Das Skandalon als Grundlagenproblem der Dogmatik: Eine Auseinandersetzung mit Karl Barth [Reprint 2018 ed.] 3110026449, 9783110026443, 9783110830590

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Das Skandalon als Grundlagenproblem der Dogmatik: Eine Auseinandersetzung mit Karl Barth [Reprint 2018 ed.]
 3110026449, 9783110026443, 9783110830590

Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung
I. TEIL Der Ort der Dogmatik
1. Kapitel Dogmatik und Botschaft
2. Kapitel Dogmatik und Situation
3. Kapitel Dogmatik und Skandalon
4. Kapitel Dogmatik und Glaube
II. TEIL Der Gegenstand der Dogmatik
5. Kapitel Schöpfung und Versöhnung
6. Kapitel Gesetz und Evangelium
7. Kapitel Gotteslehre und Christologie
8. Kapitel Anthropologie und Soteriologie
Schlußbetrachtung
Zusammenfassende Thesen
LITERATURVERZEICHNIS
REGISTER

Citation preview

HELMUT

BINTZ

DAS S K A N D A L O N ALS G R U N D L A G E N PROBLEM DER DOGMATIK

DAS S K A N D A L O N ALS G R U N D L A G E N P R O B L E M DER DOGMATIK Eine Auseinandersetzung mit Karl Barth

VON H E L M U T BINTZ

VERLAG WALTER DE G R U Y T E R & CO. B E R L I N 1969

THEOLOGISCHE BIBLIOTHEK HERAUSGEGEBEN K. A L A N D ,

K. G. K U H N ,

C . H . R A T S C H O W 17.

TÖPELMANN

VON U N D

E.

S C H L I N K

BAND

© 1969 by Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 (Printed in Germany) Alle Redite, insbesondere das der Übersetzung in f r e m d e Sprachen, vorbehalten. O h n e ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es audi nidit gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomedianisdiem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. A r d i i v - N r . 3901693/17 Satz und Druck: Thormann & Goetsdi, Berlin 44

VORWORT In den letzten Monaten verstarben kurz hintereinander Karl Barth und Karl Jaspers, unter deren Einfluß sich mir als Student mit großer Dringlichkeit die Frage nach dem rechten Verhältnis von Theologie und Philosophie stellte. Eine Konfrontation der bei beiden Denkern vorliegenden Ansatzpunkte für einen möglichen Dialog bildet dann auch den Rahmen der vorliegenden Untersuchung. Zu dem Wunsch, das Verhältnis des theologischen und philosophischen Denkens gerade mittels des Skandalonbegriffs zu untersuchen, wurde ich während der zweisemestrigen Teilnahme an der Religionsphilosophischen Arbeitsgemeinschaft von Herrn Professor D. Dr. Th. Siegfried in Marburg angeregt. Für das freundliche Interesse, das Herr Professor Siegfried meinen zunächst noch recht undeutlichen Plänen entgegenbrachte, bleibe ich ihm dankbar. Zur Ausführung dieser Pläne kam es zunächst nicht, da während meines Studienaufenthaltes in Amerika, meines Vikariats an der Brüder-Sozietät in Basel und der ersten Jahre des Pfarramtes in Zeist, Niederlande, die Probleme der kirchlichen Praxis im Vordergrund standen. Die Praxis der Verkündigung machte die Frage nach dem Wesen des Skandalons der Botschaft jedoch nur noch dringlicher. Als ich in Zeist mit der Ausführung der Arbeit beginnen konnte, war Herr Professor Siegfried bereits emeritiert. Herr Professor D. Dr. C. H. Ratschow erklärte sich freundlicherweise bereit, die Dissertation zu betreuen. Er half mir, das Thema für die vorliegende Arbeit dahingehend zu präzisieren, daß jetzt vor dem Hintergrund des Gesprächs zwischen Theologie und Philosophie nach der grundlegenden Bedeutung des Skandalons für die Systematische Theologie selbst gefragt wird. Seine Hinweise und Rückfragen haben den Gang der Untersuchung entscheidend beeinflußt. Für all das möchte ich ihm meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Die Arbeit wurde im Sommersemester 1968 von der Theologischen Fakultät der Philipps-Universität in Marburg als Dissertation angenommen. Dafür, daß sie — nach geringfügiger Überarbeitung — Aufnahme in die „Theologische Bibliothek Töpelmann" gefunden hat, danke ich den Herausgebern, insbesondere den Herren Professoren D. Dr. C. H . Ratschow und D. Dr. E. Schlink DD. sehr. Mein Dank gilt auch der Direktion der Brüder-Unität in Bad Boll für die verständnisvolle Unterstützung meiner theologischen Arbeit. Schließlich danke ich Frau I. Gün-

VI

Vorwort

ther und Frau L. Reimeringer-Baudert in Zeist wie Fräulein E. Uttendörfer in Bad Boll für die Hilfe beim Anfertigen des Manuskripts und beim Lesen der Korrekturen. Bad Boll, im März 1969

Helmut Bintz

INHALTSVERZEICHNIS Seite

Einleitung: Der Ort des Gespräches zwischen Theologie und Philosophie . .

1

I . T E I L : DER O R T DER DOGMATIK

7

1. Kapitel: Dogmatik und Botschaß

7

2. Kapitel: Dogmatik und Situation

11

1. Das Verhältnis von Dogmatik und Situation bei Barth

11

2. Die Situationsgebundenheit der Schrift

15

3. Denkform und Situation

17

a) Der Begriff der Denkform

17

b) Die idealistische Denkform

20

c) Die idealistische Struktur der Lösung des Situationsproblems bei Barth

27

d) Die positivistische Denkform als Alternative zur idealistischen Denkform

29

4. Der Ort der Dogmatik im Lichte der Frage nach dem Verhältnis von Botschaft und Situation 3. Kapitel: Dogmatik

35

und Skandalon

36

1. Das Skandalon im Neuen Testament

36

2. Dogmatische Untersuchung des Skandalonbegriffs

50

3. Der Ort der Dogmatik angesichts des Skandalons der Botschaft

....

65

Exkurs: Die Interpretation des Skandalons mittels des Paradoxbegriffs bei Kierkegaard 4. Kapitel: Dogmatik und Glaube 1. Glaube und Skandalon

67 77 77

2. Glaube und Auferstehung

81

3. Analogie und Skandalon

96

4. Der Ort der Dogmatik als Ort des Glaubens angesichts des Skandalons

99

VIII

Inhaltsverzeichnis Seite

II. T E I L : D E R G E G E N S T A N D D E R D O G M A T I K 5. Kapitel:

Schöpfung

und Versöhnung

100 101

1. Entsprechung oder Skandalon?

101

2. Alte und neue Schöpfung

105

6. Kapitel:

Gesetz und Evangelium

106

1.Das Gebot des Gesetzes und das Gebot des Evangeliums

106

2. Der Gebrauch des Gesetzes

109

3. Anfechtung und Ärgernis

111

7. Kapitel:

Gotteslehre

und Christologie

1. Die Grundlage der Gotteslehre

113 113

2. Die Spannung zwischen Gotteslehre und Christologie

116

3. Prädestination als Selbstbestimmung Gottes

118

8. Kapitel:

Anthropologie

und Soteriologie

1. Die Lehre von der An- bzw. Enhypostasie

122 122

2. Subsistenz der Anthropologie in der Christologie oder Anthropologie angesichts des zweifachen Wortes Gottes? 3. Harmartiologie und Soteriologie

126 135

Schlußbetrachtung : Theologie und Philosophie angesichts des Skandalons der Botschaft

139

Zusammenfassende Thesen

144

Literaturverzeichnis

147

Register

156

Einleitung Der Ort des Gespräches zwischen Theologie und

Philosophie

In seinem 1932 erschienenen Buch „Fides quaerens intellectum" 1 hat K. Barth im Rahmen einer Interpretation des Anselmschen Gottesbeweises eine wichtige Feststellung über den Ort gemacht, an dem Anselm das Gespräch zwischen dem christlichen Theologen und dem „Ungläubigen" stattfinden lasse 2 . Die Begegnung zwischen beiden Kontrahenten dürfe sich nicht auf dem Boden des Ungläubigen, etwa dem „Boden einer allgemeinen Menschenvernunft" 3 abspielen, sondern müsse dort erfolgen, w o der Theologe sich zu befinden habe, nämlich auf der Ebene des Glaubens. Anselm verlasse bei diesem Gespräch nicht nur selbst den Raum der Theologie nicht, sondern sehe auch seinen Partner schon immer in diesen Raum versetzt. „Der anselmisdie Beweis findet statt unter Voraussetzung einer Solidarität zwischen dem Theologen und dem Weltkind, die nicht dadurch zustande gekommen ist, dass jener sich zu diesem auf die Gasse bezw. in einen allgemeinen Debattiersaal begeben hat, sondern dadurch, dass jener zu diesem, wo und wie er es auch vorfinde, als zu einem mit ihm im Räume — jedenfalls der Theologie Befindlichen zu reden entschlossen ist" 4 . „Er (sc. Anselm) hat vielleicht die Voraussetzung gewagt, dass der Unglaube, das quia non credimus, der Zweifel, das Nein und der Spott des Ungläubigen so ernst gar nidit zu nehmen sei, wie er selber es wohl ernst genommen haben wollte. Er hat vielleicht, indem er sich ,beweisend' an ihn wandte, nicht an seinen Unglauben, sondern an seinen Glauben geglaubt" 5 . Anselm habe hierbei nicht mit einer etwa auch dem Ungläubigen inhärenten Möglichkeit des Glaubens gerechnet, sondern doch wohl damit, daß der Glaubensgegenstand selbst dem Gesprächspartner einen anderen 1

2 3 4 5

1

KARL BARTH, Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms (1931), 2. Aufl. 1958. Vergl. a. a. O., S. 57—68. a. a. O., S. 64. a. a. O., S. 65. a. a. O., S. 67. Bintz, Das Skandalon

2

Einleitung

Ort zuweise, als dieser sich selbst einzuräumen geneigt sei0. Der Glaubensgegenstand seinerseits sei nur aufgrund der im Gottesbeweis immer schon vorausgesetzten Offenbarung des Namens Gottes erkennbar. Der Gottesbeweis sei bei Anselm nur Explikation dieses geoffenbarten Namens 7 . Barth hat sein Anselm-Buch im Vorwort zu dessen 2. Auflage einen „sehr wichtigen Schlüssel zum Verständnis der Denkbewegung" genannt, welche sich ihm „dann eben in der ,Kirchlichen Dogmatik' mehr und mehr als die der Theologie allein angemessene nahegelegt" 8 habe. Die an Anselm 9 entwickelte Ortsbestimmung des theologischen Gesprächs ist jedenfalls auch seine eigene, und er ist ihr in der Kirchlichen Dogmatik treu geblieben. K . Jaspers, ein um die Begegnung mit dem christlichen Glauben und Denken besonders bemühter Philosoph, hat — freilich ohne hierbei allein Karl Barth im Auge zu haben — verschiedentlich gegen eine solche Lokalisierung des Gesprächs Stellung genommen 10 . Gegenüber dem Offenbarungsglauben habe die Philosophie ihren eigenen Ursprung 11 . Sie sei historisch älter als die biblische Offenbarung, sie sei aber auch „existentiell ursprünglicher" 12 . Sie geschehe nämlich aus dem „Ursprung des Menschseins", das Denken der Theologie dagegen erfolge „aus einer geschichtlich bestimmten Offenbarung" und werde „durch sie begrenzt" 1 3 . Beruhe das Denken der Theologie auf dem Glauben an die Offenbarung, so das Denken der Philosophie nicht etwa auf dem Una. a. O., S. 67 f. a . a . O . , S. 69 ff. 8 a. a. O., S. 10. * Inwieweit Barth in diesem Buch den theologischen Motiven des Anselm von Canterbury wirklich gerecht geworden ist, kann hier nicht untersucht werden. Zur Kritik an Barths Anselminterpretation vergl. F. S. SCHMITT, Der ontologische Gottesbeweis Anselms, Theol. Revue 32, 1933, N o . 6, Sp. 217— 233 und DERS., Art. Anselm von Canterbury, R G G I, 3. Aufl., Sp. 397 f. 6

7

10

11

18 13

Vergl. insbesondere K . JASPERS, Der philosophische Glaube, 1948 und Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, 1962, ferner: K . JASPERS, H . ZAHRNT, Philosophie und Offenbarungsglaube. Ein Zwiegespräch. Stundenbuch 24, 1963. Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, S. 38, 99, vergl. S. 476; Philosophie und Offenbarungsglaube, S. 31. Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, S. 500. a. a. O., S. 36.

Der Ort des Gespräches zwischen Theologie und Philosophie

3

glauben, sondern auf dem philosophischen Glauben 14 . Diesem gehe es um die nichtverobjektivierbare Existenz des Menschen in bezug auf Transzendenz. „Existenz in bezug auf Transzendenz" sei f ü r den philosophischen Glauben „möglich und wirklich ohne Offenbarung" 1 5 . Nun bestehe der philosophische Glaube „nur im Bunde mit dem Wissen". „Er will wissen, was wissbar ist, und sich selbst durchschauen" 10 . Er sei denkender Glaube. Gerade darin aber sei er dem christlichen Glauben ähnlich". Im Denken träfe sich der philosophische Glaube mit dem Offenbarungsglauben. Hier wäre Kommunikation möglich. Dem aus dem Offenbarungsglauben erwachsenen und zu diesem zurückführenden Denken wirft Jaspers aber vor, daß es wegen seines fixierten18 Ausgangspunktes und Zieles nicht wirklich offen sein könne f ü r das philosophische Denken. Das theologische Denken zeige die Neigung, der „Katholizität" 1 9 zu verfallen, d. h. alles vom fixierten Punkt der Offenbarung her zu verstehen. Jaspers nimmt Anstoß am Ausschließlichkeitsanspruch der christlichen Wahrheit 2 0 . Einen Absolutheitsanspruch erhebt — richtig besehen — freilich auch 14 15 16 17 18

19

20

l*

Vergl. Der philosophische Glaube, S. 9 f. Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, S. 166. Der philosophische Glaube, S. 13. Vergl. Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, S. 36. Zum Begriff der Fixierung vergl. Der philosophische Glaube, S. 80 f., aber auch S. 69 ff. Vergl. ferner K . JASPERS, R . B U L T M A N N , Die Frage der Entmythologisierung, 1954. Auf das hier wiedergegebene Gespräch zwischen Jaspers und Bultmann gehen wir weiter unten ein (S. 53 ff.). Zum Begriff der Katholizität vergl. K. JASPERS, Philosophische Logik I, Von der Wahrheit, 1948, S. 747 f. und S. 832 f. „Die Katholizität erhebt den Absolutheitsanspruch für ihre Geschichtlichkeit...". „Der Absolutheitsanspruch z. B. des Christentums verlangt, daß alle Menschen Christen werden sollten. Er ist zwar bereit, alle anderen Religionen in ihrer Wahrheit anzuerkennen, aber nur als Teilwahrheiten, als die sie sich dem Christentum eingliedern sollen unter Abstoßung der ihnen anhängenden Unwahrheiten. Er hat zwar eine Haltung der Offenheit für das Fremde, aber um alsbald darin nur die Wahrheit zu entdecken, die selber christlich ist. Der Mensch als Mensch ist schon Christ — anima naturaliter christiana —, er muß sich nur als solcher verstehen und es anerkennen" (a. a. O., S. 835). Vergl. Der philosophische Glaube, S. 69 ff.; Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, S. 507; Philosophie und Offenbarungsglaube, S. 79, 84, 88 ff.

4

Einleitung

die von Jaspers gesuchte philosophische Wahrheit. Zwar sagt Jaspers: „Die Philosophie sieht ein: es gibt keine richtige Welteinrichtung; es gibt nicht für den Menschen die eine einzige absolute Wahrheit" 21 . Dennoch geht es auch ihm nicht nur um die Erhellung vieler relativer Richtigkeiten, sondern um die Eine Wahrheit. „Philosophie setzt alles auf die Wahrheit, sogar ohne vorweg zu wissen, was sie sei"21. Über die Richtung dieser Wahrheitssuche ist jedoch — wie besonders aus seiner „Von der Wahrheit" betitelten Logik deutlich wird — bereits entsdiieden: „Suchen wir das Wahre, so suchen wir das Eine"22. N u r vor dem Hintergrund der Einheit der alles umfassenden Wahrheit läßt sich ja auch der Satz von der Unmöglichkeit der Fixierung der Wahrheit im Vorhandenen, der Absolutierung der Wahrheit in einem abgeschlossenen Geschichtlichen und Vorfindlichen behaupten. Über dem Satz von der Relativität der wißbaren Wahrheit gilt der Metasatz von der freilich nicht vorfindlichen Einheit der Wahrheit. „Daß sie im Suchen und Erhellen des Einen doch keine Lehre vom Einen als einem Wißbaren wird, entscheidet über die Wahrheit der philosophischen Logik" 23 , kann Jaspers daher formulieren. Angesichts dieses Wahrheitsbegriffs kann Jaspers für die christliche Offenbarung, die er als Fixierung der Wahrheit an ein gewisses geschichtliches Ereignis versteht, nicht offen sein. In seinem Buch „Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung" kann er darum das von ihm angestrebte Gespräch mit der Theologie nur so führen, daß er seinen Gesprächspartner bittet, nicht auf der ihm anstößigen „Fixierung" zu beharren. „Entscheidend für die Zukunft des biblischen Glaubens ist: den Menschen Jesus zur Geltung zu bringen und seinen Glauben. Dies wird mit ganzer Kraft erst möglich, wenn auf den Christus als eine der besonderen Glaubensformungen in der Bibel verzichtet wird, sofern die Christus-Chiffer sich absolut setzen will" 24 . Als Konsequenz dieser Position ergibt sich, daß das Gespräch zwischen Theologie und Philosophie bei Jaspers erst dann wirklich fruchtbar werden kann,

21 22 25 24

Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, S. 471. Von der Wahrheit, S. 680. a. a. O., S. 682. Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, S. 502, vergi, auch: Der philosophische Glaube, S. 80: „Preiszugeben ist die Christusreligion, die in Jesus Gott sieht und auf einen Opfergedanken des Deuterojesajas, angewandt auf Jesus, das Heilsgeschehen gründet."

Der Ort des Gespräches zwischen Theologie und Philosophie

5

wenn der Theologe sich auf den Boden des philosophischen Glaubens begibt. Wir sehen, daß zwischen der Denkbewegung von Barth und der von Jaspers eine eigentümliche formale Parallele besteht. Beide denken aus einem Ursprung heraus, der mit dem Ziel ihres Denkens letztlich identisch ist. Bei Barth ist es der Offenbarungsglaube, der zum intellegere treibt, bei Jaspers drängt der philosophische Glaube als transzendenzbezogenes Existieren zur denkerischen Erhellung dieses Transzendenzbezuges. Beide Denkbewegungen sind exklusiv. Der Ausschließlichkeitsanspruch der einen Offenbarungswahrheit und des Universalismus der philosophischen Wahrheit lassen ein Verhältnis zueinander nur in dem Sinne zu, daß die eine Wahrheit die jeweils andere relativiert. Die Auseinandersetzung kann nur indirekt, nämlich im jeweils eigenen Denkraum und als Moment der eigenen Denkbewegung erfolgen. Der Gesprächspartner wird an einem Ort angesprochen, an dem er sich seinem eigenen Selbstverständnis nach nicht befindet. Beide Denker gehen von der Einheit der Wahrheit aus. Bei Barth beruht diese in der Offenbarung Gottes in Jesus Christus, bei Jaspers ist sie in keiner einzelnen Chiffer fixiert, sondern wird sie als alle Chiffern der Wahrheit umfassende Einheit geglaubt. Von seiner gegen alle Fixierungen der Wahrheit gerichteten Position muß er an einer Position wie der Barths Anstoß nehmen. Für den Theologen ergibt sich allerdings die Frage, ob dieser Anstoß an der Katholizität der in einer fixierten Offenbarung begründeten Wahrheit etwas mit dem Skandaloncharakter zu tun hat, den das Neue Testament selbst an der christlichen Botschaft beobachtet. Die Theologie wird so zu einer erneuten Besinnung auf ihre eigene Grundlage genötigt. Die Frage nach dem Ort des Gesprächs zwischen Theologie und Philosophie führt zur Frage nach dem Ort der Theologie selbst. Diejenige Disziplin der Theologie, die diese Ortsbestimmung zu erarbeiten hat, ist die Dogmatik. In der Dogmatik vollzieht sich die theologische Denkbemühung um die lehrmäßige Formulierung des Inhaltes der christlichen Botschaft. Die dogmatische Arbeit richtet sich dabei auch auf die Bestimmung der Grundlagen ihres eigenen Denkens. Unsere Arbeit will nun der Frage nachgehen, welche Bedeutung dem Skandalon des Evangeliums bei der Bestimmung des Ortes und des Gegenstandes der Dogmatik zukommt. Wir werden diese Frage vornehmlich in der Auseinandersetzung mit der Theologie Karl Barths zu klären versuchen. Hierbei beschränken wir uns auf denjenigen Teil sei-

6

Einleitung

nes Werkes, der mit der Fertigstellung des Anselm-Buchs 1931 beginnt. Die Periode seit 1931 ist rein äußerlich dadurch als neuer Abschnitt in der theologischen Arbeit Barths zu erkennen, daß er in ihr an die Stelle seiner 1927 veröffentlichten „Christlichen Dogmatik" 2 5 die „Kirchliche Dogmatik" 2 6 gestellt hat, die inzwischen auf 12 Teilbände angewachsen ist. Die „Kirchliche Dogmatik" ist das Hauptwerk dieser Periode und gibt Barths heutige Position wieder. In einem ersten Teil unserer Arbeit erörtern wir die Frage nach dem Ort der Dogmatik. In diesem Teil versuchen wir zu entscheiden, welche Rolle das Skandalon bei der Bestimmung des Ansatzes der Dogmatik spielt. Die gewonnenen Ergebnisse sollen in einem zweiten Teil auf die Behandlung des Gegenstandes der Dogmatik selbst angewandt werden. Der Ansatz der Dogmatik kann nicht nur nicht isoliert von ihrem Gegenstand erarbeitet werden, er muß sich auch bei dessen Darstellung stets erneut bewähren. In einer Schlußbetrachtung kommen wir noch einmal auf die in der Einleitung gestellte Frage nach dem Ort des Gesprächs zwischen Theologie und Philosophie zurück. Einige abschließende Thesen fassen unsere Untersuchung zusammen.

25

26

KARL BARTH, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 1. Band: Die Lehre vom Worte Gottes. Prolegomena zur christlichen Dogmatik, 1927. DERS., Die Kirchliche Dogmatik I, 1—IV, 4, 1932—1959 (im Verfolg mit „ K D " zitiert).

I. T E I L Der Ort der

Dogmatik

1. Kapitel Dogmatik

und Botschaft

In seiner 1962 erschienenen „Einführung in die evangelische Theologie" widmet Barth einen Abschnitt dem „Ort der Theologie" 1 . Als wesentliches Moment zur Bestimmung dieses Ortes bezeichnet Barth das Wort Gottes. „Das Wort ist nicht die einzige, aber unweigerlich die erste der notwendigen Bestimmungen des Ortes der Theologie" 2 . Aber auch die anderen Faktoren, die den Raum der Theologie festlegen, sind bei Barth mit dem Wort eng verbunden: die biblischen Zeugen des Wortes3, die Gemeinde, deren Glieder dem Worte als „Zeugen zweiter Ordnung" dienen4, und der Heilige Geist, der in freier, unverfügbarer Weise dafür sorgt, daß das Zeugnis wahres Zeugnis wird5. Sdion in seiner Christlichen Dogmatik von 1927 und dann erneut in der Kirchlichen Dogmatik entwickelte Barth daher die Prolegomena der Dogmatik, in der es um die Ortsbestimmung der Theologie geht, unter dem Titel einer Lehre vom Worte Gottes*. Das Zeugnis der Schrift, die Verkündigung der Gemeinde und die beiden vorgängige, von beiden bezeugte Offenbarung werden hier als die drei Gestalten des einen Wortes Gottes dargestellt7. Das Wort Gottes wird unter einem doppelten Aspekt gesehen: dem seiner Einheit und seiner Mehrgestaltigkeit. Wichtig ist zunächst der erste Aspekt. 1 2 3 4 5 6

7

K. BARTH, Einführung in die evangelische Theologie, 1962, S. 21—68. a. a. O., S. 25. a. a. O., S. 34 ff. a. a. O., S. 45 ff. a. a. O., S. 57 ff. K. BARTH, Die christliche Dogmatik im Entwurf, I. Band: Die Lehre vom Worte Gottes. Prolegomena zur christlichen Dogmatik (1927); KD 1,1 u. 2: Die Lehre vom Wort Gottes. Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik (der 1. Halbband erschien in erster Auflage 1932, der 2. Halbband 1938). Die christliche Dogmatik im Entwurf I, S. 37 ff.; KD 1,1, S. 89 ff.

Der Ort der Dogmatik

8

Wir beschränken uns auf die Darstellung in der Kirchlichen Dogmatik, wobei wir jetzt sdion auch die späteren Bände mit zu Rate ziehen. Barth spricht von der „ungeteilten und unzerteilbaren Einheit und der keines Zusatzes, keiner Oberbietung bedürftigen noch fähigen Ganzheit des Wortes Gottes" 8 . Diese Einheit wird in der Sdirift bezeugt: „Die Heilige Schrift sagt nicht vielerlei, sondern in aller Vielgestaltigkeit ihres Zeugnisses endlich und letztlich nur eben Eines: das Eine, das als solches das Ganze ist" 9 . Das eine Wort Gottes ist „unwiderrufliches Wort. Es enthält keinen Fehler, es widerspricht sich selbst nicht" 10 . Als das eine ist es das endgültige Wort. Es ist identisch mit Jesus Christus, dem „im Alten Testament Angekündigten, im Neuen Testament Verkündigten" 11 . Er ist „das eine, einzige Wort Gottes", er ist „allein Gottes Licht, Gottes Offenbarung" 12 . Von diesem Wort bekommt die Dogmatik ihren Ort zugewiesen. „Gottes Wort ist Gottes Sohn Jesus Christus; darum kann und muß die ganze Dogmatik im umfassenden Sinn des Begriffs als Christologie verstanden werden" 13 . Der andere für die Bestimmung des Ortes der Dogmatik ebenfalls wichtige Aspekt des Wortes ist seine Mehrgestaltigkeit. Diese hängt zunächst zusammen mit der Tatsache, daß das Wort Gottes in einer Geschichte zu uns kommt. Innerhalb dieser Geschichte gibt es ein Vorher und Später, gibt es ein Gefälle von der Offenbarung zur Schrift und zur Verkündigung heute. Dadurch, daß das Wort Gottes in die menschliche Geschichte eingeht, kommt es überdies als Menschenwort zu uns. D i e Heilige Schrift und die Verkündigung der Kirche bezeugen Gottes Wort als Menschenwort 14 . Sie entsprechen damit der Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Jesus Christus ist selbst Fleisch gewordener Logos, ist selbst wahrer Gott und Mensch. D i e Menschlichkeit der Heiligen Schrift und der Verkündigung macht Dogmatik nötig 15 . Ganz allgemein gesprochen, ist Dogmatik „als theologische Disziplin die wissenschaftliche Selbstprüfung der christlichen Kirche hinsichtlich des Inhalts der ihr eigentümlichen Rede von Gott" 16 . Im besonderen überprüft die Dogmatik die der Kirche aufgetragene 8

KD KD 10 KD 11 KD 12 KD 13 KD 14 KD 15 KD " KD 8

IV, 3, S. 179. IV, 3, S. 180. IV, 3, S. 182. IV, 3, S. 107. IV, 3, S. 108. I, 2, S. 988. 1,1, S. 73; I, 2, S. 512, 831 ff. 1,1, S. 84. 1,1, S. 1.

Dogmatik und Botschaft

9

Verkündigung 17 . Ihre Aufgabe besteht darin, dafür Sorge zu tragen, daß die Verkündigung als Menschenwort dem in ihr zu Worte kommenden Gotteswort dient und entspricht. Es ist zwar letztlich Werk des Heiligen Geistes, wenn in unserem Menschenwort Gottes Wort hörbar wird. Es gibt keinen direkten Zugang zu der Größe „Gottes Wort", an der das Menschenwort direkt gemessen werden könnte. Will die Dogmatik ihre Aufgabe erfüllen, dann kann sie das nur tun, indem sie das Menschenwort der Verkündigung an dem die Offenbarung bezeugenden Menschenwort der Schrift mißt 18 . Indem die Schrift Jesus Christus bezeugt, bezeugt sie, daß in ihm auch das rechte Verhältnis zwischen Gott und Mensch und so auch zwischen Gottes Wort und Menschenwort offenbar wurde. Dieses Verhältnis wird in der Inkarnationslehre expliziert, die Barth deshalb schon in den Prolegomena abhandelt1®. Das gesuchte rechte Verhältnis zwischen Verkündigung und in der Schrift bezeugter Offenbarung ist nach Barth deren „Übereinstimmung" 20 . Diese von der Dogmatik gesuchte Übereinstimmung nennt Barth das Dogma 20 . Das Dogma ist bei ihm also ein „BeziehungsbegriS" 21 . Indem die Dogmatik nach dieser Übereinstimmung sucht, entspricht sie ihrem Gegenstand, dessen Wesen ja in der Übereinstimmung mit sich selbst besteht. Das eine Wort Gottes in seiner dreifachen Gestalt ist so als Gegenstand zugleich Norm der Dogmatik 22 . Angesichts dieses Begriffs der Übereinstimmung, mit dem Barth das Ziel der dogmatischen Arbeit charakterisiert, setzen unsere Fragen ein. Die Übereinstimmung zwischen der Verkündigung und der in der Schrift bezeugten Offenbarung ist bei Barth nicht durch ein biblizistisches Rezitieren biblischer Texte in der Predigt gegeben, ist doch die Schrift nicht identisch mit der Offenbarung, sondern nur Bericht von ihr. Um die Übereinstimmung nachprüfen zu können, muß die Dogmatik darum den Inhalt der Offenbarung anhand der Schrift erst suchen. Wenngleich die letztlich gültige Formulierung des Inhaltes und somit die „Übereinstimmung" ein nie erreichbares Ideal bleiben, ist aufgrund des Bardischen Ansatzes zunächst nicht einzusehen, warum diesem Ideal 17

KD KD " KD 20 KD 21 KD 28 KD 18

1,1, 1,1, 1,2, 1,1, 1,1, I, 2,

S. 47 ff., 73 ff. S. 261 ff., bes. S. 280. S. 1—221. S. 280. S. 283. S. 944.

10

Der Ort der Dogmatik

nicht wenigstens im Sinne einer stetigen Approximation immer näher gekommen werden kann. Die Dogmatik verliefe dann ähnlich den Wissenschaften vom Alten und Neuen Testament, bei denen ja zweifellos Fortschritte in der Richtung einer immer besseren Erforschung des in der Bibel Gemeinten zu verzeichnen sind. Sie wäre von einer Theologie des Alten und Neuen Testamentes dann nur noch dadurch zu unterscheiden, daß sie neben dem „Hauptgespräch" mit der Bibel auch noch „Nebengespräche"23 mit der Dogmengeschichte, mit den Bekenntnissen führt. Dies ist jedoch nicht die Absicht von Karl Barth. Barth betont, daß die Aufgabe der Dogmatik nicht identisch ist mit der „exegetischen Theologie". Deren Gegenstand wird „der Dogmatik beständig vor Augen stehen müssen". Aber als solche fragt die Dogmatik „nicht nach dem, was die Apostel und Propheten gesagt haben, sondern nach dem, was ,auf dem Grunde der Apostel und Propheten' wir selbst sagen sollen". Die Kirche sieht sich gerade aufgrund der Schrift genötigt zu fragen, „was die christliche Rede heute sagen darf und soll"24. Bei der Suche nach der rechten Übereinstimmung hat die Dogmatik also auch das Heute, die Gegenwart, die Situation zu bedenken. Kann sie diese Forderung aber angesichts des Barthschen Ansatzes erfüllen? Kann der Situation angesichts der vorausgesetzten und von der Dogmatik zu bestätigenden Einheit und Übereinstimmung des Wortes Gottes mit sich selbst noch irgendeine selbständige Rolle bei der Bestimmung des Inhalts der Lehre und der Verkündigung zukommen? Kann die Situation hier anders als eine immer schon vom Wort Gottes ausgelegte in das Blickfeld treten? Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, ist es aus heuristischen Gründen nötig, dem Barthschen Begriff des Wortes Gottes einen in seiner Tragweite vorerst noch nicht in derselben Weise festgelegten Begriff gegenüberzustellen. Anstatt vom einen Wort in seinen drei Gestalten werden wir zunächst von der Botschaft von Jesus Christus sprechen, die der Kirche zur Verkündigung aufgetragen ist. Diese Botschaft ist der Inhalt der Verkündigung. Sie ist in der Bibel bezeugt, über sie denkt die Dogmatik nach. Ob die Botschaft Zeugnis von einem Worte Gottes ist oder aber sich auf mehrere Worte Gottes bezieht, ob sie auf Offen23

24

Die Ausdrücke „Hauptgespräch" und „Nebengespräch" gebraucht Barth selbst in seiner „Einführung in die evangelische Theologie", 1962, S. 190, zur Charakterisierung des Theologiestudiums im allgemeinen. K D 1,1, S. 15.

Dogmatik und Situation

11

barung oder Offenbarungen zurückgeht, ob sie die Einheitlichkeit oder aber Widersprüchlichkeit des göttlichen Handelns bezeugt: das alles ist mit dem Begriff der Botschaft noch nicht entschieden, sondern soll erst erfragt werden. Bei Karl Barth ist das Wort Gottes nicht allein erste, sondern auch ausschlaggebende Instanz für die Bestimmung des Ortes der Theologie. Audi für uns ist die Botschaft als Erkenntnisgegenstand der Dogmatik gleichzeitig erster Faktor zur Bestimmung ihrer Grundlage. Ist sie der einzige Faktor? Die Frage nach dem Verhältnis von Dogmatik und Botschaft drängt uns weiter zur Frage nach der Rolle, die die Situation für die Dogmatik spielt. In der Frage liegt das Problem des Verhältnisses von Botschaft und Situation beschlossen. Wir werden im nächsten Kapitel zunächst Barths Sicht dieses Verhältnisses herausstellen und dann die formale Struktur seiner Antwort auf unsere Frage untersuchen.

2. Kapitel Dogmatik

und

Situation

1. Das Verhältnis von Dogmatik und Situation bei Barth Innerhalb der protestantischen systematischen Theologie herrscht weitgehend Einigkeit darüber, daß die Dogmatik in einer wie auch immer näher zu bestimmenden Weise die Zeit, den Ort, die Situation, in denen sich die Kirche jeweils befindet, zu berücksichtigen habe1. 1

G. GLOEGE, RGG 3 II, Sp. 228, führt aus: „Die konkrete Aufgabe der Dogmatik umfaßt die dreifache Bemühung um Schriftgemäßheit, Bekenntnisgemäßheit, Gegenwartsgemäßheit christlicher Lehre." Der „Ort" der Dogmatik ist nach Gloege der „Übergang von der Auslegung zur Verkündigung" (a. a. O., Sp. 228). Nach P. ALTHAUS, Die christliche Wahrheit, I, 1947, ist die christliche Wahrheit „geisthaft". Ihr Verhältnis zu anderem Geistbesitz muß daher klar herausgearbeitet werden (S. 10, vergl. S. 17). Die christliche Wahrheit muß immer neu übersetzt werden. „Das Christentum muß in neuer Geisteslage geistig immer wieder neu geboren werden, eine neue Inkarnation erfahren" (S. 10). W. ELERT, Der christliche Glaube, 4. Aufl., 1956, bezeichnet die Person Jesu Christi als die „Substanz", „die in allen neutestamentlichen Zeugnissen die gleiche ist". Die Person Christi „ist die unverrückbare Mitte, weil er sowohl Auftraggeber wie Inhalt des kirchlichen Kerygmas ist, weil

12

Der Ort der Dogmatik

Daß die Situation auch bei Barth nicht ohne Bedeutung für die Dogmatik sein kann, ergibt sich grundsätzlich aus der Tatsache, daß die Dogmatik bei ihm in erster Linie Dienst an der Verkündigung ist 2 . Für die Verkündigung aber gilt das folgende: „Was zu verkündigen ist, das muß je und je gefunden werden in der Mitte zwischen dem bestimmten Bibeltext im Zusammenhang der ganzen Bibel und der Gemeinde in der bestimmten Situation dieser und dieser Gegenwart" 3 . Die Dogmatik kann nun zwar den Inhalt der jeweils in einer bestimmten Situation zu leistenden Verkündigung nicht selbst formulieren — dies ist Aufgabe der Verkündigung selbst — , sie kann aber „Anleitung" also in ihm das formelle und das materielle Sollen der Verkündigung zusammenfallen" (S. 51). Indem das Kerygma von Christus verkündigt wird, werden wir von Gott getroffen (S. 52). „Um aber zu ergründen, was sich ereignet, wenn der Mensdi dabei von Gott getroffen wird, ist zuerst der Mensdi selbst ohne diese Begegnung ins Auge zu fassen" (S. 52). Wir haben „das Selbstverständnis des Menschen von heute, d. h. unser eigenes zum Ausgang (zu) nehmen" (S. 52). P. TILLICH, Systematische Theologie I, 2. Aufl., 1956, will der Situation in der Theologie grundsätzlich Rechnung tragen. „Theologie steht in der Spannung zwischen zwei Polen: der ewigen Wahrheit ihres Fundamentes und der Zeitsituation" (S. 9). „Die Situation, zu der die Theologie sprechen muß, ist die schöpferische Selbstbesinnung des Menschen in einer besonderen Geschichtsperiode" (S. 10). In der „Methode der Korrelation" will Tillich eine Methode finden, „bei der Botschaft und Situation auf eine solche Weise aufeinander bezogen sind, daß keine von beiden beeinträchtigt wird" (S. 15). C. H. RATSCHOW, Das Christentum als denkende Religion, NZSTh V, 1963, S. 16—33, zeigt, daß für das Christentum das „Zeugnis", die „Weitergabe der Botschaft" charakteristisch ist (S. 26). Bei dieser Weitergabe ist es unerläßlich, die Botschaft auf die Welt hin, die sie hören soll, zu durchdenken und zwar so, „daß diese Welt hören kann: mea res agitur, oder meine Fragen werden hier beantwortet" (S. 27; vergl. auch S. 33 sowie C. H. RATSCHOW, Der angefochtene Glaube (1957) 2. Aufl., 1960, S. 301 ff.). G. EBELING, Wort und Glaube, 1960, S. 12, definiert: „ . . . a u f Sdiriftauslegung und Theologiegeschichte fußend, hat die Dogmatik die Aufgabe, in Begegnung und Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Denkvoraussetzungen die kirchliche Lehre kritisch zu sichten und in ihrem inneren Gesamtzusammenhang zur Darstellung zu bringen". In „Theologie und Verkündigung", 1962, S. 17 führt Ebeling aus, daß die Sache der Theologie erst dann gesagt ist, „wenn sie vorgebracht, d. h. zu der den Menschen angehenden Wirklichkeit in Beziehung gesetzt, ihm zugesagt wird." 2 3

K D 1,1, S. 85 u. ö. KD 1,1, S. 81.

Dogmatik und Situation

13

sein „zur rechten Überlegenheit und zur rechten Fügsamkeit, zur rechten Kühnheit und zur rechten Vorsicht für den Augenblick, wo es auf jenes Finden ankommen wird, Anleitung zur Orientierung zwischen den beiden Polen: dessen, was unter allen Umständen gesagt werden muß, und dessen, was unter keinen Umständen gesagt werden darf . . ."*. H a t die Dogmatik über der Übereinstimmung der der Situation verpflichteten Verkündigung mit der in der Schrift bezeugten Offenbarung zu wachen, dann kann sie das nach Barth nur tun, indem sie auch bei der Frage nach der Rolle der Situation in der kirchlichen Rede und Lehre die Antwort allein von der Botschaft selbst erwartet. In der Botschaft ist bei Barth das grundsätzliche Wort über die Situation immer schon enthalten. Die Dogmatik hat die Situation nicht so zu berücksichtigen, daß diese selbst zu Worte kommt, sondern so, wie sie im Lichte des einen Wortes Gottes erscheint. Ebenso wie das Gotteswort über das Menschenwort herrscht, so herrscht die Botschaft über die dogmatische Interpretation der Situation. Die Situation, auf die die Botschaft trifft, ist theologisch legitim nur im Lichte der in der Schrift bezeugten Offenbarung und nicht abgesehen von ihr zu erfassen. D a die Situation ein Moment der Zeit und der Geschichte ist, illustrieren wir Barths Situationsverständnis an seiner Sicht des Verhältnisses von Offenbarung und Zeit und von Offenbarung und Geschichte. a. Offenbarung

und Zeit. Daß Gott in seinem W o r t zu uns spricht, daß er sich

in seinem Wort „offenbart", bedeutet, daß er Zeit für uns hat 5 . Zur Interpretation des Begriffes der der Offenbarung eigenen Zeit werden wir „keinen unabhängig von der Offenbarung selbst gewonnenen Zeitbegriff zugrunde legen dürfen" 5 . Barth unterscheidet „die Zeit, die Gott geschaffen hat" von „,unserer' Zeit" 6 , die durch den Sündenfall gekennzeichnet ist. Diese ist eine „verlorene" Zeit. Die Zeit der göttlichen Offenbarung ist als „dritte Z e i t " ' „wirkliche, erfüllte Zeit" 7 . In „ihrer A r t ist dies keine andere Zeit als eben die von Gott ursprünglich geschaffene, uns so verborgene und entzogene Zeit. Aber eben von deren Verborgensein und Entzogensein hebt sie sich nun, in und mit der Offenbarung neu gesetzt, auch von jener ab als eine neue dritte Zeit" 8 . Diese dritte Zeit tritt in Jesus Christus „an die Stelle der problematischen,

4

K D 1 , 1 , S. 81.

5

K D I, 2, S. 50.

6

K D I, 2, S. 52.

7

K D I, 2, S. 57.

8

K D I, 2, S. 58. Angesichts seines Grundsatzes von der Einheit des Wortes Gottes kann Barth auch sagen, daß die „eigentliche, die urbildliche

Zeit"

14

Der Ort der Dogmatik

uneigentlichen Zeit, die wir kennen und haben" 9 . Sie wird so auch unsere Zeit 9 . Gewiss, die alte Zeit dauert als der alte Äon noch fort, es gilt jedoch: „Sind wir Zeitgenossen Christi auf Grund des Herrschaftsaktes seiner Offenbarung, dann können wir als Zeitgenossen seiner Apostel in Erinnerung an ihn auf diese unsere Zeit nur noch zurückblicken als auf die verlorene, das heißt grundsätzlich schon vergangene, nur noch in ihrem Vergehen wirkliche Zeit des alten Äon" 10 . „Die erfüllte Zeit tritt als echte, eigentliche Zeit an die Stelle unserer unechten und uneigentlidien " 11 . „Die Erfüllung der Zeit durch die Offenbarung bedeutet . . . daß uns unsere eigene Zeit: das, was wir als Zeit zu kennen und zu haben meinen, genommen ist" 12 . Doch können wir unsere Zeit angesichts der in Jesus Christus erfüllten Zeit „nur noch als endliche Zeit verstehen" 13 , das heißt als Zeit, die von der neuen Zeit überholt, begrenzt und definiert ist. b. Offenbarung und Geschichte. Das Problem des Verhältnisses von Offenbarung und Geschichte ergibt sich aus der Geschichtlichkeit der Offenbarung selbst. Gegen die Möglichkeit, die Offenbarung wegen ihrer Geschichtlichkeit als ein „Prädikat" der Geschichte und sei es nur einer bestimmten Geschichte zu verstehen, stellt Barth den Satz auf: „ O f f e n b a r u n g ist nicht ein Prädikat der Geschichte, sondern Geschichte ist ein Prädikat der Offenbarung"1*. Die Geschichte des Bundes Gottes mit den Menschen, „die Folge der Ereignisse, in denen Gott diesen seinen Bund mit den Menschen schließt, durchführt und zu seinem Ziele bringt und so im Bereich des Geschöpfes wahrmacht, was er von Ewigkeit her bei sich selber beschlossen hat . . ." 15 ist bei Barth die Geschichte. Nennt man sie Heilsgeschichte, dann ist zu sagen: „Die Heilsgeschichte ist aber die Geschichte, die eigentliche Geschichte, in der alle andere Geschidite beschlossen ist, zu der sie so oder so gehört, sofern sich nämlich die Heilsgeschidite in ihr spiegelt und illustriert, sofern alle andere Geschichte die Heilsgeschichte mit Zeichen, Vor- und Nachbildern, Beispielen und Gegenbeispielen begleitet. Es gibt aber keine andere Geschichte, die der Heilsgeschichte gegenüber ein eigenes selbständiges Thema hätte, geschweige denn eine allgemeine eigentliche Geschichte, in deren Zusammenhang die Heilsgeschichte eine Geschidite unter anderen wäre. Der Bund der

9 10 11 12 13 14 15

nicht die der Schöpfung sei, sondern die der Versöhnung, die Zeit Jesu Christi. „Dieser wirklichen Zeit entsprechend . . . wurde die Zeit ursprüngl i c h . . . geschaffen." K D III, 1, S. 82. Vergl. III, 1, S. 63 ff. KD I, 2, S. 61. KD 1,2, S. 65. K D 1,2, S. 73. KD 1,2, S. 74. K D I, 2, S. 75. KD I, 2, S. 64. KD III, 1, S. 63.

Dogmatik und Situation

15

Gnade ist das Thema der Geschichte"16. Die Heilsgeschidite aber gründet in Gottes ewiger Gnadenwahl17. J e d e geschichtliche Situation wäre also nach Barth im Lichte dieser einen von G o t t in Ewigkeit beschlossenen Geschichte zu sehen, von ihr her zu verstehen, auf sie hin zu interpretieren. Bei der Begegnung von Botschaft und Situation kommt die Situation als selbständiger Gesprächspartner nicht in Frage. Was die Situation ist, kann ihr nicht selbst entnommen werden, sondern muß von der Botschaft her bestimmt werden. Die Botschaft nimmt die Situation ernst, aber gerade nicht so, wie diese sich selbst versteht und ernst nimmt, sondern so, wie sie im Licht der Botschaft erscheint. Den in der Theologie immer wieder gemachten Versuch, „das jeweilige Zeitbewußtsein auf seinem eigenen Boden aufzusuchen und zu überwinden" 1 8 , lehnt Barth ab.

2. Die Situationsgebundenheit der Schrift Gegen die Barthsche Sicht des Verhältnisses von Botschaft und Situation und indirekt daher auch von Dogmatik und Situation erheben sidi schwere Bedenken, und zwar gerade von Seiten der Schrift, in der wir mit Barth die Botschaft, auf die es uns ankommt, bezeugt finden. I n der Schrift melden sich eine große Fülle von Zeugen zu Wort, die Gottes Handeln in ihrer Zeit erfahren und sein W o r t in ihrer Geschichte vernommen haben oder denen die Botschaft in ihre Situation überliefert worden ist. Sie verkünden nun ihrerseits Gottes Tun und Reden für ihre Situation neu. Innerhalb der Theologie hat die Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament in Anwendung der literarkritischen, formgeschichtlichen und redaktionsgeschichtlichen Methode die Situationsbedingtheit und Situationsbezogenheit der biblischen Schriften und des in ihnen überlieferten Einzelzeugnisses klar herausgearbeitet. Biblische Perikopen, Begriffe und Bücher haben ihre Geschichte. So wurden — um ein Beispiel herauszugreifen — die Gleichnisse Jesu ursprünglich mit einer anderen „Pointe" erzählt als in der weitgehend allegorisierenden hellenistischen Gemeinde 1 9 . 16 17 18 19

KD III, 1, S. 64. Vergi. KD II, 2, S. 101 ff. KD 1,1, S. 131. Vergi. J. JEREMIAS, Die Gleichnisse Jesu, 6. Aufl., 1962, S. 19 ff.

16

Der Ort der Dogmatik

Ein Gleichnis mußte anders verstanden werden in der Situation der Naherwartung der Wiederkunft Jesu als angesichts der Parusieverzögerung 20 . So konnte auch Gottes Handeln an und durch Jesus Christus im Judentum noch nicht so interpretiert werden, wie es auf Grund der im hellenistischen R a u m geltenden Denkvoraussetzungen und Verstehenshorizonte möglich war 2 1 . Die neutestamentliche Christologie als Interpretation der Person und Bedeutung Jesu war einer starken Entwicklung unterworfen. Der Übergang vom jüdischen zum griechisch-hellenistischen Denken erforderte eine anhaltende Denkbemühung um das rechte Verständnis und die immer neue Formulierung der Botschaft. Die hauptsächlich an den Evangelien angewandte redaktionsgeschichtliche Forschung hat gezeigt, wie die Evangelisten die ihnen vorliegende Tradition nicht nur gesammelt, sondern auf Grund ihrer eigenen theologischen Position geordnet und gestaltet haben 22 . Bei alledem wird die Botschaft mit der jeweiligen Situation in enge Verbindung gebracht. Die Situation wird vorausgesetzt und ernstgenommen. Sie beeinflußt Inhalt und Form des zu Sagenden. Die Entdeckung, daß auch die biblische Verkündigung und Interpretation der Botschaft wie alle menschliche Tätigkeit geschichts- und situationsgebunden ist, ist nun freilich ein Werk der historisch-kritischen Bibelwissenschaft 23 , die ihrerseits von Prämissen ausgeht, die selbst situationsgebunden sind. Die Entdeckung der Geschichtlichkeit und geschichtlichen Relativität aller Äußerungen des menschlichen Geistes gehört der Neuzeit und der in ihr entstandenen Situation an. Eine situationsbedingte allgemeine menschliche Erfahrung wurde auf die Bibel angewendet und in ihr bestätigt gefunden. K a n n aber die auf diese Weise erfolgte Feststellung der Situationsbedingtheit der Botschaft für eine Dogmatik rele20 21

22

23

a. a. O., S. 45 ff. Vergl. z. B. die Darstellung des Ubergangs vom „funktionalen" Kyriostitel im hellenistischen Judenchristentum zur Anschauung vom göttlichen Wesen des Kyrios im hellenistischen Heidenchristentum bei F. HAHN, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum, 1963, S. 120. Vergl. die Zusammenfassung bei J . ROHDE, Die redaktionsgeschichtliche Methode, 1966. Zum Problem vergl. G. EBELING, Art. Hermeneutik in RGG 3 III, Sp. 242— 262, bes. Abschnitt f, Sp. 253; H. LIEBIG, Art. Schriftauslegung, RGG 3 V, Abschnitt I V B , S p . 1 5 2 8 — 1 5 3 4 , bes. S p . 1532 f . ; ferner G . EBELING, D i e B e -

deutung der historisch-kritischen Methode für die protestantische Theologie, in Wort und Glaube, 2. Aufl., 1962, S. 1—49.

Dogmatik und Situation

17

vant sein, für die die menschliche Situation immer schon zur „alten", von der neuen Zeit begrenzten und überholten Zeit gehört? Kann der Geschiditsbegriff einer Geschichtswissenschaft gegen eine Dogmatik ins Feld geführt werden, die eben gerade das, was Geschichte ist, nirgends anders ablesen will als von der Geschichte, die von der „Offenbarung" inauguriert und bestimmt ist?

3. Denkform und Situation a) Der Begriff der Denkform Die verschiedene Beurteilung des Verhältnisses von Botschaft und Situation bei Barth und in der historisch-kritischen Bibelwissenschaft läßt uns nach den Denkformen fragen, die beiden Betrachtungsweisen zugrunde liegen. Dabei begeben wir uns von der Stufe der Betrachtung der theologischen Gegenstände auf die Stufe der Betrachtung dieser Betrachtung, die wir, der Ausdrudssweise der logisdien Semantik folgend 24 , die Stufe der Metabetrachtung nennen wollen. Der Begriff der „Denkform" findet sich schon bei Hegel25. Für die philosophische und theologische Diskussion ist er insbesondere von H . Leisegang fruchtbar gemacht worden, der in seinem 1928 erschienenen Buch „Denkformen"2® Texte aus den Gebieten beider Wissenschaften auf ihre Denkformen hin untersucht hat. Auf theologischer Seite haben sich vor allem E. Schlink und H . Schröer um das Problem der Denkform bemüht 27 . 21

23

28 27

2

V e r g l . I. M . BOCHENSKI, F o r m a l e L o g i k , 2. Aufl., 1962, S. 4 4 8 — 4 6 7 ; DERS.,

Die zeitgenössischen Denkmethoden, 2. Aufl., 1959, S. 59 f. G. W. F. HEGEL, Wissenschaft der Logik, Sämtliche Werke (Jubiläumsausgabe), herausg. von H. Glockner, IV. Band, S. 26. Vergl. H. LEISEGANG, Denkformen, 2. Aufl., 1951, S. 18. H. LEISEGANG, Denkformen, 1928, 2. Aufl., 1951. E. SCHLINK, Der Mensch in der Verkündigung der Kirche, 1936, S. 20 ff. Hier auch Besprechung weiterer Literatur; DERS., Die Struktur der dogmatischen Aussage als ökumenisches Problem, in Kerygma und Dogma III, 1957, S. 251—306; H. SCHRÖER, Die Denkform der Paradoxalität als theologisches Problem, 1960. Vergl. ferner: W. JOEST und H. PANNENBERG (Herausgeber), Dogma und Denkstrukturen, 1963, sowie H. G. FRITZSCHE, Die Strukturtypen der Theologie, 2. Aufl., 1961, und Lehrbuch der Dogmatik I, 1964, S. 51—105. Fritzsches „Strukturtypen" gehören mehr in das Gebiet der dogmatischen Methodologie, die jedoch eine von ihm nicht explizit vollzogene Bintz, Das Skandalon

18

Der Ort der Dogmatik

Bei der Definition und Verwendung des Begriffs zeigen sich bei den genannten Autoren Unterschiede. Leisegang geht in seinem Buch vornehmlich historisch vor und wendet die „Methode der historischen Forschung" 28 an. Seine Definition lautet dann auch: „Unter einer Denkform verstehe ich das in sich zusammenhängende Ganze der Gesetzmäßigkeiten des Denkens, das sich aus der Analyse von schriftlich ausgedrückten Gedanken eines Individuums ergibt und sich als derselbe Komplex bei andern ebenfalls auffinden läßt" 2 9 . Aus der Tatsache, daß es verschiedene Denkformen gibt, zieht Leisegang den Schluß, daß es auch verschiedene Logiken geben müsse30. E. Schlink sieht in Leisegangs Behauptung der Existenz verschiedener Logiken eine „Vermengung von Logik und Denkpsychologie" 31 . Nach Schlink wird man vielmehr „die in den Formen der Denkbewegung zutage tretenden Unterschiede als Variationen innerhalb ein und derselben Identitätsproblematik der einen Logik zu interpretieren haben" 31 . Den Unterschied zwischen den verschiedenen Denkformen und Logiken hielt Leisegang allerdings weniger für psychologisch bedingt, vielmehr sah er seine Ursache in den verschiedenen Gegenständen selbst, die die von ihm untersuchten Autoren vor Augen hatten 32 . H. Schröer glaubt einerseits, daß Leisegang „alle Einwände gegen einen Pluralismus von Logiken treffend widerlegt" 3 3 habe, geht aber selbst von einer einheitlichen formalen Logik aus 34 . Die Untersuchung der logischen Strukturen, zu denen die Denkform gehört, nimmt bei Untersuchung der Denkformen voraussetzt. M. JOSUTTIS, Die Gegenständlichkeit der Offenbarung. K a r l Barths Anselm-Buch und die Denkform seiner Theologie, 1965, gebraucht den Ausdruck „Denkform" für die von ihm in Barths Anselm-Buch und in der K D beobachtete „Prävenienz des Ontischen gegenüber dem Noetischen" (S. 7 u. ö.). Er bezeichnet mit „Denkform" eine ontologische Einstellung. Diese „ontologische Denkform" (S. 7) ist aber mit der logischen Denkform, die wir hier untersuchen, nicht identisch. Mit der von Josuttis herausgestellten ontologischen „Denkform der Gegenständlichkeit" (S. 55) ist noch keine bestimmte logische Denkform präjudiziert. 28

H . LEISEGANG, a . a . O . , S . 5 7 .

29

a. a. O., S. 15 (bei Leisegang gesperrt gedruckt). a. a. O., S. 44. E. SCHLINK, Die Struktur der dogmatischen Aussage als ökumenisches Problem, a. a. O., S. 282.

30 31

32

H . LEISEGANG, a. a. O., S. 4 5 , s o w i e S. 4 4 3 f f .

33

H . SCHRÖER, a . a . O . , S . 1 2 , A n m . 6 .

34

a. a. O., S. 16.

Dogmatik und Situation

19

ihm eine „Zwischenstellung zwischen formaler Logik und Ontologie" ein35. Die Lehre von den logischen Strukturen ist so einerseits auf die formale Logik bezogen, andererseits ist sie abhängig von den Gegenständen, die sie analysiert. Das Verhältnis zwischen Logik und Ontologie und somit der „ O r t " der Denkformen werden allerdings bei H . Schröer nicht wirklich deutlich. Die Betrachtung der theologischen Denkformen ist eine logische Metabetrachtung des theologischen Denkens. Die Logik kann primär extensional oder intensional orientiert sein36. Die extensionale Logik faßt ihre Gegenstände — hauptsächlich Aussagen, Begriffe und Relationen — von deren quantitativer Seite her ins Auge. Sie sieht so weit wie möglich von ihrem Inhalt, der Intension, ab und konzentriert sich auf ihren Umfang, die Extension. Von den Merkmalen der Aussagen etwa wählt sie nur deren Wahrheit oder Unwahrheit als Ausgangspunkt, die extensional betrachteten Prädikate können nach Analogie der mathematischen Mengenlehre miteinander in Beziehung gebracht werden 37 . Diese extensionale Logik ist als solche nicht geeignet, Denkformen zu untersuchen, da diese immer mit dem Inhalt, der Intension, der zu untersuchenden Termen zusammenhängen. Es ist Aufgabe einer primär intensionalen Logik, mögliche Gesetze und Regeln herauszuarbeiten, die beachtet werden müssen, wenn Inhalte von Aussagen und Begriffen miteinander in Beziehung gebracht werden. Die hierbei prinzipiell möglichen Beziehungsformen nennen wir Denkformen. 35 36

37

v>

a . a . O . , S. 18. Nach J . M. BOCHENSKI, Die zeitgenössischen Denkmethoden, S. 58, versteht man unter der Extension eines Begriffs dessen Umfang, bzw. das, was er „bezeichnet", und unter der Intension eines Begriffs seinen Inhalt oder das, was er „bedeutet". So „bezeichnet" der Begriff „ P f e r d " extensional „alle individuellen Pferde". Er „bedeutet" intensional die „,Pferdheit', also das, was jedes Pferd ist". Zur Geschichte dieser Unterscheidung vergl. J . M. BOCHENSKI, Formale Logik, S. 302 f., 417 ff. Zur logisdien Grundlegung der Unterscheidung vergl. R. CARNAP, Meaning and Necessity, erweiterte Aufl. 1956, passim und G.KLAUS, Moderne Logik, S. 120 ff., 175 ff. G . K l a u s , a. a. O., S. 120 ff. unterscheidet zwischen einer formalen, primär extensionalen, und einer dialektischen, primär intensionalen Logik. „Die formale Logik ist die Theorie der extensionalen Denkbestimmungen und Beziehungen, die dialektische Logik aber die Theorie der intensionalen Denkbestimmungen und Beziehungen" (S. 126 f.). Vergl. D. HILBERT und W. ACKERMANN, Grundzüge der theoretischen Logik, 5. Auflage 1967, S. 153 ff.

20

Der Ort der Dogmatik

b) Die idealistische Denkform Die Denkform K . Barths bezeichnen wir mit H . U. von Balthasar als idealistisch38. Es ist hauptsächlich die Ausprägung dieser Denkform in der Philosophie des Deutschen Idealismus, mit der Barths Denken eine starke Verwandtschaft zeigt. Als wichtigster Vergleichspunkt bietet sich uns ähnlich wie von Balthasar 39 die Rolle dar, die der Identitätsbegriff explizit und implizit im Ansatz beider Denkbemühungen spielt. Um diese grundlegende Parallele herausarbeiten zu können, müssen wir stärker, als das bei von Balthasar der Fall ist, auf das idealistische Denken selbst eingehen. Auch in der Beurteilung der Rolle der Denkform bei Barth und in der Suche nach einer Alternative zu dieser Denkform gehen wir andere Wege als von Balthasar. F. Brunstäd hat in seinem Buch „Die Idee der Religion" die Grundzüge idealistischen Denkens herauszustellen versucht. Er hat hierbei auf die Bedeutung des Kantischen Begriffs der Synthesis a priori für die idealistische Philosophie hingewiesen40. „Gegenständliche Beziehung ist Synthesis a priori. A priori, das heißt aus dem Früheren, dem jtpoTEQov, oder aus dem Grunde. Grund aber ist, was die Einheit im Urteilen bewirkt, Grund ist das Einheitbildende. A priori heißt ursprüngliche Einheit 41 ." Für ein der Synthesis a priori verpflichtetes Denken wäre demnach das bei der Verknüpfung der Erkenntnisgegenstände maßgebliche Prinzip die Beziehung aller Relationen auf eine letzte Einheit hin. Bei Kant findet das synthetische Denken im „Ding an sich" seine Grenze 42 . Diese Schranke hat der Deutsche Idealismus nicht mehr anerkannt 43 . Der Geltungsbereich der synthetischen Denkform wurde grenzenlos. Diese wurde zur idealistischen Denkform schlechthin. 38

H . U . VON BALTHASAR, Karl Barth. Darstellung und Deutung seiner Theo-

39

a. a. O., S. 210, S. 213 ff., S. 217 ff.

logie, 2. Aufl. 1962, S. 2 0 1 — 2 5 9 . 40

F. BRUNSTÄD, Die Idee der Religion, 1922, S. 90 ff.

41

a. a. O., S. 94.

42

Zum Problem des „Ding an sich" bei Kant vergl. E . ADICKES, Kant und das Ding an sich, 1924, und H . HEIMSOETH, Persönlichkeitsbewußtsein und Ding an sich in der Kantischen Philosophie in „Studien zur Philosophie Immanuel Kants. Metaphysische Ursprünge und ontologische

Grundlage"

(Kantstudien, Ergänzungsheft 71, 1956). 43

Vergl. W . WINDELBAND, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 14. Aufl. 1950, herausg. von H . HEIMSOETH, S. 4 9 3 — 5 0 8 .

Dogmatik und Situation

21

W i r wollen die philosophische Grundlage und gleichzeitig den V o l l zug dieses Denkens zunächst bei Fichte beobachten. Das Festhalten am „Ding an sich" wird bei Fichte als Dogmatismus abgetan, dem Dogmatismus der Idealismus entgegengesetzt 44 . Der Idealismus findet in der freien Tathandlung des Ich seinen Ausgangspunkt. Seine Voraussetzung ist das freie, durch nidits zu begründende Handeln des Ich, in welchem das Ich sich selbst setzt 45 . Dieses Sich-selbst-Setzen des Ich in freier Handlung findet im Satz der Identität seinen logischen Ausdruck 46 . Alle Identität ist in der frei gesetzten Identität des Ich mit sich selbst verankert. In seiner Wissenschaftslehre behandelt Fidite neben dem Satz von der Identität auch den Satz des Widerspruchs, der in derjenigen Handlung begründet ist, in welcher das Ich sich das Nicht-Ich gegenübersetzt 47 . Beruht das Nicht-Ich formal erneut auf freier Handlung, so ist dieses Handeln material von der ersten Setzung des Ich abhängig 48 . Die Nicht-Identität ist also nur von der Identität her interpretierbar. Das Verhältnis von Identität und Nicht-Identität ist das von Thesis und Antithesis, es ist dialektisch. Die Spannung zwischen beiden Momenten stellt das Ich vor eine neue Aufgabe. Eine neue Handlung ermöglicht in der von der Thesis und Antithesis formal abhängigen Synthesis die Lösung 49 . Die Synthesis behandelt Ich und Nicht-Ich nicht als absolute Größen, sondern betrachtet sie daraufhin, daß beide im Ich durdi das Ich gesetzt und aufeinander bezogen sind 50 . Dieser gegenseitige Bezug, den Fichte unter dem Aspekt der „Teilbarkeit" oder „Quantitätsfähigkeit" von Ich und Nicht-Ich behandelt 51 , ist die formale Bedingung für die von der Vernunft gesetzte Synthesis. Uber das Verhältnis von Thesis, Antithesis und Synthesis gilt: „So wenig Antithesis ohne Synthesis, oder Synthesis ohne Antithesis möglich ist; ebensowenig sind beide möglich ohne Thesis: ohne ein Setzen schlechthin, durch welches ein A (das Ich) keinem andern gleich und keinem andern entgegengesetzt, sondern bloß schlechthin gesetzt wird. Auf unser System bezogen gibt diese dem Ganzen Haltbarkeit und Vollendung; es muß ein System und Ein System sein . . ," 5 2 .

41

J . G. FICHTE, Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797), Phil. Bibl. Band 239, S. 12.

45

Vergl. a. a. O., S. 27 f. J . G. FICHTE, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), Phil. Bibl. Band 246, S. 11 ff. a. a. O., S. 21 ff. a. a. O., S. 23. a. a. O., S. 25 ff. a. a. O., S. 27. a . a . O . , S. 29.

46

47 48 49 50 51 52

a. a. O., S. 35.

22

Der Ort der Dogmatik

Hauptcharakteristikum der Fichteschen Denkform ist der Primat der Identität, der alle Nicht-Identität untergeordnet ist. Das Urbild aller Nicht-Identität ist die material auf die Position bezogene Negation. Die Antithesis ist als Negation polar auf die Thesis bezogen. In diesem Bezug ist die der ursprünglichen Einheit entsprechende Synthesis angelegt. Wird dieses Bezugssystem als Denkform Leitfaden einer Denkmethode, müssen alle Unterschiede auf polare und daher auf höherer Stufe überwindbare Gegensätze reduziert werden. Das Eine System kommt in Sicht. Der in der dialektischen Denkbewegung auf die beide umgreifende Synthesis hin relativierte Gegensatz zwischen Identität und Nichtidentität wird in Schellings Identitätssystem zugunsten der alles umfassenden und in allem präsenten Identität noch weiter gemildert. Die Identität bleibt auf allen Stufen erhalten. Es gibt keine Dinge „an sich", in jedem Ding ist das Ganze organisch anwesend, die Differenz ist rein quantitativer und nicht qualitativer Natur. Wir erläutern die Ausprägung der idealistischen Denkform in Schellings Identitätsphilosophie am Ansatz seiner „Darstellung meines Systems der Philosophie" (1801)53. Hier geht Schölling ebenso wie Fidite in seiner Wissenschaftslehre von dem Satz A = A aus, der einzigen Wahrheit, „welche an sich, mithin ohne alle Beziehung auf Zeit gesetzt ist" 54 . Das Gesetz der Identität ist „das höchste Gesetz für das Seyn der Vernunft, und da außer der absoluten Vernunft" 55 , die Schelling als „totale Indifferenz des Subjektiven und Objektiven" 56 denkt, „nichts ist", gilt das Gesetz „für alles Seyn, (insofern es in der Vernunft begriffen ist)" 55 . „Die absolute Identität ist nicht Ursache des Universums, sondern das Universum selbst" 57 . Es gibt „kein einzelnes Seyn oder einzelnes Ding an sich"58. N u n kann aber die absolute Identität „nicht unendlich sich selbst erkennen, ohne sich als Subjekt und Objekt unendlich zu setzen" 59 . Der Erkenntnisvorgang geht ja von der Formel A = A aus, er setzt mit der Formel Subjekt (A) und Prädikat (A) bzw. Subjekt und Objekt und somit die Differenz beider. Diese aber beruht auf der Identität und weist auf sie zurück60. D a aber zwischen Subjekt und 53

54 55 56 57 58 59 60

F. W. J. VON SCHELLING, Darstellung meines Systems der Philosophie (1801), in: Sämmtliche Werke, 1. Abt., 4. Band, 1859, S. 105—212. a . a . O . , S. 117. a . a . O . , S. 116. a . a . O . , S. 114. a. a. O., S . 1 2 9 . a. a.O., S. 125. a. a. O., S. 123. a. a. O., S. 121 ff., S. 126, Anm. 1:2.

Dogmatik und Situation

23

Objekt nie ein Gegensatz „an sich" stattfinden kann" 1 , ist zwischen Subjekt und Objekt nur eine „quantitative Differenz" möglich, die Schelling eine Differenz der „Potenz" nennt 6 2 . Ist bei Schelling kein D i n g „ a n sich", weil in jedem D i n g die für das G a n z e charakteristische Einheit v o n Subjektivem und Objektivem, I d e a lem und R e a l e m immer präsent ist, so w i r d das Einzelne bei H e g e l erneut durch die dialektische

M e t h o d e auf das G a n z e hin relativiert. D a s

Wesen und die W a h r h e i t des Einzelnen ergibt sich nicht aus ihm selbst, sondern aus dem O r t , den es im dialektischen P r o z e ß in bezug auf das G a n z e einnimmt. Die Gestalt, die die idealistische Denkform bei Hegel erhält, läßt sich etwa am ersten Abschnitt des ersten Buches seiner großen Logik 8 3 zeigen; sie könnte aber an fast allen Teilen seines philosophischen Werkes dargestellt werden. Am Anfang des dialektischen Prozesses steht hier die „Einheit des Seyns und des Nichtseyns", die „Identität der Identität und Nichtidentität" 8 4 . Die im Sein enthaltene Diversität löst die Bewegung des Werdens aus. Im Werden bewegt sich das Sein auf eine zweite Stufe des Seins, das Dasein 8 5 . Dieses ist die „Sphäre der Differenz, des Dualismus, das Feld der Endlichkeit" 8 8 . Die Differenz geht im dialektischen Prozeß über in die dritte Stufe, das Fürsichsein 67 . Dieser Übergang bedeutet kein Verschwinden des Widerspruchs, sondern seine Versöhnung 68 . Für Hegel ist nicht so sehr der Ausgangspunkt als das Ziel des dialektischen Prozesses das W ü t i g s t e . E. Coreth 6 0 weist auf die Stelle hin, in der Hegel den Wert des Widerspruches höher als den der Identität veranschlagt: „. . . ja wenn von Rangordnung die Rede, und beide Bestimmungen als getrennte festzuhalten wären, so wäre der Widerspruch für das Tiefere und Wesenhaftere zu nehmen. Denn die Identität ihm gegenüber ist nur die Bestimmung des einfachen Unmittelbaren, des todten Seyns; er aber ist die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit . . ." 7 0 . Aber der Widerspruch dient bei Hegel dazu, das Sein über das Dasein zum Fürsichsein zu bewegen oder — so läuft der Prozeß der großen

63

a. a. O., S. 123. a. a. O., S. 134. G. W. F. HEGEL, Wissenschaft der Logik, Sämtliche Werke, (Jubiläumsausgabe) herausg. von H . Glockner, I V . und V. Band; vergl. zum folgenden auch: E. CORETH, Das dialektische Sein bei Hegel, 1952.

64

HEGEL, I V , S . 7 8 .

65

IV, IV, IV, IV,

81 82

86 67 88

S. S. S. S.

122. 183. 183. 177.

69

E . C O R E T H , a . a . O . , S. 1 4 2 .

70

HEGEL, I V , S. 5 4 6 .

24

Der Ort der Dogmatik

Logik im ganzen — um vom Sein über das „Wesen" als dessen Antithese zum in der „Idee" kulminierenden „Begriff" als der alles umfassenden Synthese zu gelangen. Der sich durch immer neue Negationen vollziehende Widerspruch ist nötig, um im dialektischen Prozeß das sich selbst bewußte, zu sich selbst vermittelte und mit sich versöhnte Sein zur Entfaltung zu bringen. Die „absolute Idee allein ist Seyn, unvergängliches Leben, sich wissende Wahrheit, und ist alle "Wahrheit"11. Diese Wahrheit aber besteht in der Synthese, der Vermittlung der Versöhnung. Durch den im Sein angelegten Widerspruch kommt das Sein zu sich selbst, indem es sich zugleich entzweit und versöhnt. Hegels Denkform ist daher letztlich der Kreis. „Vermöge der aufgezeigten Natur der Methode stellt sich die Wissenschaft als einen in sich geschlungenen Kreis dar, in dessen Anfang, den einfachen Grund, die Vermittelung das Ende zurückschlingt; dabei ist dieser Kreis ein Kreis von Kreisen . . ." 7 2 . Zur Kreisform des Prozesses gehört es, daß der Widerspruch, aber auch die Versöhnung schon im Anfang, die Antithesis und die Synthesis schon in der Thesis angelegt sind73. Wie bei Fichte und Schelling geht auch bei Hegel die Einheit prinzipiell aller Differenz voraus. Die Differenz ist wie bei Fichte dialektisch auf die Einheit bezogen, die Dialektik trägt den Drang zur Synthesis in sich. D a die Differenz durch Negation zustandekommt, d. h. kein selbständiges positives Element durch sie in Erscheinung tritt, ist Synthesis letztlich recapitulatio der Thesis durch Überwindung von deren Infragestellung. Die Synthesis ist bei Hegel allumfassend. Nichts kann sich ihr entziehen, da sie im Sein selbst gründet, ja mit ihm identisch ist. Widersprüche werden in ihr „aufgehoben", d. h. überwunden, aber in der synthetischen Überwindung gleichzeitig „erhalten" 7 4 .

V, S. 328; vergl. LEISEGANG, S. 143 ff., CORETH, S. 111. « HEGEL, V, S. 351. Vergl. H. LEISEGANG, a . a . O . , S. 143 ff., E. CORETH, a. a. O . , S . 3 3 . 7 3 Die Versöhnung ist daher nichts Neues, Überraschendes. K. BARTH, der in seinem Buch „Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert" in seiner Darstellung Hegels hauptsächlich auf dessen Religionsphilosophie eingeht, hat die Konsequenzen, die dies für den religionsphilosophischen Versöhnungsbegriff Hegels hat, richtig charakterisiert. Hegel hat „die Versöhnung nicht als einen unbegreiflichen neuen Anfang, sondern einfach als eine Fortsetzung des einen Geschehens der Wahrheit, die mit dem Sein Gottes selbst identisch ist, verstanden" (S. 375). Die Frage wird uns beschäftigen, ob es Barth selbst gelungen ist, die Versöhnung als völlig neuen Anfang der Wege Gottes darzustellen. 74 Zum Begriff der Aufhebung vergl. HEGEL, IV, S. 120 f.; E. CORETH, S. 112 f. 71

Dogmatik und Situation

25

Die so charakterisierte Denkform Hegels wirkt sich darum auch auf seine Betrachtung der Geschichte und der geschichtlichen Situation aus. Dem Begriff bzw. der Idee als der Synthesis von Sein und Wesen in der Logik entspricht in Hegels „Enzyklopädie" die Philosophie des Geistes als Synthese von Logik und Naturphilosophie. Die Philosophie des Geistes wird unter dem Aspekt des subjektiven, objektiven und absoluten Geistes entwickelt, wobei die Weltgeschichte als Ausdruck des objektiven Geistes gesehen wird 75 . Bei der Behandlung der Weltgeschichte bleibt die dialektische Denkform Instrument zum Verstehen der geschichtlichen Situationen. Th. Litt weist in einer Einleitung zu Hegels Philosophie der Geschichte zwar darauf hin, daß bei Hegel das Besondere nicht einfach Fall des Allgemeinen sei, es gehe Hegel vielmehr um die „Rettung des Besonderen in seiner Besonderheit", seiner „Unersetzlichkeit" 76 . Aber letztlich triumphiere doch der „Systemgeist"77. In der Tat macht Hegels dialektische Methode eine gewissermaßen spiralenförmige Darstellung möglich, die durch die immer wieder auftretende Gegenüberstellung von Thesis und Antithesis ein Eingehen auf die besondere Situation viel eher ermöglicht als etwa die Denkform der Pyramide 78 , in der Begriffe und Erkenntnisse statisch einander unter- oder beigeordnet werden. Dennoch haben sich auch bei der dialektischen Spirale die individuellen Vorgänge und Erscheinungen dem Gang des dialektischen Prozesses einzufügen. Das Ziel der Entwicklung bleibt für die Entwicklung selbst maßgebend 79 . Um die Besonderheiten etwa eines Volkes im Rahmen der Weltgeschichte verstehen zu können, muß man nach Hegel die hinter allen Besonderheiten und Entwicklungen stehende Idee ebensogut kennen, wie Kepler „mit den Ellipsen, mit

75

70

G. W. F. HEGEL, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (Heidelberger Enzyklopädie), Sämtliche Werke, Jubiläumsausgabe, herausg. von H. Glockner, Band VI, S. 299; DERS., System der Philosophie (Große Enzyklopädie), Sämtliche Werke, Jubiläumsausgabe, herausg. von H . Glockner, Band VIII—X; Band X, S. 426 ff. TH. LITT, Einführung über „Hegels Geschichtsphilosophie" zur Ausgabe von „G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte" von F. Brunstäd in Reclams Universal-Bibliothek Nr. 4881—85/85a—b, S. 3—34; S. 16.

77

TH. LITT, a . a . O . , S. 21.

7a

Zu dieser Denkform vergl. H. LEISEGANG, a. a. O., S. 208 ff. Vergl. TH. LITT, a. a. O., S. 25; G. W. F. HEGEL, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Sämtliche Werke, Jubiläumsausgabe, herausg. von H . Glockner, Band XI, S. 46 f., 60.

79

26

Der Ort der Dogmatik

Kuben und Quadraten und mit den Gedanken von Verhältnissen

derselben

a priori schon vorher bekannt seyn musste, ehe er aus den empirischen Daten seine unsterblichen Gesetze — erfinden konnte" 8 0 .

Zusammenfassend läßt sich als wichtiges Charakteristikum der idealistischen Denkform das synthetische Prinzip hervorheben, aufgrund dessen sie alles Einzelne auf eine a priori angenommene Einheit bezieht (Fichte, Schelling, Hegel). Eine wichtige Ausprägung der idealistischen Denkform ist die dialektische Denkmethode, in der die Einheit im dialektischen Prozeß entfaltet wird, Gegensätze polar aufeinander bezogen werden (Fichte, Hegel) und auch Widersprüche eine positive Bedeutung erhalten, indem sie auf höherer Ebene „aufgehoben" werden (Hegel). Es kann hier nur angedeutet werden, daß die idealistische Denkform bis ins 20. Jahrhundert hinein das Denken verschiedener philosophischer Strömungen geprägt hat. So räumt bekanntlich der zeitgenössische Marxismus gern ein, in seinem dialektischen Denken Hegel verpflichtet zu sein81. Auch die Philosophie von K. Jaspers und M. Heidegger bewegt sidi noch im Rahmen der idealistischen Denkform. Das Ziel des Denkens von Jaspers bleibt das Eine, das freilich nicht vorfindlich ist und nicht als verfügbare Größe gedacht werden kann 82 . Das Denken des Seins, das im Mittelpunkt der Philosophie Heideggers steht, ist Denken der Identität. Dabei wird die Identität nicht als das unterschiedlose Gleiche, sondern als Einigkeit im Unterschied selbst gedacht, ja als der Unterschied von Seiendem und Sein83. Von der gerade in der Differenz von Sein und Seiendem zum Austrag kommenden und ans Licht tretenden Identität grenzt Heidegger die „fade Einheit des nur einförmig Einen" ab84. Das Eine ist also kein oberstes Seiendes, sondern ereignet sich (im Sinne des „Eräugnens"85). Für die Denkform ist diese Identität nicht verfügbares Prinzip. Dennoch bleibt sie dasjenige, zu dem das Denken unterwegs ist.

80

H E G E L , a . a . O . , S. 1 0 2 .

81

Vergl. Art. Dialektik in Philosophisches Wörterbuch, herausg. von G. KLAUS u n d M . BUHR, L e i p z i g o. J .

82

S. o. S. 4.

83

M. HEIDEGGER, Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl. 1959, S. 193; DERS. Identität

84

Vorträge und Aufsätze, S. 193.

85

Identität und Differenz, S. 28.

und Differenz, 1957, S. 63.

Dogmatik und Situation

27

c) Die idealistische Struktur der Lösung des Situationsproblems bei Barth Es dürfte nun deutlich werden, in welch starkem Maße Barths eigene Denkform mit der idealistischen, insbesondere der Hegeischen Denkmethodik übereinstimmt. Es handelt sich hier, wohlgemerkt, um eine formale und nicht um eine inhaltliche Übereinstimmung. Der Vergleichspunkt ist die formale Inbeziehungsetzung der Denkinhalte. Die Berührung findet auf dem Gebiete der Logik statt. Das Denken der Idealisten relativiert das zu Denkende auf einen bestimmten Ausgangspunkt hin. Auch Barth verfügt in seiner Dogmatik über einen Punkt, von dem her er denkt und auf den hin er alle dogmatischen Loci gruppiert, von dem er auch das Problem der Situation angeht. Es ist dies nicht das seiner selbst gewisse Ich, nicht ein allgemeines Absolutes, nicht das Sein schlechthin, nicht die Idee, sondern die kontingente Offenbarung. Aber wie bei Hegel eine geschichtliche Situation nur dann in ihrer Eigentlichkeit und Wahrheit erfaßt ist, wenn sie unter dem Aspekt des einen, sich dialektisch auf sich selbst zu bewegenden Geistes analysiert ist, so hat nach Barth die theologische Betrachtung der Situation unter dem Gesichtswinkel ihrer Beziehung zur im einen Wort Gottes offenbaren „Heilsgeschichte" zu erfolgen. Eine von solcher logischen Methodik unabhängige Kirchengeschichtsschreibung und historischkritische Bibelwissenschaft kann Barth zwar in ihrem relativen Recht durchaus anerkennen, aber die Kirchengeschichte spielt dabei — jedenfalls in den Prolegomena 86 — nur die Rolle einer „Hilfswissenschaft", und das Historisch-Kritische der Bibelwissenschaft kommt als Problem, das den Ansatz der Dogmatik selbst beeinflussen könnte, nidit zum Tragen. Barth versucht in der K D , gewisse idealistische Denk Inhalte auszuschalten, die noch in der Periode der zweiten Auflage seines Römerbriefes seine theologische Ausdrucksweise beeinflußten 87 . So charakterisiert er die Offenbarung nicht mehr als den mit der Ewigkeit identischen ausdehnungslosen Punkt des „Jetzt", an dessen Negation die Zeit entstehe88, sondern ersetzt diese idealistisch-existentialistische Begrifflichkeit durch die mehr biblische Rede von der „erfüllten Zeit" der Offenbarung, die

87

K D I, 1, S. 3. Vergl. hierzu F. HOLMSTRÖM, D a s esdiatologisdie Denken der Gegenwart, neubearb. und verk. Ausgabe 1936, übers, von H . KRUSKA, S. 236 ff.

88

Römerbrief, 2. Aufl., 1922, S. 287.

86

Der Ort der Dogmatik

28

der „geschaffenen Zeit" einerseits und der „verlorenen Zeit" andererseits gegenübersteht 89 . Deren Verhältnis wird aber mittels der idealistischen Denk form bestimmt. Für die Interpretation der „verlorenen Zeit", in der wir uns faktisch befinden, ist die „erfüllte Zeit" der Heilsgeschichte maßgebend, die zugleich Urbild der „geschaffenen Zeit" ist. Die „verlorene Zeit" ist durch die Sünde gekennzeichnet und daher „uneigentliche" Zeit. Der Fall und mit ihm überhaupt die Sünde sind bei Barth wesentlich Negation 90 . Die „uneigentliche" Zeit muß als Negation der geschaffenen Zeit verstanden werden. Sie verhält sich wie die Antithese zur These, die wiederum von vornherein auf die Synthese hin angelegt ist. Bei Fichte w a r die Antithese noch schlechthinnige Setzung und daher, wenn auch nicht material, so doch formal von der These unabhängig. Bei Hegel ist nicht nur die Synthese, sondern auch die Antithese schon in der These selbst angelegt, wobei beide letztlich auf die Synthese ausgerichtet sind. D a bei Barth ebenfalls die These auf die Synthese hin entworfen ist, in dieser aber schon immer die Antithese „aufgehoben" ist, ist es fraglich, ob Barth die Kontingenz der Antithese glaubhaft machen kann. Der Fall und die Sünde, mithin die „verlorene" Zeit, sind aber, biblisch gesehen, kontingente Ereignisse. Wir haben Barths Denkform dem Thema dieses Kapitels gemäß an seinem Zeit- und Situationsbegriff erläutert. Wir werden sehen, daß diese Denkform die gesamte Kirchliche Dogmatik beherrscht, und zwar sowohl in ihrem Gesamtduktus als auch bei der Behandlung von Einzelfragen. N u n wäre Barth der letzte, der die Tatsache, ja die Unumgänglichkeit der Verwendung philosophischer Denkformen in der Theologie bestreiten würde. Von „irgendeiner Philosophie haben die Theologen sprachlich immer gelebt und werden sie sprachlich immer leben" 91 . „Indem wir die Bibel lesen, gebrauchen wir — wie bei allem anderen Lesen und Hören — irgendeinen Schlüssel, irgendeinen Denkschematismus als ,Vehikel', um ,mitzukommen'". „Dieser Vorgang ist nun gewiß mit großer Vorsicht und Umsicht zu umgeben. Er darf aber nicht als solther perhorresziert werden . . . Er ist als solcher nicht nur unvermeidlich, sondern legitim . . ."92. Kein mitgebrachter „Denksdiematismus" ist freilich an 89 90 91 92

Siehe oben S. 13 f. Siehe unten S. 137 f. K D I, 1, S. 398. K D I, 2, S. 817.

Dogmatik und Situation

29

sich zum „Erfassen und Deuten des Schriftwortes" geeignet. „Wir haben vielmehr zum vornherein anzunehmen, daß er dazu an sich nicht geeignet sei, daß ihm diese Eignung bestenfalls in der Begegnung mit dem Schriftwort, in dessen Nachfolge, zugeeignet werden könne" 93 . „Es kann der Gebrauch einer bestimmten mitgebrachten Denkweise und Philosophie bei der Aufgabe der Schrifterklärung kein selbständiges Interesse für sich in Anspruch nehmen. Er kann in keiner Weise zum Selbstzweck werden" 94 . Kriterium dafür, daß die Denkform — und zwar bei Barth faktisch die idealistische Denkform — nicht Selbstzweck wird, daß sie über ihren Gegenstand nicht herrscht, sondern ihm dient, kann bei Barth material nur die Offenbarung selbst sein. Die Weise, in der die Offenbarung aber Kriterium ist, ist bei Barth schon immer durch die idealistische Denkform bestimmt. Wir bewegen uns also im Kreise. Die idealistische Denkform kann nicht durch sich selbst in Frage gestellt werden. Wir stimmen mit Barth darin überein, daß die Verwendung irgendeines philosophischen „Denkschematismus" auch für den Theologen unumgänglich ist. Wollen wir die idealistische Denkform auf ihre Angemessenheit für die dogmatische Aufgabe hin untersuchen, bedeutet dies, daß wir den idealistischen Denkkreis zu verlassen und uns einer anderen Denkform zu bedienen haben. Unser nächster Schritt muß es daher sein, nach einer Alternative zur idealistischen Denkform zu suchen. d) Die positivistische Denkform als Alternative zur idealistischen Denkform Barth selbst bezeichnet als Alternative zum Idealismus den Realismus. Über diese Alternative führt er aus: „Wir können wohl realistisch 93

KD I, 2, S. 819.

94

K D I, 2, S. 820. H . U . v. BALTHASAR, a. a. O., S. 215, ist d e r Ansicht, d a ß

es sich bei der idealistischen Denkform Barths letztlich um nicht mehr „als ein ganz formales Schema des Denkens" handle. (Später räumt er allerdings ein, daß sich die Denkform auf den „andern Inhalt" mächtig auswirke. S. 216, vergl. S. 218). Zu den Inhalten, die Barths idealistische, durch das Identitätsdenken geprägte Denkform sprengen soll, gehört nach v. Balthasar die „Dialektik des Ärgernisses" (S. 215). Ob das Ärgernis eine dialektische Struktur hat oder Moment einer Dialektik werden kann, werden wir noch zu untersuchen haben. Es kann aber auf alle Fälle jetzt schon bezweifelt werden, daß ein dialektisches, d. h. letztlich wieder der Identität verhaftetes Denken eben dieses Identitätsdenken überwinden kann.

30

Der Ort der Dogmatik

oder idealistisch, wir können aber nicht christlich denken 9 5 ." Das „Denken des Glaubens wird immer ganz ehrlich entweder ein realistisches oder ein idealistisches, also ein an sich und in sich sehr unchristliches Denken sein. Als solches, also ohne an sich und in sich ein anderes zu werden, ist es als Denken des Glaubens ein gerechtfertigtes und geheiligtes Denken" 6 6 . Glauben heißt nämlich, die „Synthese" zwischen beiden Denkweisen als „unvollziehbar anerkennen, sie G o t t anbefehlen und bei G o t t suchen und finden"®7. Was Barth unter Idealismus und Realismus versteht, hat er 1929 in seinem Aufsatz „Schicksal und Idee in der Theologie" 9 8 näher erläutert. In diesem Aufsatz geht es ihm hauptsächlich um die Ungegenständlichkeit und Gegenständlichkeit Gottes und seines Wortes. Theologie werde immer beide behaupten und daher sowohl idealistisch als realistisch denken müssen. Es „dürfte uns gerade die Erinnerung an den Begriff Offenbarung nahelegen, ein berechtigtes und unaufgebbares Anliegen aller echten Theologie im Realismus darin vertreten zu sehen, daß es ihm offenbar darum geht, Gott als Wirklichkeit zu verstehen". Das bessere Fremdwort zur Umschreibung des Begriffes der Wirklichkeit ist allerdings nicht Realität („so gewiß auch das, also Dinglichkeit, Gegenständlichkeit hier in der Nähe ist"), sondern Aktualität 9 9 . Andererseits hütet der Idealismus, „gerade indem er an Gottes Nicht-Gegenständlichkeit und also an die Inadäquatheit alles menschlichen Denkens und Redens vor Gott erinnert, den Gegenstand der Theologie vor der Verwechslung mit anderen Gegenständen. Idealismus gibt dem theologischen Denken und Reden die Richtung auf Gott, der nur in seiner echten Jenseitigkeit wirklich Gott ist. Theologie braucht dieses Gegengift und diese Zucht. Eine vom Idealismus wirklich gereinigte Theologie könnte nichts anders als ein paganistisches Monstrum sein" 100 .

Die ontologische Unterscheidung, die B a r t h hier zwischen Realismus und Idealismus in bezug auf ihre Brauchbarkeit für die Theologie macht, bedeutet noch nicht, daß er auch eine logische Alternative zur idealistischen Denkform erarbeitet hat. Denn der Unterschied zwischen Realismus und Idealismus in ontologischer Hinsicht wird, logisch gesehen, idea-

95 90 97 98 89 100

KD 1 , 1 , S. 182. KD I, 1, S. 182 f. K D I, 1, S. 182. In „Zwischen den Zeiten", 7. Jahrg. (1929), S. 309—348. a. a. O., S . 3 2 1 . a. a. O., S. 333.

Dogmatik und Situation

31

listisch dargestellt. Idealistische Kategorien wie Gegenständlichkeit und Nichtgegenständlichkeit101 wie auch der dialektische Bezug beider ontologischer Aspekte aufeinander zeigen das deutlich. Aber auch ontologisch gesehen, bleibt der Realismus so dialektisch an den Idealismus gebunden und bietet keine echte Alternative zu diesem. Ein auf den Idealismus polar bezogener Realismus kann die dialektische Bewegung, die über ihn selbst hinausführt, nicht wirklich aufhalten. Barth betont zwar, daß die Theologie weder den Realismus noch den Idealismus als tertium noch überhaupt ein tertium zu behaupten habe102, das tertium sei vielmehr „streng und exklusiv Gottes tertium und nicht das unsrige"103. Wirklich durchhalten kann er diese Forderung allerdings nicht, da der Realismus von vornherein auf den Idealismus hin relativiert ist. Einer echten Alternative zur idealistischen Denkform kommen wir einen Schritt näher durch die Wesensbestimmungen des Idealismus und des Realismus, die F. Brunstäd in seiner religionsphilosophischen Grundlegung „Die Idee der Religion" 104 gegeben hat. Gerade weil Brunstäd selbst die Position des Idealismus bezieht und den Realismus ablehnt, kommt für ihn ein gewissermaßen gleichberechtigtes Nebeneinander beider philosophischer Denkbemühungen im Sinne eines polaren Verhältnisses nicht in Frage. Der „Grundbegriff des Realismus" ist bei ihm das „Ding", das dieser als ein „Ansidi", als „das Fürsichbestehende", als „Substanz" versteht 1 0 5 . Charakteristisch für das Ding ist seine Isoliertheit und Absolutheit in bezug auf andere Dinge. Folge dieses Dingbegriffes ist eine „Wirklichkeitszersplitterung", die vom idealistischen Standpunkt nur als ein „Sündenfall des Denkens" bezeichnet werden kann 1 0 6 .

Der Vorwurf der „Wirklichkeitszersplitterung" trifft nun freilich nicht auf jede Form des Realismus zu, zu dem Brunstäd auch den „objektiven Idealismus" eines Piaton und eines Aristoteles rechnet107. Wohl ist für den Positivismtis nicht die auf einer letzthinnigen Identität beruhende Synthese, sondern das jeweilige Einzelne Ausgangspunkt und bestimmender

101

V e r g i , v . BALTHASAR, a . a . O . , S . 1 0 2 .

102

K . BARTH, Schicksal und Idee in der Theologie, S. 340.

103

a. a. O., S. 345.

104

F. BRUNSTÄD, Die Idee der Religion, 1922.

105

a. a. O., S. 72.

106

a. a. O., S. 150.

107

a. a. O., S. 81.

32

Der Ort der Dogmatik

Faktor der Denkmethode. Der Positivismus bildet daher die eigentliche Alternative zum Idealismus 108 . Wenngleich die positivistische Philosophie ihren N a m e n erst durch A. Comte (1798—1857) erhielt, war es schon D. Hume (1711—1776), der ihr Fundament legte 100 . Hume hat gerade zum Thema der Identität einen Standpunkt vertreten, der dem idealistischen entgegengesetzt ist 110 . Die Identität der Gegenstände unserer Erkenntnis läßt sidi nicht von den auf den Eindrücken (impressions) der Dinge beruhenden Vorstellungen (ideas) ableiten. Daß Objekte mit sich identisch sind, die wir in gewissen Zeitabständen wieder erkennen, läßt sich nicht beweisen111. Ebenso wie die Identität läßt sich auch die Kausalität, die Hume besonders ausführlich untersucht, nicht vom Objektbereich ablesen. Sie beruht vielmehr auf der durch die Gewohnheit (custom) erhärteten Annahme (belief), daß gewissen Eindrücken zeitlich immer bestimmte andere folgen. Kausalität und Identität sind nur Hilfskonstruktionen, mit denen wir Objekte ordnen und miteinander verknüpfen oder ihre Unveränderlichkeit annehmen. Die persönliche Identität 112 schließlich beruht auf derselben „fiktiven" Annahme, mit der wir Objekten Identität zusdireiben113. Darüber hinaus kann sie auch als Resultat des Erkenntnisvorganges selbst verstanden werden und auf die ebenfalls nur durch gewohnheitsmäßige Annahme zustandegekommenen Relationen der Ähnlichkeit (resemblance) und Verursachung (causation) zurückgeführt werden 114 . Diese machen einen geordneten und zusammenhängenden Fluß der Vorstellungen möglich und rufen so die Fiktion der Identität des erkennenden Subjektes hervor. Die erkenntnistheoretische Problematik dieser Konstruktion können 108

Zur Gegenüberstellung von Idealismus und Positivismus vergl. E. LAAS, Idealismus und Positivismus. Eine kritische Auseinandersetzung, 3 Bde, 1879—1884, der den Idealismus wesentlich als Piatonismus versteht. Fern e r : F . BRUNSTÄD, D i e Idee der Religion, 1922, S. 85 ff.; E. HIRSCH, D i e

idealistische Philosophie und das Christentum, 1936, S . 36 ff.; H. SCHOLZ, Piatonismus und Positivismus in: Mathesis Universalis, 1961, S. 388—398. 10» VERGL, G . PATZIG, Art. Positivismus, RGG 3 V, Sp. 473—476; H. DELIUS, P O sitivismus und Neopositivismus in: Das Fischer Lexikon 11, Philosophie, S. 269—286, S. 272; DERS., Art. Hume, David, RGG 3 III, Sp. 488 f. 110 Wir folgen Humes Buch „A Treatise of Human Nature", da Hume das Thema der persönlichen Identität in seinem späteren Werk „An Inquiry concerning Human Understanding" nicht mehr aufgenommen hat. 111 D. HUME, A Treatise of Human Nature, herausg. von L. A. Selby Bigge, 1888, Neudruck 1951, S. 74, vergl. S. 187 ff. 112 Zu dieser vergl. a. a. O., S. 251 ff. 113 a. a. O., S. 259. 114 a. a. O., S. 260 f.

33

D o g m a t i k und Situation

wir hier außer Betracht lassen. Für unsere Frage nach der Denkform ist es wichtig, daß bei Hume die Identität, die Synthese, die Relation nicht am Anfang des Systems stehen, sondern gewissermaßen erst gesucht werden müssen. Nimmt man den Humeschen Zweifel zum Ausgangspunkt, kommt man zu einer Denkform, die sich von der idealistischen grundsätzlich unterscheidet. Die Kategorie der Einheit besitzt hier keine Apriorität, sie ist zutiefst fragwürdig. Das „Ding", bei Kant später nur bedrohliche Grenze der Synthesis, hat hier schon die Synthese selbst gesprengt. Über die Gegenstände wird nicht von vornherein verfügt. Die Ordnung, in der sie stehen, steht nicht schon fest, sondern bleibt problematisch. Der Positivismus, der sich als außergewöhnlich fruchtbar für die Entwicklung der Naturwissenschaften erwies, griff in Form des Historismus im 19. Jahrhundert auf die Geisteswissenschaften über 115 . In der Theologie förderte er die biblischen und historischen Disziplinen. Anstelle der fertigen, mitgebrachten Synthese wurde die Ehrfurcht vor dem Gegenstand und die Liebe zum Detail Ausgangspunkt der Forschung. Die vom Positivismus angeregte Geschichtswissenschaft erwies die Bedeutung der Situation für jede Äußerung des menschlichen Geistes, auch für die Denkform. In der Philosophie ist die positivistische Denkform in neuerer Zeit besonders bei dem von Hume beeinflußten britischen Denker B. Rüssel und bei L. Wittgenstein weiterentwickelt worden 118 . Von L. Wittgenstein gingen, wie wir weiter unten an einem Beispiel verdeutlichen werden 117 , beachtliche Impulse auch auf die Theologie besonders in England und Amerika aus. D e r „logische A t o m i s m u s " B. Russeis und des jüngeren Wittgenstein 1 1 8 ging v o n „ a t o m a r e Tatsachen" abbildenden

„atomaren Sätzen" bzw.

„Elementar-

s ä t z e n " aus, die G e g e n s t a n d einer v o r w i e g e n d extensionalen L o g i k

wurden.

Für die Untersuchung der intensionalen Beziehungen ist das posthum heraus-

115 Vergi. E . TROELTSCH, D e r Historismus und seine Probleme, 1. Buch, in G e sammelte Schriften, 3. B a n d , 1922, S. 371 ff. 116 VERGI. I. M. BOCHENSKI, Europäische Philosophie der G e g e n w a r t 2 , S. 54—73. 117

Siehe unten S. 51 ff.

Iis Vergi, in dem S a m m e l b a n d „ L o g i c a i P o s i t i v i s m " , herausg. v o n A. J . AYER, Glencoe, Illinois, 1959, die Einleitung v o n A. J . AYER, S. 3 — 2 8 und „ L o g i c a i A t o m i s m " (1924) v o n B. RÜSSEL, S. 3 1 — 5 0 . Vergi, ferner L . WITTGENSTEIN, T r a c t a t u s logico-philosophicus in DERS., Schriften I, F r a n k f u r t 1960, S. 7 bis 83. 3

Bintz, D a s S k a n d a l o n

D e r O r t der D o g m a t i k

34

gegebene S p ä t w e r k W i t t g e n s t e i n s wichtig 1 1 9 . D e r I n h a l t v o n S ä t z e n u n d

Aus-

drücken w i r d hier nicht m e h r in b e z u g a u f seine B e z i e h u n g z u e l e m e n t a r e n T a t sachen, s o n d e r n in b e z u g a u f seine F u n k t i o n im U m g a n g

des Menschen

mit

a n d e r e n Menschen u n d m i t D i n g e n untersucht. D a b e i entdeckt W i t t g e n s t e i n die M ö g l i c h k e i t einer V i e l z a h l v o n „ S p r a d i s p i e l e n " 1 2 0 , die ihren inneren S i n n u n d Z u s a m m e n h a n g a u s d e m G e b r a u c h der S p r a c h e in einer gewissen S i t u a t i o n herleiten. Zwischen diesen S p r a c h s p i e l e n

g i b t es z w a r

„Verwandtschaften"121,

es

gibt a b e r keine v o r g ä n g i g e n G e s e t z e ihrer V e r k n ü p f u n g . D i e A u f g a b e des P h i l o s o p h e n ist p r i m ä r die A n a l y s e , nicht die S y n t h e s e . D i e positivistische D e n k f o r m ist so b e i m s p ä t e r e n W i t t g e n s t e i n nicht nur durchgehalten, s o n d e r n noch v e r t i e f t worden.

Idealistische und positivistische Denkform sind sich darin ähnlich, daß sie beide unter einem Zwang stehen. Das idealistische Denken steht unter der Nötigung zum System. Die a priori gesetzte Einheit muß erwiesen werden, die Denkgegenstände müssen in eine analoge oder dialektische Beziehung zueinander gebracht werden. Das positivistische Denken wiederum steht unter dem Zwang der Ausrichtung auf die „Dinge" oder Objekte. Die Wahrheit der Aussagen über die „Dinge" muß an diesen selbst verifiziert werden. Aussagen über Beziehungen zwischen den Dingen haben den Wert der Fiktion. Nur ständiges Experimentieren verbürgt die Richtigkeit von sprachlichen Verlautbarungen über die Objektswelt. Auch da, wo die Sprache nicht primär als Abbildung einer Gegenstandswelt verstanden wird, sondern in bezug auf ihre zwischenmenschliche Funktion betrachtet wird, erweist sich ihre Angemessenheit darin, ob sie in einer kontingenten, von außen gegebenen Situation funktioniert. Der über die idealistische und positivistische Denkform aufgestellte Metasatz, daß beide einer spezifischen Gesetzlichkeit verpflichtet sind, dürfte vom Idealismus als die dialektische dritte Stufe interpretiert werden, in der beide Denkformen auf höherer Ebene vereint werden. Der Positivismus dagegen sieht auch in diesem Metasatz ein Aussagegebilde, das sich aus der Faktizität des Denkens ergibt, aber an ihm 119

L . WITTGENSTEIN, Philosophische

Untersuchungen,

in:

Schriften I, S . 2 7 9

bis 5 4 4 . V e r g l . h i e r z u d a s Beiheft z u L . WITTGENSTEIN, Schriften, 1960, m i t B e i t r ä g e n v o n I. BACHMANN, M . CRANSTON, J . F . MORA, P . FEYERABEND, E . HELLER, B . RÜSSEL, G . H . VON WRIGHT; f e r n e r J . HARTNACK, W i t t g e n s t e i n u n d die m o d e r n e P h i l o s o p h i e , 1 9 6 2 ; C . A . PEURSEN, L u d w i g W i t t g e n s t e i n , 1 9 6 5 ; H . G . HUBBELINK, I n l e i d i n g tot het d e n k e n v a n Wittgenstein, 1 9 6 5 . 120

Philosophische U n t e r s u c h u n g e n P a r . 7 (a. a. O . , S. 2 9 2 f.) u n d p a s s i m .

121

a. a. O . , P a r . 6 5 — 6 8 (S. 323 ff.), P a r . 76 (S. 329), P a r . 6 3 0 (S. 4 7 3 ) .

Dogmatik und Situation

35

durch ständiges Experiment erhärtet werden muß. So sind auch Sätze, in denen wir über den Idealismus oder Positivismus sprechen, nur entweder idealistisdi oder positivistisch zu begründen oder zu interpretieren.

4. Der Ort der Dogmatik im Lichte der Frage nach dem Verhältnis von Botschaft und Situation Wir haben der idealistischen Denkform die positivistische gegenübergestellt. Bei der Bestimmung des Verhältnisses von Botschaft und Situation wird in der durch die idealistische Denkform geprägten Dogmatik Barths die Situation von der Botschaft her ausgelegt. Als selbständiger Gegenstand kommt sie nicht in Frage. Eine Dogmatik, die sich für die positivistische Denkform offenhielte, könnte dagegen die Situation gegenüber der Botschaft zu ihrem Recht kommen lassen. Sie würde die Botschaft in ihrer ursprünglichen Situation zu verstehen suchen, aber sie auch auf die heutige Situation hin auslegen. Droht hier aber nicht die Botschaft von der Situation verschlungen zu werden? Die Botschaft will für alle Zeiten gültige Botschaft sein. Kann dieser universale Gültigkeitsanspruch positivistisch überhaupt zum Ausdruck gebracht werden? Im Bereich der idealistischen Denkform wird die Situation auf die Botschaft, im Bereich der positivistischen Denkform dagegen die Botschaft auf die Situation hin relativiert. Kann sich die Dogmatik angesichts dieser Sachlage ihren eigenen Ort sowohl von der Botschaft als auch von der Situation her anweisen lassen? Gibt es hier nicht nur ein Entweder-Oder? Muß sich die Dogmatik zwischen idealistischer und positivistischer Bestimmung ihres Ortes entscheiden? Es gibt ein Merkmal der Botschaft, das für die Beantwortung unserer Frage von entscheidender Bedeutung ist: Es ist dies der Skandaloncharakter der Botschaft. Eine einseitig idealistisch oder positivistisch denkende Dogmatik bekommt diese Eigenart der Botschaft freilich entweder gar nicht zu Gesicht oder kann sie dogmatisch nicht zum Tragen bringen. Es war daher aus methodischen Gründen nötig, zunächst beide Denkformen herauszustellen und der idealistischen Denkform Barths eine Alternative gegenüberzustellen. Wir können uns nun dem Skandalon-Aspekt der christlichen Botschaft selbst zuwenden. Wir werden dabei untersuchen, inwieweit das Merkmal 3:>

36

Der Ort der Dogmatik

des Skandalon zur Bestimmung des Verhältnisses von Botschaft und Situation und des Ortes der Dogmatik beitragen kann.

3. Kapitel Dogmatik und

Skandalon

Zur Situation des Menschen, an den die Botschaft ergeht, gehört es, daß er innerhalb des Vorstellungs- und Verständnishorizontes seiner Zeit lebt und den Wahrheitskriterien des Denkens seiner Epoche verpflichtet ist. Im Neuen Testament wird berichtet, daß die Botschaft mit ihrem Anspruch Anstoß erregte. Wir werden die Art dieses Anstoßes zuerst von der neutestamentlichen Vorstellungswelt her zu verstehen suchen. Dabei werden wir der Frage nachgehen, ob die Anstößigkeit ein wesentliches Merkmal der Botschaft in bezug auf ihr Verhältnis zur „Situation" ist oder nicht. In einer dogmatischen Untersuchung werden wir die sich hieraus ergebenden Konsequenzen im Licht unseres eigenen Denkhorizontes herausstellen. Ist der Skandalonbegriff für die Bestimmung des Verhältnisses von Botschaft und Situation wesentlich, erhoffen wir von ihm eine weitere Präzisierung des Ortes und der Aufgabe der Dogmatik.

1. Das Skandalon im Neuen Testament Der theologische Begriff des Anstoßes oder des Ärgernisses geht auf die neutestamentlichen Begriffe axâvôaXov und itQÖ