Besorgnis ihres Mangels kann nur Sanktionen wie etwa die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit auslösen, vgl. Pfeiffer, S. 75. In Ausnahmefällen mag für den Richter auch eine Selbstablehnung in Betracht kommen. 211 Papier, NJW 2001, S. 1091; Benda/Klein, DRiZ 1975, S. 168. Vgl. auch Eichenberger, S. 52. Billing, S. 85, hält insoweit einen „tiefgegründeten Persönlichkeitswert“ für die wirksamste Garantie der inneren Unabhängigkeit. Ähnlich Gilles, DRiZ 1983, S. 48, der von dem Richter Selbstkontrolle durch kritisches Selbstverständnis seiner Person, Rolle und Funktion in der Gesellschaft als neutraler Sachwalter des Rechts verlangt. Gleichsinnig Wipfelder, DRiZ 1984, S. 42 f. 212 Barbey, HStR III, § 74, S. 832, Rn. 40. So auch Wassermann, AK, Art. 97, Rn. 81 f.; Hager, S. 70 f.

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Bei der hier aufgezeigten Problematik geht es also nicht um Einwirkungen, die das Handeln und den Willen des Richters direkt erfassen, sondern vielmehr um nur mittelbare Einflüsse, die suggestiv über Geist und Psyche wirken; die, wie Eichenberger formuliert, noch der Umsetzung im „Forum internum“ des Richters bedürfen.213 Es fragt sich, ob den genannten Ingerenzen leicht empfängliche Gerichtsmitglieder sich durch die Möglichkeit zum Sondervotum dazu verleitet sehen können, sich im Gewand einer von der Entscheidung der Mehrheit abweichenden Meinung so zu verhalten, wie die Quelle ihrer Abhängigkeit es wirklich oder vermeintlich wünscht oder es auch nur dem eigenen Gutdünken entspricht. b) Sondervoten in der öffentlichen Berichterstattung In den Medien214 ist den bislang veröffentlichten Sondervoten indessen die von dem einen oder anderen vielleicht erwünschte Aufmerksamkeit nicht zuteil geworden.215 Nur gelegentlich findet sich im Rahmen der Berichterstattung über die Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts ein Hinweis, dass ein Sondervotum ergangen ist. In der Regel werden dann auch der abweichende Richter und eine sehr knappe Zusammenfassung des Inhalts216 mitgeteilt.217 Häufig beschränkt sich die Berichterstattung lediglich auf die Bekanntgabe des Stimmenverhältnisses, ohne die Sondervoten anzusprechen.218 In einigen Fällen sind weder Abstimmungsergebnis noch 213

Eichenberger, S. 39. Vom Verfasser ausgewertet wurden die in den wichtigsten regionalen und überregionalen Medien erschienenen Veröffentlichungen zu Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte mit Sondervoten. 215 Auch den Sondervoten der Bundesverfassungsrichter wurde in der Presse – von wenigen Ausnahmen abgesehen – ein nur begrenztes Echo entgegengebracht, vgl. Zierlein, DÖV 1981, S. 90 ff. 216 Die von den Landesverfassungsgerichten zu einzelnen Entscheidungen herausgegebenen Presseerklärungen enthalten stets auch eine Wiedergabe des wesentlichen Inhalts etwaiger Sondervoten. 217 Vgl. Berliner Zeitung und FAZ, beide in der Ausgabe v. 22.03.1996, zum Urteil des VerfG Bbg v. 21.03.1996 – VfG Bbg 18/95 – LVerfGE 4, 114 ff. (Neugliederungsvertrag Berlin/Brandenburg); FAZ v. 13.06.1997 zum Urteil des ThürVerfGH v. 12.06.1997 – ThürVerfGH 13/95 – LVerfGE 6, 387 ff. (Fall Schuster); Berliner Zeitung v. 01.07.1999 und FAZ v. 02.07.1999 zum Urteil des VerfG Bbg v. 30.06.1999 – VfG Bbg 3/98 – LVerfGE 10, 157 ff. (Großer Lauschangriff) und Berliner Zeitung v. 21.09.2001 zum Urteil des VerfG Bbg v. 20.09.2001 – VfG Bbg 57/00 – LVerfGE 12, 119 ff. (Volksinitiative „Für unsere Kinder“). Die Berliner Zeitung v. 18.03.1997 teilt zum Beschluss des BerlVerfGH v. 12.12.1996 – BerlVerfGH 38/96 – LVerfGE 5, 58 ff. (Anspruch auf rechtliches Gehör) das Abstimmungsergebnis und den wesentlichen Inhalt des Sondervotums mit, ohne die abweichenden Richter namentlich zu nennen. 214

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abweichende Meinung erwähnt.219 Vereinzelt finden sich aber auch Publikationen, in denen die Sondervoten gegenüber der Entscheidung der Gerichtsmehrheit stark herausgestellt werden.220 Zierlein hat beobachtet, dass die Beachtung der Sondervoten der Bundesverfassungsrichter in den Medien regelmäßig von dem Schicksal der Entscheidung selbst abhängt: In Verfahren von hoher politischer Bedeutung oder in Fällen eines gesteigerten öffentlichen Interesses hätten nicht nur die Entscheidungen des Gerichts, sondern auch etwaige Sondervoten angemessene Berücksichtigung in der Presse gefunden; sei umgekehrt aber eine Entscheidung nicht nach diesen Gesichtspunkten gefragt gewesen, hätte auch eine noch so gute abweichende Meinung nicht aus deren Schatten heraustreten können.221 Die Feststellung Zierleins gilt erst recht im Hinblick auf die ohnehin nur spärliche und oft lokal begrenzte Berichterstattung über die 218 Vgl. Berliner Zeitung v. 03.02.1995 zum Beschluss des BerlVerfGH v. 06.12.1994 – BerlVerfGH 65/93 – LVerfGE 1, 131 ff. (Schließung der Staatlichen Schauspielbühnen); FAZ v. 18.03.1997 zum Urteil des BerlVerfGH v. 17.03.1997 – BerlVerfGH 90/95 – LVerfGE 6, 32 ff. (5%-Sperrklausel); Berliner Zeitung und FAZ, jeweils in der Ausgabe v. 19.06.1998, sowie FAZ v. 20.06.1998 zum Urteil des VerfG Bbg v. 18.06.1998 – VfG Bbg 27/97 – LVerfGE 8, 97 ff. (Horno); FAZ v. 26.05.2000 zum Urteil des ThürVerfGH v. 25.05.2000 – ThürVerfGH 2/99 – LKV 2000, 441 ff. (Mandatsverlust wegen Zusammenarbeit mit dem MfS) In der FAZ v. 26.01.1996 und v. 27.01.1996 zum Urteil des VerfG Bbg v. 25.01.1996 – VfG Bbg 12/95 und 13/95 – LVerfGE 4, 85 ff. (Inkompatibilität von Amt und Mandat) wird nur das Abstimmungsergebnis angegeben; auch die WELT v. 22.03.1996 gibt zum Urteil des VerfG Bbg v. 21.03.1996 – VfG Bbg 18/95 – LVerfGE 4, 114 ff. (Neugliederungsvertrag Berlin/Brandenburg) lediglich das Stimmenverhältnis bekannt. 219 Vgl. Berliner Zeitung v. 07.02.1996 zum Beschluss des BerlVerfGH v. 02.02.1996 – BerlVerfGH 91, 91A/95 – LVerfGE 4, 3 ff. (Wahl des Parlamentsvizepräsidenten); FAZ v. 16.01.2002 zum Urteil des SachsAnhVerfG v. 15.01.2002 – LVG LSA 9, 12, 13/01 – LKV 2003, 131 ff. (Grundschule mit festen Öffnungszeiten); Berliner Zeitung v. 21.03.2003, FAZ, Tagesspiegel und WELT, jeweils in der Ausgabe v. 22.03.2003, zum Urteil des VerfG Bbg v. 20.03.2003 – VfG Bbg54/01 – LKV 2003, 372 ff. (Kita-Gesetz). In der Berliner Zeitung v. 18.03.1997 zum Urteil des BerlVerfGH v. 17.03.1997 – BerlVerfGH 90/95 – LVerfGE 6, 32 ff. (5%-Sperrklausel) sind Abstimmungsergebnis und Sondervoten nicht mitgeteilt. Auch in der Berichterstattung des Tagesspiegels vom 21.09.2001 zum Urteil des VerfG Bbg v. 20.09.2001 – VfG Bbg 57/00 – LVerfGE 12, 119 ff. (Volksinitiative „Für unsere Kinder“) fehlen jegliche Hinweise auf Stimmenverhältnis und Sondervotum. 220 Vgl. Berliner Zeitung v. 26.01.1996 zum Urteil des VerfG Bbg v. 25.01.1996 – VfG Bbg 12/95 und 13/95 – LVerfGE 4, 85 ff. (Inkompatibilität von Amt und Mandat) und Berliner Zeitung v. 18.03.1997 zum Beschluss des BerlVerfGH v. 12.12.1996 – BerlVerfGH 38/96 – LVerfGE 5, 58 ff. (Anspruch auf rechtliches Gehör). Vgl. hierzu unten sub D. III. 1. 221 Zierlein, DÖV 1981, S. 92.

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D. Auswirkungen und Bedeutung veröffentlichter Sondervoten

Spruchtätigkeit der Landesverfassungsgerichte. Zumeist befasste sich die Presse nur mit Verfassungsprozessen über politisch besonders kontroverse Fragen, viele Entscheidungen wurden überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Die Existenz eines Sondervotums zu einer landesverfassungsgerichtlichen Entscheidung scheint ein höheres Interesse an ihr jedenfalls nicht ausgelöst zu haben. Dass sich, wie Zierlein meint, der Grad der Publizität von Sondervoten proportional zur Zahl der dissentierenden Richter verhält222, kann im Bezug auf die abweichenden Meinungen der Landesverfassungsgerichte in Berlin und den neuen Ländern nicht bestätigt werden. In Berlin findet sich eine Reihe von Entscheidungen, zu denen vier Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes dissentierten, teils gemeinsam in einem Sondervotum, teils in mehreren Sondervoten.223 Lediglich zwei dieser Fälle haben in der öffentlichen Berichterstattung Erwähnung gefunden.224 Die geringe Resonanz auf die Sondervoten in den Medien dürfte der Vermutung, sie könnten der Öffentlichkeit als Beleg für ein bestimmtes Entscheidungsverhalten einzelner Verfassungsrichter dienen, vieles an Gewicht nehmen. Schlechthin ausschließen lässt es sich freilich nicht, dass der Gedanke an eventuellen Beifall oder Tadel der Medien einem potentiellen Dissenter die Feder führen kann.225 Über den Appell an die Verfassungsrichter, sich bei ihrer Meinungsbildung von jedem medialen Druck frei zu machen, ist daher kaum hinauszukommen. c) Sondervoten in der juristischen Fachöffentlichkeit Mit Zurückhaltung bei der Würdigung der abweichenden Meinungen verfährt auch die juristische Fachwelt. Bereits bei der Publizierung der landesverfassungsgerichtlichen Judikate wird etwaigen Sondervoten nicht stets das gleiche Gewicht wie den von der Mehrheit getragenen Entscheidungsgründen eingeräumt. In der Sammlung der Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder (LVerfGE)226 sind zwar die Entscheidungen zusammen mit den abweichenden Meinungen bislang in vollem Umfang abgedruckt227; 222

Zierlein, ebd., S. 92. Vgl. Beschluss v. 15.06.1993 – BerlVerfGH 18/92 – LVerfGE 1, 81 ff.; Beschluss v. 16.11.1995 – BerlVerfGH 48/94 – LVerfGE 3, 113 ff.; Beschluss v. 25.04.1996 – BerlVerfGH 21/95 – LVerfGE 4, 46 ff.; Beschluss v. 12.12.1996 – BerlVerfGH 38/96 – LVerfGE 5, 58 ff.; Urteil v. 17.03.1997 – BerlVerfGH 90/95 – LVerfGE 6, 32 ff.; Beschluss v. 06.10.1998 – BerlVerfGH 26, 26A/98 – LVerfGE 9, 59 ff. 224 Vgl. FAZ v. 18.03.1997 zum Urteil v. 17.03.1997 – BerlVerfGH 90/95 – LVerfGE 6, 32 ff.; Berliner Zeitung v. 18.03.1997 zum Beschluss v. 12.12.1996 – BerlVerfGH 38/96 – LVerfGE 5, 58 ff. 225 So auch Sendler, VBlBW 1994, S. 41. 223

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bei zwei Entscheidungen des Thüringer Verfassungsgerichtshofs fehlt allerdings der Hinweis auf die hierzu vorliegenden Sondervoten228. In den Rechtsprechungsübersichten der juristischen Fachzeitschriften werden die Sondervoten in der Regel vollständig, teils aber auch nur in verkürzter Form wiedergegeben. Meistens wird das Sondervotum dabei als solches229 gekennzeichnet und unter Nennung des abweichenden Richters – entsprechend den gesetzlichen Vorgaben – den Entscheidungsgründen angeschlossen. Mancherorts findet sich nach den Gründen eine Anmerkung der Schriftleitung, die eine kurze, referierende Zusammenfassung des Inhalts des Sondervotums enthält.230 Zuweilen erfolgt aber auch nur ein Hinweis, dass ein bestimmtes Gerichtsmitglied ein Sondervotum vorgelegt hat.231

226 Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, herausgegeben von den Mitgliedern der Gerichte. 227 Eine Übersicht über die Fundstellen der Entscheidungen mit Sondervoten gibt die dem Anhang beigefügte Tabelle. Seit 1999 erscheint die Entscheidungssammlung jährlich nur noch in einem Band, obgleich nunmehr zwölf der 15 Länder mit einem eigenen Verfassungsgericht ihre Entscheidungen dort veröffentlichen und die Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte insgesamt im Zunehmen begriffen ist. Dies hat eine starke Selektion unter den Entscheidungen erforderlich gemacht, so dass viele nur noch gekürzt oder in Leitsätzen mit dem Hinweis abgedruckt sind, sie seien im Volltext bei den Landesverfassungsgerichten zu beziehen. In LVerfGE Band 11 sind von 14 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmten Entscheidungen des Brandenburgischen Verfassungsgerichts fünf verkürzt und von den restlichen neun nur die Leitsätze sowie die Entscheidungsformeln aufgenommen worden. Das Verfassungsgericht hat daher zum 11. Band einen Supplementband vorgelegt, in dem die Entscheidungen vollständig abgedruckt sind. Seit 2003 sind sämtliche Entscheidungen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg in vollem Wortlaut im Internet unter der Adresse www.verfassungs gericht.brandenburg.de abrufbar. Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat drei seiner Entscheidungen mit Sondervoten nur in einer juristischen Zeitschrift publiziert, vgl. BerlVerfGH JR 1996, 146 ff. – Urteil v. 31.05.1995 – BerlVerfGH 55/93; BerlVerfGH JR 1998, 99 ff. – Beschluss v. 14.01.1997 – BerlVerfGH 21/94; BerlVerfGH JR 2001, 452 ff. – Beschluss v. 21.02.2000 – BerlVerfGH 18/99. 228 Vgl. LVerfGE 8, 337 ff. – Urteil v. 19.06.1998 – ThürVerfGH 10/96; LVerfGE 11, 481 ff. – Urteil v. 25.05.2000 – ThürVerfGH 2/99. 229 Vereinzelt wird das Sondervotum auch als „abweichende Meinung“ oder „abweichende Begründung“ tituliert, vgl. ThürVBl. 1997, 209; LKV 2000, 445, 448. 230 Vgl. etwa NJW 1995, 860 zum Beschluss des BerlVerfGH v. 06.12.1994 – BerlVerfGH 65/93; NJ 1997, 366 zum Urteil des BerlVerfGH v. 12.12.1996 – BerlVerfGH 38/96; NVwZ-RR 2002, 405 zum Urteil des BerlVerfGH v. 28.06.2001 – BerlVerfGH 100/00; NVwZ-RR 2003, 800 zum Urteil des VerfG Bbg v. 19.06.2003 – VfG Bbg 98/02. 231 Vgl. etwa NVwZ 1995, 784 ff. zum Urteil des BerlVerfGH v. 12.07.1994 – BerlVerfGH 94/93; DÖV 1999, 643 ff. zum Zwischenurteil des MVVerfG v.

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Schließlich gibt es Fälle, in denen die abweichenden Meinungen überhaupt nicht zur Sprache gebracht werden.232 Es leuchtet ein, dass angesichts der umfangreichen Spruchtätigkeit der Gerichte und des nur begrenzten Raums in den juristischen Periodika der Veröffentlichung der Mehrheitsentscheidung Priorität zukommen muss. Ihr gilt das maßgebliche Interesse, nur sie ist bindend und erwächst in Rechtskraft. Dass es zudem Sondervoten gibt, die neben der Sache liegen und entbehrlich wirken, lässt sich auch nicht bestreiten. Den abweichenden Meinungen aber die Beachtung gänzlich zu versagen oder sie zu einem bloßen Torso zu reduzieren, wird ihrem Sinn und Zweck nicht gerecht. Das Sondervotum ist ein prozessuales Instrument überstimmter Gerichtsmitglieder, eine innerhalb des Richterkollegiums aufgetretene Meinungsdivergenz zu einer bestimmten Rechtsproblematik offen zu legen, um sie der juristischen Diskussion zuzuführen; es ist damit Bestandteil des konkreten verfassungsgerichtlichen Verfahrens. Diese Funktion kann es nur erfüllen, wenn bei der Publikation der Entscheidung auch sein – zumindest wesentlicher – Inhalt mitgeteilt wird. Das Schrifttum hat sich den Sondervoten in den meisten Fällen auch angenommen, wenngleich auf recht unterschiedliche Weise. In den Entscheidungsrezensionen und Urteilsanmerkungen werden die Entscheidung der Mehrheit und das Sondervotum des dissentierenden Richters regelmäßig in ihren Grundzügen gegenübergestellt233; gelegentlich wird im Rahmen der Zusammenfassung der Entscheidungsgründe auch lediglich vermerkt, dass eine abweichende Meinung vorliegt234. Oftmals fehlen Hinweise auf die Sondervoten ganz.235 In den einzelnen Stellungnahmen stoßen die Sondervoten häufig auf Zustimmung. Zum Urteil des Berliner Verfassungsgerichts06.05.1999 – MVVerfG 2/98; LKV 1999, 450 ff. zum Urteil des VerfG Bbg v. 30.06.1999 – VfG Bbg 3/98. 232 Vgl. EuGRZ 1998, 698 ff. zum Urteil des VerfG Bbg v. 18.06.1998 – VfG Bbg 27/97; DÖV 1997, 1001 ff. zum Urteil des ThürVerfGH v. 12.06.1997 – ThürVerfGH 13/95. 233 Vgl. Menzel, DÖV 1996, S. 1037 ff. zum Urteil des VerfG Bbg v. 25.01.1996 – VfG Bbg 12, 13/95; Jutzi, NJ 1998, S. 196 f. zum Beschluss des BerlVerfGH v. 17.12.1997 – BerlVerfGH 2/96; ders., NJ 1999, S. 474 f. zum Zwischenurteil des MVVerfG v. 06.05.1999 – MVVerfG 2/98; ders., NJ 2000, S. 536 f. zum Urteil des ThürVerfGH v. 25.05.2000 – ThürVerfGH 2/99; ders., NJ 2003, S. 642 f. zum Urteil des VerfG Bbg v. 19.06.2003 – VfG Bbg 98/02. 234 Vgl. Sachs, JuS 1994, S. 348 f. zu den Urteilen des BerlVerfGH v. 19.10.1992 – BerlVerfGH 24/92 und 39/92; ders., JuS 1995, S. 453 f. zum Beschluss des BerlVerfGH v. 12.07.1994 – BerlVerfGH 94/93. 235 Vgl. Göbel-Zimmermann, NVwZ 1995, S. 763 ff. zum Beschluss des BerlVerfGH v. 12.07.1994 – BerlVerfGH 94/93; Würtenberger/Seelhorst, ThürVBl. 1998, S. 49 ff. zum Urteil des ThürVerfGH v. 12.06.1997 – ThürVerfGH 13/95; Löwer, ThürVBl. 2000, S. 206 ff. zum Urteil des ThürVerfGH v. 25.05.2000 – Thür-

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hofs zur Grundrechtsfähigkeit einer Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung konstatieren Löwer/Menzel, dass das von dem Richter Kunig vorgelegte Sondervotum die Unhaltbarkeit der Entscheidung in aller Deutlichkeit aufzeige.236 Nicht selten nutzen Autoren freilich das Argumentationsmaterial des Sondervotums, um selbst Kritik an der Mehrheitsentscheidung zu äußern oder eigene Standpunkte und Positionen zu rechtfertigen.237 Tadel richtet sich aber auch gegen die Sondervoten: Für „wenig weiterführend“ hält Sachs die abweichende Begründung des Verfassungsrichters Bauer zum Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofes betreffend den Mandatsverlust einer Landtagsabgeordneten; sie treffe die Argumentation der Mehrheitsmeinung nicht.238 Kluge attestiert dem Sondervotum des Richters von Arnim zum Urteil des Brandenburgischen Verfassungsgerichts zur Kompatibilität von Amt und Mandat mangelnde methodische Präzision und eine folgen- wie ergebnisorientierte Argumentation.239 Der abweichenden Meinung des Richters Meyn zum Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofes zum MDR-Staatsvertrag hält Jutzi vor, bei den Überlegungen zu einer aus der Landesverfassung abzuleitenden Verstärkung der Staatsfreiheit des Rundfunks einem „Irrglauben“ zu unterliegen, da sich hierfür weder im Wortlaut der Verfassung noch in ihrer Entstehungsgeschichte Anhaltspunkte fänden.240 In zusammenfassenden Berichten über die Rechtsprechungstätigkeit einzelner Landesverfassungsgerichte wird meist auch das zu den jeweiligen Entscheidungen vorgelegte Sondervotum erwähnt.241 VerfGH 2/99; Sachs, JuS 2002, S. 395 ff. zum Urteil des VerfG Bbg v. 20.09.2001 – VfG Bbg 57/00. 236 Löwer/Menzel, ZG 1997, S. 106 betreffend das Urteil des BerlVerfGH v. 19.10.1992 – BerlVerfGH 24/92. So auch Pestalozza, NVwZ 1993, S. 1070. Zustimmende Anmerkungen hinsichtlich der abweichenden Meinungen bei den übrigen Landesverfassungsgerichten finden sich auch bei Linck, ZG 1996, S. 182 zum Urteil des VerfG Bbg v. 25.01.1996 – VfG Bbg 12, 13/95; Simon, NJ 1998, S. 589 zum Urteil des VerfG Bbg v. 18.06.1998 – VfG Bbg 27/97; Sachs, JuS 1999, S. 186 zum Urteil des ThürVerfGH v. 12.06.1997 – ThürVerfGH 13/95; Jutzi, NJ 1999, S. 474 f. zum Zwischenurteil des MVVerfG v. 06.05.1999 – MVVerfG 2/98; Kutscha, NJ 2000, S. 65 zum Urteil des VerfG Bbg v. 30.06.1999 – VfG Bbg 3/98. 237 Vgl. Grube, LKV 2000, S. 437 zum Urteil des ThürVerfGH v. 25.05.2000 – ThürVerfGH 2/99; Buchholz/Rau, NVwZ 2000, S. 398 zum Zwischenurteil des MVVerfG v. 06.05.1999 – MVVerfG 2/98; Janz, LKV 2002, S. 69 zum Urteil des VerfG Bbg v. 20.09.2001 – VfG Bbg 57/00. 238 Sachs, JuS 2001, S. 79 zum Urteil des ThürVerfGH v. 25.05.2000 – ThürVerfGH 2/99. 239 Kluge, NJ 1996, S. 357. Kritisch auch Löwer/Menzel, ZG 1997, S. 108. 240 Jutzi, NJ 1998, S. 532. 241 Vgl. Uerpmann, LKV 1996, S. 225 ff.; Löwer/Menzel, ZG 1997, S. 90 ff. In dem Bericht über die Judikatur des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg

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D. Auswirkungen und Bedeutung veröffentlichter Sondervoten

Auch in der juristischen Öffentlichkeit hängt die Beachtung des Sondervotums regelmäßig von dem der Mehrheitsentscheidung entgegengebrachten Interesse ab. Dass das Vorliegen eines Sondervotums zu einer landesverfassungsgerichtlichen Entscheidung bereits für sich eine besondere Aufmerksamkeit des Schrifttums bewirkt hat, lässt sich nicht feststellen. Insgesamt dürfte daher auch hier die Gefahr einer Inanspruchnahme des Sondervotums zur persönlichen Profilierung zwar latent, aber nur gering sein. Sich juristischer Kritik an der Entscheidung aussetzen und der Flucht ins Sondervotum widerstehen zu können, sollte jedenfalls jedem Gerichtsmitglied aufgegeben sein. d) Sondervoten als parteipolitische Indikatoren? In den Medien wird gelegentlich der Versuch unternommen, die Mitglieder eines Landesverfassungsgerichts den verschiedenen politischen Parteien zuzuordnen und Sondervoten zu bestimmten Entscheidungen vorrangig unter dem Gesichtspunkt der Parteizugehörigkeit oder Parteinähe zu analysieren. Als das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg die Klage der 18 PDS-Abgeordneten des Landtags gegen den Neugliederungsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg abwies242, bemühte sich die Presse um die Mitteilung, dass der abweichende Verfassungsrichter Schöneburg, der in seinem Sondervotum den Fusionsvertrag für nicht vereinbar mit der Brandenburgischen Landesverfassung hielt, auf Vorschlag der PDS in das Gericht gewählt worden war.243 Auch als das Verfassungsgericht den Gesetzesentwurf der von der PDS maßgeblich unterstützten Volksinitiative „Für unsere Kinder – Volksinitiative zur Sicherung des Rechtsanspruchs aller Kinder auf Erziehung, Bildung, Betreuung und Versorgung in Kindertagesstätten“244, welche die Aufhebung der von der Großen Koalition in Brandenburg beschlossenen Kürzungen im Kita-Bereich verfolgte, wegen des hierdurch wesentlich beeinträchtigten Budgetrechts des Parlaments für unzulässig erklärte245, unterblieb der Hinweis nicht, dass das Urteil gegen die zur kommunalen Selbstverwaltung von Buchheister, LKV 2000, S. 325 ff., fehlt indessen jeder Hinweis auf die zu den Entscheidungen v. 14.07.1994 – VfG Bbg 4/93 und v. 18.06.1998 – VfG Bbg 27/97 ergangenen Sondervoten. 242 Urteil v. 21.03.1996 – VfG Bbg 18/95 – LVerfGE 4, 114 ff. 243 Vgl. FAZ v. 22.03.1996. 244 Das Aktionsbündnis aus Elternvereinigungen, Gewerkschaften und Parteien ließ sich von dem damaligen Berliner PDS-Spitzenkandidaten Gysi gemeinsam mit dem letzten Innenminister der DDR Diestel (CDU) anwaltlich vertreten, vgl. hierzu WELT v. 17.11.2000; Berliner Zeitung, FAZ und Tagesspiegel, jeweils in der Ausgabe v. 29.06.2001. 245 Urteil v. 20.09.2001 – VfG Bbg 57/00 – LVerfGE 12, 119.

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Stimmen der von der PDS nominierten Verfassungsrichter Havemann und Jegutidse gefallen war.246 Der hier unverhohlen anklingende Argwohn, dass manche Verfassungsrichter bei den zu entscheidenden Sachen im Interesse jener Stellen zu agieren scheinen, deren Vorschlag oder Stimme sie ihr Amt verdanken, dürfte seine Ursache in dem stark politisierten Modus der Richterbestellung haben. Wie die Mitglieder des Landesverfassungsgerichts gewählt werden, sagen Verfassungen und Verfassungsgerichtsgesetze, außer dass eine Zwei-DrittelMehrheit erforderlich ist, nicht.247 Über die Einzelheiten der Bewerberauslese wird zumeist auch nur wenig bekannt. Es lässt sich allerdings nicht bestreiten, dass die Wahl der Verfassungsrichter maßgeblich in den Händen der politischen Parteien und ihrer Fraktionen in den Parlamenten liegt. Hier offenbart sich die Kehrseite der Zwei-Drittel-Mehrheitswahl: Der mit diesem Quorum intendierte Zwang der Regierungs- und Oppositionsfraktionen, sich auf für beide Seiten gleichermaßen akzeptable Kandidaten zu verständigen248, hat in der Praxis dazu geführt, dass sich die Auswahl und Bestimmung der Verfassungsrichter aus der gesetzlich zuständigen Wahlkörperschaft herausverlagert haben249: Die eigentliche Entscheidung über die Rekrutierung der Gerichtsmitglieder vollzieht sich in informellen Absprachen der Parteien im Vorfeld des Wahlvorgangs. Kröger hat 1976 das beim Bundesverfassungsgericht praktizierte Wahlverfahren als ein „grundsätzliches Arrangement“ unter den Parteien dargestellt, welches sich zu einer festen Usance entwickelt habe: Danach sprächen sich die Parteien gegenseitig „Besetzungspräferenzen“ für bestimmte Richterstellen zu. Werde ein Richteramt durch das Ausscheiden eines Richters aus dem Gericht vakant, habe die Partei, der die Präferenz eingeräumt sei, einen Nachfolger vorzuschlagen. Wenn die Gegenseite keine Bedenken gegen ihn vorbringe, sei damit zu rechnen, dass der Kandidat vom zuständigen Wahlorgan zum Verfassungsrichter gewählt werde. Erhebe die andere Partei gegen ihn Einwendungen, habe die vorschlagende Partei sie auszuräumen oder einen neuen Kandidaten zu präsentieren. Dieses Verfahren werde unter normalen Umständen solange fortgesetzt, bis unter den Parteien Einvernehmen erzielt sei.250 Das geschilderte 246

Vgl. Berliner Zeitung v. 21.09.2001. Vgl. hierzu oben sub B. III. 2. d). 248 Und zwar – nach dem Sinn der Regelung – „ad hoc und ad personam“, vgl. Schlaich-Korioth, S. 32, Rn. 43. 249 Majer, in: Umbach/Clemens, § 6, S. 260, Rn. 28 f. 250 Kröger, Richterwahl, S. 94. Billing, S. 220, beschreibt das Verfahren als eine „Art festes Planstellensystem“ auf der Grundlage der den Parteien bei der Erstbesetzung des Gerichts zugefallenen Richterquote; Friesenhahn spricht von „Erbhöfen“, vgl. Friesenhahn, in: Frowein/Meyer/Schneider, S. 71. Vgl. zur Wahlpraxis beim Bundesverfassungsgericht: Billing, S. 179 ff.; Bryde, S. 148 ff.; Majer, in: Umbach/ 247

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D. Auswirkungen und Bedeutung veröffentlichter Sondervoten

Verfahren charakterisiert im Wesentlichen auch die Praxis der Wahlen zu den Landesverfassungsgerichten.251 Wie im Bund hat der Zwang zum Einverständnis nicht dazu geführt, dass sich die Fraktionen auf einen Kandidaten einigen. Vielmehr teilen sie die vorhandenen Sitze im Gericht untereinander auf und sichern sich jeweils ein Vorschlagsrecht für die Neubesetzung die Stelle zu.252 Die Person des Kandidaten steht dabei nur im äußersten Fall der „Unzumutbarkeit“ interfraktionell zur Debatte253, wie etwa in Brandenburg zu beobachten war, als die Schriftstellerin Dahn von der PDS als Kandidatin für das Verfassungsrichteramt nominiert wurde.254 Die Absprachen über die Besetzung der einzelnen Richterstellen finden im kleinen Kreis der Fraktionsvorsitzenden statt, welche de facto die Wünsche ihrer Partei umsetzen.255 Zumeist schlagen die Parteien Personen vor, die ihre Mitglieder sind oder ihnen jedenfalls in den politischen Grundauffassungen nahe stehen; parteipolitisch nicht gebundene Kandidaten haben eher nur wenige Chancen, vorgeschlagen zu werden. Da eine Partei angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Landtag kaum je in der Lage ist, eine Person ihres Vertrauens aus eigener Kraft durchzubringen, verständigen sich die Parteien regelmäßig darüber, den von der einen Seite vorgeschlagenen Bewerber im Gegenzug mit der Zustimmung zu dem eigenen Kandidaten zu wählen.256 Sind mehrere Richterstellen zu besetzen, werden oft „Pakete“257 geschnürt, Clemens, § 6, S. 260, Rn. 29; Bettermann, S. 725 ff.; Landfried, S. 17 ff.; Frank, FS Faller, S. 37 ff.; ders., FS Zeidler, S. 163 ff.; Trautwein, S. 21 ff.; Schulze-Fielitz, Verfassungsstaat, S. 80; Lamprecht, Vom Mythos der Unabhängigkeit, S. 70 ff.; Pieper, S. 27 f.; Kühnert, ZIP 1987, S. 3; Fromme, NJW 2000, S. 2977 f. Vgl. auch Erhard, S. 35 ff., der als langjähriger Verhandlungsführer der CDU/CSU bei den Wahlen der Bundesverfassungsrichter aus eigener Erfahrung berichtet. 251 Zur Wahl der Verfassungsrichter in der Praxis der alten Bundesländer: Bettermann, S. 729 ff. 252 Die Praxis weicht also von dem gesetzlich vorgesehenen Modell der Richterwahl deutlich ab: An die Stelle der Wahl mit Zwei-Drittel-Mehrheit ist die Benennung von Richtern durch die Parteien für die ihnen „zustehenden“ Richtersitze getreten. Keineswegs steht jedoch der Partei, die das Vorschlagsrecht für eine Verfassungsrichterstelle ausübt, auch ein Präsentationsrecht im Sinne eines Alleinentscheidungsrechts zu; d. h. sie darf an ihrem Vorschlag nicht festhalten, wenn dieser keinen parteiübergreifenden Konsens erfährt, so Hopfauf, ZRP 1994, S. 89 f. 253 Pestalozza, § 2, S. 44, Rn. 26; Majer, in: Umbach/Clemens, § 6, S. 261, Rn. 29. 254 Vgl. hierzu oben sub B. III. 6. 255 Die Kandidatenkür liegt daher in den Händen nur weniger Personen, vgl. Geck, Wahl und Amtsrecht, S. 34 f.; Trautwein, S. 24; Pieper, S. 28. 256 Das Vetorecht der jeweils anderen Seite dürfte auch den Einzug extremer Parteigänger in das Verfassungsgericht verhindern. Freilich mögen ihm aber auch gelegentlich qualifizierte Kandidaten zum Opfer fallen, vgl. Grimm, EuGRZ 2000, S. 2. 257 Derartige „Paketlösungen“ erleichtern es, bei den Richterwahlen Proporzgesichtspunkten Rechnung zu tragen, vgl. Bryde, S. 149 f. Welche Bedeutung das

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bei denen die unterschiedlichen Vorstellungen der Parteien zu einem Ausgleich gebracht werden.258 Wenn die Wahlergebnisse überwältigende Mehrheiten für nahezu alle vorgeschlagenen Richterkandidaten ausweisen, ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass zwischen den Parteien Verständigungsgespräche stattgefunden haben.259 Fehlt es ihnen indes an Kooperationsbereitschaft, lähmen wechselseitige Blockaden, Verzögerungen und ein Tauziehen um die Richterposten das Wahlverfahren. Anschauungsmaterial für die politischen Implikationen der Verfassungsrichterwahl liefern die ersten Neuwahlen zum Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin. Dort standen im März 1999 fünf der neun Verfassungsrichterstellen zur Neubesetzung an, darunter auch das Amt des Gerichtspräsidenten.260 Die Wahl verzögerte sich um ein Jahr, weil die Parteien über die inoffiziellen Regeln der Richterwahl in heftigen Streit gerieten: Für Uneinigkeit sorgte einmal die Frage, wer von den Partnern der damals in Berlin regierenden Großen Koalition den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs stellen sollte, dessen Amt bislang der frühere CDU-Abgeordnete Finkelnburg bekleidet hatte. Während die SPD den Standpunkt vertrat, dass das Vorschlagsrecht für das Präsidentenamt turnusmäßig zwischen den großen Parteien wechseln, also jetzt ihr zufallen solle, war die CDU der Ansicht, dass nur die stärkste Partei – sie selbst – den Präsidenten nominieren dürfe. Weiterer Disput entzündete sich an dem von der PDS geltend gemachten Anspruch, bei der Besetzung des Gerichts mit einem eigenen Kandidaten berücksichtigt zu werden. Die PDS, die seit den Abgeordnetenhauswahlen im Oktober 1999 drittstärkste Fraktion war, berief sich dabei auf eine bei der Errichtung des Verfassungsgerichtshofes im Jahre 1992 getroffene Absprache der Fraktionen, dass entsprechend der Stärke der Fraktionen Vorschläge gemacht werden können. Beide Regierungsparteien weigerten sich indes strikt, einen Richter der PDS zu wählen. Ihr wurde ein Vorschlagsrecht nur insoweit zugestanden, dass ihr Kandidat kein Parteimitglied sein dürfte. Ein weiteres Vorschlagsrecht sollte der SPD zustehen, die restlichen drei der zu besetzenden Stellen reklamierte die CDU für sich. Dass die CDU damit insgesamt fünf Richterstellen im Gericht besetzt hätte, stieß jedoch allseits auf Ablehnung. Die Grünen wollten auch nicht hinnehmen, dass sie wegen ihres schlechten Abschneidens bei den Wahlen kein Vorschlagsrecht mehr haben sollten. Ihre Fraktionsvorsitzende ließ wissen, dass sie für die „unsittlichen Anträge“ der Koalition an die PDS nicht zu haben sei. Im März 2000 Schnüren von „Paketen“ für die Besetzung staatspolitischer Ämter hat, schildert Zuck, NJW 1994, S. 497 f. 258 Benda, in: Benda/Klein, § 5, S. 58, Rn. 135 f. 259 Vgl. Erhard, S. 42. 260 Vgl. oben sub B. III. 6.

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kam es zu einem Kompromiss: Die PDS erhielt für ihre parteilose Kandidatin Zünkler einen Sitz im Gericht. Die CDU trat den Grünen ein Vorschlagsrecht für einen Richterposten ab; durfte aber mit ihrem Kandidaten Sodan weiterhin den Präsidenten stellen. Die Grünen zogen dafür ihren bisherigen Kandidaten Ziegert zurück und nominierten den ehemaligen Staatssekretär in der Umweltverwaltung Groth, dem auch die CDU Zustimmung entgegenbrachte.261 Die Praxis der Verfassungsrichterwahlen steht seit langem in der Kritik. Bemängelt wird neben dem starken Parteieneinfluss und der Undurchsichtigkeit des Verfahrens vor allem das faktische Leerlaufen der Entscheidungskompetenz des Parlaments, dessen Wahlakt als bloßer Vollzug längst gefasster Beschlüsse erscheint.262 Mittlerweile hat sich jedoch die Erkenntnis durchgesetzt, dass es strukturell kein praktikables Mittel gibt, das Auswahlverfahren zu entpolitisieren.263 Die Besetzung der Richterbank wird von den Parteien indes so offensichtlich als Machtfrage zur Schau gestellt, dass es mit Bryde nicht überraschen dürfte, wenn derart massive Versuche, Einfluss auf das Gericht zu nehmen, nicht ohne jede Wirkung blieben.264 Zwar versichern Richter der Landesverfassungsgerichte regelmäßig, dass ih261 Vgl. hierzu FAZ v. 22.05.1999, v. 21.06.1999 und v. 24.02.2000; Berliner Zeitung v. 18.02.2000; Berliner Morgenpost v. 09.03.2000. Vgl. zu den politischen Aspekten der Richterwahl auch Fromme, NJW 2000, S. 2977 f.; Sendler, NJ 1995, S. 113 f. Knöpfle, S. 259, meint, dass die Bandbreite der Ingerenz der Parteien auf die Richterkreation bei den Landesverfassungsgerichten in den alten Bundesländern von „keiner erkennbaren Einflussnahme“ über die „tatsächliche Widerspiegelung der Parteienlandschaft“ bis zur „Kungelei unter den Parteien“ reiche. In Hamburg, dessen Verfassungsgerichtsgesetz eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Verfassungsrichterwahl nicht kennt, ist es seit 1952 bewährte Tradition, dass die jeweilige Regierungsfraktion der Bürgerschaft nicht ihre Kandidaten „durchwählt“, sondern auch der Opposition Sitze im Verfassungsgericht zugesteht, vgl. Gündisch, S. 1053 f. 262 Frank, FS Faller, S. 37, bezeichnet die Richterwahlen beim Bundesverfassungsgericht als eines seiner „unerfreulichsten Kapitel“. Das Schrifttum ist reich an Reformvorschlägen, welche den rein nach parteipolitischem Proporz gesteuerten Auswahlmechanismus zugunsten einer Bewerberauslese nach fachlicher und persönlicher Qualifikation zurückzudrängen suchen. Vgl. bzgl. der Bundesverfassungsrichterwahlen Billing, S. 305 ff.; Geck, Wahl und Amtsrecht, S. 41 ff.; Stern, FS Geck, S. 885 ff.; Pieper, S. 29 ff.; Bommarius, DRiZ 1993, S. 452; Hopfauf, ZRP 1994, S. 90 f. Eine Übersicht über die einzelnen Vorschläge gibt Trautwein, S. 35 ff. 263 Roellecke, JZ 2001, S. 116. Bereits Bettermann, S. 724, hat darauf hingewiesen, dass bei der Verfassungsrichterwahl rechtsstaatliches und demokratisches Prinzip miteinander konkurrieren und kollidieren: Verlange der Rechtsstaat eine unpolitische Richterauswahl und damit auch neutrale Elektoren, mache die Demokratie eine absolute Entpolitisierung hingegen unmöglich, da im demokratischen Prozess die Berufung ins Richteramt notwendig den Regeln der politischen Willensbildung unterworfen sei. 264 Bryde, S. 178.

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rer Neutralität durch das Wahlverfahren keinerlei Abbruch getan werde und sich politische Gegensätze in der gerichtlichen Arbeit zunehmend verflüchtigen würden.265 Freilich dürfte von den Gewählten selbst diesbezüglich eine objektive Stellungnahme kaum zu erwarten sein. Ob und inwieweit sich tatsächlich politische Präferenzen oder gar parteipolitische Bindungen der Gewählten in der Entscheidungsfindung – insbesondere in solchen Verfahren, deren Streitparteien die politischen Akteure sind – niederschlagen, lässt sich aufgrund des Beratungsgeheimnisses nicht erleuchten; hierüber sind nur Spekulationen möglich. Ein veröffentlichtes Sondervotum berichtet nicht nur über die Gründe richterlicher Meinungsdivergenzen in der Beratung, es macht auch seinen Verfasser identifizierbar. Nach Fromme kann das Rechtsinstrument der abweichenden Meinung insoweit in einem besonderen Licht erscheinen, nämlich als „Prüfungsstation für das Andauern von Zuverlässigkeit“: Die Möglichkeit des Sondervotums könne die Verfassungsrichter der Versuchung aussetzen, die Verbindung zu ihrer politischen Gruppe über das zuträgliche Maß hinaus zu pflegen und dieser in Form einer abweichenden Meinung gleichsam die „Anwesenheit“ zu bestätigen. Dies geschehe zwar nie rundweg gegen die eigene Überzeugung, jedoch könne diese in Richtung einer gewissen „Linientreue“ umgebogen werden.266 Eine solche Verlautbarung im Sinne Frommes mag etwa von dem Motiv getragen werden, bestimmten Kreisen die – letztlich fruchtlos gebliebene – Unterstützung ihrer Interessen zu signalisieren oder in politisch umstrittenen Fällen öffentlich von der Entscheidung der Gerichtsmehrheit Distanz zu nehmen. Richtet aber ein Gerichtsmitglied schon allein aufgrund der Vorstellung, dass von ihm zu einer konkreten Entscheidung eine abweichende Position erwartet werde, sein Beratungs- und Abstimmungsverhalten hierauf aus, empfindet er also das Recht zum Sondervotum geradezu als eine Pflicht, kann ihm dies seine Unvoreingenommenheit nehmen. Der Bundesgesetzgeber hat in diesem Zusammenhang eine durch die Einrichtung des Sondervotums drohende Gefahr für die innere Unabhängigkeit der Verfassungsrichter in Gedanken an eine Wiederwahl, d. h. der Befürchtung der Nichtwiederwahl gesehen. Um jeden Anschein einer Beziehung zwischen der Abgabe von Sondervoten und dem Streben nach Wiederwahl 265

Anlässlich der Querelen beim ersten Revirement in Berlin bemühte sich der Richter Eschen um die öffentliche Feststellung, die Beratungen des Gerichts seien derart sachlich, dass „niemand erkennen würde, woher wir politisch kommen“; vgl. FAZ v. 24.02.2000. Der Richter am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Havemann distanzierte sich vor seiner Wahl demonstrativ von der Politik der PDS: Zu dieser Partei habe er kein Verhältnis, er werde als Verfassungsrichter „völlig unabhängig agieren“; vgl. Berliner Zeitung v. 02.06.2000; WELT v. 10.06.2000. 266 Fromme, S. 885 f.

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zu vermeiden, hat er mit der Einführung des Sondervotums in der 4. Novelle des BVerfGG von 1970 zugleich die bis dahin noch zulässige Möglichkeit der erneuten Bestellung der Bundesverfassungsrichter ausgeschlossen und deren Amtszeit von acht auf zwölf Jahre verlängert.267 Zierlein sieht in dieser Regelung eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass es beim Bundesverfassungsgericht zu Missbräuchen des Sondervotums in der von Fromme beschriebenen Art nicht gekommen ist.268 In Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ist die Wiederwahl ebenfalls nicht gestattet, die Amtszeiten bewegen sich zwischen sieben und zwölf Jahren. Sachsen-Anhalt und Thüringen haben die Bedenken, dass ein Gerichtsmitglied bei der Möglichkeit zum Sondervotum nicht mehr gemäß seiner persönlichen Überzeugung, sondern im – mutmaßlichen – Sinne der über seine Wiederwahl entscheidenden Kreise handeln könnte, nicht geteilt.269 In beiden Ländern ist die Wiederbestellung der Verfassungsrichter, in Sachsen-Anhalt allerdings nur einmal, zulässig und wird auch praktiziert270; die Amtsdauer ist mit sieben und fünf Jahren vergleichsweise kurz bemessen.271 Ist die richterliche Unabhängigkeit in Sachsen-Anhalt und Thüringen insoweit nicht in gleicher Weise institutionell abgesichert wie beim Bundesverfassungsgericht und den übrigen Landesverfassungsgerichten, fragt sich, ob sich die Vermutung, es könne zu einer opportunistischen Wahrnehmung des Sondervotums durch Gerichtsmitglieder zugunsten ihrer Wiederwahl kommen, in der bisherigen Rechtsprechungspraxis bestätigt hat. In Sachsen-Anhalt finden sich für einen derartigen Missbrauch keinerlei Anhaltspunkte. Das einzige in der Geschichte des Landesverfassungsgerichts veröffentlichte Sondervotum erging zu der Entscheidung vom 15. Januar 2002 über die Einführung der Grundschule mit festen Öffnungszeiten272; die 267

Vgl. hierzu im Einzelnen oben sub C. IV. 5. Das Bundesverfassungsgericht selbst hat in einer späteren Entscheidung ein derartiges „Junktim“ von Wiederwahlverbot und Sondervotum ausdrücklich abgelehnt, vgl. BVerfG NJW 1976, 283 (285). 268 Zierlein, DÖV 1981, S. 93 f. D. Simon, S. 169, meint, dass die Begrenzung der Amtsdauer und der Ausschluss jeglicher Wiederwahl die innere Unabhängigkeit der Richter „in dem auf diesem Felde erreichbaren Umfang“ garantiere. So auch Pestalozza, § 2, S. 43, Rn. 23. 269 Vgl. Harms-Ziegler, S. 199. 270 In Sachsen-Anhalt wurden in der zweiten Verfassungsrichterwahl im Jahre 2001 insgesamt sechs Verfassungsrichter und Stellvertreter aus der ersten Gerichtsbesetzung wieder in das Landesverfassungsgericht gewählt; in Thüringen behielten beim Revirement im Juli 2000 acht Verfassungsrichter und Stellvertreter ihr Amt. 271 Vgl. zu den gesetzlichen Regelungen zur Wiederwahl und zur Amtszeit oben sub B. IV. 2. 272 LVG LSA 9, 12, 13/01 – LKV 2003, 131 ff.

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abweichende Richterin Faßhauer war zu diesem Zeitpunkt bereits wiedergewählt worden. In Thüringen sind fünf der sieben Gerichtsmitglieder, die in der ersten Amtsperiode abweichende Voten vorgelegt haben, im Jahre 2000 erneut in den Verfassungsgerichtshof gewählt worden.273 Bei einem dieser Sondervoten drängt sich in der Tat der Eindruck auf, dass seiner Abfassung auch politische Gedanken zugrunde lagen. Es betrifft das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofes vom 19. Juni 1998 zur Verfassungsmäßigkeit des Staatsvertrags über den Mitteldeutschen Rundfunk274: Die SPD-Fraktion des Thüringer Landtags hatte sich im Wege der abstrakten Normenkontrolle gegen eine Reihe von Bestimmungen des MDR-Staatsvertrags gewandt, welche die Zusammensetzung des Rundfunkrats, die Wahl der Mitglieder des Rundfunkbeirats sowie die Kompetenzen dieser Organe regeln. Sie war der Ansicht, dass diese Vorschriften das verfassungsrechtliche Gebot der Staatsferne des Rundfunks verletzten, weil danach im Programmkontrollorgan des MDR sowohl Vertreter der Landesregierungen als auch solche der politischen Parteien säßen. Der Verfassungsgerichtshof sah den Grenzwert der hinnehmbaren Beteiligung der Staatsseite als nicht überschritten an und wies die Klage ab. Die Verfassungsrichterin Hemsteg-von Fintel hielt in ihrem Sondervotum die angegriffene Bestimmung über die Zusammensetzung des Rundfunkrates für verfassungswidrig. Ihre Auffassung begründete sie im Wesentlichen damit, dass die gesellschaftlich relevanten Gruppen im Rundfunkrat nicht ausgewogen vertreten seien; insbesondere sei die Arbeitnehmerseite mit drei Mitgliedern gegenüber der Arbeitgeberseite mit ebenfalls drei Mitgliedern deutlich unterrepräsentiert, obgleich die Arbeitnehmer ca. 80 % der Bevölkerung und der Zuhörer stellten.275 Ob hierbei in irgendeiner Weise sachfremde Gedanken eine Rolle gespielt haben, wird der Sondervotantin freilich weder unterstellt noch nachgewiesen werden können. Welche Motive für die Abgabe eines Sondervotums ausschlaggebend waren, wird sich, da über sie allein sein Verfasser weiß, nie erhellen lassen. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ansicht des Dissenters genauso gut vertretbar ist wie jene der Gerichtsmehrheit, so dass mögliche rechtsferne Absichten nicht als solche erkennbar sind. Ebenso wenig lässt sich nachprüfen, ob die politischen Kräfte die Abgabe oder Unterlassung eines Sondervotums zu einer bestimmten Entscheidung zum Anlass nehmen, einen Verfassungsrichter wiederzuwählen oder 273 Hierbei handelte es sich um die Mitglieder Bauer, Becker, Hemsteg-von Fintel, Lothholz und Morneweg. 274 ThürVerfGH 10/96 – ThürVBl. 1998, 232 ff. 275 ThürVBl. 1998, S. 237.

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ihm die Unterstützung zu versagen. Die folgenden Ausführungen können daher nur Annäherungswerte bieten. Schlagen die Parteien in der Regel nur ihnen nahestehende Kandidaten für das Verfassungsrichteramt vor, dürfte jedenfalls kaum anzunehmen sein, dass sie einen Richter für die Wiederwahl nominieren, dessen verfassungspolitisches Entscheidungsverhalten sie mit ihren eigenen politischen Werten und Zielvorstellungen nicht mehr im Einklang sehen. Zwar scheint es fernliegend, dass ein Gerichtsmitglied, das bei seiner Stimmabgabe im Einzelfall eine „seiner“ Partei nicht genehme Position eingenommen hat, allein aus diesem Grund nicht wieder gewählt wird.276 Gleichwohl mag in politisch besonders umstrittenen und von einem regen öffentlichen Interesse begleiteten Verfahren die von Fromme angesprochene „Zuverlässigkeit“ aufmerksam registriert werden. Offeriert das Sondervotum einem wiederwahlbereiten Richter eine für den Gerichtsspruch folgenlose, weil rechtlich unerhebliche Möglichkeit, „seiner Fraktion Flagge zu zeigen“277, kann es auf ihn durchaus einen gewissen Druck ausüben. Geck sieht in dieser Gefahr indes keinen zwingenden Grund gegen das Sondervotum, da die tatsächlichen Auswirkungen der Befürchtung, nicht wieder gewählt zu werden, bei den Richtern der Landesverfassungsgerichte erheblich geringer seien, als sie es bei den Richtern des Bundesverfassungsgerichts vor dem Ausschluss der Wiederwahl gewesen seien.278 Ihm ist beizupflichten, dass die richterliche Tätigkeit für die Mitglieder eines Landesverfassungsgerichts anders als für den Bundesverfassungsrichter nicht Mittelpunkt ihres beruflichen Lebens ist. Sie sind nicht hauptamtlich Verfassungsrichter, sondern üben dieses Amt nur als Ehren- bzw. Nebenamt aus. Angesichts der in Sachsen-Anhalt und Thüringen eher bescheidenen Entschädigung, welche die Gerichtsmitglieder für ihre Arbeit erhalten279, dürften in diesen Ländern auch die finanziellen Folgen einer Nichtwiederwahl kaum existentiell sein.280 Dennoch überzeugt die Ansicht Gecks nur bedingt. Das Verfassungsrichteramt bei einem Landesverfassungsgericht strahlt Ehrung und Prestige für den Gewählten aus; sein Verlust mag daher für den einen oder anderen schmerzlich sein.281 Insoweit wird es nicht auszuschließen sein, dass das Motiv, eine solche Enttäuschung zu vermeiden, 276

So Rupp, S. 545. Gehb, S. 77. 278 Geck, Sondervoten, S. 362. 279 Vgl. hierzu oben sub B. IV. 8. Die vergleichsweise üppige Aufwandsentschädigung der Mitglieder des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs erscheint insoweit allerdings nicht ganz unproblematisch, wenn bei diesem Gericht Sondervoten zugelassen würden. 280 Vgl. auch die Richterin des BVerfG Jaeger im ZRP-Rechtsgespräch mit Gerhardt, ZRP 2003, S. 469. 277

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ein Gerichtsmitglied dazu verleiten könnte, bei seinem Entscheidungsverhalten Rücksicht auf die Chancen einer Wiederbestellung zu nehmen. Dies muss nicht so sein, wie das Beispiel Sachsen-Anhalt deutlich zeigt. Allerdings kommt es hier darauf an, wie Verfassungsrichter bei abstrakter Betrachtungsweise handeln könnten. Schürt der Inhalt eines Sondervotums den Verdacht, dass sein Verfasser parteipolitischen Einflüssen zugänglich ist, kann dies zu für das Verfassungsgericht schädlichen Verallgemeinerungen führen. In der Öffentlichkeit könnte der böse Schluss gezogen werden, dass die Gerichtsmitglieder abhängige Interessenvertreter der Parteien seien. Dieser Eindruck mag sich vor einem anstehenden Revirement noch verstärken. Als unabhängige Kontrollinstanz muss sich die Verfassungsgerichtsbarkeit jedoch ihre Vertrauenswürdigkeit bewahren. Ihre Legitimation wäre durch nichts leichter zu erschüttern als durch den Vorwurf der politischen Manipulierbarkeit.282 Provoziert aber schon das Verfahren der Richterkreation diesen Vorwurf, sollte das Gesetz die Voraussetzungen dafür schaffen, dass bereits der Anschein einer potenziellen Abhängigkeit der in das Verfassungsgericht gewählten Richter vermieden wird. Optimal gewährleisten kann es dies dann, wenn die Verfassungsrichter nur für eine Amtszeit gewählt sind und die Möglichkeit der Wiederwahl ausgeschlossen ist.283 Dabei sollte die Amtszeit, da der neu gewählte Verfassungsrichter eine hinreichende Einarbeitungszeit in die nicht jedem geläufige Materie des Landesverfassungsrechts benötigt, mit mindestens sieben, besser noch mit acht Jahren nicht zu knapp bemessen sein.284 Hierdurch dürften Missdeutungen und auch einem etwaigem Missbrauch von Sondervoten im oben beschriebenen Sinne der Boden entzogen werden; zugleich wird das Vertrauen in 281 Dies dürfte auch Knöpfle, S. 262, im Blick haben, wenn er meint, dass die Richter der Landesverfassungsgerichte zumeist an ihrer erneuten Bestellung interessiert seien. 282 Bryde, S. 179. 283 Damit entfällt auch die Misstrauen erregende Frage, wer nach welchen Maßstäben über die Bewährung oder Nichtbewährung von Verfassungsrichtern entscheidet, vgl. Geck, Wahl und Amtsrecht, S. 49 m. w. N. 284 Harms-Ziegler, S. 199. Manche Gerichtsmitglieder müssen sich darüber hinaus noch die Richtertätigkeit als solche aneignen. Benda, in: Benda/Klein, § 5, S. 52, Rn. 122, geht hinsichtlich des Bundesverfassungsgerichts von einer Einarbeitungszeit von zwei bis drei Jahren aus. Sie dürfte auch bei den Landesverfassungsgerichten erforderlich sein, zumal ihnen ein vergleichbarer Apparat nicht zur Verfügung steht. Für eine längere Amtsperiode spricht zudem, dass es regelmäßig nicht leicht ist, eine ausreichende Zahl von kompetenten Persönlichkeiten für das Richteramt in einem Landesverfassungsgericht zu gewinnen. Schließlich kann ein durch kurze Amtsperioden bedingter häufiger Wechsel in der Richterbank die Erledigung langwieriger und komplexer Verfahren erschweren. Vgl. zur Problematik der verfassungsrichterlichen Amtszeiten Schefold, JZ 1988, S. 291 ff.

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die Unabhängigkeit der Richter gestärkt.285 Der einhergehende Verlust an demokratischer Legitimation und Kontinuität der Rechtsprechung wäre kein zu hoher Preis. Freilich lassen sich die der Einrichtung des Sondervotums innewohnenden Gefahren für die richterliche Unabhängigkeit durch das Verbot der Wiederwahl nur bis zu einem bestimmten Grad mindern286; gänzlich ausgeschlossen sind sie damit nicht. Da die Richtertätigkeit in einem Landesverfassungsgericht nur als ein Ehren- bzw. Nebenamt ausgeübt wird, mag ein Verfassungsrichter auch daran denken, wie sein Entscheidungsverhalten in dem Feld, in welchem er hauptberuflich tätig ist, aufgenommen wird. Dies dürfte zwar bei jenen Gerichtsmitgliedern, die Berufsrichter anderer Gerichtsbarkeiten, Rechtsanwälte oder Hochschullehrer sind, kaum der Fall sein. Nicht selten haben sich Verfassungsrichter jedoch vor ihrer Bestellung im politischen Leben engagiert, wie etwa als Parlamentsabgeordnete oder in Gremien auf kommunaler Ebene. Fromme bezweifelt, dass die aus der Politik stammenden Persönlichkeiten in der Lage sind, sich im Gericht von ihren oftmals langjährigen parteipolitischen Bindungen lösen zu können: „Es gibt Dankbarkeiten, den Wunsch, im Einklang mit der Gruppe zu bleiben, die geistige Heimat, Rückhalt und Unterstützung bot, es gibt das Bedürfnis, dem Verdacht des Sichentfremdens in der Einsamkeit des hohen Amtes zu widersprechen – all dies in dem Maße stärker oder schwächer, als die jeweilige Gruppe einen stärkeren oder schwächeren Anspruch auf die ihr zugehörigen Individuen erhebt“.287 Gerade im engen Bereich eines Landes, in dem die Verfassungsrichter den politischen (Landes-)Parteien schon räumlich näher sind, können Erwägungen dieser Art es ihnen erschweren, einem etwaigen Druck durch unausgesprochene Erwartungen zu widerstehen.288 Beträgt das gesetzliche Mindestalter für die Wahl in das Landesverfassungsgericht in allen Ländern bis auf Sachsen-Anhalt 35 Jahre289, können manche Gerichtsmitglieder in einem Alter sein, in dem der Zenit ihres beruflichen Erfolges noch nicht überschritten ist. Gefährlichen Versuchungen, das Sondervotum seinem eigentlichen Zweck zu entfremden, um sich einen Namen zu machen oder sich in ein günstiges Licht zu rücken, mögen diese Richter vor allem dann unterliegen, wenn sie ein ebenfalls von der Mitwirkung oder dem Gusto der politischen Parteien abhängiges Amt – beispielsweise höchste Staatsämter im Land oder auf Bundesebene – anstreben. 285 286 287 288 289

So auch Zierlein, DÖV 1981, S. 94; von Brünneck, S. 47. Vgl. Klein, S. 616, Fn. 576. Fromme, S. 885 f. So Geck, Sondervoten, S. 353 f. Vgl. oben sub B. III. 1. b).

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Gleichwohl sind auch derartige Beweggründe für die Abgabe eines Sondervotums nicht nachweisbar. Die in der bisherigen Rechtsprechungspraxis der Verfassungsgerichte in Berlin und den neuen Ländern abgegebenen Sondervoten lassen jedenfalls kaum Anhaltspunkte dafür erkennen, dass das Entscheidungsverhalten ihrer Verfasser strikt parteipolitisch determiniert ist.290 Vielmehr kann aus manchen Sondervoten eine deutlich distanzierte Haltung des abweichenden Richters gegenüber jener Partei, der er zugeordnet wird, abgelesen werden. Ein Beispiel bietet das Sondervotum der Richterin Citron-Piorkowski und des Richters Eschen zum Beschluss des Berliner Verfassungsgerichtshofs vom 6. Dezember 1994 über die Schließung der Staatlichen Schauspielbühnen (das Schiller-Theater, die dem SchillerTheater angeschlossene „Werkstatt“ und das Schlosspark-Theater).291 Die drei Bühnen wurden vom Land Berlin als nicht rechtsfähige Anstalten ohne eine spezielle gesetzliche Grundlage betrieben. Im Haushaltsplan 1993 waren für ihren Betrieb Einnahmen von insgesamt 5.372.200 DM und Ausgaben von insgesamt 46.746.200 DM veranschlagt. Am 22. Juni 1993, einen Tag nach Beginn der parlamentarischen Sommerpause, beschloss der von CDU und SPD getragene Senat, den Betrieb sämtlicher Staatstheater noch zum Ende der Spielzeit 1992/1993 einzustellen. Diesen Beschluss machte die FDP-Fraktion292 im Berliner Abgeordnetenhaus zum Gegenstand eines Organstreitverfahrens und beantragte vorab den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Sie rügte, die ohne Mitwirkung des Abgeordnetenhauses vorgenommene Maßnahme des Senats verletze das parlamentarische Budgetrecht aus Art. 73, 74 Verf Bln a. F. und den in Art. 45 Verf Bln a. F. angelegten allgemeinen Parlamentsvorbehalt für alle wesentlichen Entscheidungen, zu denen auch die Schließung der Theater gehöre. Der Verfassungsgerichtshof entsprach dem Begehren nach einstweiligem Rechtsschutz, indem er den Vollzug des Senatsbeschlusses an einen entsprechenden Beschluss des Abgeordnetenhauses knüpfte293, wies aber den Antrag in der Hauptsache zurück. Nach Ansicht der Gerichtsmehrheit enthält 290

Diese Einschätzung teilt Jäger, ZRP 1987, S. 363, in seiner empirischen Analyse der Entscheidungen mit Sondervoten beim Bundesverfassungsgericht und der politischen Hintergrundfaktoren der einzelnen Richter: Die Nominierung durch eine Partei oder die Zugehörigkeit zu ihr lasse nicht notwendig auf eine streng parteipolitische Ausrichtung des Richters schließen, die sich im Abstimmungsverhalten niederschlage. Auch Bryde, S. 178, konstatiert, dass durch Sondervoten sichtbar gewordene Mehrheitsverhältnisse im Bundesverfassungsgericht sich nicht einfach nach Parteilinien richteten. Vgl. auch Gerontas, DVBl. 1982, S. 488; Knöpfle, S. 259; Rau, S. 153 f. 291 BerlVerfGH 65/93 – JR 1996, 103 ff. 292 Die Fraktion Bündnis 90/Grüne trat dem Verfahren bei. 293 BerlVerfGH, Urteil v. 29.07.1993 – BerlVerfGH 65A/93 – NVwZ 1994, 263 f.

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die Berliner Verfassung keinen allgemeinen Parlamentsvorbehalt für grundlegende Entscheidungen jedweder Art. Der Senat könne daher eine Einrichtung, welche – wie die Staatlichen Theater – nicht auf gesetzlicher Grundlage errichtet worden sei, generell auch ohne die Mitwirkung des Parlamentes wieder schließen. Auch begründe die Bewilligung von Mitteln für den Betrieb der Staatlichen Bühnen im Haushaltsplan keine Verpflichtung des Senats, die Mittel tatsächlich für diesen Zweck zu verwenden. Insoweit habe der Senat mit der beschlossenen Schließung und Abwicklung der Schaubühnen auch keine das parlamentarische Budgetrecht umgehende Umwidmung der für ihren Betrieb vorgesehenen Mittel vorgenommen. Denn jeder Veranschlagung von Mitteln im Haushaltsplan sei immanent, so die Gerichtsmehrheit, bei einer Nichtweiterführung der Aufgabe auch etwaige Abwicklungskosten aus dem jeweiligen Titel zu bestreiten.294 Dies sahen Citron-Piorkowski und Eschen anders. Sie hielten das Budgetrecht des Abgeordnetenhauses für verletzt, weil der Senat entgegen dem Haushaltsgrundsatz der sachlichen Bindung der Regierung die ausschließlich für „spielende“ Theater bereitgestellten Mittel für deren Abwicklung und damit für einen ganz anderen als den haushaltsrechtlich festgesetzten Zweck umgewidmet habe. Scharfe Kritik äußerten die abweichenden Richter insbesondere an der Vorgehensweise des Berliner Senates: Eine ausreichende parlamentarische Ermächtigung für die Schließung der Theater hätte dann angenommen werden können, wenn der Senat vor seinem Beschluss das Parlament konsultiert hätte. Jedoch habe er keine Bemühungen gezeigt, durch Verhandlungen mit dem Abgeordnetenhaus eine schnelle finanzielle Lösung zu finden und die Situation unter Berücksichtigung der verfassungsmäßigen Rechte beider Verfassungsorgane zu klären. Vielmehr sei durch den einen Tag nach Beginn der parlamentarischen Sommerpause getroffenen Beschluss der Eindruck entstanden, dass der Senat eine Befassung des Abgeordnetenhauses mit der Schließung der Theater auf die Zeit nach der Sommerpause verschieben wollte, um zuvor vollendete Tatsachen zu schaffen. Durch sein Verhalten habe der Senat die sich aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Organtreue ergebenden Kommunikationspflichten verletzt.295 Die deutlichen Worte des Sondervotums sind umso bemerkenswerter, als es sich bei den beiden Dissentern um SPD-orientierte Richter handelt. Auch gibt es eindrucksvolle Beispiele dafür, dass Mitglieder der Landesverfassungsgerichte in politisch bedeutsamen und umstrittenen Fällen, in denen ein offener Dissens geradezu zu erwarten gewesen wäre, von der Möglichkeit des Sondervotums dennoch keinen Gebrauch gemacht haben. 294 295

JR 1996, 106. JR 1996, 107.

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Hierzu gehört die Entscheidung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg vom 12. Oktober 2000 betreffend die Mandatsnachfolge für direkt gewählte Landtagsabgeordnete über die Landesliste einer Partei.296 Bei den 3. Landtagswahlen in Brandenburg im Jahre 1999 waren nach dem Ergebnis der Zweitstimmen 36 Sitze auf die Landesliste der SPD entfallen. Da die SPD 37 Wahlkreise direkt gewonnen hatte, erhielt sie ein Überhangmandat. Nachdem die direkt gewählte Abgeordnete der SPD Hildebrandt aus Protest gegen die von ihrer Partei geschlossene Koalition mit der CDU ihr Mandat niedergelegt hatte, berief die SPD als Nachrückerin über ihre Landesliste die Kandidatin Thiel-Vigh in den Landtag. Auf die Wahlprüfungsbeschwerde eines Bürgers entschied das Verfassungsgericht mit sechs gegen zwei Stimmen, dass Thiel-Vigh zu Unrecht nachgerückt war. Die Gerichtsmehrheit stellte im Wesentlichen darauf ab, dass die SPD über ein Mandat mehr verfügte, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustand. Mit Blick auf Wesen und Bedeutung des demokratischen Wahlrechts dürfe bei dem Freiwerden eines Landtagssitzes dann nicht auf eine Ersatzperson aus der Landesliste zurückgegriffen werden, wenn der ausscheidende Abgeordnete direkt im Wahlkreis gewählt worden sei. Thiel-Vigh musste aus dem Landtag ausscheiden, die SPD verlor ihre stellvertretende Fraktionschefin und einen Abgeordnetensitz. Die beiden überstimmten Gerichtsmitglieder behielten ihre abweichende Auffassung für sich. Allerdings sind bei denjenigen Verfahren, die politisch besonders polarisierende Themen zum Gegenstand hatten, durch die Bekanntgabe von Sondervoten häufig auch parteipolitische Konturen im Gericht sichtbar geworden. Den Anschein parteipolitischer Frontlinien im Gericht weckt das Urteil des Brandenburgischen Verfassungsgerichts vom 19. Juni 2003 betreffend das Absetzen eines Fraktionsantrages von der Tagesordnung des Landtags.297 Der Entscheidung lag ein brisanter Sachverhalt zugrunde. Im Jahre 2002 war der im Land Brandenburg wohnende Toni S., der Datenträger mit rechtsradikalem Gedankengut vertrieben hatte, von Berliner Strafverfolgungsbehörden festgenommen worden. In der Vernehmung stellte sich heraus, dass Toni S. für den Brandenburgischen Verfassungsschutz als sog. V-Mann tätig gewesen war. Durch Indiskretionen gerieten Informationen an die Presse, der Fall erregte bundesweites Aufsehen.298 Daraufhin beantragte die PDS-Fraktion im Brandenburgischen Landtag, der Landtag möge die 296 VfG Bbg 19/00 – LKV 2001, 267 ff. Vgl. aus jüngster Zeit auch das mit fünf zu vier Stimmen gefällte Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 05.02.2003 betreffend das Fragerecht eines Abgeordneten und die Beantwortungspflicht der Landesregierung (ThürVerfGH 8/02 – ThürVBl. 2003, S. 178 ff.). 297 VfG Bbg 98/02 – NVwZ-RR 2003, 798 ff. 298 Vgl. Berliner Zeitung v. 30.07.2002 und v. 02.08.2002; Berliner Zeitung und FAZ, jeweils in der Ausgabe v. 13.08.2002 und v. 16.08.2002.

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Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) auffordern, in dieser Angelegenheit ihrer Kontrollpflicht nachzukommen und Akteneinsicht in die Unterlagen des Verfassungsschutzes nehmen. Der Antrag der PDS wurde vom Präsidium des Landtags zunächst auf die Tagesordnung der Landtagssitzung gesetzt; das Plenum beschloss unter Hinweis auf die autonome Stellung der PKK jedoch, diesen Punkt wieder herauszunehmen. Dagegen wandte sich die PDS in einem Organstreitverfahren. Das Verfassungsgericht wies die Klage mit vier gegen drei Stimmen ab. Die Gerichtsmehrheit hielt die von der PDS geforderte Debatte im Landtag für unvereinbar mit § 26 Abs. 2 S. 3 des brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes, welcher die der PKK angehörenden Abgeordneten einer umfassenden Geheimhaltungspflicht unterwerfe. Durch diese Schweigepflicht sei ihnen die Möglichkeit genommen, auf den im Antrag anklingenden Vorwurf, die Kontrollpflicht sei vernachlässigt worden, im Plenum zu antworten. Nach dem Grundsatz der Organtreue, der auch im Verhältnis des Parlaments zu seinen Mitgliedern Anwendung finde, sei Rücksicht auf die Rechte und Pflichten der Mitglieder der PKK zu nehmen. Die Verfassungsrichter Havemann, Jegutidse und Will meinten in ihrem den Umfang der Mehrheitsentscheidung deutlich übersteigenden Sondervotum, dass die Absetzung des Antrags von der Tagesordnung des Landtages die Rechte der PDS-Fraktion aus Art. 67 Abs. 1 S. 2 Verf Bbg verletze, Anträge in den Landtag einzubringen und die Sache im Plenum beraten zu können. Dieser Eingriff könne nicht durch den § 26 Abs. 2 S. 3 VerfSchG Bbg gerechtfertigt werden, da die Debatte im Plenum weder die Grundrechte des Toni S. noch die Arbeit des Verfassungsschutzes gefährde. Vielmehr müsse diese Norm verfassungskonform eng ausgelegt werden, um die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes durch die PKK nicht leer laufen zu lasen. Auch werde die Pflicht der Abgeordneten zu einem loyalen Umgang miteinander nicht verletzt. In diesem Zusammenhang zu nennen ist auch das Urteil des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg vom 21. März 1996 über den Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg zur Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes.299 Die PDS-Fraktion des Landtages hatte in einer Normenkontrollklage etwa 50 Verstöße des vom Brandenburgischen Landtag und dem Berliner Abgeordnetenhaus gebilligten Fusionsvertrages gegen die Verfassung des Landes Brandenburg gerügt. Ihr Haupteinwand zielte dahin, dass eine neue Landesverfassung nur von einer verfassungsgebenden Versammlung beschlossen werden dürfe; der Vertrag hierfür aber einen paritätisch besetzten Ausschuss der Parlamente beider Länder vorsehe. 299

VfG Bbg 18/95 – LVerfGE 4, 114 ff.

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Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Verfassungsgericht maß den Vorschriften der Brandenburgischen Verfassung im Bezug auf die Bildung eines neuen Bundeslandes Berlin-Brandenburg keine Verbindlichkeit zu, da das Volk dieses erst entstehenden Landes als Souverän frei von allen früheren Landesregelungen sei. Im Übrigen verwies das Gericht auf den neu in das Grundgesetz eingefügten Art. 118a GG, der eine Neugliederung der beiden Länder im Wege einer Vereinbarung gestatte. Auch den in Art. 116 Verf Bbg für die Vereinigung der beiden Länder enthaltenen Regularien sei hinreichend Rechnung getragen worden. Der Verfassungsrichter Schöneburg stimmte dem nicht zu. In seinem Sondervotum vertrat er die Ansicht, dass den Erfordernissen des die Brandenburgische Verfassung prägenden Prinzips der Volkssouveränität, welches „bis heute den Widerwillen konservativer deutscher Politiker“ errege300, mit dem Neugliederungsvertrag nicht entsprochen sei: Da es sich bei diesem Vertrag um eine „Totalrevision“ der Verfassung des Landes Brandenburg handele, hätte das Volk über eine verfassunggebende Versammlung an dessen Ausgestaltung beteiligt werden müssen. Das Argument der Gerichtsmehrheit, mit dem erfolgreichen Ausgang der Abstimmung werde das souveräne Volk des gemeinsamen Landes geboren und damit Träger der verfassunggebenden Gewalt, hielt Schöneburg für zu formal; souveräne Völker entstünden „nicht über Nacht“. Schließlich dürfe auch nicht außer Acht gelassen werden, bekräftigte er, dass Ost-Berlin Hauptstadt der DDR gewesen sei und einen ständigen ökonomischen Druck auf das übrige Land ausgeübt habe.301 Erlaubt ein Sondervotum – wie im letzten Beispiel – Rückschlüsse auf den politischen Standort seines Verfassers und auf dessen Diskussionsverhalten im Gericht, mag es in der Tat zu den oben von Wagner befürchteten „Abstempelungen“ einzelner Gerichtsmitglieder kommen. Die Öffentlichkeit, namentlich die Publizistik, ordnet das Sondervotum der Person des abweichenden Richters zu und leitet daraus seine politische Grundeinstellung etwa nach dem Schema „konservativ“ oder „progressiv“ ab.302 Dass sich derartige Schlüsse mitunter als haltlos erweisen, zeigte sich anlässlich der auf einen Normenkontrollantrag von Abgeordneten der PDS ergangenen Entscheidung des Brandenburgischen Verfassungsgerichts vom 30. Juni 1999 über die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen zum sog. Großen Lauschangriff und zum Einsatz von V-Leuten im Landespolizeigesetz.303 300

LVerfGE 4, 148. LVerfGE 4, 150. 302 Roellecke, S. 381 f. So auch Fromme, S. 883; Simon, HVerfR, § 34, S. 1660, Rn. 41. Kritisch Klein, in: Benda/Klein, § 16, S. 132, Rn. 315. 303 VfG Bbg 3/98 – LVerfGE 10, 157 ff. 301

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Die abweichende Verfassungsrichterin Will, die in ihrem Sondervotum die angegriffene Gesetzespassage zum Großen Lauschangriff für nicht konform mit dem Landesgrundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung hielt, war nicht, wie die Presse kolportierte, von der PDS für das Amt nominiert worden304, sondern von der SPD. Einschätzungen dieser Art können sich jedoch hartnäckig verfestigen, wenn ein Verfassungsrichter mehrmals dissentiert, und sie mögen eine gewisse Erwartung erzeugen, dass er in künftigen, gleichgelagerten Fällen eine ähnliche Haltung an den Tag legt. Im ungünstigsten Fall kann eine solche Verortung der Verfassungsrichter dazu führen, dass durch ein schlichtes Abzählen ihrer tatsächlichen oder mutmaßlichen parteipolitischen Affinitäten der Ausgang politisch relevanter Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht vorhersehbar erscheint.305 Dann aber würde die Verfassungsgerichtsbarkeit ihre Legitimation verlieren. Dem durch offene Sondervoten möglicherweise entstandenen Bild eines parteipolitisch gesteuerten Gerichts können das Selbstverständnis der Verfassungsrichter und ihr Bewusstsein von der Verantwortung des richterlichen Amtes, aber auch die Sozialisation innerhalb des Kollegiums entgegenwirken. Knöpfle meint, dass die Institution des Verfassungsgerichts auch die Richter, die aus dem politischen Bereich stammen, in kürzester Zeit „assimiliere“.306 Sein Befund stützt sich freilich auf die bei dem Bundesverfassungsgericht gemachten Erfahrungen. Wenn die Unabhängigkeit der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts allgemein kaum in Zweifel gezogen wird, beruht dies nicht nur darauf, dass diese für einen sehr langen Zeitraum hauptberuflich einem Spruchkörper angehören und auf eine erneute Bestellung nicht angewiesen sind. Auch der tägliche Umgang mit der Verfassung und der Argumentationszwang in einem Beratungsgremium, das mit juristisch hochqualifizierten Persönlichkeiten besetzt ist, dürfte die parteipolitische Herkunft einzelner Richter in den Hintergrund drängen.307 Bei den Landesverfassungsgerichten sind derartige integrierende Faktoren jedoch deutlich schwächer ausgestaltet. Das Verfassungsrichteramt in einem Land ist nur eine Nebentätigkeit, die – vor allem in Thüringen – für eine vergleichsweise kurze Dauer ausgeübt wird. Der ehemalige Präsident des Hamburgischen Verfassungsgerichts Plambeck hat auf die plausible Erfahrung hingewiesen, dass sich Gegensätze im politischen Vorverständnis der einzelnen Gerichtsmitglieder um so eher abschleifen, ausgleichen und den Sacherörterungen untergeordnet werden, je öfter ein Gericht verhandelt.308 304

Vgl. Berliner Zeitung v. 01.07.1999. Vgl. Bryde, S. 182. 306 Knöpfle, S. 259 mit einem Zitat des Richters am Bundesverfassungsgericht Maunz. So auch Harms-Ziegler, S. 202. 307 Simon, HVerfR, § 34, S. 1659, Rn. 40. So auch Zierlein, DÖV 1981, S. 94; v. Brünneck, S. 47 f. 305

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Da die meisten Landesverfassungsgerichte nur selten und unregelmäßig tagen, mag sich eine solche die verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Ansichten der Gerichtsmitglieder ausgleichende Wirkung nicht ohne weiteres einstellen. Der Bildung eines richterlichen „Corpsgefühls“ mag es zudem abträglich sein, wenn Verfassungsrichter während ihrer Amtszeit eine intensive Bindung zu der sie unterstützenden politischen Partei aufrechterhalten und pflegen.309 Es dürfte jedenfalls kaum anzunehmen sein, dass die Mitglieder der Landesverfassungsgerichte mit dem gelegentlichen Anlegen der Richterrobe ihre durch die hauptberufliche Tätigkeit gereiften Überzeugungen und Vorstellungen einfach abstreifen können.310 Dies sollen sie freilich auch nicht; die Zusammensetzung des Landesverfassungsgerichts aus unterschiedlichen Persönlichkeiten ist, wie die Einbeziehung der Laienrichter unterstreicht, vom Gesetzgeber bewusst in Rechnung gestellt. Ist aber die Selbstdisziplinierungs- und Sozialisierungswirkung in einem Landesverfassungsgericht geringer, lassen sich auch etwaige menschliche Schwächen schwerer auffangen. Speziell im Zusammenhang mit dem Laienrichterelement erscheint die Möglichkeit zum Sondervotum nicht unproblematisch. Da dem Laienrichter das Absetzen einer sachgerechten und juristisch fundierten abweichenden Meinung naturgemäß weniger leicht von der Hand geht als den volljuristischen Mitgliedern eines Landesverfassungsgerichts, können unter Umständen politische Erwägungen unangemessen in den Vordergrund rücken. Ein Sondervotum mit politischer Argumentation dürfte indessen dem Zweck dieser Einrichtung, abweichende rechtliche Argumente zur öffentlichen Diskussion zu stellen, kaum gerecht werden. Mit Blick auf diese Funktion des Sondervotums konnte Zweigert in seinem Gutachten für den Nürnberger Juristentag 1968 keinen Sinn darin erkennen, auch den Laienrichtern den Gebrauch dieses Instruments zu gestatten: Ihr bloßes „Ausschnittswissen“ könne für die Fortbildung des Rechts erst dann von Nutzen sein, wenn es mit juristischem Fachwissen verbunden werde; diesen Integrationsprozess könnten aber nur die Berufsrichter leisten.311 Mit bislang lediglich zwei von Laienrichtern allein abgegebenen Sondervoten ist das vorliegende 308

Plambeck, in: Hoffmann-Riem/Koch, S. 71. Vgl. Geck, Sondervoten, S. 353 f. Auf die Frage der Kompatibilität des Verfassungsrichteramtes mit parteipolitischen Ämtern geben die jeweiligen Verfahrensbestimmungen der Landesverfassungsgerichte keine Antwort. Nach Harms-Ziegler, S. 201, besteht jedoch ein allgemeines Einverständnis darüber, dass etwaige Parteiämter während der Amtszeit eines Verfassungsrichters ruhen. 310 Vgl. auch Zuck, NJW 1994, S. 497. 311 Zweigert, 47. DJT, Bd. I, S. D 42. So auch Wagner, DRiZ 1968, S. 257: Den Laienrichtern fehle das juristische Fachwissen, das für die Abgabe eines ausgewogenen Sondervotums erforderlich sei. 309

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Material freilich noch zu gering, um diesbezüglich eine Aussage treffen zu können. Kann zwar das oben erwähnte Sondervotum der Richterin Hemsteg-von Fintel zu der Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs über den MDR-Staatsvertrag die politische Einstellung seiner Verfasserin kaum verhehlen, zeigt andererseits das Sondervotum der Richterin Fasshauer zum Urteil des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt betreffend die Einführung der Grundschule mit festen Öffnungszeiten in seiner Darstellung und Begründung durchaus stringente juristische Methodik. Die aufgezeigten Bedenken mit Zweigert durch den generellen Ausschluss des Laienrichters von der Berechtigung zum Sondervotum zu entkräften suchen, hieße diesen jedoch zwangsläufig zu diskriminieren312: Der Laienrichter ist den volljuristischen Gerichtsmitgliedern bei der Urteilsfällung absolut gleichgestellt. Er hat die gleichen Rechte in der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung im Kollegium, seine Stimme hat in der Abstimmung dasselbe Gewicht. Ihm die Möglichkeit zum Sondervotum zu nehmen, wäre insoweit ein Widerspruch zum Kollegialprinzip. Auch wird dem Laienrichter nicht die Fähigkeit abgesprochen werden können, sich bei der Erörterung der unterschiedlichen Auffassungen und Sichtweisen in der Beratung für eine zu entscheiden und diese, wenn er in der Abstimmung unterliegt, zum Gegenstand eines Sondervotums zu machen. Schließlich dürfte ein nichtjuristisches Gerichtsmitglied sich auch nicht entblößen, eine abweichende Meinung zu verfassen, aus der schlichte Unkenntnis spricht.313 Mit politischer Polemik würde es sich selbst geradezu desavouieren. Um der Gefahr einer politischen Instrumentalisierung des Sondervotums zu begegnen, ist schließlich zu erwägen, die abweichende Meinung wie in Bayern anonym zu veröffentlichen.314 Durch den Verzicht auf die namentliche Nennung des dissentierenden Verfassungsrichters ließe sich der Anreiz nehmen, die Möglichkeit des Sondervotums zur persönlichen Profilierung oder Rechtfertigung vor bestimmten Interessengruppen zu missbrauchen. Da ein anonymisiertes Sondervotum keinem Richter unmittelbar zugerechnet werden kann, könnte sich dies auch günstig für die Unabhängigkeit der übrigen Gerichtsmitglieder auswirken. Dem eigentlichen Zweck des Sondervotums, zu der Entscheidung der Mehrheit eine alternative Rechtsauffassung bekannt zu geben, bliebe Genüge getan.315 Gleichwohl dürfte auch die Anonymisierung der Sondervoten nicht vor Schäden durch einen unsachgemäßen Gebrauch bewahren können. Meint ein Richter sich in einem Sondervotum zu einer Entscheidung des Gerichts äußern zu müs312 So Heyde, Minderheitsvotum, S. 158; Baring, DVBl. 1968, S. 617; Pecher, 47. DJT, Bd. II, S. R 80; Boldt, RdA 1971, S. 116. 313 Vgl. Peltzer, S. 125. 314 Vgl. zur Regelung in Bayern oben sub C. VII. 1. a). 315 Vill, BayVBl. 1991, S. 357 f. Vgl. auch Pestalozza, § 20, S. 292, Rn. 39.

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sen, wird es ihm vornehmlich auf die Darstellung der Gründe ankommen, warum er der Ansicht der Gerichtsmehrheit nicht folgt. Inhalt und Stil des Sondervotums können jedoch unter Umständen Aufschlüsse über die Person seines Verfassers geben. Insbesondere bei Verfahren mit politisch besonders umstrittenen Fragen mag in der Öffentlichkeit der Versuch unternommen werden, die „Handschrift“ des Sondervotums bestimmten Gerichtsmitgliedern zuzuordnen. Seine „Klientel“ wird ein Verfassungsrichter insoweit auch mit einem anonymisierten Sondervotum erreichen können. Gegen das anonyme Sondervotum spricht zudem, dass es einen Richter in Konfliktsituationen dazu verleiten könnte, unter seinem „Deckmantel“ die Mehrheit vor der Öffentlichkeit polemisch anzugreifen. Tritt aber ein Richter mit einem Sondervotum aus dem Kollegium heraus, soll er auch für dessen Wortlaut und Inhalt persönlich einstehen. Die namentliche Kennzeichnung des Sondervotums mag ihm Anlass geben, seine Auffassung gründlich zu überdenken und auch seine Sensibilität dafür schärfen, ob ein abweichendes Votum tatsächlich erforderlich ist. e) Bewertung Die durch die Möglichkeit zum offenen Sondervotum drohenden Gefahren für die richterliche Unabhängigkeit erscheinen insgesamt nicht als so gravierend, dass sie zu seinem gänzlichen Ausschluss drängten.316 Dass bei einem Sondervotum etwaige menschliche Schwächen viel deutlicher hervortreten als bei der Mehrheitsentscheidung, liegt in seiner Natur als Werk eines einzelnen oder zumindest weniger Richter. Soll das Sondervotum Instrument für eine abweichende rechtliche Beurteilung des Falles bleiben und nicht zum „Alibi“ politischer Abwesenheit vom Entscheidungsinhalt317 werden, sind an seinen Stil und seine Diktion, aber auch an seine Handhabung hohe Anforderungen zu stellen. Die abweichende Meinung hat sich denselben Maßstäben zu unterwerfen, die für die gerichtliche Entscheidung gelten: Sie muss juristische Argumentation und Methodik aufweisen und darf sich über die Bindung an den Verfassungstext nicht hinwegsetzen. Insbesondere gilt für den dissentierenden Richter der Grundsatz des judicial self-restraint, der richterlichen Selbstbeschränkung. Gerade im Hinblick auf die Nähe der Verfassungsgerichtsbarkeit zur Politik bedeutet dies den Verzicht auf die Durchsetzung eigener politischer Ziele, eine angemessene Distanz zum eigenen politischen „Lager“ sowie die Bereitschaft, die eigene politische Überzeugung auch einmal in Frage zu stellen.318 Ob das Verfas316 317 318

Skeptisch aber Geck, Sondervoten, S. 399. Achterberg, DÖV 1977, S. 651. Geck, Sondervoten, S. 356.

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sungsgericht vor Schäden durch unsachgemäße Sondervoten bewahrt bleibt, hängt auch von den für die Auswahl der Gerichtsmitglieder verantwortlichen politischen Parteien ab. Sie dürfen sich nicht allein von politischen Motiven leiten lassen, sondern haben ihr Augenmerk auf fachkompetente Persönlichkeiten zu richten. Bei solchen besteht am ehesten die Gewähr, dass sie die erforderliche Integrität und das persönliche Bewusstein richterlicher Unabhängigkeit besitzen. Gelangen jedoch Personen in das Amt, die das richterliche Urteil nicht von ihrem politischen Credo lösen können, mögen auch richterliche Ausfallerscheinungen partei- oder interessenpolitischer Art auftreten.319 Letztlich bleibt darauf hinzuweisen, dass nicht pauschal vom Inhalt eines Sondervotums her der Verdacht einer parteipolitischen Motivation des abweichenden Richters erhoben werden darf. Wenngleich es Sondervoten gibt, die offenkundig von dem politischen Standort ihres Verfassers beeinflusst sind, dürften es vielmehr die individuellen Anschauungen und Wertvorstellungen der Richter sein, die ihr Beratungs- und Entscheidungsverhalten prägen. So wird der Konservative im Richterkollegium die Verfassung eher konservativ, der Progressive sie hingegen entsprechend seiner Grundeinstellung interpretieren. Diese direkt aus der eigenen Persönlichkeit entspringenden Überzeugungen sind zwar zumeist der Grund dafür, dass die Verfassungsrichter einer bestimmten politischen Partei angehören bzw. mit ihr sympathisieren und deswegen auch von ihr für das Richteramt vorgeschlagen werden. Sie sind aber keineswegs stets mit Parteilichkeit gleichzusetzen. Insoweit spricht aus einem prononcierten Sondervotum in aller Regel auch nicht die Orientierung an parteipolitischen Interessen oder der Wunsch nach Selbstdarstellung, sondern der Wille des Dissenters, die anderen Richter von seiner Ansicht zu überzeugen. III. Externe Auswirkungen veröffentlichter Sondervoten 1. Sondervoten und die Autorität des Verfassungsgerichts Es war das erklärte Motiv für den Ausschluss des Sondervotums in Sachsen, die Autorität des verfassungsgerichtlichen Spruchs nicht zu relativieren.320 Nach nunmehr rund zehnjähriger Rechtsprechungspraxis der Verfassungsgerichte in Berlin und den neuen Ländern stehen bereits einige Erfah319

Vgl. Dütz, JuS 1985, S. 753. Vgl. oben sub C. VII. 4. d). Erwägungen in diese Richtung waren auch ausschlaggebend, als die Einführung des Sondervotums in das Gerichtsverfassungsgesetz von 1875/76 und auch in das Bundesverfassungsgerichtsgesetz von 1950 abgelehnt wurde, vgl. oben sub C. IV. 1. und 2. 320

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rungen zur Verfügung, die auf die Frage, ob und inwieweit sich Sondervoten auf das Ansehen der Landesverfassungsgerichte sowie die Akzeptanz ihrer Entscheidungen für die Beteiligten und in der Öffentlichkeit auswirken, möglicherweise eine Antwort geben können. Die in der Diskussion über das Sondervotum geäußerten Meinungen stehen sich im Hinblick auf diesen Problemkreis besonders kontrastierend gegenüber. Die Gegner des Sondervotums befürchten, dass es der Überzeugungskraft und Bindungswirkung der Entscheidung abträglich sei, wenn diese nach außen hin nicht einheitlich vom Gericht getragen werde.321 Hingegen meinen seine Befürworter, dass die Autorität des Verfassungsgerichts nicht davon abhänge, ob es seine Entscheidungen einhellig fälle. Gerade bei den rechtlich komplexen, in das Politische hineinreichenden Verfassungsstreitigkeiten werde auch von dem Laien nicht angenommen, dass das aus unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammengesetzte Richterkollegium stets einstimmig entscheide.322 In engem Zusammenhang mit den Auswirkungen des Sondervotums auf die Autorität des Gerichts steht die Frage der friedensstiftenden Funktion des Urteils. Hier vertreten einige Autoren die Ansicht, dass nur die Fiktion der Einstimmigkeit dem Rechtsfrieden dienstbar sei; die unterlegene Partei könne erhebliche Schwierigkeiten haben, einen Gerichtsspruch zu akzeptieren, wenn sie wisse, welche Stimmen für und gegen sie entschieden hätten und mit welcher knappen Mehrheit die Entscheidung womöglich zustande gekommen sei.323 Andere halten indessen dafür, dass gerade die Offenlegung der richterlichen Meinungsverschiedenheiten eine befriedende Wirkung entfalten könne. Ein Sondervotum könne dem unterlegenen Verfahrensbeteiligten signalisieren, dass seine Rechtsansicht nicht abwegig sei, sondern von einer Minderheit im Gericht derart nachhaltig geteilt werde, dass sie diese auch publizistisch vertrete.324 Zu den Aufgaben der Rechtsprechung gehört es nicht nur, den konkreten Rechtsstreit zwischen den Parteien abschließend zu beurteilen, sondern auch mit der Entscheidung befriedend zu wirken.325 Insbesondere das Institut der Verfassungsbeschwerde hat bei den Bürgern ein gesteigertes Vertrauen in 321 Meissner, Verfassungsgerichtshof, § 17, S. 536, Rn. 51; Vill, BayVBl. 1991, S. 357; Meder, vor Art. 60, S. 191, Rn. 1; Schütze, S. 529. Vgl. auch Stern, Bd. II, § 44, S. 1042 f.: Das Urteil wirke bei dem Vorliegen von Sondervoten nicht als Rechtsspruch, „sondern eher als mehrheitlich oder minderheitlich vertretene Meinung“. 322 Rupp, S. 539; Friesenhahn, 47. DJT, Bd. II, S. R 34; Heyde, JöR N. F. 19 (1970), S. 219; Koch, S. 154. 323 Niebler, S. 588. Vgl. Heyde, Minderheitsvotum, S. 132 m. w. N. 324 Pestalozza, § 20, S. 292, Rn. 41; Häberle, Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 27. Vgl. auch Arndt, FS Rheinstein, S. 133; Hill, ZRP 1985, S. 16; Sendler, VBlBW 1994, S. 42; Lamprecht, DRiZ 1996, S. 233; v. Brünneck, S. 49. 325 Vgl. Benda, DÖV 1983, S. 306 f.

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das Verfassungsgericht als eine Art „letzten Nothelfer“ geschaffen.326 Auf den ersten Blick erscheint es in der Tat zweifelhaft, ob das Gericht seiner einheitsstiftenden Funktion gerecht werden kann, wenn der Disput der Parteien, aufgeteilt in Mehrheitsmeinung und Sondervotum, im Richterkollegium fortgeführt wird. Dass eine als einstimmig bezeichnete oder durch die Nichtangabe des Abstimmungsergebnisses als einstimmig fingierte Entscheidung eine stärkere Überzeugungskraft ausüben kann als eine solche, die nur auf geringer Mehrheit beruht und durch eines oder gar mehrere Sondervoten in Frage gestellt wird, lässt sich jedenfalls kaum in Abrede stellen. In manchen Fällen findet sich im Anschluss an die Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts auch ein klarstellender Hinweis, dass sie einstimmig ergangen ist327; zumeist verzichten die Gerichte auf die Angabe des Stimmenverhältnisses ganz. Freilich hat die Geschlossenheit im Auftreten nicht stets eine autoritätssteigernde Wirkung, wie die heftige Kritik an einigen landesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen in der Öffentlichkeit und im Schrifttum belegt.328 Grundsätzlich hängt die Autorität der Entscheidung allerdings nicht davon ab, ob sie im Kollegium umstritten war oder nicht, sondern vielmehr von der materiellen Qualität der Gründe.329 Denn nur durch die argumentative Überzeugungskraft seiner Entscheidungen kann das Verfassungsgericht das Vertrauen der Allgemeinheit bewirken, auf dem seine eigentliche Macht und Autorität im Staatsgefüge beruhen.330 Im vergangenen Jahrzehnt haben sich die Landesverfassungsgerichte in Berlin und den neuen Ländern durch ihre umfangreiche Rechtsprechungstätigkeit Autorität und Ansehen in reichem Maße erworben. Das Gros ihrer Judikate wird allgemein akzeptiert. Soweit einige Entscheidungen nicht auf Zustimmung gestoßen sind, wie etwa die beiden Urteile des Berliner Verfassungsgerichthofs zur Verfassungsmäßigkeit der Fünfprozentsperrklausel bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen331, dürfte dies nicht in erster Linie an den zu ihnen veröffentlichten Sondervoten gelegen haben, sondern am Entscheidungsinhalt selbst. Dennoch ist der Gedanke nicht ohne Berechtigung, ob die Akzeptanz und die friedensstiftende Funk326

Vgl. Schulze-Fielitz, Wirkung und Befolgung, S. 414; Luetjohann, S. 130 ff. Einen solchen Hinweis enthält etwa das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 16.12.1998 zur Abgeordnetenentschädigung (ThürVerfGH 20/95 – LVerfGE 9, 413 ff.). 328 Ein signifikantes Beispiel hierfür bietet die bereits oben erwähnte „HoneckerEntscheidung“ des Berliner Verfassungsgerichtshofs. 329 Vgl. Mellinghoff, S. 170; Mahrenholz, S. 169; Dombert, S. 174, Rupp, S. 541. 330 Isensee, JZ 1996, S. 1086. Vgl. auch Degenhart, SächsVBl. 2003, S. 163. 331 Urteile v. 17.03.1997 – BerlVerfGH 87/95 und 90/95 – LVerfGE 6, 32 ff. Gallige Kritik in der FAZ v. 18.03.1997: Es sei „kein großer Gewinn der deutschen Vereinigung, dass Berlin nun auch sein Verfassungsgericht errichten durfte“. 327

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tion des verfassungsgerichtlichen Spruchs im Einzelfall nicht doch durch eine abweichende Meinung gefährdet werden können. a) Wirkungen auf die unterlegene Partei Anlass zur Skepsis gibt der Beschluss des Berliner Verfassungsgerichtshofs vom 12. Dezember 1996, dem eine Verfassungsbeschwerde gegen ein mietrechtliches Urteil zugrunde lag.332 Den Beschwerdeführern war von ihren Vermietern mit der Begründung, sie hätten den Mietzins von Februar bis Dezember 1994 nicht entrichtet, das Mietverhältnis über ihre Wohnung gekündigt worden. Das Landgericht Berlin verurteilte sie daraufhin zur Räumung. Auf die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer beim Bundesverfassungsgericht wurde das Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht verurteilte die Beschwerdeführer erneut zur Räumung. Es stützte sich hierbei auf eine weitere Kündigung der Vermieter und meinte, die Beschwerdeführer hätten sich in einem schuldhaften Verzug des Mietzinses für die Monate November und Dezember 1994 befunden. Mit der gegen diese Entscheidung des Landgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde beim Berliner Verfassungsgerichtshof machten die Beschwerdeführer geltend, die Annahme eines verschuldeten Mietrückstandes sei rechtlich so unvertretbar, dass sie gegen das Willkürverbot verstoße. Zugunsten der Vermieter sei im September 1994 beim Amtsgericht der Jahresbetrag der Miete i. H. v. 3656,04 DM zur Verrechnung hinterlegt worden, weil die Empfangszuständigkeit für die Miete unklar gewesen sei. Ferner rügten die Beschwerdeführer die Verletzung der Grundrechte auf rechtliches Gehör sowie auf den gesetzlichen Richter. Der Verfassungsgerichtshof wies die Beschwerde mit fünf zu vier Stimmen ab. Die den Beschluss tragende Mehrheit hielt das Willkürverbot durch das landgerichtliche Urteil nicht für verletzt. Ob die Ausführungen des Landgerichts überzeugend seien, könne dahingestellt bleiben; es sei nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, Fragen des einfachen Rechts zu beurteilen. Jedenfalls könne keine Rede davon sein, dass die Rechtsauffassung des Landgerichts jeder sachlichen Grundlage entbehre und unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar sei. Auch das Grundrecht des rechtlichen Gehörs sei nicht tangiert, da sich das Landgericht mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer erkennbar auseinandergesetzt habe. Die vier überstimmten Gerichtsmitglieder Arendt-Rojahn, Citron-Piorkowski, Dittrich und Eschen vertraten in ihrem Sondervotum die Ansicht, dass das landgerichtliche Urteil, welches den Beschwerdeführern die Früchte ihres Obsiegens beim Bundesverfassungsgericht genommen habe, auf einer 332

BerlVerfGH 38/96 – LVerfGE 5, 58 ff.

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Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör beruhe.333 Das Landgericht habe es außer Acht gelassen, die Hinterlegung des Mietzinses als eine anzurechnende Mietzinsüberzahlung bzw. Vorwegbefriedigung zu würdigen, die den Verzugseintritt von vornherein ausgeschlossen hätte. Sofern es die Rechtsansicht des Landgerichts sei, die Überzahlung von Mietzins würde den Verzugseintritt nicht hindern, so müsse dies als rechtlich grob fehlerhaft im Sinne einer Verletzung des verfassungsrechtlichen Willkürverbotes angesehen werden. Der jahrelange Rechtsstreit der aus dem ehemaligen Ost-Berlin stammenden Beschwerdeführer mit den in Westdeutschland ansässigen Vermietern erregte Aufmerksamkeit in der Presse. Die Berliner Zeitung hob in einem sehr emotionalen Bericht unter der plakativen Zwischenüberschrift „Zweifel bei Richtern“ das knappe Stimmenergebnis des Beschlusses hervor und verwies auf die „unmissverständliche“ Formulierung der vier unterlegenen Richter im Sondervotum, dass mit dem Urteil des Landgerichts die Schwelle eines Verfassungsverstoßes erreicht sei. Statt Gerechtigkeit hätten die Beschwerdeführer, stellte der Autor mit Bitterkeit fest, von der Gerichtsmehrheit eine „Abfuhr“ erhalten; ihre Enttäuschung sei durch die im Stil einer „Belehrung“ verfassten Entscheidungsgründe noch verstärkt worden.334 Wenngleich es das selbstverständliche Recht der Publizistik ist, Kritik an einem gerichtlichen Spruch zu üben, ist das Sondervotum hier gezielt dazu genutzt worden, die Objektivität der Mehrheit in Frage zu stellen und die Entscheidung dahin zu relativieren, dass sie eben nur durch die Stimmen der Mehrheit zustande gekommen ist. Für die Beschwerdeführer selbst war der Beschluss des Verfassungsgerichtshofs ein „Justizskandal“.335 Wie sie es aufgenommen haben, dass die Entscheidung über ihren Erfolg oder Misserfolg derart auf des Messers Schneide stand, letztlich nur eine Richterstimme ihnen den weiteren Verbleib in der Wohnung versperrte, lässt sich nicht erhellen. Ebenso können nur Spekulationen darüber angestellt werden, ob die Beschwerdeführer es als gewisse Genugtuung oder Trost empfanden, dass immerhin vier Richter ihrer Auffassung zuneigten, oder ob sie aufgrund des Sondervotums der Entscheidung der Mehrheit noch verständnisloser gegenüberstanden, es ihre ablehnende Haltung also vielmehr noch verstärkt hat. Ihre scharfe Reaktion auf den Gerichtsspruch spricht eher für Letzteres. Andererseits fragt sich aber auch, ob die Reaktion nicht genauso ausgefallen wäre, wenn das Gericht auf die Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses verzichtet hätte und die vier überstimmten Richter von der Möglichkeit des Sondervotums keinen Gebrauch gemacht hätten. 333 334 335

LVerfGE 5, 63 f. Berliner Zeitung v. 18.03.1997. Ebd.

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Allgemeingültige Schlüsse im Bezug auf die Wirkungen veröffentlichter Sondervoten auf den von der Entscheidung Betroffenen lassen sich aus diesem freilich extremen Fall kaum ziehen. Sicher dürfte jedenfalls sein, dass für diesen regelmäßig nur der Prozessausgang von Interesse ist, nicht aber die Mehrheitsverhältnisse im Richterkollegium. Dringt er mit seiner Auffassung nicht durch, wird er der Entscheidung des Verfassungsgerichts in jedem Fall mit Unzufriedenheit begegnen.336 Wenn Lansnicker meint, in einem demokratischen Staat sei allgemein bekannt, dass die Entscheidung eines Kollegialgerichts eine Mehrheitsentscheidung sei337, dürfte dies eher nur für den fachkundigen Bürger zutreffen. Wird ein juristisch versierter Verfahrensbeteiligter richterliche Meinungsverschiedenheiten über bestimmte verfassungsrechtliche Fragen als selbstverständlich hinnehmen, mag der Laie indessen ein zu einer Entscheidung vorgelegtes Sondervotum als Ausdruck der Zerstrittenheit und Funktionsunfähigkeit des Spruchkörpers auffassen. Andererseits dürfte es aber auch nicht gänzlich auszuschließen sein, dass ein Sondervotum einer Partei vielleicht doch den Eindruck vermitteln kann, dass ihr Anliegen umfassend geprüft worden ist. Hier hängt vieles vom Einzelfall ab. Insgesamt erscheint es unmöglich, auf die Frage, wie sich die Existenz eines Sondervotums auf die im Verfahren unterlegene Partei auswirkt, eine über den Bereich der Spekulation hinausgehende Antwort zu geben. Nähere Aufschlüsse wird nur eine umfassende sozialwissenschaftliche Analyse geben können.338 b) Wirkungen auf die Öffentlichkeit Etwas mehr Anhaltspunkte stehen zur Verfügung bei der Frage, wie die abweichenden Voten in der Öffentlichkeit aufgenommen worden sind. Das Interesse der Medien hat sich – wie bereits dargelegt – zumeist nur den von der Mehrheit getragenen Entscheidungen zugewandt.339 Gelegentlich sind jedoch Argumente des Sondervotums aufgegriffen worden, um eigene Kritik an der Entscheidung zu äußern. Die Berliner Zeitung konstatierte beispielsweise anlässlich des Urteils des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg zur Kompatibilität von Amt und Mandat340 mit deutlicher Missbil336

Zweigert, 47. DJT, Bd. I, S. D 35; Friesenhahn, 47. DJT, Bd. II, S. R 49. Lansnicker, S. 142. Vgl. auch Fürst/Mühl/Arndt, § 43 DRiG, S. 442, Rn. 2; Hill, ZRP 1985, S. 16. 338 So Fromme, S. 880 f. Ähnlich auch Roellecke, S. 378. Vgl. zur Problematik der gesellschaftlichen Akzeptanz verfassungsgerichtlicher Entscheidungen Benda, DÖV 1983, S. 305 ff.; Limbach, S. 66 ff. 339 Vgl. oben sub D. II. 4. b). 340 Urteil v. 25.06.1996 – VfG Bbg 12, 13/95 – LVerfGE 4, 85 ff. Vgl. hierzu näher oben sub D. II. 2. b). 337

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ligung, dass demnach Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung Mandate in den kommunalen Parlamenten ausüben dürften. Die Entscheidung berge „erheblichen Zündstoff“, da hierdurch die „bundesweit praktizierte Trennung von Amt und Mandat im Brandenburger Landtag“ in Frage stehe341 – dies war auch eine der zentralen Erwägungen des abweichenden Richters von Arnim. Bemerkenswert ist hierbei, dass die inhaltliche Wiedergabe des Sondervotums nicht wie üblich der Darstellung der Entscheidungsgründe folgt, sondern dieser vorangestellt ist und einen vergleichsweise breiten Raum einnimmt. So kritikwürdig eine verfassungsgerichtliche Entscheidung auch erscheinen mag, ist es ihrer Funktion und Bedeutung jedoch ein schlechter Dienst erwiesen, wenn sie durch eine derartige Gewichtung zugunsten des Sondervotums in ihrer Geltung relativiert wird. Zu dieser Fehlinterpretation mag in diesem Fall auch beigetragen haben, dass Stil und Diktion des Sondervotums nicht ohne Polemik sind. Die in dem Sondervotum erhobenen Vorwürfe, die Mehrheit verwechsle Trägerschaft und Einschränkbarkeit von Grundrechten342 sowie die Ausgestaltungsermächtigung mit der Einschränkungsermächtigung343, bedeuten nicht viel anderes als dass sie die Grundlagen des Verfassungsrechts nicht beherrsche. Auch Formulierungen wie diese, das Urteil beruhe auf unzutreffender These344 und finde aus sich „selbst heraus keine logische Rechtfertigung“345, sind geeignet, Zweifel an der Gründlichkeit und Korrektheit der Mehrheitsentscheidung zu wecken. Allerdings fragt sich auch hier, ob die Berliner Zeitung dieses Urteil nicht ebenso vehement angegriffen hätte, wenn das Sondervotum von Arnims nicht ergangen wäre. Eine veröffentlichte abweichende Meinung erleichtert den Journalisten jedenfalls die Kritik an einer Entscheidung, indem sie ihnen eine reiche Quelle an Argumenten bietet; sie mag unter Umständen aber auch eine Art von Kritik provozieren, die der Vertrauenswürdigkeit von Gericht und Entscheidung abträglich ist.346 Prekär für die Überzeugungskraft und damit auch für die allgemeine Akzeptanz der verfassungsgerichtlichen Entscheidung kann es sein, wenn überstimmte Gerichtsmitglieder das Sondervotum zu ungebührlicher Urteilsschelte nutzen. Ein Beispiel bietet das Sondervotum des Richters Bauer zu dem Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs zum Mandatsverlust einer Landtagsabgeordneten wegen Zusammenarbeit mit dem MfS347: Auf Initiative der Regierungsfraktionen von CDU und SPD im Landtag war § 8 des 341 342 343 344 345 346

Berliner Zeitung v. 26.01.1996. LVerfGE 4, 104. LVerfGE 4, 106. LVerfGE 4, 103. LVerfGE 4, 108. Vgl. Geck, Sondervoten, S. 381.

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Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes (ThürAbgÜpG) dahingehend geändert worden, dass der Landtag durch Beschluss einem Abgeordneten das Mandat aberkennen kann, wenn feststeht, dass dieser willentlich mit dem MfS zusammengearbeitet hatte. Kurz darauf entzog der Landtag der PDS-Abgeordneten Beck ihr Mandat, weil sie jahrelang für das MfS tätig gewesen war.348 Die PDS-Fraktion im Landtag machte § 8 ThürAbgÜpG zum Gegenstand eines abstrakten Normenkontrollverfahrens. Der Verfassungsgerichtshof erklärte diese Norm für verfassungswidrig. Die Mehrheit des Gerichts stellte darauf ab, dass das Mandat eines Abgeordneten nur aufgrund einer in der Verfassung enthaltenen Regelung entzogen werden könne; da eine solche fehle, wäre für den Erlass des § 8 ThürAbgÜpG eine Verfassungsänderung notwendig gewesen. In seiner abweichenden Urteilsbegründung vertrat der Richter Bauer die Ansicht, dass die streitgegenständliche Bestimmung keiner ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Ermächtigung bedurft hätte und übte scharfe Kritik an der Mehrheitsbegründung. Die Mehrheit verkenne aufgrund ihres „logischen Fehlschlusses“ das prinzipielle Gestaltungsrecht des einfachen Gesetzgebers; sie nähere sich zwar der materiellen Prüfung, verfehle diese aber wegen ihres „nicht zutreffenden Argumentationsansatzes“. Schließlich warf Bauer der Mehrheit vor, die verfassungsrechtliche Stellung des Gesetzgebers im Gewaltenteilungsgefüge zu relativieren.349 Das Instrument der abweichenden Meinung sollte nicht als Mittel der Polemik gegen die Mehrheit missverstanden werden, die sich letztlich mit ihrer Ansicht durchgesetzt hat.350 Form und Stil des Sondervotums sollten sich an die Objektivität der Urteilssprache halten. Dass Sondervoten in gewisser Weise doch eine befriedende, versöhnende Wirkung haben können, zeigt die zweite zu dieser Entscheidung vorgelegte abweichende Begründung der Richter Lothholz und Rommelfanger. Die beiden Dissenter bemängelten, dass in der Urteilsbegründung nicht deutlich genug die während der Verfassungsberatungen bestehende „allgemeine Überzeugung“ zum Ausdruck gebracht werde, ehemalige Mitarbeiter des MfS 347

Urteil v. 25.5.2000 – ThürVerfGH 2/99 – LKV 2000, 441 ff. Vgl. hierzu die Anmerkungen von Jutzi, NJ 2000, 536 f.; Sachs, JuS 2001, S. 78 ff. und Grube, LKV 2000, S. 435 ff. 348 Vgl. FAZ v. 30.04.1999 und v. 22.06.1999. 349 LKV 2000, 446. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass die recht umfangreichen Ausführungen der Gerichtsmehrheit zur Notwendigkeit eines verfassungsändernden Gesetzes offenbar mit Blick auf das Sondervotum des Richters Bauer formuliert sind. Diese Darlegungen haben dem Sondervotum allerdings nichts von seiner Schärfe nehmen können. 350 Vgl. Geiger, S. 459. Wer der Mehrheit mit polemisch-aggressiven Formulierungen im Sondervotum begegne, meint Geiger, ebd., erwecke mindestens den Anschein, als traue er seinen Sachargumenten allein keine ausreichende Überzeugungskraft zu.

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seien der Abgeordnetentätigkeit in einem demokratischen Parlament nicht würdig.351 Der Verfassungsgeber habe die Möglichkeit der Aberkennung des Abgeordnetenmandats nur deswegen nicht in die Verfassung aufgenommen, weil er das Abgeordnetenüberprüfungsgesetz als eine ausreichende Rechtsgrundlage hierfür gesehen habe. Lothholz und Rommelfanger zitierten eingangs ihres Sondervotums Goethe mit der Maxime „Gerechtigkeit: Eigenschaft und Phantom der Deutschen“ und bedauerten ausdrücklich, dass das Urteil insbesondere den Opfern des DDR-Unrechtsregimes als ein den alten Feinden entgegenkommendes Verdikt erscheinen könne, das ihnen „einmal mehr zeige, dass der Rechtsstaat zu einer Hülse ohne Gerechtigkeitsgehalt geworden“ sei. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass als Rechtsstaat nicht der durch die Gerechtigkeitsvorstellungen der jeweiligen Rechtsgemeinschaft geprägte Staat qualifiziert werden könne, sondern vielmehr derjenige, dessen Entscheidungsverfahren durch positives Recht vorgezeichnet seien. Da insoweit die rein subjektiven Vorstellungen des Verfassungsgebers hinter dem Verfassungswortlaut zurücktreten müssten, sei das Ergebnis der Mehrheitsansicht zutreffend.352 Das Zitat Goethes mag in der allein dem Recht verpflichteten Jurisdiktion deplatziert wirken, auch schon deswegen, weil die abweichende Meinung damit eine Moralität für sich in Anspruch nimmt, welche ihr nicht zukommt. Dennoch klingt aus dem Sondervotum das deutliche Bemühen der Dissenter heraus, Verständnis für die von weiten Teilen der Bevölkerung für unerträglich gehaltenen Folgen des Urteils zu zeigen. Wie eine ablehnende Rezension der Mehrheitsmeinung liest sich das zu dem Urteil des Brandenburgischen Verfassungsgerichts über die Zulässigkeit der Volksinitiative „Für unsere Kinder“ vorgelegte Sondervotum der Gerichtsmitglieder Jegutidse und Havemann.353 Mehrmals betonten die Dissenter, dass die Argumentation der Mehrheit „nicht überzeugen“ könne.354 Die Mehrheit bestimme „keinen nachvollziehbaren Maßstab“ für die Abgrenzung zwischen zulässigen und unzulässigen Initiativen und gelange zu dem „überraschenden Schluss“, dass die Volksinitiative gewichtige staatliche Ausgaben auslösen würde.355 Ein ähnliches Beispiel ist das Sondervotum des Richters Bauer zum Beschluss des Thüringer Verfassungsgerichtshofs über den Ausschluss zweier Gerichtsmitglieder von der Ausübung des Richteramtes.356 Sinn des Sondervotums ist es jedoch allein, die von der 351

LKV 2000, 448. LKV 2000, 449. 353 Urteil v. 20.09.2001 – VfG Bbg 57/00 – LVerfGE 12, 119 ff. Vgl. hierzu die Anmerkung von Janz, LKV 2002, S. 67 ff. 354 LVerfGE 12, 152 f. 355 LVerfGE 12, 153. 356 Beschluss v. 12.01.1996 – ThürVerfGH 2/95, 4-9/95, 12/95 – LVerfGE 4, 413 ff. 352

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Mehrheit abweichende Rechtsansicht des Dissenters kundzutun; es soll nicht dazu dienen, die Argumente der Mehrheit einer kritischen Würdigung zu unterziehen.357 Dass eine alternative Rechtsansicht für sich darstellbar ist, zeigt etwa das Sondervotum des Richters Häfner zur Entscheidung des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern über die Anforderungen an die Betroffenheit eines Verfassungsbeschwerdeführers.358 Fragwürdig erscheint es ebenfalls, wenn ein Richter den Leser des Sondervotums in seine Gedankengänge mit einzubeziehen versucht. In ihrem Sondervotum zu der Entscheidung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg über die Vereinbarkeit des Großen Lauschangriffs im Brandenburgischen Polizeigesetz mit der Landesverfassung359 formulierte die Verfassungsrichterin Will, dass „wir es mit einer Erweiterung der über die traditionelle Aufgabe der Gefahrenabwehr hinausgehenden Aufgabenzuweisung zu tun“ hätten, die Mehrheit des Gerichts dieses Problem jedoch nicht reflektiere.360 Schädlich für das Ansehen der Landesverfassungsgerichtsbarkeit als Institution kann es auch sein, wenn in den Medien die Existenz von Sondervoten – wie bereits oben dargelegt – zum Anlass genommen wird, das Entscheidungsverhalten einzelner Gerichtsmitglieder auf ihre Zugehörigkeit zu einer politischen Partei zurückzuführen.361 Schließlich können mehrere zu einer Entscheidung vorgelegte Sondervoten in der nicht fachkundigen Öffentlichkeit Verwirrung stiften. In Berlin sind zwei Fälle zu beobachten, in denen jeweils drei Richter zu einer Entscheidung einzeln dissentierten.362 Die genannten Gefahren sollten aber auch nicht überschätzt werden. Ein ernsthafter Autoritätsverlust des Verfassungsgerichts dürfte erst dann zu befürchten sein, wenn es zu einer Häufung von Sondervoten kommt.363 Ergehen die gerichtlichen Entscheidungen regelmäßig mit abweichenden Voten, mag dies in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, dass die Verfassungsrichter nicht mehr zu einer sachdienlichen und kooperativen Arbeit imstande sind. Bislang ist jedoch nur sehr selten von der Möglichkeit des Sondervotums Gebrauch gemacht worden, auch bei den in der Anfangsphase des Berliner Verfassungsgerichtshofs vermehrt aufgetretenen Sondervoten kann nicht von einem wirklichen Übermaß gesprochen werden. Angesichts der in den letzten Jahren stark gestiegenen Arbeitslast der Verfas357

Vgl. auch Klein/Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, § 30, S. 7, Rn. 6.1. 358 Zwischenurteil v. 06.05.1999 – MVVerfG 2/98 – SächsVBl. 1999, 248 ff. 359 Urteil v. 30.09.1999 – VfG Bbg 3/98 – LVerfGE 10, 157 ff. 360 LVerfGE 10, 211. 361 So auch Fromme, S. 889. 362 Vgl. die Beschlüsse v. 15.06.1993 – BerlVerfGH 18/92 – LVerfGE 1, 81 ff. und v. 16.08.1995 – BerlVerfGH 27/94 – LVerfGE 3, 50 ff. 363 Vgl. Grünhut, S. 633; Homberger-Stäheli, S. 104.

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sungsgerichte dürfte sich die Zahl der abgegebenen Sondervoten auch künftig auf diesem geringen Niveau bewegen. Dass eine abweichende Richtermeinung im Einzelfall die beschriebenen Auswirkungen haben kann, sollte daher in Kauf genommen werden. Die Landesverfassungsgerichtsbarkeit dürfte heutzutage derart gefestigt sein, dass ihre Autorität und der Respekt vor ihren Entscheidungen insgesamt hierdurch nicht wesentlich beeinträchtigt werden sollte.364 Letztlich dürfte Zierlein zuzustimmen sein, dass eine etwaige Ansehensminderung des Verfassungsgerichts ebenso gut durch eine Mehrheitsentscheidung verursacht werden und ein fundiertes, abgewogenes Sondervotum, das Fehler und Widersprüche in ihrer Argumentation aufzeigt, gleichsam als Gegenkraft wirken kann.365 In diesem Fall dürfte nichts dafür sprechen, die Autorität des verfassungsgerichtlichen Spruchs gleichwohl zu schützen. Umgekehrt mag aber auch ein „schwächeres“ Sondervotum die Akzeptanz einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung noch dadurch erhöhen können, wenn es deutlich macht, dass die Mehrheit die besseren Argumente auf ihrer Seite hatte.366 c) Wirkungen auf die Träger öffentlicher Gewalt Bei der Frage nach den möglichen Wirkungen von Sondervoten auf die Träger öffentlicher Gewalt geht es weniger um Ansehen und Autorität der Landesverfassungsgerichte im Verhältnis der einzelnen Staatsorgane untereinander als um die Reichweite der Bindungswirkung ihrer Entscheidungen. Geck befürchtet, dass Sondervoten bei politisch unbequemen Entscheidungen der Exekutive als Rechtfertigung dienen könnten, den von der Gerichtsmehrheit aufgestellten Maßstäben für ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen die Beachtung zu versagen. Auch den parlamentarischen Gesetzgeber könnten Sondervoten dazu bewegen, einen von dem Verfassungsgericht ausgesprochenen Handlungsauftrag nur zurückhaltend umzusetzen.367 Millgramm hält insbesondere die in der Begründung differierenden Sondervoten für geeignet, die präjudizielle Wirkung der Entscheidung zu beeinflussen, 364

So auch Geck, Sondervoten, S. 381. Zierlein, DÖV 1981, S. 92. Gleichsinnig Federer, JZ 1968, S. 521; Millgramm, S. 187; Sendler, VBlBW 1994, S. 42. 366 Mahrenholz, S. 170; Schlaich/Korioth, S. 38, Rn. 48; Pestalozza, § 20, S. 292 f., Rn. 41. 367 Geck, Sondervoten, S. 391, 394. Fromme, S. 875, hat anlässlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 29.05.1973 betreffend das Vorschaltgesetz zum niedersächsischen Hochschulgesetz (BVerfGE 35, 79 ff.) bei den betroffenen Ländern eine „gewisse Zögerlichkeit“ beobachtet, „dem Urteil in den jeweiligen Hochschulordnungen Folge zu leisten“. Ritterspach, S. 1386 f., sieht die Bindungswirkung der Entscheidung als gefährdet an, wenn der Umfang des Sondervotums den der tragenden Gründe erheblich übertreffe. 365

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da die an die Mehrheitsauffassung gebundenen Gerichte hierdurch verunsichert würden.368 Die in sämtlichen Verfahrensbestimmungen369 verankerte Bindungswirkung der verfassungsgerichtlichen Judikate konkretisiert den Entscheidungsvorrang der Verfassungsgerichtsbarkeit im Rechtsstaat. Sie gebietet, dass die übrigen Verfassungsorgane sowie alle Behörden und Gerichte des Landes die aus der Entscheidungsformel und den die Entscheidung tragenden Gründen370 folgenden Maßgaben zu beachten haben. Die Bindungswirkung ergänzt die materielle Rechtskraft der Entscheidung, indem sie ihren Vollzug sichert und jeden Hoheitsträger verpflichtet, der Ansicht des Gerichts auch künftig in gleichgelagerten Fällen Rechnung zu tragen.371 Dem Gesetzgeber kann etwa die Beseitigung eines festgestellten Verfassungsverstoßes oder die Beachtung einer verfassungsgerichtlichen Appellentscheidung aufgegeben sein; die Fachgerichte und die Verwaltung sind gehalten, verfassungswidrige Normen nicht mehr anzuwenden und entscheidungserhebliche Gesetze verfassungskonform auszulegen.372 Einem Sondervotum kommt, da ihm der Entscheidungscharakter fehlt, allerdings keine Verbindlichkeit zu; es ist rechtlich unmaßgeblich.373 Dennoch mag es Situationen geben, in denen Träger öffentlicher Gewalt einer abweichenden Meinung ein ihr nicht 368 Millgramm, S. 149. So wohl auch Heyde, JöR N. F. 19 (1970), S. 226; Lange, JuS 1978, S. 5. 369 Vgl. § 30 Abs. 1 VerfGHG Bln; § 29 Abs. 1 VerfGG Bbg; § 28 Abs. 1 LVerfGG MV; § 14 Abs. 1 SächsVerfGHG; § 30 Abs. 1 LVerfGG LSA; § 25 Abs. 1 ThürVerfGHG. 370 Vgl. BVerfGE 1, 14 (37); 19, 377 (392); 20, 56 (87); 40, 88 (93); 79, 256 (264). So auch Klein, in: Benda/Klein, § 38, S. 546 ff.; Stern, Bd. II, § 44, S. 1038; Rennert, in: Umbach/Clemens, § 31, S. 552 f.; Lange, JuS 1978, S. 4 f.; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, § 31, S. 45, Rn. 94 ff.; Ziekow, NVwZ 1995, S. 248 f.; Wolnicki, S. 65. Die Bindung an die tragenden Gründe der Entscheidung wird in der Literatur teilweise abgelehnt, vgl. Schlaich/Korioth, S. 325 ff.; Vogel, S. 602; Schnapp/Henkenötter, JuS 1994, S. 123 f.; Wischermann, S. 121. Gegen letztere Ansicht spricht indes, dass die Bindung aller Staatsorgane leer liefe, wenn sie sich nur auf die in der Entscheidungsformel zum Ausdruck kommende Entscheidung der konkreten Verfassungsstreitigkeit bezöge. 371 Rennert, in: Umbach/Clemens, § 31, S. 547 f.; Stricker, DÖV 1995, S. 979. Grundlegend zur Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen Sachs, S. 7 ff.; ders., FS Kriele, S. 431 ff.; Kerbusch, S. 96 ff.; Wischermann, S. 38 ff.; Schulze-Fielitz, Wirkung und Befolgung, S. 388 ff. Eine Übersicht über das reichhaltige Schrifttum zur Bindungswirkung findet sich bei Bethge, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, § 31, S. 2 ff. und bei Pestalozza, § 20, S. 319, Fn. 239. 372 Vgl. BVerfGE 55, 100 (110). Vgl. zu verfassungsgerichtlichen Appellentscheidungen und Unvereinbarkeitsfeststellungen Gerontas, DVBl. 1982, S. 486 ff. 373 Lechner/Zuck, § 30, S. 182, Rn. 11; Leibholz/Rupprecht, BVerfGG, Nachtrag, § 30, Anm. 3a, S. N 25; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, § 31, S. 44, Rn. 91; Mahrenholz, S. 170; Jestaedt, AöR 2001, S. 235, Fn. 119.

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angemessenes Gewicht beilegen. Ergeht eine Entscheidung, die den politischen Zielvorstellungen der Landesregierung oder der jeweiligen Mehrheit im Landtag widerspricht, könnten diese sich durch ein ihre Auffassung bestätigendes Sondervotum ermutigt sehen, bei der Ausführung und Verwirklichung des mehrheitlichen Spruchs nur wenig kooperativ zu sein. Diese Neigung mag unter Umständen noch dadurch gefestigt werden, wenn nicht nur ein Verfassungsrichter von der Entscheidung abweicht, sondern mehrere Gerichtsmitglieder das Sondervotum gemeinsam tragen und das Abstimmungsergebnis knapp ausfällt. Ein Beispiel für diese Problematik bieten die Urteile des Berliner Verfassungsgerichtshofs vom 17. März 1997 zur Verfassungsmäßigkeit der Fünfprozentsperrklausel bei den Wahlen zu den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen. Für die Bezirkswahlen sah § 22 Abs. 2 BerlWahlG a. F.374 vor, dass auf Wahlvorschläge, für die weniger als 5 % der Stimmen abgegeben wurden, keine Sitze entfallen. Nach den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen der damals noch 23 Berliner Bezirke am 22. Oktober 1995 blieben die FDP und die Partei „Die Republikaner“ unter der 5 %-Hürde. Neun Bezirkskandidaten der FDP sowie 23 Kreisverbände der „Republikaner“ rügten daraufhin in separaten Wahlprüfungsverfahren die Anwendung der Fünfprozentsperrklausel bei der Feststellung des Wahlergebnisses und der Sitzverteilung.375 Der Verfassungsgerichtshof erklärte die Sperrklausel mit fünf zu vier Stimmen für verfassungswidrig. Die die Urteile tragende Mehrheit stellte darauf ab, dass der Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit nicht nur den gleichen Zählwert, sondern grundsätzlich auch den gleichen Erfolgswert jeder Stimme gebiete; entsprechendes ergebe sich aus dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit. Eine Einschränkung dieser Prinzipien sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann zulässig, wenn ein zwingender Grund gegeben sei. Als ein solcher käme nur die konkrete, mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Möglichkeit der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Bezirksverordnetenversammlung in Betracht. Diese Bedingung sah die Mehrheit angesichts der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse in Berlin als nicht erfüllt an. Da die Bezirksverordnetenversammlungen als Teil der Verwaltung nur begrenzte Zuständigkeiten hätten, sei nicht ersichtlich, dass ihre Arbeit durch die Mitwirkung von kleinen Fraktionen oder Einzelpersonen ernsthaft gefährdet 374 Gesetz über die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen v. 25.09.1987, GVBl. S. 2370. 375 BerlVerfGH 90/95 – JR 1998, 140 ff. betreffend den Einspruch der Kandidaten der FDP; BerlVerfGH 87/95 betreffend den Einspruch der Kreisverbände der „Republikaner“. Die Urteile sind im Wesentlichen gleichlautend.

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werden könne. Vielmehr setze die Demokratie gerade das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Positionen voraus.376 Die von den Einspruchsführern verlangte Aufhebung der Bezirkswahlen bzw. die Korrektur ihrer Ergebnisse lehnte der Verfassungsgerichtshof jedoch ab. Dem Gesetzgeber müsse genügend Zeit eingeräumt werden, das Wahlgesetz für die nächsten Wahlen entsprechend zu revidieren. Auch werde das geltende Wahlergebnis durch eine Neuberechnung der Sitzverteilung womöglich verfälscht, da die Wähler im Oktober 1995 von der Existenz der Sperrklausel ausgegangen seien und ihr Wahlverhalten hieran ausgerichtet hätten. Der damalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs Finkelnburg sowie die Gerichtsmitglieder Driehaus und Töpfer meinten hingegen in ihrem Sondervotum, dass der § 22 Abs. 2 BerlWahlG a. F. nicht verfassungswidrig sei. Die drei Dissenter warfen der Mehrheit vor, die von ihr herangezogene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts missverstanden zu haben. Für die Frage nach der Zulässigkeit der Sperrklausel sei demnach allein die abstrakte Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Bezirksverordnetenversammlung maßgeblich. Bei dem Wegfall der Fünfprozentsperrklausel sei zu befürchten, dass der dann zu erwartende Einzug von Einzelbewerbern die Arbeitsabläufe der Bezirksverordnetenversammlung störe. Die Mitwirkung von auf die Vertretung von Einzelinteressen ausgerichteten Personen könne insbesondere bei wichtigen Entscheidungen wie über den Haushaltsplan dazu führen, dass die erforderlichen Stimmen mit politischen Konzessionen erkauft werden müssten. Überdies werde aufgrund der unterschiedlichen Interessen und Anliegen der Einzelverordneten die Arbeitsbelastung der Bezirksverordnetenversammlung derart zunehmen, dass eine sachgemäße Aufgabenerfüllung nicht mehr gewährleistet sei. Deshalb obliege es dem Gesetzgeber zu prüfen, ob er für künftige Wahlen an der Fünfprozentsperrklausel festhalten oder auf sie verzichten wolle.377 In einem weiteren Sondervotum vertrat auch der Richter Dittrich die Ansicht, dass die Sperrklausel verfassungsgemäß sei. Anders als Finkelnburg, Driehaus und Töpfer stimmte Dittrich der Mehrheit insoweit zu, dass die Grundsätze der formalen Wahlrechtsgleichheit auch auf die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen anwendbar seien. Der übrige Inhalt seines Sondervotums beschränkt sich auf eine auffällige, teils fast wörtliche Wiederholung der bereits im ersten Sondervotum genannten Argumente.378 Die beiden Entscheidungen stießen bei den Berliner Parteien auf geteilte Zustimmung. FDP, PDS und Bündnis90/Grüne begrüßten die Aufhebung der Fünfprozentsperrklausel. Der ehemalige Landesvorstandssprecher der 376 377 378

JR 1998, 142. JR 1998, 145. JR 1998, 146.

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Bündnisgrünen Ströbele kündigte an, seine Partei werde auf die Änderung des Wahlgesetzes drängen, damit Neuwahlen ohne Sperrklausel durchgeführt werden könnten. Kritisch äußerten sich CDU und SPD. Der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD Böger sah durch die Urteile die Bildung handlungsfähiger Mehrheiten in den Bezirksverordnetenversammlungen erschwert. Der ehemalige CDU-Fraktionschef Landowsky warnte vor einer „Zersplitterung“ der Bezirksparlamente. Insbesondere in die Bezirksämter könnten nun „per Zufallsmehrheiten skurrile Figuren bis hin zu Desperados“ gelangen.379 Etwa ein Jahr später änderte das Berliner Abgeordnetenhaus im Zuge der grundlegenden Bezirksneugliederung mit den Stimmen der CDU und der SPD die Landesverfassung380 und das Wahlgesetz381, allerdings abweichend von den Urteilen des Verfassungsgerichtshofs: Art. 70 Abs. 2 Verf Bln n. F. schreibt für die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen nunmehr eine Dreiprozentsperrklausel vor, ein entsprechender Passus findet sich in § 22 Abs. 2 BerlWahlG n. F. Zugleich wurde in § 22 Abs. 1 BerlWahlG n. F. das bisher für die Bezirkswahlen geltende Verfahren der mathematischen Proportion nach Hare-Niemeyer durch das Höchstzahlverfahren gemäß d’Hondt ersetzt. In § 5 Abs. 3 des Berliner Bezirksverwaltungsgesetzes wurde ferner die Mindeststärke der Fraktion von zwei auf drei Vertreter angehoben. Fraktionslosen Bezirksverordneten ist lediglich das Recht eingeräumt, im Plenum mitzustimmen; in den Ausschüssen – in denen sich die wesentliche Arbeit der Bezirksverordnetenversammlung vollzieht – haben sie gemäß § 9 Abs. 6 S. 1 BzVwG Bln kein Stimmrecht. Obwohl die Mehrheit des Verfassungsgerichtshofs eine Sperrklausel bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen generell als nicht erforderlich angesehen und die Mitwirkung von Einzelbewerbern unter demokratischen Gesichtspunkten befürwortet hatte, hat der Gesetzgeber mit diesen Regelungen ein Instrumentarium geschaffen, abstrakte Gefahren durch den Einzug von Splittergruppen und Extremisten von vornherein zu unterbinden. Ob er sich hierbei von den Erwägungen der Sondervoten hat leiten lassen oder ob die beiden großen Parteien CDU und SPD in erster Linie ihre Position in den Bezirksverordnetenversammlungen bewahren wollten, wird sich freilich nicht erhellen lassen. Dass sich aber vier Verfassungsrichter, darunter der Gerichtspräsident, in ihren Sondervoten nachdrücklich für eine Sperrklausel bei den Bezirkswahlen ausgesprochen hatten, mag dem Abgeordnetenhaus vielleicht doch eine gewisse Legitimation für sein Verhalten verschafft haben.382 379 380

Berliner Zeitung v. 18.03.1997. Zweites Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin v. 03.04.1998, GVBl.

S. 83. 381 Gesetz zur Änderung wahlrechtlicher und bezirksverwaltungsrechtlicher Vorschriften vom 05.06.1998, GVBl. S. 122 f.

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Die Existenz eines Sondervotums führt zwar stets vor Augen, dass für die Entscheidung über eine bestimmte verfassungsrechtliche Frage ein absoluter Richtigkeitsanspruch nicht erhoben werden kann. Dennoch trifft die Mehrheit des Gerichts die letztverbindliche Auswahl unter mehreren denkbaren Lösungsmodellen.383 Dies gilt auch dann, wenn Mehrheitsentscheidung und Sondervotum zu derselben Entscheidungsformel führen, also lediglich in der Begründung differieren.384 Die bisherige Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte gibt insgesamt keinen Anlass anzunehmen, dass die Veröffentlichung von Sondervoten die Verbindlichkeit der Mehrheitsentscheidung wesentlich beeinträchtigt hat. Die Träger öffentlicher Gewalt haben sich den verfassungsgerichtlichen Vorgaben in aller Regel freiwillig unterworfen. Ein Beispiel hierfür bietet das bereits erwähnte Urteil des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg zur Kompatibilität von 382 Die Frage, ob ein derartiger Normwiederholungsakt zulässig ist, wird unterschiedlich beurteilt. Nach Ansicht des Zweiten Senats des BVerfG begründet die verfassungsgerichtliche Nichtigerklärung einer Norm ein allgemeines Normwiederholungsverbot für den Gesetzgeber; vgl. BVerfGE 1, 14 (37); 69, 112 (115). Demgegenüber meint der Erste Senat, dass der Gesetzgeber nicht gehindert sei, eine inhaltsgleiche oder inhaltsähnliche Neuregelung zu beschließen. Gemäß Art. 20 Abs. 3 GG sei er nur an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht aber an verfassungsgerichtliche Präjudizien gebunden; vgl. BVerfGE 77, 84 (103 f.). Die h. M. im Schrifttum folgt dem Ersten Senat, vgl. Schlaich/Korioth, S. 324 f.; Rennert, in: Umbach/Clemens, § 31, S. 550, Rn. 67; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, § 31, Rn. 71 ff. und 195 ff.; Schmitt Glaeser, FS Stern, S. 1189; Böckenförde, NJW 1999, S. 12; Stricker, DÖV 1995, S. 981 f.; Ziekow, NVwZ 1995, S. 248. Kritisch aber Klein, in: Benda/Klein, § 38, Rn. 1338 ff.; Sachs, FS Kriele, S. 446 ff.; Detterbeck, AöR 116 (1991), S. 457. Gegen ein striktes Normwiederholungsverbot spricht, dass dem Gesetzgeber die Möglichkeit gegeben sein muss, die Rechtsordnung den sich wandelnden gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen anpassen zu können, ohne dabei durch möglicherweise lange zurückliegende Entscheidungen des Gerichts eingeschränkt zu sein. Freilich bedeutet dies nicht, dass der Gesetzgeber gänzlich von der Bindungswirkung freigestellt wäre. Der Erste Senat hat später klargestellt, dass der Erlass einer inhaltlich gleichlautenden oder ähnlichen Bestimmung „besondere Gründe“ verlange, die sich aus einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ergeben könnten, vgl. BVerfGE 96, 260 (263); 98, 265 (320 f.). Als ein weiteres Korrektiv wirkt der verfassungsrechtliche Grundsatz der Organtreue. Er verbietet dem Gesetzgeber, das Verfassungsgericht zu brüskieren. So Korioth, Der Staat 30 (1991), S. 565 ff.; Schulze-Fielitz, Wirkung und Befolgung, S. 392 f.; Voßkuhle, NJW 1997, S. 2218; Bethge, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, § 31, Rn. 199 f. Ob hier die Neugliederung der Berliner Bezirke als ein „besonderer Grund“ für die Normierung der 3%-Sperrklausel in der Landesverfassung und im Wahlgesetz angesehen werden kann, scheint nicht ganz unbedenklich. 383 Vgl. auch Klein/Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, § 30, S. 9, Rn. 6.3. 384 Ziekow, Die Verwaltung 1994 (Bd. 27), S. 487. So auch Jestaedt, AöR 126 (2001), S. 235, Fn. 119.

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Amt und Mandat. Der Hinweis der Gerichtsmehrheit, dass angesichts der Fassung des Art. 22 Abs. 1 Verf Bbg nur der Verfassungsgeber selbst die Zugehörigkeit von Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu den kommunalen Vertretungskörperschaften durch die Einfügung eines Inkompatibilitätsvorbehalts beschränken könne385, löste unmittelbar nach der Urteilsverkündung fraktionsübergreifende Bestrebungen im Landtag aus, die Landesverfassung zu ändern.386 Ein Jahr später wurde in Art. 22 Abs. 5 S. 3 Verf Bbg die für die Inkompatibilitätsvorschrift erforderliche Ermächtigung des Landesgesetzgebers in der Verfassung verankert.387 Auch die Fachgerichte in den einzelnen Ländern haben, soweit ersichtlich, die Ansicht der Landesverfassungsgerichte durchweg respektiert und befolgt, nicht zuletzt, um ihre Entscheidungen „verfassungsbeschwerdefest“388 zu machen. Schließlich würde ein Träger öffentlicher Gewalt, der eine Entscheidung des Verfassungsgerichts unter Berufung auf ein Sondervotum mehr oder weniger explizit konterkariert, das verfassungsrechtliche Gebot der Organtreue verletzen. Gegenüber dem Verfassungsgericht konkretisiert sich die Pflicht der Organtreue vor allem darin, seine Rechtsauffassung hinreichend ernst zu nehmen, sie nicht zu ignorieren und ihr auch nicht entgegenzuhandeln.389 Notfalls bleibt dem Landesverfassungsgericht die Möglichkeit, die Vollstreckung seiner Entscheidung zu bestimmen.390 d) „Verkündung“ des Sondervotums durch den Dissenter selbst? Mit Ausnahme des Berliner Verfassungsgerichtshofs haben alle Landesverfassungsgerichte in ihren Geschäftsordnungen Maßgaben für die Bekanntgabe der Sondervoten im Verkündungstermin festgelegt. Hat ein Richter ein Sondervotum zu einem Urteil abgegeben, so gibt der Vorsitzende dies im Verkündungstermin bekannt.391 In Mecklenburg-Vorpom385

LVerfGE 4, 98. Vgl. Berliner Zeitung v. 31.01.1996. 387 Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Brandenburg v. 10.03.1997, GVBl. S. 4. Vgl. auch FAZ v. 21.02.1997. 388 Vgl. Schulze-Fielitz, Wirkung und Befolgung, S. 394. 389 Sachs, FS Kriele, S. 455. Grundlegend zur Verfassungsorgantreue Schenke, S. 115 ff.; Voßkuhle, NJW 1997, S. 2216 ff. Vgl. auch BVerfGE 90, 286 (337). 390 § 35 VerfGHG Bln; § 33 VerfGG Bbg; § 34 LVerfGG MV; § 10 SächsVerfGHG i. V. m. § 35 BVerfGG; § 30 ThürVerfGHG. Dem Landesverfassungsgerichtsgesetz Sachsen-Anhalt ist eine entsprechende Bestimmung nicht bekannt. Bislang hat kein Landesverfassungsgericht von seiner Vollstreckungskompetenz Gebrauch machen müssen, um die Beachtung seiner Judikate gegenüber illoyalen Staatsorganen durchzusetzen. Vgl. zu der Entscheidungsvollstreckung Laumen, S. 5 ff.; Klein, in: Benda/Klein, § 39, S. 555 ff.; Roellecke, in: Umbach/Clemens, § 35, S. 684 ff. 386

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mern392, Sachsen-Anhalt393 und Thüringen394 kann das dissentierende Gerichtsmitglied – wie im Bund395 – im Anschluss daran den wesentlichen Inhalt seines Sondervotums vortragen. In Brandenburg steht dieses Recht dem abweichenden Richter nicht zu. Nur auf dessen ausdrückliches Verlangen teilt der Vorsitzende nach der Verkündung der Entscheidung und ihrer wesentlichen Gründe auch den wesentlichen Inhalt des Sondervotums mit; der Vorsitzende hat sich in diesem Falle allerdings mit dem Dissenter abzustimmen.396 In Berlin ist mangels expliziter Regelung die inhaltliche Wiedergabe des Sondervotums durch den dissentierenden Richter ebenso denkbar wie durch den Gerichtspräsidenten. Die öffentliche Verkündung des Sondervotums durch den Dissenter selbst kann zu misslichen Situationen führen. Erhält das abweichende Gerichtsmitglied auf diese Weise „Gesicht und Stimme“397, könnte es vor allem in politisch kontroversen und spektakulären Verfassungsprozessen der Versuchung unterliegen, sich bei der Urteilsverkündung mit der Darstellung seiner Ansichten und Überzeugungen vor der anwesenden Öffentlichkeit zu profilieren. Wenn allerdings die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts des Sondervotums schon eine längere Zeit als die Mitteilung der eigentlichen Entscheidungsgründe für sich in Anspruch nimmt, mag dies der Überzeugungskraft der Entscheidung nicht gerade dienlich sein. Schließlich birgt diese Mitteilungsmöglichkeit auch die Gefahr in sich, dass der dissentierende Verfassungsrichter seine Argumente, die er in der Beratung nicht durchzusetzen vermochte, nunmehr im Verkündungstermin in einer Art Plädoyer gegen die bereits gefällte Mehrheitsentscheidung richtet. Eine der Entscheidungsverkündung auf dem Fuße folgende Urteilsschelte durch einen oder gar mehrere Dissenter dürfte jedoch nicht nur die Autorität des Verfassungsgerichts und die Wirkung der Entscheidung unangemessen beeinträchtigen, sondern auch die Mehrheit, die auf die unter Umständen stark emotionalisierte Kritik nicht reagieren kann, demütigen.398 Der Verkündungstermin sollte einem überstimmten Gerichtsmitglied indes keine Bühne dafür bieten, seinem Zorn über die Mehrheitsentscheidung freien Lauf zu 391 Vgl. § 19 Abs. 4 S. 1 GO VerfG Bbg; § 5a Abs. 3 S. 1 GO LVerfG LSA; § 20 Abs. 3 S. 1 GO ThürVerfGH. § 4 Abs. 3 S. 1 GO LVerfG MV spricht stattdessen von einer „öffentlich zu verkündenden Entscheidung“. 392 § 4 Abs. 3 S. 2 GO LVerfG MV. 393 § 5a Abs. 3 S. 2 GO LVerfG LSA. 394 § 20 Abs. 3 S. 2 GO ThürVerfGH. 395 § 56 Abs. 3 S. 2 GO BVerfG. 396 § 19 Abs. 4 GO VerfG Bbg. 397 Dombert, S. 172. 398 Pestalozza, § 20, S. 292, Rn. 39 spricht insoweit von einer „Diskriminierung“ der Mehrheit.

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lassen. Ein solches „Nachharken“ mag sich darüber hinaus auch auf die weitere Zusammenarbeit im Landesverfassungsgericht verhängnisvoll auswirken. Deutlich vernehmbar war der interne Konflikt unter den Richtern etwa bei der Verkündung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu § 218 StGB.399 In der Pause zwischen der Bekanntgabe der Mehrheitsentscheidung durch den Gerichtspräsidenten Benda und der Verlesung des sehr scharf formulierten Sondervotums der Richter Rupp-von Brünneck und Simon verließ der Richter Böhmer demonstrativ den Gerichtssaal. Der „Welt“ erklärte er, dass er sich „doch nicht beschimpfen“ lasse. Die übrigen anwesenden Verfassungsrichter ließen, so berichtete die „Welt“, die polemischen Worte der beiden Dissenter mit „versteinerter“ Miene über sich ergehen.400 Derartige Spannungen ließen sich vermeiden, wenn der Vorsitzende des Gerichts die Bekanntgabe des wesentlichen Inhalts des Sondervotums übernimmt. Dem Interesse des überstimmten Richters, seine von der Mehrheitsentscheidung abweichende Meinung der Öffentlichkeit bekannt machen zu können, sollte bereits durch die Möglichkeit des Sondervotums hinreichend Genüge getan sein; ihm aber noch das „letzte Wort“ im Verkündungstermin zu gewähren, würde ihn, wenn auch dies rein formal dem Verhältnis von Entscheidung und Sondervotum entspricht, unnötig privilegieren.401 399

BVerfGE 39, 1 ff. Vgl. die „Welt“ v. 27.02.1975. Der Bericht ist auszugsweise wiedergegeben in DRiZ 1975, S. 158 f. Die „Welt“ mutmaßte, dass Benda die Pause zwischen seinem Vortrag und dem der Richterin Rupp-von Brünneck in „kluger Vorausahnung dieser das Peinliche streifenden Aufführung“ hatte einhalten lassen. 401 Vgl. Pestalozza, § 20, S. 292, Rn. 39. So auch Dombert, S. 174. Dies mag auch der Grund gewesen sein, warum das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg im Jahre 1998 den § 19 Abs. 3 S. 2 GO VerfG Bbg in der Fassung vom 18.11.1993 (GVBl. I S. 505), der wie in den übrigen Ländern dem dissentierenden Richter im Anschluss an die Verkündung des Urteils die Mitteilung des wesentlichen Inhalts seines Sondervotums erlaubte, durch die aktuelle Regelung ersetzt hat. Freilich dürften es die Bestimmungen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen als „kann“-Vorschriften nicht ausschließen, dass auch dort der Vorsitzende den wesentlichen Inhalt des Sondervotums wiedergibt, vgl. Leibholz/Rupprecht, BVerfGG, Nachtrag, § 30, S. N 28. Der Richter am Bundesverfassungsgericht Mahrenholz hat in seinem Vortrag während des „Zweiten Symposiums Rechtsprechungslehre“ 1988 in Münster berichtet, dass im Zweiten Senat Sondervotanten zuletzt im Jahre 1983 bei der Verkündung des Urteils über die vorzeitige Auflösung des 9. Bundestages (BVerfGE 62, 1 ff.) ihre abweichende Meinung verlesen hätten. Als Ausdruck des Respekts vor dem Urteil hätten seitdem Richter mit abweichender Meinung von der Möglichkeit der Verkündung des Sondervotums keinen Gebrauch mehr gemacht, vgl. Mahrenholz, S. 170, Fn. 4. Eine ausdrückliche Übertragung des Mitteilungsrechts auf den Vorsitzenden wie in Brandenburg beugt allerdings eventuellen Unstimmigkeiten vor. Der Bedeutung des Rechtsinstituts der abweichenden Meinung nicht gerecht wird indes der Vorschlag Ritterspachs, S. 1389, es bei dem Hinweis des Vorsitzenden zu belassen, dass Sondervoten vorliegen. Zumindest ihr wesentlicher Inhalt sollte den im Verkündungstermin Anwesenden mitgeteilt werden. 400

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e) Exkurs: Schreiben in „eigener Sache“ In einem Festschriftenbeitrag anlässlich des fünfjährigen Bestehens des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg im Jahre 1998 hielt das Gerichtsmitglied Schöneburg dem Verfassungsgericht vor, in seinen Urteilen zum Fusionsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg402 sowie zur Abbaggerung der Gemeinde Horno403 die „Identität der Brandenburger Verfassung“ verletzt zu haben. Schöneburg bedauerte, dass die Mehrheit des Verfassungsgerichts diese Einschätzung nicht geteilt hatte und zitierte nach einem knappen Hinweis auf die Mehrheitsauffassung wörtlich die wesentlichen Passagen aus seinen zu den beiden Entscheidungen vorgelegten Sondervoten. Mit sichtbarer Genugtuung registrierte er, dass das Brandenburger Volk den Neugliederungsvertrag der Länder Brandenburg und Berlin per Volksentscheid letztlich doch abgelehnt hatte.404 Wenngleich die Ausführungen Schöneburgs keine weitere, über den Inhalt seiner abweichenden Meinungen hinausgehende Kritik an den Entscheidungen des Verfassungsgerichts enthalten, scheint doch eine solche „Wiederverwertung“ von Sondervoten in Publikationen mit dem Respekt vor dem eigenen Spruchkörper und der gebotenen Pflicht zur richterlichen Zurückhaltung nicht vereinbar. Ein in der Beratung unterlegener Richter sollte dem Drang widerstehen können, der Gerichtsmehrheit nachträglich im Gewand eines wissenschaftlichen Beitrages vorzuwerfen, dass sie die Rechtslage verkannt habe.405 Mit dem rechtskräftigen Abschluss des verfassungsgerichtlichen Verfahrens sollte die Auseinandersetzung im Kollegium, mögen die Kontrahenten noch so heftig und erbittert um die richtige Entscheidung gerungen haben, beendet sein; besteht ein Bedürfnis der unterlegenen Seite, öffentlich Kritik an der Ansicht der Mehrheit zu üben, bietet das Sondervotum hierfür ausreichenden Raum. Diese einem jeden Richter gestellte Aufgabe hat treffend die Richterin am Bundesverfassungsgericht Rupp-von Brünneck wenige Wochen nach der Entscheidung zu § 218 StGB in einem Vortrag beschrie402

Urteil v. 21.03.1996 – VfG Bbg 18/95 – LVerfGE 4, 114 ff. Vgl. hierzu oben sub D. II. 4. d). 403 Urteil v. 18.06.1998 – VfG Bbg 27/97 – LVerfGE 8, 97 ff. 404 Schöneburg, S. 116 ff. 405 Vgl. Redeker, NJW 1983, S. 1035; Sendler, NJW 1984, S. 695. Ähnlich Rupp, S. 543. Habscheid, NJW 1999, S. 2231 f. spricht hingegen dem am Verfahren beteiligten Richter ein verfassungsmäßiges Recht auf Urteilskritik zu. Ritterspach, S. 1388 hat keine Bedenken, wenn überstimmte Richter jedenfalls ihre lediglich von der Begründung der Entscheidung abweichende Auffassung in angemessener Form in einem Vortrag oder in einer wissenschaftlichen Zeitschrift darlegen; erst hier würden sie das Publikum erreichen, bei dem allein Interesse und Fachkompetenz für die Beurteilung ihrer Gedanken vorausgesetzt werden dürfe. Grundlegend zu dieser Problematik Sendler, Zum Schreiben in eigener Sache, S. 428 ff.

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ben: „Nach meiner Auffassung spricht ein Richter in einer von ihm zu entscheidenden Sache durch das Urteil, soweit er überstimmt ist, durch sein Sondervotum. Die weitere öffentliche Diskussion, die Verteidigung oder Kritik der verschiedenen Positionen soll er Dritten überlassen, den Betroffenen, den Fachleuten, der interessierten Öffentlichkeit. Besonders muss ein dissentierender Richter auch nur den Anschein vermeiden, als wolle er aus Rechthaberei oder Publicitysucht nun in der Öffentlichkeit die Auseinandersetzung mit der Mehrheit des Gerichts fortsetzen, obwohl er doch diesem Gericht weiter angehört. Für eine solche Zurückhaltung spricht zudem noch ein wesentlich gewichtigerer Grund: Roma locuta, causa finita! Die Dissenter mögen zu Recht oder zu Unrecht hoffen, dass ihr Beitrag nicht umsonst war und dass ihre Auffassung vielleicht in Zukunft die Rechtsentwicklung beeinflussen könnte. Für die Gegenwart, für die parlamentarische, juristische, sozialpolitische Praxis ist der Verfassungsstreit Schnee von gestern. Wir alle haben uns nunmehr auf den Boden des Urteils und der Mehrheitsmeinung zu stellen“.406 f) Bewertung Ob sich die Veröffentlichung von Sondervoten auf die Autorität des Verfassungsgerichts und die Akzeptanz seiner Entscheidungen auswirkt, hängt sehr von dem Umgang mit diesem Rechtsinstrument ab. Der Dissenter trägt daher eine besondere persönliche Verantwortung.407 Er ist nicht Kommentator oder Rezensent der mehrheitlichen Entscheidung, sondern bleibt ein an ihrem Entstehen beteiligtes Mitglied des Landesverfassungsgerichts408; äußert er sich in einem Sondervotum öffentlich zu der Entscheidung, sind ihm insoweit enge Grenzen gesetzt.409 Im Hinblick auf Bedeutung und Funktion des Verfassungsrichteramtes, aber auch auf die kollegiale Zusammenarbeit ist es unbedingt notwendig, dass bei der Abgabe eines Sondervotums der richterliche Grundsatz des judicial self-restraint beachtet wird. Von der 406

Rupp-von Brünneck, S. 311. Häberle, Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 27. 408 Auch der abweichende Richter hat die Entscheidung der Mehrheit mit seinem Namen zu unterzeichnen, vgl. § 29 Abs. 1 S. 2 VerfGHG Bln; § 27 Abs. 1 S. 2 VerfGG Bbg; § 27 Abs. 1 S. 2 LVerfGG MV; § 28 Abs. 1 S. 2 LVerfGG LSA; § 24 Abs. 1 S. 2 ThürVerfGHG. Mit seiner Unterschrift bestätigt der Richter indes nicht die Billigung des Urteils, sondern nur seine Mitwirkung am Zustandekommen des Beratungsergebnisses. Eine Art mildeste Form des Sondervotums kann es nach Ansicht Caesars sein, wenn ein Richter, der ein Urteil partout nicht unterschreiben will, wegen Urlaubs, Abwesenheit oder sonstiger Gründe an der Unterschriftsleistung verhindert ist, vgl. Gerhardt, ZRP-Rechtsgespräch mit Justizminister Caesar, ZRP 1994, S. 403. 409 So auch Isensee, JZ 1996, S. 1087. 407

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Möglichkeit des Sondervotums sollte der Dissenter nur dann Gebrauch machen, wenn es ihm sein richterliches Gewissen auch nach strengster Selbstprüfung verbietet, dass er sich dem Standpunkt der Mehrheit anschließt oder ihn wenigstens unwidersprochen hinnimmt.410 Dies sollten Fälle sein, die von grundsätzlicher Bedeutung sind.411 Doch nicht nur beim „Ob“ des Sondervotums ist Zurückhaltung zu üben, sondern auch beim „Wie“, d. h. hinsichtlich des Stils und der Diktion. Die abweichende Meinung ist in eine Form zu kleiden, die Polemik gegen die Mehrheitsentscheidung, Rechthaberei und Selbstdarstellung vermeidet412, auch wenn einzuräumen ist, dass so manches Sondervotum in einer Situation verfasst wird, in der dem Dissenter die Niederlage in der Beratung noch laut nachhallt. In ihrem Umfang ist die abweichende Meinung auf das nötige Maß zu beschränken.413 Die Begründung des Sondervotums sollte soweit als möglich selbsttragend abgefasst sein.414 Ein Sondervotum, das sich diesen Anforderungen stellt, dürfte der Autorität des Gerichts und dem Vertrauen in seinen Spruch kaum abträglich sein.

2. Sondervoten – ein Mittel zur Fortentwicklung des Rechts? Ausgehend von dem Verständnis des Sondervotums als einem prozessualen Instrument, die Rechtsansicht des in der Beratung unterlegenen Richters schriftlich festzuhalten und Meinungsunterschiede zu offenbaren, fragt sich, ob und inwieweit die abweichenden Meinungen Einfluss auf die verfassungsrechtliche Diskussion und die Rechtsentwicklung gewonnen haben. Im juristischen Schrifttum sind die Sondervoten zumeist, wenn auch eher nur knapp, gewürdigt worden.415 Nur sehr schwer messen lässt sich hingegen, ob sie auch für die Gesetzgebung und die verfassungsgerichtliche Spruchtätigkeit von Bedeutung waren. Oben wurde bereits angedeutet, dass es sich jedenfalls nicht gänzlich ausschließen lässt, dass die Argumente der zu den Urteilen des Berliner Verfassungsgerichtshofs zur Verfassungsmäßigkeit der Fünfprozentsperrklausel bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen vorgelegten Sondervoten für die Entscheidung des Berliner Abgeordnetenhauses, die Dreiprozentsperrklausel einzuführen, in irgendeiner Weise eine Rolle gespielt haben. In Berlin gab es auch einen Fall, in 410 411 412 413 414 415

Rupp, S. 549. Geiger, S. 458 f. Zöbeley, in: Umbach/Clemens, § 30, S. 529, Rn. 33. Ritterspach, S. 1386; Dombert, S. 175. Schneider, S. 351. Kritisch aber Millgramm, S. 144 f. Vgl. oben sub D. II. 4. c).

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dem der Verfassungsgerichtshof seine Rechtsprechung im Sinne eines in einem früheren Verfahren vorgelegten Sondervotums geändert hat: Am 31. Mai 1995 hatte der Berliner Verfassungsgerichtshof über eine Verfassungsbeschwerde zu entscheiden, die den Umfang des Berliner Grundrechts auf freie Berufswahl (Art. 11 Verf Bln a. F.) betraf.416 Die Beschwerdeführerin, die ohne tierärztliche Ausbildung berufsmäßig kranke Tiere behandelte, hatte sich gegen zwei instanzgerichtliche Urteile gewandt, die es ihr untersagten, die Berufsbezeichnung „Tierheilpraktikerin“ zu führen, ohne dabei darauf hinzuweisen, dass es für die Ausübung dieses Berufes keiner staatlichen Erlaubnis bedarf. Da sich nach der gerichtlichen Beratung über die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde eine Stimmengleichheit von vier zu vier Stimmen ergab, wies der Verfassungsgerichtshof sie gemäß § 11 Abs. 2 S. 2 VerfGHG Bln als unzulässig zurück. Die vier die Entscheidung tragenden Richter meinten, dass der als verletzt gerügte Art. 11 Verf Bln a. F. nur die Freiheit der Berufswahl, nicht aber auch die Freiheit der Berufsausübung schütze. Die von der Beschwerdeführerin beanstandeten Maßnahmen seien indes allein dem Bereich der Berufsausübung zuzurechnen. Bereits der Wortlaut des Art. 11 Verf Bln a. F. bleibe hinter dem des Art. 12 Abs. 1 GG zurück, der ausdrücklich auch die freie Berufsausübung gewährleiste. Überdies mache die Entstehungsgeschichte des Art. 11 Verf Bln a. F. deutlich, dass bei der Verfassungsgebung nicht beabsichtigt gewesen sei, auch die Berufsausübungsfreiheit landesverfassungsrechtlich zu verankern. Zudem habe der Verfassungsgeber die Berufsausübungsfreiheit nicht in Art. 11 Verf Bln a. F. mitgewährleistet. Selbst wenn zwischen der Wahl des Berufes einerseits und seiner Ausübung andererseits ein Zusammenhang bestehe, folge daraus nicht, dass eine Unterscheidung zwischen beiden Aspekten der beruflichen Tätigkeit nicht möglich sei; dies zeige auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den unterschiedlichen Schranken bei Eingriffen in die Berufswahlfreiheit und die Berufsausübungsfreiheit. Die vier diese Entscheidung nicht tragenden Richter417 sahen die Verfassungsbeschwerde als zulässig an, da Art. 11 416

BerlVerfGH 55/93 – JR 1996, 146 ff. Millgramm, S. 142 f., hält die auch vom Bundesverfassungsgericht geübte Praxis, bei Stimmengleichheit die Auffassungen der die Entscheidung „tragenden“ und der sie „nicht tragenden“ Richtergruppen in den Entscheidungsgründen gegenüberzustellen, im Hinblick auf die Möglichkeit des Sondervotums für bedenklich: Da das Gesetz im Falle der Stimmengleichheit die einen Verfassungsverstoß annehmenden vier Richter in die Rolle der unterlegenen Meinung verweise, sollten diese ihre Ansicht in einem Sondervotum niederlegen. So auch Starck, Gedächtnisschrift Geck, S. 789 ff.; Schlaich/Korioth, S. 36, Rn. 47, Fn. 81; Klein, in: Benda/Klein, § 16, S. 130, Rn. 311. Freilich kann, worauf Pestalozza, § 20, S. 283, Rn. 21, Fn. 47, zutreffend hinweist, kein Richter gezwungen werden, ein Sondervotum abzugeben. Führt aber ein mehrmaliger Wechsel zwischen den Begründungen der beiden 417

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Verf Bln a. F. in Übereinstimmung mit Art. 12 Abs. 1 GG auch die Berufsausübungsfreiheit gewährleiste. Allein das Fehlen einer gesonderten Schrankenbestimmung in der Berliner Verfassung biete keine tragfähige Argumentationsgrundlage dafür, die Berufsausübungsfreiheit aus dem Schutzbereich des Art. 11 Verf Bln a. F. auszuklammern. Die Schrankenregelung des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG enthalte nicht die Gewährleistung der Berufsausübungsfreiheit, vielmehr mache sie lediglich deutlich, dass die Berufsausübungsfreiheit von der Freiheit der Berufswahl in Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG mitumfasst sei. Die gleiche umfassende Bedeutung komme dem Art. 11 Verf Bln a. F. zu, der vor demselben historischen Hintergrund wie das Grundgesetz erarbeitet worden sei, so dass für die Annahme eines unterschiedlichen Begriffsinhalts von Art. 11 Verf Bln a. F. und Art. 12 Abs. 1 GG kein Raum bestehe. Die Zugehörigkeit der Freiheit der Berufsausübung zur Freiheit der Berufswahl ergebe sich darüber hinaus auch aus der Untrennbarkeit dieser beiden Aspekte der Berufsfreiheit. Schließlich zeige die in Art. 11 Verf Bln a. F. wortgleich mit Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistete freie Wahl des Arbeitsplatzes, dass auch der Berliner Verfassungsgeber die Berufsausübung im Blick gehabt habe. Drei dieser Gerichtsmitglieder, die Richterinnen Arendt-Rojahn und Citron-Piorkowski sowie der Richter Eschen, legten zusätzlich ein Sondervotum vor. Sie hielten die Verfassungsbeschwerde nicht nur für zulässig, sondern auch für begründet, da die Instanzgerichte bei der Frage, ob die von der Beschwerdeführerin verwendete Bezeichnung als „Heilpraktikerin“ eine irreführende Werbung i. S. d. § 3 UWG darstelle, das Grundrecht der freien Berufsausübung nicht hinreichend berücksichtigt hätten.418 Etwa ein Jahr später hatte sich der Berliner Verfassungsgerichtshof erneut mit dem Gewährleistungsinhalt des Art. 11 Verf Bln a. F. zu beschäftigen. Ein Arzt war mit einer Verfassungsbeschwerde gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen vorgegangen, mit denen seine Anfechtungsklage gegen einen Heranziehungsbescheid der Ärztekammer wegen Kammerbeiträgen abgewiesen worden war, und rügte u. a. die Verletzung seiner Berufsausübungsfreiheit. Der Verfassungsgerichtshof hielt in seinem Beschluss vom 26. September 1996 die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der von dem Beschwerdeführer geltend gemachten Verletzung der Berufsfreiheit für unzulässig und bestätigte nunmehr mehrheitlich seinen Standpunkt, dass das Grundrecht der freien Berufswahl nicht auch die Freiheit der Berufsausübung umfasse.419 Die Gerichtsmitglieder Arendt-Rojahn, Citron-Piorkowski Richtergruppen in der Entscheidung – wie etwa in BVerfGE 73, 206 ff. (Sitzblockade) – zu Missverständlichkeiten und Zweifeln bei den Verfahrensbeteiligten, erscheint es zweckmäßig, die gegenteiligen Positionen auch optisch getrennt in Entscheidung und Sondervotum darzustellen. 418 JR 1996, 148 f.

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und Eschen blieben bei ihrer Auffassung. In ihrem Sondervotum betonten sie, dass Art. 11 Verf Bln a. F. ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit gewährleiste, dessen sachlicher Umfang sich mit demjenigen des Art. 12 Abs. 1 GG decke und auch die Berufsausübungsfreiheit enthalte.420 In dem auf die Verfassungsbeschwerde eines Notars gegen eine Vorschrift der Kostenordnung ergangenen Beschluss vom 6. Oktober 1998 hielt der Berliner Verfassungsgerichtshof an seiner Ansicht, die Verfassung von Berlin sehe kein eigenständiges Grundrecht der Freiheit der Berufsausübung vor, auch unter der Geltung des mit dem Art. 11 Verf Bln a. F. wörtlich übereinstimmenden Art. 17 Verf Bln fest.421 Eine abweichende Meinung erfolgte zu dieser Entscheidung nicht; auf die Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses verzichtete das Gericht. Zu einer Kehrtwende in der Rechtsprechung des Berliner Verfassungsgerichtshofs kam es in dem Beschluss vom 28. Juni 2001.422 Ihm zugrunde lag eine Verfassungsbeschwerde zweier Ärzte, die die Beschlagnahme von Patientenakten im Rahmen einer Durchsuchung ihrer Praxis wegen des Verdachts des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse u. a. im Hinblick auf ihre Berufsausübungsfreiheit rügten. Der Verfassungsgerichtshof gab seine bisherige Ansicht zum Regelungsgehalt des Art. 17 Verf Bln nunmehr einstimmig auf und erklärte die Verfassungsbeschwerde insoweit für zulässig. Aus einer systematischen Auslegung des Art. 17 Verf Bln schloss er, dass diese Norm auch ein Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit enthalte. Dies folge aus einem Vergleich mit dem Art. 12 Abs. 1 GG, der von dem Bundesverfassungsgericht als einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit aufgefasst werde. Mit dieser Interpretation werde der Erkenntnis Rechnung getragen, dass sich Wahl und Ausübung eines Berufes nicht eindeutig auseinanderhalten ließen. Dieser Rechtsprechung werde die zuvor vertretene These, der Wortlaut des Art. 17 Verf Bln bleibe hinter der alle Aspekte der Berufsfreiheit umfassenden Regelung des Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG zurück, nicht gerecht. Der Verankerung der Berufsausübungsfreiheit in Art. 17 Verf Bln stünde auch die Entstehungsgeschichte des Art. 11 Verf Bln a. F. nicht entgegen. Dass der Verfassungsgeber auch die Berufsausübungsfreiheit im Blick gehabt habe, belege die Aufnahme des mit ihr eng zusammenhängenden Rechts der freien Arbeitsplatzwahl in die Berliner Verfassung. Schließlich dürfe das Fehlen einer gesonderten Schrankenregelung für die Berufsausübung in Art. 17 Verf Bln auch nicht zu einer Reduktion des Schutzbereichs führen.423 419 420 421 422

BerlVerfGH 46/93 – JR 1998, 57 ff. JR 1998, 59 f. BerlVerfGH 32/98 – LVerfGE 9, 45 (50 f.). BerlVerfGH 100/00 – LVerfGE 12, 15 ff.

III. Externe Auswirkungen veröffentlichter Sondervoten

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Dies waren im Wesentlichen jene Erwägungen, die zuvor in dem „eingekapselten“ Votum424 der vier das Urteil vom 31. Mai 1995 nicht tragenden Richter und in dem zum Beschluss vom 26. September 1996 vorgelegten Sondervotum der Richter Arendt-Rojahn, Citron-Piorkowski und Eschen geäußert wurden. Ob den Voten insoweit eine gewisse Ursächlichkeit für den Rechtsprechungswandel zugeschrieben werden kann oder ob dieser schlicht auf die personelle Neubesetzung des Berliner Verfassungsgerichtshofs – von den an den genannten Entscheidungen beteiligten Gerichtsmitgliedern war im Jahre 2001 keines mehr im Amt – zurückzuführen ist, lässt sich nicht aufklären. Auffällig ist freilich, dass sich der Verfassungsgerichtshof zur Begründung seiner geänderten Auffassung zum Gewährleistungsinhalt des Art. 17 Verf Bln auf zahlreiche Belege aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Kommentarliteratur stützte, aber auf die abweichenden Voten keinerlei Bezug nahm. Kaum überzeugend scheint es jedenfalls, dem Sondervotum eine „vorwirkende normierende Kraft“ in dem Sinne zu attestieren, dass eine Änderung der Rechtsprechung nur dann zulässig wäre, wenn die neue Rechtsauffassung bereits vorher in abweichenden Meinungen überstimmter Richter geäußert wurde.425 Wäre die Existenz eines Sondervotums gleichsam Bedingung für eine spätere Rechtsprechungsänderung, würde dies dem Verfassungsgericht die Möglichkeit nehmen, bei seinen Entscheidungen gewandelte gesellschaftliche und politische Verhältnisse hinreichend berücksichtigen zu können. Im Übrigen kann auch das genannte Beispiel in Berlin nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vor allem während des Nürnberger Juristentages 1968 verbreitete Erwartung, Sondervoten würden regelmäßig das kommende Recht ankündigen und damit die Voraussehbarkeit der Rechtsprechung fördern426, die Bedeutung und Wirkung dieses Rechtsinstituts weit überschätzen dürfte.427 Die Ansicht des Dissenters kann zwar durchaus, wie der vorgenannte Fall zeigt, frühzeitig auf die Möglichkeit eines Wandels in der Rechtsprechung hindeuten, also zur Mehrheitsmeinung von „morgen“ werden; sie kann aber ebenso, wenn sie nicht überzeugend ist, als Meinung von „gestern“ stets in der Minderheit verbleiben.428 Auch hier423

LVerfGE 12, 21 ff. Vgl. Fromme, S. 870. 425 So aber Schulze-Fielitz, DVBl. 1982, S. 336 f. Ähnlich auch Häberle, Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 26; ders., EuGRZ 2004, S. 123. 426 Vgl. nur Frowein, DÖV 1971, S. 793. 427 Vgl. auch Geck, Sondervoten, S. 367; Zöbeley, in: Umbach/Clemens, § 30, S. 528, Rn. 28. 428 Klein, in: Benda/Klein, § 16, S. 133, Rn. 317. Skeptisch bereits Zweigert, 47. DJT, Bd. I, S. D 23; Friesenhahn, 47. DJT, Bd. II, S. R 50; Wagner, DRiZ 1968, S. 254. 424

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D. Auswirkungen und Bedeutung veröffentlichter Sondervoten

für gibt es Beispiele. Ein Sondervotum kann jedoch einen Fingerzeig auf eine unsichere, unter den Richtern umstrittene Rechtsproblematik geben. Ändert das Verfassungsgericht seine Rechtsprechung, dürfte sich dies auf das Rechtsleben nicht mehr so überraschend auswirken, wenn diese Auffassung schon in einer abweichenden Meinung zum Ausdruck gebracht worden ist.429 Dem Verfassungsgericht können Sondervoten eine Anregung geben, eine bestimmte Verfassungsinterpretation zu überdenken, wenn dieselbe Frage in einem anderen Verfahren noch einmal zur Entscheidung ansteht430; sie können insoweit einen etwaigen Wandel in der Rechtsprechung zumindest erleichtern.431 Sondervoten können auch auf Unstimmigkeiten und Widersprüche in der landesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung aufmerksam machen. Ein Beispiel hierfür bieten zwei Entscheidungen des Berliner Verfassungsgerichtshofs zu den formalen Anforderungen an eine Verfassungsbeschwerde: In seinem Beschluss vom 25. April 1996 hatte der Verfassungsgerichtshof die Ansicht vertreten, bei einer aus Berlin stammenden, an ihn gerichteten Verfassungsbeschwerde sei grundsätzlich davon auszugehen, dass die Überprüfung der beanstandeten Maßnahme anhand des Berliner Rechts gewünscht sei, wenn die Verletzung von inhaltsgleich im Grundgesetz und in der Berliner Verfassung verbürgten Grundrechten gerügt werde. Stelle aber der Vortrag des Beschwerdeführers einzig auf eine Bestimmung des Grundgesetzes ab, sei diese Vermutung als widerlegt zu erachten. In Anwendung dieser Maßstäbe wies der Verfassungsgerichtshof die dem Beschluss zugrunde liegende Verfassungsbeschwerde zurück, mit der die Beschwerdeführerin allein die Verletzung ihrer „Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG“ gerügt hatte, ohne dabei in irgendeiner Weise Bezug auf die Berliner Verfassung zu nehmen.432 In dem Beschluss vom 17. Juni 1996 befasste sich der Verfassungsgerichtshof mit dem Vorbringen eines Verfassungsbeschwerdeführers, der sich mehrfach auf die Verletzung des „rechtlichen Gehörs“ berufen und dabei einmal den Klammerzusatz „(Art. 103 Abs. 1 GG)“ hingefügt hatte.433 429 So die Richterin des BVerfG Jaeger im ZRP-Rechtsgespräch mit Gerhardt, ZRP 2003, S. 470. Gleichsinnig Homberger-Stäheli, S. 104; Federer, JZ 1968, S. 521. 430 Vgl. Dietlein, DVBl. 1971, S. 127; Geiger, S. 460 f.; Millgramm, S. 186. 431 So auch Geck, Sondervoten, S. 365; Heyde, Minderheitsvotum, S. 149. 432 BerlVerfGH 21/95 – NJW 1996, 1738 f. Die Gerichtsmitglieder Arendt-Rojahn, Citron-Piorkowski, Dittrich und Eschen hielten in ihrem Sondervotum die Verfassungsbeschwerde wegen der Identität des als verletzt gerügten Rechts auf rechtliches Gehör in der Berliner Verfassung und im Grundgesetz für zulässig; überdies ergebe die Auslegung des Beschwerdevorbringens entsprechend § 133 BGB, dass die Verletzung des in der Verfassung von Berlin verbürgten Rechts geltend gemacht worden sei. 433 BerlVerfGH 4/96 – LKV 1997, 93.

III. Externe Auswirkungen veröffentlichter Sondervoten

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Der Verfassungsgerichtshof entschied mit fünf zu vier Stimmen, dass in diesem Fall von der Vermutung auszugehen sei, es werde eine Überprüfung nach Maßgabe des Berliner Rechts begehrt. Der einmalige Hinweis des Beschwerdeführers auf Art. 103 Abs. 1 GG genüge nicht, um diese Vermutung zu widerlegen und die Verfassungsbeschwerde unzulässig zu machen. Die Gerichtsmitglieder Driehaus und Töpfer hielten in ihrem Sondervotum die Auffassung der Mehrheit für nicht vereinbar mit der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs. Da der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung nur auf eine Verletzung der Bestimmung des Art. 103 Abs. 1 GG abgestellt und die Verfassung von Berlin an keiner Stelle erwähnt habe, sei nach den von dem Verfassungsgerichtshof im Beschluss vom 25. April 1996 aufgestellten Grundsätzen die Vermutung widerlegt, dass eine Überprüfung anhand des Berliner Rechts gewünscht sei.434 Ein zweites Sondervotum legte der Verfassungsrichter Kunig vor. Auch er sah die Verfassungsbeschwerde als unzulässig an und bekräftigte, dass die Mehrheitsmeinung dem vorherigen Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 25. April 1996 widerspreche. Es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, die beiden Verfahren unterschiedlich zu behandeln. Kunig verwies insbesondere darauf, dass die in diesem Beschluss eingeschlagene Linie kaum geeignet sei, Rechtssicherheit bei der Abgrenzung von zulässigen und unzulässigen Verfassungsbeschwerden herbeizuführen.435 Geltung über den Einzelfall hinaus haben die abweichenden Meinungen nicht zuletzt auch als wissenschaftliche Diskussionsbeiträge erlangt.436 In ihnen sind Überlegungen zu verfassungsrechtlichen Problemen dokumentiert, auf die das Gericht in späteren Verfahren zurückgreifen kann. Hiervon haben die Landesverfassungsgerichte auch Gebrauch gemacht: Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat etwa in seinem bereits erwähnten Urteil zum Verlust des Landtagsmandats wegen Zusammenarbeit mit dem MfS437 hinsichtlich der Frage des der genetischen Auslegung beizumessenden Gewichts teils wörtlich das zu der Entscheidung über den Ausschluss zweier Gerichtsmitglieder vom Richteramt vorgelegte Sondervotum des Richters Rommelfanger zitiert, der diesbezüglich ausführlich Stellung genommen hatte.438

434

LKV 1997, 93 f. LKV 1997, 94. 436 So auch Klein/Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, § 30, S. 10, Rn. 6.6; Spanner, S. 906; Roellecke, S. 380. 437 ThürVerfGH, Urteil v. 25.05.2000 – ThürVerfGH 2/99 – LKV 2000, 441 ff. 438 LKV 2000, 443. 435

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D. Auswirkungen und Bedeutung veröffentlichter Sondervoten

„Sondervoten halten das Eis offen“, hat Mahrenholz treffend konstatiert.439 Dieser Funktion des Sondervotums kommt im Hinblick auf die spezifische Eigenart des Verfassungsrechts wesentliche Bedeutung zu. Die Landesverfassungen bestehen überwiegend aus „offenen“, ausfüllungsbedürftigen Normen und Generalklauseln, die einen weiten Interpretationsspielraum zulassen. Vor allem die Verfassung des Landes Brandenburg enthält viele neuartige Grundrechte und Staatszielbestimmungen, für deren Auslegung nur zum Teil auf das Grundgesetz und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückgegriffen werden kann. Den Verfassungsrichtern ist die Aufgabe überlassen, die unbestimmten Rechtsbegriffe der Verfassung nicht nur für den Einzelfall, sondern auch mit Blick auf den gesellschaftlich-historischen Kontext rechtsschöpferisch auszulegen und zu konkretisieren. Diese gestaltende Tätigkeit erfordert Wertungen, die zwangsläufig von dem Vorverständnis und der persönlichen Weltanschauung der Richter beeinflusst sind; nicht selten führt sie in die Nähe der Politik.440 Unterschiedliche Auffassungen im Richterkollegium sind dabei kaum vermeidlich. Von den Methoden der Verfassungsinterpretation hängen aber entscheidend der Kontrollmaßstab und damit auch die Reichweite der Verfassungsgerichtsbarkeit im Verfassungsgefüge ab. Je nachdem, welches Verfassungsverständnis das Verfassungsgericht seiner Rechtsprechung zugrundelegt und in welchem Maße es die einzelnen Sätze der Verfassung ausfüllt, weitet es seinen Einfluss auf das politische und gesellschaftliche Leben des Landes aus oder begrenzt ihn.441 Nur in wenigen Fällen gibt es jedoch die einzig richtige Verfassungsauslegung.442 Die Interpretation und Verwirklichung der Verfassung darf daher nicht durch gerichtliche Entscheidungen gleichsam erstarrt werden, sondern muss ein dynamischer Prozess bleiben. Sondervoten können den verfassungsrechtlichen Diskurs lebendig halten. Sie können die strittigen Rechtsfragen des Falles aufdecken443 und alternative Interpretationsansätze zur öffentlichen Diskussion stellen. Gerade für die Landesverfassungsgerichtsbarkeit kann die Kundgabe von Bedenken und Zweifeln gegen die Verfassungsauslegung der Mehrheit in einem Sondervotum hilfreich sein. Während die Regelungen des Grund439

Mahrenholz, S. 169. Berger, NJW 1968, S. 966; Heyde, JöR N. F. 19 (1970), S. 217; Paul, DÖV 1968, S. 515. 441 Vgl. Schlaich/Korioth, S. 10, Rn. 13. 442 Korioth, Der Staat 30 (1991), S. 567. Vgl. zu den Methoden der Verfassungsinterpretation nur Böckenförde, NJW 1976, S. 2089 ff.; Stern, Bd. I, § 4 III, S. 123 ff. 443 Klein, in: Benda/Klein, § 16, S. 133, Rn. 317. 440

III. Externe Auswirkungen veröffentlichter Sondervoten

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gesetzes Gegenstand vielfältiger Diskussionen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum sind, erfährt das Verfassungsrecht der Länder nur begrenzte Beachtung. Kommentierungen zu den Landesverfassungen gibt es nur vereinzelt, wissenschaftliche Erörterungen zu Problemen des Landesrechts beschränken sich regelmäßig auf grundsätzliche und besonders umstrittene verfassungsgerichtliche Entscheidungen. Die Kritik der Wissenschaft ist jedoch eines der wichtigsten Kontrollmittel der von keiner innerstaatlichen Instanz überwachten Verfassungsgerichtsbarkeit.444 Eine Art gerichtsinternen Kontrollmechanismus können indessen die Sondervoten bieten.445 Sie können das Rechtsgespräch innerhalb des Spruchkörpers fördern und auf diese Weise dazu beitragen, die Verfassungsrechtsprechung vor Festlegungen zu bewahren. Letztlich kann die Entwicklung neuer Rechtsgedanken in Sondervoten auch die wissenschaftliche Diskussion befruchten. Dass die Kritik der abweichenden Meinung aus dem Gericht selbst stammt, sie sich also auf die Kenntnis der Akten und der Beratung stützen kann, verleiht ihr ein besonderes Gewicht. Sehr eindrucksvoll hat Geiger die möglichen Wirkungen von Sondervoten auf das Rechtsleben geschildert: „Die abweichende Meinung beunruhigt. Unruhig werden, unruhig sein und unruhig bleiben ist ein Wesenszug des Lebens, ist eine notwendige Stimulanz des Lebens, auch für eine lebendige Rechtsprechung. Insofern die abweichende Meinung eines an einer Entscheidung beteiligten Richters irritiert und die Problematik der konkreten Entscheidung sichtbar macht, hilft sie der Gefahr der Routine und der Schablone, des gedankenlosen Übernehmens von Rechtssätzen, einer kritiklosen Zitierung von Rechtsprechung als Ersatz für eine eigene Begründung entgegenzuwirken“.446 Zwar ließe sich die innergerichtliche oder auch wissenschaftliche Verfassungsdiskussion durchaus auch dadurch beleben, dass die abweichenden Auffassungen einzelner Richter, wie es Ritterspach empfiehlt, in den Entscheidungsgründen dargestellt und erörtert werden.447 Die Entscheidungsgründe sollten sich aber vornehmlich auf die Wiedergabe der den gerichtlichen Spruch tragenden Erwägungen beschränken. Sie zu einem Forum divergierender Rechtsansichten umzugestalten, würde die Entscheidung unübersichtlich und für den Laien schwer verständlich machen. Insofern 444 Bryde, S. 352. Vgl. zum Verhältnis der Rechtswissenschaft und der Verfassungsgerichtsbarkeit Häberle, Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 3 ff.; Lerche, BayVBl. 2002, S. 649 ff. 445 So auch Simon, HVerfR, § 34, S. 1660, Rn. 41; von Brünneck, S. 49. 446 Geiger, S. 461 f. 447 Ritterspach, S. 1386. Dahin tendierend auch Schlaich/Korioth, S. 39, Rn. 49; Dombert, S. 175.

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D. Auswirkungen und Bedeutung veröffentlichter Sondervoten

kommt dem Sondervotum eine gewisse Entlastungsfunktion zu.448 Es gibt dem Dissenter die Gelegenheit, seinen Rechtsstandpunkt so darzulegen, wie er es für notwendig hält; die Mehrheit kann ihre Entscheidung klar und stringent artikulieren, ohne Kompromisse eingehen zu müssen. Insbesondere bei unterschiedlichen methodischen Ansätzen der Richter erscheint eine dialektische Darstellung im Mehrheits- und Minderheitsvotum sinnvoll, da erst hierdurch die eigentliche Spannbreite der gerichtlichen Diskussion deutlich wird.449 Auch würde ein in die Entscheidungsgründe integriertes Sondervotum dem abweichenden Richter die Möglichkeit nehmen, auf etwaige Schwachstellen, Brüche und Inkonsequenzen in der mehrheitlichen Argumentation hinweisen zu können. Wenngleich es der hauptsächliche Zweck des Sondervotums ist, die rechtswissenschaftliche Diskussion zu bereichern, sollte es jedoch nicht den Charakter einer Gelehrtenabhandlung haben. Ein Beispiel hierfür ist die abweichende Begründung des Richters Körting zur Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofes betreffend den Freizügigkeitsschutz von Ausländern.450 Über fast sieben Seiten hinweg zeichnet Körting akribisch und mit einer Vielzahl von Belegen die verfassungshistorische Entwicklung des Begriffs der Freizügigkeit vom Mittelalter bis hin zur Entstehung der Verfassung von Berlin nach.451 Seit dem spektakulären „Honecker-Beschluss“ des Berliner Verfassungsgerichtshofs ist deutlich geworden, wie problematisch und wie wenig geklärt vieles im Bereich der Landesverfassungsgerichtsbarkeit noch ist. Der im steten Fluss befindlichen Verfassungsinterpretation kann es daher nur zuträglich sein, wenn der gerichtliche Rechtsfindungsprozess durch Sondervoten offengelegt wird. Mit Recht wird in dem Sondervotum insoweit eine prozessuale Entsprechung zur Offenheit des Verfassungsrechts gesehen.452

448

Vgl. Millgramm, S. 142 f. Vgl. auch Pestalozza, § 20, S. 292, Rn. 41. 450 BerlVerfGH, Beschluss v. 12.07.1994 – VerfGH 94/93 – LVerfGE 2, 19 ff. 451 LVerfGE 2, 34 ff. 452 Häberle, Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, S. 26. So auch Pestalozza, § 20, S. 293, Rn. 41; Gerontas, DVBl. 1982, S. 488; Schlaich/Korioth, S. 37, Rn. 48. 449

E. Die Mitteilung des Stimmenverhältnisses bei der Abstimmung Ein Stück weit Transparenz in der Verfassungsrechtsprechung ermöglicht auch die Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses in der Entscheidung. Hiervon machen die Landesverfassungsgerichte recht unterschiedlichen Gebrauch. Häufig wird das Stimmenverhältnis mitgeteilt, wenn ein Sondervotum ergangen ist.1 Teilweise geben die Gerichte aber auch bei dem Vorliegen von Sondervoten das Abstimmungsergebnis nicht an.2 Ebenso sind Fälle zu verzeichnen, in denen zwar das Stimmenverhältnis veröffentlicht wird, aber kein Gerichtsmitglied seine abweichende Meinung in einem Sondervotum äußert.3 Regelmäßig wird das Abstimmungsergebnis am Schluss der Entscheidungsgründe mitgeteilt; hat es zu einzelnen Teilen der Entscheidung wechselnde Mehrheiten unter den Richtern gegeben, so wird dies nach dem jeweiligen Teil vermerkt.4 Das Gros der verfassungsgerichtlichen Judikate wird ohne Angabe des Stimmenverhältnisses publiziert. Mit der Mitteilung des Abstimmungsverhältnisses sind, freilich in vermindertem Umfang, hinsichtlich der Unabhängigkeit der Richter und der Akzeptanz der verfassungsgerichtlichen Entscheidung dieselben Probleme wie mit dem Sondervotum verbunden.5 Da diesbezüglich oben ausführlich 1 Vgl. etwa BerlVerfGH, Beschluss v. 12.12.1996 – VerfGH 38/96 – LVerfGE 5, 58 (63); VerfG Bbg, Urteil v. 18.06.1998 – VfG Bbg 27/97 – LVerfGE 8, 97 (174); ThürVerfGH, Urteil v. 12.06.1997 – VerfGH 13/95 – LVerfGE 6, 388 (405). 2 Vgl. etwa BerlVerfGH, Urteil v. 19.10.1992 – VerfGH 24/92 – LVerfGE 1, 10 ff.; VerfG Bbg, Urteil v. 14.07.1994 – VfG Bbg 4/93 – LVerfGE 2, 125 (142); VerfG Bbg, Urteil v. 21.03.1996 – VfG Bbg 18/95 – LVerfGE 4, 114 ff. 3 Vgl. etwa BerlVerfGH, Beschluss v. 26.06.1997 – VerfGH 8/97 – LVerfGE 6, 83 (88); VerfG Bbg, Beschluss v. 28.03.2001 – VfG Bbg 46/00 – LVerfGE 12, 92 (103). 4 Vgl. etwa BerlVerfGH, Urteil v. 22.02.1996 – VerfGH 17/95 – LVerfGE 4, 12 (17, 18); BerlVerfGH, Beschluss v. 25.04.1996 – VerfGH 21/95 – LVerfGE 4, 46 (48, 50). 5 Kritisch vor allem Geck, Sondervoten, S. 400: Die Unsicherheit über die Identität der abweichenden Richter und über ihre Gründe führe zwangsläufig zu Spekulationen, welche für den Rechtsfrieden, das Ansehen des Gerichts und die Unabhängigkeit der Gerichtsmitglieder schädlich sein könnten. Ähnlich auch Haack, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1. Wahlperiode, Stellungnahme vom 21.04.1994 zum Entwurf des Landesverfassungsgerichtsgesetzes, S. 6. Koch, S. 154, hält hingegen die Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses für einen praktikablen „Mittelweg zwischen Sondervotum und Einheitsentscheidung“.

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E. Mitteilung des Stimmenverhältnisses bei der Abstimmung

Stellung bezogen wurde6, soll der Zweckmäßigkeit der Bekanntgabe von Abstimmungsverhältnissen hier nicht weiter nachgegangen werden. Unglücklich geraten ist jedenfalls der § 26 LVerfGG MV, der den Verfassungsrichtern das Recht zum offenen Sondervotum gewährt, dem Gericht selbst aber die Mitteilung des Stimmenverhältnisses untersagt.7 In der Regel lässt sich aus einem Sondervotum erschließen, wie sein Verfasser abgestimmt hat. Lehnt er das Ergebnis der Entscheidung ab, steht fest, dass zumindest ein Gerichtsmitglied gegen die Entscheidung gestimmt hat. Wenn etwa drei der sieben Richter des Verfassungsgerichts gemeinsam oder einzeln dissentieren, wird dadurch zwangsläufig offengelegt, dass die übrigen vier Richter der Entscheidung zugestimmt haben. Insoweit gibt die Veröffentlichung einer abweichenden Meinung stets auch etwas von dem Stimmenverhältnis im Richterkollegium preis.8 Dem Landesverfassungsgericht die Mitteilung des Stimmenverhältnisses zu versagen, wirkt deshalb paradox. Obwohl Sondervotum und Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses unabhängig voneinander angewandt werden können, stehen sie in einem engen Zusammenhang: Die Mitteilung des Stimmenverhältnisses bei der Abstimmung macht auf Meinungsverschiedenheiten im Gericht aufmerksam, das Sondervotum informiert über die Gründe und die Namen der dissentierenden Richter.9 Mit der grundsätzlichen Zulassung des Sondervotums sollte daher auch dem Verfassungsgericht die Möglichkeit eröffnet sein, das Stimmenverhältnis in der Entscheidung bekannt geben zu können. Das Gericht sollte nach seinem eigenen Ermessen darüber entscheiden können, ob es etwaigen durch Sondervoten bedingten Spekulationen über die Mehrheitsverhältnisse im Kollegium durch die Angabe des Abstimmungsergebnisses entgegenwirkt oder hierauf verzichtet.10

6

Vgl. oben sub D. II. 4. und D. III. 1. § 26 Abs. 4 und 5 LVerfGG MV. 8 So auch schon Rupp, S. 531. 9 Pestalozza, § 20, S. 291, Rn. 38. 10 Reissenberger, ZRP 2003, S. 164 f., fordert indes eine „stillschweigende Pflicht“ des Verfassungsgerichts, bei der Existenz von Sondervoten immer auch das Abstimmungsergebnis mitzuteilen. 7

F. Sondervoten auch für andere Gerichtsbarkeiten? Im Rahmen der Vorarbeiten zu der 4. BVerfGG-Novelle 1970 prognostizierte der damalige Bundesjustizminister Jahn, die Einführung des offenen Sondervotums beim Bundesverfassungsgericht sei ein erster, grundlegender Schritt. Er sei davon überzeugt, dass sich das Rechtsinstitut der abweichenden Meinung bei diesem Gericht bewähren werde; sobald hinreichende Erfahrungen in der Praxis gewonnen seien, solle über die Ausweitung des Sondervotums auf die übrigen Kollegialgerichte nachgedacht werden.1 Der Gesetzgeber hat seitdem jedoch keinen Anlass gesehen, das Sondervotum bei Gerichten außerhalb der Verfassungsgerichtsbarkeit einzuführen. Auch im Schrifttum wird der gesetzlichen Zulassung des Sondervotums bei allen Kollegialgerichten nur noch vereinzelt das Wort geredet2; einige Stimmen wollen dieses Instrument zumindest den obersten Bundesgerichten in die Hand geben.3 Überwiegend stoßen derartige Vorschläge auf Ablehnung.4 Ungeachtet der überwiegend positiven Erfahrungen mit dem Sondervotum in der bisherigen Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts und auch der Landesverfassungsgerichte spricht in der Tat vieles dafür, dieses Institut auf die Verfassungsgerichtsbarkeit zu beschränken. Die obigen Ausführungen haben belegt, dass das Sondervotum seine eigentliche Berechtigung im Hinblick auf die Besonderheiten der mit Gesetzeskraft entscheidenden Verfassungsgerichtsbarkeit erfährt.5 Auf die Kollegialgerichte der übrigen Gerichtsbarkeiten lassen sich diese Erwägungen je1 Bundesjustizminister Jahn in seinem Vortrag am 13.02.1970, Bulletin des Presse und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 22/1970, S. 218 (220). 2 Vgl. Kaufmann, S. 307; Willms; JZ 1976, S. 317; Hassemer, ZStW 90 (1978), S. 94; Lansnicker, S. 142; Kühnert, NJ 1992, S. 474. 3 Geiger, S. 463; Thomas, S. 145; Heyde, in: HVerfR, § 33, S. 1629, Rn. 95; Lamprecht, S. 309 ff.; Schmidt-Räntsch, DRiG, § 43, Rn. 2. So auch jüngst die Richterin des BVerfG Jaeger im ZRP-Rechtsgespräch mit Gerhardt, ZRP 2003, S. 470. 4 Pfeiffer, DRiZ 1979, S. 232; Millgramm, S. 173 ff.; Hager, S. 168; Wickern, in: Löwe/Rosenberg, § 193 GVG, Rn. 42. Dem Meinungsbild entspricht das Ergebnis einer Umfrage, welche Millgramm, S. 175 ff., im Zeitraum zwischen 1982 und 1983 unter Richtern und Rechtsanwälten durchgeführt hat: Fast alle der Befragten sprachen sich kategorisch gegen jede Ausweitung des offenen Sondervotums auf andere Kollegialgerichte aus. Eine ähnliche Bilanz zieht nach eigenen Befragungen Lamprecht, S. 309. 5 Vgl. oben sub D. III. 2. Dies betont auch Dietlein, DVBl. 1971, S. 126 f.

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F. Sondervoten auch für andere Gerichtsbarkeiten?

doch nicht ohne weiteres übertragen. Ihr Kontrollmaßstab besteht in erster Linie aus den Normen des einfachen Rechts, das in der Regel klarer und eindeutiger als die Verfassung ist. Der mehrstufige Instanzenzug bis hin zu den obersten Gerichtshöfen des Bundes schützt vor möglichen Fehlinterpretationen und gewährleistet eine gewisse Homogenität in der Rechtsanwendung. So hat auch ein Senat des Bundesgerichtshofs dann, wenn er in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen will, diese dem Großen Senat vorzulegen.6 Diesen kann der Senat auch in Fällen von grundsätzlicher Bedeutung anrufen, soweit er dies zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für erforderlich hält.7 Hinzu kommt, dass das rechtswissenschaftliche Schrifttum vor allem an den Entscheidungen der obersten Bundesgerichte regen Anteil nimmt. Sie werden in Urteilsbesprechungen erörtert und auch kritisiert, was weitere Diskussionen auslösen kann. Hieran kann sich auch der abweichende Richter – freilich unter Beachtung des Beratungsgeheimnisses – beteiligen.8 Auch existiert zu den Regelungsbereichen des einfachen Rechts eine Fülle von Literatur und Kommentaren. All dies wirkt als ein zusätzliches Regulativ. Darüber hinaus dürften die Vorzüge des Sondervotums die mit seiner Zulassung bei den sonstigen Gerichtsbarkeiten verbundenen Nachteile kaum kompensieren können. Zwar könnte es bei den Revisionsgerichten, die wie die Verfassungsgerichte grundlegende Rechtsfragen zu klären und das Recht fortzuentwickeln haben, durchaus von Nutzen sein, wenn die Gründe gegen eine Grundsatzentscheidung in einem Sondervotum dezidiert offen gelegt werden.9 Im Gegensatz zu den verfassungsgerichtlichen Judikaten kommt den Urteilen der Revisionsgerichte jedoch eine gesetzlich angeordnete Bindungswirkung für gleichgelagerte Fälle entsprechend § 31 BVerfGG bzw. den jeweiligen landesrechtlichen Bestimmungen nicht zu. Andere Gerichte könnten insoweit die Argumente eines Sondervotums zum Anlass nehmen, in späteren Verfahren von der Entscheidung abzuweichen. Eine Gemengelage von divergierenden Entscheidungen der einzelnen Gerichte, abweichenden Voten und unterschiedlichen Ansichten im Schrifttum dürfte nur Verwirrung stiften und die Rechtssicherheit beeinträchtigen. Zudem könnte die Zulassung des Sondervotums angesichts der starken Überlastung der Revisions- und der Instanzgerichte zu einer weiteren Verzögerung der Verfahren führen.

6 7 8 9

§ 132 Abs. 2 GVG. § 132 Abs. 4 GVG. Habscheid, NJW 1999, S. 2232. Kritisch aber Redeker, NJW 1983, S. 1034 f. So Thomas, S. 145.

F. Sondervoten auch für andere Gerichtsbarkeiten?

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Ingesamt ist kein Bedürfnis erkennbar, das die Ausweitung des offenen Sondervotums auf die übrigen Kollegialgerichte rechtfertigen könnte. Dem überstimmten Richter bleibt es schließlich unbenommen, seine abweichende Ansicht in einem geheimen Separatvotum niederzulegen.10 Auch dieses kann insofern einen Beitrag zur Fortbildung des Rechts leisten, als es dem Gericht einen Merkposten gibt, seine Rechtsprechung in späteren Verfahren zu überprüfen.

10 Derartige interne Separatvoten werden allgemein für unbedenklich gehalten. Die meisten Geschäftsordnungen der obersten Bundesgerichte gestatten sie: Gemäß § 10 Abs. 1 S. 3 der Geschäftsordnung des Bundesgerichtshofs ist jedes Senatsmitglied berechtigt, seine von der Entscheidung abweichende Ansicht zu den Senatsakten zu geben. Diese Äußerungen werden gesondert in einem verschlossenen Umschlag verwahrt. Entsprechende Regelungen enthalten § 9 Abs. 1 S. 3 der Geschäftsordnung des Bundesarbeitsgerichtes und § 12 der Geschäftsordnung des Bundesfinanzhofs; beim Bundesverwaltungsgericht besteht eine ähnliche Übung. Zweck solcher Separatvoten ist es nicht nur, eine abweichende Ansicht für spätere Verfahren zu dokumentieren, sondern auch den betreffenden Richter im Falle einer fehlerhaft zustande gekommenen Entscheidung beweiskräftig vor einer möglichen Inanspruchnahme zu schützen. Vgl. Federer, JZ 1968, S. 518 m. w. N.; Fenge, S. 111; Schmidt-Räntsch, § 43 DRiG, S. 567, Rn. 6; Hager, S. 167; Fürst/Mühl/Arndt, § 43 DRiG, S. 447, Rn. 8; Kissel GVG, § 193, Rn. 6. Bei den unteren Kollegialgerichten werden geheime Separatvoten gewohnheitsrechtlich für zulässig gehalten, da sie bei entsprechender Aufbewahrung in den Hand- oder Personalakten des Richters weder dem Beratungsgeheimnis noch sonstigen gesetzlichen Vorschriften widersprechen; vgl. Wickern, in: Löwe-Rosenberg, § 193 GVG, Rn. 47; Thomas, S. 146. Vgl. auch Heyde, Minderheitsvotum, S. 93 f. m. w. N.; Kohlhaas, NJW 1953, S. 404; Vollkommer, JR 1968, S. 242; Berger, NJW 1968, S. 962; Friesenhahn, DJT II, S. R 41. Von der Möglichkeit eines internen Separatvotums wird indes nur wenig Gebrauch gemacht, vgl. Vollkommer, JR 1968, S. 242; Sendler, VBlBW 1994, S. 44. Caesar führt dies darauf zurück, dass die Möglichkeit eines geheimen Separatvotums in der Richterschaft weitgehend unbekannt sei, vgl. Caesar im ZRP-Rechtsgespräch mit Gerhardt, ZRP 1994, S. 402.

G. Ergebnisse und Thesen Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen: I.

Von der Möglichkeit des Sondervotums ist in der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte in Berlin und den es zulassenden neuen Ländern bislang nur sehr selten Gebrauch gemacht worden. Keineswegs waren es nur die grundsätzlichen, vieldiskutierten Entscheidungen, zu denen Sondervoten ergangen sind. Häufig betrafen die abweichenden Meinungen auch eher singuläre Streitfragen. Überwiegend wurden die Sondervoten von mehreren Verfassungsrichtern gemeinsam getragen, einige stammen auch von Laienrichtern.

II. Ob und inwieweit sich das Institut des Sondervotums auf den verfassungsgerichtlichen Beratungsprozess auswirkt, lässt sich schwerlich ermitteln. Die Ankündigung eines Richters, die Abgabe einer abweichenden Meinung zu erwägen, kann eine konsensfördernde Wirkung ausüben. Sie kann der Mehrheit deutlich machen, wie ernst es dem abweichenden Richter mit seinen Bedenken ist und sie zu einer ergänzenden, intensiveren Beratung veranlassen, um ihren Rechtsstandpunkt noch einmal zu überdenken; unter Umständen kann auf diese Weise noch eine Einigung erzielt werden. Denkbar ist jedoch auch, dass sich Richter wegen der Möglichkeit zum Sondervotum frühzeitig aus der Beratung zurückziehen. Dies kann zum einen dann der Fall sein, wenn es zu Frontenbildungen im Gericht kommt und es Mehrheit wie Minderheit an jeder weiteren Diskussionsbereitschaft fehlt; zum anderen aber auch dann, wenn ein Richter mit Blick auf eine öffentliche Stellungnahme im Sondervotum nicht mehr daran interessiert ist, einen für alle tragbaren Kompromiss zu finden. Dieser Gefahr trägt das Gesetz allerdings damit Rechnung, dass in das Sondervotum nur diejenigen Erwägungen einfließen dürfen, die auch Gegenstand der Beratung waren. Ein zusätzliches Korrektiv bildet die in den Geschäftsordnungen der Landesverfassungsgerichte geregelte Pflicht des abweichenden Richters, die Absicht eines Sondervotums frühzeitig mitzuteilen. Letztlich hängt hier vieles von der Beratungssituation und dem Klima im Spruchkörper ab. III. Die Kultur in einem Verfassungsgericht ist auch von wesentlicher Bedeutung dafür, wie sich die Abgabe eines Sondervotums auf das kollegiale Verhältnis unter den Richtern auswirkt. Die oftmals in das Politische hineinreichenden Verfahrensgegenstände, aber auch die unter-

G. Ergebnisse und Thesen

231

schiedliche Zusammensetzung der Richterbank in einem Landesverfassungsgericht können in der Beratung zu Konflikten führen. Im Einzelfall kann dem Sondervotum dabei die Funktion eines „Ventils“ zukommen, welches etwaige Spannungen im Kollegium wieder entschärft. Hält die Minderheit bestimmte Argumente bei der Entscheidungsfindung für nicht hinreichend berücksichtigt, kann sie diese im Sondervotum publizieren. Keinesfalls sollte sich die Ankündigung des Sondervotums aber als „Drohkulisse“ auswirken, die eine weitere Diskussion erschwert. Bei verständiger und sachgerechter Handhabung dürfte ein Sondervotum die Kollegialität im Gericht nicht beeinträchtigen. IV. Eine wesentliche zeitliche Verzögerung der Verfahren vor den Landesverfassungsgerichten durch Sondervoten ist nicht zu beobachten. Zwar bindet die Abfassung eines Sondervotums zwangsläufig richterliche Arbeitskraft. Dass sich die Verkündung bzw. Zustellung der Entscheidung jedoch ungebührlich hinausschiebt, vermeidet die zwei- bis dreiwöchige Frist für die Vorlage des Sondervotums. Verstreicht sie, entfällt das Recht zum Sondervotum. Einem übermäßigen Gebrauch des Sondervotums dürfte auch der starke Geschäftsanfall bei den Landesverfassungsgerichten entgegenwirken. In Eilfällen kommt der Rechtzeitigkeit der Entscheidung Vorrang vor dem Sondervotum zu. Das Gericht sollte dann darauf hinweisen, dass noch eine abweichende Meinung veröffentlicht wird. V. Die Verankerung der richterlichen Unabhängigkeit in den Landesverfassungen kann lediglich die Voraussetzungen, nicht aber die Garantie für eine autonome Rechtsanwendung durch die Richter schaffen. Es ist Sache der Gerichtsmitglieder selbst, sich ihre innere Unabhängigkeit zu bewahren. Der Erfüllung dieser Aufgabe kann die Möglichkeit zum Sondervotum hinderlich sein. In manchen Situationen mag sie für den Verfassungsrichter eine gewisse Versuchung ausüben, sich in einer von der Mehrheitsentscheidung abweichenden Meinung gegenüber der Öffentlichkeit oder den ihn unterstützenden Kreisen in einem bestimmten Sinn zu äußern. Dies mag etwa dann der Fall sein, wenn er sich einer – in Sachsen-Anhalt und Thüringen zulässigen – Wiederwahl stellen will oder im Hinblick auf seine hauptberufliche Tätigkeit eine von dem Gusto oder der Mitwirkung der politischen Parteien abhängige Position anstrebt. Erweckt aber ein Sondervotum den Eindruck, dass es allein aus parteipolitischen Rücksichten abgegeben worden ist, nährt dies den für die Institution des Verfassungsgerichts schädlichen Verdacht der Parteilichkeit. Um diesem Vorwurf keine Angriffsfläche zu bieten, empfiehlt es sich, jede Möglichkeit einer Wiederbestellung gesetzlich auszuschließen. Zugleich sollte die Amtsdauer der Verfassungsrichter

232

G. Ergebnisse und Thesen

auf mindestens sieben oder acht Jahre festgesetzt sein. Die auf einen längeren Zeitraum angelegte Tätigkeit im Landesverfassungsgericht fördert das Bewusstsein einer kollegialen Zusammengehörigkeit, welches eine objektivierende, heilsame Wirkung auf die Diskussion im Gericht und auch auf die Erwägungen des abweichenden Richters haben kann. Der in Thüringen und Sachsen-Anhalt praktizierte Modus einer kurzen Amtszeit bei gleichzeitiger Wiederwahlmöglichkeit mag zwar für die grundsätzlich wünschenswerte Kontinuität der Verfassungsrechtsprechung von Vorteil sein, erscheint aber im Zusammenhang mit dem Sondervotum ungünstig. Die Gesetzgeber in Sachsen-Anhalt und in Thüringen bleiben aufgerufen, sich entweder für die Wiederwahl der Gerichtsmitglieder oder für die Zulassung des Sondervotums zu entscheiden. Gänzlich ausschließen lässt es sich freilich auch durch das Verbot der Wiederwahl und eine lange Amtszeit nicht, dass Verfassungsrichter sich durch das Sondervotum einem politischen Erwartungsdruck ausgesetzt sehen oder es als Plattform zur persönlichen Profilierung nutzen. Angesichts der sehr geringen Resonanz, welche die veröffentlichten Sondervoten bislang gefunden haben, sollte ein etwaiger Missbrauch dieses Instruments in Kauf genommen werden. Das Interesse der Medien lag regelmäßig allein bei der von der Mehrheit getragenen Entscheidung, auch die juristische Fachöffentlichkeit hat sich den Sondervoten nur mit Zurückhaltung angenommen. Insoweit bleibt nur der Appell an die Gerichtsmitglieder, sich der Funktion und Verantwortung ihres Amtes bewusst zu sein und ihrem Rollenwechsel durch die nötige Distanz von ihren eigenen politischen Zielsetzungen und Idealen Rechnung zu tragen. Dass auch die abweichende Meinung den juristischen Argumentationsstandards zu genügen hat, sollte selbstverständlich sein. VI. Die Veröffentlichung von Sondervoten hat Ansehen und Autorität der Landesverfassungsgerichte bisher nicht merklich beeinträchtigt. Für den unterlegenen Verfahrensbeteiligten kann ein Sondervotum, das seine Rechtsansicht teilt, eine befriedende, versöhnende Wirkung entfalten; es kann aber ebenso, da es das Bild eines zerstrittenen Spruchkörpers vermittelt, Unverständnis und einen die Ablehnung der Mehrheitsentscheidung noch verstärkenden Effekt auslösen. Misslich für die allgemeine Akzeptanz der verfassungsgerichtlichen Entscheidung ist es, wenn Richter das Sondervotum zu unangemessener Urteilsschelte nutzen. Ein in Stil und Diktion polemisches Sondervotum, das der Mehrheit Verfehlungen und Versäumnisse vorwirft, mag in der Öffentlichkeit Zweifel wecken, ob die der Entscheidung zugrundeliegende Rechtssache eine gründliche Prüfung erfahren hat. In den Medien sind die Argumente des Sondervotums teilweise auch aufgenommen worden, um Kritik an der Entscheidung zu äußern. Schädlich für das Ansehen des Verfassungs-

G. Ergebnisse und Thesen

233

gerichts ist es auch, wenn die Medien ein Sondervotum zum Anlass nehmen, das Entscheidungsverhalten des Dissenters auf seine tatsächliche oder mutmaßliche Zugehörigkeit zu einer politischen Partei zurückzuführen. Zu einem ernsthaften Autoritätsverlust des Gerichts dürften diese Gefahren indes erst bei einer Häufung von Sondervoten führen. Sie ist bisher nicht eingetreten und erscheint im Hinblick auf die starke Arbeitslast der Verfassungsgerichte auch unwahrscheinlich. Das Sondervotum relativiert zwar den Richtigkeitsanspruch der mehrheitlichen Entscheidung, ändert aber nichts an ihrer Verbindlichkeit. In Berlin hat es jedoch einen Fall gegeben, bei dem nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Erwägungen eines Sondervotums den Gesetzgeber dazu veranlasst haben, eine von der gerichtlichen Entscheidung abweichende Regelung zu treffen. Dem Dissenter sollte das Recht zur öffentlichen Bekanntgabe seines Sondervotums bei der Entscheidungsverkündung nicht gestattet sein. Mit Rücksicht auf die Überzeugungskraft des gerichtlichen Spruchs sollte der Vorsitzende den wesentlichen Inhalt des Sondervotums selbst mitteilen. Der verantwortungsvolle Einsatz des Sondervotums ist der Autorität des Gerichts und dem Vertrauen in seine Entscheidungen nicht abträglich. VII. Sondervoten können einen Beitrag für die verfassungsrechtliche Diskussion und die Fortentwicklung des Rechts leisten. Dies ist ihre eigentliche Funktion. In den abweichenden Meinungen sind rechtliche Gedanken festgehalten, auf die das Gericht in späteren Verfahren zurückgreifen kann. Sie können dem Verfassungsgericht eine Anregung geben, eine bestimmte Verfassungsinterpretation zu überdenken; sie können einen Wandel in der Rechtsprechung zumindest erleichtern. Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat seine Rechtsprechung bereits einmal im Sinne eines früheren Sondervotums geändert. Gerade für die Landesverfassungsgerichtsbarkeit erscheint das Rechtsinstitut der abweichenden Meinung sinnvoll. Anders als für den Bereich des Grundgesetzes gibt es für die Landesverfassungen nur vereinzelt Kommentierungen oder wissenschaftliche Erörterungen. Sondervoten können die landesverfassungsrechtliche Diskussion befruchten; sie bieten darüber hinaus auch einen innergerichtlichen Kontrollmechanismus. Von selbst versteht es sich, dass diese rechtsfortbildende Wirkung nicht jedem Sondervotum zukommt. VIII. Dem Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern sollte gesetzlich die Möglichkeit eingeräumt werden, in seinen Entscheidungen das Abstimmungsergebnis mitzuteilen. Das Gericht sollte selbst darüber entscheiden können, ob es bei dem Vorliegen von Sondervoten auch das Stimmenverhältnis bei der Abstimmung bekannt gibt.

234

G. Ergebnisse und Thesen

IX. Solange in Sachsen die Möglichkeit der Wiederbestellung der Verfassungsrichter besteht, empfiehlt sich die Einführung des Sondervotums dort nicht. X. Für die Ausweitung des Sondervotums auf die Kollegialgerichte der übrigen Gerichtsbarkeiten besteht kein Bedürfnis. Das Institut der abweichenden Meinung steht im Zusammenhang mit der Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit und den Besonderheiten ihrer Rechtserkenntnis. Die das Sondervotum im Verfassungsprozess rechtfertigenden Erwägungen lassen sich auf die sonstigen Kollegialgerichte nicht übertragen.

Anhang: Statistik A. Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte mit Sondervoten I. Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Verfahrensgegenstand

Name des abweichenden Richters

Art des Sondervotums

1.*

Urteil v. 19.10.1992

24/92

Wahl der Mitglieder der Bezirksämter; Verfassungsbeschwerde und Grundrechtsfähigkeit einer Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung; Recht auf Chancengleichheit

a) Kunig

D

b) Dittrich

D

2.

Urteil v. 19.10.1992

36/92

Kein Recht der Bezirke auf Selbstverwaltung

Citron-Piorkowski

C

3.

Beschluss v. 18.03.1993

54/92

Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters durch die Bezirksverordnetenversammlung; Nominierungsrecht; Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde vor Erschöpfung des Rechtsweges

Driehaus

D

4.*

Beschluss v. 15.06.1993

18/92

Rechtsstaatliches Gerichtsverfahren; Anspruch auf rechtliches Gehör; Verweigerung der Akteneinsicht; Erschöpfung des Rechtsweges als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

a) Dittrich/Kunig

M

b) Driehaus

A

c) Körting

C

Recht auf Chancengleichheit der politischen Parteien; Wahlkampfkostenerstattung

Dittrich/Kunig

D

5.

Urteil v. 17.06.1993

21/92

(Fortsetzung nächste Seite) * D C A M

= = = = =

Mehrere Sondervoten zu einer Entscheidung. dissenting opinion. concurring opinion. Anschlussvotum ohne selbständige Begründung. Mischform.

236

Anhang: Statistik

(Fortsetzung: A. Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte mit Sondervoten – I. Berlin) Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Verfahrensgegenstand

Name des abweichenden Richters

Art des Sondervotums

6.*

Beschluss v. 12.07.1994

94/93

Grundrecht der Freizügigkeit als Prüfungsmaßstab in ausländerrechtlichen Streitigkeiten; Inzidentkontrolle bundesrechtlicher Bestimmungen am Maßstab des Bundesverfassungsrechts; Ausweisung; Anordnung der sofortigen Vollziehung

a) Körting

C

b) Finkelnburg

C

7.

Beschluss v. 06.12.1994

65/93

Schließung der Staatlichen Schauspielbühnen; Parlamentsvorbehalt; Richtlinien der Regierungspolitik; Budgetrecht

Citron-Piorkowski/ Eschen

D

8.

Urteil v. 31.05.1995

55/93

Schutzbereich von Art. 11 Verf Bln – Freiheit der Berufswahl – umfasst nicht die Freiheit der Berufsausübung des Art. 12 Abs. 1 GG

Arendt-Rojahn/ Citron-Piorkowski/ Eschen

D

9.*

Beschluss v. 16.08.1995

27/94

Generalpräventiv motivierte Ausweisung; Einstellung des Strafverfahrens wegen Geringfügigkeit; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

a) Driehaus

D

b) Kunig

D

c) Finkelnburg

D

10.

Beschluss v. 16.11.1995

48/94

Ordnungswidrigkeitsverfahren; Wiedereinsetzung; Anspruch auf rechtliches Gehör

Dittrich/Driehaus/ Kunig/Töpfer

D

11.

Beschluss v. 02.02.1996

91, 91A/95

Wahl des Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin; verfassungsrechtlich verbürgte Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Abgeordneten und Fraktionen; Recht auf Kandidatur; verfassungsrechtliche Grenze für die Einschränkbarkeit dieser Rechte

Dittrich/Körting

D

12.

Beschluss v. 25.04.1996

21/95

Anforderungen an die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde; Maßnahme der „Berliner öffentlichen Gewalt“; Verletzung eines „Berliner Rechts“; Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs unter Hinweis auf Art. 103 Abs. 1 GG

Arendt-Rojahn/ Citron-Piorkowski/ Dittrich/Eschen

D

Anhang: Statistik

237

Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Verfahrensgegenstand

Name des abweichenden Richters

Art des Sondervotums

13.*

Beschluss v. 17.06.1996

4/96

Anforderungen an die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde bei der Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs; Berücksichtigung nicht ordnungsgemäß eingeführter Erkenntnisquellen durch das OVG in Ausländersache

a) Driehaus/ Töpfer

D

b) Kunig

D

14.

Beschluss v. 26.09.1996

46/93

Erhebung von Kammerbeiträgen durch die Ärztekammer Berlin; Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Arendt-Rojahn/ Citron-Piorkowski/ Eschen

C

15.

Beschluss v. 12.12.1996

38/96

Überprüfung einer mietrechtlichen Entscheidung am Maßstab des Willkürverbots und der Grundrechte auf Gehör und den gesetzlichen Richter

Arendt-Rojahn/ Citron-Piorkowski/ Dittrich/Eschen

D

16.

Beschluss v. 14.01.1997

21/94

Verstoß einer Gerichtsentscheidung gegen das Willkürverbot

Arendt-Rojahn/ Citron-Piorkowski/ Eschen

D

17.*

Urteil v. 17.03.1997

90/95 87/95

Überprüfung der 5 v. H. – Sperrklausel bei den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen; verfassungsrechtliche Stellung der Bezirke und Bezirksverordnetenversammlungen

a) Finkelnburg/ Driehaus/Töpfer

D

b) Dittrich

D

18.

Beschluss v. 20.08.1997

9/97

Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren; Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts; Rechtsschutzgarantie

Storost/ Arendt-Rojahn/ Möcke

D

19.

Beschluss v. 17.12.1997

2/96

Überprüfung einer arbeitsgerichtlichen Entscheidung; Eignung eines Beamtenbewerbers; Fragerecht der Einstellungsbehörde nach früherer Zusammenarbeit mit dem MfS; Verhältnismäßigkeit; informationelle Selbstbestimmung

Arendt-Rojahn

D

20.*

Beschluss v. 06.10.1998

26, 26A/98

Zur Frage des gesetzlichen Richters nach Erlass einer Zwischenverfügung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren

a) Driehaus/Töpfer

D

b) Kunig/ Randelzhofer

D

(Fortsetzung nächste Seite)

238

Anhang: Statistik

(Fortsetzung: A. Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte mit Sondervoten – I. Berlin) Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Verfahrensgegenstand

Name des abweichenden Richters

Art des Sondervotums

21.

Beschluss v. 21.02.2000

18/99

Abwägung des Grundrechts der Informationsfreiheit ausländischer Mieter mit den Eigentumsinteressen des Vermieters

Storost/ Arendt-Rojahn

D

22.

Beschluss v. 28.06.2001

100/00

Schutzbereich des Art. 17 Verf Bln (Änderung der bisherigen Rechtsprechung); Berufsausübungsfreiheit; Durchsuchung/ Beschlagnahme von Patientenakten; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Groth

D

23.

Beschluss v. 13.06.2003

161/00

Straßenreinigungsentgelt der Stadtreinigungsbetriebe; Einteilung in Reinigungsklassen; allgemeiner Gleichheitssatz

Storost/Bellinger/ Zünkler

D

II. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Verfahrensgegenstand

Name des abweichenden Richters

Art des Sondervotums

1.

Urteil v. 14.07.1994

4/93

Formelle und materielle Anforderungen an die gesetzliche Kreisneugliederung

Schöneburg

D

2.

Urteil v. 14.07.1994

8/94

Anspruch auf Freistellung zur Weiterbildung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts; Grundrechtscharakter des Rechts auf Weiterbildung

Schöneburg

D

3.*

Urteil v. 25.01.1996

12/95 13/95

Inkompatibilität von Amt und Mandat auf Kreistagsebene und Landesverfassung

a) von Arnim

D

b) Harms-Ziegler

A

4.

Urteil v. 21.03.1996

18/95

Fusion der Länder Brandenburg und Berlin

Schöneburg

D

5.*

Urteil v. 18.06.1998

27/97

Inanspruchnahme eines Gemeindegebietes zum Zwecke des Braunkohleabbaus; Sorbenschutzartikel – Horno

a) Schöneburg

D

b) Will

D

Anhang: Statistik

239

Datum der Entscheidung

Az.

Verfahrensgegenstand

Name des abweichenden Richters

Art des Sondervotums

6.

Urteil v. 30.06.1999

3/98

Vereinbarkeit des sog. Großen Lauschangriffs und des Einsatzes von V-Leuten mit der Landesverfassung

Will

D

7.

Urteil v. 16.03.2000

2/00

Anforderungen an die gerichtliche Verfahrensweise im Räumungsprozess wegen Eigenbedarfs

Harms-Ziegler/ Havemann

D

8.

Urteil v. 20.09.2001

57/00

Voraussetzungen des Ausschlusses von Volksinitiativen „zum Landeshaushalt“ gem. Art. 76 Abs. 2 Verf Bbg; gewichtige staatliche Ausgaben; wesentliche Beeinträchtigung des parlamentarischen Budgetrechts

Jegutidse/Havemann

D

9.

Beschluss v. 20.12.2001

28/01

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Falle einer verwaltungsgerichtlichen Kostenentscheidung ohne vorherige Gelegenheit zur Stellungnahme für den notwendig Beigeladenen

Knippel

D

10.

Urteil v. 20.03.2003

54/01

Rechtsanspruch auf Kindertagesstättenplatz; Übertragung der Trägerschaft für Kindertagesstätten

Knippel/ Harms-Ziegler

C

11.

Urteil v. 19.06.2003

98/02

Absetzen eines Fraktionsantrages von der Tagesordnung einer Landtagssitzung

Havemann/ Jegutidse/Will

D

12.

Urteil v. 09.12.2004

6/04

Aktenvorlage/-einsicht; Zurückweisung eines Antrags

Harms-Ziegler/ Schröder/Dawin/ Dombert

M

Nr.:

III. Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Verfahrensgegenstand

Name des abweichenden Richters

Art des Sondervotums

1.

Zwischenurteil v. 06.05.1999

2/98

Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Landesgesetz; unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit

Häfner

D

240

Anhang: Statistik IV. Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt

Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Verfahrensgegenstand

Name des abweichenden Richters

1.

Urteil v. 15.01.2002

9/01 12/01 13/01

Fasshauer Einführung der Grundschule mit festen Öffnungszeiten; Spannungsfeld zwischen den Erziehungsrechten der Eltern und des Staates

Art des Sondervotums D

V. Thüringer Verfassungsgerichtshof Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Verfahrensgegenstand

Name des abweichenden Richters

Art des Sondervotums

1.*

Beschluss v. 12.01.1996

2/95, 4–9/95 12/95

Ausschluss eines Verfassungsrichters von der Ausübung des Richteramts wegen Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren

a) Bauer

D

b) Rommelfanger

D

2.

Urteil v. 12.06.1997

13/95

Wahl eines Abgeordneten zum Landtag; wahlrechtlicher Wohnsitzbegriff

Becker/Morneweg

D

3.*

Urteil v. 19.06.1998

10/96

MDR-Staatsvertrag; Rundfunkfreiheit

a) Hemsteg-v. Fintel

D

b) Meyn

D

a) Bauer

C

b) Rommelfanger/ Lothholz

C

4.*

Urteil v. 25.05.2000

2/99

§ 8 ThürAbgÜpG – Mandatsverlust wegen Zusammenarbeit mit dem MfS

Anhang: Statistik

241

B. Fundstellen der Sondervoten I. Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

LVerfGE

Zeitschriftenfundstelle

1.

19.10.1992

24/92

1, 9 (25, 30)

Berliner Anwaltsblatt 1993, 44 L JR 1993, 338 (343, 344) Jus 1994, 348 Z NVwZ 1993, 1093 (1096, 1097)

2.

19.10.1992

36/92

1, 33 (38)



3.

18.03.1993

54/92

1, 74 (78)



4.

15.06.1993

18/92

1, 81 (90, 96, 97)

Berliner Anwaltsblatt 1994, 346 L JR 1993, 519 (522, 525, 525) NJW 1994, 441 L*

5.

17.06.1993

21/92

1, 105 (121)

Berliner Anwaltsblatt 1994, 278 L JR 1993, 432 (437)

6.

12.07.1994

94/93

2, 19 (33, 41)

Berliner Anwaltsblatt 1994, 432 L DVBl. 1994, 1189 (1190)*** JR 1995, 280 (284, 287) JuS 1995, 453 Z NJ 1995, 29 (32)** NVwZ 1995, 784* ZAR 1994, 186 L

7.

06.12.1994

65/93

1, 131 (141) 2, 80 L

DVBl. 1995, 428* JR 1996, 103 (106) JuS 1995, 644 Z NJW 1995, 858** NVwZ 1995, 472 L**

8.

31.05.1995

55/93



JR 1996, 146 (148)

9.

16.08.1995

27/94

3, 50 (58, 60, 61)

NVwZ-RR 1996, 420 L ZAR 1996, 39 L

10.

16.11.1995

48/94

3, 113 (119)



(Fortsetzung nächste Seite)

L = nur Leitsatz. Z = Zusammenfassung der Entscheidungsgründe und Kommentierung. * Mit Hinweis auf das Sondervotum in der Anmerkung der Schriftleitung. ** Sondervotum verkürzt. *** Entscheidungsgründe und Sondervotum verkürzt oder Zusammenfassung. **** Entscheidung vollständig oder verkürzt abgedruckt, kein Hinweis auf das Sondervotum.

242

Anhang: Statistik

(Fortsetzung: B. Fundstellen der Sondervoten – I. Berlin) Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

LVerfGE

Zeitschriftenfundstelle

11.

02.02.1996

91, 91 A/95

4, 3 (8)

DÖV 1996, 660 L JR 1996, 496 (498) LKV 1996, 245 (246)** NVwZ 1996, 783 L

12.

25.04.1996

21/95

4, 46 (51)

NJW 1996, 1738 (1739) NVwZ 1996, 783 L

13.

17.06.1996

4/96

4, 65 (72, 74)

JR 1997, 189 (190, 191) LKV 1997, 93 (93, 94)

14.

26.09.1996

46/93

5, 14 (22)

JR 1998, 57 (59)

15.

12.12.1996

38/96

5, 58 (63)

NJ 1997, 365 (366)

16.

14.01.1997

21/94



JR 1998, 99 (100)

17.

17.03.1997

87/95 90/95

6, 32 (47, 50)

JR 1998, 140 (144, 145) LKV 1998, 142 (145, 146) DVBl. 1997, 786 L

18.

20.08.1997

9/97

7, 11 (17)



19.

17.12.1997

2/96

7, 26 (38)

JR 1999, 317 (320) NJ 1998, 196 (197)***

20.

06.10.1998

26, 26 A/98

9, 59 (65, 69)

NVwZ 1999, 1332 (1333)1 NVwZ 2000, 187 L2

21.

21.02.2000

18/99



JR 2001, 452 (454)

22.

28.06.2001

100/00

12, 15 (32)

DVBl. 2001, 1376 L NVwZ-RR 2002, 401*

23.

13.06.2003

161/00





1

Nur das Sondervotum der Verfassungsrichter Driehaus und Töpfer. Nachgereichter Abdruck des dem Beschluss vom 06.10.1998 beigefügten Sondervotums der Verfassungsrichter Kunig und Randelzhofer, welches in NVwZ 1999, 1332 ff. versehentlich nicht mit abgedruckt wurde. 2

Anhang: Statistik

243

II. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

LVerfGE

Zeitschriftenfundstelle

1.

14.07.1994

4/93

2, 125 (142)

LKV 1995, 37 (39)*

2.

14.07.1994

8/94

2, 117 (124)



3.

25.01.1996

12/95, 13/95

4, 85 (99)

DÖV 1996, 372 (374)** DVBl. 1996, 363 (367) JuS 1996, 934 Z NJ 1996, 252 (255)*** NVwZ 1996, 590 (592)

4.

21.03.1996

18/95

4, 114 (147)

LKV 1996, 203 (207) NVwZ 1996, 784 L

5.

18.06.1998

27/97

8, 97 (175, 194)

DVBl. 1999, 34* EuGRZ 1998, 698**** LKV 1998, 395* NJ 1998, 588*** NVwZ 1998, 1175 L*

6.

30.06.1999

3/98

10, 157 (209)

DÖV 2000, 257 L DVBl. 1999, 1378 L LKV 1999, 450* NJ 1999, 534 L NJW 1999, 3703 L NVwZ 1999, 1332 L

7.

16.03.2000

2/00

11, 129 L u. Suppl. Bbg zu Bd. 11, 88



8.

20.09.2001

57/00

12, 119 (149) u. Suppl. Bbg zu Bd. 12, 64

BayVBl. 2002, 305 L DVBl. 2001, 1777 L JuS 2002, 395 Z LKV 2002, 77* NJ 2002, 86 L NVwZ 2002, 598 L*

9.

20.12.2001

28/01

12, 163 L u. Suppl. Bbg zu Bd. 12, 146



10.

20.03.2003

54/01



DVBl. 2003, 938* LKV 2003, 372** NJ 2003, 305 L

(Fortsetzung nächste Seite)

244

Anhang: Statistik

(Fortsetzung: B. Fundstellen der Sondervoten – II. Brandenburg) Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

LVerfGE

Zeitschriftenfundstelle

11.

19.06.2003

98/02



NJ 2003, 642*** NVwZ-RR 2003, 798*

12.

09.12.2004

6/04



DÖV 2005, 473* DVBl. 2005, 460 L NVwZ-RR 2005, 299** NJ 2005, 170 L

III. Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

LVerfGE

Zeitschriftenfundstelle

1.

06.05.1999

2/98

10, 336 L

DÖV 1999, 643* DVBl. 1999, 940 L DVP 2000, 220 L NJ 1999, 474*** NordÖR 1999, 501* NVwZ-RR 1999, 617* SächsVBl. 1999, 248 (250)

IV. Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

LVerfGE

Zeitschriftenfundstelle

1.

15.01.2002

9, 12, 13/01



LKV 2003, 131 (137)

V. Thüringer Verfassungsgerichtshof Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

LVerfGE

Zeitschriftenfundstelle

1.

12.01.1996

2/95, 4–9/95, 12/95

4, 413 (418, 423)

LKV 1996, 411* NVwZ 1997, 55 L ThürVBl. 1996, 131 (133, 134)

2.

12.06.1997

13/95

6, 387 (405)

DÖV 1997, 1001**** JuS 1999, 185 Z NJW 1998, 525 (529) NVwZ 1998, 388 L ThürVBl. 1997, 204 (209)

Anhang: Statistik

245

Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

LVerfGE

Zeitschriftenfundstelle

3.

19.06.1998

10/96

8, 337****

DÖV 1998, 891 L LKV 1999, 21* NJ 1998, 531* ThürVBl. 1998, 232 (237, 238)

4.

25.05.2000

2/99

11, 481****

DVBl. 2000, 1295 L JuS 2001, 77 Z LKV 2000, 441 (445, 448) NJ 2000, 536 (537)*** NJW 2001, 2393 L NVwZ 2001, 69 L ThürVBl. 2000, 180*

C. Sondervoten nach Richtern geordnet I. Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin 1. Arendt-Rojahn: 8 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 31.05.1995

55/93

D

zusammen mit Citron-Piorkowski und Eschen

2.

Beschluss v. 25.04.1996

21/95

D

zus. mit Citron-Piorkowski, Dittrich und Eschen

3.

Beschluss v. 26.09.1996

46/93

C

zus. mit Citron-Piorkowski und Eschen

4.

Beschluss v. 12.12.1996

38/96

D

zus. mit Citron-Piorkowski, Dittrich und Eschen

5.

Beschluss v. 14.01.1997

21/94

D

zus. mit Citron-Piorkowski und Eschen

6.

Beschluss v. 20.08.1997

9/97

D

zus. mit Möcke und Storost

7.

Beschluss v. 17.12.1997

2/96

D



8.

Beschluss v. 21.02.2000

18/99

D

zus. mit Storost

246

Anhang: Statistik

2. Bellinger : 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Beschluss v. 13.06.2003

161/00

D

zus. mit Storost und Zünkler

3. Citron-Piorkowski: 7 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 19.10.1992

36/92

C



2.

Beschluss v. 06.12.1994

65/93

D

zus. mit Eschen

3.

Urteil v. 31.05.1995

55/93

D

zus. mit Arendt-Rojahn und Eschen

4.

Beschluss v. 25.04.1996

21/95

D

zus. mit Arendt-Rojahn, Dittrich und Eschen

5.

Beschluss v. 26.09.1996

46/93

C

zus. mit Arendt-Rojahn und Eschen

6.

Beschluss v. 12.12.1996

38/96

D

zus. mit Arendt-Rojahn, Dittrich und Eschen

7.

Beschluss v. 14.01.1997

21/94

D

zus. mit Arendt-Rojahn und Eschen

4. Dillinger: Keine Sondervoten 5. Dittrich: 8 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 19.10.1992

24/92

D



2.

Beschluss v. 15.06.1993

18/92

M

zus. mit Kunig

Anhang: Statistik Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

3.

Urteil v. 17.06.1993

21/92

D

zus. mit Kunig

4.

Beschluss v. 16.11.1995

48/94

D

zus. mit Driehaus, Kunig und Töpfer

5.

Beschluss v. 02.02.1996

91, 91A/95

D

zus. mit Körting

6.

Beschluss v. 25.04.1996

21/95

D

zus. mit Arendt-Rojahn, Citron-Piorkowski und Eschen

7.

Beschluss v. 12.12.1996

38/96

D

zus. mit Arendt-Rojahn, Citron-Piorkowski und Eschen

8.

Urteil v. 17.03.1997

90/95; 87/95

D



6. Diwell: Keine Sondervoten 7. Driehaus: 7 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Beschluss v. 18.03.1993

54/92

D



2.

Urteil v. 15.06.1993

18/92

A



3.

Beschluss v. 16.08.1995

27/94

D



4.

Beschluss 16.11.1995

48/94

D

zus. mit Dittrich, Kunig und Töpfer

5.

Beschluss 17.06.1996

4/96

D

zus. mit Töpfer

6.

Urteil 17.03.1997

90/95; 87/95

D

zus. mit Finkelnburg und Töpfer

7.

Beschluss v. 06.10.1998

26, 26A/98

D

zus. mit Töpfer

247

248

Anhang: Statistik

8. Eschen: 6 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Beschluss v. 06.12.1994

65/93

D

zus. mit Citron-Piorkowski

2.

Urteil v. 31.05.1995

55/93

D

zus. mit Arendt-Rojahn und Citron-Piorkowski

3.

Beschluss v. 25.04.1996

21/95

D

zus. mit Arendt-Rojahn, Citron-Piorkowski und Dittrich

4.

Beschluss v. 26.09.1996

46/93

C

zus. mit Arendt-Rojahn und Citron-Piorkowski

5.

Beschluss v. 12.12.1996

38/96

D

zus. mit Arendt-Rojahn, Citron-Piorkowski und Dittrich

6.

Beschluss v. 14.01.1997

21/94

D

zus. mit Arendt-Rojahn und Citron-Piorkowski

9. Finkelnburg: 3 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Beschluss v. 12.07.1994

94/93

C



2.

Beschluss v. 16.08.1995

27/94

D



3.

Urteil v. 17.03.1997

90/95; 87/95

D

zus. mit Driehaus und Töpfer

10. Groth: 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Beschluss v. 28.06.2001

100/00

D



11. Hoene: Keine Sondervoten

Anhang: Statistik 12. Knuth: Keine Sondervoten 13. Körting: 3 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 15.06.1993

18/92

M



2.

Beschluss v. 12.07.1994

94/93

C



3.

Beschluss v. 02.02.1996

91, 91A/95

D

zus. mit Dittrich

14. Kunig: 7 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 19.10.1992

24/92

D



2.

Beschluss v. 15.06.1993

18/92

D

zus. mit Dittrich

3.

Beschluss v. 17.06.1996

4/96

D



4.

Urteil v. 17.06.1993

21/92

D

zus. mit Dittrich

5.

Beschluss v. 16.08.1995

27/94

D



6.

Beschluss v. 16.11.1995

48/94

D

zus. mit Dittrich, Driehaus und Töpfer

7.

Beschluss v. 06.10.1998

26, 26A/98

D

zus. mit Randelzhofer

15. Libera: Keine Sondervoten 16. Mahlo: Keine Sondervoten

249

250

Anhang: Statistik

17. Möcke: 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Beschluss v. 20.08.1997

9/97

D

zus. mit Arendt-Rojahn und Storost

18. Randelzhofer: 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Beschluss v. 06.10.1998

26, 26A/98

D

zus. mit Kunig

19. Sodan: Keine Sondervoten 20. Storost: 3 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Beschluss v. 20.08.1997

9/97

D

zus. mit Arendt-Rojahn und Möcke

2.

Beschluss v. 21.02.2000

18/99

D

zus. mit Arendt-Rojahn

3.

Beschluss v. 13.06.2003

161/00

D

zus. mit Bellinger und Zünkler

21. Stresemann: Keine Sondervoten 22. Töpfer: 4 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Beschluss v. 16.11.1995

48/94

D

zus. mit Dittrich, Driehaus und Kunig

2.

Beschluss v. 17.06.1996

4/96

D

zus. mit Driehaus

Anhang: Statistik Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

3.

Urteil v. 17.03.1997

90/95; 87/95

D

zus. mit Finkelnburg und Driehaus

4.

Beschluss v. 06.10.1998

26, 26A/98

D

zus. mit Driehaus

23. Zünkler: 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Beschluss v. 13.06.2003

161/00

D

zus. mit Storost und Bellinger

II. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg 1. von Arnim: 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 25.01.1996

12/95, 13/95

D



2. Dawin: 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 09.12.2004

6/04

M

zus. mit Harms-Ziegler, Schröder und Dombert

3. Dombert: 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 09.12.2004

6/04

M

zus. mit Harms-Ziegler, Schröder und Dawin

251

252

Anhang: Statistik

4. Harms-Ziegler: 4 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 25.01.1996

12/95, 13/95

A



2.

Urteil v. 16.03.2000

2/00

D

zus. mit Havemann

3.

Beschluss v. 20.03.2003

54/01

C

zus. mit Knippel

4.

Urteil v. 09.12.2004

6/04

M

zus. mit Schröder, Dawin und Dombert

5. Havemann: 3 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 16.03.2000

2/00

D

zus. mit Harms-Ziegler

2.

Urteil v. 20.09.2001

57/00

D

zus. mit Jegutidse

3.

Urteil v. 19.06.2003

98/02

D

zus. mit Jegutidse und Will

6. Jegutidse: 2 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 20.09.2001

57/00

D

zus. mit Havemann

2.

Urteil v. 19.06.2003

98/02

D

zus. mit Havemann und Will

Anhang: Statistik 7. Knippel: 2 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Beschluss v. 20.12.2001

28/01

D



2.

Beschluss v. 20.03.2003

54/01

C

zus. mit Harms-Ziegler

8. Macke: Keine Sondervoten 9. Mitzner: Keine Sondervoten 10. Schöneburg: 4 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 14.07.1994

4/93

D



2.

Urteil v. 14.07.1994

8/94

D



3.

Urteil v. 21.03.1996

18/95

D



4.

Urteil v. 18.06.1998

27/97

D



11. Schröder: 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 09.12.2004

6/04

M

zus. mit Harms-Ziegler, Dawin und Dombert

253

254

Anhang: Statistik

12. Weisberg-Schwarz: Keine Sondervoten 13. Will: 3 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 18.06.1998

27/97

D



2.

Urteil v. 30.06.1999

3/98

D



3.

Urteil v. 19.06.2003

98/02

D

zus. mit Havemann und Jegutidse

III. Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern 1. Christiansen (Stellvertreter): Keine Sondervoten 2. Essen (Stellvertreter): Keine Sondervoten 3. Häfner: 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Zwischenurteil v. 06.05.1999

2/98

D



4. Hückstädt: Keine Sondervoten 5. Köhn: (Stellvertreter): Keine Sondervoten 6. Lipsky (Stellvertreter): Keine Sondervoten 7. Schiffer: (Stellvertreter): Keine Sondervoten 8. Schneider: Keine Sondervoten 9. Steding: Keine Sondervoten 10. Unger (Stellvertreter): Keine Sondervoten

Anhang: Statistik 11. Wallerath: Keine Sondervoten 12. von der Wense: Keine Sondervoten 13. Wiesner (Stellvertreter): Keine Sondervoten 14. Wolf: Keine Sondervoten

IV. Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt 1. Bergmann: Keine Sondervoten 2. Beuermann (Stellvertreter): Keine Sondervoten 3. Fasshauer: 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 15.01.2002

9/01 12/01 13/01

D



4. Franke (Stellvertreter: Keine Sondervoten 5. Fromhage (Stellvertreter): Keine Sondervoten 6. Gärtner: : Keine Sondervoten 7. Goydke: Keine Sondervoten 8. Guntau: : Keine Sondervoten 9. Kemper: Keine Sondervoten 10. Kilian: Keine Sondervoten 11. Kluth: Keine Sondervoten 12. Köhler: Keine Sondervoten 13. Lück (Stellvertreter): Keine Sondervoten 14. Pietzke (Stellvertreter): Keine Sondervoten

255

256

Anhang: Statistik

15. Pods (Stellvertreter): Keine Sondervoten 16. Pumpat (Stellvertreter): Keine Sondervoten 17. Schröder (Stellvertreter): Keine Sondervoten 18. Schultze: Keine Sondervoten 19. Smid (Stellvertreter): Keine Sondervoten 20. Willms (Stellvertreter): Keine Sondervoten 21. Zettel: Keine Sondervoten 22. Zink (Stellvertreter): Keine Sondervoten

V. Thüringer Verfassungsgerichtshof 1. Bauer: 2 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Beschluss v. 12.01.1996

2/95, 4–9/95, 12/95

D



2.

Urteil v. 15.05.2000

2/99

C



2. Bayer: Keine Sondervoten 3. Becker: 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 12.06.1997

12/95

D

zus. mit Morneweg

4. Denninger (Stellvertreter): Keine Sondervoten 5. Ebeling: Keine Sondervoten

Anhang: Statistik 6. Ebert (Stellvertreter): Keine Sondervoten 7. Gabriel (Stellvertreter): Keine Sondervoten 8. Germann (Stellvertreter): Keine Sondervoten 9. Goetze (Stellvertreter): Keine Sondervoten 10. Graef: Keine Sondervoten 11. Habel (Stellvertreter): Keine Sondervoten 12. Hemsteg-von Fintel (Stellvertreter): 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 19.06.1998

10/96

D



13. Hirte (Stellvertreter): Keine Sondervoten 14. Hübscher: Keine Sondervoten 15. Jentsch: Keine Sondervoten 16. Scherer (bis 1996 Stellvertreter, bis 1999 Verfassungsrichter): Keine Sondervoten 17. Schuler (Stellvertreter): Keine Sondervoten 18. Kretschmer (Stellvertreter): Keine Sondervoten 19. Lingenberg (bis Juli 2000 Stellvertreter, danach Verfassungsrichter): Keine Sondervoten 20. Lothholz (bis Juli 2000 Verfassungsrichter, danach Stellvertreter): 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 25.05.2000

2/99

C

zus. mit Rommelfanger

257

258

Anhang: Statistik

21. Martin-Gehl: Keine Sondervoten 22. Metz (Stellvertreter): Keine Sondervoten 23. Meyn (Stellvertreter): 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 19.06.1998

10/96

D



24. Morneweg: 1 Sondervotum Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Urteil v. 12.06.1997

12/95

D

zus. mit Becker

25. Neuwirth: Keine Sondervoten 26. Rommelfanger: 2 Sondervoten Nr.:

Datum der Entscheidung

Az.

Art des Sondervotums

Bemerkungen

1.

Beschluss v. 12.01.1996

2/95, 4–9/95, 12/95

D



2.

Urteil v. 25.05.2000

2/99

C

zus. mit Lothholz

27. Scherer: Keine Sondervoten 28. Schwan (Stellvertreter): Keine Sondervoten 29. Steinberg: Keine Sondervoten 30. Strauch (Stellvertreter): Keine Sondervoten

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Sachwortverzeichnis Abgabe eines Sondervotums 146 – gestuftes Vorgehen 158 Abhörurteil 94 Abstimmung 143 – Nachberatung mit erneuter Abstimmung 144 – Stimmengleichheit 143 Abweichende Meinung siehe Sondervotum 72 Ankündigung eines Sondervotums 157 – als Aufforderung zur Fortführung der Beratung 147 – als taktisches Mittel 152 Arbeitsbelastung der Richter 140, 158, 163 Autorität des Verfassungsgerichts 19, 195–196, 204, 211, 214 – Häufung von Sondervoten 203 – Sondervotum als Gegenkraft 204 – Überzeugungskraft der Entscheidung 196, 200, 211 Bekanntgabe des Sondervotums im Verkündungstermin – durch das dissentierende Gerichtsmitglied 211 – durch den Vorsitzenden 211 Beratung 139 – Berichterstatter 140–141, 161 – Fortsetzung der Beratung nach Sondervotum 146 – Gang der Beratung 143 – richterliche Beratungspflicht 144 – Strukturierung der Erstberatung 141 – zeitliche Grenzen 150 Beratungsgeheimnis 67, 70, 145

Bindungswirkung der Entscheidung 195 – der Landesverfassungsgerichte 204 – der Revisionsgerichte 228 – gegenüber den Trägern öffentlicher Gewalt 209 Demokratische Öffentlichkeit 138 Dynamische Verweisung 57 Entscheidungsgründe 223 Entscheidungsverhalten der Verfassungsrichter 182–183, 185 – Einflüsse 167 – individuelle Wertvorstellungen 194 – parteipolitische Überzeugungen 165 Enumerationsprinzip 44 Flucht ins Sondervotum 174 Fünfprozentsperrklausel 132, 196, 206 Fusionsvertrag Berlin-Brandenburg 133, 188, 213 Geschäftsordnung 58, 68, 145, 160, 210 Geschichtliche Entwicklung des Sondervotums – 47. Deutscher Juristentag 1968 82 – Änderung des BVerfGG 1969-70 89 – Baden und Württemberg 74 – Bayerischer Verfassungsgerichtshof 101 – Beratung des BVerfGG 1949-51 77 – Beratung des DRiG 1960 78 – Beratung des einheitlichen GVG 1875/76 75

Sachwortverzeichnis – Bremischer Staatsgerichtshof 103 – Bundesverfassungsgericht 92 – Novellierung des HVerfGG 1977 109 – Novellierung des NdsStGHG 1996 127 Gewaltenteilung 32 Gutachtenverfahren – des Bremischen Staatsgerichtshofs 103 – des Bundesverfassungsgerichts 92 Homogenitätsprinzip 18 Honecker-Beschluss 153, 224 Horno 133, 213 Interne Geschäftsverteilung 140 Judicial self-restraint 193, 215 Kollegialgericht 155 – Spannungsverhältnis 156 Kollegialität im Gericht 153, 157 – Arbeitsklima 135, 157 Kommunikationsdefizite im Spruchkörper 150 Kompatibilität von Amt und Mandat 134, 149, 156, 173, 199, 210 KPD-Entscheidung 104 Laienrichterelement 20, 155, 191 Landesverfassungsgericht – Akzeptanz der Entscheidung 195, 200, 204, 214 – allgemeine Verfahrensvorschriften 56 – Anzahl der Mitglieder 20 – Arbeitskapazität 150 – Ausgleichskräfte 157 – Beschlussfähigkeitsquorum 24 – gesetzliche Grundlagen 18 – integrierende Faktoren 190

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– oberstes Verfassungsorgan 19, 30, 44 – Spruchkörper 20 – Verfahrensdauer 159 – Zusammensetzung 20, 141, 191 Mandatsverlust eines Abgeordneten 133, 173, 200 MDR-Staatsvertrag 133, 173, 181, 192 Medien 168, 174, 199, 203 – Druck auf die Richter 167 Mehrheitsentscheidung 172 – Verbindlichkeit 209 Mitteilung des Stimmenverhältnisses 69, 225 – Überzeugungskraft der Entscheidung 196 – Zusammenhang mit dem Sondervotum 226 Politische Kräfte 39, 181 – Einfluss auf die Zusammensetzung des Gerichts 35 – Erwartungen 164, 166, 184 Richterliche Unabhängigkeit 29, 31, 34, 164, 180, 184, 190, 192–193 – äußere Unabhängigkeit 166 – innere Unabhängigkeit 166–167, 179 Richterliches Amtsethos 167 Richterliches „Corpsgefühl“ 191 Richterpersönlichkeit 137 Schließung der Staatlichen Schauspielbühnen 132, 185 Sondervotum – als alternativer Interpretationsansatz 222 – als Anregung für das Gericht 220 – als Ausnahme vom Beratungsgeheimnis 68

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Sachwortverzeichnis

– als Beleg für ein bestimmtes Entscheidungsverhalten 170 – als Bestandteil des verfassungsgerichtlichen Verfahrens 172 – als Endpunkt einer Diskussion 151 – als gerichtsinterner Kontrollmechanismus 223 – als Rezension der Mehrheitsmeinung 202 – als Urteilsschelte 200 – als Ventil 156 – als wissenschaftlicher Diskussionsbeitrag 221 – anonymisiertes Sondervotum 73, 192 – Anschlussvotum 73, 132 – Arbeitsaufwand 158 – Aufnahme in der Öffentlichkeit 199 – Auswirkungen auf die Beratung 151 – bei den übrigen Kollegialgerichten 227 – bei eilbedürftigen Verfahren 161 – concurring opinion 72 – dissenting opinion 72 – Einfluss auf die Entscheidung 151 – „eingekapseltes“ Sondervotum 219 – Entwicklung neuer Rechtsgedanken 223 – Funktion 172, 191, 222–223 – Gefahr einer politischen Instrumentalisierung 192 – geheimes Separatvotum 73, 229 – „Handschrift“ des Sondervotums 193 – in den westlichen Bundesländern 69 – in der juristischen Fachwelt 170 – Inhalt 145 – Instrumentalisierung 193 – juristische Methodik 193 – konsensfördernde Wirkung 152 – materielle Grenze 73 – Missbrauch 180, 183 – mit befriedender Wirkung 201

– Mitteilungspflicht 146 – „nachgereichtes“ Sondervotum 161 – „Nachharken“ im Verkündungstermin 212 – namentliche Kennzeichnung des Dissenters 193 – offenes Sondervotum 73 – öffentliche Verkündung 211 – persönliche Profilierung 139, 144, 174, 192 – persönliche Verantwortung des Dissenters 214 – plurality opinion 73 – Rechtsentwicklung 215 – Rechtsprechungswandel 219 – Resonanz in den Medien 170 – richterliches Gewissen 215 – Rückschlüsse auf den politischen Standort des Verfassers 189 – Spannungen im Spruchkörper 157 – Stil und Diktion 193, 200, 215 – Terminologie 72 – Umfang 215 – Verbindlichkeit 205 – Verdacht einer parteipolitischen Motivation 194 – Verzögerung der Entscheidung 163 – Vorlagefristen 160, 163 – „Wiederverwertung“ in Publikationen 213 – Zuordnung nach Parteinähe 174 Spiegel-Urteil 92 Supreme Court of the United States 79 Verfassungsgerichtsbarkeit – als unabhängige Kontrollinstanz 28, 183 – Entscheidungsvorrang 205 – Legitimation 183, 190 – Nähe zur Politik 193 – Reichweite im Verfassungsgefüge 222

Sachwortverzeichnis Verfassungsinterpretation 220 – als dynamischer Prozess 222 – Methoden 222 – Offenlegung durch Sondervoten 224 Verfassungsrecht – offene Normen und Generalklauseln 222 – Sondervotum als prozessuale Entsprechung 224 Verfassungsrichter – Abhängigkeiten von sich selbst 167 – als Ehren- bzw. Nebenamt 30, 182, 184 – als Hauptamt 30, 43 – Amtszeit 31, 158, 180, 183 – Ausscheiden aus dem Amt 37 – Berufsrichter 20 – demokratische Legitimation 31 – Ehrung und Prestige 182 – Ende der Amtszeit 36 – Entschädigung 41, 182 – hauptberufliche Tätigkeit 30, 191 – Höchstaltersgrenze 36 – Inkompatibilitäten 32 – Laienrichter 20, 136, 141, 191 – mit Befähigung zum Richteramt 20 – parteipolitische Bindung 184, 191 – Selbstverständnis 135, 190 – Stellvertreter 35, 39 – Vorverständnis 190, 222 – vorzeitige Entlassung 39 Verfassungsverständnis 222 Volksinitiative „Für unsere Kinder“ 133, 174, 202 Vorsitzender des Landesverfassungsgerichts 136 – Integrationsfunktion 158 Wahl der Verfassungsrichter – Absprachen 175 – Anhörung und Aussprache 28 – Auswahlverfahren 178

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– „Besetzungspräferenzen der Parteien“ 175 – demokratische Legitimation 27 – Frist 40 – Inelegibilität 34 – inoffizielle Regeln 40, 177 – Mindestalter 26, 184 – Modus 175 – Neuwahl 39 – „Pakete“ 176 – politische Implikationen 177 – politisches Gleichgewicht im Spruchkörper 35 – Vorschlagsrecht 27, 176 Wählbarkeit 25 Wahlpraxis 176 Wiederwahl 31, 179–180, 182–183 – Zwei-Drittel-Mehrheit 29, 175 Wissenschaftliche Mitarbeiter 142 Zuständigkeiten des Landesverfassungsgerichts 44 – Abgeordnetenanklage 54 – Abstrakte Normenkontrolle 45 – Einstweilige Anordnung 56 – Kommunalverfassungsbeschwerde 49 – Konkrete Normenkontrolle 46 – Ministeranklage 55 – Normenkontrolle auf kommunalen Antrag 49 – Normenkontrolle hinsichtlich der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen der Hauptverwaltung und den Bezirken 50 – Organstreitverfahren 44 – Überprüfung der Zulässigkeit einer verfassungsändernden Gesetzesvorlage 56 – Überprüfung von Volksabstimmungen 52 – Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit eines Untersuchungsauftrages 55 – Verfassungsbeschwerde 46 – Wahlprüfung 50