Sein und Gnade: Die Ontologie in Karl Barths kirchlicher Dogmatik [Reprint 2018 ed.] 3110057069, 9783110057065, 9783110865103

Harle, Wilfried

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German Pages 440 Year 1975

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Sein und Gnade: Die Ontologie in Karl Barths kirchlicher Dogmatik [Reprint 2018 ed.]
 3110057069, 9783110057065, 9783110865103

Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
I. DAS SEIN GOTTES
II. BUND UND SCHÖPFUNG
III. DAS SEIN DES MENSCHEN
IV. ANALOGIE UND SEIN
V. DAS NICHTIGE
VI. DIE ONTOLOGIE KARL BARTHS
HINWEISE AUF DIE METHODE DES ZITIERENS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
LITERATURVERZEICHNIS
REGISTER
ANHANG

Citation preview

WILFRIED HÄRLE SEIN

UND

w DE

G

GNADE

SEIN U N D GNADE DIE ONTOLOGIE IN KARL BARTHS K I R C H L I C H E R D O G M A T I K

VON WILFRIED HÄRLE

WALTER DE GRUYTER • B E R L I N • N E W Y O R K 1975

THEOLOGISCHE BIBLIOTHEK H E R A U S G E G E B E N K. A L A N D ,

K.

G.

K U H N ,

C.

H.

27.

TÖPELMANN

V O N

R A T S C H O W

UND

E.

S C H L I N K

B A N D

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität, Kiel, gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

CiP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Härle, Wilfried Sein und Gnade: die Ontologie in Karl Barths Kirchlicher Dogmatik (Theologische Bibliothek Töpelmann; Bd. 27) ISBN 3-11-005706-9

© 1975 by Walter de Gruyter & C o . , Berlin 30 (Printed in Germany) Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es audi nidit gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomedianisdiem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Saladrudc, 1 Berlin 36 * E i n b a n d : Fuhrmann, 1 Berlin 36

Meiner Frau

VORWORT Seit dem Tode Karl Barths ist die Diskussion um die angemessene Deutung seines theologischen Gesamtwerkes mit neuer Heftigkeit entbrannt. Dabei geht es nidit nur um die inhaltliche Frage nach dem Spezifikum der Barthsdien Theologie, sondern zugleich um das methodische Problem der Barth-Interpretation überhaupt. Ist der Schlüssel zum Verständnis Barths primär in seinem theologischen Schrifttum zu suchen oder eher in seiner (politischen) Biographie oder in seiner theologischen und kirchlichen Wirkungsgeschichte? Die vorliegende Arbeit basiert auf der Überzeugung, daß Barth (einschließlich seiner politischen Biographie und seiner Wirkungsgeschichte) am angemessensten dann verstanden wird, wenn man sich möglichst eng an sein theologisches Schrifttum hält. Und hier empfiehlt es sich u. E. wiederum, den Einsatzpunkt zur Interpretation dort zu wählen, wo nach Barths eigenem Urteil das Herzstück des Evangeliums liegt: bei der Erwählungslehre. Ob dieses methodische Vorgehen der Sache angemessen ist, wird der Fortgang der Untersuchung zu erweisen haben. Wir unternehmen in dieser Arbeit den Versuch, den Barthschen Seinsbegriff samt seinen Implikationen, d. h. die ontologisdie Frage, in der ausgereiften Gestalt der Theologie Barths einer Klärung näherzubringen. Dies geschieht in der Erwartung, daß die Erhellung der Ontologie Barths einen wichtigen Beitrag zur Verständigung über seine Theologie im Ganzen erbringt. Die Tatsache, daß in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Untersuchungen zu Teilbereichen der Barthschen Ontologie erschienen sind, mag als Indiz dafür gelten, daß sich hinsichtlich der Gewichtung dieses Problembereiches für die Barth-Interpretation ein gewisser Konsens abzeichnet. Die im Frühjahr 1973 von der Theologischen Fakultät der ChristianAlbrechts-Universität, Kiel, als Habilitationsschrift angenommene Arbeit wurde für die Drucklegung gekürzt, mit einigen Nachträgen zu zwischenzeitlich erschienener Literatur ergänzt und um einen Anhang mit einer ausführlichen Barth-Bibliographie erweitert. Wer sich intensiver

Vili

Vorwort

mit Barths Theologie beschäftigt, wird das Fehlen einer umfassenden Bibliographie der Sekundär-Literatur zu Barth als ein Defizit empfinden. D i e im Anhang vorgelegte Bibliographie kann dieses Defizit nicht beheben. Vollständigkeit w u r d e nicht angestrebt und nicht erreicht. (So wurden z. B. Lexikonartikel und die einschlägigen Passagen dogmatischer oder theologiegeschichtlicher Lehrbücher ihrer leichten Auffindbarkeit wegen grundsätzlich nicht aufgenommen). Trotzdem hoffen wir, daß die vorgelegte Bibliographie einen repräsentativen Überblick über die Literatur bietet und so der Barth-Forschung als vorläufiger Behelf einen gewissen Dienst tun kann. D a n k e n möchte ich an erster Stelle H e r r n Prof. D r . Eberhard Wölfel, der mir, als seinem Assistenten, ausreichend Zeit für wissenschaftliche Arbeit gelassen hat und mir mit seinem R a t und seiner H i l f e in fachlichen wie in persönlichen Fragen immer gerne zur Verfügung stand. E r und Prof. D r . Hans-Joachim Birkner haben die Gutachten erstellt, a u f g r u n d deren die Arbeit als Habilitationsschrift angenommen wurde. A u d i d a f ü r schulde ich ihnen D a n k . Ferner danke ich den Herausgebern der „Theologischen Bibliothek T ö p e l m a n n " und dem Verlag de Gruyter für die freundliche Bereitschaft zur Veröffentlichung der Arbeit und f ü r die erfreuliche Zusammenarbeit bei der Drucklegung sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft f ü r die Gewährung eines namhaften Druckkosten-Zuschusses, durch den die Veröffentlichung erst möglich wurde. Weiterhin habe ich zu danken H e r r n cand. theol. Peter Fenten und den zuständigen Mitarbeitern der Universitätsbibliothek Kiel f ü r ihre fachkundige H i l f e bei der Erstellung der Barth-Bibliographie. D a n k e n möchte ich schließlich meiner Frau, die mich beim Lesen der Korrekturen und beim Erstellen der Register tatkräftig unterstützt und darüber hinaus durch ihre Ermutigungen und ihr Verständnis das Entstehen dieser Arbeit von A n f a n g an entscheidend gefördert hat. Ihr ist d a r u m auch dieses Buch gewidmet. Wilfried H ä r l e

INHALTSVERZEICHNIS Ginleitung I. Das Sein Gottes 1. Gottes Sein und Gottes Offenbarung 2. Das Sein des dreieinigen Gottes 3. Gottes Sein als Akt freier Beziehung a) Gottes Sein als Akt b) Gottes Sein als Beziehung c) Gottes Sein als Freiheit

1 9 13 29 46 46 53 60

II. Bund und Sdiöpfung

70

1. Der Bund 2. Die Schöpfung

75 81

I I I . Das Sein des Mensdien 1. Der wirkliche Mensch 2. Die geschöpfliche Art des Menschen 3. Der Mensch als Ebenbild Gottes IV. Analogie und Sein 1. Analogia entis 2. Analogia fidei a) Analogia fidei als analogia revelationis b) Analogia fidei als analogia attributionis c) Analogia fidei als analogia nominum 3. Analogia relationis V. Das Nichtige 1. Gott und das Nichtige 2. Das Geschöpf und das Nichtige 3. Die „Wirklichkeit" des Nichtigen VI. Die Ontologie Karl Barths 1. Die noetischen Implikationen der Ontologie Barths 2. Einheitlichkeit und Wesen der Ontologie Barths 3. Kritische Würdigung der Ontologie Barths

99 99 130 154 172 173 183 187 192 196 205 227 230 246 255 270 270 287 313

X

Inhaltsverzeichnis

Hinweise auf die Methode des Zitierens Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis Register Anhang: Barth-Bibliographie

329 330 331 340 352

EINLEITUNG Sofern unter „Ontologie" oder „Metaphysik" 1 eine Folge wissenschaftlicher Sätze zu verstehen ist, die den Anspruch erheben, aufgrund allgemein zugänglicher Erfahrung und/oder mittels Vernunft gültige Aussagen über das Sein, b z w . die Wirklichkeit zu madien, verfällt sie Barths strikter Ablehnung. 2 Eine der Theologie selbständig vor- oder ne-

1

1

Der Begriff „Metaphysik" wird von Barth insoweit gleichsinnig mit „Ontologie" gebraucht, als es sich um die Bezeichnung der von Barth abgelehnten Ontologie handelt. (Siehe K D 1,1 S. 35 ff.). Seinem eigenen Verständnis von Ontologie stellt Barth jedoch den Begriff „Metaphysik" entgegen. (Siehe K D 111,4 S. 650). Dementsprechend enthält der Terminus „Metaphysik" (und „metaphysisch") bei Barth durchgehend eine negative Bewertung. Dies zeigt sich auch in den Epitheta: „hintergründige Metaphysik" (Volkstrauertag, 1954, S. 173), „dunkle Metaphysik" (KD IV,3 S. 154) und „wilde Metaphysik" (Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 1938, S. 75 und K D 111,1 S. 26) sowie in dem bekannten Diktum Barths: „Der Heilige G e i s t . . . ist der abgesagte Feind aller Metaphysik" (Christus und wir Christen, 1947, S. 9. Man beachte freilich auch den Komplementärsatz — a. a. O., S. 10: „Der Heilige Geist, der der abgesagte Feind aller Metaphysik ist, ist der ausgesprochene Freund des gesunden Menschenverstandes". Ebs. K D IV,4 S. 31). In diesem Zusammenhang charakterisiert Barth Metaphysik als die „Vernebelung der nüchternen und nüchtern zu betrachtenden Gegebenheiten und Zusammenhänge des menschlichen Daseins und seiner Geschichte durch tiefsinnige Konstruktionen, durch positive oder negative Verabsolutierungen dessen, was eben nicht mehr absolute, sondern nur nodi relative und praktische Bedeutung haben dürfte, was ernst zu nehmen ist, aber durchaus nur auf einer untern Ebene ernst genommen werden darf". (Christus und wir Christen, 1947, S. 9). An anderer Stelle (KD 111,1 S. 150) bezeichnet Barth den „oberen Kosmos" als „metaphysisch". Hier schlägt das landläufige Verständnis des Metaphysischen als dessen, was „über und hinter" (KD 111,1 S. 153) dem Physischen ist, durch.

2

Ontologie, bzw. Metaphysik im Sinne „eines umfassend explizierten Selbstverständnisses des menschlichen Daseins" (KD 1,1 S. 35) oder „als Grundwissenschaft von den menschlichen Möglichkeiten, unter denen irgendwo Härle: Sein und Gnade

2

Einleitung

bengeordnete Ontologie ist für ihn schlechterdings inakzeptabel. 3 Im Blick auf eine derartige Ontologie stellt Barth die Forderung auf, die Theologie müsse entschlossen wagen, „Theologie und also nicht Owtologie zu sein". 4 Solch eine Äußerung kann den Anschein erwecken, als lehne Barth „Ontologie" grundsätzlich ab, und als sei demzufolge schon die Fragestellung nach einer eigenen „Ontologie Karl Barths" verfehlt. 5 auch die des Glaubens und der Kirche vorgesehen wäre" (KD 1,1 S. 41), kann Barth „nicht als diristlich verstehen" (KD 1,1 S. 38). Theologisdie Sätze unterscheiden sich für Barth „von den Sätzen jeder Metaphysik" (KD 1,1 S. 131). Deshalb sieht er sich genötigt, „rundweg zu bestreiten, daß die Metaphysik des S e i n s . . . der Ort ist, von dem aus man christlich-theologisch d e n k e n . . . kann" (KD 11,2 S. 589). Im gleichen Sinne äußert Barth sich KD 1,1 S. 344; 11,1 S. 298; 111,3 S. 85 und IV,2 S. 43 f. Von da aus erweist es sich als mißlich, daß Josuttis (Die Gegenständlichkeit der Offenbarung S. 13) für die Beantwortung der Frage nach der „ontologischen Entscheidung" Barths den Begriff „ontologisdi" definiert als „allgemein philosophisch, allgemein weltanschaulich, im Gegensatz zur bestimmt theologischen, aus theologischen Normen gewonnenen und an theologischen Kriterien verantworteten Aussage". Der von ihm selbst als Beleg zitierten Stelle K D 111,2 S. 5 hätte Josuttis entnehmen können, daß diese Definition nur die von Barth abgelehnte, aber gerade nicht Barths eigene Ontologie zu erfassen 5

4 5

imstande ist. Siehe dazu den Briefwechsel Barth/Bultmann (bes. S. 118, 129, 287 f., 292 und 294), der zeigt, daß gerade an dieser Frage der Dissensus zwischen Barth und Bultmann aufgebrochen ist und sidi durchgehalten hat. Weitere Belege: Das Geschenk der Freiheit, 1953, S. 25: Der Theologe „wird seine Ontologie der Kritik und Kontrolle seiner Theologie unterstellen und nicht umgekehrt". Philosophie und Theologie, 1960, S. 105: Daß der Theologe „sich vom Philosophen mit einer angeblich allgemein und so auch für ihn gültigen Ontologie, Anthropologie, Psychologie usw. beschenken lasse, kann natürlich nicht in Frage kommen". Karl Barth's Table Talk, 1963, S. 20: „It is really not my business to accept philosophy. Perhaps it could be accepted as a system of logic, but not as a metaphysic". Vgl. dazu auch Salaquarda, Das Verhältnis von Theologie und Philosophie, bes. S. 85 ff. KD 11,1 S. 657. In diese Richtung weist Josuttis' Aussage (Die Gegenständlichkeit S. 15): „Bei ihm [sc. Barth] haben wir keine Ontologie". Im Blick auf die von Josuttis vorausgesetzte Definition von „Ontologie" (s. o. Anm. 2) kann diese Feststellung freilich nicht überraschen. Allerdings konstatiert auch Josuttis bei Barth eine Gesetzmäßigkeit „seiner Gedankenabläufe..., die ihm unbewußt und von ihm auch unbeabsichtigt, zu einem bestimmten Wirklich-

Einleitung

3

Demgegenüber ist jedoch d a r a u f hinzuweisen, d a ß B a r t h selbst



spätestens von K D I I I an — die Termini „ O n t o l o g i e " und „ontologisch" in einem positiven Sinne a u f n i m m t . 6 J a , er v e r t r i t t die Auffassung, das W o r t Gottes enthalte „zweifellos eine Ontologie des Menschen", 7 und er entfaltet

diese Ontologie

des Menschen

innerhalb

seiner

Schöpfungs-

lehre. 8 E s ist jedoch kein Zufall, d a ß B a r t h hier nur v o n einer Ontologie des Menschen

spricht, Ontologie also mit Anthropologie

identifiziert,

d a m i t gleichzeitig eine selbständige „Ontologie des geschaffenen

und

Alls",

b z w . eine „Ontologie des H i m m e l s und der E r d e " 9 ablehnt. E r begrünkeitsverständnis, eben einer regelrediten Ontologie, sich verdichten" lasse. (A. a. O. S. 14 f.). Daran ist zweifellos richtig, daß Barth keine explizite Ontologie vorgelegt hat; fraglich erscheint hingegen, ob man die implizite Ontologie Barths als „ihm unbewußt und von ihm auch unbeabsichtigt" bezeichnen kann. Als fragwürdig erscheint uns auch die Behauptung von Josuttis, Barth wolle „nicht von theologischen Grundsätzen aus ein spezifisch christliches Wirklichkeitsbild errichten helfen" (a. a. O. S. 84). Mit Nachdruck hat neuerdings Marquardt in seiner Barth-Interpretation die Formel aufgestellt: „Praxis contra Ontologie" (Theologie und Sozialismus S. 36), bzw. „Kategorie Praxis statt Ontologie" (a. a. O. S. 321 ff.). Marquardt ist der Meinung, Barth sei „eher Marxist als Ontologe" (a. a. O. S. 325). Wenn Marquardt andererseits selbst eine „eigenartige Barthsdie ,Ontologie'" (a. a. O. S. 29) eruiert, nämlich eine „Ontologie der Praxis" (a. a. O. S. 24), so handelt es sich mehr um einen terminologischen als um einen sachlichen Widerspruch. Im Hintergrund der Barth-Deutung Marquardts steht unverkennbar die 11. Feuerbach-These von Marx (vgl. a . a . O . S. 241). „Kategorie Praxis statt Ontologie" heißt für Marquardt entscheidend: Kategorie Welt Veränderung statt Weltinterpretation. Vgl. a . a . O . S. 3 2 5 : „Wirklichkeit heißt V e r ä n d e r u n g . . . Gegenständlichkeit, sofern sie verändert, ist Wirklichkeit". Zur Auseinandersetzung mit Marquardts These 6

7

siehe unten Kap. I, Anm. 201. So z . B . K D 111,2 S. 5, 13, 158 ff., 171 f., 175, 251; 111,4 S. 650, 750; IV,1 S. 46 f., 534, 835; IV,2 S. 305, 311 f., 330 ff., 410 und IV,3 S. 199 ff. Von „Ontik" spricht Barth K D 111,3 S. 38 und 407. K D 111,2 S. 5. Ebs. 111,2 S. 13: „eine Anthropologie, eine Ontologie dieses besonderen Geschöpfs".

K D 111,2. » K D 111,2 S. 5. Ebs. weist Barth K D 111,3 S. 515 den „Versuch einer selbständigen Ontologie des Himmels" zurück. Wir werden dieser Abweisung folgend darauf verzichten, Barths Aussagen über „Das Himmelreich, Gottes 8



4

Einleitung

det diese Ablehnung damit, daß das Wort Gottes keine solche Ontologie enthalte.10 Diese formale Begründung wird von Barth folgendermaßen konkretisiert: „Die Dogmatik hat keinen Auftrag, sidi zur Kosmologie, sie hat aber den Auftrag, sich zu einer bestimmten Lehre vom Menschen zu entfalten Denn eben der Mensch ist ja das Geschöpf, welchem sich der Schöpfer laut seines eigenen Wortes im Werk der Schöpfung, nämlich in dessen Absicht auf den Bund seiner Gnade zugewendet hat. Mehr noch: eben Mensch ist ja Gott selber in der vollkommenen und endgültigen Offenbarung dieses seines Wortes geworden". 11 Da man dies vom Kosmos so nicht sagen kann, ist für Barth auch nicht die Basis und Legitimation für eine „Ontologie des geschaffenen Alls" gegeben. Indessen ermöglicht das eben zitierte Argument bei Barth eine sekundäre Einbeziehung des Kosmos in die Ontologie. Ist nämlich die Absicht des Schöpfers mit dem Geschöpf offenbar, und ist der Schöpfer des Menschen auch der Schöpfer des Alls, „so wird darin, wie es zwischen Gott und dem Menschen steht, zugleich offenbar, wie es zwischen Gott und dem Kosmos steht". 12 Daraus resultiert zwar nicht die Möglichkeit einer eigenständigen (oder gar den Mensdxen umfassenden) Ontologie des Kosmos, wohl aber die Möglichkeit und Notwendigkeit, Aussagen über das Sein des geschaffenen Alls im Zusammenhang mit dem auf den Menschen zielenden Bund zu machen13. Barths Intention (und damit der Grund seiner Ablehnung einer eigenständigen „Ontologie des geschaffenen Alls") liegt darin, keine Seinsaussagen über die Schöpfung zuzulassen, die von anderswoher gewonnen sind als von der Offenbarung des Bundes in Jesus Christus. Dieser Zentrierung auf den Bund will Barth in seiner Schöpfungslehre Rechnung tragen durch die „Zentrierung auf Botschafter und ihre Widersacher" ( K D 111,3 S. 4 2 6 — 6 2 3 ) zu einem eigenen Thema innerhalb der Darstellung und Analyse der Barthsdien Ontologie zu machen. ,0

K D 111,2 S. 5.

11

K D 111,2 S. 13. Die Tragweite dieser Argumentation für Barths Verständnis der Schöpfung und des Mensdien wird in Kap. II und I I I sichtbar werden.

12

K D 111,2 S. 19. D. h. konkret: „Indem Gottes Bund mit ihm [sc. dem Menschen] offenbar wird, wird auch der Kosmos sichtbar als umfaßt von demselben Bunde" (a. a. O.).

15

Dieses Ziel verfolgt vor allem K D 111,1.

Einleitung

5

den Menschen". 1 4 Aber mit dieser Zentrierung will Barth das geschaffene All nicht aus der Ontologie ausschließen, sondern in rechter Weise in sie einbeziehen. Denn die Lehre vom Geschöpf „ist gerade in ihrer konzentrierten Gestalt als Lehre vom Menschen . . . die Lehre vom

ganzen

Geschöpf, die Lehre vom Himmel und von der Erde, die G o t t

ge-

schaffen h a t " . 1 5 Ist damit sdion der Bereich abgesteckt, auf den sich Barths Ontologie erstreckt? M u ß nicht auch die Frage nach dem Sein Gottes

in die Unter-

suchung über die Ontologie Barths einbezogen werden? Definiert man — wie Barth dies in K D 1,1 tut — Ontologie als „umfassend expliziertes Selbstverständnis des menschlichen Daseins", 1 6 so wäre eine das göttliche Sein einbeziehende Ontologie im Sinne Barths eine contradictio in adiecto. Noch schlimmer: sie wäre nur möglich „auf Grund eines Attentats auf den christlichen Gottesbegriff". 1 7 Legt man indessen das Kriterium zugrunde, das Barth in K D I I I , 2 für die Ontologie (des Menschen) geltend madit, daß nämlich das W o r t Gottes, bzw. der Bund sie beinhalte, so kann die Einbeziehung des göttlichen Seins in Barths Ontologie nicht grundsätzlich in Abrede gestellt werden 1 8 . D a jene Definition aus K D 1,1 der von Barth abgelehnten Ontologie gilt, dieses Kriterium aus K D 111,2 jedoch der von ihm selbst entfalteten Ontologie, wird man sich bei der Frage nadi dem Geltungsbereich der Bardischen Ontologie (in An14

15 18 17

19

KD 111,2 S. 12. Die Lehre vom Geschöpf ist für Barth „insofern ,anthropozentrisch"1 (a. a. O.). KD 111,2 S. 20. S.o. Anm.2. KD 11,1 S. 93. Die Aussage Barths bezieht sidi hier auf die natürliche Theologie im Allgemeinen, sie gilt aber auch für die von Barth charakterisierte Ontologie im Besonderen, sofern durch sie Gott zu einem Element menschlichen Daseins gemacht würde, das mittels menschlichen Selbstverständnisses expliziert werden könnte. Vgl. auch: Das diristlidie Verständnis der Offenbarung, 1948, S. 9. Vgl. KD 111,2 S. 5: „Das Wort Gottes handelt von Gott und vom Menschen. Es enthält darum zweifellos eine Ontologie des Menschen". Mit derselben Logik könnte man fortfahren: Es enthält darum zweifellos eine Ontologie Gottes und des Menschen. Ähnlich Barth selbst KD 111,2 S. 13: Würde die Dogmatik versäumen, „sich zu einer bestimmten Lehre vom Menschen zu entfalten", so „würde sie ihrer Aufgabe der Auslegung des Wortes Gottes gegenüber ebenso versagen, wie wenn sie es versäumte, an ihrem Ort audi zur expliziten Lehre von Gott zu werden".

6

Einleitung

lehnung an K D 111,2) für die Einbeziehung des göttlichen Seins entscheiden müssen. 19 Mit derselben Argumentation kann schließlich die Aufnahme des Nichtigen in die Darstellung der Ontologie Barths begründet werden. Auch hier wird sich im Verlauf der Untersuchung ergeben, daß es gerade die Beziehung zum Bund, bzw. zu Jesus Christus ist, der das Nichtige seinen Charakter als „Wirklichkeit" und damit seine Zugehörigkeit zum Geltungsbereich Barthscher Ontologie „verdankt". 20 Im Unterschied zur Lehre vom Sein Gottes, die von Barth niemals als „Ontologie Gottes" 21 o. Ä. bezeichnet wird, ist der ontologische Charakter der Barthschen Lehre vom Nichtigen explizit. So spricht Barth von der „eigentümlichen Ontik" 22 des Nichtigen, bzw. von der „ontologischen Klasse oder Stufe des Seins, dem das Böse . . . angehört". 23 Wurde bisher der Geltungsbereich der Ontologie Barths von seinen eigenen Kriterien und explizitien Äußerungen her umrissen, so läßt sich das dabei gewonnene Ergebnis auch von einem allgemeinen Kriterium aus erhärten und einsichtig machen: vom Begriff „Ontologie" bzw. vom Begriff „Sein" selbst. 24 Dabei zeigt sich, daß Barth nicht nur 19

20 21

22 25 24

Jüngel, Gottes Sein ist im Werden S. 75: „Alle Aussagen [sc. Barths] über die Erkenntnis Gottes und also über Gottes Gegenständlidi-Sein haben durchaus ontologischen Charakter. Das gilt nicht weniger für Barths Trinitätslehre". Deswegen intendiert Jüngel mit seiner Studie eine „ontologische Lokalisierung des Seins Gottes" (a. a. O. S. III). Vgl. hierzu auch Schmid, Verkündigung und Dogmatik S. 168. S.u. Kap. V. Vgl. Gollwitzer, Die Existenz Gottes S. 106. Gollwitzer will freilich nicht nur den Begriff vermeiden, sondern lehnt die damit gemeinte Sache ab. Es bleibt freilich zu fragen, ob diese Ablehnung angesichts der von Gollwitzer behaupteten „Notwendigkeit von Ist-Sätzen" (a. a. O. S. 169 ff.) über Gott aufrechterhalten werden kann. Vgl. dazu Gollwitzers Erwägungen über eine „theologische Ontologie" (a. a. O. S. 171). KD 111,3 S. 407 . K D I V . 3 S . 204. Wir verzichten dabei ausdrücklich darauf, die Begriffe „Ontologie" und „Sein" von vornherein in einer bestimmten Weise zu „definieren". (Von einer Definition des Seinsbegriffes kann ohnedies nicht im strengen Sinne gesprochen werden. Der transkategoriale Charakter von Sein madit eine solche Definition unmöglich. Was sollte für „Sein" genus proximum sein?), Dies geschieht, um die Fragestellung nach der Ontologie Barths nicht a priori einzuengen und das Ergebnis der Untersuchung nicht zu präjudizieren. Die

Einleitung

7

im Zusammenhang seiner Gotteslehre den „Seinsbegriff... in aller Unbefangenheit aufnehmen" 25 kann, sondern daß er den Seinsbegriff auch im Blick auf die Schöpfung, 26 den Menschen27 und das Nichtige 28 verwendet. Schon diese triviale Beobachtung des Barthschen Sprachgebrauchs provoziert die Frage nach einer umgreifenden Ontologie Barths. Spricht Barth vom Sein Gottes, vom Sein der Welt, vom Sein des Menschen und vom Sein des Nichtigen, so ist zu fragen, was dieser Begriff „Sein" besagt. Es ist weiter zu fragen, ob in allen Fällen ein einheitlicher oder ein unterschiedlicher Gebrauch des Seinsbegriffes vorliegt. Schließlich stellt sich die Frage nach den Prämissen und Konsequenzen des auf diese Weise eruierten Verständnisses von „Sein". Mit alledem ist im umfassenden Sinne die Frage nach der Ontologie Barths gestellt und zugleich der Gang der Untersuchung vorgezeichnet. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich darauf, die Ontologie in Karl Barths Kirchlicher Dogmatik und in seinem gleichzeitigen übrigen Schrifttum darzustellen und zu analysieren. Sie konzentriert sich also auf den sog. „späten" Barth. 29 Diese Beschränkung ist zu sehen auf dem Hintergrund einer vorangegangenen Untersuchung über den „frühen" Barth und Luther. 80 Dort wurde im Rahmen einer weiter gefaßten FrageKlärung des Barthschen Verständnisses von „Ontologie" und „Sein" kann nicht am Anfang der Analyse stehen, sondern ist deren Ziel. 25 KD 11,1 S. 292. 20 KD 111,1 S. 395 ff. 27 28 29

30

K D 111,2 S. 64 ff. K D 111,3 S. 402 ff. Barths Anselm-Buch (Fides quaerens intellectum), nadi seinem eigenen Urteil das „eigentliche Dokument" seines „Abschieds" (How my mind has dianged, 1939, S. 185) von der noch teilweise anthropologisch argumentierenden frühen, Dialektischen Theologie, erschien 1931; der erste Band der K D (Neubearbeitung der CD von 1927) kam 1932 heraus; der „Abschied" von „Zwischen den Zeiten", dem Organ der Dialektischen Theologie, erfolgte 1933. Mit diesen Jahreszahlen (1931—33) ist der Beginn der Theologie des „späten" Barth so präzise wie möglich markiert. (Vgl. dazu Torrance, Karl Barth S. 133 ff.). Die Frage nadi Wandlungen innerhalb der Theologie bzw. Ontologie des „späten" Barth (von ca. 1932 bis zu seinem Tode im Jahre 1968) wird im Rahmen der Untersuchung jeweils anhand der Einzelthemen erörtert, bei denen mit solchen Wandlungen scheinbar oder tatsächlich zu rechnen ist. Härle, Die Theologie des „frühen" K. Barth in ihrem Verhältnis zu der Theologie M. Luthers. Diss. Bochum 1969.

Einleitung

8

Stellung das ontologische Problem beim „frühen" Barth mitverhandelt 81 . Dabei erschien die ontologische Frage nadi dem Gott-Welt-Verhältnis als der zentrale Problembereich der Theologie des „frühen" Barth. Dieses Ergebnis steht nidit nur im Hintergrund der vorliegenden Arbeit, sondern initiierte auch die Konzentration auf die Frage nach der Ontotogie des „späten" Barth. Darin spricht sich die Erwartung aus, daß eben in der Ontologie wesentliche Grundlagen der gesamten Theologie Barths sichtbar werden. Mit der Zielsetzung, einen Beitrag zum Verständnis der Theologie Barths — als eines herausragenden Stückes neuerer Theologiegeschichte — zu leisten, verbindet sidi des Weiteren die Hoffnung, daß solches Verstehen (als Voraussetzung kritischer Prüfung) die Beantwortung der immer neu gestellten und immer neu zu stellenden Frage vorantreibe, was das sei: „Wirklichkeit", bzw. „Sein".

81

A.a.O. S. 3 ff., 92 ff., 125.

I. D A S S E I N GOTTES 1 „Gott ist".2 Dieser Satz steht nidit nur am Anfang der Ausführungen Barths über die Wirklichkeit Gottes, sondern er ist zugleich der Einstiegspunkt in Barths Ontologie überhaupt. Man könnte dagegen einwenden, die Aussage: „Gott ist" setze zunächst eine Klärung dessen voraus, was unter „Sein" zu verstehen sei und eigne sidi darum nicht als Einsfzegspunkt in die Ontologie. Dieser Einwand wird jedoch von Barth zurückgewiesen, und damit wird ein wesentliches Merkmal seiner, der Barthschen Ontologie sichtbar. Was Barth nachdrücklich ablehnt, ist gerade die Verständigung über ein „Sein im Allgemeinen", 3 das dann (audi) Gott zugesprochen wird. 4 Aus einem solchen Verfahren müßte nadi 1

Unter der deutschen Barth-Literatur gibt es u. W. nur eine Monographie, die Barths Gotteslehre zum Gegenstand hat: die ausgezeichnete Paraphrase von Jüngel, Gottes Sein ist im Werden, 1965. Daneben sind zum folgenden Kapitel zu vergleichen: M. P. van Dijk, Existentie en genade, 1952, S. 59 ff.; Hedinger, Der Freiheitsbegriff in der KD K.Barths, 1962, bes. S. 33 ff.; Josuttis, Die Gegenständlichkeit der Offenbarung, 1965, S. 54 ff. und 88 ff.; Browarzik, Glauben und Denken, 1970, Teil II sowie Marquardt, Theologie und Sozialismus, 1972, S. 231 ff. 2 KD 11,1 S. 288. Dieser Satz wird von Schmid (Verkündigung und Dogmatik S. 174) zu Recht als „die eminent ontologische Grundaussage" Barths bezeichnet. » KD 11,1 S. 90, 92, 271 u. 349. Vgl. auch Barths Warnung vor dem „drohendein) Aufgehen der Gotteslehre in einer Seinslehre" (KD 11,1 S. 291). * Jüngel (Gottes Sein S. 75) weist mit Recht darauf hin, „daß Barths Rede vom Sein Gottes den Seinsbegriff nicht im Sinne einer allgemeinen Seinslehre verwendet. Barths Dogmatik macht auf der ganzen Linie ontologische Aussagen. Aber eine Ontologie ist diese Dogmatik nicht; jedenfalls nicht im Sinne einer von einem allgemeinen Seinsbegriff her entworfenen Seinslehre, innerhalb derer an seinem Ort auch das Sein Gottes (als höchstes Sein, als Sein-Selbst etc.) verhandelt würde". Hierher gehört auch Barths wiederholte Berufung auf den Thomasischen Satz: „Deus non est in aliquo genere" (S. Th. I, qu. 3, art. 5). So z. B. in Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 1938, S. 57, KD 11,1 S. 349 und Dogmatik im Grundriß, 1947, S. 44.

10

Das Sein Gottes

Barths Meinung mit innerer Notwendigkeit resultieren, daß nicht Gott, sondern das Sein zum „Kriterium aller Wahrheit" 5 würde. Ein Gott aber, der dem Sein untergeordnet ist, am Sein nur „seinen besonderen, wenn auch höchst gehobenen Anteil hat", 6 ist für Barth gerade nicht Gott, sondern ein Götze,1 und d. h. ein Produkt, eine Projektion des Menschen.8 Kann also, was „Sein" in Anwendung auf Gott heißt, nadi Barths Auffassung nicht geklärt werden mittels einer Verständigung über den Seinsbegriff im Allgemeinen, so muß der umgekehrte Weg beschritten werden: der Seinsbegriff in seiner Anwendung auf Gott ist zu bestimmen aufgrund der Analyse des Seins Gottes.9 Die Aussage: „Gott ist" steht also tatsächlich am Anfang der Ontologie Barths. Diese Tatsache hat weitreichende Konsequenzen. Zunächst: Ist „Sein" zu bestimmen vom Sein Gottes her, so müssen alle Vorstellungen des Menschen vom „Sein" zunächst beiseite gelassen werden. Der Mensch weiß von sich aus nicht, was „Sein" bedeutet.14 5

K D 11,1 S. 273.

• K D 11,1 S. 90. 7

D i e Annahme eines „Seins Gottes im Allgemeinen, das er mit uns und allem Seienden gemein hätte", bedeutet für Barth „die Einführung eines fremden Gottes in den R a u m der Kirche". Und gegen die Identifizierung des Gottes, „der das H a u p t und der H i r t e der Kirche ist, . . . mit jenem Götzen" ( K D 11,1 S. 92) richtet sich Barths schärfster Protest.

8 9

K D 11,1 S. 92. Vgl. dazu unten Anm. 45. K D 11,1 S. 2 9 2 : „Wir müssen u n s . . . darüber im Klaren sein, daß und nicht das Sein — das Sein nur als das Sein Gottes

Gott

unser Gegenstand

ist, daß es sich also bei dem hier in Rede stehenden Sein Gottes nicht um einen frei zu wählenden allgemeinen und neutralen, sondern um einen zum vornherein in ganz bestimmter Weise gefüllten Seinsbegriff handelt, und daß diese seine Füllung nicht willkürlich, sondern nur aus dem Worte Gottes geschehen kann, nachdem sie im Worte Gottes schon geschehen und uns vorgegeben ist. Das bedeutet aber, daß wir Gottes Sein nun doch nicht anders bestimmen können als im Blick dahin, wo Gott sich selber uns zu sehen gibt". Ähnlich K D 11,1 S. 687 f. Dazu Jüngel, Gottes Sein S. 7 7 : „Theologisch entscheidend

ist,

daß

der Seinsbegriff

am

Gottesbegriff

gemessen

wird . . . " . Vgl. auch Schmid, Verkündigung und Dogmatik S. 137. 10

Vgl. Dogmatik im Grundriß, 1947, S. 50, wo Barth inhaltlich-konkret vom Sein Gottes spricht: „Ich würde nicht sagen: Gott ist die Freiheit oder G o t t ist die Liebe. Audi wenn die zweite Aussage eine biblische ist. W i r wissen

Das Sein Gottes

11

Er kann dies nur erkennen, wenn und indem er dem Sein Gottes nach-denkt. 11 Sodann: Ist „Sein" zu bestimmen vom Sein Gottes her, so ist die Frage, ob Gott sei, eine sinnlose Frage.12 Dem Glaubensgegenstand, Gott, eignet, wie Barth sagt, „ontische" und „noetische Necessität", 13 und d. h., er kann nicht nicht-sein, und er kann als nicht-seiend nicht einmal gedacht werden. 14 Infolgedessen fällt der Zweifel an der Existenz Gottes

11

12

13 14

nicht, was Liebe ist, und wir wissen nicht, was Freiheit ist, sondern Gott ist die Liebe und Gott ist die Freiheit. Was Freiheit und was Liebe ist, das haben wir von ihm zu lernen". Jüngel, Gottes Sein S. 9: „Die theologische Frage nach dem Sein Gottes denkt nach, eben: dem Sein Gottes". „Das Sein Gottes hat also praevenienten Charakter". Der Begriff des Nach-denkens ist der komprimierte Ausdruck für Barths Verständnis und Programm des „Fides quaerens intellectum". „Intelligere kommt zustande durch iVac/j-denken des vorgesagten und vorbejahten Credo" (Fides quaerens intellectum, 1931, S. 26). Dazu bemerkt Josuttis (Die Gegenständlichkeit S. 35) richtig: „Dieser Satz vereint in kürzester Form alle Elemente, die für die Fassung der fides quaerens intellectum in Barths Sinn von Wichtigkeit sind". (Josuttis liest — wie in der Barth-Forschung üblich — Barths Anselm-Budi nicht primär als Anselm-Interpretation, sondern als Quelle für Barths eigene Theologie. Wir halten dies für angemessen und schließen uns diesem Verfahren an). Vgl. auch Barths Aufsatz: Denken heißt Nachdenken, 1963 (der Titel dieses Aufsatzes findet sich schon in CD S. 102) sowie: Einführung in die evangelische Theologie, 1962, S. 100 f. Einführung in die evangelische Theologie, 1962, S. 47: „Die Wahrheitsfrage . . . lautet also nicht: ob es denn wahr sei, dass es einen Gott g e b e ? . . . So fragen die Toren in ihrem Herzen . . . " . (Barth spielt hier auf Psalm 14,1 an). KD 11,1 S. 42: „wäre uns seine [sc. Gottes] Existenz ein Problem, wie die Existenz anderer Gegenstände uns ein Problem sein kann, dann würde bestimmt nicht Er vor uns stehen". Fides quaerens intellectum, 1931, S. 48 f. So definiert Barth (Fides quaerens intellectum, 1931, S. 48) die ontische Necessität des Glaubensgegenstandes als „die Unmöglichkeit seines NichtSeins oder Anders-Seins" und die noetische Necessität als „die gedachte Unmöglichkeit, den Glaubensgegenstand als nicht-seiend oder anders-seiend zu denken". Dabei geht die ontische Necessität im Sinne Barths der noetischen Necessität voran, und zwar insofern, als die noetische Necessität in der „Anerkennung" der ontisdien Necessität besteht (a. a. O.). „Das Sein geht dem Erkennen voran, der Glaubensgegenstand dem Glauben" (Josuttis,

12

Das Sein Gottes

für Barth unter den Titel „Unsinn" 15 bzw. „Dummheit". 16 Die für Barths Theologie hier allein relevante Frage lautet: „Was heißt das: Gott ,ist'? Was oder wer ,ist' Gott?" 17 In der Abweisung der Frage, ob Gott sei, und in der Konzentration auf die Frage, wer Gott sei, hat die Unangefochtenheit der Barthschen Theologie dem neuzeitlichen, theoretischen Atheismus gegenüber eine ihrer entscheidenden Ursachen. 18

15 16

" 18

Die Gegenständlichkeit S. 29). Diese „Prävenienz des Ontisdien gegenüber dem Noetisdien" (Josuttis, a. a. O. S. 13 ff.) zieht als Konsequenz die „Prävalenz des Ontischen gegenüber dem Noetisdien" nach sich: „das Sein bestimmt das Erkennen" (Josuttis, a. a. O. S. 29). Von da aus ist Prenter (D. Bonhoeffer und K. Barths Offenbarungspositivismus S. 37) zu widersprechen, wenn er bei Barth eine „Überordnung des Erkennens über das Sein" konstatiert. K D 11,1 S. 345 f. lehnt Barth dann allerdings den Begriff „necessitas" in seiner Anwendung auf das Sein Gottes („ens necessarium") ab, ohne in der Sache die in Fides quaerens intellectum bezogene Position zu verlassen. Vgl. auch KD 111,2 S. 262. Siehe hierzu Browarzik, Glauben und Denken S. 157 f. Fides quaerens intellectum, 1931, S. 154. Grundriß der Dogmatik, 1947, S. 67: Der „ Z w e i f e l . . . an Gott, das ist ein dummer Zweifel!". KD IV,2 S. 467: „des Mensdien Dummheit in ihrer Wurzel besteht aber darin, daß Gott ihm offenbar ist, daß er das aber als Täter seines Lebens nicht wahrhaben will, daß er in Erkenntnis Gottes, im hellen Lidit seiner Wirklichkeit, Gegenwart und Aktion, von Gott erkannt bis auf den Grund, Gott seinerseits zu erkennen und in diesem Erkennen zu existieren sidi weigert und unterläßt". Vgl. dazu den ganzen Abschnitt über die „Dummheit" des Menschen (KD IV,2 S. 460—486). Selbstverständlich hat die von Barth gemeinte Dummheit nichts zu tun mit einem „Mangel an intellektueller Begabung, Auffassungs- und Denkkraft", „mit einem schwächer veranlagten Gehirn oder mit unvollkommen erlangter Bildung und Wissenschaft" (KD IV,2 S. 463). Vielmehr handelt es sich um das im „Unglauben begründete(n) Nichtverstehen" (a. a. O.), um „des Mensdien böses, schuldhaftes, unverantwortliches Nicht-Wissen um Gott" (KD IV,2 S. 466 f.). Demnach scheint die „Dummheit" eher ein Willens- als ein Erkenntnisphänomen zu sein. Aber diese Folgerung zieht Barth nicht. KD 11,1 S. 292. Vgl. KD 1,2 S. 350 ff.; IV,2 S.467f.; Denken heißt Nachdenken, 1963, S. 203 ff.; Nein!, 1934, S. 257: „Mit .Nichtgläubigen', .Intellektuellen' und moderner Jugend kann man nach meinen Erfahrungen relativ am besten dann reden, wenn man . . . so mit ihnen umgeht, als ob ihrem Widerspruch gegen das (Christentum' keinerlei ernste Bedeutung zukomme". Dazu Fang-

13

Gottes Sein und Gottes Offenbarung

Schließlich: Ist „Sein" zu bestimmen vom Sein Gottes her, so ist das Sein Gottes das Vorgeordnete und Gewisse, das Sein der Welt und des Menschen das Nachgeordnete und Problematische19. Daraus folgt für Barth, daß Erkenntnis über das Sein der Welt und des Menschen, wenn sie wahr und gewiß sein soll, nicht gewonnen werden kann abseits von der Frage nach dem Sein Gottes, sondern nur auf dem Wege über ihre Beantwortung.20 Diesem Grundsatz der Barthschen Ontologie tragen wir Rechnung, indem wir die Frage nach dem Sein Gottes an den Anfang unserer Untersuchung stellen.

1. G o t t e s

Sein

und

Gottes

Offenbarung

Zwischen der Tatsache,21 daß Gott ist, und der menschlichen Aussage: „Gott ist" steht das Problem der Erkenntnis. Erst der Erkenntnisvollzug macht das Ontische zugänglich für eine Ontologie. Soll dieser Erkenntnisvollzug nicht beschränkt bleiben auf den Bereich des Individuell-Zufälligen, sondern verbindlich intersubjektiv vermittelbar sein, so ist er systematisch zu analysieren, zu reflektieren und zu entfalten in Gestalt einer Noetik. Für Barth heißt das konkret: der Erkenntnisvollzug ist zu analysieren, zu reflektieren und zu entfalten in Gestalt einer diesem besonderen „Gegenstand" angemessenen, theologischen Noetik 22 .

meier, Der Theologe K. Barth S. 6 0 : „Barth hätte . . . eher sich selber für tot gehalten als Gott". Vgl. auch Fritzsche, Das Christentum und die Weltanschauungen S. 93 f. und (gleichlautend) S. 140. Kritische Anfragen hierzu stellen u. a. Gloege, Zur Versöhnungslehre K . Barths S. 166 und Zahrnt, Die Sache mit Gott S. 154. 10

K D 11,1 S. 4 2 : „Unsere eigene Existenz steht und fällt mit der Existenz Gottes und ist uns im Lichte der Existenz Gottes weniger, unendlich viel weniger klar und gewiß als seine Existenz". Vgl. dazu Rödding, Das Seinsproblem in der Schöpfungslehre K . Barths S. 28.

20

So K D 111,1 S. 22 ff. und 399 sowie Die christliche Lehre nach dem Heidel-

21

Von der „Tatsache, daß Gott ist", spricht Barth K D 11,1 S. 289.

berger Katediismus, 1948, S. 54. Siehe dazu unten S. 83 ff. 22

Vgl. dazu etwa K D

11,1 S. 3. Die Zurückweisung

einer

„allgemeinen"

Noetik ist das Pendant zu Barths Zurückweisung eines „allgemeinen" Seinsbegriffes bzw. einer „allgemeinen" Ontologie.

14

Das Sein Gottes

Was das heißt, soll hier zunächst in Beziehung auf das Sein Gottes umrissen werden. Wie am Anfang der Barthschen Ontologie der Satz steht „Gott ist", so steht am Anfang seiner Noetik der Satz: Gott wird erkannt. 23 Dieser Satz hat für Barth axiomatischen Charakter. D. h. er kann von einem Ort außerhalb der Erkenntnis Gottes her weder abgeleitet noch in Frage gestellt werden. Für den Aufweis dieses axiomatischen Charakters rekurriert Barth (wiederum) auf das Gottesverständnis: „Denn ein Gott, dessen Erkenntnis von außen angegriffen oder auch nur angreifbar ist, ein Gott, in dessen Erkenntnis es Sorgen und Zweifel gibt oder aucli nur geben kann, ist offenbar nicht Gott, ist ein falscher Gott, ein Gott, der Gott zu sein bloß vorgibt." 24 . Eine Begründung der Gotteserkenntnis, die nicht schon das zu Begründende voraussetzt, eine Begründung „von außen" kann es für Barth demnach aus prinzipiellen Gründen ebensowenig geben, wie er eine Angreifbarkeit der Gotteserkenntnis „von außen" zugestehen kann. Barth kann nur aufzeigen, was es für die Kirche bedeuten würde, wenn es nicht so wäre, daß Gott erkannt wird: sie könnte dann nicht von Gott reden. Alle ihre Aussagen würden dann „ohne Subjekt als leerer Sdiall in der Luft stehen". Das Leben der Kirche wäre dann nur „ein Scheinleben, das Leben in einer Traumwelt, in welchem jene subjektlosen Vorstellungen und Begriffe die geträumten Gespenster wären". 25 Aber diese Möglichkeit wird von Barth nicht ernsthaft in Erwägung gezogen und diskutiert. Er spricht im Irrealis. Und er quittiert diesen Irrealis darum auch nur mit der Behauptung: „Dieser Vollzug [sc. der Erkenntnis Gottes] ist im Gange. Die Kirche Jesu Christi lebt". 26 23

24

KD 11,1 S. 2: „Wir gehen davon aus, daß Gott durch Gottes Wort erkannt wird und wieder erkannt werden wird". KD 11,1 S. 5. Die Vokabel „offenbar" tritt hier — wie auch sonst bei Barth des öfteren (siehe KD 11,1 S. 255 und 670; 11,2 S. 177; 111,2 S. 189 u. 197; 111,3 S. 344 sowie IV,3 S. 807) — an die Stelle eines Argumentes. Die Argumentationsweise Barths zu analysieren, wäre eine eigene Untersuchung wert.

25

KD 11,1 S. 1 f. Man könnte freilich auch schlichter formulieren: . . . dann wären die diesbezüglichen Aussagen der Kirdie falsch oder sinnlos. Soldi einer nüchternen Feststellung würde aber die überredende Funktion fehlen, die der Barthschen Rhetorik hier zukommt.

26

KD 11,1 S. 4. Vgl. dazu Hassiepen, Der Religionsbegriff K. Barths S. 146.

Gottes Sein und Gottes Offenbarung Daraus

zieht Barth

die Konsequenz,

daß

nicht

15 gefragt

werden

dürfe, ob Gott in der Kirche erkannt werde und erkennbar sei. 27 „Die Fragen, die hier legitim und sinnvoll gestellt werden können, können nur lauten: inwiefern

wird

Gott

erkannt? und: inwiefern

ist

Gott

erkennbar?" 2 8 Auf die Frage nach dem „Inwiefern" gibt Barth eine doppelte Antwort: Gott wird erkannt aus seiner Offenbarung und Gott wird erkannt im Glauben. 29 Wir wenden uns zunächst dem zweiten Aspekt zu: Gotteserkenntnis ist Glaubenserkenntnis. 30 Nach Barths Glaubensverständnis bedeutet das zunächst: Der grundlegende Akt der Gotteserkenntnis ist der Akt des Anerkennens31

Gottes,

wobei Barth „Anerkennung" definiert als „eine folg- und fügsame, eine 27 28

K D 11,1 S. 2 f. Ebs. 1,2 S. 30 und 11,1 S .68. KD 11,1 S. 3. So hatte Darth sdion in Fides quaerens intellectum, 1931, die dann in der KD herrschende „Denkbewegung" (a. a. O. S. 10) auf die Formel gebracht: „Der nach christlicher Erkenntnis Fragende fragt auf Grund der keinen Augenblick in Frage stehenden Voraussetzung, daß es so ist, wie er christlich glaubt, danach, inwiefern es so ist. Nicht anders und nach nichts sonst!" ( a . a . O . S. 26). Oder kürzer: „Der Theologe fragt, inwiefern es so ist, wie der Christ glaubt, daß es ist" (a. a. O. S. 27). Damit ist nicht der Christ für den Theologen „eigenster Stoff" seiner Wissenschaft — wie es in Erinnerung an J . Chr. K. von Hofmann sdieinen könnte —, wohl aber das christliche Credo. Man beachte in dem im Text angeführten Zitat (KD 11,1 S. 3) audi besonders die Reihenfolge: Erkenntnis — Erkennbarkeit. Sie ist nicht zufällig, sondern entspricht dem Aufbau von KD 11,1, wo zunächst nadi der „Erkenntnis Gottes in ihrem Vollzug" (S. 1 ff.) und danach nadi der „Erkennbarkeit Gottes" (S. 67 ff.) gefragt wird. Die Reihenfolge: Wirklichkeit — Möglichkeit ist ein Charakteristikum Barthsdier Ontologie, das im Verlauf der Untersuchung immer wieder begegnen wird. Der Satz: „Wo die Wirklichkeit ist, da ist auch die entsprechende Möglichkeit" (KD 11,1 S. 3) ist nach Jüngels zutreffendem Urteil der „die Ontologie Barths grundlegende Satz" (Gottes Sein S. 33), bzw. Barths „ontologisdies Axiom" (a. a. O. S. 62).

29 30

31

So KD 11,1 S. 8 f. KD 11,1 S. 11: „Daß der Msnsdi vor Gott steht als vor dem Gott, der sidi in seinem Wort und also mittelbar zu erkennen gibt, das bedeutet nun für die Erkenntnis Gottes durch den Menschen entscheidend dies, daß wir sie als Erkenntnis des Glaubens zu verstehen haben." Siehe Credo, 1935, S. 5 f.; KD 11,1 S. 27 und vor allem IV,1 S. 847 ff.

16

Das Sein Gottes

sich beugende, sich unterordnende Kenntnisnahme". 3 2 Diesem A k t der Kenntnisnahme

ist das intelligere nachgeordnet. 33

Es hat

dabei

Funktion, „das verborgene Gesetz des Glaubensgegenstandes... denkend,

selber

zu

denken,

es ebendamit

Geglaubte nun auch zu erkennen" ,34

Vor

aufzuweisen

die

nach-

und so

das

dem einsehenden Erkennen

steht für Barth das gehorsame Anerkennen, aber das gehorsame Anerkennen bleibt nidit alleine, es zieht das einsehende Erkennen nach sich. Fides quaerens

intellectum.

Gotteserkenntis als Glaubenserkenntnis bedeutet für Barth andererseits: „indirekte Erkenntnis Gottes". 3 5 Gott ist für den Menschen nicht unmittelbar erkennbar, sondern nur mittelbar, weil er dem Menschen zwar „gegenständlich" ist, aber nur „mittelbar der Hülle anderer

gegenständlich... unter

von ihm verschiedener Gegenstände". 3 6 D. h. zugleich,

Gotteserkenntnis hat es nicht zu tun mit einem „abstrakt verstandenen

32

33

84 35 38

KD IV,1 S. 848. Ebs. Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 1938, S. 126: „Gotteserkenntnis ist Gehorsam gegen Gott" und: Die Souveränität des Wortes Gottes, 1939, S. 16: „Glauben heißt gehorchen". Vgl. audi K D 11,1 S. 27 und 38. Siehe oben Anm. 11. Vgl. audi Fides quaerens intellectum, 1931, S. 47: „Der Gegensatz von auctoritas und ratio . . . bezeichnet den Unterschied zweier Stufen des einen Weges Gottes, auf dem der Mensch zuerst zum Glauben und dann, auf Grund des Glaubens (aber nun sola ratione!), zum Erkennen kommt". Fides quaerens intellectum, 1931, S. 51. K D 11,1 S. 17. KD 11,1 S. 16. Dies ist die „ s e k u n d ä r e . . . Gegenständlichkeit" (vgl. Credo, 1935, S. 43), von der Barth die „primäre Gegenständlichkeit Gottes" unterscheidet, in der Gott „sich selber unmittelbar" gegenständlich ist (KD 11,1 S. 15 f.). Siehe unten Anm. 117. Die (sekundäre) Gegenständlichkeit Gottes ist für Barth conditio sine qua non der menschlichen Gotteserkenntnis. Dabei ist jedoch zu beachten, daß Barth den Unterschied zwischen der Gegenständlichkeit Gottes und der aller anderen Erkenntnisobjekte nachdrücklich betont. K D 11,1 S. 15: Gott ist „nicht ein Objekt in der Reihe der anderen Objekte menschlichen Erkennens", sondern der „schlechthin einzigartige Gegenstand". Der exzeptionelle Charakter der Gegenständlichkeit Gottes gegenüber der aller anderen Gegenstände läßt sich auf die Formel bringen: „Er ist nur gegenständlich als der, der sich selber gegenständlich gemacht hat" (Jüngel, Gottes Sein S. 57). Vgl. zum Ganzen Josuttis, Die Gegenständlichkeit S. 54 ff. und Jüngel, Gottes Sein, S. 54 ff.

Gottes Sein und Gottes Offenbarung

17

Sein Gottes",37 sondern ausschließlich mit seinen konkreten Werken, und d. h.: Gotteserkenntnis hat es zu tun mit Gottes Offenbarung.38 Damit sind wir unversehens von der Glaubenserkenntnis zur Offenbarungserkenntnis gelangt. Dieser Übergang zeigt an, daß „Offenbarung" und „Glaube" nicht zwei voneinander unabhängige Antworten auf die Erkenntnisfrage sind, sondern nur zwei Aspekte ein und desselben Vorganges. Dieser eine Vorgang wird von Barth beschrieben mit den Worten: „Gott wird durch Gott, Gott wird nur durch Gott erkannt". 39 Damit schließt Barth nicht aus, daß es wahre menschliche Gotteserkenntnis gibt, 40 wohl aber, daß es andere Gotteserkenntnis gibt als die, die durch Gott selbst gegeben ist. Das bedeutet, der Glaube ist für Barth kein der Offenbarung gegenüber selbständiges Erkenntnisvermögen des Menschen, sondern „als Werk des Heiligen Geistes" 41 selber ein Moment des Offenbarungsgeschehens. 87 58

59

40

41

KD 11,1 S. 88. KD 11,1 S. 17: „Erkenntnis Gottes im Glauben ist grundsätzlich immer solche indirekte Erkenntnis Gottes, Erkenntnis Gottes in seinen Werken, und zwar in diesen seinen besonderen Werken: in der Bestimmtheit und in dem Gebrauch gewisser geschöpflicher Wirklichkeiten zum Zeugnis der göttlichen Gegenständlichkeit". 11,1 S. 223: „Eben in seiner Offenbarung, eben in Jesus Christus, hat sich ja der verborgene Gott faßbar gemacht. Nicht direkt, sondern indirekt. Nicht für das Schauen, sondern für den Glauben". Ebs. KD 11,1 S. 292. KD 11,1 S. 200 f. Die Fortsetzung des Zitates lautet: „Seine Offenbarung ist nicht nur seine eigene, sondern auch des Mensdien Bereitschaft zu seiner Erkenntnis". Kurz und bündig heißt es in Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 1938, S. 61: „Glaubenserkenntnis ist Offenbarungserkenntnis". Vgl. auch R. Bultmann. Ein Versuch, ihn zu verstehen, 1952, S. 60. Dies wäre der Fall, wenn Barth sagte: Gott wird nur von Gott erkannt. In seiner frühen Dialektischen Theologie kam Barth dieser Position zumindest sehr nahe. Vgl. Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 1922, S. 199: „Wir sind .., Menschen und können als solche nicht von Gott reden". Die korrespondierende Behauptung besagte, „daß von Gott nur Gott selber reden kann" (a. a. O. S. 217). Vgl. auch CD S. 64: „Gott ist nicht und Gott wird nicht anders Objekt als sich selber, auch nicht in seinem Wort". Ebs. CD S. 95. Siehe dazu Mondin, The Principle of Analogy S. 162 f., Anm. 3 sowie Mechels Analogie bei E. Przywara und K. Barth S. 51. KD 11,1 S. 177. Ebs. Credo, 1935, S. 115; Die Souveränität des Wortes Gottes, 1939, S. 15 f. und KD IV,1 S. 826.

2 Härle: Sein und Gnade

18

Das Sein Gottes

Wir wenden uns nun diesem anderen, übergeordneten Aspekt der Gotteserkenntnis zu: Gotteserkenntnis ist Offenbarungserkenntnis.42 Die Alternative, die Barth damit kategorisch ablehnt, ist die Annahme einer „in und mit der natürlichen Vernunftkraft gegebenen oder in ihrer Betätigung zu gewinnenden Gotteserkenntnis", sprich: eine natürliche Theologie. 43 Sie ist für Barth „auf dem Boden der Kirdie unmöglich, und zwar im Grunde diskussionslos unmöglich",44 Auf dem Erkenntnis42

43

44

KD 11,1 S. 73: „Der Selbstbeweis Gottes, in dessen Kraft seine wirkliche Erkenntnis vollzogen wird, i s t . . . seine Offenbarung als der dreieinige Gott". Ebs. 11,1 S. 86, 107 und oft. Siehe dazu Jüngel, Gottes Sein, S. 10. KD IV,3 S. 131. In seiner Antwort an E. Brunner definiert Barth: „Unter .natürlicher Theologie' verstehe ich jede (positive oder negative) angeblidi theologische, d. h. sidi als Auslegung göttlidier Offenbarung ausgebende Systembildung, deren Gegenstand ein von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus — deren Weg also ein von der Auslegung der hl. Schrift grundsätzlich verschiedener ist" (Nein! 1934, S. 214). KD 11,1 S. 93. Deshalb kann Barth zu E. Brunners Schrift, Natur und Gnade, eben nur „Nein!" sagen. Zu Barths Beurteilung der natürlichen Theologie vgl. ferner: Die Theologie und der heutige Mensch, 1930, S. 195 f.; KD 1,1 S. 134; Das erste Gebot als theologisches Axiom, 1933, S. 142 f.; Reformation als Entscheidung, 1933, S. 111; Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse, 1934, S. 123; Gottes Wille und unsere Wünsche, 1934, S. 136ff.; Antwort an Erwin Reisner, 1935, S. 51 ff.; Credo, 1935, S. 21; Karl Barth answers a question, 1937, S. 67; Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 1938, S. 41 ff.; KD 11,1 S. 93—158; Das Glaubensbekenntnis der Kirche, 1943, S. 34; Christengemeinde und Bürgergemeinde, 1946, S. 17 ff.; KD 111,2 S. 387 u. 627; 111,3 S. 36 f.; IV,1 S. 47; IV,2 S. 112; Kurze Erklärung des Römerbriefes, 1956, S. 30 ff.; KD IV,3 S. 131; A Theological Dialogue, 1962, S. 173 sowie Karl Barth's Table Talk, 1963, S. 75. Diesen durchweg negativen Aussagen stehen aus der Spätzeit Barths zwei einschränkende Äußerungen gegenüber. Zum Einen in: Protokoll des Gesprächs zwischen Barth und Vertretern der Brüdergemeine, 1961, S. 8: „Später holte ich dann die theologia naturalis via Christologie wieder herein"; zum anderen: Reformierte Theologie in der Schweiz, 1965, S. 34: „Ein so scharfes ,Nein' wie das, das ich — es ist nachträglich nur aus dem Kontext des deutschen Kirchenkampfs zu verstehen — 1934 Emil Brunner entgegengeschleudert habe, entsprach (von allem Anderen abgesehen) gewiß nicht der guten helvetischen Gepflogenheit" (sc. des Vermitteins). Siehe dazu unten Anm. 157. Aus der Fülle der Sekundärliteratur zu diesem Thema seien hier genannt:

19

Gottes Sein und Gottes Offenbarung

weg der natürlichen Theologie bekommt es der Mensch nadi Barths Auffassung nicht mit Gott zu tun, sondern „mit der seines eigenen

Wesens

und

Seins,

Verabsolutierung

mit dessen Projizierung ins Unend-

liche, mit der Errichtung eines Spiegelbildes seiner eigenen Herrlichkeit". 4 5 Demgegenüber „christlichen

will

Barth

in

seiner

Erkenntnislehre

von

dem

Gottesgedanken" 4 6 ausgehen. D. h. er versteht unter „Gott"

immer und überall den dreieinigen

Gott, wie er sich in Jesus Christus

geoffenbart hat. 4 7 An diese Offenbarung und nur an sie hat sich der Mensch zu halten. Alles „anderweitige Wissen" betrachtet Barth

im

Gegensatz dazu als einen „Fremdkörper in der christlichen Lehre". 4 8 Welche Funktion hat diese Betonung der Trinität für die Noetik Barths? Darauf ist zweierlei zu antworten: Zum einen dient die Trinitätslehre

der

Sicherung

der

Einheit

und

damit

der

Abwehr

einer

Stange, Natürliche Theologie; Traub, Zur Frage der natürlichen Theologie; Benktson, Den naturliga teologiens problem hos K. Barth; ders., Zur Frage der theologischen Methode bei K. Barth; Berkhof, Zur Bedeutung Karl Barths S. 261 ff.; Hermann, Fragen um den Begriff der Natürlichen Theologie S. 16 ff.; Wingren, Die Methodenfrage der Theologie S. 50 ff.; Gloege, Zur Versöhnungslehre K.Barths S. 160; Birkner, Natürliche Theologie und Offenbarungstheologie S. 291 ff.; Szekeres, K.Barth und die natürliche Theologie; Bieri, Gotteserkenntnis und Rechtfertigungslehre S. 330 f.; Foley, Das Verhältnis K. Barths zum römischen Katholizismus S. 606 f.; Koch, „Natur und Gnade"; Lessing, Das Problem der Gesellschaft S. 222 sowie Wiesenfeldt, Der Begriff der Natur S. 94 f. 45

KD 11,1 S. 76. Ähnlich Credo, 1935, S. 17; Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 1938, S. 56 und 67. Wir stoßen damit erneut auf die Beschwörung Feuerbachs. Siehe dazu Barths Aufsatz über Feuerbach, 1927, bes. S. 238 f. (in stark überarbeiteter Form in: Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 1946, S. 484 ff.) sowie: Evangelische Theologie im 19. Jahrhundert, 1957, S. 18. Zu Barths Verhältnis zu Feuerbach siehe vor allem: Althaus, „Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde" S. 171; Schilling, Glaube und Illusion S. 42 und 73 ff.; Glasse, Barth zu Feuerbach, passim; Salaquarda, Das Verhältnis von Theologie und Philosophie S. 81 ff. und Pannenberg, Reden von Gott angesichts atheistischer Kritik S. 29 ff.

46

KD 11,1 S. 86. KD 11,1 S. 87: „Das in der heiligen Schrift bezeugte Wort G o t t e s . . . redet von dem einen Gott, der in Jesus Christus sein eines dreieiniges Wesen und seinen einen dreieinigen Namen offenbart hat". K D 11,1 S. 87.

47

48

2*

Das Sein Gottes

20

„Teilung" Gottes. 4 9 D a m i t blockiert Barth die isolierte Frage n a d i d e m Sein des Schöpfers abgesehen v o n seinem Sein als Versöhner u n d Erlöser s o w i e die Möglichkeit, diese Frage v o m Sein der S c h ö p f u n g her z u b e a n t w o r t e n . 5 0 Z u m anderen dient die Trinitätslehre d e m

Verständnis

des Seins G o t t e s als „Sein in seinem W e r k u n d H a n d e l n " u n d d a m i t der Abwehr

eines göttlichen Seins „in abstracto". 5 1 D a m i t

ist für

Barth

die Möglichkeit ausgeschlossen, auf d e m W e g über einen G o t t u n d den Menschen v e r b i n d e n d e n

(abstrakten)

Seinsbegriff

Gott zu

erkennen. 5 2

4

» K D 11,1 S. 86 f. Ebs. Credo, 1935, S. 27 und Rechtfertigung und Recht, 1938, S. 30. 50 Barth wendet sich ausdrücklich gegen eine „besondere, in sich begründete und befestigte Theologie des ersten Artikels mit besonderen noetisdien Voraussetzungen" ( K D 11,1 S. 87) bzw. gegen den „Begriff einer ,Uroffenbarung', die von der einen in Jesus Christus zu unterscheiden, weil real unterschieden wäre" (IV,1 S. 47). Solche „Uroffenbarung" ist f ü r Barth ein „vollkommen leerer (oder aber nur mit Illusionen zu füllender) Begriff" (a. a. O.). Vgl. auch K D 1,1 S. 354. Zur Lehre von der Uroffenbarung siehe den gleichnamigen Artikel von Gloege in R G G 3 Bd. VI. K D IV,3 S. 158 vertritt Barth jedoch die Meinung, die „fatalen modernen Ausdrücke .Schöpfungsoffenbarung' oder .Uroffenbarung'" seien „nicht ganz zu verwerfen". Sie „könnten hier einen eindeutigen und guten Sinn, den sie in ihrem bisherigen Gebrauch nicht haben, bekommen". Dieses „hier" bezieht sich auf die der Geschöpfwelt „eigenen Lichter, Worte und Wahrheiten". H a t Barth damit seine noch K D IV,1 bezogene Position verlassen? Keineswegs, denn die der Kreatur eigenen Offenbarungen, sind f ü r Barth gerade nicht von der einen Offenbarung Gottes in Jesus Christus „real unterschieden", sondern sie sind nur „Brechungen des einen Lichtes", „Erscheinungen der einen Wahrheit" (IV,3 S. 173), Jesus Christus. „Mehr als dieses Hellwerden in seinem Licht können und werden sie [sc. die Lichter des Kosmos] nicht leisten" (IV,3 S. 174). Vgl. dazu Jüngel, Gottes Sein S. 19 ff., Anm. 26. Siehe auch unten K a p . VI, Absdin. 1. 51 52

K D 11,1 S. 88. Ebs. 11,1 S. 292 f. Beide Momente — das der „Teilung" und das der „Abstraktion" — sind zusammengefaßt in K D 11,1 S. 91 f.: „Was aber nicht zu ertragen . . . i s t . . . , das ist jene Aufspaltung des Gottesgedankens und die damit verbundene Abstraktion von dem wirklichen Werk und H a n d e l n Gottes zugunsten eines Seins Gottes im Allgemeinen, das er mit uns und allem Seienden gemein hätte. Der doppelte Willkürakt in dieser Fragestellung bedeutet die Einf ü h r u n g eines fremden Gottes in den R a u m der Kirdie". Siehe dazu Berkouwer, Der Triumph der G n a d e S. 9.

Gottes Sein und Gottes Offenbarung

21

Hier werden die noetisdien Aussagen Barths unmittelbar relevant für seine Ontologie. Wenn der Mensch — nach Barth — nicht fragen darf nach einem abstrakten Sein Gottes, sondern sich ausschließlich halten muß an „Gottes Sein in seinem Werk und Handeln", so stellt sich die Frage, ob Gottes Sein eins ist mit seinem „Werk und Handeln". Diese Frage ist im Sinne Barths grundsätzlich zu bejahen: „Gott ist, der er ist in der Tat seiner Offenbarung". 53 Es hat geradezu definitorischen Charakter, wenn Barth formuliert: „der, nach dessen Sein nur in Form immer neuen Fragens nach seinem Tun gefragt werden kann, der ist Gott". 54 Die Frage nach der Bedeutung der Aussage „Gott ist" kann also nicht anders beantwortet werden als im Blick auf das Tun Gottes in der Christusoffenbarung, und von hierher findet sie ihre Beantwortung. Das ist so, weil „Offenbarung" von Barth nicht nur verstanden wird als Enthüllung der gnädigen Gesinnung oder der vergebenden Liebe Gottes gegenüber dem Sünder, sondern im umfassenden Sinne als „Selbstenthüllung Gottes". 55 Diese Bestimmung steht nicht im Gegensatz zu der Aussage von der Verborgenheit Gottes auch in seiner Offenbarung, sondern bezieht sie dialektisch mit ein.56 Wohl aber richtet sie sich gegen die Vorstellung, als enthülle Gott in seiner Offenbarung nur „etwas" von sich und nicht sich selbst, sein ganzes Sein. Als „Selbstenthüllung" ist die Offenbarung für Barth „eine Wiederholung 63

K D 11,1 S. 288 (aus dem Leitsatz zu § 28 der K D ) .

54

K D 11,1 S. 66.

55

K D 1,1 S. 332 f. Auf die Bedeutung dieser Prämisse für Barths Gotteslehre hat Bintz (Das Skandalon S. 113 ff.) mit Recht hingewiesen. E r nennt als weitere Prämisse den Grundsatz der Einheit des Wortes Gottes. Als dritte Prämisse ist zu nennen die Identifizierung von Gottheit und Herrschaft (siehe unten S. 28). Aus diesen drei Prämissen läßt sich Barths Gotteslehre lückenlos ableiten.

"

K D 1,1 S. 332 f.: „Offenbarung bedeutet in der Bibel die Menschen zuteil werdende Selbstentbüllung

des seinem Wesen nach dem Menschen unent-

hüllbaren Gottes". Siehe dazu vor allem K D 1,1 S. 338 ff. und 11,1 S. 200 ff. Dabei betont Barth, daß es sich bei der Dialektik von Verhüllung und Enthüllung Gottes um „eine teleologisch geordnete Dialektik"

(11,1 S. 266)

handele. D . h . : „nur um seiner Enthüllung willen verhüllt er sich, nur um seines J a willen will und muß er auch Nein sagen. Enthüllung und Verhüllung bezeichnen also den Weg, den Gott mit uns geht, nicht einen Widerspruch, den er über uns verhängt" (a. a. O.). Vgl. dazu Jüngel, Gottes Sein S. 30 f.

22

Das Sein Gottes

GottesV 7 oder anders ausgedrückt: in der Offenbarung wird Gott „sein eigener Doppelgänger". 58 Dieses Offenbarungsverständnis ermöglicht Barth die exklusive noetische Bindung der Gotteserkenntnis an die Offenbarungserkenntnis. 59 Die bisherigen Ausführungen könnten den Anschein erwecken, als gehe für Barth das Sein Gottes auf in seinem Offenbar-Sein, oder als wolle Barth doch wenigstens die Gotteserkenntnis beschränkt wissen auf die Erkenntnis des offenbar-seienden Gottes. Man könnte sich erinnert fühlen an Melanchthons Konzentration auf die „beneficia" Christi und seinen Verzicht auf die Erforschung der „mysteria divinitatis". 60 Damit wird man Barth aber ganz und gar nicht gerecht.61 Wohl betont er nachdrücklich die Einheit von „Wesen und Wirken", 62 bzw. von „Sein und Tat" 63 Gottes, aber er hält es ebenso für notwendig, Gottes „Wesen als solches von seinem Wirken zu unterscheiden*,64 Welchen Sinn hat 57

58 KD 1,1 S. 315. KD 1,1 S. 333. KD 11,1 S. 291: „in seinen Werken ist er selber offenbar als der, der er ist. Es ist also schon richtig, daß wir uns bei der Entfaltung und Erklärung des Satzes: ,Gott ist', auf alle Fälle ganz und gar an seine (in der Tat seiner Offenbarung sidi ereignenden oder als solche sichtbar werdenden) Werke zu halten haben". 60 Loci communes (1521) S. 6 f. 61 Barth hält Melandithons Verfahren für eine „mit Recht nachher wieder aufgegebene Übereilung" (KD 11,1 S. 290). Als „schlimmer" beurteilt Barth allerdings den später begangenen „Fehler" Melandithons, „die mysteria divinitatis ohne ihren Zusammenhang mit den offenbarten beneficia Christi" zu betrachten (11,1 S. 291). Barth zieht daraus die Konsequenz: „Wir werden Anlaß haben, uns Mühe zu geben, diesen beiden Fehlern Melandithons aus dem Wege zu gehen" (a. a. O.). 62 KD 1,1 S. 391. M KD 11,1 S. 293. Barth wählt hier bewußt den „Sein und Tat zusammenfassenden . . . Begriff ,Die Wirklichkeit Gottes'" und vermeidet den (in KD 1,1 verwendeten) Sein und Tat „auseinanderreißenden" Begriff „Wesen". In KD 111,2 S. 261 unterscheidet Barth dann aber wieder zwischen „Wesen" und „Werk" Gottes. •4 KD 1,1 S. 391. Diese Unterscheidung hat Barth mit der Vermeidung des Begriffs „Wesen" in KD 11,1 nicht aufgegeben. Er unterscheidet nun zwischen Gottes Sein in seinen Werken und Gottes Sein in sich selber. „Gott ist, der er ist, in seinen Werken. Er ist derselbe audi in sich selber, audi vor und nach und über seinen Werken, audi ohne sie. Sie sind an ihn, aber er ist nicht an sie gebunden" (11,1 S. 291). 69

Gottes Sein und Gottes Offenbarung

23

diese Unterscheidung, und wie ist sie von Barths noetischem Ansatz aus überhaupt möglich? Die Frage nach dem Sinn dieser Unterscheidung ist relativ leicht zu beantworten. Wäre die Erkenntnis des göttlichen Seins (Wesens) begrenzt auf die Erkenntnis seines Tuns (Wirkens) an und in der Welt, so könnte nicht gesagt werden, Gottes Offenbarung (Tun, Wirken) sei ein Werk seiner freien Gnade. 65 Gottes Offenbarung wäre dann eine schlichte Gegebenheit, über deren Ermöglichungs- und Realgrund keine Aussagen gemacht werden könnten. Würde gar Gottes Sein identifiziert mit seinem Offenbarsein, so wäre Gott nur denkbar in Beziehung zur Welt. M. a. W. die Welt wäre für das Sein Gottes notwendig. Es kommt für Barth aber entscheidend darauf an, sowohl die Unverfügbarkeit der Offenbarung und Gotteserkenntnis festzuhalten, als auch die Unabhängigkeit Gottes von der Welt. 66 Diesem Anliegen will Barth Rechnung tragen durch die 65

66

So in Anwendung auf die zweite „Person" der Trinität in KD IV,1 S. 54. Vgl. dazu van Til, Christianity and Barthianism S. 34. An diesem Punkte scheint uns Jüngels Paraphrase (Gottes Sein ist im Werden) den Aussagen Barths nicht ganz gerecht zu werden. Jüngel interpretiert Barths Unterscheidung zwischen dem Sein Gottes in sich selber und dem Sein Gottes in seinen Werken, bzw. zwischen der primären und der sekundären Gegenständlichkeit Gottes so, daß das jeweils erste Glied als die Ermöglichung des zweiten zu verstehen sei. So a. a. O. S. 62: „Wenn Barth in diesem Rückschlußverfahren eine ,primäre Gegenständlichkeit' Gottes erschließt, dann besagt dies also, daß Gott uns nicht nur als der Herr gegenständlich wird, sondern daß er, weil er der Herr ist, uns auch gegenständlich werden kann. Dieses Können ist eine dem Sein Gottes eigene Wirklichkeit". Ebs. a . a . O . S. 33, 107 f. und 120; ähnlich Gollwitzer, Die Existenz Gottes S. 105. Diese Interpretation ist zwar richtig, aber nicht zureichend. Das Moment der Weltunabhängigkeit Gottes, auf das es Barth in diesen Unterscheidungen wesentlich ankommt (siehe unten), ist u. E. in Jüngels Interpretation nicht ausreichend zur Sprache gebracht. Dies zeigt sich auch in Jüngels Aussage: „Die Wirklichkeit Gottes, von der Barth redet, ist sicherlich falsch verstanden, wenn sie als .jene Welt' einer anderen, nämlich .dieser Welt' entgegengestellt wird" ( a . a . O . S. 46; ebs. S. 47). Zur Begründung für diese Behauptung verweist Jüngel auf Barths „Lehre von der ewigen Erwählung des Menseben Jesus" (a. a. O. S. 45, Anm. 126). Gerade von der Erwählungslehre Barths her sind jedoch zwei Einwände gegen Jüngels Behauptung zu erheben. 1.) Barth unterscheidet zwischen dem Sein Jesu Christi als Sohn Gottes und der Erwählung Jesu Christi zur Menschwerdung (KD 11,2 S. 114). Letztere ist Gottes freie, ungeschuldete

Das Sein Gottes

24

Rede von einem Sein Gottes „vor und nach und über seinen Werken". 87 Diese Rede soll der Erinnerung daran dienen, „daß dieses Wirken Gnade, freie göttliche Entscheidung ist", 68 daß Gott nicht an seine Werke gebunden ist, daß Gott nicht aufgeht „in seinem Sichbeziehen und Sichverhalten zur Welt und zu uns", sondern daß er immer „zugleich überlegen bleibt".«8 Aber darin erschöpft sich der Sinn der Unterscheidung zwischen Gottes Sein in seinen Werken und Gottes Sein über seinen Werken noch Entscheidung (11,2 S. 108) und als solche nicht mit dem Wesen Gottes identisch, sondern „der Anfang alles Handelns Gottes mit der von ihm verschiedenen Wirklichkeit" (11,2 S. 109). Ebs. 111,2 S. 261 und IV,1 S. 70. 2.) Die ewige Erwählung des Menschen Jesus findet statt „im Anfang, vor dieser unserer Zeit und vor diesem unserem Raum, vor der Schöpfung und also bevor eine von Gott verschiedene Wirklichkeit Gegenstand seiner Liebe, bevor sie der Schauplatz der Taten seiner Freiheit sein konnte" (11,2 S. 108). Man vgl. dazu auch Barths Ausführungen über die „Räumlichkeit" Gottes (11,1 S. 527 ff.). Dort, S. 527, heißt es: „Gegenwart schließt als Zusammensein (im Unterschied von Identität) die Distanz in sich. Wo aber Distanz ist, da ist notwendig ein Ort und ein anderer Ort. Insofern bedeutet die Gegenwart Gottes notwendig, daß er einen Ort, nämlich seinen eigenen Ort, oder sagen wir ruhig: seinen Raum hat". Siehe auch Barths Aussagen über das „Himmelreich" (111,3 S. 486 ff.). Dort steht auf S. 514 zu lesen: Der dreieinige Gott „wohnt, thront und regiert im oberen Kosmos, schaut von jenem Söller herunter auf aller Menschen Kinder, lacht von dorther seiner Feinde, ist von dorther Zeuge nicht nur, sondern der Richter, Helfer und Erretter der Seinigen". Kann man im Blick auf diese Äußerungen, die sich beliebig vermehren ließen, mit Jüngel die Meinung vertreten, Barth verstehe die Wirklichkeit Gottes nicht als „jene Welt" in Gegenüberstellung zu dieser Welt? Es scheint uns, daß Jüngel hier — wie andernorts (vgl. seinen Aufsatz: . . . keine Menschenlosigkeit Gottes . . . ) — den theistischen Elementen in Barths Theologie nicht ausreichend Rechnung trägt. Jüngel versucht offensichtlich, Barths theologischen Ansatz — vor allem mittels der Kategorie „Sprachereignis" (siehe: Gottes Sein S. 13, Anm. 1, S. 110ff. und 121 f. sowie: Die Möglichkeit theologischer Anthropologie S. 552 ff.) — weiterzuentwickeln. Die Legitimität solcher Weiterentwicklung soll nicht bestritten werden, wohl aber sehen wir die Gefahr, daß sie in die Harth-Interpretation zurückgetragen wird und so die exakte Erfassung seiner Theologie beeinträchtigt. 87

KD 11,1 S. 291. »» KD 11,1 S. 292.

« K D 1,1 S. 391.

Gottes Sein und Gottes Offenbarung

25

nicht. Die spezielle Frage nach dem Sein Gottes (über seinen Werken) versteht Barth als die zentrale Frage nach dem Subjekt der Offenbarung.70 Er hält es für völlig unzureichend, sich bei der Beschreibung dieses Subjekts zu beschränken auf die Beschreibung seines Tuns und Wirkens. Auf diesem Wege könnte man zwar vielleicht zu der Erkenntnis kommen, daß es sich bei dem Tun Gottes (in der Offenbarung) um ein sehr bedeutsames Tun handelt, aber gerade nicht zu der Erkenntnis, daß es sich um Gottes Tun handelt.71 Die Frage nach dem Sein Gottes ist für Barth also die Frage nach dem Subjekt der Offenbarung, das allererst das Tun der Offenbarung als Tun Gottes, als Offenbarung Gottes qualifiziert.72 Damit befinden wir uns jedoch bei Barth in einem erkenntnistheoretischen Zirkel-. Einerseits kann die Frage nach dem Sein Gottes nur beantwortet werden im Hinblick auf „Gottes Tat in seiner Offenbarung", 73 andererseits kann die Offenbarung nur dann „als wirkliche Offenbarung" erkannt und verstanden werden, wenn sie als „Gottes Tun und Wirken" 74 erkannt und verstanden wird. Hinterfragt man diesen Zirkel, so stößt man auf das Problem, ob und inwiefern die Unterscheidung zwischen Wesen und Wirken, bzw. Sein und Tun Gottes von Barths Noetik aus überhaupt möglich ist. Denkt man die noetischen Prinzipien, wie sie im ersten Abschnitt dieses Kapitels dargestellt wurden, konsequent zu Ende, so erscheint eine solche Unterscheidung als ausgeschlossen. Trifft es nämlich zu, daß wir bei der Beantwortung der Frage nach dem Sein Gottes „keinen Augenblick anderswohin streben [dürfen] als zu Gottes Tat in seiner Offenbarung", 75 so fehlt uns ja jede Erkenntnisquelle für ein von „Gottes Tat in seiner Offenbarung" zu unterscheidendes Sein Gottes. Damit läßt sich zwar nicht ausschließen, daß es einen Unterschied zwischen Gottes 70 71 72

78 74 78

KD 11,1 S. 290 f. So KD 11,1 S. 290. K D 11,1 S. 291: „Wir dürfen und müssen nach Gottes Sein fragen, weil Gott als das Subjekt seiner Werke für deren Wesen und Erkenntnis so entscheidend charakteristisch ist, daß sie ohne dieses Subjekt etwas ganz Anderes wären als das, was sie laut des Wortes Gottes sind, daß wir sie also auf Grund des Wortes Gottes notwendig nur mit diesem ihrem Subjekt zusammen erkennen und verstehen können". K D 11,1 S. 292. KD 11,1 S. 290. KD 11,1 S. 292.

26

Das Sein Gottes

Sein über seinen Werken und seinem Sein in seinen Werken geben könnte, aber ein solcher möglicher Unterschied entzieht sich unserer Erkenntnis und kann darum nicht Gegenstand sinnvoller mensdilidier Aussage sein. Nun zeigte sich aber, daß Barth die Unterscheidung zwischen Gottes Sein in seinen Werken und Gottes Sein über seinen Werken nicht nur für sinnvoll, sondern sogar für theologisch notwendig hält. 76 Zugleich ergibt sich, daß diese Unterscheidung eine Umkehrung der bisher dargestellten Erkenntnisordnung impliziert, und zwar insofern, als die Gotteserkenntnis der Offenbarungserkenntnis sachlich vorgeordnet werden muß. Kann die Offenbarung nur dann als Offenbarung Gottes verstanden werden, wenn sie als Tat des göttliche Subjektes verstanden wird, so setzt die Erkenntnis Gottes aufgrund seiner Taten die Erkenntnis Gottes als Subjekt seiner Taten bereits voraus. Damit verschiebt sich die Frage nach der Gotteserkenntnis aber nur auf eine andere Ebene: Aus welcher Quelle empfängt der Mensch die Erkenntnis von Gott als dem Subjekt, das die Offenbarung allererst als die Offenbarung Gottes qualifiziert? Barth verweist hier erneut auf die „Werke" Gottes, und dies „in der Zuversicht, daß wir es in diesen seinen Werken nicht mit irgendwelchen anderen, sondern eben mit seinen Werken und also zugleich mit ihm selber, mit seinem Sein als Gott zu tun haben". 77 Worauf sich diese Zuversicht gründet, wird deutlich, wenn Barth wenig später das Trinitätsdogma heranzieht, von dem „eine kirchliche Dogmatik . . . immer schon herkommt". 78 D. h. für Barth konkret, daß die Theologie ihre Aussagen über das Sein Gottes „unter allen Umständen im Blick auf die Offenbarung dieses, des Seins des dreieinigen Gottes zu gewinnen und zu erläutern hat". 7 9 Damit läßt sich die oben gestellte Frage wie folgt präzisieren: Aus welcher Quelle empfängt der Mensch die Erkenntnis von dem dreieinigen Gott, worauf gründet sich die Trinitätslehre? Hat die Offenbarungserkenntnis den sachlichen Primat gegenüber der Trinitätslehre, oder geht umgekehrt die Trinitätslehre der 76

Die hier aufgewiesene Aporie zeigt sich z. B. in der Aussage Barths, daß die „zweite .Person' der Gottheit an sich und als solche" dem Menschen „nidit offenbar", aber dennoch — nach Barths Meinung — „der Inhalt eines allerdings notwendigen und gewichtigen Begriffs der Trinitätslehre" ist ( K D IV,1 S. 54).

77

K D 11,1 S. 292.

78

K D 11,1 S. 293.

79

A.a.O.

Gottes Sein und Gottes Offenbarung

27

Offenbarungserkenntnis sachlich voran? Wir prüfen diese Frage anhand der Ableitung, Begründung und Entfaltung der Trinitätslehre, wie sie sich in Barths Kirchlicher Dogmatik findet.80 Barth formuliert das „grundlegende Problem, vor das uns die Schrift hinsichtlich der Offenbarung stellt", wie folgt: „die in ihr bezeugte Offenbarung will nicht verstanden sein als irgendeine Offenbarung, neben der es noch andere gibt oder geben könnte. Sie will schlechterdings in ihrer Einzigartigkeit verstanden sein. Das heißt aber: sie will schlechterdings von ihrem Subjekt, von Gott her verstanden sein." 81 Daraus zieht Barth die Konsequenz, „die Lehre von der Offenbarung mit der Lehre von dem dreieinigen Gott zu beginnen". 82 Damit ist der Primat der Trinitätslehre unzweideutig formuliert. 83 Welches ist nun aber die „Wurzel der Trinitätslehre"? 84 Barths Antwort auf diese Frage scheint über den oben aufgezeigten Zirkel nicht hinauszuführen: „Wir kommen nicht auf einem anderen Weg zur Trinitätslehre als eben auf dem Weg einer Analyse des Offenbarungsbegriffs". 85 Auf den ersten Blick scheint hiermit wiederum der Erkenntnis der Offenbarung der Primat gegenüber der Trinitätslehre zugesprochen zu sein. Es ist jedoch zu beachten, daß Barth hier nicht von einer Analyse der Offenbarung, sondern von einer Analyse des Oßenb&rungsbegriffs spricht. 86 Die gravierende Bedeutung dieses Unterschiedes wird sich sogleich zeigen. Wir fragen jedoch zunächst weiter: von woher ergibt sich die Klärung und Definition des Offenbarungsbegriffs? Nach Barths Aussage ist 80 81 88 83

M 85 e

K D 1,1 S. 311 ff. K D 1,1 S. 311. K D 1,1 S. 312. So auch KD 11,1 S. 55: „Erst von dem dreieinigen Wesen Gottes aus abwärtssteigend, wird ja nun audi zu verstehen sein, wie Gott vor uns steht, wie er sich uns zu erkennen gibt und von uns erkannt wird in seiner Offenbarung". Vgl. auch K D 1,1 S. 318. K D 1,1 S. 320 ff. K D 1,1 S. 329.

* Der Ausdruck „Offenbarungsbegriff" steht nicht vereinzelt, sondern taucht innerhalb der Trinitätslehre Barths immer wieder auf. So z. B. KD 1,1 S. 320, 353, 369, 383. Zwar bezeichnet Barth auch wiederholt die „Offenbarung" als die Wurzel der Trinitätslehre (so KD 1,1 S. 324 f., 329 f., 351), die Art und Weise, wie Barth die Trinitätslehre ableitet, zeigt jedoch, daß es sich nidit um eine Analyse des Offenbarungsgeicfeetanj, sondern des Offenbarungstegrijffi handelt.

28

Das Sein Gottes

„zum Verständnis des Offenbarungsbegriffs zunächst [von uns hervorgehoben] zu fragen, wer denn Gott ist". 87 Die so angestrebte Klärung des Offenbarungsbegriffes vom Gottesbegriff her zeitigt bei Barth zunächst das Ergebnis: „Gott offenbart sich als der Herr".8* Damit ist zugleich für Barth die „Gottheit Gottes" definiert als „Herrschaft" und „Offenbarung" ist definiert als „Ankündigung", bzw. „Offenbarung von Herrschaft".89 Die entscheidende Frage lautet nun: Ist der Satz: „Gott offenbart sich als der Herr" im Sinne Barths als ein synthetisches oder als ein analytisches Urteil zu verstehen? Anders formuliert: Basiert dieses Urteil auf einer Erweiterung des OffenbarungsiegW^i vom konkreten Offenbarungsge^eiew her, oder handelt es sich um eine bloße Erläuterung des Offenbarungs&egW/fs? Barths Entscheidung ist eindeutig: „Dieser Satz ist als ein analytisches Urteil zu verstehen". 90 Und er fügt verdeutlichend hinzu: „Es ist also, wo nach der Bibel Offenbarung Ereignis ist, keine zweite Frage, welches denn nun ihr Inhalt sein möchte". 91 Die inhaltliche Deutung und Auslegung der Offenbarung basiert bei Barth also auf dem Gottesbegriff, der als Herrschaft definiert ist. Diese Definition hat für Barth axiomatischen Charakter. Sie bestimmt zugleich die Definition des Offenbarungsbegriffs als „Ankündigung von Herrschaft". Der so definierte Offenbarungsbegriff ist für Barth die „Wurzel der Trinitätslehre". Und die Trinitätslehre sichert wiederum das

87

K D 1,1 S. 316.

88

K D 1,1 S. 323. Ebs. 11,1 S. 48.

89

K D 1,1 S. 3 2 3 : „Offenbarung ist Offenbarung von Herrschaft

und eben

damit Offenbarung Gottes. Denn das ist die Gottheit Gottes, das ist's, was der Mensch nicht weiß, und was Gott ihm offenbaren muß und nach dem Zeugnis der Schrift offenbart: Herrschaft". Dabei definiert Barth: Herrschaft

„Von

reden wir da, wo eine Person einer anderen, ein Idi einem Du,

sich als Träger von Macht zum Bewußtsein bringt, wo ein überlegener Wille seine Madit zu erkennen gibt. Das ist's, was in dem in der Bibel als Offenbarung beschriebenen Ereignis geschieht" ( K D 1,1 S. 405). Ähnlich Credo, 1935, S. 49 ff. und K D 1,2 S. 65. Es ist allerdings sehr die Frage, ob Barth damit das Wesentliche des biblisdien, speziell des neutestamentlidien Offenbarungsverständnisses getroffen hat. 90

K D 1,1 S. 323.

91

A. a. O., vgl. auch 111,3 S. 30.

29

Das Sein des dreieinigen Gottes

Verständnis des OfFenbarungsgesdiehens als Offenbarung Gottes.92 Im Blick auf diesen Zusammenhang erweist sich der Gottesbegriff als das grundlegende Datum der Barthschen Noetik. 9 3 Das sdiließt die Begründung der Theologie auf die in der Bibel bezeugte Offenbarung nicht aus. Wohl aber ist festzustellen, daß die Rezeption des biblischen Offenbarungszeugnisses bei Barth unter dem Vorzeichen seines Gottesbegriffes ( = H e r r s c h a f t ) erfolgt. Dieses Vorzeichen bestimmt Auswahl, Akzentuierung und Deutung des Offenbarungszeugnisses bis in alle Einzelheiten hinein. 2. D a s

Sein

des

dreieinigen

Gottes

Zu welchem Ergebnis kommt Barth von der analysierten Noetik aus hinsichtlich der Frage nach dem Sein Gottes? Aus dem analytischen Urteil: „Gott offenbart sich als der H e r r " folgt für Barth zunächst, „daß Gott selbst in unzerstörter Einheit, aber auch in unzerstörbarer Verschiedenheit der Offenbarer, die Offenbarung und das Offenbarsein ist". 9 4 Aus dem Begriff „Herrschaft" gewinnt Barth also sowohl die Kategorie „Einheit" als auch „Verschiedenheit". Wenden wir uns zunächst der „Einheit" zu. D a ß Gott sich als der Herr offenbart, das besagt für Barth: „Gott offenbart sich. Er offenbart sich durch sich selbst. Er offenbart sich selbst".95 D . h. Gott offen92

Jüngel, Gottes Sein S. 2 7 : „So ist die Offenbarung lichung der Interpretation

der Offenbarung.

Gottes selbst die

die Offenbarung die Selbstinterpretation dieses Gottes ist*. Als pretation

Gottes

Ermög-

Sie ist es deshalb, ,weil ja eben Selbstinter-

ist die Offenbarung aber die Wurzel der Trinitätslehre.

Die Trinitätslehre

ist dann

folgerichtig

die durch die Offenbarung

als

Selbstinterpretation Gottes ermöglichte Interpretation der Offenbarung und damit des Seins Gottes". Unser Ergebnis berührt sidi mit dem Jüngels, weicht aber an entscheidender Stelle von ihm ab. Jüngel bleibt hier bewußt innerhalb des Zirkels von Gotteserkenntnis und

Offenbarungserkenntnis.

Bei Barth scheint uns dieser Zirkel de facto durchbrochen zu sein durdi den Rekurs auf den Offenbarungs&egrij? und durch den Primat des Gottesverständnisses gegenüber dem Offenbarungsverständnis. 83

Gegen Jüngels Behauptung (Gottes Sein S. 77), daß bei Barth „der Gottesbegriff . . . aus der Interpretation der Offenbarung als Selbstinterpretation Gottes gewonnen wird".

M

K D 1,1 S. 311 (aus dem Leitsatz zu § 8 der K D ) .

»

K D 1,1 S. 312.

30

Das Sein Gottes

bart sich darin als der Herr und die Offenbarung ist darin Offenbarung der Herrschaft Gottes, daß Gott in ihr ganz selbst handelt. Die Identität von „Subjekt", „Tun" und „Wirkung" der Offenbarung 96 bzw. die Identität von „Subjekt, Prädikat und Objekt" 97 des Satzes „Gott offenbart sidi" begründet nach Barth die Aussage von der „unzerstörten Einheit" Gottes. Die Kategorie „Verschiedenheit" ist — wie sich leicht erkennen läßt — das Pendant zu der so verstandenen Einheit Gottes. War bisher die Idendität Gottes in den „drei Gestalten seines Gottseins in der Offenbarung" 98 zu betonen, so gilt es nun, den Akzent auf die „drei Gestalten" zu setzen. Diese Dreiheit kann nach Barth nicht aufgehoben und in einem übergreifenden Vierten vereinigt werden. M. a. W. die Einheit Gottes kann und darf nicht in eine „Einerleiheit" 99 aufgelöst werden. Damit ist die Aussage von der „unzerstörten Verschiedenheit" Gottes begründet. Faßt man beides zusammen, so ergibt sich: Weil der Offenbarer, die Offenbarung und das Offenbarsein ein und derselbe Gott ist, darum ist die Einheit Gottes (in seiner Offenbarung) zu behaupten. Weil der eine Gott zugleich der Offenbarer, die Offenbarung und das Offenbarsein ist, darum ist die Verschiedenheit Gottes (in seiner Offenbarung) zu behaupten. Weil die Einheit und Verschiedenheit Gottes (in seiner Offenbarung) untrennbar zusammenbesteht, darum ist die Dreieinigkeit Gottes (in seiner Offenbarung) zu behaupten. 100 Mit dieser Deduktion der Trinitätslehre aus dem Offenbarungsbzw. Gottesbegriff hat Barth sein Ziel jedoch noch nicht erreicht. In dem bisherigen Gedankengang erscheint die Trinitätslehre ja nur als eine „Interpretation der Offenbarung", bzw. „des in der Offenbarung sich offenbarenden Gottes".101 Barth will die Trinität aber „nicht nur als ,ökonomische', sondern als ,immanente'" 102 Trinität verstehen. Die Trini86 98 99 100 101 102

A.a.O. " K D 1,1 S. 312 f. K D 1,1 S. 315. A.a.O. Vgl. hierzu Jüngel, Gottes Sein S. 27 ff. K D 1,1 S. 328 f. K D 1,1 S. 352. So schon 1924: „Wesenstrinität, nicht nur ökonomische! Überhaupt die Trinitätslehre! Wenn ich da den rechten Schlüssel in die Hand bekäme, wäre einfach Alles gut" (Barth/Thurneysen, Briefwechsel STB S. 156. Der Brief Barths, dem diese Äußerung entstammt, fehlt im entsprechenden Band der Karl Barth-Gesamtausgabe).

Das Sein des dreieinigen Gottes

31

tätslehre soll also nidit nur das Sein Gottes in seinen Werken, sondern auch das Sein Gottes über seinen Werken angemessen interpretieren. Hierbei entstehen für Barth aber gewisse Schwierigkeiten. Der unmittelbare Rückschluß von den „drei Gestalten" des göttlichen Seins in der Offenbarung auf drei immanente göttliche „Seinsweisen"103 verbietet sich ihm von dem Grundsatz her: „opera trinitatis ad extra sunt indivisa". 104 Denn wenn es richtig ist, daß sich in allen drei Gestalten ein und derselbe Gott offenbart, so müssen auch die unterschiedlichen Eigenschaften dieser drei Gestalten als Eigenschaften dieses einen göttlichen Subjektes verstanden werden. Aus „inhaltlichen Verschiedenheiten des Gottesgedankens im Offenbarungsbegriff" 105 kann die Unterscheidung dreier Seinsweisen in Gott also nicht abgeleitet werden.106 Wohl aber ist es nach Barths Auffassung möglich, aus dem Offenbarungsbegriff „die formalen Eigentümlichkeiten der drei Seinsweisen"107 abzulesen. Diese formalen Eigentümlichkeiten sieht Barth gegeben in den „ungleichen Ursprungsverhältnissen",108 in denen die verschiedenen Gestalten des Seins Gottes in seiner Offenbarung zueinander stehen. So bezeichnet der „Offenbarer" das „Woher", die „Urheberschaft" und den „Grund" der Offenbarung. Andererseits ist das „Offenbarsein" als das „Ergebnis" von Offenbarer und Offenbarung „das Wohin der Offenbarung". 109 Diese 103

Diesen Begriff verwendet Barth anstelle der traditionellen Redeweise von den drei „Personen" ( K D 1,1 S. 374 ff.). Siehe dazu Trtfk, Der Personbegriff im dogmatischen Denken Karl Barths S. 263 ff.

104

K D 1,1 S. 382 und 3 9 5 ; Credo, 1935, S. 27 sowie K D 111,1 S. 52.

105

K D 1,1 S. 383.

106

Damit schließt Barth nicht aus, daß „per appropriationem . . . je diese Tat und jene Eigenschaft im Blidc auf diese und diese Seinsweise Gottes in den Vordergrund gerückt werden" muß. Aber er betont: „nur per appropriationem darf dies geschehen, also in keinem Fall unter Vergessen oder Leugnung der Gegenwart Gottes in allen seinen Seinsweisen, in seinem ganzen Sein und Tun auch uns gegenüber" ( K D 1,1 S. 395). Deshalb kann aus solchen Appropriationen auch nicht das immanente trinitarisdie Sein Gottes abgeleitet

werden. Vielmehr setzen umgekehrt die Appropriationen

das Wissen um die immanente Trinität voraus.

Vgl. dazu Jüngel, Gottes

Sein S. 48 ff. 107

K D 1,1 S. 383

1011

K D 1,1 S. 383. Parallel zu der Trias „Offenbarer, Offenbarung, Offenbar-

.

w« K D 1,1 S. 382.

sein" verwendet Barth auch die Trias „Verhüllung, Enthüllung, Selbstmitteilung" (a. a. O., vgl. auch 1,1 S. 332 ff.).

32

Das Sein Gottes

Ursprungsverhältnisse sind nicht umkehrbar oder austauschbar, und sie lassen sich übertragen auf die immanenten Seinsweisen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Geistes.110 Was ist damit erreicht? Barth hat damit streng genommen nicht mehr gezeigt, als daß es möglich ist, die aus der Analyse des Offenbarungsbegriffs abgeleiteten formalen Eigentümlichkeiten der drei Gestalten des Seins Gottes in seiner Offenbarung auch auf das Sein Gottes in sich selbst anzuwenden. Es wurde bisher jedodi nicht deutlich, inwiefern dieses Verfahren notwendig ist. Der denkmögliche formale Parallelismus ist noch kein hinreichender Grund für die Behauptung einer immanenten Trinität Gottes. Barth bleibt die Begründung dafür nicht schuldig. Seine Argumentation basiert auch hier entscheidend auf dem Satz: „Gott offenbart sich als der Herr". Dieser Satz impliziert — wie wir sahen — für Barth eine Aussage über das Wesen, bzw. die Gottheit Gottes: „Wir können den Begriff der Herrschaft Gottes, auf den wir den ganzen biblischen Offenbarungsbegriff bezogen fanden, unbedenklich mit dem gleichsetzen, was in der altkirchlichen Sprache das Wesen Gottes . . . heißt". 1 1 1 Was bedeutet diese Identifizierung aber für die Lehre vom Sein Gottes, genauer: für die Lehre von der immanenten Trinität Gottes? Barth definiert zunächst: „Herrschaft heißt Freiheit", und er fährt fort: „Gottheit heißt in der Bibel Freiheit, ontische und noetische Eigenständigkeit". 112 Die Begriffe „Gottheit", „Herrschaft", „Freiheit", „ontisdie und noetische Eigenständigkeit" werden so für Barth austauschbar. Und auf dem Weg über die Gleichsetzung der Termini „Herrschaft" und „ontische und noetische Eigenständigkeit" begründet Barth die Notwendigkeit einer „immanenten" Trinitätslehre. Besagt — so Barths Gedankengang — Herrschaft zugleich ontische Eigenständigkeit, und ist Gottes Wesen als Herrschaft zu beschreiben, 110

KD 1,1 S. 384: „Darin besteht diese Dreiheit, daß in dem Wesen oder Akte, in welchem Gott Gott ist, einmal ein reiner Ursprung und sodann zwei verschiedene Ausgänge stattfinden, von denen der erste allein auf den Ursprung, der zweite andersartige auf den Ursprung und zugleich auf den ersten Ausgang zurückzuführen sind".

111

KD 1,1 S. 369. KD 1,1 S. 323. Ebs. 11,1 S. 338: „Wir sagen mit dem Begriff Freiheit nichts Anderes, als was wir sagen würden, wenn wir Gott schlicht als den Herrn bezeichnen würden*.

112

33

Das Sein des dreieinigen Gottes so kann Gott nicht auf ein außergöttliches

Gegenüber angewiesen sein,

um H e r r (und also Gott) zu sein. Wäre Gott auf ein außergöttliches Gegenüber angewiesen, so wäre er nicht ontisch eigenständig, also nicht Herr, also nicht Gott. 1 1 3 Andererseits setzt der Begriff „Herrschaft" jedoch ein Gegenüber voraus, denn Herrschaft ist ja immer Herrschaft über etwas oder über jemand. Würde Gott also eines Gegenübers entbehren, so wäre er gleichfalls nicht der Herr, also nicht Gott. 1 1 4 Der Ausweg aus diesem Dilemma liegt auf der H a n d : Gott bedarf keines außergöttlichen

Gegenübers

und

er

entbehrt

nicht

des

Gegenübers,

denn „als der Vater des Sohnes, als der Sohn des Vaters ist er sich selbst Ich und Du, ist er sich selbst gegenüber, um im Heiligen Geist zugleich Einer und Derselbe zu sein". 1 1 5 Gottes Einheit ist „keine Einzelheit und Einsamkeit", 1 1 6

sondern Gott existiert —

als der Dreieinige —

„in

Beziehung und Gemeinschaft", 1 1 7 und nur insofern ist er der Herr, und d. h. Gott. 1 1 8 So dient die Lehre von der immanenten Trinität Gottes nichts Geringerem als der Respektierung der Gottheit Gottes. 113

114

115 118 117

118

3

So K D 1,1 S. 374; Credo, 1935, S. 18; KD 11,1 S. 62 und 356 f.; 111,3 S. 509 sowie IV,1 S. 220. Deshalb lehnt Barth die „Zwangsvorstellung" ab, „Einheit sei gleidibedeutend mit Fürsichsein, mit Verschlossenheit und Gefangensein in einer einzigen Seinsweise, Einheit heiße also Einzelheit und Einsamkeit. Die Einheit Gottes ist nun eben nicht von dieser Art" (KD IV,1 S. 220 f.). Vgl. auch 1,1 S. 374: „Gott ist Einer, aber nun nicht so, daß er als solcher eines Zweiten und Dritten erst bedürfte um Einer zu sein, und auch nicht so, als ob er allein wäre und des Gegenübers entbehren müßte". Ebs. 11,1 S. 308 und 11,2 S. 390. Dem stellt Barth die Position gegenüber: Gott ist — als der Dreieinige — „in sich selber der Herr" (11,1 S. 51). K D 111,2 S. 390. K D 1,1 S. 374, ebs. IV,1 S. 221 (siehe oben Anm. 114). KD 111,2 S. 390. Diesen Sachverhalt bezeichnet Barth als die „primäre Gegenständlichkeit Gottes", in der Gott „zuerst und vor allem sidi selber gegenständlich" ist (11,1 S. 15, ebs. S. 53). Sie ist die „Entsprechung" und der „Grund" (11,1 S. 16) der sekundären Gegenständlichkeit Gottes in der Offenbarung (siehe oben Anm. 36). Vgl. dazu Josuttis, Die Gegenständlichkeit S. 88 ff. und Jüngel, Gottes Sein S. 61 ff. K D 1,1 S. 384: „In der Weise ist Gott nach der Schrift offenbar, in der Weise ist er Gott, daß er in diesen Beziehungen zu sich selber ist". Vgl. auch 11,1 S. 50 f. Siehe dazu die kritische Würdigung von Wendebourg, Die Christusgemeinde und ihr Herr S. 248 ff. H ä r l e : Sein und Gnade

Das Sein Gottes

34

Indessen fehlt noch ein Glied in dem dargestellten Argumentationszusammenhang, um ihn von Barths Voraussetzungen aus als stringent erscheinen zu lassen. Die Behauptung, daß Gott (nur) insofern der Herr sei, als er in seinem immanenten trinitarischen Sein in Beziehung und Gemeinschaft existiere, ist nur dann bündig, wenn das Beziehungs-, bzw. Gemeinschaftsverhältnis in Gott als /ierrscAa/isverhältnis zu verstehen ist. Verträgt sich diese Vorstellung aber mit dem Gottesverständnis? Barth weist ausdrücklich die „Zwangsvorstellung'* 119 zurück, als sei es „etwas Gott Unwürdiges, mit seinem Wesen als Gott Unverträgliches . . m i t einem Ersten und einem Zweiten, mit einem Oben und Unten in Gott zu rechnen". Im Gegensatz dazu betont Barth, „daß der eine Gott in gleicher Gottheit tatsächlich Einer und audi ein Anderer, und zwar ein Erster und ein Zweiter, ein in Hoheit Regierender und Gebietender und ein in Demut Gehorchender ist", und er begründet diese Aussage mit der aus der „Anschauung Jesu Christi" gewonnenen „erstaunlichen Feststellung eines göttlichen Gehorsams". 1 2 0 Damit ist der Argumentationsgang Barths lückenlos und von seinen Prämissen her stringent. Im zurückliegenden Teil dieses Abschnittes wurde zu analysieren versucht, auf welche Weise und mit welchem Ergebnis Barth die Triiiitätslehre als die Interpretation des Seins Gottes in und über seinen Werken aus dem Offenbarungs- und Gottesbegriff ableitet. Im Blick auf den weiteren Fortgang der Untersuchung erscheint es sinnvoll, die Fragestellung in eine andere Richtung noch etwas voranzutreiben: Welchen Zusammenhang sieht Barth zwischen dem immanenten trinitarischen Sein Gottes und seinem Handeln an und mit der Welt? Wie ist überhaupt das Sein der von Gott verschiedenen Welt vom trinitarischen Sein Gottes aus zu deuten? Diese Fragen werden insofern schon innerhalb der Gotteslehre virulent, als Barth mit der Trinitätslehre nicht nur die Eigenständigkeit und Selbstgenügsamkeit Gottes, sondern auch den Grund seiner Zuwendung zur Welt aufweisen will. 1 2 1 Beides sdieint aber in einer 119

K D IV,1 S. 221. Es ist dies — neben der oben Anm. 114 genannten — die

120

K D IV, 1 S. 221.

121

Vgl. oben Anm. 117. Weil Gott in sidi selber „in Beziehung" ist ( K D 1,1

zweite Zwangsvorstellung, die Barth abzubauen sich bemüht.

S. 3 8 4 ; 111,2 S. 390 f.), darum kann er audi nach außen in Beziehung treten und so „unser Gott sein" (1,1 S. 4 0 3 ; 11,1 S. 535). Aber nur weil er dieser Beziehung nadi außen nidit bedarf, weil er eigenständig, weil er in sich

35

Das Sein des dreieinigen Gottes

gewissen Spannung zueinander zu stehen. Entweder ist Gott sidi selbst genug, dann erscheint seine Wendung nach außen als etwas letztlich Überflüssiges und Zufälliges. Oder die Zuwendung Gottes zur Welt ist ein notwendiges Moment des trinitarischen Gottesbegriffes, 122 dann wird die Behauptung der Selbstgenügsamkeit Gottes problematisch. Zunächst ist festzuhalten, daß Barth wiederholt und nachdrücklich betont,

Gott sei „keiner besonderen Wege und Werke nadi

keiner Schöpfung

bedürftig",

sondern könnte sich „an

der

außen, inneren

Herrlichkeit seines dreieinigen Seins" genügen lassen. 123 Dabei handelt es sich um eine für Barths Theologie schlechthin unverzichtbare Aussage, denn an ihr hängt — wie bereits gezeigt — nicht weniger als die Gottheit Gottes. 1 2 4 Ein Gott, der sich nicht selbst genug wäre, wäre für Barth nicht Gott. E r wäre nicht der Herr. nicht zu verstehen als

122

123

124

125

3*

Sein Verhältnis zur Welt wäre

Gnade.126

selber der Herr ist, darum kann Gott „unser Gott" sein (1,1 S. 403; 11,1 S. 62). Diese Konsequenz sdieint sich zu ergeben aus Barths Aussage: „Ein Gott ohne Jesus Christus, ohne diese Barmherzigkeit und Treue gegen den Menschen wäre ein anderer, ein fremder Gott. Er wäre nadi diristlidier Erkenntnis gar nicht Gott" (KD 11,2 S. 565). Oder noch schärfer: „In diesem Begriff des Bundes erst vollendet sich der Begriff Gottes selbst" (11,2 S. 564). Es wird sich aber zeigen, daß Barth damit keine Notwendigkeit für Gott behaupten will, sondern nur eine Notwendigkeit aufgrund der faktischen, freien Entscheidung Gottes. K D 11,2 S. 130. Ebs. 11,1 S. 700 f.; 111,3 S. 9 und 123; IV,1 S. 220 und 233 sowie: Die Menschlichkeit Gottes, 1956, S. 14. Entsprechend scharf ist Barths Urteil über theologische Aussagen, die dieser Überzeugung widersprechen. So bezeichnet Barth z. B. die Sinnsprüche des Angelus Silesius („Ich weiß, daß ohne midi Gott nicht ein Nu kann leben. Werd ich zunicht, er muß vor Not den Geist aufgeben" u. a.) als „fromme(n) Unverschämtheiten", bzw. als „die unmögliche Rede über das Verhältnis von Gott und Mensch" (KD 11,1 S. 316). K D 11,1 S. 398 f.: „Gerade daß Gott gnädig ist, bedeutet dies, daß er sich selbst keiner Gegenseite schuldig ist. Seine Herablassung ist freie, d. h. unbedingte, d. h. nur durch seinen eigenen Willen bedingte Herablassung". Ebs. 11,2 S. 130: „daß Gott ein von ihm unterschiedenes Anderes als sein Geschöpf will und s e t z t . . . [ist] schon insofern Gnade ..., als Gott ja keiner besonderen Wege und Werke nach außen bedürftig ist, sondern an der inneren Herrlichkeit seines dreieinigen Seins, seiner Freiheit und seiner Liebe sidi genügen lassen könnte". Dazu Prenter, K. Barths Umbildung der tradi-

36

Das Sein Gottes

Wir sind damit erneut auf den Begriff „ G n a d e " gestoßen, der f ü r Barths Lehre v o m Sein Gottes konstitutive Bedeutung hat. 1 2 6 Zugleich eignet sich der Begriff „ G n a d e " als die Orientierungshilfe, um den Z u sammenhang zwischen dem immanenten trinitarischen Sein Gottes u n d seinem H a n d e l n an u n d mit der Welt im Sinne Barths aufzuzeigen. I h m soll sich die Untersuchung d a r u m jetzt zuwenden. B a r t h definiert G n a d e als „das Sein u n d Sichverhalten Gottes, das sein Gemeinschaft suchendes u n d schaffendes T u n auszeichnet als bestimmt durch seine eigene, freie Neigung, H u l d u n d Gunst, die durch kein Vermögen u n d durch keinen Rechtsanspruch der Gegenseite bedingt, aber auch durch keine U n w ü r d i g k e i t u n d durch keinen Widerstand dieser Gegenseite gehindert ist, sondern jede U n w ü r d i g k e i t u n d jeden Widerstand zu überwinden k r ä f t i g ist". 1 2 7 Diese Definition beinhaltet vier Aussagen, die f ü r unsere gesamte Untersuchung von erheblicher Bedeutung sind: a) G n a d e ist ein „Sein u n d Sichverhalten Gottes" 1 2 8 b) G n a d e ist ungeschuldete „Herablassung" Gottes, auf die „niemand und nichts Anspruch hat".12* c) G n a d e rechnet mit dem Vorhandensein eines Widerstandes der „Gegenseite". 1 3 0 d) G n a d e setzt sich gegen diesen Widerstand durch, sie überwindet ihn. 1 3 1

126

127 128 129 130

131

tionellen Zweinaturlehre S. 84: „Die Gnade Gottes besteht darin, daß er tut, was er nicht zu tun brauchte, was er weder sich selbst nodi uns schuldig war". Man kann sagen, daß der Begriff „Gnade" von KD 11,1 an mehr und mehr die Bedeutung und Funktion übernimmt, die der Begriff „Herrschaft" vor allem in KD 1,1 für die Gotteslehre hatte. Der Begriff „Herrschaft" ist so im Begriff „Gnade" (im positiven Sinne) aufgehoben. Zu den Momenten der Macht, Freiheit und Eigenständigkeit tritt im Begriff „Gnade" das Moment der „Herablassung" bzw. „Menschlichkeit" Gottes hinzu, ohne sie außerkraft zu setzen. Vgl.: Die Menschlichkeit Gottes, 1956, passim. KD 11,1 S. 396 f. Ebs. KD 11,1 S. 398: „daß Gnade ein Sein und Tun Gottes ist". KD 11,1 S. 398. KD 11,1 S. 399: „Gnade setzt das Vorhandensein dieses Widerstandes voraus, rechnet mit ihm...". Vgl. 11,1 S. 312. Dort sagt Barth sachlich dasselbe von der Liebe Gottes. KD 11,1 S. 399: „Es kann die Sünde der Kreatur, es kann der von ihr Gott entgegengesetzte Widerstand seine Gnade nicht aufhalten, nicht abschwächen,

Das Sein des dreieinigen Gottes

37

Wir beziehen uns in diesem Zusammenhang vorwiegend auf die erste Aussage. Sie beinhaltet zugleich die sachliche Begründung für die Verhandlung des Gnadenbegriffes unter der Uberschrift „Das Sein Gottes". Mit der Definition der Gnade als „Sein und Sichverhalten" Gottes wehrt sich Barth gegen die Anschauung, als sei Gnade „nur ein Attribut" 132 Gottes. Im Gegensatz dazu setzt Barth Gnade und göttliches Sein, bzw. Göttlichkeit Gottes miteinander gleich. So gibt es für ihn „kein höheres göttliches Sein als das des gnädigen Gottes", 133 und d.h.: „Grundlegend und entscheidend in seiner Gnade besteht und bewährt sich seine Göttlichkeit". 134 Entsprechend gilt die Umkehrgleichung, die es erlaubt und gebietet, von einer Identifizierung der Gnade mit dem göttlichen Sein bei Barth zu sprechen: „Wo Gnade offenbar und wirksam ist, da ist unter allen Umständen Gott selber offenbar und wirksam". 135 Gnade bezeichnet im Sinne Barths also nicht nur das Handeln Gottes nach außen, an der Kreatur, sondern auch das Sein Gottes „von Ewigkeit und in Ewigkeit in sich selber". 136 Von da aus gerät Barth jedoch in Schwierigkeiten, die Aussage a mit den Aussagen b—d zu vereinbaren. Im Blick auf das immanente trinitarisdie Sein Gottes kann ja nicht von einer ungesdiuldeten Herablassung, vom Vorhandensein eines Widerstandes und von dessen Überwindung gesprochen werden. Barth hilft sich aus dieser Schwierigkeit, indem er unterscheidet zwischen der „Gestalt der Gnade, in der sie für uns und an uns offenbar wird", und der anderen Gestalt, „in der die Gnade in Gott selbst und als Gott selbst wirklich ist". 137 In dieser zweiten (ersten!) Gestalt ist Gnade „die reine Neigung, Huld und G u n s t . . . , die den Vater mit dem Sohne, den Sohn mit dem Vater verbindet durch den Heiligen Geist". 138 Die Frage drängt sich auf, warum Barth den nicht unmöglich machen. Gnade ist vielmehr mächtig über und gegen die Sünde. Gnade setzt das Vorhandensein dieses Widerstandes voraus, rechnet mit ihm, fürchtet ihn aber nicht, wird durch ihn nicht begrenzt, sondern überwindet ihn, triumphiert Überwindung". 132 133

K D 11,1 S. 400. A.a.O.

134

K D 11,1 S. 401.

135

K D 11,1 S. 400.

13 »

K D 11,1 S. 401.

137 138

A.a.O. K D 11,1 S. 402.

gerade in diesem Gegensatz und in seiner

38

Das Sein Gottes

Begriff „Gnade" zur Beschreibung des innertrinitarisdien Seins Gottes beibehält, wiewohl er dadurch genötigt wird, zwei „Gestalten" der Gnade zu unterscheiden, die in entscheidenden inhaltlichen Merkmalen differieren. Der Grund für diese unbefriedigende Konstruktion139 ist zu suchen in Barths Grundsatz: Offenbarung ist Selbstenthüllung Gottes. Daraus ergibt sich: offenbart Gott sich als der Gnädige, so muß er in sidi selbst der Gnädige sein. Und „in sich selbst" heißt für Barth eben: in seinem trinitarischen Sein als Vater, Sohn und Geist. Der noetisdie Rückschluß vom Wirken auf das Sein Gottes basiert auf der Behauptung der ontischen Zusammengehörigkeit von Sein und Wirken Gottes. 140 Halten wir fest: Das Sein Gottes in sich selber ist „Sein der Gnade". 141 Deswegen — und nur deswegen — ist auch sein Handeln nach außen Gnade.148 „Gnade" hat jedoch hier und dort eine je verschiedene „Gestalt". In diesen drei Sätzen sind implizit zwei formale Prinzipien der gesamten Theologie Barths enthalten, die uns im weiteren Verlauf der Untersuchung noch mehrfach begegnen werden. Diese Prinzipien lauten formelhaft dargestellt: a) Weil im trinitarischen Sein Gottes darum im Tun Gottes nach außen.

(und nur darum) auch

b) Wie im trinitarischen Sein Gottes, dementsprechend Tun Gottes nach außen.

(analog) auch im

Das erste Prinzip kann bezeichnet werden als das trinitarische ßegrwWwngjprinzip, das zweite als das trinitarische Entsprechungs-, ' Siehe dazu die theologischen Einwände, die Josuttis (Die Gegenständlichkeit S. 99 ff.) hiergegen mit Recht erhebt. 140 Hier findet Barths ontologisdies Prinzip der Prävenienz des Ontischen gegenüber dem Noetisdien seine Anwendung. Aus diesem Prinzip resultiert der allgemeine Grundsatz: Wo ein „echter noetischer Zusammenhang besteht, da kann man immer damit redinen, daß er ontischen Grund hat" (KD 111,1 S. 29). Geht das Sein dem Erkennen voran, so kann vom Erkennen auf das Sein zurückgesdilossen werden. 141 KD 11,1 S. 271. 1 4 ! Jüngel, Gottes Sein S. 121: Die Gnade der Offenbarung „ist dem Sein Gottes nicht f r e m d . . . Gottes Gnade ist vielmehr die Wiederholung des das Sein Gottes konstituierenden ,Ja' Gottes zu sich selbst in Relation zu einem Anderen". Dem ist nur hinzuzufügen: . . . und in einer anderen Gestalt.

1S

Das Sein des dreieinigen Gottes

39

bzw. Analogieprinzip der Barthschen Theologie. 143 Das Analogieprinzip soll Gegenstand späterer, ausführlicher Erörterung sein144 und deshalb an dieser Stelle weitgehend ausgeklammert werden. Indem wir uns dem Begründungsprinzip zuwenden, nehmen wir die bereits formulierte Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem immanenten trinitarischen Sein Gottes und seinem Handeln nach außen neu auf. Diese Frage kann insofern als im Allgemeinen beantwortet gelten, als sidi ergeben hat, daß dieser Zusammenhang von Barth als Begründungszusammenhang verstanden wird. Es ist nun zu klären, was Barth damit im einzelnen meint. Ausgangspunkt ist nochmals der Grundsatz: Gott offenbart sidi als der Herr, weil er in sich selbst der Herr ist. Dieses Herrsein Gottes sieht Barth auch darin betätigt und bestätigt, daß Gott „sidi selbst ungleich werden kann". 145 Gottes Göttlichkeit ist „kein Gefängnis, in welchem er nur in sich und für sich zu existieren vermöchte. Sie ist vielmehr die Freiheit, in sich und für sich, aber auch mit uns und für uns zu sein".14" Insofern ist Gott „als göttliche Person frei über sich selbst".147 Und d. h. Gott ist nicht nur frei von aller äußeren Bedingtheit, sondern er ist auch frei gegenüber seiner Freiheit von aller äußeren Bedingtheit. 148 Und darin sieht Barth den Ermöglichungsgrund für das Handeln Gottes nach 143

Beide Prinzipien zusammen K D IV,1 S. 223: Gott handelt als Schöpfer und Versöhner „nicht ohne Grund in seinem Wesen, in seinem eigenen inneren Leben, nicht ohne Entsprechung zu der Geschichte — vielmehr in wunderbar konsequenter letzter Fortsetzung eben der Geschichte, in der er Gott ist". Ähnlich 11,1 S. 16: Die sekundäre Gegenständlichkeit Gottes hat in der primären „ihre Entsprechung und ihren Grund". Vgl. Jüngel, Gottes Sein S. 120: „Im Sein Gottes für uns gibt sich Gottes Sein für uns als ein Gottes Für-uns-Sein begründendes und ermöglichendes Sein zu erkennen". „Gottes Sein entspricht s i c h . . . im Ereignis der Offenbarung: als Verhältnis des Seins Gottes für uns zum Sein Gottes im Ereignis seiner Selbstbezogenheit".

144

Siehe unten Kap. IV. K D 1,1 S. 337. Die Menschlichkeit Gottes, 1956, S. 13. Gotteserkenntnis und Gottesdienst, 1938, S. 67. K D 11,1 S. 341: „Gott hat nach dem biblisdien Zeugnis den Vorzug, frei zu sein ohne Beschränkung durch diese seine Freiheit von aller äußeren Bedingtheit, frei auch dieser seiner Freiheit gegenüber, frei dazu, sich, ohne sidi ihrer zu begeben, ihrer nun doch auch dazu zu bedienen, sich in jene Gemeinschaft zu begeben und in jener Gemeinschaft jene Treue zu betätigen und eben so wirklich frei, frei in sidi selber zu sein".

145 146 147 148

Das Sein Gottes

40

außen. Als der Herr bedarf Gott keiner Wirklichkeit außerhalb seiner selbst. Als dem Herrn ist es Gott aber auch nicht unmöglich, sondern möglich, eine Wirklichkeit außerhalb seiner selbst zu setzen. Die Herrschaft Gottes ist für Barth aber nicht nur der Ermöglichungsgrund, sondern auch der Realgrund seines Handelns ad extra. Daß Gott in sich selbst der Herr ist, das heißt — wie bereits gezeigt — für Barth auch: Gott ist in sich selbst in Beziehung und Gemeinschaft, und zwar in der Beziehung und Gemeinschaft des Vaters mit dem Sohn, des Sohnes mit dem Vater in der Einheit des Heiligen Geistes. Damit ist der Verbindungspunkt bezeichnet, an dem das innertrinitarische Sein Gottes und sein Handeln nach außen sich berühren und miteinander zusammenhängen: der Sohn, Jesus Christus.149 Der Anfang alles Handeiris Gottes nach außen ist für Barth die Erwählung des Sohnes zur Menschwerdung. „Erwählung des Sohnes" ist dabei sowohl als Genitivus subjectivus, als auch als Genitivus objectivus zu verstehen. Als die zweite „Seinsweise" der Trinität ist der „ewige Sohn" 150 das Subjekt der Wahl der Menschwerdung, und d. h., des Handelns Gottes nach außen. Er ist „der erwählende Gott". 151 Er ist dies freilich nicht exklusiv, sondern — getreu dem Grundsatz: opera trinitatis ad extra sunt indivisa — in Gemeinschaft mit dem Vater und dem Geist. Zugleich ist der Sohn der Gegenstand der Wahl der Menschwerdung. „Zuerst in ihm wird und ist es Ereignis, daß Gott ein von ihm unterschiedenes Anderes als sein Geschöpf will und setzt". 152 Insofern ist Jesus Christus „der erwählte Mensch".153 Mit der Nennung des Namens Jesus Christus ist bereits im Sinne Barths die Einheit des erwählenden Gottes und des erwählten Menschen ausgesprochen154. „Jesus Christus war Gottes Wahl hinsichtlich dieser 149

Vgl. dazu K D 11,1 S. 356 f.

150

K D 1,1 S. 435 ff.

151

K D 11,2 S. 110 ff.

182

K D 11,2 S. 130. Ebs. 11,1 S. 3 5 7 : „Die Welt ist, weil und indem der Sohn

153

K D 11,2 S. 124 ff.

154

K D 11,2 S. 157: Die beiden Sätze — Jesus Christus ist der erwählende Gott,

Gottes ist".

und Jesus Christus ist der erwählte Mensch — „gehören in nidit aufzulösender Einheit zusammen, so gewiß beide von dem einen Jesus Christus reden, so gewiß Gott und Mensdi in Jesus Christus diese zwei sind: Erwählender und Erwählter in nidit wieder aufzulösender, sondern immer wieder in ihrer Vollendung anzusdiauende(r) Zusammengehörigkeit".

Das Sein des dreieinigen Gottes

41

[sc. von Gott verschiedenen] Wirklichkeit", und zwar „als Subjekt und Gegenstand dieser Wahl". 1 5 5 Aber, so muß man fragen, setzt diese Einheit des erwählenden Gottes und des erwählten Menschen in Jesus Christus nicht das Ereignis der Menschwerdung voraus? Demgegenüber betont Barth, daß Jesus Christus „als Gottes Sohn nicht anders als eben in unserem Fleische existiert von Ewigkeit zu Ewigkeit". 1 5 6 Damit wird bei Barth die Inkarnation streng genommen zum präexistenten Geschehen. Die Menschwerdung findet in Gestalt der ewigen Gnadenwahl schon innerhalb der immanenten Trinität statt. 157

" 5 KD 11,2 S. 109. Jüngel, Gottes Sein S. 86: „Der ewige Sohn wählt sein Gewähltwerden durch den Vater". 166 KD 11,1 S. 169. Barth fährt fort: „Unser Fleisch ist also dabei, wenn er Gott erkennt, als der Sohn den Vater, wenn Gott sidi selber erkennt. In unserem Fleische erkennt Gott sich selber. In ihm geschieht es also, daß unser Fleisch Gott selber erkennt". 157 KD IV,1 S. 70: „In diesem freien Akt der Gnadenwahl ist der Sohn des Vaters sdion nicht mehr bloß der ewige Logos, sondern als solcher, als wahrer Gott von Ewigkeit zugleich schon der wahre Gott und der wahre Mensch der er in der Zeit sein wird. Im göttlichen Prädestinationsakt präexistiert also Jesus Christus, der als der Sohn des ewigen Vaters und als der Sohn der Jungfrau Maria der Mittler des Bundes werden und sein sollte". (Vgl. auch KD IV,1 S. 55 f.). Siehe dazu Gloege, Zur Prädestinationslehre S. 96 ff. und Jüngel, Gottes Sein S. 94 f. Es macht zweifellos Schwierigkeiten, mit diesen Aussagen Barths eine sinnvolle Vorstellung zu verbinden. Soll man sich mit der Auskunft aus der Affäre ziehen, Barth meine damit nicht mehr, als daß der ewige Sohn als der zur Menschwerdung Erwählte und Bestimmte von Ewigkeit zu Ewigkeit existiere? Gewiß meint Barth auch das. Aber es ist kein Zufall, daß er nicht nur dies sagt, sondern auch behauptet, Jesus Christus existiere „in unserem Fleische... von Ewigkeit zu Ewigkeit", er sei „von Ewigkeit... schon der wahre Gott und der wahre Mensdi". Die Erklärung dieser Aussagen wird dem Wirklichkeitsverständnis zu entnehmen sein, das in Barths Anthropologie voll zutage tritt (siehe unten S. 168 ff.). Im Vorgriff darauf können wir sagen, daß die ewige Erwählung Gottes für Barth als solche realitätssetzenden Charakter hat. D. h.: erwählt Gott seinen Sohn zur Menschwerdung, so ist sein Sohn der Mensdigewordene. Zwar ist die Verwirklichung dieser Wahl in der Zeit (in unserer Zeit) damit nodi nicht geschehen, wohl aber deren Verwirklichung in der Ewigkeit (in Gottes Zeit). Und die Verwirklichung in der Zeit ist für Barth nur die Durchführung und Ausführung dessen, was

42

Das Sein Gottes

Es stellt sich in unserem Zusammenhang die Frage, ob unter dieser Voraussetzung nicht der Mensdi in Barths Gotteslehre hineingehört. Barth antwortet darauf: „Der Mensch an sidi und als solcher gehört gewiß nicht in die Gotteslehre, wohl aber Jesus Christus, wohl aber Gottes Barmherzigkeit und Treue gegen den Menschen".158 In anderer Terminologie ausgedrückt: Nicht der Mensch, wohl aber die „Menschlichkeit Gottes" ist Bestandteil der Gotteslehre. 159 Inbegriff dieser Menschlichkeit Gottes ist Jesus Christus als der erwählende Gott und der erwählte Mensch. Im Akt der Erwählung hat

von Gott her und vor Gott ewige Wirklichkeit ist. (Vgl. dazu die Kritik von E. Brunner, Dogmatik Bd. I S. 353 f. und Thielicke, Theologische Ethik Bd. I S. 203 ff.). Demzufolge ist die Wirklichkeit des Menschen zu bestimmen von der ewigen Erwählung des Menschen Jesus her — und nicht umgekehrt. Beschreitet man — mit Barth — diesen Weg, so lösen sich die obengenannten Schwierigkeiten auf. Problematisch ist dann nidit mehr die Vorstellung von der ewigen Existenz des Gottmenschen Jesus Christus, problematisch wird aber dann das allgemeine Verständnis von der Wirklichkeit des Menschen. Dazu Rödding, Das Seinsproblem S. 19: „Sein ist nur bei Gott. Außergöttlidies Sein ist nur dessen Analogie — oder eine ontologisdie Unmöglichkeit". Ebs. a. a. O. S. 22, 28 f. und 37. — In diesem Zusammenhang verdient eine Beobachtung Jüngels noch besondere Beachtung. Er schreibt (Gottes Sein S. 95, Anm. 90): „Barths Lehre vom Sein des Menschen Jesus am Anfang bei Gott ist wohl das christologische Gegenstück zu der von Barth stets radikal abgelehnten theologia naturalis". Diese Aussage gilt (auch im Sinne Jüngels) noch nidit hinsichtlich Barths Widerspruch gegen die natürlidie Theologie in der Auseinandersetzung mit E. Brunner u. a. in den Dreißiger Jahren, sondern erst hinsichtlich der Konzeption, die Barth innerhalb der KD (von 11,1 an fortschreitend) entwickelt und die er selbst mit dem Satz charakterisiert hat: „Später holte idi dann die theologia naturalis via Christologie wieder herein" (Ein Gespräch in der Brüdergemeine, 1961, S. 8). Man verkennt diese Äußerung Barths freilich total, wenn man das „via Christologie" nicht hinreichend beachtet und aus ihr einfach eine Aufnahme der natürlichen Theologie abliest. (Dazu tendiert Marquardt, Theologie und Sozialismus S. 263 f.). Was Barth hereinholt, ist der Gegenstandsbereich der natürlichen Theologie, nämlich das Wirken Gottes in der Schöpfung, aber wie er es hereinholt (eben „via Christologie"), macht deutlich, daß es auch hierbei um ein Gegenstück zu den traditionellen Formen natürlicher Theologie geht. Barth weitet nicht die menschliche Erkenntnisfähigkeit auf einen vor-christologis